Plenarprotokoll 17/198 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 198. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2012 I n h a l t : Wahl des Herrn Andreas Meitzner als stellvertretendes Mitglied in den Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Absetzung der Tagesordnungspunkte 37 und 41 d Nachträgliche Ausschussüberweisung Tagesordnungspunkt 4: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat am 18./19. Oktober 2012 in Brüssel Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin Peer Steinbrück (SPD) Rainer Brüderle (FDP) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Volker Kauder (CDU/CSU) Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) Sigmar Gabriel (SPD) Volker Kauder (CDU/CSU) Dr. Hermann Otto Solms (FDP) Norbert Barthle (CDU/CSU) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) Michael Stübgen (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Willi Brase, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Jugendliche haben ein Recht auf Ausbildung (Drucksache 17/10116) b) Antrag der Abgeordneten Agnes Alpers, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Perspektiven für 1,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss schaffen – Ausbildung für alle garantieren (Drucksache 17/10856) c) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Brigitte Pothmer, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit DualPlus mehr Jugendlichen und Betrieben die Teilnahme an der dualen Ausbildung ermöglichen (Drucksache 17/9586) d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Berufsbildungsbericht 2012 (Drucksache 17/9700) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heiner Kamp, Dr. Martin Neumann (Lausitz), Sylvia Canel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Das deutsche Berufsbildungssystem – Versicherung gegen Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel (Drucksache 17/10986) Willi Brase (SPD) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF Agnes Alpers (DIE LINKE) Heiner Kamp (FDP) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Uwe Schummer (CDU/CSU) Oliver Kaczmarek (SPD) Patrick Meinhardt (FDP) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) Katja Mast (SPD) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) Axel Knoerig (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 40: a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des Erbrechts und der Verfahrensbeteiligungsrechte nichtehelicher und einzeladoptierter Kinder im Nachlassverfahren (Drucksache 17/9427) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2013 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2013) (Drucksache 17/10915) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 17. Dezember 2009 zwischen Kanada und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten (Vertragsgesetz EU-Kanada-Luftverkehrsabkommen – EU-KAN-LuftverkAbkG) (Drucksache 17/10917) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und anderer Gesetze (Drucksache 17/10961) e) Antrag der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Marianne Schieder (Schwandorf), Frank Hofmann (Volkach), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Konsum kristalliner Methamphetamine durch Prävention eindämmen – Neue synthetische Drogen europaweit effizienter bekämpfen (Drucksache 17/10646) f) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Johannes Selle, Dorothee Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Claudia Winterstein, Burkhardt Müller-Sönksen, Reiner Deutschmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Das Filmerbe stärken, die Kulturschätze für die Nachwelt bewahren und im digitalen Zeitalter zugänglich machen (Drucksache 17/11006) g) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rehabilitierung und Entschädigung der verfolgten Lesben und Schwulen in beiden deutschen Staaten (Drucksache 17/10841) h) Antrag der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer, Jan Korte, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Finanzierung zur Bewahrung des deutschen Filmerbes endlich sicherstellen (Drucksache 17/11007) Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Tom Koenigs, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: NS-Vergangenheit von Bundesministerien und Behörden systematisch aufarbeiten – Bestandsaufnahme zur Forschung erstellen – Erinnerungsarbeit koordinieren (Drucksache 17/10068) b) Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine angemessene Praxis bei Anträgen auf Kindergeldabzweigung durch die So-zialhilfeträger (Drucksache 17/10863) c) Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Michael Kretschmer, Dr. Hans-Peter Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Stefan Ruppert, Patrick Kurth (Kyffhäuser), Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stärken, Rahmenbedingungen verbessern – Die Aufarbeitung der Geschichte der wichtigsten staatlichen Institutionen in Bezug auf die NS-Vergangenheit durch besseren Aktenzugang unterstützen und Bestandsaufnahmen zur Aufarbeitung der frühen Geschichte der Bundesministerien und -behörden sowie der vergleichbaren DDR-Institutionen beauftragen (Drucksache 17/11001) d) Antrag der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Patientenrechte wirksam verbessern (Drucksache 17/11008) e) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beitragssätze nachhaltig stabilisieren, Erwerbsminderungsrente verbessern, Reha-Budget angemessen ausgestalten (Drucksache 17/11010) Tagesordnungspunkt 41: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Martin Dörmann, Gerold Reichenbach, Doris Barnett, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes (TMG) (Drucksachen 17/8454, 17/8814) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Festlegung eines Mehrjahresrahmens (2013–2017) für die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (Drucksachen 17/10760, 17/11062) c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Freihandelsabkommen vom 6. Oktober 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits (Drucksachen 17/10758, 17/11054) e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms für Umwelt- und Klimapolitik (LIFE) – KOM(2011) 874 endg.; Ratsdok. 18627/11 (Drucksachen 17/8515 Nr. A.42, 17/10196) f) – l) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 473, 474, 475, 476, 477, 478, 479 zu Petitionen (Drucksachen  17/10834,  17/10835, 17/10836, 17/10837, 17/10838, 17/10839, 17/10840) Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Juni 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt über den Sitz des Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt (Drucksachen 17/10756, 17/11035) b) Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Portugal unterstützen und Parlamentsrechte wahren – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (Drucksache 17/11009) Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Integrität parlamentarischer Entscheidungen durch mehr Transparenz und klare Regeln gewährleisten – Nebentätigkeiten, Karenzzeit für Regierungsmitglieder, Abgeordnetenbestechung und Parteiengesetz Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) Thomas Oppermann (SPD) Dr. Hermann Otto Solms (FDP) Raju Sharma (DIE LINKE) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) Christine Lambrecht (SPD) Jörg van Essen (FDP) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Helmut Brandt (CDU/CSU) Christian Lange (Backnang) (SPD) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/…/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung (EU) Nr. …/2012 über die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRD-IV-Umsetzungsgesetz) (Drucksache 17/10974) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Manfred Zöllmer (SPD) Björn Sänger (FDP) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) Dr. Carsten Sieling (SPD) Dr. Volker Wissing (FDP) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 7: a) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wiederherstellung eines Lebensstandard sichernden und strukturell armutsfesten Rentenniveaus (Drucksache 17/10990) b) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Altersarmut wirksam bekämpfen – Solidarische Mindestrente einführen (Drucksache 17/10998) c) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rente erst ab 67 sofort vollständig zurücknehmen (Drucksache 17/10991) d) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kindererziehung in der Rente besser berücksichtigen (Drucksache 17/10994) e) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Eine solidarische Rentenversicherung für alle Erwerbstätigen (Drucksache 17/10997) f) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Risiko der Erwerbsminderung besser absichern (Drucksache 17/10992) g) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Angleichung der Renten in Ostdeutschland auf das Westniveau bis 2016 umsetzen (Drucksache 17/10996) h) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rente nach Mindestentgeltpunkten entfristen (Drucksache 17/10995) i) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rentenbeiträge für Langzeiterwerbslose wieder einführen (Drucksache 17/10993) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Anton Schaaf (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Max Straubinger (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Flexibilisierung von haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen außer-universitärer Wissenschaftseinrichtungen (Wissenschaftsfreiheitsgesetz – WissFG) (Drucksachen 17/10037, 17/10123, 17/11046) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF René Röspel (SPD) Dr. Peter Röhlinger (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) Klaus Hagemann (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kosten und Nutzen der Energiewende fair verteilen (Drucksache 17/11004) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) Horst Meierhofer (FDP) Ulrich Kelber (SPD) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 6: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-ÄndG) (Drucksachen 17/9852, 17/11053) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Tobias Lindner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit im Wettbewerbsrecht verankern (Drucksachen 17/9956, 17/11053) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Presse-Grosso gesetzlich verankern (Drucksachen 17/8923, 17/9989) d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Instrumente zur Förderung der Medienvielfalt auf solide Datenbasis stellen (Drucksachen 17/9155, 17/11058) e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Dörmann, Siegmund Ehrmann, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Freiheit und Unabhängigkeit der Medien sichern – Vielfalt der Medienlandschaft erhalten und Qualität im Journalismus stärken (Drucksachen  17/10787,  17/11045, 17/11082) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Ingo Egloff (SPD) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) Kathrin Vogler (DIE LINKE) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Martin Dörmann (SPD) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Elke Ferner (SPD) (Erklärung nach § 31 GO) Wahl Ergebnis Tagesordnungspunkt 11: a) Antrag der Abgeordneten Michael Groß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Programm „Soziale Stadt“ zukunftsfähig weiterentwickeln – Städtebauförderung sichern (Drucksache 17/10999) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS  90/DIE GRÜNEN: 40 Jahre Städtebauförderung – Erfolgsmodell für die Zukunft der Städte und Regionen erhalten und fortentwickeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Städtebauförderung auf hohem Niveau verstetigen, Forderungen der Bauministerkonferenz umsetzen (Drucksachen 17/6444, 17/6447, 17/8199) Michael Groß (SPD) Peter Götz (CDU/CSU) Heidrun Bluhm (DIE LINKE) Petra Müller (Aachen) (FDP) Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lebensmittelverluste reduzieren (Drucksache 17/10987) b) Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Johanna Voß, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Ursachen der Vernichtung und Verschwendung von Lebensmitteln wirksam bekämpfen (Drucksache 17/10989) Peter Bleser, Parl. Staatssekretär BMELV Elvira Drobinski-Weiß (SPD) Hans-Michael Goldmann (FDP) Karin Binder (DIE LINKE) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Carola Stauche (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 20: a) – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als besondere Umstände der Strafzumessung (… StRÄndG) (Drucksachen 17/9345, 17/11061) – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs (… Strafrechtsänderungsgesetz – … StRÄndG) (Drucksachen 17/8131, 17/11061) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vorurteilsmotivierte Straftaten wirksam verfolgen (Drucksachen 17/8796, 17/11061) Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes (Drucksachen  17/10042,  17/10124, 17/11019) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rettung einheimischer Rebsorten durch Erhaltungsanbau (Drucksachen 17/7845, 17/8612) Alois Gerig (CDU/CSU) Gustav Herzog (SPD) Dr. Erik Schweickert (FDP) Alexander Süßmair (DIE LINKE) Dr. Erik Schweickert (FDP) Alexander Süßmair (DIE LINKE) Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Norbert Schindler (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rechtliche und finanzielle Voraussetzungen für die Zahlung einer Ausstellungsvergütung für bildende Künstlerinnen und Künstler schaffen (Drucksache 17/8379) Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91 b) (Drucksache 17/10956) Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfahren – Konsequenzen aus den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ziehen (Drucksachen 17/8460, 17/9008) Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (Drucksache 17/10975) Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Bauproduktengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften an die Verordnung (EU) Nr. 305/2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten (Drucksachen 17/10310, 17/10874) Matthias Lietz (CDU/CSU) Michael Groß (SPD) Petra Müller (Aachen) (FDP) Heidrun Bluhm (DIE LINKE) Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVBS Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Gabriele Fograscher, Wolfgang Gunkel, Michael Hartmann (Wackernheim), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Evaluierung der Auswirkungen des neuen Waffenrechts (Drucksache 17/10114) Günter Lach (CDU/CSU) Gabriele Fograscher (SPD) Serkan Tören (FDP) Frank Tempel (DIE LINKE) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über die Höhe der Managementprämie für Strom aus Windenergie und solarer Strahlungsenergie (Managementprämienverordnung – MaPrV) (Drucksachen 17/10571, 17/10707 Nr. 2.2, 17/10817) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) Josef Göppel (CDU/CSU) Dr. Matthias Miersch (SPD) Michael Kauch (FDP) Dorothée Menzner (DIE LINKE) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 28: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Nietan, Uta Zapf, Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine ehrliche und faire europäische Perspektive der Staaten des westlichen Balkans (Drucksachen 17/9744, 17/11034) Peter Beyer (CDU/CSU) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) Dietmar Nietan (SPD) Dr. Rainer Stinner (FDP) Thomas Nord (DIE LINKE) Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften (Drucksache 17/10957) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) Josef Göppel (CDU/CSU) Dr. Matthias Miersch (SPD) Judith Skudelny (FDP) Sabine Stüber (DIE LINKE) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Behindern ist heilbar – Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Teilhabesicherungsgesetz vorlegen (Drucksachen 17/7872, 17/7889, 17/10008) Maria Michalk (CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Gabriele Molitor (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr sowie zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes (Drucksache 17/10958) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) Ulrike Gottschalck (SPD) Torsten Staffeldt (FDP) Thomas Lutze (DIE LINKE) Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVBS Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Hans-Josef Fell, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beitrag der Raumordnung zu Klimaschutz und Energiewende (Drucksache 17/9583) Ulrich Lange (CDU/CSU) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Michael Groß (SPD) Petra Müller (Aachen) (FDP) Heidrun Bluhm (DIE LINKE) Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 25: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation (Drucksache 17/10959) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unverzügliche Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation (Drucksachen 17/9066, 17/9614) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Tagesordnungspunkt 30: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Die Umsetzung der UN-Resolution 1325 mit einem Rechenschaftsmechanismus fördern (Drucksachen 17/8777, 17/10904) Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) Bijan Djir-Sarai (FDP) Stefan Liebich (DIE LINKE) Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen, zur Änderung der Verordnung zur Begrenzung der Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen beim Umfüllen oder Lagern von Ottokraftstoffen, Kraftstoffgemischen oder Rohbenzin sowie zur Änderung der Verordnung zur Begrenzung der Kohlenwasserstoffemissionen bei der Betankung von Kraftfahrzeugen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Gerd Bollmann, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schadstoffbelastung durch Abfallmitverbrennung senken – Gleiche Bedingungen für Müllverbrennung und Abfallmitverbrennung (Drucksachen 17/10605, 17/10707 Nr. 2.3, 17/9555, 17/11060) Dr. Michael Paul (CDU/CSU) Franz Obermeier (CDU/CSU) Ute Vogt (SPD) Dr. Lutz Knopek (FDP) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 7: a) Antrag der Abgeordneten Ulrike Gottschalck, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neue Impulse für die Förderung des Radverkehrs setzen – Den Nationalen Radverkehrsplan 2020 überarbeiten (Drucksache 17/11000) b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Nationaler Radverkehrsplan 2020 – Den Radverkehr gemeinsam weiterentwickeln (Drucksache 17/10681) Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Zulassungsverfahrens für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen (Drucksache 17/10960) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) Ingo Egloff (SPD) Manfred Todtenhausen (FDP) Frank Tempel (DIE LINKE) Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Abgeordneten Ingrid Remmers, Kersten Steinke, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bürgerbeteiligung stärken – Peti-tionsrecht ausbauen (Drucksache 17/10682) Günter Baumann (CDU/CSU) Gero Storjohann (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Stephan Thomae (FDP) Ingrid Remmers (DIE LINKE) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 32: Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Katrin Werner, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Freiheit für Mumia Abu-Jamal (Drucksache 17/8916) Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) Pascal Kober (FDP) Annette Groth (DIE LINKE) Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 33: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Annette Groth, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Menschenrechte und Demokratie in den Staaten des Südkaukasus fördern (Drucksachen 17/7645, 17/8681) Erika Steinbach (CDU/CSU) Ullrich Meßmer (SPD) Marina Schuster (FDP) Katrin Werner (DIE LINKE) Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91 b) (Tagesordnungspunkt 14) Monika Grütters (CDU/CSU) Swen Schulz (Spandau) (SPD) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Nicole Gohlke (DIE LINKE) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Rechtliche und finanzielle Voraussetzungen für die Zahlung einer Ausstellungsvergütung für bildende Künstlerinnen und Künstler schaffen (Tagesordnungspunkt 15) Monika Grütters (CDU/CSU) Christoph Poland (CDU/CSU) Siegmund Ehrmann (SPD) Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (Tagesordnungspunkt 16) Michael Frieser (CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD) Marina Schuster (FDP) Stefan Liebich (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfahren – Konsequenzen aus den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ziehen (Tagesordnungspunkt 17) Helmut Brandt (CDU/CSU) Rüdiger Veit (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs (… Strafrechtsänderungsgesetz – … StRÄndG) – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: – Vorurteilsmotivierte Straftaten wirksam verfolgen (Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Burkhard Lischka (SPD) Sönke Rix (SPD) Jörg van Essen (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden: Zur Beratung: Antrag: Neue Impulse für die Förderung des Radverkehrs setzen – Den Nationalen Radverkehrsplan 2020 überarbeiten – Unterrichtung: Nationaler Radverkehrsplan 2020 – Den Radverkehr gemeinsam weiterentwickeln (Zusatztagesordnungspunkt 7) Gero Storjohann (CDU/CSU) Ulrike Gottschalck (SPD) Torsten Staffeldt (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Inhaltsverzeichnis 198. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2012 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Vor Eintritt in die Tagesordnung müssen wir noch eine Wahl zum Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung durchführen. Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien hat mitgeteilt, dass das vom Auswärtigen Amt benannte stellvertretende Mitglied Jutta Frasch ausgeschieden ist und Herr Andreas Meitzner als Nachfolger vorgeschlagen wird. Nach § 19 des entsprechenden Gesetzes müssen auch die von anderen Stellen vorgeschlagenen Mitglieder des Stiftungsrates vom Deutschen Bundestag bestätigt werden. Deshalb frage ich Sie, ob Sie mit diesem Vorschlag einverstanden sind. – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist Herr Meitzner damit als stellvertretendes Mitglied gewählt. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Finanzielle Belastungen der Geringverdienerhaushalte durch die von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Ökostromsubventionen (siehe 197. Sitzung) ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Schummer, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heiner Kamp, Dr. Martin Neumann (Lausitz), Sylvia Canel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Das deutsche Berufsbildungssytem – Versicherung gegen Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel – Drucksache 17/10986 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 40 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Tom Koenigs, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NS-Vergangenheit von Bundesministerien und Behörden systematisch aufarbeiten – Bestandsaufnahme zur Forschung erstellen – Erinnerungsarbeit koordinieren – Drucksache 17/10068 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Kultur und Medien Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine angemessene Praxis bei Anträgen auf Kindergeldabzweigung durch die Sozialhilfeträger – Drucksache 17/10863 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Michael Kretschmer, Dr. Hans-Peter Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Stefan Ruppert, Patrick Kurth (Kyffhäuser), Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stärken, Rahmenbedingungen verbessern – Die Aufarbeitung der Geschichte der wichtigsten staatlichen Institutionen in Bezug auf die NS-Vergangenheit durch besseren Aktenzugang unterstützen und Bestandsaufnahmen zur Aufarbeitung der frühen Geschichte der Bundesministerien und -behörden sowie der vergleichbaren DDR-Institutionen beauftragen – Drucksache 17/11001 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Patientenrechte wirksam verbessern – Drucksache 17/11008 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beitragssätze nachhaltig stabilisieren, Erwerbsminderungsrente verbessern, Reha-Budget angemessen ausgestalten – Drucksache 17/11010 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache Ergänzung zu TOP 41 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Juni 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt über den Sitz des Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt – Drucksache 17/10756 – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) – Drucksache 17/11035 – Berichterstattung: Abgeordnete Peter Beyer Dr. Rolf Mützenich Marina Schuster Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller (Köln) b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Portugal unterstützen und Parlamentsrechte wahren hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Drucksache 17/11009 – ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Integrität parlamentarischer Entscheidungen durch mehr Transparenz und klare Regeln gewährleisten – Nebentätigkeiten, Karenzzeit für Regierungsmitglieder, Abgeordnetenbestechung und Parteiengesetz ZP 6 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-ÄndG) – Drucksache 17/9852 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/11053 – Berichterstattung: Abgeordneter Ingo Egloff b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Tobias Lindner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit im Wettbewerbsrecht verankern – Drucksachen 17/9956, 17/11053 – Berichterstattung: Abgeordneter Ingo Egloff c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Presse-Grosso gesetzlich verankern – Drucksachen 17/8923, 17/9989 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Instrumente zur Förderung der Medienvielfalt auf solide Datenbasis stellen – Drucksachen 17/9155, 17/11058 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Martin Dörmann Burkhardt Müller-Sönksen Kathrin Senger-Schäfer Tabea Rößner e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Dörmann, Siegmund Ehrmann, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Freiheit und Unabhängigkeit der Medien -sichern – Vielfalt der Medienlandschaft erhalten und Qualität im Journalismus stärken – Drucksachen 17/10787, 17/11045, 17/11082 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Martin Dörmann Burkhardt Müller-Sönksen Kathrin Senger-Schäfer Tabea Rößner ZP 7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Gottschalck, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neue Impulse für die Förderung des Radverkehrs setzen – Den Nationalen Radverkehrsplan 2020 überarbeiten – Drucksache 17/11000 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierung Nationaler Radverkehrsplan 2020 – Den Radverkehr gemeinsam weiterentwickeln – Drucksache 17/10681 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Gemeinsam die Modernisierung Russlands -voranbringen – Rückschläge überwinden – Neue Impulse für die Partnerschaft setzen – Drucksache 17/11005 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Außerdem werden die Tagesordnungspunkte 37 und 41 d abgesetzt. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten Änderungen im Ablauf unserer Tagesordnung. Schließlich mache ich noch auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der am 28. Juni 2012 (187. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes 2013 – Drucksache 17/10000 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Der am 27. September 2012 (195. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung patentrechtlicher Vorschriften und -anderer Gesetze des gewerblichen Rechtsschutzes – Drucksache 17/10308 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Der am 28. September 2012 (196. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes – Drucksache 17/10572 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Der am 27. September 2012 (195. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften – Drucksache 17/10754 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Der am 27. September 2012 (195. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Innenausschuss (4. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Erweiterung des Geltungsbereichs der Verordnung (EU) Nummer 1214/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über den -gewerbsmäßigen grenzüberschreitenden Straßentransport von Euro-Bargeld zwischen Mitgliedstaaten des Euro-Raums – Drucksache 17/10759 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Der am 27. September 2012 (195. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll dem Haushaltsausschuss (8. Ausschuss) zusätzlich gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung – Drucksache 17/10773 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Der am 27. September 2012 (195. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll dem Haushaltsausschuss (8. Ausschuss) nun nicht mehr zur Mitberatung, jedoch zusätzlich gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines -Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts – Drucksache 17/10774 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Einwände höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 18./19. Oktober 2012 in Brüssel Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der SPD-Fraktion vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung Eindreiviertelstunden vorgesehen. – Auch dazu darf ich Ihr Einvernehmen feststellen. Dann ist das so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Inmitten der schwersten Krise seit Verabschiedung der Römischen Verträge vor 55 Jahren, inmitten der größten Bewährungsprobe, die wir Europäer seither zu bestehen hatten, genau in dieser Zeit wird am letzten Freitag in der Hauptstadt eines -europäischen Landes, das selbst kein Mitglied der Europäischen Union ist, einer der bedeutendsten Preise der Welt an die Europäische Union vergeben. Wenig, wie ich finde, macht die Dramatik der gegenwärtigen Lage Europas mit einem Schlag so deutlich wie die Verleihung des Friedensnobelpreises 2012 an die -Europäische Union. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenig zwingt uns so sehr, uns die Größe der Aufgabe unserer politischen Generation bewusst zu machen, wie diese Entscheidung in Oslo am letzten Freitag. Ich finde, dies ist eine wunderbare Entscheidung, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und zwar deshalb, weil das Nobelpreiskomitee den Friedensnobelpreis gerade nicht in den Jahren europäischer Triumphe und Glücksmomente – zum Beispiel 1990 nach dem Fall des Eisernen Vorhangs oder 2004 nach der Osterweiterung der Europäischen Union –, sondern jetzt verliehen hat. In der Zeit der Krise ist diese Entscheidung weit mehr als nur eine Würdigung. Sie ist weit mehr als eine Erinnerung an den Ausgangspunkt der europäischen Einigungsidee nach Jahrhunderten des Mordens und -Sterbens auf europäischen Schlachtfeldern. Diese Entscheidung ist so bedeutend, weil sie genau jetzt kommt. Denn damit ist sie als Mahnung zu verstehen. Mehr noch, sie ist Ansporn und Verpflichtung, und zwar für uns alle in Europa, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen und den Kern der Bewährungsprobe, in der wir uns ja nun sichtbarerweise befinden, immer wieder zu sehen. Dieser Kern unserer Bewährungsprobe kann in einem einfachen Satz ausgedrückt werden: Der Euro, um dessen Stärke wir mit vielen Instrumenten und Maßnahmen gerade ringen, ist weit mehr als eine Währung, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Euro steht symbolhaft für die wirtschaftliche, soziale und politische Einigung Europas – mit großer Wirkung weit über Europa hinaus. Das ist der Grund, warum die Überwindung der Krise im Euro-Raum seit nunmehr bald drei Jahren die Agenda aller G-8-Treffen, aller G-20-Treffen und fast aller Europäischen Räte der Staats- und Regierungschefs bestimmt. Wir haben seit Anfang 2010 allein zehn Räte gehabt. Auch heute und morgen, beim elften Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs, wird das nicht anders sein. Es kann gar nicht oft genug gesagt werden: Die Probleme, mit denen wir uns beschäftigen, die Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben, sind nicht über Nacht entstanden. Deshalb können sie auch nicht über Nacht gelöst werden. Sie sind auf eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, sie sind auf die Überschuldung einzelner Mitgliedstaaten (Zuruf von der LINKEN: Auf Ihre Politik!) sowie auch auf Gründungsfehler des Euro zurückzuführen. Wir begeben uns bei der Lösung dieser Probleme auf Neuland. Es gab und es gibt nicht die Lösung, den einen Befreiungsschlag, womit die Krise auf einen Schlag aus der Welt geschafft worden wäre. Auch der Gipfel heute und morgen wird nicht der letzte sein, der sich mit der Überwindung der Krise im Euro-Raum befasst. Es werden weitere folgen; denn die Stärkung des Euro ist ein Prozess aufeinanderfolgender Schritte und Maßnahmen. Manches ist bereits geschafft. In diesen drei Jahren der Krise haben wir im Übrigen weit mehr geschafft als in vielen Jahren vorher in Europa. Wir können die Konturen einer Stabilitätsunion bereits deutlich erkennen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Viele Mitgliedstaaten unterziehen sich harten Reformen und Anpassungsprogrammen, um ihre spezifischen Probleme – das sind Staats- und Auslandsverschuldung, Bankenkrisen, Verlust an Wettbewerbsfähigkeit – in den Griff zu bekommen. Dies gilt auch für Griechenland. Davon konnte ich mich bei meinem Besuch in Athen in der letzten Woche persönlich überzeugen. Der griechische Ministerpräsident Samaras wird uns auf dem Rat einen Zwischenbericht über den Stand seiner Verhandlungen mit der Troika geben. Es besteht überhaupt kein Zweifel: Die Lage in Griechenland ist alles andere als einfach. Vieles geht zu langsam. Maßnahmen, die längst hätten umgesetzt werden müssen, sind immer noch in Arbeit. Die Rezession ist weit stärker als erwartet. Strukturelle Veränderungen werden oftmals nur im Schneckentempo durchgeführt. Die Verwaltung arbeitet an vielen Stellen unzureichend, und Betrug und Korruption sind immer noch nicht vollständig eingedämmt. (Zuruf von der LINKEN: Fast wie in der Bundesregierung!) Ich kann gut verstehen, warum die große Mehrheit der griechischen Bürger wütend darauf reagiert, dass wohlhabende Griechen ihren Beitrag zur Lösung der Probleme ihres Landes nicht leisten wollen. Angesichts dessen ist es menschlich absolut nachvollziehbar, warum sich so viele Griechen schwer damit tun, einzusehen, dass die größte Zahl der Probleme zu Hause entstanden ist und deshalb auch nur zu Hause gelöst werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nur die eine Seite der Medaille. Ich habe bei meinem Besuch auch die andere Seite der Medaille gesehen. In Athen, in der griechischen Regierung, bei vielen in Wirtschaft und Gesellschaft erlebe ich einen ernsten Willen zur Veränderung, den Willen, die eigenen Hausaufgaben zu machen, um so das Land in eine bessere Zukunft zu führen und Mitglied des Euro-Raums bleiben zu können. Ich möchte exemplarisch unseren Kollegen Hans-Joachim Fuchtel nennen, der als deutscher Verantwortlicher für die Deutsch-Griechische Versammlung zusammen mit vielen Griechen und vielen Deutschen einen unermüdlichen Beitrag leistet, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) um das Gemeinwesen auch von unten wieder aufzubauen. Das ist der Weg, den wir natürlich parallel gehen müssen. Ich möchte deshalb Danke sagen. Er heißt in Griechenland – das hat er mir gesagt – „Fuchtelos“. (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich finde, das ist ein schöner Name für seine Arbeit. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sehr vertrauenserweckend!) Meine Damen und Herren, weil es so ist – wir kennen die eine Seite der Medaille, und wir kennen die andere Seite der Medaille –, kann und werde ich dem Bericht der Troika hier und heute nicht vorgreifen. Aber ich wiederhole, was ich bereits an anderer Stelle, beim Besuch des griechischen Ministerpräsidenten genauso wie bei meinem Besuch in Athen, gesagt habe: Ich wünsche mir, dass Griechenland im Euro-Raum bleibt. Ich wünsche mir das nicht nur, weil Griechenland unser Freund und Partner in der Europäischen Union wie auch in der NATO ist, sondern auch, weil dies immer noch, trotz aller Schwierigkeiten, im Interesse Griechenlands selbst wie auch der Euro-Zone und der Europäischen Union als Ganzes ist. Das ist die Haltung, mit der ich, mit der die Bundesregierung, mit der wir den Bericht der Troika abwarten sollten; wir sollten nicht vorher richten, sondern uns die Ergebnisse anschauen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Ganz schön offen, Frau Merkel!) Griechenland muss die verabredeten Maßnahmen, zu denen das Land sich verpflichtet hat, einhalten. In meinen Gesprächen mit Ministerpräsident Samaras in Athen und erneut gestern am Rande des EVP-Gipfels in Bukarest habe ich den ernsthaften Willen gespürt, das zu schaffen und damit den Verpflichtungen nachzukommen. Sobald der Troika-Bericht vorliegt, werden die Entscheidungen über eine Auszahlung der nächsten Tranche hier im Deutschen Bundestag zu treffen sein, nirgendwo anders, und das werden wir gemeinsam diskutieren. Auf dem Rat wird uns auch der spanische Ministerpräsident Rajoy über die Situation in seinem Land unterrichten. Der Bericht über die Rekapitalisierung der Banken – das haben wir verfolgt – liegt inzwischen vor. Ob und inwieweit Spanien darüber hinaus Hilfe aus dem ESM benötigt, ist allein – ich habe das in allen Gesprächen mit dem spanischen Ministerpräsidenten immer wieder deutlich gemacht – die Entscheidung Spaniens. Die Bedingungen für Hilfsanträge sind durch die Richtlinien des ESM völlig klar vorgegeben; sie sind inzwischen auch vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden. Meine Damen und Herren, wir wissen, dass den Menschen in Spanien, in Griechenland und in den anderen betroffenen Mitgliedstaaten außerordentlich viel abverlangt wird. Die sehr harten Reformmaßnahmen bedeuten natürlich viele Einschnitte für viele Bürgerinnen und Bürger in diesen Ländern. Aber wir sehen auch, dass es Ergebnisse gibt: In Irland, in Portugal, in Spanien, aber eben auch in Griechenland sind die Lohnstückkosten deutlich gesunken. Dies ist ein wichtiger Faktor für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Wir sehen das im Übrigen auch bei allen Ländern an der Industrieproduktion, die zum Teil wieder zu wachsen beginnt. Defizite in den Leistungsbilanzen gehen zurück, auch Defizite im Haushalt. Man kann sagen, dass sich diese Länder in vielen Faktoren in die richtige Richtung bewegen. Aber dieser Reformweg ist natürlich noch lange nicht beendet, und er muss weiter gegangen werden. Das heißt, wir können sagen: Es ist ein Anfang gemacht. Wir dürfen nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Weil nachhaltige Konsolidierung und Wachstum einander bedingen, deshalb muss beides gleichermaßen verfolgt werden. An dieser Stelle möchte ich noch einmal sagen: Natürlich wissen wir, dass wieder Wachstum entstehen soll. Natürlich wissen wir, dass Wachstum kein Selbstzweck ist, sondern dass es um Beschäftigung in diesen Ländern geht. (Zuruf von der SPD: Ja, klar! Sie auch?) Natürlich wissen wir, dass rund 50 Prozent der jungen Menschen in Spanien, in Griechenland und auch in anderen Ländern – das ist ein sehr hoher Prozentsatz – heute arbeitslos sind. Aber wir wissen doch aus eigener Erfahrung, dass nur durch Reformen am Arbeitsmarkt, durch Strukturreformen und solide Haushalte überhaupt wieder Beschäftigung entstehen kann. Das ist doch kein Mysterium. Wachstum entsteht aus unternehmerischer Tätigkeit, unternehmerische Tätigkeit entsteht aus der notwendigen Flexibilität, und das müssen wir in Europa wieder schaffen, meine Damen und Herren. Da liegt der Schlüssel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb haben wir ja auch, parallel zu all den Programmen, die für die Länder ausgearbeitet wurden, und zu all den Vorschlägen, die die Europäische Kommission gemacht hat, den Pakt für Wachstum und Beschäftigung in der Europäischen Union erarbeitet. Deshalb haben wir uns ja auch in diesem Hause nach langer Diskussion gemeinsam darauf geeinigt, dass dieser Pakt für Wachstum und Beschäftigung neben dem Fiskalpakt ein wichtiger Schritt ist, um die Probleme der Europäischen Union zu lösen. Ich sage auch: Trotz aller Gegensätze, die wir hier in diesem Hause haben: An den entscheidenden Stellen haben wir uns immer wieder zusammengerauft. Ich möchte Danke dafür sagen, dass das möglich ist, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD) und das nicht, weil die Gegensätze dabei vertuscht werden sollen – das ist doch gar nicht der Gegenstand –, sondern weil die große Mehrheit dieses Hauses glücklicherweise solche Gegensätze für die Sache Europas zurückstellt und sagt: Was für Europa gut ist, das machen wir gemeinsam. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, die Konturen einer Stabilitätsunion zeichnen sich aber auch deshalb ab, weil wir inzwischen dauerhafte Instrumente der Krisenbewältigung haben. Schon vor gut zwei Jahren hat sich die christlich-liberale Koalition dafür eingesetzt, (Zurufe von der SPD: Oh) einen permanenten Krisenbewältigungsmechanismus zu schaffen. Wir haben gewusst, dass 2013 die EFSF ausläuft, und wir haben uns deshalb rechtzeitig – denn wir wussten, dass dabei schwierige rechtliche Fragen zu klären sind – für einen solchen dauerhaften Rettungsschirm eingesetzt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eingesetzt?) Jetzt kann ich sagen: Wir haben ihn heute. Er ist verabschiedet. Er ist ein dauerhaftes Instrument zur Bewältigung der Krise. Ich möchte einmal zwei Jahre zurückdenken. Wenn wir damals gefragt hätten: „Wer in Europa ist denn jetzt dafür?“, dann hätte man gesagt: Das ist nie zu schaffen. Nur weil Deutschland an vielen Stellen vorangegangen ist, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind wir denn vorangegangen?) sind wir heute in Europa dort, wo wir sind, nämlich dass wir zum Beispiel ein dauerhaftes Krisenbewältigungsinstrument haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben noch etwas von Anfang an gesagt – und das ist der Maßstab unseres Handelns –: Solidarität auf der einen Seite im Rahmen des ESM geht Hand in Hand mit Bedingungen und Auflagen für die jeweiligen Mitgliedstaaten. Unter dieser Voraussetzung haben wir stets solidarisch gehandelt und werden das auch in Zukunft tun. Von besonderer Bedeutung für eine zukünftige Stabilitätsunion ist jedoch ohne Zweifel die Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Wir haben ihn im vergangenen Jahr so ausgestattet, dass Fehlentwicklungen in einzelnen Mitgliedstaaten in Zukunft nicht mehr die Stabilität des Euro als Ganzes gefährden werden. Sie kennen das – in Anführungsstrichen, sehr volksnah ausgedrückt – als „Six-Pack“. Aber das reicht natürlich noch nicht, um die notwendige Verbindlichkeit und damit auch neue Glaubwürdigkeit zu schaffen. Meine Damen und Herren, es geht ja im Kern immer wieder um Verbindlichkeit und Glaubwürdigkeit. Denn im Kern ist die europäische Staatsschuldenkrise eine Vertrauenskrise, eine Vertrauenskrise des Euro. Deshalb haben wir neben dem ESM auch den Fiskalvertrag beschlossen. Er verlangt von jedem Mitgliedstaat, eine Schuldenbremse einzuführen, und die Einführung dieser Schuldenbremse kann dann vom Europäischen Gerichtshof überprüft werden. Zehn Mitgliedstaaten haben diesen Fiskalvertrag bereits ratifiziert – vor wenigen Tagen auch Frankreich –, und ich bin deshalb sehr zuversichtlich, dass Anfang 2013 dieser Fiskalvertrag in Kraft treten kann. Im Übrigen wird es dann so sein, dass nur derjenige, der diesen Fiskalvertrag ratifiziert hat, auch Hilfen aus dem ESM bekommen kann. Da zeigt sich die Verbindung dieser beiden Maßnahmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben also Instrumente zur Krisenbewältigung. Wir haben Reformen in den einzelnen Mitgliedstaaten. Wir haben den Stabilitäts- und Wachstumspakt gestärkt. Aber, meine Damen und Herren, damit sind die Konstruktionsfehler der Wirtschafts- und Währungsunion insgesamt noch längst nicht beseitigt. Wir brauchen mehr. Deshalb haben uns auf dem letzten Rat im Juni die Präsidenten des Europäischen Rates, der Europäischen Kommission, der Euro-Gruppe und der Europäischen Zentralbank Vorschläge für die Fortentwicklung der Wirtschafts-und Währungsunion vorgelegt, und inzwischen haben genau dazu mit den Mitgliedstaaten Konsultationen stattgefunden. Uns leitet dabei ein ehrgeiziges Ziel: Wir wollen beschließen – und das im Dezember –, wie wir die Währungsunion weiterentwickeln wollen. Ich sage: Diese Weiterentwicklung ist unverzichtbar, und sie ist Voraussetzung dafür, Vertrauen und Glaubwürdigkeit im Zusammenhang mit der Währungsunion zurückzugewinnen. Ich sage: Nur so können wir die Vertrauenskrise überwinden. Heute und morgen, beim Europäischen Rat, wird es nicht darum gehen, konkrete Entscheidungen zu treffen, sondern es muss darum gehen, die Weichen für Dezember zu stellen, Grundlagen für die Entscheidungen zu schaffen, die richtigen Fragen zu stellen und Arbeitsaufträge zu verteilen, wie wir diese Fragen bis zum Dezember lösen können. Dabei ist für mich klar: Die erneuerte Wirtschafts- und Währungsunion soll von vier starken Säulen getragen werden: erstens von mehr gemeinsamer Finanzmarkt-politik, zweitens von mehr gemeinsamer Fiskal-politik, drittens von mehr gemeinsamer Wirtschaftspolitik und viertens von einer gestärkten demokratischen Legitimation und Kontrolle. Zum ersten Punkt: mehr gemeinsame Finanzmarkt-politik. Die weltweite Finanzkrise hat uns dramatisch vor Augen geführt, dass ein unzureichend regulierter Bankenmarkt ganze Staaten an den Rand des Abgrunds führen kann. Um so etwas für die Zukunft zu verhindern, ist eine starke Finanzmarktregulierung sowohl bei uns zu Hause als auch in Europa als auch weltweit notwendig. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum blockieren Sie denn dann?) Wir sind in Europa hier schon Schritt für Schritt vorangekommen, um die notwendigen Regelungen zu finden. Dies ist für mich heute nicht der Ort, um darüber zu sprechen. Aber außerordentlich erfreulich ist – das ist ein Fortschritt gegenüber Juni –, dass sich endlich elf Staaten bereit erklärt haben, die Finanzmarkttransaktionsteuer einzuführen, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, Sie blockieren das jetzt!) und das ist eine gute Nachricht, meine Damen und Herren; denn viele hier in diesem Hause haben ja dafür gekämpft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für mehr gemeinsame Finanzmarktpolitik brauchen wir allerdings auch eine gemeinsame Bankenaufsicht, die effizient und unabhängiger von den nationalen Einflüssen ist. Dabei soll die Europäische Zentralbank eine zentrale Rolle spielen. Die Europäische Kommission hat uns zu dieser Bankenaufsicht im September einen Vorschlag vorgelegt. Er wird nun beraten. Wir setzen uns dafür ein, die Arbeiten auf dieser Grundlage zügig voranzutreiben. Das ist vor allen Dingen auch eine Aufgabe der Finanzminister. Allerdings sage ich an dieser Stelle: Qualität muss vor Schnelligkeit gehen; denn wenn wir zum Schluss etwas haben, das wieder nicht besser ist als alle schon bestehenden Aufsichtsgremien, dann können wir uns die Arbeit sparen. Darauf werden wir in den Beratungen dringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben vereinbart, dass die Vorschläge der Kommission bis Ende des Jahres geprüft werden sollen. Die Finanzminister arbeiten, wie ich schon sagte, mit Hochdruck. Dann muss sich das Europäische Parlament mit dem Entwurf befassen. Der Präsident des Europäischen Parlaments hat selbst gesagt: Das Europäische Parlament wird es in diesem Jahr nicht mehr schaffen, dazu abschließende Beschlüsse zu fassen. Ich sage Ihnen nur: Es gibt eine Vielzahl komplizierter rechtlicher Fragen. Damit mache ich das Thema nicht schwieriger, als es ist. Fragen Sie einmal Länder, die nicht zur Euro-Zone gehören, die aber gemeinsam mit Ländern, die zur Euro-Zone gehören, Banken haben, wie bei einer Verantwortlichkeit der EZB die Bankenaufsicht geregelt werden soll. Fragen Sie bitte, wie man die geldpolitische Verantwortung der EZB genau trennt von der Aufsichtsverantwortung. Diese Fragen müssen gut gelöst werden. Deutschland wird sich dort mit allem Elan einbringen; das ist nicht unser Problem. Aber das Ergebnis muss so sein, dass die Glaubwürdigkeit dadurch verbessert wird und wir hinterher nicht noch schlechter dastehen als heute. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Einrichtung eines wirksamen Aufsichtsmechanismus ist dann die Voraussetzung für eine spätere Entscheidung über eine direkte Bankenrekapitalisierung durch den ESM. Ich will es hier ganz deutlich sagen: Der bloße Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens für eine Bankenaufsicht reicht nicht aus, sondern diese Bankenaufsicht muss arbeitsfähig sein, sie muss effektiv handeln können. Denn hier reden wir darüber, dass der ESM eines Tages Banken rekapitalisiert in Ländern, in die wir dann eingreifen müssen (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sie wollen das! Wir wollen das nicht!) und wozu wir Beschlüsse fassen müssen. Das ist der Punkt. Deshalb ist das eine komplizierte, aber leistbare Aufgabe, der wir uns mit ganzem Elan verschreiben. Meine Damen und Herren, damit kommen wir zur zweiten Säule einer erneuerten Wirtschafts- und Währungsunion: Das ist mehr gemeinsame Fiskalpolitik. Bei der Stärkung der Haushaltsdisziplin sind wir zuletzt mit dem Fiskalvertrag durchaus ein gutes Stück vorangekommen. Aber wir sind der Meinung – das sage ich für die ganze Bundesregierung –: Wir könnten hier sehr gut ein Stück weiter gehen, indem wir der europäischen Ebene echte Durchgriffsrechte gegenüber den nationalen Haushalten gewähren, dort, wo die vereinbarten Grenzwerte des Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht eingehalten werden. Ich weiß: Die Bereitschaft hierzu zeigen viele Mitgliedstaaten noch nicht. Aber ich sage auch: leider. Das ändert jedoch nichts daran, dass wir uns weiter dafür starkmachen werden. Genau in dem Moment, in dem wir einen solchen Mechanismus hätten, dass ein Haushalt für ungültig erklärt werden könnte und dies auch vom Europäischen Gerichtshof überprüft werden könnte, wären wir an dem Punkt, dass wir natürlich in der Kommission jemanden brauchen, der dazu die Autorität hat und dies tun kann. Das wäre in diesem Fall der Währungskommissar. Ich bin schon verwundert: Kaum hat jemand einen fortschrittlichen Vorschlag gemacht, eine Idee gegeben, wie wir mehr Verbindlichkeit, mehr Glaubwürdigkeit bekommen können, kommt sofort das Geschrei: Das geht nicht, Deutschland ist isoliert, wir werden das nie schaffen. So bauen wir kein glaubwürdiges Europa. Wir sollten nicht alle Vorschläge sofort vom Tisch wischen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Statt dass wir uns überlegen, wie wir mehr Verbindlichkeit und mehr Glaubwürdigkeit bekommen können, erleben wir eine permanente Diskussion, wie wir mehr gemeinsame Haftung für Staatsschulden bekommen können. Auch der Zwischenbericht der vier Präsidenten enthält diese Elemente wieder. Ich sage: Ich halte das für einen ökonomischen Irrweg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Denn wir setzen so nicht die richtigen Anreize, um uns in die richtige Richtung zu entwickeln. Jetzt überlegen wir einfach einmal: Wo läge eigentlich die demokratische Legitimation, wenn wir uns für eine gemeinsame Haftung in Europa entscheiden würden? Der wesentliche Kern der Haushaltsverantwortung – das wird auf lange Zeit so bleiben – sind die Budgets der nationalen Staaten. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Solange das so ist, müsste beispielsweise die französische Nationalversammlung über die deutsche Staatsverschuldung mitbestimmen, ebenso wie der Bundestag über die französische, die italienische oder die spanische. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein!) Schon dieses Beispiel zeigt doch, dass es faktisch unmöglich ist, in diesem Bereich als Erstes die Haftung zu vergemeinschaften und weiter nationale Budgets zu haben. Das wird nicht funktionieren. Das ist nicht die Statik, die wir brauchen. Deshalb lehnen wir das ab. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir brauchen aber – das ist die dritte Säule – mehr gemeinsame Wirtschaftspolitik. Der frühere Kommissionspräsident Jacques Delors hat bereits 1989, als es um die Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion ging, einen Bericht vorgelegt. Darin heißt es sehr weitsichtig – ich zitiere –: Eine gemeinsame Währung erfordert ein hohes Maß an Übereinstimmung in den Wirtschaftspolitiken sowie einer Reihe anderer Politikfelder, vor allem in der Fiskalpolitik. Die europäische Staatsschuldenkrise um den Euro zeigt, wie scharfsichtig und richtig die Analyse Jacques Delors’ war. Die Krise zeigt uns, dass Fehlentwicklungen in einzelnen Mitgliedstaaten tatsächlich den gesamten Euro in Bedrängnis bringen können. Deshalb müssen wir uns ganz im Sinne von Jacques Delors jetzt um die Politikfelder kümmern, in denen wir ein hohes Maß an Übereinstimmung brauchen. Diese Felder sollten wir bis zum Dezember identifizieren, um dann zu sagen: Wenn wir hier nicht mehr Übereinstimmung bekommen, dann werden wir auch in Zukunft ein Problem haben. Wo wird denn eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung notwendig sein? Sie wird ganz wesentlich dort notwendig sein, wo Kernbereiche nationaler Souveränität berührt sind: in der Arbeitsmarktpolitik, in der Steuerpolitik, also in vielen Fragen, die in der nationalen Diskussion hochsensibel sind. Zu glauben, die einzige Antwort darauf sei, alle diese Politikfelder jetzt vergemeinschaften zu müssen – das wäre die klassische europäische Integrationslogik –, das, glaube ich, führt uns in die Irre. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Natürlich können wir über Mindeststandards bei Steuern reden; wir reden darüber seit 10, 15 Jahren. Dazu kann ich nur sagen: Wenn wir so vorgehen, dann werden wir nicht den Euro retten, dann werden wir nicht die Stabilität unserer gesamten Kooperation verbessern, sondern dann werden wir mit einigen Ländern noch in Jahren und Jahrzehnten darüber reden, wie wir es denn nun halten. Deshalb schlagen wir einen anderen Weg vor. Wir brauchen Lösungen, die einen sinnvollen Ausgleich herstellen zwischen notwendigen Eingriffsrechten der europäischen Ebene, um Fehlverhalten und Regelverstöße immer wieder zu korrigieren, und dem Selbstbestimmungsrecht und Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten und ihrer Parlamente. Wir brauchen auch Lösungen, die zu verbindlichen und durchsetzbaren Reformverpflichtungen der Mitgliedstaaten führen, ohne dass nationale Kompetenzen, das Subsidiaritätsprinzip oder demokratische Verfahren untergraben werden. Deshalb stellen wir uns vor, dass die Mitgliedstaaten zu diesem Zweck verbindliche Reformvereinbarungen mit der europäischen Ebene schließen, denen dann die jeweiligen nationalen Parlamente zustimmen. Dann ist sozusagen die demokratische Legitimierung gegeben, dass ein Nationalstaat sich verpflichtet, bestimmte Dinge umzusetzen. Um dann allen Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit zu geben, zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit wirklich in der Lage zu sein, diese Verpflichtungen umzusetzen, schlage ich vor, dass wir ein neues Element der Solidarität einführen, einen Fonds, aus dem zeitlich befristet projektbezogen, also nicht unbestimmt, sondern ganz projektbezogen Gelder in Anspruch genommen werden können. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch auch gemeinsame Haftung, Frau Bundeskanzlerin! ) Denn nicht alle Länder werden gleichzeitig ihre Haushaltskonsolidierung und die notwendigen Investitionen in Zukunftsaufgaben schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Euro-Bonds durch die Hintertür!) Ich sage: Ja, wir brauchen Solidarität. Aber wir brauchen eine Form der Solidarität, die uns auch wirklich zu dem führt, was wir brauchen, nämlich mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Meine Damen und Herren, wir haben doch gesehen, dass nicht konditionierte Finanzzahlungen, wie sie bei den Strukturfonds, wie sie bei den Kohäsionsfonds viel zu sehr vorgekommen sind, nicht nur nicht geholfen haben, sondern in den Ländern zum Teil Fehlentwicklungen weiter unterstützt haben. Daraus müssen wir die richtigen Lehren ziehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb ist gemeinsame Haftung die falsche Antwort. Wir brauchen vielmehr eine dezidierte Solidarität. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer haftet denn für den Fonds?) Ich will ganz deutlich sagen, dass ein solcher Fonds zum Beispiel gespeist werden könnte von den Einnahmen aus der Finanztransaktionsteuer. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oi!) – Natürlich! – Das würde vielleicht sogar dazu führen, dass noch mehr Euro-Mitgliedstaaten eine Finanztransaktionsteuer einführen. (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, darüber, wie die Gelder ausgegeben werden, wird natürlich auf der Grundlage der mit den Mitgliedstaaten vereinbarten Verträge die Kommission zusammen mit dem Rat und dem Europäischen Parlament – das ist doch ganz klar – wachen, wie das auch bei anderen Zahlungen im europäischen Rahmen der Fall ist. Dies soll kein Closed Shop sein – das haben wir schon nicht beim Fiskalvertrag gemacht –, sondern wir sagen ausdrücklich: Alle Länder, die vielleicht morgen oder übermorgen im Euro sein wollen, können sich an diesem Fonds beteiligen, wenn sie gleichzeitig bereit sind, mit der Kommission bindende Vereinbarungen abzuschließen über die Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Des Weiteren geht es viertens um die Frage der demokratischen Legitimation, die von allergrößer Bedeutung ist. Ich habe mehrmals gesagt, dass wir zur Bewältigung dieser Krise mehr Zusammenarbeit in Europa brauchen, also mehr statt weniger Europa. Aus meiner Sicht führt der Weg zu einer erneuerten Wirtschafts- und Währungsunion, einer Stabilitätsunion, die diesen Namen auch verdient, in einigen Bereichen ganz eindeutig zu einer Stärkung der Rolle der Kommission, des Rates und des Europäischen Parlaments und auch des Europäischen Gerichtshofs. Dies ist im Übrigen auch sehr wichtig für den Zusammenhalt der Europäischen Union; denn von den 27 Mitgliedstaaten sind 17 im Euro. Immer wieder kommt die Frage: Wollt ihr einen Teil ausschließen? Wollt ihr eine Zweiklassengesellschaft? Ich sage: Nein, das wollen wir nicht. Aber wenn ein Teil in der verstärkten Zusammenarbeit – und so etwas ist ja der Euro – spezielle Probleme hat, dann können wir doch nicht sagen: Diese Probleme lösen wir nicht, weil noch nicht alle dabei sind. – Aus diesem Grund muss es also mehr demokratische Legitimation und Kontrolle geben, und dieses muss Hand in Hand mit mehr Integration gehen. Jede Entscheidung – das ist das Prinzip – muss auf der Ebene legitimiert und kontrolliert werden, auf der sie getroffen wird. Das heißt, dort, wo die europäische Ebene gestärkt wird, muss auch das Europäische Parlament gestärkt werden. Wo im Kern nationale Kompetenzen betroffen werden, kann die demokratische Legitimation nur über die Parlamente der nationalen Staaten gehen, das heißt, dann müssen wir dort entscheiden. Jetzt noch ein Wort zu der Frage: Wie ist das denn, wenn Entscheidungen auf europäischer Ebene zu treffen sind, die nur den Euro-Raum betreffen? Da habe ich in vielen Gesprächen mit Parlamentariern des Europaparlaments nicht gehört: Man darf nicht darüber nachdenken, ob dann vielleicht nur die Parlamentarier aus den Euro-Ländern abstimmen. – Es gibt eine ganze Menge von interessanten Ideen, wie man Ausschüsse gründen oder bestimmte Sitzungen durchführen kann, um zu gewährleisten, dass nicht diejenigen, die gar nicht Mitglieder des Euro-Raums sind, über Dinge entscheiden, die nur den Euro-Raum betreffen. Darüber müssen wir diskutieren. Da kann man doch nicht immer von Anfang an sagen: Das geht nicht. Das wäre eine Zweiklassengesellschaft. – So kommt Europa nicht weiter. Wir werden uns dieser Diskussion stellen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ziel des heute beginnenden Europäischen Rates ist es also, den weiteren Prozess so zu strukturieren, dass wir im Dezember dieses Jahres ein Gesamtpaket zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion beschließen können, inklusive eines klaren Zeitplans. Das gilt für die Euro-Zone; aber selbstverständlich sind, wie beim Fiskalvertrag, alle eingeladen. Beim Fiskalvertrag machen 25 Mitgliedstaaten mit, obwohl nur 17 im Euro sind. Die nachhaltige Stabilisierung und Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion ist die zentrale politische Herausforderung unserer Zeit, und sie ist entscheidend für die Zukunft der Europäischen Union insgesamt. Deshalb möchte ich allen, die mit dazu beitragen und Vorschläge machen, die uns voranbringen, ganz herzlich danken: neben Wolfgang Schäuble ganz besonders Guido Westerwelle, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Guido!) der sich mit einer Reihe von Außenministern über genau diese Fragen Gedanken gemacht hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sigmar Gabriel [SPD]: In einer Rede mit Herrn Fuchtel! Schön, Westerwelle! – Weitere Zurufe von der SPD: Oh! Oh!) – Sie murren, weil Ihnen das alles nicht passt. Ich sage Ihnen nur: Mit dem Hinweis darauf, was alles nicht geht, und mit den falschen Methoden der Vergangenheit werden wir Europa nicht voranbringen. Wir bringen Europa nur voran, indem wir aus den Fehlern, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, lernen. Nur so bringen wir Europa nach vorne. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ohne Zweifel: Die Schritte, die wir jetzt gehen müssen, um dieses Ziel zu erreichen, werden zu einer neuen Qualität in der wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit in der Euro-Zone und darüber hinaus führen. Diese neue Qualität ist nach unserer Auffassung zwingend notwendig. Allerdings – auch das will ich hier ganz offen ansprechen – wäre es ganz fatal – das spüre ich an einigen Stellen schon –, wenn die von mir grundsätzlich begrüßte Ankündigung der Europäischen Zentralbank, bei klaren Konditionen unbegrenzt am Sekundärmarkt zu intervenieren, jetzt dazu führen würde, dass die politischen Anstrengungen in Richtung einer stärkeren Wirtschafts- und Währungsunion aus genau diesen Gründen nachlassen. Das wäre genau die falsche Antwort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es darf bei allen Instrumenten, die wir zur Eindämmung der Krise brauchen und die uns zur Verfügung stehen, niemals übersehen werden, dass am Ende nicht die Krisenmaßnahmen die Lösung bringen, sondern nur eine verbindliche politische Architektur. Nur so werden wir einen dauerhaft stabilen Euro bekommen. Dies muss über den Weg der Erneuerung der Wirtschafts- und Währungsunion erzielt werden. Nur dann kann das gelingen, was seit Beginn der Krise unser Ziel ist: (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die Zeit ist abgelaufen!) Dann kann Europa stärker aus der Krise hervorgehen, als es in die Krise hineingegangen ist, und dann wird Europa auch in Zukunft im internationalen Wettbewerb bestehen können. Worum geht es bei dieser europäischen Vertrauenskrise denn eigentlich? Es geht darum, eine stabile, zukunftsfähige Architektur zu bauen. Aber eigentlich geht es um die Frage, ob sich Europa mit seinen Werten und Interessen im globalen Wettbewerb des 21. Jahrhunderts behaupten kann; das heißt auch, ob Europa seinen Wohlstand, seinen Lebensstandard und seine Art, zu leben, erhalten kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, dies führt mich zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen zurück: zu der überragenden Bedeutung, die die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union für uns in Europa hat. Ja, es geht immer auch darum, niemals zu vergessen, dass die Idee der europäischen Einigung eine Friedensidee war, die Idee, dass die Völker Europas nie wieder Krieg gegeneinander führen, was sie über Jahrhunderte getan haben, mit unglaublichem Blutvergießen und dem Opfer vieler Menschenleben. Aber für die heute Jungen, die Europa nur als Hort des Friedens kennen und glücklicherweise noch nie einen Krieg erlebt haben, geht es darum, ob wir in der Lage sind, den Nachweis zu erbringen, dass wir aufbauend auf dem, was wir geerbt haben, eine gute Zukunft gestalten können. Die gute Zukunft ist doch ganz konkret: Können wir für die jungen Menschen in Europa wieder Arbeitsplätze schaffen? Können wir sicherstellen, dass der Wohlstand auch für die Zukunft gesichert ist? Können wir sicherstellen, dass Menschen auf ein gutes Gesundheitssystem und auf eine gute Alterssicherung vertrauen können? Das alles sind doch die Dinge, die Europa auszeichnen. In diesem Jahr jährt sich die Unterzeichnung der Römischen Verträge – ich habe es am Anfang schon gesagt – zum 55. Mal. Als wir den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge hier in Berlin gefeiert -haben, haben wir an diese Anfangszeiten zurückgedacht. Das war das Jahr, in dem Deutschland die europäische Präsidentschaft innehatte. Zu Beginn dieser Präsidentschaft 2007 habe ich im Europäischen Parlament in Straßburg gesprochen. Damals habe ich in meiner Rede im Europäischen Parlament in Straßburg schon einmal die Frage gestellt: Wie werden denn eigentlich Regionen weltweit erfolgreich? Ich habe mich damals auf den amerikanischen Wissenschaftler Richard Florida bezogen, der sagt: Am erfolgreichsten entwickeln sich Regionen dann, wenn drei Faktoren zusammenkommen: Technologie, Talente und Toleranz. – Ich glaube, genau diese drei Dinge machen die europäische Stärke aus: Talente, Technologie und Toleranz. Denn es sind natürlich immer die Menschen, die wissenschaftlich-technischen Fortschritt möglich machen. (Zuruf von der SPD: Ach!) Es ist die Innovation, von der Europa lebt. Anders werden wir unseren Wohlstand nicht halten können. Es sind der wirtschaftliche und soziale Fortschritt und der soziale Ausgleich, für den Europa wie keine andere Region auf dieser Erde steht. Das ist das, was wir das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft nennen. Es sind die Kraft der Toleranz, die Kraft der Rechtsstaatlichkeit, die Fähigkeit, unterschiedliche Meinungen zu ertragen und Widersprüche auszugleichen, und der Wille, Pressefreiheit und Religionsfreiheit zu ermöglichen, in einem Wort: „Demokratie, Freiheit und Menschenrechte“, die Europa seit mehr als sechs Jahrzehnten tragen. Die Toleranz – davon bin ich ganz überzeugt – befähigt uns, aus Europas unveränderter Vielfalt von Sprachen und Kulturen, aber mit heute ganz gemeinsamen Werten, das Beste zu machen. Diesen Werten und Zielen zu dienen und sie im Alltag zu leben, uns also in diesem Sinne des Preises von Alfred Nobel würdig zu erweisen, ist jede Mühe und Anstrengung wert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das wird auch der Geist sein, in dem wir heute und morgen in Brüssel beraten werden, wo doch jeder vorher sagt: Die Vielfalt ist so groß, Europa ist zerstritten, die werden keinen Millimeter vorankommen. Ich sage Ihnen: Wir werden vorankommen, und zwar genau in dem von mir beschriebenen Sinn, weil die Werte, die uns einen, Werte und Ziele sind, mit denen Europa auch im weltweiten Wettbewerb des 21. Jahrhunderts bestehen kann, weil wir uns alle, alle Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, aller 27 Mitgliedstaaten, dem Geist verpflichtet fühlen und weil wir die gemeinsamen Werte auch wirklich teilen. Wir wissen, dass wir in Europa in Freiheit leben. Wir wissen, dass wir in Europa Demokratie haben. Wir wissen, dass man in Europa auch demonstrieren kann, wenn einer den anderen besucht. Wir wissen aber auch: Dafür geht keiner ins Gefängnis, wenn er nicht gerade gewalttätig geworden ist. Das eint uns; dafür werden wir arbeiten. Menschlich und erfolgreich wollen wir sein, in Frieden und Freiheit. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Peer Steinbrück für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Die Rede ist kostenlos?) Peer Steinbrück (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ebenso wie Sie, Frau Bundeskanzlerin, freuen wir So-zialdemokraten uns über die Verleihung des Friedens-nobelpreises an die Europäische Union. In einer Zeit, in der viele Europäer in der Tat an Europa zweifeln, in -einer Zeit, in der viele den Wert Europas nur noch an den Zinssätzen an den internationalen Finanzmärkten bemessen, erinnert uns das Nobelpreiskomitee in Oslo daran, dass Europa weit mehr ist als ein Wechselbalg der Rating-agenturen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen dem Nobelpreiskomitee, wie ich glaube, dankbar sein, dass es uns und auch der Welt einen Fingerzeig darauf gegeben hat, warum Europa nach dem dreißigjährigen Krieg von 1914 bis 1945 Erbfeindschaften und einen mörderischen Nationalismus überwand, aber auch, wofür es in Zukunft immer gebraucht wird. Im Rückblick auf über 60 Jahre Frieden und wirtschaftlichen Fortschritt haben wir Deutsche übrigens -einen besonderen Grund zur Dankbarkeit und eine -außerordentliche Mitverantwortung für das Wohlergehen Europas. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn es waren unsere westlichen Nachbarn und sehr weitsichtige Staatsmänner, die uns schon wenige Jahre nach dem Krieg trotz schrecklicher Erfahrungen, trotz unsäglicher Verbrechen einluden, an dieser europäischen Einigung teilzuhaben. Es waren übrigens auch unsere europäischen Nachbarn, die sich über die deutsche Wiedervereinigung freuten, obwohl sie mit einem starken Deutschland in der zentraleuropäischen Geografie über Jahrhunderte sehr schlechte Erfahrungen gemacht hatten. Sie hatten uns von den Montan-Verträgen zu Beginn der 50er-Jahre über die EWG, Römische Verträge 1957, die EG bis zur Europäischen Union inzwischen als gute, verlässliche und vor allen Dingen hilfsbereite Europäer kennengelernt. Und dabei sollte es bleiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Neben allem, worüber wir heute diskutieren und -sicherlich auch streiten werden, dürfen wir nicht vergessen, worum es in Wahrheit bei diesem einmaligen Projekt Europa geht: um dauerhaften Frieden, um dauerhafte Freiheit, um dauerhafte Demokratie für alle Menschen auf unserem Kontinent. Gerade weil – wie der französische Philosoph André Glucksmann sagt – Demokratien dazu neigen, die tragische Dimension ihrer Geschichte gelegentlich zu ignorieren oder zu vergessen, und gerade weil sich die Bürger in der anhaltenden Krisendebatte mit all ihren Fachbegriffen, in all ihrer Komplexität zunehmend orientierungslos und überfordert fühlen, dürfen wir Politiker den Fehler nicht fortsetzen, dieses Europa nur auf eine Währungsunion, nur auf ein Zentralbanksystem, nur auf einen gemeinsamen Markt, nur auf eine intergouvernementale Veranstaltung von 25 Männern und zwei Frauen zu reduzieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht in der Tat um die Behauptung des Zivilisa-tionsprojektes „Europa“. Der Historiker Heinrich -August Winkler redet über das normative Projekt des Westens unter Einschluss Nordamerikas in einer Welt dynamischer Veränderungen mit neu aufstrebenden Ländern und Kontinenten. Verliert Europa aber seine Wirkungsmacht durch Uneinigkeit und Renationalisierung – und sei es auch noch so fahrlässig –, werden wir auch die Attraktivität dieses Zivilisationsprojektes nicht behaupten können. Ja, Frau Bundeskanzlerin, was Europa zu bieten hat, ist einmalig in der Welt: Gewaltenteilung, Achtung der Menschenrechte, Minderheitenschutz, Sozialstaatlichkeit, unabhängige Gerichte, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, die Trennung von Staat und Kirche – das Erbe der Aufklärung. Aber diese Rede und diese Beschreibung Europas, die hätten Sie schon vor zwei Jahren geben müssen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Beschreibung Europas und damit die Abwehr einer Verkürzung Europas auf das bloß Ökonomische wurden bereits vor zwei Jahren in einer Reihe von Beiträgen meiner Fraktion von diesem Pult aus formuliert. Kein Rettungsschirm und keine gemeinschaftliche Anstrengung sind deshalb zu groß, um dieses Europa für 500 Millionen Menschen, ihre Kinder und ihre Kindeskinder zu bewahren. Kleinmut würde dem nicht gerecht. (Beifall bei der SPD) Deutschlands Zukunft ist Europa. In diese Zukunft werden wir investieren müssen, genauso wie wir in die deutsche Wiedervereinigung investiert haben. Das endlich den Bürgern unseres Landes zu sagen, Frau Bundeskanzlerin, und zu erklären, das ist Ihre Pflicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutschland wird mit Blick auf Griechenland im Konzert weiterer europäischer Länder weitere Verpflichtungen übernehmen müssen. Sagen Sie das endlich den Menschen! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der Welt des 21. Jahrhunderts braucht Europa eine gemeinsame Stimme; denn es wird so sein, dass weder der chinesische noch der indische Staatspräsident und nicht einmal der US-amerikanische Präsident 27 europäische Staats- und Regierungschefs anrufen wird, um sich bei Ihnen nach der europäischen Auffassung in zentralen Fragen wie Krieg und Frieden, Finanzarchitektur, Weltklima, Menschenrechte zu erkundigen. Will sagen: Entweder wir haben eine Stimme, oder wir haben keine Stimme. (Beifall bei der SPD) Genau diese Gemeinsamkeit steht aber auf dem Spiel; denn es ist offensichtlich, dass Europa an einer Weg-gabelung steht. Für die Europäische Währungsunion drückt sich das in einem nach wie vor pendelnden Konflikt zwischen einer gemeinsamen Währung einerseits und nationalen souveränen Rechten und Parlamentarisierung auf der anderen Seite aus. Diesen Konflikt haben wir bisher nicht aufgelöst. Entweder wir gehen den Weg zurück in einen losen Staatenverbund mit einem gemeinsamen Markt, in dem jeder für sich selbst verantwortlich ist, gegebenenfalls auch abstürzt, oder wir gehen den Weg einer weiteren europäischen Einigung und der Parlamentarisierung. Das ist exakt die Grundsatzfrage, die wir zu erörtern haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) So schwer es auch sein wird: Wir dürfen nicht zulassen, dass aus diesem in 60 Jahren gebauten europäischen Haus einzelne Steine wieder herausgebrochen werden. Dies gilt auch dann, wenn einzelne Staaten Fehler und Versäumnisse zu verantworten haben wie Griechenland und wenn sie mit die Ursache für eine Krise ihrer eigenen Volkswirtschaft sind. Ist erst einmal der erste Stein aus diesem Gebäude herausgebrochen, dann werden weitere folgen. Deshalb, Frau Bundeskanzlerin, war es ein so schwerer Fehler, dass Sie es zugelassen haben, dass im Sommer dieses Jahres Ihre Koalition monatelang ein Mobbing gegen die Mitgliedschaft von Griechenland in der Europäischen Währungsunion betrieben hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie haben nicht eingegriffen. Sie haben sich nicht bekannt. Sie haben laviert. Sie haben Herrn Dobrindt gewähren lassen, der gesagt hat: „Ich sehe Griechenland 2013 außerhalb der Euro-Zone.“ Sie haben Herrn Söder gewähren lassen, der an Griechenland sogar ein Exempel statuieren wollte. Sie haben Herrn Rösler gewähren lassen, der darauf hinwies, dass für ihn ein Austritt Griechenlands längst seinen Schrecken verloren habe. Sie haben Herrn Brüderle gewähren lassen, der einer Zeitung wörtlich gesagt hat, dass der Bitte Griechenlands, noch einmal zwei Jahre Zeit zu erhalten, nachdem es seine Verträge nicht erfüllt hat, nicht stattgegeben werden sollte. Sie haben auch dem FDP-Generalsekretär Döring nicht widersprochen, der die Folgen einer möglichen griechischen Staatspleite für beherrschbar hielt. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben vor zwei Wochen den früheren CDU-Vorsitzenden und ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl geehrt. Ehre, wem Ehre gebührt. Ich sage Ihnen: Weder Helmut Kohl noch einer -Ihrer Vorgänger hätte zugelassen, einen europäischen Nachbarn derart für innenpolitische Händel zu missbrauchen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieses Doppelspiel haben Sie uns und der deutschen Öffentlichkeit sehr lange vorgespielt. Sie wollen die Euro-Skeptiker in Ihrer eigenen Koalition und in Ihrem politischen Anhang nicht verprellen. Sie wollen einerseits auf einer Stimmungswoge surfen, die sich maßgeblich aus dem Ressentiment gegen eine deutsche Zahlmeisterrolle speist. Aber Sie wollen andererseits natürlich niemals in diese Woge eintauchen, weil Sie -darüber Ihre Stimme und Ihre Reputation in Brüssel einbüßen würden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie sind inzwischen eine Getriebene, die zu vielem so lange Nein sagt, bis der Druck im Kessel der Realitäten so stark wird, dass Sie schließlich Ja sagen müssen. Das galt für den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB im Mai 2010. Das galt für den permanenten Rettungsschirm ESM, den es nach einer Wette von Herrn Schäuble -eigentlich nie hätte geben sollen. Das galt für das -Draghi-Konzept des notfalls ungebremsten Aufkaufs von Staatsanleihen. Das gilt für die Direktkapitalisierung von Banken durch den ESM unter der Voraussetzung -einer Bankenunion, mit der Sie entgegen einem Beschluss des deutschen Haushaltsausschusses einen massiven Systemwechsel vornehmen. Das gilt demnächst wahrscheinlich auch für eine Fristverlängerung zur Erfüllung der Sparauflagen für Griechenland, die Christine Lagarde, Managing Director des IMF, gefordert hat. Dies würde aber konsequenterweise zu einem dritten Hilfspaket für Griechenland oder einer Aufstockung des zweiten Hilfspaketes führen – und damit zu einer Befassung des Deutschen Bundestages. (Beifall bei der SPD) Aber nun auf einmal – sehr genau registriert in der letzten Woche; o Wunder! – gibt es eine 180-Grad-Wendung: Kein Wort mehr von dem Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone. Stattdessen erklärt Bundesfinanzminister Schäuble in Singapur zur Frage eines möglichen Austritts aus der Euro-Zone: „There will be no Staatsbankrott“. (Lachen bei der SPD) Selbst Herr Brüderle säuselt, dass er eine zeitliche Entkoppelung für Athen zur Erfüllung der Reformauflagen nicht mehr ausschließt. In einem luziden Anfall räumt er ein, dass ein Aufschub auch Geld kostet. (Heiterkeit bei der SPD) Alle Achtung! Ja, aber um Himmels Willen, Frau Bundeskanzlerin, warum haben Sie denn ein solches Bekenntnis zum Verbleib von Griechenland nicht im Sommer 2010 abgegeben? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wo war Ihr zweites Fukushima, das Sie zu einer solchen 180-Grad-Wende in Europa und unter den Baum der -Erkenntnis von Herrn Schäuble gebracht hat? (Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU) Das Phänomen der Verspätung ist auch in Ihrem heutigen Beitrag deutlich geworden. Sie reden hier plötzlich von einem zweiten Jacques-Delors-Plan – so als ob das besonders originell ist. Sie sind nicht originell, Sie hinken hinterher. Meine Fraktion hat von einem solchen Plan schon vor zwei Jahren von diesem Pult aus gesprochen. (Beifall bei der SPD) Das Porzellan, meine Damen und Herren, das inzwischen zerschlagen wurde, bleibt zerschlagen, und dieses zerbrochene Porzellan in Europa ist gestörtes Vertrauen. Sie haben übrigens auch zu häufig mit der ökonomischen Macht Deutschlands gedroht oder zumindest drohen lassen. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: -Kavallerie!) In Frankreich fallen deshalb Worte vom industriellen Imperialismus der Deutschen. Manche Stimme erhebt sich, die fragt, ob wir wieder einen neuen Sonderweg gehen. Selten war Deutschland in Europa so isoliert wie heute. (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) – Dann hören Sie sich genau um in den Hauptstädten Europas. Wir werden jedenfalls noch lange nach Ihrer Amtszeit spüren, Frau Bundeskanzlerin, welches Porzellan dort zerschlagen worden ist. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Mit dem Thema haben Sie ordentlich abkassiert!) – Werden Sie nicht nervös. Das war auch von Ihnen eine ganz luzide Einlassung, ein Hinweis auf meine Honorarverträge. Damit habe ich gar nicht gerechnet. (Heiterkeit bei der SPD) Und was höre ich aus den Beratungen heute beim Präsidenten mit Blick auf Ihr Zustimmungsverhalten zu einer Verschärfung der Transparenzrichtlinie? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vor allem, meine Damen und Herren, sind die Ergebnisse Ihrer Politik völlig anders als von der Bundesregierung vorhergesagt. Sie sagen tagaus, tagein und landauf, landab, dass Sie Europa in eine Stabilitätsunion führen wollen. Schauen wir uns die Realität an: Die -Jugendarbeitslosigkeit in sieben europäischen Ländern ist größer als 25 Prozent; in vier Ländern ist sie größer als 30 Prozent; in zwei Ländern ist sie sogar größer als 50 Prozent. Was halten diese jungen Menschen von -Europa und Demokratie, wenn sie sich so von der weiteren Entwicklung ausgeschlossen fühlen? (Beifall bei der SPD) Die Krise in den Südländern der Europäischen Union bewegt zunehmend Menschen, ihr Land zu verlassen. Die ökonomischen Perspektiven für die Euro-Zone sind für das nächste Jahr alles andere als gut. Viele Länder werden in einer Rezession landen, und auch in Deutschland hat die goldene Zeit von 2010, 2011, 2012 erkennbar und absehbar ein Ende. Es wird die Frage auftauchen, ob Sie nicht gegebenenfalls auch die Kurzarbeitergeld-Regelung wieder reaktivieren müssen, wie das die Gewerkschaften längst fordern, mit Blick darauf, dass insbesondere Maschinenbau und Automobilbau wieder eine Situation erleben, die dies erfordert. (Beifall bei der SPD) Es bleibt die Erkenntnis, Frau Bundeskanzlerin, dass ohne Wachstum kein dauerhafter Schuldenabbau möglich ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nur an Ihnen ist diese Erkenntnis lange vorbeigegangen. Ich sehe eine erste Revision, auch nachdem ich Ihre Rede beim Deutschen Arbeitgebertag vor zwei Tagen gelesen habe. Aber wir sind inzwischen weiter. Selbst der IMF, der nicht im Verdacht orthodoxer sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik steht, hat in seinem Wirtschaftsausblick festgestellt, dass die Sparprogramme -inzwischen negative Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistungen der Länder haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Ergebnis dieser Politik ist, dass die Krise über die Währungsfrage hinaus in den letzten Jahren keineswegs kleiner geworden ist; sie ist größer geworden. Ihre Stabilitätsunion ist letztendlich nichts anderes als eine Fata Morgana, die Luftspiegelung einer Scheinstabilität. Allein Deutschland haftet inzwischen summa summarum für 100 Milliarden Euro über die Rettungsschirme. Wenn ich die möglichen Belastungen der Deutschen Bundesbank hinzuzähle, ist das noch sehr viel mehr. Ihrer Politik lag zumindest für eine lange Zeit – ich bin mir nicht sicher, ob Sie noch zu Korrekturen bereit sind – eine große Fehleinschätzung zugrunde. Diese Fehleinschätzung lautete, die Krise einseitig für etwas zu halten, das sie tatsächlich allenfalls nur in Teilen war, nämlich eine Verschuldungskrise. (Zuruf von der SPD: Ja!) Der ursächliche Einfluss der Finanz- und Bankenkrise – übrigens mit der Folge von Verschuldungen von Staaten, weil sie zur Stabilisierung der Banken und für Konjunkturprogramme Geld aufnehmen mussten – und vor allen Dingen auch die wirtschaftlichen Ungleichgewichte, die strukturellen Disparitäten innerhalb der Europäischen Währungsunion und Europäischen Union -kamen in Ihrer Analyse nicht vor. Sie wurden ausgeblendet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aus einer einseitigen Krisenanalyse folgt dann auch logischerweise eine einseitige Therapie: Sparen, Sparen, Sparen. Um zu ermessen, wie groß die ökonomische Torheit ist, die in der simplen Gleichung „Stabilität durch Sparen“ liegt, sollten wir gemeinsam einen Ausflug in die deutsche Geschichte machen. Denn die Brüning‘sche Sparpolitik Anfang der 1930er-Jahre, (Zurufe von der FDP: Oh!) die genau dieser Logik folgte, hat eines garantiert nicht gebracht, nämlich Stabilität und Prosperität. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Not zerstört Demokratie. Hunger frisst gesellschaftliche Stabilität, meine Damen und Herren. Das gilt auch heute in den Ländern, die davon betroffen sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In einem solchen Europa herrscht aber auch kein Frieden. Denn der Frieden in Europa ist unabweisbar abhängig von Friedlichkeit in den Mitgliedsländern, abhängig von der sozialen Balance und der gesellschaftlichen Stabilität in diesen Ländern, und diese ist in einigen Ländern inzwischen längst in einer Unwucht. Die Geschichte unserer Eltern und Großeltern, meine Damen und Herren, ist aber nicht die Geschichte einer gesellschaftlichen Spaltung. Sie wussten, dass das Land und sie selber nur eine Chance haben, wenn man sich dem Wohl des Gemeinwesens und dem „Wohlstand für Alle“ verpflichtet fühlt. Lautete so nicht ein Bestseller Ihres Ahnherrn und wichtigen Impulsgebers für das System der sozialen Marktwirtschaft? Wir wollen darüber reden, wie wir das wiederherstellen können. Wir haben das in Deutschland schon einmal geschafft, und darum geht es auch jetzt. Es gilt für Deutschland wie für Europa: Wir müssen in unserem Land und auf unserem Kontinent wieder eine neue soziale Balance schaffen. Solange wir in Europa nicht in der Lage sind, den Menschen wieder Hoffnung zu geben, dass Anstrengungen und Fleiß sich lohnen, dass es gerecht zugeht, dass niemand aus der Verantwortung für das Gemeinwohl entlassen wird, dass all denjenigen geholfen wird, die unverschuldet in Not kommen, und ihnen die Würde des Lebens durch Solidarleistungen gewährleistet wird, so lange kommt Europa nicht wieder auf die Beine. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Kern geht es darum, die bewährten Mechanismen und den bewährten Ausgleich der sozialen Marktwirtschaft, die Deutschland stark gemacht hat, auf Europa zu übertragen. Als Sozialdemokraten sagen wir ganz klar: Ja, wir wollen stabile Verhältnisse in Europa. Und ja, dazu sind auch Sparanstrengungen, Konsolidierung und Strukturreformen notwendig. Wir wissen aber auch, dass dies nur gelingen kann, wenn es in Europa auch Impulse für Wachstum und Beschäftigung gibt und wenn es in Europa gerecht zugeht. (Beifall bei der SPD) Vordringlich ist zweierlei: eine wirksame Banken- und Finanzmarktregulierung und, ja, in der Tat auch eine Bankenunion, zu der dann allerdings auch ein Bankenfonds zur Rekapitalisierung von Banken gehört, der nicht von den Steuerzahlern finanziert wird, sondern von den Banken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens gehört dazu ein echter Wachstums- und Beschäftigungspakt für Europa. Hier darf man daran erinnern, dass es zwei Jahre und 25 Gipfel gebraucht hat, um Sie, Frau Bundeskanzlerin, und konservativ-liberale Kräfte in Europa davon zu überzeugen, dass ein solcher Wachstums- und Beschäftigungspakt benötigt wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Der Punkt ist, dass nach dem Beschluss vom Juni 2012 wenig getan worden ist. Das denke ich mir nicht aus, sondern, wie der Brief des Ratspräsidenten Van Rompuy vom 8. Oktober über die konkrete Einlösung der Ankündigungen dieses Beschäftigungs- und Wachstumspaktes ausweist, ist bisher sehr wenig – um nicht zu sagen: gar nichts – geschehen. Wir erwarten, dass der Europäische Rat dies jetzt korrigiert und die Dinge auch mit Blick auf die Tätigkeit der Europäischen Investitionsbank ans Laufen bringt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Besonders gern schaut die Bundesregierung weg, wenn es um die eigenen Hausarbeiten der Bundesrepublik Deutschland geht. Vorsichtig formuliert: Es gibt von dieser Bundesregierung keine Vorreiterrolle beim Schuldenabbau in Europa. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei null Zinsen für deutsche Staatsanleihen, bei sprudelnden Steuerquellen, bei entlastenden Effekten auf dem Arbeitsmarkt müsste es doch möglich sein, die Schuldenbremse des Grundgesetzes deutlich vor 2016 einzuhalten und diese Vorreiterrolle in Europa zu dokumentieren. Im Übrigen: Wenn wir davon reden, dass die länderspezifischen Empfehlungen, die von der Kommission gegeben werden, umgesetzt werden sollen, dann sehen wir: Es ist Deutschland auch hier nicht der Vorreiter und das Vorbild; denn in diesen länderspezifischen Empfehlungen steht zum Beispiel drin: kein Betreuungsgeld. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da steht explizit drin: Verzicht auf das unsägliche Betreuungsgeld. Es steht explizit drin: keine Steuersenkungen. Und es steht explizit drin: die Einführung eines Mindestlohns in Deutschland. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]) Die Frage ist: Wie wollen Sie denn andere Länder zur Befolgung der länderspezifischen Empfehlungen veranlassen, wenn Sie selber die auf uns bezogenen länderspezifischen Empfehlungen gar nicht umsetzen und ignorieren? Das stärkt ja nicht gerade die Glaubwürdigkeit, und das stärkt auch nicht Ihre Reputation und die Stimme, die Sie in diesem europäischen Konzert haben. Für mich ist der Maßstab, wie wir als Sozialdemokraten jetzt und im Weiteren die Vorschläge der Van--Rompuy-Gruppe diskutieren, ziemlich einfach. Es geht um vier Fragen: Erstens: Wer zahlt für das vorgeschlagene Euro-Zonen-Budget, wer haftet dafür? (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja!) Sind es zusätzliche Mittel, oder sind es Mittel, die ohnehin in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen werden? Gibt es, bezogen auf die Verwendung dieser Mittel, eine demokratische Kontrolle? Zweitens: Führen die Vorschläge nicht einfach nur zu mehr Europa, sondern auch zu einem besseren Europa, weil es eine bessere Bankenaufsicht und eine bessere Bankenabsicherung gibt, weil es eine besser verzahnte Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt, weil es eben auch neue Möglichkeiten für ein antizyklisches Verhalten gibt? Oder verlieren sich die Vorschläge in der langen Reihe von diversen Initiativen wie der Europa-2020-Strategie, dem Euro-Plus-Pakt, dem Europäischen Semester, dem Two-Pack, dem Six-Pack, dem Pakt für Wachstum und Beschäftigung, dem Fiskalpakt? Ich meine: Wer blickt da noch durch, und wer betreibt eigentlich eine Wirkungsanalyse all dieser Initiativen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Drittens: Führen diese Vorschläge zu einem Mehr an Demokratie, weil sie das Europäische Parlament einbinden und stärken, oder schreiben sie den Trend zu einer „Vergipfelung“ der europäischen Politik fort? Viertens: Wird Europa zwischen den 17 Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion und den 10 weiteren Mitgliedstaaten in der Europäischen Union auseinandergetrieben, oder schaffen wir eine positive Dynamik für ein handlungsfähiges Europa, das trotz gewisser Binnendifferenzierung weiterhin zusammensteht und zusammenhält? Auf alle diese Fragen habe ich heute von Ihnen noch keine Antworten bekommen, aber zu diesen Fragen werden wir nachhaken und nacharbeiten müssen, Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie die Zustimmung meiner Fraktion zu wahrscheinlich notwendigen weiteren Rettungspaketen bekommen wollen. War Europa nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg zuallererst eine Friedensgemeinschaft und zugleich in den Zeiten des Kalten Krieges vor allen Dingen ein Raum für Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand, so sind seit 1989 die Aufgaben noch einmal gewachsen. Die Erweiterung der Europäischen Union war die erste Herausforderung, die von Europa als neues, als ungeteiltes Ganzes nach dem Wunder von 1989/90 gemeistert wurde. Die aktuelle Herausforderung ist die anhaltende Krise, die eben nicht nur eine Krise unserer Währung ist. Wir merken, dass diese Krise mehr als Geld kosten könnte, nämlich Legitimation durch die Bürgerinnen und Bürger. Wer die Einigung unseres Kontinentes in die Zukunft fortentwickeln will, der braucht eine neue Begründung, und diese Begründung kann, wie Sie richtig sagen – ich stimme dem zu –, nicht mehr allein die Bezugnahme auf den Krieg zwischen 1914 und 1945 sein. Das versteht vielleicht meine Generation, die noch in Trümmergrundstücken großgeworden ist; aber schon unsere Kinder verstehen es nicht mehr. Europa muss sich neu konstituieren und neu erklären. Ob Klimawandel, Migration, Bevölkerungswachstum, Rohstoffversorgung, Nahrungsmittelversorgung, demografischer Wandel oder auch soziale Spaltungstendenzen – auf all diese globalen Herausforderungen mit ihren teilweise dramatischen Konsequenzen für jede und für jeden von uns, genau dafür kann Europa Antworten liefern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dieses Europa, meine Damen und Herren, muss aber ein Europa mit einem inneren Gleichgewicht und damit ein sozial gerechtes Europa der Chancen für alle sein. Nur ein solches Europa ist stark und attraktiv genug, alle Mitgliedstaaten und den dort lebenden und arbeitenden Menschen Freiheit, Frieden, Schutz, soziale Ordnung, Sicherheit und Selbstbestimmung zu gewährleisten. Nur wenn uns das gelingt, ein solches Europa in den Blick zu nehmen, wird die Erfahrung der Regierenden wieder in Übereinstimmung mit den Erfahrungen der Regierten zu bringen sein. Es ist also an Ihnen zuerst, Frau Bundeskanzlerin, und an Ihrer Regierung, aber auch an uns allen hier im Hause, dass wir diesen Weg konsequent und konzentriert fortsetzen. Ihre Politik der letzten zwei Jahre und auch Ihre heutige Rede sind dem nicht gerecht geworden. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege Rainer Brüderle das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rainer Brüderle (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen wurde viel über Nebentätigkeiten gesprochen. Ich wollte dazu eigentlich nichts mehr sagen. (Lachen des Abg. Jürgen Trittin – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist Ihnen der Spaß vergangen! – Sigmar Gabriel [SPD]: Das glaubt Ihnen kein Mensch!) Es wurde von vielen Seiten vieles erklärt. Nicht alles hat zum Ansehen von uns Parlamentariern beigetragen. Aber nach Ihrer Rede muss ich doch eines betonen, Herr Kollege Steinbrück: Bundeskanzler ist keine Nebentätigkeit; das ist die schwierigste Aufgabe, die deutsche Politik zu vergeben hat. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf einen Schoppen Wein, Herr Brüderle! Hatten Sie schon einen?) Heute sind Sie größtenteils den Beweis schuldig geblieben, sich der Größe der Aufgabe bewusst zu sein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Steinbrück weiß es besser – aber immer erst hinterher; so ist es bei ihm. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Lehman-Pleite war für Sie ein amerikanisches Problem ohne Auswirkungen auf Deutschland. Kurze Zeit später haben Sie erklärt: Dass die Bundesrepublik Deutschland maßgeblich mitgeschüttelt wird, ist kein Wunder. Hypo Real Estate, IKB, WestLB: Bei jeder großen Bankenpleite der letzten Jahre hatten Sie irgendwie Ihre Finger drin. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Was?) Man ist versucht, zu sagen: Holt bloß nicht den Steinbrück rein, sonst geht ihr pleite. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Kürzlich haben Sie in der Welt am Sonntag vor Inflation durch die Anleihenkäufe der EZB gewarnt. Da haben Sie ökonomisch recht; ich unterstütze das. Aber vor einem Jahr haben Sie erklärt – ich zitiere wörtlich –: Allerdings zeigen die Fed der USA und die Bank of England, dass in Krisenzeiten genau dies – gemeint ist die Staatsfinanzierung mit der Notenpresse – die Rolle von Notenbanken ist. – Das ist das komplette Gegenteil von dem, was Sie heute behaupten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) So wollten Sie die Inflationsmaschine anwerfen. Was gilt denn nun? Wollen Sie die Bazooka für die EZB, oder wollen Sie das nicht? Wollen Sie Zinssozialismus durch Euro-Bonds, oder wollen Sie das nicht? Wo bleibt Ihr Plan für Deutschland, für Europa? Bei Steuererhöhungen liefern Sie sich einen Wettlauf mit den Grünen. Auch da frage ich Sie: Was wollen Sie denn nun? Wollen Sie wie der sozialistische Präsident in Frankreich den Wachstumseinbruch durch Ihre Steuer-erhöhungen auch noch verschärfen? 30 Milliarden Euro Steuererhöhungen will die SPD. Das ist mehr als 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu welchem Thema sind Sie denn angetreten?) Die Bundesregierung und die Forschungsinstitute sagen für 2013 ein Wirtschaftswachstum von 1 Prozent voraus. Will die SPD, wollen Sie, Herr Steinbrück, die deutsche Wirtschaft in eine Rezession führen? (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Genau das machen Sie doch gerade!) Herr Trittin hat am Wochenende ein wahres Enteignungsprogramm für breite Teile der Bevölkerung angekündigt. Die Vermögensteuerpläne von Trittin treffen Millionen und nicht Millionäre. Das ist ein Anschlag auf das Eigentum. Er will das auch noch rückwirkend machen. Da wird der demokratische Rechtsstaat einfach außer Kraft gesetzt. Hier kommen die alten Reflexe des Kommunistischen Bundes Westdeutschland bei ihm wieder hoch. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Woche trat Herr Trittin bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände in feinem Zwirn auf; aber darunter trägt er immer noch das Mao-Jäckchen, das ist einfach seine Einstellung. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die christlich-liberale Koalition widmet sich den großen Herausforderungen, vor denen Deutschland und Europa stehen; das hat die Bundeskanzlerin heute sehr deutlich gemacht. Die Europäische Union steht mitten in der schwersten Bewährungsprobe ihrer Geschichte. Ökonomen sagen: Die Euro-Zone ist kein optimaler Währungsraum, zwei Dinge fehlen: die volle Mobilität auf dem Arbeitsmarkt und die politische Union. Die mangelnde Mobilität der Arbeitskräfte ändert sich gerade, wenn auch unter dramatischen Vorzeichen, in Südeuropa. Wer Europa als Ganzes sehen will, wird verstehen, dass Europa einen gemeinsamen Arbeitsmarkt braucht. Deshalb ist zu begrüßen, wenn gut ausgebildete Spanier oder Griechen einen Arbeitsplatz in Deutschland suchen. Das ist ein Schritt der Integration und ein Schritt zu einem einheitlichen Wirtschafts- und Währungsraum. Die größere Herausforderung ist die politische Union. Als der Euro eingeführt wurde, war es vor allem wegen der Bedenken Frankreichs nicht möglich, damals eine politische Union zu erreichen. Deshalb haben Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher und Theo Waigel den Stabilitätspakt durchgesetzt. Das stabilitätspolitische Erbe, das europapolitische Erbe von Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher wurde von Rot-Grün verspielt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich verkenne nicht, was Gerhard Schröder im Inland geleistet hat, die Agenda 2010. Das war eine große Kraftanstrengung. Sie wird von den Liberalen meistens mehr gewürdigt als von der Sozialdemokratie. Aber Gerhard Schröder hat Europa nicht weiterentwickelt, sondern zurückentwickelt. Er hat einen Rückschritt gemacht. Er hat ein Stück Renationalisierung mit auf den Weg gebracht. Gerhard Schröder sprach von dem Euro als der „kränkelnden Frühgeburt“ – wörtlich. Er hat seine Prophezeiung offensichtlich selbst erfüllen wollen und gemeinsam mit Frankreich den Stabilitätspakt beerdigt. Er hat Griechenland in die Europäische Union aufgenommen, obwohl es nicht die Voraussetzungen für den Euro hatte. Ihre eklatanten Fehler, Ihre Scherben, die Sie hinterlassen haben, müssen wir heute wegräumen. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Das ist alles falsch! – Weitere Zurufe von der SPD) Ratspräsident Van Rompuy hat mit anderen Vorschläge für eine politische Union gemacht. Es ist ein mutiger Entwurf, auch wenn wir Liberale nicht alles teilen, was dort aufgeschrieben wurde. Den Ansatz eines Europa der mehreren Geschwindigkeiten finde ich aber gut. Alle sind eingeladen, mitzugehen. Wer aber nicht mitgehen will, soll diejenigen, die vorangehen wollen, nicht aufhalten dürfen. Darum geht es. „A plusieurs vitesses“ fordert jetzt der französische Präsident. Europapolitisch ist er in der Realität angekommen. Ich bin optimistisch, dass er das finanzpolitisch auch noch hinbekommt. Wir wollen, dass Europa erfolgreich ist. Dazu kann ein Euro-Zonen-Budget sinnvoll sein. Exogene Schocks können einzelne Länder der Währungsunion treffen. Zum Auffangen solcher Schocks haben wir kein Instrument. Aber man muss die Bedingungen eines solchen Instruments auch klar definieren. Erstens. Es darf keine Steighilfe für einen europäischen Finanzminister sein. Zweitens. Es darf nicht der Einstieg in Euro-Bonds sein. Und drittens. Es darf nicht der Anlass zur Einführung einer EU-Steuer sein. Die Idee von Europa darf nicht darauf reduziert werden, lediglich immer mehr Geld nach Brüssel zu überweisen. Wenn überhaupt, kann es dabei nur um eine Umschichtung bestehender Mittel gehen. Nach der Präsidentschaftswahl in den USA erscheint der nächste Troika-Bericht. Er muss ernst genommen werden. Ich bin sehr gespannt, was der Kollege Steinbrück dazu erklären wird; denn auch zum Thema Griechenland hat er alles im Angebot: Früher hat er eine Insolvenz gefordert. Dann hat er vor diesem Schritt gewarnt. Vor der Sommerpause war er gegen ein drittes Griechenland-Paket. Heute ist er dafür. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist er halt!) Wie bei allen Reformen und großen Veränderungen wird man meines Erachtens allenfalls in der Zeitachse über kleine Zugeständnisse an die griechische Regierung reden können. Zeit kostet Geld. Das ist richtig. Eine Finanzierung von Reformpausen wird es nicht geben dürfen. Keine Leistung ohne Gegenleistung. Das ist eine klare Linie dieser Koalition. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Aber man darf sich nichts vormachen. Selbst wenn Griechenland freiwillig zur Drachme zurückkehren würde, bedeutet das kein Ende der Finanzhilfen. Griechenland bleibt Mitglied der EU mit allen Pflichten und Rechten, auch dem Recht auf Solidarität. Vor allem eines weiß keiner: Wie ist es mit der Ansteckungsgefahr Griechenlands? Es gibt die Kettentheorie, die besagt: Das Auswechseln des schwächsten Glieds stärkt den Rest. Es gibt die Dominotheorie: Wenn der Schwächste fällt, fallen die anderen hinterher. Beide Szenarien sind denkbar. Beides sind Theorien, aber wir müssen in der Praxis Entscheidungen treffen. Dabei helfen uns die Theorien nicht. Sie nehmen uns die Entscheidung nicht ab. Für die FDP ist der Weg der Entscheidung klar: Zuerst muss Griechenland seine Hausaufgaben machen, dann muss Griechenland die Klassenarbeit, sprich die Bewertung durch die Troika, bestehen. Danach wird über die Versetzung entschieden. Ein Fass ohne Boden darf es nicht geben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Herr Oberlehrer!) Meine Damen und Herren, die Europäische Union hat – darauf sind wir alle ein Stück weit stolz – den Friedensnobelpreis bekommen. Das ist das erfolgreichste Friedensprojekt der Geschichte. Jetzt geht aber die Diskussion los: Wer holt den Preis ab? (Elke Ferner [SPD]: Sie schon mal nicht! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir machen es! Gysi holt ihn ab!) Das zeigt: Europa hat noch immer nicht die eine Telefonnummer, wie es Kissinger einmal ausgedrückt hat. Aber wir machen gerade Fortschritte. Wir brauchen klare Strukturen. Europa muss von den Bürgern getragen werden. Es braucht verständiges Recht. Das Recht muss eingehalten werden, das in Europa geschaffen und vereinbart wird. Wir haben Defizite. Ich nenne als Beispiel die Stimmenverhältnisse bei der Europäischen Zentralbank. Dort ist Malta formal genauso stark wie Deutschland. Das bildet weder die Wirtschaftskraft noch die Bevölkerungszahl noch das Risiko ab, das Deutschland gegebenenfalls zu tragen hätte. Auch bei den Wahlen zum Europaparlament zählt eine deutsche Stimme weniger als andere. Ein bürokratischer Superstaat ohne demokratische Kontrolle ist falsch. Europa muss das Prinzip „One woman, one vote – one man, one vote“ erfüllen. Das ist Demokratie, die ihren Namen voll verdient. Wir brauchen diese weitere Demokratisierung Europas. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Was soll denn das heißen?) Europa muss von einem Gefühl getragen werden. Europa muss erlebt und gelebt werden. Europa muss ein Stück Faszination bieten. Mit immer mehr Zentralisierung und größerer Bürokratie erreichen wir das nicht. Wir müssen die Herzen der Menschen erreichen, sonst bleibt Europa ein Projekt der Eliten. Europa muss in seinen Möglichkeiten erweitert werden, das aber solide und stabil. Da darf man nicht mit Illusionen oder kurzfristigen Effekten operieren. Ebenso verfehlt ist die Vorstellung der SPD, die die deutschen Exporte wieder drosseln will. 50 Prozent unserer Exporte gehen an unsere europäischen Nachbarn. Weshalb wollen die Sozialdemokraten den Arbeitnehmern die Aufträge für Exporte in die europäischen Nachbarländer nehmen? Sie sollten einmal die Realität anpacken, und Herr Steinbrück sollte sich darüber klar werden, was er wirklich will, und nicht jedem etwas bieten, wie es gerade passt. (Zuruf von der SPD: Das ist eine -Beleidigung!) Steinbrück kann alles, nur nichts ist klar. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Bundestagspräsident! Meine Damen und Herren! Heute hat der Bundestagswahlkampf offiziell hier im Bundestag begonnen. Das ist schon ein bisschen merkwürdig; denn es gibt noch gar kein Wahlrecht etc. (Zuruf von der FDP: Wir sind aber auf einem guten Weg!) Aber das lasse ich alles mal dahingestellt sein. Es wird für Sie schwer werden, Frau Bundeskanzlerin, und auch für Sie, Herr Steinbrück, sich als Alternativen zu präsentieren. Alle Europabeschlüsse haben Sie zusammen gefasst. (Beifall bei der LINKEN) Die Deregulierung der Finanzmärkte haben Sie unter der Regierung von Frau Merkel gemeinsam betrieben. Die prekäre Beschäftigung haben Sie in Deutschland in großem Ausmaß eingeführt. Wo soll sich denn da eine wirkliche, knallharte Alternative abzeichnen, die wir meines Erachtens brauchen? (Beifall bei der LINKEN) Viele haben sich hier zum Friedensnobelpreis für die EU geäußert. Lassen Sie mich dazu etwas sagen: Die Europäische Union hat es tatsächlich erreicht, dass 60 Jahre lang Frieden zwischen den Mitgliedsländern herrschte. Das ist in Anbetracht der europäischen Geschichte gar nicht hoch genug zu bewerten. Ich stelle fest, dass man in Asien, Afrika und Lateinamerika regionale Zusammenschlüsse wie die EU als erstrebenswert ansieht. Aber es gibt auch eine andere Seite der EU. Erstens bin ich sowieso dagegen, dass Institutionen ausgezeichnet werden. Dahinter stecken immer Menschen. Ich bin dafür, dass einzelne Menschen ausgezeichnet werden, die sich wirklich für den Frieden engagieren. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens sind die EU-Länder einschließlich Deutschland an einer Vielzahl von Kriegen beteiligt. Die EU-Länder sind äußerst hoch aufgerüstet und besonders stark beim Export von Kriegswaffen, auch Deutschland. Die EU strebt ferner ein eigenes Militär an, um endlich auch an Kriegen außerhalb der EU teilnehmen zu können. Dafür verdient man alles Mögliche, aber keinen Friedensnobelpreis. (Beifall bei der LINKEN) Kommen wir nun aber zur Euro-Krise und damit auch zu Griechenland. Ich muss feststellen: Die Bundesregierung beginnt, in einigen Fragen zaghaft und vorsichtig den Linken zu folgen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sigmar Gabriel [SPD]: Bei aller Kritik an der Bundesregierung: Das wollen wir nicht hoffen!) – Ja, Moment. Was Sie jetzt zum Teil zu Europa sagen, ist das, was wir schon vor Jahren gesagt haben. Darf ich den Mindestlohn als weiteres Beispiel anführen? Als Sie noch dagegen waren, haben wir ihn schon längst vorgeschlagen. Da waren auch noch die Grünen und die meisten Gewerkschaften dagegen. Wir waren die Ersten, die ihn gefordert haben. Heute klingt es in Deutschland so, als seien alle dafür. (Beifall bei der LINKEN) Darf ich daran erinnern, dass Sie alle für die Einführung der Praxisgebühr waren? Die Einzigen, die sich gegen die Praxisgebühr ausgesprochen haben, waren wir. Jetzt reden Sie alle dagegen. (Beifall bei der LINKEN) Auch bei der Finanztransaktionsteuer haben wir einiges erlebt; darauf komme ich noch zurück. Durch eine falsche Politik der EU und auch der Bundesregierung sind unerträgliche Verhältnisse in Griechenland, Portugal, Italien und Spanien entstanden. Der Druck wird immer größer, Griechenland nicht abzubauen, sondern endlich aufzubauen. Selbst der Internationale Währungsfonds beginnt jetzt selbstkritisch festzustellen, dass die harten Kürzungsmaßnahmen zulasten der Beschäftigten, zulasten des Mittelstandes und zulasten der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der Rentnerinnen und Rentner nicht nur übertrieben waren, sondern die Krise massiv verschärft haben. Der Währungsfonds stellt die Kürzungsprogramme also generell infrage. Das ist ein miserables Zeugnis für die Bundesregierung, die immer darauf bestanden hat. (Beifall bei der LINKEN) Die jetzige griechische Regierung macht aber alle Kürzungen mit. Das Einzige, worum sie bittet, ist, dass sie für die Reformen zwei Jahre mehr Zeit bekommt. Herr Brüderle, es bleibt dabei: Es gab ein klares Nein von Ihnen; es gab ein klares Nein der Bundesregierung. Aber jetzt werden Merkel, Schäuble und Brüderle weich. Warum? Mit dieser Frage hat sich auch Herr Steinbrück beschäftigt; aber ich finde, er hat sie nicht vollständig beantwortet. Ich komme noch darauf zurück. In Griechenland betragen die Kürzungen der Löhne und Gehälter in der Privatwirtschaft und der Renten jetzt 20 Prozent. Es gibt 30 Prozent weniger Steuereinnahmen. Das ist ein unvorstellbarer Rückgang, und er resultiert übrigens auch aus der Lohn- und Rentenkürzung. Deshalb gibt es auch eine höhere Verschuldung. Die Wirtschaftsleistung selbst ist um 20 Prozent zurückgegangen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei fast 50 Prozent. Das europäische Geld einschließlich des deutschen Geldes wird auf diese Art und Weise in den Sand gesetzt. So kann Griechenland ja gar nicht zurückzahlen. Ich behaupte: Das, was Sie hier angerichtet haben, ist eine schwere Untreue zum Nachteil der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland. (Beifall bei der LINKEN) Es müssen immer diejenigen die Kosten der Krise tragen, die sie nicht verursacht haben. Warum haben die Bundesregierung, der Internationale Währungsfonds, die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank bisher nie gefordert, dass diejenigen, die die Krise verursacht und an ihr verdient haben, endlich auch die Kosten tragen? Nun gibt es einen Zwischenbericht der drei Einrichtungen, und plötzlich werden Forderungen nach der Belastung der stärkeren Schultern laut – spät, aber es beginnt. Den öffentlichen Schulden – das will ich Ihnen sagen – stehen immer auch Vermögen gegenüber. Ich nenne Ihnen nur drei Beispiele: In Griechenland gibt es 300 Milliarden Euro Schulden und ein Privatvermögen von 540 Milliarden Euro, und zwar nur bei den 2 000 reichsten Familien, nicht etwa in der gesamten Bevölkerung. In Portugal gibt es 190 Milliarden Euro Schulden und 553 Milliarden Euro privates Vermögen. Bei uns gibt es 2,1 Billionen Euro Schulden und 1,9 Billionen Euro Vermögen nur bei den reichsten 0,6 Prozent der Bevölkerung, und die FDP schreit immer auf, wenn sie nur einen halben Euro mehr bezahlen sollen. Das ist wirklich nicht mehr nachvollziehbar. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen eine Vermögensabgabe und eine Vermögensteuer. Aber die Devise der Bundesregierung ist und bleibt eine Umverteilung von unten nach oben, nie in umgekehrter Richtung. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Gysi, einen Augenblick, bitte. – Darf ich darum bitten, dass wir auf der Regierungsbank (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zumindest die Sicht auf den Redner wiederherstellen, wenn schon nicht die allgemeine Aufmerksamkeit sichergestellt werden kann. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Wissen Sie, Frau Bundeskanzlerin, wenn zu Ihrer Rede eine Aussprache stattfindet, sollte man ab und zu auch einmal hinhören und nicht eine solche Arroganz an den Tag legen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn sich nun aber etwas verändert – ganz vorsichtig –, dann liegt das in erster Linie an den Protesten in Griechenland, auch in Spanien und in Portugal. Die Bevölkerungen dort erzwingen eine Änderung der jeweiligen Regierungspolitik, niemand anderes. (Beifall bei der LINKEN) Nachdem es so viel Kritik von Ihnen gab, sage ich: Ja, unser Parteivorsitzender Bernd Riexinger hat in Griechenland für soziale Gerechtigkeit mit demonstriert. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Gegen Deutschland!) Darüber regen Sie sich auf. Wir wollen doch mehr Europa. Sagen Sie einmal: Darf ein Deutscher nicht in Griechenland demonstrieren? Darf Ihrer Meinung nach ein Grieche nicht in Deutschland demonstrieren? – Wo leben wir hier eigentlich? Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage auch etwas zu den Hakenkreuzen, die dort gezeigt wurden. Wir lehnen das genauso ab wie Sie. Aber Sie müssen verstehen: Die Griechen verbinden Hakenkreuze gar nicht mit den KZs und diesen Verbrechen, sondern nur mit der Besatzungszeit. Trotzdem ist es völlig falsch. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Gysi rechtfertigt Hakenkreuze! Sehr interessant!) Herr Schäuble begeht jetzt den Fehler, zu sagen: Griechenland bekommt ein Sperrkonto, damit das Geld ganz sicher nur an Banken, Versicherungen und Hedgefonds geht. – Kein einziger Euro soll für Investitionen eingesetzt werden. Das ist doch eine Bevormundung. Lassen Sie das sein! Die Hakenkreuzfahnen sind trotzdem falsch. Deutschland ist nicht faschistisch und die Kanzlerin erst recht nicht. Das sehen wir genauso; das sagen wir auch den Griechen. Die Vertreter der mit uns befreundeten griechischen Partei tragen diese Fahnen auch nicht. Aber das Demonstrieren für soziale Gerechtigkeit in Griechenland ist mehr als berechtigt und dringend nötig. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt nenne ich Ihnen den Grund für Ihre veränderte Politik; Herr Steinbrück, Sie haben diesen Grund nicht genannt. Frau Merkel war doch in China. Ich werde Ihnen etwas erzählen. Es gibt diese veränderte Haltung nämlich auch wegen China. China möchte nicht nur den Dollar als Weltwährung, sondern auch den Euro, damit es ein bisschen spielen und anders auf dem Finanzmarkt eingreifen kann. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kennen sich ja in China aus!) Deshalb hat China europäische Staatsanleihen aufgekauft. Das Handelsblatt hat geschrieben – nicht ich, liebe Frau Künast –, dass es sich dabei um ein Viertel aller Euro-Anleihen handelt, einschließlich der deutschen. Nun waren Sie in China, Frau Bundeskanzlerin. Da hat Ihnen der Ministerpräsident gesagt, dass China nicht will, dass Griechenland aus dem Euro ausscheidet; denn China geht davon aus, dass das den Euro zerstört. Er hat Sie ein kleines bisschen genötigt und soll Ihnen gesagt haben: Wenn Griechenland aus dem Euro ausscheidet, wird China alle Euro-Staatsanleihen auf den Markt werfen. – Dann hätten wir die nächste Krise. Ich sage Ihnen auch, warum. Wenn so viele Euro-Staatsanleihen auf den Markt geworfen werden, sind sie natürlich nichts mehr wert. Dann ziehen sich die Investoren zurück, und es kommt zu einer schweren Währungskrise. Deshalb fuhr Frau Merkel danach nach Griechenland und sagte: Ihr müsst bleiben. – Ich wundere mich, Frau Bundeskanzlerin – ich muss das einmal sagen –: Sie hören viel zu wenig auf uns, die demokratischen Sozialistinnen und So-zialisten. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Aber auf die chinesischen Kommunistinnen und Kommunisten hören Sie. Das ist schon merkwürdig. Herr Brüderle, Sie sollten einmal darüber nachdenken, wer hier das Mao-Jäckchen trägt. (Beifall bei der LINKEN) Auf jeden Fall haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, Sie, Herr Steinbrück, und wir recht: Griechenland darf nicht aus dem Euro gedrängt werden. Die Bertelsmann-Stiftung hat jetzt festgestellt: Wenn das passiert, erleben wir eine Rezession der Weltwirtschaft und anschließend heftige globale soziale Spannungen. – Wenn Sie nicht dafür sind, dann hören Sie mit diesem Gerede auf. Ich sage deshalb noch einmal: An Griechenland darf kein Exempel statuiert werden, wie das der weltberühmte bayerische Ökonom Markus Söder forderte. Das geht völlig daneben, wenn ich einmal darauf hinweisen darf. (Beifall bei der LINKEN) Was braucht Griechenland? Griechenland braucht einen Stopp der bisherigen Kürzungspolitik. Das sagt auch die SPD. Aber, liebe SPD, dann können Sie hier nicht jedem Europabeschluss, der genau diese Kürzungspolitik unterstreicht, zustimmen. Das ist nicht aufrichtig. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen endlich einen Marshallplan und Investitionen. Dann – und nur dann – bekommen wir auch unser Geld zurück. Es müsste direkte Konjunkturkredite und einen direkten Kauf von Staatsanleihen durch die EZB geben; es darf keinen Umweg über die privaten Banken geben; die müssen wir dabei nicht reich machen. Das ist durch die Verträge verboten – ich weiß das –, und deshalb müssen die Verträge geändert werden. Wir brauchen einen weiteren Schuldenschnitt der Banken. Die haben sich schon dumm und dämlich verdient; mehr muss nicht sein. Wir brauchen endlich eine Heranziehung der Vermögenden in der EU, auch wenn das Vermögen im Ausland liegt. Ich nenne immer drei Stichworte: Steuergerechtigkeit brauchen wir. Steuerhinterziehung muss bekämpft werden. Steuerflucht muss verhindert werden. – Zur Verhinderung von Steuerflucht – die Vermögenden ziehen immer so gerne auf die Seychellen, nach Liechtenstein und was weiß ich wohin – gibt es einen einfachen Weg: Wir müssen in Deutschland und in ganz Europa lediglich US-Recht einführen und die Steuerpflicht an die Staatsbürgerschaft binden. (Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) Dann können sie wohnen, wo sie wollen, und sie können ihr Vermögen hinbringen, wohin sie wollen; aber dann bleiben die Deutschen hier steuerpflichtig, und die griechischen Vermögenden bleiben in Griechenland steuerpflichtig. Warum führen wir das nicht ein? Ich habe darauf noch keine vernünftige Antwort von Ihnen gehört. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Darüber hinaus muss es in Griechenland zu einer Halbierung der Rüstungsausgaben kommen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Nun komme ich zur Finanztransaktionsteuer. Es gibt jetzt elf Euro-Länder, die sie einführen wollen. Das ist ein Erfolg der Antiglobalisierungsbewegung und auch ein Erfolg der Linken. (Beifall bei der LINKEN) Sie, Herr Steinbrück, haben im Haushaltsausschuss gesagt, dass die Finanztransaktionsteuer eine sozialistische Spinnerei sei. (Peer Steinbrück [SPD]: Wann?) – Ja, das liegt schon ein bisschen zurück. – Jetzt gibt es nur zwei Möglichkeiten, Herr Steinbrück: Entweder sind auch Sie ein sozialistischer Spinner, oder die Antiglobalisierungsbewegung und die Linken hatten schon damals recht. – Äußern Sie sich doch einmal zu diesen beiden Varianten! (Beifall bei der LINKEN) Bei der Umsetzung darf es aber keine Verwässerung geben. Die Bundesregierung hat in ihrem Antrag an die EU-Kommission nämlich darauf verzichtet, die Steuer auch beim Devisenhandel anzuwenden. Aber genau das hatten Union, FDP, SPD und Grüne anders vereinbart, und ohne den Devisenhandel ist die Steuer natürlich weniger als die Hälfte wert. Auch in Deutschland führt die Krise zu immer mehr Verliererinnen und Verlierern. Dazu zählen Millionen von Bürgerinnen und Bürgern, die private Lebensversicherungen abgeschlossen haben oder Riester-Verträge besitzen. Auch die betriebliche Altersvorsorge ist bedroht; denn sämtliche Renditeversprechungen werden Schritt für Schritt hinfällig. Es gibt auch eine Krise der Realwirtschaft. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert ein Wirtschaftswachstum in China von 8,2 Prozent, in den USA von 2,1 Prozent und in der Euro-Zone von minus 0,4 Prozent. Damit wird die Euro-Krise zur größten Sorgenquelle der Weltwirtschaft. Lange Zeit haben viele geglaubt: Deutschland trifft das nicht. Aber das ändert sich. Durch die Kürzungsdiktate, durch die Senkung der Kaufkraft in den südeuropäischen Ländern gehen jetzt auch unsere Exporte zurück, und zwar immer deutlicher. Ich nenne nur folgende Beispiele: Die Quote der Exporte nach Portugal ist um 14,3 Prozent gesunken; die Quote der Exporte nach Spanien ist um 9,4 Prozent gesunken; die Quote der Exporte nach Griechenland ist um 9,2 Prozent gesunken. Nun schildere ich Ihnen noch den Absatzeinbruch bei der deutschen Automobilindustrie. Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein, Herr Gysi, das schildern Sie jetzt bitte nicht, jedenfalls nicht in dem Umfang, den Sie offenkundig geplant hatten. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Das ist sehr schade. Dann sage ich Ihnen nur: Es waren 11 Prozent; damit Sie es wissen, Herr Bundestagspräsident. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich hätte das natürlich ohnehin gewusst. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Zum Schluss sage ich Ihnen: Sie müssen Ihre Politik in Europa ändern. Wenn Sie wollen, dass es mehr Europa gibt, müssen Sie Europa auch für die Jugend attraktiver machen. Dafür gibt es eine Bedingung: Die Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden, und mit einer gerechten Umverteilung von oben nach unten muss begonnen werden. Anders werden Sie diese Krise niemals meistern. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Volker Kauder. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Bundeskanzlerin hat in beeindruckender Präzision und Klarheit beschrieben, was im europäischen Reformprozess auf uns zukommt. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Na ja! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann hat sie das denn gemacht? Wann war das, Herr Kauder?) Wir haben einige Fragen und Anmerkungen, aber – Frau Bundeskanzlerin, das sollen Sie auch für die Beratungen heute Abend und morgen wissen – die Richtung stimmt. Wir stehen hinter Ihrer Politik in Europa. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Gut, dass das mal einer sagt!) Herr Steinbrück, dass Sie das eine oder andere heute zum ersten Mal von der Bundeskanzlerin gehört haben, verwundert uns nicht. Seien Sie in Zukunft öfter an einem Donnerstag im Plenum! Dann wissen Sie, was die Bundesregierung meint und worauf es wirklich ankommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich empfehle Ihnen auch dringend, keine falsche Spur zu legen, sondern die Dinge so zu sagen, wie sie wirklich sind. Auf das Wort eines Bundeskanzlers muss Verlass sein. Dahin gehend sind auch die Worte eines Kanzlerkandidaten zu überprüfen. Wir wurden gerade informiert – wir wussten das aber schon –, dass Ihre Aussagen zu den Empfehlungen der Europäischen Kommission zum Reformprogramm in Deutschland nicht zutreffend sind. Dort steht in keinem einzigen Satz etwas über das Betreuungsgeld. Darin steht etwas über die Ganztagsbetreuung. Eine solche unzulässige Interpretation von Empfehlungen, die im Amtsblatt veröffentlicht wurden, ist unzulässig, Herr Steinbrück. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der CDU/CSU, an Abg. Peer Steinbrück [SPD] gewandt: Pfui!) In den Empfehlungen steht etwas, was vermutlich auch Sie, Herr Steinbrück, richtig finden. Sie haben nicht darauf hingewiesen, dass in diesen Empfehlungen steht, dass die Abgaben- und Steuerlast für Geringverdienende in Deutschland zu hoch ist, und Deutschland ermahnt wird, genau dies zu ändern. Dazu könnten Sie beitragen, indem Sie im Bundesrat endlich Ihre Blockadehaltung aufgeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Kollege Steinbrück, da in den europäischen Empfehlungen für Deutschland von einer zu hohen Abgabenlast die Rede ist, wollen wir jetzt die Beiträge zur Rentenversicherung reduzieren. Aber da machen Sie nicht mit. Dort, wo die Empfehlungen klar aufzeigen, was zu tun ist, verweigern Sie sich, weil Sie glauben, dass Sie dies den Linken in Ihrer Partei nicht zumuten können. Das ist die eigentliche Position. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Kollege Steinbrück, Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, was noch gilt. Auf das Wort eines Kanzlers und auch auf das eines Kanzlerkandidaten muss Verlass sein. Sie haben heute hier davon gesprochen, dass wir Wachstum brauchen. Richtig! Wir haben in Europa ein Wachstumspaket aufgelegt und in diesem Zusammenhang klare Positionen formuliert. Im Übrigen war schon im Vertrag von Lissabon ein Wachstumspaket vorgesehen. Wenn sich alle an das gehalten hätten, was damals in Lissabon vereinbart worden ist – wir haben uns daran gehalten –, wären wir schon ein gewaltiges Stück weiter. Jetzt komme ich zum Thema. Wer wirklich Wachstum will, Herr Kollege Steinbrück, der kann doch nicht in Deutschland das Wachstum abwürgen. Genau das würde geschehen, wenn Ihre Vermögensabgabe oder Vermögensteuer eingeführt würde. Genau dadurch würde das Wachstum gebremst. Jetzt sage ich Ihnen einmal, was Kollege Steinbrück hier vor einiger Zeit richtigerweise gesagt hat. Er hat gesagt, eine Vermögensteuer sei deshalb falsch, weil sie im Ertrag zu wenig bringe und weil die Probleme in der Abgrenzung zu unseren Familienbetrieben zu groß seien. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Peer Steinbrück [SPD]: Das stimmt!) – Er sagt jetzt auch noch, dass das stimmt. – Wenn Sie bestätigen, dass es stimmt, dass eine Vermögensteuer für unsere Betriebe schädlich ist: Wie können Sie sich dann hier hinstellen und erzählen, dass Sie eine Vermögensabgabe, eine Vermögensteuer wollen? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich habe weder vom Kollegen Trittin noch von Ihnen bisher eine verfassungsgemäße Lösung für dieses Problem gesehen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Die liegt vor! Sie müssen sie nur lesen! Lesen bildet, Herr Kauder!) – Nein, nein, Herr Trittin. – Ich kann nur sagen: Wer Wachstum will, darf nicht denjenigen Geld wegnehmen, die es brauchen, um zu investieren, damit Wachstum in unserem Land entsteht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb sind Sie auf der völlig falschen Fährte. Ich halte fest: Wenn Sie die Empfehlungen für Deutschland wirklich umsetzen wollen, dann müssen Sie jetzt im Bundesrat ganz schnell den Steuervorhaben zustimmen und zustimmen, dass wir die Beiträge zur Rentenversicherung senken. An diesen beiden Punkten werden wir Sie messen. Daran werden wir sehen, ob Sie tatsächlich bereit sind, in Europa das Notwendige zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Kollege Steinbrück, wir brauchen gerade von Ihnen keine Belehrungen (Peer Steinbrück [SPD]: Doch!) zum Umgang in Europa. Wie Sie sich hinsichtlich der Schweiz verhalten haben, das ist kein Beispiel für den Umgang in Europa. Herr Kollege Steinbrück, das ist wahrhaftig kein Beispiel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich rate Ihnen, nicht mit einer solchen Arroganz aufzutreten. (Peer Steinbrück [SPD]: Nein! Nein! Ihre Leisetreterei hat gar nichts gebracht! Ihre Leisetreterei ist mit verantwortlich für die Entwicklung!) – Herr Steinbrück, ich kenne Sie aus den Zeiten der Großen Koalition gut. Da habe ich vieles an Ihnen geschätzt. Aber Sie zeigen jetzt wieder etwas, das ich damals schon erlebt habe: eine persönliche Dünnhäutigkeit. Sie sind sehr gut im Austeilen; aber Sie müssen auch im Einstecken gut werden. Herr Kollege, merken Sie sich das. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir stehen vor entscheidenden Veränderungen in Europa. Wir wissen, dass wir mehr Europa brauchen. Wir wissen, dass eine intensive Diskussion darüber stattfindet. Die Bundeskanzlerin hat recht, wenn sie sagt: Diskussionen als Vielstimmigkeit zu beklagen, kann als Ergebnis nur haben, dass wir gar nicht mehr darüber reden, wie es weitergehen soll. Wenn wir als nationales Parlament die Aufgabe haben, die Entwicklung Europas mitzugestalten, dann muss auch darüber diskutiert werden. Ich kann nur sagen: Ich habe mich heute Morgen sehr gewundert. Zu keinem einzigen wesentlichen Punkt kam eine Antwort auf die Fragen, die sich gerade in der Diskussion befinden; wohl aber gab es einen geradezu flehenden Ruf von Ihnen, Herr Kollege Steinbrück, man möge möglichst viel Geld nach Griechenland schicken. Sie hätten sagen müssen: Wir müssen in Griechenland dafür werben, dass die notwendigen Reformen durchgeführt werden. – Nur das hilft dem Land, nicht aber solche Sprüche, wir müssten auf jeden Fall mehr Geld geben. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das hat er doch gar nicht gesagt!) Wir sind uns der Solidarität bewusst. Aber ohne Gegenleistung kann es keine Leistung geben. Diesen Satz habe ich von Ihnen nicht gehört. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen glaube ich, dass Sie kein guter Vertreter deutscher und europäischer Interessen sein können. Wenn wir Europa wettbewerbsfähig machen wollen, müssen alle mitmachen. Das gilt für alle in Europa. Auch wir haben, wie ich vorhin an zwei Beispielen gezeigt habe, Bedarf, noch etwas zu verändern. Aber wir müssen klar und deutlich im Interesse vor allem der jungen Generation sagen: Es müssen Strukturen geschaffen werden, die Arbeitsplätze ermöglichen. – Spanien ist beispielsweise auf einem guten Weg, ein duales Ausbildungssystem auf den Weg zu bringen. Portugal ist beispielsweise dabei, entsprechende Strukturveränderungen vorzunehmen. Wer glaubt, den Menschen immer nur mit mehr Geld helfen zu können, (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wer sagt denn das?) der wird merken, dass genau das Gegenteil eintritt; denn an Geld hat es in Griechenland bisher nicht gemangelt, sondern an dem Willen, etwas zu verändern. Das muss nun vorangebracht werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Bundeskanzlerin, ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie das Augenmerk auch auf ein Thema gelenkt haben, das für uns im Parlament von besonderer Wichtigkeit ist; ich habe das schon das letzte Mal angesprochen. Ein Mehr an Europa kann nicht ein Mehr an Europa von Bürokratie, Kommissionen und vielem anderem bedeuten, sondern ein Mehr an Europa muss ein Mehr an demokratischer Legitimation bedeuten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Deswegen werden wir in der Koalition einer Übertragung von neuen Kompetenzen nur nachgeben können, wenn wir wissen, welche Kompetenzen, die aus der nationalen parlamentarischen Kontrolle übertragen werden, in eine neue parlamentarische Kontrolle hineinkommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mehr Räten ohne parlamentarische Legitimation werden wir nicht zustimmen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dies ist ein zentraler Punkt für uns; darüber müssen wir als Parlament intensiv diskutieren. Ich bin auch ganz klar der Meinung, dass wir für eine dauerhafte Lösung in Europa – und damit, Herr Trittin, zu Ihrem Zwischenruf von vorhin – nicht das als Maßstab nehmen können, was in einer Krise notwendig ist. Deswegen kann nicht eine Schuldenunion, eine Altschuldenunion und die Einführung von Euro-Bonds Maßstab sein. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch gerade!) Vielmehr muss klar und deutlich sein, dass jeder so lange Verantwortung für seine nationale Politik trägt, bis wir eine gemeinsame Aufsicht, eine Bankenaufsicht, eine Haushaltsaufsicht haben. Sie reden einer Vergemeinschaftung von Schulden und Geldanleihen das Wort und nehmen damit den Druck heraus, die notwendigen Regelungen zu treffen, die Voraussetzung dafür sein könnten, über so etwas überhaupt erst nachzudenken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist Quatsch! Das ist primitiv, weil es falsch ist!) Ich kann nur sagen, Herr Kollege Steinbrück, nicht weil ich der Koalition angehöre, der auch die Bundeskanzlerin und der Vizekanzler angehören, sondern weil es sich heute Morgen wieder einmal gezeigt hat: Wir können froh und dankbar sein, dass diese Koalition in dieser schwierigen Zeit unser Land regiert und Angela Merkel die Interessen unseres Landes in Europa vertritt. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Kauder, lassen Sie mich am Anfang eine halbe Minute dafür verwenden, Sie darauf hinzuweisen, wie die europäischen Empfehlungen zur deutschen Haushaltspolitik lauteten. Ja, das Wort Betreuungsgeld wird nicht ausdrücklich erwähnt, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aha! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: So, so! – Na also!) vielleicht deshalb nicht, weil man auf europäischer Ebene gar nicht so schlecht und so kurios denken kann, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na ja! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Versuch gescheitert!) dass man wirklich glaubt, in Deutschland würde so etwas eingeführt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Hören Sie doch auf! Ihr Versuch ist schon gescheitert!) Aber, meine Damen und Herren, in den Empfehlungen steht, dass Deutschland aufgefordert ist, eine Ganztagsbetreuung einzurichten bzw. Ganztagsschulen für die Kinder des Landes zu bauen; (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Machen wir doch!) das hält man auf europäischer Ebene in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nämlich für richtig. Sie können Ganztagsbetreuung und Ganztagsschulen gerne als absolutes Gegenstück zum Betreuungsgeld verstehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]) Was Sie nicht erwähnt haben, Herr Kauder – daran zeigt sich Ihr Hang zur Vollständigkeit –: In den Empfehlungen steht auch, dass das Ehegattensplitting abgeschmolzen werden muss, um die Kinder in diesem Land zu finanzieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Herr Kollege Steinbrück, das hatten Sie ganz vergessen, zu erwähnen. Woran lag das? Wir werden es sehen. Nun zur Regierungserklärung der Kanzlerin. Frau Merkel, es hat mir nicht gereicht, dass Sie hier und heute den Friedensnobelpreis für die EU erwähnt und lediglich gesagt haben, wie schön dieser Schatz in unserer Hand ist. Eine Bemerkung kann ich mir an dieser Stelle nicht verkneifen: Auf der einen Seite erleben wir, dass die Europäische Union den Friedensnobelpreis bekommt, und wir sehen, welchen Schatz wir in der Hand halten. In der gleichen Woche werden auf der anderen Seite Sinti und Roma, die in Serbien und Mazedonien in Bretterbuden gehaust haben und den Winter fürchteten, als sie nach Deutschland kommen, bezichtigt, Asylmissbrauch zu betreiben. Meine Damen und Herren, das ist eines Friedensnobelpreisträgers nicht würdig. Das hat mir nicht gereicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Mir hat auch nicht gereicht, was Sie aus der gegenwärtigen Verschnaufpause, bedingt durch den Anleihenkauf der EZB, gemacht haben. Sie haben lange zugelassen, Frau Merkel – auch wenn Sie gerade etwas anderes gesagt haben –, dass es in der Europapolitik und in der Griechenland-Politik Deutschlands zu einer Art Söderisierung kam. Das ist, glaube ich, so ziemlich das Schlimmste, was man erleben kann: (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) die Stammtischadler, die in Kneipen über den Stamm-tischen im Luftraum kreisen und nicht daran denken, was für Deutschland und Europa gut ist. Auch an dieser Stelle kamen Sie zu spät, Frau Merkel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie kamen zu spät – das kann ich Ihnen nicht ersparen –, obwohl Sie hier und heute gesagt haben, Deutschland sei in vielen Bereichen vorangegangen. Sie redeten über den Delors-Plan. Ja, über den hätten wir vor zweieinhalb Jahren reden können. Wo ist Deutschland da vorangegangen? Sie redeten über den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Wir hätten ihn gerne schon im letzten Herbst verabschiedet. Aber Sie haben sich nicht dürfen getraut, weil Ihre Truppe offensichtlich nicht mitgemacht hätte. Wenn wir über Euro-Bonds und eine wirklich gemeinschaftliche Haftung reden, sagen Sie: „Das wollen wir nicht“, um am Ende, wenn auch immer spät, doch umzufallen. Ein Beispiel dafür sind die EZB-Anleihen. In welchem Umfang haftet Deutschland? Wir haften für 27 Prozent. Was ist denn das? Ein anderes Beispiel ist die Diskussion über eine extra Finanzkapazität für den Euro-Raum. Das alles sind Themen, bei denen wir erstens sehen, dass Sie wieder zu spät dran sind, und bei denen wir zweitens sehen, dass Sie am Ende doch umfallen. Es war mir auch zu wenig, dass es in Ihrer heutigen Rede nur um das Paket ging. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben heute keine wirkliche Perspektive aufgezeigt und keine Reformen vorgeschlagen. Ich muss Ihnen auch sagen: Sie haben heute nicht die ganze Wahrheit gesagt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, na!) An dieser Stelle müssen wir kurz über Griechenland -reden. Schäuble hat ja am Sonntag letzter Woche in -Singapur gesagt: „… there will be no Staatsbankrott in Greece“. Das kommt auch zweieinhalb Jahre zu spät. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Er hat deutsch gesprochen, der Schäuble!) Was kommt jetzt? Jetzt kommt die Idee eines Sperrkontos, auf das die Gelder für die Griechen eingezahlt werden sollen. Was ist das nun wieder, Frau Merkel? Das ist eine Art Alibi dafür, dass erst die Schulden getilgt werden. Dahinter steckt, dass in Griechenland die Notenpresse angeworfen wird, um seine Probleme vor Ort zu lösen. Ich kann Ihnen nur sagen, Frau Merkel: Sagen Sie doch die ganze Wahrheit! Das ist wieder eine krude Idee, weil Sie sich nicht trauen, zu sagen: „Es wird in diesem Hause ein drittes Griechenland-Paket geben“; denn Sie trauen sich nie, die ganze Wahrheit zu sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Herrn Kauder möchte ich bezüglich Griechenland sagen: Es tut mir wirklich weh, dass Sie an dieser Stelle Richtung Griechenland schlicht und einfach rufen: Es mangelt am Willen, zu verändern. Damit stehen Sie übrigens im Dissens zu Ihrer Kanzlerin, die ja gerade gesagt hat, sie habe erfahren, in Griechenland wolle man doch etwas ändern. (Zuruf von der SPD: Richtig! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich habe von Lissabon gesprochen!) Herr Kauder, was mich daran ärgert, ist, dass Sie hier als konservativer Europäer stehen, der von der Ehe ja vielleicht etwas verstehen sollte. Oder? Zu der Ehe heißt es: in guten wie in schlechten Zeiten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das machen wir ja auch!) Ich kann nur sagen: Das heißt es auch in der Europäischen Union. In guten wie in schlechten Zeiten! (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das machen wir ja auch!) Deshalb darf man heute nicht einfach nur kritisieren, sondern muss in diesen Zeiten den 50 Prozent arbeitslosen Jugendlichen in Griechenland sagen: Ja, wir kümmern uns darum, dass ihr eine Perspektive bekommt. – Darüber habe ich nur wenig gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Da braucht man sich nicht zu fragen, warum Sie in Berlin nicht gewonnen haben!) Ich habe eigentlich nichts über das europäische Investitionsprogramm gehört, das wir hier im Juli verabschiedet haben, als wir uns wegen Spanien getroffen haben. Wo ist denn dieses europäische Investitionsprogramm? Wo wird es denn eigentlich umgesetzt? Wo ist das Geld? (Norbert Barthle [CDU/CSU]: In dieser -Woche!) Sie reden hier über Wachstum. Wir haben zu dem entsprechenden Zeitpunkt doch gesagt, wofür wir Gelder investieren wollen, damit sich zum Beispiel Griechenland, aber nicht nur Griechenland, modernisieren und wirtschaftlich entwickeln kann: den Schienenverkehr, den öffentlichen Verkehr, die Energie. Wo ist dieses Programm? Sie sagen: Deutschland geht voran. Ich sage -Ihnen: Deutschland hat nicht einmal die Hausaufgaben gemacht, die wir hier im Deutschen Bundestag vereinbart haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jawohl, Frau Lehrerin!) – So ist es. Nun zu den Vorschlägen, die im Detail gemacht worden sind. Schauen wir uns einmal die Vorschläge von Van Rompuy bzw. der vier Präsidenten an. Sie sind ja auch im Auftrag der Bundeskanzlerin auf den Weg gebracht worden. Was wollen wir denn jetzt eigentlich? Van Rompuy oder Schäuble? Es ist schon eine gewisse Chuzpe, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts der vier Präsidenten zu sagen: Nun schlagen wir wieder einmal das Gegenteil vor. – Das ist das typische von Merkel und Schwarz-Gelb in Europa angerichtete Chaos. Im Bericht von Van Rompuy bzw. der vier Präsidenten werden einige Punkte angesprochen: der Schuldentilgungsfonds, die Bankenaufsicht, eine bessere Überwachung der nationalen Haushalte usw. Sie sind am Ende aber doch wieder nur Skeptiker. Ich will das einmal an den vier Punkten deutlich machen, die ja nicht Sie erfunden haben, sondern im Bericht der Präsidenten stehen: Erstens. Die gemeinsame Finanzmarktpolitik. Sie wollen jetzt auch eine Finanzmarktaufsicht bis Ende des Jahres. Ich kann das ja nur begrüßen, weil Sie bisher alle immer nur mit Samthandschuhen angefasst haben. Eine effiziente Regulierung wollen wir jetzt aber auch sehen. Das heißt, wir brauchen eine europäische Abwicklungseinheit oder eine europäische Einlagensicherung. Sie, Frau Merkel, haben an dieser Stelle am Ende aber doch wieder nur Andeutungen gemacht. Zweitens. Die gemeinsame Fiskalpolitik. Wir sprechen uns für mehr Haushaltsdisziplin aus. Ja, aber die vier Präsidenten – darauf gehen Sie am Ende nicht ein – reden über die mögliche Einführung eines Altschuldentilgungsfonds. Schon wieder verweisen sie darauf, dass ein Altschuldentilgungsfonds nötig ist, allein schon, um den Zinsdruck für die betroffenen Mitgliedstaaten zu verringern. Das würde der Fonds ermöglichen. Was haben Sie zur Zinsdrucksenkung angeboten, Frau Merkel? Bis zum Augenblick eigentlich gar nichts! Drittens. Die gemeinsame Wirtschaftspolitik. Ihren Reden, Frau Merkel, folgen nie Taten. Bislang hat sich die Bundesregierung eben nicht wirklich für eine Harmonisierung der Steuerpolitik oder gegen Steuerdumping eingesetzt. Wo ist Ihre Arbeitsmarktpolitik? Deutschland war bisher kein Vorkämpfer für eine europäische Regelung. Gegen die Jugendarbeitslosigkeit – ich habe es schon gesagt – haben Sie auch kein konkretes Programm. Das sind Sie heute schuldig geblieben. Am Ende wollen Sie sogar eher noch den europäischen Haushalt kürzen, aus dem man solche Programme finanzieren könnte. An dieser Stelle, Frau Merkel, sind Sie nicht glaubwürdig. Sie reden zwar immer für das -Soziale, aber trotzdem wollen Sie den europäischen Haushalt kürzen, sodass Sie das Soziale dann eben nicht mehr finanzieren können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Zu dem vierten Aspekt, der stärkeren demokratischen Legitimation, die Van Rompuy und andere vorschlagen, kann man ja sagen: Deutschland steht dafür – im wahrsten Sinne des Wortes –, die europäischen Institutionen zu schwächen. Nun zu einigen Ihrer Detailvorschläge, die wilden und unabgestimmten Vorschläge von Herrn Schäuble, die Sie heute auch wieder benannt haben. Gucken wir uns das einmal an. Da soll jetzt ein Mann in Brüssel den Daumen heben oder senken (Lachen des Abg. Peer Steinbrück [SPD]) über den Haushaltsplan eines demokratisch gewählten Parlaments. Meine Damen und Herren, wir wollen mehr Haushaltsdisziplin und durchaus ein Stück Aufsicht an dieser Stelle. Aber was schlagen Sie faktisch vor, weil Sie eben nicht weitergehen? Sie schlagen doch faktisch einen Supermann, einen Superkommissar vor: Der ist dann sozusagen Erster in einer Kommission. Das spaltet die Europäische Kommission, weil es Kommissare unterschiedlichster – – (Gisela Piltz [FDP]: Können Sie sich auch vorstellen, dass es eine Frau wird?) – Bei Ihnen kann ich mir sofort vorstellen, dass es eine Frau wird, Frau Piltz. Machen Sie erst einmal die Quote in Aufsichtsräten, bevor Sie einen solchen Zwischenruf machen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ihr Vorschlag ist ein Superkommissar als Erster unter Gleichen in einer Kommission. Und wer sucht den dann aus, meine Damen und Herren? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie!) Im Gemauschel, im Hinterzimmer die Regierungen wieder, meine Damen und Herren. Dann hätten Sie doch mindestens an dieser Stelle sagen müssen, wie Sie sich das vorstellen. Ein ausgemauschelter Kommissar, bei dem das Parlament den Gesamtblock wählt, ist doch nicht demokratischer. Dann hätten Sie an dieser Stelle sagen müssen: Diese Person wird durch das Europäische Parlament eigenständig gewählt und könnte auch abgewählt werden. Das wäre das Mindeste; aber das trauen Sie sich wieder nicht, weil es dann aus dem Hinterzimmer raus und rein ins Europäische Parlament geht, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau Künast, wir machen eine Mitgliederbefragung!) Alle Ihre Vorschläge sind meines Erachtens viel zu eng geworden. Am Ende muss ich sagen: Was ich mir gewünscht hätte (Volker Kauder [CDU/CSU]: Eine Mitgliederbefragung machen wir!) – ich komme gleich zur Mitgliederbefragung, Herr -Kauder –, wäre, bei Ihren Worten am Ende über die Kraft Europas, darüber, dass Europa mehr als Währungs-, Geld- und Haushaltspolitik ist, wenn wirklich klar gesagt würde: Wir wollen ein ökologisches und -soziales Europa. Sie haben über Talente und Technologien geredet. Dann sagen Sie es doch wirklich: Ein Europa, das mit seinen Nachbarn gut zusammenlebt, das nicht auf Kosten anderer Menschen irgendwo auf der Welt lebt, das nicht auf Kosten der Jugend lebt, meine Damen und Herren. Dieses Europa – das haben Sie verpasst, Frau -Merkel – braucht jetzt dringend jenseits des Dickichts der aktuellen Verhandlungen einen europäischen Konvent unter Beteiligung – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – mein letzter Satz – der Sozialpartner, unter Beteiligung der Zivilgesellschaft, und dann kommen wir raus aus den internen Zirkeln und machen einen Volksentscheid, an dem die gesamte europäische – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – Bevölkerung beteiligt wird. Das hätte eine Perspektive heute sein können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Bravo!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Gerda Hasselfeldt hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist richtig, ich bin auch der Meinung, -Europa ist mehr als der Euro. Das haben wir nicht nur heute mehrfach betont, sondern das wird in jeder dieser Debatten, in denen wir über den Euro und über Europa reden, von uns immer wieder betont – und nicht nur in diesem Hause. Wenn jemand das noch nicht verstanden hat und nicht gehört hat, wie der Herr Steinbrück das vorhin zum Ausdruck gebracht hat, dann, finde ich, muss die Frage schon erlaubt sein: Wo war er denn dann, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Gisela Piltz [FDP]: Wo ist der eigentlich! – Rainer Brüderle [FDP]: Und wo ist er jetzt? Wo ist er denn jetzt?) als dies immer wieder zum Ausdruck gebracht und diskutiert wurde? (Rainer Brüderle [FDP]: Vorträge halten!) Trotzdem, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sollten wir uns heute schon auch noch einmal mit der Frage befassen: Wo stehen wir bei der Debatte über die Vertiefung bei der Wirtschafts- und Währungsunion? Was haben wir erreicht? Haben wir etwas erreicht? Da können wir mit Fug und Recht heute sagen: Wir sind in den letzten Monaten ein großes Stück vorangekommen! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Europäische Stabilitätsmechanismus arbeitet bereits, der Fiskalvertrag kann in Kraft treten, er wurde von uns beschlossen. Die Finanzmarktsteuer wird kommen. Auch das haben wir in den letzten Monaten erreicht, nicht wegen des Geschreis der Opposition, sondern wegen der Hartnäckigkeit und des hohen und großen Verhandlungsgeschicks unseres Finanzministers. Dafür danke ich ihm herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Auch die Situation in den Krisenländern ist besser geworden. Wir sehen dort rückläufige Handelsbilanzdefizite. Wir sehen, dass dort die Lohnstückkosten sinken, und damit sind diese Länder auf dem Weg zu mehr Wettbewerbsfähigkeit. Einige Krisenländer haben sich in den vergangenen Wochen zu erträglichen Konditionen am Kapitalmarkt refinanzieren können. Bei all den noch vorhandenen Problemen, die normalerweise mit jeder Umstrukturierung einer Wirtschaft verbunden sind, sind dies Erfolge, die man nicht einfach auf die Seite schieben soll, sondern diese Erfolge machen deutlich: Der Weg ist richtig. Der Stabilitätskurs ist richtig. Vor allem Auflagen in Verbindung mit den Hilfen sind richtig, aber eben Auflagen und Hilfen gemeinsam. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) In einem schwierigen internationalen Umfeld ist auch Deutschland auf einem guten wirtschaftlichen Weg. Wir haben eine weiterhin stabile positive wirtschaftliche Entwicklung. Wenn wir das machen würden, was uns vonseiten der Sozialdemokraten immer wieder empfohlen wird, nämlich Erhöhung der Erbschaftsteuer, der Vermögensteuer, der Einkommensteuer, dann hätten wir diese Chance verspielt, dann wären wir nicht mehr Wachstumslokomotive in Europa, wie wir es jetzt sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Herr Steinbrück hat vorhin gesagt: Wir haben euch gezeigt, wie es geht. Schauen wir doch einmal: Was haben Sie uns denn gezeigt? Sie haben uns gezeigt, wie Fehler gemacht werden. Sie haben uns durch das Aufweichen der Stabilitätskriterien in Ihrer Regierungszeit gezeigt, wohin das führen kann: dass sich nämlich niemand mehr in Europa an die Stabilitätskriterien gehalten hat, weil Sie das Signal dazu gegeben haben, sich nicht daran zu halten. Was haben Sie uns denn noch gezeigt? Sie haben uns gezeigt, wie man nach seiner Regierungszeit 5 Millionen Arbeitslose hinterlässt. 5 Millionen Menschen ohne Beschäftigung in einer Zeit, in der es keine Krise gegeben hat! Auf solche Rezepte können wir verzichten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun gibt es eine aktuelle Diskussion über die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion. Ich finde das richtig. Es ist notwendig, die Lehren aus der Krise zu ziehen, die Defizite, deren Folgen wir in den vergangenen Jahren erleben mussten, zu beseitigen. Da gibt es meines Erachtens zwei Ziele, die bei all den Maßnahmen, die zurzeit diskutiert werden, immer im Blick behalten werden müssen. Das Erste ist das Ziel einer Stabilitätsunion in Europa. Das Zweite ist das Ziel der Wettbewerbsunion in Europa. Beide Ziele müssen gleichermaßen verfolgt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Diesen Zielen müssen die entsprechenden Maßnahmen, die heute diskutiert werden, die im Rat diskutiert werden und die in den nächsten Monaten in ganz Europa diskutiert werden, gerecht werden. Ein Vorschlag ist die Einrichtung einer europäischen Bankenaufsicht. Sie ist notwendig. Sie ist richtig. Aber bei dem Punkt einer gemeinsamen europäischen Bankenaufsicht sind noch viele Fragen zu klären: Wie viele Banken sollen beaufsichtigt werden? Auch hier, finde ich, gilt das Subsidiaritätsprinzip. Es brauchen nicht Tausende von Banken durch die europäische Bankenaufsicht beaufsichtigt zu werden, sondern nur die system-relevanten, die grenzüberschreitenden. Eine anderer Punkt ist: Wenn diese Aufsicht bei der EZB angesiedelt sein soll, muss es eine strikte Trennung zwischen Geldpolitik und Aufsichtstätigkeit geben. Nicht zuletzt muss auch klar sein: Eine direkte Bankenrekapitalisierung durch den ESM kann es nur dann geben, wenn diese europäische Bankenaufsicht nicht nur etabliert ist, nicht nur auf dem Papier steht, nicht nur vertraglich abgesichert ist, sondern wenn sie wirklich -arbeitsfähig ist, wenn sie handlungsfähig ist, wenn sie effektiv arbeiten kann. Erst dann kann es diese direkte Rekapitalisierung geben, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und auch dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, immer nur mit Auflagen und Bedingungen. Es darf auch hier keinen Blankoscheck geben. Darauf muss geachtet werden. Eine ganz zentrale Frage ist: Wie schaffen wir es denn, dass wir wirklich die vereinbarten Stabilitätskriterien einhalten? Es war in den vergangenen Jahren ein ganz großes Defizit, dass von den vereinbarten Kriterien abgewichen wurde. Da muss man sich fragen: Ist das alles wirklich abgesichert? Reichen die jetzigen Instrumente? Reichen die jetzigen Kompetenzen? Diese Frage ist, finde ich, durchaus berechtigt. Bei der Beantwortung müssen wir sehr darauf achten, hier die richtigen Antworten zu geben und nicht über das Ziel hinauszuschießen. Sinn und Zweck kann nur die wirklich verbindliche Einhaltung der Stabilitätskriterien sein. Der Stabilitätsrahmen muss die Grenzen dafür setzen; aber die Maßnahmen müssen auch wirklich dazu geeignet sein, Stabilität zu erreichen. Da kann es sein, dass Kompetenzen auf eine andere Ebene übertragen werden. Sie dürfen aber nur dann übertragen werden, wenn wirklich sichergestellt ist, dass die Stabilitätskriterien damit besser und verbindlicher eingehalten werden, als das bisher der Fall war. Vor diesem Hintergrund ist das alles zu prüfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es gibt natürlich – das ist mir ein ganz besonders wichtiges Anliegen – noch eine Frage. Ich dachte eigentlich, diese sei mittlerweile durch die vielen Diskussionen bei uns und auch in Europa auf die Seite gelegt. In dem Bericht aber, der heute diskutiert wird, ist wieder die Rede von gemeinschaftlicher Haftung. Meine Damen und Herren, das war und ist auch heute noch nicht das richtige Mittel, um die Probleme zu lösen, und zwar deshalb nicht, weil dann jeder Druck von den Krisenländern, die die Hilfen nur mit Bedingungen und Auflagen bekommen, weggenommen wird. Es wird dann von den Ländern, die ihre Reformen durchführen müssen, um wettbewerbsfähig zu werden, jeder Druck genommen. Weiter wird damit Druck von den Krisenländern genommen, ihre Haushalte zu konsolidieren. Es muss das wesentliche Ziel unserer Arbeit sein, für Stabilität und für Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen. Das kann nur in den einzelnen Ländern geschehen. Diesen Druck wegzunehmen, wäre fatal und würde dem Ziel widersprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, ich begrüße, dass die Diskussion intensiv geführt wird. Ich weiß auch die Anliegen Deutschlands bei der Bundeskanzlerin in guten Händen. Frau Bundeskanzlerin, ich möchte mich ausdrücklich für Ihre Standfestigkeit bei der Verhinderung von gemeinschaftlicher Haftung bedanken, für die immer wiederkehrende Mahnung nach Stabilität in jedem europäischen Land, aber auch für die Mahnung in Richtung Wettbewerbsfähigkeit in jedem europäischen Land; denn davon leben wir insgesamt. Europa ist mehr als derEuro, aber der Euro ist ein wichtiger Teil dieses Europas. In den letzten Monaten haben wir gesehen, dass wir gerade in dieser Krise auch ein Stück mehr zusammengewachsen sind. Das, was noch vor einigen Jahren nicht so selbstverständlich war, nämlich ein Stabilitätsbewusstsein – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin! Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): – ich bin gleich fertig –, ist in allen Herzen der europapolitisch Verantwortlichen spürbar geworden. Darauf müssen wir aufbauen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Sigmar Gabriel. Sigmar Gabriel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kauder hat vorhin meinem Kollegen Steinbrück vorgeworfen, er habe bei dem Hinweis darauf, dass die Europäische Kommission Deutschland kritisiert und aufgefordert habe, die Finger vom Betreuungsgeld zu lassen, die Europäische Kommission falsch zitiert, und ihm vorgeworfen, hier nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Ich will das gerne klarstellen, weil Herr Kauder unrecht hat. Ich weiß nicht, Herr Kauder, ob es an der Übersetzung liegt oder woran auch immer. Ich lese es Ihnen einfach vor, und ich finde, damit sollten wir dann diese Auseinandersetzung beenden. (Lachen bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das denken Sie sich! – Gegenruf des Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie können sich auch entschuldigen!) – Ja, gut. – Ich unterstelle jetzt einmal, dass Sie Englisch verstehen. Deswegen lese ich es einfach vor. Die Kommission hat in ihren länderspezifischen Empfehlungen zu Deutschland in der vom Rat gebilligten Version vom 6. Juli 2012 ausgeführt: The low full-time participation of women in the labour force is a concern. Dann heißt es dort wörtlich: Fiscal disincentives for second earners and the lack of full-time childcare facilities and all-day schools hinder female labour market participation. „Fiscal disincentives for second earners“ heißt: finanzielle Fehlanreize für Zweitverdiener. In Deutschland gibt es nur einen finanziellen Fehlanreiz für Zweitverdiener, den wir aktuell debattieren, (Widerspruch bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei!) und das ist Ihre wirklich schwierige Idee, ein Betreuungsgeld einzuführen, um Leute bzw. Frauen daran zu hindern, arbeiten zu gehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das hat die Europäische Union kritisiert. Auf diesen Beschluss vom 6. Juli 2012 hat der Kollege Steinbrück zu Recht hingewiesen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Jeder blamiert sich so, wie er kann!) Ihre Unterstellung, er habe hier die Unwahrheit gesagt, ist falsch. Ich finde die Tatsache, dass die Frau Bundeskanzlerin in der Empfehlung dem Rat zugestimmt hat, in Ordnung. Sie hat offensichtlich dieser Empfehlung der Kommission zugestimmt. Ich finde, es gibt ausreichend Gründe, die auch in Ihrer eigenen Fraktion vorgetragen werden, von diesem Unfug die Finger zu lassen. Warum ausgerechnet Sie das noch öffentlich verteidigen, ist mir, ehrlich gesagt, schleierhaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Kauder zu einer Kurzintervention. Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Kollege Gabriel, zunächst einmal finde ich es bemerkenswert gerade aus Ihrem Munde und aus Richtung der SPD, dass der sogenannte Zweitverdiener immer automatisch eine Frau sein soll, wie Sie es gesagt haben. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das finde ich ausgesprochen bemerkenswert. (Sigmar Gabriel [SPD]: Das sagt die Kommission! Sie haben es wieder nicht gelesen! Ich habe es zitiert! Sie können kein Englisch!) Jetzt zum Text. Wir sind uns einig, dass hier im Deutschen Bundestag bei der Beratung von Vorlagen der deutsche Text verwendet wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Denn noch immer ist die Sprache im deutschen Parlament Deutsch. Jetzt will ich Ihnen vorlesen, was dort steht, damit das klar ist: … die fiskalischen Fehlanreize für Zweitverdiener abschafft und die Zahl der Ganztagskindertagesstätten und -schulen erhöht. (Sigmar Gabriel [SPD]: Sie machen das Gegenteil!) Jetzt kann ich nur sagen: Wenn ein Kanzlerkandidat unter fiskalischen Fehlanreizen für Zweitverdiener ausschließlich das Betreuungsgeld versteht, dann ist er sowieso fehl am Platz. Das ist eine unglaubliche Interpretation. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Steinbrück hat gesagt, dass das Betreuungsgeld kritisiert wird. Das steht nicht drin. Ich rate dringend für die Zukunft, sich präzise an das zu halten, was kommt. Zitate müssen stimmen. Bei Ihnen haben sie nicht gestimmt, Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Sigmar Gabriel [SPD]: Stimmt nicht!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Hermann Otto Solms hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie die Weiterentwicklung von Europa heute in so klarer und präziser Form geschildert und an die Grundprinzipien erinnert haben, auf deren Basis wir Europa weiterentwickeln wollen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dazu gehört insbesondere die demokratische Legitimation der zuständigen Institutionen und Körperschaften. In diesem Zusammenhang will ich daran erinnern, dass das Bundesverfassungsgericht uns erst vor kurzem daran erinnert und angemahnt hat, dass über die Haushaltsmittel bzw. die Steuermittel in Deutschland der Bundestag alleine zu entscheiden hat. (Beifall bei der FDP) Wenn jetzt die Finanztransaktionsteuer in die Diskussion eingeführt wird, mit der ein europäischer Fonds möglicherweise finanziert werden soll, dann will ich daran erinnern, dass dies aus unserer Sicht auf keinen Fall ein Einstieg in eine Europasteuer ist. Das kommt überhaupt nicht infrage. (Beifall bei der FDP) Das Geld der Finanztransaktionsteuer steht dem Haushalt zur Verfügung, und der Deutsche Bundestag entscheidet darüber, wie dieses Geld eingesetzt wird. Wenn die Mittel des Strukturfonds und Kohäsionsfonds in Europa, die teilweise nicht sehr gut eingesetzt worden sind, neu ausgerichtet werden und in vernünftige Projekte eingeführt werden, dann ist das eine gute Idee. Die Finanztransaktionsteuer im Übrigen – daran will ich auch erinnern – ist an bestimmte Bedingungen gebunden, denen wir, die Fraktionen, alle zugestimmt haben. Sie soll nämlich nicht die Kleinsparer und die Altersversorgung der Riester-Rentner belasten, sie soll auch nicht die Finanzierung des deutschen Mittelstandes belasten, und sie soll den deutschen Finanzplatz im Wettbewerb mit internationalen Finanzplätzen nicht zurücksetzen. Dann bin ich gespannt, wie der Inhalt dieser Steuer aussehen wird. Im Übrigen haben Sie daran erinnert, dass die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft gelten sollen, dass mehr Wettbewerb in Europa organisiert werden muss, dass das Prinzip der Subsidiarität endlich auch stärker berücksichtigt werden muss, dass Hilfen gewährt werden, die aber strikt an Konditionen gebunden sind. Es muss bei dieser Konditionalität bleiben. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass auch die FDP niemals den Austritt von Griechenland gefordert hat. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen!) Was wir gefordert haben, ist, dass Griechenland die von ihm selbst zugesagten Bedingungen auch erfüllt; denn wenn es das nicht tut, geraten wir selbst in Glaubwürdigkeitskonflikte gegenüber unseren Steuerzahlern in Deutschland. (Bettina Hagedorn [SPD]: Dafür brauchen Sie Griechenland nicht, das schaffen Sie gut ganz alleine!) Wir stellen Milliarden für Griechenland zur Verfügung; aber wir wollen, dass das Geld auch vernünftig eingesetzt wird und dazu führt, dass die Wirtschafts- und Leistungskraft von Griechenland in Zukunft gestärkt wird, und dass das Geld nicht zweckentfremdet eingesetzt wird. Schließlich gilt das Prinzip des Verbots der Haftungsvermischung. Es muss das Grundprinzip unserer Rechtsordnung gelten, dass jeder für sein Handeln verantwortlich ist und zur Verantwortung gezogen werden kann. Dies gilt für den einzelnen Bürger genauso wie für den Staat und die Staaten. Deswegen kann es keine Euro-Bonds oder andere Formen der Haftungsvermischung geben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Herr Kollege Steinbrück, Sie haben ja neulich in einer Pressekonferenz einen großen Aufschlag zur Regulierung der Finanzmärkte gemacht. Die Zielsetzung ist in Ordnung; damit sind wir völlig einverstanden. Ich habe mir die einzelnen Vorschläge angeschaut und habe festgestellt, dass etwa 80 Prozent dieser Vorschläge bereits realisiert sind (Peer Steinbrück [SPD]: Unsinn! Stimmt nicht! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wunschdenken!) oder sich auf dem Weg der Realisierung befinden und dass dann als origineller Vorschlag nur noch die Frage des Trennbankensystems übrig bleibt. Dies ist, wie Sie ja auch selbst wissen, in der Fachwelt höchst umstritten. Ich will gar kein Urteil darüber fällen; aber das ist jedenfalls ein sehr umstrittener Vorschlag. Damit werden Sie keine großen Punkte machen können. Für uns ist jedenfalls wichtig, dass es auch in Deutschland handlungsfähige, funktionsfähige Banken geben muss, die den deutschen Mittelstand bei einer Internationalisierung auch im Ausland begleiten können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist die Aufgabe der Banken, und diese Zielsetzung darf in keinem Fall eingeschränkt werden. Die Bankenunion und die Aufsicht der Banken in Europa sind richtig. Aber sie muss so organisiert werden, dass sie auch funktioniert. Jeder in diesem Hause weiß: Eine neue Bankenaufsicht aufzubauen, geht nicht von heute auf morgen. Da brauchen Sie viel Sachverstand und qualifizierte Menschen; das dauert Jahre. Deswegen, meine ich, sollte die Aufsicht so organisiert werden, dass sie mit den nationalen Aufsichten eng zusammenarbeitet und dass die europäische Bankenaufsicht im Zweifelsfall eben den einzelnen Konfliktfall an sich ziehen kann, aber nicht generell für alle Banken zuständig ist. Das kann man auch nicht daran bemessen, ob eine Bank systemrelevant ist oder nicht. Wenn Sie an die spanischen Sparkassen denken, werden Sie feststellen, dass sie genauso Gegenstand der Überprüfung der europäischen Bankenaufsicht sein können wie eben Großbanken, die tatsächlich systemrelevant sind. Das muss man dann im Einzelfall entscheiden können. Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion setzt sich entschieden dafür ein, in Europa voranzukommen und ein gemeinschaftliches Europa weiterzuentwickeln, aber grundsätzlich auf der Basis der demokratischen Legitimation. Da gibt es noch erhebliche Defizite, die zu beseitigen sind. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Norbert Barthle hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Norbert Barthle (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir befinden uns jetzt im Vorfeld des Europäischen Rates wieder in der Situation, uns ernsthaft mit dem Thema Europa auseinandersetzen zu müssen. Nach wie vor müssen wir einerseits kurzfristige Stabilisierungsmaßnahmen ergreifen – ich denke an Griechenland, ich denke an Spanien –, andererseits aber auch grundsätzliche, weitreichende Weichenstellungen für die Zukunft der Europäischen Union und der Euro-Zone vornehmen. Lassen Sie mich deshalb drei kurze Anmerkungen machen. Erstens. Es ist gerade in diesen aufgeregten Zeiten immer gut, sich zu vergewissern, was unsere Grundpositionen sind. Sie lauten für mich eindeutig: Alle Mitgliedstaaten sind aufgefordert, solide zu wirtschaften und ihre Volkswirtschaft wettbewerbsfähig aufzustellen. Wir brauchen ein vernünftig reguliertes Finanzsystem, um Exzesse in jede Richtung vermeiden zu können. Unsere Banken sind Voraussetzung für funktionsfähige Märkte, sind der Schmierstoff für eine wachsende Wirtschaft, für wettbewerbsfähige Staaten. Daran darf man nicht rütteln. Deshalb appelliere ich vor allem an die Opposition, von eventuellen Überlegungen, einen Anti-Banken-Wahlkampf zu führen, Abstand zu nehmen. Wer das macht, schadet nicht nur der Wirtschaft, sondern auch dem europäischen Gedanken. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Die Politik hat mit dem ESM und mit dem Fiskalvertrag grundsätzliche Bausteine für die Stabilitätsarchitektur in Europa geschaffen. Wir sind mit der Finanzmarktregulierung schon ein ganzes Stück vorangekommen. Deshalb kann man feststellen, dass diese Koalition, die Koalition aus CDU, CSU und FDP, der Motor für die Stabilisierung Europas ist. Daran soll auch künftig nicht gerüttelt werden, dabei soll es auch bleiben. Das hat uns, nebenbei gesagt, auch der Weltwährungsfonds in Tokio bestätigt, der von „significant progress“, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist ja Englisch!) von signifikanten Fortschritten in Europa – ich habe wörtlich zitiert –, gesprochen hat. Signifikante Fortschritte sind erzielt worden, und das war das Ergebnis der Arbeit dieser Koalition, meine Damen und Herren. Da brauchen wir auch keine Ratschläge von der Opposition, die hier mit der Attitüde – Herr Kollege Steinbrück, erlauben Sie mir diese Anmerkung – eines etwas arrogant wirkenden Besserwissers vorgetragen werden; (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das tut weh!) denn wer nur darstellt, was man in der Vergangenheit vielleicht hätte besser machen können, anstatt zu sagen, wohin man in Zukunft gehen muss, der verfehlt eigentlich sein Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn Sie sich als ehemaliger Finanzminister hier hinstellen und sagen, eigentlich müssten wir doch unsere Ziele, was die Konsolidierung anbelangt, viel schneller erreichen, dann rate ich Ihnen: Wenden Sie sich an Ihre eigenen Haushälter. Ich bin gespannt auf die Einsparvorschläge. Bei der Infrastruktur und den Investitionen können wir nicht weiter sparen. Wo es noch Spielräume gäbe, das wäre im sozialen Bereich. Da bin ich einmal gespannt auf Ihre Vorschläge. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wie wäre es denn mit dem Betreuungsgeld? – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Haben Sie schon mal was von höheren Einnahmen gehört? – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Steuererhöhung ist immer eure Lösung! Sagen Sie es doch!) Zweitens. Wir brauchen für die Zukunft Europas weitere Korrekturen an den Fundamenten unserer Währungsunion. Dazu trägt der jetzige Rat mit Sicherheit bei, vor allem dann bis Ende des Jahres. Unsere Positionen sind ganz klipp und klar: keine systematische Vergemeinschaftung von Schulden, keine Euro-Bonds, keine Altschuldentilgungsfonds. SPD und Grüne klatschen immer Beifall, wenn sie den Begriff Altschuldentilgungsfonds hören. (Beifall des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD]) Die Position muss klar sein: Ein Altschuldentilgungsfonds darf niemals dazu führen, dass man den Ländern, die ohnehin über eine überhöhte Verschuldung klagen, die Möglichkeit eröffnet, erneut Schulden aufzunehmen. Das wäre der falsche Weg; er führt in die Irre. Deshalb sind wir an dieser Stelle sehr zurückhaltend. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Haben Sie schon mal den Sachverständigenrat gehört?) Wir sind der Meinung: Die Euro-Zone muss handlungsfähig bleiben. Deshalb darf es auch nicht sein, dass einige wenige Staaten dauerhaft wichtige Projekte, die zur Stabilität beitragen, blockieren können. Deswegen braucht es neue Regelungen. Man hat immer wieder den Eindruck: Auf den Gipfeln vereinbart man donnerstags und freitags gute Beschlüsse, schließt man gute Verträge, aber kaum ist der eine oder andere montags zu Hause, dann überlegt er, wie er um die Regeln herumkommt. Das ist in der Vergangenheit unter Rot-Grün mit den Maastricht-Kriterien passiert. So etwas darf es in Zukunft nicht mehr geben. Auch dafür müssen wir Vorkehrungen treffen. Wenn es dann noch gelingt, für entsprechende Kon-trollmechanismen eine stärkere demokratische Legitimation einzubauen, dann kommen wir tatsächlich weiter. Dabei kommen wir sehr schnell zur Frage der nationalen Haushalte und zum Budgetrecht des Bundestages. Meine Damen und Herren, wir haben mit dem Europäischen Semester beschlossen, dass Haushalte bereits im Entwurfsstadium nach Brüssel gemeldet werden. Das ist gut und richtig, und das haben wir alle beklatscht. Es entsteht jedoch die Frage: Was geschieht dann? Werden die Haushalte nur zur Kenntnis genommen, oder gibt es tatsächlich jemanden, der die Gelbe oder die Rote Karte ziehen kann, wenn ein nationaler Haushalt aus dem Ruder läuft und Korrekturnotwendigkeiten entdeckt werden? Eine solche Person müssen wir auf europäischer Ebene demokratisch legitimieren, damit sie die Gelbe oder die Rote Karte ziehen und sagen kann: Freunde, ihr müsst noch einmal darüber nachdenken, ob ihr auf dem richtigen Weg seid. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Wie wollen wir dann unsere Budgethoheit aufrechterhalten?) Mehr Europa heißt an mancher Stelle auch: mehr Kontrolle, aber eben demokratisch legitimierte Kontrolle. Drittens. Lassen Sie mich ein kurzes Wort zur Bankenunion sagen. Unsere Bundeskanzlerin hat recht, wenn sie sagt: Zuerst braucht es eine funktionierende Aufsicht; dann kann man über alles Weitere reden. Eine Übernahme von Haftung kann nicht zuvor erfolgen, sondern erst dann, wenn es eine funktionierende Aufsicht gibt. Deshalb genügt es nicht, sozusagen auf der Überholspur irgendwelche Strukturen aufs Papier zu schreiben. Aufsichtsstrukturen müssen auch installiert werden, damit man entsprechende Vorkehrungen treffen kann. Bei Fehlentwicklungen muss eingegriffen werden können. Wir brauchen europaweit so etwas wie eine Restrukturierungsmöglichkeit, um bei Fehlentwicklungen eingreifen zu können, vor allem bei den großen, systemrelevanten Banken. Wir wollen allerdings nicht, dass national, regional oder gar lokal tätige Institute in diese Haftung einbezogen werden. Uns geht es um grenzüberschreitend tätige Großbanken, um systemrelevante Banken. „Too big to fail“ muss der Vergangenheit angehören. Dazu braucht es entsprechende Vorkehrungen. Ich freue mich, dass unsere Bundesregierung, allen voran unsere Bundeskanzlerin, in der Vergangenheit in all diesen Fragen immer mit großer Standhaftigkeit und mit großer Beharrlichkeit verhandelt hat. Das war erfolgreich, und das wird auch in Zukunft erfolgreich bleiben. Ich wünsche unserer Bundeskanzlerin für die anstehenden Verhandlungen dieselbe Standhaftigkeit und Beharrlichkeit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Klaus-Peter Flosbach hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten fünf Jahren drei Krisen erlebt: erst die Bankenkrise 2007, die Finanzkrise, 2009 die Wirtschaftskrise und Anfang 2010 den Beginn der Staatsschuldenkrise. Die meisten wissen gar nicht, dass wir, diese Koalition, erst seit drei Jahren an der Regierung sind. Wir hätten diese Probleme heute nicht, wenn nicht Mitte des ersten Jahrzehnts dieses Jahrtausends die rot-grüne Koalition den Stabilitätspakt gebrochen hätte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aha!) Herr Steinbrück hat in seiner Rede intensiv über Finanzmarktregulierung gesprochen. Wir haben in diesen drei Jahren über zwanzig Maßnahmen der Finanzmarktregulierung durchgeführt. Das Wichtigste war: mehr Eigenkapital, insbesondere bei großen Banken. Heute Nachmittag diskutieren wir über die Widerstandskraft der Banken in Deutschland und in Europa, insbesondere über die Themen Eigenkapital und Liquidität. Parallel dazu diskutieren wir über die Regulierung von Hedgefonds. Parallel dazu diskutieren wir über eine Regulierung außerbörslich gehandelter Derivate. Wir in Deutschland sind die Ersten, die ein Restrukturierungsgesetz verabschiedet haben – mit einer Bankenabgabe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir sind die Ersten mit einer Regulierung des Hochgeschwindigkeitshandels. Wir sind die Ersten mit dem Verbot der sogenannten ungedeckten Leerverkäufe, der Spekulationsgeschäfte. Wir sind auch die Ersten mit einer neuen Regelung der Honorarberatung. Wir haben den Anlegerschutz verbessert. Wir diskutieren auch über die europäische Aufsicht über Banken, Versicherungen und Wertpapiere, die wir auch inzwischen umgesetzt haben. Auch das Thema Schattenbanken ist aktuell in der Beratung. Ebenso ist der Vorschlag von Liikanen – Stichwort: Eigenhandel der Banken bzw. Trennbanken – in der Debatte. Herr Steinbrück, Sie haben über dieses Thema gesprochen. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf; denn Sie haben nicht mit uns über diese Themen diskutiert. Ich habe von Ihnen mehrere Reden aus dem Jahr 2009 nachgelesen. Sie haben immer über Ihre Bemühungen gesprochen, erst auf der internationalen und der europäischen Ebene und erst dann auf deutscher Ebene etwas umzusetzen. Herr Steinbrück, wir haben uns nicht bemüht, wir haben umgesetzt. Diese Regierung mit Kanzlerin Merkel und mit Finanzminister Schäuble hat in den letzten drei Jahren Maßnahmen umgesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, wir stehen vor dem Europäischen Rat. Es wird über eine einheitliche Bankenaufsicht diskutiert. Wir sprechen von der Bankenunion. Kann die Aufsicht verbessert werden? Ich bin der Meinung: Ja, die Bankenaufsicht kann verbessert werden. Das bisherige System der Regulierungsbehörde, der EBA – so heißt sie –, in Verbindung mit den nationalen Behörden ist meines Erachtens nicht ausreichend. Ich denke, eine europäische Aufsicht einzurichten, die bei systemrelevanten Banken durchgreift, die international tätig sind, ist genau der richtige Weg. In der Startphase sind hier natürlich die nationalen Aufsichtsbehörden gefordert. Das ist meines Erachtens der richtige Ansatz. Es kann aber nicht sein, dass alle Banken einer europäischen Aufsicht unterstehen. Es gibt das Prinzip der Subsidiarität – Frau Hasselfeldt hat es gerade noch einmal deutlich dargestellt –, das besagt: Was vor Ort geregelt werden kann, muss auch vor Ort geregelt werden. Deswegen kann ich nicht akzeptieren, dass zum Beispiel Volksbanken, die vor Ort tätig sind, der Aufsicht von Europa unterstehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sparkassen!) Nein, überall dort, wo es systemische Risiken gibt, muss es selbstverständlich eine europäische Aufsicht geben, ansonsten ist die Aufsicht vor Ort zu regeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Rolle der europäischen Aufsicht soll die Europäische Zentralbank übernehmen. Das ist natürlich eine neue Rolle für die Europäische Zentralbank; denn sie ist bisher ausschließlich für die Finanzmarktstabilität zuständig. In Zukunft soll sie auch eine Aufsichtsrolle übernehmen, und zwar neben der Geldversorgung. Nach wie vor ist sie für die Banken zuständig. Hier gibt es natürlich einen Konflikt. Deswegen erwarten wir, dass eine klare Trennung vorgenommen wird und dass, was die Aufsicht angeht, eine demokratische Kontrolle gewährleistet ist. Es wird viel davon gesprochen, dass schon zum 1. Januar die Bankenunion realisiert werden sollte. Nicht nur wir, sondern auch die Wissenschaft haben größte Zweifel daran. Wer marktunabhängig ist, weiß, dass das im Grunde nicht umsetzbar ist; denn es sind nur noch zwei Monate bis zum Jahresende. Wir können eine gemeinsame Bankenaufsicht nur dann akzeptieren, wenn eine spürbare Verbesserung gewährleistet ist, wenn die Zuständigkeiten geklärt sind und auch das Verhältnis von Europäischer Zentralbank zu den nationalen Aufsichtsbehörden und den europäischen Behörden geklärt ist. Es gibt den Vorwurf, dass viele dies schnell umsetzen wollen, um möglicherweise ohne Konditionen an Gelder aus dem ESM zu kommen. Deswegen fordere ich die Bundeskanzlerin auf, bei den Verhandlungen mit den Präsidenten der verschiedenen europäischen Institutionen deutlich zu machen, dass wir erst dann eine Abgabe von Souveränitätsrechten akzeptieren werden, wenn die Funktionsfähigkeit der europäischen Aufsicht gegeben ist. Auf europäischer Ebene wird bei dem Thema Bankenunion auch über das Restrukturierungsgesetz gesprochen. Wir halten das für den richtigen Weg. Banken, die in eine Schieflage geraten, müssen saniert werden, sie müssen aber auch gegebenenfalls restrukturiert oder auch abgewickelt werden können. Wir müssen in dieser Phase aufpassen, dass wir nicht Entscheidungen auf die europäische Ebene verlagern, ohne dass vorher die nationale Verantwortung dafür geprüft wurde. Wir erwarten, dass jede Bank, die in Zukunft auf europäischer Ebene geprüft wird, zunächst einen Stresstest durchläuft. Es muss deutlich gemacht werden, dass die Verantwortung für die Banken zuerst auf nationaler Ebene wahrgenommen werden muss, damit nicht einige Länder ihre Verantwortung auf Europa abschieben, um von Zahlungen befreit zu sein. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir akzeptieren keine gemeinsame Einlagensicherung. Wir haben in Deutschland ein bewährtes System mit den verschiedenen Säulen. Das hat sich bewährt. Wir sollten nicht zerstören, was sich bisher bewährt hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich kann nur sagen: Diese Regierung steht für Stabilität. Diese Regierung steht zu Europa. Deswegen wünsche ich unserer Kanzlerin viel Erfolg beim anstehenden Gipfel. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Michael Stübgen hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Michael Stübgen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit bald drei Jahren beschäftigen wir uns in diesem Bundestag regelmäßig mit der Euro-Finanzierungskrise; ich glaube, so formuliert man es am besten. Von Anfang an haben nicht nur die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen, sondern im Wesentlichen vier Fraktionen in diesem Haus immer einen doppelten Ansatz versucht. Zunächst war und ist es notwendig, dass wir direkt mit den entsprechenden Rettungsschirmen auf die Krise reagieren und Hilfsprogramme durchführen. Daran arbeiten wir seit zweieinhalb Jahren. Wir haben mit Inkrafttreten des Europäischen Stabilitätsmechanismus jetzt auch ein effizientes, effektives System geschaffen. Nach meiner Einschätzung sind die flankierenden Maßnahmen, die die Europäische Zentralbank unabhängig, von sich aus für bestimmte Instrumente vorsieht, der richtige Ansatz, um jetzt in der Krise schnell auf schlechte Entwicklungen an den Finanzmärkten und auf Entwicklungen im Zusammenhang mit der Euro-Staatenfinanzierung reagieren zu können. Allerdings haben wir uns auch von Anfang an mit dem Thema beschäftigt, dass die Ursache dieser Krise, in der wir versuchen, kurzfristig das Schlimmste zu verhindern, auch in Fehlkonstruktionen der Europäischen Union und der europäischen Strukturen liegt. Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns damit beschäftigen. Schon vor anderthalb Jahren haben wir mit dem Euro-Plus-Pakt auf Fehlkonstruktionen der Europäischen Union reagieren wollen. Das sogenannte Six-Pack – die Kanzlerin hat darauf hingewiesen –, die Schärfung der Kontrolle der Fiskalpolitik, aber auch der Wirtschaftspolitik der Euro-Länder, ist ein wichtiger Bestandteil für einen langfristigen Umbau. Wir alle wissen, dass die Europäische Union an verschiedenen Punkten noch weiter umstrukturiert werden muss. Hierüber wird der Europäische Rat heute Abend und morgen in einer Art Zwischenetappe diskutieren, jedoch noch nicht zu Endergebnissen kommen. Nach meiner Einschätzung ist das angestrebte Ziel der vier Präsidenten, die sogenannte Vier-Säulen-Struktur, der richtige Ansatz. Die vier Präsidenten haben festgestellt: Wir brauchen eine gemeinsame europäische Bankenkontrolle, wir brauchen eine europäische Fiskalkontrolle, wir brauchen eine stärkere Verzahnung der -europäischen Wirtschaftspolitik für mehr Wettbewerb und Wachstum, und wir brauchen für die neuen Instrumente und Kompetenzübertragungen an die Europäische Union eine ausreichende demokratische Kontrolle und Legitimierung. Zu einem dieser Punkte liegen uns mittlerweile konkrete Vorschläge der Europäischen Kommission, und zwar zur sogenannten europäischen Bankenkontrolle, sowie zwei Verordnungsvorschläge, einer zum Kontrollgremium und einer zur Umstrukturierung der EBA, vor. Hierzu will ich einige Punkte nennen. Ein grundsätzliches Problem besteht darin – das kann man in dem vorgeschlagenen Text leider nicht genau nachlesen –, als welches Instrument die Europäische Kommission die gemeinsame Bankenaufsicht sieht. Sie sieht diese gemeinsame Bankenaufsicht eben nicht als eine langfristige, nachhaltige Orientierung zu mehr Kontrolle der Bankenpolitiken in der Europäischen Union, sondern als kurzfristiges zusätzliches Kriseninstrument. Das erkennt man auch, wenn man sich den Verordnungsvorschlag anschaut. Dieser ist sehr kurz und knapp gefasst, geht in keinem einzigen Punkt ins Detail, soll am besten ganz schnell verabschiedet werden und am 1. Januar 2013 in Kraft treten. Wenn wir einmal annehmen, das würde funktionieren, dann wären wir spätestens Mitte 2013 in der Lage, durch den ESM – kleine Änderungen sind notwendig, so die Vorstellung der Kommission –, eine direkte Bankenrekapitalisierung vorzunehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser von der Europäischen Kommission vorgestellte Weg ist ein Holzweg. Ich kann zwar verstehen, dass krisengeschüttelte Euro-Länder natürlich überlegen, möglicherweise über diesen Umweg Rettungsmittel zu erhalten, wenn sie notleidend sind, ohne sich mit der lästigen Troika aus-einandersetzen zu müssen. Verstehen kann ich das, es wäre aber trotzdem der falsche Weg. Wenn wir auf diese Weise in die Situation kommen würden, die Kontrolle und die Konditionalität der europäischen Hilfen aufzugeben, dann beraubten wir uns der Sicherheit, dass die Gelder, die wir als Bürgschaften zur Verfügung stellen, auch zurückgezahlt werden. Das wäre ein falscher Weg. (Beifall bei der CDU/CSU) Kollege Flosbach hat es angesprochen: Der Ansatz der Europäischen Kommission ist ein sehr zentraler, man kann auch sagen: zentralistischer. Nach Vorstellung der Europäischen Kommission soll die EZB in Kombination mit der EBA alle europäischen Banken am besten auf Anhieb kontrollieren, weit über 6 000. Abgesehen davon, wieweit das überhaupt möglich ist, was für ein Heer von Kontrolleuren man brauchte, um das umzusetzen, und wie lange es dauern würde, bis es effizient funktionieren kann, ist hier über eine wichtige Frage zu -entscheiden. Nach unseren Erfahrungen mit der europäischen Finanzierungskrise wissen wir, dass die systemischen Banken starke Auslöser großer Krisen sind. Systemische Banken – das wissen wir – sind durch nationale Kontrollbehörden nicht ausreichend zu kontrollieren. Also ist es wichtig, dass wir zu einer europäischen Kontrolle kommen, wobei sich aber die Europäische Zentralbank in erster Linie auf die systemischen Banken konzentriert. Allerdings muss ich einen Zusatz machen: Die Europäische Kommission liegt in einem Punkt richtig. Wir wissen aus der europäischen Verschuldungskrise und aus den Erfahrungen gerade mit der Immobilienblase in Spanien, dass es nicht nur die systemischen Banken sein müssen, die eine falsche Politik, eine geradezu abenteuerliche Kreditvergabepolitik betreiben, sondern es können – wie in Spanien über viele Jahre – auch andere sein. Insofern wissen wir: Es wird nicht ausreichen, dass eine europäische Kontrolle vor kleinen und Regionalbanken absolut haltmacht. Deswegen unterstütze ich den Vorschlag der Bundesregierung, in einem solchen Fall zu einem Einstiegsrecht der oberen Behörde zu kommen, welches klar definiert ist und nur dann wahrgenommen werden kann, wenn ein begründeter Verdacht vorliegt, dass die nationalen Kontrollen versagen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte diesen Kommissionsvorschlag für eine gute Arbeitsgrundlage. Ich denke aber, dass wir noch sehr intensiv an den Detailfragen arbeiten müssen. Wenn wir dies hin-bekommen, dann werden wir zu einer funktionierenden europäischen Bankenkontrolle kommen. Das wird nach meiner Einschätzung aber frühestens übernächstes Jahr sein und nicht schon Anfang nächsten Jahres. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, den Sie auf Druck-sache 17/11003 finden. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt. Zugestimmt hat die einbringende Fraktion. Abgelehnt wurde er von CDU/CSU und FDP. Enthalten haben sich Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 d sowie den Zusatzpunkt 2 auf: 5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Willi Brase, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Jugendliche haben ein Recht auf Ausbildung – Drucksache 17/10116 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes Alpers, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Perspektiven für 1,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss schaffen – Ausbildung für alle garantieren – Drucksache 17/10856 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Brigitte Pothmer, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit DualPlus mehr Jugendlichen und Betrieben die Teilnahme an der dualen Ausbildung ermöglichen – Drucksache 17/9586 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 2012 – Drucksache 17/9700 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Schummer, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heiner Kamp, Dr. Martin Neumann (Lausitz), Sylvia Canel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Das deutsche Berufsbildungssystem – Versicherung gegen Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel – Drucksache 17/10986 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Hierzu ist es verabredet, eineinhalb Stunden zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Willi Brase hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Willi Brase (SPD): Frau Präsidentin! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute über die Ausbildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben wie immer einen gelungenen und guten Berufsbildungsbericht, der die -Situation anhand von Zahlen verdeutlicht. Wenn wir gleich hören werden, dass alles wunderbar ist, dass wir sehr viele Ausbildungsplätze haben, aber angeblich nicht genügend Auszubildende, nicht genügend Jugendliche, die ausbildungsreif sind, so verweise ich auf die BIBB-Studie, die feststellt: Das, was wir derzeit zahlenmäßig am Ausbildungsmarkt erleben, ist auch ein Produkt der demografischen Entwicklung und weniger ein Produkt der Regierungspolitik von Rot-Grün. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – -Lachen des Abg. Patrick Meinhardt [FDP]) Wir haben derzeit 50 Prozent der jungen Leute in -dualer Ausbildung, 20 Prozent in schulisch-beruflicher Ausbildung nach Landesrecht und 30 Prozent im Übergangssystem. Wir von der SPD sind der Meinung, dass das, was derzeitig im Übergangssystem abläuft, nicht mehr ertragbar ist und die Aktivitäten, die im Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland beschlossen wurden, ungenügend, teilweise sogar gar nicht umgesetzt wurden. Es ist zu kritisieren, dass sich die Bundesregierung im Pakt zwar verpflichtet hat, ihren Wust an Maßnahmen im Übergangssystem ein Stück weit zu durchforsten, dass aber als Ergebnis he-rausgekommen ist: Wir können nichts ändern, aber wir wollen das zukünftig bei neuen Maßnahmen ein bisschen berücksichtigen. – Das ist absolut mangelhaft. Wir wissen, dass die Vielfalt der Maßnahmen im Übergangssystem zu groß und daher nicht hilfreich ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da verweise ich doch gerne auf neun Bundesländer, die 2009 die Initiative „Übergang mit System“ gestartet haben. Die Bertelsmann-Stiftung – keine Kaderschmiede der SPD – hat diesen Prozess begleitet und festgestellt: Wenn wir dieses Übergangssystem mit der Vielfalt an Aktivitäten auf kommunaler, auf Landes- und auf Bundesebene und teilweise EU-finanziert weiterführen, werden wir auch noch 2025 230 000 junge Leute mehrjährig in diesem Übergangssystem vorfinden. Das ist verkehrt und falsch. Wir müssen schauen, dass wir von diesem System wegkommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie, die Vertreter der Bertelsmann-Stiftung, haben weiter überlegt: Wie können wir unsere Forderung „Kein Abschluss ohne Anschluss“ auf den Weg bringen? – Sie sagen: Würden wir sozusagen eine Ausbildungsgarantie für die jungen Leute aussprechen, dann könnten wir nicht nur real Geld sparen – das Übergangssystem kostet mittlerweile 6 Milliarden Euro jährlich und ist insofern höchst ineffizient –, sondern langfristig auch 150 000 oder 160 000 junge Menschen direkt und besser qualifizieren und in Ausbildung bringen. Ich möchte an dieser Stelle die Bundesregierung auffordern, diesen Prozess zu unterstützen, damit die Vielfalt der Maßnahmen in diesem System endlich verringert wird. Es ist völlig falsch, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir von Ausbildungsgarantie sprechen, dann sagen wir als SPD: Ja, wir wollen das machen, was diese neun Bundesländer ein Stück weit – übrigens werden alle farbenmäßig völlig unterschiedlich regiert – auf den Weg bringen wollen. Wir wollen, dass das duale System weiter ausgebaut wird. Ich sagte eingangs, dass sich 50 Prozent der Auszubildenden im dualen System befinden. Dieser Anteil müsste gesteigert werden. Schließlich gibt es immer noch genügend Betriebe, die zwar die Ausbildungsfähigkeit besitzen, aber nicht ausbilden. Insofern erwarten wir auch vom Nationalen Pakt Initiativen, damit mehr Betriebe dazu gebracht werden, sich an der dualen Ausbildung zu beteiligen. Das geht nicht mit Schönwetterreden. Da muss man teilweise auch Druck machen. (Beifall bei der SPD) Also, diese Ausbildungsgarantie ist machbar. Wenn diese im dualen System allerdings nicht unterzubringen ist, dann sind wir für eine staatlich finanzierte Ausbildungsunterstützung. Das kann im vollzeitschulischen Bereich sein. Das kann bei den ÜBSen sein. Das kann bei den Berufsbildungszentren sein, und das kann auf der Grundlage BBiG, Handwerksordnung oder möglicherweise auch Landesrecht geschehen. Das ist für die jungen Menschen allemal besser, als ein, zwei oder drei Jahre im Übergangssystem zu verweilen. (Beifall bei der SPD) Wenn das nicht reicht, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dann müssen wir uns um die kümmern, die tatsächlich Probleme haben und möglicherweise noch nicht die nötigen Fähigkeiten und Kompetenzen besitzen, um in Ausbildung zu gehen. Da erachte ich die Einführung einer „Einstiegsqualifizierung Plus“ als weiteres Segment der Abqualifizierung oder der weiteren Austarierung als völlig falsch. Es reicht völlig aus, die Einstiegsqualifizierung zu nehmen und diese Einstiegsqualifizierung nur bei den Jugendlichen, die diese benötigen, und nicht bei den sogenannten Marktbenachteiligten vorauszusetzen. Das ist der falsche Weg. Wenn die Wirtschaft wirklich im Sinne von Fachkräfteentwicklung Leute braucht, dann muss man den Weg gehen, dass man auch den Marktbenachteiligten hilft. Zur Not müssen wir auch die Hürden der Einstiegsqualifizierung erhöhen, aber wir sollten nicht „Einstiegsqualifizierung Plus“ einführen. Das ist der falsche Weg. (Beifall bei der SPD) Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, weil dieser zunehmend eine Rolle spielt. Das ist die Qualität und die Qualitätsentwicklung in der beruflichen Bildung. Wenn es richtig ist, Frau Ministerin, dass der Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs diesen Punkt als wesentlichen Aspekt enthält, dann darf man auch einmal nachfragen, was wir mit den 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsabschluss machen. Ich meine diejenigen, die weder eine duale Berufsausbildung noch eine Ausbildung nach Landesrecht noch eine Assistentenausbildung oder einen Hochschulabschluss haben. Was machen wir mit denen? Wie packen wir die an? Das sind 1,5 Millionen. In der Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen sind es sogar 2 Millionen. Das heißt, wir haben eine Menge Leute, die nicht qualifiziert sind. Wir brauchen endlich konzeptionelle Vorschläge, wie wir diesen Menschen über das SGB III oder das SGB II – eventuell benötigen wir dafür Steuermittel – eine Chance geben können. Wir wissen alle: Wer nicht qualifiziert ist, geht in den Niedriglohnbereich. Ich spare mir jetzt einen Debattenbeitrag dazu. Im Niedriglohnbereich verdient er aber nicht viel, und im Alter muss er Grundsicherung bekommen. Das ist doch „linke Tasche – rechte Tasche“. Das bringt doch nichts. Legen Sie ein gutes Konzept vor, wie wir diese hohe Zahl von 1,5 Millionen Menschen ein Stück weit verringern können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die DGB-Jugend befragt alljährlich – auch dieses Jahr wieder – die an der dualen Ausbildung Beteiligten, vor allen Dingen die Auszubildenden, wie sie die Qualität ihrer Ausbildung einschätzen. Es verwundert die Fachleute nicht, dass dabei herauskam, dass der Bereich Hotel und Gaststätten allergrößte Probleme hat. Gleichzeitig diskutieren wir – ich bin auch Mitglied im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – über die Weiterentwicklung des Tourismus. Dazu sage ich: In diesem Bereich müssen schnell Maßnahmen ergriffen werden. Die Abbrecherquote ist hoch. Zwischen 40 und 50 Prozent der Ausbildungsverträge werden aufgelöst. Zwischen 20 und 25 Prozent der Ausbildungsplätze sind unbesetzt. Ich will darauf hinweisen – damit will ich nicht Werbung machen, sondern verdeutlichen, dass manches, was wir hier beschlossen haben, durchaus Sinn hatte –, dass sich im Kammerbezirk meines Wahlkreises Siegen-Wittgenstein Vertreter der Gewerkschaften, der Kammer und der Betriebe zusammengesetzt haben, um die Frage zu klären, wie man diese schwierige Situation verändern kann. Ich sage nichts zu dem Prüfungsergebnis; denn das wäre schon fast peinlich. Die Frage ist: Wie können wir diese Situation ändern? Im Jahr 2005 haben wir mit der Reform des BBiG den örtlichen Berufsbildungsausschüssen mehr Aufgaben gegeben und sie beauftragt, sich um die Qualität zu kümmern. Ich kann nur jeder und jedem empfehlen, vor Ort zu schauen, wie es um die Qualität bestellt ist. Ausbildungsmärkte sind regionale Märkte. Manchmal müssen sich auch die Kammern bewegen. Manchmal müssen sie auf Unternehmen zugehen und Druck machen, damit die Ausbildung besser wird. Schauen Sie sich den Ausbildungsreport 2012 der DGB-Jugend an. Darin steckt eine Aufforderung, darüber zu diskutieren, wie wir die Qualität im Bereich der beruflichen Bildung verbessern können. Wenn die Fachkräftediskussion einen Sinn haben soll, dann müssen wir bei der Qualität ansetzen. Dann dürfen Überstunden, schlechte Bezahlung, schlechte Arbeitsbedingungen usw. usf. nicht auf der Tagesordnung stehen. Dann muss die duale Ausbildung auch ein hohes Maß an Qualität aufweisen. Dann ist sie vertretbar, und dann lässt sie sich auch im Ausland gut verkaufen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Annette Schavan. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die berufliche Bildung, die duale Ausbildung erfahren international derzeit eine Zustimmung und Akzeptanz wie nie zuvor. Das hat zwei Gründe: Der eine ist die hohe Arbeitslosigkeit unter jungen Leuten, und zwar nicht nur in europäischen Ländern. In vielen Regionen der Welt besteht die Gefahr, dass ein akademisches Proletariat entsteht. Der zweite Grund hängt mit der Frage zusammen, wie es angesichts des raschen technologischen Wandels und der raschen Entwicklung des Selbstverständnisses und der Anforderungen der Unternehmen gelingen kann, die richtigen Fachkräfte zu bekommen. Angesichts dessen sagen Kollegen aus Europa, aus Südamerika, aus Indien, aus China und vielen anderen Ländern: Wir wollen diese starke Seite des Bildungssystems in den deutschsprachigen Ländern einführen. Deshalb werden wir eine europäische Berufsbildungskonferenz in Berlin durchführen. Wir wollen uns nicht nur mit der Frage beschäftigen, wer aus anderen Ländern kurzfristig nach Deutschland kommen kann, um hier ausgebildet zu werden, sondern wir wollen uns auch mit der Frage beschäftigen, wie die Bildungssysteme und Lernkulturen in anderen Ländern durch die Zusammenarbeit verschiedener Akteure und mithilfe eines großen Einsatzes der Unternehmen weiterentwickelt werden können. Es stimmt, was im BIBB-Bericht steht, also im Bericht des Bundesinstituts für Berufsbildung: Die jetzige Entwicklung hat mit der demografischen Veränderung zu tun. Lieber Herr Brase, Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass die guten Zahlen nicht nur das Ergebnis rot-grüner Regierungspolitik sind; da stimme ich Ihnen sofort zu. Das Ergebnis nur unserer Regierungspolitik sind sie aber auch nicht. Weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün ist ausschlaggebend. Aber unterschätzen wir nicht das, was diese Bundesregierung seit 2005 gerade im Blick auf -benachteiligte Jugendliche, gerade im Blick auf die Weiterentwicklung der beruflichen Bildung auf den Weg gebracht hat. Ohne kluge Politik entwickelt sich Berufsbildungspolitik nicht weiter. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damit komme ich zu den Fakten. Die Zahl der Ausbildungsverträge hat sich bundesweit um 10 000 erhöht. Entsprechend ist die Zahl derer, die unversorgt sind, deutlich zurückgegangen. Verglichen mit 2010 gibt es einen Rückgang um 10 000 bzw. 5,7 Prozent. In dieser Gruppe sind jetzt noch rund 174 000. Das ist die Gruppe, die Sie unter anderem angesprochen haben, um die wir uns besonders kümmern. Man muss allerdings auch sagen: Allein in den letzten vier Jahren ist diese Gruppe um 100 000 zurückgegangen. Der Rückgang um 100 000 im Übergangssystem ist nicht Konsequenz der demografischen Entwicklung, sondern Konsequenz zahlreicher Maßnahmen mit vielen Akteuren. Dazu gehört unter anderem der Ausbildungspakt der Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Zahl der Eintritte in das Übergangssystem ist um 8 Prozent gesunken. Auch das ist interessant, Herr Brase: Die Zahl derer, die in das Übergangssystem gekommen sind, ist seit 2005 um knapp 30 Prozent gesunken. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich. Wir haben eine Verbindung von richtigen Maßnahmen. Dies gilt übrigens auch beim Einstieg. Ich halte die Initiative „EQ Plus“, die im Rahmen des Paktes vereinbart worden ist, für nicht so schlecht. Wir müssen immer wieder über Maßnahmen nachdenken, mit deren Hilfe die, die sich schwertun, den Einstieg schaffen, nicht, um dann niedriger qualifiziert zu werden, sondern um erfolgreich den Einstieg zu schaffen und über die zweijährige in die dreijährige Ausbildung zu kommen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die richtigen Maßnahmen, die richtigen Weichenstellungen und die demografische Entwicklung zu einem deutlichen Abbau des Übergangsbereichs in den nächsten Jahren führen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schließlich noch etwas zur Gruppe der Ungelernten; auch diese hat Herr Brase angesprochen. Ich nenne jetzt einmal die Altersgruppe 20 bis 24 als Beispiel. (Katja Mast [SPD]: Bis 29!) Man kann nicht einfach warten, bis sie irgendwo eine Chance bekommen. Deshalb erinnere ich an die Förderinitiative „Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“. Da wird übrigens deutlich, dass gerade im Bereich der Nachqualifizierung die Möglichkeiten, Module anzubieten, eine hohe Bedeutung haben. Das gilt für den Weiterbildungsbereich, aber auch für den Nachqualifizierungsbereich. Das Programm „Perspektive Berufsabschluss“ des BMBF zeigt gute Quoten; auch in dieser Gruppe gibt es einen Rückgang. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet bis zum Jahr 2025 mit einem Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen um 6,5 Millionen. Natürlich sind diese Prognosen über unsere Bevölkerungsentwicklung ein ganz wesentlicher Grund dafür, dass wir sagen: Wir müssen erreichen, dass die Unternehmen in unserem Land Fachkräfte bekommen. Aber ich füge hinzu: Für mich sind die Zukunftschancen der jungen Generation nach wie vor die allererste Motivation in der Berufsbildungspolitik. Das muss Markenzeichen unserer Politik sein, und das ist Markenzeichen unserer Politik. Wir müssen Sorge dafür tragen, dass junge Leute in Deutschland Zukunftsperspektiven haben. Die Erfahrungen, die wir gesammelt haben, müssen auch in einen Prozess der internationalen Weiterentwicklung der Bildungssysteme einfließen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aufgrund der demografischen Entwicklung gibt es zusätzlichen Reformbedarf. Die Stichworte hier sind: Ausbildung in der Fläche, Berufsgruppen. Wer berufliche Schulen und Ausbildungsbetriebe besucht, der weiß, dass es für die Ausbildungsbetriebe wichtig ist, dass die Ausbildung in der Nähe des Betriebes stattfindet. Aber bei immer mehr klassischen Berufsbildern müssen die jungen Leute viele Kilometer fahren, um überhaupt noch beschult zu werden. Deshalb werden wir den Prozess der Bildung von Berufsgruppen im Zuge der Neuordnung von Berufsbildern deutlich voranbringen. Wir werden Sorge dafür tragen, dass attraktive Bildungs- und Berufsperspektiven damit verbunden sind. Berufsfamilie oder Berufsgruppe – wie man es nennt, ist mir egal – heißt auch: Jetzt haben wir die Chance, dass bei Neuordnungen, bei Weiterentwicklungen noch stärker definiert wird: Welchen Grundbestand an Kompetenzen haben wie viele Berufe? Nehmen Sie etwa den Bäcker, den Konditor oder den Speiseeismeister. Was ist das gemeinsame Fundament? Wie kann eine Berufsfamilie aussehen? Was sind Module für Spezialisierung? Das beinhaltet auch neue, zusätzliche Perspektiven, weil der, der das eine Modul belegt hat, in der Lage ist und die Möglichkeit hat, im Laufe seines Berufslebens weitere Module hinzuzunehmen. Die Debatte über Modularisierung werden wir also ganz anders führen als vor einigen Jahren. Da bestand die Gefahr, dass junge Leute bei Modularisierung zu früh abspringen und nicht eine wirklich qualifizierende Ausbildung erhalten. Heute ist der Begriff „Modularisierung“ auch bei den Sozialpartnern sehr viel mehr mit Weiterentwicklungsperspektiven verbunden. Damit müssen wir zügig vorangehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schließlich war ein ganz wichtiger Punkt – das merke ich überall, vor allem im Handwerk, aber auch bei den Industrie- und Handelskammern –: Die Gleichsetzung des Technikers und des Meisters mit dem Bachelor ist im deutschen Qualifikationsrahmen ein unglaublich wichtiges Symbol gewesen. Die symbolische Wirkung ist noch viel höher als das, was damit an Philosophie der Berufsbildungspolitik tatsächlich verbunden ist. Das Gleiche gilt für das Anerkennungsgesetz. Auch hier gibt es viele positive Nachrichten darüber, wie sich die Kammern vor Ort darum kümmern, dass die Anerkennungsverfahren sowie die konkreten Prozesse positiv ablaufen. Angesichts dessen sage ich: Erstens. Die Demografie wird uns vor weiteren Reformbedarf stellen. Ob man sie jetzt positiv oder negativ empfindet, ist ganz egal. Tatsache ist: Unsere Unternehmen bieten mittlerweile Ausbildungsstellen an, die nicht besetzt werden. Das macht ihnen Sorge, weil sie früher ihre Auszubildenden übernommen haben. Nun fragen sie uns, wie es noch besser gelingen kann, dass sie genügend Fachkräfte bekommen. Zweitens. Diejenigen, die im Übergangssystem sind, brauchen viele verschiedene Wege, um die Kompetenzen zu erhalten, die ihnen einen guten Einstieg in die berufliche Bildung ermöglichen. Drittens. Wir werden bei der Neuordnung nicht mehr immer mehr Spezialisierung zulassen dürfen. 360 Ausbildungsberufe sind – dies kann man sagen – ein Zeichen für unsere sehr ausdifferenzierte Landschaft. Aber es dürfen nicht mehr werden, und es muss in der großen Gruppe der 360 Ausbildungsberufe Strukturen geben, die zu deutlich mehr Berufsgruppen oder Berufsfamilien führen. Insofern mein Votum: Lassen Sie uns jetzt nicht über solch alte Klamotten wie Ausbildungsgarantie oder Umlagefinanzierung reden. Vielmehr setzen wir auf das freiwillige hochverantwortliche Engagement unserer Unternehmen. Ich möchte die Unternehmen jetzt dafür gewinnen, sich eben auch in Spanien, in Portugal, in der Slowakei, in Indien, wo Anfang November darüber beraten wird, und anderswo dafür zu engagieren. Das hilft unseren jungen Leuten mehr. Deren Zukunftschancen müssen das erste Ziel sein, das uns leitet, wenn wir über Berufsbildungspolitik sprechen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat die Kollegin Agnes Alpers für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Agnes Alpers (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Schavan, über genau diese alten Klamotten wie Ausbildungsgarantie müssen wir in Anbetracht der Probleme heute sehr wohl noch reden. Aber darauf werde ich später noch zurückkommen. (Beifall bei der LINKEN) Unsere Regierungsfraktionen sagen immer: Die Ausbildungsplatzchancen steigen. Es gibt mehr unbesetzte Stellen als Bewerberinnen und Bewerber. Das größte Problem ist, 30 000 freie Ausbildungsstellen zu besetzen. – Aber das hat nichts mit der Realität zu tun. Der Berufsbildungsbericht 2012 besagt, dass von den bei der Bundesagentur für Arbeit rund 540 000 gemeldeten Ausbildungsbewerberinnen und -bewerbern nur gut die Hälfte einen Ausbildungsplatz bekommen hat. Bei über 100 000 jungen Menschen weiß diese Agentur, wo sie verblieben sind. Aber sie haben keinen Ausbildungsplatz erhalten. Von fast 86 000 Bewerberinnen und Bewerbern weiß man nicht, was aus ihnen geworden ist. Aber auch sie haben keinen Ausbildungsplatz erhalten. Wir halten also fest: Sie zählen fast 200 000 junge Menschen in Ihrer Statistik als „vermittelt“, obwohl sie gar keinen Ausbildungsplatz erhalten haben. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Was?) Das ist doch nichts anderes als schnöde Trickserei. So etwas lassen wir Ihnen nicht durchgehen. (Beifall bei der LINKEN) Das heißt also, insgesamt befinden sich weit über 200 000 junge Menschen im Übergangssystem. 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren -haben keine Ausbildung. Rechnen wir die Menschen bis 34 Jahre hinzu, sind es sogar 2,2 Millionen. Die Linke, Frau Schavan, bleibt dabei: Setzen Sie das Recht auf Ausbildung um und führen Sie endlich die Ausbildungsumlage ein! (Beifall bei der LINKEN) Das zweite Problem. Trotz des Ausbildungspakts -bilden nur noch 22,5 Prozent der Betriebe aus. Der Grund – so die Arbeitgeber –: Nur gut die Hälfte der Betriebe darf noch ausbilden, und kleine Betriebe können ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen. – 2003, meine Damen und Herren, wurde die Pflicht, eine Ausbildereignungsprüfung vorzuweisen, aufgehoben, um zu ermöglichen, dass auch Betriebe ohne Ausbilderin oder Ausbilder ausbilden. Es wurden aber fast keine neuen Ausbildungsplätze eingerichtet. Sechs Jahre später wurde die Ausbildereignungsprüfung deshalb wieder eingeführt. Was also hindert die Betriebe tatsächlich daran, auszubilden? Arbeitgeber in kleinen Betrieben sagen mir: Der Druck ist sehr groß. Jeder Auftrag muss schnell und fachgerecht ausgeführt werden. Es gibt keine Ausbilder, oder man hat keine Zeit, um den Lehrlingen alles zu erklären und die Erklärungen zu wiederholen. Generell brächten die Azubis zu wenig Praxiserfahrung mit. – Wir Linke sagen: Kleine Betriebe müssen unterstützt werden, wenn sie eine Ausbildungsbefähigung erwerben wollen. Sie sollen gefördert werden, wenn sie erstmals einen Ausbildungsplatz schaffen oder einen zusätzlichen Ausbildungsplatz einrichten. Auch die Ausbildung im Verbund wollen wir fördern. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann können Sie ja mal mit den Gewerkschaften anfangen!) Ich selbst bilde im Bundestag eine Auszubildende aus. Sicher: Man muss sich darauf einstellen, und man muss sich umstellen. Allerdings eröffnet man einem jungen Menschen Zukunftschancen. Deshalb, meine Damen und Herren, lohnt sich Ausbildung. Als Lehrerin für 23 Ausbildungsberufe weiß ich, wie wichtig eine kontinuierliche Anbindung an den Betrieb ist. An dieser Stelle wende ich mich den Grünen zu: Mit Ihrem Konzept DualPlus propagieren Sie immer noch die flächendeckende Modularisierung der Ausbildung. Sie sehen den Vorteil darin, dass Betriebe nicht mehr die gesamte Ausbildungsverantwortung übernehmen müssen, sondern nur noch einzelne Ausbildungsbausteine anbieten. Das ist Unsinn. Denn junge Menschen, ins-besondere Menschen mit Unterstützungsbedarf, brauchen kein Modulhopping, sondern einen verlässlichen Betrieb, in dem sie handlungsorientiert lernen und kontinuierlich die Berufsbildungsreife erwerben. (Beifall bei der LINKEN) Dritter Punkt – nun zu Ihnen, Frau Schavan –: Sie erzählen uns häufig von Bildungsketten, Berufsorientierung und Einstiegsbegleitung. Dann behaupten Sie, dass der demografische Wandel die Ausbildungsprobleme von ganz allein lösen wird. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Das hat sie nie gesagt!) Auch das ist Unsinn. (Heiner Kamp [FDP]: Das sagt sie ja auch nicht!) Das Bundesinstitut für Berufsbildung sagt klipp und klar: Die Beschäftigungschancen von Menschen ohne Berufsabschluss werden sich durch die demografische Entwicklung nicht verbessern. – Eine der wichtigsten Aufgaben ist doch heute, für die 1,5 Millionen jungen Menschen ohne Berufsabschluss Perspektiven zu schaffen. Dies gilt allerdings auch im Hinblick auf die -Menschen im Übergangssystem und alle Menschen ohne Berufsabschluss. Vierter Punkt – nun zur Einstiegsqualifizierung –: Gedacht war sie, um jungen Menschen mit eingeschränkten Vermittlungsperspektiven über die Praxis im Betrieb einen Ausbildungsplatz zu vermitteln. Die Arbeitgeber erhalten dafür monatlich 216 Euro und einen Zuschuss zur Sozialversicherung. Die Praxis zeigt aber, dass nicht nur sogenannte benachteiligte junge -Menschen eine Einstiegsqualifizierung erhalten haben, sondern zur Hälfte auch junge Menschen mit mittlerem Schulabschluss und Abitur. Von all diesen jungen Menschen haben direkt nach der Maßnahme aber nur 44 Prozent einen Ausbildungsplatz erhalten. Ich frage Sie: Welche dieser jungen Menschen – die ohne Schulabschluss oder die mit Hauptschulabschluss oder die mit mittlerer Reife oder die mit Abitur? – haben die Ausbildungsstellen wohl besetzt? Fest steht jedenfalls, dass der begleitende Berufsschulunterricht, der ja keine Pflicht ist, meist nicht in Anspruch genommen wird. Es gibt häufig kein Zertifikat, also keinen Nachweis über die erworbenen Qualifikationen. Bei all diesen Mängeln verstehe ich nicht, warum die SPD die Einstiegsqualifizierung als zentrales Instrument im Übergangsbereich festschreiben will. Dennoch finde ich: Dieses Instrument kann viele Vorteile bieten, wenn es richtig ausgestaltet wird. Ich sage Ihnen: Wer eine Einstiegsqualifizierung erwirbt, der muss auch einen Ausbildungsplatz bekommen. Die Grundregel lautet für uns: Alle Maßnahmen müssen individuell auf die einzelnen Menschen abgestimmt werden und verlässlich in Ausbildung führen. (Beifall bei der LINKEN) Fünfter Punkt. Warum können bestimmte Ausbildungsplätze nicht besetzt werden? Das liegt zum einen an den regionalen Ungleichgewichten. Während beispielsweise in Bayern und an der Ostseeküste in verschiedenen Berufen Auszubildende gesucht werden, gibt es in Herford oder auch in meiner Heimatstadt Bremen mehr Bewerberinnen und Bewerber als Plätze. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Damit ist der Wahlkreis erwähnt!) Zum anderen gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen. Das Bundesinstitut für Berufsbildung geht davon aus, dass für Büroberufe auch noch im Jahre 2030 ein ausreichendes Fachkräfteangebot zur Verfügung stehen wird. Ganz anders sieht es im Hotel- und Gaststättenbereich aus. So kommen in der Gastronomie heute nur 37 Bewerberinnen und Bewerber auf 100 Ausbildungsstellen. Auszubildende im Hotel- und Gaststättengewerbe in Bremen haben mir in Gesprächen und bei meiner Befragung folgende Gründe genannt: Überstunden, ausbildungsfremde Tätigkeiten, schlechte Vermittlung der Ausbildungsinhalte, regelmäßig Arbeit nach der Berufsschule, kaum Freizeit, geringe Vergütung und geringe Wertschätzung ihrer Person. Angesichts dessen fordern wir als Linke: Die duale Ausbildung muss attraktiv bleiben. Eine hohe Qualität, eine gute Vergütung, Übernahmegarantie mit guten -Tarifen und Aufstiegsperspektiven, das schafft klare Perspektiven für all diese jungen Menschen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Recht auf Aufstieg, das ist doch Planwirtschaft! Sechster Punkt. Fachkräftesicherung durch die Integration von jungen Menschen ohne Berufsausbildung. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales schätzt die Wirksamkeit, unterschiedliche Gruppen als Fachkräfte zu mobilisieren, folgendermaßen ein: Große Chancen werden darin gesehen, die Arbeitszeiten von erwerbstätigen Frauen auszuweiten und Ältere länger in Arbeit zu halten. Mittel- und langfristig wird es aber auch sehr wirksam sein, nichterwerbstätige Mütter zu integrieren und die Bildungsangebote sowie die Angebote zur Betreuung von Kindern auszubauen. Im Gegensatz dazu stuft das Ministerium die Wirksamkeit der Anerkennung von ausländischen Abschlüssen und der Aktivierung von Langzeitarbeitslosen dafür, diese Menschen als Fachkräfte zu mobilisieren, als gering ein. Auch langfristig wird es kaum wirksam sein, Frauen für die MINT-Berufe zu interessieren. Die geringste Wirksamkeit hat die Integration von mehr Jugendlichen in die Berufsausbildung. Junge Menschen ohne Berufsausbildung müssen sich also wieder ganz hinten in der Schlange anstellen. Das ist nicht verantwortbar. (Beifall bei der LINKEN) Siebter Punkt. Ganz schlechte Perspektiven haben bei Ihrer Politik Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung und Frauen. Der Anteil aller mit Frauen abgeschlossenen Ausbildungsverträge liegt gerade noch bei 40 Prozent. Menschen mit Behinderung und Menschen mit Migrationshintergrund werden bei der Vergabe von Ausbildungsstellen oft gar nicht berücksichtigt. Nur jeder dritte Mensch mit Migrationshintergrund erhält heute einen Ausbildungsplatz – und das bei gleichen Interessen und gleichen Abschlüssen. Das ist nicht nur zu verurteilen, sondern das haben Sie auch abzustellen. (Beifall bei der LINKEN) Achter Punkt. Das große Konzept dieser Regierung heißt seit 2010: Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland. Doch hier tut sich noch immer nichts Wesentliches. Es reicht eben nicht, mit den Arbeitgebern Absichtserklärungen auf einem Stück Papier abzugeben, sondern es muss endlich verbindlich für alle Menschen ohne Berufsausbildung gehandelt werden. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Planwirtschaft!) Frau Ministerin Schavan, Sie schwadronieren (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das macht sie nun überhaupt nicht!) über das duale System in Europa, in der ganzen Welt. Garantieren Sie endlich hier allen Menschen eine gute Ausbildung! Dann wird man Ihnen auch wieder glauben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Heiner Kamp hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Heiner Kamp (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Geschätzte Kollegin Alpers, ich glaube, Sie haben heute über vieles geredet, aber nicht über die Situation am Ausbildungsmarkt, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das hat sie sehr wohl!) die sehr erfreulich ist und die in der Tat mit Herausforderungen verbunden ist, denen wir auch begegnen werden. Ich werde Ihnen dies jetzt erläutern. Ich empfehle Ihnen, gut zuzuhören. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) „Never touch a running system“: Wenn ein Motor rund läuft, empfiehlt es sich eben nicht, an den Kolben herumzuwerkeln; sonst entsteht Pfusch. Diesen klugen Rat aus Betrieb und Werkstätte sollten sich Pädagogen, Sozialwissenschaftler und Lehrer auf den Oppositionsbänken hinter die Ohren schreiben. (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) Bezwingen Sie doch einmal Ihren Drang, die Finger in das gut geölte Räderwerk unseres Berufsbildungssystems zu stecken. Sie ersparen dadurch unserem Land den erwartbaren Pfusch und Murks und sich einige Tränen der Reue. Der deutsche Motor läuft rund. Die internationalen Delegationen strömen ins Land, sie wollen „Training made in Germany“ sehen, wollen erfahren, was es heißt, wenn Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe partnerschaftlich kooperieren. Ausbildungsplatzabgabe, Ausbildungsplatzgarantie und das grüne DualPlus-Murks-Modell interessieren die Besucher aus Spanien, Italien, China und Südamerika dagegen nicht im Ansatz. Wen wundert’s! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn wir uns den Berufsbildungsbericht 2012 ansehen, so haben wir allen Grund zur Freude. Das haben die meisten eingesehen, auch die auf der Oppositionsbank. Auch in diesem Berichtsjahr hat sich die Situation am Ausbildungsmarkt wiederum weiter verbessert. Die Schulabgängerzahlen gehen zurück. Die Zahl der Bewerber ist um 2,5 Prozent zurückgegangen. Trotzdem ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 1,8 Prozent gestiegen. Ganz besonders freue ich mich darüber, dass die Zahl der betrieblichen Ausbildungsverträge um mehr als 20 000 angestiegen ist. Denn eine betriebliche Ausbildung genießt für uns gegenüber außerbetrieblichen -Modellen ganz klare Priorität. Über diese Entwicklung können junge Menschen in Deutschland zu Recht jubeln. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Erfreulich ist auch, dass die Anstrengungen zur Senkung der Zahl der Altbewerber nach Jahren endlich gefruchtet haben. Ihre Zahl ist merklich gesunken. Wir sind auf dem richtigen Weg. Liebe Frau Alpers, der Ausbildungspakt trägt Früchte. Unser Dank gilt neben den Sozialpartnern, neben den Kammern, neben den Verbänden auch unserem Bundeswirtschaftsminister Rösler, der die Weichen für die Neuausrichtung des Paktes mehr als erfolgreich gestellt hat. (Beifall bei der FDP – Zuruf von der FDP: -Guter Mann! – Willi Brase [SPD]: Brüderle hat unterschrieben! Das ist doch lächerlich!) Nicht Ausbildungsplätze wie zu Zeiten von Rot-Grün, sondern junge Auszubildende werden heute gesucht. Wer heute einen Ausbildungsplatz sucht, hat so gute Karten wie schon lange nicht mehr. Die große Stärke unserer dualen Berufsausbildung ist doch die Nähe zur betrieblichen Praxis. Sie sichert einerseits eine bedarfsgerechte und praxisnahe Ausbildung, andererseits gewährleistet sie hohe Quoten der Übernahme in Beschäftigung. Eine Ausbildung ist und bleibt die beste Garantie für gesellschaftliche Teilhabe und -Integration in den Arbeitsmarkt. Wir, Deutschland, sind in der Krise gerade deswegen so erfolgreich, weil unser System der beruflichen Ausbildung uns innovationsfähiger macht als unsere Nachbarn, denen die Brücke zwischen Berufsschule und -Betrieb fehlt. Darum ist das Handwerk in Deutschland so stark. Deswegen sind unsere mittelständischen Betriebe so innovativ. Das ist nichts Neues. Doch da meine Worte die Zweifel im Oppositionslager eventuell nicht ganz werden ausräumen können, (Heiterkeit bei der FDP) möchte ich auf den Innovationsindikator der Deutsche-Telekom-Stiftung und des BDI verweisen, der in der nächsten Woche vorgestellt wird. (Willi Brase [SPD]: BDI, das sind -Lobbyisten!) In der oberen Hälfte des Innovationsrankings finden sich vor allem Länder, die vorwiegend – wen wundert’s! – dual ausbilden. Das ist ein Beleg dafür, dass die Durchakademisierung unserer Bevölkerung nicht zwingend zum Glück und zum Wohle der Nation führt. Man blicke nur auf Finnland mit einer Jugendarbeitslosigkeit von über 20 Prozent. Mit 8,1 Prozent verzeichnete Deutschland im August 2012 die geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es hat sich ausgezahlt, dass wir nicht, wie von so vielen Visionären verlangt, die Axt an unser System der -Berufsausbildung gelegt haben. Wir sind gut damit gefahren, dass wir von den so vollmundig geforderten Experimenten abgesehen haben und die Forderung nach Auflagen, nach Zwangsmaßnahmen für Ausbildungsbetriebe abwehren konnten. Nicht zuletzt deswegen bilden sich vor den Türen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und unseres bundeseigenen Berufsbildungs-Think-Tanks BIBB lange Schlangen. Das erfolgreiche deutsche Berufsbildungssystem wird zunehmend ein Exportschlager. Da ist es ein richtiger Schritt, wenn wir beim BIBB eine Zentralstelle für internationale Zusammenarbeit einrichten. Durch seine bereits bestehenden internationalen Kooperationen ist es für diese Aufgabe mehr als gut gerüstet. Auf einem Berufsbildungsgipfel in Berlin werden wir bald gemeinsam mit mehreren unserer europäischen Partner über eine Modernisierung der beruflichen Bildung in Europa beraten. Ergebnis soll ein konkreter Fahrplan sein. Es gilt, unseren Nachbarn und Freunden zu helfen, die eigenen Bildungssysteme zu impfen und diese für spätere Krisen weniger anfällig zu machen. Es ist doch ein großer Erfolg, wenn zum Beispiel Indien auf Anregung aus Deutschland nun die Zusammenarbeit von Berufsschulzentren und Wirtschaft zulässt: ein erster Schritt in Richtung Dualität, ein wichtiger Schritt für das Bildungssystem der größten Demokratie auf unserem Globus. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Bei allem Erfolg der beruflichen Bildung in Deutschland und der weiter verbesserten Lage am Ausbildungsmarkt dürfen wir aber auch die Augen nicht vor den -Herausforderungen verschließen, die noch vor uns liegen. Zwei sind auch in diesem Berichtsjahr wieder deutlich geworden: Erstens. In einigen Regionen und Branchen haben Unternehmen zunehmend Probleme, passende Bewerber zu finden. Zweitens. Auch fällt es – natürlich – gerade den leistungsschwächeren Jugendlichen nach wie vor noch schwer, einen Einstieg in die Ausbildung zu finden. Die Initiative „Bildungsketten“ und der Ausbildungspakt sind die richtigen Antworten auf diese zwei Aspekte. Mit ihnen helfen wir leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern auf die Beine. Wir unterstützen sie und Betriebe dabei, ein echtes Ausbildungsverhältnis einzugehen. Keine Maßnahme, kein Übergangssystem, kein Tun-als-ob: Nichts ist so gut wie echte betriebliche Ausbildung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Genau deswegen nehmen wir 75 Millionen Euro in die Hand, um diese echten Ausbildungsplätze zu unterstützen; Hilfe zur Selbsthilfe und keine Dauerschleifen der Beschäftigungstherapie. Ganz anders die Opposition. Da will die SPD tatsächlich der unter Volldampf stehenden Maschine Ausbildung die Zahnräder austauschen. Trotz Ausbildungsplatzüberschuss wird nun eine Ausbildungsplatzgarantie gefordert. Was kommt als Nächstes? (Agnes Alpers [DIE LINKE]: Wo ist denn der Überschuss, Herr Kamp, bei Millionen von Menschen ohne Berufsausbildung? – Willi Brase [SPD]: Das waren doch Ihre Landesregierungen, die das gemacht haben! Informieren Sie sich mal richtig!) Strafen für Ausbildungsbetriebe, weil sie keine Auszubildenden finden? Lässt Herr Steinbrück die Kavallerie schon aufsitzen? Die Grünen üben sich dagegen wieder einmal in Zwangsbeglückung. Sie präsentieren mit ihrem Wundermodell DualPlus die Minusnummer schlechthin. Im Gespräch mit Sozialpartnern und Kammervertretern ernte ich stets Stirnrunzeln, Unverständnis, ja manchmal auch ein Schmunzeln, wenn DualPlus zur Sprache kommt. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie dabei?) Bislang ist mir noch nie ein Sachverständiger oder Experte untergekommen, der diese windigen Projekte auch nur im Ansatz für praktikabel und umsetzbar gehalten hätte. Kurzum: Wir brauchen keine Zwangsabgaben, keine Strafen für Ausbildungsbetriebe, kein schulisches Ergänzungsmodell. Wir brauchen eine vernünftige berufliche Bildung. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kurzum: Ihre Redezeit ist abgelaufen. Heiner Kamp (FDP): Lassen Sie mich ganz kurz noch auf unsere Maßnahmen und Vorschläge eingehen; dann bin ich auch schon fertig. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Nein, Herr Kollege. Sie sind jetzt schon über eine -Minute über Ihre Redezeit. Heiner Kamp (FDP): Ist es schon eine Minute? (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ja. Das müssen Sie vielleicht in den weiteren Beratungen ausführen. Heiner Kamp (FDP): Schade. – Sie können das in unserem Antrag gerne nachlesen. (Willi Brase [SPD]: Der Antrag ist schwach! Da haben Sie schon bessere gemacht!) Er ist umfassend, er ist nicht ideologiegeführt. Unsere Vorschläge sind sachgerecht und vor allem praktikabel. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall der Abg. Katja Mast [SPD]) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch der siebte Berufsbildungsbericht unter Ministerin Schavan bilanziert, dass Berufsbildung nicht zu den Herzensanliegen dieser Koalition zählt. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Auf großer Bühne und überall in Europa lobt die Ministerin zwar seit Jahren die duale Ausbildung. Angesichts dramatischer Jugendarbeitslosigkeitsquoten in anderen Ländern ist das Interesse dort auch groß. Bei der konkreten Berufsbildungspolitik hierzulande hakt es aber. Noch immer hat die Koalition kein Konzept vor-gelegt, um gemeinsam mit Ländern, Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit das Dickicht der Übergangsangebote zwischen Schule und Ausbildung zu lichten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage haben wir vergeblich danach gesucht, und noch immer verweist die Koalition lieber auf immer neue Projekte, als das ganze System endlich geschlossen und entschlossen zukunftsfähig zu machen. Angesichts des steigenden Fachkräftemangels ist das zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Bezeichnend ist auch, dass der Berufsbildungsbericht erst ein halbes Jahr nach seiner Beratung im Kabinett und ein halbes Jahr vor der Vorlage des nächsten Berichtes im Parlament beraten wird – und nicht etwa auf Regierungsinitiative, sondern weil die Opposition kluge Anträge zur Reform der beruflichen Bildung vorgelegt hat. Für die Schulabgängerinnen und -abgänger ist es kein gutes Zeichen, dass Schwarz-Gelb auch 2013 weiter -ausschließlich auf eine gute Konjunktur, den eher unergiebigen Ausbildungspakt mit der Wirtschaft und den demografisch sinkenden Anteil von Ausbildungsplatzsuchenden setzt. Das ist kein Konzept für die notwendige Modernisierung des Berufsbildungssystems, das ist Aussitzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Für uns als Grüne-Fraktion ist gute Ausbildung der Schlüssel zu Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe. Wir wollen die Betriebe mit mehr potenziellen Fachkräften zusammenbringen, und wir wollen für alle Jugendlichen das Recht auf eine anerkannte qualifizierende Ausbildung verwirklichen, egal ob ohne oder mit Einwanderungsgeschichte, ob leistungsstark oder schulmüde, ob gehandicapt oder nicht. Es kommt darauf an, jeden und jede bis zum Berufsabschluss mitzunehmen. Dafür müssen sich alle – Sozialpartner, Gesellschaft und Politik – viel stärker ins Zeug legen. Wir dürfen niemanden zurücklassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Natürlich stimmt es auch uns sehr optimistisch, dass sich der Ausbildungsmarkt leicht entspannt. Das ist aber kein Grund zur Entwarnung und kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es rund 175 000 Altbewerber gibt, die sich seit mehr als einem Jahr um einen Ausbildungsplatz bemühen, dass auch 2011 fast 300 000 Neuzugänge in unwirksamen Maßnahmen des Übergangssektors geparkt wurden und dass die Chancen auf einen Ausbildungsplatz ungerecht verteilt sind und viel zu viele -Jugendliche durchs Raster fallen. Daher frage ich Sie, Frau Ministerin Schavan: Was tun Sie für die 2,2 Millionen bis 34-Jährigen ohne Berufsabschluss, die sich weder in einer Maßnahme noch in Ausbildung befinden? Der DGB nennt diese Gruppe zu Recht „Generation abgehängt“, da ihr prekäre Arbeitsverhältnisse oder Arbeitslosigkeit drohen. Für diese Gruppe stehen viel zu wenig Qualifizierungsangebote bereit. Das muss sich ändern. Die Spaltung des Ausbildungsmarktes in Chancenreiche und Chancenarme muss beendet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Der Weg der Koalition, sich nur auf die Paktpartner zu verlassen, bringt zu wenig; denn sie haben ihr Ziel, die Zahl der Ausbildungsabbrüche zu verringern, klar verfehlt. Die Vertragslösungsquote ist sogar auf 23 Prozent gestiegen. Ein Teil der Abbrüche ist auf schlechte Arbeitsbedingungen zurückzuführen, bis hin zu Fällen von Ausnutzung. Das heißt, wir müssen die Qualität der Ausbildung weiter stärken. Der übergroßen Mehrheit der Ausbildungsbetriebe in unserem Land gebührt die Anerkennung des gesamten Hauses. Sie leisten wahnsinnig viel für die Perspektiven der jungen Generation und die Chancen unserer Wirtschaft. Wir beobachten aber aufmerksam und mit Sorge, dass der Anteil der Ausbildungsbetriebe rückläufig ist. Hier fordern wir eine Trendumkehr. Wir brauchen wieder mehr Betriebe, die ausbilden, und wir brauchen mehr mutige Betriebe, die auch Jugendlichen mit schlechten Zeugnissen eine Chance geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Genau hier setzt unser Konzept DualPlus an. DualPlus garantiert individuelle Förderung, bringt Betriebe und Bewerber zusammen und fügt sich in die unterschiedlichen Gegebenheiten der Bundesländer ein. DualPlus gestaltet diesen ineffizienten Übergangsdschungel zu einer echten Eingangsphase der beruflichen Ausbildung für alle Jugendlichen um; denn alle ausbildungs-interessierten Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, erhalten ein Angebot. Nach dem dualen Prinzip durchlaufen sie einen Teil ihrer Ausbildung in der Berufsschule und einen Teil im Betrieb. Dabei erreichen sie auch Zwischenziele, weil die Ausbildung in einzeln zertifizierten und bundesweit anerkannten Ausbildungsbausteinen unter Wahrung des Berufsprinzips absolvierbar ist. Überbetriebliche Ausbildungsstätten – das ist neu – unterstützen Jugendliche zusätzlich. Hier können sie ihre Stärken ausbauen und Schwächen ausbügeln, zum Beispiel mit gezielter Sprachförderung. Diese Unterstützungsstruktur entlastet ausbildende Betriebe; auch kleinste und spezialisierte können sich beteiligen. DualPlus ist gut anschlussfähig bei Reformkonzepten von Bundesländern, die ihr Übergangssystem längst neu strukturieren, sei es in Hamburg oder Nordrhein-West-falen. Deshalb schlagen wir DualPlus zur bundesweiten Umsetzung vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Politik und Tarifpartner sind in der Pflicht, gute und verlässliche Ausbildung für alle Jugendlichen zu garantieren. Das gelingt nicht durch Warten auf Konjunktur und demografischen Wandel, liebe Koalition. Jugend-liche brauchen Ausbildung statt Aussitzen. Packen Sie es endlich an! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Uwe Schummer hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Uwe Schummer (CDU/CSU): Meine Damen und Herren! Verehrtes Präsidium! -DualPlus wird nach dem, was wir in unseren Gesprächen mit dem Handwerk gehört haben, vom Handwerk massiv abgelehnt, weil es als Abkehr vom dualen System gesehen wird. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) Aber darüber können Sie mit dem Handwerk gerne weiter diskutieren. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir auch! Wir haben ein gemeinsames Papier! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben ein gemeinsames Papier mit denen erarbeitet!) Wir werden das aufmerksam verfolgen. Interessant war gestern unser gemeinsames Fachgespräch im Bildungsausschuss über grenzüberschreitende Ausbildungskooperationen. Dabei ist eindeutig festgestellt worden, dass die duale Ausbildung in Deutschland, Österreich und der Schweiz mittlerweile weltweit Vorbild geworden ist als ein Instrument, mit dem die Krise überwunden und jungen Menschen Handlungskompetenz vermittelt werden kann. Viele Länder überlegen mittlerweile, dieses System zu übernehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir Deutschen haben mit 7,9 Prozent die geringste Jugendarbeitslosigkeit nach der Krise innerhalb der -Europäischen Union. Der Durchschnitt der Jugendarbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen in der Europäischen Union liegt bei 22,6 Prozent; die Spitzen der Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland und Spanien liegen bei über 50 Prozent. Lernen in der Praxis für die Praxis hat eine hohe Integrationskraft in Bezug auf die Arbeitswelt. Wissen ist wichtig. Das Wissen auch anwenden zu können – das, was in der dualen Ausbildung mit der Handlungskompetenz vermittelt wird –, ist aber am Ende entscheidend. (Beifall bei der CDU/CSU) Spanien und Griechenland wollen Formen der dualen Ausbildung entwickeln. Auch Themen wie Solartechnik, effizientes Bauen und deutsche Handwerkskultur sind eng mit der dualen Ausbildung verknüpft. Das ist eine Voraussetzung, die wir in Deutschland haben und die andere Volkswirtschaften entwickeln wollen, um wirtschaftliche Potenziale in ihren Ländern zu schaffen, und damit auch ein Teilelement, um die Überwindung der Krise in diesen Staaten voranzutreiben. Ein solcher europäischer Bildungsraum braucht auch Mobilität, und Mobilität braucht so etwas wie Angebote zum Jugendwohnen. Es war eine ganz wichtige Entscheidung der christlich-liberalen Koalition, dass die 550 Jugendwohnheime für Jugendliche in der Ausbildung, die wir in Deutschland haben, wieder Investitionsförderung bekommen. Damit bieten wir wieder pädagogische Begleitung und eine Unterkunftsmöglichkeit, und es kann entsprechender Förderunterricht organisiert werden, wenn Mobilität von Hunderttausenden junger Menschen im Rahmen der Ausbildung notwendig und sinnvoll ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir sollten dankbar sein, dass bei uns in Deutschland über die duale Ausbildung 30 Milliarden Euro jährlich von der Wirtschaft für Ausbildungsvergütungen, Ausbildungswerkstätten und Ausbilder, die freigestellt werden, zur Verfügung gestellt werden. Das heißt, 70 Prozent der gesamten dualen Ausbildungskosten finanziert bei uns die Wirtschaft. Es ist kaum denkbar, dass diese Finanzierungslast von den öffentlichen Haushalten alleine getragen werden könnte. Das ist der Ansatz, die Wirtschaft mit ins Boot zu holen – auch bei der Finanzierung, der Qualitätssicherung und der Bereitstellung entsprechender Ausbildungsplätze. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein wichtiger Erfolg der Bundesregierung der letzten Jahre ist, dass die Zahl der sogenannten Altbewerber – das heißt derjenigen, die vor mehr als zwölf Monaten aus der Schule entlassen wurden und einen Ausbildungsplatz suchen – von 380 000 auf immerhin 175 000 abgebaut worden ist. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ganz hervorragend!) Der Trend, diese Gruppe mit einer Ausbildung zu versorgen, geht massiv weiter. Es zeigt sich auch eine Bildungsrendite der dualen Ausbildung im Hinblick darauf, wo die Arbeitslosigkeit am geringsten ist. Bei den Akademikern liegt die Arbeitslosigkeit derzeit bei etwa 3,2 Prozent. In der Gruppe derer, die eine Weiterbildungsqualifikation im dualen System erworben haben wie Meister und Techniker, liegt die Arbeitslosigkeit derzeit bei 2,7 Prozent. Das heißt, die Bildungsrendite und letztendlich auch der Schutz vor Arbeitslosigkeit sind in der dualen Ausbildung in den Weiterbildungsmöglichkeiten am stärksten, noch stärker als in der akademischen Qualifizierung. Auch das muss man hier und heute klar und deutlich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir – gerade unsere Ministerin Frau Schavan – haben mit den Bildungsketten einen systematischen Übergang von der Schule in den Beruf geschaffen. Wir haben damit auch erreicht, dass ein Stück weit das Übergangssystem geglättet und auch besser aufeinander abgestimmt worden ist. Wir sagen, dass wir eine frühzeitige Berufsorientierung brauchen, beispielsweise nicht erst drei Monate vor der Schulentlassung, sondern drei Jahre vorher mit einer Potenzialanalyse. Darauf aufbauend durchlaufen die Jugendlichen dann in überbetrieblichen Werkstätten, beim Handwerk oder in anderen Bereichen verschiedene Berufsfelder wie Holz, Metall, Hauswirtschaft, Verwaltung, Gartenbau, um dort zu schauen, in welchem Berufsfeld sie noch in der Schule betriebliche Praktika absolvieren und ihre Berufsorientierung entsprechend zielgerichtet organisieren können. Auch dies ist ein Instrument gewesen, um die Schulabbrecherquote durch mehr Motivation, durch frühzeitige und bessere Berufsorientierung von fast 10 Prozent auf 5,5 Prozent abzusenken. (Beifall bei der CDU/CSU) Das bedeutet 30 000 bis 40 000 weniger Schulabbrecher aufgrund einer neuen Perspektive durch eine organisierte, vernünftige Berufsorientierung. Es gibt eine Perspektive nach dem Abschluss: kein Abschluss in der Schule ohne weiteren Anschluss. Wir brauchen weiterhin auch Instrumente im Bereich der Behinderten. In diesem Bereich liegt die Beschäftigungsquote bei nur 0,9 Prozent. Das ist zu wenig. Ich erlebe in meiner Region am Niederrhein, wie mit einer Initiative der Lebenshilfe oder der Initiative „Kindertraum“ Behinderte sehr wohl in der Lage sind, beispielsweise Gartenarbeiten durchzuführen, in Jugendzentren im Küchendienst zu arbeiten oder auch in einem Museum alte Gebäude zu restaurieren. Das alles dauert länger, man braucht mehr Zeit. Aber ich denke, bei bestimmten Aktivitäten kann man ihnen diese Zeit auch einräumen. Gemeinsam mit dem Berufsbildungsinstitut wollen wir klären, dass aus den Berufsbildern heraus Bausteine entwickelt werden, die einfache Arbeiten darstellen, mit denen Teilqualifikationen vermittelt werden können, sodass man den Behinderten eine Chance gibt, integriert in Unternehmen und außerhalb der betreuten Werkstätten eine sinnvolle Beschäftigung zu finden. Da müssen wir Potenziale nutzen und auch diese Potenziale stärker mit in die Arbeitswelt hineinbringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine gute Information: Bei unserer gestrigen Anhörung im Ausschuss haben die Kammern zu dem Gesetz zur Anerkennung der Kompetenzen gesagt, dass sich von den 300 000 Menschen – diese Zahl hatten wir geschätzt –, die aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind, die bei uns leben und eine Qualifizierung haben und diese Qualifizierung bei den Kammern anerkannt bekommen wollen, bereits 170 000 bei den Kammern gemeldet hätten, und dies in den wenigen Wochen, seitdem das Anerkennungsgesetz, das wir verabschiedet haben, in Kraft getreten ist. Auch dies zeigt: Wir nutzen und schöpfen Potenziale in unserer Wirtschaft. Das Potenzial unserer Wirtschaft ist der Mensch, und der Schlüssel zur Hebung dieses Potenzials ist die Bildung. Da haben wir die beste Bildungsministerin in Deutschland seit 1949 mit Annette Schavan. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Zurufe von der SPD: Oh!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Oliver Kaczmarek hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Oliver Kaczmarek (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn eine grundsätzliche Anmerkung machen und auch auf den Redebeitrag der Ministerin zurückkommen. Wenn wir über die grundsätzlichen Herausforderungen reden, dann müssen wir doch zwei Dinge sehen: Das eine ist, dass wir jungen Menschen durch eine qualifizierte Ausbildung Teilhabe gewähren. Das andere ist, dass wir natürlich der Herausforderung des Fachkräftemangels begegnen müssen. Da geht es nämlich um nicht weniger als um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands und um nicht weniger als den Wohlstand, von dem wir alle leben. Vor diesem Hintergrund und auch, wenn ich mir die Prognosen im Berufsbildungsbericht zur Entwicklung der Abgängerzahlen ansehe, komme ich zu der Erkenntnis: Wir brauchen jeden jungen Menschen, der jetzt in der Schule ist, der jetzt keine Beschäftigung hat, der jetzt keine Ausbildung gefunden hat, egal woher er kommt, was seine Eltern verdienen, wo er geboren worden ist. Das ist alles egal, wir brauchen jeden. Deswegen ist es kein alter Hut, zu sagen: Das Recht auf Ausbildung ist wichtig. Vielmehr ist es gesellschaftlich und auch wirtschaftlich, ökonomisch, dringend geboten, dass wir jedem eine faire Chance auf Ausbildung anbieten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Weil die grundsätzliche Betrachtungsweise der SPD-Fraktion durch den Kollegen Brase schon vorgetragen worden ist, möchte ich zwei Anmerkungen zu Themen machen, die uns besonders wichtig erscheinen. Wenn ich sage, jeder wird gebraucht, dann meine ich auch die 65 000 Schülerinnen und Schüler, die in jedem Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen. Rund die Hälfte von ihnen kommt von Förderschulen. Wir brauchen auch sie. Ebenso brauchen wir – Herr Schummer hat das gerade ebenfalls angesprochen – die Menschen mit Behinderung, aber auch in einer qualifizierten Ausbildung; denn nicht alle Behinderten sind nur für Hilfstätigkeiten geeignet. Vielmehr müssen wir durch unsere Förderung, durch unser Schulsystem dafür sorgen, dass sie auch Schulabschlüsse machen können. Viel zu viele sind in Förderschulen, machen dort einen Abschluss und sind dann mit dem Abschluss einer Förderschule stigmatisiert. Schwerbehinderte können eben auch einen Beitrag zur Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und ebenso einen Beitrag zur Bekämpfung des Facharbeitermangels leisten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen dürfen wir sie eben nicht am Rande stehen lassen, sondern müssen eine auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Strategie entwickeln. Ich will dazu nur drei kurze Punkte nennen: Erstens. Wir müssen Menschen mit Behinderung frühzeitig, intensiv und handlungsorientiert auf ihre spätere Berufstätigkeit vorbereiten; dazu braucht es eine konsequente Berufsorientierung. In diesem Zusammenhang ist das, was die Bundesregierung in der „Initiative Inklusion“ in diesem einen Punkt vorgelegt hat, vollkommen richtig und durchaus zu begrüßen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Willi Brase [SPD], an die CDU/CSU und die FDP gewandt: Ihr müsst mal klatschen da drüben!) Das ist sicherlich notwendig. Aber es ist nicht hinreichend. Es sind natürlich weitere Schritte notwendig, die auch die Situation von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt substanziell verändern. Zweitens. Wir können auf Werkstätten für Menschen mit Behinderung nicht verzichten. Aber wir müssen auf ihre Kompetenz aufbauen, insbesondere im Hinblick auf ihre Berufsorientierungskompetenz. Wir müssen gemeinsam mit ihnen Wege entwickeln, damit Menschen aus der Werkstatt in den ersten Arbeitsmarkt oder in öffentliche Beschäftigung hinein vermittelt werden können. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Signal auch an die Werkstätten, wenn wir mit ihnen gemeinsam an einer neuen Rolle arbeiten. (Beifall bei der SPD) Drittens. Ich bin der Meinung, dass die Bundesagentur für Arbeit einen besonderen Auftrag hat – er ist auch gesetzlich definiert –, nämlich den Auftrag der Berufsorientierung und der Berufseinstiegsbegleitung. Dem muss sie auch nachkommen können. Ich weise darauf hin: Die Bundesregierung hat sich im Ausbildungspakt zu dem Versprechen verpflichtet, sich für eine bessere Integration von Jugendlichen mit Behinderung in die betriebliche Ausbildung einzusetzen. Dazu will sie prüfen – ich lese das einmal vor –, „ob und inwieweit auch in diesem Bereich arbeitsmarktpolitische Instrumente angepasst werden müssen“. Das ist ja erst einmal gut. Die Wahrheit sieht aber anders aus. Allein im Bundeshaushaltsentwurf für das nächste Jahr, den wir im Moment noch im Bundestag debattieren, sollen 6,5 Milliarden Euro bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik eingespart werden. Wer aber benachteiligten jungen Menschen eine Chance geben will, durch eine qualifizierte Berufsausbildung in die Erwerbsarbeit zu finden, der darf die Bundesagentur für Arbeit und ihr Instrumentarium, der darf die Arbeitsmarktpolitik eben nicht zur Spardose für das Sparpaket machen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie dies machen würden, würden Sie diejenigen im Stich lassen, die jetzt noch nicht von der Entwicklung am Ausbildungsmarkt profitieren konnten und die ohne Hilfe keinen Anschluss am Arbeitsmarkt finden. Wir haben dazu einen Antrag gestellt; das werden wir an anderer Stelle noch debattieren. Das zweite Thema, das ich kurz ansprechen möchte: Am Ende der Ausbildung – ich habe das im letzten Jahr bei der Debatte zum Berufsbildungsbericht bereits angesprochen – haben immer mehr junge Menschen keine gesicherte Perspektive auf Übernahme in eine unbefristete Beschäftigung. Wer den DGB-Ausbildungsreport liest, stellt fest, dass weniger als die Hälfte der jungen Menschen, die sich im letzten Ausbildungsjahr befinden, eine Perspektive auf Übernahme im Betrieb haben. Von dieser Teilmenge hat wiederum nur gut ein Drittel Aussicht auf eine unbefristete Übernahme. Wenn aber selbst der Abschluss einer qualifizierten Berufsausbildung für junge Menschen keine gesicherte Erwerbsperspektive bedeutet, wenn das nicht ausreicht, wie sollen junge Menschen dann die Zuversicht gewinnen, sich für die Gesellschaft einzusetzen, Familie zu gründen, am Wohlstand mitzuwirken? Deswegen sagen wir: Zur guten Ausbildung gehört im Regelfall auch die Übernahme in eine unbefristete Beschäftigung. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte das auch vor dem Hintergrund des Fachgesprächs, das wir gestern im Ausschuss hatten, noch einmal kurz spiegeln. Ich halte das nämlich für einen zentralen Punkt, wenn wir über die Attraktivität der Ausbildung im dualen System sprechen. Es werden sich auch zukünftig nur dann junge Menschen mit guten Schulabschlüssen dafür entscheiden, eine duale Ausbildung zu beginnen, wenn sie eine gesicherte Perspektive haben, wenn sie davon ausgehen können, dass es ihnen einen Job bringt, der einigermaßen sicher ist, nicht aber, wenn sie damit rechnen müssen, dass nach der Ausbildung alles wieder vorbei ist. Deswegen ist das ein ganz wichtiger Punkt. (Beifall bei der SPD) Es liegt auf der Hand: Wer das Problem in den Griff bekommen will, der muss die prekäre Beschäftigung in den Griff bekommen. Das ist gerade aus Sicht der jungen Arbeitnehmer wichtig. Das heißt aus unserer Sicht erstens, dass die sachgrundlose Befristung abgeschafft werden muss. Wer in einem Betrieb gelernt hat, der muss sich nicht mehr einarbeiten. Deswegen gibt es auch keinen Grund, ihn nur befristet einzustellen. Deswegen sind wir für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Zweitens geht es darum, die Leih- und Zeitarbeit auf ihren ursprünglichen Zweck zurückzuführen und insgesamt zu begrenzen. Drittens muss das auch in Bezug auf die Minijobs geschehen. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat hierzu eine gute Initiative in den Bundesrat eingebracht, (Zuruf von der FDP: Das wäre die erste!) bei der es darum geht, eine Höchststundenzahl für Minijobs einzuführen. (Beifall bei der SPD) Dabei geht es insgesamt um die Frage: Wie können wir die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass der Weg junger Menschen im Anschluss an ihre Ausbildung vorgeprägt ist und in Richtung prekäre Beschäftigung führt? Damit komme ich zum Schluss. Was wir jetzt bei der Integration junger Menschen in Erwerbsarbeit, in den ersten Arbeitsmarkt, verpassen, können wir vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und der wirtschaftlichen Entwicklung womöglich nicht mehr aufholen. Das würden wir teuer bezahlen müssen. Deshalb sage ich: Verzichten können wir auf keinen Einzigen. Da sehe ich bei der Arbeit der Regierung noch ein bisschen Nachholbedarf. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Patrick Meinhardt hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Patrick Meinhardt (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei einer Debatte über berufliche Bildung im nationalen und internationalen Zusammenhang ist es sinnvoll, einmal einen Blick in die internationale Community zu werfen. Vor nicht einmal 48 Stunden ist der Weltbildungsbericht von der UNESCO vorgestellt worden. Ausdrücklich gelobt wird dabei das deutsche Modell der dualen Ausbildung mit Berufsschule auf der einen und praktischer Arbeit im Betrieb auf der anderen Seite. Diese besondere Form der Berufsvorbereitung ist der Grund für die in der Bundesrepublik Deutschland vergleichsweise niedrige Jugendarbeitslosenquote und damit einer der wichtigsten Punkte, dass man hier nicht von einer verlorenen Generation sprechen muss. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist mit den 2 Millionen ohne Berufsabschluss?) So weit die UNESCO, so weit der Weltbildungsbericht. Diese Perspektive sollte man im Zusammenhang mit der Debatte, die wir hier führen, einmal hervorheben. Zum Zweiten. Es ist von mehreren Rednern angesprochen worden; aber es ist wichtig, dies immer wieder deutlich hervorzuheben: Es gibt keine Leistung nur irgendeiner Bundesregierung, es gibt keine Leistung nur irgendeiner Landesregierung – es gibt eine Leistung, die von der gesamten Wirtschaft und den Ausbildungsbetrie-ben erbracht worden ist. Wenn ich sehe, dass gerade in diesen schwierigen Zeiten das Handwerk, der Mittelstand im Bereich der Ausbildungsangebote so stark engagiert ist, dass am Schluss 10 000 zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen und 11 000 Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, 30 000 offene Ausbildungsplätze gegenüberstehen, kann ich nur ganz deutlich sagen: Gott sei Dank gibt die Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, gibt der Mittelstand in der Bundesrepublik Deutschland jungen Menschen gerade in der Krise eine Chance. Das ist ein gutes und positives Zeichen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Flankierende Maßnahmen, die die Bundespolitik aktiv einbringen kann, gibt es eine ganze Reihe, und die Regierung setzt ja auch an vielen Punkten an. Das Programm „Bildungsketten“ ist angesprochen worden. Ich greife bewusst die Maßnahme der Bildungslotsen heraus, eine gemeinsame Aktivität von Bundeswirtschaftsministerium, Bundesarbeitsministerium und Bundesbildungsministerium. Dadurch haben wir in der Summe 2 000 Bildungslotsen gewonnen, die junge Menschen beim Übergang von der Schule in den Beruf an die Hand nehmen, ihnen Orientierung geben, ihnen helfen, in eine Ausbildung zu kommen, in einen Beruf zu kommen. Wer vor Ort in den Schulen, in den Betrieben ist, wird feststellen können: Dort, wo Bildungslotsen aktiv sind, wo Bildungslotsen junge Menschen begleiten, bekommen die jungen Menschen eine hervorragende Möglichkeit, ihre eigene Ausbildungsorientierung zu finden. Deswegen ist das Programm „Bildungsketten“ gerade in dieser Krisensituation so wichtig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ein weiterer wichtiger Aspekt: Wir wissen, dass es gerade für kleine und mittlere Unternehmen nicht ganz einfach ist, eigenständig Ausbildungsplätze anzubieten. Umso wichtiger ist es, dass Ausbildungsverbünde, überbetriebliche Ausbildungsformen schlagkräftig ausgestattet werden. Es ist ein gutes und richtiges Zeichen, dass sich die Regierungsfraktionen und die Regierung wieder dazu durchgerungen haben, die überbetrieblichen Berufsbildungsstätten auf dem hohen Niveau von 40 Millionen Euro weiterhin zu fördern und sogar so viel Flexibilisierung einzubauen, dass wir gerade in diesen Zeiten noch mehr Dynamik herausbekommen. Jede überbetriebliche Berufsbildungsstätte, die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt, ist eine zusätzliche Chance für junge Menschen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Regierung und die sie tragenden Fraktionen sagen – gerade gestern haben wir im Ausschuss darüber gesprochen –: Das Programm „Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsorientierung“ läuft Gott sei Dank gut, es läuft sogar sehr gut. Es läuft so gut, dass wir jetzt noch einmal 10 Millionen Euro, das heißt 15 Prozent, draufsatteln, weil wir bei den jungen Menschen, bei denen die größte Gefahr besteht, dass sie eine Ausbildung frühzeitig abbrechen, gegensteuern wollen. Dort wollen wir ansetzen. Es ist in diesen Zeiten die richtige Antwort, die Mittel für das -Maßnahmenpaket „Berufsorientierungsprogramm“ zu erhöhen, um den Weg junger Menschen mit vorbereiten zu können. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Einstiegsqualifizierung ist vielfach angesprochen worden. Dieses Instrument halten wir als FDP für ein sehr gutes Instrument. Wir müssen aber den Rahmen dafür noch weiter verbreitern. Im Bereich der Einstiegsqualifizierung haben wir 40 000 Plätze in der Bundesrepublik Deutschland. Im Augenblick sind leider nicht all diese 40 000 Plätze besetzt. Da müssen wir ansetzen; denn die Einstiegsqualifizierung führt dazu, dass 70 Prozent derjenigen, die sie durchlaufen und die momentan keine Chance auf eine Ausbildung hätten, am Ende dieses -Jahres in eine Ausbildung kommen. Diese Einstiegsqualifizierung gibt es seit ungefähr fünf Jahren. Das bedeutet, dass über 100 000 Jugendliche in dieser Zeit über die Einstiegsqualifizierung zusätzlich die Chance bekommen haben, den Weg in die Ausbildung zu schaffen. Deswegen müssen wir die Einstiegsqualifizierung -stärken und daraus ein weiteres wichtiges Instrument machen. Das ist ein wichtiges politisches Zeichen, das in dieser Diskussion zum Ausdruck kommen muss. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich habe mich gewundert, wie wenige das Thema -Altbewerber in dieser Debatte angesprochen haben. Ich erinnere mich noch daran, dass vor drei Jahren immer davon gesprochen wurde, dass es ein Skandal sei, dass wir 300 000 Altbewerberinnen und Altbewerber haben.  Wir haben innerhalb von drei Jahren die Zahl der Altbewerberinnen und Altbewerber auf 174 000 reduziert. Das war eine intensive Anstrengung, von der man sagen kann: Es ist gut, wenn diese Akzente gesetzt werden. Deswegen muss dies an dieser Stelle eine vollumfängliche Anerkennung finden. Jede Reduzierung bei der Anzahl der Altbewerber ist ein gesellschaftspolitischer Schritt in die richtige Richtung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein letzter Punkt: Im Hinblick auf die Flexibilisierung im Ausbildungsbereich halte ich es für ausgesprochen spannend, sich die Situation bei den zwei- und dreijährigen Ausbildungsberufen anzuschauen. Wir haben bewusst gesagt: Wir brauchen niedrigschwelligere Angebote. Wir haben momentan 560 000 Ausbildungsplätze in der dualen Ausbildung, 50 000 Plätze in der zweijährigen Ausbildung. (Agnes Alpers [DIE LINKE]: Das ist doch -gelogen!) Jetzt wird es spannend: Von den Auszubildenden in einer zweijährigen Ausbildung haben 60 Prozent einen Hauptschulabschluss. Bei den gesamten dualen Ausbildungsberufen sind es nur 33 Prozent. Wir haben mit den zweijährigen Ausbildungen genau das geschaffen, was wir brauchen: ein niedrigschwelliges Angebot für all die jungen Menschen, die einen Hauptschulabschluss haben und eine Ausbildung machen wollen. (Agnes Alpers [DIE LINKE]: Das ist Quatsch, Herr Meinhardt! Absoluter Quatsch!) Deswegen ist der Weg über die Einstiegsqualifizierung, die zweijährige Ausbildung, die dreijährige Ausbildung und die dreieinhalbjährige Ausbildung richtig. Damit schaffen wir eine Perspektive für junge Menschen aus allen Bereichen des Bildungssystems in der Bundesrepublik Deutschland. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen wirklich zum Schluss kommen. Patrick Meinhardt (FDP): Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. – Die -Debatte macht eines deutlich: Wichtig ist, dass die duale Ausbildung ein wirkliches Rückgrat in der Gestaltung der Bundesrepublik Deutschland ist. Um es anders zu formulieren: Die Garantieerklärung von Politik und Wirtschaft für die Perspektiven der Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland ist die duale Ausbildung. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Meinhardt, es ist doch nicht so, dass irgendeine Fraktion in diesem Hause das duale System auch nur ansatzweise infrage stellen würde. Alle hier sind für das duale -System. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wir weisen nur darauf hin, Herr Meinhardt, dass es offensichtlich so ist, dass ein nicht unerheblicher Teil junger Menschen von diesem dualen System nicht profitiert. Die Zahlen sind hier schon genannt worden: 2,2 Millionen junge Menschen sind weder in Ausbildung noch in Arbeit. Fast 300 000 befinden sich immer noch in diesem perspektivlosen Übergangssystem. Anders als Frau Schavan es heute gesagt hat, gehen die Experten im Berufsbildungsbericht davon aus, dass circa 230 000 junge Leute noch sehr lange in diesem Übergangssystem bleiben werden. Herr Meinhardt, das ist das Problem, um das wir uns heute kümmern müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass die Prognose, dieses Problem werde durch die Konjunktur, durch den demografischen Wandel oder durch den Fachkräftemangel gelöst, nicht zutrifft. (Zuruf von der FDP: Dieses Problem löst unsere Politik!) Deswegen müssen wir etwas tun. Das Problem wird sich nicht von selber lösen. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wirklich alle jungen Menschen eine berufliche Perspektive erhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Sie können nicht darüber hinwegreden, dass insbesondere jungen Leuten mit Förderbedarf, den sogenannten Marktbenachteiligten, der Zugang zum dualen System immer noch versperrt ist. Ganz besonders skandalös – darüber hat heute überhaupt noch niemand geredet – ist die Ausbildungsquote bei den Migrantinnen und Migranten. (Agnes Alpers [DIE LINKE]: Das stimmt gar nicht! Hatte ich erwähnt!) Sie liegt bei beschämenden 33,5 Prozent; bei den Deutschen ist sie mit 65 Prozent etwa doppelt so hoch. Diese jungen Leute werden abgehängt, und um sie müssen wir uns kümmern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Das haben sie nicht nur verdient und darauf haben sie nicht nur einen Anspruch, sondern das Ganze ist auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels zu sehen. Das Gleiche gilt vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung; das will ich an dieser Stelle noch einmal sagen. Schon derzeit ist es so, dass eine kleinere Kohorte junger Leute eine große Kohorte älterer Menschen ernähren muss. Wenn dann aber von diesen jungen Leuten fast ein Fünftel nicht nur nicht auf dem Erwerbsarbeitsmarkt aktiv werden kann, sondern auch noch ein Leben lang alimentiert werden muss, dann überfordert das jede Volkswirtschaft. Deswegen müssen wir etwas tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dass das machbar ist, zeigt das Beispiel der Bertelsmann-Stiftung. Die Bertelsmann-Stiftung ist wahrlich keine grüne Kaderschmiede, aber sie hat gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit und acht Bundesländern den Versuch unternommen, diesen Übergangsdschungel zu ordnen, und hat daraus, wie sie es nennt, „Übergänge mit System“ entwickelt. Dieser Vorschlag liegt sehr dicht an unserem Vorschlag des DualPlus. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus den Reihen der CDU/CSU? Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, bitte. Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Kollegin, ich habe es schon in einigen Redebeiträgen gehört – ob es nun vom Kollegen Brase war oder vom Kollegen Gehring –, und auch Sie haben es noch einmal erwähnt: die Perspektivlosigkeit von jungen Leuten im Übergangssystem und dessen -Ineffektivität. Nicht nur deshalb, weil ich selbst zwei Jahre als Ausbilder für sogenannte lernbehinderte und benachteiligte junge Leute gearbeitet habe, halte ich Ihre Aussage für eine sehr starke Unterstellung. Wie meinen Sie es, wenn Sie sagen, dass das Übergangssystem völlig perspektivlos oder ineffektiv sei? Hierzu hätte ich gerne eine Auskunft von Ihnen. – Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt inzwischen diverse wissenschaftliche Evaluierungen über das Übergangssystem, und sie alle kommen zu dem Ergebnis – um es einmal salopp auszudrücken –: Das Übergangssystem ist teuer, es kostet fast 6 Milliarden Euro im Jahr, und es ist schlecht, weil es die Jugendlichen nicht stärker an die Ausbildungsreife heranführt, sondern sie im Wesentlichen frustriert. Die jungen Leute im Übergangssystem sind nicht selten weniger ausbildungsreif, als sie es zuvor waren. -Deswegen können wir dies nicht länger akzeptieren. Wir brauchen eine Alternative. Unsere Alternative heißt -DualPlus. – Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten und des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD]) DualPlus ist übrigens keine Erfindung vom grünen Tisch, sondern das gibt es bereits in Österreich – nur mit einem etwas anderen Namen –, und wird es dort sehr erfolgreich eingesetzt. Ich will es noch einmal sagen: Das Ganze rechnet sich in dreifacher Hinsicht. Es rechnet sich für die -Jugendlichen, weil sie einen guten Start in Arbeit und Ausbildung bekommen. Es rechnet sich für die Betriebe, weil sie gute Fachkräfte erhalten. Und – das ist ebenfalls erheblich – es rechnet sich für die öffentliche Hand, weil alle Investitionen in Ausbildung zu 100 Prozent zu einer Rendite führen. Meine Damen und Herren, es ist doch wirklich nicht schwer: Ausbildungsgarantie statt Warteschleife – das bringt Perspektiven statt Frust. Das erreichen wir mit DualPlus. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Botschaft durchzieht die Debatte wie ein roter Faden: Die duale Ausbildung in Deutschland ist ein Erfolgsmodell. Dank der dualen Ausbildung haben wir die geringste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa. Sie ist der Grund dafür, dass im vergangenen Jahr über 570 000 Jugendliche eine Berufsausbildung beginnen konnten, mehr als in den Jahren zuvor. Sie sichert den Fachkräftenachwuchs unserer Betriebe, und das auf hohem Niveau. Unsere dual ausgebildeten Fachkräfte sind international anerkannt und können mit so manchem akademischen Abschluss konkurrieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie ist das Modell, für das sich viele andere europäischen Länder interessieren. Darauf können wir zu Recht stolz sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Heiner Kamp [FDP]) Gerade weil wir von diesem Modell so begeistert sind und zu Recht so stolz darauf sind, möchte ich heute einen kritischen Punkt ansprechen. In den vergangenen Monaten treibt die Mitglieder meiner Fraktion ein Thema um, das uns sehr große Sorgen macht und das in meinen Augen in eine solche Debatte gehört; ich wundere mich, dass es bisher noch niemand angesprochen hat. Es geht um die Änderungsvorschläge der Europäischen Kommission zur Berufsanerkennungsrichtlinie. Da Sie schon jetzt genervt gucken, liebe Kollegen der SPD, weiß ich nicht, ob Sie die Dimension dieses -Themas für unser Land wirklich erkannt haben. Worum geht es? Die Kommission will, dass Abschlüsse in Europa leichter anerkannt werden und Ausbildungen europaweit vergleichbar gestaltet werden. Das soll die Mobilität in Europa erhöhen. Ich sage deutlich: Das begrüßen wir; das ist ein gutes Ziel. Aber im Richtlinienentwurf der Kommission gibt es auch eine ganze Menge Vorschläge, die alle Alarmglocken zum Läuten bringen müssen, Vorschläge, die nämlich mit dem deutschen System der dualen Ausbildung nicht oder nur schwer vereinbar sind, so etwa die Vorschläge zum par-tiellen Zugang, zu Änderungen bei den Niveaustufen, zu gemeinsamen Ausbildungsgrundsätzen und zur Einführung eines europäischen Berufsausweises. All diese Einzelregelungen müssen sehr präzise ausgestaltet werden. Wir müssen sehr genau darauf achten, dass sie so ausgestaltet werden, dass sie die Mobilität erhöhen und Transparenz schaffen, ohne auf der anderen Seite die Qualität zu gefährden. Zurzeit gibt es an diesen Vorschlägen noch viel Kritik. Wir plädieren da entschieden für Veränderungen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Auf besonders großes Entsetzen stoßen die Pläne der Kommission, die Mindestschulzeit für eine Ausbildung in den Pflegeberufen auf zwölf Jahre zu erhöhen. Das würde bedeuten, dass 45 Prozent der Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen und 85 Prozent der Altenpflegerinnen und Altenpfleger in Deutschland derzeit von der Ausbildung ausgeschlossen würden, weil sie nur die mittlere Reife haben und damit keine zwölfjährige Schulzeit vorweisen können. (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Vollkommen unvorstellbar!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wäre ein Desaster für die deutsche Pflegelandschaft. Dadurch würde die Qualität keineswegs verbessert. Im Gegenteil: Die Erschwerung des Zugangs würde den Fachkräftemangel im Pflegebereich und damit die Arbeitsbelastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich erhöhen. Wir haben im Pflegebereich eine hohe Fachkraftquote. Wir haben hervorragend ausgebildetes Fachpersonal. Deshalb wenden wir uns entschieden gegen die Pläne der Kommission, die Zugangsvoraussetzungen zu erhöhen und eine Schulausbildung von zwölf Jahren vorauszusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kollegen, wir sind da in guter Gesellschaft: Die Mehrheit der betroffenen Verbände – die Allianz reicht von der Deutschen Krankenhausgesellschaft über die IHK bis hin zu Verdi und Caritas – wendet sich gegen die Pläne der Kommission. Wir kämpfen gemeinsam dafür, dass es die Voraussetzung einer zwölfjährigen Schulzeit nicht geben wird. Ich bin froh, dass auch in diesem Haus eigentlich Einigkeit darüber besteht. Wir hatten dazu vor drei Wochen vonseiten des Wirtschaftsausschusses einen Entschließungsantrag eingebracht, und alle Kollegen von SPD und Grünen haben die deutsche Position unterstützt und ebenfalls gesagt, die Voraussetzung einer Schulbildung von zwölf Jahren sei eine Katastrophe. Deswegen hat es mich überrascht und entsetzt, liebe Kollegen der SPD – da komme ich wieder zu Ihnen –, dass es in den Reihen der SPD auf EU-Ebene Parlamentarier gibt, die diese deutsche Position nicht vertreten. Offensichtlich werben SPD-Parlamentarier in Brüssel für die Vorschläge der Kommission (Zurufe von der SPD: Wer denn?) und schwächen damit deutlich die Verhandlungsposition unseres Landes. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Nennen Sie Ross und Reiter!) – Ich kann Ihnen gerne die Namen nennen. Ich wollte es an dieser Stelle vermeiden, aber sprechen Sie einmal mit Ihren Kolleginnen Weiler, Gebhardt und Sippel, die sich nämlich ganz anders äußern, als Sie das tun. (Uwe Schummer [CDU/CSU], an die SPD gewandt: Da müsst ihr euch mal unterhalten!) Sie kämpfen hier im Deutschen Bundestag entschieden für die duale Ausbildung, aber Ihre Kolleginnen in Brüssel tun das Gegenteil. Deshalb will ich an Sie appellieren: Werben Sie auch bei Ihren Parteifreunden auf europäischer Ebene für die duale Ausbildung. Wir müssen hier an einem Strang ziehen. Wir müssen hier mit einer Stimme sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen unser duales System erhalten, und dafür müssen wir gemeinsam kämpfen, damit wir auch in den nächsten Jahren die Fortschritte unseres dualen Systems anhand des Berufsbildungsberichtes und anhand dieser Debatten verfolgen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Katja Mast für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Katja Mast (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will zwei Dinge vorweg klarstellen: Erstens. Niemand greift das duale System in Deutschland an. (Beifall der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE] – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Doch! – Das ist so!) Wir wollen das duale System in Deutschland bewahren. (Zuruf von der CDU/CSU: Schauen Sie sich die Anträge der Grünen und Linken an! Das ist Angriff!) Uns geht es aber um die Menschen, die im dualen System nicht unterkommen. Zu diesen Menschen habe ich in der heutigen Debatte von der Regierungskoalition noch nichts gehört. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE] – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Wo waren Sie?) Zweitens freuen wir uns alle darüber, dass Deutschland die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in der Europäischen Union hat. 8 Prozent sind ein tolles Ergebnis. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) – Ja, da können Sie ruhig applaudieren; aber ich weiß nicht, ob Ihnen mein nächster Satz genauso gut gefällt. (Zuruf von der FDP: Mit Sicherheit nicht!) Leider hat es nichts mit Ihrer Politik zu tun, (Zurufe von der FDP: Oh!) dass wir bei 8 Prozent liegen. (Beifall bei der SPD) Dass es nichts mit Ihrer Politik zu tun hat, liegt daran, dass Sie sich zurücklehnen. Sie lehnen sich in einer Zeit, in der wir gute Arbeitsmarktzahlen haben, zurück und sagen: Na ja, was wollen wir da denn tun? Die Zahlen sehen doch ganz gut aus. (Heiner Kamp [FDP]: Wo leben Sie denn? Das stimmt doch nicht!) Mir geht es aber darum, dass in Deutschland kein einziger Jugendlicher verloren gehen darf. (Zuruf von der CDU/CSU: Zustimmung!) In Deutschland müssen wir uns Sorgen machen um die 77 000 Jugendlichen, die letztes Jahr keinen Ausbildungsvertrag bekommen haben, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das bestreitet doch niemand!) und um die 86 000 Jugendlichen, die sich gar nicht mehr bewerben, weil sie aufgrund der Verfahren frustriert sind. Insgesamt hat letztes Jahr fast jeder dritte Jugendliche keinen Ausbildungsvertrag bekommen, obwohl er einen wollte. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie müssen die Studenten mitrechnen! Die haben auch keinen Ausbildungsplatz!) Das sind die Zahlen, die mich beunruhigen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb geht es darum, dass keiner von ihnen verloren gehen darf. Wir finden in Deutschland die Situation vor – auch das ist heute noch nicht klar geworden –, dass der Ausbildungsmarkt gespalten ist. Der Ausbildungsmarkt ist gespalten, weil es in den Betrieben einen Wettbewerb um die besten Köpfe gibt. Jeder kann dazu Geschichten aus seinem Wahlkreis erzählen. Ich kann gerne die Situation in Pforzheim und im Enzkreis darstellen, woher ich komme. Da haben alle Jugendlichen, die ein gutes Zeugnis, einen guten Abschluss haben, überhaupt kein Problem, einen Ausbildungsplatz zu finden. Aber viele Schülerinnen und Schüler beispielsweise der Bohrainschule in Pforzheim, einer Förderschule, erlangen nicht einmal den Hauptschulabschluss und bekommen diesen auch nicht nach einem BVJ oder dem Besuch einer BVE. Angesichts dessen kann ich mich doch nicht hier hinstellen und sagen: In Deutschland ist alles in Ordnung. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Für einen Hauptschulabschluss muss man auch etwas tun! Den kriegt man auch nicht geschenkt! Außerdem besteht die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss nachzumachen! Zweite Chance nennt man das!) Denn diese Jugendlichen haben ein Recht auf eine Ausbildung in dieser Republik, und nichts anderes sagt unser Antrag. (Beifall bei der SPD) Ich habe gesagt, Sie lehnen sich zurück und denken gar nicht darüber nach, was mit den anderen 8 Prozent der Jugendlichen los ist. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht, was Sie hier sagen!) – Jetzt lassen Sie mich doch ausreden. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Lohnt sich das denn?) Sie reden hier die ganze Zeit von Programmen und Progrämmchen, die Sie neu aufgelegt haben. Ich gestehe Ihnen sogar zu, dass Sie das gemacht haben; ich bin schließlich Arbeits- und Sozialpolitikerin. Gleichzeitig kürzen Sie jedoch während Ihrer Regierungszeit 7,5 Milliarden Euro in der aktiven Arbeitsmarktpolitik. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Weil die Arbeitslosigkeit halbiert wurde durch unsere Politik und weil es fast zwei Millionen weniger Arbeitslose gibt!) Das ist das Geld, das für eine aktive Arbeitsförderung der Jugendlichen nicht zur Verfügung steht. Deshalb können sie keine Ausbildung machen. (Beifall bei der SPD – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Das sind die Zahlen, die Sie nicht kennen!) – Herr Schummer, da können Sie so laut schreien, wie Sie wollen. Das stimmt einfach. Lassen Sie sich an Ihren Zahlen messen und nicht an Ihrer Lautstärke, liebe Kollegen von der CDU/CSU. Es ist wichtig, dass wir hier darüber diskutieren, wie wir den Jugendlichen, die heute durch das Netz fallen, helfen können, einen Ausbildungsplatz zu finden. Auf diese Frage habe ich von Ihnen keine Antwort gehört. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich eine Initiative aus dem Bundesland Hamburg positiv hervorheben. In Hamburg wurden Jugendberufsagenturen gegründet, Häuser, in denen Jugendlichen geholfen wird, in Ausbildung zu kommen. In diesen Häusern wird die gesamte Arbeit mit jungen Menschen koordiniert, und zwar nicht nur die Arbeit der Bundesagentur für Arbeit, nicht nur die Arbeit der Jobcenter, sondern auch die der Jugendhilfe, also der kommunalen Hilfe. Das ist ein vielversprechender Ansatz, weil dadurch die Angebote, die die jungen Menschen beim Übergang von der Schule in den Beruf brauchen, gebündelt werden. Gab es entsprechende Initiativen Ihrer Regierung? Fehlanzeige! Sie haben drei Ministerien – Bildung, Arbeit und Familie –, die die Programme, die sie auflegen, überhaupt nicht koordinieren. Sie sorgen dadurch zusätzlich für Unübersichtlichkeit. Zum Schluss kommend will ich noch einmal betonen, was uns die Bertelsmann-Stiftung mit auf den Weg gegeben hat: Eine Ausbildungsgarantie ist in der Bundesrepublik Deutschland solide zu finanzieren. Jeder Jugendliche soll eine Ausbildungsgarantie bekommen. Wir wollen darüber hinaus, dass es in Deutschland ein Sofortprogramm für die 1,5 Millionen jungen Menschen gibt, die zwischen 20 und 29 Jahre alt sind, keine Ausbildung haben, aber im Berufsleben stehen. Diesbezüglich werden wir Sie mit unseren Vorschlägen konfrontieren; denn von Ihnen kommt dazu nichts. Es geht darum, auch in Zukunft den Fachkräftebedarf decken zu können. Es geht darum, dass der Mittelstand ausbildet; das ist auch für den Mittelstand in Baden-Württemberg wichtig. Keiner darf verloren gehen. Jeder hat das Recht auf Ausbildung. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor kurzem habe ich einen schönen Begriff gehört: Bildung à la Merkel. So nennen die Spanier das deutsche System der beruflichen Bildung. Nicht nur dort, sondern in ganz Europa wird unser System bewundert. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Aber nicht wegen Merkel!) Das hat einen ganz speziellen Grund: Bei der Jugendarbeitslosigkeit lagen wir im August in Deutschland bei 8,1 Prozent. Das ist spitze in Europa. Der Durchschnitt liegt bei 22,7 Prozent. Spanien erreichte traurige 52,9 Prozent. Dass wir bei diesem Wert, der wie kaum ein anderer die Zukunftsperspektiven junger Menschen ausdrückt, so gut sind, hat seinen Grund auch im System der beruflichen Bildung. Das liegt natürlich auch an der wirtschaftlichen Lage und an der demografischen Entwicklung, aber eben auch an dem System der beruflichen Bildung. In Madrid gibt es eine Modellschule, in der nach deutschem Vorbild ausgebildet wird. Rund 1 400 Absolventen haben diese Schule bisher durchlaufen. Der Schulleiter wird auf Spiegel Online mit den Worten zitiert: Mir ist kein einziger arbeitsloser Schüler bekannt. Ich weiß, dass keiner von Ihnen das System der beruflichen Bildung, das System der dualen Ausbildung infrage stellt. Das heißt aber nicht, dass wir unser System nicht noch weiter verbessern können. Dabei dürfen wir aber nicht den Fehler machen, unsere Stärken zu schwächen. (Willi Brase [SPD]: Wer macht das?) Die zentrale Stärke unseres Systems ist, dass die Betriebe in genau den Bereichen ausbilden, in denen sie zukünftig einen Fachkräftebedarf erwarten. (Willi Brase [SPD]: Und was machen wir mit dem Rest?) Es wird nicht am Markt vorbei ausgebildet. Deswegen erteilen wir Ansätzen, bei denen die Entscheidung, in welchen Berufen in welcher Zahl ausgebildet wird, auf den Staat oder auf Einzelne übertragen wird, eine Absage. Wir wollen nicht, dass der Staat oder Einzelne das entscheiden. Wir wollen, dass das weiterhin auf dem Markt entschieden wird; denn das hat bisher sehr gut funktioniert. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Staat muss die jungen Menschen dabei unterstützen, aus dem bestehenden Angebot am Markt den für sie richtigen Ausbildungsplatz zu finden. Da müssen wir besser werden. Es ist heute schon mehrmals gesagt worden: Eine Abbrecherquote von 23 Prozent ist nicht akzeptabel, auch wenn viele von diesen 23 Prozent nahtlos eine andere Beschäftigung finden. Dass sie ihren Ausbildungsvertrag auflösen, kostet auf allen Seiten unnötig Zeit und Energie. Die Bundesregierung hat sich dieses Themas im Rahmen des Ausbildungspakts angenommen. Die Verbesserung der Berufsorientierung ist Teil unseres Antrags. Ebenso fordern wir in unserem Antrag eine bessere Vorbereitung von Jugendlichen, die sich – warum auch immer – schwertun, einen Ausbildungsplatz zu finden. Ich kann Ihnen nur zustimmen: Keiner darf verloren gehen. Es gibt eine ganze Reihe von Programmen – sie sind heute schon mehrfach genannt worden, beispielsweise die Einstiegsqualifizierung –, mit denen die Bundesregierung im Rahmen des Ausbildungspakts gemeinsam mit der Wirtschaft versucht und Möglichkeiten bietet, den Jugendlichen im Übergangsbereich zu helfen. Die Einstiegsqualifizierung ist eine Art gefördertes Praktikum von mindestens sechs bis maximal zwölf Monaten. 44 Prozent der Geförderten werden direkt vom Betrieb übernommen. Immerhin 69 Prozent der Geförderten haben innerhalb eines halben Jahres nach der Förderung einen Ausbildungsplatz. Es geht bei der Zukunft des dualen Ausbildungssystems aber nicht nur darum, die Schwachen zu integrieren, sondern wir müssen auch darauf achten, dass die Starken der beruflichen Bildung nicht den Rücken kehren. Wenn 55 Prozent eines Altersjahrgangs mit einem Hochschulstudium beginnen, ist das erfreulich. Aber das darf nicht zu einer Überakademisierung führen. In Spanien nennt man das Titulitis. In keinem anderen Land arbeiten so viele Universitätsabsolventen in einem Job, für den sie überqualifiziert sind. Wir dürfen jetzt aber nicht den Fehler machen, berufliche Ausbildung und akademische Ausbildung gegeneinander auszuspielen. Beides ist gleichwertig. Das zeigt auch die Einstufung im Qualifikationsrahmen. Bildung à la Merkel ist, wenn beides verbunden wird. Ich nenne als Beispiel die dualen Studiengänge. Das sind Studiengänge, die eine Lehre mit einem Bachelorstudium verbinden. Ich komme aus einer Familie, die seit Jahrzehnten im Handwerk ausbildet. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Jugendlichen, die Lehre und Studium verbinden, die besonders Leistungsfähigen und die besonders Leistungswilligen sind. Das sind die Fachkräfte, die wir in unserer Wirtschaft auch in Zukunft brauchen können und brauchen werden. Trotz der steigenden Zahl der dualen Ausbildungsgänge sind diese immer noch zu wenig bekannt bzw. werden zu wenig geschätzt, zum Teil auch bei den Unternehmen. Genauso zu wenig bekannt, insbesondere bei den Eltern, ist die Möglichkeit, mit einem beruflichen Bildungsabschluss, zum Beispiel einem Meister, auf eine Fachhochschule und von dort aus mit einem Bachelor zur Universität zu gehen. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das ist nicht so einfach!) In Bayern ist das Motto im Bildungswesen: Kein Abschluss ohne Anschluss. (Katja Mast [SPD]: Kein Abschluss ohne -Ausbildung!) Wenn das gelebt und von allen Seiten akzeptiert wird, dann ist mir um die Zukunft unseres beruflichen Bildungswesens nicht bange. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Letzter Redner in dieser Debatte ist Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Axel Knoerig (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die duale Berufsausbildung ist seit langem ein einzigartiges Aushängeschild für unser Land. (Beifall der Abg. Katja Mast [SPD]) Dieses erfolgreiche Modell betrieblicher und schulischer Ausbildung genießt einen hohen Stellenwert, nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland. Das Interesse unserer Nachbarländer an der dualen Berufsausbildung hat zugenommen. Darauf hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung reagiert. So wurde im September dieses Jahres eine zentrale Anlaufstelle für internationale Bildungskooperationen eingerichtet. In dem dualen Ausbildungssystem sehen viele europäische Nachbarstaaten ein gutes Vorbild, um die Jugendarbeitslosigkeit im eigenen Land zu reduzieren. Zwischen Deutschland und Spanien wurde im Juli 2012 eine Kooperation im Bereich der Berufsausbildung beschlossen. Zur Information: In Spanien ist – die Quote beträgt 46 Prozent; das ist eine traurige Zahl – fast die Hälfte aller Jugendlichen arbeitslos. Deutschland hat dagegen mit 7,9 Prozent die niedrigste Quote in ganz -Europa. An dieser Stelle, meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns in die Vergangenheit schauen. Im Jahre 2005, nach sieben Jahren Rot-Grün, betrug die -Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland beträchtliche 15 Prozent, Frau Mast. (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) Ich denke, dieser Zahlenvergleich bedarf keiner weiteren Kommentierung, Herr Brase. Diese Zahlen sprechen deutlich für den Erfolg von Schwarz-Gelb. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dieser Erfolg der dualen Berufsausbildung in Deutschland basiert auf mehreren Vorteilen: Erstens. Die Ausbildung ist praxisnah. Zweitens. Vor allem die mittelständischen Betriebe bilden branchennah und mit Heimatbezug aus. Drittens. Das Ausbildungssystem entspricht dem Bedarf an Fachkräften. Viertens. Die Berufsprofile bei den einzelnen Branchen werden immer aktuell dem Arbeitsmarkt angepasst. Das ist ganz wichtig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Union garantiert dieses Modell und sichert es für die Zukunft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Willi Brase [SPD]: Oh! Vorsichtig!) Die Entwicklung – und das sehen wir auf dem Arbeitsmarkt – hat dazu geführt, dass sich die Ausbildungssi-tuation für junge Menschen weiter verbessert hat. Bundesweit sind 2011 rund 570 000 Ausbildungsverträge geschlossen worden. Das sind 1,8 Prozent mehr als 2010. (Willi Brase [SPD]: Weniger als 2007!) Nun haben die Grünen wieder einmal ihren Evergreen aufgelegt (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na!) und das System DualPlus in die Beratung eingebracht. Sie wollen ja neben Berufsschule und Betrieb eine dritte Säule in der Ausbildung etablieren. Sie fordern einen zusätzlichen Ausbildungsteil, der von den Betrieben getragen wird. Wir als Union sagen ganz klar: Das ist wirtschaftsfern. Wir halten an dem Erfolgsmodell der dualen Berufsausbildung fest. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ihr System DualPlus, auch wenn es ein Evergreen ist, steht lediglich für mehr Bürokratie sowie für eine stärkere Regulierung unserer Wirtschaft. Das wollen wir unseren Betrieben in Deutschland nicht zumuten. Wir setzen auf Freiwilligkeit; denn Freiwilligkeit ist der Schlüssel zum wahren Erfolg. Deswegen konzentrieren wir uns vielmehr auf den Übergang von der Schule zur Ausbildung. Wir haben insoweit heute bereits mehrmals zwei Lösungen vorgetragen. Doch diese sind so gut, dass ich sie gerne noch einmal an zwei Beispielen erwähnen möchte: Erstens. Wir haben den Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs verlängert. (Willi Brase [SPD]: Wer hat den entwickelt?) Jugendliche, die schwer vermittelbar sind, können so leichter in die betriebliche Ausbildung einsteigen. Zweitens. Um die Zahl der Schulabbrecher zu reduzieren, gibt es das Programm – Sie, Herr Kollege Kamp, haben es hervorragend dargestellt – „Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss“. Das Bildungs- und Forschungsministerium hat hierfür rund 360 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Zu diesem Programm gehören auch die sogenannten Ausbildungslotsen. Das sind Mentoren, die praxisnah aus ihrem Beruf und mit ihrer Ausbildungserfahrung die Jugendlichen bei ihrer Berufsorientierung unterstützen. Ich habe das auch in meinem Wahlkreis Diepholz/Nienburg in Niedersachsen erlebt. Dort wurde das Projekt „Ausbildungslotsen“ erfolgreich an zwei Schulen gestartet. An einer Oberschule in Sulingen und an der Kooperativen Gesamtschule Stuhr-Brinkum wird es für Schüler ab der 8. Klasse angeboten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte fest: Wir als christlich-liberale Koalition garantieren das duale Ausbildungssystem zum Wohle aller Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz anstreben, sowie für alle Betriebe, die den Fachkräftenachwuchs in unserem Land sichern. Hierfür danken wir besonders unseren mittelständischen Betrieben, den Handwerksmeistern, den Innungen sowie den Berufsschulen. Ich halte zum Schluss fest: Wir haben hierzulande ein vorbildliches Ausbildungssystem, auf das wir stolz sein können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/10116, 17/10856, 17/9586, 17/9700 und 17/10986 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 h sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 e auf: 40 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des Erbrechts und der Verfahrensbeteiligungsrechte nichtehelicher und einzeladoptierter Kinder im Nachlassverfahren – Drucksache 17/9427 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2013 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2013) – Drucksache 17/10915 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Finanzausschuss Haushaltsausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 17. Dezember 2009 zwischen Kanada und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten (Vertragsgesetz EU-Kanada-Luftverkehrsabkommen – EU-KAN-LuftverkAbkG) – Drucksache 17/10917 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Tourismus d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und anderer Gesetze – Drucksache 17/10961 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Marianne Schieder (Schwandorf), Frank Hofmann (Volkach), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Konsum kristalliner Methamphetamine durch Prävention eindämmen – Neue synthetische Drogen europaweit effizienter bekämpfen – Drucksache 17/10646 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Johannes Selle, Dorothee Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Claudia Winterstein, Burkhardt Müller-Sönksen, Reiner Deutschmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Das Filmerbe stärken, die Kulturschätze für die Nachwelt bewahren und im digitalen Zeitalter zugänglich machen – Drucksache 17/11006 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rehabilitierung und Entschädigung der verfolgten Lesben und Schwulen in beiden deutschen Staaten – Drucksache 17/10841 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer, Jan Korte, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Finanzierung zur Bewahrung des deutschen Filmerbes endlich sicherstellen – Drucksache 17/11007 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Haushaltsausschuss ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Tom Koenigs, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NS-Vergangenheit von Bundesministerien und Behörden systematisch aufarbeiten – Bestandsaufnahme zur Forschung erstellen – Erinnerungsarbeit koordinieren – Drucksache 17/10068 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Kultur und Medien Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine angemessene Praxis bei Anträgen auf Kindergeldabzweigung durch die Sozialhilfeträger – Drucksache 17/10863 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Michael Kretschmer, Dr. Hans-Peter Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Stefan Ruppert, Patrick Kurth (Kyffhäuser), Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stärken, Rahmenbedingungen verbessern – Die Aufarbeitung der Geschichte der wichtigsten staatlichen Institutionen in Bezug auf die NS-Vergangenheit durch besseren Aktenzugang unterstützen und Bestandsaufnahmen zur Aufarbeitung der frühen Geschichte der Bundesministerien und -behörden sowie der vergleichbaren DDR-Institutionen beauftragen – Drucksache 17/11001 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Patientenrechte wirksam verbessern – Drucksache 17/11008 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beitragssätze nachhaltig stabilisieren, Erwerbsminderungsrente verbessern, Reha-Budget angemessen ausgestalten – Drucksache 17/11010 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist so. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a bis c, 41 e bis l sowie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 41 a: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Martin Dörmann, Gerold Reichenbach, Doris Barnett, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes (TMG) – Drucksache 17/8454 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/8814 – Berichterstattung: Abgeordneter Andreas G. Lämmel Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8814, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8454 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 41 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Festlegung eines Mehrjahresrahmens (2013-2017) für die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte – Drucksache 17/10760 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/11062 – Berichterstattung: Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff Dr. Eva Högl Marco Buschmann Raju Sharma Ingrid Hönlinger Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11062, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10760 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 41 c: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Freihandelsabkommen vom 6. Oktober 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits – Drucksache 17/10758 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/11054 – Berichterstattung: Abgeordnete Ulla Lötzer Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11054, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10758 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Linken und Grünen bei Enthaltung der SPD angenommen. Tagesordnungspunkt 41 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Vorschlag für eine Verordnung des -Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms für Umwelt- und Klimapolitik (LIFE) KOM(2011) 874 endg.; Ratsdok. 18627/11 – Drucksachen 17/8515 Nr. A.42, 17/10196 – Berichterstattung: Abgeordnete Josef Göppel Frank Schwabe Angelika Brunkhorst Sabine Stüber Undine Kurth (Quedlinburg) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10196, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des -Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 41 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 473 zu Petitionen – Drucksache 17/10834 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 473 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 41 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 474 zu Petitionen – Drucksache 17/10835 – Wer stimmt dafür? – Enthaltungen? – Gegenstimmen? – Auch die Sammelübersicht 474 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 41 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 475 zu Petitionen – Drucksache 17/10836 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 475 ist gegen die Stimmen der Grünen von den übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 41 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 476 zu Petitionen – Drucksache 17/10837 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 476 ist gegen die Stimmen der Linken von den anderen Fraktionen des Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 41 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 477 zu Petitionen – Drucksache 17/10838 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 477 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Grünen und der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 41 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 478 zu Petitionen – Drucksache 17/10839 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 478 ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 41 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 479 zu Petitionen – Drucksache 17/10840 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 479 ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Zusatzpunkt 4 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Juni 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt über den Sitz des Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt – Drucksache 17/10756 – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) – Drucksache 17/11035 – Berichterstattung: Abgeordnete Peter Beyer Dr. Rolf Mützenich Marina Schuster Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller (Köln) Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11035, den -Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10756 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 b: Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Portugal unterstützen und Parlamentsrechte wahren hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Drucksache 17/11009 – Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken abgelehnt. Ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Integrität parlamentarischer Entscheidungen durch mehr Transparenz und klare Regeln gewährleisten – Nebentätigkeiten, Karenzzeit für Regierungsmitglieder, Abgeordnetenbestechung und Parteiengesetz Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nirgendwo fallen Reden und Handeln bei dieser Koalition so auseinander wie beim Thema „Nebentätigkeiten und Transparenz für Abgeordnete“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das?) In der letzten Woche haben Sie auf einmal Gefallen an mehr Transparenz gefunden. Seit heute wissen wir: Das gilt nur, wenn es um den Kollegen Steinbrück geht. (Christine Lambrecht [SPD]: Genau!) Wenn es mir keinen Ordnungsruf eintragen würde, Herr Präsident, dann würde ich das Verhalten der Koalition glatt als Heuchelei bezeichnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zu den Transparenzrichtlinien des Bundestages gesagt: Wähler müssen Zugang zu den Informationen haben, die für ihre Entscheidung von Bedeutung sein können. … Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz … ist nicht möglich … Interessenverflechtungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten der Abgeordneten sind für die Öffentlichkeit offensichtlich von erheblichem Interesse. … Das Volk hat Anspruch darauf, zu wissen, von wem – und in welcher Größenordnung – seine Vertreter Geld oder geldwerte Leistungen entgegennehmen. Diese Worte des Verfassungsgerichts sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Es geht nicht um Sozialneid. Ehrlich verdientes Geld ist ehrlich verdientes Geld. (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Ach!) Transparenz schützt aber die Integrität und Legitimität parlamentarischer Entscheidungen. Die Menschen müssen wissen, dass wir, die wir hier handeln und entscheiden, im Sinne unseres Wählerauftrages unterwegs sind und unsere Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen für das Wohl der Bevölkerung treffen und dass diese Entscheidungen nicht nach den subjektiven wirtschaftlichen Interessen der Abgeordneten oder ihrer Auftraggeber, mit denen sie wirtschaftliche Verbindungen haben, getroffen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Meine Damen und Herren von der christlich-liberalen Koalition, Sie fürchten mehr Transparenz wie der Teufel das Weihwasser. (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: So ein Quatsch! – Zuruf von der FDP: Quatsch!) Das haben Sie am 30. Juni 2005 bewiesen, als wir die geltende Transparenzregelung eingeführt haben. Das Plenarprotokoll vermerkt dazu: „Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition“ – das war damals Rot-Grün – „bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.“ Kein Abgeordneter der Koalition wollte 2005 mehr Transparenz bei der Nebenbeschäftigung von Abgeordneten. Heute haben Sie wieder so gehandelt. In der Rechtsstellungskommission haben Sie bewiesen, dass Sie keinen Schritt weiter sind. Sie waren nicht zu einem Beschluss bereit, obwohl wir Ihnen sogar zwei Alternativen angeboten haben, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, als Tischvorlage!) nämlich einmal Veröffentlichung der Nebentätigkeit auf Heller und Pfennig (Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Habt ihr doch bekämpft! – Sie waren ja auch zu keinem Grundsatzbeschluss in diesem Sinne bereit, Herr GrosseBrömer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Alternative waren wenigstens zehn zusätzliche Transparenzstufen bei der Veröffentlichung. Im Widerspruch zur Geschäftsordnung hat Herr Solms darauf -bestanden, über die Anträge noch nicht einmal abzustimmen. Das zeigt doch: Bei Steinbrück fordern Sie die -brutalstmögliche Transparenz, und in der Rechtsstellungskommission kneifen Sie. Das ist so ein bisschen Spiel nach „good cop, bad cop“. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist Heuchelei, und das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Generalsekretäre der Koalition haben Sie letzte Woche von der Kette gelassen. Dobrindt und Döring -haben gegen Steinbrück gehetzt. Was haben sie nicht -alles gefordert? „Er täte gut daran, volle Transparenz walten zu lassen und zu sagen, wie viel Geld er von der Finanzindustrie bekommen habe,“ forderte Herr -Dobrindt. Weiter sagt er: „Einfach sagen, in welcher Höhe“ – hört, hört! – „er in den letzten Jahren aus der -Finanzindustrie Gelder erhalten hat.“ Dann kann sich jeder Gedanken darüber machen, ob hier Abhängigkeiten entstanden sind. (Zuruf des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Ja, richtig. Dann machen wir das aber für alle und nicht nur für den Kollegen Steinbrück. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Herr Grosse-Brömer, bei Ihnen geht der Riss ja mittendurch. Auch Sie machen „good cop, bad cop“. Außerhalb der Rechtsstellungskommission machen Sie den „bösen Polizisten“, und in der Rechtsstellungskommission sagen Sie: Wir müssen alle ein bisschen nachdenk-licher werden. Das schadet uns allen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Reden Sie von mir?) – Ja, ich zitiere Sie, Herr Kollege: Wer als Bankenschreck auftritt, von dem will der Bürger wissen, was er von den so Kritisierten ganz konkret bekommen hat. (Zurufe von der SPD: Hört! Hört!) – Ja, das wollen wir wissen, aber wir wollen es dann auch von allen wissen, auch von Herrn Döring, auch von Herrn Glos. Wir wollen keine Abgeordneten erster oder zweiter Klasse schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Ihr Angebot heute Morgen, man könne durchaus über weitere Stufen bei der Transparenz reden, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist schon mehrere Wochen alt!) ist ja wohl wirklich ein schlechter Witz. Wir reden seit drei Jahren in der Rechtsstellungskommission bei Kaffee und Croissant darüber, (Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) wie wir zu weiterer Transparenz kommen. – Ohne -Ergebnis! So auch am heutigen Tag. Bewegt hat sich -einfach gar nichts. Meine Damen und Herren, die Transparenz bei den Nebenbeschäftigungen ist eine Sache. Aber bei Transparenz geht es natürlich um mehr. Wir Grünen fordern eine umfangreiche Transparenzinitiative, die auch beinhaltet, die Korruption, also Abgeordnetenbestechung, zu bestrafen. Es kann nicht sein, dass Deutschland neben -Österreich das einzige Land in Europa ist, – Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – das die UN-Konvention gegen Korruption nicht verabschiedet hat. Ein wichtiger Punkt – die anderen wird mein Kollege Konstantin von Notz dann ausführen können – ist die Karenzzeit bei ausgeschiedenen Regierungsmitgliedern. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Warum ist es in der EU-Kommission selbstverständlich, dass ein Kommissar, der ausscheidet, sich seine Anschlussverwendung genehmigen lassen muss – Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – um es mit den Worten von Herr Rösler zu sagen –, und bei uns geht das nicht? Da müssen wir uns an den europäischen Standard anpassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Michael Grosse-Brömer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Jetzt entschuldige dich mal!) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Machen wir uns nichts vor, diese Aktuelle Stunde verdanken wir nicht unwirksamen Transparenzregeln, sondern der Sorge von Rot-Grün, dass Peer Steinbrück mit seinen Vortragsreisen weiterhin in der Diskussion bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael -Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Schlechter Versuch!) Dabei zeigt gerade die Causa Steinbrück, dass wir Regeln zur Transparenz haben, die funktionieren. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sie auch nicht wollten!) Innerhalb kürzester Zeit waren in sämtlichen Zeitungen die zehn besten Nebenverdiener veröffentlicht. – Herr Beck, Sie haben doch gerade Ihren letzten Schwung hier am Pult gelassen. Nun bleiben Sie doch ein bisschen -locker. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe noch Energie übrig, aber keine Redezeit!) – Ich finde das absolut spannend, aber Sie müssen auch bei diesem Thema lernen, ein bisschen ruhiger zu werden. (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Und zuzuhören! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ausgerechnet!) Die Causa Steinbrück besteht doch auch darin, (René Röspel [SPD]: Es gibt keine Causa Steinbrück!) dass er sich freundlicherweise freiwillig zur Offenlegung bereit erklärt hat, möglicherweise deshalb, weil er sich vom normalen Abgeordneten dadurch unterscheidet, dass er Kanzlerkandidat Ihrer Partei geworden ist. (Christine Lambrecht [SPD]: Das können wir doch alle werden!) Er hat sich dazu freiwillig bereit erklärt und gesagt: Ich lege gerne alles auf den Tisch. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie doch gefordert? Haben Sie es gefordert?) – Ich habe das nicht gefordert. Sie haben in der Ihnen eigenen Art, als Sie mich zitierten, die Hälfte weggelassen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das lag an der Redezeit! Geben Sie mir mehr Redezeit und ich zitiere länger!) Ich habe nämlich gesagt: Wenn denn jemand freiwillig sagt: „Ich offenbare alles“, dann muss er es auch tun. Diese Forderung habe ich aufgestellt. Das können Sie gerne noch einmal nachlesen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch gar nicht um Steinbrück! Es geht um grundsätzliche Regelungen!) Ich finde, die bisherigen Transparenzregeln geben auch die Möglichkeit, nachzufragen. Genau so ist es richtig. Ich bin mit Ihnen der Auffassung: Jeder Bürger muss wissen: „Gibt es irgendwelche wirtschaftlichen -Interessen, die einen Abgeordneten in irgendeinem Zusammenhang in seinem Mandat beeinträchtigen?“ (Zuruf von der SPD: Ah! Das ist ja etwas Neues!) – Das ist nicht neu. Herr Kollege Lange, und Sie, Herr Kollege Beck, wissen genau, dass ich das nicht nur heute, sondern schon in der letzten Woche permanent erzählt habe. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Seit drei Jahren bekämpfen Sie das! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind Ihre Vorschläge?) Deswegen will ich jetzt diese Heuchelei nicht bewerten, die sich darin zeigt, dass heute so getan wird, als würden wir hier völlig neue Vorschläge machen, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen gar keine Vorschläge!) die wir im Übrigen schon beim letzten Mal gemacht -haben, als wir die Sitzung vertagen mussten, weil die SPD-Kollegen nicht da waren. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie spielen auf Zeit und sonst gar nichts!) Ich finde, die Öffentlichkeit hat ein berechtigtes Interesse an der Offenlegung der Einkünfte von Abgeordneten; gar keine Frage. Das ist unstreitig. Das war im -Übrigen auch immer in unserer Fraktion unstreitig. (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von welcher reden Sie?) Es muss erkennbar sein, ob ein Abgeordneter bei der Mandatsausübung wirtschaftlich frei ist und im Auftrag seiner Wählerinnen und Wähler handelt. Mögliche Abhängigkeitsverhältnisse müssen klar benannt werden. Die Frage ist nur: Welchen Weg wählen wir, um genau dieses Ziel zu erreichen? Wir unterstützen die Forderung nach mehr Transparenz und auch die Verschärfung der bisherigen Regeln. Das haben wir mehrfach gesagt, nicht zuletzt in der Rechtsstellungskommission. Deswegen wäre es sinnvoll, Herr Kollege Beck, wenn Sie endlich aufhörten, uns Blockade vorzuwerfen. Sie waren jedes Mal dabei, wenn wir unsere Angebote gemacht haben. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten einen schmutzigen Deal! Sie wollten weniger Transparenz!) Wir haben immer gesagt: Wir sind bereit, mehrere Stufen einzurichten. Das hat mit Blockade überhaupt nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will Ihnen Folgendes sagen: Unserer Meinung nach hat sich das Stufenmodell bewährt. Einkünfte werden pauschaliert und nach Herkunft angezeigt. Diese Meinung hatten auch SPD und Grüne eine recht lange Zeit. Ich zitiere einmal, was Sie gesagt haben, als Sie beim letzten Mal den Gesetzentwurf befürwortet haben, der dazu beigetragen hat, diese Transparenzregeln einzuführen. Damals waren Sie folgender Auffassung, und zwar SPD und Grüne: Nach einem Gutachten für die Rechtsstellungskommission von Professor Hans Meyer tragen wir dem Ausgleich der widerstreitenden Positionen der verfassungsrechtlichen Stellung des Abgeordneten, auch soweit er Grundrechtsträger ist, Rechnung. – Achtung: So sei das vorgeschlagene Stufenmodell bei der Veröffentlichung von Einkünften gerade in der -Abwägung zwischen den Grundrechten des Abgeordneten einerseits und dem berechtigten Interesse der Öffentlichkeit auf Offenlegung von Einkünften andererseits gewählt worden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten heute eines im Angebot! Das wollten Sie auch nicht!) Dies gilt gerade deshalb, weil dieses Stufenmodell der passende Ausgleich zwischen dem notwendigen freien Mandat, verfassungsrechtlich garantiert, und der notwendigen Information der Bürger ist, ob es und, wenn ja, in welchem Umfang wirtschaftliche Interessen gibt, die offenzulegen sind. In diesem Zusammenhang halte ich deshalb auch die Forderung nach Offenlegung auf Heller und Pfennig für falsch. Wo ist der Mehrwert, wenn alles auf Heller und Pfennig offenbart werden muss, im Vergleich zu diesem Stufenmodell, bei dem pauschaliert wird? Im Übrigen wird dem Bundestagspräsidenten alles ganz konkret angezeigt, aber für die Öffentlichkeit wird das pauschaliert dargelegt. Den Mehrwert bei der Transparenz sehe ich nicht. Den hat mir bislang keiner erklärt, auch heute Morgen nicht in der Rechtsstellungskommission. Wenn dieses Instrument der Offenlegung auf Heller und Pfennig keinen Mehrwert hat, dann muss man sich die Frage stellen: Ist es denn im Vergleich zum Stufenmodell geeignet, mehr Transparenz zu schaffen? Wenn es nicht geeignet ist, mehr Transparenz zu schaffen, dann erlaube ich mir allerdings, an die Auffassung des -Bundesverfassungsgerichtes zu erinnern, dessen Richter damals bei der Bewertung der Transparenzregeln sehr uneinig, nämlich mit 4 : 4, abgestimmt haben. Das Bundesverfassungsgericht hat geschrieben: Der Schutz der Privatsphäre gilt auch für Abgeordnete. Das bedeutet, dass sich eine Offenlegung nur rechtfertigt, soweit es … Informationen sind, die auch tatsächlich dazu geeignet sind, auf die Gefahr von Interessenverknüpfungen und Abhängigkeiten des Abgeordneten hinzuweisen. Wir wollen uns an der Verschärfung der Transparenzregeln beteiligen, und wir sind – wie wir jetzt schon mehre Wochen lang betonen – bereit, mehrere Stufen einzurichten. Infolgedessen sind wir auch die Fraktion, die dazu beiträgt, dass Abhängigkeitsverhältnisse in der Öffentlichkeit deutlich werden, (Beifall CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD) nicht nur bei einem Kanzlerkandidaten, sondern bei -allen Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion. Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den wenigen wirklich frustrierenden Erfahrungen als Abgeordneter des Deutschen Bundestages gehört meine -Mitarbeit in der Kommission des Ältestenrates für die Rechtsstellung der Abgeordneten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kriegst du eine Erschwerniszulage?) Seit zwei Jahren debattieren wir jetzt intensiv aufgrund verschiedener Vorlagen und bemühen uns, die Transparenzvorschriften für Abgeordnete zu erweitern. Nichts ist in dieser Zeit passiert. Nichts hat sich bewegt. Es geht immer nach der Methode „Verschleppen, verzögern, verhindern“. (Beifall bei der SPD) Das änderte sich aber schlagartig vor zwei Wochen. Als Peer Steinbrück Kanzlerkandidat wurde, sprangen die drei Generalsekretäre der Koalitionsparteien gleichzeitig auf die Bühne und forderten umfassende Transparenz von Steinbrück. Er solle alle Nebeneinkünfte auf Euro und Cent offenlegen. Für einen ganz kurzen -Moment hatten die Generalsekretäre vergessen, was vorher passiert war, nämlich dass Union und FDP bei allen Abstimmungen über die Erweiterung von Transparenzstufen im Bundestag oder in den Ausschüssen immer -dagegen gestimmt haben. (Patrick Döring [FDP]: Sie zitieren falsch!) Deshalb stelle ich fest: Wer für sich selbst Transparenz verhindert, aber von anderen Transparenz fordert, der ist ein Pharisäer und ein scheinheiliger Zeitgenosse, Herr Döring. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Habe ich nie gefordert! Das wissen Sie auch!) Ganz besonders peinlich wird es, wenn einer wie Sie, der auch noch der Nebentätigkeit als Vorstand einer Haustierversicherung nachgeht und selber nicht über seine Einkünfte aus dieser Tätigkeit nach Euro und Cent Rechenschaft ablegt, (Patrick Döring [FDP]: Weil ich auch das nie gefordert habe! Nie gefordert!) Peer Steinbrück angeht und sogar sagt, der habe nicht das Gen des ehrbaren Kaufmanns. Das war eine massive Beleidigung von Peer Steinbrück. Ich warte immer noch, dass Sie sich dafür entschuldigen. (Beifall bei der SPD) Mein lieber Herr Döring, wie aber konnten Sie so vergesslich sein? Wie konnten Sie glauben, dass wir den Ball, den Sie uns da zugespielt haben, nicht mit großer Freude nach vorne spielen – und nicht nur mit Schadenfreude. Wir wären doch schlechte Politiker, wenn wir diese Gelegenheit nicht nutzen würden, jetzt auch in der Sache voranzukommen. Und wir müssen in der Sache vorankommen, meine Damen und Herren. Die Zeit ist reif für neue Transparenzvorschriften im Deutschen Bundestag. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen die Offenlegung auf Euro und Cent von allen Nebeneinkünften. Jetzt heißt es natürlich ganz kleinlaut bei meinem Kollegen Grosse-Brömer, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich finde, ich war ganz deutlich!) das sei mit dem freien Mandat nicht vereinbar: Wir wollen nicht den gläsernen Bürger. – Auch wir wollen nicht den gläsernen Bürger, aber wir wollen den transparenten Abgeordneten. (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie wollen den gläsernen Abgeordneten!) Wenn Sie nicht wissen, was der Unterschied ist, kann ich Ihnen das gerne anhand unserer Verfassung erklären. Abgeordnete sind Vertreter des ganzen Volkes, an -Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Das ist eine herausgehobene Stellung der Abgeordneten. Aus der dürfen Sie nicht nur Rechte, sondern aus der müssen Sie auch Verpflichtungen ableiten, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben ein sehr gesundes Verhältnis zu den Rechten, aber offenbar ein gestörtes Verhältnis zu den Verpflichtungen. Wir wollen keine Neiddebatte über Nebeneinkünfte von Abgeordneten, ganz im Gegenteil. (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Es darf gelacht werden!) Ich finde es völlig in Ordnung, wenn einzelne Kollegen versuchen, über Nebentätigkeiten ihre berufliche -Qualifikation zu erhalten oder auch den Kontakt zum Wirtschaftsleben darüber aufrechtzuerhalten. Im Mittelpunkt muss aber die Unabhängigkeit des Abgeordneten stehen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Die Bürgerinnen und Bürger müssen erkennen können, ob sich Abgeordnete von Dritten abhängig gemacht haben. Mögliche Interessenkollisionen, mögliche Interessen-verflechtungen müssen erkennbar, müssen kritisierbar, müssen diskutierbar werden. Das ist der Sinn der Transparenzvorschriften; das ist der Sinn des Transparenzgebotes. Es geht darum, das Vertrauen der Bürger in die Unabhängigkeit der Abgeordneten zu stärken. Wenn Sie nicht das Misstrauen, sondern das Vertrauen stärken wollen, dann hilft nur eins: Offenlegung aller Nebeneinkünfte auf Euro und Cent. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Von der Union sind es über 100 Kollegen und Kolleginnen und von der FDP über 40, die einer vergüteten Nebentätigkeit nachgehen. (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Selbst-ständige! Freiberufler!) Ich rufe den Kollegen zu: Stehen Sie zu Ihrer Nebentätigkeit! Schämen Sie sich nicht dafür, dass Sie mit ehrlicher Arbeit Geld verdienen! Aber ich finde, was man ehrlich verdient hat, das kann man auch sagen. (Beifall bei der SPD) Deshalb: Gehen Sie mit uns den nächsten Schritt, und verändern Sie mit uns die Nebentätigkeitsvorschriften! Sorgen Sie mit uns für volle Transparenz! Ich möchte zum Schluss noch eine Bemerkung machen, Herr Präsident. Ich habe nämlich noch eine weitere Bitte an die Koalition: Klären Sie endlich Ihr gestörtes Verhältnis zur Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung! (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie das länger hier im Deutschen Bundestag blockieren, blamieren Sie den Deutschen Bundestag bis auf die Knochen. Der Bundestag darf nicht das einzige Parlament und Deutschland nicht die einzige parlamentarische Demokratie auf der Welt sein, wo Abgeordnetenbestechung auch in Zukunft straffrei möglich ist. Bewegen Sie sich bei dem Thema! Kommen Sie endlich in die Schuhe! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe als Mitglied des Präsidiums des Bundestages das Vergnügen oder auch manchmal die Last, die Rechtsstellungskommission zu leiten. In dieser Funktion und mit entsprechendem Auftrag versuche ich, in der Frage der Transparenz der Einkünfte der Abgeordneten – ob das Nebeneinkünfte sind, ist schon eine Zweifelsfrage – eine Verbesserung zu erzielen. Wir wollen mal bei den Fakten bleiben: Erstens. Die jetzige Regelung mit den drei Stufen ist, wie eben gerade von Herrn Beck bestätigt wurde, nicht von uns, sondern von Rot-Grün eingeführt worden. (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Das haben sie schon vergessen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten gar nichts gemacht!) Sie wird nun von Ihnen genauso wie von uns als unzureichend angesehen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damals war es zu weitgehend!) Aber Sie sollten auch bestätigen, dass Sie Ihre Meinung auch erst einmal neu entwickeln mussten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Wir waren damals schon für Heller und Pfennig! Die SPD wollte es nicht! – Gegenruf von der FDP: Die Grünen waren es nie!) – Jetzt bin ich dran. – Zweitens. Wir haben in der Rechtsstellungskommission einen Vorschlag in der Diskussion – wenn ich mich recht erinnere, seit über einem Jahr – zu einer Zehn-Stufen-Regelung bis zu 150 000 Euro. Es ist überhaupt nicht wahr, dass nicht darüber diskutiert worden ist. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gleichzeitig nehmen Sie die monatliche Anzeigepflicht raus! Das ist ein toller Vorschlag!) Wir haben auf einer realen Grundlage diskutiert und sind bis jetzt nicht zu einer Einigung gekommen. So sind die Fakten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann setzen Sie es doch durch! Wir haben es auch durchgesetzt!) Vor 14 Tagen, als die Rechtsstellungskommission das erste Mal nach der Sommerpause getagt hat, war die Koalitionsseite bereit, über eine weitergehende Stufenregelung zu reden. Leider waren die Kollegen der SPD verhindert. Ich sage das nicht vorwurfsvoll. Es ist einfach ein Faktum. Deswegen konnten wir nicht darüber sprechen. Die Causa Steinbrück ist erst danach hochgekommen. Bis zu diesem Zeitpunkt war die SPD voll entschlossen, über eine Stufenregelung zu reden und nicht die Berichterstattung auf Heller und Pfennig einzufordern. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau so ist es!) Das heißt, der Sachzusammenhang mit der Causa Steinbrück ist deutlich erkennbar. (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Reflexhaft!) Wir sind auch jetzt bereit, über eine weitgehende Stufenregelung zu reden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir ja schon eine Weile!) Das geht natürlich nicht mit einem Termin, der nur 40 Minuten dauert wie heute Morgen. Dafür muss man sich etwas mehr Zeit nehmen. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Wollt ihr, oder wollt ihr nicht?) – Entschuldigung, wenn man eine gemeinsame Lösung erzielen will, muss man darüber reden. Es geht eben nicht so, wie es der Kollege Beck getan hat, indem er eine Tischvorlage einbringt und verlangt, dass wir sofort darüber abstimmen, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie schon gestern gehabt!) bevor irgendjemand Gelegenheit hatte, sich diese Tischvorlage anzuschauen. Das geht nicht. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In den Ausschüssen legen Sie solche Pakete vor als Koalition, und zwar jeden Mittwochmorgen um 9 Uhr!) – Herr Kollege Beck, das hätte doch die Lösungsfindung nur erschwert und nicht erleichtert. Jetzt sollte man das alles einmal ein bisschen herunterhängen; (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird Ihnen nicht gelingen! Grund war doch Ihre Zögerlichkeit!) denn diese ganze Diskussion schadet dem ganzen Haus und allen Fraktionen hier im Hause. (Beifall bei der FDP) Ich bin es nun endlich leid. Diese laufenden Schuldzuweisungen hin und her führen dazu – – (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Sagen Sie das zu Herrn Döring!) – Ich nehme niemanden aus. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Gut! Sie haben es gehört, Herr Döring?) Ich habe mit dem Kollegen Döring schon unter vier Augen über das Problem gesprochen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Oh! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der wird ganz rot, der Kollege Döring!) und ich hoffe, dass das andere auch getan haben im Hinblick auf Kollegen in ihren Fraktionen. Ich bitte jetzt nur die Kollegen aus der Rechtsstellungskommission, sich für die nächste Woche etwas mehr Zeit zu nehmen; denn ich bin überzeugt davon, dass wir in der nächsten Woche die Chance haben, zu einem Ergebnis zu kommen. Das muss unser Interesse sein, damit diese leidige Diskussion endlich beendet wird. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Raju Sharma für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Raju Sharma (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es Regeln gibt, dann sollte man sie einhalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn es Regeln sind, die man selber aufgestellt hat. Darüber sollten wir heute sachlich debattieren. Mit Peer Steinbrück lohnt sich eine politische Auseinandersetzung. Dafür gibt es gute Gründe, und diese Auseinandersetzung sollten wir auch führen. An die geltenden Transparenzregelungen hat er sich aber nach dem, was wir wissen, offenbar gehalten. Das Problem ist bloß, dass die geltenden Transparenzregelungen nicht das halten, was sie dem Namen nach versprechen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nun regen sich alle über Peer Steinbrücks Nebentätigkeiten auf: die Union und die FDP. Den Grünen ist das sogar eine Aktuelle Stunde wert. Was mich wundert, ist, dass die Genossinnen und Genossen von der SPD sich nicht aufregen; denn da wird jemand als MdB bezahlt, leistet aber nicht. (Christine Lambrecht [SPD]: Wie kommen Sie denn darauf? – Thomas Oppermann [SPD]: Haben Sie heute Morgen die Rede nicht gehört? Waren Sie heute Morgen nicht da?) Statt den Ruhm der Sozialdemokratie in Facharbeitskreisen und in den Ausschüssen zu mehren, mehrt Peer Steinbrück seinen eigenen Ruhm und seine eigene Ehre und bekommt dafür Honorare wie Jerry Lewis zu seinen besten Zeiten in Caesar’s Palace. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Da sind Sie richtig neidisch, was? – Christine Lambrecht [SPD]: Ihre Rede ist das nicht wert!) Wenn ich Sozialdemokrat wäre und vielleicht in Mettmann etwas bewegen wollte, dann würde ich mich wirklich aufregen. Aber es regen sich ganz andere auf, zum Beispiel der Kollege Dobrindt. Der wird immerhin dafür bezahlt, dass er sich aufregt: (Thomas Oppermann [SPD]: Wo ist er überhaupt?) von der Allianz, von BMW, von der bayerischen Metallindustrie, die allesamt kräftig der CSU spenden. (Beifall bei der LINKEN) Außerdem meldet sich Patrick Döring zu Wort, ausgerechnet Patrick Döring, der selber zu den Top Ten der Nebenverdiener gehört. (Thomas Oppermann [SPD]: Aber nur bei den Nebenverdienern!) – Die Honorare bekommt er allerdings nicht für Vorträge; sie wären vermutlich auch intellektuell wenig -inspirierend. (Heiterkeit bei der LINKEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die will keiner hören! – Zuruf von der FDP: Das ist ja unterirdisch!) – Unterirdisch? (Zuruf von der FDP: Ja, es ist unterirdisch, sich so gegenüber dem Kollegen zu verhalten! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Unterirdisch“ im Zusammenhang mit Döring ist immer eine richtige Aussage!) Ausgerechnet Union und FDP melden sich zu Wort, also die Fraktionen, die an anderer Stelle mit fadenscheinigen Begründungen verhindern, dass endlich die UN-Konvention gegen Korruption ratifiziert wird und dass die Empfehlungen der Staatengruppe gegen Korruption umgesetzt werden. Ich finde, das ist selbst für einen vorgezogenen Wahlkampfstart ziemlich platt. (Beifall bei der LINKEN – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Peinlich ist das, peinlich!) Die Rechtslage in diesem Fall ist klar; aber sie ist unzureichend. (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Sie waren doch in der Anhörung!) – Natürlich war ich gestern in der Anhörung; ich habe auch einiges gesagt. (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Da merkt man aber nix von!) – Ich kann Ihnen ein bisschen was aus der Anhörung erzählen. Die Anhörung, die wir gestern zum Thema Abgeordnetenbestechung gehabt haben, hat nämlich ergeben, dass man, wenn man es will, entweder über die Vorschläge, die die Oppositionsfraktionen, nämlich Linke, SPD und Grüne, zu einer Verschärfung der Abgeordnetenbestechung gemacht haben, weiterkommt, um die Voraussetzung für die Ratifizierung der UN-Konvention zu schaffen, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das findet ja nicht mal der DAV gut!) oder dass man es anders machen kann. Dazu haben selbst die von Ihnen benannten Sachverständigen Vorschläge gemacht. Letztlich scheitert es nur daran, dass Sie nicht wollen. Das ist fadenscheinig, und daran müssen wir jetzt endlich einmal herangehen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei den Transparenzregelungen ist die Rechtslage völlig klar; aber sie ist unzureichend. Formal – das habe ich schon gesagt – hat sich Peer Steinbrück vermutlich richtig verhalten. Dass wir dennoch diese Diskussion hier haben, zeigt, dass die Regelungen weiterentwickelt werden müssen. Wir brauchen neue Transparenzricht-linien. Im Prinzip sollte jede Nebentätigkeit angezeigt werden, und zwar mit Nennung des Auftraggebers und der Höhe des Honorars. Die Linke wird hier mit gutem Beispiel vorangehen. Wir werden, sofern nicht im Ausnahmefall Rechte Dritter dem entgegenstehen, Nebentätigkeiten und daraus erzielte Einkünfte unter www.linksfraktion.de bzw. auf den Webseiten der Abgeordneten öffentlich machen. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Auch die Einkünfte von den Gewerkschaften?) – Alles. Wir wollen keine Neiddebatten führen, und es geht auch nicht um Neid. Ich missgönne Herrn Döring seine Honorare ebenso wenig wie Herrn Steinbrück. Es hat aber etwas mit Aufrichtigkeit, mit Offenheit und Ehrlichkeit denjenigen gegenüber zu tun, die unsere Diäten finanzieren. Die Bürgerinnen und Bürger sollten wissen, wer unter Umständen von wem profitiert. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unstreitig!) Von mehr Transparenz profitieren wir Abgeordneten alle; denn das erspart uns, dass wir einem Generalverdacht ausgesetzt werden, und es erspart uns auch, dass wir wie hier in der Aktuellen Stunde einer Diskussion über die Nebentätigkeiten von Peer Steinbrück ausgesetzt werden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Wolfgang Götzer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit der SPD-Kanzlerkandidat wegen seiner Vortragshonorare in die Schlagzeilen geraten ist, überbieten sich SPD und Grüne geradezu mit Vorstößen zu Neuregelungen zur Transparenz. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kommen kaum an Herrn Dobrindt ran!) Der Tagesspiegel hat dies in seiner gestrigen Ausgabe eine „Verlegenheitsoffensive“ genannt, und genau das ist der treffende Ausdruck. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das, was ihr macht, ist eine Verlegenheitsoffensive!) Ich meine, wir sollten zu einer vernünftigen und sachlichen Debatte zurückkehren, wie sie dem Thema angemessen ist. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Erst auf die Kante hauen und dann sagen: Wie gemein!) Worum geht es denn eigentlich, verehrte Kolleginnen und Kollegen? Sollen Neidgefühle bedient werden, oder soll sinnvolle Transparenz geschaffen werden? Transparenz, so sagt unser Bundestagspräsident – ich kann ihm da nur beipflichten –, ist kein Selbstzweck, und er weist in einem Interview vor wenigen Tagen zu Recht auf die Auffälligkeit hin – ich zitiere –, „mit welcher Selbstverständlichkeit man von politischen Mandatsträgern eine Transparenz erwartet, die man sich für den Rest der Gesellschaft ausdrücklich verbittet.“ Bemerkenswert! Es kann doch nicht angehen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Abgeordnete zu zwingen, Dinge von sich preiszugeben, die zur Privatsphäre gehören, auf die jeder Mensch ein Recht hat, auch Abgeordnete. (Thomas Oppermann [SPD]: Sie sind eine -öffentliche Person!) Worum es gehen muss, ist, Interessenkollisionen aufzuzeigen, Abhängigkeiten offenzulegen und beispielsweise aufzuzeigen, ob die politische Tätigkeit vermarktet wird und etwa auch, ob die Mandatsausübung im Mittelpunkt steht. Das sind die Fragen, um die es bei der Forderung nach mehr Transparenz gehen muss. Auf Antworten darauf haben die Bürger ein Recht und einen Anspruch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Diesen Zielen, wie ich sie gerade genannt habe, müssen Verhaltensregeln dienen. Verhaltensregeln müssen also danach beurteilt werden, ob sie insoweit aussagekräftig und damit zielführend sind. Nun meinen SPD und Grüne seit einiger Zeit, dass die von ihnen selbst – Herr Kollege Solms hat noch einmal darauf hingewiesen; manche hier haben es anscheinend vergessen – im Jahr 2005 geschaffene Drei-Stufen-Regelung diesen Maßstäben nicht genügt. Wir von der Union sind offen für eine Änderung. Wir diskutieren in der Tat in der Rechtsstellungskommission seit längerem darüber. Wir haben seit langem die Bereitschaft zu einer Neuregelung mit deutlich mehr und höheren Stufen -signalisiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr und höhere Stufen bringen in bestimmten Fällen, zum Beispiel bei Vortragshonoraren, tatsächlich einen weiteren Erkenntnisgewinn; denn hier weichen Brutto- und Nettozufluss kaum oder gar nicht voneinander ab. Daran aber, dass aus der Höhe der Nebeneinkünfte allein immer auch Erkenntnisse über Abhängigkeiten, über Interessenkolli-sionen gewonnen werden können, sind Zweifel angebracht. Außerdem bleibt ein Grundfehler der Regelung von 2005 von Rot-Grün, nämlich das Brutto-Zuflussprinzip. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klingt ja schon wieder ganz anders als bei Herrn Grosse-Brömer! Jetzt wissen wir: Das wird ein langer, langer, langer Weg!) Wegen dieses Prinzips sind die Angaben in vielen Fällen nämlich nicht aussagekräftig. Gleichwohl, ich sage es noch einmal: Die Union bzw. die Koalition ist für eine neue Stufenregelung bereit. Aber wir sollten uns in diesem Zusammenhang auch Gedanken über eine klare Differenzierung zwischen Einkünften einerseits machen, die aus dem erlernten und meist auch vor der Parlamentszeit bereits ausgeübten Beruf erzielt werden, und Nebenverdiensten andererseits, die – ich zitiere noch einmal den Tagesspiegel von gestern – „erkennbar nicht ‚berufsspezifisch‘ sind, sondern mehr oder weniger offenkundige Folge der politischen Tätigkeit“; ich sage es im Klartext: wo es um die Vermarktung von Amt oder Mandat geht. Leider wird – einer der Grundfehler dieser Regelung von 2005 – alles pauschal als Nebeneinkünfte bezeichnet und den gleichen Regelungen unterworfen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir könnten auch ein Schiedsgericht einrichten!) Da halte ich es für durchaus verständlich, dass manche Kollegen, die etwa Handwerker, Gewerbetreibende oder Rechtsanwälte sind, sich ungerecht behandelt fühlen und dass viele, die sich eine Kandidatur zum Deutschen Bundestag überlegen, dadurch abgeschreckt werden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie das letzte Mal bei den Rechtsanwälten auch erzählt!) Wir brauchen aber Abgeordnete, verehrter Herr Kollege Beck, die noch ihren Beruf ausüben; das sage ich gerade an die Adresse Ihrer Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Gerade ein während des Mandats ausgeübter Beruf stützt die politische Unabhängigkeit des Abgeordneten und ist damit im Interesse des Parlamentarismus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Deshalb dürfen wir jetzt nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Wir sind für Transparenz, wenn sie kein Selbstzweck ist, sondern zielführend. Ich bedanke mich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Christine Lambrecht für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Christine Lambrecht (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wenn wir in dieser Aktuellen Stunde über mehr Transparenz reden, dann ist das kein Selbstzweck, sondern es geht darum: Wie schaffen wir es, dass die Bürgerinnen und Bürger wieder mehr Vertrauen in Politik und in Politiker haben? Dazu gehört auch die Frage: Wie können wir endlich die UN-Konvention zur Korruptionsbekämpfung in diesem Land umsetzen? Das ist bereits seit 2003 ein Anliegen. Wir haben es bis heute nicht erreicht, einen Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung zu schaffen. In dieser Woche gab es in dieser Frage endlich Bewegung. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzäh-len. So hat uns Herr Siegfried Kauder, CDU, Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, berichtet, wie es auf seiner Reise letzte Woche in Afrika war. In Afrika ist er darauf angesprochen worden, wie es denn mit Korruption ist – nicht etwa in Afrika, nein, in Deutschland –, warum wir denn in Deutschland nicht mehr für die Bekämpfung von Korruption tun. (Jörg van Essen [FDP]: Stimmt überhaupt nicht, nicht ein einziges Mal! Ich war bei der Reise dabei! – Gegenruf des Abg. Raju Sharma [DIE LINKE]: Gesagt hat er es!) – Dann müssen Sie das vielleicht mit ihm klären, Herr van Essen. Zumindest den Journalisten gegenüber hat er erklärt, dass das bei ihm zu einem Umdenken geführt hat und er jetzt darüber nachdenkt, wie man so etwas in Deutschland regeln könne. (Beifall des Abg. Raju Sharma [DIE LINKE]) Da kann ich Ihnen sagen, Herr Kauder: Sie hätten nicht erst nach Afrika fahren müssen. Sie hätten, jenseits von Afrika, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Gestern konnten wir von Ihnen nichts hören!) schon vor vielen Jahren – beispielsweise von Organisationen wie Transparency International – hören können, wie wichtig es ist, dass die Regeln dieser Antikorrup-tionskonvention in Deutschland umgesetzt werden. Sie hätten, jenseits von Afrika, einfach nur zuhören müssen, wie Grüne, Linke, SPD mit zahlreichen Gesetzesinitia-tiven versucht haben, einen Weg zu finden, Abgeordnetenbestechung gesetzlich zu fassen. Sie hätten, jenseits von Afrika, einfach nur zuhören müssen, wie Bundestagspräsident Lammert oder auch Herr Waigel dringend dazu aufgerufen haben, endlich Regeln zur Bekämpfung von Abgeordnetenbestechung in diesem Land zu finden. Sie hätten, jenseits von Afrika, diesen Sommer einfach nur zuhören müssen, wie ein Großteil der deutschen Wirtschaft uns allen ins Stammbuch geschrieben hat: Macht endlich etwas! Es ist uns peinlich, dass wir im Ausland darauf angesprochen werden, dass ausgerechnet in Deutschland kein Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung bekannt ist. – Wir stehen damit in einer Reihe mit Staaten, in deren Gesellschaft wir uns sonst nicht so sehr wohlfühlen: Syrien, Saudi-Arabien und, und, und. Jenseits von Afrika wäre das alles möglich gewesen. Aber Sie mussten erst diese Reise machen. Gut, jetzt haben Sie diesen Erkenntnisgewinn. Sie sagen: Wir machen uns darüber Gedanken. – Herr Kauder und meine Damen und Herren von der Koalition, wir werden es Ihnen nicht durchgehen lassen, wenn wieder nur warme Worte kommen, wir werden genau beobachten, ob den Worten Taten folgen. Zu sagen: „Wir überlegen jetzt mal. Das ist aber sehr schwer, und ob wir das noch in dieser Legislaturperiode schaffen …“, ist, glaube ich, kein angemessener Umgang mit dem Thema. Das ist vergleichbar mit den Stellungnahmen, die wir hier zur Frage der Transparenz bei Nebeneinkünften bekommen. Auch bei diesem Thema kommt erst jetzt Bewegung in die Diskussion. Seit Jahren diskutieren wir darüber, ob die Regeln ausreichen. Es geht nicht, dass man immer wieder vertröstet, immer wieder Erklärungen abgibt, aber trotzdem glaubt, dass das zu mehr Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Politik und in Politiker führt. Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Nebeneinkünfte offenlegen, dass wir zeigen: Wir haben keinen Dreck am Stecken. Deswegen zeigen wir offen, von wem wir wofür bezahlt werden. Darum geht es; es geht hier nicht um eine Neiddiskussion oder darum, einen gläsernen Abgeordneten zu schaffen. Vielmehr muss deutlich werden: Wer bekommt von wem Geld wofür? (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dann kann sich der Bürger Gedanken darüber machen, ob er sich von diesem Abgeordneten vertreten fühlt. Dazu reicht es aber nicht aus, zu sagen: Wir machen nur ein paar Stufen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wolltet ihr bis vor zwei Wochen doch auch noch!) Selbstverständlich muss es möglich sein, weiterhin als Anwalt, als Arzt, als Vortragsreisender, als Tierversicherer zu arbeiten. Aber der Bürger muss wissen: Von wem bekommt der Abgeordnete Geld wofür? Deswegen kann ich Ihnen nur dringend zurufen: Hören Sie auf mit dieser Verschleppungstaktik! Das schadet uns allen und bringt uns alle in eine Situation, die mit Vertrauen bestimmt nichts zu tun hat. Lassen Sie Ihren Worten endlich Taten folgen! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Jörg van Essen für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jörg van Essen (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich empfehle uns allen, ein Stück abzurüsten. Es ist schon mehrfach in der Debatte gesagt worden: Es nützt niemandem, wenn wir uns gegenseitig Vorwürfe machen. (Zuruf von der SPD: Wer hat denn aufge-rüstet?) Ich stelle fest: Der Kollege Steinbrück hat seine Nebentätigkeiten ordnungsgemäß angemeldet, (Christine Lambrecht [SPD]: Warum haben Sie sich dann darüber aufgeregt?) aber er muss sich natürlich den Fragen stellen. Wenn man so vielen Nebentätigkeiten nachgegangen ist und Reden gehalten hat, wenn man eines der höchsten Ämter in diesem Lande anstrebt und im Bundestag nur ganz wenig geredet hat, (Zuruf von der FDP: Viermal!) dann muss man sich Fragen gefallen lassen und darf nicht so dünnhäutig reagieren, wie wir das heute in der Debatte erlebt haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Er hat souverän reagiert und nicht dünnhäutig!) Trotzdem: Ich glaube, dass wir auch gut beraten sind, zu sehen, dass es in den Fraktionen unterschiedliche Interessen gibt. Die SPD-Fraktion ist die Fraktion mit dem höchsten Anteil an Gewerkschaftsfunktionären. Das kritisiere ich nicht. (Thomas Oppermann [SPD]: Wir finden das gut!) Ich finde, dass Arbeitnehmervertreter ganz selbstverständlich auch im Bundestag anwesend sein müssen, damit sie die Interessen der Arbeitnehmer vertreten können. Der Bundestag lebt davon, dass wir solche Interessenvertretungen, auch einseitige Interessenvertretungen, haben. In der Fraktion der Grünen gibt es den höchsten Anteil der Berufslosen, den höchsten Anteil der Lehrer. Die haben wiederum andere Interessen. Der Kollege Beck beispielsweise versucht, seitdem er im Bundestag ist, uns nahezubringen, dass die, die keinen Beruf haben, am unabhängigsten sind. (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU) Ich versuche, hier das Gegenteil zu vermitteln, nämlich: Derjenige, der einen Beruf hat, ist am unabhängigsten. Herr Beck, es gibt niemanden in diesem Parlament, der abhängiger von Politik ist als Sie. Was sollen Sie denn ohne Berufsabschluss sonst machen? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deswegen werbe ich dafür, dass wir ein breites Parlament mit vielen Berufen sind. Für mich gehört dazu, dass sich meine Fraktion dadurch auszeichnet – darüber bin ich froh –, dass wir den höchsten Anteil an Handwerksmeistern und Selbstständigen haben. Denn auch die gehören in den Bundestag. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Interesse von Selbstständigen und Handwerkern ist ein anderes als von denen, die, wie ich, als Beamte, als Lehrer, als Gewerkschaftsfunktionäre jederzeit wieder in ihren Beruf zurückkehren können. Die durchschnittliche Dauer der Zugehörigkeit eines Abgeordneten zum Bundestag beträgt zwei Perioden, acht Jahre. Ein Bäckermeister – in unserer Fraktion ist gerade einer nachgerückt – kann seine Bäckerei nicht schließen und nach acht Jahren wieder öffnen, um als Bäcker wieder Fuß zu fassen. Deshalb ist es sinnvoll, dass er seinen Beruf weiter fortführt. Das macht ihn unabhängig. Er kann jederzeit wieder in seinen Beruf zurückkehren. Deshalb: Alle Regeln, die wir schaffen, klopfen wir daraufhin ab, ob sie so beschaffen sind, dass dem Bundes-tag auch Selbstständige weiterhin angehören können, ohne dass sie ihre Selbstständigkeit, ihren Beruf gefährden. Das gilt beispielsweise auch für viele freie Berufe, bei denen ebenfalls Verschwiegenheitspflichten zu beachten sind. Meine zweite Bemerkung betrifft den Korruptionstatbestand. Ich erinnere mich noch sehr genau: Als die Bundesregierung die UN-Konvention unterzeichnen wollte, haben alle damals vertretenen Fraktionen – die Linke war nicht dabei, aber Herr Beck war schon dabei – die Bundesregierung gebeten, sie nicht zu unterzeichnen, (Christine Lambrecht [SPD]: Wegen der -Formulierung!) weil in der Formulierung kein Unterschied gemacht wird zwischen Beamten und Abgeordneten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwischen Amt und Mandat! Aber das kann man doch durch einen Vorbehalt heilen!) Als Abgeordneter habe ich nach Art. 38 des Grundgesetzes das Recht auf die freie Ausübung des Mandats. (Christine Lambrecht [SPD]: Das hat aber nichts mit Bestechung zu tun!) Das bedeutet natürlich auch, dass man Pflichten hat. Der Kollege Oppermann hat sie ausgeführt. Ich finde es ausgesprochen richtig, dass Sie das getan haben. Aber der Abgeordnete ist frei. Ich bin es als Beamter nicht. Deshalb lege ich als Beamter auch einen Diensteid ab. Ein Abgeordneter tut es nicht. Deshalb muss es unterschiedliche Regeln dafür geben. (Christine Lambrecht [SPD]: Ja! Deswegen Trennung!) Wenn man die gestrige Anhörung von Anfang an mit verfolgt hat – der Kollege Sharma war dabei; Sie, Frau Lambrecht, glaube ich, auch –, dann wurde einem klar: Es war ein klarer Verriss dessen, was Sie vorgetragen haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Nein!) Diejenigen, die hier den Eindruck erwecken wollen, die Oppositionsfraktionen hätten Vorschläge gemacht, die den Anforderungen der Verfassung genügen, der lügt. (Christine Lambrecht [SPD]: Dann waren Sie auf einer anderen Veranstaltung!) Denn das Gegenteil ist der Fall: Diese Vorschläge beinhalten entweder eklatante Verstöße gegen den Art. 103 des Grundgesetzes oder eklatante Verstöße gegen den Art. 38. Dieser Verriss wäre noch deutlicher geworden, wenn zwei Sachverständige, die leider nicht anwesend sein konnten, ihre Auffassung vorgetragen hätten; so lagen die Stellungnahmen nur schriftlich vor. Wir wissen, dass sie genau die gleiche Kritik geäußert hätten. Von all denen, die wohlfeil sagen: „Da muss sich was tun“, erwarte ich, dass sie gesetzes- und vor allen Dingen verfassungskonforme Vorschläge machen. Solche Vorschläge habe ich bisher nicht gesehen. Ich hätte meinen Beruf als Oberstaatsanwalt verfehlt, wenn ich Korruption unterstützen wollte. Das will ich natürlich nicht, aber ich möchte Regeln, die den Anforderungen der Verfassung genügen. Das haben wir bisher nicht gesehen. Nur daran und nicht an unserem schlechten Willen ist das Ganze gescheitert. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Konstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege van Essen, Ihr Seitenhieb gegen die Berufslosen zeigt, wie hart an den Kern bei Ihnen diese Diskussion gehen muss, wenn Sie nicht anerkennen, welchen großen gesellschaftlichen Beitrag auch der Kollege Volker Beck geleistet hat in dem, was er beruflich getan hat. Das ist unterirdisch, das finde ich nicht okay. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das führt uns auch weg von der Debatte. Herr Grosse-Brömer und auch der Kollege Götzer haben auf den „gläsernen Bürger“ Bezug genommen. Darum geht es doch genau nicht. Allerdings würde ich mir diesen Appell gegen den gläsernen Bürger von Ihnen auch bei der Vorratsdatenspeicherung und beim Datenschutz wünschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dort hört man dieses Argument jedoch seltener. Hier geht es allein darum, dass die Bürgerinnen und Bürger Transparenz darüber erlangen, was Abgeordnete in der Zeit, in der sie Diäten erhalten, nebenher verdienen. Um diese Transparenz geht es, und nicht um den gläsernen Bürger. Wir verhandeln unter diesem Tagesordnungspunkt viele gute Themen. Eine transparentere Regelung der Nebeneinkünfte – das ist hier schon viel besprochen worden – ist überfällig. Die Einführung der Genehmigungspflicht für eine Berufstätigkeit von ausscheidenden Regierungsmitgliedern – überfällig. Die Novellierung des Parteiengesetzes – überfällig. Die Bekämpfung der Abgeordnetenbestechung und die Ratifizierung des Übereinkommens der VN – auch das ist angesprochen worden – sind überfällig, und es ist peinlich, dass das noch nicht geschehen ist. Ein verpflichtendes Lobbyistenregister – hierüber haben wir in dieser Legislaturperiode bereits gestritten – ist ebenso überfällig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie verhindern an allen Ecken und Enden, dass diese Dinge umgesetzt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Christoph Strässer [SPD]) Ich möchte gerne aus dieser Selbstbespiegelungsnummer herauskommen und deutlich machen, worüber wir hier eigentlich reden: Es geht nicht um ein selbstreferenzielles Thema, das sich nur um Abgeordnete dreht. Die Themen Transparenz und Bürgernähe sind kein grünes Hirngespinst, das man mal eben aus der Kiste holt, sondern das sind die großen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit. Wenn Sie mit den Bürgerinnen und Bürgern in Ihrem Wahlkreis sprechen, wenn Sie Umfragen lesen, dann erkennen Sie: Das ist ein ganz zentrales Thema unserer Zeit, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Bundesregierung vertrödelt die Entwicklung der Transparenz in noch ganz anderen Bereichen. Auch im Bereich Open Data – das sei angemerkt – sind wir ein Transparenzentwicklungsland. Sie wehren sich auch mit Händen und Füßen dagegen, dass Bürgerinnen und Bürger das Recht darauf bekommen, von Ministerien und Verwaltungen proaktiv informiert zu werden. Das ist wie bei der Abgeordnetenbestechung: Dieses Recht zu verweigern, ist nicht konservativ oder liberal, sondern es ist angestaubt und hinterwäldlerisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre jahrelange Verhinderungs-, Hinhalte- und Verzögerungstaktik in diesem Bereich ist meiner Ansicht nach letztlich nur Ausdruck eines noch nicht ganz überwundenen preußischen Obrigkeitsverständnisses. (Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Das weise ich als Rheinländer zurück!) – Ja, das wusste ich; das ist besonders bitter für die CSU. Im 21. Jahrhundert hat das in unserer Demokratie nichts mehr zu suchen. (Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Ich bin ein Rheinländer, kein Bayer, wie man schon an meiner Idiomatik merken kann!) Unklare Nebenverdienstregelungen, Amtsverschwiegenheit, Geheimniskrämerei – damit ist im 21. Jahrhundert kein Staat mehr zu machen. Deswegen brauchen wir ein neues Verhältnis des Staates zu seinen Bürgerinnen und Bürgern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Recht jedes Einzelnen und jeder Einzelnen auf Zugang zu staatlichen Informationen ist die Basis für informierte Mitbestimmung in einer modernen Demokratie. Deshalb haben wir hier vor einigen Wochen einen -eigenen Gesetzesentwurf zum Informationszugangsgrundrecht eingebracht. Wenn Sie auch kein Grundrecht wollen, so müssen Sie doch zumindest zustimmen, dass die Regelungen zur Informationsfreiheit insgesamt dringend einer Reform bedürfen. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Haben Sie noch mehr Textbausteine? – Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Außerdem bin ich für den Weltfrieden!) Nur ein Beispiel dafür: Bisher können sich Verwaltungen und Unternehmen viel zu oft mit Verweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse herausstehlen und Auskünfte verweigern, selbst bei der Deutschen Bahn und bei Public-private-Partnerships, bei denen es um die Verwendung von Steuermilliarden geht. Das alles hat in der Bevölkerung keine Akzeptanz mehr, ebenso die bestehenden Regelungen zu Nebenverdiensten. Deswegen geht es so nicht weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Aufregung hier in der Debatte, aber auch in der Diskussion um Herrn Steinbrück ist groß. Das öffentliche Interesse ist groß, ebenso der Reformdruck. Wir brauchen mehr Transparenz, stärkere Informationsrechte und eine gesetzliche Open-Data-Verpflichtung. Dafür muss man aber Transparenz politisch wirklich wollen, nicht nur halbherzig, nicht nur so ein bisschen, nicht nur wochenweise, wenn es um gegnerische Kanzlerkandidaturen geht. Fangen wir endlich damit an! Wenn wir die heute hier diskutierten Punkte umgesetzt haben, dann müssen viele andere Schritte folgen. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Helmut Brandt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Helmut Brandt (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie oft sich das Parlament bereits mit dieser Frage beschäftigt hat. Es ist jedenfalls ein wiederholtes Mal der Fall. Die Überschrift, die die antragstellende Fraktion hier gewählt hat, ist allerdings – darauf werde ich gleich noch eingehen – für mich etwas verräterisch. Wenn man die Debatte über Nebeneinkünfte von Abgeordneten, Karenzzeiten, Abgeordnetenbestechung und die entsprechenden Regelungen im Parteiengesetz in einem Tagesordnungspunkt zusammenfasst, dann hat das schon den Geschmack, dass man das eine mit dem anderen verweben will, obwohl es unmittelbar überhaupt nichts miteinander zu tun hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Zusammenhang habe ich ja gerade erläutert!) Es ist schon mehrfach zur Sprache gekommen – jeder weiß es; man braucht es nicht auszusprechen –: Der Grund für die Aufregung, die hier künstlich erzeugt wurde und aufrechterhalten werden soll, liegt allein in den Presseveröffentlichungen und der darauf folgenden öffentlichen Diskussion über die hohen Nebeneinkünfte des Kollegen Steinbrück. Das schmeckt der Opposition nicht, die sonst gerne den Eindruck erweckt, Nebeneinkünfte in dieser Größenordnung gäbe es nur bei den -Politikern der Koalition. (Thomas Oppermann [SPD]: Stimmt nicht! – Christine Lambrecht [SPD]: Wer sagt denn so was?) Deshalb wird nun in einem hektischen Aktionismus versucht, sich gegenseitig mit vermeintlich besseren Regelungsvorschlägen zu übertreffen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von uns gibt es zu allem Druck-sachen!) Kommen wir zu den Nebeneinkünften. 2005 wurde – das ist hier schon erwähnt worden – die heutige Regelung von Rot-Grün eingeführt. Nach unserer Auffassung hat sie sich im Wesentlichen bewährt. Das beweist im Grunde genommen die Veröffentlichung der Einkünfte von Herrn Steinbrück; er hat sie angegeben. Ich habe gar nichts gegen diese Einkünfte; eigentlich hatte keiner Einwände dagegen. (Christine Lambrecht [SPD]: Das hat sich aber anders angehört!) Aber die Diskussion kam nun einmal auf. In der Öffentlichkeit wird von einem Kanzlerkandidaten – zu Recht oder zu Unrecht; darüber kann man lange diskutieren – mehr erwartet, als er bislang geliefert hat. Warten wir es in aller Ruhe ab! Er hat weitere Angaben angekündigt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was war eigentlich mit dem Vizekanzlerkandidaten Westerwelle? – Thomas Oppermann [SPD]: Hat Westerwelle schon offengelegt?) Die Art der Einkünfte ist doch durchaus unterschiedlich – der Kollege Götzer hat das eben zu Recht gesagt –: Führt ein Abgeordneter eine Tätigkeit fort, die er bereits zuvor ausgeübt hat oder innehatte, oder aber – das ist ein großer Unterschied – beruhen die zusätzlichen Einkünfte auf einer früheren Zugehörigkeit zur Regierung oder zum Parlament? Das ist ein qualitativer Unterschied, den man sicherlich beachten muss. Im letzten Fall muss man natürlich fragen, wofür, von wem und wie viel er dafür bekommt. Jedenfalls müssen wir – darauf lege ich Wert – bei allen Regelungen darauf achten, dass die Grenzen des freien Mandats beachtet werden. Dazu gehört insbesondere auch, dass der Schutz von Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten, Ärzten, Steuerberatern und anderen gewahrt bleiben muss. Wir müssen darauf achten, dass das Parlament – auch das ist eben zu Recht betont worden; ich danke Herrn van Essen, dass er das so deutlich gemacht hat – für Unternehmer, Handwerker und Freiberufler offen und attraktiv bleibt und nicht nur für diejenigen, die ohne Probleme später wieder in ihren Beruf zurückkehren können, beispielsweise Beamte oder Gewerkschafter. Wir sollten uns insgesamt davor hüten, bei der Diskussion verschiedene Dinge, die nichts miteinander zu tun haben – damit komme ich auf den Beginn meiner Ausführungen zurück –, zu vermengen. Wer etwa die Frage der Nebentätigkeiten mit der Problematik der Karenzzeit für Regierungsmitglieder oder auch der Abgeordnetenbestechung vermischt, will offensichtlich bewusst den Eindruck erwecken, dass Nebentätigkeiten per se etwas Negatives sind oder gar ein Zusammenhang mit diesen Themen besteht. Ich halte das, offen gesagt, für fatal. Wir alle schaden uns mit einer auf diese Art geführten Diskussion selbst. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Man gewinnt schon den Eindruck, dass die jetzt in der Opposition befindlichen Fraktionen wohlfeile Vorschläge zu dem Thema machen, weil nicht die Gefahr besteht, dass diese Vorschläge tatsächlich umgesetzt werden. Das gilt insbesondere für das Thema der Abgeordnetenbestechung. Wir haben gestern im Rahmen der Sachverständigenanhörung deutlich vernommen, dass sämtliche vorgelegten Vorschläge der Opposition so nicht umsetzbar sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Christine Lambrecht [SPD]: Dann waren Sie auf einer anderen Veranstaltung!) Insofern halte ich es für sehr problematisch, heute hie-raus Vorwürfe zu entwickeln. Aber es kommt noch dicker. Sie hatten während Ihrer Regierungszeit anderthalb Jahre Zeit, die UN-Konvention umzusetzen, und für die Umsetzung des Europaratsabkommens standen Ihnen sogar sechs Jahre zur Verfügung. Ich möchte zum Schluss ein Zitat des früheren rechtspolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, des Kollegen Joachim Stünker, bringen. Er hat in einer Debatte am 25. September 2008 – das kann man im Plenarprotokoll der 179. Sitzung auf Seite 19 144 nachlesen; so viel wird hier geredet – gesagt: Aber dann mussten wir koalitionstreu sein, und wir durften sie – gemeint waren die Vorschläge – nicht ins Parlament einbringen, weil uns die Grünen blockiert haben. (Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Namen!) … Das war eine Regelung, die dem Kollegen Beck zu weit und dem Kollegen Ströbele nicht weit genug ging. So viel zur Tätigkeit von Rot-Grün. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Christian Lange für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christian Lange (Backnang) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 17. Juni 2005 durfte ich für die SPD-Fraktion den Änderungsantrag zum Abgeordnetengesetz und damit die Transparenzvorschriften, über die wir heute sprechen, einbringen. Damals, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, waren Sie dagegen. Deshalb bitte ich Sie dringend: Erwecken Sie nicht den Eindruck, als ob Sie für noch mehr Transparenz, für noch mehr Stufen geworben hätten. Das Gegenteil ist und war der Fall. (Beifall bei der SPD) Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie seit der Peer-Steinbrück-Diskussion Ihre Position geändert haben. (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Sie auch!) Seit wenigen Tagen vertreten Sie plötzlich die Auffassung, dass Sie dieses Stufenmodell, das Sie seit Beginn dieser Wahlperiode vor drei Jahren erbittert bekämpft haben, toll finden. (Jörg van Essen [FDP]: Stimmt doch gar nicht!) Ich nehme es zur Kenntnis; aber das ist eine Änderung Ihrer Position. Die Redlichkeit gebietet es, dies auch so zu sagen. (Beifall bei der SPD) Es ist wichtig, ein Zweites festzuhalten. Wenn wir für Transparenz werben, dann muss eines klar sein: Transparenz muss für alle gelten. Was für den Abgeordneten Steinbrück gilt, das muss auch für den Abgeordneten Riesenhuber, für den Abgeordneten Glos und für den Abgeordneten Döring gelten. Erklären Sie bitte im Deutschen Bundestag, warum es für diese nicht gelten soll! Erklären Sie bitte, warum für den einen Extraregeln gelten sollen, für diese Personen aber nicht. (Beifall bei der SPD) Für die Juristen unter uns – ich sehe, dass der Kollege Grosse-Brömer schon gegangen ist – (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Er ist zum Ältestenrat!) – ja, da gehen wir alle noch hin –, will ich Folgendes doch noch einmal sagen: Tun Sie bitte nicht so, als ob das Bundesverfassungsgericht sich gegen Transparenzregeln ausgesprochen hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Ich will hier einmal die Gründe nennen, die zur Rechtskraft der vorhandenen Regelung und zu mehr Transparenz geführt haben. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur gesagt: „Der Wähler muss wissen, wen er wählt“. Es hat auch gesagt: Es entspricht damit einem Grundanliegen demokratischer Willensbildung, Abgeordnete zu verpflichten, Angaben über Tätigkeiten neben dem Mandat zu machen, die auf Interessenverflechtungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten hindeuten können. Weiter heißt es: Das Interesse des Abgeordneten, Informationen aus dieser Sphäre vertraulich behandelt zu sehen, ist gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Erkennbarkeit möglicher Interessenverknüpfungen … grundsätzlich nachrangig. Es ist „nachrangig“. Deshalb sind die Transparenzvorschriften verfassungskonform. Deshalb unterstützt das Bundesverfassungsgericht die Vorschläge der SPD-Fraktion, endlich alles auf Heller und Cent offenzulegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Bundesverfassungsgericht geht sogar noch einen Schritt weiter. Wenn wir weiterlesen – das sage ich den Kolleginnen und Kollegen, die ein Interesse an dem Thema haben –, stellen wir fest, dass darin sogar etwas über uns steht. Darin steht: Auch Mit-Abgeordnete haben ein legitimes Interesse, zu wissen, welchen Interessenverbindungen ihre Kollegen unterliegen, weil dies für die Einschätzung, nach welcher Richtung hin deren Argumente besonders wachsamer Prüfung bedürfen, von Bedeutung sein kann. Es ist also nicht nur für die Wählerinnen und Wähler, sondern auch für uns von Bedeutung, diese Abhängigkeiten zu erkennen. Deshalb ist die Zeit reif für eine Offenlegung nach Heller und Cent. (Beifall bei der SPD) Ich will Ihnen, meine Damen und Herren, und insbesondere Herrn van Essen noch etwas zum Thema Selbstständige sagen. Ja, Sie haben recht: Wir haben hier zu wenig Selbstständige. Wir brauchen mehr Selbstständige. (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Dazu trägt diese Regelung aber nicht bei!) Da bin ich ganz bei Ihnen. Leute wie ich, die Landesbeamte sind, die aus einem Ministerium kommen, haben es da besser. Eines ist aber auch klar: Niemand fordert ein Verbot von Nebentätigkeiten, wie wir es in anderen Ländern haben. Niemand! Wir sind immer der Auffassung gewesen, dass wir das in dieser Wahlperiode für die nächste Wahlperiode beschließen müssen, damit die Kandidaten sich darauf vorbereiten und einstellen können. Das war immer Konsens in diesem Hause, und das ist auch die Position der SPD. Eines steht auch fest: Wenn es dazu kommt und jemand nicht bereit ist, die Nachrangigkeit seines wirtschaftlichen Eigeninteresses anzuerkennen, dann hat er noch andere Möglichkeiten. (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Da geht es auch um Interessenkonflikte!) Zum Beispiel könnte sein Betrieb treuhänderisch weitergeführt werden usw. Es ist aber wichtig, dass wir das jetzt beschließen, damit das für die nächste Wahlperiode gelten kann. Ein Letztes: Ich bitte Sie wirklich, jetzt den Weg dafür frei zu machen, dass die Einkünfte aus Nebentätigkeiten auf Euro und Cent offengelegt werden. Ich bitte Sie wirklich, den Weg frei zu machen für die Korrup-tionsbekämpfung. Die SPD-Fraktion hat einen Antrag zur Änderung von § 108 e Strafgesetzbuch eingebracht. Ich bitte Sie wirklich, den Weg frei zu machen für ein verbindliches Lobbyregister. Auch hierzu haben wir einen Antrag eingebracht. Auch dies ist bislang aufgrund Ihrer Blockade gescheitert. Ich bitte Sie schließlich auch darum, den Weg frei zu machen für eine Regelung für Externe in den Bundesministerien. Viermal zu blockieren ist wirklich zu viel des „Guten“. Ändern Sie Ihre Position, nicht nur im Lichte der Kandidatur von Peer Steinbrück, sondern zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger. Transparenz ist angesagt. Deshalb bitte ich um Zustimmung und Unterstützung für die Anträge der SPD. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist Ansgar Heveling für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es könnte auf den ersten Blick fast ein wenig verwundern, dass sich bei diesem Gemischtwarenladen von Themen der Aktuellen Stunde vonseiten der Opposition hauptsächlich Kolleginnen und Kollegen zur Abgeordnetenbestechung geäußert haben, die, abgesehen vom Kollegen Sharma, gestern nicht oder nicht die ganze Zeit bei der diesbezüglichen Anhörung dabei gewesen sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Christine Lambrecht [SPD]: Was ist das denn? „Nicht die ganze Zeit“? Ich war dort!) Und wer dann die ganze Zeit dabei gewesen ist und wer einen Gesamteindruck von der Veranstaltung bekommen hat, der hätte heute hier sicherlich nicht so geredet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Thema ist entschieden komplizierter, als es auf den ersten Blick aussieht. Zumindest das ist in der Debatte deutlich geworden, in der neben offensichtlichen Unterschieden auch erkennbare Übereinstimmungen in der Beurteilung dieser differenzierten Sachverhalte offenkundig geworden sind. – Dies hat unser Bundestagspräsident Norbert Lammert vor einiger Zeit zu diesem Thema gesagt. Von differenzierten Sachverhalten ist in dieser Aktuellen Stunde allerdings nicht viel zu merken. Man sieht schon an der thematischen Gestaltung: Alles wird in einen Topf geworfen, und daraus wird ein Süppchen gekocht. Ob daraus Kost wird, die den Bürgerinnen und Bürgern schmeckt, sei dahingestellt. Wenn wir wirklich etwas für die Integrität parlamentarischer Entscheidungen tun wollen, hilft eine Aktuelle Stunde sicherlich nicht weiter. Der gestrigen Anhörung zum Thema Abgeordnetenbestechung wäre sicherlich die gleiche Aufmerksamkeit zu wünschen gewesen wie der heutigen Aktuellen Stunde. Die Anhörung war jedenfalls eine wirkliche Lehrstunde dafür, wie mühsam und schwierig es ist, abstrakte Ziele in konkret handhabbare Vorschriften umzusetzen. Mein Fazit der gestrigen Anhörung ist, dass da noch eine ganze Menge Arbeit vor uns liegt. Wer gesehen hat, wie sehr schon die Sachverständigen bei jedem Punkt mit sich gerungen haben, dem ist klar, welch diffizile Aufgabe auf uns Abgeordnete zukommt, wenn wir eine sachgerechte Regelung beim Thema Abgeordnetenbestechung treffen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Insofern, glaube ich, sollte man besser einmal innehalten und das gegenseitige Überbieten darin, wer nun kein Interesse an einer Regelung habe und aus welchen Gründen, einen kurzen Moment einstellen. Es wäre natürlich auch für mich ein Leichtes, aufzuzählen, wer wann einmal was regeln wollte und warum er dann an wem gescheitert ist. Das ist alles kein Problem. Dafür braucht man nur einmal in die Stenografischen Berichte dieses Parlaments zu schauen. Wenn man ein bisschen blättert, wird man ganz schnell fündig, auch bei den Fraktionen auf der linken Seite dieses Hauses. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Nur bei Ihnen nicht! Sie wollten nie etwas regeln!) Mein persönliches Highlight ist das Bekenntnis eines ehemaligen Kollegen von der SPD aus dem Jahr 2008 – Kollege Brandt hat das eben ausführlich zitiert –, der hier freimütig erklärte, man habe das alles schon 2005 regeln wollen, aber dann habe es Koalitionsprobleme gegeben. Dem Koalitionspartner Beck sei der Regelungsvorschlag zu weit gegangen, dem Koalitionspartner Ströbele aber nicht weit genug. Man findet also schnell Beispiele; aber ich glaube, das führt uns nicht weiter. Wichtig ist – das ist gar keine Frage –, dass wir erst einmal aus dem Dilemma herauskommen, ratifizierte Abkommen noch nicht ausreichend umgesetzt zu haben. (Christine Lambrecht [SPD]: Überhaupt nicht umgesetzt zu haben!) Das ist auf die Sache bezogen ein formaler Kritikpunkt. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) – Hören Sie zu, was ich noch sage; dann lachen Sie vielleicht nicht mehr. Dazu gleich mehr. (Christine Lambrecht [SPD]: Da muss auch noch was kommen!) Es ist gleichzeitig der wesentliche Punkt in der internationalen Diskussion. Aber die Umsetzung einer entsprechenden Konvention besagt zunächst einmal nicht viel. Deutschland und Japan, die beide die Konvention unterzeichnet, aber noch nicht umgesetzt haben, liegen -gemeinsam auf Platz 14 des internationalen Korrup-tionsindexes von Transparency International – vor den Umsetzungsstaaten Großbritannien auf Platz 16 und Frankreich auf Platz 25 und weit vor den Umsetzungsstaaten Paraguay, Libyen und Venezuela. Das zeigt ganz eindeutig, dass es nicht auf die Buchstaben eines Gesetzes ankommt, sondern darauf, wie eine Gesellschaft mit diesem Thema umgeht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Also, wer nicht umsetzt, ist frei von Korruption?) Wie dem auch sei; die Tatsache, dass wir die von uns ratifizierten Konventionen noch nicht umgesetzt haben, ist und bleibt ein Zustand, der auf Dauer nicht hinnehmbar ist. – Jetzt können Sie sich wieder beruhigt zurücklehnen. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Was meinen Sie, wie ich bin, wenn ich mich aufrege?) Die Bereitschaft zur Regelung ist ohne Frage gegeben. Aber die gestrige Anhörung hat ganz deutlich gezeigt: Es ist ausgesprochen schwierig, einen tragfähigen Ansatzpunkt zu finden. Gerade die Sprachlosigkeit, das minutenlange Schweigen des Sachverständigen von Transparency International – wer gestern anwesend war, hat es erlebt – war beispielgebend, und zwar nicht im -positiven Sinne. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Ganze ist so zu regeln, dass die Mitglieder von Organen zweier Gewalten, nämlich Legislative und Exekutive, Parlament und Räte, von den Regelungen umfasst sind. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Aus meiner Sicht sollten wir daher erst einmal sehr offen und sehr genau über das nachdenken, was uns die Sachverständigen gestern gesagt haben. Entscheidend aber ist und bleibt, dass es eines gesellschaftlichen Klimas der Transparenz bedarf, eines Klimas, das dafür sorgt, dass korruptive Verhaltensweisen ans Licht gezerrt werden. Denn damit wird Korruption in all ihren Formen am besten der Boden entzogen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Das tue ich jetzt. Ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/…/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung (EU) Nr. …/2012 über die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRD-IV-Umsetzungsgesetz) – Drucksache 17/10974 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Hartmut Koschyk. (Beifall bei der FDP) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit den im Dezember 2010 veröffentlichten Empfehlungen des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht wurde eine neue Grundordnung für die Banken weltweit geschaffen. Diese „Basel III“ genannten Empfehlungen sind eine der wichtigsten Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise, und sie dienen dem Zweck, Banken in Zukunft krisenfester zu machen; denn eines haben wir in der Krise gelernt: Banken, die mit zu wenig Eigenkapital ausgestattet sind und zu stark über ihre Eigenkapitalquote hinausgehende Risikogeschäfte eingehen, können nationale und internationale Finanzsysteme in große Erschütterung versetzen. Die Umsetzung von Basel III ist ein Herzstück der Reformen auf dem Finanzmarkt; denn ein nachhaltig funktionierendes Bankensystem braucht nicht nur qualitativ hochwertiges Eigenkapital, sondern muss auch über hinreichend Eigenmittel verfügen. Im Rahmen der G 20 hat sich Deutschland, haben sich die Europäer verpflichtet, Basel III als zentrales Element der Bankenregulierung jetzt umzusetzen. Auch auf internationaler Ebene – und das ist für die Bundes-regierung ganz entscheidend – ist die Umsetzung vorangekommen. So haben die USA im Juni 2012 ihre Vorschläge zur Umsetzung zur Konsultation gestellt und wollen mit der Implementierung am 1. Januar 2013 beginnen. Auch Japan will mit der Umsetzung ab Ende des ersten Quartals 2013 beginnen und die Arbeiten an den nationalen Regulierungsvorschriften weitgehend beenden. Auf EU-Ebene haben die Finanzminister am 15. Mai dieses Jahres die Vorschläge zur Umsetzung von Basel III mittels einer EU-Verordnung und einer Richtlinie gebilligt. Auf europäischer Ebene unterstützt die Bundesregierung mit Nachdruck einen schnellen Abschluss der Verhandlungen zwischen Rat, Europäischem Parlament und Kommission noch in diesem Jahr. Bundesfinanzminister Schäuble hat in den letzten Wochen mit vielen Mitgliedstaaten, mit der Kommission und auch mit den maßgeblichen Persönlichkeiten im Europäischen Parlament gesprochen; denn ein Aufschub der Umsetzung von Basel III dient der Sache nicht, vor allem weil die Wirkung dieser Regulierung über die unmittelbar betroffenen Banken hinausgeht und Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt betrifft. Daher haben wir auch in Deutschland das nationale Gesetzgebungsverfahren frühzeitig eingeleitet. Natürlich müssen wir jetzt auf den Ausgang der Trilog-Verhandlungen warten. Aber wir wollten in Deutschland alles tun, um unsere Entschlossenheit zu bekunden, Basel III so zeitgerecht und so früh wie möglich umzusetzen. Mit der neuen EU-Verordnung wird die Harmonisierung des EU-Bankenaufsichtsrechts weiter gestärkt. Alle Mitgliedstaaten müssen dieselben Vorschriften anwenden und dürfen nur in ausdrücklich zugelassenen Fällen abweichen. Dies ist ein besonderer Baustein für eine kommende einheitliche europäische Aufsichtsstruktur. Das Gesetzespaket enthält zahlreiche neue Sicherheitsstandards und gibt der deutschen Bankenaufsicht neue und verschärfte Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten an die Hand. Die neuen Regelungen schützen Allgemeinheit und Steuerzahler besser vor dem Risiko, bei Ausfällen im Bankensektor in Haftung genommen zu werden. Ein Teil der Umsetzung von Basel III erfolgt mittels einer unmittelbar in Deutschland geltenden EU-Verordnung. In dieser Verordnung werden unter anderem strengere Mindesteigenkapitalanforderungen an Banken, -insbesondere eine deutliche Erhöhung des harten Kernkapitals, festgelegt, eine Verschuldungsobergrenze ab 2018 nach einer entsprechenden Beobachtungsphase eingeführt und zwei neue Liquiditätskennziffern zur Abdeckung der Liquidität für 30 Tage und zur Abdeckung der Liquidität bis zu einem Jahr vorgesehen. Im Kern verlangt Basel III von den Banken qualitativ besseres und quantitativ umfangreicheres Eigenkapital. Hier bestanden in der Vergangenheit Defizite, die für Unsicherheiten und Misstrauen hinsichtlich der Haftungseigenschaft der Kapitalinstrumente gesorgt haben. Nicht zuletzt deshalb mussten in Schieflage geratene Banken vom Staat und damit vom Steuerzahler gestützt werden. Vor diesem Hintergrund war es sehr wichtig, in diesem Sektor grundsätzlich und grundlegend tätig zu werden. Mit den Änderungen des Kreditwesengesetzes vollziehen wir folgende Veränderungen: Es wird eine Verbesserung der Transparenz der Bankgeschäfte und eine umfangreichere Offenlegung von Millionenkrediten gegenüber den Aufsichtsbehörden geben. Es werden die Anforderungen an die Art und Weise, wie eine Bank zu führen ist, erhöht. Es wird in Abhängigkeit von der Größe der Bank zur Einrichtung zusätzlicher Ausschüsse kommen, um weitere interne Kontroll- und Beratungsmöglichkeiten zu schaffen. Wir werden eine Verschärfung der Sanktionsmaßnahmen durch Erhöhung des Bußgeldrahmens bekommen; damit wird grundsätzlich auch ermöglicht, die durch Verstöße gegen das Bankenaufsichtsrecht erzielten Gewinne abzuschöpfen. Schließlich werden neue Kapitalpuffer eingeführt, die unabhängig voneinander festgesetzt werden und zu einer Erhöhung des harten Kernkapitals führen. Für uns als Bundesregierung war sowohl bei den Verhandlungen im Basler Ausschuss, die BaFin und Bundesbank geführt haben, als auch bei der Umsetzung auf europäischer Ebene entscheidend, die bewährte Infrastruktur der deutschen Bankenlandschaft zu sichern. Deshalb haben wir sowohl bei den Verhandlungen als auch bei der Umsetzung von Basel III sehr darauf geachtet, Lösungen zu finden, die unserem Wirtschaftssystem und seinen Finanzierungsbedürfnissen angepasst sind und den vielfältigen Merkmalen des bewährten Drei-Säulen-Systems des deutschen Bankensektors gerecht werden. Im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht wurde eine prinzipienbezogene Ausgestaltung der qualitativen Anforderungen an das Eigenkapital im Sinne des Grundsatzes „Qualität des Eigenkapitals geht vor dessen rechtlicher Form“ geschaffen. Das hat bei der Umsetzung in zahlreichen Mitgliedstaaten, die anders strukturierte Bankensysteme haben, Widerstand hervorgerufen. Aber wir haben es geschafft, dafür zu sorgen, dass die regulatorischen Rahmenbedingungen für Banken in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, einer eingetragenen Genossenschaft oder einer öffentlichen Anstalt wie einer Sparkasse in diesem zentralen Punkt gleichwertig ausgestaltet werden. Das heißt, eine Genossenschaftsbank kann die Genossenschaftsanteile ebenso ihrem harten Kernkapital zurechnen wie etwa eine Sparkasse die Einlagen stiller Gesellschafter. In den Ratsverhandlungen zur Umsetzung von Basel III hat die Bundesregierung zudem eine Klausel durchgesetzt, die auch den nicht als Konzern organisierten Finanzverbünden eine günstige Berechnung ihres -Eigenkapitals im Hinblick auf ihre Finanzbeteiligungen erlaubt. Das Eigenkapital steht den Verbundinstituten zur Ausreichung von Krediten im Aktivgeschäft weiter zur Verfügung. Auch in Zukunft werden so Genossenschaftsbanken und Sparkassen in Deutschland ihre zentrale Rolle im Privatkundengeschäft und ebenso bei der Finanzierung der Wirtschaftsunternehmen umfassend und letztlich besser als zuvor erfüllen können. Seitens der Bundesregierung wollen wir alles dafür tun, diesen großen Regulierungsschritt weiter im Gleichklang mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union voranzubringen. Sie können sich darauf verlassen, dass die Bundesregierung alles tun wird, um die schwierigen Trilog-Verhandlungen zwischen Rat, Kommission und Europäischem Parlament zügig zu einem Abschluss zu bringen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Manfred Zöllmer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Basel III ist ein dringend notwendiges Regelwerk zur Stabilisierung des Finanzsystems. Es ist notwendig, weil der Verlauf der Finanzmarktkrise gezeigt hat, dass eine verbesserte Ausgestaltung der Banken mit Eigenkapital dringend erforderlich ist, um die Stabilität des Finanzsystems insgesamt zu verbessern. Eigenkapital stabilisiert, mehr Eigenkapital bedeutet aber auch weniger Geld für riskante und spekulative Geschäfte. Basel II, das Vorläufermodell, hatte die Weichen in die falsche Richtung gestellt. Danach ist es de facto zu einer geringeren Eigenkapitalunterlegung gekommen, da die Regelung es den Banken erlaubt hat, Risiken mit eigenen Modellen zu bewerten und zu gewichten und die Risikobewertungen auf Ratingagenturen zu verlagern. Der Verlauf der Finanzmarktkrise hat gezeigt: Dies war ein falscher Weg. Das musste korrigiert werden. (Beifall bei der SPD) Die G 20 hatte deshalb schon 2009 in London und Pittsburgh gefordert, durch die Erhöhung der Quantität und der Qualität des Eigenkapitals bei verbesserter internationaler Vergleichbarkeit der Eigenmittel die Liquidität des Bankensystems weltweit zu stärken und damit die Widerstandskraft des Systems gegen Krisen zu verbessern. Kernpunkte waren höhere Eigenkapitalanforderungen mit einem Zuschlag für systemrelevante Banken, neue Definitionen zur Qualität des Eigenkapitals und eine nicht risikobasierte Schuldenobergrenze, im Englischen: Leverage Ratio. Diese Leverage Ratio soll allerdings noch nicht verbindlich sein. Wir hoffen aber, dass sie in absehbarer Zeit endlich verbindlich eingeführt wird. Kapitalpuffer sollen eingeführt werden, damit die Banken auch in schwierigen Situationen über ausreichend Liquidität verfügen. Eigentlich hätten wir hier heute über einen Gesetzentwurf zur Umsetzung von Basel III diskutieren sollen. Das steht ja auf der Tagesordnung, und wir haben auch ein dickes Paket von 184 Seiten Gesetzestext auf den Pulten liegen. Eine ganze Reihe bestehender Gesetze wird geändert: Pfandbriefgesetz, Kreditwesengesetz bis hin zum Gesetz über die Landwirtschaftliche Rentenbank, worüber ich mich schon gewundert habe. So weit, so gut. Wer aber in den Gesetzentwurf hineinschaut, stellt fest: An den wirklich wichtigen Punkten finden Sie genau dieses, nämlich Punkte und keine Inhalte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Werk sollte eigentlich am 1. Januar 2013 in Kraft treten. Es ist aber nicht fertig. Die Bundesregierung hat bei den Verhandlungen in Brüssel bisher nicht vermocht, ein Ergebnis zu erzielen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Na, na, na! – Björn Sänger [FDP]: Mein Gott!) – Herr Flosbach, das ist eine Tatsache, entschuldigen Sie. Oder wie soll man es nennen, wenn die eigene Zielsetzung nicht erreicht wird? Es gibt eine Reihe von strittigen Punkten in diesem sogenannten Trilog auf europäischer Ebene. Alle Beteiligten bemühen sich, zu einem Ergebnis zu kommen, aber eine ganze Reihe sehr wichtiger Fragen ist noch offen. Dabei geht es zum Beispiel um die Liquiditätssicherung, die Eigenkapitaldefinition oder die Managergehälter. Das sind für uns zentrale Punkte, die geregelt werden müssen. Erst dann können wir die Qualität dessen, was letztendlich in Kraft treten soll, auch wirklich bewerten. Wir können über die Umsetzung von Basel III heute gar nicht substanziell debattieren, weil wir nur eine Verpackung, aber noch keinen Inhalt vorliegen haben. (Beifall des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD]) Deshalb ist meine Bitte an die Bundesregierung: Tun Sie in der Öffentlichkeit doch bitte nicht so, als würden bereits jetzt strengere Eigenkapitalregeln umgesetzt. Das ist nicht der Fall. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auf den Ärger mit den Briten will ich gar nicht eingehen. Eine interessante Frage hinterher wird sein: Schaffen wir es wirklich, einheitliche Regeln umzusetzen? Die Briten sind ja bereits jetzt dabei, sich hier herauszustehlen, nachdem sie das Ganze erst erhöhen wollten. Jetzt wollen sie deutlich unterhalb der Kriterien bleiben. Das ist wirklich schwierig. Ich glaube, wir müssen aber auch über die Frage diskutieren: Reicht Basel III eigentlich aus? – Wenn man sich wissenschaftliche Studien anschaut, dann stellt man fest: Es gibt eine ganze Reihe solcher Studien, die sagen: Basel III ist zu lasch. Es bändigt die Banken nicht wirklich. Ich darf hier einmal Herrn Adair Turner zitieren, der sagt: Um das Finanzsystem wirklich sicher zu machen, müssten die Eigenkapitalauflagen für Banken deutlich schärfer sein als Basel III. Immerhin ist er Chef der britischen Finanzmarktaufsicht, ein ausgewiesener Experte, kein Vertreter irgendeiner Occupy-Bewegung. Auch andere Wissenschaftler haben sich dieser Überlegung angeschlossen. Sie sagen, bei einer Eigenkapitalquote von 16 bis 20 Prozent würde die Wahrscheinlichkeit neuer Finanzkrisen deutlich sinken. Wir wissen auf der anderen Seite, dass sich die Banken aber vehement dagegen wehren, höhere Eigenkapitalanteile zu unterlegen. Die große Frage ist: Kommt es dann wirklich dazu, dass die Zahl der Kredite, die vergeben werden können, dann deutlich geringer wird? Wird es zu einer Kreditklemme kommen? Wie sind die Auswirkungen auf die Realwirtschaft? Man wird das im Moment sicherlich nur ansatzweise beurteilen können. Es gibt sehr seriöse Schätzungen, die sagen, die Auswirkungen deutlich höherer Eigenkapitalunterlegungen sind begrenzt. Also, zum Beispiel hat die Bank für internationalen Zahlungsausgleich einmal gesagt: Eine Verdoppelung der Basel-III-Quote würde das Wachstum um ungefähr 0,7 Prozent bremsen. Das wäre dann natürlich ein relativ überschaubarer Preis für ein sicheres Finanzsystem. Ich sage nicht, dass wir das fordern, ich sage nur, man muss es sehr genau beurteilen, evaluieren und wissenschaftlich begleiten. Wir wären schon froh, wenn es gelänge, Basel III im vereinbarten Zeitplan umzusetzen und eine vernünftige Eigenkapitalunterlegung zu schaffen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, nun den Worten auch Taten folgen zu lassen. Wir werden dann über die entsprechenden Details reden. Wir können nur hoffen, dass es sehr bald gelingt, auch wirklich Fakten zu schaffen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Manfred Zöllmer. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Björn Sänger. Bitte schön, Kollege Björn Sänger. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Björn Sänger (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beginnen heute die Beratungen über ein ganz zentrales Gesetzesvorhaben in der Regulierung der -Finanzmärkte. Gemeinsam mit dem Bankenrestrukturierungsgesetz wird es meiner Auffassung nach das Fundament einer neuen Sicherheitsarchitektur darstellen. In der Tat ist es ein ungewöhnliches Verfahren, Herr Kollege Zöllmer, wenn man mit den Beratungen beginnt, bevor die eigentliche Richtlinie in Brüssel fertig ist. Das ist völlig richtig. Heute früh hat Ihr Kanzlerkandidat gesagt, man soll den europäischen Partnern nicht immer gleich mit der Kavallerie drohen, wenn aus deutscher Sicht irgend-etwas nicht richtig läuft. (Manfred Zöllmer [SPD]: „Kavallerie“ hat er nicht gesagt!) – Also, den europäischen; die Schweiz gehört ja nicht dazu. Insofern wundert es mich jetzt schon, dass Sie der Auffassung sind, dass hier am deutschen Wesen dann auch die Welt bzw. die europäische Welt genesen soll. Tatsache ist, es hakt in Brüssel, aber – der Staats-sekretär Koschyk hat das schon sehr richtig gesagt – wir sind bereit, das umzusetzen. Insofern finde ich es auch richtig und gut, dass die Bundesregierung jetzt mit den Beratungen beginnt, um auch einen kleinen Hinweis nach Brüssel zu geben, dass man dort vielleicht das eine oder andere Problem etwas schneller löst. Worum geht es? Es gibt zwei grundlegende Probleme für jedes Unternehmen, in Schwierigkeiten zu kommen. Das eine ist eine Überschuldung, das andere ist ein Liquiditätsengpass. Beide Probleme haben wir im Rahmen der Finanzkrise bei Banken gesehen. Beide Probleme sind eben bei Banken aufgrund der Verflechtungen und auch der Wichtigkeit für die Realwirtschaft nicht so ohne Weiteres zu lösen. Diese beiden Probleme werden mit dem Basel-III-Vorhaben oder CRD-IV-Vorhaben in den Griff zu bekommen sein. Es wird eine risikoadäquate Eigenkapitalunterlegung geben. Es gibt eine neue Definition dessen, was überhaupt Eigenkapital ist, welche Qualität das haben sollte. Auch hier herzlichen Dank an die Bundesregierung, dass die deutschen Besonderheiten entsprechend berücksichtigt werden. Die sind gelöst. Darüber hinaus werden weitere Risiken, die es geben kann, geregelt, beispielsweise das Gegenparteiausfall-risiko, das Risiko, das sich aus der Unternehmensführung einer Bank ergeben kann. Glücklicherweise ist das alles so angelegt, dass wir über den Umsetzungsweg in Form einer Verordnung zumindest in Europa auf ein „level playing field“ kommen. Aber ich erinnere noch einmal an den Entschließungsantrag, den dieses Haus im letzten Jahr zu diesem Thema mit großer Mehrheit beschlossen hat. Wichtig ist, dass diese Regeln auf allen relevanten Finanzmärkten dieser Welt umgesetzt werden. Die Abhängigkeit von Ratingagenturen wird durch das Vorhaben reduziert werden. Es wird eine Stärkung des internen Ratings geben, sodass wir dann insgesamt zu einer guten Aufstellung kommen: auf der einen Seite die CRD-IV-Maßnahmen, die präventiv wirken, auf der anderen Seite das Bankenrestrukturierungsgesetz, das dann, sollte es zu Problemen kommen, eine geordnete Abwicklung ermöglicht. Mit dem im Bankenrestrukturierungsgesetz vorgesehenen „living will“ werden sich Kreditinstitute so organisieren müssen, dass sie problematische Teile relativ schnell herauslösen können. Das ist im Prinzip eine Art Trennbankensystem, das da entsteht. Diese Regelungen in Kombination mit der Einlagensicherung werden dann die Sparer schützen und unser Finanzsystem stabilisieren. Der Binnenmarktkommissar Barnier hat bei der Vorstellung des Richtlinienentwurfs gesagt: Die Finanzkrise hat viele Familien und Unternehmen in Europa hart getroffen. Wir dürfen nicht zulassen, dass es noch einmal zu einer solchen Krise kommen kann und unser Wohlstand durch einige wenige Finanzmarktakteure aufs Spiel gesetzt wird. Das ist richtig. Da ist schon viel erreicht worden, um Vorsorge zu treffen. Es ist auch noch einiges offen. Aber es ist ein großes Verdienst dieser Bundesregierung, dass wir schon extrem weit gekommen sind. Das nutzt uns aber nichts, wenn die Regulierung am Ende dafür sorgt, dass die Finanzbranche nicht mehr in der Lage ist, ihrer Aufgabe vernünftig nachzukommen, nämlich die Realwirtschaft zu finanzieren; denn um den von Herrn Barnier angesprochenen Wohlstand zu erreichen, brauchen wir Wachstum. Das Wachstum muss -finanziert werden. Die kumulativen Wirkungen der Regelungen, die wir schon jetzt haben – es kommen noch weitere –, bereiten möglicherweise doch die eine oder andere Sorge, dass es hier zu Problemen kommt. Im Handwerk gibt es einen Spruch, der da lautet: Nach Fest kommt Ab. – Auch das muss beachtet werden. Insofern freue ich mich auf die Beratungen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Björn Sänger. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Dr. Axel Troost. Bitte schön, Kollege Dr. Axel Troost. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Beratung hat schon eine gewisse Komik. Das ist schon deutlich geworden, sowohl durch die Rede von Staatssekretär Koschyk als auch vom Kollegen Zöllmer von der SPD. Wir beraten hier einen Gesetzentwurf. Aber die dazugehörige Richtlinie und Verordnung der EU liegen nicht vor. Insofern haben wir hier in der Tat eine Hülle und keinen Inhalt, über den man wirklich konkret streiten könnte. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Durchlesen!) Warum dieser unreife Gesetzentwurf? Sie wollen damit besondere deutsche Termintreue beweisen. In Pittsburgh ist 2009 beschlossen worden, dass das Basel-III-Abkommen bis Ende 2012 vorliegen soll. In Pittsburgh ist aber auch beschlossen worden, dass sich bis dahin alle zu den UN-Millenniumszielen und zu der Entwicklungshilfequote bekennen sollen. Dabei haben Sie bisher keine solche Termintreue zeigen können. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Jetzt aber zum Basel-III-Abkommen selber. Wir sind uns in drei wesentlichen Punkten in der Tat einig: Erstens. Das Basel-III-Abkommen ist nur ein Element einer umfassenden Finanzmarktregulierung. Zweitens. Höheres und besseres Eigenkapital ist für Banken sinnvoll, weil Banken damit widerstandsfähiger sind. Drittens. Bank ist nicht gleich Bank. Das Basel-III-Abkommen darf nicht dazu führen, dass Sparkassen und Genossenschaftsbanken auf der Strecke bleiben. Das würde das Finanzsystem nicht sicherer, sondern nur noch wackeliger machen. (Beifall bei der LINKEN) Doch über dieses Grundsätzliche hinaus gibt es aus unserer Sicht allen Anlass, zu meckern. Die Reform geht grundsätzlich in die richtige Richtung. Sie wird der Tiefe der Krise und dem bestehenden Veränderungsbedarf aber nicht gerecht. Insbesondere differenziert die Novelle ungenügend zwischen auf der einen Seite den Banken, die im internationalen Kapitalmarkt das große Rad drehen, und auf der anderen Seite den Tausenden kleinen Banken, welche hauptsächlich Spareinlagen verwalten und private Haushalte sowie kleine und mittelständische Unternehmen mit Krediten versorgen. Es sind aber die wenigen großen Banken vom Schlage einer Deutschen Bank oder einer Commerzbank, die uns Kopfschmerzen bereiten, und nicht die vielen kleinen Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Außerdem wird das Problem der Schattenbanken überhaupt nicht angegangen, sondern bleibt völlig außen vor. Außer vagen Absichtserklärungen haben Sie zu diesem Bereich bisher rein gar nichts geliefert. Doch bleiben wir bei den Banken im Engeren. Die systemrelevanten Banken sollen einen Eigenkapitalzuschlag von 1 bis 3,5 Prozent bekommen. Insgesamt liegt deren Eigenkapitalquote damit im historischen Vergleich aber immer noch relativ niedrig. Staaten wie die Schweiz und Schweden wollen im nationalen Alleingang deutlich höheres Eigenkapital verlangen. Laut Finance Watch, einer Organisation, die den Kapitalmarkt schon genau beobachtet, hätte in der jüngsten Krise – das ist eben auch angesprochen worden – eine Eigenkapitaldecke von ungefähr 16 Prozent die meisten Verluste einzelner Banken absorbiert. Bei 24 Prozent – so deren Berechnung – hätten beinahe alle Verluste in sämtlichen Bankenkrisen seit 1988 absorbiert werden können. Wir liegen aber mit den Entwürfen und den Gedanken bisher weit darunter. Gerade große Banken müssen aber gezwungen werden, entsprechend mehr Eigenkapital vorzuhalten. Doch Sie lehnen entsprechende Zuschläge in großem Umfang für systemrelevante Banken ab. Basel III ist daher wesentlich zu zaghaft. In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Finanzprodukte, Institute und Geschäftsmodelle entwickelt. Dafür gab es immer den Applaus, weil die Märkte das entwickelt haben. Dann hat man gesagt: Wir wollen eine Art Selbstregulierung haben. Diese Selbstregulierung ist nach wie vor auch die Logik von Basel III. Sie drehen sie nur etwas zurück. Seit Basel II können Banken nämlich ihr eigenes Risikomanagement anwenden. Es ist eben die Frage, ob das ausreichend und sicher ist. In Zeiten, in denen alles gut gelaufen ist, gab es hohe Boni und Gewinne. Als es dann schlecht lief, mussten die Steuerzahler und die Staaten in die Bresche springen. Wir sagen daher: Die Höhe des Eigenkapitals zu bestimmen, ist Aufgabe der Aufsicht und nicht Aufgabe der Bank selbst oder privater Agenturen. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb fordern wir, keine mit internen Modellen berechneten Risikogewichte zu akzeptieren. Wir fordern auch, sämtliche Passagen aus dem Gesetz herauszunehmen, in denen externe Ratings zugrunde gelegt werden. Wir fordern eine Aufsicht auf Augenhöhe bei den Banken und mit den Banken. Wir müssen uns trauen, den Banken in der Tat Vorgaben zu machen, die eine ausreichende Eigenkapitalvorsorge bedeuten und den internationalen großen Banken, die am großen Rad drehen, so viel Rückhalt geben, dass sie im Falle einer Auseinanderentwicklung bzw. einer Krise Auffanglösungen aus dem Eigenkapital haben und nicht die Staaten zu Rettungsaktionen herangezogen werden. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Axel Troost. Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen Dr. Gerhard Schick. Bitte schön, Kollege Dr. Gerhard Schick. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist es bemerkenswert, dass das Regelwerk auf europäischer Ebene noch nicht fertig ist und wir hier trotzdem schon eine Vorlage haben. Ich finde, es ist aber eigentlich sinnvoll, dass wir versuchen, so zügig wie möglich an die Umsetzung zu gehen und den Prozess zu beginnen. Wenn man über die Verhandlungen in Brüssel redet, muss man, finde ich, aber einmal sagen, was da eigentlich die Verhandlungsposition ist und wer da auf welcher Seite steht. Darüber habe ich noch nicht viel gehört. Der erste Punkt sind die Liquiditätsregeln. Aus dem Rat, dem Vertreter der Regierungen, wird verhindert, dass ein festes Datum festgelegt wird. Das Parlament will hier ein festes Datum für die Einführung festlegen. Ich glaube, das ist auch sinnvoll. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Dann sagen Sie aber mal, welche Regierung, Herr Schick! Ich glaube, das ist die französische Regierung, nicht die deutsche!) – Sie können nachher gerne Ihre Ausführungen machen und das darlegen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Er hat -gemerkt, dass es stimmt!) – Ich habe nicht widersprochen. An dieser Stelle ist es vielleicht ausnahmsweise einmal nicht die Bundesregierung. Das können Sie nachher gerne ausführen. Sonst melden Sie sich bitte zu einer Zwischenfrage, wenn Sie das genauer haben wollen. Der zweite Punkt sind die Bonuszahlungen. Viele Menschen haben sich zu Recht darüber empört, dass Millionenboni dazu geführt haben, dass Banken große Risiken eingehen und nachher genau die Leute, die Boni kassiert haben, nicht die Verantwortung übernehmen, wenn es schiefgeht. Unsere grüne Position im Europäischen Parlament ist, dass wir die Bonuszahlungen so tief drücken, dass sie nicht höher sind als das Fixgehalt – höchstens eins zu eins. Die Regierungen der Mitgliedstaaten wollen diese Position aufweichen. Ich glaube, es ist im Interesse der Bürgerinnen und Bürger und eines stabilen Finanzmarktes, dass wir zu Regelungen für niedrigere Bonuszahlungen kommen und die Fehlentwicklungen in der Vergangenheit endlich korrigieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dann geht es um die Aufschläge für systemische Banken. Dabei muss man sagen: Es ist notwendig, dass wir für große Banken einen zusätzlichen Kapitalpuffer aufbauen, der mit zusätzlicher Größe ansteigt. Es ist nämlich so, dass seit Ausbruch der Finanzkrise viele Institute noch größer geworden sind und damit die Gefahr bei einem Zusammenbruch noch gewachsen ist. Deswegen sind wir Grünen für eine Größenbremse für Banken, die sicherstellt, dass Größe sich nicht lohnt, sondern teuer wird, und wollen auch im Europäischen Parlament durchsetzen, dass es Aufschläge gibt, die auf europäischer Ebene gemeinsam etabliert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Es geht auch darum, dass die europäische Bankenaufsicht festlegen kann, wie die Qualität des Kapitals aussehen soll. Auch hier stehen wieder die nationalen Regierungen im Rat auf der Bremse. Wir diskutieren über eine europäische Bankenaufsicht, und gleichzeitig wird noch dabei gebremst, gemeinsame europäische Standards über die bereits bestehende europäische Bankenaufsicht durchzusetzen. Ich glaube, es ist notwendig, dass wir hier einen Schritt vorankommen. Ich will noch zu einem weiteren Punkt kommen, der wichtig ist: Was leistet eigentlich Basel III in Bezug auf die Eigenkapitalausstattung? Das ist der zentrale Kern der neuen Regulierung. Wir können sehen, dass man immer noch bei dem alten Modell bleibt. Ich nehme das Beispiel Deutsche Bank: Bilanz 2,2 Billionen Euro. 56 Milliarden Euro sind regulatives Eigenkapital. Trotzdem heißt es: Die Kapitalquote beträgt 9,5 Prozent. Das klingt erst einmal viel und hört sich nach Stabilität an. Aber wenn man die zwei genannten Größen zueinander ins Verhältnis setzt, kommt man auf eine Relation von 2,5 Prozent. Dann sieht man den Unterschied in der Frage, ob man es den Banken wie bisher erlaubt, ihre Bilanz kleinzurechnen und damit eine größere Kapitalquote auszuweisen, als vorhanden ist, oder ob wir ein stabileres System mit einer Schuldenbremse für Banken schaffen, indem wir wirklich fragen: Wie ist das Verhältnis von Eigenkapital zur gesamten Bilanzsumme? Dabei müssen wir eines sehen: Auch fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise wird in Deutschland einer Bank wie der Deutschen Bank eine Eigenkapitalausstattung von nur 2,5 Prozent erlaubt. Dieselbe Bank würde einem mittelständischen Unternehmen, das nur 2,5 Prozent Eigenkapital hat, nie einen Kredit geben. Dazu sagen wir Grünen zusammen mit vielen wissenschaftlichen Institutionen: Es braucht definitiv eine Untergrenze, eine Schuldenbremse für Banken. Wir wollen ein Eigenkapital von 5 Prozent als Minimum vorschreiben, wie es in Kanada bereits der Fall ist, wo wir unter anderem bei einer Reise des Finanzausschusses gelernt haben, dass auch deswegen die kanadischen Banken von der Krise nicht so stark getroffen worden sind wie die deutschen Banken. Dabei ist ein Punkt sehr wichtig. Dass die deutsche Bundesregierung – in dem Fall war es wirklich die deutsche Bundesregierung, und dazu müssen auch die Koalitionsfraktionen stehen – in Basel, vertreten durch die Bundesbank, und in Brüssel darauf gedrängt hat, dass die Leverage Ratio, also die ungewichtete Eigenkapitaluntergrenze, nicht festgeschrieben wird, sondern wir erst noch fünf Jahre beobachten, halte ich für falsch. Da stand die Bundesregierung auf der falschen Seite. Denn wir müssen es endlich schaffen, Stabilität sicherzustellen. Es ist viel zu gefährlich, Banken mit so wenig Eigenkapital zuzulassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Wir haben jetzt einen großen Gesetzentwurf mit sehr vielen einzelnen Punkten vor uns. Sie sind schon genannt worden: Es geht um Anpassungen bei der Rentenbank – das halten wir für sinnvoll –, es geht darum, das in vielen einzelnen Punkten anzupassen. Dann haben wir die Möglichkeit, nationale Wahlrechte auszuüben. Da gilt es jetzt wieder, genau hinzuschauen, was uns eigentlich die Koalition hier vorschlägt. Das ist im Kern unsere Aufgabe als Deutscher Bundestag: zu entscheiden, welche dieser Wahlrechte wir wie ausüben. Wir stellen fest, dass bei entscheidenden Punkten, bei denen der nationale Gesetzgeber das umsetzen kann – zum Beispiel bei der Frage der Risikogewichtung bei Immobilienkrediten –, die Bundesregierung uns vorschlägt, diese Wahlrechte nicht zu nutzen und damit aufsichtsrechtlich bei uns nicht so stark auf-gestellt zu sein, wie wir es sein könnten. Angesichts der Entwicklung, dass wir an manchen Stellen gerade in Deutschland im Immobiliensektor eine beginnende Blase haben, halten wir es für falsch, an dieser Stelle die Wahlrechte nicht auszunutzen. Vielmehr müssten wir auch national entsprechend dort vorsorgen, wo uns das europäische Recht die Möglichkeit dazu gibt. Es gibt also Bedarf, nachzusteuern: zum einen beim Thema Leverage Ratio, also beim Thema Schuldenbremse für Banken. Wir wollen eine stabile Eigenkapitaluntergrenze. Zum anderen müssen wir dafür sorgen, dass die nationalen Wahlrechte so ausgeübt werden, dass der deutsche Finanzmarkt stabil ist. Denn eines muss man in Deutschland zur Kenntnis nehmen – die internationalen Vergleiche sind sehr eindeutig –: Im internationalen Vergleich – ich zitiere den Global Financial Stability Report des Internationalen Währungsfonds vom Oktober 2012, also ganz aktuell – sind die deutschen Banken diejenigen mit der schwächsten Eigenkapitalausstattung. Das heißt, wir haben hier noch richtig was zu tun. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Gerhard Schick. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Klaus-Peter Flosbach. Bitte schön, Kollege Klaus-Peter Flosbach. (Beifall bei der CDU/CSU) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind im fünften Jahr der Banken- und Finanzenkrise. Jeder Presseartikel, jedes Buch, jeder Wissenschaftler, der über die Krise spricht, wird über das Eigenkapital von Banken sprechen. Überall wird dargelegt, die erste Erkenntnis aus dieser Krise sei gewesen, dass die Banken mehr Eigenkapital haben müssen. Dies setzt sich in allen Bereichen durch, und deswegen unterscheiden wir uns auch in dieser Grundsatzfrage nicht. Die Risiken werden gemindert, je mehr Eigenkapital da ist. Auch viele unserer Diskussionen über Trennbanken, über Fragen der Insolvenz oder über Einlagensicherung relativieren sich, je mehr Eigenkapital im Bankensystem vorhanden ist. Weil das so eine zentrale und wichtige Frage ist, stellen wir uns als Regierungspartei natürlich auch die Frage, warum sich der Kanzlerkandidat der SPD, der in einem Papier von 5 plus 25 Seiten dargelegt hat, wie er das alles regulieren würde, nicht dazu bequemt, doch einmal in dieses Parlament zu kommen, um mit den -Finanzpolitikern über diese zentrale Frage zu diskutieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: So ein Blödsinn!) Das mag auch daran liegen, dass in seiner Stellungnahme von diesen insgesamt 30 Seiten sich überhaupt nur eine einzige Seite mit diesem Thema beschäftigt hat, das allgemein als die zentrale Sache der Finanzmarkt-regulierung anerkannt ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute geht es um die Umsetzung der europäischen Richtlinie. Es ist ein Rahmenwerk zur Stärkung der Widerstandskraft der Banken, auch bekannt geworden unter dem Thema Basel III, weil es eben in Basel einen Ausschuss gibt, der aus Notenbankern und Vertretern von Aufsichtsbehörden besteht und im Grunde die Standards für die Finanzmarktstabilität festlegt. Es ist von den Kollegen angesprochen worden, dass wir bereits jetzt beginnen. Wir haben seit dem 22. August einen Kabinettsentwurf vorliegen, obwohl die Entscheidung auf der europäischen Ebene in der Tat noch nicht gefallen ist. Wir waren letzte Woche mit einigen Kollegen im französischen Parlament und haben dort einen Unterschied in der Finanzdiskussion festgestellt. Wir haben nämlich einen anderen parlamentarischen Prozess als die Franzosen, die das möglicherweise in ganz kurzer Zeit verabschieden, während wir uns sehr intensiv über -Monate mit diesem Thema beschäftigen. Ich halte es für richtig, dass wir das machen, auch wenn noch nicht jedes Detail geklärt ist. Auf der europäischen Ebene gibt es noch ein Vermittlungsverfahren zwischen dem Europäischen Parlament, der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat, bekannt als das Trilogverfahren. Nach meinen Erkenntnissen wird sich das noch einige Monate hinziehen. Ich glaube nicht, dass wir den 1. Januar halten können. Die Ziele sind aber dennoch festgelegt worden, wobei es sich hier um folgende Fragen handelt: Wie schaffen wir eine größere Widerstandskraft? Wie sieht es mit Risikomanagement aus, und wie sieht es mit Transparenzsystemen aus? Zentral ist aber auf jeden Fall, dass deutlich gemacht wird: Wir brauchen mehr Eigenkapital im Bankensystem, sowohl von der Qualität als auch von der Quantität her. Die normalen Banken müssen bis zum Jahre 2019, also Zug um Zug, diese Vorgabe auch hier in Deutschland umsetzen. Das ist für die eine oder andere Bank aber nicht ganz einfach, weil die Banken neben der Beschaffung von zusätzlichem Eigenkapital auch noch die Bankenabgabe zu tragen haben. Zudem sind wir auf dem Weg zur Finanztransaktionsteuer. Es ist also mit weiteren Belastungen zu rechnen. Bei dem Treffen der G 20 in Cannes ist deutlich geworden: Je größer eine Bank ist, desto mehr Eigenkapital muss vorgehalten werden. Deswegen kann ich hier nicht den Eindruck bestätigen, dass die großen Banken kein erhöhtes Eigenkapital vorlegen müssten. Gerade in Cannes ist noch einmal eine Erhöhung um 2,5 Prozentpunkte vorgenommen worden. Wir haben mehr oder weniger positiv auch die sogenannten Stresstests in Europa begleitet, die EBA-Stresstests, deren Ergebnis war, dass 13 deutschen Banken gesagt wurde, sie müssten deutlich mehr Eigenkapital schon bis zum 30. Juni des Jahres 2012 vorhalten. Hier ging es allein um eine Summe von 13 Milliarden Euro. Wichtig ist, dass die großen Banken natürlich deutlich mehr Eigenkapital vorhalten müssen. Wir haben hier heute morgen auch schon über die Bankenunion gesprochen. Da geht es um die Frage, ob die Europäische Zentralbank eine neue Aufsichtsposition übernehmen soll. Meines Erachtens ist es bei dieser Diskussion über Basel III oder CRD IV einfach wichtig, dass wir auch in den nächsten Monaten darauf achten, dass wir die Regulierung angemessen, proportional umsetzen. Das heißt, kleine Banken dürfen nicht so kontrolliert werden wie große Banken. Was die Sparkassen und die Volksbanken angeht, sollte deutlich werden, dass hier proportional kontrolliert und beaufsichtigt wird, aber nicht das Gleiche wie bei den großen Banken gemacht wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben nun einmal in Europa unterschiedliche Bankensysteme. Für uns war es sehr wichtig, dass auch bei der Definition des -Eigenkapitals auf die Rechtsformneutralität geachtet wurde. Rechtsformneutral heißt, dass die sogenannten stillen Einlagen unserer Sparkassen oder die Genossenschaftsanteile der Genossenschaftsbanken als hartes -Kapital akzeptiert werden. Wir diskutieren über die Liquidität und haben in der Krise erfahren, dass gerade die Liquidität bei den Banken ein ganz großes Problem gewesen ist. Auch hier gibt es noch Fragen, zum Beispiel wie Liquidität definiert wird. Als sehr problematisch sehe ich den Ansatz an, den Herr Schick gerade angesprochen hat; wir werden ihn diskutieren. Auch Herr Steinbrück hat das in seinem -Papier vorgelegt. Es geht darum, dass möglicherweise Privatanleger, die ein Haus bauen, nicht nur 20 Prozent Eigenkapital vorweisen müssen, sondern Immobilien möglicherweise nur bis zu 60 Prozent finanziert werden können, dass also ein höheres Eigenkapital vorhanden sein muss. Ich vermute, das würde manchem die Möglichkeit nehmen, ein Haus zu bauen. Die Erfahrung, die wir mit dem Hypothekensystem hier in Deutschland gesammelt haben, ist meines Erachtens sehr gut. Wir ermöglichen auch Beziehern kleinerer Einkommen, eine Immobilie zu erwerben. Ich möchte an diesem System nicht rütteln. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Es gibt auch Kritik am jetzigen Verfahren, nämlich dass es eine Verordnung gegeben hat. Wir haben auch die Möglichkeit, einen Teil über eine Richtline umzusetzen. Wir haben nationale Einflussmöglichkeiten, ins-besondere was die Aufsicht angeht. Das betrifft die Kontrolle vor Ort, aber auch die Abhängigkeit von externen Ratings oder die Sanktionierung bei Verstößen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Trilog, das Abstimmungsverfahren, läuft. Auch wir fordern, dass Mittelstandskredite anders unterlegt werden, dass also die Möglichkeit zur Finanzierung unserer Realwirtschaft, insbesondere unserer mittelständischen Wirtschaft, entsprechend berücksichtigt wird. Auch werden wir prüfen müssen, ob die Bewertung von Beteiligungen so angemessen ist. Aber ich denke nach wie vor: Es ist und bleibt das Kernthema. Ein letzter Satz noch einmal zu Steinbrück: In den 25 Seiten seiner Vorlage hat er auf eines überhaupt nicht hingewiesen, was möglicherweise für uns auch Gegenstand einer Diskussion sein wird, nämlich auf die Eigenkapitalunterlegung für Staatsanleihen. Mit diesem Thema müssen wir uns in den nächsten Jahren beschäftigen. Das ist das zentrale Problem der jetzigen Staatsschuldenkrise. Dass dieses Thema von Herrn Steinbrück überhaupt nicht angesprochen worden ist, zeigt doch nur, dass er sich die Möglichkeiten einer höheren Staatsverschuldung auch in Zukunft nicht nehmen lassen will. (Manfred Zöllmer [SPD]: Was sagt denn Herr Schäuble dazu? Haben Sie Herrn Schäuble -gefragt?) Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Klaus-Peter Flosbach. Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Carsten Sieling. Bitte schön, Kollege Dr. Carsten Sieling. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fühle mich heute der größten Herausforderung meiner Parlamentarierzeit unterworfen. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Das liegt vor allem daran, dass wir heute einen Gesetzentwurf beraten, der – mehrere vor mir haben es gesagt – noch gar keine Grundlage hat. (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Dann würde ich doch nicht dazu reden!) Es gibt einen Kabinettsbeschluss vom 22. August; aber den wollen wir ja noch verändern. In Wirklichkeit hat dieses Gesetz noch überhaupt keine Grundlage. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: 93 Seiten!) Auch Sie sagen, dass Sie es anders machen wollen. Wir stehen hier und müssen über einen schwebenden Vorgang reden. Das ist nahezu eine artistische Übung. Ich nenne das ein virtuelles Gesetz – und das zu einer so wichtigen Frage. Ich hätte erwartet, dass Sie – Kollege Flosbach hat einige Punkte angesprochen – etwas klarer sagen, was die Bundesregierung denn wirklich an harten Verhandlungspunkten einbringen will. Das brauchen wir. Der Vorgang ist zu ernst. Es muss eine ernsthafte Regulierung in diesem Land, aber auch auf der europäischen Ebene geben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Das ist wie beim Katalysator!) Ich sage mit Blick auf die Verhandlungsposition der Bundesregierung: Wir müssen in viel stärkerem Maße, als das im Rahmen von Basel III ursprünglich vorgesehen war, nicht nur in Deutschland, sondern auch im internationalen Raum die Besonderheiten der Bankaktivitäten gewichten und unterstreichen. Ich will, damit Sie nicht auf dumme Ideen kommen, in dieser Debatte noch einmal sagen, was wir Sozial-demokraten uns vorstellen. Wenn Sie sich einmal die Mühe machen würden, sich das Papier von Peer Steinbrück genau anzuschauen, würden Sie sehen, dass die dort vorgeschlagene Regulierung durchgreift und richtig ist. Da reichen die lockeren Leistungspunkte, die Sie hier vorlegen, bei weitem nicht hin; da müssen Sie schon mehr auf den Tisch legen. Bei diesem Mehr geht es insbesondere um das Verhältnis von Risiken und Haftung. Das ist ein wesentliches Grundprinzip. Da bedarf es einer größeren Anstrengung und klarer Veränderungen. Bisher ist überlegt worden, dass unterschiedliche Risiken auch unterschiedlich behandelt werden sollen. Das muss ein Grundakzent sein. Der wichtigste Aspekt ist in diesem Zusammenhang, dass wir bei den Eigenkapitalregeln, aber auch bei den Liquiditätsregeln – inklusive der Leverage Ratio, der Verschuldungsgrenze – die Größe der Institute ins Auge fassen müssen; ich komme gleich noch einmal darauf zu sprechen. Ich will an dieser Stelle sagen: Die 2,5 Prozentpunkte, um die die Anforderungen noch einmal erhöht worden sind, reichen uns nicht. Das ist nicht genug, um den Sektor sicher zu machen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Wir werden uns aber auch das Geschäftsverhalten genauer anschauen müssen. Nicht umsonst kommen wir zu dem Vorschlag eines Trennbankensystems, also einer Trennung der Aktivitäten. Wir halten das gerade in Verbindung zu den realwirtschaftlichen Notwendigkeiten für bedeutend. Dass mit Mittelstandskrediten anders umgegangen werden muss als mit spekulativen Geschäften oder mit Eigenhandel von Banken, ist klar. Das sind unterschiedliche Risiken, und die sind unterschiedlich zu behandeln. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Damit sind wir bei den unterschiedlichen Instituten. Wir wissen: Die, die mit ihrem Kreditgeschäft die gewerbliche Wirtschaft, die Industrie, ja wirtschaftliche Aktivitäten im Land überhaupt unterstützen, sind in überdurchschnittlichem Maße Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Trotz aller Bemühungen der Großbanken muss man eigentlich sagen: Großbanken sind wirtschaftspolitische Blindgänger. Ich finde, das muss man auch entsprechend gewichten. Ein weiteres Thema, das ich ansprechen möchte, ist die Auswirkung auf die Kommunalfinanzierung. Das hat mit den Volksbanken und den Sparkassen zu tun. Wir Sozialdemokraten machen uns große Sorgen, dass es im Zusammenhang mit der Leverage Ratio, der Verschuldungsgrenze, zu unterschiedlichen Herangehensweisen kommt. Das, was ich gerade differenziert ausgeführt habe, gilt auch dort. Kollege Schick hat das Europäische Parlament angesprochen. Ich finde, nicht alle Ebenen des Vorschlags des Europäischen Parlaments sind umfänglich betont. Das Europäische Parlament hat einen Vorschlag mit drei Stufen gemacht. Die erste Stufe heißt: Banken, die immer noch meinen, Spekulationsgeschäfte betreiben zu müssen, müssen eine Leverage Ratio von 5 Prozent erfüllen. Normale Risiken werden mit 3 Prozent und das risikoarme, margenschwache Geschäft wird mit einer Obergrenze von 1,5 Prozent belastet. Ich finde diesen Vorschlag richtig. Wir sollten das, was dazu im Europäischen Parlament angedacht wird, in die Debatte aufnehmen. Das zu diesem Punkt. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Was sind denn Spekulationsgeschäfte?) – Herr Kollege, Sie werden gleich noch die Gelegenheit haben, hier zu reden. Es wäre schön, wenn Sie darlegen würden, was durch den Eigenhandel passiert ist, wie sich viele Sektoren entwickelt haben und wie wir dort eingreifen und begrenzen müssen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle – hierzu möchte ich, Herr Kollege Wissing, ein klares Wort von Ihnen hören –: Die Boni müssen deutlich reduziert werden. Ich bin sehr dafür, dass die flexiblen Bestandteile, also Prämien und Ähnliches, Anreize, die auch in die falsche Richtung führen können, nicht höher sein dürfen als die festen Bestandteile. Ich will auch sagen: Es muss auch eine steuerliche Begrenzung der Absetzbarkeit von Boni geben. Das ist jedenfalls unsere Position als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich zum Schluss etwas sagen, weil ich ahne, was jetzt kommt. Mich erinnert das immer an den unvergessenen Rudi Carrell. Ich bitte aber darum, Kollege Wissing, heute nicht so viel an Carrell zu denken. Rudi Carrell hat gesagt: Schuld ist immer die SPD, an dem schönen Wetter, aber auch am schlechten Wetter. – Ich befürchte, dass jetzt wieder eine Rede kommt, die sich leider nicht mit dem Thema auseinandersetzt, sondern das Lied zu singen versucht: Schuld ist immer die SPD. Ich sage: Vorangehen wird es in diesem Land und eine ordentliche Regulierung wird es geben, wenn die SPD wieder mehr zu sagen bekommt und regiert. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Sieling. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDP. Wir -haben eben gehört, die Erwartungen an ihn vonseiten der Sozialdemokraten sind sehr groß. Bitte schön, Kollege Volker Wissing. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Volker Wissing (FDP): Herr Präsident! Ich danke Ihnen. Falls Rudi Carrell jemals gesagt haben sollte: Schuld ist immer nur die SPD (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das hat er -gesungen!) – oder es gesungen hat –, dann kann man feststellen, dass er ein kluger Kopf gewesen ist. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sie müssen weiterlesen! – Joachim Poß [SPD]: Es ging um das Wetter!) Ich möchte heute über das Thema Basel III reden. Ich sage Ihnen: Wir haben Lehren aus der Krise gezogen. Wir haben in der Krise gesehen, dass Banken Probleme hatten, weil sie keine ausreichende Liquidität hatten. Wir haben gesehen, dass Banken Probleme hatten, weil sie kein ausreichendes Eigenkapital hatten. Wir haben uns zu Beginn dieser Legislaturperiode als Koalitionsfraktion die Frage gestellt: Welches sind die zentralen Lehren aus dieser Krise? Wir haben gesagt: Der Schwerpunkt muss darauf liegen, die Eigenkapitalausstattung der Banken zu verbessern und Liquiditätspuffer zu schaffen, damit sich das Gleiche nicht wiederholt. Dann haben wir gesagt: Wir brauchen auch einen Restrukturierungsfonds. Für den Fall, dass Banken wieder ins Straucheln geraten, soll der Steuerzahler nicht dafür aufkommen. Dafür brauchen wir eine Bankenabgabe. Die muss der Höhe nach so ausfallen, dass genügend Möglichkeiten vorhanden sind, Liquiditätspuffer zu finanzieren und Eigenkapitalvorsorge zu treffen. Sie haben sich für einen anderen Weg entschieden. Sie haben – Sie lassen hier im Plenum keine Gelegenheit aus, das zu betonen; das gilt auch für Peer Steinbrück mit seinem Papier – den Schwerpunkt auf eine höhere Bankenabgabe gelegt und sagen immer, dass sie noch höher sein muss. Deswegen können Sie sich hier nicht glaubwürdig hinstellen und sagen, Basel III sei der -richtige Weg. Der Weg, den Sie immer propagieren, ist eine höhere Bankenabgabe. Der Weg, den wir für besser halten, ist Basel III: Eigenkapitalvorsorge, Liquiditätspuffer. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das verstehen nur Sie!) Deswegen ist es falsch und außerdem scheinheilig, wenn Sie sich Basel III zu eigen machen. Sie argumentieren immer gegen diesen Regulierungsansatz. Wir haben uns für einen anderen Ansatz entschieden als Sie; wir haben uns Basel III zu eigen gemacht, weil mit Basel III genau die richtigen Lehren aus der Krise gezogen werden. (Zurufe von der SPD) Sie wollen einen staatlichen Fonds füllen; Sie können den Menschen jedoch nicht erklären, wie eine Bank 1 Euro aus ihrem Gewinn gleich dreimal ausgeben kann. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das Problem ist, dass sie ihn zehnmal ausgegeben haben!) 1 Euro bleibt 1 Euro. Dann kommen Sie auch noch und verlangen, dass Banken möglichst hohe Finanztransaktionsteuern und zugleich eine höhere Bankenabgabe bezahlen und dann auch noch für Eigenkapitalvorsorge und Liquiditätspuffer sorgen. (Zuruf von der SPD) Ich wiederhole: 1 Euro ist 1 Euro, und wenn die Sozialdemokraten das nicht verstehen, belegen sie damit nur, dass sie eben immer falsch liegen und nicht rechnen können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das Gute an Basel III ist, dass es bereits erste Wirkungen zeitigt (Zuruf von der SPD: 4 Prozent sind 4 Prozent!) und die Banken ihre Geschäftsmodelle heute schon danach ausrichten. Ich kann Ihnen nur sagen: Ihre Vorwürfe, die Sie heute versuchsweise eingestreut haben, nämlich dass Basel III von der Bundesregierung nicht schnell genug vorangetrieben würde, sind schlicht und einfach falsch. Wenn an der einen oder anderen Stelle gebremst wird, dann kommt das eher vonseiten der französischen Regierung. Das sind diejenigen, zu denen Sie noch hingefahren sind und die Sie als die Besseren in Europa bezeichnet haben. Das sind Ihre Freunde. Eine Verzögerung kommt jedoch keinesfalls von einer christlich-liberalen Koalition, die Basel III entschieden voranbringt. Sie liegen tatsächlich in allen Punkten falsch. Rudi Carell hat recht, lieber Kollege Sieling. Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege Wissing, der Kollege Dr. Schick will Ihre Redezeit verlängern, indem er Ihnen eine Zwischenfrage stellt. Dr. Volker Wissing (FDP): Ja, bitte. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, ich würde gerne wissen – jetzt gar nicht auf Frankreich bezogen, sondern auf Deutschland –, ob Sie es richtig finden, dass wir es weitere fünf Jahre zulassen, dass Banken mit weniger als 3 Prozent Eigenkapital arbeiten können. Nehmen wir als Beispiel die Deutsche Bank mit 2,5 Prozent. Oder sind Sie der Meinung, dass mehr Eigenkapital nötig ist? Dr. Volker Wissing (FDP): Herr Kollege Schick, im Gegensatz zu Ihnen bin ich der Meinung, dass die Bankenabgabe nicht erhöht werden sollte, sondern dass sie auf dem derzeit richtigen justierten Maß bleiben sollte. Außerdem bin der Meinung, dass das Eigenkapital kontinuierlich auf ein ausreichendes Niveau angehoben werden muss. Dabei muss man jedoch die Tatsache im Blick behalten, dass die notwendige Kreditvergabe und somit die Liquiditätsversorgung der Wirtschaft sichergestellt werden muss. Dies zeichnet das Augenmaß der christlich--liberalen Regierung aus, während Sie, ebenso wie die Sozialdemokraten, den Menschen in Deutschland einreden, man könne 1 Euro dreimal, viermal oder fünfmal ausgeben. Das hat mit der Realität nichts zu tun. Deswegen müssen Sie sich klar bekennen: Wollen Sie höhere Bankenabgaben, wollen Sie hohe Finanztrans-aktionsteuern für die Banken, oder wollen Sie ein höheres Eigenkapital? Sie stehen nämlich mit all Ihren Forderungen gegen eine höhere Eigenkapitalausstattung. Also behaupten Sie hier doch nicht immer wieder das Gegenteil! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Entscheiden Sie sich doch einmal, was die Banken mit ihren Gewinnen machen sollen! Man kann 1 Euro nur einmal ausgeben. Eins und eins ist eins und nicht drei. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Eins und eins ist zwei! – Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Eins bleibt eins und ist nicht zwei oder drei. Ja, Herr Sieling, ist ja gut. (Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Frage ist beantwortet. Vizepräsident Eduard Oswald: Den Mitgliedern des Finanzausschusses wird immer unterstellt, das Einmaleins bestens zu kennen. Dr. Volker Wissing (FDP): Eins bleibt eins, liebe Kollegen. Freuen Sie sich, das ist geschenkt. – Sie werden jedoch von dieser Fragestellung nicht loskommen. Sie können sich nicht hinstellen und den Leuten immer wieder sagen, die Bankenabgabe sei zu niedrig, die Finanztransaktionsteuer müsse kommen und das Eigenkapital sowie der Liquiditätspuffer seien zu niedrig. Sie müssen den Banken irgendwann die Frage beantworten, woraus das Ganze finanziert werden soll. (Zuruf des Abg. Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das geht ja nur aus dem Gewinn, und den gibt es eben nur einmal. Das wollte ich Ihnen verdeutlichen. Deswegen führt das, was auf europäischer Ebene mit Basel III vorangebracht wird, zur Schließung weiterer Lücken im Regulierungssystem. Das ist genau der richtige Weg, um unseren Bankensektor sicherer zu machen, begleitet von einer Aufsichtsreform, die wir in dieser Woche im Finanzausschuss beraten haben. Das Ganze wird begleitet von vielen einzelnen Schritten, die unseren Finanzsektor stabiler machen, sowie von einer europäischen Aufsichtsreform. Am Ende werden wir in Europa ein stabiles Finanzsystem vorfinden. Ich freue mich jedenfalls, dass Basel III schon heute in den Geschäftsmodellen der Banken antizipiert wird. Es ist ein gutes Gesetz. Sie hingegen sollten sich endlich einmal entscheiden, welche Regulierung Sie für richtig halten. Die Quadratur des Kreises, die Sie vorschlagen, ist jedenfalls nicht möglich. Deswegen bleiben wir dabei: Wir haben Lösungsansätze, Sie liefern nur Papier. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Volker Wissing. – Der letzte Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Ralph Brinkhaus. Bitte schön, Kollege Ralph Brinkhaus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Eigentlich ist heute ein ziemlich historischer Tag. Wir hatten 2008 eine fundamentale Bankenkrise, die nicht nur dazu geführt hat, dass wir zweistellige Milliardenbeträge an Liquidität in die Banken hineinpusten mussten und dreistellige Milliardenbeträge als Haftung bereitgestellt haben, sondern auch dazu, dass es einen veritablen Konjunkturabschwung und Ausfälle bei den Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen in Milliardenhöhe gab. Nicht zuletzt hat die Bankenkrise dazu geführt, dass die Menschen in diesem Land nicht nur die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Bankensystems, sondern auch die Systemfrage gestellt haben. Wir alle in der Politik, die wir hier sitzen, wissen eines: Wenn sich solch eine Bankenkrise wiederholt, dann haben wir ganz andere Fragen zu beantworten als jene, die wir heute zu beantworten haben. Die Politik hat sich deswegen damals, zur Zeit der Großen Koalition, auf den Weg gemacht, die Banken zu regulieren. Uns war eines immer klar: Vorschriften zu Eigenkapital und Liquidität sind die wichtigsten Instrumente, um Banken zu regulieren. Nach 2008 hat es vier Jahre gedauert, bis wir zum heutigen Tag gekommen sind, an dem wir versuchen, entsprechende Instrumente in deutsches Recht umzusetzen. Das ist bemerkenswert. Wenn wir die Debatte, die wir heute führen, vor vier Jahren geführt hätten, dann hätte sie mehr Aufmerksamkeit erregt, dann wäre sie insbesondere vonseiten der Opposition etwas intensiver und weniger lustlos geführt worden. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe gesagt: Wir haben uns auf den Weg gemacht, die Banken zu regulieren. Man kann die Maßnahmen in fünf Kategorien einteilen: Die erste Kategorie. Wir haben dafür gesorgt, dass in Banken weniger Fehler gemacht werden, durch die Veränderung der Vergütungsstrukturen, durch die Regulierung von Ratingagenturen, durch das Paket zum Hochfrequenzhandel, das wir jetzt auf den Weg bringen, durch viele Maßnahmen, die im Rahmen der Kapital-adäquanzrichtlinie umgesetzt worden sind. Die zweite Kategorie. Wir haben dafür gesorgt, dass die Fehlertragfähigkeit bei Banken, offenen Immobilienfonds und in vielen anderen Bereichen erhöht worden ist. Die dritte Kategorie. Wir haben die Aufsichtsstrukturen verbessert, indem wir bei Leerverkäufen Transparenz und neue Aufsichtsarchitekturen geschaffen haben, ganz aktuell hier in Deutschland und vor einigen Monaten in Europa. Auch das ist bemerkenswert. Die vierte Kategorie. Wir sind uns immer im Klaren darüber gewesen, dass das nicht reicht, dass wir einen Restrukturierungsmechanismus für Banken brauchen. Im Gegensatz zu dem, was Herr Steinbrück heute Morgen erzählt hat, haben wir hier in Deutschland einen Bankenrestrukturierungsmechanismus auf den Weg gebracht. Wir haben eine Bankenabgabe eingeführt und dafür gesorgt, dass zumindest die ersten Verluste von den Banken selber getragen werden, nämlich über einen Fonds, der über die Bankenabgabe gespeist wird. Die fünfte Kategorie. Wir haben auch dafür gesorgt, dass wir die Lasten verteilen. Die Bundesregierung hat auf europäischer Ebene dafür gesorgt, dass die Finanztransaktionsteuer nunmehr von ganz vielen Ländern unterstützt wird. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Wo ist sie denn?) Das alles ist in den letzten Jahren gemacht worden. (Beifall bei der CDU/CSU) Trotzdem hat eines gefehlt. Wir haben hier über 50 Debatten geführt; wir haben fast 20 Gesetze und Initiativanträge auf den Weg gebracht. Wenn wir mit irgendeiner Sache fertig waren, haben wir immer gesagt: Das war wieder ein kleinerer oder größerer Baustein, um die Bankenwelt sicherer und besser zu machen. Aber der ganz große Baustein, das Fundament hat noch gefehlt. Das Fundament bildet tatsächlich das, was wir heute verabschieden. Dementsprechend können wir, der Deutsche Bundestag, wirklich stolz darauf sein, dass wir es, obwohl die europäischen Regelungen noch nicht fertig sind – das ist richtig –, geschafft haben, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das sicherstellt, dass wir in Europa zu den Ersten gehören, die das Paket tatsächlich umsetzen. Das ist gut und richtig. Meine Damen und Herren, ich habe gesagt: Wir haben 2008 eine wirklich fundamentale Krise gehabt. Wir in der Politik haben das kapiert; wir haben aus dieser Krise gelernt. Wenn ich mir aber teilweise anschaue, wie die Branche, die Finanzinstitute auf unsere Maßnahmen reagieren, dann scheint mir, dass diese Menschen nichts daraus gelernt haben. Leichte Kritik ist okay; auch schwerere Kritik ist teilweise okay, weil wir nicht alles richtig machen. Aber das permanente Ablehnen von Regulierungsmaßnahmen, das Genöle der Branche, dass dieses oder jenes dazu führe, dass die Realwirtschaft zusammenbricht, dass ganze Geschäftsmodelle zusammenbrechen, führt nicht weiter. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Ja!) Da schaue ich jetzt auch zu den Kollegen in der Opposition; da sind wir alle in diesem Haus uns einig. Ich würde mir mehr konstruktive Beiträge wünschen. Ich glaube, das ist angesichts der Krise, die durch diese Branche verursacht worden ist, durchaus berechtigt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Ich habe gesagt, dass die Krise durch diese Branche verursacht worden ist. In dem Zusammenhang möchte ich sagen, was mich des Weiteren stört. Es wird immer wieder gesagt – die Kollegen, die in diesem Bereich als Berichterstatter tätig sind, kennen es genauso wie ich –: Ich habe mit der Krise nichts zu tun gehabt. Wir sind nicht verantwortlich. Wir sind die Guten. Reguliert bitte die Schlechten. Das ist eine Geschichte, die so nicht stimmt. Wir müssen uns an den Risiken, die tatsächlich im Bankenwesen entstehen, orientieren, und es gibt zwei gute Messlatten für die Risiken: Das sind Eigenkapital und Liquidität, und Eigenkapital und Liquidität sind das Rückgrat der Basel-III-Regulierung. Meine Damen und Herren, trotz aller Dinge, trotz aller Gesetze, trotz aller Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben, müssen wir eines sehen: Eine hundertprozentige Garantie, dass wir eine Krise wie die, die 2008 aufgetreten ist, in Zukunft werden verhindern können, kann niemand geben. Finanzmarktregulierung ist nicht der große Wurf. -Finanzmarktregulierung ist ein hartes Geschäft. Finanzmarktregulierung beinhaltet viele Einzelmaßnahmen, und Finanzmarktregulierung heißt auch, dass wir uns immer wieder damit auseinandersetzen müssen, dass – der Kollege Schick hat es angesprochen – die eine oder andere Regierung irgendetwas anders sieht, dass wir uns mit unseren Vorstellungen international nicht durchsetzen und dass es in den Märkten Menschen gibt, die schneller – sie sind im Übrigen auch besser bezahlt als wir – auf Ideen kommen, um unsere Regulierungen zu umgehen. Das ist einfach die Realität. Es geht nicht darum, ein auf ewige Zeiten stabiles Finanzsystem hinzubekommen. Das werden wir nicht hinbekommen. Es geht darum, die Instabilitäten, die in diesem Finanzsystem enthalten sind, gut zu managen, und deswegen bin ich immer noch über das, was die SPD und der Kanzlerkandidat der SPD in den letzten Wochen geboten haben, nachhaltig verärgert. (Beifall bei der CDU/CSU) Nicht nur, dass er komplett ignoriert hat, was in den letzten vier Jahren – übrigens auch unter seiner Mitwirkung – an Finanzmarktregulierung auf den Weg gebracht worden ist – nein, er behauptet auch: Ihr müsst einfach nur das machen – und Herr Sieling hat es gerade bestätigt –, was in meinem göttlichen Papier steht. Das ist der große grüne Knopf, und wenn wir den drücken, dann wird alles gut in dieser Welt. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Der Knopf ist rot! Nicht grün!) Meine Damen und Herren – und das gilt für die Besucher hier und für die Damen und Herren, die vor dem Fernsehschirm sitzen –, wenn Ihnen jemand verspricht, er habe im Finanzmarktbereich und in anderen Politikbereichen den großen grünen Knopf gefunden, auf den man drücken könne, und dann werde alles gut, dann glauben Sie ihm nicht. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Kollege Ralph Brinkhaus war der letzte Redner in unserer Debatte, die ich folglich nun schließe. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/10974 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 i auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wiederherstellung eines Lebensstandard sichernden und strukturell armutsfesten Rentenniveaus – Drucksache 17/10990 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Altersarmut wirksam bekämpfen – Solidarische Mindestrente einführen – Drucksache 17/10998 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rente erst ab 67 sofort vollständig zurücknehmen – Drucksache 17/10991 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kindererziehung in der Rente besser berücksichtigen – Drucksache 17/10994 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Eine solidarische Rentenversicherung für alle Erwerbstätigen – Drucksache 17/10997 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Risiko der Erwerbsminderung besser absichern – Drucksache 17/10992 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Angleichung der Renten in Ostdeutschland auf das Westniveau bis 2016 umsetzen – Drucksache 17/10996 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rente nach Mindestentgeltpunkten entfristen – Drucksache 17/10995 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rentenbeiträge für Langzeiterwerbslose wieder einführen – Drucksache 17/10993 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Sie sind infolgedessen damit einverstanden. Das ist also beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Matthias Birkwald. Bitte schön, Kollege Matthias Birkwald. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum legt Ihnen die Linke neun einzelne Anträge vor? Nun, die Linke will konkrete und schnelle Verbesserungen – am besten natürlich in Form des gesamten linken Rentenkonzepts, das wir hier bereits im März debattiert haben. Wir wissen aber, dass das hier im Parlament noch nicht mehrheitsfähig ist. In einzelnen Punkten gibt es jedoch Übereinstimmungen. Uns geht es hier um konkrete einzelne Schritte im Kampf gegen Altersarmut und für eine gute Rente. (Beifall bei der LINKEN) In der Rentenpolitik muss sich etwas bewegen, und darum fordere ich Sie auf, liebe Kolleginnen und Kollegen: Verweigern Sie sich nicht. Machen Sie mit. Legen Sie Ihre parteipolitischen Scheuklappen ab, und unterstützen Sie die Forderungen, die Sie selbst für richtig halten. (Beifall bei der LINKEN) Da komme ich direkt zur CDU/CSU. Jüngst war im Handelsblatt zu lesen, dass Sie, Herr Kollege Weiß, und Karl-Josef Laumann von der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (Zuruf von der CDU/CSU: Gute Männer!) – wie im Übrigen auch die SPD – fordern, die Rente nach Mindestentgeltpunkten für Zeiten nach 1992 fortzuführen. Das ist eine gute Idee, weil lange Jahre zu niedriger Löhne in der Rente deutlich besser bewertet würden. Darüber hinaus käme diese Rentenform Frauen zugute. Verzichten Sie auf die Einkommensanrechnung, und stimmen Sie unserem Vorschlag zu. Dann sind wir an dieser Stelle auf einem guten Weg für Menschen mit niedrigen Löhnen. (Beifall bei der LINKEN) Die Frauen in der Union fordern ähnlich wie wir, dass allen Müttern und Vätern für jedes Kind bei der Rentenberechnung drei Jahre Kindererziehungszeiten gutgeschrieben werden. Sie fordern das allerdings nur im Hinblick auf diejenigen, die in Zukunft in Rente gehen werden. Wir sagen: Es muss gelten, dass jedes Kind dem Staat und der Gesellschaft gleich viel wert ist, und deshalb müssen wir diejenigen Mütter und Väter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, gleichstellen. Es ist nämlich überhaupt nicht einzusehen, dass es für diese Kinder nur 74 bis 84 Euro mehr Rente gibt und für Kinder, die bis 1991 geboren wurden, nur 25 bis 28 Euro mehr. Damit wir diese Gleichstellung zustande bringen, sollten Sie auch diesem Vorschlag der Linken zustimmen. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ja, es ist richtig: Man muss darüber reden, dass es Armut trotz Erwerbsarbeit gibt. Wir brauchen am Arbeitsmarkt gute Tariflöhne. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn. Zwei Drittel der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter erhalten, wie wir diese Woche gehört haben, Niedriglöhne. Deswegen müssen wir die Leiharbeit regulieren. Wir würden sie am liebsten verbieten. Ich könnte noch vieles mehr nennen. Trotz der Tatsache, dass es gute Erwerbsarbeit gibt, haben wir das Problem der Altersarmut. Deswegen müssen wir an die Gründe dafür herangehen. Einer der Hauptgründe ist das weiter absinkende Rentenniveau. Das ist ein wesentlicher Risikofaktor für Altersarmut. Das darf auf gar keinen Fall so bleiben. Das muss geändert werden. Die Rente muss wieder den Lebensstandard sichern. (Beifall bei der LINKEN) Damit das geschieht, muss das Rentenniveau auf 53 Prozent angehoben werden. Durchschnittlich verdienende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hätten rund 160 Euro Rente verloren, wenn das Rentenniveau heute nur noch bei 43 Prozent läge. Das ist doch ein Skandal! (Beifall bei der LINKEN) Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, manche von Ihnen wollen aus guten Gründen ebenfalls das Rentenniveau anheben oder zumindest beibehalten. Darum bitte ich Sie: Ordnen Sie Ihre rentenpolitische Vernunft nicht leichtsinnig dem Vizekanzlerkandidatenkonzept Ihrer Partei unter und unterstützen Sie diesen Antrag, der Millionen von hart arbeitenden Männern und Frauen zugutekäme. (Beifall bei der LINKEN) Weitere rentenpolitische Kürzungsmaßnahmen forcieren das Problem der Altersarmut, zum Beispiel die Rente erst ab 67. Deswegen muss sie abgeschafft werden. (Beifall bei der LINKEN) Bei der Erwerbsminderungsrente sind Abschläge systemfremd. Wer krank ist, hat keine Wahl. Darum müssen die Abschläge aus der Erwerbsminderungsrente heraus. (Beifall bei der LINKEN) Hinein in die Rente müssen aber unbedingt wieder die Rentenbeiträge für Langzeitarbeitslose, die von dieser Regierung auf null gesetzt worden sind. Hartz-IV-Betroffene dürfen nicht unter die Räder geraten. Deswegen brauchen wir anständige Rentenbeiträge für Langzeit-arbeitslose. (Beifall bei der LINKEN) Insgesamt ist es wichtig, dass alle Erwerbstätigen in die Rentenversicherung einbezogen werden, also auch Selbstständige, Beamtinnen und Beamte und vor allen Dingen Abgeordnete, Ministerinnen und Minister, Staatssekretärinnen und Staatssekretäre. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hilft der Rentenkasse ungemein!) Alle Erwerbstätigen sollen in die Rentenversicherung einzahlen, und zwar entsprechend der Löhne und Gehälter, die sie beziehen. Wer ein Gehalt von 10 000 Euro im Monat hat, soll auch für 10 000 Euro Rentenversicherungsbeiträge zahlen und nicht nur für 5 600 Euro. (Beifall bei der LINKEN) Ein ganz wichtiger Punkt: 22 Jahre nach der Einheit muss endlich Schluss sein mit der erbärmlichen Sankt-Nimmerleins-Tag-Politik. Union und FDP und die Kanzlerin persönlich haben ihre Wählerinnen und Wähler -belogen. Rentnerinnen und Rentner im Osten, die durchschnittlich verdienende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren, erhalten immer noch durchschnittlich 142 Euro weniger Rente im Monat. Es muss aber gelten: Gleiche Rente für gleiche Lebensleistung. Deswegen müssen wir jetzt angleichen und die Sache bis 2016 abschließen. (Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Wir haben schon heute Altersarmut. 436 000 Menschen befinden sich in der Grundsicherung im Alter. Rechnet man die Dunkelziffer hinzu, stellt man fest, dass es um weit über 1 Million Menschen geht. Deswegen brauchen wir schon heute eine solidarische Mindestrente in Form eines einkommens- und vermögensgeprüften steuerfinanzierten Zuschlags. Denn es muss gelten: Niemand soll im Alter in Armut leben müssen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Birkwald. – Ich weise darauf hin, dass wir uns hier im Hause einig sind, dass das Wort „Lüge“ nicht parlamentarisch ist. Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Peter Weiß. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Statistische Bundesamt hat uns erst kürzlich die neuesten Untersuchungen zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland vorgelegt, und es hat festgestellt: Deutschland hat im Durschnitt die älteste Bevölkerung in Europa und die zweitälteste in der Welt. Die Deutschen werden immer älter und bekommen immer weniger Kinder. Im Jahr 2010 war nicht einmal jeder siebte Deutsche jünger als 15 Jahre und zugleich jeder fünfte 65 Jahre und älter. Pro 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner werden nur noch acht Kinder geboren. Damit ist Deutschland weltweit bei einem Negativrekord angelangt. Auf der anderen Seite gibt es eine eigentlich erfreuliche Entwicklung, nämlich dass die Lebenserwartung der Deutschen kontinuierlich ansteigt, um etwa sechs Wochen pro Jahr. Ein 60-jähriger Mann hat heute im Durchschnitt die Aussicht, noch mindestens 20 Jahre zu leben. Das sind fünf Jahre mehr, als es für einen 60-Jährigen im Jahr 1960 galt. Bei den Frauen sind es sogar 24 Jahre und damit 6 Jahre mehr, als es für eine Frau im Jahr 1960 galt. Mir persönlich, auch unserer Fraktion, CDU/CSU, fallen eine Menge wünschenswerter Dinge ein, die wir zugunsten unserer Rentnerinnen und Rentner neu ins Gesetz schreiben könnten. Aber wir wissen auch: Die umlagefinanzierte Rente bedeutet, dass das, was wir heute und in den kommenden Jahren und Jahrzehnten Rentnerinnen und Rentnern zusätzlich geben, von den immer weniger werdenden jungen Leuten, die eines Tages in Arbeit und Brot stehen werden, bezahlt werden muss. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Offensichtlich blendet die Linke dies schlichtweg aus. Sie ist die jugendfeindlichste Partei, die es in Deutschland gibt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Sie nehmen doch den Jungen von heute die Rente weg!) In einer kürzlich veröffentlichten repräsentativen Umfrage haben 41 Prozent der Befragten erklärt, dass sie den Generationenvertrag, auf dem die Rente basiert, für ungerecht halten. Dies begründeten sie damit, dass Jüngere in diesem System zu stark belastet werden. Ich frage mich: Welche Akzeptanz würde das Alterssicherungssystem in Deutschland bei der Bevölkerung finden, wenn wir die Jüngeren noch mehr belasten würden, (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Man müsste sie aufklären und nicht auf die Bäume treiben!) als es nach der heutigen rechtlichen Regelung der Fall ist? Das zeigt mir, verehrte Damen und Herren: Ein Alterssicherungssystem kann nur funktionieren, wenn es Generationengerechtigkeit abbildet, wenn die Zusage an die Älteren gilt, dass sie eine sichere Rente bekommen, und wenn die Jüngeren wissen, dass sie das von dem, was sie eines Tages durch ihre Arbeit verdienen werden, finanzieren können. Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege Peter Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage unseres Kollegen Ralph Lenkert? Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Bitte schön. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön, Herr Kollege. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank. – Herr Kollege Weiß, Sie sagen immer, wir müssten aus Gründen der Demografie heute die Renten der Zukunft abschmelzen. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Nein, das habe ich nicht gesagt. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Ich stelle Ihnen eine Frage. Ich betrachte es jetzt einmal unabhängig vom Geld, einfach nur von den Produkten her. Die Generation, die, so wie Sie und ich, im Arbeitsleben ist, muss in ihrem Arbeitsleben alle Güter, materiellen Werte und Ausbildungsmittel produzieren und bereitstellen, die notwendig sind, um die Seniorinnen und Senioren zu versorgen und gleichzeitig die Ausbildung der kommenden Generation sicherzustellen; das muss sie machen. Ich betrachte das jetzt unabhängig vom Geld, rein von den Waren her. In 40 Jahren muss die Generation, die dann im Arbeitsleben sein wird – unabhängig davon, wie groß diese Gruppe sein wird –, ebenfalls für die Seniorinnen und Senioren und gleichzeitig für die nachwachsende Generation die Mittel bereitstellen. Jetzt kommt meine Frage an Sie: Welche Produkte und Güter kann ich 40 Jahre lang einlagern und aufheben, die ich dann in Anwendung bringen kann, wenn nicht mehr genügend produziert wird? Denn Geld kann man ja bekanntlich nicht essen. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Einen Trabbi! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: So kann man es auch erklären! Das ist auch eine Variante!) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Ein Einlagern findet in der gesetzlichen Rente nicht statt. Weil das, was die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heute einzahlen, am nächsten Tag an die Rentnerinnen und Rentner ausgegeben wird, funktioniert dieses System immer. Da haben Sie recht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aber das Problem, vor dem wir in Deutschland stehen, ist: Heute sind die sogenannten geburtenstarken Jahrgänge – hoffentlich – allesamt im Erwerbsleben. An der Spitze befindet sich der Jahrgang 1964. Damals sind die meisten Kinder in Deutschland geboren worden, nämlich 1,35 Millionen. Wenn wir – die meisten Anwesenden im Plenum des Deutschen Bundestages kommen aus geburtenstarken Jahrgängen – und unsere Altersgenossinnen und Altersgenossen eines Tages Rentnerin oder Rentner sein werden, dann werden diese geburtenstarken Jahrgänge, die dann ja auch die geburtenstarken Rentnerinnen- und Rentnerjahrgänge sein werden, durch das finanziert werden müssen, was die jungen Leute – letztes Jahr haben wir, glaube ich, 640 000 Geburten in Deutschland gehabt; das war also nicht einmal die Hälfte der Menschen, die 1964 geboren worden sind – für die Sicherstellung des Rentenaufkommens aufbringen. Wie diese Rechnung aufgeht, das können uns die Linken nicht erklären. Sie handeln mit ihren Anträgen fundamental gegen das Gesetz: Generationengerechtigkeit ist die Grundlage einer solidarischen Sozialversicherung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege Peter Weiß, ich frage Sie, ob Sie eine weitere Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke, nämlich unseres Kollegen Matthias Birkwald, beantworten wollen. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Das mache ich alles sehr gerne. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön, Kollege Matthias Birkwald. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Herzlichen Dank, Herr Präsident. Herzlichen Dank, Herr Weiß, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gefragt, ob wir Ihnen das erklären können. Auf diese Frage von Ihnen hin habe ich mich gemeldet. Ich bin jetzt gerne bereit, Ihnen das zu erklären. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann ist das aber keine Frage!) Zu Bismarcks Zeiten kamen 12 Erwerbsfähige im Alter zwischen 15 bis 65 Jahren auf 1 Rentner und 1 Rentnerin. Im Jahre 1916 wurde das Renteneintrittsalter von 65 Jahren eingeführt; da waren es immer noch ungefähr 12. Bei Einführung der dynamischen Rente durch Ihren Parteifreund Dr. Adenauer 1957 und 1960 waren es 5,8 Menschen im erwerbsfähigen Alter, die einen Rentner oder eine Rentnerin finanzieren mussten. Im Jahre 2010 waren es 3,3, und in Zukunft, in den Jahren 2030 und 2040, werden es 2 sein. Diesen großen demografischen Wandel von 12 Erwerbsfähigen, die es brauchte, um 1 Rentner oder 1 Rentnerin zu ernähren, auf heute 3,3 und auf in Zukunft 2 kann man bewältigen durch zwei Punkte, nämlich durch steigendes Wirtschaftswachstum – durch ein größer werdendes Bruttoinlandsprodukt, das über Jahre und Jahrzehnte im Durchschnitt immer um die 1,4 oder 1,5 Prozent gelegen hat – und durch eine steigende Arbeitsproduktivität, die im Durchschnitt immer bei 1,7 oder 1,8 Prozent gelegen hat. Das heißt, selbst wenn die Rentenbeiträge deutlich anstiegen – in Zukunft, nicht heute –, dann hätten die Menschen bei einem Wirtschaftswachstum auf diesem niedrigen prozentualen Niveau trotzdem mehr in der Tasche als heute, und wir könnten sowohl die Älteren als auch die Jüngeren finanzieren. Hinzu kommt Folgendes: Als die gerade von Ihnen angesprochenen geburtenstarken Jahrgänge jung waren – ich bin ja auch einer aus diesem Jahrgang –, mussten für sie Kindertagesstätten, Grundschulen, Universitäten etc. finanziert werden; damals gab es aber wenig Ältere. Dieser Gesamtquotient, also die Jungen und die Alten gemeinsam im Verhältnis zur erwerbstätigen Bevölkerung, war schon im Jahre 1970 niedriger, als er in Zukunft sein wird. Sind Sie also bereit, anzuerkennen, dass man mit dem Wirtschaftswachstum und mit der Arbeitsproduktivitätssteigerung in Zukunft sehr wohl in der Lage ist, anständige Renten für die heute jüngere Generation zu zahlen? (Beifall bei der LINKEN) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Kollege Birkwald, wir können selbstverständlich gern ein historisches Seminar hier im Plenum des Deutschen Bundestages durchführen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ein -Wirtschaftsseminar!) Sie haben natürlich manches verschwiegen. Sie haben die Einschnitte durch den Ersten und den Zweiten Weltkrieg verschwiegen, und Sie haben verschwiegen, wie hoch die Beiträge beim Start der Rentenversicherung waren, nämlich unter 10 Prozent, und wo sie heute stehen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Und die -Rentenhöhe!) – Sie haben auch die Rentenhöhe verschwiegen. – (Manfred Grund [CDU/CSU]: Und den -Beitrag!) Sie negieren schlichtweg, dass es eine in Deutschland in dieser Form bislang noch nie dagewesene Situation ist, (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist doch falsch!) – doch! – (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nein, das ist falsch!) dass wir eine solch große Zahl geburtenstarker Jahrgänge haben – diese Personen sind heute zwischen 35 und 55 Jahre alt –, dass wir danach aber deutlich kleinere Jahrgänge haben, was die Anzahl der geborenen Jungen und Mädchen anbelangt, während wir es gleichzeitig mit einer deutlich höheren Lebenserwartung als in der Vergangenheit zu tun haben. Das heißt, einen solchen demografischen Wandel, wie er uns in den kommenden Jahren erwartet, hat es in dieser Form in Deutschland historisch noch nie gegeben. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist falsch!) Insofern ist die Antwort, die Sie geben, falsch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine sehr geehrten Damen und Herren, das, was ich vorgetragen habe, heißt nicht, dass im Rentensystem nicht gehandelt werden muss, wenn Sicherheit im Alter für die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch in Zukunft eine verlässliche Perspektive sein soll. Insofern ist es gut, zunächst einmal an den Problempunkten anzusetzen. Wenn man sich anschaut, welche älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger heute ergänzend auf den Bezug von Leistungen der Grundsicherung, also auf staatliche Sozialhilfe, angewiesen sind, weil ihr Einkommen im Alter nicht ausreicht, dann fällt auf, dass darunter vor allem solche Menschen sind, die wegen Krankheit oder -bedingt durch einen Unfall vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden mussten. Schon heute müssen 9,6 Prozent der sogenannten Erwerbsminderungsrentner ergänzende Leistungen der Grundsicherung beziehen, und in der Perspektive steigt dieser Anteil deutlich an. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass wir in der Koalition bereits vereinbart haben, die Berechnung der Erwerbsminderungsrente deutlich zu verbessern, um dieser – derzeit größten – sozialpolitischen Herausforderung klar zu begegnen. Wir wollen, dass Erwerbsminderungsrentner künftig besser dastehen als heute, damit sie nicht auf Leistungen der staatlichen Grundsicherung angewiesen sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann können Sie unseren Antrag unterstützen!) Da unser Alterssicherungssystem, vor allen Dingen seit Rot-Grün es 2001 umgebaut hat, davon lebt, dass man ergänzend für das Alter vorsorgt, ist die Frage zu stellen, warum nicht auch die ergänzende Altersvorsorge, also die betriebliche bzw. private Vorsorge, im Fall des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente eine Leistung erbringt. Morgen bringt die Koalition einen Gesetzentwurf ins Parlament ein, mit dem sie den Anteil eines Riester-Sparvertrages, der für den Fall einer Erwerbsminderungsrente vorgesehen werden kann, erhöhen will. Als ich vorgestern auf dem Arbeitgebertag hier in Berlin an einer Diskussion teilgenommen habe, war ich positiv überrascht, dass die Befürworter der betrieblichen Altersvorsorge auf den Vorschlag, auch in diesem Bereich eine verbindliche Vorsorge für den Erwerbsminderungsfall zu treffen, durchaus positiv reagiert haben. Insofern gilt: Die zweite und dritte Säule der Alters-sicherung müssen für den Fall der Erwerbsminderungsrente mehr leisten, als es heute der Fall ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Zum Wohl der Konzerne!) Generell gilt: Wer ein Leben lang gearbeitet, Beiträge gezahlt und für das Alter vorgesorgt hat, der sollte sicher sein können, dass er im Alter mehr hat als jemand, der nicht vorgesorgt und keine Beiträge gezahlt hat. Wir diskutieren in der Koalition also zu Recht darüber, wie wir dieses Prinzip im Rentenrecht generell stärker verankern können. Der Vorschlag „Mindestrente für alle“ ist aber ein Schlag ins Gesicht von Gerechtigkeit: (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Nicht für alle! Nur für die, die es brauchen!) ein Schlag ins Gesicht von Generationengerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit. Wir setzen uns für ein Rentensystem ein, in dem auch zukünftig gilt: Wer etwas geleistet und vorgesorgt hat, der soll mehr haben als derjenige, der nicht vorgesorgt und nichts geleistet hat. Das ist Gerechtigkeit im Rentensystem. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das gilt doch schon seit zehn Jahren nicht mehr! Das ist doch alles schon Vergangenheit!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Peter Weiß. – Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Anton Schaaf. Bitte schön, Kollege Anton Schaaf. (Beifall bei der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Toni, bleib bei der Sache!) Anton Schaaf (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Respekt vor den Mitgliedern des Hauses gebietet es, dass ich mich im Wesentlichen mit den Anträgen der Linken beschäftige. Aber ich muss sagen: Peter Weiß hat mich durch die Art und Weise, wie er sich hier gerade dargestellt hat, ganz schön gereizt. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Echt? – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das kann er sehr gut!) Peter, die Akzeptanz des Rentenversicherungssystems ausschließlich daran festzumachen, wie hoch die Beitragssätze sind, ist relativ einfach. Allerdings ist das auch ein bisschen schlicht. Für die Menschen ist nämlich auch wichtig, was dabei herauskommt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: -Richtig!) Beides muss in einem vernünftigen und gesunden Verhältnis zueinander stehen. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja!) Indem die Arbeitsministerin darauf hingewiesen hat, dass das Rentenniveau bis 2030 auf 43 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns sinkt, hat sie Angst vor Altersarmut geschürt. Sie hätte es eigentlich besser wissen müssen; denn im Gesetz steht: Bei einem Renten-niveau von 46 Prozent ist die Regierung aufgefordert, Vorschläge dafür zu machen, wie man dieses Niveau halten kann. 43 Prozent sind überhaupt kein Ziel. Die Ministerin hat versucht, diese Truppe, die rentenpolitisch völlig zerstritten ist, auf den Weg zur Zuschussrente zu zwingen. Bei der Rentenversicherung geht es immer auch um die Akzeptanz der Leistungen und nicht nur der Beitragssätze. Hier seid ihr völlig ignorant. Bei uns in der Partei gibt es eine heftige Debatte über das Leistungs-niveau. Ich gebe hier unumwunden zu, dass das noch nicht entschieden ist. Der jungen Generation aber zu sagen: „Bei 43 Prozent werdet ihr altersarm“, und dann zu erwarten, dass dieses System bei der jüngeren Generation Akzeptanz findet, ist fast schon zynisch. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da ich gerade dabei bin: Diese Ministerin ist in dieser Legislaturperiode mit all dem, was sie rentenpolitisch auf den Weg bringen wollte, kläglich gescheitert. Die Zuschussrente hat noch nicht einmal die Ressortabstimmung überlebt. Jetzt habt ihr eine neue Kommission zur Entwicklung von Plänen gegen Altersarmut eingesetzt. Ein Jahr lang habt ihr für eine Zuschussrente getagt, die am Ende nicht realisiert worden ist – übrigens korrekterweise nicht, weil diese Zuschussrente eigentlich eine sozialpolitische Leistung ist und über Beiträge finanziert werden sollte. Die Ordnungspolitiker in der FDP haben das korrekterweise verhindert, zwar aus anderen Gründen und ideologisch anderer Motivation heraus. Aus meiner Sicht haben sie Gott sei Dank verhindert, dass eine Sozialleistung über Beiträge finanziert wird. Zum Beitragssatz. Da man große Teile der deutschen Einheit über die Beiträge an die Sozialversicherung -finanziert hat, darf man sich über steigende Beitragssätze nun wirklich nicht wundern und beschweren. Das geht nun gar nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt zu den Anträgen der Linken, Matthias Birkwald. Ich finde, es ist eine deutliche Verbesserung, dass nicht grundsätzlich alles falsch und einiges sehr zustimmungsfähig ist, wie zum Beispiel der Punkt, dass man generell sagt: Die Erwerbsminderungsrente muss verbessert werden. D’accord! Ihr schreibt in eurem Antrag allerdings auch, dass die Zugänge offener werden müssen. Hierbei will ich lieber genau wissen, worüber wir reden, bevor ich einem solchen Antrag zustimme. Zur Rente nach Mindestentgeltpunkten: D’accord! Alle Anträge haben letzten Endes aber gleichermaßen wenig Substanz. Dass sie beispielsweise nicht mit Zahlen unterlegt sind, ist wohl auch beabsichtigt. Ihr fordert die Bundesregierung mit diesen Anträgen auf, zu handeln. Dann muss man auch nicht konkret werden. Bei ganz vielem würde ich aber gerne wissen, was ihr genau damit meint. Ihr sprecht zum Beispiel von der Wiederherstellung der lebensstandardsichernden Rente. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja!) Was heißt das denn konkret? (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 53 Prozent!) Heißt das, eine Rentenhöhe von 53 Prozent ist lebensstandardsichernd? Ich bin da anderer Meinung. Für eine Friseurin, eine Krankenschwester oder eine Frau in einem typischen Frauenberuf werden diese 53 Prozent niemals lebensstandardsichernd sein. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Richtig! Deswegen wollen wir ja eine Mindestrente!) Daher ist das Ganze an dieser Stelle nicht konsistent, also ein Widerspruch. Insofern bin ich hier etwas anderer Meinung. Nun zur solidarischen Mindestrente. Auch wir haben gesagt, man brauche eine Mindestabsicherung für Menschen, die langjährig gearbeitet haben. Ihr sagt aber: Wir brauchen eine Mindestabsicherung für Menschen, auch wenn sie überhaupt keine Beiträge gezahlt haben. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!) Das ist dann aber keine rentenrechtliche Frage, sondern eine sozialpolitische Frage. Dann geht es letzten Endes darum, dass ihr nur die Grundsicherung im Alter von dem jetzigen Betrag von 680 Euro auf 1 050 Euro anheben wollt. Das sagt dann doch auch! Noch einmal: Das gehört dann aber nicht in eine Rentendebatte, sondern in eine sozialpolitische Debatte, und es hat im Rentenkonzept letzten Endes nichts zu suchen. (Beifall bei der SPD) Übrigens: Da das sozusagen bedingungslos sein soll, also nicht durch Beiträge hinterlegt werden muss, hat die Katja Kipping euch bei dem bedingungslosen Grundeinkommen sicherlich über den Tisch gezogen. Anders kann ich mir nicht erklären, dass das so darin steht. Bezüglich der Rente mit 67 bin ich völlig anderer Meinung; das wisst ihr. Innerhalb unserer Partei gibt es auch keine ausreichende Mehrheit dafür, die Rente mit 67 zurückzunehmen. Ich finde, diese Erkenntnis ist ein Fortschritt auch in unserer eigenen Debatte: Wir müssen die Übergänge in die Rente anders, flexibler und sozialverträglicher gestalten. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da ist was dran!) Man kann in der Rückschau natürlich sagen: Wir hätten das eigentlich machen müssen, als wir die Rente mit 67 eingeführt haben. Ich halte hier aber kein Geschichts-seminar und sage nicht, wer schuld daran ist, dass das nicht gemacht wurde. Das wäre völliger Quatsch. Wir haben damals für die Rente mit 67 die Hand gehoben, und jetzt geht es darum, die Wege dahin vernünftig zu gestalten. Was die Erwerbstätigenversicherung angeht, bin ich der festen Überzeugung, dass es richtig ist, dass jeder, der ein Erwerbseinkommen hat, in irgendeiner Form in die sozialen Sicherungssysteme einzahlt. Wie die Kappung oben aussehen soll, zum Beispiel bei einem Abgeordneten, sollte man dann allerdings auch konkretisieren, damit man weiß, worauf man sich einlässt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das steht drin! Steht in der Begründung!) Ab wann wird gekappt, und in welcher Höhe wird gekappt? (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Toni, das steht in der Begründung drin!) Das ist auch eine Frage von Akzeptanz. Jetzt haben 80 000 Selbstständige Frau von der Leyen per Internet die Mitteilung zukommen lassen, dass sie nicht zwangsweise in die gesetzliche Rentenversicherung hineinwollen. Also, man braucht auch für einen solchen Weg Akzeptanz. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weil es zu teuer ist!) Die Frage Angleichung von Ost und West ist in der Tat eine, die wir auf dieser Seite des Hauses abladen können. Sie haben den Menschen im Osten vorgemacht, Sie führten in dieser Legislaturperiode Schritte zur rentenrechtlichen Angleichung durch. Nichts, gar nichts ist geschehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Menschen im Osten sind an dieser Stelle belogen worden. Ich sage das, auch wenn es unparlamentarisch ist. Ich entschuldige mich auch sofort dafür. Es ist in der Tat so, dass Sie den Menschen vorgemacht haben, Sie würden ihnen helfen. Einige der Menschen im Osten haben Sie wahrscheinlich deshalb gewählt, und sie sind mit Sicherheit und zu Recht maßlos enttäuscht, dass Sie an dieser Stelle nichts gemacht haben. (Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Das machen diese Menschen nie wieder!) Zur Rente nach Mindestentgeltpunkten – das steht in unserem Konzept; das will ich unumwunden sagen –: Das ist in Ordnung. Da können wir mitmachen. Zur Frage, ob man Langzeitarbeitslose mit 0,5 Punkten aufwertet: Na ja, man kommt dann schnell in die Kategorie derer, die für geringe Gehälter arbeiten, die keinen, eventuell nur einen halben oder einen dreiviertel Entgeltpunkt erarbeiten. Ich sage: Da ist die Rente nach Mindestentgeltpunkten, also die Aufwertung bei nachgelagerter Betrachtung, eigentlich das Richtige. Man sollte nicht im Voraus sagen, was jemand auf jeden Fall bekommt, sondern man sollte im Nachhinein schauen, welche Ansprüche jemand hat und wie man sie entsprechend aufwerten muss. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist schon ein Unterschied zwischen der Hälfte und drei Viertel!) Matthias Birkwald, du siehst, wir sind nicht in allen Punkten völlig unterschiedlicher Meinung. Aber bei einigen hätten wir mit Sicherheit noch Diskussionsbedarf, bevor ich einem solchen Antrag zustimmen könnte. Dabei wäre der Charme tatsächlich, wenn wir eine Mehrheit hätten, diese Anträge zu beschließen, weil sie sich ausschließlich an die Bundesregierung richten. Die Bundesregierung soll einmal Konzepte vorlegen. Es wäre spannend, zu sehen, was bei diesem zerstrittenen Haufen dabei herauskommt. Dabei würde nämlich nichts herauskommen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Zuruf von der CDU/CSU: Unterschätzt uns nicht!) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Heinrich Kolb. Bitte schön, Kollege Dr. Heinrich Kolb. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Weltbild der Linken ist einfach. Herr Birkwald, Sie wissen, was richtig ist, und an einer echten Diskussion mit dem Rest des Hauses ist Ihnen nicht wirklich gelegen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren schon besser, Herr Kolb!) Zu diesem Schluss muss ich jedenfalls kommen – warten Sie einmal ab, Herr Strengmann-Kuhn –, wenn ich feststelle, dass Sie neun Anträge zur Beratung angemeldet haben, die uns am Dienstag, spät am Abend, noch nicht zugegangen waren, (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja!) gestern noch nicht mit einer Bundestagsdrucksachennummer erfasst waren und die wir heute schon mit Ihnen diskutieren sollen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die haben aber alle höchstens zwei Seiten!) Das zeigt: Sie sind ignorant. Sie wollen wirklich nicht die Diskussion in der Sache, sondern Sie wollen nur Ihre Ideologie nach vorne bringen. An dieser Stelle können Sie mit uns nicht rechnen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann fangen Sie doch mit der Diskussion an!) Nachdem ich mir diese Anträge heute angesehen habe, muss ich sagen, dass darin wirklich nichts Neues ist. Sie bringen zum x-ten Mal die gleichen Forderungen. Herr Birkwald, Sie kennen vielleicht das Krankheitsbild der Diarrhö. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zum Glück nicht!) Ich sorge mich wirklich, dass irgendjemand in Ihrer Fraktion an „Graphorrhö“ leidet und nicht mehr kontrollieren kann, was aus seinem Computer oder aus seiner Feder herausläuft. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist eine Spitzenauseinandersetzung, die Sie da gerade bringen!) Da wäre wirklich weniger mehr. Wen wollen Sie denn mit dieser Flut von Anträgen beeindrucken, Herr Kollege Birkwald? (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal was zum Inhalt!) – Ich sage ja etwas zum Inhalt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!) – Ich komme schon dazu. Ich will Ihnen zunächst einmal vorhalten, dass Sie die falschen Grundannahmen treffen. Wer von falschen Werten und falschen Annahmen ausgeht, muss am Ende auch zu falschen Ergebnissen kommen. Am falschesten ist die Annahme, Deutschland brauche neun Anträge der Linken, um rentenpolitisch voranzukommen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Das ist wirklich nicht der Fall. Wir haben mit dem Alterssicherungsstärkungsgesetz, das sich derzeit in der Ressortabstimmung befindet, sehr deutlich gemacht, dass wir Anpassungen bei der Zurechnung der Erwerbsminderungsrente wollen, dass wir eine demografiefeste Neufassung des Rehabudgets wollen – Stichwort „atmender Deckel“ – und dass wir vor allen Dingen Verbesserungen bei den Hinzuverdienstmöglichkeiten für Rentner wollen. (Anton Schaaf [SPD]: Ah!) Das ist ein wichtiger Schritt, Toni Schaaf, für den flexiblen Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht das im Gesetzentwurf?) Daran müssen wir alle ein Interesse haben. Es ist doch nicht so, dass wir nichts täten. Aber so, wie Sie das machen – immer wieder einmal hopplahopp ein paar Anträge fallen lassen, und dann geht es zwei Wochen später in die nächste Runde –, kommt man rentenpolitisch wirklich nicht voran. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie haben ja gar nichts! Das ist ja das Problem!) Es ist immer schön, wenn man Debattenzeit bekommt – das ist das einzig Positive an Ihren Anträgen –, in der man sich etwas ausführlicher mit einzelnen Aspekten befassen kann. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aha!) Eine weitere Fehlannahme von Ihnen ist nämlich, das Rentenniveau sinke auf 43 Prozent, das sei im Gesetz so festgeschrieben. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! – Anton Schaaf [SPD]: Hat die Ministerin auch gesagt!) Das steht so nicht im Sozialgesetzbuch VI, Herr Kollege Birkwald. Ich finde da nur eine Rentenformel. Die Rentenformel beinhaltet einen Nachhaltigkeitsfaktor, mit dem der Rentenanstieg gedämpft wird, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mit dem die Rente gekürzt wird!) und zwar in Abhängigkeit von dem Verhältnis der Äquivalenzrentner – das ist ein statistisches Modell – zu den Äquivalenzbeitragszahlern. Wie sich das tatsächlich entwickelt, steht auf einem ganz anderen Papier. Ich will Ihnen einmal Zahlen nennen, damit wir etwas Neues in die Debatte hineinbekommen. Unter rot-grüner Regierungszeit sank das Nettorentenniveau von 53,6 Prozent im Jahre 1998 auf 50,0 Prozent im Jahre 2005. Aktuell, Juni 2012, liegt das Rentenniveau praktisch unverändert hoch bei 49,9 Prozent statt den von Walter Riester damals für diesen Zeitpunkt prognostizierten 47,5 Prozent. Merken Sie etwas? Es kommt darauf an, wie man es macht, wie sich die Dinge am Arbeitsmarkt entwickeln. Dann kommen Sie auch zu zählbaren Ergebnissen in der Politik. In dem Rentenversicherungsbericht 2011 – wir werden bald neuere Zahlen bekommen – geht man von 47,8 Prozent für 2020 und 46,2 Prozent für 2025 aus. Das ist alles mehr als 43 Prozent. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber das fördert alles Armutsrenten!) Anstatt jetzt Krokodilstränen darüber zu vergießen, dass das alles so schlimm sei, sollten wir gemeinsam unsere Anstrengungen darauf richten, dass über die beeinflussbaren Faktoren in der Rentenformel die Renten-anpassung in Zukunft möglichst ungedämpft verläuft. Das ist doch das Ziel, das uns umtreiben muss. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dafür haben wir die neun Anträge unterbreitet!) Dabei sind Flexibilisierung und längere Teilhabe am Erwerbsleben ein Thema. Da ist die Frage zu beantworten, wie Teilzeitstellen in Vollzeitstellen umgewandelt werden können, und andere Dinge mehr. Das wäre des Schweißes der Edlen wert. Aber so, wie Sie das hier machen, geht es meines Erachtens nicht. Falsch ist auch Ihre Annahme – das ist der zweite Punkt, den ich in der verbleibenden Zeit noch kurz anreißen kann –, das Rentensystem würde dann stabiler, wenn man mehr Menschen in das System einbezieht. Das ist falsch. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja!) In dieser einfachen und schlichten Darstellung, wie Sie das bringen, ist das falsch. Denn die Menschen, die in das System einbezogen werden, zahlen Beiträge und erwerben mit ihren Beiträgen Anwartschaften. Das heißt, man kann vielleicht kurzfristig ein Strohfeuer entfachen. Aber wir haben in der Rente ein langfristiges und strukturelles Problem. Das lösen Sie nicht damit, dass Sie mehr Menschen in das System aufnehmen. Man kann natürlich jetzt so wie Sie sagen, wir nehmen nicht nur mehr Menschen in das Rentensystem auf, sondern wir schaffen auch die Beitragsbemessungsgrenze ab und flachen am oberen Ende die Ansprüche der erworbenen Anwartschaften ab. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau!) Ich sage Ihnen: Das ist verfassungswidrig. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!) Damit werden Sie in Karlsruhe zwangsläufig scheitern. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich wette dagegen!) Aber diese beiden Annahmen – mehr Redezeit habe ich leider nicht – zeigen, dass Sie mit Ihren rentenpolitischen Anträgen auf einem vollkommen falschen Fundament stehen. Ich kann Sie nur noch einmal dazu auffordern, Herr Birkwald – das spart auch ein bisschen Arbeit und Energie –: Produzieren Sie weniger, aber dafür bessere Anträge. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir machen viel und das gut! Das ist noch besser!) Dann haben Sie vielleicht irgendwann einmal die Chance, mit uns in einen ernsthaften Dialog über Ihre Vorstellungen einzutreten. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Dass wir mit der FDP in einen ernsthaften Dialog kommen, glaube ich nicht!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. Bitte schön, Kollege Dr. Strengmann-Kuhn. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wäre schön, Herr Kolb, wenn die Regierungskoalition einmal etwas vorlegen würde, aber es gibt nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt einen Referentenentwurf, der in der Ressortabstimmung ist, aber schon wieder kassiert worden ist. Hier im Bundestag diskutieren wir immer nur über Anträge der Oppositionsfraktionen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein, es gibt -einen!) Es gibt diesen einen Gesetzentwurf, mit dem der Automatismus, der im Gesetz steht, umgesetzt werden soll. Das ist aber auch schon alles. Sonst gibt es keine zukunftsweisenden Konzepte der Regierungskoalition, zumindest keine abgestimmten. Es gibt viele verschiedene Konzepte. Die FDP hat eines. In der CDU gibt es mindestens zwei Konzepte. Im BMAS gibt es ein weiteres Konzept. Die CSU hat eines. Aber hier herrscht Leere. Darüber kann man nicht diskutieren. Meine Redezeit läuft schon. Ich kann nicht auf alle neun Anträge eingehen, sondern will mich auf vier Punkte konzentrieren. Es ist immer wichtig, zu schauen: Wohin will man bei der Rente langfristig? Dann weiß man auch, was jetzt zu tun ist. Ein wesentliches Ziel in dem grünen Rentenkonzept ist, langfristig eine Bürger- und Bürgerinnenversicherung auch in der Rente zu schaffen. Das, was Sie eben dazu gesagt haben, Herr Kolb, ist falsch. (Anton Schaaf [SPD]: So ist das!) Natürlich ist es nachhaltiger, wenn man mehr Menschen in der Rentenversicherung hat. Sonst würden sich auch mehr Geburten nicht nachhaltig auswirken. Wenn mehr Kinder geboren werden, bekommen auch sie irgendwann einmal Rente. Mehr Menschen in die Rentenversicherung einzubeziehen, ist ökonomisch nichts anderes, als mehr Geburten zu haben. Insofern ist eine Ausweitung auf weitere Bevölkerungsgruppen genauso effektiv wie mehr Geburten. Sie ist sogar effektiver, weil man nicht noch 18 Jahre warten muss, bis die Menschen einzahlen; vielmehr zahlen sie sofort ein. (Zuruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) – Stellen Sie eine Zwischenfrage, dann kann ich darauf reagieren. Mit einer Bürgerversicherung, in die alle – Selbstständige, Beamte, Politiker, Politikerinnen, alle Bürgerinnen und Bürger – einzahlen und an der möglichst alle Einkommen beteiligt sind, bekommt man langfristig eine nachhaltige Finanzierung hin. Das wäre sozial gerecht und ökonomisch nachhaltig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wissen, dass wir diese Bürgerversicherung nicht auf einmal hinbekommen. Das wird schrittweise erfolgen. Die Wirkung wäre sowieso nur langfristig spürbar. Wir müssen aber schneller agieren. Deswegen haben wir zweitens das Konzept einer grünen Garantierente; das haben wir hier schon des Öfteren präsentiert. Es beinhaltet das Prinzip, dass bei mindestens 30 Versicherungsjahren – nicht Beitragsjahren, sondern Versicherungsjahren – 30 Entgeltpunkte garantiert werden. Das wäre ein Niveau, das über dem durchschnittlichen Grundsicherungsniveau liegt. Langfristig Versicherte wären damit so gestellt, dass sie nicht auf Grundsicherung angewiesen sind. Dadurch erhöhen wir die Akzeptanz der Rentenversicherung und verhindern drohende Altersarmut. Diese grüne Garantierente ist ein zentrales grünes Konzept. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dritter Punkt: Ost-West-Angleichung. Dazu sagen auch wir, dass wir – wir wollen das noch schneller als die Linken – ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West brauchen. Nach über 20 Jahren deutscher Einheit ist es wichtig, die innerdeutsche Mauer bei der Rente endlich abzureißen und ein einheitliches Rentenrecht zu schaffen. Wir wollen, dass der Rentenwert Ost auf den Rentenwert West angehoben wird; denn Altersarmut ist besonders im Osten bedrohlich. Sie wird dort besonders ansteigen. Die Garantierente, die wir vorschlagen, soll im Osten genauso hoch sein wie im Westen. Wir wollen das aber nicht wie die Linken machen, sondern wir wollen es kostenneutral finanzieren. Das heißt, die bisher erworbenen Rentenansprüche sollen gleich bleiben und in Zukunft in Ost und West einheitlich berechnet werden. Das soll aber, wie gesagt, mit einer Garantierente verbunden werden, die in Ost und West gleich ist. Vierter und letzter Punkt. Nachhaltige Finanzierung ist für uns ein ganz zentrales Ziel. Wir wollen langfristig nachhaltige, stabile Beitragssätze in der Rentenversicherung haben. Aus dem Grund ist es falsch, jetzt die Rentenbeiträge zu senken. Das ist kurzsichtig und nicht nachhaltig. Wir wollen, dass die Rentenbeiträge jetzt nicht gesenkt werden, damit sie über das Jahr 2020 hinaus kontinuierlich unter 20 Prozent bleiben können. Außerdem wollen wir frei werdende Mittel dafür verwenden – das ist ein zentrales Problem, das auch schon angesprochen worden ist –, die Erwerbsminderungsrente zu verbessern. Wer aus medizinischen Gründen nicht mehr arbeiten darf, für den sollten die Abschläge abgeschafft werden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Bürgerversicherung, Garantierente und stabile Beitragssätze sind Kernelemente des grünen Rentenkonzepts. Ein solches Rentenkonzept wäre ökonomisch, nachhaltig und sozial gerecht. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Strengmann-Kuhn. – Letzter Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Max Straubinger. Bitte schön, Kollege Max Straubinger. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Max Straubinger (CDU/CSU): Geschätzter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Die Linke überhäuft uns -wiederum mit Anträgen, die sie schon x-mal gestellt hat und die letztendlich nur dazu dienen, hier ein Bild zu zeichnen von einer angeblich sehr schwierigen Rentensituation in Deutschland. Das ist ein verzerrtes Bild. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Heute hat das Statistische Bundesamt nachgewiesen, dass die Zahlen der Grundsicherung um 5,9 Prozent gestiegen sind!) Ich möchte zuerst feststellen, Herr Kollege Birkwald, dass das Rentenniveau in Deutschland ständig steigt und dass darüber hinaus vor allen Dingen auch die Finanzgrundlagen für die Rentenversicherung von dieser Bundesregierung nachhaltig gefördert worden sind. Deshalb haben wir stabile Rentenfinanzen. Darauf können sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kollege Weiß hat bereits darauf hingewiesen, dass heute sehr viele Wünsche geäußert werden. Es ist ungefähr wie beim Wunsch an das Christkind. Vieles von dem, was gefordert wird, überlegen auch wir; manches ist auch von uns abgeschrieben worden. (Lachen bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Davon träumen Sie nachts!) Dafür hätten wir die Linken nicht benötigt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unser Rentenkonzept ist im Januar vorgelegt worden! Davon träumen Sie echt nachts! – Anton Schaaf [SPD]: Der war gut!) Entscheidend ist aber auch, dass wir auf die Finanzierbarkeit und die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in unserem Land achten. Ich glaube, dies ist wichtig und entscheidend für eine verantwortliche Rentenpolitik. Ich möchte mich nicht mit allen Anträgen in irgendeiner Art und Weise befassen. Aber eines ist für mich entscheidend und wichtig, nämlich dass die Linke wieder eine Angleichung der Ost- und Westrenten fordert. Ich bin sehr dafür, auf einer tatsächlich sachlich fundierten Grundlage darüber zu reden und es dann vor allen Dingen auch in ein Gesetz zu fassen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Dann machen Sie doch mal eine sachlich fundierte Vorlage! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum legen Sie dann keinen Gesetzentwurf vor?) Aber es geht natürlich nicht so, wie Sie es wollen, Herr Kollege Birkwald. Erstens insinuieren Sie mit Ihrem Antrag, es gäbe eine Benachteiligung der Rentnerinnen und Rentner und der Menschen im Osten Deutschlands. Das ist keineswegs der Fall. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Fragen Sie die mal, dann sagen die Ihnen was anderes!) Denn Sie wissen haargenau, dass die Renten aufgestockt werden und dementsprechend mittlerweile feststellbar ist, dass das Rentenniveau im Osten Deutschlands im Durchschnitt höher ist als im Westen Deutschlands. Darüber hinaus gilt auch unter aktuellen Gesichtspunkten, Herr Kollege Birkwald: Wenn jemand im Osten ein Bruttoeinkommen von 30 000 Euro im Jahr hat (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist schon ein Annahmefehler! Das gibt es ja so gut wie nicht!) und im Westen ebenfalls 30 000 Euro die Grundlage sind, dann erwirbt man im Osten Deutschlands eine Rentenanwartschaft von 27,08 Euro im Jahr und im Westen Deutschlands von 25,95 Euro im Jahr. Das zeigt sehr deutlich, dass die derzeitige Situation die Menschen im Osten bei der Rentenversicherung bevorteilt. Ein weiterer Punkt: Derzeit wird sehr viel über angehende Altersarmut und insgesamt über Altersarmut in unserer Gesellschaft gestritten. Es ist bezeichnend, dass wir immer darauf bauen und derzeit auch darauf bauen können, dass es eine geringe Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen gibt, weil die Versorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung gut ist. Das zeigt sich vor allen Dingen auch sehr deutlich für die Bürgerinnen und Bürger im Osten. Die Enquete-Kommission des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern „Älter werden in Mecklenburg-Vorpommern“ stellt in einer Kommissionsdrucksache vom 9. Oktober 2012 als Fazit fest – ich darf daraus zitieren –: In Deutschland wird derzeit viel von Altersarmut gesprochen und insbesondere auf die prekäre Lage von Rentnerinnen verwiesen. Die aktuellen Zahlen beschreiben jedoch ein ganz anderes Bild – auch in MV. Den Älteren steht heute tendenziell mehr Einkommen zur Verfügung als noch vor zehn Jahren, – hört, hört! – weit über 80 % verfügen über ein gewisses Geldvermögen. Fast die Hälfte der Älteren (40 – 50 % je nach Altersklasse) weist Haus- und Grundbesitz vor; rund ein Viertel der Rentnerhaushalte und 43 % der Jüngeren unter den Älteren (55 – 64 Jahre) kann auf Versicherungsansprüche aus Lebens- und privater Rentenversicherung bauen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und die andere Hälfte?) Der Anteil von Grundsicherungsbeziehern unter den Älteren ist und bleibt vermutlich bis 2020 eher gering. Er liegt derzeit bei 1,5 Prozent. Mehr als die Hälfte der über 75-jährigen Frauen in den neuen Bundesländern beziehen neben Versicherungsrenten auch Witwenrenten und erreichen hierdurch von allen Vergleichsgruppen das höchste Renteneinkommen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weil sie jahrzehntelang gearbeitet haben! Die haben geschlossene Erwerbsbiografien!) In MV beziehen rund 34 % der Rentnerinnen Mehrfachrenten und erzielen auf diese Weise ein Einkommen, das seit 2004 jedes Jahr anstieg; 2011 betrug es 1 230 Euro. Die Analyse des Bezugs von Mehrfachrenten zeigt, dass es notwendig ist, sorgfältig zwischen den Aussagen zu Renten und Rentnern zu unterscheiden. Ich glaube, dass es notwendig ist, bei der Frage von Altersarmut auch darüber zu diskutieren und dies vielleicht auch einmal stärker in das Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken. Ich danke ausdrücklich für diese Kommissionsdrucksache, die von der Universität Rostock erarbeitet worden ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damit bin ich auch schon am Ende meiner Redezeit. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Die Anträge der Linken werden wir natürlich ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Wir sind am Ende unserer Aussprache, liebe Kolleginnen und Kollegen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/10990 bis 17/10998 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Flexibilisierung von haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen außeruniversitärer Wissenschaftseinrichtungen (Wissenschaftsfreiheitsgesetz – WissFG) – Drucksachen 17/10037, 17/10123 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) – Drucksache 17/11046 – Berichterstattung: Abgeordnete Tankred Schipanski René Röspel Dr. Peter Röhlinger Dr. Petra Sitte Krista Sager Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sie sind damit einverstanden? – Dann haben wir das auch gemeinsam so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Bundesregierung Frau Bundesministerin Dr. Annette Schavan. Bitte schön, Frau Bundesministerin. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Danke schön, Herr Präsident. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Einrichtungen der Wissenschaft stehen in einem starken internationalen Wettbewerb um Wissen und Technologien, und sie stehen in einem Wettbewerb um gute Rahmenbedingungen, der ebenso stark ist. Sie brauchen Gestaltungsspielraum, sie brauchen Handlungsfreiheit, Eigenverantwortung, einen autonomen Status ihrer Institution. Dies beschäftigt uns seit langem. Ich habe gerade Frau Flach, die sich, bevor sie ins Gesundheitsministerium ging, viele Jahre dafür stark gemacht hat, gesagt, dass es uns nun gelingt, den Einrichtungen die Bedingungen zu geben, die notwendig sind, um international stark und souverän auftreten zu können. (Beifall bei der FDP) Der Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, hat deshalb auch einen starken und ungeteilten Zuspruch aus der Wissenschaft bekommen. Er hat über Fraktionsgrenzen hinweg einen breiten politischen Konsens gefunden; das freut mich. Das Gesetz ist damit nicht nur ein Gesetz der einen oder anderen Gruppe im Parlament, sondern auch das Ergebnis eines langjährigen Dialoges der wissenschaftspolitischen Sprecher mit unseren Wissenschaftsorganisationen. Drei Säulen tragen dieses Gesetz: Autonomie, Eigenverantwortung und Transparenz. Autonomie heißt Selbstständigkeit, wenn es um Profil, Programme, Projekte und Strategien geht. Die Einrichtungen müssen selbst entscheiden können. Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Forschungsprojekte betreuen und gestalten, müssen sie immer auch kurzfristig die Möglichkeit haben, neue Wege zu gehen, umzuplanen und bislang nicht Vorhersehbares aufzugreifen. Neue Ansätze müssen berücksichtigt werden, Forschungsergebnisse in die weiteren Planungen aufgenommen werden. Hierfür ist größtmögliche Flexibilität in der Mittelbewirtschaftung erforderlich. Dafür sind Globalhaushalte notwendig. Genau das ermöglicht dieses Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das viele von uns in den letzten Jahren verfolgt haben: Die Gründungsphase des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen hat uns gezeigt, wie wichtig diese operative Flexibilität vor Ort ist. Nur so können wir aktuelle, gesellschaftlich relevante Forschungsgebiete zügig erschließen und uns im internationalen Vergleich an der Spitze positionieren. Die Wissenschaftseinrichtungen werden durch das Gesetz mehr Freiheit und Selbstständigkeit bei Finanz- und Personalentscheidungen, bei Kooperationen und Bauvorhaben erhalten. Wir machen Ernst mit der De-regulierung und in der Folge dann auch mit dem Bürokratieabbau, nicht nur, weil es effizienter ist, sondern auch, weil wir die Einrichtungen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darin unterstützen wollen, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren. Wir wissen, das steigert die Leistung. Zweitens: Eigenverantwortung. Freiheit ist an Verantwortung gebunden. Deshalb kann ich Ihnen versichern – das sage ich ganz besonders den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, die uns berechtigterweise viele Fragen gestellt haben –: Die Pilotphase der Wissenschaftsfreiheitsinitiative hat gezeigt, dass die Einrichtungen maßvoll und verantwortungsbewusst mit ihrer Selbstständigkeit umgehen und dass sie unser Vertrauen verdient haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Mehr Eigenverantwortung bedeutet auch, die Detailsteuerung durch Staat und Verwaltung weiter zurückzufahren. Das bedeutet aber nicht Regellosigkeit. Die Verantwortungsbereiche von Wissenschaftseinrichtungen, Staat und Politik werden insgesamt klarer gefasst und damit auch transparenter. Ich glaube, das ist ein zentraler Punkt. Wir bauen nicht Regeln ab. Autonomie heißt nicht Anarchie. Vielmehr haben wir neue Formen der Rechenschaftsgebung und der Rechenschaftslegung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Drittens: Transparenz. Transparente Strukturen machen Verantwortung sichtbar. Mit dem Monitoring zum Pakt für Forschung und Innovation und mit den damit verbundenen Zielvereinbarungen haben wir bereits gute Erfahrungen gemacht. Auf diesen Erfahrungen bauen wir auf. Wir wollen kein starres Berichtswesen, sondern ein flexibles Instrumentarium, mit dem wir auch kurzfristig auf aktuelle Entwicklungen reagieren können. Wir wollen keine neue Bürokratie, sondern wir wollen den Abbau bisheriger Bürokratie. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, das Wissenschaftsfreiheitsgesetz ist schlank konzipiert. Herr Professor Schubert vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung hat dies im Rahmen der Expertenanhörung zur inhaltlichen Seite des Gesetzentwurfes treffend formuliert. Ich zitiere: Es sind sieben einfache Paragrafen, die in weiten Bereichen oder in weiten Teilen eine Diskussion beenden – zumindest für die außeruniversitäre Forschung –, die wir nun seit mindestens 20 Jahren führen. Ich bin davon überzeugt: Das Wissenschaftsfreiheitsgesetz wird dem gesamten Wissenschaftssystem positive Impulse geben. In diesem Zusammenhang nenne ich ausdrücklich auch die Ressortforschungseinrichtungen. Mit dem Entwurf für den Haushalt 2013 hat die Bundesregierung auch für solche Einrichtungen wichtige Flexibilisierungen auf den Weg gebracht. Und ich freue mich sehr, dass das Parlament auch den DAAD und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung in dieses Gesetz aufnimmt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Danke an alle. – Auch hier gilt das Struck’sche Gesetz: Kein Gesetz geht so hinaus, wie es hereingekommen ist. Dies begrüße ich außerordentlich. Meine Damen und Herren, ich ermutige schließlich die Länder, im Blick auf die Hochschulen ausdrücklich gemeinsam mit uns diesen Weg zu gehen. Wir haben viele Kooperationen zwischen Hochschulen und außer-universitären Forschungseinrichtungen, und genau dafür ist es wichtig, dass auch die Hochschulen ein vergleichbares Maß an Autonomie erhalten. Ich bin davon überzeugt: Für die Wissenschaft in Deutschland, für die betroffenen Wissenschaftseinrichtungen ist dieses Gesetz Signal zum Aufbruch, eine weitere Etappe zur Stärkung in einem harten internationalen Wettbewerb. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege René Röspel. Bitte schön, Kollege Röspel. (Beifall bei der SPD) René Röspel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst, Frau Ministerin Schavan, herzlichen Dank, dass Sie mit relativ wenig Pathos und sehr sachlich in das Wissenschaftsfreiheitsgesetz eingeführt haben. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ist sie eben!) Wir haben das in den letzten Wochen und Monaten in den Ausschussanhörungen oder in den Debatten manchmal durchaus etwas anders erlebt. Wir debattieren heute in der Tat nicht über Wissenschaftsfreiheit. Das haben wir im Hohen Hause an anderer Stelle durchaus gemacht, immer dann, wenn die Wissenschaftsfreiheit wirklich tangiert war, bei embryonaler Stammzellforschung und Ähnlichem. Beim Wissenschaftsfreiheitsgesetz geht es um die Flexibilisierung haushaltsrechtlicher Rahmenbedingungen der Forschung, also Erleichterungen im Wissenschaftsmanagement. (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Es geht um die Freiheit! – Zuruf von der FDP: Das ist eine Initiative der FDP-Fraktion!) Das ist eine Initiative der Großen Koalition von 2008. Ich habe schon damals kritisiert, dass der Titel eigentlich zu hoch gehängt ist, wenngleich viele der Maßnahmen für außeruniversitäre Einrichtungen durchaus sinnvoll sind. Wir stärken damit sozusagen ein Bein im Marathonlauf um ein besseres Bildungs- und Wissenschaftssystem in Deutschland und mehr Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich. Aber auch das andere Bein muss man immer im Blick behalten: Das ist die universitäre Forschung. Im Hinblick darauf, wie die Hochschulen künftig aufgestellt sind, treibt uns doch die Sorge um. Auch dieses Bein muss weiterentwickelt werden. Leider geht die Debatte über die Änderung des Grundgesetzes heute Abend zu Protokoll. Wir hätten Ihnen gerne in dieser Debatte unsere Vorschläge vorgestellt, wie man dauerhaft, nachhaltig und sicher Bildung, aber auch universitäre Hochschulforschung und -lehre besser finanzieren kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist dringend notwendig; denn wenn Sie nur bei einem Bein den Muskel stärken, werden Sie feststellen, dass Sie irgendwann im Kreis laufen und nicht wirklich vorankommen. Unabhängig davon bedeutet das Wissenschaftsfreiheitsgesetz für außeruniversitäre Einrichtungen sicherlich einen Fortschritt. Ich will den beiden Berichterstattern, Herrn Schipanski und Herrn Rehberg, ausdrücklich meinen Dank dafür aussprechen, dass sie unser Gesprächsangebot angenommen haben, zu schauen, an welchen Stellen wir gemeinsam noch etwas verbessern können. Daraus ist ein interfraktioneller Antrag geworden. Dass nun auch die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und der DAAD in das Gesetz aufgenommen sind, ist sicherlich ein Fortschritt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das führt dazu, dass wir diese Initiative mit einer Enthaltung begleiten. Zustimmen können wir leider nicht, weil wir an anderen Stellen – das werden Sie uns nachsehen – weiterhin Probleme oder Verbesserungsbedarf sehen. Wir hätten es zum Beispiel besser gefunden, wenn die Ressortforschungseinrichtungen des Bundes verbindlicher in das Gesetz aufgenommen worden wären, als das jetzt über Maßnahmen haushaltsrechtlicher Art erfolgt. Dieser Punkt war uns wichtig; doch wir haben ihn leider nicht hineinverhandeln können. Schon jetzt erreichen uns Anfragen aus den entsprechenden Instituten, (Klaus Hagemann [SPD]: So ist es!) warum sie, die sie doch gute Forschung machen, nur deswegen, weil sie zum Bund gehören, von den Regelungen des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes keinen Gebrauch machen könnten. Andere Punkte, die wir für wichtig und richtig halten – wir finden es gut, dass das endlich kommt –, sind Deckungsfähigkeit und Überjährigkeit. Nach der Vorlaufphase, die es gab, wird es den Instituten jetzt endlich möglich sein, Sachmittel, die nicht abgerufen worden sind, in Personalmittel umzuschichten und damit zum Beispiel für die nächsten Jahre einen Doktoranden zu finanzieren. Das ist wirklich gut für die außeruniversitäre wissenschaftliche Arbeit. Schlecht wäre es allerdings, wenn umgekehrt der Fall entstünde, dass vorhandene Personalmittel, die nicht abgerufen wurden, in Sachmittel umgewandelt werden und damit zum Beispiel – zugegebenermaßen ein extremes Beispiel – dem neuen Direktor eine Dienstvilla gebaut wird; im Gesetz steht ja auch etwas von baurechtlichen Erleichterungen. Wenn die Bürger uns fragen würden: „Warum macht ihr so etwas?“, könnten wir kaum sagen: Wir haben den Instituten 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt; was sie damit machen, wissen wir jedoch nicht. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Wer macht denn so was? Das macht doch keiner!) Deswegen ging es in einem unserer Anträge – er wurde im Ausschuss leider abgelehnt – um ein verbessertes Steuerungs- und Informationssystem, das das Parlament beschließt, um die Kontrolle nachvollziehbar und sichtbar zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Natürlich Kontrolle! Wie denn sonst?) Wir sind es, die dem Bürger gegenüber zu rechtfertigen haben, was mit dem Geld, das den Einrichtungen zur Verfügung gestellt wird, passiert. Das ginge über das hinaus, was in § 3 Abs. 3 des Entwurfs des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes steht; da kommt das aus unserer Sicht zu kurz. Da hätten wir uns eine stärkere parlamentarische Beteiligung gewünscht. Gut für die außeruniversitären Einrichtungen ist sicherlich auch, dass man Berufungen, Neueinstellungen von Spitzenwissenschaftlern dadurch begleiten kann, dass man ihnen ein höheres Gehalt zahlt, als eigentlich vorgesehen ist – solange dieses zusätzliche Geld aus nichtöffentlichen Quellen kommt. So gut das für die außeruniversitären Einrichtungen ist, so sehr sehen wir auch drei Probleme, die damit verbunden sind: Erstens führt ein solches Verfahren zu einem Ungleichgewicht in den Instituten. Wir bekommen schon jetzt mit, dass sich viele Mitarbeiter zu Recht fragen, warum es eine Stärkung in der Spitze und nicht in der Breite gibt. Über das Tarifsystem in außeruniversitären Forschungseinrichtungen wird an anderer Stelle, im Zusammenhang mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz, zu reden sein. Das zweite Problem, das wir sehen, ist: Wie steht es eigentlich mit der Unabhängigkeit von Spitzenwissenschaftlern, wenn künftig über private Industriebeiträge ein Teil ihres Gehalts finanziert wird? Kann Unabhängigkeit wirklich gewährleistet werden? Ich habe zwar erst einmal Vertrauen in die Wissenschaft, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist gut!) aber es ist ein schwieriger Ansatz, das muss man schon sagen. Das dritte Problem, das wir sehen, ist: Wie ist das im Verhältnis zu Universitäten und Hochschulen, die es sich nicht leisten können, diesen zusätzlichen Zuschlag zu gewähren? Auch da ist die Balance zwischen außeruniversitärer und universitärer Forschung ein Problem. Leider haben Sie unseren Antrag, etwas für den wissenschaftlichen Nachwuchs – und nicht nur für die Spitze – zu machen, im Ausschuss abgelehnt. Das hätten wir für gut befunden. Wissenschaftsfreiheit in unserem Sinne bedeutet nämlich auch, dass Wissenschaftler frei von Sorgen um ihre Existenz forschen und kreativ arbeiten können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das bedeutet, eine Zukunftsperspektive und vernünftige Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dafür werden wir uns weiterhin einsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege René Röspel. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion ist unser Kollege Dr. Peter Röhlinger. Bitte schön, Kollege Dr. Röhlinger. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Peter Röhlinger (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein Tag für die Wissenschaft. Wir freuen uns darüber. Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir feststellen – ich kann das zumindest für meine Fraktion sagen –: Insbesondere Grundlagenforschung hat nicht so eine große Lobby, wie man sich das manchmal wünscht. Schauen Sie sich die Programme der Parteien einmal dahin gehend an, wie häufig sich dort das Wort „Grundlagenforschung“ wiederfindet. Ich habe es getan. Ich war erstaunt, wie groß die Differenz ist: „Bildung“ ja; „Grundlagenforschung“ und „Forschung“ schon nicht so sehr. Insoweit ist es ein gutes Zeichen, mit dem heutigen Tag diesen Akzent über die Parteigrenzen hinaus zu setzen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Hagemann [SPD]) Dies ist ein Zeichen der Politik für Verlässlichkeit und Dauerhaftigkeit, insbesondere auch ein Zeichen von Vertrauen. Wir haben es heute schon von der Ministerin gehört: Es ist ein Ausdruck der Einheit von Freiheit und Verantwortung. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass die Wissenschaftseinrichtungen nicht gegängelt werden, sondern dass sie einen gewissen Entscheidungsspielraum haben, der ihnen Luft zum Atmen gibt. Meine Damen und Herren, uns allen liegt die Beschlussempfehlung und der Bericht des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung zur Annahme des Entwurfs eines Wissenschaftsfreiheitsgesetzes mit Änderungen vor. Bei genauerem Hinsehen werden wir unschwer erkennen: Auch dieses Mal ist es gelungen, dem Grundsatz zu folgen, dass ein Gesetz das Plenum anders verlässt, als es Eingang gefunden hat. Dies ist also Ausdruck dessen, dass wir zuhören. (Klaus Hagemann [SPD]: Aber nicht -vollständig!) Herr Röspel, Sie haben es angesprochen: Es gibt beim Gesetzgeber, insbesondere bei den Koalitionären, durchaus das Begehren bzw. den Wunsch, den Oppositionsparteien so weit entgegenzukommen, möglichst einen Antrag auf den Weg zu bringen, bei dem es partei- und fraktionsübergreifend die Möglichkeit der Zusammenarbeit gibt. Das geht nicht bis zum Schluss, und irgendwie muss die Opposition auch Kante zeigen, wie man in der Politik sagt. Aber in vielen Dingen ist es uns doch gelungen. Ich freue mich darüber, dass der Änderungsantrag der christlich-liberalen Koalition zum Gesetzentwurf auch von der SPD mitgetragen wurde. (René Röspel [SPD]: Das war anders herum! – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein gemeinsamer Antrag gewesen!) Das ist insofern bemerkenswert, als das zugleich als ein Signal – Herr Röspel, hören Sie genau zu – (René Röspel [SPD]: Ich höre immer gut zu!) an die von der SPD geführten Landesregierungen verstanden werden kann, (Klaus Hagemann [SPD]: Aber an die anderen auch! An die schwarz-gelben auch!) schnell entsprechende Landesgesetze auf den Weg zu bringen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Klaus Hagemann [SPD]: Eure auch!) Der Bund kann nicht alles alleine machen, und das will er auch gar nicht. (Patrick Meinhardt [FDP]: Sehr gut! Gebt den Hochschulen Freiheit!) Hier sind die Landesregierungen gefragt. Alle Initiativen, diesbezüglich etwas auf den Weg zu bringen, werden von uns unterstützt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dieses Gesetz verbinde ich ganz persönlich mit einer Erinnerung. Als ich mich nach Berlin in den Bundestag beworben habe, bin ich zu den Präsidenten dieser Einrichtungen gegangen und habe sie gefragt: Was kann ich für euch tun? Ich war über die Antworten erstaunt, denn mir wurde gesagt: Geld brauchen wir nicht, Herr Röhlinger, (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) wir brauchen weniger Bürokratie. Uns stört diese ewige Gängelung. Sehen Sie bitte zu, dass das aufhört. Wir wollen weniger Beobachtung, dafür mehr Unterstützung und mehr Freiraum. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das ist uns gelungen. In diesem Zusammenhang bedanke ich mich ganz herzlich bei all denen, die den Gesetzentwurf auf den Weg gebracht haben. Ist Frau Flach noch da? Ja, da hinten sind Sie, liebe Frau Flach. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vielleicht können Sie ihr das direkt sagen; denn Ihre Redezeit ist mehr als abgelaufen. Dr. Peter Röhlinger (FDP): Alles Gute auf diesem Wege! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Dr. Petra Sitte hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, den die Koalition gewissermaßen in einem Anflug von Hochstapelei als Wissenschaftsfreiheitsgesetz bezeichnet hat. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulla Burchardt [SPD] – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Patrick Meinhardt [FDP]: Das ist Hochstapelei, was Sie machen!) Genau genommen – Herr Röspel hat schon darauf hingewiesen – geht es gar nicht um Wissenschaftsfreiheit. Vielmehr geht es darum, dass Institutsleitungen, Präsidien und Forschungsministerien mehr Handlungsspielraum bekommen sollen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Also mehr Freiheit!) Insofern wäre es allemal ehrlicher gewesen, wenn Sie das ganze Konstrukt „Wissenschaftsmanagementgesetz“ genannt hätten. Aber nein, wie man Sie so kennt, schlagen Sie lieber ein bisschen Schaum auf einer Pfütze, die ziemlich flach, trübe und natürlich auch klein ist. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hey! Wir sind doch nicht beim Karneval!) Die Linke fürchtet nach den Erfahrungen der letzten Jahre allerdings, dass die Wissenschaftsfreiheit eher verliert als gewinnt. Das will ich Ihnen gerne erklären. Das Problem liegt gar nicht so sehr in den acht schlichten Paragrafen, für die Sie immerhin drei Jahre gebraucht haben, sondern vielmehr in dem, was gerade nicht in dem Entwurf steht. Jetzt wollen Sie sozusagen Globalhaushalte einführen, Sie wollen Stellenpläne abschaffen, Sie wollen, dass sich die Einrichtungen leichter an Unternehmen beteiligen können. Schließlich sollen die einrichtungseigenen Kompetenzen bei Bauverfahren erweitert werden. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Gut -erkannt!) Insoweit könnte man jetzt meinen, dass Entwarnung signalisiert werden könnte – wenn sich nicht in den letzten Tagen ausgerechnet der Bundesrechnungshof kritisch bis ablehnend zu Wort gemeldet hätte. (Patrick Meinhardt [FDP]: Na und?) Aber auch das haben Sie in der gestrigen Turboberatung im Bildungsausschuss ganz tapfer ignoriert. (Patrick Meinhardt [FDP]: Noch bin ich frei gewählter Abgeordneter!) Für die Linke ergeben sich, wie ich es schon angedeutet hatte, Probleme vor allem aus dem, was nicht in diesem Gesetz enthalten ist. Sie zelebrieren sozusagen den Rückzug aus angeblicher staatlicher Detailsteuerung und verkennen gänzlich, dass Sie sich auch aus Ihrer politischen Verantwortung zurückziehen. (Beifall bei der LINKEN) Mit solchen Fragen, wie man in den Einrichtungen, wenn man ihnen schon mehr Autonomie einräumt, mehr Transparenz oder größere Mitbestimmung für ihre Beschäftigten schaffen kann, haben Sie sich schon gar nicht belastet. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist auch nicht unsere Aufgabe!) Hierzu will ich Ihnen gerne ein Beispiel nennen: Wenn man auf Stellenpläne verzichtet und das Besserstellungsverbot für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufhebt, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ein Meilenstein!) dann ergeben sich daraus nicht nur für diese Gruppe, sondern für alle Beschäftigten Konsequenzen. Warum ergeben sich für alle Beschäftigten daraus Folgen: Weil das Besserstellungsgebot nicht für alle Beschäftigten gilt; Herr Röspel hat das bereits angedeutet. Es soll nur für das Personal gelten, das einen sogenannten wesent-lichen Beitrag zum wissenschaftlichen Prozess leistet. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: § 4!) Dahinter verbirgt sich – das sage ich für die Zuhörerinnen und Zuhörer – die Möglichkeit, dass sogenannte Spitzenkräfte, die gewonnen werden können oder sollen, in ihren künftigen Einkommen aus Drittmitteln aus privatwirtschaftlicher Auftragsforschung bessergestellt werden können. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Was ist denn gegen Spitzenkräfte einzuwenden?) Für diese Gruppe ist so etwas also möglich. In diesem Falle gehen Sie auch über die Vergütungsregelungen des öffentlichen Dienstes hinaus. (Patrick Meinhardt [FDP]: Sehr gut!) Allerdings wollen wir an dieser Stelle einmal festhalten, dass diese Praxis bereits vom Bundesrechnungshof kritisiert worden ist, weil sie in den letzten Jahren intransparent gestaltet worden ist. Daher fordert der Bundesrechnungshof klare Regeln und eine Gehaltsobergrenze. Ich kann mich da dem Bundesrechnungshof nur anschließen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Peter Röhlinger [FDP]: Klar! Das glaube ich!) Meine Damen und Herren, wieso wird eigentlich das Personal in den Laboren, an den Großgeräten und im Wissenschaftsmanagement ausgeschlossen? (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Werden sie nicht!) Ich frage: Wieso werden Beschäftigte, insbesondere der wissenschaftliche Nachwuchs im Mittelbau, ausgeschlossen? Wissenschaftliches Arbeiten ist viel komplexer geworden; man kann das gar nicht mehr so abgrenzen. Deshalb kritisieren wir es. Ich erinnere daran: Wir haben hier schon mehrfach darüber geredet, dass drei Viertel der Beschäftigten -befristet angestellt sind, was übrigens ein Hauptgrund dafür ist, dass neu gegründete Einrichtungen beispielsweise in den neuen Bundesländern überhaupt keine Interessenvertretung mehr haben. Da gibt es gar keinen Betriebsrat, weil die Beschäftigten im Wesentlichen befristete Verträge haben. Das muss man schon kritisieren. (Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir haben doch die Linke!) Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir hier im Bundestag alle gemeinsam schon einen Antrag zur Verbesserung der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses beschlossen haben. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ja, richtig! Aber nicht in diesem Gesetz!) Also müsste man nicht nur eine Art Wissenschaftsmanagementgesetz vorlegen, sondern auch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ändern. Sie müssten die Tarifsperre aufheben, damit die Tarifpartner bessere Bedingungen schaffen können. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie müssen mal schauen, wer zuständig ist! Das sind die Länder, nicht der Bund!) Wer gute Forschung will, muss gute Arbeitsbedingungen bieten, und das auf allen Ebenen, auf allen Karrierestufen und für alle Beschäftigten. Fazit: Dieses erste Bundesgesetz für die Forschung hätte eine Initialzündung für eine Zukunftsdebatte geben können, für eine Debatte über die Frage, wie die Wissenschaftslandschaft von morgen aussehen soll, über die Profile und Aufgaben unserer Forschungsorganisationen, über moderne, digital vernetzte Wissenschaft und schließlich über gute Arbeit in den Wissenschaftseinrichtungen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist nicht der Zweck des Gesetzes!) Das alles findet nicht statt. Das gibt auch dieses Gesetz nicht her. Deshalb hat es den hochtrabenden Namen „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“ auch nicht verdient. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Keine Zwischenfrage, Frau Präsidentin. (Heiterkeit) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich wollte Ihnen keine Zwischenfrage stellen. (Heiterkeit) Ich wollte Ihnen einen Hinweis geben. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Das war nur ein Versuch, zu scherzen. (Heiterkeit) Ich will nur noch sagen, dass dieses Gesetz aus diesen Gründen für uns nicht annehmbar ist. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wenn Sie den Scherz demnächst bitte schriftlich einreichen könnten, damit auch ich ihn verstehe? (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Okay!) Krista Sager hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieses Gesetz ist im Grunde ein Schritt nachholender Modernisierung. Warum „nachholend“? Weil viele Forschungseinrichtungen die Rechte, die heute gesetzlich fixiert werden, schon in der Praxis nutzen, weil viele Hochschulen seitens der Bundesländer schon seit längerem ähnliche Rechte und einen ähnlichen Autonomiestatus hinsichtlich ihrer eigenen Belange eingeräumt bekommen haben. Das heißt, wir bewegen uns in einem Feld, in dem wir schon jahrelang Erfahrungen gesammelt -haben. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Genau!) Dann wundert mich aber doch so manches im Zusammenhang mit diesem Gesetz. Ich muss den Kollegen der FDP sagen: Es hat mich sehr gewundert, dass im ursprünglichen Regierungsentwurf die Wissenschaftseinrichtungen, die dort ressortieren, wo die FDP selber den Hut auf hat, nicht als Nutznießer dieser Freiheit vorgesehen waren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Da frage ich mich schon, Herr Röhlinger, warum sie ursprünglich am Gängelband bleiben sollten. (Patrick Meinhardt [FDP]: Weil sie schon die Freiheiten haben!) Ich habe mich auch gewundert, wie lange ausgerechnet die FDP gebraucht hat, sich in dieser Frage neu zu sortieren. (Patrick Meinhardt [FDP]: Ohne uns gäbe es das nicht!) Gut, wir haben diese Angelegenheit gestern im Ausschuss geheilt, die Regierungskoalition gemeinsam mit Grünen und SPD. Das ist auch gut so. Ich möchte Sie aber daran erinnern, dass Sie nicht vergessen sollten, diese Heilung jetzt auch im Haushaltsgesetz umzusetzen. Auch darin muss sich die Budgetflexibilisierung -wiederspiegeln; sonst haben die Einrichtungen davon keinen Nutzen. Also vergessen Sie das bitte nicht auch noch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Patrick Meinhardt [FDP]: Wir haben das, was Sie über die Jahre nicht gemacht haben, geheilt!) Wenn wir bedenken, dass wir uns hier in einem Bereich bewegen, in dem wir viele Erfahrungen gesammelt haben, ist es im Grunde unverständlich, dass letztendlich offengeblieben ist, mit welchen Instrumenten man tatsächlich von der Inputsteuerung zur Outputsteuerung übergehen will. Das heißt, welche Indikatoren sollen jetzt eigentlich die relevanten Indikatoren sein, um die Leistung dieser Einrichtungen zu messen? Wie soll der Unterschiedlichkeit, der Besonderheit von einzelnen Einrichtungen Rechnung getragen werden? Wie soll aber auch mit Kennzahlen eine Vergleichbarkeit hergestellt werden? Trotz der großen Unterschiede der Einrichtungen muss es schließlich vergleichbare Kennzahlen geben. Wie soll das Ganze mit Elementen der leistungsabhängigen Mittelzuweisung begleitet werden, und welche Auswirkungen hat das auf Zielvereinbarungen? Da hat die Bundesregierung – das muss ich ganz ehrlich sagen – ihre Hausgaben nicht gemacht. Dazu sagt sie vielmehr: Wir gucken weiter, nachdem wir das Gesetz gemacht haben. – Das halte ich, ehrlich gesagt, für zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Meine Damen und Herren, wir reden hier nicht über Peanuts. Es geht hier um ein Volumen von 4,6 Milliarden Euro, und da ist die Frage, wie bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen die Steuerungs- und Monitoringelemente aussehen sollen, nicht gerade eine Petitesse. Ich finde es vollkommen richtig, was der Kollege Röspel gesagt hat: Wir müssen auch das Parlament beteiligen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: In der Anhörung wurde ganz deutlich gesagt, wie das funktioniert! Kommen Sie einfach mal vorbei!) Die Angelegenheit ist einfach zu wichtig, als dass das Parlament einfach außen vor bleiben könnte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Richtig ist auch, dass eine verantwortliche Personalpolitik nicht erst bei den Spitzenforschern, sondern beim wissenschaftlichen Nachwuchs anfängt. Uns haben in der Vergangenheit aus einigen Forschungseinrichtungen zu Recht Klagen erreicht, wie mit diesen Menschen in den Verträgen umgegangen wird. Ich hätte es richtig gefunden, dieses Wissenschaftsfreiheitsgesetz zugunsten einer verantwortlichen und nachhaltigen Personalpolitik und zugunsten des gesamten Personals um einen Code of Conduct zu erweitern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Misstrauen Sie doch nicht immer der Wissenschaft!) Ein weiteres großes Problem ist hier angesprochen worden. Es gibt bei den Gehältern von Spitzenkräften in der Forschung jetzt mehr Handlungsspielräume. Wenn aber in den einzelnen Einrichtungen Milliarden bewegt werden, dann braucht man auch in der Verwaltung und in den technischen Infrastrukturen Spitzenkräfte. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Dass die Handlungsspielräume auf diese Kräfte nicht ausgeweitet werden, leuchtet mir, ehrlich gesagt, nicht ein. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist eine Frage der Auslegung des Gesetzes!) Von der Bundesregierung erwarte ich, dass sie Sorge dafür trägt, dass auch die Leibniz-Gemeinschaft von den Möglichkeiten dieses Gesetzes profitieren kann und dass wir erfahren, wie es mit Blick auf die Einrichtungen der Ressortforschung weiterentwickelt werden kann und wie einzelne Elemente wie die Überjährlichkeit vielleicht auch bei den Begabtenförderungswerken angewendet werden können. Darüber hinaus müssen wir uns der Frage widmen, wie wir verhindern können, dass die Universitäten als Arbeitgeber noch mehr Nachteile gegenüber den außer-universitären Forschungseinrichtungen haben. Diese Frage ist für die Wissenschaftspolitik eine der aktuellsten Fragen; sie ist noch nicht gelöst. Wir brauchen nachhaltige Personalstrukturen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Erst einmal Zuständigkeit!) Wir brauchen einen Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Das heißt, es gibt in der Wissenschaftspolitik auch in Zukunft noch eine ganze Menge zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Albert Rupprecht hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Sitte, was wir heute beschließen, ist nicht Kleinkram, sondern hat eine Dimension, wie es sie in dieser Größenordnung noch nie gegeben hat. Wir schaffen erstmalig – so etwas hat es in der Tat noch nie gegeben – ein eigenes, separates Haushaltsrecht für einen speziellen Politikbereich. Das ist einzigartig und hat eine historische Dimension. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wer dieses Gesetz, Frau Sitte, kleinredet – Sie sagten, es seien nur acht schlichte, dürftige Paragrafen –, hat, glaube ich, die Dimension und die Wirkung dieses Gesetzes noch nicht verstanden. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr -richtig!) Ich prognostiziere Ihnen, Frau Sitte, dass das, was wir heute beschließen – Frau Sager, Sie haben recht, an manchen Hochschulen ist dies bereits Realität, aber an vielen eben nicht –, eine Dynamik entfalten, eine Welle auslösen wird, die letztendlich auch vor den Hochschulen nicht haltmachen wird. Vielmehr wird es auch an den Hochschulen aufgrund dieses Gesetz zu wesentlichen, substanziellen Veränderungen kommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was wir heute machen, ist in eine Studie, in ein Dokument des Wissenschaftsrates von Juli 2000 einzubetten. Damals hat der Wissenschaftsrat letztmalig umfassend das deutsche Wissenschaftssystem untersucht. Er hat in diesem Zusammenhang elf Anforderungen an die Politik formuliert. Er forderte eine stärkere Anwendungsorientierung, eine stärkere internationale Ausrichtung und viele andere Dinge mehr. Einer dieser elf Punkte war die Aufforderung des Wissenschaftsrates an die Politik, für mehr Selbststeuerung und weniger Detailsteuerung durch die Politik zu sorgen, eben das, was wir heute mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz beschließen. Die Aufgaben, die der Wissenschaftsrat damals genannt hat, sind wir in den letzten zwölf Jahren angegangen, auch zusammen mit der SPD in der Großen Koalition. Die Reform wurde von Frau Bulmahn angestoßen und von Frau Ministerin Schavan in großer Dimension umgesetzt und vollzogen. Dieser Bericht war die Grundlage für die Arbeit der letzten Jahre. Das gilt für die Hightech-Strategie, die Exzellenzinitiative und den Hochschulpakt. Mit den Paketen, die wir als Lösung politisch beschlossen haben, haben wir im Wissenschaftssystem Deutschlands eine Dynamik in Gang gesetzt, die eine historische Dimension hat. Wir haben -damit das Wissenschaftssystem in Deutschland neu ausgerichtet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will in diesem Zusammenhang nur einen Betrag nennen: Der Bund hat seit 2000, über die Regierungszeiten der verschiedenen Koalitionen hinweg, deutlich mehr als 150 Milliarden Euro investiert, um das Wissenschaftssystem in Deutschland neu auszurichten. Das war ein Riesenkraftakt, aber damit waren wir, wie ich finde, ausgesprochen erfolgreich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Heute beschließen wir den letzten gewichtigen Baustein, den der Wissenschaftsrat damals eingefordert hat: mehr Freiheit für die Wissenschaft. Herr Röspel, dieses Gesetz bringt sehr wohl mehr Freiheit. Dieser Einzelbaustein fügt sich in ein Ganzes. Ich sage es nochmals: Über die Parteigrenzen hinweg haben wir unsere Mission aus dem Jahr 2000 erfüllt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In der parlamentarischen Beratung haben wir vier Themen vertieft behandelt: Erstens. Wir wollten – Sie haben das Thema angesprochen; das wollten aber auch die Unionsfraktion und die FDP-Fraktion –, dass die AvH und der DAAD in den Gesetzentwurf aufgenommen werden. Dafür war ein Stück Überzeugungsarbeit bei den Fraktionskollegen aus den anderen Fachbereichen notwendig. Das ist letztendlich gelungen. Der Punkt ist somit erledigt. Zweitens: das Berichtswesen. In der Tat war die Frage – Sie haben es angesprochen –, ob wir das Berichtswesen im Gesetzentwurf inhaltlich konkret und präzise festschreiben wollen. Letztendlich war der entscheidende Punkt, dass wir der Überzeugung sind, dass mehr Freiheit auch mehr Verantwortung bedeutet. Und mehr Verantwortung heißt für uns ganz konkret: Wir erwarten von den Wissenschaftsorganisationen, dass sie aufgrund von mehr Freiheit zusätzliche, weitere und bessere wissenschaftliche Ergebnisse vorlegen. Wir erwarten von den Forschungseinrichtungen, dass sie systematisch, kontinuierlich und aussagekräftig darüber berichten. Das ist unstrittig. Die Frage war letztlich nur, ob wir das jetzt mit diesem Gesetz konkret und detailliert regeln sollten. Nach vielen Gesprächen, die wir geführt haben, sind wir zu der Erkenntnis gekommen, dass das falsch wäre, weil sich ein derartiges, outputorientiertes Berichtssystem nur im Dialog, im Zuge der Umsetzung und im Zusammenspiel von Wissenschaftseinrichtungen, Parlament und Regierung über Monate hinweg entwickeln kann. Wir können das heute an dieser Stelle nicht abschließend und detailliert festlegen. Das ist eine Aufgabe, deren Lösung heute beginnt. Der Beschluss, die Verabschiedung des Gesetzentwurfs ist letztendlich der Einstieg in genau diesen Dialog, der notwendig ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich sehe, dass meine Redezeit leider Gottes schon zu Ende ist. Ich verstehe gar nicht, wieso. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich schon!) Ich hätte gerne noch weitere Themen angesprochen, zum Beispiel den Bereich des wissenschaftlichen Nachwuchses. Aber dafür sind fünf Minuten wesentlich zu kurz. (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Keine Zwischenfragen!) Ich hätte auch gerne noch etwas zu den Ressortforschungseinrichtungen gesagt. Das wird der Kollege für mich übernehmen. Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich habe in den zehn Jahren, in denen ich Mitglied des Deutschen Bundestages bin, keinen Gesetzentwurf erlebt, der so viel Zustimmung von den betroffenen Institutionen erhalten hat wie dieser Gesetzentwurf. Wir werden von den Wissenschaftseinrichtungen wie Schellenkönige – so sagt man in Bayern – für diesen Gesetzentwurf gelobt. Ich glaube, das ist ein starkes Zeichen dieser Einrichtungen dafür, dass wir heute hier in der Tat einen richtigen Schritt machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Klaus Hagemann hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Klaus Hagemann (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Röspel hat davor gewarnt, heute mit zu viel Pathos in die Diskussion zu gehen. Daran musste ich gerade bei der Rede des Kollegen Rupprecht denken. Sie haben es so dargestellt, als ob ein neues Zeitalter beginnt, als ob ein Urknall durch die Wissenschaftsszene geht. (Beifall des Abg. Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]) Wenn wir in die Genese gehen, lieber Kollege Rupprecht, dann sehen wir, dass es nichts Neues ist. Sie haben darauf hingewiesen, dass wir das Gesetz nicht schlecht- und kleinreden sollen. Die Wissenschaftsfreiheitsinitiative, die wir in der Großen Koalition geregelt hatten, enthielt schon fast alles von dem, was jetzt im Gesetz steht. Die Wissenschaftsorganisationen konnten also schon handeln, und die Anregungen des Wissenschaftsrates sind in diesem Zusammenhang umgesetzt worden. Wir könnten in dieser Frage schon wesentlich weiter sein, wenn es nicht den einen oder anderen Bremser in der Zeit der Großen Koalition gegeben hätte. Ich schaue nach rechts zum damaligen haushaltspolitischen Sprecher der Union und heutigen geschätzten Staatssekretär Peter Kampeter. (Zurufe von der SPD: Ah!) Er war einer derjenigen, die am meisten gebremst haben. Er wollte nicht, dass Haushaltsrechte an Außenstehende abgegeben werden. Wir, Frau Ministerin Schavan, haben gekämpft, um dies im Haushaltsausschuss voranzubringen. Das sollten wir noch einmal in Erinnerung rufen und deutlich machen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin auch dankbar – jetzt spreche ich den Kollegen Rehberg an –, dass wir in Vorgesprächen einiges bewegen konnten, leider nicht so, dass wir alle Anregungen, lieber Kollege Dr. Röhlinger, aufgreifen konnten. Einige Anregungen sind nicht umgesetzt worden; ich komme darauf gleich noch zu sprechen. Deswegen können wir uns heute – Kollege Röspel hat darauf hingewiesen – nur der Stimme enthalten. Aber der Grundzug ist richtig. Diesen haben wir in der Zeit der Großen Koalition festgelegt. Wir haben dabei die Anregungen aus den Wissenschaftsorganisationen übernommen. Dass die AvH, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, und der Deutsche Akademische Austauschdienst im Gesetz enthalten sind, ist sehr positiv; denn sie brauchen mehr Flexibilität in ihren Haushalten. Ich möchte aber auch die Ressortforschungseinrichtungen ansprechen. Ich finde es nicht gut, dass sie nicht im Gesetz stehen. Man regelt das jetzt über Vermerke im Haushaltsplan. Weil die Ressortforschungseinrichtungen der einzelnen Ministerien auch von der politischen Direktive der Ministerien abhängig sind, besteht aber die Gefahr, dass hier keine Freiheit so wie bei den Wissenschaftsorganisationen gegeben ist. Deswegen, so meine ich, müssen sie ins Gesetz aufgenommen werden, zum Beispiel die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, die BAM, also die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, und der Deutsche Wetterdienst. Man hätte sie in das Gesetz aufnehmen sollen, um ihnen mehr Flexibilität zu geben. Hier besteht eine gewisse Gefahr, dass Willkür herrscht, dass über politische Direktiven Einfluss genommen werden kann und dass politischer Opportunismus eine Rolle spielt. Diese Einrichtungen müssten daher unserer Ansicht nach in das Gesetz aufgenommen werden. (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) Die Kritik des Rechnungshofes ist schon angesprochen worden. Ich möchte hier auf eine Pressemitteilung hinweisen – darüber haben wir uns schon heute Nachmittag im Haushaltsausschuss unterhalten –: „Rechnungshof verreißt Wissenschaftsfreiheitsgesetz“. Ich darf einen kurzen Abschnitt zitieren: Angesichts der stetig wachsenden Mittel für die Forschungsorganisationen fehle ein ausreichendes Controlling. Gelder könnten auf Selbstbewirtschaftungskonten geparkt werden. Das darf nicht passieren; denn sie sollen in der Forschung verausgabt werden. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Ich zitiere weiter: Bei den geplanten Spitzenvergütungen für herausragende Wissenschaftler fehle es an Transparenz … Auch das sollten wir als Parlamentarier ernst nehmen. Wir sollen im Blick behalten, ob hier entsprechend gehandelt wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es sollte auch – so steht es in der Pressemitteilung – eine Gehaltsobergrenze eingeführt werden. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Diese Kritikpunkte des Rechnungshofes sind berechtigt. Ich sage nicht, dass ihnen allen gefolgt werden kann, aber sie müssen beachtet werden. Lassen Sie mich zum Schluss – mir geht es wie dem Kollegen Rupprecht; auch mir läuft die Zeit davon – noch einmal deutlich machen: In der ersten Lesung hatte ich sehr kritisiert, dass eine der Forschungseinrichtungen, die Max-Planck-Gesellschaft, gerade im Bereich der Förderung von Stipendiaten, von Doktoranden sehr zurückhaltend war. Wir haben hier Verbesserungen gefordert. Seit der ersten Lesung ist etwas geschehen: Die Max-Planck-Gesellschaft hat festgelegt, dass Stipendiaten, dass Doktoranden mit einem Höchstbetrag von – ich hoffe, ich habe es richtig im Kopf – 1 350 Euro gefördert werden. Das sollte beispielhaft für alle Organisationen werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Denn, wie vorhin schon formuliert wurde, gute Wissenschaftler bedingen gute Nachwuchswissenschaftler. Die Wissenschaft erzielt nur Erfolge, wenn entsprechend gute Leute zur Verfügung stehen. Zum Schluss noch dieses: Der Kollege Rachel und ich haben in dieser Woche an einer Gremiensitzung einer großen Wissenschaftsorganisation teilgenommen. Da wurde seitens des Gesamtbetriebsrates kritisiert, dass man nur die Spitzenwissenschaftler aufnimmt und nicht auch die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter. Diese Kritik nehmen wir auf, und die werden wir hier auch weiter verfolgen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Hagemann. Klaus Hagemann (SPD): Ich komme zum Ende und möchte darum bitten, das zu beachten. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Professor Dr. Martin Neumann hat für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit dem bemerkenswertesten -Begriff, der hier gefallen ist, nämlich mit dem Thema „Outputsteuerung“ – ich sage es mal auf Deutsch –, also Steuerung auf Zielsetzung. Das, was hier dazu gesagt wurde, stimmt so nicht; denn die Zielvereinbarungen werden mit den Wissenschaftseinrichtungen getroffen. Wir geben damit – das will ich an der Stelle hervorheben, denn darum geht es ja in diesem Gesetzentwurf – Freiheit und übertragen Verantwortung an die Einrichtungen auf der Grundlage genau dieser Zielvereinbarungen. Gestatten Sie mir noch eine zweite Bemerkung. Frau Sager, Sie sprachen beispielsweise von Leibniz und der Rolle der Länder dabei. Auch das, was Sie hierzu gesagt haben, ist nicht richtig. Die Länder können und müssen in der gemeinsamen Wissenschaftskonferenz für entsprechende Landesregelungen sorgen. Das haben wir immer wieder deutlich gesagt. Dazu laufen gegenwärtig Beratungen. Verdrehen Sie die Tatsachen bitte nicht. Ich habe bisher keine Anzeichen dafür bemerkt, dass sich Länder hier sperren wollten. Kommen wir zum Inhalt. Wir haben jetzt drei Jahre in der Koalition an einem für die Wissenschaft äußerst wichtigen Gesetz gearbeitet. Hier sind ja verschiedene Fragmente genannt worden, die ich kurz zitieren möchte; ich habe mir das gerade aufgeschrieben. Gesprochen worden ist von wissenschaftlichem Nachwuchs, von Intransparenz, und von der Outputsteuerung war die Rede. Sie haben aber nicht mit einem einzigen Wort gesagt, was notwendig ist für die Spitzenforschung, welche Bedingungen wir in Deutschland organisieren müssen, um hier Spitzenforschung zu bekommen. Wir reden also nun drei Jahre darüber, wir diskutieren darüber, und auch hier im Parlament wurde oft darüber gesprochen. Aber fünf Minuten vor der Angst bekommen wir Änderungsanträge, die Sie mit den zuvor zitierten Bemerkungen umschrieben haben. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das machen Sie doch auch! Hallo!) – Jetzt, Frau Sitte, gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu den Ressortforschungseinrichtungen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Eine Minute hatten wir gestern Redezeit!) – Ja, das war aber etwas ganz anderes. Auch die Sache mit den Ressortforschungseinrichtungen ist tatsächlich nicht so, wie Sie das hier dargestellt haben. Ich habe in der diesjährigen Sommerpause eine ganze Reihe von Einrichtungen der Ressortforschung in Berlin und Brandenburg besucht, unter anderem die Physikalisch-Technische Bundesanstalt und die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung. Die Kollegen dort haben mir etwas völlig anderes gesagt als das, was Sie hier behaupten. Sie wollen nämlich nur -bestimmte Flexibilisierungen. Sie wollen nicht das -gesamte Gesetz; das muss man an der Stelle sagen. Deshalb haben wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, die betreffenden Regelungen mit Maß und Verstand in den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf aufgenommen. Ein kleines Beispiel: Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung möchte im Jahre 2013 mit einem Pilotprojekt starten, bevor man dort Stellenpläne komplett verändert. Die Bundesanstalt wartet auf die Ergebnisse, die man dann dort gemeinsam erzielen wird. Das geht vollkommen gegen das, was Sie hier in den Gesetzestext aufzunehmen versuchen. (Beifall bei der FDP) Sie, liebe Frau Kollegin Sager, haben uns vorgeworfen, dass wir ein Verhinderer von Freiheit seien, dass wir die Ausweitung des Gesetzes blockierten. Dazu kann ich nur Folgendes sagen, und das will ich wirklich lobend hervorheben: Die Ressortforschungseinrichtungen der FDP-geführten Ministerien machen am meisten von den Flexibilisierungsregelungen Gebrauch. Das Gesundheitsministerium und das Auswärtige Amt haben gezeigt, dass man weitreichende Flexibilisierungen aufnehmen kann. Wir sind nicht Verhinderer, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern die Förderer der Wissenschaftsfreiheit. Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen der Opposition ausdrücklich dafür, dass sie die Regelung, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und den DAAD mit aufzunehmen, mittragen. Ich komme zum Schluss. Wir wollen mit dieser Regelung, so wie wir sie heute vorgestellt haben, letztendlich ganz konkret zum Ausdruck bringen, dass wir ein klares politisches Signal von Ihnen vermissen. Sie haben ohne Blick auf die richtige Zielrichtung gesprochen. Sie lieben es, uns über das Thema „Freiheit in der Wissenschaft“ zu belehren. (Ulla Burchardt [SPD]: Es geht um den -Freiheitsbegriff!) Vor diesem Hintergrund fordere ich Sie ganz deutlich auf: Wenn es Ihnen tatsächlich um ein Signal an die Wissenschaft geht und wenn Sie ein solches Gesetz ernsthaft fordern, dann stimmen Sie doch endlich für unser Wissenschaftsfreiheitsgesetz! Ich bedanke mich. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich würde dieses Thema nicht so abtun wollen, als ob wir lediglich ein paar haushaltsrechtliche Regelungen verändern oder aufheben. Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, das, worum es heute geht, ist für die deutsche Wissenschaftslandschaft ein Schritt nach vorne. Ich glaube, Herr Kollege Hagemann, es ist ganz -normal, dass im Vorfeld bestimmte Schritte notwendig waren, um das zu erreichen, was man jetzt erreicht hat: Globalhaushalte, die weitgehende Befreiung von Regelungen im Baubereich usw. usf. Ich glaube, es wäre nicht ziel- und sachgerecht gewesen, wenn man diese Maßnahmen schon 2008 so durchgeführt hätte, wie wir es heute tun. Ich erinnere nur an die Helmholtz-Debatte, in der es darum ging, dass, wie es der Bundesrechnungshof dargestellt hat, angeblich Mittel liegengeblieben sind. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass es nicht so war, sondern dass im Rahmen der Selbstbewirtschaftungsgrenzen sachgerecht gearbeitet worden ist. Insofern sage ich als für den Einzelplan 30 zuständiger Haushälter: Ich glaube, heute ist ein mehr als guter Tag. Da dieser Gesetzentwurf heute im Deutschen Bundestag verabschiedet wird, ist es für den deutschen Wissenschaftsbereich sogar ein ganz entscheidender Tag. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dieser Prozess wurde ganz maßgeblich von Annette Schavan und Ulrike Flach gestaltet. Sie haben auch dafür gesorgt, dass dieses Vorhaben im Koalitionsvertrag verankert wurde. Dass es dagegen Widerstände der Fachressorts gibt, halte ich für ganz normal. (Ulla Burchardt [SPD]: Streit ist also normal bei Ihnen, oder was?) Ich komme noch einmal auf den DAAD und die AvH-Stiftung zu sprechen. Beide werden aus drei Ressorts gespeist: aus dem des Auswärtigen Amts, dem des Entwicklungshilfeministeriums und dem des Bildungs- und Forschungsministeriums. Deswegen waren auch hier Widerstände zu überwinden. Wir, die Abgeordneten von CDU/CSU und FDP, sind allerdings so selbstbewusst, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, dass wir sagen: Wenn wir das für richtig und sachgerecht halten, wird das auch umgesetzt. – Wir -bedanken uns bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen, dass Sie das mittragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Sager, Sie kritisieren, dass es zwischen den Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen, die im Wissenschaftsfreiheitsgesetz aufgeführt sind, und den Hochschuleinrichtungen der Länder einen Niveauunterschied geben wird. Dazu kann ich nur eines sagen: Dann sollen doch bitte auch die Länder Globalhaushalte einführen! (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Genau so ist es! – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben sie doch schon! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das haben die schon lange!) Dann sollen doch bitte auch die Länder ihre Universitäten und Fachhochschulen von stringenten Regelungen befreien! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist doch schon lange geschehen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Das ist doch Unsinn!) Dann, glaube ich, gäbe es noch mehr Wettbewerb, sowohl zwischen den Ländern als auch innerhalb der Länder, und man könnte sehen: Wo ist man erfolgreich, und wo kommen wir voran? (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist doch schon längst geschehen! – Gegenruf des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]: In den neuen Bundesländern nicht in einem einzigen Land! – Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ach! Du weißt doch gar nicht, wovon du redest! Das ist doch völliger -Unsinn!) – Das ist in vielen Ländern überhaupt noch nicht geschehen. In vielen Ländern haben die Universitäten keine Globalhaushalte. In den meisten Ländern frönt man noch dem Urzustand der Kameralistik und Gängelung. Den-jenigen, der sich darüber beklagt, dass der Bund in diesem Bereich voranschreitet, kann ich nur auffordern, es dem Bund gleichzutun. Dann braucht man sich an dieser Stelle nicht mehr zu beklagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass Sie das an Bayern adressieren!) – Wissen Sie: Es ist mir ganz egal, welche Parteifarbe in einem Bundesland gerade vorherrscht. (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber in Bayern ist es immer die gleiche!) Das war eine generelle Aussage im Hinblick auf die Wissenschafts- und Forschungslandschaft in Deutschland. Da achte ich überhaupt nicht auf Parteibücher. Noch eine Anmerkung zum Thema Ressortforschung. Ich halte es für nicht sachgerecht, das Wissenschaftsfreiheitsgesetz in dieser Art und Weise für die Ressortforschungseinrichtungen des Bundes zu öffnen. Sach-gerecht war vielmehr der Kabinettsbeschluss vom Mai dieses Jahres, der vorsah, dass die Ressorts selber entscheiden: Wer kann die Flexibilisierung nutzen, und wer kann sie nicht nutzen? Es gibt Ressortforschungseinrichtungen, die überwiegend Forschung betreiben, und es gibt auch viele, die in hohem Maße administrative Aufgaben haben. Ich glaube, hier muss man ein bisschen aufpassen, dass man nicht zu viel des Guten tun wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ulla Burchardt [SPD]: Nicht zu viel Freiheit!) Eine letzte Bemerkung: Ich glaube, ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage: Ich denke, es ist ein falsches Ansinnen, jetzt schon mit einer Neiddebatte anzufangen. Es geht um das Thema „Transparenz von Gehältern bei den Forschungseinrichtungen“. Wir haben uns dazu entschieden, dass sie durch Drittmittel, durch private Mittel, aufgestockt werden können, und sollten nicht gleich im nächsten Schritt dafür sorgen, dass diese Gehälter offengelegt werden. Überlegen Sie auch einmal, was wäre, wenn Sie das gleiche Ansinnen, dass sämtliche Einkommen personenbezogen offengelegt werden müssen, -bezogen auf ein Unternehmen hätten. Das macht kein Unternehmen. (Ulla Burchardt [SPD]: Das wollen Sie ja auch nicht bei den Abgeordneten!) Deswegen bin ich strikt dagegen, dass wir als Erstes damit anfangen, eine Neiddebatte zu führen, indem wir alle Gehälter in den Forschungseinrichtungen offenlegen; denn dies führt nicht zum Ziel, sondern nur zu Neiddebatten in der Öffentlichkeit. Das Wissenschaftsfreiheitsgesetz wird aber nicht dazu da sein, eine -Neiddebatte zu initiieren, sondern Wissenschaft und -Forschung voranzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Flexibilisierung von haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen außeruniversitärer Wissenschaftseinrichtungen. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11046, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/10037 und 17/10123 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitte ich jetzt um ihr Handzeichen. – Die Gegenstimmen! – Die Enthaltungen! – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Dagegen hat die Fraktion Die Linke gestimmt, SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer ist für den Gesetzentwurf und erhebt sich deswegen? – Die Gegenstimmen! – Die Enthaltungen! – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung bei gleichem Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11064. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion abgelehnt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die CDU/CSU und die FDP waren dagegen, die SPD hat sich enthalten. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kosten und Nutzen der Energiewende fair -verteilen – Drucksache 17/11004 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Haushaltsausschuss Federführung strittig Für die Beratung ist eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort für Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Hans-Josef Fell. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Monaten gibt es wegen angeblich untrag-barer Strompreiserhöhungen eine Hetzkampagne gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: „Hetzkampagne”!) Kampagnenchef ist Wirtschaftsminister Rösler, assistiert wird ihm von Umweltminister Altmaier, FDP-Fraktionschef Brüderle und Energiekommissar Oettinger. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist schon Wahlkampf! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist der Abspann!) Verbreitet werden die übelsten Diffamierungen gegen die erneuerbaren Energien, auch in millionenschweren Anzeigen von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. (Ulrich Kelber [SPD]: Sogenannte „Neue“!) Sie alle verschweigen völlig den Beitrag des Ökostroms zum Klimaschutz und zur Ablösung der Erdölwirtschaft, die die Verbraucher und die gesamte Wirtschaft mit immer höheren Ölpreisen unter Druck setzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Doch Ihnen von Union und FDP geht es ja gar nicht um die Lösung zentraler Menschheits- und Wirtschaftsprobleme, sondern ausschließlich um den Bestandsschutz der schmutzigen Stromerzeugung aus Kohle, und Sie bereiten Ihre dritte Kehrtwende für eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken vor, (Zuruf von der CDU/CSU: Was?) wie sie der Fraktionsvize Vaatz gestern gefordert hat. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die wahren Strompreistreiber sind Sie, meine Damen und Herren von Union und FDP. 2005, am Ende der rot-grünen Regierungsverantwortung, lag die EEG-Umlage gerade mal bei 0,7 Cent pro Kilowattstunde. (Horst Meierhofer [FDP]: Weil Sie keine Erneuerbaren ausgebaut haben!) Sie von Union und FDP haben sie mit gravierenden Fehlern in verschiedenen EEG-Novellen auf heute 5,3 Cent hochgetrieben. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Birgit Homburger [FDP]: Aufhören!) Ohne Ihre verfehlte Politik läge die EEG-Umlage trotz erfolgreichen Ausbaus der erneuerbaren Energien heute sozialverträglich unter 3 Cent. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Der erste Fehler der Union, den Sie zusammen mit der SPD machten, passierte schon 2009, als Sie den -Umlagemechanismus verändert haben. Sie haben damit den wegen der erneuerbaren Energien sinkenden Börsenstrompreis zur Basis für die Berechnung der EEG-Umlage gemacht und so schon die EEG-Umlage um 1 Cent pro Kilowattstunde hochgetrieben. Dann folgten Schlag auf Schlag die schwarz-gelben preistreibenden Fehler: die uferlose Befreiung von -Produktionsbetrieben von der EEG-Umlage, (Zurufe von der FDP: Oh, Oh!) die Eigenstrombefreiung von Kohlekraftwerken und die Einführung der Marktprämie. Wir fordern Sie heute mit dem Antrag auf, genau diese hausgemachten Fehler zu korrigieren. Wenn Sie es ernst meinen mit der Begrenzung der Kosten der Energiewende, dann müssen Sie unserem Antrag zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Rolf Hempelmann [SPD]: Machen wir auch!) Aber ich habe mir auch einmal Ihre konkreten -Vorschläge zur Preisdämpfung angeschaut. Im Verfahrensvorschlag zum EEG von Umweltminister Altmaier finden wir keine Vorschläge zur Korrektur Ihrer hausgemachten schwarz-gelben Fehler. Stattdessen hören wir von der FDP und vom Umweltminister ausschließlich Vorschläge zur Begrenzung des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Erstmals in der Geschichte Deutschlands haben wir einen Umweltminister, der die wichtigste Klimaschutztechnologie ausbremsen will. Was ist das denn für ein Umweltminister? Ja, die FDP verlässt sogar den Boden der freien Marktwirtschaft. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Ihre Vorschläge zum Quotenmodell mit staatlich festgelegten Ausbauzielen habe ich vor allem in den kommunistischen Fünfjahresplänen Chinas gefunden. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Jetzt wissen wir, was du liest! – Horst Meierhofer [FDP]: Was tätest du ohne deine Vorurteile?) Nur, selbst in China wurde inzwischen erkannt, dass diese staatlich festgelegten Quoten nicht erfolgreich sind, und dort wurde ein EEG eingeführt, das Sie genau abschaffen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber den Vogel schießt ausgerechnet Umweltminister Altmaier ab. (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht! Das kann man nicht sagen!) Er will den jährlichen Zubau von Windkraft, Biomasse und Photovoltaik staatlich festgelegt kontrollieren und mit einer marktwirtschaftswidrigen Obergrenze belegen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Was? Unglaublich!) Sein Argument, dass der angeblich unkontrollierte Ausbau des Ökostromes mit dem Ausbau der Netze nicht mithält, ist nicht tragfähig. Vergleichbar ist dies mit dem Vorschlag, dass man wegen der vielen Staus auf den deutschen Straßen und des fehlenden Straßenausbaus bei den Bundesfernstraßen VW und Daimler staatlich zwingen will, den Verkauf von Autos einzuschränken. Nichts anderes ist dies. Eine absurde Vorstellung, die nichts mit Marktwirtschaft zu tun hat, weil Sie nur eingreifen -wollen in den Ausbau der anderen. (Horst Meierhofer [FDP]: Reden Sie jetzt über den Straßenneubau?) Ihre Politik von Schwarz-Gelb hat nichts mehr mit Marktwirtschaft zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre planwirtschaftlichen Vorschläge – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – zum Bestandsschutz der großen Energiekonzerne werden aber nicht durchgehen; denn weite Teile der -Bevölkerung haben längst erkannt, dass sie mit genossenschaftlichen Modellen selbst den Strom erzeugen können – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Sie müssen zum Ende gekommen sein. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin – und die Wertschöpfung in die eigene Hand nehmen können. Wir Grünen werden die Bevölkerung gegen Ihre Preistreiberei und Ihre planwirtschaftlichen Vorschläge zum Ausbremsen der erneuerbaren Energien unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Zuruf von der SPD: Wo ist eigentlich das -Umweltministerium?) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Fell, wissen Sie, da höre ich mir doch dreimal lieber die Frau Höhn an als noch einmal das, was Sie hier zum Besten gegeben haben. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Lob will ich gar nicht haben!) Es ist wirklich unglaublich, was Sie hier für einen -Unfug erzählt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist genau das Problem, weil es nämlich bei den Kosten nach oben völlig unbegrenzt ist. Jedes Förderprogramm, das wir bisher aufgelegt haben, ob das nun Marktanreizprogramme oder andere waren, hat einen Deckel, aber das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist praktisch unbegrenzt. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unbegrenztes Wachstum! Sie wollen doch immer unbegrenztes Wachstum!) Die EEG-Umlage steigt natürlich genauso unbegrenzt mit, wenn man den Ausbau in unserem Lande unbegrenzt forciert. Ganz besonders gilt dies im Bereich der Photovoltaik. Sie, Herr Fell, wissen selbst: 57 Prozent der Umlage entstehen durch die Kosten für die Photovoltaik, die aber nur einen Anteil von 12 Prozent unseres Stromes in Deutschland ausmacht. Wo wäre denn die EEG-Umlage heute, wenn wir nicht in den letzten Jahren gegen den erbitterten Widerstand von Ihnen, den Grünen, und von Ihnen, der SPD, (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Genau!) und den Ländern, die alle mitgemischt haben, die Förderung gekürzt hätten? Es klingelt doch in den Ohren, wenn ein Ministerpräsident sagt, er würde eine Energiepreisdeckelung einfordern. Ich frage mich da manchmal, was im Bundesrat diskutiert wird. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz stößt eben, wirtschaftlich gesehen, marktwirtschaftlich gesehen und auch technisch gesehen, an seine Grenzen. Darüber kann man doch nicht diskutieren. (Ulrich Kelber [SPD]: Ja, dass Sie nicht diskutieren können, wissen wir!) Ich merke: Auch bei Ihnen zieht langsam die Erkenntnis ein, dass wir Änderungen brauchen und dass wir diese Änderungen schnell brauchen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Dafür habe ich schon unter Schwarz-Rot vergeblich gekämpft! – Gegenruf des Abg. Horst Meierhofer [FDP]: Ach so! Aber der Kelber war wieder dagegen!) Die erneuerbaren Energien sind doch mit einem Anteil von über 20 Prozent am Strom kein Nischenprodukt mehr. Damals, als das Stromeinspeisungsgesetz und später das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Kraft gesetzt wurden, war es sinnvoll, neue Technologien zu fördern. Das ist doch unbestritten. (Ulrich Kelber [SPD]: Deswegen haben Sie persönlich dagegen gestimmt, obwohl es sinnvoll war!) – Wir können darüber reden, warum ich dagegen gestimmt habe. (Ulrich Kelber [SPD]: Herr Lämmel, Sie haben dagegen gestimmt!) Es war nämlich erkennbar, dass wir genau an den Punkt kommen, an dem wir heute stehen. Das war damals schon erkennbar. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum sagten Sie gerade, es sei sinnvoll gewesen? – Ulrich Kelber [SPD]: Deshalb haben Sie dagegen gestimmt? Herr Lämmel, merken Sie eigentlich nichts?) Herr Fell, Sie können im Moment den Strompreis nicht mehr dämpfen, weil die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen in Ihrem Antrag erst mittel- und langfristig wirken. Kurzfristig kann man an diesem System überhaupt nichts ändern. Jetzt zu der größten Legende, die Sie verbreiten. In Ihrem Antrag steht der Satz: Die weit verbreitete Sorge, dass die Energiewende gerade energieintensive Unternehmen hart treffen werde, hat sich als unbegründet erwiesen. Das ist der Hammer. Mein lieber Mann, da kann man sehen, dass die Grünen wirtschaftspolitisch völlig blind sind und überhaupt nicht merken, was seit der Einführung zusätzlicher Belastungen in Deutschland passiert ist. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Herr Lenkert möchte Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie sie zulassen? Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Nein, ich möchte im Moment keine Zwischenfragen zulassen. (Beifall des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]) Ich will Herrn Fell gerne die Zahlen liefern, damit er erkennen kann, wie blind die Grünen heute in der Wirtschaftspolitik agieren. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das interessiert ihn aber nicht!) Ein Unternehmen aus der Stahlbranche zahlt bei der aktuellen Umlage von 3,59 Cent pro Kilowattstunde ohne Entlastung 280 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich. Für diese 280 Millionen Euro zusätzliche Kosten entsteht nicht eine einzige Tonne Stahl mehr. Für diese 280 Millionen Euro zusätzliche Kosten entsteht auch kein einziger Arbeitsplatz mehr. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Keine Tonne CO2 wird eingespart!) Nach der Entlastung – Sie sprechen immer von Befreiung, aber es handelt sich hier ausschließlich um eine Entlastung – zahlt das Unternehmen 88 Millionen Euro. Wenn man jetzt diese neue Preissteigerung einrechnet, also die 5,3 Cent pro Kilowattstunde, die jetzt für die Zukunft ausgerechnet worden sind und dabei wieder die Entlastung einrechnet, dann entstehen dem Unternehmen in einem Jahr 128 Millionen Euro zusätzliche -Kosten. (Ulrich Kelber [SPD]: Interessant, dass Sie diese Zahlen aus einem Brief einfach ungeprüft vortragen!) – Ich kann Sie Ihnen geben. – Man muss doch erkennen, dass dieses Unternehmen natürlich nicht mehr in Deutschland investieren wird, sondern es wird sich andere Standorte in anderen Ländern suchen, wo einfach diese zusätzlichen Belastungen nicht entstehen. Die Stahlindustrie insgesamt hat ab 2013 jährliche Mehrkosten ohne Entlastung in Höhe von 1,8 Milliarden Euro, also 1 840 Millionen Euro. (Ulrich Kelber [SPD]: Halten Sie mal das Blatt hoch, von dem Sie das vorlesen!) Unter Berücksichtigung der Entlastung sind es immer noch 609 Millionen Euro. Wenn Sie das auf die Arbeitsplätze umrechnen, die in der Stahlindustrie existieren, heißt das, dass das Mehrkosten in Höhe von 6 766 Euro pro Arbeitsplatz sind. Meine Damen und Herren, man könnte neue Arbeitsplätze schaffen, wenn man diesen belastenden Betrag nicht einfach so ausgeben müsste. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie denn eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer zulassen? Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Nein, möchte ich nicht. – Herr Fell, bevor man Solarpaneele aufs Dach schrauben kann, muss man Aluminium, Silizium und Glas herstellen. Wenn Sie verhindern wollen, dass diese Wertschöpfungskette in Deutschland weiter existiert, müssen Sie so weitermachen wie bisher. Dann können Sie das alles in China kaufen. Sie werden aber hier am Pult stehen und über hohe Arbeitslosigkeit klagen. Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Minister Altmaier ist auf dem richtigen Weg. Eine -Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes muss dringend auf den Weg gebracht werden. Angesichts dieser Tatsache kann ich nur hoffen, dass auch die linke Seite – ich meine die SPD und die Grünen – Vernunft annimmt und hier an diesem Werk mitarbeitet. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich gebe jetzt nacheinander den Kollegen Lenkert und Krischer das Wort zu einer Kurzintervention. Dann könnte Herr Lämmel darauf antworten. Bitte schön. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Lämmel, im Jahr 2000 habe ich für eine Kilowattstunde Strom 14 Cent bezahlt. Damals betrug die EEG-Umlage 0,2 Cent. Im Jahr 2012 bezahle ich für die Kilowattstunde Strom 26 Cent. Die EEG-Umlage beträgt 3,5 Cent. Die Differenz beträgt 12 Cent. Davon sind – selbst wenn ich den Mehrwertsteueranteil zurechne – etwa 4 Cent EEG-Umlage. Das heißt, ein großer Teil des Anstieges des Strompreises kommt nicht aus den erneuerbaren Energien. Ich stelle Ihnen dazu Fragen. Was hat Benzin im Jahre 2000 gekostet? Was hat Heizöl im Jahr 2000 gekostet? Was hat zum Beispiel Kohle für Heizzwecke im Jahr 2000 gekostet? Diese Preise haben sich bis heute mehr als verdoppelt. Demzufolge scheint es so zu sein, dass trotz EEG-Umlage durch den Wettbewerb im Strom-bereich die Stromerzeugungskosten und die Strom-nutzungskosten selbst – im Gegensatz zu dem, was Sie hier verkünden – für uns relativ gesunken sind. Ich komme zu einer Studie von Arepo-Consult im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Dabei geht es um die Befreiung der energieintensiven Industrien und der anderen Industrien. Wir haben letztens gelernt, dass zu den energieintensiven Industrien Rolltreppenbetreiber in einem Einkaufscenter gehören. Die Befreiungen für diese Industrien und auch für Aluminiumwerke wie das in Hamburg – es investiert jetzt auch in Deutschland, weil die Energiekosten scheinbar so hoch sind – machen fast 10 Milliarden Euro pro Jahr aus, wenn man alles zusammenrechnet. Wenn man die Industriestromkosten vom Jahr 2000 mit denen von heute vergleicht, stellt man fest, dass die Unterschiede im Verhältnis zu unseren Wettbewerbern sogar kleiner geworden sind. Wir haben zwar immer noch die zweitteuersten; aber der Abstand ist von 2 Cent für die Kilowattstunde auf 1 Cent für die Kilowattstunde geschrumpft. Das heißt, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie ist nicht gefährdet. Ich frage Sie deshalb: Wieso lasten Sie die gesamten Kosten permanent den Verbraucherinnen und Verbrauchern an? Wieso stellen Sie nicht sicher, dass hier -Wahrheit herrscht? Wenn wir nämlich die Preisanstiege in allen Bereichen betrachten, werden wir feststellen, dass gerade der Strombereich – so weh uns die Kosten dort auch allen tun – den geringsten Preisanstieg hat. -Gerade die erneuerbaren Energien haben dafür gesorgt, dass dies so ist. Bitte, erklären Sie mir, warum die Stromrechnung so gestiegen ist. (Beifall bei der LINKEN – Iris Gleicke [SPD]: Da ist keiner auf der Regierungsbank! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wie immer kopflos! Es ist keiner da! Das ist nichts Neues! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Bei uns regiert das Parlament, nicht die Regierung!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Krischer, bitte. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha, es regiert also das Parlament und nicht die Regierung. – Herr Kollege Lämmel, Sie haben uns eben vorgeworfen, hier gäbe es keinen wirtschaftspolitischen Sachverstand. Den vermisse ich leider bei Ihnen. Ich finde es schon erstaunlich, dass Sie hier in Ihrer Rede einen Lobbybrief der Stahlindustrie, der uns allen heute oder gestern zugegangen ist, ungeprüft vorlesen. Das ist schon ein unglaublicher Vorgang. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie sollten sich wenigstens die Mühe machen, die Angaben, die dort gemacht werden, zu überprüfen. Sie halten nämlich einer Überprüfung nicht stand. Einer Überprüfung stand hält allerdings das, was die Industrie selber sagt. Ich möchte Ihnen dazu Beispiele nennen. Das Unternehmen Norsk Hydro produziert weltweit Aluminium und hat vor zwei Wochen angekündigt, seine Produktion nach Deutschland, nämlich nach Neuss, zu verlagern, weil in Deutschland die Strompreise günstiger sind. Das Unternehmen hat ein Werk in Deutschland, das es stillgelegt hat, wieder in Betrieb genommen und die Produktion von Australien nach Deutschland verlagert, mit der Begründung, die Industriestrompreise seien in Deutschland billiger. Das ist die Realität in Deutschland. Weiteres Beispiel: Trimet Aluminium. Trimet Aluminium hat in der Tat im letzten Jahr Verluste gemacht. Aber wissen Sie, warum sie Verluste gemacht haben? Weil sie auf steigende Strompreise gewettet haben. Aber die Strompreise sind für Trimet Aluminium gesunken. Deshalb ist der Verlust entstanden. Das ist die Realität in Deutschland – nicht das, was Sie uns erzählen wollen. Ich möchte noch ein drittes Beispiel nennen, das mir nach der Debatte, die wir in der letzten Sitzungswoche zu dem Thema geführt haben, nochmals bestätigt worden ist. Bayer MaterialScience sagt klipp und klar: Die Industriestrompreise in Deutschland sind geringer als im europäischen Durchschnitt. – Sie erzählen hier wider besseres Wissen das Gegenteil. Sie sollten lernen. Informieren Sie sich besser, statt ungeprüft Lobbybriefe vorzulesen und damit auch noch wirtschaftliche Kompetenz zu suggerieren, die Sie offensichtlich nicht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Lämmel, möchten Sie reagieren? – Bitte schön. (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht haben Sie noch einen zweiten Brief, den Sie vorlesen können! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind offensichtlich nicht vorbereitet! – Gegenruf des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ach, Herr Beck, wir sind doch nicht bei den Grünen!) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Das ist das Interessante bei den Grünen: Wenn Sie Zahlen einer Branche verwenden, dann ist das die Wahrheit. Wenn die Solarbranche ihre Zahlen liefert, dann ist das gedruckte Wahrheit. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayer MaterialScience!) Wenn man Zahlen verwendet, die zum Beispiel die Gewerkschaft oder eine andere Branche vorlegen, dann ist das die Unwahrheit. So gehen Sie mit den Dingen um. Deshalb habe ich gesagt: Sie sind auf dem wirtschaftspolitischen Auge blind. Denn wenn Sie die Industriestrompreise in Amerika, Asien und Europa vergleichen, dann werden Sie feststellen, dass es nicht stimmt, was Sie behaupten. Die Industriestrompreise sind eben nicht mit den Preisen vergleichbar, die an der Börse gebildet werden. Das sollten Sie vielleicht im Lehrbuch nachlesen. Zu dem Herrn von der linken Seite: Sie haben vielleicht noch den VEB Energiekombinat im Hinterkopf, (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sehr originell!) der feste Preise hatte, und der Staat hat dann aus seiner Kasse den Rest gezahlt. Wenn Sie sich die Belastungen des Strompreises allein durch politische Elemente ansehen, dann zeigt sich, wo die großen Preissteigerungen herkommen. Der größte Batzen war die Einführung der Ökosteuer, die im Prinzip als Rentenauffüllsteuer eingeführt worden ist. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Vor 2000!) Das hatte mit Öko nichts zu tun. Außerdem gibt es die Netzentgelte und all die anderen Bausteine, die politisch motiviert auf den Strompreis aufgeschlagen werden. Das sind die großen Strompreistreiber. Derzeit ist das die EEG-Umlage. Man kann diskutieren und reden, wie man will: Das sind jetzt 5,3 Cent pro Kilowattstunde. Die muss jeder bezahlen, und zwar nicht nur die Bürgerinnen und Bürger; die Wirtschaft zahlt das genauso. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht! Das ist ja unglaublich!) Wenn man jetzt nicht der Sache Einhalt gebietet und die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes angeht, wird sich dieser Preisaufschwung in den nächsten Jahren fortsetzen. Das ist ein einfaches mathematisches Modell. Herr Fell, ich weiß nicht, ob Sie in der Schule das Rechnen vielleicht nicht richtig gelernt haben. Sonst könnten Sie nämlich mit einem Dreisatz ausrechnen, wie sich die Kosten entwickeln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Rolf Hempelmann jetzt das Wort. (Beifall bei der SPD) Rolf Hempelmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist doch erfrischend, dass wir für die Debatte heute einen Antrag mit dem sachlichen Titel „Kosten und Nutzen der Energiewende fair verteilen“ von den Grünen vorgelegt bekommen haben. In der gestrigen von Schwarz-Gelb aufgesetzten Aktuellen Stunde wollten Sie uns in die Schuhe kippen, dass wir eine EEG-Umlage von 5,3 Cent im Jahre 2012 haben. Sie haben sich damit absolut lächerlich gemacht. Die Zahlen sind eben hier genannt worden: 0,67 Cent war die EEG-Umlage im Jahre 2005 am Ende von Rot-Grün, 1,13 Cent am Ende von Schwarz-Rot, und jetzt, also in Ihrer Verantwortungszeit, liegt sie bei 5,27 Cent. Gestehen Sie wenigstens ein, dass das Ihre Preiserhöhung ist und bitte schön nicht unsere! Wir nehmen sie Ihnen nicht weg. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Titel des heute vorliegenden Antrags „Kosten und Nutzen der Energiewende fair verteilen“ veranlasst mich, zunächst einmal darüber zu reden, dass wir als Erstes versuchen sollten, unnötige Kosten zu vermeiden. Wenn ich sehe, was Sie da in den letzten Jahren gemacht haben, dann denke ich daran, dass Sie genau an dieser Stelle ein Scheitern par excellence zu verantworten haben. Sie -haben durch planloses Handeln zum Beispiel im Bereich der Offshorewindenergie dafür gesorgt, dass zusätzliche Kosten entstanden sind, die jetzt auf die Verbraucher -umgewälzt werden müssen. Sie haben einen Gesetzesvorschlag gemacht und gestehen ein, dass inzwischen Haftungsentschädigungen von 1 Milliarde Euro fällig werden, die auf die Verbraucher umzulegen sind. Dies macht 0,25 Cent pro Kilowattstunde für die nächsten drei bis vier Jahre aus. Das war Ihr Werk. Das sind Kosten, die Sie durch planloses und hektisches Handeln künstlich und zusätzlich verursacht haben. Das Zweite. Es droht durch die fehlende Koordination der Energiewende, was Sie auch wiederum zu verantworten haben, dass wir in den nächsten Jahren weitere zusätzliche und unnötige Kosten haben werden. Es gibt nämlich keinen abgestimmten Plan zwischen Bund und Ländern zur Entwicklung der Energieinfrastruktur. Im Gegenteil, wir haben auf der einen Seite im Norden die Bemühungen, die Steigerung von Offshore- und Onshorewindenergie weit über den eigenen Bedarf hinaus zu bewerkstelligen – dagegen will ich gar nichts sagen –; aber gleichzeitig sagen in anderen Bundesländern, zum Beispiel im Süden der Republik, explizit Ministerpräsidenten, sie wollen von diesem Strom nicht abhängig sein, sie wollen autark sein, sie wollen Energieerzeugung im eigenen Land. Wenn Sie dies zulassen, wenn Sie das nicht koordinieren, dann werden wir demnächst nicht nur das eine oder andere notleidende konventionelle Kraftwerk haben, sondern möglicherweise notleidende Infrastrukturen an allen Ecken und Enden, nämlich dann, wenn zum Beispiel Netze, die von Nord nach Süd gebaut werden, aus diesem Grund nicht ausgelastet werden oder wenn Stromerzeugungsanlagen, die im Norden stehen, im Süden keine Abnehmer finden und deswegen Abfall produzieren. Sie sollten sich darum kümmern, endlich die Koordinierungsaufgabe in der Energiewende ernst zu nehmen, um weitere Kostenexplosionen zu vermeiden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Dritte. Seit über einem Jahr oder noch länger basteln Sie an einer Alternative, die durchaus kostengünstig sein würde – aber Sie haben bisher immer noch nicht geliefert –: Ich rede vom Lastmanagement, also davon, dass man zu- und abschaltbare industrielle Lasten nutzen kann, um zu bestimmten Zeiten – zum Beispiel zu Spitzenlastzeiten, wenn aber beispielsweise der Wind nicht weht – gegenüber der sehr teuren Regelenergie die Alternative der Abschaltung zu haben. Liefern Sie endlich, und sorgen Sie dafür, dass wir hier eine Alternative bekommen, die uns vor allen Dingen in der zeitlichen Perspektive hilft, Kosten zu vermeiden! Nun zu dem Thema der fairen Kostenverteilung. Gestern haben wir diese unsägliche Debatte gehabt. Ich habe gerade schon gesagt: Es sind Ihre 5,3 Cent, die Sie gestern zum Thema gemacht haben. Die Öffentlichkeit, denke ich, hat das auch gemerkt. Diese 5,3 Cent kommen zu 100 Prozent beim Kunden als Belastung an. Aber was heute hier zu Recht gesagt worden ist: Wir haben durch die erneuerbaren Energien auch Kostensenkungen im System. Wir haben beispielsweise beim Börsenstrompreis den Effekt, dass die erneuerbaren Energien in der Merit Order aufgrund ihrer geringen, gegen null tendierenden variablen Kosten den Börsenstrompreis senken. Das hat aber den paradoxen Effekt, dass das als doppelte Steigerung bei der EEG-Umlage ankommt. Also sorgt der Kostenvorteil, generiert durch erneuerbare Energien, für eine doppelte Steigerung der EEG-Umlage. Arbeiten Sie an diesem System! Denn daran ist etwas falsch. Dann werden wir es auch schaffen, dass die Kostenvorteile und nicht nur die Belastungen beim Endkunden ankommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie mussten ja auch gestern erfahren: Nicht die Ausnahmen für die wirklich stromintensiven, im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen sind das Problem, sondern das Problem ist Ihre Ausweitung dieser Ausnahmen auf zahlreiche Unternehmen, die zu diesem Kreis überhaupt nicht gehören. Das hat dazu geführt, dass zusätzliche Belastungen beim Endkunden entstanden sind, gerade auch bei den Haushalten, und dass Vorteile, die nicht sinnvoll sind, für Unternehmen, die diese Ausnahmen nicht brauchen, entstanden sind. Das ist keine faire Verteilung von Chancen und Lasten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen zulassen? Rolf Hempelmann (SPD): Ja, da kann ich mal einen Schluck Wasser trinken. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Lieber Kollege Hempelmann, Sie haben gerade angesprochen, dass die im letzten Jahr eingeführte Stufe der Entlastung für energieintensive Unternehmen diese Ausweitung bewirkt hat. Jetzt frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, dass diese Stufe in der Summe gerade einmal 10 Terawattstunden ausmacht und dass vorher bereits 150 Terawattstunden befreit waren? Sind Sie der Meinung, dass diese 150 Terawattstunden, die die rot-grüne Koalition bzw. wir in der Großen Koalition 2008 beschlossen haben, damit in Ordnung und gut sind? Rolf Hempelmann (SPD): Erstens. Selbst wenn die Zahlen – ich kann sie jetzt nicht prüfen – so stimmen: Es geht nicht allein um den Umfang, sondern auch um die Symbolik. (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) Wenn Sie Unternehmen befreien, die nicht zu dem Kreis der Privilegierten gehören sollten – dies aufgrund der Tatsache, dass sie eben nicht ausreichend stromintensiv sind, dass sie nicht im internationalen Wettbewerb stehen, dass sie keine Produkte herstellen, in deren Preis man zusätzliche Lasten hineinbringen kann, weil der Preis an internationalen Handelsplätzen gebildet wird –, dann ist jedes einzelne Unternehmen, das hier privilegiert wird, fehl am Platze und dann stört das die Akzeptanz dieses Instruments. (Beifall bei der SPD) Das Zweite ist: Sie haben diese Ausweitung der Ausnahmetatbestände nicht nur im EEG vorgenommen. Sie haben es zum Beispiel auch bei den Netztarifen gemacht. Da haben wir die schizophrene Situation, dass Unternehmen dabei sind, die nun mit produzierendem Gewerbe überhaupt nichts mehr zu tun haben. Wir haben Ihnen gestern die Liste genannt. Ich glaube, man muss das nicht wiederholen. Meine Damen und Herren, ich will zur Differenzierung darauf hinweisen, dass zwar auf der einen Seite in der Tat die Großhandelspreise sinken, dass aber auf der anderen Seite nicht jedes Industrieunternehmen, jedenfalls auf Sicht, gleichermaßen davon profitiert. Das hat etwas damit zu tun, dass sich viele Unternehmen an Terminmärkten oder auch bei Over-the-Counter-Geschäften vorsorglich mit Strom eindecken. Wir hatten die Situation, die Sie im letzten Jahr mit der hektischen Energiewende verursacht haben, dass die Preise deutlich gestiegen sind und Unternehmen sich am Terminmarkt oder bilateral mit Strom für die nächsten Jahre versorgt haben. Sie profitieren derzeit überhaupt nicht von den gesunkenen Großhandelspreisen, sondern erst dann, wenn diese Verträge ausgelaufen sind. Deswegen sage ich: Im Grundsatz stimmen die Behauptungen. Aber man muss noch einmal sehr differenziert hinschauen. Meine Damen und Herren, helfen Sie den Leuten, Kosten zu sparen. Zur fairen Verteilung gehört, dass man dafür sorgt, dass die Menschen, die es nicht von alleine können, beim Energiesparen Unterstützung erhalten. Wir haben dazu vielfältige Vorschläge gemacht. Jetzt werden sie aufgegriffen, von Umweltminister Altmaier allerdings nur verbal; gehandelt hat er bisher nicht. Er will etwas tun für die Energieberatung, er will auch im Bereich Wärme sowie im Bereich Mobilität etwas tun. Er will Effizienzmaßnahmen unterstützen. Kündigen Sie nicht mehr nur an, sondern handeln Sie in diesen Bereichen! Dann können Sie tatsächlich zeigen, dass Sie ein Herz für diejenigen haben, die zurzeit von den Kosten erdrückt werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Meierhofer für die FDP-Fraktion. Bitte. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Horst Meierhofer (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich bin wirklich ziemlich überrascht, wie Sie hier mit Wahrheiten umgehen, wie Sie hier die Tatsachen verdrehen, nur weil es Ihnen gerade in den Kram passt. Das ist wirklich unredlich von Anfang bis Ende. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Die Aussage, dass wir die Energiekosten durch die EEG-Umlage auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde hochgetrieben hätten und es bei Ihnen nur so wenig, 0,6 Cent, gewesen seien, (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist richtig und korrekt!) ist vollkommen richtig. Wissen Sie auch, warum? Weil Rot-Grün im Jahr maximal 0,92 Gigawatt erneuerbare Energie ausgebaut hat. Wir dagegen haben die beiden letzten Jahre 7,5 Gigawatt ausgebaut. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht der entscheidende Punkt! – Rolf Hempelmann [SPD]: Sie wollten es doch gar nicht!) Wir haben die erneuerbaren Energien ausgebaut; im Vergleich dazu ist bei Ihnen nichts passiert. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich habe ich keine EEG-Umlage, wenn ich die Erneuerbaren nicht ausbaue. Das ist genau der Punkt. Jetzt haben wir die Dynamik, dass der Preis nach oben geht. Deswegen kommen die Kosten. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre unter 3 Cent!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kelber zulassen? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Bitte keine Zwischenfrage zulassen! Wir wollen abstimmen!) Horst Meierhofer (FDP): Ja, gern; so viel Zeit muss sein. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Ulrich Kelber (SPD): Herzlichen Dank. – Man kann ja die vielen Zahlen, die vorgetragen wurden, auf eine reduzieren: In den vier Jahren schwarz-gelbe Koalition gab es in der Tat einen massiven Ausbau der Erneuerbaren. Ihre Vergütung hat sich, wenn man 2013 einkalkuliert, verdoppelt. Doch warum hat sich die EEG-Umlage in dieser Zeit dann vervierfacht? Horst Meierhofer (FDP): Das kann ich Ihnen sagen: Weil fast 50 Prozent der EEG-Umlage mit der Photovoltaik zusammenhängen, für die Sie und der Kollege Fell von den Grünen lobbyieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aus diesem Grund sind die Kosten insgesamt extrem angestiegen. Ich nenne die Zahlen bei der Photovoltaik: 0,92 Gigawatt, 7,5 Gigawatt, 7,3 Gigawatt, dieses Jahr wieder über 7 Gigawatt. Die Vergütung für Photovoltaik ist viel höher, sie liegt bei 20 bis 30 Cent pro Kilowattstunde. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Ich habe gesagt: Vergütung verdoppelt, Umlage vervierfacht!) So viel rechnen müssten Sie doch können, dass Sie sehen, dass es einen Unterschied macht, ob man für 6 oder 7 Cent pro Kilowattstunde die Windkraft ausbaut oder, wie Sie früher, für 43 Cent oder, wie wir jetzt, für 19 Cent die Photovoltaik. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Natürlich ist es dadurch teurer geworden. Wir haben die teuren erneuerbaren Energien ausgebaut. (Ulrich Kelber [SPD]: Vergütung verdoppelt, Umlage vervierfacht!) – Sie haben es immer noch nicht verstanden, oder? Sie wollen es nicht verstehen. Es ist doch selbstverständlich, dass diejenigen Energien am meisten ausgebaut wurden, die die teuersten waren. (Ulrich Kelber [SPD]: Vergütung verdoppelt, Umlage vervierfacht!) Wissen Sie auch, warum? Weil die Rendite am höchsten war. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie sammeln doppelt so viel Geld, um halb so viel auszugeben!) Wissen Sie auch, warum die Rendite am höchsten war? Weil Sie sich in allen Gremien, wo Sie die Möglichkeit dazu hatten, dagegen gewehrt haben, die Vergütung vernünftig zu kürzen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist die Wahrheit: Sie haben aus Lobbyinteressen heraus jedes Mal die Prozesse monatelang verzögert. (Ulrich Kelber [SPD]: Vergütung verdoppelt, Umlage vervierfacht!) Wir sind mittlerweile zwar bei 19 statt 42,7 Cent für eine Kilowattstunde Photovoltaik. Die Kosten sind aber genau deswegen so langsam gesunken, weil Sie sich immer quergestellt haben. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! Bei jeder notwendigen Reduktion!) Und jetzt sollen wir dafür verantwortlich sein, dass es so teuer geworden ist? Das schlägt dem Fass den Boden aus. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Vergütung verdoppelt, Umlage vervierfacht!) Seien Sie doch wenigstens so ehrlich, zu sagen: Wir wollen diese hohe Vergütung; es ist uns egal, dass das zu sozialen Zerwürfnissen führt; es ist uns egal, dass von unten nach oben umverteilt wird; wir sind der festen Überzeugung, das ist richtig; der Strompreis kann gar nicht hoch genug sein, weil Strom per se nicht verbraucht werden soll. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie sammeln viermal so viel Geld, um doppelt so viel auszugeben!) – Sagen Sie das den Leuten ehrlich und offen; dann werden Sie einmal ein realistisches Ergebnis bekommen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber dazu sind Sie nicht bereit. Mit Krokodilstränen reden Sie von Sozialtarifen. Dabei sind Sie diejenigen gewesen, die die Großindustrie – Betriebe, die 10 Gigawatt abnehmen – ausgenommen haben. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist doch in Ordnung!) Natürlich wird diese besondere Berücksichtigung der Großindustrie in Anspruch genommen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur die! Die und nicht alle!) – Sie wollen uns vorwerfen, dass wir neben der Großindustrie, von der Sie lobbyiert werden, (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen lauter Geschenke!) auch die Mittelständler, die im internationalen Wettbewerb stehen, ausnehmen? (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schaden dem Mittelstand! Das ist der Punkt!) Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Seit wann sind Sie denn ausschließlich für die Großkonzerne? (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Seit wann haben Sie ein Problem damit, wenn Mittelständler, die im internationalen Wettbewerb stehen, auch entlastet werden? Ich halte das für eine Absurdität sondergleichen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt, lieber Kollege Fell, würde ich gern mal darauf hinweisen, was die tatsächlichen Kosten ausmacht. Wenn Sie genau zuhören, werden Sie feststellen, dass Ihre Aussage vollkommen verkehrt war. Gestern habe ich leider gehört, dass es hier absolut nicht möglich ist, von einer Lüge zu sprechen; dass das unparlamentarisch ist. Mir fällt jetzt kein passendes Wort dafür ein, wie man es nennen sollte. (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der FDP und der CDU/CSU: Die Unwahrheit!) Gerade einmal 0,1 bis 0,2 Cent pro Kilowattstunde macht unsere Reform, dass wir die Mittelständler entlasten, aus. Das sind 2 Prozent dessen, was Sie beschlossen haben. Es ist vollkommen absurd, so zu tun, als würden wir es teuer machen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kanzlerin hat unsere Zahlen verwendet! 0,5 Cent!) Sie haben es teuer gemacht, weil Sie nicht bereit waren, zu akzeptieren, dass sich internationale Investoren die Taschen auf Kosten des kleinen Mieters vollgestopft haben. Das ist Ihr Verdienst. Das werden wir jetzt beenden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kanzlerin hat es verstanden, aber Sie nicht! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Die Lobby von Herrn Fell!) Jetzt kommt mein Lieblingspunkt. Wenn man sich mit Leuten von energieintensiven Unternehmen unterhält, dann bekommt man klare und eindeutige Aussagen. Es wird gesagt: Das ist eine Existenzfrage. Die Energie- und Stromkosten seien die zweithöchsten in ganz Europa. Wir wären erledigt, wenn es keine Ausnahmen gäbe. – Also: Sie haben es damals mit Ihren Ausnahmen richtig gemacht, nur gehen sie nicht weit genug. Und was sagen Sie? Sie sagen: Es gibt aber Firmen, die das genau andersherum sehen. Der Kollege Krischer hat -darauf hingewiesen, und es steht auch in Ihrem wunderbaren Antrag. Dem Unternehmen Norsk Hydro geht es wunderbar und deshalb erhöhen sie die Produktion; das hat Herr Krischer gesagt. Die weit verbreitete Sorge, dass die Energiewende gerade energieintensive Unternehmen hart treffen werde, hat sich als unbegründet erwiesen. Das schreiben die Grünen. Im Gegenteil: Die günstige Strombeschaffung hat kürzlich den Aluminiumhersteller Norsk Hydro zu dem Plan bewogen, seine Produktion in Deutschland deutlich zu erhöhen. Der Industriestandort Deutschland profitiert also auch in stromintensiven Branchen von der Umstellung auf erneuerbare Energien. Das steht in dem Antrag. Herr Krischer hat es bestätigt. Die Zitate, die ich gerade genannt habe – nämlich Existenzfrage; die Strompreise seien die zweithöchsten in Europa; wir wären erledigt, wenn es keine Ausnahmen gäbe – kommen zufälligerweise von Herrn Bell. Oliver Bell heißt der Herr. Er ist Vorsitzender des Aufsichtsrates von Norsk Hydro. Man könnte jetzt vermuten, der Mann weiß nicht, wovon er spricht, oder er hat den Verstand verloren, weil es das Gegenteil von dem zu sein scheint, was sie machen. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An den Investitionsentscheidungen müssen Sie es messen!) Darum haben wir uns in meinem Büro die Mühe gemacht und bei dem Unternehmen nachgefragt. Das Telefonat hätten Sie hören sollen. Sie hätten hören sollen, was sie dazu gesagt haben, dass Norsk Hydro für Ihren dünnen, jämmerlichen Lobbyantrag missbraucht wird. Und Sie hätten hören sollen, was sie dazu gesagt haben, dass sie dafür in Haftung genommen werden, dass sie wegen der günstigen Strompreise hier ausbauen. Wissen Sie, was sie wirklich gemacht haben? Sie haben im Jahr 2005, also kurz nachdem Sie aus der Regierung ausgeschieden sind, ihre Produktion in Deutschland auf 20 Prozent reduziert, also um 80 Prozent. Das lag an der Unklarheit, wie es auf europäischer Ebene weitergeht. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir nicht mehr dabei waren, haben sie es runtergefahren – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unklarheit wegen des Regierungswechsels!) Sie haben nicht gewusst, wie es mit der Bundesregierung weitergeht, ob wirtschaftsverträgliche Regelungen angekündigt werden. Nachdem dies geschehen ist, haben sie jetzt die Produktion auf 70 Prozent erhöht. Es ist so was von schäbig, zu unterstellen, dass diejenigen, die wegen Ihrer Politik einen Großteil der Produktion ins Ausland verlagert haben, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nach unserer Politik!) sich über Ihre Politik freuen. Ich sage Ihnen: Wenn Sie so etwas noch einmal machen, dann erzählen Ihnen die Firmen etwas. Uns haben sie es gesagt. Sie haben gesagt: Die Grünen wissen genau, dass sie Quatsch erzählen. Sie sagen es aber trotzdem, weil ihnen die Wahrheit an dieser Stelle vollkommen egal ist. Sie tun es nur für PR, um die Leute zu überraschen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Da machen wir nicht mit. Wenn Ihre Fairness darin besteht, dass man im Bundesrat blockiert, wenn die Kosten sinken, wenn es Ihre Fairness ist, dass man, wenn es um die Gebäudesanierung geht, bei der man viel CO2 einsparen könnte, sich dauernd daneben verhält, weil Sie nicht bereit sind, sich an den Kosten, die alle, auch die Länder, betreffen, zu beteiligen, dann gute Nacht, Deutschland! Wir machen es so, dass es für alle verträglich ist. Wir haben Ihnen Vorschläge vorgelegt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Horst Meierhofer (FDP): Sie machen hier nichts außer Propaganda. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Eva Bulling-Schröter das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ökologischer Umbau und sozialer Ausgleich müssen Hand in Hand gehen. Diesen Satz aus Ihrem Antrag unterstützen wir voll und ganz. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wunderbar!) Ich hoffe auch, Sie meinen es ernst; (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!) denn in der Regierungszeit von Rot-Grün wurden eine Menge neuer Instrumente eingeführt, die auf den Strompreis wirken. Aber den richtigen sozialen Ausgleich dafür gab es leider nicht. Auch der im Jahr 2005 eingeführte Emissionshandel hat die Energieversorger reich gemacht, aber bisher leider kaum zum Klimaschutz beigetragen. Gab es irgendwann Geld, um für Haushalte die Strompreiseffekte des CO2-Handels abzufedern? Nein. Es gab auch keine Mittel, um die miese Verteilungswirkung der Ökosteuer auszugleichen. Wir haben das angemahnt. Kein Cent ging in Richtung Bedürftiger, auch nicht unter Schwarz-Gelb, die es immer anmahnen. Sie machen wirklich den Bock zum Gärtner. (Beifall bei der LINKEN) Klar ist: Der beste Schutz vor steigenden Preisen besteht darin, die Energieeffizienz, Energieeinsparungen zu erhöhen sowie Kohle und Öl abzulösen; denn die werden immer knapper und teurer. Gleichzeitig müssen wir aber die Energiewende sozial absichern – darum geht ja der Streit: Wer ist sozialer? – (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind sicher sozialistischer!) und die Kosten fair verteilen, Kollege Meierhofer. Darum hat die Linke ein Sieben-Punkte-Programm erarbeitet, das diese Aspekte enthält. Uns geht es darum, die Privilegien der Industrie abzubauen, die unberechtigt sind. (Beifall bei der LINKEN) Es kann nicht sein, dass große Stromverbraucher mithilfe des EEG Geld verdienen, etwa weil sie von dem sinkenden Börsenpreis durch die Vorrangregelungen des EEG profitieren, selbst aber kaum EEG-Umlage zahlen, Kollege Lämmel. Befassen Sie sich doch einmal mit diesen Themen; das Wirtschaftsministerium hat ja bestätigt, dass es diese Probleme gibt. Jetzt wende ich mich an die Grünen. Ich verstehe Folgendes nicht: In Ihrem Antrag fordern Sie, dass die energieintensiven Unternehmen lediglich 0,5 Cent Umlage als Ausgleich für den preissenkenden Merit-Order-Effekt – ich habe ihn schon erklärt – zahlen sollen. Dieser beträgt aber doch 0,9 Cent; das schreiben Sie selbst. Das heißt also: Auch hier wird den Großverbrauchern noch etwas gegeben. Wir haben einmal für einen Alubetrieb berechnet, wie sich das auswirken würde, und kommen auf einen Betrag von 20 Millionen Euro – und das ohne Leistung. Das ist ein bisschen viel, oder? Einige Ausnahmen halten auch wir für berechtigt. Die Linke will nicht leichtfertig Arbeitsplätze aufs Spiel setzen. Das haben wir auch in unserem Antrag im Frühsommer bereits x-mal gesagt. Weiterhin brauchen wir eine effektive Stromaufsicht im Endkundenbereich. Denn der Großhandelsmarkt und die Netze werden natürlich überwacht; denn – kein Wunder – die Industrie hat Interesse an niedrigen Strompreisen. Die Preisbildung für Endverbraucher hingegen interessiert offensichtlich niemanden. Das ist ebenfalls kein Wunder; denn hier geht es ja nur um die privaten Haushalte und nicht um die Konzerne. Der ganze Spuk kostet eine Familie rund 70 Euro im Jahr, und das betrifft nur diesen Tatbestand; es kommt noch einiges andere hinzu. Darüber hinaus müssen wir über die Stromsperren reden. Das ist wichtig. Stromsperren sind asozial, hierzu habe ich gestern schon etwas gesagt. (Beifall bei der LINKEN) Reden müssen wir zudem über eine Abwrackprämie für Stromfresser im Haushalt, damit die Leute Energie sparen können. Man kann den Leuten doch nicht sagen, sie sollen Energie sparen, weil die Preise steigen, und dabei wissen sie überhaupt nicht, wie das funktioniert. Das geht gar nicht. Wir wollen ein Stromtarifmodell, in dem wir Effizienz und soziale Gerechtigkeit miteinander verbinden. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen mehr Geld in die energetische Gebäudesanierung fließen lassen; das ist aus sozialen Gründen dringend notwendig. Wir wissen, dass viele Menschen bereits aus ihren Wohnungen ausziehen mussten, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen konnten. Nicht zuletzt – da stimmen wir mit den Grünen nicht überein – wollen wir die Stromsteuer senken. Ihre Lenkungswirkung ist marginal. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Linke als Steuersenkungspartei!) Wir setzen auf das Lenkungsinstrument EEG, Kollege Meierhofer, und hier darf eben nicht gesenkt werden, wie Sie es immer fordern. Wir wollen das EEG ausbauen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, Ihre Zeit ist abgelaufen. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Meine Zeit ist leider für heute abgelaufen. (Horst Meierhofer [FDP]: Ich komme wieder, keine Frage!) Der ökologische Umbau kann nur sozial gestaltet werden, oder er wird auf Dauer nicht akzeptiert werden. Deshalb brauchen wir soziale Strompreise. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich hätte mir wenigstens einen Minimalkonsens gewünscht, der gelautet hätte: Jawohl, dieser Energieumbau kostet viel Geld. Wir müssen über die Frage diskutieren, wie das Ganze verteilt werden soll und wie wir vorgehen wollen. Stattdessen erleben wir eine Feigenblattdiskussion erster Güte, eine Haltet-den-Dieb-Debatte, (Rolf Hempelmann [SPD]: Habt ihr gestern angefangen!) bei der die eine Seite des Hauses versucht, der anderen Seite den exorbitanten Anstieg der EEG-Umlage in die Schuhe zu schieben. Das ist schon bemerkenswert. Wenn gute Katholiken über Schuld und Unschuld sprechen, geht es mit der Erforschung des eigenen Gewissens los. Hier haben Sie einiges auf dem Kerbholz. (Florian Pronold [SPD]: Wer frei von Schuld ist, der werfe den ersten Stein!) Ich möchte darauf hinweisen, dass die Freiflächenphotovoltaik-Einspeisevergütung im Jahr 2003 45,7 Cent und im Jahr 2005 noch 43,4 Cent betrug. Wenn man in dem Tempo, das Sie da vorgegeben haben, weitergemacht hätte, wären wir heute noch bei einer Vergütung in der Größenordnung von 30 Cent pro Kilowattstunde. Es ist Legendenbildung, wenn hier manche behaupten, sie hätten die notwendige Reduzierung der Einspeisevergütungen im Solarbereich mit großer Wonne unterstützt. Das ist einfach falsch. Sie wissen ganz genau, dass die Altlast, die das EEG mitschleppt, der Sprengsatz dieses Gesetzes, die Tatsache ist, dass Sie mit der Photovoltaik zu früh an den Markt gegangen sind, als es noch zu teuer war. Das ist das Problem. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es ist auf ganz besondere Art und Weise unredlich, uns das jetzt in die Schuhe schieben zu wollen und zu sagen: Schaut her! Die haben die böse Industrie von der Umlage befreit. Deshalb ist das so teuer. Nun gestehe ich den Linken zu, dass sie das tun, was sie an der Stelle immer tun, nämlich auf ihre Klientel schielen und sagen: Wichtig ist, dass die Hartz-IV-Empfänger befreit sind. Wir schenken ihnen auch noch einen Kühlschrank. Dann ist die Welt wunderbar. – (Zuruf von der LINKEN: Das ist ja peinlich!) Das gestehe ich Ihnen zu; aber das interessiert hier wirklich niemanden. Wenigstens von der SPD, die in der Großen Koalition bei dem Thema mit dabei war, (Ulrich Kelber [SPD]: Wir waren nicht mit dabei! Ihr habt uns blockiert!) hätte ich aber erwartet, dass sie sagt: Freunde, es ist vollkommen richtig, dass man die energieintensive Industrie in Deutschland von der EEG-Umlage befreit; wir sind da auf dem richtigen Weg. – Das hätte ich von Ihnen erwartet. Herr Krischer, Ihr komischer Vergleich mit dem Durchschnitt ist im Übrigen Unfug. Denken Sie daran: Deutschland ist die letzte Industrienation in Europa. Es kommt nicht darauf an, ob wir knapp über oder knapp unter dem Durchschnitt liegen, sondern darauf, dass wir diesen Status halten; das ist entscheidend. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Das können wir nur tun, wenn wir dieses Thema auch im internationalen Bereich sehr präzise angehen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Nüßlein, der Kollege Lenkert möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie sie zulassen? Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Ja, bitte schön, gerne. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Herr Kollege Nüßlein, ich stelle eine Frage zu den Offshorewindparks, die von Ihrer Koalition bevorzugt werden. Stimmen Sie mir zu, dass Sie den Betreibern der Offshorewindparks mehrere Geschenke unterbreitet haben, indem Sie erstens eine Vergütung für die Offshorewindenergie in Höhe von 15,9 Cent pro Kilowattstunde durchgesetzt haben – sie ist übrigens höher als die Vergütung für Solarstrom –, zweitens den Netzkunden die Kosten für den Anschluss der Offshorewindparks an die Koppelpunkte an Land aufgedrückt haben und Sie jetzt drittens als Krönung dafür gesorgt haben, dass die Netzkunden, die nichts dafür können, die Versicherung bezahlen müssen, die einspringt, wenn Windparks nicht rechtzeitig angeschlossen werden bzw. es in Zukunft zu Ausfällen kommt? Allein die Kosten der Versicherung gegen das Risiko ausfallender Nutzungsstunden in den Offshorewindparks betragen 1 Milliarde Euro; dieses Geschenk haben Sie den Betreibern gemacht. Stimmen Sie mir zu, dass dies Ihre Politik ist, die nicht über die EEG-Umlage, aber über die Netznutzungsentgelte dazu führt, dass die Kosten der Endverbraucher um 1 bis 2 Cent je Kilowattstunde steigen? Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Sie haben die Tragweite Ihrer Frage zum Schluss Gott sei Dank selber relativiert; denn Sie haben immerhin – das billige ich Ihnen zu – die Kosten richtig zugeordnet. Sie stimmen mir doch hoffentlich zu, dass das, was Sie gerade angeführt haben, nichts mit der Steigerung der EEG-Umlage zum jetzigen Zeitpunkt zu tun haben kann. (Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist ja heute auch nicht das Thema! Da oben steht das Thema! Verteilung der Kosten der Energiewende ist das Thema!) Das ist doch wohl Fakt. Deshalb ist Ihre Frage an dieser Stelle komplett unsachgerecht. Aber ich räume ein, dass es uns auch darum gehen muss, das Thema Offshorewindenergie – da gab es bis dato einen Konsens; Sie sind offenkundig bereit, ihn zu kündigen – angesichts der größeren Zahl der Laststunden bei der Energiewende zu berücksichtigen. Da geht es am Schluss natürlich auch um die Frage: Wer trägt welche Risiken? Wie gestalten wir dies, dass am Schluss noch investiert wird? Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir redlich und ernsthaft darum ringen, diese Risiken gerecht zu verteilen. Sie sollten jetzt nicht noch eine Nebelkerze zünden; aber das tun Sie, um die Verwirrung komplett zu machen. Es geht Ihnen nämlich bei diesen Debatten permanent darum, die Verwirrung komplett zu machen, anstatt zu sagen: Jawohl, diese Energiewende ist teurer. – Wir müssen letztendlich über die Frage reden, wie wir damit umgehen. (Florian Pronold [SPD]: Keine Antwort auf die Frage!) Ich sage Ihnen ganz offen: Es hat mich ernsthaft geärgert, dass Kollege Trittin und Ihr Parteivorsitzender, Herr Özdemir, in letzter Zeit Unwahrheiten verbreitet haben. Das ist schon ein dreistes Ding. Ich gehe gar nicht auf die Zahlen ein; denn schon die Zahlen, die Quantitäten waren falsch. Sie haben nämlich immer von über 2 000 Unternehmen gesprochen, die von der Umlage befreit seien. Wenn man genau gelesen hätte, hätte man gesehen, dass das die Unternehmen sind, die entsprechende Anträge gestellt haben. Zum jetzigen Zeitpunkt sind etwas über 700 Unternehmen befreit. Wenn man weiter im Gesetz gelesen hätte, nicht Verwirrung hätte stiften wollen und nicht bewusst die Unwahrheit hätte sagen wollen, dann hätte man auch lesen können, dass nur das produzierende Gewerbe und der Schienenverkehr befreit werden können. Ein Golfplatz ist selbst bei der weitesten und naivsten Auslegung (Zuruf von der CDU/CSU): Wider besseres Wissen alles behaupten!) kein produzierendes Gewerbe. Wenn ich mir die Richtlinien der BAFA anschaue – ich könnte sie Ihnen im Einzelnen vorlesen, aber dafür reicht die Zeit leider nicht –, – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Aber vielleicht reicht die Zeit für eine Zwischenfrage. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): – dann finde ich auch dort keinen Golfplatz. Trotzdem tragen Sie diesen Golfplatz wegen des Verhetzungspotenzials monstranzartig vor sich her, damit Sie sagen können: Das sind die anderen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie tun so, als ob das das Negativbeispiel wäre, anhand dessen man zeigen könnte, welche bescheuerten Ausnahmen wir gemacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Nüßlein, möchten Sie die Frage von Frau Höhn zulassen? Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Ja. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der arme Herr Nüßlein. – Herr Nüßlein, können Sie bestätigen, dass zwei Golfplätze – einer liegt in Sonthofen – einen Antrag auf Befreiung von den Netzdurchleitungsgebühren gestellt haben und dass Sie bei den Netzdurchleitungsgebühren nicht den Faktor „Produktion“ berücksichtigt haben? Können Sie das bestätigen? Ja oder nein? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Nein!) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Frau Höhn, ich kann etwas dieser Art überhaupt nicht bestätigen, weil ich nicht weiß, wer welchen Antrag stellt. Das ist das Erste. Im Unterschied zu Ihnen – das ist der zweite Punkt – weiß ich auch nicht, wie dieser Antrag am Schluss beschieden wird; denn ich habe leider nicht so viel Augurenvermögen wie Sie. Dritter Punkt – und das halte ich für ganz entscheidend –: Ich habe von der EEG-Umlage gesprochen, und ich habe bis dato gedacht, dass auch Sie davon reden. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tue ich ja!) Jetzt reden Sie wieder von etwas anderem. Man muss schon wissen, wovon man redet, wenn man nicht nur zur Verwirrung beitragen will. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie wollen nur einseitig zur Verwirrung beitragen und rufen: Die Kosten haben die anderen verursacht. Wir haben nur gute Dinge gemacht. – Das ist falsch und unredlich, und das kann man Ihnen an der Stelle nicht durchgehen lassen. Reden Sie mit uns doch über vernünftige Dinge, beispielsweise über die Frage, wie man die EEG-Umlage berechnet. Das wäre eine spannende Debatte. Denn ich sehe, dass die Berechnung einen Zirkelschluss enthält und dass der Druck auf die Preise für Strom aus grenzkostenlosen erneuerbaren Energien dazu führt, dass die EEG-Umlage steigt. Man kann darüber diskutieren, wie man so etwas in Zukunft gestaltet. Das ist eine spannende Geschichte. (Rolf Hempelmann [SPD]: Dazu kommen doch keine Vorschläge von Ihnen!) Auch über die Frage der Verteilung der Lasten durch die EEG-Umlage kann man aus meiner Sicht diskutieren. Vielleicht fällt uns etwas ein, wie wir die EEG-Umlage, die 20 Jahre läuft, so gestalten können, dass auch die nachfolgende Generation – schließlich profitiert diese davon, dass wir in die Erneuerbaren eingestiegen sind und ohne variable Kosten Strom produzieren können – einen Teil dieser Lasten übernimmt. (Rolf Hempelmann [SPD]: Die übernimmt schon ganz andere Lasten!) Dazu gibt es intelligente Ideen. Dafür müssen Sie lesen, was die CSU dazu publiziert. Das ist hochspannend, nicht nur weil es von der CSU ist, sondern weil es – das hängt natürlich damit zusammen – intelligent ist. (Zuruf von der SPD: Da müssen Sie ja selber lachen!) Ich lade Sie ein, solche Diskussionen mit uns zu führen, und möchte Sie bitten, hier nicht am laufenden Band solche Verwirrungsaktionen zu starten. Schließlich haben wir morgen das Vergnügen, dasselbe Thema noch einmal miteinander zu bereden. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Ihr hättet ja auf eure Debatte gestern verzichten können!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Es ist verabredet,  die Vorlage  auf  Drucksache 17/11004 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Darüber gibt es Einvernehmen; jedoch ist die Federführung strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hingegen beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag von Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist dieser Überweisungsvorschlag abgelehnt. Zugestimmt haben die einbringende Fraktion und die Linke. Die übrigen Fraktionen waren dagegen. Ich lasse jetzt über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP abstimmen. Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Dieser Überweisungsvorschlag ist bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die SPD angenommen. Dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Jetzt rufe ich die Zusatzpunkte 6 a bis e auf: ZP 6 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-ÄndG) – Drucksache 17/9852 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/11053 – Berichterstattung: Abgeordneter Ingo Egloff b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Tobias Lindner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit im Wettbewerbsrecht verankern – Drucksachen 17/9956, 17/11053 – Berichterstattung: Abgeordneter Ingo Egloff c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Presse-Grosso gesetzlich verankern – Drucksachen 17/8923, 17/9989 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Instrumente zur Förderung der Medienvielfalt auf solide Datenbasis stellen – Drucksachen 17/9155, 17/11058 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Martin Dörmann Burkhardt Müller-Sönksen Kathrin Senger-Schäfer Tabea Rößner e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Dörmann, Siegmund Ehrmann, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Freiheit und Unabhängigkeit der Medien sichern – Vielfalt der Medienlandschaft erhalten und Qualität im Journalismus stärken – Drucksachen 17/10787, 17/11045, 17/11082 – Berichterstattung: Abgeordneter Reinhard Grindel Martin Dörmann Burkhardt Müller-Sönksen Kathrin Senger-Schäfer Tabea Rößner Ich weise darauf hin, dass wir später über Art. 3 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen namentlich abstimmen werden. Zu dem genannten Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Verabredet ist, eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Dr. Martin Lindner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Ich freue mich, heute die Debatte über die achte GWB-Novelle eröffnen zu dürfen. Der Bundeswirtschaftsminister und diese Koalition stärken damit die wettbewerblichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Diese Reform ist ein klares ordnungspolitisches Signal, mit dem Wachstumskräfte und der Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig gestärkt werden. Die Verbraucher profitieren genauso davon. (Beifall bei der FDP) Ich glaube, es ist uns vor allem gut gelungen, auf der einen Seite den Fokus klar auf kleine und mittlere Betriebe in Deutschland zu richten und auf der anderen Seite nicht ohne Not starke und große Unternehmen zu schwächen. Beispielsweise im Bereich des Presse- und Medienwesens ist das hervorragend gelungen. Wir lassen zu, dass gerade in den Bereichen, in denen einzelne Unternehmen bedroht sind, Fusionen zur Sanierung dieser Unternehmen stattfinden. Wir brauchen hier starke Medienunternehmen. Das ist ein ganz klares Signal für die Stärkung des Wettbewerbs im Medienbereich. Oftmals ist groß auch klein. Markenunternehmen beispielsweise haben große Marktanteile in ihren Branchen, aber bezogen auf den Lebensmitteleinzelhandel insgesamt haben sie nur einen kleinen Anteil am Marktsortiment. Deswegen freue ich mich, dass wir beispielsweise das Verbot des Verkaufs von Lebensmitteln unter Einstandspreisen um weitere fünf Jahre verlängern konnten. Auch dies ist ein starkes Signal. Wir wollen gerade im Handel in Deutschland Wettbewerb haben. Das tut den Verbrauchern gut, das sorgt für günstigere Preise. Das haben wir mit dieser Novelle richtig und gut gemacht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage Ihnen: Es war richtig und wichtig, auch öffentliche und gesetzliche Unternehmen in diese Novelle einzubeziehen. In dieser Auffassung unterscheiden sich die zwei Hälften dieses Hauses. Die linke Hälfte dieses Hauses sagt: Was öffentlich-rechtlich ist, was hoheitlich ist, was staatlich ist, ist gut und bedarf keiner Kontrolle. Die vernünftige Hälfte des Hauses sagt: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist was?) Wer am Markt teilnimmt, muss sich auch der Aufsicht stellen, unabhängig davon, ob es staatliche oder private Anteilseigner gibt. (Beifall bei der FDP) Das gilt für den Bereich der Wasserversorgung und in anderen Bereichen. In der Vergangenheit haben gerade staatliche Monopolunternehmen für extrem hohe Preise gesorgt. Deswegen ist es richtig und vernünftig, dass wir ein Auge darauf haben und sich auch diese Unternehmen in Deutschland dem Wettbewerb und der Aufsicht stellen müssen. Ich komme zu den gesetzlichen Krankenkassen. Ich sage Ihnen: Auch was einem sozialen Zweck dient, auch was primär sozialgesetzlichen Regelungen unterstellt ist, kann Preisabsprachen treffen, kann zum Nachteil des Wettbewerbs verdrängen und fusionieren. Deswegen ist es richtig, dass die gesetzlichen Krankenkassen ab sofort der Fusionskontrolle in Deutschland unterliegen sollen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Absurd!) Nichts ist sozialer als ein gesunder, geregelter Wettbewerb in Deutschland. Nichts ist sozialer als dies. Nicht die Schaffung und Förderung von privaten oder öffentlichen Monopolen ist die zentrale Aufgabe des Staates, sondern die Herstellung und Stärkung von Wettbewerb. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das beinhaltet folgende Grundsätze: Erstens. Der Markteintritt muss gesichert werden. Zweitens. Es muss einen fairen Wettbewerb geben. Dies beinhaltet übrigens auch den Austritt aus dem Markt. Es beinhaltet auch, dass ein Unternehmenskonzept scheitern kann, wie das beispielsweise bei Quelle oder Schlecker der Fall war. Dazu gehört auch, dass der Staat nicht zulasten der -Mitbewerber, die erfolgreiche Unternehmenskonzepte haben, intervenieren kann. Drittens: Wachstum und Größe ermöglichen – auch das ist ein wichtiges Prinzip der Marktwirtschaft –, aber gleichzeitig dafür sorgen, dass die Größe von Unternehmen nicht zu Verdrängungen auf dem Markt führt. Ich glaube, diesen Grundsätzen wird diese Novelle in hervorragender Weise gerecht. Diese Koalition und dieser Bundesminister werden weiterhin dafür sorgen, dass wir Wettbewerb, Aufsicht und Fusionskontrolle zugunsten der Marktwirtschaft und vor allen Dingen zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland haben. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Ingo Egloff hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ingo Egloff (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die achte Novelle zur Änderung des GWB--Gesetzes hat drei Jahre gebraucht, um es hier ins Plenum zu schaffen, und in den letzten drei Wochen ist noch einmal hektisch an dem Gesetzentwurf herumgeschraubt worden, ohne dass man genau erkennen kann, warum. Das Ergebnis ist anscheinend der kleinste gemeinsame Nenner der Koalitionspartner. Jedenfalls sind Punkte, die einst wortgewaltig von Herrn Brüderle angekündigt worden sind, zum Beispiel Regelungen zur Entflechtung der Unternehmen, dabei sang- und klanglos auf der Strecke geblieben. (Beifall bei der SPD) Nicht ausreichend geregelt ist in dem Gesetzentwurf die Frage der Abschöpfung unrechtmäßig erlangter -Kartellgewinne. Wer wie das Kaffeekartell unrecht-mäßige Gewinne in Höhe von 860 Millionen Euro macht, der lässt sich auch durch ein Bußgeld in Höhe von 160 Millionen Euro nicht beeindrucken. (Beifall bei der SPD) Der wichtigste Kritikpunkt ist aus unserer Sicht aber die Einbeziehung der gesetzlichen Krankenkassen in den Bereich der Fusionskontrolle. Hier können wir wieder einmal die neoliberale Resterampe der FDP besichtigen. (Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP: Oh!) Ich hatte in den letzten drei Wochen erwartet, dass die Kollegen von der CDU/CSU – ich weiß von dem einen oder anderen, dass er überhaupt nicht damit einverstanden ist, dass die Krankenkassen einbezogen werden – diesen Punkt noch herausverhandeln. Aber anscheinend haben sie sich nicht durchsetzen können und müssen den Unsinn, den ihnen der liberale Koalitionspartner in diesen Gesetzentwurf geschrieben hat, hinnehmen. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Warum ist das Unsinn?) Diese Regelung hat in dem Gesetzentwurf nichts zu suchen. Sowohl nach deutschem als auch nach europäischem Recht sind Krankenkassen keine Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne. (Beifall bei der SPD) Sie sind Teil der mittelbaren Landes- bzw. Bundesverwaltung und laut Bundessozialgericht – hören Sie zu – „organisatorisch verselbstständigte Teile der Staatsgewalt“. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren! (Beifall bei der SPD) Die Fusionskontrolle ist überflüssig, weil die freiwillige Vereinigung von gesetzlichen Krankenkassen schon dem sozialrechtlichen Genehmigungsvorbehalt durch die Aufsichtsbehörde unterliegt. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: So ist es!) Der Bundesrat hat völlig recht, wenn er feststellt, dass das Verhalten der Krankenkassen weiterhin nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben und allein durch die für die Rechtsaufsicht über die jeweilige Krankenkasse zuständige Aufsichts-behörde beurteilt wird. Er stellt auch fest, dass einer Beteiligung des Bundes-kartellamts verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Florian Toncar [FDP]: Warum die Länder das wohl wollen?) Gesetzliche Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, die im Verhältnis untereinander und zu ihren Mitgliedern vom Solidarprinzip geprägt sind, sind nicht mit freien Unternehmen vergleichbar. Gesetzliche Krankenkassen sind Ausdruck des Sozialstaatsprinzips – auch wenn Ihnen das nicht gefällt, Herr Dr. Lindner – und deshalb zu Recht bisher von der Überprüfung durch die Kartellbehörden ausgenommen. Seien Sie sicher: Wenn wir regieren, ändern wir das wieder. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wird lange nicht der Fall sein!) Sie schaffen nicht nur überflüssige Doppelstrukturen auf der Genehmigungsebene, sondern Sie gefährden auf europäischer Ebene die Stellung der Krankenkassen. Wir laufen Gefahr, dass die Anwendung des Kartellrechts zur Folge hat, dass Krankenkassen nach europäischem Recht als Unternehmen eingestuft werden, unter Ausblendung des sozialstaatlichen Auftrages. Gesetzliche Krankenkassen sind zu einer kassenübergreifenden Solidargemeinschaft zusammengeschlossen, innerhalb derer ein Kosten- und Risikoausgleich erfolgt. Das Solidarprinzip lässt an dieser Stelle ein Gewinnstreben nicht zu, und darüber hinaus besteht die Verpflichtung, jeden Versicherungspflichtigen aufzunehmen. Sie gefährden aus ideologischen Gründen das System der gesetzlichen Krankenkassen. Das Kartellrecht passt hier nicht. Es ist systemwidrig, und deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer spricht für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute beschließen wir hier in zweiter und dritter Lesung die achte Novelle zum Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft. Der Grundgedanke der sozialen Marktwirtschaft ist nämlich die Wettbewerbswirtschaft. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) – Da sollten Sie auf der linken Seite nicht lachen, sondern gut zuhören, damit Sie vielleicht noch das eine oder andere lernen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Lassen Sie das „sozial“ mal weg!) Gerade dieser Wettbewerb ist ursächlich dafür, dass wir in diesem Land Fortschritt erzielen. Das GWB sorgt nämlich durch den Rahmen, dieses Grundgesetz, das es aufspannt, dafür, dass der Wettbewerb funktioniert und möglichst ungehindert ein vielgestaltiger Wettbewerb auf allen Märkten stattfindet, ganz im Sinne von Ludwig Erhard. Anders als in der reinen Marktwirtschaft oder in der menschenverachtenden Planwirtschaft nach Ihrem Gusto besteht in der sozialen Marktwirtschaft das Soziale darin, dass die Effizienzgewinne, die über den Wettbewerb im Markt gehoben werden, dem Verbraucher in allen Sektoren zugutekommen. Es bedarf also keiner sozialen Flankierung in dem Sinne, dass der Staat eingreifen muss. Vielmehr hebt der Wettbewerb die Effizienzpotenziale, die dem Verbraucher zugutekommen. Das ist der Kerngedanke der sozialen Marktwirtschaft. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Super! Jetzt habe auch ich es verstanden! – Heiterkeit bei der CDU/CSU) – Das freut mich, Volker. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Volker Kauder hat die soziale Marktwirtschaft verstanden! Sehr schön!) Mit dieser Rolle kam das GWB bisher sehr gut zurecht. Daher beschränkt sich diese Novellierung auf Verbesserungen in Kernbereichen der Fusionskontrolle, der Missbrauchsaufsicht und bei Verfahren wegen Kartellverstößen. Was wird konkret geregelt? Hervorzuheben ist hier die Verlängerung des Verbots der Preis-Kosten-Schere um weitere fünf Jahre. Der Wettbewerb auf dem Kraftstoffsektor ist noch nicht so, wie wir uns das vorstellen. Deshalb ist ein Gesetz in Vorbereitung – Stichwort Markttransparenzstelle –, das insbesondere die kleinen und mittleren Tankstellenbetreiber betrifft. Auch wird die spezielle Preismissbrauchsaufsicht für marktbeherrschende Strom- und Gasanbieter um weitere fünf Jahre verlängert. Dies ist notwendig, um in Bereichen, in denen der Wettbewerb noch nicht vollendet funktioniert, mit dem Hammer im Schrank dem Wettbewerb auf die Beine zu helfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zudem wird das wettbewerbliche Handeln der gesetzlichen Krankenkassen zukünftig dem Kartellrecht unterliegen. Darüber kann man in der Tat diskutieren. Aber durch die Reformgesetze der vergangenen Jahre im Krankenkassenbereich sind wesentliche wettbewerbliche Elemente in der Krankenversicherung gestärkt worden. Beispielsweise wurden die Möglichkeiten der Krankenkassen, Selektivverträge abzuschließen, erweitert. Auch können sie in erweitertem Umfang Wahltarife und Satzungsleistungen anbieten. Darüber hinaus haben wir seit 2011 den für die Kassen individuell eingeführten Zusatzbeitrag, der auch ein zentrales Unterscheidungskriterium im Wettbewerb darstellt. Wenn Bereiche, die bisher nicht im Wettbewerb standen, an den Wettbewerb herangeführt werden oder in den Wettbewerb überführt werden, ist es natürlich logisch, auch diese dem GWB zu unterstellen und in das Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft einzubeziehen. Die effiziente Versorgung der Patienten wird darunter nicht leiden. Konflikte mit dem Sozialrecht, am Beispiel „Kooperationsgebot der Krankenkasse“, sind nicht zu erwarten. Die Gefahr, dass die EU durch die Hintertür über den Wettbewerb in den Gesundheitsbereich eingreift, was wir uns nicht wünschen, sehe ich in Deutschland als nicht gegeben an. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Auch gemeinsames Handeln der Krankenkassen ist -zukünftig weiterhin möglich, beispielsweise beim -Mammografie-Screening. Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es um einen regelrechten Bauchladen von Themen, weil er alle betroffenen Sektoren behandelt. Der Handlungsspielraum kleinerer und mittlerer Presseunternehmen wird gestärkt. Die Aufgreifschwelle bei Fusionen von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen wird von 25 auf 52,5 Millionen Euro erhöht; dies stärkt die kleinen Verlage, den Mittelstand und die Medienlandschaft insgesamt. Auch sind Sanierungsfusionen zukünftig leichter möglich, als es bisher der Fall ist. Uns ist -lieber, dass kleine Verlage übernommen werden, als dass sie aus wirtschaftlichen Gründen ganz aus dem Markt ausscheiden. (Zuruf von der FDP: Sehr richtig!) Last, but not least wird das Presse-Grosso-System durch eine Betrauungslösung rechtlich abgesichert. Auch dies stärkt die Pressevielfalt, insbesondere im ländlichen Raum. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Gibt es eine Zwischenfrage? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Nein. Aber Sie sind schon seit 40 Sekunden über Ihrer Zeit. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Gemäß dem ehemaligen Vorsitzenden der Monopolkommission, Möschel, schließe ich, ganz wie es die Präsidentin wünscht, – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wie es Ihre Zeit vorsieht. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): – wie folgt: Die Erfahrung zeigt, daß da, wo Märkte funktionieren, jeder kriegt, was er will. Wir wollen, dass jeder kriegt, was er will. Deshalb hoffen wir nicht nur heute im Bundestag, sondern auch im Bundesrat auf Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kathrin Vogler hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Jetzt kommt das Gegen-modell: die Planwirtschaft!) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier und heute über die immerhin achte Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Wenn es dabei darum ginge, die Verbraucherinnen und Verbraucher und die kleinen und mittleren Unternehmen vor der Marktmacht der Großkonzerne zu schützen, dann würde die Linke ihr gerne zustimmen. Aber dazu ist sie leider völlig unzureichend. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer? Die Linke oder die Novelle?) Illegale Preisabsprachen schädigen die Verbraucherinnen und Verbraucher in Millionen- oder sogar Milliardenhöhe. Beim sogenannten Badezimmerkartell zum Beispiel schätzt man, dass es um einen Betrag von 7 Milliarden Euro ging. Die Linke fordert deshalb erstens deutliche Verbesserungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher im Klageverfahren. Zweitens wollen wir, dass die Geschädigten ihr zu viel gezahltes Geld unbürokratisch zurückbekommen, etwa durch einfachere Sammelklagen. Und: Ein Fünftel der Bußgelder soll der unabhängigen Verbraucherarbeit zufließen. (Beifall bei der LINKEN) Das leistet Ihr Gesetzentwurf leider nicht. Dabei könnten Sie hier wirklich etwas Gutes für die Verbraucherinnen und Verbraucher tun. Stattdessen verfolgt die schwarz-gelbe Bundesregierung die absurde Idee, das Kartellrecht jetzt noch mehr über die gesetzlichen Krankenkassen zu stülpen. Das ist aber völlig neben der Spur. Die gesetzlichen Krankenkassen sind keine Wirtschaftsunternehmen. Sie haben einen gesetzlichen Auftrag, der nahezu das gesamte Leistungsspektrum regelt. Ihre Versicherten sind keine Kunden, sondern Mitglieder; sie zahlen keine Versicherungsprämien, sondern Beiträge, und die Kassen dürfen keine Gewinne machen. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke sagt: So soll es bleiben. Wir wollen eine solidarische gesetzliche Krankenversicherung erhalten und sie zu einer Bürgerinnen- und Bürgerversicherung weiterentwickeln. Aber für die FDP und leider auch für große Teile der Union ist dies ein kaum erträglicher Fremdkörper im neoliberalen Weltbild. (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ei, ei, ei!) Sie predigen Ihren Glaubenssatz vom Wettbewerb der Kassen. Dazu gehört dann eben auch, dass Kassen nicht mehr zusammenarbeiten dürfen, wenn sie dadurch eine große Marktmacht erringen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Falsch! Das ist doch gar nicht wahr! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Dabei wäre genau diese Zusammenarbeit im Interesse der Versicherten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage, und zwar von Frau Aschenberg-Dugnus. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Sehr gerne. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Vielen Dank. – Liebe Frau Kollegin Vogler, ist Ihnen eigentlich bewusst, dass wir mit der vorliegenden GWB-Novelle eine entsprechende Anwendung des Wett-bewerbs- und Kartellrechts anordnen, eben keine unmittelbare? Ist Ihnen bewusst, dass mit der juristischen Formulierung „entsprechend“ dem Umstand Rechnung getragen wird, dass die Krankenkassen keine Unternehmen sind? Ist Ihnen weiterhin bewusst, dass bereits seit 2007 Vorschriften des Kartellrechts im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer ebenfalls entsprechend angewendet werden und dass niemand, auch nicht der EuGH, deswegen auf die Idee kommt, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, eine Einordnung der Krankenkassen als Unternehmen vorzunehmen? Ist Ihnen weiterhin bekannt, dass im EU-Kartellrecht ein funktionaler Unternehmensbegriff vorherrscht, das heißt, dass die Einführung der wettbewerblichen Elemente nicht dazu führt, dass die Krankenkassen künftig als Unternehmen einzuordnen sind? Ich frage mich, was zutrifft: Wissen Sie das, sagen aber etwas anderes, oder wissen Sie das nicht? In diesem Fall sollten Sie vielleicht Ihre Rede umschreiben. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Liebe Frau Kollegin, ich bedanke mich sehr für diese Frage, weil mir das ermöglicht, noch ein bisschen mehr auf Details einzugehen. Tatsächlich haben Sie offensichtlich auch gemerkt, welche Schwierigkeiten mit dieser GWB-Novelle ins Haus stehen, wenn Sie nicht nachbessern. Deshalb haben Sie uns gestern im Ausschuss ja auch noch einen Änderungsantrag vorgelegt, der den Kassen zumindest teilweise weiter gemeinsames Handeln erlaubt. Liebe Kollegin Aschenberg-Dugnus, das macht den gesamten Gesetzentwurf aber nicht besser, sondern allenfalls komplizierter. Meine Prognose ist, dass wir erleben werden, wie sich Heerscharen hochdotierter Consulting-Unternehmer, Berater, Juristen und Fachreferenten damit auseinandersetzen werden, wo jetzt die Grenze zwischen der von Ihnen mit diesem Gesetzentwurf erlaubten und der unerlaubten, weil kartellrechtlich zu kontrollierenden, Zusammenarbeit liegt. Das heißt, die Versicherten, die Patientinnen und Patienten, haben davon gar nichts, aber es gibt eine ganze Schar von Leuten, die dadurch wieder sehr gutes Geld verdienen werden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Vielen Dank für die Nichtbeantwortung der Frage!) Im Übrigen gibt es keinen einzigen Hinweis darauf, dass Ihre Art von Wettbewerb den Versicherten nutzt. Im Gegenteil: Er führt zur Konkurrenz der Kassen um junge und gesunde Mitglieder und zu Kostendrückerei zulasten Kranker. Der Versicherte wird im Krankheitsfall zum Kostenfaktor. Dieses Welt- und Menschenbild lehnt die Linke ab. Gesundheit ist für uns keine Ware. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt kurz noch einmal zur SPD. Herr Kollege Egloff, Sie gebärden sich hier ja sehr schön populistisch als Retter der Krankenkassen vor dem Wettbewerbsrecht. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das mit dem Populismus ist Ihnen ja fremd!) Erinnern Sie sich nicht mehr daran, dass Sie es waren, die die Krankenkassen mit den Wahltarifen, den Selektivverträgen, den Zusatzbeiträgen, den Prämien und anderen unternehmerischen Elementen in den ökonomischen Wettbewerb geschickt haben? Jetzt stellen Sie ganz überrascht fest, dass Sie mit dem Wettbewerb, den Sie wollten und den Sie gesät haben, Wettbewerbsrecht ernten. (Ingo Egloff [SPD]: Das stimmt doch nicht!) Die Linke sagt kategorisch: Im Gesundheitswesen darf es Wettbewerb nur und ausschließlich um die beste Versorgung von Patientinnen und Patienten geben. (Beifall bei der LINKEN – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Dafür ist das Kartellrecht doch da! – Gabriele Molitor [FDP]: Wir machen das doch für die Patienten! – Gisela Piltz [FDP]: Wissen Sie eigentlich, wovon Sie sprechen?) Darum müssen wir uns bei Ihrem Entschließungsantrag leider auch enthalten. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, die gesetzliche Krankenversicherung ernsthaft als soziales Umlagesystem erhalten wollen und zu einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung für alle ausbauen, dann schreiten wir gerne mit Ihnen Seit’ an Seit’. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Tobias Lindner. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Debatte zeigt: Wir sind uns in diesem Haus über zwei Dinge eigentlich einig: Erstens. Das Kartellrecht ist wichtig in unserer sozialen Marktwirtschaft. Wettbewerb ist kein Selbstzweck. Wettbewerb ist nicht aus sich heraus gut, nein, Wettbewerb soll sicherstellen, dass die Konsumentinnen und Konsumenten den Preis bezahlen, der einerseits für Produzenten kostendeckend ist, andererseits aber nicht übertriebene Gewinne ermöglicht. (Beifall des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP]) Zweitens. Eine Reform des Kartellgesetzes ist dringend notwendig; denn ein solches Gesetz muss immer wieder an die Zeichen der Zeit angepasst werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt aber eine Sache, über die wir uns gar nicht einig sind. Sie von der rechten Seite des Hauses haben hier diese Novelle, die in den letzten Tagen – man kann schon fast sagen: im Schweinsgalopp – durchgepeitscht wurde, in den Himmel gelobt. Mein Kollege Dr. Martin Lindner sprach eben von einem klaren Signal für das Wettbewerbsrecht. Nein, Herr Dr. Lindner, das ist alles andere als ein klares Signal. Was Sie hier vorlegen, ist vielmehr eine Nebelkerze. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe Ihnen etwas mitgebracht. Sie können es von dort aus vermutlich nicht erkennen. Es ist die Seite 18 Ihres Koalitionsvertrages. Dort schreiben Sie: In das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird als ultima ratio ein Entflechtungsinstrument integriert. Auch die Experten in der Anhörung und die Monopolkommission sind der Auffassung: Wir brauchen auch im Kartellrecht ein missbrauchsunabhängiges Entflechtungsinstrument als Ultima Ratio. Mit anderen Worten: Es ist in Oligopol und Monopol alles andere als leicht, einen Missbrauch nachzuweisen. Deshalb müsste diese Forderung in dieser Novelle des Kartellgesetzes stehen, und das tut sie nicht. Ich will auf einen anderen Punkt eingehen – ich habe es anfangs erwähnt –: Das Kartellgesetz, der Wettbewerb stehen im Dienst der Verbraucherinnen und Verbraucher. Wer, wenn nicht die Verbraucherinnen und Verbraucher, muss oftmals die durch Kartelle abgesprochenen überhöhten Preise bezahlen? Wer, wenn nicht die Verbraucherinnen und Verbraucher, kann dazu beitragen, dass Marktmissbrauch aufgedeckt wird, und wer, wenn nicht die Verbraucherinnen und Verbraucher, profitiert von fairem Wettbewerb? Meine Damen und Herren, meine Fraktion, wir fordern, dass die Belange des Verbraucherschutzes ins Kartellgesetz aufgenommen werden und dass Verbraucherverbände auch entsprechend gestärkt werden. Das ist dringend notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch geschehen!) Lassen Sie mich an dieser Stelle, gerade weil wir in einer parlamentarischen Debatte sind, noch einen Punkt erwähnen. Es geht mir um die Ministererlaubnis, darum, dass wir uns da nicht falsch verstehen. Da wollen wir die Bundesregierung nicht aus der Verantwortung lassen. Es ist richtig, dass der Bundeswirtschaftsminister die Verantwortung trägt, wenn eine seltene Ausnahme gemacht wird. Aber genauso wichtig und richtig ist es in einer parlamentarischen Demokratie, dass dann der Bundestag bzw. der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie das Recht zu einer Stellungnahme zu einer solchen Ausnahme hat und, wenn er anderer Auffassung ist, dann die Bundesregierung nochmals entscheiden muss. Das wollen wir im Kartellgesetz ergänzt sehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte auf einen allerletzten Punkt eingehen. Das Thema Krankenkassen ist vielfach angesprochen worden. Es ist völlig unstrittig, dass natürlich auch gesetzliche Krankenkassen beaufsichtigt werden müssen. (Beifall der Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP] und Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Das ist überhaupt nicht das Problem. Aber was das Problem ist – da blicke ich genau in Ihre Richtung, zu der Partei, die sich immer des Bürokratieabbaus rühmt –: Warum machen Sie das dann nicht über das Sozialgesetzbuch? Warum machen Sie eine Art doppelte Prüfung? (Beifall der Abg. Ingo Egloff [SPD] und Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Das ist alles andere als effizient. Nein, das ist ein neues Bürokratiemonster, das Sie hier aufbauen. Das wird noch eine Menge Konflikte geben. Ich komme zum Schluss. Die vorliegende Novelle des Kartellrechts macht eines deutlich: Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Diese Novelle programmiert die nächste Überarbeitung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen schon vor. Deshalb werden wir es heute in dieser Abstimmung ablehnen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär HansJoachim Otto. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Danke schön. – Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich als Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministeriums gemeldet, aber ich spreche hier natürlich auch als ein langjähriger Kultur- und Medienpolitiker. Deswegen will ich Ihnen eingangs ganz offen einräumen, dass manche der Änderungen im Pressebereich dem Bundeswirtschaftsministerium und mir persönlich gar nicht leichtgefallen sind. Wir haben das alles nicht leichtfertig gemacht. Das gilt insbesondere für die Bagatellanschlussklausel, die dazu führt, dass alle Verlage mit weniger als 1,25 Millionen Euro Umsatz pro Jahr ohne jede Überprüfung durch das Kartellamt übernommen werden können. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollten Sie doch gar nicht!) Das ist ein Zielkonflikt. Das will ich hier ganz offen kennzeichnen. Wirtschaftliche Ordnungspolitik, für die das Bundeswirtschaftsministerium ja steht, gebietet eine starke Wettbewerbskontrolle durch das Kartellamt. Weshalb also erleichtern wir im Pressebereich die Fusionskontrolle? Wir tun das, meine Damen und Herren, weil die Digitalisierung der Medien zu einer wirklich rasanten Marktveränderung geführt hat und in Zukunft noch weiter führen wird. Die Umsätze verschieben sich in immer größerem und immer schnellerem Umfang von Printangeboten hin zu digitalen Angeboten. Wir müssen deshalb insbesondere die kleinen und mittleren Verlage, die vor großen Umstellungen, vor großen Investitionen stehen, in die Lage versetzen, die Herausforderungen gemeinsam zu stemmen und sich leichter zusammenzuschließen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Deswegen haben wir die Aufgreifschwellen erhöht, deshalb haben wir die Sanierungsfusionen erleichtert, und deshalb haben wir auch die Bagatellanschlussklausel vorgesehen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Fusionen waren schon möglich!) Lassen Sie mich noch ein Wort zum Presse-Grosso sagen. Ich hätte es wirklich sehr begrüßt, wenn die im Gesetzentwurf vorgesehene europarechtliche Betrauung und kartellrechtliche Befreiung der Printverlage und des Grosso-Verbandes überflüssig geworden wären. Deswegen habe ich im Vorfeld alle Beteiligten und auch alle fünf Fraktionen zu mehreren Sitzungen eines runden Tisches eingeladen. Wir mussten dort allerdings feststellen, dass eine außergesetzliche Einigung leider nicht möglich war und auf der anderen Seite eine anstehende Klage gegen das Grosso-System die Gefahr heraufbeschworen hat, dass hier Schaden entsteht. Wir haben uns deshalb schweren Herzens – das will ich ganz klar sagen – zu dieser Gesetzesänderung durchgerungen, mit der wir gesetzgeberisches Neuland betreten. Wir hatten so etwas noch nicht. Es sind bereits – das muss man offen sagen – Klagen gegen diese Neufassung angekündigt. Diese Regelung ist allerdings dennoch unumgänglich, weil wir wissen, dass das bewährte Grosso-System ein Garant für die weltweit einmalige Pressevielfalt in Deutschland ist, für die Überallerhältlichkeit, für die Diskriminierungsfreiheit aller Presseerzeugnisse. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses bewährte Presse-Grosso-System in seinem Kern gefährdet oder gar zerstört wird. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Martin Dörmann [SPD]) Wir werden dadurch bestärkt, dass bis auf einen alle deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, der Grosso-Verband und auch alle fünf Fraktionen des Deutschen Bundestages hinter dieser Änderung stehen. Ich bin seit rund 20 Jahren Mitglied dieses Hohen Hauses. Ich kann mich nicht erinnern, dass es eine Änderung oder einen Vorschlag gegeben hat, der in diesem Detail von allen fünf Fraktionen dieses Hauses gemeinsam getragen wurde. Deswegen will ich hier abschließend feststellen: Alle fünf Fraktionen des Bundestages bekennen sich zur Pressevielfalt in Deutschland, bekennen sich zum Presse-Grosso-System, das diese Pressevielfalt sichert. Das ist immerhin eine gute Nachricht. Ich hoffe, dass es uns gelingen wird, mit dieser Änderung dazu beizutragen, dass wir diese einmalige Pressevielfalt auch in Zukunft erhalten können. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort der Kollege Martin Dörmann von der SPD. (Beifall bei der SPD) Martin Dörmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Fraktionskollege Ingo Egloff hat bereits prägnant dargelegt, warum wir heute die GWB-Novelle insgesamt ablehnen werden. Ich möchte aber einige ergänzende Anmerkungen zu den presserelevanten Bestimmungen machen und dabei auch auf den von der SPD-Fraktion vorgelegten Medienantrag eingehen, über den wir heute auch beraten. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein!) Für die SPD-Fraktion ist die Sicherung der Medienfreiheit und der Medienvielfalt von zentraler Bedeutung. Wir begrüßen es deshalb sehr – Herr Kollege Otto, Sie wissen das –, dass die Koalition unsere Forderung nach einer gesetzlichen Absicherung des Presse-Grosso-Vertriebssystems aufgegriffen hat und die bewährte Möglichkeit von freiwilligen Branchenvereinbarungen erhält. Das bisherige Presse-Grosso-System verhindert, dass größere Verlage bessere Konditionen als kleine Verlage erhalten, und trägt so entscheidend zu einer vielfältigen, diskriminierungsfreien und flächendeckenden Medienlandschaft bei. Die vorgesehenen Änderungen beim Pressefusionsrecht sehen wir differenziert. Wegen der besonderen Bedeutung der Presse für die Meinungsbildung und damit für unsere Demokratie ist es wichtig, dass hierfür auch weiterhin strengere Sonderregelungen gelten als im übrigen Wettbewerbsrecht. Richtig ist andererseits aber auch, dass wir in einer veränderten Medienwelt leben und dass insbesondere die Zeitungsverlage unter besonderen wirtschaftlichen Druck geraten sind. Vor diesem Hintergrund können wir eine vorsichtige Lockerung des Pressefusionsrechts mittragen, soweit hierdurch in einer Gesamtbetrachtung die Medienvielfalt eher gestärkt und eben nicht geschwächt wird. So halten wir eine Erleichterung bei der Sanierungsfusion in engen Grenzen durchaus für sinnvoll, um defizitäre Zeitungstitel überhaupt noch zu erhalten. Wettbewerbsrechtlich gerade noch vertretbar erscheint uns auch eine Erhöhung der Aufgreifschwellen für kartellrechtliche Verfahren. Ich will darauf hinweisen, dass das in der Anhörung des Wirtschaftsausschusses sowohl die Monopolkommission als auch das Bundeskartellamt entsprechend gesehen haben. Sie haben aber auch gleichzeitig betont, dass hierdurch eine rote Linie erreicht sei, und Sie haben vor weiteren Änderungen insbesondere bei der Bagatellanschlussklausel gewarnt. Herr Otto, ich habe Ihr schlechtes Gewissen herausgehört. Wir glauben, dass an dieser Stelle die Balance insgesamt doch nicht mehr stimmt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Falsch!) Wir kritisieren allerdings scharf, dass die Regierungskoalition einseitig nur auf wettbewerbsrechtliche Regelungen fokussiert ist und weitergehende, aber notwendige Maßnahmen zur Sicherung der Medienvielfalt und von Qualität im Journalismus verweigert. Die SPD-Fraktion hat hierzu einen umfassenden Antrag vorgelegt. Darin schlagen wir ein Maßnahmenbündel vor, um die Qualität, die Freiheit und die Unabhängigkeit der Medien in einer sich verändernden Medienlandschaft zu -sichern. Dies reicht von neuen Modellen zur Finanzierung von Journalismus bis hin zu Fragen der Medienordnung, die man natürlich gemeinsam mit den Ländern angehen muss. Im laufenden Haushaltsverfahren verweigert die -Koalition zudem die Finanzierung und ständige Aktualisierung einer Medienstatistik. Genau die ist aber Voraussetzung für belastbare Daten für zukünftige Entscheidungen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Insgesamt springt die schwarz-gelbe Koalition auch medienpolitisch deutlich zu kurz. Ich komme zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir laden alle Fraktionen ein, mit uns nicht nur beim Presse-Grosso für gemeinsame medienpolitische Lösungen einzutreten bzw. diese zu finden. Unsere Vorschläge jedenfalls liegen auf dem Tisch. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Kritik ist natürlich das Metier der Opposition. Ich hätte mich trotzdem gefreut, wenn wir – so wie es der Kollege Dörmann gerade exerziert hat – ein paar lobende Worte mehr insbesondere zu dem gehört hätten, was man hier beispielsweise im Bereich des Presse-Grossos implementiert hat. (Ingo Egloff [SPD]: Habe ich doch gemacht!) Nichtsdestotrotz gebe ich auch zu, dass ich den einen oder anderen kritischen Einwurf zum Thema Krankenkassen nachvollziehen kann. Ich bin aber der Auffassung, dass Sie sich damit auf den Regierungsentwurf beziehen und nicht auf das, was nach Veränderungen durch das Parlament hier heute zu beschließen ansteht. Meine Damen und Herren, wir haben dafür gesorgt, dass auf der einen Seite wichtige, gebotene und auch gesetzlich vorgegebene Möglichkeiten der Kooperation zwischen Krankenkassen ermöglicht werden, dass man auf der anderen Seite aber über die Fusionskontrolle auch sicherstellen kann, dass noch eine Vielzahl von Krankenkassen erhalten bleibt und dass auch da der Wettbewerb eine Rolle spielt. Darauf kommt es uns entscheidend an. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bei der anderen Thematik, die hier kritisch erwähnt wurde, handelt es sich um das Fehlen einer missbrauchsunabhängigen Entflechtungsbefugnis. Meine Damen und Herren, als wir das Thema am Beginn der Koalition diskutierten, taten wir uns alle miteinander schwer, Anwendungsbeispiele – und zwar solche, die rechtlich durchsetzbar sind – zu finden. Ich finde es hoch spannend, dass die SPD plötzlich einen Antrag formuliert und alle problematischen Märkte in ganz Deutschland aufführt, wo man dieses Instrument jetzt, weil es nicht kommt, angeblich hätte anwenden können, um mit diesem Allheilmittel alles zu klären und alles zu regeln. Meine Damen und Herren, Sie wissen präzise: Dieses missbrauchsunabhängige Entflechtungsinstrument wäre ein stumpfes Schwert gewesen. Es wäre auf der einen Seite verfassungsrechtlich höchst problematisch, auf der anderen Seite wäre es, wenn man es wirklich hätte anwenden wollen, so an Vorprüfungen und rechtliche Einschränkungen gebunden gewesen, dass es schier unmöglich gewesen wäre, damit etwas zu tun. Ein stumpfes Schwert, meine Damen und Herren! Trotzdem sage ich ganz offen: Auch mit einem stumpfen Schwert kann man Schaden anrichten, wenn die Falschen damit herumfuchteln. Deshalb ist es ganz gut – es kann ja einmal sein, dass jemand von Ihrer Seite damit fuchtelt –, dass wir das an dieser Stelle unterlassen und eben nicht in diese Novelle implementiert haben. Zum Thema „schwierige Märkte“ habe ich schon einiges erwähnt. Wir haben auch etwas zum Thema „Presse und Medien“ – was sich da verändert hat – gehört. Ich glaube, es ist ganz spannend, dass uns gerade das Thema Pressefusionskontrolle sehr beschäftigt hat. Wie stellt man sicher, dass auf einem Markt, auf dem die Auflagen so dramatisch zurückgehen – und zwar nicht deshalb, weil das von irgendeiner Politik beeinflusst wird, sondern weil die Mediennutzung so ist, wie sie ist –, die eine oder andere Tageszeitung letzten Endes trotzdem weiter existieren kann? Eben im Wege der Fusion. Ich halte es für wichtig, richtig, geboten und sinnvoll, dass man das dann so macht und sagt: Dann muss man ein bisschen großzügiger mit der Fusionskontrolle umgehen. In der Tat hat uns das Thema Presse-Grosso sehr intensiv beschäftigt. Ich bin dem Kollegen Otto ausdrücklich dankbar für seine Versuche, zu klären, welche Möglichkeiten zur Gestaltung es gibt. Denn der runde Tisch war letztendlich auch das, nämlich ein Ansatz, zu klären, was man tun kann, um ein jahrzehntelang geduldetes Kartell so abzusichern, dass es gegen Europarecht bestehen kann. Denn wir alle wissen, meine Damen und Herren, dass dieses Kartell, wenn es darum ging, Presseerzeugnisse flächendeckend auch im ländlichen Raum zu verteilen, dazu beigetragen hat, dass die Medienlandschaft in Deutschland anders aussieht als beispielsweise in Frankreich. Es ist auch ein spannendes Lehrstück, dass man erkennen muss, dass die Wettbewerbsbeschränkung an der einen Stelle für mehr Wettbewerb an der anderen Stelle sorgt. Wettbewerbsbeschränkung bei der Verteilung von Medien sorgt nämlich dafür, dass wir dann zwischen den Medien mehr Wettbewerb haben. Deshalb haben wir uns am Schluss durchgerungen, diesen Schritt zu gehen und beide, die Grossisten und die Verleger, mit einer Aufgabe zu betrauen, von der wir meinen, dass sie kulturell und auch national von besonderer Bedeutung ist. Die EU macht an dieser Stelle etwas Bemerkenswertes: Sie öffnet das Tor im Wege der Betrauung, Ausnahmen zu machen; dabei greift das europäische Kartellrecht nicht. Es war gut, Herr Kollege Otto, dass wir durch dieses Tor gegangen sind und die Gestaltungsmöglichkeiten nutzen, die die EU eröffnet. Man sollte nicht immer nur über die Kollegen in Brüssel schimpfen, sondern auch das regeln und gestalten, was sie uns in dieser Weise eröffnen. Das ist eine gute Sache. Ich hoffe, dass dieses Vorhaben jetzt nicht beim Thema Krankenkassen am Bundesrat scheitert oder eingeschränkt wird. Denn ich glaube, dass unser Presse-Grosso und unsere Medienlandschaft so wichtig sind, dass wir sehen sollten, dass diese Gesetzesnovelle zum Schluss auch durchkommt. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11053, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/9852 in der Ausschussfassung anzunehmen. Die Fraktion der SPD hat beantragt, über Art. 3 einerseits und über den Gesetzentwurf im Übrigen andererseits getrennt abzustimmen. Ich rufe zunächst Art. 3 in der Ausschussfassung auf. Die Fraktion der SPD hat namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze besetzt? – Gut. Dann eröffne ich die Abstimmung und bitte, die Stimmkarten einzuwerfen. Haben alle Kolleginnen und Kollegen Ihre Stimmkarte eingeworfen? – Dann schließe ich diesen Abstimmungsgang. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.1 Ich erteile jetzt das Wort zu einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung der Kollegin Elke Ferner. Bitte schön. Elke Ferner (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich melde mich deshalb jetzt hier zu Wort, weil es aus sozialpolitischer Sicht keine Kleinigkeit ist, worüber wir abstimmen. Im Kern geht es darum, ob die gesetzlichen Krankenversicherungen Sozialversicherungen bleiben oder ob sie als Wirtschaftsunternehmen betrachtet werden. Weil dies eine weitreichende und unabsehbare Folge hat, stimmen wir – auch ich – heute gegen die 8. GWB-Novelle. Wir stimmen gegen das Gesetz, weil Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, das Kartellrecht auf die gesetzlichen Krankenkassen anwenden. Dies widerspricht aus meiner Sicht in elementarer Weise dem Wortlaut und dem Geist des Sozialgesetz-buches V. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dort ist an vielen Stellen die Rede vom einheitlichen und gemeinsamen Handeln der Krankenkassen. Es gibt dort ein Gebot zur Kooperation, und das passt eben nicht mit der Anwendung des Kartellrechts zusammen, weil in diesem Gesetz ein Verbot der Kooperationen normiert ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir stimmen gegen das Gesetz, weil unterstellt wird, dass die gesetzlichen Krankenkassen Wirtschaftsunternehmen sind und es hier um einen Wettbewerb zwischen Unternehmen geht, der durch das Kartellamt überwacht werden muss. Die gesetzlichen Krankenkassen sind aber keine Wirtschaftsunternehmen, sondern solidarische, im Umlageverfahren finanzierte Pflichtsozialversicherungen, die für über 70 Millionen Menschen in unserem Land die notwendigen medizinischen Leistungen ohne jegliches Gewinnstreben zu günstigen Kosten sicherstellen müssen. Auch der EuGH hat in einem Urteil die Auffassung vertreten, dass die deutschen Krankenkassen eben keine Unternehmen sind. Nur deshalb gilt das europäische Wettbewerbsrecht für die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland nicht, Herr Minister. Wir stimmen gegen dieses Gesetz, weil durch die Anwendung des Kartellrechts auf alle Sozialversicherungen im nationalen Recht die Gefahr besteht, dass auch der EuGH unsere gesetz-lichen Krankenkassen als Unternehmen betrachtet und sie dann mit allen negativen Konsequenzen dem europäischen Wettbewerbsrecht unterworfen wären. Dann wären eben nationale Sonderregelungen nicht mehr möglich, und am Ende müssten die Versicherten die Zeche bezahlen. Wir stimmen gegen dieses Gesetz, weil mit den von CDU/CSU und FDP getragenen Änderungen die gesetzliche Krankenversicherung ihren Charakter als Sozialversicherung verlieren wird. Die solidarische Finanzierung, der Steuerzuschuss, die bewährte Selbstverwaltung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber auch die der Leistungserbringer, das Gebot zur Kooperation zwischen den Kassen, die Rechtsform der Körperschaften des öffentlichen Rechts bis hin zu den Gestaltungsmöglichkeiten dieses Parlaments werden durch diesen Gesetzentwurf ebenfalls zur Disposition gestellt. Wir stimmen gegen dieses Gesetz, weil dies der Einstieg in ein völlig anderes, in ein von privaten und privatisierten Versicherungsunternehmen getragenes Gesundheitssystem wäre, und das wollen die Menschen in Deutschland nicht, das wollen die Arbeitgeber nicht, das wollen die Gewerkschaften nicht, nicht die Sozialverbände und nicht die Patientenorganisationen, und die SPD will das auch nicht. Wir stimmen gegen dieses Gesetz, weil wir wollen, dass die Krankenversicherungen Sozialversicherungen bleiben und nicht zu Wirtschaftsunternehmen mutieren; denn Sie spielen mit einem der grundlegenden Eckpfeiler unserer Gesellschaft, auf dem auch ein großer Teil des sozialen Friedens in unserem Land beruht. Wenn der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen überhaupt einer weiteren Regulierung bedarf, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann muss diese im Sozialrecht und nicht im Kartellrecht erfolgen. Wir werden anhand der eben erfolgten namentlichen Abstimmung auch sehen, wer sich hier für Sozialversicherungen und den Erhalt der gesetzlichen Krankenversicherung als Sozialversicherung einsetzt und wer das nicht tut. Vor allen Dingen hoffe ich, dass Sie alle hier sich der Tragweite Ihrer Entscheidung bewusst sind. Ihre Länder werden dazu wahrscheinlich im Bundesrat eine für Sie vermutlich nicht sehr erfreuliche Position vorbringen. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung. (Unterbrechung von 19.31 bis 19.34 Uhr) Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 543. Mit Ja haben gestimmt 302, mit Nein haben gestimmt 241, keine Enthaltungen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 543; davon ja: 302 nein: 241 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Joachim Günther (Plauen) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Nein SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Manfred Zöllmer DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Heidrun Dittrich Werner Dreibus Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Agnes Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Ingrid Hönlinger Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Krista Sager Manuel Sarrazin Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Der Art. 3 des Gesetzentwurfs ist angenommen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmergebnis angenommen. Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11065. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung von SPD und Linken. Wir setzen die Abstimmungen zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 17/11053 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9956 mit dem Titel „Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit im Wettbewerbsrecht verankern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von SPD und Linken. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Presse-Grosso gesetzlich verankern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9989, den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8923 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Instrumente zur Förderung der Medienvielfalt auf solide Datenbasis stellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11058, den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9155 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? – SPD und Grüne. Enthaltungen? – Die Linken. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Freiheit und Unabhängigkeit der Medien sichern – Vielfalt der Medienlandschaft erhalten und Qualität im Journalismus stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11045 bzw. in seinem Bericht auf Drucksache 17/11082, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/10787 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Linken. Gegenstimmen? – SPD und Grüne. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Groß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Programm „Soziale Stadt“ zukunftsfähig weiterentwickeln – Städtebauförderung sichern – Drucksache 17/10999 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 40 Jahre Städtebauförderung – Erfolgsmodell für die Zukunft der Städte und Regionen erhalten und fortentwickeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Städtebauförderung auf hohem Niveau verstetigen, Forderungen der Bauministerkonferenz umsetzen – Drucksachen 17/6444, 17/6447, 17/8199 – Berichterstattung: Abgeordneter Peter Götz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Michael Groß von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Michael Groß (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den Städten zurzeit zwei große Herausforderungen. Die erste betrifft die Frage: Wie können die Menschen demnächst noch ihre Miete bezahlen, wenn in manchen Regionen 30 bis 50 Prozent des zur Verfügung stehenden Einkommens für das Wohnen ausgegeben werden müssen? Die zweite Herausforderung betrifft die Fragen: Wie wollen wir in den Städten leben? Was heißt gute Lebensqualität? Wie sieht die Zukunft der Menschen in den Städten aus? Die zweite Herausforderung hat damit zu tun, dass sich Menschen, insbesondere Familien, fragen: Wachsen unsere Kinder gesund auf? Welche Unterstützung finde ich im Stadtteil für meine Kinder? Gibt es Betreuungsangebote? Gibt es Spielplätze? Können sich die Kinder ihr Wohnumfeld aneignen? Identifiziere ich mich mit meinem Wohnumfeld? Der zweite Fragenkomplex lautet: Kann ich selbstbestimmt in meinem Stadtteil leben? Finde ich Arbeit? Finde ich Freunde, die mir helfen, wenn ich krank werde? Der dritte Fragenkomplex betrifft das Altwerden im Stadtteil in Würde: Finde ich Unterstützung, wenn ich Hilfe brauche, wenn ich krank bin? Kann ich in meinen eigenen vier Wänden alt werden? Ich glaube, dass die Bundesregierung zurzeit auf diese Fragen keine Antwort hat, weder auf die die steigenden Mieten betreffen noch auf die zur Lebensqualität in unseren Städten. (Beifall bei der SPD) Das Programm „Soziale Stadt“ hat alle Antworten geboten, die notwendig sind. Ich habe alle Akteure meines Stadtteils beteiligen können, um die Frage zu beantworten: Wie gestalte ich den Stadtteil, die Quartiere? Ich habe alle Themen abarbeiten können: Inklusion, Integration, gutes Leben, Altwerden im Stadtteil. Ich habe einen großen Teil der Bürger mobilisieren können. Sie haben das Programm seit 2009 systematisch zurückgefahren, Sie haben die Mittel um 60 Prozent, zum Teil um 70 Prozent gekürzt. Während im Jahr 2009 noch 48 Projekte neu aufgenommen werden konnten – da waren Sie noch nicht in der Verantwortung –, wurde im letzten Jahr nur ein Projekt neu in das Programm „Soziale Stadt“ aufgenommen. Sie haben das Programm vor die Wand gefahren, vor allen Dingen deshalb, weil sich die Kommunen und die Länder nicht darauf verlassen konnten, dass Planungssicherheit und eine verlässliche Finanzierung vorhanden sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir leben in einer Zeit der riskanten Chancen. Diese Aussage ist schon 30, 40 Jahre alt. Sie stammt von dem Soziologen Beck aus München. Diese Aussage ist immer noch ganz aktuell. Die Arbeiterwohlfahrt hat eine Studie zu Lebenslagen von Kindern herausgebracht. Man höre, wie der Titel heißt: „Von alleine wächst sich nichts aus …“ Je länger ein junger Mensch in Armut aufwächst, desto geringer wird die Chance für ein Wohlergehen, für ein gutes Leben, desto größer sind die Risiken. Der von Ihnen und anderen studierte Armuts- und Reichtumsbericht belegt eindeutig: Trotz wirtschaftlichen Wachstums haben wir ein zunehmendes Armutsrisiko in Deutschland. 12,8 Millionen Menschen sind gefährdet, insbesondere Kinder, Alleinerziehende, Frauen und ältere Menschen. 6,5 Prozent eines Jahrgangs, 60 000 junge Menschen in Deutschland, haben keinen Schulabschluss. 20 Prozent der Deutschen schaffen es nicht, einen höheren Bildungsabschluss zu bekommen als ihre Eltern. Nur 17 Prozent der Arbeiterkinder studieren. Man kann das zusammenfassen: Die Bundesregierung hat eine Studie in Auftrag gegeben zu „Trends und Ausmaß der Polarisierung in deutschen Städten“, aus der hervorgeht – ich zitiere –: … dass Bewohnerinnen und Bewohner mit niedrigem sozialen Status, geringer Qualifikation und unterdurchschnittlichem Einkommen oft konzentriert in Stadtteilen mit mangelhaftem Gebäudebestand und unterdurchschnittlicher Infrastruktur leben. Das ist der Befund, den Sie sich selber ausstellen. Dagegen wollen Sie nichts tun. Was trägt zur Stabilisierung in Stadtteilen bei? Es gibt ein Dutzend Faktoren. Ich glaube, über das Thema Bildung brauchen wir nicht zu reden. Außerschulische Förderung ist ein wichtiges Thema. Bereits in der U-3-Förderung im Kindergarten ist es notwendig, die Familien zu unterstützen. Wir müssen Netzwerke aufbauen, soziale Hilfen und vor allen Dingen vorbeugende Hilfen in Stadtteilen organisieren, in denen sich die Menschen nicht mehr selber helfen können. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger aktivieren. Das ist eigentlich das wichtigste Pfund, mit dem wir wuchern können; denn sie verfügen über Ressourcen und Kompetenzen. Diese dürfen wir nicht brachliegen lassen. Wir müssen daher in den Stadtteilen für Aufbruchstimmung sorgen und dürfen nicht zulassen, dass sich die Menschen abgehängt fühlen. (Beifall bei der SPD) Die „Soziale Stadt“ ist ein Erfolgsmodell. Wir haben jahrelang erlebt, dass die Städte und Länder mithilfe des Bundes erfolgreiche Arbeit geleistet haben. Ich möchte einen in Berlin geborenen Diplom-Wirtschaftsingenieur zitieren. Er sagt, durch die Zusammenarbeit mit dem Programm „Soziale Stadt“ habe er zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl gehabt, nicht mehr nur geduldeter Ausländer zu sein, sondern zu dieser Gesellschaft zu gehören. Wenn Sie Kinder befragen, sagen diese: Nachbarschaft ist wichtig. Die Menschen dort sind für uns Freunde und Bekannte, die wir jeden Tag sehen. – Nachbarn haben keine eigentlichen Aufgaben, ich halte es jedoch für meine Aufgabe, meinem Nachbarn zu helfen, wenn er Hilfe benötigt. (Peter Götz [CDU/CSU]: Das ist ja alles richtig! – Gegenruf des Abg. Sören Bartol [SPD]: Warum kürzen Sie es denn? – Petra Müller [Aachen] [FDP]: Das wird nicht mit Städtebauförderung geregelt!) Warum gerade Ältere von der Nachbarschaftshilfe profitieren, sagen Ihnen Menschen aus dem Stadtteil, die mit dem Programm „Soziale Stadt“ zu tun haben. Aufgrund dieses Programms erfahren sie Nachbarschaftshilfe, sodass sie im Bedarfsfall nicht die Tagespflege oder die Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen müssen, sondern zu Hause wohnen bleiben können. Deswegen fordern wir Sie auf, Ihre Kürzungen in der Städtebauförderung endlich zurückzunehmen, die Mittel für die „Soziale Stadt“ auf 150 Millionen Euro aufzustocken (Beifall des Abg. Sören Bartol [SPD]) und endlich Verlässlichkeit und Planbarkeit einzuführen. (Beifall bei der SPD) Wir schlagen Ihnen vor, das Programm „Soziale Stadt“ zu einem Leitprogramm zu machen. Dies sollte nicht nach defizitorientierten Maßstäben erfolgen; vielmehr sollte man ressourcenorientiert nach den Kompetenzen der Menschen Ausschau halten. Vor allen Dingen gilt es, übergreifend, koordinierend und kooperativ zu planen und zu handeln und die Menschen im Stadtteil zusammenzubringen, damit sie dort gut leben können. Wir fordern Sie auch auf, dafür zu sorgen, dass insbesondere die Kommunen diese Programme in Anspruch nehmen können. Nach dem KfW-Panel sind 40 Prozent der Kommunen dazu nicht in der Lage. Hier lassen Sie die Städte allein. Sie könnten jedoch mit wenig Mitteleinsatz viel erreichen. Ich komme zum Schluss. Willy Brandt hat vor circa 50 Jahren im Ruhrgebiet gesagt: Der Himmel über dem Ruhrgebiet soll wieder blau werden. – Das war nicht nur eine umweltpolitische Aussage, sondern damit haben die Menschen im Ruhrgebiet die Hoffnung verbunden, dass es ihnen einmal besser geht und dass sie sich darauf verlassen können, dass ihre Stadtteile ihnen ein besseres Leben ermöglichen. Herzlichen Dank und Glückauf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Götz von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Peter Götz (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Groß von der Opposition, jetzt lassen Sie doch einfach einmal die Kirche im Dorf und nehmen Sie die Realität wahr. Es ist diese Bundesregierung, die die Kommunen durch die Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung allein im Zeitraum von 2012 bis 2016 um über 20 Milliarden Euro entlastet. Das ist die größte Kommunalentlastung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Und dann kommen Sie heute her und beklagen, genau wie vor einem Jahr, in einer rückwärtsgewandten Debatte, dass der Bund nicht genug tut. (Michael Groß [SPD]: Macht er auch nicht!) Wenn Ihnen sonst nichts Besseres einfällt, begreifen Sie wirklich nicht, wie wichtig die Gesundung der Kommunalfinanzen eigentlich ist. (Sören Bartol [SPD]: Doch! Das eine schließt das andere nicht aus!) Chancen für die Übernahme eigener Verantwortung in freier Entscheidung sind besser als goldene Züge durch Bund und Länder mit immer stärker ausgestalteten lenkenden und bevormundenden Förderprogrammen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Da hast du aber mal anders drüber geredet!) – Lieber Kollege Sören, für uns haben auch eine solide Haushaltspolitik und das Einhalten der Schuldenbremse einen hohen Stellenwert. – Die Kostenübernahme der Altersgrundsicherung steht sinnbildlich für einen Paradigmenwechsel in der Bundespolitik. Anstatt wie in der Vergangenheit die Kommunen immer wieder mit neuen Aufgaben und Ausgaben zu belasten, stärken wir die Städte, Gemeinden und Landkreise nachhaltig. Die Früchte dieser Politik lassen sich auch an der Entwicklung der Gewerbesteuereinnahmen ablesen. Die meisten Kommunen – sicherlich nicht alle – sind wieder in der Lage, ihre eigenen gesetzlichen und freiwilligen Aufgaben selbst zu finanzieren. (Bernd Scheelen [SPD]: Gut, dass Sie den Koalitionsvertrag nicht umsetzen konnten!) Unabhängig von dieser positiven Entwicklung, Herr Kollege Scheelen, werden wir die Städte und Gemeinden auch zukünftig bei nötigen Investitionen im Bereich der Städtebauförderung und der Stadtentwicklung unterstützen. Dies gilt gerade auch für wirtschaftlich und sozial benachteiligte Stadtteile. Dafür – das ist seit mehr als 40 Jahren unstrittig – sind die Städtebauförderungsprogramme ausgezeichnet geeignet. Für uns ist ein ressortübergreifender, stadtteilbezogener Ansatz ein zentraler Erfolgsfaktor in der Stadtentwicklung. Deshalb haben wir neue Schwerpunkte gesetzt und den Energie- und Klimafonds auch für die Finanzierung von Maßnahmen der Stadtentwicklungs-politik geöffnet. Die große Nachfrage nach den neuen Programmen „Kleine Städte und Gemeinden“ und „Energetische Stadtsanierung“ bestätigt eindrücklich die Notwendigkeit, sich diesen Zukunftsthemen verstärkt zuzuwenden. Wir leisten damit auch einen unverzichtbaren Beitrag zur Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge in dünn besiedelten Räumen und erschließen neue Potenziale bei der Vermeidung von CO2-Ausstoß in städtischen Quartieren. Nur zur Erinnerung: Das Programm „Die soziale Stadt“ wurde in seiner Grundidee unter der Leitung der damaligen Bundesbauminister Klaus Töpfer und Eduard Oswald auf den Weg gebracht. Das war 1998, vor inzwischen 14 Jahren. (Zuruf von der SPD: Da hat übrigens Franz Müntefering angefangen!) Es half, vor allem in den Jahren geringen wirtschaft-lichen Wachstums und hoher Arbeitslosigkeit. Leider -haben einige wenige Kommunen die bei solchen Programmen stets notwendige kritische Reflexion aus den Augen verloren. Dadurch ist der gute Ansatz des Programms „Die soziale Stadt“ in Misskredit geraten. Ziel dieses Programms ist nicht die dauerhafte Alimentierung sämtlicher Maßnahmen – der Kollege Groß hat es vorhin aufgezeigt –, sondern die Beseitigung der Ursachen der Entwicklung eines Stadtquartiers zu einem Problemquartier. Vor diesem Hintergrund hat sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion intensiv an der Weiterentwicklung und am Ausbau des Programms beteiligt. Wir wollen eine passgenaue Verzahnung der verschiedenen Programme und Maßnahmen sowohl auf Bundesebene als auch vor Ort erreichen. Um benachteiligte Quartiere zu stabilisieren, wurden die städtebaulichen Investitionen des Programms „Die soziale Stadt“ passend zu den gesetzlichen Vorgaben mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten gekoppelt; so steht es auch im Gesetz. Wenn wir uns die verschiedensten nichtinvestiven Bundesprogramme anschauen, wie zum Beispiel das ESF-Aktionsprogramm „Mehrgenerationenhäuser“ und die Bundesinitiativen „Offensive Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“, „JUGEND STÄRKEN“ oder „Lernen vor Ort“, dann erkennen wir: Es gibt wahnsinnig viele Möglichkeiten, das Programm „Die soziale Stadt“ sinnvoll zu ergänzen. Diese notwendige Koordinierung ist von keinem der vielen SPD-Bundesbauminister gegenüber anderen Ressortchefs dauerhaft durchgesetzt worden. Es ist richtig, das Programm „Die soziale Stadt“ auf die baulichen Investitionen zu konzentrieren und es so mit anderen Programmen zu kombinieren, dass städtebauliche Missstände in den Kommunen behoben werden und das Programm den Menschen zugutekommt. Jedes Land, jede Kommune ist frei in ihrer Entscheidung, sich zusätzlich mit eigenen Mitteln in die Programmfinanzierung einzubringen. (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die können schon den Eigenanteil nicht mehr leisten!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt ist kein Wünsch-dir-was-Katalog, und trotzdem ist es gelungen, die Mittel der Städtebauförderung auf hohem Niveau zu verstetigen und zusätzlich die Mittel für die energetische Stadtsanierung auf über 100 Millionen Euro aufzustocken. Das sollten Sie einfach zur Kenntnis nehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bleiben nach wie vor unter den alten Ansätzen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Heidrun Bluhm von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! -Unser Antrag mit dem Titel „Städtebauförderung auf -hohem Niveau verstetigen, Forderungen der Bauministerkonferenz umsetzen“, der hier heute neben den beiden Anträgen der SPD besprochen wird, bezieht sich auf den seinerzeit einstimmig gefassten Beschluss der Bauministerkonferenz vom 28. Juni 2011. Ich kann heute den Beschluss der Bauministerkonferenz vom 20./21. September 2012 in Saarbrücken danebenlegen und konstatieren, dass unsere Forderungen von vor einem Jahr nicht nur immer noch aktuell sind, sondern ihre Umsetzung sogar noch notwendiger geworden ist. Herr Götz, wenn Sie hier die SPD dafür kritisieren, dann muss ich Sie schon fragen: Sind Sie als CDU klüger als 16 Bauminister, die seit Jahren beklagen, dass Sie zwar im Koalitionsvertrag versprochen haben, 535 Millionen Euro pro Jahr in den Haushalt einzustellen, nun aber die Mittel auf 455 Millionen Euro reduzieren? (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Sie tragen es zwar nett vor, aber Sie tragen es nicht ehrlich vor. (Peter Götz [CDU/CSU]: Nehmen Sie doch die 100 Millionen für die energetische Stadtsanierung dazu! Dann ist es ehrlich!) Das ist auch nicht verwunderlich, weil unerledigte Aufgaben durch Liegenlassen nicht kleiner werden, sondern wachsen. Qualitativ neue Aufgaben sind zwischenzeitlich aufgrund der Aktualität des Themas hinzugekommen und wachsen jeden Tag rasant an. Die Regierung macht aber nichts anderes, als die Mittel auf immer geringerem Niveau zu verstetigen. Sie macht nicht das, was sie im Koalitionsvertrag versprochen hat. So wird der Berg unerledigter Aufgaben bei der Entwicklung unserer Städte, (Gisela Piltz [FDP]: Ist das mit den 100 Millionen nicht wieder dasselbe, Frau Kollegin?) den die Bundesregierung vor sich herschiebt, immer größer. Städtebauförderung eignet sich auch nicht für Kampagnen. Sie muss langfristig, dauerhaft und zuverlässig angelegt sein, auch weil die Länder und Kommunen jeweils mit mindestens 30 Prozent an den Kosten der Städtebauförderung beteiligt sind und vor allem die Umsetzung zu organisieren haben. Auch sie haben ihre Haushaltspolitik zu machen und ihren Planungsvorlauf zu realisieren, und dafür benötigen sie dauerhaft zuverlässige Aussagen der Bundesregierung. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen ist es absolut unverständlich, dass die Kontinuität der Städtebauförderung gerade in einer Zeit unterbrochen wird, in der die Erfordernisse der Stadtentwicklung objektiv eine völlig neue Dimension annehmen. Die Ansprüche und Maßstäbe, die heute an die Städtebauförderung gelegt werden müssen, haben sich an sozialdemografischen, ökologischen, ökonomischen und Entwicklungserfordernissen der Gesellschaft zu orientieren. Herr Groß hat das hier sehr intensiv und auch sehr umfassend dargestellt. Die Städtebauförderung ist nicht nur eine nationale Aufgabe, sondern auch eine globale Herausforderung. Gerade der Kongress, den wir in der vergangenen Woche gemeinsam bestritten haben, hat noch einmal deutlich gemacht, dass unsere Städte auch international eine Verantwortung tragen. Ich bin weit davon entfernt, dem Koalitionsvertrag von 2009 vorausschauende Weisheit zu unterstellen, aber immerhin hat die Koalition damals versprochen, 535 Millionen Euro zu verstetigen. Daran sieht sie sich seit 2011 nicht mehr gebunden. Wir erheben mit unserem Antrag also gar keine neue Forderung, sondern fordern nur die Umsetzung des Koalitionsvertrages. Wenn wir Ihnen zum wiederholten Mal vorrechnen, dass die Städtebauförderung keine Subventionssünde, sondern ein einzigartiges, sich selbst finanzierendes Konjunkturprogramm ist, dann wundert es uns schon, dass Sie gerade in Zeiten, in denen die Wachstumsraten für Deutschland wieder korrigiert werden und in denen die Alarmglocken verschiedener Branchen läuten, weil es bergab gehen wird, konjunkturell funktionierende Programme abbauen und ihre Mittelausstattung auf einem niedrigeren Niveau verstetigen. Das ist für uns völlig unverständlich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn von heute 455 Millionen Euro Städtebauförderung – und jetzt zitiere ich Herrn Ramsauer selbst – städte-bauliche Investitionen von insgesamt über 6 Milliarden Euro angestoßen werden, frage ich mich, um wie viel größer die ökologischen und volkswirtschaftlichen Effekte von 535 Millionen Euro oder den eigentlich notwendigen 700 Millionen Euro wären. Ein weiterer Grund für eine entschlossene Aufstockung der Städtebaufördermittel kommt hinzu: Die Konjunkturdaten, die ich eben genannt habe, erfordern Investitionen des Bundes und der Länder, nicht aber den Rückbau von Investitionen. Ich sage Ihnen: Die Städtebauförderung könnte neben den sowieso gewollten und notwendigen Impulsen für den sozialökologischen Umbau unserer Städte und Regionen zu einem starken und effizienten Motor der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung werden. Sie könnte Arbeitsplätze sichern, die So-zialsysteme stabilisieren und zusätzliche Steuereinnahmen bei Bund und Ländern generieren. Dies nicht zu begreifen, ist die große Schwäche unseres Bauministers. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Kollegin Petra Müller das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Petra Müller (Aachen) (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Städtebauförderung ist seit 40 Jahren ein Erfolgsmodell. Darüber herrscht breite, große Einigkeit in diesem -Hohen Haus, in den Ländern und parteiübergreifend. (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum gibt es nicht denselben Ansatz wie früher?) – Lass mich doch einmal weitersprechen, bitte. Die Finanzhilfen des Bundes für 2013 bleiben bei 455 Millionen Euro; diese Summe ist seit drei Jahren gleich. Hinzu kommen die Mittel für die energetische Stadtentwicklung in Höhe von 100 Millionen Euro. Wer rechnen kann, kommt dann auf 555 Millionen Euro, und das ist ein bisschen mehr als 535 Millionen Euro. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weniger als 600 Millionen!) Diese Ergebnisse – das möchte ich hinzufügen – erreichen wir trotz Haushaltskonsolidierung und trotz Euro-Krise. Das zeigt, wie hoch der Stellenwert der Städtebauförderung in der christlich-liberalen Koalition ist. Damit betreiben wir eine verlässliche und erfolgreiche Politik. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Daher lasse ich den Vorwurf vonseiten der SPD, dass wir die Städtebauförderung vernachlässigen, nicht gelten. Zu Ihren Anträgen fallen mir zwei Dinge ein: Wunschkonzert und Gießkanne. Wunschkonzert, weil Ihre Forderung zeigt, dass Sie keine Rücksicht auf den Gesamtetat oder die Teilprogramme nehmen. Ihre Anträge zeigen, dass Sie auch nicht zur Kenntnis nehmen, dass mit dem Programm „Kleinere Städte und Gemeinden“ 2010 ein neues Programm auf den Weg gebracht wurde. Es war zunächst mit 18 Millionen Euro ausgestattet. Mittlerweile wurden 55 Millionen Euro abgerufen. Das spricht für Kontinuität. Das ist ein Anwachsen der Städtebauförderung in ganz bestimmten Bereichen, nämlich den kleinen Städten und Gemeinden. Ich muss Ihnen auch einmal sagen: Unter Rot-Grün haben Sie das nicht zustande gebracht. (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war auch nicht notwendig!) Das haben wir zustande gebracht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ihre Anträge zeigen auch, dass Sie nicht zur Kenntnis nehmen, dass die alten Ziele des Programms „Soziale Stadt“ schon längst in anderen Programmen aufgenommen wurden und jetzt in diesem Rahmen angestrebt werden, und zwar viel direkter und viel effizienter. Wir, die christlich-liberale Koalition, werden die Städtebauförderung in Deutschland kontinuierlich weiterentwickeln, zielgenau und treffsicher. (Ulrike Gottschalck [SPD]: Das hört sich an wie eine Drohung!) Bestes Beispiel ist der Stadtumbau West. Das Programm berücksichtigt heute als breitaufgestelltes Programm den Klimawandel gleichermaßen wie den demografischen Wandel und die wirtschaftliche Entwicklung. Das ist das, was Sie eben beklagt haben. Lesen Sie das einmal nach. So stelle ich mir – das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen – eine zukunftsweisende Stadtentwicklung vor. Nur so können wir Städte, Gemeinden und Kommunen fitmachen für die Zukunft. Das nenne ich eine erfolgreiche Politik der christlich-liberalen Koalition. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben die Energiewende beschlossen. Wir haben uns vorgenommen, in nur wenigen Jahren die Energieversorgung unseres Landes auf eine neue, andere Basis zu stellen. In unseren Gebäuden, egal ob in privater oder öffentlicher Hand, werden 40 Prozent der Primärenergien verbraucht. Die Stadtentwicklung muss in Zukunft zur Senkung des Primärenergieverbrauchs in den Gebäuden beitragen. Sie muss dabei einen entscheidenden -Beitrag leisten. Dieser Verantwortung haben wir uns gestellt, und diese Chance haben wir mit dem Programm „Energetische Stadtsanierung“ genutzt. Es gibt weitere Bereiche, in denen wir uns neu ausrichten müssen. Abgesehen von der Notwendigkeit eines energetischen Umbaus und der Berücksichtigung des -demografischen Wandels müssen wir auch das -Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land, zwischen megaurbanem und ländlichem Raum ausgleichen. Das müssen die Schwerpunkte der zukünftigen Städtebauförderungsprogramme sein. Ich glaube auch, dass eine energetisch-dynamische Stadtentwicklung den Blick weg vom Einzelgebäude hin zum Quartier richten muss. Das ist ganz wichtig, wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen. An dieser Stelle macht der Einsatz -öffentlicher Mittel Sinn. Er ist effizient, er verringert den bürokratischen Aufwand, und er schafft nachhaltige -Lösungen. In Ihrem Antrag schreiben Sie, liebe Kolleginnen von den Linken, dass gute Nachbarschaft, sozialer Zusammenhalt, reges Vereinsleben, kulturelle Vielfalt usw. Ausdruck funktionierender Städte, Gemeinden und Quartiere sind. Ich muss Ihnen einmal ganz ehrlich -sagen: Genau das setzen wir um. Das wird gefördert. Dennoch sind die Prozesse dynamisch. In den vergangenen Tagen konnten Sie Bilder von Studenten sehen, die eine Wohnung suchen, die keinen günstigen Wohnraum finden. Auch hier besteht Handlungsbedarf, und zwar im Interesse aller Wohnungssuchenden. Die soziale Wohnraumförderung ist Ländersache. Wir erwarten von den Ländern, dass der Bundeszuschuss eins zu eins in den sozialen Wohnraum fließt und nicht für andere haushalterische Maßnahmen in den Länderhaushalten genutzt wird. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch! – Gegenruf des Abg. Peter Götz [CDU/CSU]: Dann sorgt dafür! – Gegenruf der Abg. Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In NRW tun wir das!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, 630 Millionen Euro für das Wohngeld – das sind 34 Millionen Euro mehr als im letzten Jahr –; 455 Millionen Euro, seit drei Jahren verstetigt, für Stadtentwicklungsmaßnahmen; 1,5 Milliarden Euro für die CO2-Gebäudesanierung, verstetigt bis 2014; 100 Millionen Euro für das Programm „Energetische Stadtsanierung“. Ehrlich gesagt, das ist für mich moderne Stadtentwicklungspolitik. (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Das sind nur Zahlen!) Genau diese Politik werden wir in der Zukunft fortsetzen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die Kollegin Daniela Wagner. Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kollegin Müller, die einzige Aussage in Ihrer Rede, der man zustimmen kann, war, dass der Bund in der Tat -darauf achten muss, dass die Länder die Mittel für den sozialen Wohnungsbau ausgeben. Darum haben wir ja auch den Bauminister gebeten. Damals, im Jahr 1999, haben wir mit dem neuen Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ in vielen Stadtteilen in ganz Deutschland drohende oder bereits in Gang gesetzte Abwärtsspiralen stoppen können. Es gab sichtliche bauliche Verbesserungen für die Menschen: neue Spielplätze, renovierte Schulen, neue Gemeinwesenzentren, Stadtteilbibliotheken. Aber eine Stadt besteht eben nicht nur aus ihren -Gebäuden, aus ihren Wohnungen und aus dem Sand auf ihren Spielplätzen, sondern sie besteht auch aus den Menschen, die dort wohnen, arbeiten und leben, die -täglich das Leben dort gestalten. Deswegen haben wir damals in dieses Programm die Möglichkeit aufgenommen, Handlungen in diesen Stadtteilen anzustoßen, die Identifikation stiften. Das waren damals die nichtinvestiven Maßnahmen. Soziale und professionelle Netzwerke und bürgerliches Engagement zur Stärkung von Integration und einem fairen Zugang zu Bildung und Teilhabe an Kultur konnten damit gefördert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das alles haben Sie geschleift. Sie haben das Programm nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu seinem Nachteil verändert. (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Das ist nicht wahr!) Erst der lagerübergreifende Protest aus allen Städten hat Sie überhaupt dazu veranlasst, in den letzten beiden Haushalten, dem Haushalt 2012 und dem Haushalt 2013, noch ein bisschen nachzulegen. (Petra Müller [Aachen] [FDP]: 10 Millionen sind kein bisschen!) Ich hoffe, dass Sie an dieser Stelle bei Ihrer Linie bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie müssen jetzt nur noch die gegenseitige Deckungsfähigkeit wiederherstellen und die Diskriminierung des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ innerhalb der Städtebauförderung beseitigen. Vor allen Dingen müssen Sie sicherstellen, dass die Städte ihren Eigenanteil aufbringen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf des Abg. Peter Götz [CDU/CSU]) Freiheit ist das, was im Moment herrscht, nicht, Herr Kollege Götz. Es ist keine Freiheit, zum Beispiel die nichtinvestiven Maßnahmen selber zu finanzieren. Viele Städte können nicht einmal mehr den investiven Anteil tragen. Sie müssen die Einschnitte rückgängig machen. Denn die soziale Spaltung in unseren Städten und Gemeinden verschärft sich. Das hat eine Difu-Studie ganz klar -belegt. Die, die in diesen Stadtteilen übrig bleiben, die nicht wegziehen können, sind genau diejenigen, die am Ende des Tages dringend unsere Unterstützung brauchen. Wir dürfen diese Stadtteile nicht sich selbst überlassen. Diese Stadtteile sind überfordert. Wir müssen sie dauerhaft und nachhaltig erhalten und ihnen helfen, und zwar nicht mit einem Strohfeuer, nicht mit jährlichem Investitionsrisiko, bei dem die Städte am Ende sagen: Wir wissen überhaupt nicht, was auf uns zukommt, also lassen wir besser die Finger davon. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ hat hervorragende Arbeit geleistet, auch und gerade mit den nichtinvestiven Maßnahmen und mit der Förderung der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen der Stadtverwaltung: Sozialverwaltung, planende Verwaltungsbereiche, Bildungsbereiche. Das ist wichtig, und das muss fortgesetzt werden, sowohl bei den Ländern als auch beim Bund. Denn anders wird es nicht -gehen. Ohne den interdisziplinären Ansatz dieses -Programms wird die Förderung im Grunde als Strohfeuer verbrennen. Deswegen wollen wir die Anhebung der Mittel für die Städtebauförderung, für das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ auf das Niveau von vor drei Jahren, nämlich auf 105 Millionen Euro. Wir wollen die -Deckungsfähigkeit mit allen anderen Programmen der Städtebauförderung wiederherstellen. Vor allen Dingen müssen die nichtinvestiven Maßnahmen wieder zugelassen werden. Außerdem wollen wir ein Programm zur energetischen Sanierung (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Das gibt es doch schon!) von Quartieren mit einem hohen Anteil einkommensschwacher Haushalte anregen. Das betrifft viele Gebiete des Programms „Soziale Stadt“. Hier muss das Ziel sein, zu einer warmmietenneutralen energetischen Sanierung zu kommen; denn diese Menschen können sich hervorragend sanierte Wohnungen, bei denen die Sanierungskosten mit 11 Prozent umgelegt wurden, nicht mehr leisten. Sie werden sozusagen heraussaniert. Deswegen brauchen wir ein besonderes Programm für diese Stadtteile. Anders werden wir die sozialen und ökologischen Schieflagen in unseren Städten nicht in den Griff bekommen. Wir, der Bund, haben eine klare Mitverantwortung für die Entwicklung in unseren Städten und Wohnquartieren. Da kann man nicht sagen: Das ist doch Ihre Sache. Machen Sie doch etwas. – Das ist auch unsere Sache. Das ist auch Sache der Länder. Wir müssen das gemeinsam anpacken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU hat jetzt das Wort der Kollege Volkmar Vogel als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zum Abschluss dieser Debatte erst einmal Folgendes feststellen: Wenn man von Sozialstaat spricht, dann denken alle an Rentenversicherung, an Arbeitslosenversicherung, an Sozialhilfe. Aber keiner denkt eigentlich an das berühmte Dach über dem Kopf. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Doch, wir, die SPD!) Ich glaube, das Dach über dem Kopf und lebenswerte Städte sind die größte soziale Errungenschaft, die wir in unserem Lande haben. Es muss auch ein bisschen Zeit sein, denen zu danken, die dafür gesorgt haben. Es ist nicht die SPD an erster Stelle. An erster Stelle sind es die, die vor Ort im Rahmen der Wohnungswirtschaft als private Immobilienbewirtschafter, als Wohnungsunternehmen, als kommunale Unternehmen dafür sorgen, dass unsere Städte im Großen und Ganzen bei aller Kritik und bei allen Problemen, die es gibt, in einem sehr guten Zustand sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn man das weltweit, also auch mit anderen großen Industrienationen, vergleicht, dann zeigt sich: Das kann sich sehen lassen. Natürlich haben ihren Beitrag geleistet die Kommunen, die Länder, in deren Zuständigkeit einige dieser Dinge liegen, und auch der Bund, der seit mittlerweile 40 Jahren die Städtebaufördermittel kontinuierlich zur Ausreichung bringt. Ja, „Soziale Stadt“ ist gut. Aber „Soziale Stadt“ ist nur dann gut, wenn auch tatsächlich sozial wirkende -Investitionen im Vordergrund stehen – (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber genau das wollen Sie doch verhindern!) Investitionen ins Wohnumfeld, in die soziale Infrastruktur und auch in lebenswerte Wohnungen. Genau da bauen wir nicht ab. Einen solchen Abbau zu verhindern, ist die Aufgabe, die uns, dem Bauausschuss, zusteht. Die Mittel, die auch in diesem Jahr für investive Zwecke zur Verfügung stehen, haben mindestens die Höhe, die schon in den vergangenen Jahren zur Verfügung gestanden hat. Eines muss man an dieser Stelle auch sagen: Als 1998 die SPD gemeinsam mit den Grünen in die Verantwortung kam, ist es ihr nicht gelungen, das Programm -„Soziale Stadt“ tatsächlich zu verzahnen. Peter Götz hat es anschaulich dargestellt. Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Städtebauförderung sprechen, dann müssen wir vor allen Dingen darüber sprechen, welche Herausforderungen in der Zukunft vor uns stehen werden. Das sind zwei wesentliche Dinge: Das eine ist der demografische Wandel, und das andere ist die Energiewende, die auch im Gebäudebereich eine wichtige Rolle spielt. Es waren wir, die dafür gesorgt haben, dass der Stadtumbau Ost und der Stadtumbau West mit einem hohen Anteil weitergeführt werden. Es waren wir, die sich auch in der Fläche darum gekümmert -haben, dass für kleine Städte und Gemeinden die Möglichkeit besteht, eine gemeinsame Infrastruktur zu entwickeln. Wir fördern das mit einem entsprechenden Programm. Gerade im Stadtumbau sind weitere Maßnahmen -notwendig. Wir haben die Zwischenberichte zum Stadtumbau Ost, und wir haben den Zwischenbericht zum Stadtumbau West. Wir werden in den nächsten Jahren große Anstrengungen unternehmen müssen, um hier -voranzukommen. Wir stellen uns dieser Aufgabe in vielfältiger Hinsicht. Demografischer Wandel heißt, da, wo es notwendig ist, Rückbau zu unterstützen. Demografischer Wandel heißt aber auch Umbau, der den neuen Bedingungen der Menschen entspricht. Außerdem heißt demografischer Wandel Aufwertung, etwa was soziale Infrastruktur angeht. Auch hier sieht man die Verknüpfung mit anderen Programmen, wie zum Beispiel mit dem Programm „Soziale Stadt“. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Volkmar, was ist mit den Altschulden?) Die Energiewende wird im Gebäudebereich – das wissen wir alle – eine sehr große Rolle spielen. Ich möchte an dieser Stelle sagen: Wenn wir von insgesamt 555 Millionen für die Städtebauförderung sprechen, dann müssen wir auch noch darüber sprechen, dass jedes Jahr 1,5 Milliarden für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm zur Verfügung stehen, ein großer Teil davon für unsere Gebäude, für unsere Immobilien, die es energetisch zu ertüchtigen gilt. Nun spreche ich besonders die Opposition an: Wenn es um die Energiewende und die Bereitstellung finanzieller Mittel geht, fordere ich Sie auf: Springen Sie endlich über Ihren Schatten und sprechen Sie mit den Verantwortlichen in den Bundesländern, in denen Sie an der Regierung beteiligt sind, (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir! Der Vorschlag liegt auf dem Tisch! Jetzt müssen Sie mitspringen!) um dafür zu sorgen, dass wir im Hinblick auf die energetische Sanierung auch die Möglichkeit von Sonderabschreibungen auf den Weg bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Vorschlag von Ministerpräsident Kretschmann ist zwar nicht ganz neu; er stellt aber zumindest eine gute Basis für weitere Verhandlungen dar, wenngleich es aus unserer Sicht notwendig ist, hier noch etwas zu tun, um auch privates Kapital zu heben. (Sören Bartol [SPD]: Ich denke, ihr lasst schon ein entsprechendes Programm vorbereiten!) Lassen Sie mich zum Schluss sagen: 40 Jahre Städtebauförderung, das ist eine gute Sache. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Altschulden!) Sie gilt es fortzuführen, allerdings immer den jeweiligen Bedingungen entsprechend. Ich rufe die Kollegen von der Opposition auf: Unterstützen Sie uns, wenn es darum geht, neue Programme zu entwickeln und alte Programme weiterzuentwickeln, und zwar den Bedingungen, die uns der Wohnungs- und der Immobilienmarkt vorgeben, und den Bedürfnissen der Menschen entsprechend. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Und die Altschulden? – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Die Altschulden hat er wieder vergessen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/10999 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 17/8199. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6444 mit dem Titel „40 Jahre Städtebauförderung – Erfolgsmodell für die Zukunft der Städte und Regionen erhalten und fortentwickeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – CDU/CSU und FDP. Wer stimmt dagegen? – Die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6447 mit dem Titel „Städtebauförderung auf hohem Niveau verstetigen, Forderungen der Bauministerkonferenz umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – SPD und Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lebensmittelverluste reduzieren – Drucksache 17/10987 – Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Binder, Johanna Voß, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Ursachen der Vernichtung und Verschwendung von Lebensmitteln wirksam bekämpfen – Drucksache 17/10989 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Peter Bleser. Peter Bleser, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir eine große Freude, hier und heute miterleben zu dürfen, dass sich der Deutsche Bundestag mit dem Thema Lebensmittelverschwendung befasst und in einem fraktionsübergreifenden Antrag gleiche Ziele definiert. Ich halte das für ein sehr wichtiges Signal, das die öffentliche Debatte beflügeln und dabei helfen wird, dieses Thema mitten in die Gesellschaft zu tragen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, auf jeder Stufe der Warenkette werden Lebensmittel weggeworfen. In Deutschland rechnen wir mit 11 Millionen Tonnen pro Jahr. (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: 20!) Dies ist mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit nicht vereinbar. Die Erzeugung, Verarbeitung und Verteilung von Nahrungsmitteln beansprucht nämlich eine große Menge natürlicher Ressourcen, die dadurch für andere Nutzungen nicht zur Verfügung stehen. Sie verursachen natürlich auch Kosten für die Gesellschaft. (Beifall des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist daher ein Gebot der Verantwortung gegenüber der Weltbevölkerung und den kommenden Generationen, Lebensmittelverluste so weit wie möglich zu reduzieren. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist in einer Gesellschaft, die sich an Überfluss, an eine breite Auswahl und an die ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln gewöhnt hat, nicht einfach. Etwas, was man immer hat, wird weniger geschätzt. Das gilt auch für andere gesellschaftliche Bereiche. Wir brauchen mehr Wertschätzung für die Mittel zum Leben. Insofern bin ich froh, dass unsere Ministerin Aigner schon vor einiger Zeit mit der Kampagne „Jedes Mahl wertvoll“, mit der Initiative „IN FORM“ und auch mit der Kampagne „Zu gut für die Tonne“ damit begonnen hat, entsprechende Hinweise zu geben und damit die Gesellschaft auf dieses Problem hinzuweisen. Die Kampagne „Zu gut für die Tonne“ bündelt zahlreiche Aktivitäten, die in diesem koalitionsübergreifenden Antrag richtigerweise angesprochen werden. Sowohl die Europäische Union als auch die Bundesministerin haben sich verpflichtet, bis zum Jahre 2020 die vermeidbaren Lebensmittelabfälle um die Hälfte zu reduzieren. Ich meine, dieses ambitionierte Ergebnis lässt sich nur in einem gesellschaftlichen Bündnis aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und natürlich Verbrauchern erreichen. Wichtig ist uns die Information der Verbraucherinnen und Verbraucher a) über die Möglichkeit der Abfallvermeidung und b) zur Sensibilisierung für die Wertschätzung von Lebensmitteln. Dazu gehören natürlich Wissen und auch praktische Tipps, die unsere Eltern und Großeltern vielleicht noch eher kannten als viele Angehörige jüngerer Generationen. Es geht um nützliches Wissen und praktische Tipps für den Umgang mit Lebensmitteln und um die Berücksichtigung dieses Wissens und dieser Tipps schon beim Einkauf, bei der Lagerung und natürlich bei der Verarbeitung in der Küche, also bei der Nahrungsmittelzubereitung. Wir haben die Internetseite www.zugutfuerdietonne.de geschaltet, die sehr stark nachgefragt wird und für die es auch eine App gibt. Hier werden Tipps von Sterneköchen (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die schmeißen am meisten weg!) dafür preisgegeben, wie man aus vermeintlichen Abfällen, also mit Lebensmittelresten, tolle Speisen zubereiten kann. Ich kann mich jedenfalls daran erinnern, dass in meiner Jugend gerade Speisen aus Resten am besten geschmeckt haben. Bis heute liegt mir noch sehr viel an Restesuppen, wie wir immer gesagt haben. Das waren sehr schmackhafte Gerichte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: War das eine Einladung zum Abendessen?) – Liebe Frau Kollegin Drobinski-Weiß, ich glaube, wir haben hier den gleichen Erfahrungsschatz. Außerdem gilt es natürlich, gemeinsam mit den Tafeln und Slow Food durch öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen auf die Rettung von Lebensmitteln aufmerksam zu machen. In Bremerhaven wird noch im Herbst die erste Veranstaltung dazu stattfinden. Aber auch bei unseren Kindern müssen wir ansetzen, und wir müssen ihnen Wertschätzung vermitteln. Dazu hat unsere Ministerin am 3. Oktober 2012 den Schülerwettbewerb „ECHT KUH-L“ gestartet, der in diesem Schuljahr die Lebensmittelverschwendung thematisiert. Ich hoffe auch, dass in so mancher Küche über unsere alltägliche Verwendung und oft auch Verschwendung von Lebensmitteln diskutiert wird. Ich glaube, nur so werden wir ein Umdenken erreichen, das letztlich erst in den Köpfen der Menschen herbeigeführt werden muss und dann auch zu praktischem Handeln führen kann. (Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: -Jawohl!) Wir dürfen natürlich nicht nur auf die privaten Haushalte setzen. Deswegen hat das BMELV in den vergangenen Monaten erste Gespräche auch mit Herstellern, dem Handel und Großverbrauchern geführt. Diese Gespräche werden mit dem Ziel fortgesetzt, konkrete Beiträge aller Akteure zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung zu leisten. Im Frühjahr nächsten Jahres soll dieser Prozess mit einem runden Tisch abgeschlossen werden. Von allen Beteiligten werden bis dahin konkrete, überprüfbare Maßnahmen zur Reduzierung der Lebensmittelabfälle in ihrem Verantwortungsbereich erwartet. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen und Ressourcen zu schonen. Das geht uns alle an. Dieses Thema ist für jeden wichtig. Jeder ist gefragt, und jeder ist gefordert. Am Schluss dieser Debatte sage ich noch einmal: Ich freue mich, dass wir bei diesem Thema einen so tollen Konsens in diesem Haus haben. Ich denke, es ist auch eine Botschaft an die Bevölkerung, dass wir uns hier nicht nur streiten, sondern bei Themen, bei denen wir einen Konsens haben, auch gemeinsam handeln können. Auch diese Kampagne ist von Erfolg gekrönt, weil wir zusammenstehen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, was lange währt, wird endlich gut, nicht wahr, Herr Staatssekretär? (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Na ja, ein bisschen!) Nun haben wir es doch geschafft, einen gemeinsamen Antrag mit Maßnahmen gegen die Verschwendung von Lebensmitteln auf den Weg zu bringen. Das ist ein gutes Signal. Denn mit dem Wegwerfen genießbarer Lebensmittel werden ungeheure Ressourcen verschwendet – Arbeitskraft, Energie, Wasser, Rohstoffe, ländliche Fläche –, die in armen Ländern dringend benötigt würden, um den Hunger vor Ort zu bekämpfen. Damit hat dieses Thema nachhaltige und ethische Dimensionen, denen wir nur dann gerecht werden können, wenn wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Insofern war es uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehr wichtig, dass wir hier einen gemeinsamen Antrag auf den Weg bringen konnten. (Hans-Georg von der Marwitz [CDU/CSU]: Uns auch!) Auch wenn in einem gemeinsamen Antrag nicht alle Vorschläge zu 100 Prozent untergebracht werden können und Kompromisse gemacht werden müssen, ist das, was wir heute hier vorlegen, so denke ich, eine gute Grundlage. Bisher stand allerdings vor allem das Verhalten der Verbraucher im Fokus der Maßnahmen gegen die Lebensmittelverschwendung. Das reicht nicht aus, Herr Staatssekretär; denn beim verschwenderischen Umgang mit Lebensmitteln handelt es sich um ein systemisches Problem, dessen Ursache in einem nicht nachhaltigen Umgang auf allen Produktionsstufen liegt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Vielen Dank. Zwar müssen wir als Verbraucherinnen und Verbraucher unser Konsumverhalten und unsere Ansprüche an Vielfalt, frische Optik und ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln hinterfragen. Dazu gehört aber auch, dass Verbraucher besser darüber informiert werden, welche sozialen und ökologischen Folgen die Erfüllung dieser Ansprüche hat und welchen Wert Lebensmittel wirklich haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die mangelnde Wertschätzung ist nicht nur bei Verbrauchern ein Problem. Wo Wegwerfen billiger und leichter für alle Anbieter als die Weiterverwertung ist, braucht man nach Wertschätzung nicht zu fragen. Die Konzentration im Handel verschärft die Situation; denn im Kampf um Marktanteile sind Niedrigstpreise für Lebensmittel die Waffe, mit der Konkurrenten vom Markt gedrängt werden und unter der Zulieferer und Erzeuger zu leiden haben. Auch die Ansprüche an Optik und Verarbeitungsfähigkeit üben Druck auf die Erzeuger aus und führen zum Aussortieren und zu unnötigen Abfällen bereits bei der Ernte. Dieser Umgang mit Lebensmitteln ist ethisch, sozial und ökologisch nicht vertretbar. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unser Antrag ist auf die gesamte Wertschöpfungskette ausgerichtet. Die Verschwendung von Lebensmitteln kann nur eingedämmt werden, wenn alle Beteiligten – alle! – ihren Beitrag leisten. Auch die Landwirtschaft, die Ernährungsindustrie und der Handel müssen stärker Verantwortung übernehmen. Diese Einsicht scheint sich jedoch noch nicht überall in der Branche durchgesetzt zu haben. So hatte zum Beispiel die vom Agrarministerium in Auftrag gegebene Studie der Universität Stuttgart wegen fehlender Auskunftsbereitschaft auf neue Zahlen aus Handel und Industrie verzichten müssen. Hier, so meinen wir, braucht es mehr Kooperationsbereitschaft und mehr Transparenz, um nachvollziehen zu können, wo wie viel Lebensmittelabfälle anfallen. Uns allen ist bewusst, dass im Zeitalter der Globalisierung, in einer immer weiter vernetzten Welt, die Wertschöpfungsketten immer länger werden. Damit gibt es zwischen Produzenten und Verbrauchern immer mehr Zwischenhändler, Logistiker, Verpackungs- und Lagerungsspezialisten und immer mehr Wege, auf denen brauchbare Ware, brauchbare Lebensmittel aussortiert und weggeworfen werden. Zudem gibt es immer alles und überall: Erdbeeren aus China, Mangos aus Indien und Äpfel aus Amerika – und das alles das ganze Jahr über. Die Lebensmittel müssen teilweise weit reisen, um zu uns, zum Verbraucher, zu gelangen. Kürzere Wertschöpfungsketten und der Einkauf von regionalen und saisonalen Produkten sind deshalb auch gute Maßnahmen gegen die Lebensmittelverschwendung. Dabei sind nicht nur die Verbraucher gefragt, sondern auch die Gastronomie, Großküchen und Kantinen. 20 Millionen Tonnen genießbarer Lebensmittel – Herr Staatssekretär, ich habe bei dieser Zahl ein paar Tonnen mehr, als Sie genannt haben – wandern in Deutschland jährlich auf den Müll. Statistisch gesehen wirft jeder von uns jedes Jahr 235 Euro in den Abfall. Jedes fünfte Brot wird weggeworfen. Trotzdem haben wir über 300 verschiedene Brotsorten in den Regalen der heimischen Bäckereien und Läden. Und bis zum Ladenschluss wird das komplette Sortiment vorgehalten, um dem Kunden auch noch nach 20 Uhr die volle Auswahl bieten zu können. Was übrig bleibt, wird weggeworfen. Der Bischof von Caesarea, Basileus, hat einmal gesagt: Das Brot, das ihr verderben lasst, das ist das Brot der Hungernden. – Das ist ethisch, sozial und ökologisch unverantwortlich. Deshalb bin ich froh, dass wir heute hier gemeinsam einen Antrag auf den Weg bringen, erste Schritte gehen, um diese Verschwendung einzudämmen und zu einem achtsamen Umgang mit Lebensmitteln zurückzufinden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael Goldmann von der FDP-Fraktion. Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein gemeinsamer Antrag macht es vielleicht möglich, den persönlichen Zugang zu einem Thema in einer Rede hier im Bundestag darzustellen. Als ich die Aufgabe des Vorsitzenden in meinem Lieblingsausschuss übernahm, habe ich mir überlegt: Was willst du eigentlich als Akzent setzen in der Funktion, in der Rolle, die du jetzt hast? Mir war es ganz besonders wichtig, herauszustellen, dass wir heute enorm global mit allem vernetzt sind – die Erdbeeren aus China, die hier unglücklicherweise ankamen, sind dafür ein besonderes Beispiel –, dass es aber auch darum geht, dass man immer wieder die Vernetzung zwischen der globalen Situation und dem ganz persönlichen Verhalten deutlich macht. Jeder, der sich damit ein bisschen beschäftigt, kommt sehr schnell dahinter, dass es ein Thema gibt, das uns bewegen muss, das uns in die ethische Verantwortung nimmt: Das ist das Thema der Lebensmittelverschwendung. Das ist ein Synonym dafür, dass bei uns Lebensmittel viel zu billig sind und dass wir es eigentlich mit einem Begriffsirrtum zu tun haben; denn sehr viele Menschen empfinden die Lebensmittel nicht als wesentliche Mittel für ihr Leben. Deswegen haben wir vom Ausschuss nach diesen Erkenntnissen, die wir gemeinsam hatten, wie der Antrag belegt, als Erstes eine Reise nach Afrika gemacht, nicht eine Vergnügungsreise, sondern eine Arbeitsreise. Wir wollten dahin fahren, wo die größte Gruppe von Menschen Hunger leidet. Angesichts der Weltbevölkerung ist das eine unvorstellbar große Zahl: Von 7 Milliarden Menschen hungern 1 Milliarde Menschen. Als die Kollegen aus Afrika wiederkamen, haben wir gefragt: Was bringen Sie uns mit? Dabei stellten wir fest, dass der Hunger auch etwas damit zu tun hat, dass in diesen Ländern die Lagerbedingungen schlecht sind, dass in diesen Ländern die Transportbedingungen schlecht sind. All das sind Gründe dafür, dass es nicht zu einer vernünftigen Lebensmittelverwendung kommt. Wir haben dann eine weitere Reise nach China gemacht. Die Chinesen waren enorm stolz darauf, dass sie in der Lage waren, ihr 1,3-Milliarden-Volk zu ernähren, weil sie sich darüber im Klaren waren, dass Hungerkonflikte sehr schnell zu kriegerischen Konflikten führen können. Dann gab es eine Veranstaltung von Greenpeace hier in unmittelbarer Nachbarschaft. Bei dieser Veranstaltung hat eine junge Frau aus Österreich erzählt, wie die Zahlen in Österreich sind. Ich habe mich daraufhin gefragt: Warum haben wir eigentlich keine Zahlen? Wir haben uns dann gemeinsam auf den Weg gemacht, um diese Zahlen zu beschaffen. Eines Tages tauchte der Film „Taste the Waste“ auf. In Papenburg, meiner Heimatstadt, habe ich einen Kinosaal angemietet. 500 junge Menschen, 500 Schüler, sind gekommen. Als der Film zu Ende war, ist etwas eingetreten, was ich sehr selten erlebt habe. Tief bewegte junge Menschen kamen auf mich zu und fragten mich: Wie können Sie eigentlich als Politiker damit leben, dass wir diese unendlich großen Mengen wegwerfen, während in der Welt Menschen verhungern? Wir haben daraus den Schluss gezogen – gemeinsam den Schluss gezogen –, den wir mit dem heute vorliegenden Antrag zum Ausdruck bringen. Er setzt darauf, die gesamte Kette ins Auge zu fassen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, wie wir an jeder einzelnen Stelle – von Afrika bis in den Kühlschrank, bis auf den Teller – die Dinge so entwickeln können, dass wir zu einer Minimierung des Wegwerfens kommen, dass wir zu einer viel, viel besseren Situation kommen. Kernvoraussetzung dafür ist Bildung, Information und Wissen um die Dinge. Wir haben in Deutschland im Moment eine riesige Chance, uns in besonderer Weise mit dem Thema zu beschäftigen, weil sich die Familienstruktur verändert. Heute gehen Kinder relativ früh in außerhäusliche Bildungseinrichtungen, ob es Kindergärten oder Schulen sind. Viele dieser Schulen machen sich auf den Weg, Kantinen einzurichten. Diese Kantinen sind häufig nicht unbedingt das, was man unter einem klugen Bildungsangebot in den Schulen versteht. Sie sind häufig nicht mit dem unterrichtlichen Tun vernetzt, wo in Erfahrung gebracht wird: Wo kommt das Produkt her? Wie muss es bearbeitet werden? In welcher Menge muss es eingesetzt werden, damit es auch zu einer vernünftigen Verwendung dieses Produktes kommt? Wir wissen natürlich auch, dass die Dinge zum Teil sehr kompliziert sind. Gerade das jüngste Beispiel mit den Erdbeeren aus China hat gezeigt, welche Streuung solche Themen heute erfahren. Da hatten auf einmal Tausende von jungen Menschen Durchfall bzw. ein Enteritisproblem. Das gab es aber keineswegs nur in Nordrhein-Westfalen. Nein, das gab es auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt. Im Grunde gab es das überall. Wenn man nicht weiß, wo die Ursachen für solche Probleme liegen, kann man die Dinge nicht korrigieren. Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir über die gesamte Palette – über den Forschungsbedarf, das Mindesthaltbarkeitsdatum, Aufklärungskampagnen, Vermarktungsstrukturen in der EU und über Wertschätzung – nachdenken. Am Anfang hatte ich gesagt, dass es eine globale Verantwortung gibt. Es gibt aber auch die lokale. Vor einiger Zeit habe ich auf Mallorca ein bisschen Urlaub gemacht. Ich stellte, als ich relativ spät den Speisesaal verließ, fest, dass die gesamte Palette auf dem Büfett noch vorhanden war. Meine Tochter hat in einem Hotel gearbeitet. Zwei Minuten vor zehn hat sich ein Gast furchtbar darüber beschwert, dass bestimmte Artikel des Programms nicht mehr da waren. Ich frage: Was machen wir selbst? Sagen wir dann auch einmal: „So muss das nicht sein; ich bin im Grunde genommen auch zufrieden, wenn ich, weil ich später gekommen bin, nicht mehr alles geboten bekomme“? Ich habe es schon ein paarmal gesagt: Ich finde es tief blamabel, dass, wenn bei den Veranstaltungen, die bei uns in der Parlamentarischen Gesellschaft abends stattfinden, Anmeldungen für 40, 50 oder 60 Kollegen eingehen, aber nur 15 erscheinen, dann weggeworfen wird auf Teufel komm raus. Ich finde, wir sollten da bei uns selbst anfangen und das umsetzen, was in diesem Antrag steht. Dann sind wir auf einem guten Weg. Herzlichen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Karin Binder von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Bleser, Sie möchten gerne Lebensmittelverluste reduzieren, um Himmels Willen aber nicht mit der Linken zusammen, obwohl es ein gemeinsames Anliegen ist und wir auch mitgearbeitet haben. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist ziemlich peinlich!) Aber deshalb haben wir dann noch einen eigenen Antrag auf den Weg gebracht, um zu Ihrem Antrag vielleicht noch ein paar zusätzliche Ideen beizusteuern. Denn wir gehen davon aus, dass die Ursachen der Lebensmittelvernichtung in Deutschland sehr vielfältig sind. (Beifall bei der LINKEN) In erster Linie sind sie ein Problem der Nahrungsmittelindustrie und des Handels. Echte Wertschätzung für unsere Lebensmittel bleibt leider auf der Strecke, wenn Dumpingpreise und Lockvogelangebote den Takt angeben. (Beifall bei der LINKEN) Das regionale Lebensmittelhandwerk wie Bäcker oder Metzger kann da auch nicht mehr mithalten. In den ärmeren Ländern dieser Erde entstehen Verluste aus der alltäglichen Not heraus. Erntemaschinen, Lagerhaltung oder die Infrastruktur fehlen, um Produkte zu ernten oder auf den Markt zu bringen. Ernten werden vernichtet, nicht nur durch Klimakatastrophen. Jeder Krieg verhindert oder zerstört Ernten. Erschwerend kommt noch hinzu, dass multinationale Lebensmittelkonzerne aus den Wohlstandsländern die Märkte dieser armen Länder mit unseren Abfällen und Billigprodukten überschwemmen und damit den heimischen Anbau und die Produktion von Nahrungsmitteln verdrängen oder langfristig sogar zerstören. Das ist für die Linke nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN) Dagegen ist hierzulande Lebensmittelvernichtung ein Problem des Überflusses. Hersteller und Handel geben den Takt an. Bauern bleiben auf ihren Erzeugnissen sitzen, da sie nicht den Normvorgaben der Industrie entsprechen. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: -Unerhört!) Wer nicht die passende Größe, Form oder Farbe liefern kann, kann seine krummen Gurken oder zu kleinen oder zu großen Kartoffeln wieder unterpflügen, da sie zur maschinellen Weiterverarbeitung nicht taugen. Die Produktion von Halbfertig- oder Fertigprodukten läuft maschinell. Sie sollen billig und haltbar sein. Deshalb sind auch viele Füll- und Zusatzstoffe drin. Strategien zur Eindämmung der Lebensmittelverschwendung müssten auch dieses systembedingte Problem aufgreifen. Insofern ist der Antrag „Lebensmittelverluste reduzieren“ der vier anderen Fraktionen etwas enttäuschend. Es handelt sich um wohlfeile Lippenbekenntnisse nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“: Verbraucher müssten nur richtig mit Lebensmitteln umgehen lernen, dann landete auch nichts auf dem Müll. Da sollen ein offener Dialogprozess eingeleitet und die Verbraucher verstärkt informiert werden. Verantwortliche in Industrie und Handel sollen aufgefordert werden; ein Innovationswettbewerb soll eingeleitet werden, aber: keine Verbindlichkeit, keine Verpflichtung, keine klaren Vorgaben. Frau Aigner dürfte sehr zufrieden sein, denke ich. Damit fällt nämlich in dieser Wahlperiode keine Arbeit mehr an. Die Linke hingegen fordert wirksame Maßnahmen, um der Vernichtung und Verschwendung von Lebensmitteln zu begegnen: Die Regierung muss die Halbierung der Menge an vermeidbaren Lebensmittelabfällen bis 2020 verbindlich vorgeben. Große Lebensmittelunternehmen sollten verpflichtet werden, ihre Stoffbilanz offenzulegen, um die Wirksamkeit ihrer Vermeidungsstrategien überprüfbar zu machen. (Beifall bei der LINKEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das sind doch die, die am wenigsten wegwerfen!) Für Waren wie Obst, Gemüse, Brötchen und Eier muss es neben den Mehrfachgebinden immer auch den Stückverkauf geben. Güteklassen und industrielle Vermarktungsnormen für Waren wie Obst und Gemüse sind aufzuheben. Statt Exportförderung für die Industrie brauchen wir eine konsequente Förderung des ökologischen Anbaus und regionaler Erzeugung. Das haben wir auch in der Haushaltsberatung deutlich gemacht. Es gibt noch viele Forderungen, die Sie unserem Antrag entnehmen können, aber auf eine möchte ich noch ausdrücklich eingehen: Wir brauchen eine Umkehr der Rechtslage. Das Containern, also das Fischen nach essbaren Lebensmitteln im Müll, darf nicht länger als Straftat verfolgt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Heinz Paula [SPD] – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das wird doch gar nicht verfolgt!) Stattdessen muss das verantwortungslose Wegwerfen bei Herstellern und im Handel geahndet werden, meine Damen und Herren. Jetzt danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche einen schönen Abend. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die Kollegin Nicole Maisch. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute auf Grundlage eines fast fraktionsübergreifenden Antrags nichts weniger als eine Lebensstil- und Wertedebatte. Ich finde es gut, dass Union und FDP, die sich sonst solchen Lebensstildebatten ja nicht so gerne nähern – (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Oh, oh, Sie sind eine so nette Kollegin!) ich denke an die Frage des Fleischkonsums –, sich gemeinsam mit uns und anderen starken gesellschaftlichen Akteuren wie den Tafeln, Slow Food, den Kirchen ganz vorne dabei, auf den Weg gemacht haben, diese Diskussion zu führen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wissen nicht erst seit dem letzten Bericht unserer Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“: Unser Ressourcenverbrauch übersteigt das Leistungsvermögen des Planeten, und durch reine Effizienzsteigerung in der Produktion ist dies nicht aufzufangen. Das macht sich exemplarisch an der Frage der Nahrungsmittelproduktion fest. Wenn global ein Drittel und in den reichen Ländern bis zur Hälfte der Lebensmittel im Müll landen, dann können wir uns natürlich bemühen, im Agrarbusiness Innovationen einzuführen; wir können effizienter werden. Aber wenn gleichzeitig 9 Milliarden Menschen satt werden wollen, wird es uns nicht gelingen, diese Lücke zu schließen. Was wir an Effizienzsteigerung hereinholen, wird uns auf der anderen Seite durch Verschwendung und durch den größeren Bedarf wieder weggegessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir also in Zukunft satt werden wollen, müssen wir uns mit dem Thema Nahrungsmittelverschwendung befassen. Wir wollen hier als Abgeordnete des Ernährungsausschusses keine Welle der Empörung reiten und das Thema dann, wenn wir ein paar Schlagzeilen abgegriffen haben, wieder zu den Akten legen, sondern wir haben intensiv in Anhörungen, in langen Diskussionen im Ausschuss ein politisches Programm erarbeitet. Es geht uns um nichts weniger als um eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie viel wir als Individuen und wie viel wir als Gesellschaft von den knappen Ressourcen, die unser Planet bereithält, für uns in Anspruch nehmen wollen. Unser Antrag sagt es klar und deutlich: Angesichts 1 Milliarde hungernder Menschen, angesichts schon existierender und in Zukunft drohender Knappheiten sind die Verluste entlang der gesamten Produktions- und Handelskette und die Verschwendung im Privathaushalt aus ethischer und ökologischer Sicht nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Wir haben als gemeinsames Ziel formuliert – der Staatssekretär hat es ganz am Anfang gesagt –, bis 2020 die Zahl der vermeidbaren Lebensmittelverluste zu halbieren. Das ist ein sehr ambitioniertes Ziel, und deshalb ist es gut, dass sich der gesamte Bundestag – auch die Linke hat sich ja zu diesem Ziel bekannt – hinter dieser Zielmarke versammelt. Es gibt noch einige Dinge, die im fraktionsübergreifenden Antrag nicht zu unserer vollständigen Zufriedenheit niedergelegt sind, obwohl es ein sehr guter Antrag ist. Deshalb möchte ich diese Punkte hier doch noch einmal nennen, weil ich glaube, dass sie zu der Debatte über Lebensmittelverluste dazugehören. Erstens. Wir brauchen eine tiefer gehende Analyse des Systems der Nahrungsmittelproduktion. Wir müssen uns fragen: Wie ist es dazu gekommen, dass Nahrungsmittel zu Wegwerfprodukten werden? Hat das vielleicht etwas damit zu tun, dass wir Milch billiger als Mineralwasser verramschen? Hat es etwas damit zu tun, dass man das Kilo Schweinefleisch für 3 Euro bekommt und dass die externen Kosten eben nicht auf dem Kassenzettel auftauchen, sondern die Umwelt- und sozialen Kosten auf andere Menschen und die Natur abgewälzt werden? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb sagen wir: Die Neuordnung der Agrarsubven-tionen auf europäischer Ebene ist eine gute Möglichkeit, um sich für Klasse statt Masse einzusetzen. Wir setzen nicht mehr auf billig, sondern wir setzen auf besser. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr gut!) Zweitens. Es ist eine schwierige politische Aufgabe, der wir uns aber stellen müssen, neue Formen des Teilens und Tauschens zu ermöglichen. Wer von Ihnen in kleinen Orten wohnt, der weiß: Wenn die Zucchini reif sind, dann verschenkt man sie an die Nachbarn; wenn die Pflaumen reif sind, gibt man den Korb an Freunde und Verwandte weiter. In Großstädten ist das gar nicht so einfach mit dem Teilen und Tauschen. Deshalb haben sich Leute aufgemacht, im Internet Plattformen – die nennt man heute Food-Sharing Platforms – zu organisieren. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja, bin ich drin!) Hier stellt sich die Frage für uns in der Politik: Müssen diese Plattformen reguliert werden? (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein!) Ich würde sagen, da begegnen sich Bürger wie früher am Gartenzaun, die die Zucchini rübergeben und die Eier entgegennehmen. Leider ist das Ministerium anderer Meinung. Dort ist man der Meinung, dass solche Plattformen ähnlich wie Lebensmittelunternehmen reguliert werden sollen. Wir sind der Meinung: Wenn sich Bürger begegnen, um etwas zu tauschen, dann muss der Staat nicht unbedingt übermäßig regulieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der dritte Punkt, der mir sehr wichtig ist, ist – das hat der Ausschussvorsitzende angesprochen, was ich sehr gut finde – das Thema Schulernährung. Wenn wir etwas im Hinblick auf die Wertschätzung für unsere Lebensmittel ändern wollen, dann dürfen wir die Kinder nicht abfüttern, sondern dann müssen sie gutes Essen kriegen. Wenn große Caterer heute 50 Cent an Rohstoffkosten für ein Schulmittagessen ausgeben, dann ist das Abfüttern; dann ist das kein gutes Essen. Damit lernen Kinder nicht Wertschätzung für Lebensmittel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Sie bitte zum Schluss. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das mache ich; das ist mein letzter Satz. Wir Abgeordnete haben den ersten Teil unserer Arbeit geleistet: Wir haben nach langen Diskussionen im Ausschuss und einer Anhörung ein verbindliches Reduk-tionsziel und ein umfassendes Maßnahmenpaket verabschiedet. Jetzt ist die Bundesregierung am Zug. (Peter Bleser, Parl. Staatssekretär: Ich komme!) – Herr Bleser, Sie haben uns an Ihrer Seite. Wenn es uns zu langsam geht, haben Sie uns dann auch im Nacken. Deshalb wünsche ich mir, dass Sie schnell Maßnahmen auf den Weg bringen. Ich denke, inhaltlich sind wir uns in weiten Teilen einig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt die Kollegin Carola Stauche von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Carola Stauche (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute, wie schon gesagt wurde, einen gemeinsamen Antrag von Grünen, SPD und den Regierungsfraktionen. Eigentlich weist schon das darauf hin, welche Bedeutung wir dem Thema Lebensmittelverschwendung und den damit verbundenen Lebensmittelverlusten beimessen. Uns allen ist es wichtig, so wenig Lebensmittel wie nur irgend möglich in der Versorgungskette zu verlieren. Das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich betonen. Hierfür gibt es ökonomische, ökologische, aber vor allen Dingen ethische Gründe. Dies wurde auch schon gesagt. Es darf nicht sein, dass nach Schätzung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO 1 Milliarde Menschen auf der Welt hungern und gleichzeitig in der EU 89 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle im Jahr verursacht werden. Allein in Deutschland – es wurde vorhin schon in Geld beziffert – sind es, um dies einmal zu verdeutlichen, pro Bürger 81,6 Kilogramm Lebensmittel, die wir als Müll verursachen. Es gilt also nicht nur international zu fragen, ob wir es uns tatsächlich leisten können, Lebensmittel zu verschwenden. Ausdrücklich lobe ich hier im Plenarsaal des Deutschen Bundestages die Arbeit der vielen Ehrenamtlichen bei den Tafeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das kann nicht oft genug geschehen. Sie fahren landauf, landab Supermärkte ab und sammeln Lebensmittel für Arme ein, die noch gut sind, aber nicht mehr verkauft werden können. Sie haben seit vielen Jahren regen Zulauf. Es gibt auch in Deutschland noch bedürftige Menschen, die sich ohne Hilfe nicht ausreichend oder vernünftig ernähren können. Der sozialpolitische Aspekt dessen gehört diskutiert, allerdings nicht heute in dieser Debatte. Ohne die Einsatzbereitschaft der Tafeln und der vielen Ehrenamtlichen würde noch viel mehr Essen im Eimer landen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur die Tafeln sind aktiv im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung. Weltweit versuchen Menschen, diesen Wegwerf-irrsinn zu stoppen. Die Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat nach dem Film „Taste the Waste“ quer durch die Gesellschaft eine breite Debatte angestoßen und die Menschen für das Thema Lebensmittelverschwendung sensibilisiert. Politiker aller Parteien sind sich einig: Lebensmittelverschwendung ist ein Problem, und es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dieses Problem zu lösen. Viele kleine Schritte können bewirken, dass wir unser Ziel erreichen, Lebensmittelverschwendung um die Hälfte zu reduzieren. Doch welche Wege führen aus der Wegwerffalle? Vieles zu den Ursachen und Lösungswegen wurde heute bereits gesagt. Das ist auch gut; denn oberste Priorität müssen Information und Aufklärung haben. Das muss bei den Kleinsten anfangen und darf bei den Älteren nicht aufhören. Der verantwortungsvolle Umgang mit Lebensmitteln muss Tag für Tag neu gelernt werden. Nur so gelingt es uns, das Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln wieder in die Köpfe der Menschen zu -bekommen. Nur so können wir in unserer Überflussgesellschaft abhandengekommenes Alltagswissen zum Umgang mit Lebensmitteln langfristig und erfolgreich zurückgewinnen. Diese Kompetenzen im Umgang mit Lebensmitteln müssen von klein auf erlernt werden. Hier müssen wir die Länder, die ja für die Bildung zuständig sind, in die Pflicht nehmen. Nachdem insgesamt 11 000 Kinder – vermutlich aufgrund verkeimter Erdbeeren aus China – Magen-Darm-Erkrankungen erlitten haben, fragen sich viele, warum unsere Kita- und Schulkinder im Herbst Erdbeeren aus China bekommen. Ich will dazu nur so viel sagen: Es gibt hervorragende Kitas und Schulen, die die Verpflegung der Kinder mit Ernährungsbildung verknüpfen. Das ist der richtige Ansatz. Dann lernen die Kinder nämlich, dass im Herbst Äpfel, Birnen und Pflaumen auf den Bäumen wachsen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn sie dann noch das Obst fürs Frühstück selbst geschnippelt haben, werden sie eine ganz andere Einstellung zum Essen bekommen. Unsere Landfrauen leisten mit dem Ernährungsführerschein sehr gute Arbeit. Sie haben das Wissen, und sie haben den Willen, uns bei der Ernährungsbildung zu helfen. Wir sollten dieses Wissen einbeziehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Einstellung zu Lebensmitteln muss sich ändern. Der Verbraucher ist natürlich nur ein Glied in der Kette; er ist nicht allein für dieses hohe Ausmaß der Lebensmittelverschwendung verantwortlich. Wir können ihn aber auch nicht außen vor lassen; denn er ist besonders anspruchsvoll: In der Regel will er nämlich nur einwandfreie Produkte kaufen, und das möglichst zu jeder Tages- und Nachtzeit. Manche gehen mitten in der Nacht zur Tankstelle und kaufen dort Brötchen oder Tiefkühlpizza; das ist heute eine Selbstverständlichkeit. Ich erlebe selbst jeden Tag, dass viele Mitbürger Lebensmittel nicht mehr wertschätzen; schließlich gibt es ja genug davon, und sie wachsen ja nebenan in der Kaufhalle und sind preiswert. Wir wissen nicht erst jetzt, dass dem nicht so ist. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist der im Antrag geforderte offene Dialogprozess, der eingeleitet werden soll, um eine Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung zu entwickeln. Über den Weg des Dialogs muss es uns gelingen, die Wertschätzung für Lebensmittel zu erhöhen und dadurch die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Ich möchte das als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden wissen. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordern den mündigen Verbraucher, der gut informiert selbst entscheidet, was er konsumieren möchte und, vor allem, was nicht. Die Aufklärung, die ich beschrieben habe, spielt bei dem Thema Lebensmittelverluste eine wesentliche Rolle. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Sie bitte zum Schluss. Carola Stauche (CDU/CSU): Ja. – Lebensmittelindustrie und -handel sind ebenso in der Pflicht, Lebensmittelverluste zu minimieren. Angefangen beim Mindesthaltbarkeitsdatum über das Verfütterungsverbot tierischer Proteine bis hin zu praktika-bleren Verpackungsgrößen ist hier vieles aufgezählt. Die Gastronomie könnte mit kleineren Schnitzeln einen Beitrag leisten. Deshalb fordern wir einen Ideenwettbewerb zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen. Meine Damen und Herren, ich möchte es nicht versäumen, mich bei Ministerin Aigner, dem Staatssekretär und ihrem Hause für ihren Einsatz zu bedanken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dadurch hat das Thema Lebensmittelverschwendung in der öffentlichen Wahrnehmung den Stellenwert bekommen, den es verdient. (Gustav Herzog [SPD]: Ein gewaltiger Abschluss einer großartigen Rede!) – Ich danke Ihnen. – Nur wer sich traut, kann gewinnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/10987 mit dem Titel „Lebensmittelverluste reduzieren“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung aller anderen Fraktionen ist der Antrag angenommen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/10989 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als besondere Umstände der Strafzumessung (… StRÄndG) – Drucksache 17/9345 – – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs (… Strafrechtsänderungsgesetz – … StRÄndG) – Drucksache 17/8131 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/11061 – Berichterstattung: Abgeordnete Ansgar Heveling Burkhard Lischka Jörg van Essen Halina Wawzyniak Jerzy Montag b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vorurteilsmotivierte Straftaten wirksam verfolgen – Drucksachen 17/8796, 17/11061 – Berichterstattung: Abgeordnete Ansgar Heveling Burkhard Lischka Jörg van Essen Halina Wawzyniak Jerzy Montag Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.2 Sind Sie damit einverstanden? – Das scheint der Fall zu sein. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Strafgesetzbuchs – „Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als besondere Umstände der Strafzumessung“. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11061, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/9345 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der SPD-Fraktion und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und den Linken. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Strafgesetzbuchs. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11061, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8131 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der SPD-Fraktion und Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Auch hier entfällt die weitere Beratung. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 17/11061 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8796 mit dem Titel „Vorurteilsmotivierte Straftaten wirksam verfolgen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung von SPD und Linken. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes – Drucksachen 17/10042, 17/10124 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) – Drucksache 17/11019 – Berichterstattung: Abgeordnete Alois Gerig Gustav Herzog Dr. Erik Schweickert Alexander Süßmair Markus Tressel b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rettung einheimischer Rebsorten durch Erhaltungsanbau – Drucksachen 17/7845, 17/8612 – Berichterstattung: Abgeordnete Alois Gerig Gustav Herzog Dr. Erik Schweickert Alexander Süßmair Harald Ebner Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Alois Gerig von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Alois Gerig (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Deutschland ist ein wirtschaftlich starkes Land. Dies liegt am Fleiß und Grips unserer Mitbürger, an der Innovationskraft unserer Unternehmen und natürlich auch an der richtigen politischen Führung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutschland ist ein schönes Land. Dies liegt an der vielfältigen, bunten Kulturlandschaft und den Menschen, die diese bewirtschaften und pflegen. Damit dies auch in Zukunft so bleibt, verbessern wir zum Beispiel mit der Änderung des Weingesetzes die Rahmenbedingungen für die Winzer und die deutsche Weinwirtschaft. Derzeit ist die Weinlese in vollem Gange. Es wird von einer leicht unterdurchschnittlichen Erntemenge, dafür aber aufgrund des schönen Spätsommers von einem qualitativ sehr guten Jahrgang ausgegangen. Dies ist nach einem Jahr mit vielen Frostschäden eine sehr erfreuliche Situation für die Branche. Lassen Sie uns heute für eine weitere gute Nachricht sorgen, indem wir gemeinsam den Gesetzentwurf zur Änderung des Weingesetzes beschließen. Mit den Änderungen nutzen wir im Rahmen der europäischen Weinmarktordnung unsere nationalen Spielräume, um das Bezeichnungsrecht für Wein zu präzisieren. Durch die zusätzlichen Angaben auf dem Etikett können deutsche Weine im Wettbewerb mit in- und ausländischen Produkten noch stärker an Profil gewinnen. Die Angaben zu Anbaugebiet und Lage haben beim Kauf von Wein schon immer eine gewichtige Rolle gespielt. Die neuen differenzierten Bezeichnungen helfen dem Käufer, das Produkt seiner Wahl noch besser zu finden. Viele Verbraucher greifen zunehmend sehr bewusst zu Nahrungsmitteln mit eindeutiger Herkunft, (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Schön wäre es!) weil diese in der unübersichtlichen anonymen Warenwelt vertrauenswürdiger sind. Mit dem Kauf von Produkten regionaler Herkunft können unsere Bürger einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten und gezielt die heimische Erzeugung und somit auch den Erhalt der liebgewonnenen Kulturlandschaft stärken. Dieser Trend ist zu begrüßen und wird durch die vorliegende Gesetzesänderung unterstützt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wichtig ist, dass wir nicht nur neue Bezeichnungen schaffen, sondern auch die Qualität fördern. Die Länder können für Weine, die aus kleineren geografischen Einheiten oder einer Steil- oder Terrassenlage stammen, strengere Qualitätsanforderungen festlegen, beispielsweise hinsichtlich der zugelassenen Rebsorten oder des zulässigen Hektarertrags. Damit bieten wir die Möglichkeit und Gewähr, die spezielle Wertigkeit dieser Weine zu erhöhen. Die Käufer werden dadurch motiviert, die notwendigen höheren Preise zu akzeptieren. (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Schön wäre es!) Derzeit bedeutet Steillagenweinbau für die Winzer nämlich harte körperliche Arbeit und leider häufig auch nicht kostendeckende Erträge. An Mosel sowie an Main, Tauber und Neckar wird deutlich, dass der dortige Weinbau diesen Regionen eine besondere landschaftliche Prägung verleiht und sie sehr attraktiv für den Tourismus macht. Hier sehe ich noch deutliche Zukunftspotenziale. Leider liegt der Erhalt des Steillagenweinbaus nicht allein in unserer Hand. Wichtig ist, dass sich die Bundesländer weiterhin engagieren. Ebenso wichtig ist, dass in der Europäischen Union der bestehende Anbaustopp für Reben verlängert wird. Der Anbaustopp hat für den Weinbau in Deutschland eine große Bedeutung. Eine Aufhebung würde unweigerlich zu einer Ausdehnung der Rebflächen in einfach zu bewirtschaftenden Flachlagen und damit zu einer Produktionssteigerung führen. Die Folge: Die Preise und damit die Einkommen der Winzer kämen vermutlich massiv unter Druck, und unsere überwiegend kleinen und mittelständischen Unternehmen wären schnell in ihrer Existenz bedroht. Ich bitte deshalb die Bundesregierung, ihren richtigen Kurs beizubehalten und sich in Brüssel weiterhin massiv für die Verlängerung des Anbaustopps einzusetzen. Dies liegt im Interesse der deutschen Weinbauern und unserer Bevölkerung. Eine weitere wichtige Zukunftsaufgabe – auch für den deutschen Weinbau – ist es, einen besseren Schutz gegen zunehmende Wetterextreme zu erreichen. Hagel, Sturm, Spätfrost und Starkregen häufen sich infolge des Klimawandels und können für existenzbedrohende Produktionsverluste sorgen. Bei der Absicherung gegen diese Risiken dürfen deutsche Winzer nicht gegenüber europäischen Wettbewerbern benachteiligt werden. Aus diesem Grund bin ich dafür, die Mehrgefahrenversicherungen steuerlich genauso zu behandeln wie die Hagelversicherungen. Bei der Änderung des Versicherungsteuergesetzes sollten wir die Steuersätze so festlegen, dass Winzer, Bauern und auch Gärtner ermuntert werden, Eigenvorsorge zu betreiben, um sich selbst gegen witterungsbedingte Risiken absichern zu können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die deutsche Weinwirtschaft erzeugt qualitativ hochveredelte Produkte, die für ein gutes Stück Lebensqualität stehen. Darüber hinaus leisten die Winzer einen wertvollen Beitrag zum Erhalt der Kulturlandschaft und für den Tourismus in den Anbaugebieten. Wohl wissend, dass auf europäischer Ebene weitere wichtige Entscheidungen anstehen, sollten wir heute unseren Beitrag für positive Rahmenbedingungen in der deutschen Weinwirtschaft leisten und den vorliegenden Gesetzentwurf gemeinsam beschließen. Ich bitte um Ihre Zustimmung, damit auch weiterhin fröhliche Weinfeste gefeiert werden und wir weiterhin hübsche Weinköniginnen krönen können. Vielen Dank. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das ist aber schon ein bisschen frauenfeindlich!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Gustav Herzog das Wort. (Beifall bei der SPD) Gustav Herzog (SPD): Frau Präsidentin! Schönen guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute hat es im Plenum, hier an diesem Rednerpult, eine ganze Reihe heftigster politischer Auseinandersetzungen gegeben; über Fragen der Europa-, Finanz-, Energie- und Rentenpolitik ist heftig gestritten worden. Aber schon beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt – bei der Frage, wie wir mit Lebensmittelverlusten umgehen – haben wir bewiesen, dass es möglich ist, hier im Deutschen Bundestag nicht nur einen Kompromiss zu finden, sondern auch einen Konsens. So ist es gut, dass wir auch hier, beim Thema Wein, einen Konsens gefunden haben. Nun darf man daraus nicht den Schluss ziehen, dass es beim Weinrecht immer so friedlich zugeht. Ich kann mich daran erinnern, dass es in Zeiten, in denen wir die Hektarhöchsterträge eingeführt haben, stundenlange Debatten und heftige Auseinandersetzungen gab. Aber das ist schon einige Jahre her. Ich glaube, wir haben damals den Mut bewiesen, ein vernünftiges Regelwerk zu etablieren, und leben heute von den Früchten, die wir damals gesät haben. Ich habe heute Abend gleich zu Beginn einige gute Nachrichten. Zunächst zitiere ich aus der Zeitschrift Pfälzer Bauer: „Jahrhundertweine sind beim 12er möglich“. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Nicht nur beim Pfälzer Bauern!) – Aber daraus habe ich zitiert. Andere haben das, Kollege Schweickert, sicherlich auch zutreffend beschrieben. – Auch die Mengen sprechen dafür, dass sowohl die Erzeuger als auch wir, die Kunden, über die Runden kommen. Die Preise sind für die Erzeuger auskömmlich und für die Kunden leistbar. Ich sage das, weil wir beim Wein schon ganz andere Zeiten erlebt haben, beispielsweise als die Mengen vagabundiert und die Preise abgestürzt sind. Die Politik hat dafür gesorgt, dass in diesem Bereich Ruhe eingekehrt ist. Heute wollen wir die Rahmenbedingungen der Vermarktung weiter verbessern. Die heutige zweite und dritte Lesung des Siebten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes bietet die Gelegenheit, zwei, drei grundsätzliche Dinge zu sagen. Wir haben mit der Überführung des eigenen Regelwerkes in die gemeinsame Marktordnung vor einigen Jahren einen großen Schritt getan, nicht immer mit Beifall aus diesem Haus. Insgesamt hat sich gezeigt, dass die Politik europäisches Recht vernünftig in nationales Regelwerk übersetzt hat. Mein Vorredner hat schon die vielen Möglichkeiten angeführt, die das Bezeichnungsrecht heute mit sich bringt. Wir waren hier im Deutschen Bundestag immer gut beraten, die Länder intensiv in die Diskussion mit einzubeziehen; denn nicht nur die Länder, sondern auch die Weinanbaugebiete weisen eine große Vielfalt auf, die sich im Wein widerspiegelt und ein besonderes Qualitätsmerkmal des deutschen Weines ist. (Beifall des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP]) Eine Ursache dieser Vielfalt liegt darin – auch da stimme ich dem Kollegen Gerig zu –, dass wir, was die Pflanzrechte angeht, ein sehr strenges Regelwerk haben, wir es also nicht zulassen wollen, dass die Weinrebe nur dort angepflanzt wird, wo die Kapitalverwertung am besten möglich ist, sondern dass sie Teil der Kulturlandschaft bleibt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, allein im Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes wurden neunmal die Bezeichnungen „Prädikatswein“, „Qualitätslikörwein b. A.“ und „Qualitätsperlwein b. A.“ eingefügt. Ich sage das deshalb, weil damit deutlich wird, wie hochkompliziert und wie verrechtlicht dieser Bereich geworden ist. Es ist kein Steckenpferd der Politik – wir finden keine innere Freude daran –, die Sachen besonders kompliziert zu machen. Vielmehr haben wir in der Debatte zu dieser Weingesetzänderung viele Anregungen aus der Weinwirtschaft bekommen, von den Verbänden, den Genossenschaften, den Kellereien; auch einzelne Winzer haben sich an mich gewandt. Jeder hatte einen Wunsch oder die Empfehlung, dies oder jenes in das Weingesetz aufzunehmen. Ich glaube, wir waren gut beraten, dass wir als Berichterstatter für das Weingesetz insgesamt gesagt haben: Verständigt euch weitestmöglich in der Weinwirtschaft, klärt das erst einmal unter euch, und dann sind wir gerne bereit, diese Vorschläge auch in unsere Willensbildung mit einzubeziehen. Es hat sich in einer großen Anhörung, die wir zu dem Weingesetz gemacht haben, gezeigt, dass auch die Wissenschaft, die Wirtschaft und die Verbände diesen Weg und das Ergebnis für richtig halten. Wir haben uns dann in einem Berichterstattergespräch den Gesetzentwurf noch einmal sehr detailliert vorgenommen. Daher kann ich sagen: Weil das Struck’sche Gesetz zur Anwendung kommt, werden wir auch hier dem Änderungsgesetz zustimmen. Wir haben aus einem brauchbaren Gesetzentwurf der Bundesregierung einen guten Gesetzentwurf gemacht, dem es sich auch zuzustimmen lohnt. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Na, na, na! – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Professor Dr. Erik Schweickert das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Erik Schweickert (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die gute Ernte sind schon einige Worte verloren worden. Ich möchte auch für die Zuhörer darstellen, dass es hier nicht um eine kleine Nische geht. Über 50 000 Genossenschaftswinzer, über 20 000 Weingüter, über 200 Winzergenossenschaften in verschiedenen Arten und über 200 Wein- und Sektkellereien sind in Deutschland in diesem Bereich tätig. Viele Familien sind also davon abhängig, wie wir unsere Entscheidung heute treffen. Ich möchte dem Kollegen Herzog, aber natürlich auch dem Kollegen Gehrig zustimmen: Wir haben es über die Fraktionen hinweg geschafft – so stellen es sich viele Zuhörer auch vor –, darüber zu diskutieren und auch Anregungen der Länder aufzunehmen, um hier gemeinsam einen Gesetzentwurf vorzulegen. Ich muss mit mir selber ein bisschen ins Gericht gehen. Ich komme aus der Weinwirtschaft. Mein Opa hat früher immer von Schrott gesprochen, wenn es um Dinge ging, die die Politik beschlossen hat, und hat über das Weingesetz geschimpft. Aber ich muss sagen: Wenn es heute schiefgeht, dann ist daran definitiv nicht die Politik schuld. Denn wir haben die Anregungen aus dem Berufsstand aufgenommen und für die Betriebe zum Beispiel die Berücksichtigung von Jungwein bei der Umrechnung vereinfacht. Ich möchte Ihnen verdeut-lichen, dass es bei „g.g.A.“ und „g.U.“ nicht um einen Rap, der hier in Berlin produziert wurde, geht, sondern um bezeichnungsrechtliche Eigenschaften. Wir werden den Ländern nun bei kleineren herkunftsgeschützten Angaben die Freiheit einräumen, ihre eigenen Möglichkeiten im Bereich der Rebsorten, des Hektarertrages, des Mindestalkoholgehaltes und des Restzuckergehaltes zu nutzen. Das heißt, wir kommen weg, wie es in Deutschland bisher immer der Fall war, von der Qualität im Glase und hin zur Ursprungsbezeichnung, wie es in vielen anderen Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien schon lange Tradition ist. Wenn man sich vor Augen hält, dass wir in Deutschland ungefähr 35 Prozent eigenen Wein trinken – 65 Prozent der Weine, die in Deutschland getrunken werden, kommen aus dem Ausland –, dann wird klar, dass die Winzer bei Aldi & Co. im Wettbewerb stehen. Denn 80 Prozent werden über den Lebensmitteleinzelhandel und nur 20 Prozent ab Weingut vermarktet. Dann wird uns bewusst, dass wir die Basis dafür schaffen müssen, dass sich die Winzer in diesem Wettbewerb behaupten können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund, dass bei einem Einkauf im Supermarkt im Prinzip in drei Sekunden die Entscheidung zwischen Rotwein, Weißwein und Preis gefällt wird, müssen wir den Winzern Möglichkeiten geben, hier aktiv zu werden. Das machen wir. Denn die Länder wissen vor Ort besser, welche regionale Besonderheit sie besonders schützen und im Marketing besonders hervorheben können. Ich möchte allerdings auch ganz klar sagen: Dieses Gesetz birgt eine große Chance für die Weinwirtschaft. Aber sie muss auch genutzt werden. Insofern appelliere ich an die Länder, dieses Gesetz nicht nur limitativ zu nutzen, also den Hektarertrag extrem einzugrenzen, sondern profilbildend zu wirken und Profile auf den Markt zu bringen, unter denen sich der Verbraucher etwas vorstellen kann. Allein die Region Rioja mit über 60 000 Hektar – in Deutschland wird auf insgesamt 102 000 Hektar Wein angebaut – oder die Region Chianti mit 24 000 Hektar stehen jeweils für einen einzigen Weinstil, und trotzdem kann jedes Weingut machen, was es will. Es hat sich allerdings diesem Profil und dieser Stilistik zu unterwerfen, wenn es diesen Wein produziert. Das sind Chancen auf dem Markt. Aber natürlich muss ich auch die Möglichkeit haben, diese Weine zu erzeugen. Deswegen mein Appell: Wir sollten in diesem Bereich nicht nur -limitative Möglichkeiten nutzen, sondern insbesondere profilbildende. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben in der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf klargemacht, dass wir, wenn wir möchten, dass das Rebflächenmanagement erhalten bleibt – dazu stehen alle Fraktionen im Deutschen Bundestag –, auch dafür sorgen müssen, dass das Rebflächenmanagement auf europäischer Ebene erhalten bleibt. Dann dürfen keine nationalen Freiräume genutzt werden; denn dafür ist die Weinwirtschaft ein zu großes Haifischbecken. Wer meint, als Winzer in einem Haifischbecken Goldfisch spielen zu müssen, der darf sich nicht wundern, wenn er gefressen wird. Deswegen müssen wir alle, die wir hier sitzen, uns dafür einsetzen, dass das Rebflächenmanagement auf europäischer Ebene erhalten bleibt. Wir wissen alle, dass das nicht so einfach gehen wird wie in den Jahren zuvor, dass die Regelung nicht einfach verlängert werden wird. Wir müssen schauen: Wo gibt es Kompromissmöglichkeiten? An welcher Stelle kann man mit flexibleren Regelungen entgegenkommen? Im Grundsatz muss der Beschluss aber erhalten bleiben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage auch: In diesem Bereich können wir als Fraktionen einiges tun. Wir haben das Parlamentarische Weinforum, in dem wir seit Jahren fraktionsübergreifend gut zusammenarbeiten. Wenn ich aber sehe – das sage ich auch an die Adresse des Präsidiums, nicht nur an die Adresse der Fraktionen und der Regierung –, was für Produkte bei Veranstaltungen der Bundesrepublik Deutschland, der Fraktionen oder bei Parlamentarischen Abenden manchmal ausgeschenkt werden, (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig! Genau!) dann muss ich sagen: Es liegt auch an uns. Wir entscheiden nicht nur heute Abend über die Rahmenbedingungen der Weinwirtschaft, sondern wir können auch mit anderen Entscheidungen, die wir treffen, unsere Weinwirtschaft unterstützen und zeigen, dass wir zu ihr stehen. Wir können sagen: Jawohl, wir haben in Deutschland eine gut ausgebildete Weinwirtschaft. Wir haben beste Voraussetzungen: eine gute Wasserverfügbarkeit, tolle Böden, eine hohe Tag-Nacht-Amplitude, die Aromen bringt. Wir können auch durch solche Entscheidungen zu den Produkten stehen, die die Weinwirtschaft nach unseren Regeln erzeugt. In diesem Sinne können wir den Winzern sagen: Zum Wohl! Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Schweickert, den Hinweis auf das Präsidium habe ich nicht ganz verstanden. Hier oben – damit das auch für die Zuhörer klar ist – wird weiter Wasser gereicht. Das mit dem Wein verschieben wir auf einen späteren Zeitpunkt. (Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ab 20 Uhr könnten wir doch auch Wein ausschenken!) Das Wort hat der Kollege Alexander Süßmair für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Süßmair (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich muss Ihre Anregung gleich aufnehmen. Mir kommt jetzt wohl die Rolle zu, etwas Wasser in den Wein zu gießen. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Schorle!) – Ja, leider. Das kann ich Ihnen nicht ersparen. Wir befassen uns heute mit dem Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zur Änderung des Weingesetzes und mit einem Antrag meiner Fraktion zum Erhalt von einheimischen Rebsorten. Einige der Änderungen, die die Regierung beim Weingesetz vornehmen will, finden auch wir von der Linken sinnvoll, zum Beispiel die Anpassung von Begrifflichkeiten und Formulierungen an das EU-Recht. Allerdings steckt der Teufel, wie so oft, im Detail. Die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP haben einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eingebracht. Darin sind zwei Punkte enthalten, die wir von der Linken kritisieren: Erstens. Laut Ihrem Änderungsantrag wollen Sie es den Bundesländern ausdrücklich untersagen – jetzt wird es fachlich –, eigene strengere Festlegungen für die Hangneigung in herkunftsgeschützten, kleineren geografischen Einheiten zu treffen. Das ist falsch; denn gerade im Weinbau ist die sogenannte Steillage prägend. Sie -bewahrt die Kulturlandschaft. (Beifall bei der LINKEN – Gustav Herzog [SPD]: Sie bringen die gesamte Förderkulisse durcheinander, Herr Kollege!) Nicht zu vergessen ist der Wert für den Tourismus. Weinbau in Steillagen ist aber kostenintensiver als der Weinbau in Flachlagen. Gerade deshalb sollten Steil-lagen besonders gefördert und geschützt werden können. Wir sind der Meinung: Wenn Bundesländer mit einem großen Anteil von Gebieten mit Steillagen, wie zum Beispiel an der Unstrut, der Nahe oder dem Main, schärfere Regelungen treffen wollen, dann sollen sie dies auch dürfen. Deshalb lehnen wir diese Änderung ab. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Sie beantragen eine Erhöhung der Anzahl der Sitze des Aufsichtsrats des Deutschen Weinfonds und eine Erhöhung der Anzahl der festen Mitglieder der Winzereigenossenschaften von eins auf zwei. So weit, so gut. Aber gleichzeitig machen Sie es durch eine Veränderung der Zusammensetzung des Aufsichtsrates so gut wie unmöglich, dass Mitglieder der Verbraucherschutzorganisationen im Aufsichtsrat vertreten sind. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Süßmair, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Schweickert? Alexander Süßmair (DIE LINKE): Er kann sich am Ende meiner Rede zu einer Kurzintervention melden, aber jetzt nicht. Vizepräsidentin Petra Pau: Also nicht. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Eine der Hauptaufgaben des Deutschen Weinfonds ist die Erschließung und Pflege des Weinmarktes. Es sind doch die Verbraucherinnen und Verbraucher, für die der Wein produziert wird. Deshalb haben wir im Ausschuss beantragt, dass mindestens zwei Mitglieder des Aufsichtsrates Vertreter der Verbraucherschutzorganisationen sein müssen und dass auch die Anzahl der Verbraucherschützer im Verwaltungsrat erhöht wird. Diesen Antrag haben die Regierungsfraktionen abgelehnt. Das zeigt einmal mehr, welchen Stellenwert Verbraucherschutz für Sie hat. Die Linke jedenfalls möchte die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher stärken. (Beifall bei der LINKEN) Abschließend möchte ich über den Antrag der Linken zum Erhalt der einheimischen Rebsorten sprechen. Fast zwei Drittel der Weinbaubetriebe in Deutschland verfügen nur über maximal 1 Hektar Landfläche. Wenn diese Winzerinnen und Winzer alte Rebsorten anbauen wollen, die nicht registriert sind, müssen sie für die Zulassung zum Teil mehrere Tausend Euro zahlen, und das, bevor auch nur eine einzige Flasche verkauft ist. Nebenerwerbswinzer können sich diese Kosten kaum leisten. Staatliche Institute haben zwar auch Weinstöcke seltener oder alter Sorten, aber teilweise nur drei Stück. Wir finden, das ist zu wenig. (Beifall bei der LINKEN) Alle reden über Biodiversität, also Artenvielfalt; aber wenn es konkret wird, dann ist plötzlich Schluss mit der Förderung von Vielfalt. Die Linke aber meint: Biodiversität und Erhaltungsanbau brauchen Wertschätzung und Unterstützung. (Beifall bei der LINKEN) Wir alle wissen: Auch Wein aus Deutschland hat einen guten Ruf. Tun wir als Gesetzgeber alles, damit es auch so bleibt! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Schweickert das Wort. Dr. Erik Schweickert (FDP): Sehr geehrter Herr Kollege Süßmair, man kann natürlich die Position vertreten, dass man es den Bundesländern offenlässt, strengere Festlegungen in Bezug auf die Hangneigung zu treffen. Aber stimmen Sie mit mir darin überein, dass allein der Hinweis auf den höheren Arbeitsaufwand in der Steillage nicht geeignet ist, den Verbraucher, den Sie gerade in den Mittelpunkt gestellt haben, zu überzeugen? Denn wenn der Verbraucher von dieser Mehrarbeit keinen Mehrwert hat, dann wird er nicht dafür zahlen. Die Originalität der Steillage besteht darin, dass sie eine bessere Wasserverfügbarkeit hat. Wir alle wissen, dass es eher eine Wasserrennbahn ist, wenn die Steillage zu steil ist. Dann rinnt das Wasser herunter, und es wird weniger gespeichert. Bei den Graden, die jetzt im Gesetz stehen, gibt es eine optimale Reflexion von Nachtwärme und besserer Aromabildung. Ich möchte einfach bitten, dass wir mehr über die Qualität, die uns die Steillage liefert, und nicht über den Arbeitsaufwand, der dahintersteckt, sprechen. Er ist zwar vorhanden und muss entlohnt werden, er wird aber nur dann entlohnt, wenn der Verbraucher etwas davon hat. Das ist nur dann der Fall, wenn genau diese Charakteristika, die man jetzt mit der Eigenschaft g.U. erheben kann, vom Verbraucher wahrgenommen werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Zur Erwiderung hat der Kollege Süßmair das Wort. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Sehr verehrter Kollege Schweickert, ich habe dazu eine andere Position. Sie sagen, dass der Verbraucher bereit ist, mehr zu zahlen, wenn er Wein mit einer besseren Qualität bekommt. Mit dem Fachlichen kennen Sie sich wahrscheinlich besser aus als ich. Aber Sie müssen erklären, warum Sie meinen, dass unsere Vorstellung in diesem Zusammenhang nicht gerechtfertigt ist. Sie wissen auch, dass die Europäische Union es so definiert hat, dass eine Förderung erst ab 30 Prozent möglich ist. Das gilt natürlich für die gesamte EU. Gerade wir in Deutschland haben sehr viele Regionen, zum Beispiel bei mir im Bayerischen, im Fränkischen, in denen es zahlreiche Steillagen gibt. Wir sind der Meinung, dass es nicht allein um die Bezahlung des Aufwands der Menschen, die die Steillagen bewirtschaften, geht, sondern – das habe ich gesagt – dass es auch um den Erhalt einer besonderen Form der Kulturlandschaftspflege geht, also um den Aufwand, der betrieben wird, um zum Beispiel einen Mehrwert für die Landschaft und den Tourismus zu erreichen. Sie werden mir auch zustimmen, wenn ich sage: Wir haben auf europäischer Ebene – Sie haben das angesprochen – Debatten über die Aufhebung der Pflanzrechte. Andere Länder wollen in der Tiefe und in den Flachlagen in die größere Produktion gehen. Wenn wir weiterhin rechtfertigen wollen, dass die Steillage etwas Besonderes ist, und wenn wir sie fördern und erhalten möchten, und zwar auch für die Kulturlandschaft und für den Tourismus, dann finde ich es sehr wohl angebracht, dass man dies dem Verbraucher klarmacht, wenn die entsprechenden Bundesländer es wollen. Wenn die Menschen zum Beispiel einen Ausflug in ein schönes Tal, ob an der Mosel oder sonst wo, machen und die Steilhänge sehr schön finden, müssen sie wissen, dass wir dies langfristig nur erhalten können, wenn wir genau diese Form des Kulturanbaus schützen. Interessanterweise ist die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrats hierauf eingegangen. Sie hat in Bezug auf § 24, der unter anderem die Beschränkung der zugelassenen Rebsorten, den Alkoholgehalt und dergleichen beinhaltet, unter Punkt 1 die Hangneigung hi-neingeschrieben. Sie bestätigt also die Position der Linken. (Gustav Herzog [SPD]: Nein, das war ein Fehler der Bundesregierung! Deshalb haben wir einen brauchbaren, einen besseren Gesetzentwurf gemacht! ) Deshalb finde ich es durchaus korrekt, dass wir es den Bundesländern überlassen wollen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Markus Tressel das Wort. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jenseits der schönen Weinfeste und der noch schöneren Weinköniginnen hat der Weinbau auch wichtige Funktionen in anderen Bereichen. Er stärkt die regionale Wertschöpfung, er schafft Arbeitsplätze auf dem Land, und er fördert den Tourismus. Das ist hier schon mehrfach angesprochen worden. Unsere Aufgabe als Politik ist es, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass dies auch weiterhin gewährleistet wird. Die Winzerinnen und Winzer in Deutschland haben unsere Unterstützung verdient. Ich glaube, das wird auch deutlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin froh darüber, dass uns heute ein Gesetzentwurf vorliegt, der die Rahmenbedingungen für den Weinbau verbessert. Der Gesetzentwurf lässt den Bundesländern die Freiheit, unterschiedliche Ansätze bei der Profilierung kleinerer geografischer Einheiten und Steil- oder Terrassenlagen zu wählen. Kleinere Weinlagen können somit aufgewertet werden. Das ist ein Vorteil für die Verbraucher; denn mit dem Grundsatz „Je genauer die Herkunftsangabe, desto höher die Qualitätsanforderungen“ bekommen sie eine bessere Orientierung. Eine geregelte Aufwertung der Lagenweine trägt auch dazu bei, das hohe Niveau der Weine, seine Vielfalt und Einzigartigkeit zu erhalten. Wir wissen, es gibt über 2 500 Einzellagen in Deutschland. Hier können höhere Preise erzielt und der Absatz der Winzer gesichert werden. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass in der EU seit Anfang August dieses Jahres anstelle der Bezeichnung „Wein aus Trauben aus ökologischem Anbau“ endlich die -Bezeichnung „Ökologischer Wein“ verwendet werden kann. Verbraucherinnen und Verbraucher legen zunehmend Wert auf ökologische Qualität und auf eine geringere Belastung der Umwelt mit Pflanzenschutzmitteln. Deshalb ist auch das ein richtiger Schritt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Trotz der positiven Entwicklungen bei der Weingesetzgebung, gibt es eine Entwicklung – die Kollegen haben es angesprochen –, die die qualitätsorientierte Zukunft des Weinbaus gefährdet. Das ist das für 2015 geplante Auslaufen der Rebpflanzrechte. Wenn das Verbot, wie von der EU vorgesehen, ausläuft, droht eine Abwanderung des Weinbaus in Ackerbauregionen. Damit wäre einer industriellen Produktion von Billigweinen Tür und Tor geöffnet, und es wäre für viele Winzer kaum noch möglich, Weinbau in solch einzigartigen Kulturlandschaften zu betreiben und diese so zu erhalten. Das wäre katastrophal für unsere Weinbauregionen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir das verhindern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Auch da sehen Sie uns an Ihrer Seite. Ich freue mich, dass wir da, glaube ich, partei- und auch fraktionsübergreifend Konsens haben. Wir haben starke Unterstützer. Auf EU-Ebene unterstützen 16 EU-Mitgliedstaaten dieses Anliegen, und auch eine von der EU-Kommission eingesetzte hochrangige Expertengruppe versucht, einen Kompromiss jenseits der völligen Liberalisierung zu finden. Ich glaube, hier sollte die Bundesregierung in Zukunft deshalb noch mehr Engagement zeigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns liegt heute ein Gesetzentwurf vor, den wir unterstützen können. Die Kollegen haben das ebenfalls gesagt. Er leistet einen Beitrag dazu, dass die Qualität des Weinbaus in Deutschland erhalten bleibt, regionale Wertschöpfung gestärkt und Arbeitsplätze gesichert werden. Deshalb stimmt meine Fraktion dem Gesetzentwurf zu. Ich hoffe, dass wir weiterhin gemeinsam und im Konsens Initiativen für den deutschen Weinbau entwickeln können. Ich glaube, nicht nur aus dem Parlamentarischen Weinforum heraus sind wir insoweit auf einem guten Weg. Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen, den Winzerinnen und Winzern in unserem Land auch weiterhin gutes Gelingen bei ihrer Arbeit. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat der Kollege Norbert Schindler das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Norbert Schindler (CDU/CSU): Guten Abend, meine Damen und Herren! Ich möchte nicht nur die Gäste auf den Tribünen, sondern vor allem auch meine Freunde aus Neustadt an der Deutschen Weinstraße herzlich begrüßen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – Ja, besser kann es nicht sein. – Sie warten schon die ganze Zeit auf dieses Thema und natürlich auch auf meinen Auftritt. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sag bloß, die sind extra wegen dir nach Berlin gekommen! Toll! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Entschuldigung, wir sind immer noch das deutsche Parlament!) Natürlich könnte ich jetzt eine abendfüllende Rede halten. Aber, lieber Herr Süßmair, Ihnen rufe ich nur zu: Vielleicht haben Sie Ahnung von Bier, von Wein jedenfalls haben Sie keine. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie sich doch einmal im Rahmen einer gescheiten Weinprobe von der Rebsortenergründung und den Feinheiten und filigranen Wünschen der Winzerschaft überzeugen. Wir laden Sie dazu gerne ein. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ei, ei, ei! Etwa in deinem Büro?) Im Übrigen wäre es ja das erste Mal, dass die linke Fraktion einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen würde. Ihr habt ja immer und an allem etwas zu meckern. Leider Gottes ist es so. (Beifall des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP] – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ihr müsst nur etwas Gescheites vorlegen!) Zur Sache. Es gibt zwei neue elementare Begriffe, mit denen es die Länder im Rahmen der Ermächtigung zu tun haben. Das hat es im deutschen Weinrecht bis jetzt nicht gegeben, weder im Weinrecht von 1970 noch in dem von 1971, noch in dem von 1986, noch in dem von 1997. Es geht um kleinere geografische Einheiten oder, wie die deutschen Weinleute sagen, um die Qualitätspyramide: je kleiner die geernteten und vermarkteten Mengen, je höher die qualitativen und mengenmäßigen Anstrengungen. Sowohl bei den zugelassenen Rebsorten – ihre Zahl soll allerdings sehr eng begrenzt werden – als auch beim zulässigen Gesamternteertrag als auch beim natürlichen Mindestalkoholgehalt – bis hin zum Restzuckergehalt – versetzen wir die Länder in die Lage – Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen-Anhalt, natürlich auch Rheinland-Pfalz –, für Betriebe, die in der Vegetationszeit durch Ausdünnung nur 6 000, 7 000 oder 8 000 Liter pro Hektar produzieren – die Ausdünnung ist in der Weinwirtschaft heutzutage ja schon selbstverständlich – und deren Weine aus kleineren geografischen Einheiten stammen, besondere Bedingungen festzulegen. In Baden-Württemberg denkt man im Hinblick auf die Bereichslagen und in Rheinland-Pfalz im Hinblick auf die Einzellagen darüber nach, einen Katasternamen hinzuzufügen. Die kleinste geografische Einheit geht übrigens auf das Weinrecht von vor 100, 120 Jahren zurück. Damals war es selbstverständlich, eine Weinflasche mit der Katasterlage als engster geografischer Herkunft des Weins auszuzeichnen; mit den Weingesetzen, die in der nachfolgenden Zeit auf den Weg gebracht wurden, wurde dieses Vorgehen etwas egalisiert. Mit der Ermächtigung werden die Länder also in die Lage versetzt, gemeinsam mit der Weinwirtschaft für Baden, für Württemberg, für die Mosel und für die Pfalz individuell besondere Qualitätskriterien festzulegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hier sind natürlich auch die Länder in der Verantwortung. Ich richte sowohl an Rheinland-Pfalz als auch an Baden-Württemberg den Appell, die Kriterien – ob im Hinblick auf die Ursprungsbezeichnungen, die uns die Europäische Union vorgegeben hat, oder im Hinblick auf die neuen Lagenbezeichnungen engerer Herkunft – landeseinheitlich zu formulieren, damit es beim Verbraucher nicht erneut zu Verwirrung kommt. Zu dem Begriff „Steillagen“, den wir bundeseinheitlich festlegen. Ja, es ist richtig, dass wir bundesweit eine Hangneigung von 30 Prozent festlegen, damit der Verbraucher weiß: Die Steillage am Würzburger Juliusspital ist genauso differenziert wie der Bernkasteler Doctor. Damit hat man im Interesse der Verbraucher eine klare Trennung vorgenommen. Warum 30 Prozent? Weil es vonseiten der Europäischen Union bei Überschreiten dieser 30 Prozent eine zusätzliche Fördermöglichkeit gibt. In Zukunft werden hoffentlich alle Steillagen- und Terrassenwinzer eine besondere Zuwendung aus der zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union bekommen. Deswegen, Herr Kollege: Setzen Sie sich mit diesem Thema auseinander, fordern Sie aber keine Sonderrechte, die man vielleicht gerne als i-Tüpfelchen hätte! Das führt bei den Verbrauchern nur zu Verwirrung. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Besetzung des Aufsichtsrates. Ja, diese Debatte wurde vom Genossenschaftsverband zu Recht angestoßen. Über 30 Prozent aller Weine, die in Deutschland abgefüllt werden, kommen nämlich aus dem genossenschaftlichen Bereich. In den neun Aufsichtsräten war die genossenschaftliche Schiene schwächer vertreten, und wir waren uns eigentlich über die Parteien hinweg einig: Diesem berechtigten Wunsch sollte man entgegenkommen. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ist ja in Ordnung! Dagegen haben wir nichts!) – Warum kritisieren Sie es denn dann? Dann lassen Sie es doch sein! (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Wir kritisieren das doch gar nicht! Sagen Sie einmal etwas zum Verbraucherschutz!) – Stellen Sie eine Frage, dann kommen Sie dran. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Sie haben nicht zugehört!) Wir haben in Bezug auf den Begriff „Schaumwein“ eine Korrektur vorgenommen. Weil die Bezeichnung „Tafelwein“ weggefallen ist, haben wir neu geregelt, dass man an die Bezeichnung „Schaumwein“ den Begriff „Landwein“ anfügen kann. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Nicht zuhören, aber weiterreden!) – Geben Sie dem einmal einen gescheiten Schluck Wein zu trinken, dann ist er vielleicht ein bisschen ruhiger. Er hat immer was zu meckern. – (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Sie müssen nur besser zuhören, Herr Kollege!) Damit ist auch wieder Rechtssicherheit geschaffen, was gerade im Bereich der Schaumweine notwendig war. Dies musste neu geordnet werden, damit bei den Qualitätssekten eine nähere geografische Herkunftsbezeichnung gegeben ist. Meine letzte Anmerkung zu etwas, das auch Kollege Gerig angesprochen hat. Es geht um die Elementarschadensversicherung. Für Frost- und Hagelschäden gibt es sie. Es gilt hier auch ein besonderer Satz. Wir führen im Finanzausschuss derzeit eine Debatte darüber. Helfen Sie mir, meine Freunde, dass wir die Finanzleute in dieser Frage noch überzeugen. Das ist kein leichter Weg, den wir hier gehen, aber es wäre eine gute Sache. Entgegen den Rechnungen der Finanzbeamten wären die Einnahmen, die der Staat aus der Versicherungsteuer erzielen würde, höher, weil mit dem Angebot an alle, eine Elementarversicherung abzuschließen, ein Anreiz dafür gegeben wird, und zwar nicht nur für diejenigen, die sich gegen Hagelschäden versichern wollen, sondern auch für diejenigen, die sich gegen die Folgen von Hochwasser und Frost versichern wollen, damit sie nicht in elementare Not kommen und jedes Mal nach einem Jahrhundertereignis nach der Hilfe der Staates rufen müssen. Das könnte man wirklich sehr elegant lösen. Ich sehe, ich habe meine Redezeit um eine Minute überschritten. Danke, Frau Präsidentin, für die Großzügigkeit. Wohl bekomm’s! Es ist ein guter Gesetzentwurf. Wie gesagt: Sie, Herr Süßmair, lade ich einmal zu einer gescheiten Weinprobe ein. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Und ich Sie auf ein Bier!) – Bringen Sie kein Bier mit, das haben wir selbst. – In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen guten Abend. Irgendwann müssen wir zwar wieder eine Änderung vornehmen, aber wir haben jetzt eine kundenorientierte Zielrichtung gewählt. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Vorhang! Ab nach links!) Klarheit und Wahrheit! Die Winzer, die bestrebt sind, Qualität anzubieten, werden mit dieser gesetzlichen Vorgabe belohnt. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Bevor es zum interfraktionellen Zusammentreffen bei einem guten Wein oder auch Bier kommen kann, haben wir noch ein wenig Arbeit vor uns. Ich schließe die Aussprache. Tagesordnungspunkt 12 a. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Weingesetzes. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11019, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/10042 und 17/10124 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 12 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Rettung einheimischer Rebsorten durch Erhaltungsanbau“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8612, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7845 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rechtliche und finanzielle Voraussetzungen für die Zahlung einer Ausstellungsvergütung für bildende Künstlerinnen und Künstler schaffen – Drucksache 17/8379 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Rechtsausschuss Finanzausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.3 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/8379 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91 b) – Drucksache 17/10956 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.4 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/10956 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfahren – Konsequenzen aus den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ziehen – Drucksachen 17/8460, 17/9008 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ulla Jelpke Josef Philip Winkler Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu nehmen.5 – Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9008, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8460 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den -Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 – Drucksache 17/10975 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.6 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/10975 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Bauproduktengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften an die Verordnung (EU) Nr. 305/2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten – Drucksache 17/10310 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) – Drucksache 17/10874 – Berichterstattung: Abgeordnete Daniela Wagner Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir die Reden zu Protokoll. Matthias Lietz (CDU/CSU): Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung soll im Wesentlichen dazu dienen, das Bauprodukten-gesetz und damit einhergehende Rechtsvorschriften an die Bauproduktenverordnung der Europäischen Union anzupassen. Diese Verordnung wird am 1. Juli 2013 die bisher geltende Rechtsvorschrift der Bauproduktenrichtlinie 89/106/EWG aus dem Jahre 1988 ablösen. Die neue Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Rates und des Europäischen Parlaments vom 9. März 2011 gibt harmonisierte Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten vor. Inhaltlich handelt die Verordnung vor allem Maßnahmen zur Beseitigung von Handelshemmnissen im Binnenmarkt ab. Wie so oft nehmen wir mit dem Gesetzentwurf unsere Aufgabe als Mitgliedstaat innerhalb der EU wahr und passen unsere Gegebenheiten an die harmonisierten Vorgaben der Europäischen Union an. Zwar müsste bei der nun durch die EU gewählten Rechtsform einer Verordnung grundsätzlich keine Umsetzung in nationales Recht erfolgen, da sie ohnehin direkt in jedem Mitgliedstaat gilt. Dennoch müssen wir einige nationale Anpassungen der momentan geltenden Regelungen vornehmen. Damit der bald geltenden Verordnung nichts im Wege steht, sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, alte Vorschriften, die derzeit zur Umsetzung der Bauproduktenrichtline gelten, aufzuheben. Auch Folgeänderungen im übrigen Bundesrecht müssen zusätzlich vorgenommen werden. Grundsätzlich wird in der EU-Bauproduktenverordnung ein neuer Rechtsrahmen für die Vermarktung der CE-Kennzeichnung von Bauprodukten geregelt. Das Anpassungsgesetz der Bundesregierung regelt zudem die folgenden organisatorischen Punkte: Einsetzung des Deutschen Instituts für Bautechnik, DIBt, als eine „technische Bewertungsstelle“ für Bauprodukte, die Einsetzung des DIBt als Behörde für sogenannte unabhängige Drittstellen, Ausführungsregelungen zur Marktüberwachung sowie Bußgeld- und Straftatbeständen, Verpflichtung zur Akkreditierung von unabhängigen Drittstellen bei der Deutschen Akkreditierungsstelle, DAkkS. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist notwendig und richtig. Detailfragen zu fachlichen Themen sind zuvor mit den Bundesländern und Verbänden einvernehmlich abgestimmt worden, und auch der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages hat sich in einer Beschlussempfehlung einstimmig für die Annahme des Antrags in leicht geänderter Fassung ausgesprochen. Nach Abänderung der angesprochenen formalen Berichtigungen im Antrag bitte ich, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zuzustimmen. Michael Groß (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten in der EU harmonisiert werden, und es wird eine Anpassung an die EU-Verordnung Nr. 305/2011 und damit die Aufhebung der bisherigen Bauproduktenrichtlinie 89/106/EWG vorgenommen. Vor dem Hintergrund, dass auf die europäische Bauwirtschaft 15 Prozent der industriellen Wertschöpfung entfallen, jedoch ihr Anteil am europäischen Handel nur 5 Prozent beträgt, hat die Europäische Union das Recht der Bauprodukte europaweit angeglichen. Der EU-weite Handel soll unter anderem durch folgende Maßnahmen gestärkt und die Verwendung von Bauprodukten vereinfacht werden: durch die Einführung einer gemeinsamen Fachsprache für Bauprodukte auf Grundlage der harmonisierten Normen, dem CE--Kennzeichen kommt eine größere Bedeutung zu, Leistungserklärungen sind den Produkten beizufügen. Die Mitgliedstaaten richten sogenannte technische Bewertungsstellen ein. Auch in der EU-Bauproduktenverordnung, die auf der früheren Bauproduktenrichtlinie beruht und die jetzt mit diesem Gesetz umgesetzt wird, sind die wesentlichen Leistungsmerkmale der Bauprodukte nicht festgeschrieben, sondern werden aus den Grundanforderungen an Bauwerke abgeleitet. Für diese Merkmale werden dann in harmonisierten Normen konkrete Anforderungen formuliert. Diese bilden die Grundlage für die Leistungserklärung des Herstellers und die Vergabe der CE-Kennzeichnung. Mit der Leistungserklärung übernimmt der Hersteller die Verantwortung für sein Bauprodukt und dessen Leistung und kann in Mängelhaftung genommen werden. Straftat- und Bußgeldvorschriften ergeben sich ebenfalls aus dem vorliegenden Gesetz. Das Deutsche Institut für Bautechnik, DIBt, wird die Aufgabe der technischen Bewertungsstelle wahrnehmen. Nach der EU-Bauproduktenverordnung können die Mitgliedstaaten für die jeweiligen Produktbereiche einen oder mehrere technische Bewertungsstellen benennen. Hier sollte zukünftig geprüft werden, ob aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung, aber auch hinsichtlich relevanter Bauprodukte wie Dämmstoffe zum Erreichen der Klimaziele und der Energiewende zusätzliche Kapazitäten benötigt werden und weitere Bewertungsstellen hinzugezogen werden sollten. Mit der Ablösung der EU-Bauproduktenrichtlinie 89/106/EWG durch die neue EU-Bauproduktenverordnung stand die Anpassung zahlreicher nationaler Vorschriften an den veränderten Rechtsrahmen bevor. Die Umsetzung der alten EU-Bauproduktenrichtlinie ist seit längerem Gegenstand mehrerer durch die Europäische Kommission gegen die Bundesrepublik geführter Vertragsverletzungsverfahren, Nrn. 2004/5116 und 2005/4743. Gegenstand dieser Verfahren sind insbesondere die in der Bauregelliste B vorgesehenen Zusatzanforderungen an Produkte, die von harmonisierten europäischen Normen erfasst sind und die CE-Kennzeichnung tragen. Die Kommission rügt, dass die bestehenden Zusatzanforderungen gegen die europäischen Vorgaben verstoßen. Hier sollte im Sinne der europäischen Angleichung um eine gemeinsame Lösung gerungen werden. Eine Harmonisierung, mehr Transparenz und die Gewährleistung einer europarechtskonformen Umsetzung des Bauproduktenrechts sind generell zu begrüßen. Petra Müller (Aachen) (FDP): Die CE-Kennzeichnung ist seit ihrer Einführung innerhalb der Europäischen Union 1993 eine Erfolgs-geschichte. Mit ihr dokumentieren Hersteller, dass -Produkte den produktspezifisch geltenden europäischen Richtlinien entsprechen und damit Sicherheits- und -Gesundheitsanforderungen erfüllen, die in den 30 Vertragstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums gelten. Faktisch hat sich die CE-Bezeichnung im Bau-gewerbe als Qualitätssiegel etabliert und ist ein für Produzenten, Händler und Verbraucher gleichermaßen leicht anwendbares und gut erkennbares Instrument der Sicherheit und Verlässlichkeit. Die FDP unterstützt -daher alle im Zuge eines weiteren Harmonisierungsprozesses der Länder der Europäischen Union notwendigen und dem Charakter des bisherigen Konformitätsverfahrens entsprechenden Schritte. Über die Richtigkeit und den Bedarf dieser Harmo-nisierung besteht im Hohen Hause kein Streit. Lassen Sie mich zur Anpassung des Bauproduktengesetzes trotzdem hier sagen: Es bleibt, erstens, wie bisher bei einer -Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten für die sich aus einem Bauwerk ergebenden Anforderungen an Bauprodukte. Die EU – wie wir – regelt mit dieser Vorlage nur die Verfahren des Nachweises, dass ein Produkt bestimmte Anforderungen auch erfüllt. Diese Verfahren werden vereinheitlicht mittels harmonisierter technischer Normen und durch einzelproduktbezogene technische Bewertungen, die ein Hersteller bei den von den Mitgliedstaaten einzurichtenden Bewertungsstellen beantragen muss. Dann erst ist er befugt und verpflichtet, die CE-Kennzeichnung anzubringen, und muss genau angeben, welches Anforderungsniveau das jeweilige Produkt in Bezug auf bestimmte Merkmale erreicht. Das war bisher so, und das wird auch so bleiben. Neu jedoch ist, dass die Kommission zukünftig europaweit gültige und europaweit einheitliche Schwellenwerte festsetzen kann für einzelne Inhaltsstoffe oder Leistungswerte. Das ist ein großer und wichtiger Schritt hin zu -einer nachhaltigen und zukunftsorientierten Gesetz-gebung im Bauproduktenrecht und wird von der FDP ausdrücklich unterstützt. Im Verfahren selbst sind, zweitens, Verfahrenserleichterungen vorgesehen. Insbesondere wird die technische Bewertung zukünftig an Fristen gebunden und wird -damit rascher erfolgen können. Das ist insbesondere für Marktteilnehmer ein nicht zu unterschätzender Wert, denn in vielen Fällen dauern Prüfvorgänge zu lange und verhindern den Marktzugang. Es war daher der FDP wichtig, dass Hersteller sich auch weiterhin die Prüfstelle frei wählen können. Drittens. Das Deutsche Institut für Bautechnik, DIBt, soll weiterhin als in Deutschland zuständige Stelle für die Erteilung europäischer technischer Zulassungen für Bauprodukte fungieren. So werden wir sicherstellen, dass trotz der Zweigleisigkeit im Zulassungswesen eine organisatorische Einheitlichkeit für Hersteller und -Handel gewährleistet bleibt. Eine vierte und damit letzte Bemerkung: Nicht nur ist im Interesse der Marktüberwachung und im Interesse des deutschen Baugewerbes vorgesehen, die deutsche Sprache für die notwendigen Dokumente zu verwenden; es soll auch die Bundesregierung, also das fachlich -zuständige BMVBS, dieselben Informationen erhalten, die die Europäische Kommission im Rahmen der Marktüberwachung erhalten muss. So bleibt Deutschland -informativ uneingeschränkt handlungsfähig. Die ursprüngliche Motivation, mit der CE-Kennzeichnung als Produktreisepass Handelshemmnisse für den europäischen Binnenmarkt zu beseitigen, ist ein -urliberaler Gedanke. Die FDP-Bundestagsfraktion wird daher für diesen Gesetzentwurf stimmen. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Zu dem hier vorliegenden Antrag der Bundesregierung kann ich die Zustimmung der Fraktion Die Linke signalisieren. Wir verbinden damit allerdings die Erwartung, dass die mit dem Gesetz verfolgten Absichten und Ziele in einer angemessenen Frist überprüft werden und die Bundesregierung dem Bundestag spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten darüber berichtet. Uns ist wichtig, dass mit dem Gesetz nicht nur rechtsformale Vereinheitlichungen ohne jeden praktischen Nutzen stattfinden, sondern dass die Anwendung des Gesetzes auch einen konkreten Beitrag zur ökologischen und ökonomischen Effektivitätssteigerung der Bauwirtschaft leistet. Die Bauwirtschaft ist einer der Hauptakteure bei der Durchsetzung von Klimaschutzzielen und der Energiewende. Deshalb muss sichergestellt sein, dass erstens die Einführung des Gesetzes auch zur ausschließlichen Verwendung von CE-zertifizierten Bauprodukten beiträgt und ein Ausweichen auf billigere, aber nicht gekennzeichnete Bauprodukte ausgeschlossen wird, zweitens die Verwendung ausschließlich zer-tifizierter Bauprodukte europaweit zur Einhaltung einheitlicher Schwellenwerte bezogen auf Inhaltsstoffe und Leistungswerte der Bauprodukte führt und drittens die Verwendung zertifizierter Bauprodukte nicht zur Begründung höherer Baupreise missbraucht werden darf. Wir fordern die Bundesregierung daher dazu auf, vor Inkrafttreten der vorgelegten Regelungen am 1. Juli 2013 in Bezug auf die aufgeworfenen Fragestellungen Stellungnahmen sowohl vom Deutschen Institut für Bautechnik als auch von den Baufachverbänden einzuholen und diese dem Deutschen Bundestag zur Kenntnis zu geben. Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das vorliegende Gesetz dient der Anpassung des Bundesrechts an die neue Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates – EU-Bauproduktenverordnung. Die EU-Bauproduktenverordnung sieht einen neuen Rechtsrahmen für die Vermarktung und CE-Kennzeichnung von Bauprodukten vor und löst zum 1. Juli 2013 die bisher geltende Bauproduktenrichtlinie 89/106/EWG ab. Der Gesetzentwurf ist sehr technisch, aber von hoher politischen Relevanz für Bündnis 90/Die Grünen. Es werden Anforderungen an die Vermarktung von Bauprodukten harmonisiert, und diese Anforderungen haben insbesondere Auswirkungen auf die Art und Weise, wie ökologisch vertretbare Baunormen gefördert werden können. Die Verordnung legt wesentliche Merkmale für verschiedene „Familien“ von Bauprodukten fest. Einige dieser Kategorien von Produkten unterliegen harmonisierten Normen, andere wiederum unterliegen den European Technical Assessments. Es ist daher unerlässlich, die Bewertungsverfahren zu definieren. Die Fraktion der Grünen im Europaparlament hatte bereits festgestellt, dass im Ergebnis die Verhandlungen zur Verordnung zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten mit dem Rat nicht ideal verlaufen sind. Es gab erheblichen Druck von einigen Sektoren der Industrie, die von einigen Mitgliedstaaten unterstützt wurden, um klare Verpflichtungen zu vermeiden. Aber der letztlich vereinbarte Text enthält Elemente, die aus unserer Sicht wichtig sind. Den Grünen ist es wichtig, dass die Verfahren transparent sein sollten. Insbesondere die Normungsgremien sollten nicht von den Vertretern der Großindustrie monopolisiert werden. In dem vorliegenden Gesetz wird die renommierte Zulassungsstelle im Bauwesen, das Deutsche Institut für Bautechnik, als unabhängiges Normungsgremium benannt, das 1993 aus dem Institut für Bautechnik hervorgegangen ist. Unser Anliegen ist es, dass auch Positionen kleiner und mittlerer Unternehmen oder anderer Beteiligter berücksichtigt oder übernommen werden sollten. Der Aufbau der Vorschriften und auch das Verfahren sollten in der Lage sein, innovative und ökologische Ansätze zu fördern. Weiter ist zu vermeiden, dass spezielle Verfahren für „Kleinstunternehmen“ von der Industrie als ein Mittel genutzt werden könnten, um die Anforderungen und Verfahren generell zu umgehen. Lassen sie mich die Gelegenheit nutzen, etwas zu Bauprodukten im Allgemeinen zu sagen. Deutschland hat sich international verpflichtet, seinen Beitrag zu leisten, um den Anstieg der globalen Temperatur um mehr als 2 Grad Celsius zu verhindern. Dies bedeutet, dass der Ausstoß von Klimagasen hierzulande um mindestens 40 Prozent bis 2020 und um 95 Prozent bis 2050 gesenkt werden muss. Der Gebäudebereich spielt also für das Erreichen der Klima- und Energieeinsparziele eine zentrale Rolle; denn in den Bestandsgebäuden werden 40 Prozent der Endenergie für Wärme und Kühlung verbraucht und fast 20 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland verursacht. Mit den Klimazielen gehen Fragen der Versorgungssicherheit einher. Das Gros der fossilen Energierohstoffe wird aus außereuropäischen Ländern importiert, und es wird immer teurer. Deutschland lag in 2008 mit einem Erdölverbrauch von 118,1 Millionen Tonnen an sechsten Stelle der zehn Länder mit dem weltweit größten Erdölverbrauch. Die deutsche Wirtschaft zahlte im Jahr 2010 allein für ihre Ölimporte 41,6 Milliarden Euro. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, den Energieverbrauch sowie die CO2-Emissionen zu senken und die Abhängigkeit von Erdölimporten zu reduzieren, ist also die Steigerung der Ressourcen-, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit im Gebäudebestand ein wichtiger Baustein. In Bezug auf die Modernisierung der Wärmeversorgung von Gebäuden sind immerhin erste Schritte eingeleitet. Alternative Baustoffe haben aber trotz des großen Substitutionspotenzials nur wenig Eingang in die Aktionsprogramme zur Gebäudesanierung gefunden, und selbst im Neubau sind sie nur die Ausnahme. Ein Großteil der in Deutschland benötigten energetischen und nichtmetallischen mineralischen Rohstoffe wird im Land gewonnen. Mengenmäßig sind Bausande und -kiese mit etwa 239 Millionen Tonnen die wichtigsten mineralischen Rohstoffe, auf die knapp ein Drittel der heimischen Rohstoffproduktion entfällt. Ökologische Herausforderungen ergeben sich aufgrund der negativen Umweltwirkungen, durch Abbau und Verbrauch, und ihrer Endlichkeit. Die Entnahme von Rohstoffen beeinflusst die Umwelt negativ: unter anderem durch Veränderungen der Landschaft, Abholzung der Vegetation für Tagebaue, Absenken der Grundwasserspiegel, die Belastung des Grundwassers mit Metallen oder durch Versauerung sowie durch das Risiko von Bergschäden. Die von Rot-Grün eingeführten Marktanreizprogramme für ökologische Baustoffe wurden von den nachfolgenden Bundesregierungen leider nicht weitergeführt. Die Absatzzahlen von Dämmstoffen auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen konnten durch die Marktanreizprogramme kurzfristig gesteigert werden. Die Laufzeit der Programme war zu kurz, um wesentliche dauerhafte Preissenkungen der Produkte zu erreichen. Diese konnten gegenüber den Produkten aus der steuerbefreiten stofflichen Nutzung von Erdöl keine gesteigerte Konkurrenzfähigkeit entwickeln, obwohl die im Neubau und der energetischen Gebäudesanierung üblicherweise verwendeten Baustoffe hinsichtlich Energieverbrauch, CO2-Emissionen, Haltbarkeit, Schadstofffreiheit und Recyclingfähigkeit vielfach mangelhaft sind. Obwohl die konventionellen organisch-synthetischen Dämmstoffe über die Steuerbefreiung für die stoffliche Nutzung von Erdöl bereits einen Marktvorteil haben, sind ökologisch nachhaltige Baustoffe in der Fördersystematik der KfW mit Dämmstoffen auf petrochemischer Basis gleichgestellt. Unter anderem wegen dieses Marktvorteils und den daraus resultierenden niedrigen Preisen der petrochemischen Materialien werden Dämmstoffe aus ökologisch nachhaltigen Materialien weniger verbaut. Schaut man auf die Zahlen der CO2-Gebäudesanierungsprogramme der KfW, so sieht man: Es wurden seit 2006 der Neubau und die energetische Sanierung von 2,4 Millionen Wohnungen finanziert. Über diese Fördermittel wurden Investitionen mit einem Volumen von 74 Milliarden Euro angestoßen, circa 4,6 Millionen Tonnen CO2 eingespart und 320 000 Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert. Für die Verwendung ökologischer Baustoffe gäbe es bei Betrachtung dieser Zahlen somit ein erhebliches Potenzial. Die Bundesregierung sollte daher erwägen, die Subventionierung petrochemischer Kunststoffe und CO2-intensiver Baustoffe abzubauen und die Steuerbefreiung für die stoffliche Nutzung von Erdöl abschaffen. Die Steuerbefreiung für die stoffliche Nutzung von Erdöl stellt eine Marktverzerrung zugunsten umwelt- und klimaschädlicher sowie energieaufwendiger Produkte dar. Die steuerliche Gleichstellung würde einen deutlichen ökonomischen Anreiz zur Nutzung nachwachsender Rohstoffe setzen. Die Energie- und Stromsteuersubventionen sollten für die energieintensive Herstellung von Baustoffen wie Zement und Keramik nur gewährt werden, wenn die Produktion sonst nachweislich von der Verlegung ins weniger stark regulierte Ausland bedroht wäre und keine gleichwertigen Alternativbaustoffe mit besserer Umweltbilanz bereitstehen. Auch ist es überlegenswert, das Bergrecht grundlegend zu reformieren. In Deutschland kann nach dem geltenden Bergrecht eine Förderabgabe von 10 Prozent oder mehr des Rohstoffwertes auf sogenannte bergfreie Bodenschätze von den Ländern erhoben werden. Allerdings ist die derzeitige Aufteilung in bergfreie und grundeigene Bodenschätze und damit die Aufteilung, für welche Bodenschätze Förderabgaben grundsätzlich zu zahlen sind oder nicht, willkürlich. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Ausnahmeregelungen, sodass in der Regel überhaupt keine Förderabgabe gezahlt wird. Diese Regelung ist – wie auch weite Teile des übrigen deutschen Bergrechts – nicht mehr zeitgemäß. Bis heute stehen hier völlig einseitig die Interessen der Bergbautreibenden im Vordergrund, nicht die Schonung von Ressourcen. Wir wollen das Bergrecht umfassend reformieren. Die Zahlung einer Förderangabe muss der Regel- und darf nicht der Ausnahmefall in Deutschland sein. Wir wollen daher eine Förderabgabe in Höhe von mindestens 10 Prozent konsequent auch auf nicht erneuerbare Baustoffe wie Kies und Sand erheben. Dies ist gerechtfertigt, da beim Rohstoffabbau in der Regel in erheblichem Umfang Gemeingüter in Anspruch genommen werden. Jedenfalls sind die bestehenden Förderabgaben nicht ausreichend, und die vielen Ausnahmen machen diese ineffizient. Die konsequente Erhebung einer Förderabgabe schafft Anreize für Ressourceneffizienz, gerade bei dem bisher nicht erfassten Abbau von Massenrohstoffen der Bauindustrie wie Kies, Sand und Gesteinen. Die Verpflichtung zur Zahlung wollen wir auf alle hierzulande geförderten Bodenschätze ausdehnen. Sie sollte nur in begründeten Ausnahmefällen und zeitlich eng befristet erlassen werden und weiterhin den Ländern zugutekommen. Wir wollen Unternehmen, die nachweislich besonders energieintensiv sind und in intensivem internationalen Wettbewerb stehen, weiterhin Erleichterungen bei den Energiesteuern oder bei den Umlagen für erneuerbare Energien gewähren, um eine CO2-bedingte Verlagerung von Unternehmen zu vermeiden. Allerdings müssen diese Subventionen zukünftig an den im Einzelfall nachgewiesenen Härten bemessen und an konkrete Effizienzverpflichtungen geknüpft werden, damit nicht Verschwendung und technologischer Stillstand subventioniert werden. Der Einsatz ökologischer Baustoffe sollte im Neubau und bei energetische Sanierung stärker gefördert und daher ein Modellprogramm für ökologische Baustoffe initiiert werden. Hinsichtlich der Standards für Baustoffe sollten diese um den Energieverbrauchs ergänzt werden und den gesamten Lebenszyklus der Baustoffe, inklusive des Energieverbrauchs bei Herstellung, Betrieb und Entsorgung berücksichtigen. Die Energieausweise für Gebäude müssen dringend um eine Nachhaltigkeitsbewertung mit Lebenszyklusbetrachtung der Gebäude erweitert werden. Auch dürfen ökologische Baustoffe nicht länger in den Bauordnungen des Bundes und der Länder diskriminiert werden, wie etwa in den Brandschutzkategorien. Sehr sinnvoll wäre es, die Programme der KfW für Neubau und Sanierung stärker auf den Einsatz ökologischer Baumaterialien auszurichten; denn viele der im Neubau und der energetischen Gebäudesanierung herkömmlich verwendeten Baustoffe erfüllen nur mangelhaft Anforderungen an das Nachhaltigkeitsprinzip hinsichtlich ihrer Haltbarkeit, Schadstofffreiheit und Recyclingfähigkeit. Die Grundlagenforschung in diesem Bereich der ökologischen Baustoffe und Bauweisen, beispielweise ein Forschungsprogramm „Bauen mit Holz“, muss daher dringend intensiviert werden. Zum Instrumentarium einer nachhaltigen Ressourcenpolitik gehören auch Ressourcensteuerabgaben. Negative gesellschaftliche Umweltauswirkungen, die durch den Abbau von Rohstoffen entstehen, können durch Steuern und Abgaben internalisiert werden. Nötig ist deshalb ein Forschungsprogramm, das konkrete Möglichkeiten in den Einstieg der Rohstoffbesteuerung aufzeigt. Die Diskriminierung ökologischer Baustoffe in Deutschland muss endlich ein Ende haben. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das Gesetz dient der Anpassung des Bundesrechts an die Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates, ABl. L 88 vom 4. April 2011, S. 5 EU-Bauproduktenverordnung. Die EU-Bauproduktenverordnung sieht einen neuen Rechtsrahmen für die Vermarktung und CE-Kennzeichnung von Bauprodukten vor und löst zum 1. Juli 2013 die bisher geltende Bauproduktenrichtlinie 89/106/EWG ab. Zur Anpassung des Bundesrechts ist es erforderlich, Regelungen zur Durchführung der EU-Bauproduktenverordnung im Bauproduktengesetz zu treffen, die Vorschriften aufzuheben, die zurzeit der Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie dienen, sowie Folgeänderungen im übrigen Bundesrecht vorzunehmen. Das Gesetz zur Anpassung des Bauproduktengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften an die Verordnung (EU) Nr. 305/2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten, BauPG-Anpassungsgesetz, regelt Folgendes: die Einsetzung des Deutschen Instituts für Bautechnik, DIBt, als technische Bewertungsstelle für Bauprodukte, analog den Zulassungen nach Landesrecht; die Einsetzung des DIBt als notifizierende Behörde für „unabhängige Drittstellen“ – diese erteilt etwa Prüflaboratorien die Befugnis, im Rahmen der EU-Bauproduktenverordnung tätig zu werden –; die Verpflichtung zur Akkreditierung für unabhängige Drittstellen bei der Deutschen Akkreditierungsstelle, DAkkS – diese bescheinigt die technische Kompetenz der Drittstellen –; ergänzende Ausführungsregelungen zur Marktüberwachung sowie Bußgeld-/Straftatbestände. Der Gesetzentwurf ist zur Durchführung von EU-Recht notwendig und ausreichend. Die Art. 1 und 2 des Gesetzes enthalten die notwendigen Durchführungsregelungen zur EU-Bauproduktenverordnung. Sie umfassen im Wesentlichen Zuständigkeitsbestimmungen, ergänzende Verfahrensbestimmungen sowie Bußgeld- und Straftatbestände. Die weiteren Artikel enthalten Folgeänderungen des Erlasses der EU-Bauproduktenverordnung im übrigen Bundesrecht. Der gespaltenen Inkrafttretensregelung des Art. 68 der EU-Bauproduktenverordnung folgend tritt Art. 1 sofort in Kraft; die übrigen Artikel treten zum 1. Juli 2013 in Kraft. Für Bund, Länder und Gemeinden ergeben sich keine Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand. Das Gesetz verursacht keinen Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger. Das Gesetz verursacht keinen Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft. Das Gesetz verursacht keinen Erfüllungsaufwand für die Verwaltung. Weitere Kosten entstehen nicht. Es sind keine Auswirkungen auf die Einzelpreise für Bauprodukte und andere Waren und Dienstleistungen zu erwarten. Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind auszuschließen. Ich bitte Sie, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zuzustimmen. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10874, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10310 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Fograscher, Wolfgang Gunkel, Michael Hartmann (Wackernheim), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Evaluierung der Auswirkungen des neuen Waffenrechts – Drucksache 17/10114 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Günter Lach (CDU/CSU): Der schreckliche Amoklauf vom 11. März 2009 in Winnenden war Anlass dafür, eine Änderung des Waffenrechts vorzunehmen. Insbesondere die mangelhafte Sicherung bei der Aufbewahrung von Waffen und Munition hat dem Täter erst Zugang zu Waffen und Munition ermöglicht. In seinen Beratungen hat sich der Deutsche Bundestag besonders mit dieser Problematik auseinandergesetzt. Dabei wurde deutlich, dass die Waffengesetzgebung an mehreren Stellen verändert werden muss, um mehr Sicherheit zu erreichen. Ein Hauptaugenmerk lag unter anderem darauf, dass gerade Jugendlichen der Zugang zu Waffen und Munition erschwert wird. Um die Wirksamkeit der Gesetzesänderungen zu überprüfen, hat der Deutsche Bundestag in seiner 227. Sitzung am 18. Juni 2009 zudem eine Entschließung angenommen, die die Bundesregierung auffordert, die getroffenen Regelungen zu evaluieren. Diese Forderung findet sich auch im Koalitionsvertrag der christlich-liberalen Koalition. Dabei sollte ein besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, ob die Änderungen für legale Waffenbesitzer eine zu hohe Belastung darstellen. Um dies zu bewerten, ist eine aussagekräftige Evaluierung wichtig. Der vorliegende Antrag der SPD fordert die Bundesregierung nun auf, diesen Evaluierungsbericht, der bis zum Ende 2011 vorliegen sollte, endlich vorzulegen. Des Weiteren bittet die SPD die Ständige Konferenz der Innenminister und Senatoren der Länder, IMK, endlich um Freigabe des Berichts der Expertengruppe Evaluierung Waffenrecht. Bedauerlicherweise liegt uns dieser Bericht der Länder nicht vor. Die Länder haben mehrfach einer Freigabe des Berichts widersprochen, zuletzt im Rahmen einer Abfrage durch die Geschäftsstelle der IMK im September 2012. Zwischenzeitlich hat die Bundesregierung dem Innenausschuss ihren Bericht zugeleitet. Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass nach Art. 83 Grundgesetz die Ausführung des Waffengesetzes Angelegenheit der Länder ist. Der Bund war insofern darauf angewiesen, Erfahrungswerte von den 577 Waffenbehörden der Länder aufzugreifen und zu einem Bericht zusammenzufügen. Vor dem Hintergrund, dass unsere derzeitige Struktur sehr heterogen ist und auch die Zuständigkeitsbereiche der Mitarbeiter unterschiedlich gestaltet sind, stützt sich die Bundesregierung in ihrem Bericht auf die Ergebnisse der Expertengruppe Waffenrecht der Länder. Die Länderexpertengruppe hat einen Fragenkatalog erarbeitet, der von 15 Prozent der Waffenbehörden anonymisiert zu beantworten war. Unter Einbeziehung der Erfahrungen von Flächenländern ebenso wie Stadtstaaten sollte so ein repräsentatives Bild gezeichnet werden. Insgesamt wurden also 86 Behörden über ihre Erfahrungen mit den waffenrechtlichen Änderungen von 2009 im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 befragt. Aufgrund des Fragenkatalogs der Expertengruppe Waffenrecht kommt die Bundesregierung zu der Bewertung, dass die Waffenrechtänderungen von 2009 zur Verbesserung der Sicherheit beitragen und sie damit das Ziel, Jugendlichen und unberechtigten Personen den Zugang zu Waffen und Munition zu erschweren, erreicht hat. Das Datenmaterial, auf dem die Auswertung der waffenrechtlichen Änderungen im Einzelnen basiert, kann meiner Ansicht nach nur Hinweise zur Wirksamkeit geben. Dies ist unter anderem dem Umstand geschuldet, dass die Waffenbehörden der Länder nicht verpflichtet sind, Statistiken zu führen und somit keine einheitlich strukturierten Daten zur Auswertung vorliegen. Abgesehen davon ist vonseiten der Bundesregierung aber auch keine weitere umfassende Abfrage hinsichtlich der Wirksamkeit der jüngsten Änderungen des Waffengesetzes erfolgt. Dies wäre wünschenswert gewesen. Im Hinblick auf einheitliche Struktur und Datenlage wird die Einführung des Nationalen Waffenregisters, das wir in diesem Jahr auf den Weg gebracht haben, eine deutliche Verbesserung bringen. Die bisher in unterschiedlicher Form gesammelten Informationen über Waffenbesitz der lokalen Waffenbehörden werden nun aktualisiert und in ein computergestütztes System überführt. Darüber hinaus werden jetzt in ganz Deutschland erstmals einheitliche Standards festgelegt, welche Informationen im Zusammenhang mit Waffenbesitz im Einzelnen festgehalten werden müssen. Eine aktuelle und -belastbare Datengrundlage ist nicht nur ein Sicherheitsgewinn für Polizei und Strafverfolgungsbehörden. Sie dient auch einer sachlichen Debatte um das Thema Waffenrecht. Ein wesentlicher Teil der Gesetzesänderungen von 2009 bezieht sich auf die Kontrolle der sicheren Aufbewahrung von Waffen und Munition sowie die Überprüfung der waffenrechtlichen Bedürfnisse. Die Umsetzung der verdachtsunabhängigen Kontrollen nach § 36 Abs. 5 WaffG hat im Vorfeld große Diskussionen unter den Waffenbesitzern hervorgerufen. Die Ordnungsämter haben nun die Möglichkeit, in Vor-Ort-Kontrollen die Einhaltung der Aufbewahrungsvorschriften bei Besitzern von Schusswaffen stichprobenartig ohne vorherige Ankündigung zu überprüfen. Im Berichtszeitraum haben die Waffenbehörden der Länder in 8 554 Fällen die Möglichkeit der verdachtsunabhängigen Kontrolle genutzt. Erfreulicherweise ist festzuhalten, dass die Beanstandungsquote bei Jägern und Schützen nur bei 14 Prozent lag. Dies zeigt deutlich, dass Vereine und Verbände eine gute Aufklärungsarbeit leisten. Die Beanstandungsquote bei Altbesitzern lag allerdings bei fast 100 Prozent. Ein Großteil der Beanstandungen konnte kurzfristig behoben werden, und nur 12 Prozent der Beanstandungen führten zu 236 Widerrufsverfahren. Mit § 36 Abs. 3 Satz 1 WaffG hat der Waffenbesitzer nun eine „Bringschuld“ und muss gegenüber der Waffenbehörde die sichere Aufbewahrung nachweisen. Aus dem Bericht geht hervor, dass dieser Nachweis von Jägern und Sportschützen durchweg erbracht wurde. Dagegen konnten Erben und Altbesitzer eine sichere Aufbewahrung häufig nicht nachweisen und entschieden sich dafür, entsprechende Waffen an die Behörden abzugeben. Nach der Regelung des § 52 a WaffG ist ein Verstoß gegen die Aufbewahrungsvorschriften nun nicht mehr wie bisher nur bußgeldbewehrt. Ein vorsätzlicher Verstoß steht unter Strafe, wenn konkrete Gefahr des Abhandenkommens bzw. der Zugriff Dritter entsteht. Hierzu ist der Bericht meiner Ansicht nach nicht aussagekräftig genug, da kaum Erfahrungen mit dem Vollzug gemacht wurden. Grundsätzlich teile ich die Einschätzung, dass die Beibehaltung eines Strafmaßes bei besonders schwerwiegenden Verstößen gegen die waffenrechtlichen Aufbewahrungsvorschriften sinnvoll ist. Eine genaue Überprüfung der Vorschrift ist aber erst möglich, wenn konkretere Erfahrungswerte vorliegen. Insgesamt sehe ich klare Hinweise darauf, dass mit Nachweispflicht und verdachtsunabhängigen Kontrollen das Ziel erreicht wurde, die Sicherheit bei Aufbewahrung von Waffen und Munition wesentlich zu verbessern. Die Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse haben jederzeit für eine sichere Aufbewahrung von Waffen und Munition Sorge zu tragen. In Bezug auf die 2009 in § 4 Abs. 4 Satz 3 WaffG getroffene Möglichkeit, auch nach der bisher vorgeschriebenen einmaligen Regelüberprüfung das waffenrechtliche Bedürfnis fortlaufend überprüfen zu können, kommt der Bericht zu einem positiven Ergebnis. Von den befragten Waffenbehörden wurde diese Möglichkeit der erneuten Überprüfung befürwortet und auch durchgeführt. In den meisten Fällen geschah dies anlassbezogen zum Beispiel aufgrund von Information von Schießsportvereinen oder bei Zuzug. Außerdem erfolgte die Bedürfnisprüfung häufig im Zuge von Kontrollen der sicheren Aufbewahrung von Waffen und Munition. Bei knapp 4 Prozent der Fälle wurde ein Widerrufsverfahren gemäß § 45 Abs. 2 WaffG eingeleitet, und in Einzelfällen haben Waffenbesitzer ihre Waffen freiwillig an Behörden abgegeben. Zu den waffenrechtlichen Änderungen von 2009 gehört auch, dass der Waffenerwerb durch Sportschützen über das sogenannte Grundkontingent hinaus stärker von waffenrechtlichen und sportlichen Bedürfnissen abhängig ist. Der Bericht sieht hierin eine Unterstützung der Arbeit von Waffenbehörden und ehrenamtlich Verantwortlichen in den Schießsportverbänden, da so nur nachgewiesen aktive Sportschützen in der Ausübung ihres Sports gefördert werden. Die Anhebung der Altersgrenze von 14 auf 18 Jahre – § 27 Abs. 3 WaffG – für das Schießen mit sogenannten großkalibrigen Waffen im Schießsportverein war eine richtige Entscheidung. Nur zur Nachwuchsgewinnung und Förderung des Leistungssports sind Ausnahmen zugelassen. Sehr positiv wird die Verpflichtung der Meldebehörden in § 44 Abs. 2 WaffG aufgenommen, auch den Zuzug von Waffenbesitzern an die Waffenbehörden zu melden. Diese Regelung verbessert die Informationslage der Waffenbehörden wesentlich und gewährleistet eine schnellere Bearbeitung und Aktualisierung der Waffenakten. Aus dem Bericht der Bundesregierung geht außerdem hervor, dass auch die Möglichkeit der Vernichtung eingezogener Waffen mit Änderung des § 46 Abs. 5 Satz 1 WaffG positiv bewertet wird. Nach den vorliegenden Angaben machten 92 Prozent der Waffenbehörden von der Möglichkeit Gebrauch, sichergestellte und eingezogene Waffen zu vernichten. Damit können diese Waffen endgültig vom Markt genommen werden. Nicht zuletzt durch den Erfolg der befristeten Amnestieregelung kommt die Bundesregierung zu dem Schluss, dass die in 2009 getroffenen Änderungen des Waffengesetzes die Erwartungen erfüllt haben. Insgesamt wurden bis zum 31. Dezember 2009 circa 200 000 Waffen abgegeben. Als Gesetzgeber ist es das Bestreben des Deutschen Bundestages in seiner Gesetzgebung zum Waffenrecht einen Ausgleich zwischen dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung einerseits und den Interessen von rechtmäßigen Waffenbesitzern wie Sportschützen, Jägern und Sammlern andererseits zu schaffen. Insbesondere vor dem Hintergrund der letzten waffenrechtlichen Änderungen von 2009 ist es daher von großem Interesse für den Deutschen Bundestag, die Auswirkungen der Änderungen überprüfen zu können. Nur aufgrund einer fundierten Information und Datenlage können Aussagen über die Wirksamkeit der Regelungen getroffen werden. Die Ergebnisse des vorgelegten Berichts der Bundesregierung sind leider nicht so aussagekräftig, wie ich es mir als Innenpolitiker wünschen würde. Hier möchte ich die Anregung an das Bundesministerium des Innern weitergeben, eine weitere Ergänzung des Berichts vorzunehmen. Es bleibt außerdem festzuhalten, dass bestehende Fragen und Unklarheiten zur Umsetzung einiger Regelungen erst mit der am 23. März 2012 in Kraft getretenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz, WaffVwV, ausgeräumt wurden. Inwieweit das einen Einfluss auf die Praxis der Waffenbehörden vor Ort hatte, geht aus diesem Bericht leider nicht hervor. Deutlich geworden ist, dass Sportschützen, Jäger und Sammler überwiegend gut über die neuen Anforderungen an die Sicherheit bei der Aufbewahrung von Waffen und Munition informiert sind und sie weitestgehend -erfüllt haben. Dies bestätigt auch meine persönliche -Erfahrung in Gesprächen mit Waffenbesitzern. Gabriele Fograscher (SPD): Am 18. Juni 2009 hat der Deutsche Bundestag umfangreiche Änderungen im Waffenrecht beschlossen. Neben anderen Neuregelungen wurde die Nachweispflicht der sicheren Aufbewahrung für Waffenbesitzer ein-geführt und für die Waffenbehörden die Möglichkeit geschaffen, die sichere und ordnungsgemäße Aufbewahrung der Waffen verdachtsunabhängig zu kontrollieren. Viele Waffenbesitzer haben diese Änderungen kritisiert, weil sie angeblich die legalen Waffenbesitzer unter einen Generalverdacht stelle. Deshalb hat der Deutsche Bundestag bei der Verabschiedung des Gesetzes eine Entschließung gefasst, ich zitiere: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundes-regierung auf, die Wirksamkeit der getroffenen Regelungen zur sicheren Aufbewahrung und zum Schutz vor unberechtigtem Zugriff bis Ende 2011 zu evaluieren.“ Doch bis Ende 2011 lag nichts, aber auch gar nichts aus dem Bundesinnenministerium vor, was den Auftrag des Bundestages hätte erfüllen können. Am 11. Oktober 2012, also mehr als 9 Monate nach Ablauf des Frist, erhalten wir ein Schreiben aus dem Bundesinnenministerium, das der geforderte Evaluierungsbericht sein soll. Doch dieser angebliche Evaluierungsbericht ist, gelinde gesagt, eine Unverschämtheit. Schon alleine in der Vorbemerkung zeigt das Bundesinnenministerium, was es von Aufträgen des Deutschen Bundestages hält: „Der zwischen CDU, CSU und FDP für die 17. Legislaturperiode vereinbarte Koalitionsvertrag greift diesen Auftrag auf und regelt, dass insbesondere darauf geachtet werden soll, ob es im praktischen Vollzug der 2009 getroffenen Regelungen unzumutbare Belastungen für die Waffenbesitzer gegeben hat.“ Es ist doch völlig unerheblich, was in dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP steht. Wichtig ist, was der Deutsche Bundestag von der Bundesregierung -fordert. Das Parlament wollte eine Evaluierung der Aufbewahrungsvorschriften und der Regelungen zum Schutz vor unberechtigtem Zugriff. Ob es unzumutbare Belastungen für die Waffenbesitzer gibt, war und ist nicht Auftrag des Bundestages gewesen. Wenn Sie als Koalitionsfraktionen das gerne wissen wollen, dann fragen Sie doch Ihren Minister. Wer sich von dem angeblichen Evaluierungsbericht neue Erkenntnisse über das neue Waffenrecht erhofft hat, wurde abermals enttäuscht: In der Ausschussdrucksache heißt es dazu: „Da nicht zu erwarten war, dass eine erneute eigenständige Abfrage des Bundes bei den Ländern zu weitergehenden Ergebnissen bzw. Erkenntnissen geführt hätte, wurde nicht zuletzt auch im Hinblick auf die begrenzten personellen Ressourcen sowohl beim Bund als auch bei den Ländern darauf verzichtet und der von der IMK beschlossene Evaluierungsbericht zur Erledigung des Auftrages des Deutschen Bundestages zugrunde gelegt.“ Das ist eine Frechheit und eine Missachtung des Parlaments. Dieser angebliche Evaluierungsbericht ist also eine Zusammenfassung des Berichts der IMK, der dem Deutschen Bundestag nicht zugänglich gemacht wird. Hinzu kommt, dass der IMK-Bericht auch die Änderungen des Waffenrechts von 2008 untersuchen sollte. Die Erkenntnisse wurden für den Zeitraum 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2010 erhoben, also für einen Zeitraum, in dem das im Juli 2009 geänderte Waffenrecht gerade erst in Kraft getreten war. Auch die All-gemeine Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz war in dem Zeitraum noch nicht in Kraft. Erstaunlich ist auch, dass das Bundesinnenministerium fast ein Jahr gebraucht hat, um den IMK-Bericht zusammenzufassen und dem Bundestag vorzulegen. Es gab keine eigenständige Abfrage der Wirkungen der Neuregelungen bei den Waffenbehörden durch das Bundesinnenministerium. Es gab keine Gespräche mit Waffenbesitzern und deren Verbänden durch das Bundesinnenministerium. Es gab auch keine Erhebung des Bundesinnenministerium, wie die verdachtsunabhängigen Kontrollen in den einzelnen Ländern durchgeführt werden, welche Gebühren für diese Kontrollen den -Waffenbesitzern angelastet werden. Nach meinen Informationen sind die Gebühren für die Kontrollen teilweise erheblich, unterscheiden sich aber massiv von Bundesland zu Bundesland, ja sogar von Landkreis zu Landkreis. Dabei steht in der Begründung zu den neuen waffenrechtlichen Regelungen: „Die verdachtsunabhängigen Kontrollen liegen im öffentlichen Interesse und des-wegen werden keine Gebühren erhoben.“ Wenn das Bundesinnenministerium eigene Erhebungen durch-geführt und den Auftrag des Bundestages ernst genommen hätte, dann hätte so etwas auch in dem Evaluierungsbericht stehen müssen. Wenn Sie uns schon eine Zusammenfassung des IMK-Berichts als Ihren eigenen Evaluierungsbericht vorlegen, müssen Sie uns eine Reihe von Fragen beantworten: Wie ist der Bericht zustande gekommen? Welche Methodik liegt ihm zugrunde? Führen die Länder Statistiken über die Kontrollen? Wird unterschieden zwischen angemeldeten und unangemeldeten Kontrollen? Wie kann man einen Bericht zusammenfassen und die Ergebnisse bewerten, wenn „keine einheitlich strukturierten Daten für eine statistische Auswertung zur Verfügung stehen“ (Ausschussdrucksache 17(4)582)? Für meine Fraktion stelle ich klar: Das Waffengesetz ist ein Bundesgesetz. Dass der Vollzug bei den Ländern liegt, enthebt die Bundesregierung nicht ihrer Pflicht, zu überprüfen, wie sich Gesetzesänderungen auswirken. Die Innenausschussdrucksache 17(4)582 erfüllt nicht den Auftrag des Deutschen Bundestages zur Evaluierung der Aufbewahrungs- und Kontrollregelungen im neuen Waffenrecht. Wir fordern von der Bundesregierung, dass bis Ende 2012 ein ernstzunehmender und auf eigenen Erhebungen und Befragungen basierender Evaluierungsbericht dem Deutschen Bundestag zugeleitet wird. Wir fordern, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzt, dass dem Deutschen Bundestag der IMK-Bericht zugeleitet wird. Das Waffenrecht ist ein Beitrag zur öffentlichen -Sicherheit. Deshalb haben die Bürgerinnen und Bürger ein Recht, zu erfahren, wie sich Änderungen im Waffenrecht auswirken. Und wir, der Deutsche Bundestag, -lassen uns nicht abspeisen mit der lapidaren Begründung des Personalmangels, der angeblich einer eigenständigen Evaluierung eines Bundesgesetzes entgegensteht. Serkan Tören (FDP): Nunmehr liegt also der lang erwartete Evaluierungsbericht zu den Verschärfungen des Waffenrechts auf dem Tisch – leider allerdings nur der Bericht der Bundesregierung. Die Länder haben Ihren Bericht nach meinem Kenntnisstand bis zum heutigen Tag nicht freigegeben. Dabei wäre es aus meiner Sicht durchaus hilfreich, den Bericht der Länder zu bekommen. Immerhin ist dieser Länderbericht die Grundlage des Evaluierungsberichts der Bundesregierung. Vielleicht können sich die Innenminister der Länder noch dazu durchringen, dem Bundestag als zuständigem Gesetzgeber im Bereich des Waffenrechts ihren Bericht vorzulegen. Dies wäre sehr hilfreich. Zum vorgelegten Evaluierungsbericht der Bundesregierung: Wie dem Bericht zu entnehmen ist, scheinen sich die Änderungen im Waffenrecht der letzten Jahre bewährt zu haben. Erlauben Sie mir dennoch ein paar kritische Anmerkungen. Zunächst zu den Altersgrenzen gemäß § 27 III Waffengesetz. Was die Altersgrenzen für junge Sportschützen angeht, so wurden diese mit den Verschärfungen des Waffenrechts erheblich angehoben. Sicher, es gibt die Möglichkeit für Ausnahmegenehmigungen für den Bereich des Leistungssports. Aber diese gelten für den Leistungssport, und niemand fängt in diesem Bereich an. Außerdem gibt es für Ausnahmegenehmigungen auch Einschränkungen, sofern mit bestimmten Kalibern geschossen werden soll. Ob sich diese Altersbeschränkungen mit der Möglichkeit der Ausnahme allerdings unter dem Gesichtspunkt Nachwuchsförderung bzw. Nachwuchsgewinnung und Olympische Spiele bewährt haben, ist aus meiner Sicht fraglich. Mir geht es nicht darum, dass Jugendliche ohne jegliche altersgerechte Betreuung den Umgang mit Waffen lernen. Mir geht es darum, dass Sportler ihre Karriere frühzeitig beginnen können, damit sie in der Weltklasse mithalten können. Mit den angesprochenen Einschränkungen sehe ich da große Probleme. Wir sollten uns dies im Innenausschuss aus meiner Sicht noch einmal genau ansehen. Zur Bedürfnisprüfung nach § 4 Waffengesetz: Zur Bedürfnisprüfung möchte ich anmerken, dass viele Sportschützen zwar regelmäßig schießen, oftmals aber Probleme haben, die für erforderlich gehaltene Anzahl von Schießen nachzuweisen. Dies wiederum hat dann Auswirkungen auf ihr Bedürfnis, entsprechende Waffen zu besitzen. Im Bericht heißt es dazu, dass in knapp 4 Prozent der Fälle, in denen eine Bedürfnisprüfung vorgenommen wurde, ein Widerrufsverfahren nach § 45 II Waffengesetz eingeleitet wurde. Mich würden in diesem Zusammenhang weitere Hintergründe zu diesen angeführten Fällen interessieren. Schließlich noch zur verdachtsunabhängigen Kontrolle nach § 36 III Waffengesetz: Es wird Sie sicherlich nicht überraschen, aber gerade aus liberaler Sicht sehe ich bei den Möglichkeiten der Nachschau in privaten Räumen das größte Problem der Änderungen im Waffenrecht. Hierbei wird aus meiner Sicht in das Recht der Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen, wie sie das Grundgesetz in Art. 13 garantiert. Sicherlich ist eine Kontrolle zur Durchsetzung gesetzlicher Vorschriften erforderlich. Aber was ich im Zusammenhang mit den Nachschauen aus dem Kreis von Jägern und Schützen zu hören bekomme, macht mich fassungslos. Da wurde mir berichtet, dass zur Überprüfung gleich mehrere Behördenvertreter zusammen mit Polizisten angerückt seien. Es wurde mir auch berichtet, dass Behördenvertreter gar keine Ahnung von Waffen gehabt haben sollen. Wenn wir als Gesetzgeber diese ohnehin schon problematische Nachschau gesetzlich verankern, dann hat diese auch schonend und fachlich versiert zu erfolgen. Ich sehe hier noch erheblichen Klärungsbedarf. Sie sehen, es gibt noch viele Punkte, die in den weiteren Beratungen zu klären sind. Ich bin gespannt auf die weiteren Beratungen im Innenausschuss. Frank Tempel (DIE LINKE): Der vorliegende Antrag der SPD hat sich insofern erledigt, als dass die Bundesregierung in plötzlicher Eile – mit Datum vom 8. Oktober 2012 – den geforderten  Evaluationsbericht doch noch vorgelegt hat. Allerdings kann der Bericht nicht den Anspruch einlösen, eine Evaluation der waffenrechtlichen Änderungen seit 2009 oder gar eine Evaluation des bundesdeutschen Waffenrechtes vorzunehmen. Die Bundesregierung hat es sich so einfach wie möglich gemacht. Sie hat den Evaluationsbericht der Expertengruppe „Waffenrecht“ der Ständigen Konferenz der Innenminister von Dezember 2011 abgeschrieben. Die Datenlage dieses Berichtes ist allerdings mehr als dürftig. Von den 577 Behörden – Polizei und Kommunen – sind nur 86 Waffenbehörden für den Zeitraum Januar bis Dezember 2010 befragt worden. Da war das Waffenrecht gerade mal anderthalb Jahre in Kraft. Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz wurde erst im März 2012, also nach der Datenerhebung, in Kraft gesetzt. Die Verwaltungspraxis zum Beispiel zur Bedürfnisprüfung war bis dahin in jedem Kreis eine -andere. Angesicht dessen und der Tatsache, dass in den Ländern völlig unterschiedliche Statistiken geführt werden, die erhobenen Daten also nur begrenzt vergleichbar sind, kann von einer repräsentativen Erhebung keine Rede sein. In der Anhörung zum Waffenrecht im Innenausschuss des Bundestages im Mai 2012 waren sich alle Fraktionen und Gutachter einig, dass eine Evaluierung des bundesdeutschen Waffenrechtes unabdingbar ist. Die Bundesregierung beschränkt sich auf die Änderungen seit 2009, und selbst das ist nur halbherzig umgesetzt. Die Linke hingegen fordert eine grundhafte Evaluation des bundesdeutschen Waffenrechtes und einen internationalen Vergleich der bundesdeutschen Regelungen mit Regelungen anderer vergleichbarer Länder. Überprüft werden sollte, inwieweit die Verfügbarkeit von Waffen in der Gesellschaft und restriktive bzw. liberale Regelungen Waffenmissbrauch verhindern oder begünstigen. Erst dann kann eingeschätzt werden, inwieweit das deutsche Waffenrecht die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung und die Interessen von Sportschützen und Jägern im vernünftigen Maße austariert. Zum Evaluationsbericht. Nach dem Amoklauf von Winnenden wurde das Waffenrecht in mehreren Punkten geändert. Wesentlich sind die fortlaufende Bedürfnis- und Eignungsprüfung, die Änderungen bei der Anzahl des erlaubten Waffenbesitzes, Änderungen bei den Altersgrenzen, die Nachweispflicht einer sicheren Auf-bewahrung, die Einrichtung des nationalen Waffen-registers und insbesondere die verdachtsunabhängigen Kontrollmöglichkeiten zur vorschriftsmäßigen Lagerung von Waffen und Munition. In all diesen Punkten bescheinigt der Bericht der Bundesregierung eine Verbesserung der Sicherheit und die Praktikabilität der Gesetzesänderungen. Kein Wort wird hingegen verloren, dass die meisten Waffenbehörden mit den verdachtsabhängigen und verdachtsunabhängigen Kontrollen personell überfordert sind. Die Vor-Ort-Kontrollquote von 3,85 Prozent aller waffenrechtlichen Erlaubnisinhaber ist wohl eher ein erster Anfang als ein Ausweis für die Effektivität der Waffenbehörden. Die dabei festgestellte Beanstandungsquote von 23 Prozent ist zutiefst erschreckend und widerspricht den gebetsmühlenartig vorgetragenen Behauptungen von der überdurchschnittlichen Gesetzestreue der Waffenbesitzer. Es ist noch viel Arbeit zu leisten, um zu dem behaupteten Zustand zu gelangen. Auch der für Ende 2012 angekündigte Start des nationalen Waffenregisters ist nach Einschätzung zahlreicher Experten kaum zu halten. Es gibt erhebliche Schwierigkeiten bei der Zusammenführung Hunderter unterschiedlicher Datenbestände. Im Bericht liest sich das völlig anders. Probleme kommen nicht vor. Der illegale Waffenbesitz als gefährlichster Umstand bezüglich Waffen in der Bundesrepublik wird nur im Zusammenhang mit der abgelaufenen, befristeten Amnestie thematisiert. Die straflose Abgabemöglichkeit nicht zugelassener Waffen ist eine anerkannte Möglichkeit, illegale Waffen aus dem Schwarzmarkt zu nehmen. Im Bericht wird allerdings nur mitgeteilt, dass Amnestien nicht zu häufig stattfinden dürfen, da sonst illegaler Waffenbesitz dauerhaft legalisiert würde. Das offenbart eine gähnende Ideenlosigkeit der Bundesregierung. Es ist offensichtlich, dass die Regierungsparteien ein Jahr vor den Wahlen kein wirkliches Interesse an einer Evaluation des Waffenrechtes, geschweige denn an konstruktiven Änderungen haben und ihr bisheriges Handeln in belanglosen Berichten beschönigen wollen. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Antrag, den wir hier vor uns haben, ist ein klassisches Stück SPD-Politik zum Waffenrecht: erst die -Reform selbst nicht hingekriegt, dann in anklagendem Ton die Bundesregierung angehen, dass sie doch endlich ihrer Informationspflicht nachkommen solle – die es so gar nicht gibt, weil die SPD sie nicht im Gesetz verankert hat –, und schließlich übersehen, dass andere diese Anforderung längst gestellt haben, und zwar da, wo es tatsächlich wirksam ist, nämlich im Innenausschuss. Von einer inhaltlichen Positionierung in Sachen Reform des Waffenrechts sieht die SPD übrigens ab. Der Reihe nach: Im Frühjahr 2009 hat die damalige Große Koalition eine verkorkste und unzureichende -Reform des Waffenrechts beschlossen. Zwar wurden einige wichtige Punkte aufgenommen und die ohnehin zwingende Erfüllung EU-rechtlicher Vorgaben noch einmal als Fortschritt gefeiert. Aber es gibt darin keine Begrenzung des Waffenbesitzes, keine Regelungen gegen großkalibrige, halbautomatische Waffen, wie sie beim grässlichen Amoklauf in Winnenden benutzt wurden, keine Vorschrift, Waffen und Munition getrennt aufzubewahren. Auch eine Auswertung dieses Reförmchens sieht das Gesetz nicht vor. Die mitregierende SPD hat es damals nicht vermocht, ihre Zustimmung zum Gesetz -davon abhängig zu machen – es gab lediglich einen Entschließungsantrag. Nicht einmal die wissenschaftliche Unabhängigkeit der Evaluierung wurde damals angemahnt. Die wäre zwar richtig, aber im Text steht eben auch sie nicht. Und mal ganz ehrlich: Ein Entschließungsantrag einer Regierungskoalition, in der die eigene Regierung zum Handeln aufgefordert wird, ist nun wirklich eine so schwache Willenserklärung, dass man von Entschluss eigentlich nicht mehr reden mag. Als -Papiertiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet! Inhaltlich teilen wir das Anliegen der SPD, weshalb ich namens meiner Fraktion bereits im letzten Dezember um Übersendung der entsprechenden Ergebnisse der Länder gebeten hatte. Und ich hatte die Bundesregierung um ihre Haltung zu diesen Erkenntnissen gebeten und auch darum, welche Folgerungen sie daraus zieht. Das Ergebnis war ernüchternd. Zunächst hieß es, es liege noch nichts vor, und wir wurden mit einer lapidaren Zusammenfassung des Gesetzes abgespeist. Da es ja bei Schwarz-Gelb bekanntlich oft länger dauert, bis die Erkenntnis einsetzt, und dann ja noch der unvermeidliche Koalitionsstreit zu regeln ist, habe ich dann erst im Juni wieder nachgefragt. Nun wurde ich darauf verwiesen, dass es sich um einen Bericht der Länder handle, der dem Bund nicht zugänglich sei. Dass diese Regierung bisweilen lange braucht, um anstehende Fragen zu verstehen, daran haben wir uns alle gewöhnt. Dass sie das Schreiben von Gesetzen auslagert, ist auch nicht neu, aber dass sie nun die Bewertung einer Studie der Bundesländer nicht von der Studie selbst unterscheiden kann und im Übrigen eben diesen Ländern überlassen will, das ist dann doch ein neuer Grad an Begriffsstutzigkeit und Unselbstständigkeit. Mit Datum vom 8. Oktober wurde uns nun ein knapper Bericht vorgelegt. Darin werden vor allem die Änderungen des Waffengesetzes noch einmal dokumentiert, an Evaluierung gibt es nicht mehr als Sätze der Komplexitätsstufe „Die Regelung hat sich dem Grunde nach bewährt“. Man fühlt sich so stark an Radio Eriwan erinnert, dass man auf die Frage, ob diese Evaluierung etwas tauge, antworten möchte: Im Prinzip ja, aber sie müsste um Erkenntnisse ergänzt werden. Die Bundesregierung verzichtet vollkommen darauf, irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen. Kein Wort dazu, wie festgestellte Defizite behoben werden sollen, kein Wort dazu, ob lang diskutierte Maßnahmen wie technische -Sicherungssysteme erforderlich und umsetzbar sind, kein Wort zu neuen Fällen des Missbrauchs privater Waffen und dazu, warum sie durch die Gesetzesnovelle nicht verhindert wurden. Man kann hoffen, dass die Innenministerkonferenz sich doch noch erweichen lässt, und uns ihre – hoffentlich – umfangreichere und substanziellere Studie zukommen lässt, dann kann man vielleicht noch etwas lernen. Allerdings muss man befürchten, dass es dazu nicht kommt. Wenn hier die SPD beantragt, dass uns dieser Bericht vorgelegt werden möge, aber die sieben Landesinnenminister der SPD offenbar nicht für eine Übermittlung votiert haben und auch die Unionsinnenminister in den mit Großer Koalition regierten Ländern nicht von einer Veröffentlichung zu überzeugen waren, dann mache ich mir wenig Hoffnung. Fazit: ein schlechtes Gesetz vor drei Jahren, Geheimniskrämerei der eigenen Landesminister und ein Schaufensterantrag, der Jahre alte eigene Versäumnisse verdecken soll. Überzeugen kann das nicht – und gegen die verbliebenen Lücken im Waffenrecht kann man so schon gleich gar nichts tun. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/10114 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung über die Höhe der Managementprämie für Strom aus Windenergie und solarer Strahlungsenergie (Managementprämienverordnung – MaPrV) – Drucksachen 17/10571, 17/10707 Nr. 2.2, 17/10817 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth Dirk Becker Michael Kauch Ralph Lenkert Hans-Josef Fell Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir die Reden zu Protokoll. Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Am 30. Juni 2011, also gerade mal vor einem Jahr, hat der Deutsche Bundestag die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beschlossen – das Herzstück der Energiewende. Mit dem Ziel, den Anteil erneuerbarer Energieträger am Bruttostromverbrauch bis 2022 auf 80 Prozent gegenüber heute etwa zu verdreifachen, müssen auch die Anforderungen an die Rahmenbedingungen für diese Entwicklungen angepasst werden. Aus diesem Grund war die schrittweise Integration regenerativer Erzeuger in den Energiemarkt – neben der kosteneffizienten Ausgestaltung der Förderung und der Fortsetzung bewährter Grundprinzipien – schon vor einem Jahr ein zentraler Bestandteil der Novelle. Auch im Energiekonzept der Bundesregierung vom September 2010 wird das Ziel „die Einspeisung effizienter gestalten“ bereits deutlich herausgestellt. Ich zitiere: „... eine schrittweise, aber zügige Heranführung an den Markt und damit eine stärker bedarfsgerechte Erzeugung und Nutzung der erneuerbaren Energien. Künftig soll das EEG stärker am Markt orientiert werden und der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien in stärkerem Maße marktgetrieben erfolgen.“ Dieses Kernelement – die Markt- und Systemintegration – hat die Weiterentwicklung des Gesetzes aus dem vergangenen Jahr übrigens mit nahezu allen Vorschlägen über die zukünftige Ausgestaltung des Strommarkts gemein, die heute auf dem Tisch liegen. Damit will ich sagen: Wir wissen alle, dass das EEG durch den zunehmenden Anteil regenerativer Erzeuger – die erneuerbaren Energien sind keine Nischenprodukte mehr – an seine Grenzen stößt. Aus diesem Grund beschäftigten sich die Bundesregierung, aber auch die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag seit Jahren mit marktorientierten Förderwerkzeugen innerhalb des bestehenden Gesetzes. Bereits heute liegt der Anteil der Erneuerbaren an der Bruttostromerzeugung bei 25 Prozent, und bei diesem Anteil gewinnt die Optimierung des Zusammenspiels aller Marktakteure – der Erneuerbaren, der Konventionellen, aber auch von Speichern und Stromverbrauchern – immer weiter an Bedeutung. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch mal ausdrücklich darauf hinweisen, dass die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag nicht erst seit der Novelle des EEG im Jahr 2009 auf die Bedeutung der Marktintegration hinweist. So fand der Beginn der Marktintegration Erneuerbarer Anfang 2010 statt; seitdem wird Strom, der in EEG-Anlagen erzeugt wird, durch die Übertragungsnetzbetreiber am Day-ahead-Markt der Leipziger Strombörse transparent vermarktet. Strom aus Erneuerbaren leistet erstmals einen aktiven Beitrag zur Grundfunktion des Marktes, dem Prinzip von Angebot und Nachfrage, und beeinflusst seitdem aktiv die Preisbildung. Das zweite Instrument, die Einführung eines Prämien-modells, um eine marktorientierte Produktion erneuerbarer Energien anzureizen und diese schrittweise an den Markt heranzuführen, war ursprünglich ebenfalls im Rahmen der 2009er-Novelle angedacht. Gegen vehemente Intervention des damaligen Koalitionspartners ist das Instrument jedoch bedauerlicherweise im parlamentarischen Beratungsverfahren gescheitert und erst vier Jahre später, auf erneute Initiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zum 1. Januar 2012 in Kraft getreten. Die Einführung der Marktprämie stellt bis heute einen Paradigmenwechsel bei den erneuerbaren Energien dar. Es war ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung und hat Anlagebetreibern zum ersten Mal die Möglichkeit eröffnet, sich optional selbstständig im Markt zu versuchen oder aber Dritte mit dieser Aufgabe zu beauftragen. Die Anzahl der EE-Anlagen, die in diesem Jahr in die Direktvermarktung gewechselt sind, hat uns letztendlich recht gegeben; unsere Erwartungen wurden bei weitem übertroffen und somit im Oktober 2012 fast 27 Gigawatt über das Marktprämienmodell vermarktet – das entspricht der Hälfte der installierten Leistung erneuerbarer Energien in Deutschland. Und auch für die Zukunft wird ein breiter Zulauf erwartet; die Übertragungsnetzbetreiber haben in ihrer Annahme zur EEG-Umlage 2013 prognostiziert, dass der Anteil der Anlagen in der Marktprämie auf bis zu 36 Gigawatt ansteigen könnte. Bereits heute lassen sich die ersten positiven Effekte dieser Marktorientierung feststellen: Dies betrifft in erster Linie die zunehmende Flexibilität des Gesamtsystems und die damit zusammenhängenden sinkenden Systemkosten. Zum Beispiel konnte durch den Auf- und Ausbau einer umfassenden Infrastruktur, von Kommunikations- und Steuerungssystemen die Prognosegüte bei der Stromerzeugung deutlich verbessert werden. Wie sich ein zukünftiger Strommarkt immer auch gestalten wird – hierbei handelt es sich um eine sinnvolle Investition in die Zukunft. Dieser Nutzen findet sich auch in der finanziellen Betrachtung wieder. Bereits im ersten Jahr hat die Einführung der Marktprämie zu einer Reduzierung negativer Strompreise am Spotmarkt geführt und die EEG-Umlage dadurch signifikant entlastet. Diese Entlastung liegt darin begründet, dass die Marktprämie – im Gegensatz zur Einspeisevergütung – einen Anreiz schafft, Windenergieanlagen abzuregeln, wenn keine Nachfrage besteht. Dieser unerwartete Erfolg hat unzweifelhaft auch Auswirkungen auf die Kosten der Marktprämie. Die prognostizierten 200 Millionen Euro Mehrkosten, die für das Einführungsjahr der Marktprämie – maßgeblich durch die Vergütung der Kosten für den Ausgleich von Prognoseabweichungen sowie die Kosten für den Handelszugang veranschlagt wurden, werden aufgrund der regen Teilnahme bereits deutlich überschritten. Allerdings haben die Gutachter im vergangenen Jahr einen Rückgang der Kosten für das Folgejahr prognostiziert – dieser Beweis ist in den kommenden Jahren noch zu führen. Obwohl oder gerade weil die Marktprämie solch ein Erfolgsmodell ist, ist es notwendig, die Prämie nachhaltig an die Entwicklung des Marktes anzupassen: Die Managementprämie für fluktuierende erneuerbare Erzeuger, und nur um diese geht es in dieser Verordnung, wäre zum 1. Januar 2013 von heute 1,2 Cent pro Kilowattstunde auf 1 Cent pro Kilowattstunde gesunken. Allerdings war bereits im Laufe dieses Jahres absehbar, dass sich die Grundlage für die Berechnung der Managementprämie verändert. Es war von Beginn an davon auszugehen, dass die Einführung eines neuen unbekannten Instruments anfangs höhere Kosten als im derzeitigen System verursachen dürfte und schon kurzfristig mit einem deutlichen Lerneffekt zu rechnen ist. Auch aus diesem Grund hat der Deutsche Bundestag im vergangenen Sommer eine Verordnungsermächtigung innerhalb des EEG beschlossen, um die Marktprämie kurzfristig und kosteneffizient an die Marktentwicklungen anzupassen. Auf Basis neuer wissenschaftlicher Untersuchungen, die gezeigt haben, dass sich die Höhe der Managementprämie für volatile Erzeuger mittlerweile deutlich über den wirtschaftlich abzudeckenden Kosten befindet, wird die Höhe der Managementprämie im Rahmen der Managementprämienverordnung über die im EEG festgelegte Degression zum Ende des Jahres angepasst. Diese Erkenntnisse wurden darüber hinaus durch die Erfahrungen der Übertragungsnetzbetreiber bestätigt, die diese über Jahre bei der Vermarktung des EEG-Stroms machen konnten. Das führt letztlich dazu, dass die Managementprämie für das Jahr 2013 bei nicht fernsteuerbaren Anlagen um 0,35 Cent pro Kilowattstunde abgesenkt wird. Eine weitere Anpassung, die im Rahmen der Managementprämienverordnung zu einer effizienteren Integration fluktuierender Erneuerbarer in den Markt führen soll, ist die Kopplung einer erhöhten Managementprämie an die Fernsteuerbarkeit der Anlagen. Die Managementprämie wird hierfür um 0,1 Cent pro Kilowattstunde gegenüber nicht fernsteuerbaren Anlagen erhöht; somit fällt die Degression der Managementprämie bei fernsteuerbaren Anlagen mit 0,25 Cent pro Kilowattstunde etwas niedriger aus. Diese Regelung soll dazu führen, den – bisher schleppend vorangehenden – Integrationsprozess fernsteuerbarer Wind- und Solaranlagen im folgenden Jahr signifikant zu beschleunigen und einen -Anreiz zu schaffen, um die Einrichtung von Fernsteuerungstechnologien im Sinne der Systemsicherheit weiter zu etablieren und die bedarfsorientierte Bereitstellung von Strom zu verbessern. Vor diesem Hintergrund wird die Absenkung der Managementprämie eine geringere Gewinnmarge für die Direktvermarktung von Strom aus Windenergie und solarer Strahlungsenergie zur Folge haben. Grundsätzlich – und das ist auch die Rückmeldung aus der Branche – bleibt jedoch der Anreiz zum Wechsel in die Direktvermarktung erhalten und bietet bei entsprechendem Anlagenbetrieb auch zukünftig die Aussicht auf angemessene wirtschaftliche Mehrerlöse. Dem ist noch hinzuzufügen, dass in der Verordnung auch für die Zeit ab 2014 die Höhe der Managementprämie für nicht fernsteuerbare Anlagen und eine stetige Verstärkung der zusätzlichen Anreizwirkung für fernsteuerbare Anlagen geregelt ist. Das Ziel der Managementprämienverordnung ist es, die Direktvermarktung der erneuerbaren Energien zunehmend stärker an den Markt heranzuführen und die Kosteneffizienz der Stromversorgung insgesamt zu verbessern; die EEG-Umlage wird durch die Neuregelung im Jahr 2013 um die Größenordnung von 200 Millionen Euro entlastet und leistet infolgedessen einen Beitrag zu den Bestrebungen der Bundesregierung, die Kosten der Energiewende in einem angemessenen Rahmen zu halten. Die Entwicklung der Direktvermarktung wird weiterhin regelmäßig evaluiert, und die Entwicklung der tatsächlichen Kosten als auch der unmittelbare Nutzen der Direktvermarktung, insbesondere in Bezug auf die Marktintegration, werden analysiert. Ich bitte daher um Zustimmung zur vorliegenden Verordnung. Josef Göppel (CDU/CSU): Ich halte die Degression der Managementprämie für richtig. Sie allein reicht jedoch nicht aus, um die erneuerbaren Energien marktfähig zu machen. Die Direktvermarktung von Eigenstrom ist ein wichtiger Schritt in Richtung Marktanpassung. Wichtig ist hierzu, dass die Angebote der vielen Kleinerzeuger zusammengeführt und daraus verlässliche Komplettpakete geschnürt werden. Die Bevölkerung in Deutschland greift die Chancen der Energiewende aktiv auf: Seit 2005 haben sich über 80 000 Bürger in rund 600 Energiegenossenschaften zusammengetan. Darüber hinaus gibt es weitere Formen des genossenschaftlichen Engagements. Ihnen allen ist gemein, dass sie die Energiewende dezentral gestalten und die Wertschöpfung in der jeweiligen Region halten. Das Einkommen aus der Energieproduktion fließt nicht mehr in anonyme Aktienpakete oder ins Ausland, sondern kommt Landwirten, Hausbesitzern, Handwerkern und vielen Privatleuten zugute, die sich an Windrädern und Solaranlagen beteiligen oder diese vor Ort installieren und warten. Das ermöglicht breite Eigentumsstreuung im Energiebereich und stärkt so die Mittelschichten der Gesellschaft. Das aktuelle Zusammentreffen neuer Informationstechnologien mit erneuerbaren Energien führt zu einem Entwicklungsschub, der die Grundlagen unseres Lebens in Richtung Dezentralität und Kleinteiligkeit verändert. Dies fördert langfristig ein verlässliches Stromangebot – wir sind weder vom Funktionieren einer Handvoll Großkraftwerke abhängig, noch sind wir steigenden Rohstoffkosten oder Unsicherheiten beim Import ausgeliefert. Der Import macht derzeit noch 70 Prozent der Energiekosten aus. Mit erneuerbaren Energien können wir -flexibel und selbstbestimmt auf Angebot und Nachfrage reagieren. Dabei spielt auch Biomasse eine wichtige Rolle – sie kann kurzfristig an den Verbrauch angepasst werden und helfen, Lücken in der Stromproduktion durch Wind und Sonne zu überbrücken. Eine Zusammenführung der Kleinerzeuger mit bedarfsgerechten Komplettangeboten stabilisiert den Markt und entlastet die EEG-Umlage. Derzeit wird von den Möglichkeiten der Direktvermarktung noch nicht ausreichend Gebrauch gemacht. Die Managementprämie ist strukturell zu sehr auf die alten Stromversorger hin orientiert. Gut ist an ihr, dass die Fernsteuerbarkeit von Anlagen verbessert wird. In einem virtuellen Kraftwerk, also einem Verbund verschiedener Kleinerzeuger, trägt die Fernsteuerbarkeit zur bedarfsgerechten Einspeisung der erneuerbaren Energien und zur Entlastung der EEG-Umlage bei. Unumstößlich für das Gelingen der Energiewende ist und bleibt bei allen diesen Markt-mechanismen der Einspeisevorrang der erneuerbaren Energien. Viele Ökostromhändler haben in eine langfristig angelegte Direktvermarktung investiert und sind bereit, sich weiterzuentwickeln. Jörg Müller, Vorstandschef von ENERTRAG, erklärt: „Mit einem novellierten Grünstromprivileg könnten wir die Stromkunden preiswerter mit sauberer Energie beliefern.“ Diesem Zitat schließe ich mich an. Dr. Matthias Miersch (SPD): An diesem Montag konnte man schwarz auf weiß lesen, was zuvor viele befürchtet hatten: Die Übertragungsnetzbetreiber gaben an, dass die sogenannte EEG-Umlage im nächsten Jahr 5,277 Cent pro Kilowattstunde betragen wird. Dies entspricht einer Erhöhung um rund 50 Prozent, nachdem die EEG-Umlage in diesem Jahr noch 3,59 Cent pro Kilowattstunde betragen hat. Verbraucherinnen und Verbraucher bezahlen diesen Preis pro verbrauchter Kilowattstunde, um Deutschlands Energieerzeugung fit für die Zukunft zu machen. Kritiker und Gegner der Energiewende sind kräftig am Werk, um Ängste seitens der Verbraucherinnen und Verbraucher vor steigenden Strompreisen zu schüren. Eines muss uns jedoch klar sein: Die Energiewende wird es nicht zum Nulltarif geben. Der Umbau der Energieinfrastruktur und des Marktsystems mit dem Ziel, eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien bis 2050 zu erreichen, wird zweifelsohne Geld kosten. Andererseits muss man sich darüber im Klaren sein, welche immens hohen Kosten auf uns zukommen würden, wenn wir in der Energiefrage untätig blieben. Das fossile Öl und Gas aus Saudi-Arabien und Russland gehen zur Neige, die Brennstoffe müssen in den nächsten 40 Jahren ersetzt werden. Die zentrale Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Was hätte es gekostet, wenn die Energiewende nicht in Gang gesetzt worden wäre und alles beim Alten geblieben wäre? Eine Struktur des Strommarkts mit wenigen, aber übermächtigen Stromkonzernen, ins Unermessliche steigende Öl- und Gaspreise, verpestete Luft und eine zerstörte Umwelt! Eine überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung will nach wie vor die Energiewende hin zu einem dezentralen Strommarkt, bezahlbarem Strom und einer Vollversorgung mit sauberen, erneuerbaren Energien. Es gilt jetzt vor allem, die anfallenden Kosten so gerecht zu verteilen, dass die Herkulesaufgabe Energiewende nicht nur auf wenigen Schultern ruht, sondern alle gleichermaßen mit in die Finanzierung eingebunden und soziale Härten abgefedert werden. Die Höhe der EEG-Umlage taugt dabei ganz und gar nicht als Indikator für die Kosten der Energiewende, obwohl Kritiker uns dies weismachen wollen: Die Umlageerhöhung geht am wenigsten auf die ansteigende Förderung für die erneuerbaren Energien zurück. Nur rund ein Drittel des gesamten Anstiegs um rund 1,7 Cent betrifft die zusätzlichen Förderkosten von Erneuerbare-Energien-Anlagen. Für den Rest sind vor allem die politischen Fehlentscheidungen der schwarz-gelben Bundesregierung im Zuge der Novelle des Erneuerbare- Energien-Gesetzes im Sommer 2011 verantwortlich. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Umweltminister Röttgen haben im letzten Jahr die Anhebung der EEG-Umlage aus politischen Gründen einfach aufgeschoben. Nichts sollte die NRW-Wahl für Röttgen belasten. Dieser Schuss ging Gott sei Dank nach hinten los, die Rechnung dafür müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher aber nun im nächsten Jahr bezahlen. Zudem hat Schwarz-Gelb die Umlageentlastung von Industrieunternehmen enorm ausgeweitet. Ab 2013 profitieren dann statt circa 750 Unternehmen wie in diesem Jahr mindestens 2 000 industrielle Abnehmer von den Privilegien. Die Umlage wird somit auf weniger Schultern verteilt. Privathaushalte und kleine und mittelständische Unternehmen müssen die Zeche dafür zahlen. Ein weiterer Punkt, der die EEG-Umlage unnötig belastet, ist das sogenannte Marktprämienmodell, das die Bundesregierung in der letzten EEG-Novelle gegen den Willen der SPD-Bundestagsfraktion beschlossen hat. Das Modell beinhaltet eine Marktprämie und eine Mana-gementprämie, die Anlagenbetreibern ausgezahlt wird, wenn sie ihren erzeugten Strom direkt – und nicht über den EEG-Mechanismus – verkaufen. Nun, noch nicht einmal ein Jahr nach der Einführung dieses Mechanismus, bestätigt sich die Kritik der SPD-Bundestagsfraktion am Marktprämienmodell voll und ganz: Diese Form der Direktvermarktung fördert weder die Markt- und Systemintegration erneuerbarer Energien, noch setzt sie ausreichend Anreize für eine bedarfsgerechte Einspeisung und für Investitionen in Speichertechnologien. Zudem wurde weder die Prognosegüte verbessert, noch eröffneten sich neue Vermarktungswege für den wertvollen Grünstrom. Es zeigt sich, dass die Marktprämie zwar hohe Kosten verursacht, die gewünschte Wirkung jedoch nicht erzielt hat. Zudem -machen Anlagenbetreiber, Direktvermarkter und die konventionelle Energiewirtschaft durch hohe Mitnahmeeffekte Kasse. Konventionelle Energieerzeuger kaufen beispielsweise den billigen Grünstrom ein, anstatt mit höheren Kosten selbst Strom zu produzieren, und teilen sich die Managementprämie mit den Anlagenbetreibern. So profitieren sie sogar doppelt. Kurzum: Die nun von der Bundesregierung vorgesehene Absenkung der Managementprämie ist ein Symptom dafür, dass das Marktprämienmodell in seiner derzeitigen Form gescheitert ist. Die Absenkung kann man zwar begrüßen, sie ändert aber nichts an der grundsätzlichen Fehleinschätzung auch in dieser energiepolitischen Frage. Die Kosten, die die Managementprämie verursacht, sind Bestandteil der EEG-Umlage und werden von den Stromendverbrauchern bezahlt. Angesichts der steigenden Belastungen für Stromkunden sehen wir es als richtig an, die sinnlosen Überförderungen innerhalb der Managementprämie zu beseitigen, und stimmen daher der Verordnung zu ihrer Absenkung zu. Gleichzeitig kritisieren wir, dass die Bundesregierung im Zuge der letzten EEG-Novelle das bislang einzig effektive Instrument zur Marktintegration erneuerbarer Energien, das sogenannte Grünstromprivileg, durch ungerechtfertigte Restriktionen faktisch beseitigt hat. Anders als die Marktprämie wäre ein weiterentwickeltes Grünstromprivileg ein einfaches, unbürokratisches System, das Märkte für Grünstrom schafft und Anreize zum betriebswirtschaftlichen Planen bietet. Die Bundesregierung soll endlich die Marktprämie in der derzeitigen Form als ineffizientes und überteuertes Direktvermarktungsmodell abschaffen und stattdessen ein Konzept für eine Weiterentwicklung des Grünstromprivilegs vorlegen, das die System- und Marktintegration effektiv und kosteneffizient vorantreibt, Anreize für eine bedarfsgerechte Stromeinspeisung erneuerbarer Energien und für Investitionen in Speichertechnologien schafft. Ein Lerneffekt stellt sich bei Schwarz-Gelb aber leider nur selten ein. Michael Kauch (FDP): Der Vermittlungsausschuss hat sich im Rahmen des Pakets zur Reform der Photovoltaikvergütung darauf geeinigt, die Managementprämie ab dem Jahr 2013 abzusenken, um Mitnahmeeffekte zu vermeiden und die -Belastung der Stromkunden zu verringern. Diese Absenkung stellt eine Justierung des im letzten Jahr eingeführten Instruments der Marktprämie dar. Deren Einführung war richtig, da sie zur Direktvermarktung motiviert und so die erneuerbaren Energien an den Markt heranführt. Allerdings wurden von den zuständigen Ministerien im Gesetzgebungsverfahren wesentlich niedrigere Kosten prognostiziert. Das zeigt erneut die begrenzte Prognosefähigkeit der öffentlichen Institutionen in Bezug auf die EEG-Instrumente. Zudem ist dieses Instrument für die Markt- und Netzintegration erneuerbarer Energien auf Dauer nicht geeignet, weil es einen Mindestpreis setzt und die Börsenentwicklung nach unten abfedert. Die Marktakteure können also nach oben profitieren und haben nach unten kein Risiko. Deshalb plädiert die FDP-Bundestagsfraktion dafür, die Marktprämie durch ein Marktzuschlagsmodell zu ersetzen, bei dem es einen festen Zuschlag auf den Börsenpreis und nicht einen vollständigen Kosten-airbag nach unten gibt, der letztendlich die in Rede stehenden Zusatzkosten mit verursacht. Es ist die Mühe wert, gemeinsam zu schauen, wie man die Direktvermarktung reformieren kann. Die Antwort der Opposition, einfach das Grünstromprivileg auszuweiten, greift zu kurz. Denn das Grünstromprivileg ist immer damit verbunden, dass die EEG-Umlage auf immer weniger Schultern lastet. Deshalb müssen andere Modelle entwickelt und dann auch beschlossen werden. Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch. Dorothée Menzner (DIE LINKE): Vergangenes Jahr haben wir in einem unfassbaren Tempo 200 Seiten EEG-Novelle durch dieses Haus gejagt. Es war aufgrund der Eile nicht einmal den Verbänden möglich, die Gesetzesnovelle in ihrer ganzen Breite zu durchdringen, obwohl sie den Entwurf dafür Tage vor den Abgeordneten zur Stellungnahme erhalten hatten. Verschiedene peinliche Dinge, die sich in dem Entwurf noch verborgen hatten, wurden inzwischen ausgeräumt. Darüber hinaus gab es aber auch Politisches, aufgrund dessen der Bundesrat diese Novelle so nicht passieren lassen wollte. Die Verordnung zur Absenkung der Managementprämie, die wir jetzt behandeln, ist Teil der Kompromissmasse aus den Verhandlungen mit dem Bundesrat und wiederum eine Korrektur der völlig überhasteten und planlosen Änderungen am Erneuerbare-Energien-Gesetz des vergangenen Jahres. Die Linke begrüßt diese Verordnung, da wir bereits zur Einführung der Managementprämie davor gewarnt haben, dass diese zu unnötigen Mehrkosten bei der Erneuerbare-Energien-Umlage führen würde. Auch der Bundesverband Erneuerbare Energien hat seinerzeit vehement darauf hingewiesen. Bereits nach wenigen Monaten hat sich herausgestellt, dass die Prämie zu hoch angesetzt war und kaum einen Nutzen gebracht hat. Sie hatte keinen Nutzen für den Ausbau der erneuerbaren Energien und ebenso wenig für deren Marktintegration. All das war bereits im Juni 2011 absehbar, und davor hatten wir gewarnt. Bei einer zweiwöchigen Beratungszeit für einen über 200 Seiten umfassenden Gesetzentwurf, in dem noch wesentlich gravierendere Dinge fehlgesetzt worden waren, ist es aber kein Wunder, dass solche mahnenden Stimmen nicht wahrgenommen wurden. Obwohl wir die vorgesehene Kürzung der Managementprämie nun begrüßen, können wir uns letztendlich zu dem Gesamtwerk nur enthalten. Das eigentliche Problem dieser Verordnung ist nämlich das Ziel der Marktintegration von fluktuierenden erneuerbaren Energien. Die Linke vertritt hier deutlich den Standpunkt, dass nicht die erneuerbaren Energien sich dem Markt anpassen müssen, sondern der Markt den fluktuierenden erneuerbaren Energien. Wir alle kennen das Bild stillstehender Windräder, obwohl sehr wohl Wind weht. Es kommt immer häufiger vor, dass die Übertragungsnetzbetreiber erneuerbare Energien vom Netz nehmen müssen, weil fossile Grundlastkraftwerke die Netze verstopfen. Aber trotz der zunehmenden Abschaltung von Erneuerbare-Energien-Anlagen hält die Bundesregierung weiter daran fest, Sonnen- und Windstrom passend für den Markt machen zu wollen, anstatt das Marktdesign, bei dem das eigentliche Problem liegt, grundlegend auf den Kopf zu stellen. Unser Ziel ist die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien. Wenn man das möchte, kann man die Regenerativen aber nicht in das Stromsystem hineinpressen, sondern man muss den Markt entsprechend ausrichten. Dass sich diese Erkenntnis noch immer nicht in den Regierungs- und Koalitionskreisen durchgesetzt hat, zeigt uns exemplarisch das weitere Festhalten an der Markt- und Managementprämie, anstatt sie völlig abzuschaffen. Deshalb können wir dieser Verordnung nicht zustimmen. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit letztem Montag wissen wir, um welchen Betrag die EEG-Umlage im nächsten Jahr steigen wird. Es sind knapp 1,7 Cent pro Kilowattstunde. Neben Wirtschaftsminister Rösler schiebt auch der Kollege Vaatz die Erhöhung auf den Ausbau der erneuerbaren Energien. Herr Vaatz will mit der Begründung steigender Strompreise die gefährliche und teure Atomkraft wiederbeleben, welche er für billig hält. Dabei ist die Atomenergie bisher mit rund 180 Milliarden Euro subventioniert worden, die nicht im Strompreis auftauchen. Eine billige Stromquelle, Herr Vaatz? Während bei der EEG-Umlage so getan wird, als wären dies ausschließlich die Kosten für den Ausbau der erneuerbaren Energien, wurden die enormen Subventionen für Atom und die fossilen Energien über Jahrzehnte in unzähligen Haushaltsposten versteckt. Leider ist die EEG-Umlage eben kein Indikator für die Kosten des Ausbaus der Erneuerbaren, weil sie inzwischen mit zahlreichen anderen Posten belastet wird. Die Regierung und die Koalitionsfraktionen sind leider an einer ehrlichen Analyse der einzelnen Posten der EEG-Umlage und deren Steigerungen gar nicht interessiert. Da Sie zu dieser Analyse nicht bereit sind, werde ich sie für Sie machen. Von den 1,7 Cent Erhöhung der Umlage sind gerade einmal 0,5 Cent auf den Ausbau zurückzuführen. Etwa zwei Drittel aber gehen auf Ihre Fehler zurück. Da haben wir zunächst die Ausweitung der Privilegien für die Industrie. Es ist richtig, dass wir unter der rot-grünen Regierung die Ausnahmen für die energieintensive Industrie im EEG 2004 eingeführt haben. Wir wollen nämlich auch nicht die energieintensive Industrie aus Deutschland vertreiben. Doch wir führten damals auch einen Passus ein, der die Ausnahmen auf 10 Prozent des Gesamtvolumens der Umlage deckelten. Dieser Passus wurde 2006 aus dem Gesetz gestrichen. In der letzten EEG-Novelle senkten Sie dann die Schwelle für energieintensive Unternehmen auf eine Gigawattstunde Jahresverbrauch. Dadurch haben jetzt gut 2 000 Unternehmen einen Antrag auf Befreiung von der EEG-Umlage gestellt. Erhält der große Teil dieser Unternehmen die Befreiung, erhöht sich die Entlastung der Unternehmen auf etwa 4 Milliarden Euro. Die weitere Befreiung vieler Industriezweige muss auf den Prüfstand, und wir freuen uns, dass dies inzwischen auch die Bundeskanz-lerin so sieht. Ein weiterer Punkt sind die geringeren Erlöse der erneuerbaren Energien an der Strombörse durch die Einfüh-rung des neuen Wälzungsmechanismus im Jahr 2009. Eigentlich freuen wir uns über den strompreissenkenden Effekt der erneuerbaren Energien. Allerdings fehlt auf der einen Seite eine Maßnahme der Bundesregierung, diesen positiven Effekt für alle Stromkunden wirksam werden zu lassen, und auf der anderen Seite steigt genau durch diesen Effekt die EEG-Umlage um etwa 1 Cent pro Kilowattstunde. Warum gibt es zur Weitergabe des Merit-Order-Effekts an die Haushalte und zu einem verbesserten Wälzungsmechanismus eigentlich keinen Vorschlag von Umweltminister Altmaier? Als nächsten Punkt haben wir die viel zu hohe Ansetzung der Liquiditätsreserve. Wenn die Prognose für die EEG-Umlage für das nächste Jahr dieses Mal seriös berechnet wurde, dann brauchen wir keine Liquiditätsreserve von 10 Prozent, dann hätte die Bundesnetzagentur die Reserve bei 3 Prozent belassen können. Auch hier haben wir wieder Mehrkosten von etwa 1,2 Milliarden Euro. Auch die Marktprämie ist eine Fehlleistung dieser Regierung. Dabei ist die Idee, die erneuerbaren Energien dort, wo es jetzt schon möglich ist, auch außerhalb des EEG am Markt zu etablieren, richtig. Aber das Instrument hat wenig für die Marktintegration der erneuer-baren Energien bewirkt und stattdessen viele Mitnahme-effekte produziert. Durch die Mitnahmeeffekte wurden obendrein innovative andere Vermarktungswege uninteressant und damit ausgebremst. Die Mehrkosten der Managementprämie belaufen sich anstelle der von der Regierung veranschlagten 200 Millionen Euro in diesem Jahr auf rund 600 Millionen Euro. Wir stehen hinter dem Ziel, die erneuerbaren Energien außerhalb des EEG stärker zu fördern. Wir wollen dazu das Grünstromprivileg wieder in das Zentrum der Direktvermarktung der erneuerbaren Energien rücken. Obwohl wir eine Abschaffung der Managementprämie fordern, stimmen wir dieser Beschlussempfehlung dennoch zu, da wir damit zumindest einen ersten Schritt zur Korrektur dieser Fehlentwicklung machen. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10817, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 17/10571 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Nietan, Uta Zapf, Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine ehrliche und faire europäische Perspektive der Staaten des westlichen Balkans – Drucksachen 17/9744, 17/11034 – Berichterstattung: Abgeordnete Peter Beyer Dr. Rolf Mützenich Marina Schuster Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller (Köln) Auch hier nehmen wir die Reden, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, zu Protokoll. Peter Beyer (CDU/CSU): Spricht man über Ehrlichkeit und Fairness für die Menschen auf dem Westbalkan im Zusammenhang mit einer europäischen Perspektive, sollten wir vor der Wahrheit nicht die Augen verschließen. Die Wahrheit lautet: Analysiert man den Zustand der Länder des -sogenannten Westbalkan anhand der Kopenhagener Messlatte, werden zahlreiche Defizite offenkundig. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass bereits honorige Anstrengungen aktueller und potenzieller Beitrittskandidaten benannt werden können. Bereits in der Debatte vom 28. Juni 2012 habe ich in meinem Redebeitrag darauf hingewiesen, dass – auch wenn wir vereinheitlichend vom „Westbalkan“ sprechen – wir die Heterogenität dieser Region nicht außer Acht lassen dürfen. So unterschiedlich die nationalen, historischen, ethnischen und religiösen Identitäten auf dem Westbalkan sind, so ungleich sind auch ihre politischen und wirtschaftlichen sowie sozialen Entwicklungsstadien. In Bezug auf die geforderte Geschwindigkeit der europäischen Integration im Antrag der SPD sollte darauf hingewiesen werden, dass die Behebung der Defizite im Sinne der Erfüllung der Kriterien für eine Vollmitgliedschaft Zeit braucht. Deutlich wird dies am Beispiel Kroatiens, das kurz vor der bevorstehenden Aufnahme in die EU in der vergangenen Woche einen Blauen Brief aus Brüssel erhielt. Gleich zehn Mängel stellte die EU-Kommission fest, die das Land bis nächsten Juli beseitigen muss. Es hat den Weg noch nicht erfolgreich -beschritten, wie auch ich im vergangenen Juni noch annahm. Nach wie vor gilt uneingeschränkt: Wer beitritt, muss beitragen. Und so muss Zagreb nun nachsitzen. In diesem Zusammenhang macht es die EU-Erweiterungsmüdigkeit, wie sie in den Worten des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert mitschwang, Politikern nicht leichter. Es geht längst nicht mehr allein um eine ehrliche und faire Perspektive. Für die Menschen auf dem Balkan geht es um konkrete Verhandlungen, nicht um Versprechungen. Augenmaß und bindende Kriterien sind das, was zählt, nicht das Termingeschäft. Nur das schafft Vertrauen und Akzeptanz, besonders nach den Erfahrungen mit Bulgarien und Rumänien, auch oder gerade bei unseren Bürgern im eigenen Land. Im Fall Kroatien ist noch eines zu erwähnen: An einem Beitritt ist festzuhalten, schon allein wegen der Strahlkraft auf die Nachbarstaaten und dem eigenen -Interesse, um die in den 1990er-Jahren aus den Fugen geratene Region für ein friedliches und sicheres Europa weiter zu stabilisieren. Für den Schlüsselstaat Serbien ist ebenfalls kein baldiges Termingeschäft zu empfehlen, wie es der Antrag fordert. Die kürzlichen Äußerungen des serbischen Präsidenten Nikolic über einen möglichen Verzicht Belgrads auf die EU-Eingliederung, sollte Serbien vor die Wahl zwischen EU und der Anerkennung des Kosovo gestellt werden, sind dafür ein warnendes Indiz. Die neue Regierung in Serbien muss durch Taten zeigen, dass sie -reformwillig ist. Verbalinjurien wie die des Premierministers Dacic vor laufender Kamera: „Scheiß auf die EU, wenn die Schwulenparade die Eintrittskarte ist“, zeugen nicht vom Willen zu einem positiven Avis zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, der im Frühjahr 2013 denkbar gewesen wäre. Die Zukunft Serbiens liegt in Europa, die Geschwindigkeit der Annäherung hängt aber zuallererst vom Land selbst ab. Die Reihe setzt sich fort mit Bosnien-Herzegowina. Nicht nur, dass Bosnien Ende August eine Frist für -Reformen auf seinem Weg nach Europa verstreichen ließ. Die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderte Anpassung des Wahlrechts wurde ebenfalls nicht umgesetzt. Zusätzlich drohen antieuropäische, nationalistische Tendenzen, die eine Spaltung des Landes voranzutreiben geeignet sind. Mit der Ankündigung eines Zahlungsstopps betreffend die bosnische -Armee erhöht der bosnische Serbenführer Dodik den Druck, womit er das Land gefährlich nahe an die Situation der 1990er Jahre bewegt. Allzu ausgeprägte Kleinstaaterei ist in einem zusammenwachsenden Europa nicht zu unterstützen und stellt einen Anachronismus dar. Verglichen mit der ungeklärten Kosovo-Frage und der prekären Situation in Bosnien-Herzegowina erscheint die Auseinandersetzung zwischen Mazedonien und Griechenland um die Namensfrage quasi als Randnotiz. Und doch hat die Region bei allen beschriebenen Unterschieden in jedem Fall ein gemeinsames Problem: den Exodus junger Menschen ins Ausland. Der Grund für diese Tendenz ist nicht die hohe Arbeitslosigkeit. Es ist das fehlende Vertrauen der jungen Menschen in die Politik und vor allem das Gefühl wirtschaftlicher und sozialer Stagnation, weshalb sie ihrer Heimat – zumindest zeitweilig – den Rücken kehren. Dabei wäre es von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, dass die junge Generation nach Ausbildung und Studium im Ausland in ihrer Heimatländer zurückkehren. Denn sie sind einer der die Zukunft stützenden Pfeiler für Stabilität, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ihrer Länder. Wir stehen zu unserem Wort und bieten mehr als eine ehrliche und faire Perspektive. Uns geht es um eine realistische Zukunft und die klare Benennung der tatsächlichen Möglichkeiten, die Kriterien zu erfüllen, die den Schlüssel für jede Mitgliedschaft der Staaten des westlichen Balkan in der EU darstellen. Nicht allein die Zeit muss reif sein, sondern vor allem der Kandidat. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Die europäische Perspektive, die die EU den Ländern des westlichen Balkan in der Erklärung des Europäischen Rats von Thessaloniki 2003 mit den Worten „Die Zukunft des westlichen Balkan liegt in Europa“ gab, wird nächstes Jahr mit dem Beitritt Kroatiens eine neue Form der Realität annehmen. Auch die anderen Staaten des westlichen Balkan sind auf dem Weg nach Europa. Wie die aktuellen Fortschrittsberichte der EU-Kommission vom 10. Oktober für die einzelnen Länder des westlichen Balkan zeigen, ist die europäische Perspektive heute näher und konkreter denn je. Allerdings ist sie nicht pauschal und ohne Bedingungen und Auflagen zu haben. Daher lehnen wir den Antrag der SPD ab. Die EU hat für alle Länder des westlichen Balkan einen Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess, SAP, eingeleitet, der sie nach und nach enger an die EU heranführen soll. In den letzten Jahren waren etliche Fortschritte zu verzeichnen, wobei jeder Staat selbst Tiefe und Geschwindigkeit dieses Prozesses bestimmt. Hier ergibt sich noch ein sehr differenziertes Bild. Als potenzielle Kandidaten gelten nach heutigem Stand -Albanien sowie Bosnien und Herzegowina und das -Kosovo. Was Albanien anbelangt, so hat die EU-Kommission in ihrem jüngsten Fortschrittsbericht vom 10. Oktober eine Empfehlung für den Kandidatenstatus ausgesprochen. Die EU hat Albanien in diesem Zusammenhang angehalten, seine Reformbemühungen ins-besondere in den Bereichen Justiz und öffentliche Verwaltung sowie bezüglich der Verfahrensregelungen im Parlament zu intensivieren. Der Kandidatenstatus ist somit an weitere Fortschritte und die Umsetzung weiterer Reformen gebunden. Wir unterstützen diese Haltung der EU. Bosnien und Herzegowina muss insbesondere seine Verfassung in Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention bringen, damit endlich das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, SAA, in Kraft treten kann, und die Grundlagen für einen fundierten Beitrittsantrag gelegt werden. Für uns sind darüber -hinaus substanzielle Fortschritte im Hinblick auf die Verfassungsreform im Bereich Parlamentskammer und Präsidentschaft unablässige Voraussetzungen für das Inkrafttreten des SAA und einen möglichen EU-Beitritt. Was das Kosovo anbelangt, gilt, dass wir uns weiterhin insbesondere in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Bekämpfung organisierter Kriminalität und Korruption engagieren müssen, um die entsprechenden Reformen im Kosovo und die Arbeiten an einem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zu unterstützen. Was die Kandidatenländer Mazedonien, Montenegro und Serbien betrifft, möchte ich hervorheben, dass dort Fortschritte erzielt worden sind. Gleichwohl bestehen weiterhin Defizite. Auch hier gilt – wie für alle Beitrittskandidaten: Selbst wenn diese Staaten auf ihrem Weg in die EU weiter vorangeschritten sind, bestehen wir darauf, dass alle Auflagen und Verpflichtungen der EU erfüllt sind, ehe ein Beitritt erfolgt. In Bezug auf Mazedonien unterstützen wir den hochrangigen Dialog zur EU-Annäherung, der Reformen in allen Bereichen begleitet, solange die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aufgrund des Namensstreits durch Griechenland blockiert wird. Montenegro hat insbesondere in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität noch etliche Reformen zu meistern. Daher begrüßen wir den Ansatz der EU-Kommission, die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit den Kapiteln Justiz und Rechtstaatlichkeit zu beginnen. Auch die Beitrittsverhandlungen mit Serbien müssen unserer Meinung nach insbesondere an weitere Fortschritte im Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess -sowie einer weiteren Normalisierung der bilateralen Beziehungen zum Kosovo gebunden sein. Wie dem Fort-schrittsbericht der EU-Kommission zu Serbien vom 10. Oktober zu entnehmen ist, muss Serbien außerdem Reformen im Bereich Justiz sowie der Bekämpfung von Korruption und dem organisierten Verbrechen zügig auf den Weg bringen. Vor diesem Hintergrund werden wir den europapolitischen Kurs des serbischen Präsidenten Nikolic genauestens verfolgen. Bleibt zu hoffen, dass er den Reformkurs seines Vorgängers fortsetzt. Auch beim Beitrittsland Kroatien legen wir Wert -darauf, dass die EU-Kommission ihre bisherige Überwachung des Beitrittsprozesses fortsetzt. Gerade in Anbetracht des jüngsten durchaus kritischen Fortschrittsberichts der EU-Kommission sehen wir Kroatien auch in der Pflicht, vereinbarte Fristen einzuhalten und ein angemessenes Reformtempo aufrechtzuerhalten. Wir erwarten ein eindeutigeres Bekenntnis Kroatiens zu seiner europäischen Perspektive und greifbare Erfolge auf seinem Weg nach Europa. Denn eine Ratifizierung der Beitrittsurkunde wird es mit uns erst geben, wenn alle Auflagen erfüllt sind. Dietmar Nietan (SPD): Aus Sicht der Geschichtsschreibung ist es erst einen Augenblick her, dass auf dem Balkan blutige Konflikte tobten. Nach dem Versagen der internationalen Gemeinschaft während der Jugoslawienkriege haben die EU und Deutschland große Verantwortung in der Region übernommen, um Frieden zu sichern, Neues aufzubauen, Versöhnung zu erreichen und schließlich auch die einzelnen Länder sowie die Region als ganze auf dem Weg hin zur europäischen Integration zu begleiten. Die europäische Integration nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist eine große Erfolgsgeschichte des Friedens und der Verständigung und Zusammenarbeit unter den Völkern. Es erfüllt mich und – ich denke – alle hier in diesem Hause mit Freude, Respekt und Stolz, dass die Europäische Union den Friedensnobelpreis erhalten wird – ausdrücklich auch für die Friedenswirkung ihrer Erweiterungen und ausdrücklich auch unter Benennung ihrer Anstrengungen zur Integration von Ländern des westlichen Balkan! Dies ist ganz klar auch eine politische Botschaft und unterstreicht damit eine Verantwortung, der sich niemand der politisch Verantwortlichen in unserem Land – etwa mit einem populistischen Gerede über einen Stop der EU-Erweiterung – entledigen kann. Die jüngsten Fortschrittsberichte der EU-Kommission und die Erweiterungsstrategie für die Jahre 2012 bis 2013 zeigen in aller Deutlichkeit: Vieles haben Kroatien, Serbien, Montenegro, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Bosnien und Herzegowina, Albanien und das Kosovo schon erreicht auf dem Weg in Richtung EU, viel muss noch getan werden. Gerade in den zentralen Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und Justiz gibt es vielfach noch Missstände, ebenso bei der Reform staatlicher Verwaltung, der Bekämpfung von Korruption und Kriminalität, dem Schutz von Minderheiten, der Medienfreiheit und -pluralität und in weiteren Bereichen. Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir die zentrale Bedeutung der Kopenhagener Kriterien stets betont. Wir sind für strenge Beitrittskriterien und erwarten von den Kandidatenländern und beitrittswilligen Staaten große Reformanstrengungen. Weder die Erfolge noch die Schwächen der Länder des westlichen Balkan dürfen kleingeredet werden. Nur eine ehrliche Position der EU und ehrliche Anstrengungen der Beitrittskandidaten und beitrittswilligen Länder werden schließlich zum Erfolg führen. Nun entzünden sich kurz nach der Bekanntgabe der Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU Debatten, welche Teilen der Begründung des Nobelpreiskomitees zuwiderlaufen. Was wir hier von einigen Protagonisten aus der CDU/CSU innerhalb weniger Tage an kurzsichtigen und schädlichen Signalen an die Länder des westlichen Balkan vernehmen konnten, muss einen schon sehr nachdenklich stimmen. Da erklären führende Politiker der Union Kroatien neun Monate vor dem geplanten Termin für nicht beitrittsreif. Da rufen führende Politiker der Union nach einem Erweiterungsstopp. Und der Bundesinnenminister fordert die Aussetzung der -visafreien Einreise in die EU für Bürgerinnen und Bürger Serbiens und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien. Das alles sind Schläge in die Gesichter der europafreundlichen Kräfte in den Ländern des westlichen Balkan. Befeuert werden damit mitnichten differenzierte Debatten, sondern ungute Stimmungen und Ängste sowohl in der EU als auch in den betroffenen Ländern, die uns keinen Schritt weiterbringen. Das Bild Deutschlands und der EU als glaubwürdige und verlässliche Partner wird darunter leiden. Ob Kroatien reif für den Beitritt am 1. Juli 2013 ist, wird sich zeigen. Der Reformwille Kroatiens sollte nicht abgeschrieben, sondern nach Kräften unterstützt werden. Vor abschließenden Beurteilungen sind die Entwicklungen in Kroatien während der kommenden -Monate und die Veröffentlichung des letzten Monitoringberichtes der EU-Kommission im Frühjahr 2013 abzuwarten. Es waren die Vertreter Kroatiens selbst, die immer wieder betonten, dass sie die Kriterien erfüllen werden und dabei auch keinen politischen Rabatt erhalten wollen. In unserem heute hier zur Abstimmung vorliegenden Antrag machen wir als SPD-Bundestagsfraktion ganz deutlich, dass wir für strenge Beitrittskriterien und deren strikte Einhaltung sind. Wir haben zum jetzigen Zeitpunkt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Kroatien bis zum 1. Juli 2013 die Bedingungen der EU erfüllen wird. Denn wenn es die Kriterien bis dahin nicht erfüllt, wird es zu diesem Termin auch nicht beitreten können. Das ist in Kroatien sowohl der Regierung als auch der Bevölkerung klar. Wer dies aber bereits jetzt herbeiredet, schadet mehr, als dass er nützt. Die Forderung nach einem Erweiterungsstopp aus den Reihen der Union ist nicht neu. Sie erhält aber eine neue Brisanz, wenn der Bundestagspräsident sie aufgreift. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion, sehr geehrter Herr Bundestagspräsident Lammert, wenn Sie die Position eines Erweiterungsstopps tatsächlich vertreten, fordere ich Sie nun auch dazu auf, in letzter Konsequenz ehrlich und aufrichtig zu sein. Dann müssen Sie jetzt offen und ehrlich sagen, dass sich die EU aus dem 2003 in Thessaloniki gegebenen Versprechen verabschieden soll, demzufolge alle Staaten des westlichen Balkan eine EU-Perspektive haben. Vertreten Sie Ihre Haltung offen gegenüber der EU-Kommission, den Mitgliedstaaten und den Staaten, denen das Versprechen gilt! Zu guter Letzt zeigen Sie dann bitte auch den Weg auf, wie die EU den Spagat zwischen -einem Bruch ihrer Zusage und ihrer Glaubwürdigkeit meistern soll; denn ich sehe diesen Weg nicht. Wenn sich die EU von der gegebenen Zusage einer Beitrittsper-spektive abwendet, wird die friedens- und stabilitätsstiftende Wirkung dieser Perspektive erlöschen, Reformkräfte werden geschwächt, und die betroffenen Länder werden sich früher oder später anderen Partnern zuwenden. Dies liegt nicht in unserem Interesse. Und genau das wäre die Flucht aus unserer Verantwortung für Frieden und Freiheit in ganz Europa! Wieder würde die EU auf dem Balkan versagen, mit möglicherweise dramatischen Folgen für den Frieden in dieser Region. Noch einige Worte zur Visafrage. Einem Missbrauch von Asylleistungen muss selbstverständlich entgegen-gewirkt werden. Die Lösung kann aber nicht sein, ganzen Bevölkerungen die visafreie Einreise zu verweigern und nun alle Serben und Mazedonier – Bürgerinnen und Bürger von EU-Beitrittskandidaten – unter Generalverdacht zu stellen. Die visafreie Einreise ist die für die Menschen wohl stabilste, greifbarste Brücke nach Europa. Geschäftsleute, Wissenschaftler, Studenten, Touristen, Familienangehörige, Teilnehmer von Jugendaustauschprogrammen – wollen wir für alle diese Menschen das Überqueren der Brücke erschweren? In Verbindung mit dem Ruf nach einem Erweiterungsstopp ist dies ein überdeutliches Signal, das sagt: „Wir wollen euch nicht.“ Ein falscheres Signal können wir nicht senden. Auch lohnt sich ein zweiter Blick darauf, wer die Menschen eigentlich sind, die da Asylanträge stellen. Es gibt in Staaten des westlichen Balkan leider immer noch große Probleme bei der Integration von Sinti und Roma. Sie leiden unter Diskriminierung und Armut. Bei einer ohnehin wirtschaftlich katastrophalen Lage – so lag beispielsweise die Jugendarbeitslosigkeit in Serbien 2011 bei 46 Prozent, in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien bei fast 54 Prozent – stehen sie am unteren Rand der Gesellschaft. Wir können diese Probleme nicht anstelle Serbiens oder der ehemaligen jugos-lawischen Republik Mazedonien lösen, wir können nicht alle aufnehmen, die ihr Land der Armut wegen verlassen wollen, aber wir können gemeinsam mit den Regierungen nach Lösungen suchen. Armut und Massenarbeitslosigkeit in Kandidatenländern der EU gehen uns sehr wohl etwas an. Die Türe zuzuschlagen, kann nicht der richtige Weg sein. Die Bundesregierung sollte zeitnah schlüssige Konzepte aufzeigen, wie sie die Länder des westlichen Balkan auf dem nicht immer einfachen und keineswegs schnellen Weg hin zu Stabilität, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftlichem Aufschwung, letztlich auf dem Weg Richtung EU, unterstützen will. Dazu gehört ganz klar auch die Benennung von Schwachstellen. Ob jedoch Initiativen wie der jüngste Besuch des Kollegen Schockenhoff in Belgrad dazu geeignet sind, den Reformwillen vor Ort zu unterstützen, darf bezweifelt werden. Besonders drängend stellt sich die Frage nach deutscher Unterstützung im Fall Bosnien und Herzegowinas. Der vor wenigen Wochen vollzogene Abzug der letzten deutschen Soldaten aus der EU-Mission EUFOR Althea darf kein Rückzug aus dem deutschen Engagement in und für Bosnien und Herzegowina sein. Das Land mag friedlich sein, stabil ist es noch lange nicht. Nationale Partikularinteressen in den verschiedenen Landesteilen blockieren nötige Reformschritte zugunsten des Gesamtstaates. Der Annäherungsprozess Bosnien und Herzegowinas an die EU stockt. Auch wirtschaftlich steht das Land schlecht da. Die Europäische Union und Deutschland müssen vor allem den Aufbau demokratischer und transparenter Strukturen als Grundlage eines funktionierenden Staates fördern. Zivilgesellschaft und regionale Kooperation müssen gestärkt werden. Unsere Verantwortung für Bosnien und Herzegowina bleibt bestehen. Dazu gehört auch die Unterstützung des -Engagements des Hohen Repräsentanten der Vereinten Nationen für Bosnien und Herzegowina. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert daher ausdrücklich, seine Arbeitsfähigkeit und sein Büro vor Ort bis zur Erfüllung der vereinbarten 5+2-Kriterien zu erhalten. Die Bonn Powers des Hohen Repräsentanten sind immer noch eine tragende Säule der staatlichen Integrität Bosnien und Herzegowinas und dürfen daher nicht ausgehölt werden. Weil uns die Integrations- und damit Zukunftsfähigkeit der EU sehr am Herzen liegt, erwarten wir Sozialdemokraten von Kroatien, Serbien, Montenegro, der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, Bosnien und Herzegowina, Albanien und Kosovo große Reformanstrengungen und die Erfüllung aller nötigen Kriterien. Aber auf eines können sich die Menschen in diesen Ländern verlassen: Von unserer Seite bleibt die Hand dabei ausgestreckt, wir stehen zu dem, was wir als EU den Menschen des Westbalkan versprochen haben. Es wäre ein wichtiges Signal, wenn auch die CDU/CSU-Fraktion in diesem Haus ein solches Signal der Verlässlichkeit und des Verantwortungsbewusstseins aussenden würde. Dr. Rainer Stinner (FDP): Eine Woche nach der Veröffentlichung der Fortschrittsberichte der Europäischen Union ist ein guter Zeitpunkt für diese Debatte. Ich weiß, dass die Fortschrittsberichte, gerade wenn sie kritisch ausfallen, von den Beitrittsländern leicht als zusätzliches Hindernis angesehen werden. Von manchen innerhalb der EU werden sie ebenfalls manchmal gerne als Vorwand genommen, den gesamten Prozess aufzuhalten oder zumindest zu verzögern. Wir Liberale lehnen jegliche Versuche dieser Art mit Nachdruck ab. Die Fortschrittsberichte sind eine Hilfestellung auf dem Weg zum Beitritt. Sie können und dürfen für keine anderen Zwecke missbraucht werden. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten fällen Entscheidungen dann, wenn sie anstehen. Beitrittskandidaten werden danach beurteilt, was sie zu diesem Zeitpunkt erreicht haben – und nicht ein halbes Jahr vorher. Ich sage ausdrücklich, dass dies auch uneingeschränkt für Kroatien gilt. Wir sind optimistisch, dass das Land die noch offenen Aufgaben bis 2013 abarbeiten kann. Wir ermutigen Kroatien, dies zu tun, und halten nichts von Vorverurteilungen. Die diesjährigen Fortschrittsberichte zeigen – wie immer – Licht und Schatten. Zwei besonders dunkle Kapitel, wenn auch aus entgegengesetzten Gründen, bilden Bosnien-Herzegowina und Makedonien. Die Kommission hat jetzt zum vierten Mal die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Makedonien empfohlen, was von Griechenland weiter wegen der ungelösten Namensfrage blockiert wird. Dieser Fall gefährdet die Glaubwürdigkeit unseres gesamten konditionierten Ansatzes. Wenn ein Land Fortschritte macht, aber trotzdem keinen Schritt weiterkommt, dann ist das ein extrem schlechtes Beispiel für alle anderen Beitrittsländer. Bei allem Verständnis für die aktuelle Lage in Griechenland, ich glaube, wir müssen hier mehr Nachdruck entwickeln. Das andere dunkle Kapitel ist Bosnien-Herzegowina: Die Reform des Wahlrechts ist nicht vorangekommen. So lange wird es auch keine weiteren Annäherungsschritte an die EU geben können. Sie alle hier kennen meine Meinung, dass die internationale Gemeinschaft hier nicht eingreifen sollte, sondern im Gegenteil, die Institution des Internationalen Hohen Repräsentanten abgeschafft werden sollte. Ich bin aber sehr froh, dass Valentin Inzko sich in der aktuellen Lage völlig richtig verhält, indem er auf die Eigenverantwortung der Politiker des Landes pocht und nicht für einen vermeintlich leichten Ausweg sorgt. Das Land muss diesen Schritt selber gehen. Nur dann zeigt es seine Europatauglichkeit. Zu Serbien: Die Kommission hat keine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen empfohlen. Ich halte das für richtig. Mit der Verleihung des Kandidatenstatus im März hat die EU meiner Ansicht bereits eine Vorleistung erbracht. Serbien muss diesen Vertrauensvorschuss nun mit Fortschritten bei den Verhandlungen mit Kosovo erst einmal rechtfertigen. Wir unterstützen den Vorschlag der Kommission, mit Kosovo ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen auszuhandeln. Das hört sich heute nach einem technischen Schritt an, ich möchte aber daran erinnern, dass diese Perspektive noch vor wenigen Jahren ganz, ganz weit entfernt schien. Ich habe bereits in der ersten Debatte zu diesem Antrag deutlich gemacht, warum wir ihm wegen verschiedener Einzelpunkte nicht zustimmen können, obwohl wir uns glücklicherweise in diesem Haus über die Grund-linien sehr einig sind. Ich möchte aber noch eine Bemerkung zum Titel des Antrags machen: „ehrliche und faire europäische Perspektive“. Denn wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass wir im Grunde nicht wirklich fair sind. Die jetzigen Beitrittsländer müssen höhere Anforderungen erfüllen als frühere. Wir schauen heute wesentlich genauer hin. Natürlich würden wir mit dem ganzen Serbien/Kosovo-Problem anders umgehen, wenn wir nicht unsere Erfahrungen mit Zypern gemacht hätten. Wir würden auch bei Kroatien weniger genau hinschauen, wenn wir nicht unsere Erfahrungen mit Rumänien und Bulgarien gemacht hätten. Europa hat aus seinen Fehlern gelernt, und das hat Konsequenzen für die Kandidatenländer. Das sollten wir ehrlich zugeben. Diese Strategie liegt aber auch im Interesse der Länder. Diese wollen einer starken und handlungsfähigen Union beitreten. Dazu müssen die Kandidatenländer besser werden, aber auch wir müssen besser werden. Daran arbeiten wir. Thomas Nord (DIE LINKE): Für eine ehrliche und faire europäische Perspektive der Staaten des westlichen Balkan, so heißt der Antrag der SPD, den wir heute debattieren. Zur ehrlichen Debatte gehört auch der Blick in die Vorbedingungen der jetzigen Situation. Und da muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass die schwarz-gelbe Regierung 1991 durch ihre vorzeitige Anerkennung von Slowenien und Kroatien Mitverantwortung für die Eskalation der nationalistischen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien hat. Zur ehrlichen Debatte gehört auch die Feststellung, dass die rot-grüne Regierung die Verantwortung für den völkerrechtswidrigen Angriff auf Rest-Jugoslawien im Jahr 1999 trägt. In dem heute zu debattierenden Antrag finden wir dennoch viele richtige Ansätze. Die Linke begrüßt die Aussage, den EU-Erweiterungsprozess nicht zu stoppen und die Zusagen des Europäischen Rates von Thessaloniki nicht infrage zu stellen, obwohl die EU selbst im Moment nicht mehr eine so attraktive Ausstrahlung hat wie noch 2003. Die EU-Mitgliedschaft bietet für die Staaten des Westbalkan dennoch eine große Chance auf eine dauerhaft friedliche Perspektive. Angesichts der aktuellen Fortschrittsberichte ist dies aber eine Jahrhundertaufgabe und keine schnell zu lösende Herausforderung. Auch wir stehen dazu, dass die Beilegung regionaler Konflikte und die Anerkennung bestehender Grenzen Bedingung für eine EU-Mitgliedschaft sind. In den seltensten Fällen kann man die Grenzstreitigkeiten in der Region als bilateral bezeichnen, wie dies im Antrag getan wird. Deshalb hat sich die Linke gegen die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vom 17. Februar 2008 ausgesprochen. Wir begrüßen, dass Serbien nun den Status eines Beitrittskandidaten hat. Allerdings muss hier zur Ehrlichkeit hinzugefügt werden, dass die Vorbedingung der Anerkennung eines unabhängigen Kosovo durch Serbien sich noch als ein Pferdefuß für den gesamten Westbalkan herausstellen kann. Denn die einseitige Unabhängigkeitserklärung im Jahr 2008 wird mit dem Gutachten des internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag zur Blaupause für weitere territoriale Aufsplitterungen im ehemaligen Jugoslawien. Mit der Ankündigung eines Zahlungsstopps betreffend die bosnische Armee ist der Ministerpräsident der Republik Srpska, Milorad Dodik, bereits einen weiteren Schritt in Richtung seines politischen Vorhabens gegangen, Bosnien-Herzegowina aufzulösen. Das Haltbarkeits-datum Bosniens sei schon längst abgelaufen, so Dodik Anfang Oktober. Er fordert ein Referendum zur Ablösung von Srpska aus Bosnien ein. Niemand wird nach einem der Sezession zustimmenden Referendum glaubwürdig begründen können, warum für Srpska nicht gelten soll, was für Kosovo rechtens ist. Die aktuellen Erwägungen, das Büro des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina ins Ausland zu verlagern, spielen dieser Entwicklung in die Hände. Deshalb ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, warum die EU in dieser problematischen Situation mit dem Kosovo noch einen Schritt weitergeht. Trotz der Tatsache, dass fünf Mitgliedstaaten – Spanien, Griechenland, Slowakei, Rumänien und Zypern – das Kosovo nicht als eigenständigen Staat anerkennen, will sie einen Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen auf den Weg bringen. In der mit den Fortschrittsberichten veröffentlichten Mach-barkeitsstudie heißt es auf Seite 4: „Die Assoziierung des Kosovo mit der Europäischen Union ist mit der Tatsache vereinbar, dass die Mitgliedstaaten der Union unterschiedliche Standpunkte in Bezug auf den völkerrechtlichen Status des Kosovo haben.“ Es scheint, als sollte hier das Krisenpotenzial des Westbalkan in die EU selber hineingetragen werden. Bosnien-Herzegowina ist derzeit das räumliche und politische Krisenzentrum. In dem Fortschrittsbericht ist die Rede davon, dass Korruption sowohl im öffentlichen Sektor als auch im Privatsektor noch immer ein weitverbreitetes und gravierendes Problem ist. Die Zersplitterung der Polizeikräfte in Bosnien und Herzegowina wirkt sich nach wie vor nachteilig auf die Effizienz, die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch aus. Die Roma sehen sich nach wie vor mit sehr schwierigen Lebensbedingungen und mit Diskriminierung konfrontiert. Positive Wandlungen können kaum festgestellt werden. Kroatien soll am 1. Juli 2013 der 28. Mitgliedstaat der EU werden, aber der Fortschrittsbericht zählt zehn Punkte auf, die der Aufnahme entgegenstehen. Im Hinblick auf den Grenzverlauf sind mit Serbien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina keine konkreten Fortschritte erzielt worden. Die Romaminderheit lebt unter besonders schwierigen Bedingungen. Bildung, Sozialschutz, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung und der Zugang zu Personaldokumenten sind weiterhin problematisch. Bundestagspräsident Lammert fordert angesichts der Bewertung der Fortschritte in Kroatien einen Stopp der EU-Erweiterung. Auch die negativen Erfahrungen der Beitritte von Bulgarien und Rumänien könnten nicht -ignoriert werden. Die EU müsse sich erst selber stabilisieren, bevor sie sich erweitern könnte. Hier deutet sich ein politischer Kurswechsel an, der die Lösung der Krise eher in der Konzentration auf ein Kerneuropa bzw. ein Europa der zwei Geschwindigkeiten sieht. Innenminister Friedrich stößt in das gleiche Horn. Er will die Visumspflicht für die Balkanstaaten Bosnien-Herzegowina, Albanien, Mazedonien, Serbien und Montenegro wieder einführen. Er bekommt von der EU-Innenkommissarin Malmström hierin Unterstützung. Erst im Juni hat die EU Beitrittsverhandlungen mit Monte-negro beschlossen, obwohl das Land als eines der korruptesten Länder der Welt gilt. Gegen den gerade gewählten Premierminister Milo Djukanovic laufen in mehreren westeuropäischen Ländern Verfahren gegen groß angelegten Zigarettenschmuggel. Seine Familie ist in zahlreiche Affären verstrickt. Justiz und Medien stehen unter dem Einfluss der Regierung. Angesichts der realen Lage auf dem Westbalkan ist schwer nachvollziehbar, warum in der jetzigen Situation noch von Fortschrittsberichten gesprochen wird. Es sind Stagnations- oder sogar Rückfallberichte, die wir hier zur Kenntnis nehmen müssen. Große Teile des Balkan innerhalb und außerhalb der EU sind heute wieder politische und ökonomische Zonen der Instabilität. Gerade deswegen ist es wichtig, an der Idee von einem friedlich geeinten Kontinent festzuhalten. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Westbalkan bleibt eine fragile und gefährliche Krisenregion. Es bestehen Spannungen und ungelöste Konflikte. Die Gefahr eines erneuten Gewaltausbruchs ist leider immer noch nicht gebannt. Die Region benötigt trotz Euro-Krise eine hohe Aufmerksamkeit der europäischen Politik. Die 2003 in Thessaloniki eröffnete Beitrittsperspektive ist ein wichtiges Instrument für Stabilität und Frieden auf dem Westbalkan. Der voraussichtliche Beitritt Kroatiens am 1. Juli 2013 und die Aufnahme von -Beitrittsverhandlungen mit Montenegro sind richtige -Signale. Sie zeigen, dass die Europäische Union weiter zu der Thessaloniki-Agenda steht. Umso beunruhigender sind aktuelle Äußerungen, die unnötigerweise den Beitritt Kroatiens und die Visumfreiheit für Serbien und Montenegro in frage stellen. Gerade die Reisefreiheit lässt die Menschen auf dem Westbalkan die Vorzüge der Annäherung an die Europäische Union konkret erleben. Der Austausch fördert das Zusammenwachsen des -Kontinents und trägt die Erfahrung demokratischer Bürgergesellschaften in die Transformationsländer Südosteuropas. Der anstehende Beitritt Kroatiens ist ein Bespiel für die Reformkraft, die der Beitrittsprozess auslösen kann. Die EU-Kommission hat aus den vorangegangenen -Erweiterungen gelernt und auf strikte Konditionalität geachtet. Diese Strategie hat in Kroatien Wirkung gezeigt. Es ist klar, dass auch die anderen Staaten des Westbalkans nur beitreten können, wenn sie die Bedingungen vollständig erfüllen. Politische Rabatte kann es nicht geben. Eine rein technische Erweiterungslogik ist allerdings nicht ausreichend. Einzelne Länder drohen dabei auf der Strecke zu bleiben, weil bestehende Konflikte nur schwer zu lösen sind und ein Fortkommen verhindern. Deshalb muss die Europäische Union ihr Prinzip von Anreiz und strikter Konditionalität durch eine aktive Politik ergänzen, die die bestehenden Konflikte zu lösen sucht. Nur so kann Chancengleichheit zwischen den -zukünftigen Beitrittsländern hergestellt werden. Und nur so können die Länder möglichst zeitnah zueinander -beitreten. Sollten einzelne Staaten von der Annäherung an die Europäische Union abgehängt werden, drohen sich die bestehenden Spannungen zu verstärken – mit nicht absehbaren Folgen. Viele der bestehenden Konflikte auf dem Westbalkan sind ohne eine Einigung der europäischen Politik nicht zu lösen. Die Europäische Union muss sich deshalb auf gemeinsame Grundsätze in der Westbalkanpolitik einigen. Allem zugrunde muss ein klares Bekenntnis zur -Unverrückbarkeit der Grenzen liegen. Vereinzelte -Vorschläge, Länder entlang ethnischer Grenzen zu spalten, bergen unabsehbare Risiken für mögliche Ketten-reaktionen. Denn in der gesamten Region ist das Zusammenleben der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Minderheiten fragil. Auch gegenüber den einzelnen Ländern des Westbalkan muss die Europäische Union Einigkeit herstellen. So kann der Aufbau des Rechtsstaats im Kosovo durch die EU-Mission EULEX nur gelingen, wenn alle Mitglieder der Europäischen Union das Land anerkennen und -EULEX nicht länger statusneutral agieren muss. Weil eine Teilung des Kosovo aus den genannten Gründen nicht hingenommen werden kann, ist von Serbien der Abbau der Parallelstrukturen im Nordkosovo zu fordern. -Vorher kann es keine Beitrittsverhandlungen mit Serbien geben. Auf lange Sicht ist für den Beitritt Serbiens eine Anerkennung des Kosovo nötig. Denn gute Nachbarschaft ist ein Grundprinzip der Europäischen Union. Andernfalls könnten die Länder gegenseitig den Beitritt blockieren oder später durch Blockaden innerhalb der Union deren Funktionsfähigkeit bedrohen. Der Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien muss endlich beendet werden, damit Mazedonien Beitrittsverhandlungen aufnehmen kann. In Montenegro sollten wir in den Bereichen Korruption und organisierter Kriminalität genauer hinsehen, wenn der Reform-prozess durch die beginnenden Beitrittsverhandlungen ein Erfolg werden soll. In Bosnien und Herzegowina bereiten zwei Jahre Dauerblockade und völliger Stillstand große Sorge. Dieser Zustand zeigt, dass Anreizpolitik und Ownership allein nicht ausreichen, um Reformen anzustoßen. Die Europäische Union hat die weiterhin bestehende Nachkriegsordnung 1995 in Dayton mit verfasst. Sie hat deshalb nicht nur ein eigenes Interesse, sondern auch eine Verantwortung, die diskriminierende und undemokratische Dayton-Verfassung zu überwinden. Nur so kann das Land regierbar werden und sich auf den Beitritt zur Europäischen Union vorbereiten. Auch wenn die Kräfte der Europäischen Union durch die Euro-Krise stark gebunden sind, ist eine aktive Westbalkan-Politik dringend nötig. Deutschland sollte mit seinen zahlreichen Verbindungen in die Region und seinem Gewicht innerhalb der Europäischen Union vorangehen und die Initiative auf dem Westbalkan ergreifen. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11034, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9744 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften – Drucksache 17/10957 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Rechtsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir die Reden zu Protokoll. Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften klingt zunächst technisch und wenig spektakulär. Allerdings geht es darin um nicht weniger als um die künftige Infrastruktur in Deutschland, um den Umbau unserer Energieversorgung, es geht um die Beteiligung der Öffentlichkeit bei großen Bauvor-haben wie etwa Industrieanlagen, und es geht vor allem um die Stellung der Umweltverbände im deutschen Rechtsgefüge. Was ist der Hintergrund? Mit Urteil vom 12. Mai 2011 hat der Europäische Gerichtshof den deutschen Umweltverbänden mehr Klagerechte zugebilligt. -Danach können diese grundsätzlich in einem gerichtlichen Verfahren auch die Verletzung der objektiven maßgeblichen Umweltvorschriften des Unionsrechts geltend machen. Den Umweltverbänden werden demnach wesentlich mehr Klagerechte eingeräumt, als das geltende deutsche Recht derzeit vorsieht. Diese weitergehende Regelung leitet der EuGH aus der Umweltverträglichkeitsrichtlinie, Richtlinie 85/337/EWG des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ab, die seiner Ansicht nach umfassendere Klagemöglichkeiten für die Umweltverbände vorsieht. Nach geltendem deutschem Recht sind Umweltverbände bislang weitestgehend klage--befugten Personen gleichgestellt. Das deutsche Rechtsschutzsystem geht im Ansatz – nicht nur in diesem -Bereich – vom Individuum und dessen subjektiven Rechten aus. Den Umweltverbänden soll mit dem Urteil jetzt die Möglichkeit gegeben werden, auch die Verletzung objektiver Umweltrechtsvorschriften zu rügen. Die Öffnung der Verbandsklage im Verwaltungsverfahren und der Verwaltungsgerichtsbarkeit bedeutet ein Novum, das auch in der deutschen Rechtswissenschaft nicht unumstritten ist. Dadurch wird die Kontrollfunktion der -umweltrechtlichen Verbandsklage erweitert. Klage-gegenstand kann nun beispielsweise auch die Wieder-herstellung der Artenvielfalt sein. Bei dieser Herangehensweise sprechen viele von einer Zäsur im deutschen Rechtsschutzsystem. Die Bundesregierung hat sich deshalb sehr intensiv mit der Thematik befasst. Der Gesetzentwurf setzt die -europäischen Vorgaben in nationales Recht um. Da Deutschland auch nach der Aarhus-Konvention eine erweiterte Verbandsklage im Umweltrecht zulassen muss, ergibt es sich, dass die erweiterte Verbandsklage nicht nur im Bereich der unionsrechtlich basierten Umweltvorschriften, sondern künftig auf den gesamten deutschen Bestand der Umweltrechtsvorschriften Anwendung findet. Durch die Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes wird sichergestellt, dass den Umweltverbänden diese hinreichenden Klagebefugnisse eingeräumt werden. Alles in allem hat der Gesetzentwurf aber viel Kritik erfahren. Auch ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass Deutschland beschlossen hat, seine Energieversorgung umzubauen. Wir benötigen neue Netze. Es werden neue Offshorewindenergieanlagen gebaut. Wir benötigen zur Überbrückung lastschwacher Zeiten hocheffiziente und flexible Gaskraftwerke. Bei diesen Bau- und Großvorhaben sind in vielen Fällen Umwelt-verträglichkeitsprüfungen oder Überprüfungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz notwendig. Gleiches gilt bei Verkehrsprojekten oder Deponien. Mit der Neuregelung werden nun bei allen diesen Vorhaben auch die weitergehenden Klagerechte für die Umweltverbände greifen. Bereits heute werden zahlreiche Großprojekte gerichtlich angefochten. Dies führt – in einigen Fällen auch begründet – zu erheblichen Verzögerungen, die mit hohen Kosten für die Unternehmen und schlussendlich damit auch die Verbraucher verbunden sind. Die Industrie fürchtet daher weitere Verfahrensverzögerungen bei Großprojekten. Es geht deshalb auch darum, ökologische Gegebenheiten mit ökonomischen Erfordernissen in Einklang zu bringen. Ich begrüße daher außerordentlich, dass mit dem Gesetzentwurf bewusst ein Ausgleich geschaffen wird. Danach sieht der Gesetzentwurf in § 4 a Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz vor, mit flankierenden Maßnahmen diesen Ausgleich zu schaffen. -Sofern die Umweltverbände die Verletzung objektiven Umweltrechts rügen, müssen sie bestimmte Fristen einhalten und ihre Klagen ausreichend begründen. Dies ist im Angesicht der Herausforderungen, beispielsweise im Bereich der Energieversorgung, durchaus angemessen. Durch die flankierenden Maßnahmen stellen wir -sicher, dass Umweltverbände sich weiterhin genau überlegen, gegen welche Großvorhaben sie aufgrund ihrer erweiterten Befugnisse künftig Klage erheben. Dadurch wollen wir in der konkreten Ausgestaltung sicherstellen, dass sich die Rahmenbedingungen bei Vorhaben wie zum Beispiel Infrastrukturprojekten im Energie- oder im Verkehrsbereich nicht so verändern, dass sich diese kaum noch durchsetzen lassen. Geschaffen werden soll ein konstruktives Miteinander. Wir wollen, dass die Umweltverbände gestärkt und die Umwelt geschützt werden. Wir wollen aber auch, dass in Deutschland auch künftig wichtige Infrastrukturprojekte entstehen. Wir wollen, dass die Akzeptanz von Großprojekten steigt und eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung geschaffen wird, und wir wollen, dass Deutschland Industrieland bleibt und Investitionen in Deutschland weiter stattfinden. Dass der Bundesrat die komplette Abschaffung des § 4 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz fordert, ist aus meiner Sicht unverständlich. Auch den Ländern sollte daran gelegen sein, dass wichtige Großprojekte realisiert werden können. Darüber hinaus werden weitere europarechtliche Erfordernisse mit dem Gesetzentwurf in deutsches Recht umgesetzt. Beispielsweise wird eine UVP-Pflicht für Projekte zur Verwendung von Ödland oder naturnahen Flächen zu intensiver Landwirtschaftsnutzung geschaffen und künftig im Umwelt-Verträglichkeitsprüfungs-gesetz des Bundes geregelt. Der Gesetzentwurf wird nun in den Ausschuss überwiesen. Am kommenden Montag findet eine Anhörung statt. Ich bin davon überzeugt, dass der eingeschlagene Weg im Ergebnis von den Sachverständigen bestätigt wird. Josef Göppel (CDU/CSU): Ich begrüße den Entwurf zur Neugestaltung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes. Durch das Trianel-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. Mai 2011 wurde Deutschland veranlasst, das Verbandsklagerecht zu ändern. Das Gericht beanstandete die Beschränkungen auf die Verletzung subjektiver Rechte. Es ist schade, dass Deutschland erst nach mehrmaliger Aufforderung durch den Gerichtshof in Luxemburg die Mitbestimmungsrechte seiner Bürger erweitert. Deutschland gehört zu den Mitgliedsländern der Europäischen Union, die Klagerechte noch immer einschränken. Deswegen hat die Europäische Kommission Ende September ein Verfahren wegen Vertragsverletzung eingeleitet. Erst durch den neuen Gesetzentwurf werden Umweltverbandsklagen den Individualklagen gleichgestellt. Künftig können auch Verbände gegen Verletzungen aller umweltrechtlichen Vorschriften Klage einreichen. Dennoch beschreitet Deutschland noch immer einen Sonderweg. Das Klagerecht bleibt eingegrenzt. Die „flankierenden Regelungen“ eines neuen § 4 a UmwRG schränken Klagerechte auf folgende Weise ein: Erstens. Die Einführung einer Klagebegründungsfrist. Zweitens. Das Gericht muss den Sachverhalt einer behördlichen Entscheidung nur formal auf Vollständigkeit hin überprüfen, nicht jedoch auf inhaltliche Fehler oder Lücken. Drittens. Ein Gericht kann erhöhte Anforderungen an die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen anordnen. Auch der Bund der deutschen Verwaltungsrichter sieht hier eine Gefahr. Er befürchtet, dass Deutschland die Vorgaben aus Brüssel nicht weit genug umsetzt. Die Verwaltungsrichter hegen weiter Bedenken gegen den neuen § 4 a UmwRG. Dieser Position schließe ich mich an. Der Bundesrat hat sich bereits im September für das Streichen der „flankierenden Maßnahmen“ ausgesprochen. Ich werde mich auch weiterhin dafür einsetzen, dass Genehmigungen bei fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfungen aufgehoben werden müssen. Hier muss rechtliche Klarheit geschaffen werden. Anerkannte Umweltverbände werden in ihren Rechten durch die Änderungen zwar gestärkt – das Klagerecht ist ein wichtiger Schritt zur Mitgestaltung – dennoch erfüllen die deutschen Vorschläge noch nicht alle europäischen Anforderungen. Es muss mit weiteren Niederlagen vor dem Europäischen Gerichtshof gerechnet werden. In Deutschland machen Umweltverbandsklagen im Übrigen nur 0,03 Prozent aller Verwaltungsgerichtsverfahren aus. Die Angst vor einer Klageflut ist also nicht begründet. Andere europäische Länder haben es vorgemacht. Auch wir sollten die Bürger stärker einbinden. Dafür müssen neue Möglichkeiten der Partizipation geschaffen werden. Dr. Matthias Miersch (SPD): Es ist eine traurige Angelegenheit, die es heute zu besprechen gilt. Und es hätte nicht so weit kommen müssen, das steht fest. Die handwerklichen Fehler im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz waren schon länger klar, der Reformbedarf ist offensichtlich. Die notwendigen Klarstellungen und inhaltlichen Verbesserungen der in unserer Zeit enorm wichtigen Beteiligungsrechte nun auf die vom Minister Altmaier vorgelegte Art und Weise angehen zu wollen, zeigt schlicht, dass es in dieser Sache überhaupt kein Problembewusstsein gibt. Diese mangelnde Ernsthaftigkeit wurde durch Herrn Minister Altmaier auf einer Pressekonferenz vom 16. August 2012 erneut auch persönlich zur Schau gestellt: Angesprochen auf das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, erklärte er, und ich zitiere: „Das hat uns der EuGH eingebrockt“. Das Rechtsverständnis des Juristen Altmaier ist bemerkenswert: Nicht die handwerklichen Fehler des Gesetzes sind schuld an der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland wegen nicht EU-rechtmäßiger Umsetzung der Aarhus-Konvention und der Richtlinie zum Zugang zu Gerichten, sondern der EuGH als Überbringer der schlechten Nachrichten. Hört sich so ein Minister an, der Einsicht zeigt und die aufgezeigten Rechtswidrigkeiten in der Gesetzgebung aktiv und zur allgemeinen Zufriedenheit lösen will? Ich denke kaum. Dabei haben wir als Arbeitsgruppe Umwelt der SPD-Bundestagsfraktion schon vor Jahren im Plenum mit einer Erklärung nach § 31 GO auf die Unionsrechtsmängel im Rechtsbehelfsgesetz hingewiesen. Die Beschränkung der Rügebefugnis von Umweltverbänden auf drittschützende Normen ist offensichtlich eine politisch motivierte Fehleinschätzung gewesen. Nun scheint sich diese Erkenntnis bei Herrn Altmaier auch durchgesetzt zu haben, der Richterspruch des EuGH hat seinen Reflexionsprozess aber nicht ausreichend angeregt. Betrachtet man den jetzt vorliegenden Entwurf, so ist immerhin der eben angesprochene Fehler geheilt. Allerdings hat der Gesetzentwurf im Beratungsverfahren vom ersten Entwurf bis zur heutigen Vorlage an anderen Stellen Änderungen erfahren, die wieder mit einiger Wahrscheinlichkeit EU-rechtswidrig sein werden. Die besagten Änderungen gehen auf Interventionen und ein Positionspapier des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, BDI, zurück, dessen Formulierungsvorschläge – flankiert durch das Bundeswirtschaftsministerium – dann auch teilweise in die Vorlage des BMU übernommen wurden. Man fragt sich doch manchmal, wer im BMU eigentlich die Hosen anhat. Der BDI und das BMWi sind beide nicht eben dafür bekannt, eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planungs- und Genehmigungsverfahren zu befürworten, wie sie der heutigen Zeit und den komplexen Problemstellungen in diesen Verfahren angemessen wäre. Vielmehr argumentieren sie mit der Straffung der Verfahren, indem Bürger- und Verbänderechte eingeschränkt werden sollen und der Zugang zu Gerichten erschwert werden soll. Dass auf europäischer Ebene und darüber hinaus durch die Aarhus-Konvention schon seit Jahren genau das Gegenteil, nämlich eine Stärkung der Bürger- und Verbänderechte, vorangetrieben wird, wird vom BDI und BMWi, und nun anscheinend auch vom BMU, leider ignoriert. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler hat diese anachronistische Einstellung mit seiner Forderung unterstrichen, man müsse europäisches Naturschutzrecht mal eben bei der Planung von Stromleitungen außer Kraft setzen können. Im BDI-Positionspapier liest sich das dann so: „Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Bemühungen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren ist die Ausweitung der Klagerechte kontraproduktiv“ und „Der Ausweitung der Klagerechte für Verbände hinsichtlich des Gerichtszugangs müssen interessengerechte Beschränkungen gegenüberstehen, um die Ausgewogenheit des deutschen Rechtsschutzsystems zu gewährleisten“. Zu diesem Zweck wurden daher im Gesetzentwurf die Präklusionsregeln verschärft und formale Hürden in der Verwaltungsgerichtsordnung geschaffen, die mit einem hohen europarechtlichen Risiko verbunden sind. Ein Schelm, wer bei dem aktuell vorliegenden Entwurf des BMU nun Böses denkt. Wir haben auf Basis dieser Überlegungen eine Sachverständigenanhörung im Umweltausschuss beantragt und werden das weitere Gesetzgebungsverfahren kritisch begleiten. Ziel des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes muss nicht nur seine EU-Konformität sein, sondern auch dem Geist des Gesetzes muss Rechnung getragen werden: Vorausschauende, transparente und bürgernahe Planungsverfahren mit breiten Beteiligungsmöglichkeiten für Betroffene und Verbände werden letztlich dazu führen, Genehmigungsprozesse zu beschleunigen und weniger kostenintensiv zu gestalten. Wer erst alles durchwinkt und sich nachher auch noch über Ärger wundert, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Judith Skudelny (FDP): Derzeit bestimmt § 2 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes, UmwRG, dass den Umweltverbänden nur dann ein eigenes Klagerecht zusteht, wenn sie Vorschriften rügen, die dem Umweltschutz dienen, Rechte Einzelner begründen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können. Genau diese Beschränkung stellt heute das Problem dar. Nach dem sogenannten Trianel-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH C-115/09) vom 12. Mai 2011 sind Vorschriften des deutschen Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes über den Gerichtszugang nicht mit Art. 10 a der UVP-Richtlinie der EU – jetzt Art. 11 – vereinbar, soweit anerkannte Umweltvereinigungen darin auf die Rüge der Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte beschränkt werden. Der nationale Gesetzgeber darf zwar den Gerichtszugang von Einzelpersonen entsprechend eingrenzen, nicht jedoch den Gerichtszugang anerkannter Umweltvereinigungen. Damit sind die Klagemöglichkeiten für Umweltverbände nach geltendem deutschem Recht auf drittschützende und auf dem Europarecht basierende Normen beschränkt. Dies ist nach dem oben genannten EuGH-Urteil europarechtswidrig. Der EuGH hat dies damit begründet, dass nach Art. 10 a der UVP-Richtlinie, mit dem die Europäische Union Vorschriften der UNECE-Aarhus-Konvention über den Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten umgesetzt hat, Umweltverbände die Möglichkeit erhalten müssen, die Verletzung aller für die Zulassung von Vorhaben maßgeblichen Umweltvorschriften gerichtlich geltend machen zu können, die auf dem Unionsrecht basieren. Anerkannten Umweltverbänden ist danach in Umweltangelegenheiten ein weiterer Zugang zu den Gerichten zu gewähren. Es bedarf somit einer Anpassung des deutschen Rechts an die europarechtlichen Vorgaben. Seit dem 10. Oktober 2012 liegt daher ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften vor, um insbesondere bei dieser Problematik Abhilfe zu schaffen. Umweltverbände sind damit nicht mehr auf die Geltendmachung von Grundrechtsverstößen beschränkt, die auch die betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu einer Klage berechtigen würden. Mit seinem Urteil hat der EuGH die Rechte von anerkannten Umwelt- und Naturschutzverbänden in Deutschland damit gestärkt. Diese können nun auch die Beachtung eines vorsorgenden Umweltschutzes, beispielsweise im Bereich der Luftreinhaltung und des Artenschutzes, einfordern. Dies geht deutlich über die bisherigen Klagerechte hinaus. Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist es, neben der europarechtlich gebotenen Ausweitung des Verbandsklagerechts auch einen Ausgleich zwischen Umweltschutz und der Verwirklichung von Großprojekten zu schaffen, beispielsweise solchen, die zur Umsetzung der Energiewende notwendig sind, aber auch Vorhaben der Wirtschaft, um Arbeitsplätze in Deutschland zu halten. Es geht insgesamt nicht nur um Projekte wie den Bau von Automobilfabriken, Stahl- oder Kohlekraftwerken, sondern auch um den dringend notwendigen Ausbau der Stromnetze und Speicherkraftwerke. Wenn man, wie die Grünen, mit Nachdruck den Ausstieg aus der Atomkraft und die Energiewende gefordert hat, dann muss man jetzt auch ehrlich zu den Bürgern und konsequent im Handeln sein. Art. 1 des Gesetzentwurfs enthält die zur Umsetzung des Trianel-Urteils notwendigen Änderungen des -UmwRG. Dazu ist vorgesehen, bei der Umweltverbandsklage die bisherige Beschränkung der Rügebefugnis auf individualrechtsschützende Umweltvorschriften ersatzlos entfallen zu lassen. Die Art. 2 bis 13 des Entwurfs enthalten weitere punktuelle Anpassungen verschiedener Rechtsvorschriften. Bei diesen Änderungen ergibt sich der Regelungsbedarf nicht aus dem Trianel-Urteil. Vielmehr geht es um die Umsetzung von Vorgaben, die sich aus anderen Urteilen des EuGH und aus Forderungen der Europäischen Kommission ergeben, ferner um inhaltliche Klarstellungen sowie redaktionelle und rechtstechnische Korrekturen. Die Herausforderung bei der Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes besteht darin, einen Ausgleich zwischen der europarechtlich gebotenen Ausweitung der Verbandsklage und der Umsetzung bzw. Verfahrensbeschleunigung bei dringend notwendigen Infrastrukturprojekten zu schaffen; denn es ist zu befürchten, dass durch die Ausweitung der Verbandsklage die Genehmigungsdauer für Projekte noch weiter zunimmt und auch die Kosten für diese Projekte weiter steigen. Hierdurch könnte für Deutschland ein erheb-licher Wettbewerbsnachteil entstehen. Diese Interessen will der vorliegende Gesetzentwurf berücksichtigen. Ziel ist es, die möglichen kontraproduktiven Wirkungen von Verbandsklagen abzufedern. Insbesondere soll verhindert werden, dass das Instrument der Verbandsklage in der Praxis zu sachlich ungerechtfertigten Verzögerungen von Vorhaben instrumentalisiert wird. Dazu wird beispielsweise mit dem neuen § 4 a „Maßgaben zur Anwendung der Verwaltungsgerichtsordnung“ eine zwingende Klagebegründungsfrist von sechs Wochen eingeführt. Die Klagebegründungsfrist beschneidet nicht die Möglichkeit des Gerichts, darauf hinzuwirken, dass unerfahrene oder nicht fach- und rechtskundige Individualkläger sachdienliche Tatsachen und Beweismittel vortragen. Diese Klagebegründungsfrist kann auf Antrag durch das Gericht nach seinem Ermessen verlängert werden. Die Verbandsklage bezieht sich auf nahezu alle industrierelevanten Entscheidungen, wenn mit ihr behörd-liche Entscheidungen bei UVP-pflichtigen Vorhaben, Genehmigungen für Anlagen nach einem förmlichen -immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, wasserrechtliche Erlaubnisse und Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien angegriffen werden können. Dies zeigt die hohe praktische Relevanz und Bedeutung dieses Gesetzentwurfs, insbesondere vor dem Hintergrund der Herausforderungen der Energiewende. Als liberale Partei wollen wir in Deutschland Vorhaben verwirk-lichen und nicht ausbremsen; denn bereits jetzt dauern Genehmigungsverfahren in Deutschland zu lange. Durch die in dem Gesetzentwurf der Grünen (Drucksache 17/7888) geforderten Änderungen, die deutlich über die europarechtlichen Anforderungen hinausgehen, würden die Klagemöglichkeiten erheblich ausgeweitet, wodurch Deutschland ein wesentlicher Wettbewerbsnachteil entstehen würde. Wir wollen Arbeitsplätze in Deutschland halten und neue schaffen. Dazu benötigen wir Vorhabenträger, die weiterhin in den Standort Deutschland investieren. Was wir nicht brauchen, sind Forderungen wie die der Grünen, die den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit Arbeitsplätze gefährden. Das bedeutet nicht, dass wir die demokratischen Mitwirkungsrechte der Bürger beschneiden wollen. Die Herausforderungen der Energiewende beispielsweise wollen wir nicht gegen die Bevölkerung durchsetzen, sondern mit ihr umsetzen. Die bestehenden Klagemöglichkeiten haben sich dazu als ausreichend und angemessen erwiesen. Eine über die Vorgaben des EuGH -hinausgehende Erweiterung der Klagemöglichkeiten ist nicht erforderlich. Ziel muss es sein, ein ausgewogenes Maß an demokratischen Mitwirkungsrechten der Bürger auf der einen Seite und die Umsetzbarkeit von notwendigen Vorhaben wie dem Netzausbau und dem Bau von Speicherkraftwerken auf der anderen Seite zu gewährleisten. Sabine Stüber (DIE LINKE): Zu der heute vorliegenden Novelle der Bundesregierung zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz fällt mir nur noch die Filmkomödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ ein. Die Debatten um das Recht der Umweltverbände und jeder Person, Genehmigungen von Großvorhaben gerichtlich überprüfen zu lassen, finden in diesem Hause seit Jahren mit schöner Regelmäßigkeit statt. Worum geht es? Es geht um die Aarhus-Konvention, eine Vereinbarung der europäischen Länder zu mehr Bürgerrechten in Umweltfragen, die 2001 in Kraft trat. In Europa hat seitdem jede Person das Recht auf Informationen über die Einhaltung von Umweltvorschriften bis hin zur Klagemöglichkeit bei Beeinträchtigungen der Umwelt durch Großvorhaben. Die Bundesregierung hat dazu mit großer Verspätung, erst 2006, ein sehr halbherziges Gesetz verabschiedet. Und auch das muss gesagt werden, der damalige Bundesumweltminister der SPD, Sigmar Gabriel, hat dabei keine besonders rühmliche Rolle gespielt. Meine Fraktion hat damals darauf hingewiesen, dass das Gesetz unzureichend ist und mit einem Entschließungsantrag die Bundesregierung aufgefordert, umgehend einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen, der den geforderten Rechtsschutz aller Umweltbelange durchsetzt. Der Europäische Gerichtshof hat unsere Kritik mit seiner Entscheidung im Mai 2011 bestätigt. Nur wenige Monate später erinnerten die Grünen mit einem Gesetzentwurf die Bundesregierung an ihre nicht erledigte Hausaufgabe. Nach einem weiteren Jahr haben Sie nun, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, eine Gesetzesnovelle vorgelegt. Aber Sie wollen damit das bisher schon unzulängliche Klagerecht in unserem Land noch weiter einschränken. Das ist das Gegenteil von dem, was der Europäische Gerichtshof entschieden hat. Und das ist das Gegenteil von Bürgerbeteiligung, Transparenz und Akzeptanz, die Bundesminister Altmaier vor wenigen Wochen als seine Arbeitsschwerpunkte postuliert hat. Hier wird geltendes Recht komplett auf den Kopf gestellt. Selbst der Bundesrat versagt dafür die Gefolgschaft. Diese Gesetzesnovelle ist so nicht haltbar. Das werden in der nächsten Woche auch die Sachverständigen der öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses im Bundestag bestätigen. So durchsichtig präsentiert uns die Bundesregierung ihre Klientelpolitik auch nicht alle Tage. Und wenn die möglichen Auswirkungen auf unsere Lebensumwelt nicht so gravierend wären, hätte das Ganze sogar einen gewissen Unterhaltungswert. Was steckt also dahinter, wenn bei Verstößen gegen Umweltvorschriften das Klagerecht weiter eingeschränkt werden soll? Zeit – es geht um Zeitgewinn für weitere Genehmigungen von Großprojekten, die eben nicht die Umweltstandards einhalten. Wahrscheinlich reicht das dem FDP-Wirtschaftminister Rösler schon. Aber das ist ganz schlechter Stil und wird kaum zur Verbesserung des derzeit schlechten Images der Politik beitragen. Ich fordere die Bundesregierung heute erneut auf, umgehend einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Rechtsschutz aller Umweltbelange durchsetzt und damit das vom Europäischen Gerichtshof bestätigte uneingeschränkte Informations- und Klagerecht für alle Personen und Umweltverbände gegen die Genehmigung aller Großprojekte, die Umweltvorschriften nicht einhalten. Dabei empfehle ich, den Grünen-Gesetzentwurf aus dem letzten Jahr und den Antrag der Linken aus dem Jahr 2006 hinzuzuziehen. Darin findet sich alles, um dieses Gesetz zu dem zu machen, was es sein soll und was die Bürgerinnen und Bürger von ihm erwarten: die Umsetzung des Gedankens der Aarhus-Konvention, so wie es erstmals im Völkerrecht verankert wurde, in deutsches Recht. Das heißt, ich sage es zum Schluss noch einmal: Jede Person hat das Recht auf Information, Beteiligung und Klagemöglichkeit zum Schutz der Umwelt. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das gute alte Sprichwort „Was lange währt, wird gut“, stimmt in diesem Fall leider gar nicht. Nach einer fast einjährigen Ressortabstimmung und anderthalb Jahre nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs legt die Bundesregierung nun endlich einen Gesetzentwurf zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz vor. Dieser aber ist eine Enttäuschung auf ganzer Linie. Wir haben bereits Ende letzten Jahres einen fachlich fundierten Gesetzentwurf vorgelegt, den Sie postwendend abgelehnt haben. Hätten Sie mal damals unserem Gesetzentwurf zugestimmt, dann hätte wir heute ein modernes und europarechtskonformes Beteiligungsrecht im Umweltbereich. Stattdessen haben wir hier nun einen Entwurf auf dem Tisch, der leider nicht zustimmungsfähig ist, weil er erneut zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen wird. Lassen Sie mich daran erinnern, welches der eigentliche Grund für die Neuregelung ist. Mit dem sogenannten Trianel-Urteil stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass das deutsche Verbandsklagerecht nicht europarechtskonform ist. Die Klagemöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger werden bisher unverhältnismäßig stark eingeschränkt. Dies wurde zwar auch bereits bei der Verabschiedung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes von der Opposition und dem Sachverständigenrat für Umweltfragen kritisiert, aber sie brauchten ja erst ein Gerichtsurteil, um dies zu glauben. Und was passiert nun, nachdem sie über anderthalb Jahre Zeit hatten, darüber nachzudenken, wie dieses recht deutliche Urteil umgesetzt werden kann? Sie legen einen Gesetzentwurf vor, der absolut unzureichend ist. Ich habe größte Zweifel, ob die vorgeschlagene Neurege-lung den europa- und völkerrechtlichen Vorgaben entspricht. Insbesondere die Regelungen der Aarhus-Konvention werden sträflich missachtet. Das novellierte Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz wird daher erneut gerichtlich zu überprüfen sein. Eine Mehrbelastung der Gerichte, die sich eigentlich niemand wünschen kann, und eine Verzögerung einer eindeutigen Gesetzgebung sind die Folgen. Und wenn Sie mir nicht glauben wollen, dann warten Sie die Anhörung am Montag ab. Da werden Ihnen die Gutachterinnen und Gutachter mit Sicherheit die Schwächen Ihres Gesetzentwurfs verdeutlichen. Verschlie-ßen Sie sich nicht allen Argumenten, und ergreifen Sie die Chance, im parlamentarischen Verfahren den Gesetzentwurf so zu korrigieren, dass die Rechtsunsicherheiten auf ein Minimum reduziert werden. Da Sie nur zähneknirschend akzeptieren wollen, dass die Klagemöglichkeiten gegen Vorhaben mit Umweltauswirkungen ausgeweitet werden müssen, versuchen Sie nun auf leicht durchschaubare Weise, durch die Hintertür, die Klagemöglichkeiten wieder zu beschränken. Sachliche Gründe für Einschränkungen beispielsweise bei der Begründungsfrist oder bei der Begrenzung des Rechtsschutzes gibt es nicht. Und bitte kommen Sie mir nicht wieder mit dem Argument, mehr Klagerechte würden allein dazu missbraucht, wichtige Infrastrukturprojekte zu verzögern. Dies ist, gelinde gesagt, eine Unterstellung der übelsten Art, werte Kollegen von CDU/CSU und FDP. Umfassende Klagemöglichkeiten führen häufig dazu, dass sorgsamer geplant wird, dass alle umweltrechtlichen Vorschriften eingehalten werden, und sie steigern die Akzeptanz. Nur schlecht geplante Projekte, bei denen, absichtlich oder fahrlässig, bestehende Rechtsvorschriften ignoriert werden, müssen erweiterte Klagemöglichkeiten fürchten. Die Verbandsklage ist das erfolgreichste Instrument zum Abbau von Vollzugsdefiziten im Naturschutzrecht. Wir Grüne wollen auch, dass die Vollzugsdefizite im Umweltrecht abgebaut werden. Bei Ihnen, werte Kollegen von CDU/CSU und FDP, gewinnt man aber eher den Eindruck, dass es Ihnen ganz recht ist, wenn möglichst viele Vollzugsdefizite beim Umweltrecht entstehen. Sie wollen anscheinend nicht, dass die bestehende Gesetzgebung möglichst konsequent umgesetzt wird. Das zeigt sich nicht nur hier, sondern auch darin, dass in den Ländern, in denen Schwarz-Gelb regiert, die Umweltverwaltungen systematisch kaputtgespart werden oder wurden. Ohne Fachverwaltung lässt sich der Vollzug nicht mehr kontrollieren und ohne umfassende Klagerechte kann auch niemand mehr einen ordnungsgemäßen Vollzug einklagen. Aber damit werden Sie nicht durchkommen; wir werden auf Bundesebene dafür sorgen, dass es zukünftig starke Klagerechte für Umweltverbände gibt. Und wir werden auf Landesebene die von Ihnen kaputtgesparten Umweltverwaltungen wieder stärken. Wir machen Umweltpolitik nicht allein für den Grünen Tisch, wir wollen Umweltgesetze auch umsetzen. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/10957 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Behindern ist heilbar – Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Teilhabesicherungsgesetz vorlegen – Drucksachen 17/7872, 17/7889, 17/10008 – Berichterstattung: Abgeordnete Maria Michalk Auch hier nehmen wir, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, die Reden zu Protokoll. Maria Michalk (CDU/CSU): Wohl niemand bestreitet in diesem Hohen Haus, dass inklusive und integrative Ansätze seit langem sich wie ein roter Faden durch unsere parlamentarische Arbeit ziehen. Wir wollen die Rahmenbedingungen für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen unserer Gesellschaft voranbringen. Inklusion ist die konsequente Weiterentwicklung von dem, was wir vor langer Zeit unter dem Begriff der „Integration“ begonnen haben. Unter Integration wird die Eingliederung von Außenstehenden in etwas Bestehendes verstanden. Inklusion bedeutet aber Einbeziehung und Öffnung des Bestehenden. Das bedeutet, selbst auf andere zuzugehen, eigene Grenzen zu verschieben. Wenn wir Teilhabe, Chancengleichheit und Vielfalt in unserer Gesellschaft verwirklichen wollen, müssen wir uns selbst öffnen. Das bedeutet:Wir brauchen eine gesellschaftlich tragfähige Kultur der Inklusion. Vorbehalte, Begegnungsängste, Umgangsunsicherheiten und ähnliche Erscheinungsformen müssen überwunden werden, und zwar von jedem einzelnen von uns. Am erfolgreichsten wird dieser Prozess gelingen, je intensiver sich jede Bürgerin und jeder Bürger mit diesen Fragen beschäftigt, unabhängig davon, ob eine persönliche Betroffenheit in der Familie, im Freundes- oder Kollegenkreis vorliegt. Mut machen dazu gelungene Beispiele aus dem wahren Leben, so wie ungelöste Situationen natürlich Zweifel an der Verwirklichung dieses Zieles schüren. Ich möchte nicht nur zum Nachdenken anregen, sondern zum Handeln vor Ort. Das liegt ganz im Interesse der Kampagne der Bundesregierung, die unter anderem mit dem Motto „Behindern ist heilbar“ für Offenheit und aktives Handeln wirbt. Insofern ist Mahnung aus dem Antrag der Linken kein neuer Ansatz, und die aufgeführten 10 Punkte sind keine neue Idee. Ich will daran erinnern, dass wir den Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung sowohl im Deutschen Bundestag debattiert als auch Anhörungen zu ihm durchgeführt haben. Er ist kein Gesetz, sondern ein Programm, das selbstverständlich immer wieder mit neuen Umsetzungsideen angereichert wird. Ich will auch daran erinnern, das in Deutschland das Diskriminierungsverbot existiert. Im Bundeshaushalt sind finanzielle Grundlagen aufgenommen, die in der mittelfristigen Finanzplanung fortgeschrieben werden. Das geforderte „Screening“ aller bestehenden Gesetze und Verordnungen auf behindertenrelevante Themenstellungen ist ein ständiger Prozess und parlamentarische Praxis. Auch die Forderung, den Kostenvorbehalt in § 13 SGB XII aufzuheben, ist unrealistisch, weil damit das Subsidiaritätsgebot aufgegeben wird. Und eine höhere Sensibilität bei den Ausschreibungen von öffentlichen Aufträgen, Projekten und Maßnahmen in diesem Bereich unter Qualitätsgesichtspunkten zu erreichen – auch dieser Punkt ist parlamentarisch bearbeitet und auf den Weg gebracht. Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass eine offizielle Übersetzung der BRK verwendet wird, die keine Interpretationsspielräume zulässt. Wohl niemand kann ernsthaft bestreiten, dass der Konsultationsprozess und die Erarbeitung des NAP unter breiter Einbeziehung der betroffenen Menschen und ihrer Interessensvertretungen stattgefunden hat und in der Umsetzung der permanente Dialog gepflegt ist, weil unstrittig ist, dass nicht über Menschen mit Behinderungen gesprochen wird, sondern mit ihnen. Sie sind Experten in eigener Sache. Zusammenfassend ist festzustellen, dass alle 10 Punkte aus dem Antrag bereits heute „unser täglich Brot“ sind. Der Antrag hat sich erledigt bzw. wäre nicht notwendig. Die weitere Aufforderung, ein Teilhabesicherungsgesetz vorzulegen, ist parlamentarisch zwar legitim, aber nicht verantwortungsvoll. Es liegt uns allen am Herzen, die volle und wirksame Teilhabe für Menschen mit Behinderungen durch flächendeckende, soziale, inklusiv ausgestaltete Infrastrukturgegebenheiten zu sichern. Und der Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile ist unser gemeinsames Ziel. Das ist auch das Wesensmerkmal des SGB IX in seiner aktuellen Fassung. Nicht von ungefähr ist der Beschluss der SMK zustande gekommen, stärker als bisher die individuelle Situation des jeweils Betroffenen zu berücksichtigen. Ich habe es bereits in meiner Rede zur 1. Lesung dieses Antrages gesagt: Der Paradigmenwechsel im SGB IX, der vom Gesetzgeber beschlossen und mit der UN-Behindertenrechtskonvention unterstrichen wurde, muss vor Ort gelebt werden. Vor Ort ist das Mühen deutlich erkennbar. Aber leider erreichen uns immer wieder Beispiele, dass vom Gesetzgeber gegebene Entscheidungsspielräume zum Nachteil des Betroffenen nicht genutzt werden. Das muss sich ändern. Deshalb ist auch der Beschluss der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe der ASMK so wichtig, wo vereinbart wurde, dass ein Verfahren etabliert werden sollte, das den Menschen mit Behinderungen in seiner Situation ganzheitlich erfasst, ihn aktiv einbezieht und sein Wunsch- und Wahlrecht berücksichtigt. In Zukunft sollte also stärker als bisher die Gesamtplanung der Unterstützungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten erfolgen, und zwar trägerübergreifend. Die trägerübergreifende Arbeit ist nach der Gesetzeslage bereits heute möglich, wird aber in viel zu geringem Umfang praktiziert. Da sind wir uns einig. Hintergrund ist natürlich die Kostenbetrachtung. Uns ist die Forderung, die Bund-Länder-Finanzbeziehungen in diesem Bereich zu überprüfen und neu zu regeln, nicht verborgen geblieben. Ich denke, wir müssen uns mit dieser Frage beschäftigen, aber nicht auf der Grundlage eines neuen Behindertenbegriffs, wie im Antrag beschrieben. Was wir brauchen, ist ein nach festen Kriterien agierendes, für alle Bundesländer verbindliches Verfahren. Die Gesetzesgrundlage ist das eine, die Ausführungsbestimmungen und die gängige Praxis in den Ländern das andere. Das beweist der sehr breite Korridor der bewilligten Eingliederungshilfe je Person im jeweiligen Land. Die Komplexität dieser Thematik verbietet Schnellschüsse. Ich wünsche mir auch, dass wir in der gemeinsamen Arbeit zwischen Bund und Ländern in diesem Themenbereich zu einem tragfähigen Ergebnis kommen. Aber wie Sie wissen, hält der seit Jahren geführte intensive Diskussionsprozess an. Da alle hier im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen in unterschiedlicher Konstellation Regierungsverantwortung in den Ländern tragen, haben wir uns gegenseitig keinen Vorwurf zu machen. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mit Ihren beiden Anträge „Behindern ist heilbar – unser Weg in eine inklusive Gesellschaft“ und „Teilhabesicherungsgesetz vorlegen“, die wir heute diskutieren, einen Beitrag dazu leisten, die Diskussion über die Behindertenrechtskonvention aufrechtzuerhalten. Die Ermöglichung einer gleichberechtigten und selbstbestimmten Teilhabe für Menschen mit Behinderungen ist mir eine Herzensangelegenheit und sollte auch zu keinem Zeitpunkt aus dem Fokus unserer politischen Arbeit geraten. Mit dem Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung sorgt die unionsgeführte Bundesregierung für eine umfassende Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und kommt einen großen Schritt voran auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft. Der Nationale Aktionsplan hat bereits und wird auch weiterhin das Leben der rund 9,6 Millionen Menschen mit Behinderung in Deutschland maßgeblich verbessern und beeinflussen. Aber wir wollen nicht nur die physischen Barrieren beseitigen, sondern auch die psychischen, die eine Integration und Berührungen mit Menschen mit Behinderungen erschweren. Mit den zahlreichen Einzelprojekten in unserem Aktionsplan beseitigen wir eben diese Barrieren. Aufführen möchte ich hier zum Beispiel die Aufhebung der 50-km-Regelung nach § 147 Abs. 1 SGB IX, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit der Deutschen Bahn ausgehandelt hat. Diese Regelung ermöglicht den schwerbehinderten bzw. Schwerkriegsgeschädigten Reisenden eine bundesweite, kostenfreie Nutzung der Nahverkehrszügen der DB Regio AG. Anführen möchte ich an dieser Stelle auch die -Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung – BITV – 2.0, welche sicherstellt, dass öffentlich zugängliche Internetdienste und -angebote der Bundesverwaltung für Menschen mit Behinderung uneingeschränkt genutzt werden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken: Wenn Sie in Ihrem Antrag eine Einbeziehung der betroffenen Menschen fordern, dann darf ich Sie darauf hinweisen, dass die Entwicklung des Nationalen Aktionsplans gerade gemeinsam mit Menschen mit Behinderung und ihren Verbänden stattfand. Hierdurch wurden Qualität und Wirkung der Maßnahmen gewährleistet. Bemerkenswert finde ich auch, dass Sie sich sogar den Titel der Kampagne des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales „Behindern ist heilbar“, mit dem das selbstverständliche Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung in das Bewusstsein aller Menschen in Deutschland gebracht werden soll, zu eigen gemacht haben. Ich freue mich, dass auch Sie die Kampagne für gelungen erachten. Aber zurück zu Ihrem Antrag: Mit der Forderung nach zahlreichen neuen Leistungsansprüchen und der Aufhebung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen in der Eingliederungshilfe unterlaufen Sie das System der beitragsfinanzierten Vorsorge und stellen auf eine überwiegend steuerfinanzierte Leistung ab. Mit der Einführung eines Teilhabesicherungsgesetzes zulasten des Bundes mit generell bedürftigkeitsunabhängigen Teilhabeleistungen – die im Übrigen deutlich über den derzeitigen Aufwendungen für die Eingliederungshilfe liegen würden und nicht gegenfinanziert sind – lösen Sie die strukturellen Probleme der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nicht. Des Weiteren wäre eine zusätzliche Belastung für den Bundeshaushalt in Milliardenhöhe vor dem Hintergrund der in der letzten Sitzungswoche in erster Lesung debattierten vollständigen Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch den Bund nicht vertretbar. Meine sehr geehrten Damen und Herren der Fraktion Die Linke, lassen Sie mich abschließend nochmals be-tonen, dass ich Ihnen für Ihren Diskussionsbeitrag -dankbar bin – allerdings ist die Behindertenpolitik der christlich-liberalen Koalition nicht von unerreichbaren Versprechungen und einer fahrlässigen Auseinandersetzung mit den haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen gekennzeichnet, sondern von realistischen Maßnahmen, die Schritt für Schritt wirkungsvoll umgesetzt werden und auf einer notwendigen, belastbaren Kostenfolgenabschätzung basieren. Wir sind mit unserem Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf einem sehr guten Weg. Daher müssen wir Ihre beiden Anträge leider ablehnen. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Wir befassen uns heute mit zwei Anträgen der Fraktion Die Linke. In dem einen Antrag wird ein Teilhabegesetz gefordert; der andere Antrag trägt den Titel „Behindern ist heilbar – Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft“. Dieser Weg ist lang. Auch wir müssen im Bundestag noch so manche Barrieren beseitigen. Wir alle erinnern uns: Im letzten Jahr musste der Tag der Menschen mit Behinderungen im Deutschen Bundestag ausfallen und alle Gäste wieder ausgeladen -werden. Das war eine peinliche Angelegenheit. Leider war den Organisatoren zu spät aufgefallen, dass für die vielen angemeldeten Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer die Sicherheit hier im Gebäude nicht gewährleistet werden konnte. Diesmal wird es klappen. Der Tag findet nun nächste Woche statt. Etwa 300 Betroffene aus beinahe allen Wahlkreisen werden nach Berlin kommen und mit uns Politikerinnen und Politikern diskutieren. Wir möchten von ihnen lernen: Wir möchten unseren Blick auf Politik mit und für Menschen mit Behinderung schärfen. Wir möchten Vorschläge von den Expertinnen und Experten in eigener Sache bekommen. Und wir möchten lernen, welche Barrieren es gibt und wie sie abgebaut werden können. Ich freue mich auf den Dialog. Die Mehrzahl der Gäste könnte ohne Einladung des Bundestages einschließlich Übernahme der Fahrtkosten überhaupt nicht zu uns nach Berlin kommen, weil eine solche Reise schlichtweg zu teuer wäre. Traurige Wahrheit ist: Jemand, der einen verantwortungsvollen Job hat und den ganzen Tag arbeitet, wird auf Sozialhilfeniveau heruntergerechnet, nur weil er behinderungsbedingte zusätzliche Ausgaben hat. Diese Menschen müssen ihre gesamten Lebensverhältnisse -offenlegen – aufgrund ihrer Behinderung. Eltern, wenn sie im gleichen Haushalt leben, und Ehepartner werden mit belastet. Das entspricht nicht der UN-Behindertenrechtskonvention. Es ist eine riesige Ungerechtigkeit, wenn ein Mensch mit Behinderung von einem eigentlich ausreichenden Gehalt nicht leben kann. Die Menschen sind arm, weil ihr Verdienst auf die Eingliederungshilfe nach Sozialhilfekriterien angerechnet wird. In der Anhörung im vergangenen Jahr wurde ein bedrückendes Beispiel eines Diplominformatikers genannt, der sagte: „Ich verdiene gut, aber für meine Lebensassistenz wird mir so viel Geld abgenommen, dass … ich bei knapp über 900 Euro pro Monat bin. Ganz davon abgesehen, dass ich meine Lebenspartnerin nicht heiraten kann. Es ist eine Situation, die unglücklich ist und die behinderte Menschen auch in der Lebensorientierung ständig mit der Frage, Sozialhilfe ja oder nein, wie komme ich da heraus, beschäftigt.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie -haben recht mit Ihrer Forderung in Ihrem Antrag zum Teilhabegesetz: Wir müssen dringend eine Einkommens- und Vermögensunabhängigkeit prüfen. Wir müssen weg vom Fürsorgegedanken, der hinter der Sozialhilfe steht, und hin zum Inklusionsgedanken, der hinter einer Teilhabeleistung stünde. Das haben wir schon im letzten Jahr in unserem Antrag „UN-Konvention jetzt umsetzen – Chancen für eine inklusive Gesellschaft nutzen“ (Drucksache 17/7942) gefordert. Wir wollen ein Leistungsrecht zur sozialen Teilhabe im SGB IX schaffen. Anders als Sie können wir uns dabei aber durchaus auch eine Grenze der Anrechnungsfreiheit bei sehr hohen Einkommen oder Vermögen, insbesondere aus Schadensausgleichen, vorstellen. Sonst gibt es wieder neue Ungerechtigkeiten. Im Unterschied zu Ihnen würden wir die Leistungsausführung -lieber bei den Kommunen sehen, die durch die Eingliederungshilfe viel Erfahrung damit haben. Deshalb werden wir uns zu Ihrem Antrag zum Teilhabesicherungs-gesetz enthalten, auch wenn wir uns einig sind: Wir brauchen eine umfassende Überarbeitung des Sozial-gesetzbuches IX, des Behinderungsbegriffs und der -Instrumente. Wir brauchen ein neues System, das -Menschenrechte, Selbstbestimmung und Inklusion konkret verwirklicht. Die aktuellen Bestrebungen zur Reform der Eingliederungshilfe und die Übernahme der Finanzverantwortung durch den Bund bieten hier eine Chance, die nicht ungenutzt bleiben sollte. Insbesondere sind wir als Bundespolitikerinnen und -politiker gefragt, die Position des SGB IX zu stärken und nicht die Verantwortung für die Teilhabe gänzlich an die Sozialhilfe abzugeben. Diese Verantwortung gilt es wahrzunehmen, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen. So weit sind wir nicht und so weit kommen wir auch nicht mit den Plänen der Bundesregierung. Bis auf einen seitenschweren, aber weitestgehend inhaltsleeren -Aktionsplan zur Umsetzung der Konvention haben wir von Union und FDP nichts Wegweisendes auf den Tisch bekommen. Mir fällt nur ein Programm aus Mitteln des Ausgleichsfonds ein. Diese Gelder standen jedoch schon vorher für Menschen mit Behinderung zur Verfügung. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, marschieren da schon eher in die richtige Richtung mit -Ihrem Antrag „Behindern ist heilbar – Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft“. Auch wir fordern ganz Ähnliches in unserem Antrag, den wir übrigens gemeinsam mit den Betroffenen und ihren Verbänden formuliert haben. Dies war uns ganz wichtig, denn „Nichts über uns ohne uns“ oder „Selbst Aktiv“ ist unsere Leitlinie. Leider ist es nicht die der Bundesregierung und das kritisieren Sie zu Recht. Sie greifen die Probleme der Übersetzung und des mangelnden Inhalts des Nationales Aktionsplans (NAP) zur Umsetzung der UN-Behindertenkonvention auf. Hier möchte ich insbesondere auf die Aufhebung des Kostenvorbehalts in § 13 SGB XII hinweisen, die Sie und auch wir fordern. Der Kostenvorbehalt bedeutet zum Beispiel, dass ein junger Mensch, der nach einem Unfall behindert ist, gegen seinen Willen in einem Pflegeheim untergebracht werden kann, weil das billiger ist, als wenn er weiterhin in seiner Wohnung lebt. In was für einem Staat leben wir denn, in dem erwachsene Menschen in ein Heim gezwungen werden können? So etwas darf nicht sein! Aber auch in diesem Antrag der Linken gibt es einige Punkte, denen wir uns so nicht anschließen können. Sie wollen zum Beispiel neben dem Nationalen Aktionsplan eine Liste mit zu ändernden Vorschriften. Wir wollen all das im Nationalen Aktionsplan haben und ihn stärken – durch eine Beteiligung des Parlaments und der Betroffenen. Auch hier muss ganz klar gelten: „Nichts über uns ohne uns“. Deshalb werden wir uns, so richtig die Zielsetzung ist, auch bei diesem Antrag enthalten. Ich freue mich auf eine anregende Diskussion im Ausschuss und mit unseren Gästen am Tag der Menschen mit Behinderungen in der nächsten Woche hier bei uns im Bundestag. Gabriele Molitor (FDP): „Behindern ist heilbar“ – das ist der Slogan des -Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenkonvention. „Behindern ist heilbar“ ist auch Titel des Antrages der Fraktion Die Linke. Wir sind uns offensichtlich alle einig, dass die Teilhabechancen von Menschen mit Behinderung verbessert werden können und Barrieren, die Inklusion verhindern, abgebaut werden müssen. Der Slogan drückt zudem eine Perspektive aus, die sich auch in der UN-Behindertenrechtskonvention widerspiegelt: Nicht die Menschen mit Behinderung müssen sich an die Gesellschaft anpassen, sondern die Gesellschaft muss Rahmenbedingungen schaffen, die Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger ermöglicht. Ich freue mich, dass mit der Ratifikation der UN- -Behindertenrechtskonvention die Diskussionen um -Partizipationsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung zugenommen haben. Es vergeht nicht eine -Woche, in der Zeitungen nicht über das Thema Inklusion und Behinderung berichten, vor allem im Zusammenhang mit dem Thema Bildung. Dort steht die Frage im Mittelpunkt: Bekommen Kinder mit Behinderung durch gemeinsames Lernen eine bessere Schulbildung? Zunehmend wird auch in Spielfilmen das Thema -Behinderung aufgegriffen. Der Deutsche Bundestag -befasst sich mit den Bedürfnissen behinderter Menschen. Spätestens seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention sind Schlagworte wie Inklusion, Teilhabe, Selbstbestimmung und Partizipation wegweisend für die Behindertenpolitik in Deutschland. Diese Prinzipien sind Richtschnur der liberalen Politik. Unser Ziel ist es, Menschen mit Behinderung echte Teilhabe zu ermöglichen. Die UN-Konvention gilt dabei als Messlatte für politische Entscheidungen und das betrifft nicht nur die Sozialpolitik! Es ist wichtig, dass wir Politik für Menschen mit Behinderung als Inklusionspolitik begreifen. Daher begrüße ich die Anträge der Linken als -Anstoß für weitere Diskussionen. Inhaltlich muss ich jedoch klar widersprechen. Es wird mit dem Antrag der Linken der Eindruck erweckt, dass unsere Gesetze nicht im Einklang mit der UN--Behindertenrechtskonvention seien und nur ein einkommensunabhängiges Teilhabegeld der richtige Weg sei. Die UN-Behindertenrechtskonvention lässt den einzelnen Vertragsstaaten jedoch Gestaltungsspielraum, wie Leistungen für Menschen mit Behinderung erbracht werden. Es kann der UN-Behindertenrechtskonvention keinesfalls entnommen werden, dass Leistungen unabhängig von Einkommen und Vermögen erbracht werden müssen. Dies ist angesichts der Haushaltslage auch nicht finanzierbar. Denn würde die individuelle Bedürftigkeitsprüfung wegfallen, würden auch Menschen mit einem hohen Einkommen Anspruch auf steuerfinanzierte Teilhabeleistungen haben. Der Personenkreis würde sich erheblich erweitern. Der Vorschlag der Linken folgt nicht dem Prinzip, nur denen zu helfen, die bedürftig sind. Erreichbare Ziele sollten angesteuert werden. Die gesamte Gesellschaft ist aufgerufen, Menschen mit Behinderung teilhaben zu lassen und nicht an den Rand zu drängen. Daher sehe ich die UN-Behindertenrechtskonvention auch als gesellschaftspolitischen Impuls. Doch Inklusion ist noch nicht jedermann ein Begriff. Fragt man Menschen auf der Straße, so können viele nichts mit diesem Wort anfangen. Der Begriff an sich ist nicht barrierefrei, weil er erklärungsbedürftig ist. Bedauerlicherweise nimmt die Hälfte der Deutschen ihre zehn Millionen Mitbürger mit Behinderung nicht wahr, und jeder Dritte hat überhaupt keinen Kontakt zu -Menschen mit Behinderung. Das ergab eine Umfrage der Aktion Mensch und zeigt uns, dass noch viel zu tun ist. Noch viel zu oft spielen und lernen Kinder mit Behinderung getrennt von ihren nichtbehinderten Alters-genossen. Noch viel zu oft erleben Menschen mit Be-hinderung Diskriminierung. Noch viel zu oft wird Behinderung mit Leistungsminderung gleichgesetzt. Vor allem im Arbeitsleben wird das Potenzial von Menschen mit Behinderung zu wenig erkannt. Die Linken plädieren in ihrem Antrag für eine Prüfung der derzeitigen Gesetze. Es ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig, dass alle Regelungen und Gesetze, die Menschen mit Behinderung eigentlich die Aufnahme von Arbeit und das Berufsleben erleichtern sollen, vorurteilsfrei geprüft werden, ob sie dieses Ziel auch erfüllen. Die Teilhabe von Menschen mit Behinderung kann nicht allein durch Gesetze gesichert werden. Entscheidend ist ein Wandel in der Gesellschaft. Rückblickend haben sich in den letzten Jahrzehnten die Teilhabechancen von Menschen mit Behinderung insgesamt erheblich verbessert. Es ist erfreulich, dass mit der UN-Behindertenrechtskonvention weitere Entwicklungen stattfinden. Die Ambulantisierung schreitet voran. Mehr und mehr Projekte machen es möglich, dass Menschen außerhalb von großen Einrichtungen leben können, wie beispielsweise das Hamburger Projekt Alsterdorf, wo sich eine große Einrichtung für Menschen mit Behinderungen in einen Stadtteil für alle fortentwickelt hat. Noch nie sprachen so viele Menschen über inklusive Bildung. Neue inklusive Modelle entstehen. Insgesamt beschäftigen nicht immer weniger, sondern immer mehr Unternehmen Menschen mit Behinderung. Mit dem Nationalen -Aktionsplan und seinen Maßnahmen sind wir auf einem guten Weg, die Teilhabechancen zu erhöhen. Inklusive Prozesse wurden angestoßen, weitere werden folgen. Es ist ganz natürlich, dass sich im Laufe dieser Entwicklung auch Konflikte ergeben. Diese sollten aber nicht einfach beiseite geschoben werden, sondern zum Anlass genommen werden, Veränderungen vorzunehmen. Behindern ist dann heilbar, wenn Menschen die für sie notwendige Unterstützung und Assistenz bekommen und es sich alle Menschen zur Aufgabe machen, Bedingungen zu schaffen, die Menschen mit Behinderung ein gleichberechtigtes und selbstverständliches Miteinander ermöglichen. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Am 1. Dezember 2011 hatten wir hier im Hohen Hause eine behindertenpolitische Debatte im Bundestag. Wir diskutierten unter anderem die Anträge der Fraktion Die Linke „Behindern ist heilbar – Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft“ ,Drucksache 17/7872, und „Teilhabesicherungsgesetz vorlegen“ ,Drucksache 17/7889. Thema war auch der für den 2. und 3. Dezember geplante Dialog der Politik mit Menschen mit Behinderungen, welcher aus sicherheits- und brandschutztechnischen Gründen abgesagt werden musste, weil sich zu viele Rollstuhlfahrer unter den eingeladenen Teilnehmern befanden. Hier hatte das wirkliche Leben von Menschen mit Behinderungen den Bundestag kalt erwischt. Heute, fast ein Jahr später, entscheiden wir über die beiden Anträge der Linken, und in ein paar Tagen, am 26. und 27. Oktober, kommen rund 300 Menschen mit Behinderungen aus allen Bundesländern in den Bundestag, um mit uns Abgeordneten über die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu diskutieren. Ich freue mich auf diese erstmalig stattfindende Veranstaltung, auch wenn sie aufgrund der baulichen Gegebenheiten mit Kompromissen und Einschränkungen beim Konzept und der Zahl der Rollstuhlfahrer verbunden ist. Und ich bin sicher: Auch wenn beide Anträge heute mit Ihrer Mehrheit abgelehnt werden – sie bleiben aktuell, und sie werden von der Behindertenbewegung und von den Linken bei dieser Veranstaltung und darüber hinaus wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden. Was hat die Bundesregierung in den letzten dreieinhalb Jahren, seitdem die UN-Behindertenrechtskonvention innerstaatliches Recht ist, für deren Umsetzung getan? Sie legte – sehr spät – einen Nationalen Aktionsplan vor, der vor allem Prüfaufträge und Absichtserklärungen enthält, die Vorschläge aus der Behindertenbewegung aber weitgehend unberücksichtigt ließ. Gibt es inzwischen eine Überprüfung aller Gesetze und Verordnungen auf Änderungsbedarf, damit sie den Maßstäben der UN-Behindertenrechtskonvention gerecht werden? Fehl-anzeige! Und die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen und deren Organisationen bei der Erarbeitung von Konzepten und Gesetzen, die sie direkt oder indirekt betreffen? Überwiegend Fehlanzeige! Gibt es ein Konjunkturprogramm zur systematischen und beschleunigten Beseitigung von baulichen Barrieren? Fehl-anzeige! Gibt es Maßnahmen zur Verbesserung der – finanziellen – Lebenssituation zur Sicherung umfassender Teilhabe am Leben in der Gesellschaft? Fehlanzeige! Nein, zum Teil gibt es sogar Verschlechterungen! Gibt es einkommens- und vermögensunabhängige Sicherung per-sonaler Assistenz? Fehlanzeige! Und wie sieht es aus mit Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung? Da hat sich etwas, wenn auch viel zu wenig, getan. Es gibt eine teure Kampagne der Bundesregierung unter der Überschrift „Behindern ist heilbar“. Fazit: Behindertenpolitik ist weiterhin kein inklusiver Bestandteil der Politik in allen Bundesbehörden, sondern eine Nische im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Es wird viel geredet – das ist auch schon was wert –, aber kaum was getan… Im unlängst veröffentlichten 4. Armuts- und Reichtumsbericht gibt es kaum Angaben über die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen. Auch in der Studie der Universität Heidelberg zur Lebenssituation von contergangeschädigten Menschen spielte die finanzielle Situation keine Rolle. Daten darüber waren vom Auftraggeber politisch nicht gewollt. Gleichzeitig erklärt die Bundesregierung auf diesbezügliche Fragen der Linken seit vier Jahren, dass sie diesbezüglich keine Erkenntnisse hat. Wer aber mit Betroffenen redet, die geltende Sozialgesetzgebung kennt und auch etwas genauer in den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung schaut, wird feststellen: Behinderung ist ein Armutsrisiko, und zwar für die Betroffenen und ihre Angehörigen. Behinderung führt sehr schnell zu Armut. Und wer dort erst mal angekommen ist, bleibt in der Regel auch lebenslänglich arm. Eine wesentliche Ursache ist das Fehlen von persönlicher bedarfsgerechter einkommens- und vermögensunabhängiger Assistenz und Pflege. Deswegen kämpft die Behindertenbewegung seit vielen Jahren für ein entsprechendes Teilhabesicherungsgesetz. Deswegen brachte die Linke, wie auch schon in der 14. und 16. Wahl-periode, einen Antrag für ein solches Leistungsgesetz in den Bundestag ein. Den Beratungsverlauf und das Abstimmungsverhalten der Fraktionen zu beiden Anträgen kann die interessierte Öffentlichkeit der vorliegenden Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Arbeit und Soziales, Drucksache 17/10008, entnehmen. So heißt es in diesem Bericht: „Die Fraktion der SPD forderte … das auch in der Konvention verankerte Motto ,Nichts über uns ohne uns‘ müsse umgesetzt werden. Das sei in den Anträgen der Fraktion Die Linke offensichtlich geschehen.“ Stimmt. Deswegen finde ich es unerklärlich, dass sich die Fraktion der SPD bei beiden Anträgen nur zu einer Stimmenthaltung durchringt. Die Fraktion der CDU/CSU betonte, dass sie grundsätzlich die permanente Diskussion über die Behindertenrechtskonvention begrüße. Sie lehne aber die Anträge ab, weil der eine überflüssig sei, denn es gäbe einen tollen Aktionsplan der Bundesregierung und eine erfolgreiche Kampagne. Und der Antrag für ein Teilhabesicherungsgesetz sei nicht finanzierbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den christlichen Parteien, Sie forderten am 3. April 2001, Bundestagsdrucksache 14/5804, eine „umfassende Lösung mit Verbesserungen für behinderte Menschen“. „Diese kann“, so steht es in Ihrem Antrag, „nur in einem eigenstän-digen und einheitlichen Leistungsgesetz für Behinderte erreicht werden, das vom Bund zu finanzieren ist. Dieses Gesetz müsste vermögens- und einkommensunabhängig ausgestaltet sein und die Leistungen, die derzeit in der Eingliederungshilfe … enthalten sind, zusammenfas-sen …“. Demnach müssen Menschen mit Beeinträch-tigungen und ihre Angehörigen „vor wesentlichen Sonderbelastungen und vor einer Stigmatisierung als Sozial-hilfeempfänger geschützt werden“. War das alles Lüge, weil Sie gerade in der Opposition waren, oder kann Ihre Forderung aus dem Jahr 2001 in Folge ihrer Regierungspolitik in den letzten sieben Jahren nicht mehr aufrechterhalten werden? Auch die FDP will beide Anträge ablehnen. Das überrascht mich nicht, auch wenn in dem Bericht steht: „Die FDP lobte die Anträge als Diskussionsbeitrag. Grundsätzlich stimme die Fraktion der FDP auch einzelnen Vorschlägen zu …“. Welchen, bleibt ihr Geheimnis, denn es liegt von der FDP nichts zur Abstimmung auf dem Tisch. Bündnis90/Die Grünen will dem Antrag „Behindern ist heilbar“ zustimmen, den Antrag für ein Teilhabesicherungsgesetz dagegen ablehnen. Im Bericht heißt es: „Den weitergehenden Vorschlägen zu einem Teilhabesicherungsgesetz allerdings nicht. Dazu habe man andere Vorstellungen.“ Das überrascht mich, schließlich hat die Fraktion der Grünen im Wahlkampf 2009 die diesbezüglichen Forderungen aus den Behindertenverbänden ausdrücklich unterstützt. „Behindern ist heilbar“ – es wird aber noch ein langer Heilungsprozess, bis Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt und ohne Diskriminierungen am Leben in der Gesellschaft teilnehmen können, bis alle Barrieren beseitigt sind und Inklusion kein Fremdwort mehr ist. Unbestritten: Es ist kein einfacher Weg in eine inklusive Gesellschaft. Den müssen wir gemeinsam beschreiten, parteiübergreifend, in Bund, Ländern und Kommunen, in der Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und allen anderen Bereichen der Gesellschaft. Die Vorschläge der Linken für diesen Weg liegen auf dem Tisch. Ich meine, sie sind gut, können aber – durch die Diskussion in und mit der Gesellschaft – durchaus noch besser werden. Lassen Sie uns daran arbeiten, nicht stur ablehnen! Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat die Entwicklung sozialer Bürgerrechte für behinderte Menschen einen entscheidenden Schritt weitergebracht und eine qualitativ neue Dimension aufgemacht: In keiner internationalen Menschenrechtskonvention kommt der Empowerment-Ansatz so prägnant zum Tragen wie hier. Die formulierten Befähigungsansprüche auf Selbstbestimmung, Diskriminierungsfreiheit und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit Behinderungen werden nicht nur das deutsche Sozialrecht, sondern den gesamten Menschenrechtsdiskurs verändern. Zum ersten Mal werden Menschenrechte nicht ausschließlich als Abwehrrechte gegen den Staat begriffen. Nach dieser Konvention, der ersten großen Menschenrechtskonvention des 21. Jahrhunderts, stehen staatliche und gesellschaftliche Institutionen in der Pflicht, den Möglichkeitsraum und Handlungsraum von Menschen zu garantieren und durch aktives Handeln möglich zu machen. Es gilt nach diesem Menschenrechtsdokument nicht nur, die Menschenwürde durch das Unterlassen von staatlichen Übergriffen zu garantieren, sondern gerade durch staatliches Tätigwerden überhaupt erst zu ermöglichen. Viele Beobachterinnen und Beobachter gehen davon aus, dass die Anspruchsrechte auf Befähigung Wirkung auf weitere Gruppen weit über den Kreis der Menschen mit Behinderungen hinaus entfalten. Die Konvention gibt damit wichtige Impulse für eine Weiterentwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes. Es eröffnet sich meines Erachtens auch eine Perspektive für eine neue Phase der Entwicklung sozialer Menschenrechte. Spätestens mit der UN-Behindertenrechtskonvention sind Phänomene wie „gesellschaftliche Ausgrenzung“, „Diskriminierung“, „rechtliche Entmündigung“ und „medizinische Zwangsbehandlung“ nicht bloß gesellschaftliches Übel, sondern müssen richtigerweise als Verletzung von Menschenrechten verstanden werden. Die Entwicklung eines anderen Menschenbildes für alle Menschen, die nicht den herrschenden Vorstellungen von Normalität entsprechen, wie in der Konvention formuliert ist, liefert dafür die Grundlage: Unter Buchstabe e der Präambel der Konvention wird Behinderung als ein sich verändernder Zustand – als Prozess – beschrieben, der aus der Interaktion zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und Barrieren in der Einstellung sowie der Umwelt entsteht und im Ergebnis die gleichberechtigte, uneingeschränkte und wirksame Teilnahme an der Gesellschaft behindert. Dieser Satz greift fundamental die Ursachen von -Ausgrenzung an: Behinderung – ja Benachteiligung schlechthin – wird als soziale Konstruktion begriffen. Wer konstruiert? Ein Netz definitionsmächtiger, ressourcenstarker und durchsetzungsfähiger Akteure, die nicht unbedingt bewusst organisiert sein müssen, die nicht einmal die Bevölkerungsmehrheit darstellen oder repräsentieren müssen! Im Ergebnis erzwingt dieses Netz eine bestimmte Definition von Normalität. Über den gesellschaftlichen Diskurs, rechtliche Normen und Sanktionsdrohungen wird diese Definition von Normalität als gesell-schaftliche Wirklichkeit rationalisiert und reproduziert. Mit der Übernahme des sogenannten sozialen Modells von Behinderung stellt die UN-Konvention nichts weniger dar als die Anerkennung von Behinderung als Bestandteil menschlichen Lebens. Weiter gedacht: Die Anerkennung von „Anderssein“ als Bestandteil menschlichen Lebens wird schlechthin vorangetrieben. Setzte sich diese Auffassung mehrheitlich in der Gesellschaft durch, führte dies in der Konsequenz dazu, dass es kein „Anderssein“ mehr gibt, sondern nur noch ein „Sosein“. Damit verbunden dürfte eine Aufwertung all jener Umgangsweisen und Praktiken verbunden sein, derer sich die heute noch als „unvollkommen“ Stigmatisierten bedienen. Die mit der Konvention postulierte Akzeptanz des „Soseins“ ist ein wichtiger Beitrag zur Humanisierung der Gesellschaft. Sie hat das Potenzial, auch eine Antwort auf die Gefahr neuer Ausgrenzungen darzustellen, die zu beobachten sind: In dem Maße, in dem Beschäftigte zusehends die Rolle eines Arbeitskraftunternehmers einnehmen (müssen) und ihnen mithin die individuelle Verantwortung für das einwandfreie Funktionieren zugewiesen wird, sind die neuen Dogmen der sozial konstruierten Normalität zunehmend geeignet, neue Formen der Exklusion hervorzubringen. In der „Aktivgesellschaft“, Lessenich, ist jeder, der sich nicht fit hält, sich nicht weiterbildet, raucht oder sich gar den Zumutungen gewisser Arbeitsverhältnisse wie Niedriglohnbeschäftigung zu entziehen versucht, beinahe ein wandelndes Standortrisiko, mindestens aber ein potenzieller fiskalpolitischer und volkswirtschaftlicher Schadensfall. Ein solches Verständnis von Eigenverantwortung – so es sich denn weiter verbreitet – ginge mit neuen Diskriminierungen gegenüber sich abweichend verhaltenden Menschen einher. Die von der Großen Koalition beschlossenen Leistungsausschlüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung für Hauterkrankungen und Entzündungen nach Tätowierungen bzw. Piercings zeigen deutlich, dass diese neuen Diskriminierungen mehr als eine vage Befürchtung darstellen. Vor diesem Hintergrund ermöglicht die UN-Konvention über die Menschenrechte von Menschen mit Be-hinderungen, eine universelle Forderung an Staat und Gesellschaft zu stellen: „Anderssein“ ist nicht zu diskriminieren, sondern „Sosein“ ist zu ermöglichen. Anders ausgedrückt: Je größer die Diskriminierungsfreiheit und Barrierefreiheit in einer Gesellschaft ist, je schneller die Bedingung der Möglichkeit von Freiheit hergestellt wird, desto kleiner wird die Zahl behinderter und ausgegrenzter Menschen zukünftig sein und desto weniger wird die Beeinträchtigung eines Menschen diesen daran hindern, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Unter dem Aspekt der Möglichkeit des „Soseins“ verwundert es übrigens nicht, dass die Würde – sehr viel direkter als in anderen Menschenrechtskonventionen – auch als Gegenstand notwendiger Bewusstseinsbildung angesprochen wird. Im Ergebnis kann dieses Menschenrechts-dokument alle Mitglieder der Gesellschaft von dem Zwang entlasten, sich den Norm- und Normalvorstellungen der übermächtigen, definitionsmächtigen Kollektive zu unterwerfen. Es stellt daher eine emanzipatorische Errungenschaft ersten Ranges dar, die so noch längst nicht erkannt worden ist. Den Staat stellt sie vor große Herausforderungen. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/10008. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7872. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion der SPD angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7889. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr sowie zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes – Drucksache 17/10958 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Tourismus Auch hier nehmen wir die Reden, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, zu Protokoll. Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Diesen Sitzungstag hat unsere verehrte Bundeskanzlerin mit einer wegweisenden Regierungserklärung zu Europa begonnen. Im Mittelpunkt der Ausführungen der Kanzlerin standen die Vertrauenskrise des Euro, die -besorgniserregende finanzielle Situation einiger Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie die Reformbemühungen in diesen Ländern, die von interessierten Kreisen immer weiter verzögert werden. Die Menschen in Deutschland sind verunsichert. Denkt der Bürger an Europa in der Nacht, so ist er um den Schlaf gebracht. Glücklicherweise haben wir mit Angela Merkel und Wolfgang Schäuble starke Führungspersönlichkeiten, die uns und die Europäische Union mit sicherer Hand durch diesen schweren Sturm lenken werden. Die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin hat in eindrucksvoller Weise gezeigt, dass sie die richtigen Akzente zu setzen weiß. Unser aller Unterstützung ist ihr sicher. Voller Verständnislosigkeit kann ich – das können aber sicher auch die meisten Deutschen – nur auf die kruden Vorstellungen der Opposition blicken. Niemand außer den SPD-Funktionären kann nachvollziehen, warum es für Deutschland so vorteilhaft sein soll, wenn die Schulden vergemeinschaftet werden. Vielleicht sollten die Damen und Herren der Opposition einmal die Schulden fremder Menschen, Menschen, die nicht unverschuldet in die Schuldenfalle geraten sind, aus ihrem Privatvermögen bezahlen, damit sie sehen, wie toll ihre Ideen sind. Doch Europa besteht nicht nur aus Krisen, Schulden und Bürokratie. Europa ist mehr. Europa ist der gemeinsame Weg aus den Ruinen des Zweiten Weltkriegs in Gedenken an die gefallenen, toten und ermordeten Menschen als ewige Mahnung hin zu Frieden, Freiheit und Wohlstand auf dem gesamten Kontinent. Diesen Zielen fühlt sich die Union von Konrad Adenauer über Helmut Kohl bis hin zu Angela Merkel verpflichtet. Auf diesem Weg haben wir nicht nur die längste Friedensperiode in Europa seit Menschengedenken erlebt, sondern auch eine Entwicklung von Handel und Wandel, die niemand vorhergesehen hat, ja auch so nie vorhersehen konnte. Nahezu jeden Tag gibt es dank der Europäischen Union für die Bürger in der Bundesrepublik Deutschland Fortschritte, Fortschritte, die in vielen Fällen auch die Misshelligkeiten des täglichen Lebens wirksam bekämpfen. Europa ist nicht in erster Linie das Europa der Technokraten und Konzernlenker, der Kapitalgesellschaften und Konzerne. Europa ist in erster Linie das Europa der Menschen, das Europa der Europäer. Daher genießen der Schutz des Verbrauchers und die verbesserte Teilhabe von Menschen, die Einschränkungen ausgesetzt sind, am täglichen Leben, aber auch an den kleinen Freuden des Daseins, die für uns, die wir glücklicherweise gesund sind, selbstverständlich sind, in Europa eine sehr hohe Priorität. Trotz des sperrigen Titels freue ich mich daher, heute zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates sprechen zu dürfen. In dieser Verordnung werden nicht nur die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr gestärkt, sondern auch die Situation von Personen mit eingeschränkter Mobilität verbessert. Durch diese Verordnung wurden die Rechte der Verbraucher im See- und Binnenschiffsverkehr in zentralen Punkten gestärkt. Ich möchte hier einige ansprechen: Wir alle wissen, dass auch bei sorgfältigster Planung und einer hervorragenden unternehmerischen Leistung der Reiseveranstalter Verspätungen nicht immer vermieden werden können. Nichts aber ist ärgerlicher, als im Ungewissen gelassen zu werden. Daher müssen die Passagiere im See- und Binnenschiffsverkehr so schnell wie möglich, spätestens aber eine halbe Stunde nach der planmäßigen Abfahrtszeit, über die Lage und, sobald diese Informationen vorliegen, über die voraussichtliche Abfahrtszeit und die voraussichtliche Ankunftszeit informiert werden. Wenn Fahrgäste aufgrund einer Annullierung oder Verspätung einen Anschluss versäumen, so müssen sie über alternative Anschlüsse unterrichtet werden. In den Fällen, in denen die Abfahrt im See- und Binnenschiffsverkehr ganz annulliert wird oder sich um mehr als 90 Minuten über die planmäßige Abfahrtszeit hinaus verzögert, müssen den Fahrgästen in den Hafenterminals kostenlos Imbisse, Mahlzeiten oder Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit angeboten werden. Wenn die Fahrt ganz annulliert wird oder sich so verspätet, dass ein Aufenthalt von einer oder mehreren Nächten erforderlich wird, haben die Passagiere nicht nur das Recht auf die erwähnten Imbisse, Mahlzeiten oder Erfrischungen, sondern auch einen Anspruch auf eine kostenlose angemessene Unterbringung an Bord oder an Land sowie die Beförderung zwischen dem Hafenterminal und der Unterkunft. Darüber hinaus muss in diesen Fällen den Passagieren eine anderweitige Beförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt und ohne Aufpreis zum Reiseziel unter vergleichbaren Bedingungen angeboten werden. Ersatzweise können die Fahrgäste sich für die Erstattung des Fahrpreises und eine kostenlose Rückfahrt zum Abfahrts-ort entscheiden. Des Weiteren haben die Fahrgäste Anspruch auf eine Entschädigung durch Fahrpreisnachlässe bei verspäteter Ankunft. Das Prinzip, dass durch die Anwendung auf den Luftverkehr bekannt geworden ist, gilt also auch für den See- und Binnenschiffsverkehr. Schließlich haben auch Menschen mit Behinderung vielfältige Ansprüche auf Unterstützung und Hilfe. Denjenigen unter Ihnen, die aus einer falsch verstandenen Marktradikalität Überregulierung und Bevormundung der Unternehmen annehmen, möchte ich zurufen, dass wir in einer sozialen Marktwirtschaft leben. Der sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards, in der der Mensch eine zentrale Rolle einnimmt. Wir von der Union haben immer für diese soziale Marktwirtschaft gefochten und werden dies auch weiter tun. Zur Beruhigung sei noch angeführt, dass die Verordnung (EU) Nr. 1177/210 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 die Unternehmen nur zu dem verpflichtet, was jeder anständige Mensch sowieso täte. Als nationalem Gesetzgeber obliegt es uns, für die Einhaltung und Durchsetzung der Verordnung in Bezug auf den See- und Binnenschiffsverkehr die entsprechenden Stellen einzurichten. Außerdem mussten wir Sanktionen für Verstöße gegen die Verordnung festlegen. Die zuständige Stelle für Beschwerden über einen mutmaßlichen Verstoß gegen die Verordnung ist in Zukunft das -Eisenbahn-Bundesamt, das zu diesem Zweck mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet wurde, die zur Erreichung des Zieles der Verordnung erforderlich und nötig sind. Ferner haben wir die Voraussetzungen für die Einrichtung von Schlichtungsstellen zur Beilegung von Streitigkeiten aus der Beförderung im See- und Binnenschiffsverkehr genannt, die von den Fahrgästen im Falle von Problemen angerufen werden können, ohne dass das Recht, die Gerichte anzurufen, verloren geht. Wie jedes Gesetz, das kein zahnloser Tiger sein möchte, weist auch dieses Sanktionsmöglichkeiten auf. Verstöße gegen die Verordnung können mit einer Geldbuße bis zu 30 000 Euro geahndet werden. Ich denke, dass dieses Gesetz in hervorragender Weise den Absichten der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr entspricht. Dieses Beispiel zeigt, dass Europa auch in der Krise für die Menschen da ist. Ulrike Gottschalck (SPD): Mobilität wird immer wichtiger für jeden Einzelnen von uns. Wir unternehmen Urlaubsreisen, besuchen Freunde und Verwandte in aller Welt, und auch beruflich ist heute eine immer größer werdende Mobilität und -Flexibilität gefragt. Passagierrechte bilden ein Kernelement der verkehrspolitischen Vision Europas. Die EU-Kommission hat es sich zum Ziel gemacht, das Reisen in der EU einfacher und angenehmer zu gestalten, die Qualität des Reisens zu verbessern, die Reisenden besser zu schützen und die europäische Verkehrsbranche attraktiver zu machen. Die EU-Passagierrechte ruhen auf drei Eckpfeilern: Diskriminierungsfreiheit, genaue, zeitgerechte und zugängliche Informationen, unverzügliche und angemessene Hilfeleistungen. Im Flugverkehr enthält vor allem die sogenannte Fluggastrechteverordnung, Verordnung (EG) Nr. 261/2004, die am 17. Februar 2005 in Kraft getreten ist, die wichtigsten Regelungen zu Verspätungen, Annullierungen und Überbuchungen. Daneben gibt es noch die -Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 für die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität und die Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 für Bestimmungen zur Preisfestsetzung. Für Bahnreisende gilt in Deutschland seit dem 29. Juli 2009 das Gesetz zur Anpassung eisenbahnrechtlicher Vorschriften an die Verordnung (EG) Nr. 1371/2007. Voraussichtlich 2013 werden Fahrgastrechte für Busreisende wirksam. Im Dezember dieses Jahres tritt eine EU-Verordnung für Fahrgastrechte von Schiffsreisenden in Kraft, die Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010. Diese Verordnung enthält im Wesentlichen für Schiffsreisende bei Annullierung oder Verspätung der Abfahrt um mehr als 90 Minuten den Anspruch auf -Erstattung des Fahrpreises oder eine anderweitige Beförderung und eine angemessene Unterstützung bezüglich Verpflegung und Unterbringung für die Nacht, Schutz von Menschen mit Behinderungen oder eingeschränkter Mobilität, Mindestanforderungen an die Information für alle Fahrgäste und ein vorgeschriebenes Beschwerdemanagement. Erstmals sollen mit dieser Verordnung nun auch für die Schifffahrt unabhängige Durchsetzungsstellen auf nationaler Ebene geschaffen werden, die unter anderem für ein Beschwerdemanagement und die Erstellung von Statistiken über die Anzahl und Art der Beschwerden eingeführt werden. Mir ist besonders auch wichtig an dieser EU-Verordnung, dass die qualifizierten Hilfeleistungen für Mobilitätsbehinderte und ihre Berücksichtigung bei den Anmelde- und Organisationsprozessen von Schiffsfahrten und -reisen nun in den Fokus rücken. Mit dem vorliegenden EU-Fahrgastrechte-Schifffahrt-Gesetz, FahrgRSchG, will die Bundesregierung die Grundlage und Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung zur Durchsetzung und Einhaltung der EU-Verordnung schaffen und die umsetzungsbedürftigen -Regelungen bezüglich der Durchsetzung durch nationale Durchsetzungsstellen in nationales Recht umsetzen. Gleichzeitig verlängert sie die Übergangsfrist des § 73 Abs. 4 LuftVG um zwei weitere Jahre und gewährleistet so, dass die langjährig ausgeübten Tätigkeiten ausländischer Flugsicherungsorganisationen gemäß § 31 b Abs. 6 LuftVG fortgesetzt werden können. Dieses Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates, gleichwohl hat der Bundesrat seine Empfehlung gemäß Art. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes abgegeben. Als zuständige Behörde für die Durchsetzung der EU-Verordnung hat die Bundesregierung das Eisenbahn-Bundesamt eingesetzt. Die weitere Ausgestaltung der Schlichtungsstelle für Schifffsreisende wurde im vorliegenden Gesetzentwurf offengelassen. Der Bundesrat weist daher völlig zu Recht darauf hin, dass die Regelungen zur Schlichtung im See- und Binnenschiffs-verkehr insbesondere mit den Schlichtungsregeln im Energiewirtschaftsgesetz, in der Eisenbahn-Verkehrsordnung sowie im Entwurf eines Gesetzes zur Schlichtung im Luftverkehr harmonisiert werden müssen. In der Stellungnahme des Gesetzentwurfs zählt der Bundesrat auf, wie die Situation der Schlichtungsstellen für Fahrgäste in Deutschland ist. Bahnkunden können sich an die vereinsgetragene Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V., söp, wenden, für Flugpassagiere sollen laut einem aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung eine privatrechtliche Schlichtungsstelle auf freiwilliger Basis und eine behördliche Schlichtungsstelle bei einer Bundesbehörde eingerichtet werden. Damit wird völlig unnötig die Gründung von drei Schlichtungsstellen für die Fahrgäste in Deutschland vorbereitet. Dies ist in der heutigen Zeit, in der Passagiere und Fahrgastunternehmen verstärkt nach der Intermodulität, also einer stärkeren Verzahnung der verschiedenen Verkehrsträger verlangen, kontraproduktiv. Das Verhalten der Bundesregierung auf die Vorschläge des Bundesrates ist wieder einmal bezeichnend. Einerseits begrüßt sie die Vorschläge des Bundesrates nach einer harmonisierten Schlichtungsstelle, trifft andererseits aber keine konkreten Vorkehrungen in ihrem Gesetz, damit eine wirklich verkehrsträgerübergreifende Schlichtungsstelle Realität wird. Wir halten die -verkehrsträgerübergreifende Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V., söp, die gerade im Bahnbereich hervorragende Arbeit geleistet hat, für sehr geeignet. Genau wie bei der Bahn könnte sie auch bei Schiffs- und Luftverkehr zur Wiederherstellung eines vertrauensvollen Miteinanders von Fahrgästen und Unternehmen beitragen. Der Bundesrat plädiert in seiner Stellungnahme außerdem für eine Pflicht der Unternehmen zur Beteiligung an einer Schlichtung für alle Beförderer, Reiseveranstalter und Reisevermittler. Dies halte ich ebenfalls für einen guten Vorschlag, der die Verbraucherrechte weiter stärkt. Leider lehnt die Bundesregierung diesen Vorstoß ab und bleibt damit hinter den Richtlinien der EU zurück. Abschließend möchte ich eine Empfehlung der EU-Verordnung über die Fahrgastrechte im See- und -Binnenschiffsverkehr erwähnen, die mir besonders am Herzen liegt. In der Einleitung wird empfohlen, dass bei der Gestaltung neuer Häfen, bei Abfertigungsgebäuden und Renovierungsarbeiten auf Barrierefreiheit geachtet werden muss. Besondere Beachtung soll eine Konzeption für alle Verwendungsarten – Design for all – finden. Die SPD-Fraktion hat gerade eine Kleine Anfrage zum universellen Design an die Bundesregierung verfasst. Aus unserer Sicht ist es wichtig, den Ansatz des universellen Designs nicht nur im Baubereich, sondern auch für alle Verkehrsträger voranzutreiben. Torsten Staffeldt (FDP): Wenn wir über Fahrgastrechte im Allgemeinen reden, denken wir zuallererst an den Flugverkehr. Verschiebungen und Ausfälle dominieren nicht nur unsere Gedanken, sondern sind auch Gegenstand zahlreicher Berichterstattungen verschiedener Medien. In den meisten Fällen aber landen wir problemlos und pünktlich am Zielflughafen. Dann erwischt uns die Sorge, dass unser Gepäck beschädigt ist oder vielleicht gar nicht seinen Zielort erreicht haben könnte. Vielen Mitbürgern fällt aber auch als Gegenstand von Beschwerden die Bahn ein, die deutlich pünktlicher ist als ihr Ruf. Das wird sich aber ein Bahnreisender sicherlich nicht vor Augen führen, wenn er bei minus 20 Grad am Berliner Hauptbahnhof auf seinen 15 Minuten verspäteten Zug wartet. Für beides gibt es bewährte Entschädigungssysteme, sodass die Kunden zu ihrem guten Recht kommen. Die Bahn ist beispielsweise verpflichtet, ab einer Verspätung von 60 Minuten ihren Kunden einen 25-prozentigen Rabatt einzuräumen, und die Fluggastrechteverordnung EG Nr. 261/2004 sorgt für einen gerechten Entschädigungsanspruch von Passagiere gegenüber ihren Fluggesellschaften. Auch wenn die Erfahrung zeigt, dass sich die Airlines in den meisten Fällen sehr kulant zeigen, so wird diese christlich-liberale Koalition die Verbraucherrechte durch die Einrichtung einer eigenen Schlichtungsstelle für den Flugverkehr noch weiter stärken. Woran die wenigsten aber denken, ist, dass es auch Passagiere im Schiffsverkehr gibt. Um auch deren Rechte zu stärken, hat die Europäische Union vor zwei Jahren die Verordnung Nr. 1177/2010 erlassen, die Ende dieses Jahres in Kraft tritt. Diese regelt die Fahrgastrechte im Binnen- und Seeschiffsverkehr, wenn der Einschiffungshafen oder Ausschiffungshafen in der Europäischen Union liegt. Neben Regelungen zu Verspätungen und Annullierungen beinhaltet sie auch das Verbot der Diskriminierung und das Gebot der Unterstützung gegenüber Menschen mit Behinderungen und Mobilitätseinschränkungen. Das hier vorgelegte Gesetz soll nun die Verordnung in deutsches Recht transferieren. Ich finde es gut, dass die Bundesregierung dabei von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, dass sich der Beschwerdeführer zuerst an das betroffene Unternehmen wenden muss, bevor die Schlichtungsstelle einbezogen wird. Ich bin nämlich der Überzeugung, dass ähnlich wie im Flugverkehr oder bei der Bahn sich auch hier die allermeisten Probleme bereits ohne Schlichtung lösen lassen. Daneben ist es gelungen, die Schlichtung möglichst unbürokratisch zu gestalten, indem es eine zentrale Anlaufstelle geben soll, ohne in jedem Bundesland noch eine zusätzliche Beschwerdestelle einzurichten. Ich glaube, dass der Bundesregierung mit dem hier vorgelegten Gesetz zur Durchführung der EU-Verordnung ein guter Aufschlag zur Stärkung der Verbraucherrechte gelungen ist, und freue mich auf die weiteren Beratungen. Thomas Lutze (DIE LINKE): Mit der Europäischen Verordnung Nr. 1177/2010 erreichen Fahrgäste im See- und Binnenschifffahrtsverkehr einige wesentliche Verbesserungen. Die wesentlichen Regelungen der Verordnung treten in den Mitgliedsländern unmittelbar in Kraft. Damit erhalten Schiffsreisende ähnliche Rechte wie Bahn- und Flugreisende. Diese Gleichstellung begrüßt die Linke. Jedoch krankt die Verordnung an den ebenso gleichen Stellen wie im Bereich der Fluggastrechte. Zwar sollen auch die Betreiber von Fahrgastschiffen einen Teil des Reisepreises bei verspäteter Ankunft am Zielhafen erstatten. Wie im Luftverkehr beinhaltet die Regelung jedoch scheunentorgroße Schlupflöcher, bei denen sich Reiseveranstalter durch Hinweise auf schlechtes Wetter oder außergewöhnliche Umstände aus der Pflicht stehlen können. Insgesamt jedoch dürfen die Fahrgäste dankbar sein, dass hier die Europäische Union zum größten Teil selbst unmittelbares Recht setzt und so der Bundesregierung kein großer Spielraum bleibt, die Stärkung von Fahrgastrechten zu torpedieren. Obwohl die neuen Regelungen gerade für Menschen mit eingeschränkter Mobilität entscheidende Verbesserungen enthalten, erklärte Verkehrsminister Ramsauer zum Beschluss der Verordnung durch das Europäische Parlament: „Bei der Verordnung fehlen das Augenmaß und die nötige Balance zwischen Kosten für die Verkehrsunternehmen und dem effektiven Nutzen für die Fahrgäste.“ Und: „Die Bundesregierung hat sich in Brüssel gegen die Verordnung in der vorliegenden Form ausgesprochen.“ Die Umsetzung des kleineren Teils der Verordnung, der erst noch in nationales Recht umgesetzt werden muss, trägt dann auch die entsprechende Handschrift der Bundesregierung. Obwohl an dieser Stelle Regelungskompetenz besteht, unterlässt es die Bundesregierung, den Unternehmen gegenüber den Reisenden ausreichend deutlich ausformulierte Informationspflichten über die Schlichtungsstelle aufzutragen. Weiter versäumt es die Bundesregierung, die Sanktionen bei Verstoß gegen die Fahrgastrechte gerade im Sinne von Menschen mit Behinderung ausreichend zu konkretisieren. So spart die Verordnung zum Gesetzentwurf die Sanktionierung zahlreicher behindertenspezifische Verstöße gegen die EU-Verordnung aus. Die Linke wird sich im Gesetzgebungsprozess dafür einsetzen, dass der Bundestag seinen verbliebenen Spielraum bei den Fahrgastrechten im Schiffsverkehr im Sinne der Fahrgäste und nicht im Sinne der beteiligten Unternehmen nutzt. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zwei Dinge stehen hier heute zur Debatte: zum einen Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr, zum anderen die Änderung des Luftverkehrsgesetzes. Bei beiden Themen hatten wir ausführliche Stellungnahmen der Bundesländer, die an Kritik nichts offen ließen. Und was hat die Bundesregierung dazu zu sagen? Man muss hier auf Seite 48 von einem 50-seitigen Dokument schauen, um sich dann mit zweieinhalb Seiten Gegenäußerung zufrieden zu geben. Den absolut berechtigten Einwendungen zur Schlichtung im Luftverkehr werden gar nur zwölf Zeilen gewidmet. Ist das Ihr Ernst, meine liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition? Halten Sie es für angemessen, angesichts der Kritik des Bundesrates, wo nahezu alle Länder Änderungsbedarf sahen? Einen besonderen Gruß sende ich an dieser Stelle mal nach Bayern. Sie haben im Bundesrat wirklich sehr gute Arbeit geliefert. Aber das, was CSU und FDP hier abliefern, ist unterirdisch. Ramsauer und Aigner führen mit dem Verkehrs- und dem Verbraucherministerium auf Bundesebene zwei Ministerien, denen man nun wirklich nicht unterstellen kann, dass sie in diesem Bereich nicht betroffen seien. Das BMVBS war auch stets in die Verhandlungen des BMJ unter Führung der FDP eingebunden. Das, was Sie hier abliefern, ist Ausdruck des blanken Versagens. Und ich sage Ihnen auch eines: Wenn es Ihnen wirklich ernsthaft um verkehrsträgerübergreifende und neutrale Schlichtung gegangen wäre, würden Sie das hier nicht durchgehen lassen. Bei Ihrer Reise durch das Verbraucherrecht haben Sie wirklich noch einmal eindrucksvoll unter Beweise gestellt, dass Sie nichts anderes als blinde Passagiere sind. Lassen Sie mich eines kurz zitieren. Schauen Sie mal auf Seite 50: „Die Bundesregierung weist für den Bereich des Luftverkehrs darauf hin, dass sich inzwischen zahlreiche Luftfahrtunternehmen zu einer freiwilligen Schlichtung bereit erklärt haben.“ Ich frage Sie: Wer ist denn schon Mitglied bei einer anerkannten Schlichtungsstelle? Die Verordnung gibt es schließlich schon seit siebeneinhalb Jahren. Seit 2005 bestand dazu die Möglichkeit. Erst bei der Schlichtungsstelle Mobilität, jetzt bei der SÖP. Wo ist denn die Schlichtungsstelle für Flugreisende? Was passiert denn derzeit mit den ganzen Beschwerden, die Fluggäste an die Airlines richten und die dort nur unzureichend bearbeitet werden? Sie haben es wirklich nicht begriffen. Weder erkennen Sie die mangelhafte Rechtsdurchsetzung der Fluggastreche noch welches Potenzial eine unabhängige Schlichtungsstelle für die Reisenden bringt, wohl gemerkt im Zusammenhang mit anderen zu nutzenden Instrumenten, wie beispielsweise einer konsequenten Sanktionierung. Und damit möchte ich auch noch kurz etwas zu den anderen Bereichen des Reiserechts betonen: Auch hier – liebe Kollegen von der CSU – bauen Sie nicht Bürokratie ab, sondern auf. Was ist denn mit Herrn Stoiber? Wo ist denn seine Aufgabe? Ist das Reiserecht davon ausgenommen? Wir brauchen endlich einen Rechtsakt für alle Reisenden. Was soll denn dieser Käse mit den ganzen sektorspezifischen Regelungen? Natürlich brauchen wir auch Fahrgastrechte für See- und Binnenschiffsverkehr. Natürlich brauchen wir Fahrgastrechte im Bus- und Bahnverkehr. Und selbstverständlich brauchen wir dringend ein ordentliches Maß an Verbraucherschutz für Fluggastrechte. Aber: Wir brauchen ein Reiserecht, dass auch den intermodalen Verkehrskonzepten gerecht wird. Wir brauchen ein Recht, das Qualität sichert. Wir brauchen ein Recht, das den Reisenden, auch ohne dafür ein Jurastaatsexamen gemacht zu haben, klar und einfach darstellt, welches Recht sie haben – ganz im Sinne der Reisenden. Denn die sind es, um die es primär geht, und nicht allein die Wahrung der Interessen der Wirtschaft. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr sowie zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes werden zum einen die gesetzlichen Grundlagen im nationalen Recht für die Einhaltung und Durchsetzung der durch die Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 unmittelbar geltenden Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr durch die Einrichtung entsprechender Stellen sowie der Festlegung eines Sanktionsregimes bei vermeintlichen Verstößen geschaffen. Mit dem Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung damit das verbraucherpolitische Ziel der Stärkung und weiteren Verbesserung der Rechte von Verbrauchern im See- und Binnenschiffsverkehr in Bezug auf Personenverkehrsdienste und Kreuzfahrten unter besonderer -Berücksichtigung von Belangen behinderter und mobilitätseingeschränkter Menschen in Deutschland um. Diese Passagiere erhalten nach Inkrafttreten des vorgelegten Gesetzentwurfs das gleiche europaweite Schutzniveau, wie es schon im Luft- und Eisenbahnverkehr -besteht und künftig auch auf den Buslinienverkehr ausgeweitet wird. Der Entwurf des eingebrachten EU-Fahrgastrechte-Schifffahrt-Gesetzes bestimmt im Wesentlichen die Aufgaben und die Zuständigkeit des Bundes für den Bereich des Verkehrsträgers Schiff zur Durchsetzung der Fahrgastrechte. Ferner werden die für die Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 notwendigen Befugnisse sowie Mitwirkungspflichten abschließend normiert. Zudem enthält der Gesetzentwurf Regelungen zur individuellen Streitbeilegung sowie zur Möglichkeit der Anrufung einer verkehrsträgerübergreifenden Schlichtungsstelle. Neben den Fahrgastrechten im Schiffsverkehr wird mit dem Gesetzentwurf die Luftsicherheit durch ausländische Flugsicherungsorganisationen in grenznahen -Bereichen und an Flugplätzen durch die Verlängerung der bestehenden Übergangsfrist für deren Aufgabenwahrnehmung aufgrund einer Änderung von § 73 Abs. 4 Luftverkehrsgesetz weiterhin dauerhaft gewährleistet. Mit der durch den Gesetzentwurf erfolgten Änderung von § 73 Abs. 4 des Luftverkehrsgesetzes wird die dort geregelte und am 31. Dezember 2012 endende Übergangsfrist für ausländische Flugsicherungsorganisationen nach dem LuftVG um zwei Jahre bis zum 31. Dezember 2014 verlängert. Damit wird gewährleistet, dass die mit ausländischen Staaten ausgehandelten völkerrechtlichen Übereinkünfte zur Durchführung der Flugsicherung in Deutschland fristgerecht in Kraft gesetzt werden können. Andernfalls würden die bisherigen und teilweise seit Jahrzehnten im deutschen Luftraum in grenznahen Bereichen ausgeübten Tätigkeiten ausländischer Flug-sicherungsorganisationen mit Ablauf der bislang geltenden Frist als nicht mehr gestattet gelten. Ich glaube, wir haben heute einen guten Entwurf vorgelegt, und freue mich auf zügige parlamentarische Beratungen. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/10958 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Hans-Josef Fell, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beitrag der Raumordnung zu Klimaschutz und Energiewende – Drucksache 17/9583 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir die Reden zu Protokoll. Ulrich Lange (CDU/CSU): Die Energiewende ist für die Bundesrepublik Deutschland neben der Euro-Krise die größte wirtschaftspolitische Herausforderung seit dem Wiederaufbau und die größte umweltpolitische Herausforderung überhaupt. Gerade weil unsere umwelt- und energie-politischen Ziele zu Recht ehrgeizig und anspruchsvoll sind, bedürfen sie auch einer besonders sorgfältigen Prüfung im Hinblick auf ihre möglichen Auswirkungen auf Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze, aber auch auf die Kompetenzaufteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Alle Möglichkeiten, die zu einem erfolgreichen Abschluss dieses Mammutprojektes führen können, müssen berücksichtigt und integriert werden. Deshalb müssen auch die positiven Auswirkungen der Raumordnung betrachtet werden. Die von den Grünen geforderten Änderungen und Vorschläge sind jedoch in keiner Weise zielführend, da es im Wesentlichen um Ziele geht, die auch ohne die beantragten Gesetzesänderungen und Raumordnungspläne des Bundes erreicht werden können, sodass die vorgeschlagenen Maßnahmen lediglich deklaratorischen Charakter besitzen. Zudem werden die erfolgreichen föderalen Strukturen infrage gestellt. Der Bund ist für die Planung eines ausreichenden Hochspannungsnetzes zuständig, welches gewährleistet, dass der produzierte Strom vom Ort der Entstehung dahin transportiert wird, wo der Strom gebraucht wird. Die Ausweisung raumordnerischer -Gebiete für erneuerbare Energien ist aber originärer Kompetenzbereich der Landesplanungen. An dieser Aufteilung, die sich über Jahrzehnte bewährt hat, werden wir nichts ändern. Die planerische Konkretisierung des Ausbaus erneuerbarer Energien auf Grundlage des § 17 Abs. 1 ROG ist nicht notwendig. Es ist nicht sinnvoll, dass der Bund den Gemeinden vorschreibt, ob und in welchem Umfang entsprechende Flächen für erneuerbare Energien festgeschrieben werden. Die bisherigen Erfahrungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien zeigen, dass die Erstellung eines gesamtdeutschen Raumordnungsplanes mit verbindlichen Flächenvorgaben für erneuerbare Energien für die einzelnen Bundesländer nicht notwendig ist. Die Energiekonzepte der Länder werden nach derzeitigem Stand dazu führen, dass die von der Bundesregierung anvisierten Ziele für erneuerbare Energie nicht nur erreicht, sondern übertroffen werden. Eine verbindliche Vorgabe durch den Bund ist in der Praxis schon deshalb nicht sachgerecht, weil für ein -effizientes Raummanagement die örtlichen Gegebenheiten der einzelnen Regionen in Ansatz gebracht werden müssen, so dass eine Steuerung nur auf Ebene der über die entsprechende Ortskenntnis verfügenden Landes- und Regionalplanungen möglich ist. Im Übrigen wäre ein entsprechender gesamtdeutscher Plan nicht zielführend, weil er keine positive Wirkung in der Praxis garantieren könnte. An dieser Stelle möchte ich auf den Flächenverbrauch eingehen, der zunehmend zu einem Problem wird. Es ist in unserem Sinn, eine möglichst geringe Inanspruchnahme land- und forstwirtschaftlicher Flächen zu erreichen. Ich möchte auf die Doppelbelastung der Land- und Forstwirtschaft durch Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Flächen zunächst für den Eingriff selbst und dann für Kompensationsmaßnahmen im Rahmen des Naturschutzausgleichs hinweisen. Deshalb sollten bei der Umweltprüfung neben Schutz und Schonung von Naturräumen auch der Schutz von land- und forstwirtschaftlichen Flächen, agrarstrukturelle Belange sowie für die Landwirtschaft besonders geeignete Böden sowie der Bodenschutz Berücksichtigung finden. Wichtig ist auch, dass wir hier die Bevölkerung, insbesondere unsere Landwirte, mitnehmen. Bei Kompensationsmaßnahmen müssen Inhalt, Art und Umfang von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zur Entsiegelung, Wiedervernetzung von Lebensräumen, Bewirtschaftung und Pflege sowie zum Ersatzgeld und zur Definition „agrarstrukturelle Belange“ und „besonders geeignete Böden“ berücksichtigt werden. Eine Erhöhung der einmaligen Dienstbarkeitsentschädigung auf 20 Prozent des Grundstückswertes bei Freileitungen und mindestens 50 Prozent des Grundstückswertes für 380-kV--Erdverkabelungen sowie die Ergänzung der einmaligen Dienstbarkeitsentschädigung um eine jährlich wiederkehrende und unbefristete Nutzungsvergütung sollten diskutiert werden. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist auch für Deutschland ein Kraftakt. Die von der Bundesregierung anvisierten klimapolitischen Ziele sind mehr als erfüllt. Wir sind auf dem Weg zur Energie von morgen: sauber, bezahlbar, verlässlich. Thomas Bareiß (CDU/CSU): Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zeigt wieder einmal deutlich, dass Sie verzweifelt versuchen, unsere Erfolge in der Energiepolitik schlechtzureden. Statt -unsere energiepolitischen Vorhaben konstruktiv zu begleiten, haben Sie sich auf Blockade und Lamentieren spezialisiert. Doch die Fakten zeigen deutlich, dass unsere Gesetzgebung zum Erreichen der energiepolitischen Ziele erfolgreich ist. Wir erreichen nicht nur unsere Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien, sondern übertreffen auch bei Weitem alle Ausbauziele, die sich Grün oder Rot in ihrer Regierungszeit gesetzt haben. Allein im vergangenen Jahr ist der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix um 3 Prozent auf über 20 Prozent gestiegen, seit unsere schwarz-gelbe Koalition regiert, ist der Anteil der erneuerbaren Energien um fast 10 Prozent gestiegen. So schnell wie bei keiner anderen Regierung zuvor. Damit gehören wir in Europa zu den Spitzenreitern beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Auch die Bundesländer überbieten sich in ihren Energiekonzepten. Insgesamt wollen 14 Bundesländer energieautark und zehn von ihnen zum Stromexporteur werden. Alle Ausbauziele zusammen liegen 60 Prozent über denen der Bundesregierung. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres sind laut Branche 26 Prozent mehr Windenergieanlagen aufgestellt worden als im Vorjahreszeitraum, insgesamt 414 Windenergieanlagen mit einer Leistung von zusammen 1 004 Megawatt. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass der Zubau vor Ort floriert und keineswegs am jetzigen Raumordnungsgesetz scheitert. Das aktuelle Raumordnungsgesetz ist eben kein „Erneuerbaren-Ausbau-Verhinderungs-Gesetz“, wie es der vorliegende Antrag suggeriert. Im Gegenteil: Es beinhaltet ausreichende Regelungen für Klimaschutz und den Ausbau der erneuerbaren Energien. So wird schon zu Beginn des Gesetzes in § 2 Abs. 2 Nr 6 Raumordnungsgesetz geregelt: „Den räumlichen Erfordernissen des Klimaschutzes ist Rechnung zu tragen sowohl durch Maßnahmen, die dem Klimawandel entgegenwirken als auch durch solche, die der Anpassung an den Klimawandel dienen. Dabei sind die räumlichen Voraussetzungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien … zu schaffen.“ Auch der Flächensicherung für erneuerbare Energien und Klimaschutz wird im Raumordnungsgesetz Rechnung getragen. Raumbedeutsame Nutzungen und Funktionen des Raumes sowie alle denkbaren raumordnerischen Steuerungsfunktionen sind dort ausreichend abgedeckt. Die von Ihnen geforderte Ergänzung im § 8 Abs. 5 ROG ist also nicht sinnvoll, da sie eine rein deklaratorische Normierung ohne eigenen Regelungsgehalt darstellen würde. Wenn die Grünen an der einen Stelle mehr Bürgerbeteiligung beim Ausbau der Netze oder Umbau von Bahnhöfen fordern, dann sollten sie auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien konsequent bleiben und nicht einen Bundesausbauplan für erneuerbare Energien fordern. Denn auch aus Gründen der Akzeptanz ist es richtig, dass auf Landesebene und kommunaler Ebene vor Ort entschieden wird, wo die erneuerbaren Erzeugungsanlagen gebaut werden. Vorgaben für den Ausbau der erneuerbaren Energien durch das Raumordnungsgesetz würden die Akzeptanz der erneuerbaren Energien nur unnötig gefährden. Denn die Leute vor Ort wollen mit eingebunden werden, wenn vor ihren Häusern Windmühlen oder Biogasanlagen gebaut werden. Geeignete Gebiete für erneuerbare Energien festzulegen, kann also besser durch die Länder als durch den Bund geschehen. Denn die Länder verfügen zusammen mit den Kommunen eindeutig über die bessere Ortskenntnis in den -Regionen. Dass dies funktioniert, beweisen sowohl alle Energiekonzepte der Länder mit ihren teils überbordenden Ausbauzielen als auch die laufende Umsetzung durch die Landes- und Regionalplanung der Bundesländer. Dieser Antrag zeigt wieder einmal den Realitätssinn der Grünen. Sie verkennen die Lage und die eigentlichen Herausforderungen der Energiewende. Unser Hauptproblem ist nicht, dass wir den Zubau durch EEG--Novellen durch das Raumordnungsgesetz verhindern. Vielmehr stellt uns der äußerst schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien vor massive, andere Herausforderungen. So ist es nun an der Zeit, dass die erneuerbaren Energien schneller zu Markt- und Wettbewerbsfähigkeit geführt werden. Deshalb haben wir mit der Marktprämie erstmals ein Instrument für mehr Systemintegration der erneuerbaren Energien geschaffen. Damit wird angereizt, dass die erneuerbaren Energien nicht einfach blind einspeisen, sondern sich besser in das System integrieren. Weitere Schritte werden und müssen folgen. Zum einen müssen die erneuerbaren Energien für den Verbraucher bezahlbar bleiben. Deshalb fühlen wir uns in der Pflicht, die Förderung der Erneuerbaren so effizient wie möglich zu gestalten. Dies haben wir in vergangenen EEG-Novellen versucht, doch auch hier wurden wir zu oft von Ihnen im Bundesrat gehindert. Zum anderen muss der Ausbau der erneuerbaren Energien mit dem Ausbau der Netze in Einklang gebracht werden. Diesen und weiteren Herausforderungen stellen wir uns. Wo Sie schon mit Wahlkampfgetöse starten, leiten wir zusammen mit Bundesumweltminister Peter Altmaier einen Verfahrensprozess ein und packen diese Herausforderungen ganz konkret an. Das Parlament, die Länder und auch die Bürger bekommen die Möglichkeit, sich an diesem Verfahren zu beteiligen. Das ist auch Ihre Chance, zu zeigen, dass Sie es ernst meinen mit der Energiewende. Michael Groß (SPD): Das Raumordnungsgesetz beinhaltet die Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumordnung, die die sozialen und wirtschaftlichen Anforderungen an den Raum in der Bundesrepublik mit den ökologischen in Einklang bringt und ausgewogen gestaltet. Mit der letzten Novelle 2008 wurden nicht nur Anpassungen hinsichtlich der Föderalismusreform vorgenommen, sondern wurde das Raumordnungsgesetz, ROG, auch an die aktuellen „Leitbilder und Handlungsstrategien für die Raumentwicklung in Deutschland“ angepasst. Diese Neufassung hatte unter anderem die Verringerung der Flächeninanspruchnahme, den Klimaschutz, die Stärkung des ländlichen Raumes und das Hervorheben der interkommunalen und europäischen Zusammenarbeit zum Ziel. Insgesamt wurde die Raumordnungsgesetzgebung derart gestaltet, dass sie künftig von vornherein flexibel auf besondere -Entwicklungen reagieren kann. Auch die EU-Richtlinie zur strategischen Umweltprüfung wurde im damaligen -Gesetz vollständig umgesetzt. Ziel war es zu diesem Zeitpunkt bereits, die Raumordnung umfassend auf klima-bedingte Veränderungen vorzubereiten und deren Auswirkungen einzubeziehen. Wegen der unmittelbaren Auswirkungen der Raumordnung auf die Bauleitplanung sind detaillierte Vorgaben in der Raumordnung eher zurückhaltend zu bewerten. Als NRW-Bundestagsabgeordneter kann ich darüber informieren, dass der weit überwiegende Teil der kommunalen Flächennutzungspläne in NRW bereits Darstellungen zu Konzentrationszonen mit Windenergie enthält. Mit Klimaveränderungen wird zunehmend die Frage der Ernährung und als wichtigstes Produktionsmittel der Boden – also die Fläche – eine gewichtige Rolle spielen. Bereits jetzt ist die Konkurrenz um die Fläche sehr hoch. Auch der Präsident des Deutschen Bauernverbandes lenkte das Augenmerk um die Flächenkonkurrenz von Nahrung und Energie mit einer öffentlichen Petition auf die schwindende landwirtschaftliche Fläche. Mit dem ZDF-Thementag gegen Hunger – als immer noch größtes Gesundheitsrisiko in der Welt – wird der Ernst der Lage sehr deutlich. Hier liegt aus Sicht der SPD die Aufgabe der Raumordnung klar in der Identifizierung und Abwägung spezifischer Nutzungskonkurrenzen. Es ist ohne Zweifel eine politische Aufgabe, den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen. Auch die Ministerkonferenz für Raumordnung bekräftigte, dass „die verstärkte Nutzung regenerativer Energien und der hierzu erforderliche Netz- und Speicherausbau der überörtlichen, planerischen Konzeption sowie der -Flächen-, Standort- und Trassenvorsorge durch die -Landes- und Regionalplanung bedarf“. Gerade regenerative Energien bieten die Chance dezentraler Strukturen und können nur vor Ort und in Kooperation von Bund, Land und Kommunen entwickelt werden. Dazu sind die ordnungspolitischen Voraussetzungen zu schaffen. Das Netzausbaubeschleunigungsgesetz, NABeG, hat eine Reihe von Verbesserungen bei der Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Bundesnetz- und Bedarfs-planung geschaffen, so zum Beispiel die Verpflichtung der Betreiber von Übertragungsnetzen, den Entwurf des Netzentwicklungsplans vor Vorlage bei der Regulierungsbehörde im Internet zu veröffentlichen, sowie die verpflichtende Öffentlichkeitsbeteiligung im Zuge der strategischen Umweltprüfung. Darüber hinausgehend halten wir weitere Verbesserungen der Bürgerbeteiligung für geboten. Für den ambitionierten Ausbau der regenerativen Energien in Deutschland müssen wir die Menschen mitnehmen, aber insbesondere gewinnen und regionale -Belange berücksichtigen. Ich verweise an dieser Stelle erneut auf unseren Antrag und das SPD-Konzept im Rahmen des Infrastrukturkonsenses zu umfassender Bürgerbeteiligung. Bei der Raumordnung muss jedoch mit Augenmaß gehandelt werden und ein Abwägungsprozess gestaltet werden. Dies geht nur über regionale Planung, horizontal und vertikal abgestimmte regionale Konzepte – gerade für die Gestaltung der Energiewende. Eine einseitige Auslegung der Raumordnungs-gesetze wäre hier sicher nicht zielführend. Wichtig ist also eine enge inhaltliche und politische Abstimmung mit den Ländern, ob überhaupt und in welcher Form eine Änderung der Raumordnung verfolgt werden sollte. Petra Müller (Aachen) (FDP): Die christlich-liberale Regierungskoalition hat sich der unumkehrbaren und umfassenden Energiewende verschrieben. Ob im Bundesministerium für Wirtschaft unter Führung des FDP-Vorsitzenden Dr. Philipp Rösler, im Umweltministerium unter dem Christdemokraten Peter Altmaier oder im BMVBS unter dem CSU-Minister Dr. Peter Ramsauer – alle Parteien der Koalition arbeiten intensiv und nachdrücklich an der Umsetzung der Beschlüsse zur Energiewende. Das beinhaltet selbstverständlich auch, die klimagerechte Entwicklung in den Städten und Gemeinden zu fördern, den CO2-Ausstoß zu verringern, die erneuerbaren Energien auszubauen. Überall dort, wo Bau-, Stadtplanungsvorschriften sowie Raumordnung dazu einen Beitrag leisten können, werden wir das tun. Denn Raumordnung und Stadtentwicklung, Klimaschutz und Energiewende sind für die FDP kein Widerspruch, sondern bilden eine Einheit, die es politisch weitblickend, sozialverträglich, ökologisch sinnvoll und ökonomisch vertretbar zu gestalten gilt. Mit den Änderungen des Baugesetzbuches tun wir genau das. Wir gestalten und begleiten unter anderem auch die Energiewende und leisten den fachlichen Beitrag zum Klima- und Naturschutz, der in Verantwortung für lebende wie zukünftige Generationen notwendig ist. Kursorisch lassen Sie mich einige Themen aufgreifen. Bereits in § 1 des novellierten Baugesetzbuches werden die Bedeutung der Fläche und die Schonung der Natur in besonderer Weise hervorgehoben und gestärkt. Die Notwendigkeit der Umwandlung landwirtschaftlich oder als Wald genutzter Flächen soll zukünftig begründet werden. Der Innenentwicklung von Städten und Gemeinden wird daher eine wichtige Rolle zugewiesen. Brachflächen, Baulücken, Gebäudeleerstand und Möglichkeiten der Nachverdichtung werden ausdrücklich hervorgehoben. Das wird den Flächenverbrauch in der Zukunft bremsen und damit das natürliche und klimafreundliche Regenerationspotenzial stärken. Gleiches gilt für § 17, wo der Spielraum der Gemeinden im Interesse der Innenentwicklung erhöht wird, wenn es darum geht, von Obergrenzen für die Festsetzung des Maßes für bauliche Nutzungen abzuweichen. Die FDP hält am Ziel des Nullneuflächenverbrauchs fest und sieht vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung einen politisch begleiteten negativen Flächenverbrauch für angezeigt. Und lassen Sie mich einfügen: Die Innenentwicklung werden wir nicht nur im Baugesetzbuch fördern. Mit den für den Bundeshaushalt 2013 erhöhten Mitteln für die Städtebauförderprogramme „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ um 4 Millionen auf 97 Millionen Euro, „Kleine Städte und Gemeinden“ um 10 Millionen auf 55 Millionen Euro, „Stadtumbau Ost und West“ zusammen 116 Millionen Euro werden wir passgenau unter anderem das tun, was Sie fordern: den Flächenverbrauch senken, die Innenstädte fördern, den natürlichen Lebensraum erhalten, die Klimabilanz verbessern. Das ist Politik der FDP und das ist Politik der christlich-liberalen Union. Doch zurück zur Baugesetzbuchnovelle. Mit § 136 werden wir die Belange des Klimaschutzes und der -Klimaanpassung ausdrücklich in die Beurteilung städtebaulicher Missstände einbeziehen. Damit wird deutlich, dass beide Aspekte – Klimaschutz und Klimaanpas-sung – auch im Rahmen der städtebaulichen Sanierung und als Bestandteil städtebaulicher Gesamtmaßnahmen zukünftig berücksichtigt werden. Die bereits vielerorts praktizierten Aktivitäten zur klimagerechten Stadterneuerung finden damit auch im Gesetzestext eine Stütze. Die Städte und Gemeinden können davon Gebrauch machen; es liegt in ihrem planerischen Ermessen. Die FDP und die Bundesgesetzgebung fordern sie dazu ausdrücklich auf und schaffen dafür den rechtlichen Rahmen. Gleichzeitig sollen in § 136 die energetische Beschaffenheit und die Gesamtenergieeffizienz als Kriterien benannt werden für die Sanierungsbedürftigkeit. Damit sollen städtebauliche Sanierungsmaßnahmen zukünftig einen stärkeren Beitrag dazu leisten, dem Klimawandel entgegenzuwirken. Dafür wird es notwendig sein, die Ausstattung baulicher Anlagen mit nachhaltigen Versorgungseinrichtungen, mit Erneuerbare-Energien-Anlagen, mit Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und einer verbesserten Wärmedämmung zu versehen. Was die Nutzung von Solarthermie- und Photovoltaikanlagen betrifft, werden wir die Baunutzungsverordnung – §§ 14 und 17 – entsprechend anpassen. Die Möglichkeiten, den Klimaschutz politisch und gesetzgeberisch zu fördern und die Energiewende in unserem Land voranzutreiben sind vielfältig. Die christlich-liberale Koalition beweist unter anderem mit der Novelle des Baugesetzbuches oder mit der Fortentwicklung der Städtebauförderprogramme, dass sie auch weiterhin handwerklich solide und ökologisch nachhaltig und politisch erfolgreich daran arbeitet. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Dem hier vorliegenden Antrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen stimmen wir insgesamt zu, auch wenn wir nicht jede einzelne Forderung eins zu eins übernehmen würden. Wenn die Umsetzung dieses Antrags aber einen Beitrag leisten kann zur Beschleunigung der Energiewende, hat er unsere Unterstützung. Es ist absolut richtig, dass die Raumordnung einen gewichtigen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten kann. Voraussetzung ist aber, dass der Bund mit seiner Gesetzgebung die Landesbehörden unterstützt und deren Kompetenz, aber auch deren Motivation stärkt. Ob dazu ein Bundesraumordnungsplan, wie in Punkt 3 des Antrags gefordert wird, das richtige Instrument ist, lasse ich erst einmal dahingestellt. Richtig ist jedenfalls das Anliegen, das ich dahinter vermute. Die Energiewende ist eine Aufgabe von geradezu historischer Bedeutung. Als politische Aufgabenstellung ist sie aber noch relativ jung und die verfügbaren Planungs-instrumente, die Planungsgremien und der gegebene Rechtsrahmen haben darauf noch nicht in der notwen-digen Konsequenz reagiert. Anstelle eines Bundesraumordnungsplanes – der könnte vielleicht der zweite Schritt sein –, würde ich eine generelle Revision sämt-licher Planungs- und Rechtsvoraussetzungen anregen. Das gesamte System von Planungshoheit, Ämterbefugnis und die in den letzten Jahrzehnten geübte Planungspraxis gehören auf den Prüfstand, und zwar unter der Prämisse, ob sie den objektiven Erfordernissen des Klimaschutzes und der Energiewende noch gerecht werden. Klimaschutz ist eine internationale Aufgabe, die aber in Regionen und Gemeinden verwirklicht werden muss. Die Frage ist: Ist die Raumordnungsplanung in ihrer jetzigen traditionellen Verfasstheit in der Lage und ist sie motiviert, dazu einen entscheidenden Beitrag zu leisten? Ich meine, es gibt da bedeutende Reserven und Potenziale zu heben, für die aber bundespolitische Prioritätensetzungen einschließlich des dafür erforderlichen Rechtsrahmens notwendig sind. Insofern ist mir auch die Forderung im Punkt 4 des Antrags zu zögerlich, wonach die Bundesregierung angehalten ist, zu „prüfen, ob der Klimaschutz und der Ausbau er-neuerbarer Energien gestärkt werden können, indem im Raumordnungsgesetz die Möglichkeit geschaffen wird, Flächenvorgaben verbindlich auf die Länderebenen zu konkretisieren“. Der Bund muss, ausgehend von Klimaschutzerfordernissen, einen Prioritätenkatalog festlegen, den die Landesplanung in ihre Prämissen zur Fortschreibung von Raumordnungskonzepten und -planungen übernimmt. Er muss auch mit den Ländern gemeinsam eine Hirarchie der Entscheidungsebenen abstimmen, mit der Planungszeiträume verkürzt und unmissverständliche Rechtssicherheit in den einzelnen Planungsschritten erreicht werden können. Weder der Klimaschutz noch die Energiewende dürfen durch Landesgrenzen aufgehalten werden. Wenn es Landesinteressen oder regionale Interessen gibt, die zu Verhinderungsplanungen verleiten, müssen diese Interessen mit den Bundesinteressen verglichen und Interessenkonflikte durch Vereinbarungen ausge-glichen werden. Die Frage ist, ob in der Bürgerbeteiligungspraxis eine ausreichende Berücksichtigung aller Interessen stattfindet oder ob Planungsvorgaben dazu führen können, dass berechtigte Bürgerinteressen zu früh und ohne Nachteilsausgleich weggewogen werden. Zur Bürgerbeteiligung wäre es sinnvoll, ein Instrument der Bestandsaufnahme der Interessen aller von der Raumordnungsplanung Betroffenen am Beginn einer Planfortschreibung oder einer Planänderung zu finden, und zwar mit dem Ziel, Einvernehmen herzustellen und auf eine vertragliche Grundlage zu heben. Geschieht das nicht, entscheiden womöglich am Ende einer jahrelangen Planungsphase Oberverwaltungsgerichte darüber – und zwar aus rein rechtsformalen Gründen –, ob die Energiewende gelingt oder ob die Akteure, die diesen Prozess voranbringen wollen, irgendwann entnervt oder pleite aufgeben. Akzeptanz im Kleinen ist notwendig, damit die Energiewende im Großen gelingen kann. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Raumordnung wird von dieser Regierung vernachlässigt. Denn schon im Jahr 2010 sollte der neue Raumordnungsbericht vorliegen. Doch es hat bis Anfang dieses Jahres gedauert, also zwei Jahre länger als geplant. Jetzt liegt der Bericht zwar vor, aber Sie weigern sich, den Bericht im Parlament zu debattieren. Die Gründe dafür sind offensichtlich. Sie wollen den Bericht dem Bundestag nicht vorlegen, weil er aufzeigt, welche Steuerungspotenziale in der Raumordnung liegen. Er zeigt sehr deutlich auf, wo sie tatenlos sind und wie sie es versäumen, die Energiewende ernsthaft zu betreiben. Herr Minister Raumsauer, lassen Sie die Potenziale der Raumordnung nicht ungenutzt. Gerade im Bereich der Energiewende gibt es über die Raumordnung Gestaltungsmöglichen. Laut Raumordnungsbericht 2012 sollten im besonderen Maße der Ausbau erneuerbarer Energien und Leitungsnetze, Risikomanagement und Schutz kritischer Infrastrukturen als Aufgabe der Bundesraumordnung gesehen werden. Und auch die wich-tigen Themen wie Begrenzung des Flächenverbrauchs und der Aufbau eines nationalen Biotopverbundsystems wären hier gut aufgehoben. Doch in keinem dieser Bereiche werden Sie – als Regierung – aktiv. Der aktuell wichtigste Handlungsansatz ist jedoch der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Leitungsnetze. Dazu kann die Raumordnung einen wesentlichen Beitrag leisten, wie wir in unserem Antrag aufzeigen. Das hat mittlerweile sogar Bundesumweltminister Peter Altmeier erkannt. Vor kurzem sagte er: „Die wichtigste Aufgabe ist, ein Gesamtkonzept auszuarbeiten, in dem der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze besser miteinander verzahnt werden.“ Wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge! Denn das Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ignoriert weiterhin kosequent die Potenziale der Raumordnung für die Energiewende und den Klimaschutz. Dabei ist dafür nicht einmal eine Gesetzesänderung notwendig. Denn schon mit einem Bundesraumordnungsplan, der übrigens eh im Raumordnungsgesetz vorgesehen ist, lässt sich hier schon viel erreichen. Ein Bundesraumordnungsplan für erneuerbare Energien schafft Transparenz, bietet den nachfolgenden Ebenen Orientierung und schafft so einen Beitrag zur sachgerechten Verteilung erneuerbarer Energien im Raum. Dabei geht es selbstverständlich nicht darum, ein planwirtschaftliches Instrument zu schaffen, das den Ländern keinen Handlungsspielraum mehr lässt, sondern vielmehr darum, eine Grundlage für einen koordinierten Ausbau zu schaffen. Das wäre ein echter Beitrag zur Energiewende, im Gegensatz zu dem Ausbaustopp für Windkraft, den Minister Altmeier fordert. Die Verhinderung von Windkraftanlagen ist kein neues Thema. So kam es in der Vergangenheit vor, dass Gemeinden die Möglichkeit zur Festlegung von Windkrafteignungsgebieten genutzt haben, um Windkraftanlagen zu verhindern. Damit werden gesetzliche Möglichkeiten, die eigentlich den Ausbau erneuerbarer Energien befördern sollen, ad absurdum geführt. Denn solche Eignungsgebiete sind mit einer Sperrwirkung ausgestattet. Das heißt, werden Flächen als Eignungsflächen für Windkraft vorgesehen, ist diese Nutzung auf umliegenden Flächen nicht möglich. Hier muss das Raumordnungsgesetz angepasst werden, um diese missbräuchliche Verhinderungsplanung zu erschweren. Eignungsgebiete für Windkraft sollten nur noch in Ausnahmefällen möglich sein. Auch zum Thema Repowering von Windkraftanlagen muss das Raumordnungsgesetz überarbeitet werden. Denn der Austausch alter Windkraftanlagen durch moderne und effizientere Anlagen wurde mit der letzten BauGB-Novelle schon in das Baugesetzbuch aufgenommen. Dieser Ansatz muss auch in das Raumordnungsgesetz übertragen werden. Dazu haben Sie vor elf Monaten in Ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage angemerkt, dass Sie noch nicht abschließend entschieden haben, ob eine solche Änderung sinnvoll ist. Geschwindigkeit ist bei der Energiewende nicht Ihre Sache, das ist klar. Vielleicht haben Sie hier mittlerweile doch eine Entscheidung getroffen und die Notwendigkeit dieser Regelung erkannt. Dann freuen wir uns über Ihre Unterstützung für unseren Antrag. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9583 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation – Drucksache 17/10959 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Unverzügliche Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation – Drucksachen 17/9066, 17/9614 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Johann Wadephul Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir die Reden zu Protokoll. Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Wir diskutieren heute ein sehr wichtiges Regelwerk – den Entwurf für das neue Seearbeitsgesetz. Dabei geht es um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Seeleute an Bord von Kauffahrteischiffen unter deutscher Flagge. Wir setzen damit das Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation – kurz ILO – aus dem Jahr 2006 in deutsches Recht um. Gleichzeitig wird die Ratifizierung des ILO-Abkommens vorbereitet. Deutschland trägt mit diesen Vorhaben seinen Teil dazu bei, dass das ILO-Übereinkommen weltweite Gültigkeit erlangen kann. Wenn dieses Ziel erreicht ist, herrschen überall auf See dieselben Bedingungen für Seeleute. Vor dem Hintergrund des zunehmenden globalen Wettbewerbs ist dies auch wichtig; denn nur mit weltweit einheitlichen Mindeststandards kann der Wettbewerb nicht auf Kosten der Beschäftigten stattfinden. Zusammen mit den neu aufgenommenen Elementen der Flaggenstaatkontrolle und der Hafenstaatkontrolle, auf die ich gleich noch näher eingehen werde, bilden diese Mindeststandards das Kern-stück des ILO-Übereinkommens aus dem Jahr 2006. Nach der Flaggenstaatkontrolle muss jeder Staat die Einhaltung der Bestimmungen des Seearbeitsübereinkommens auf Schiffen unter seiner Flagge überwachen. Die Hafenstaatkontrolle sieht vor, dass jeder Staat, in dessen Häfen Schiffe unter fremder Flagge einlaufen, die Einhaltung der ILO-Anforderungen zu überprüfen hat. Somit ist gewährleistet, dass auf allen Schiffen weltweit dieselben Bedingungen herrschen müssen, auch auf Schiffen unter der Flagge solcher Staaten, die das ILO-Abkommen nicht ratifiziert haben. Zahlenmäßig sprechen wir von circa 65 000 Handelsschiffen oder etwa 1,2 Millionen Seeleuten, die von diesen Vorhaben betroffen sind. Sie erkennen hiermit die enorme Tragweite unserer nationalen Bemühungen. Bevor ich näher auf die markantesten Neuerungen unseres vorliegenden Gesetzentwurfs eingehe, möchte ich gerne noch ein paar Bemerkungen zu dem Antrag der Linksfraktion machen. Sie haben, meine Damen und Herren von den Linken, in Ihrem Antrag die Bundesregierung aufgefordert, das Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation unverzüglich zu ratifizieren. Wie ich schon in meiner letzten Rede zu diesem Thema dargelegt habe, ist uns in der Union der Arbeitsschutz und die Gesundheit der auf See tätigen Menschen ein wichtiges Anliegen. Dafür muss es die eingangs erwähnten Mindestbedingungen geben. So weit sind wir uns einig. Aber was den richtigen Zeitpunkt für die Ratifizierung angeht, überlassen Sie doch besser uns die Entscheidung. Es macht nämlich wenig Sinn, den zweiten Schritt vor dem ersten zu gehen. Wenn wir das ILO-Übereinkommen ratifizieren, ohne zuvor die internationalen Bestimmungen in nationales Recht umgesetzt zu haben, fehlt uns ein wichtiger Baustein. Für alle Schiffe, die unter der deutschen Bundesflagge in See stechen, benötigen wir ein Regelwerk, das international Bestand hat. Das ist zudem eine wesentliche rechtliche Voraussetzung, um überhaupt das ILO-Abkommen ratifizieren zu können. Das deutsche Seemannsgesetz, das bis zum Inkrafttreten des neuen Seearbeitsgesetzes gültig ist, erfüllt dies nicht vollständig. Sonst brauchten wir ja auch das aktuelle Gesetzgebungsverfahren nicht. Die moderne, global ausgerichtete Handelsschifffahrt erfordert gerade im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts eine neue Rechtsgrundlage. Meine Fraktion hat deswegen auch Ihren Antrag ablehnen müssen. Wie Sie wissen, wird das neue Seearbeitsgesetz derzeit erarbeitet. Es noch in diesem Jahr verabschiedet werden, sodass es im ersten Quartal 2013 in Kraft treten kann. Die Ratifizierung selbst ist dann nur noch reine Formsache. Bis das neue Gesetz in Kraft tritt, stehen die Seeleute unter deutscher Flagge aber keinesfalls schutzlos da. Das aktuelle Seemannsgesetz setzt bereits einen hohen Standard für den Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord. Das beginnt bei den Regelungen über das Heuerverhältnis, Arbeitsschutz, Verpflegung, Unterbringung und geht hin bis zu Vorschriften über die medizinische Versorgung, Urlaub und Landgang. Der Entwurf für das neue Seearbeitsrecht setzt jedoch weitere, ganz neue Maßstäbe. So berücksichtigt es neue Entwicklungen im Bereich der Schifffahrt, sei es im Bereich des Handels oder etwa der Offshoreindustrie. Der persönliche Geltungsbereich des Gesetzentwurfs ist weiter gefasst als der bisherige im Seemannsgesetz. So gilt das Gesetz zum Beispiel auch für selbstständig an Bord Tätige oder für abhängig Beschäftigte, die bei einem anderen Arbeitgeber als dem Reeder des Schiffs beschäftigt sind. Eine Neuerung ist auch die Definition des Reeders im Bereich des Seearbeitsrechts und seine Verantwortung für die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Seeleute an Bord seines Schiffs. Dies gilt unabhängig davon, ob er selbst ihr Arbeitgeber ist oder ein Dritter. Damit werden die Seeleute davor geschützt, dass ein Reeder versuchen könnte, seine Pflichten gegenüber den Seeleuten auf andere abzuwälzen. Um die bereits angesprochenen umfangreichen Kon-trollen künftig effizienter zu gestalten, sieht das neue Gesetz ein transparentes Verfahren vor, mit dem die Seediensttauglichkeit der Besatzungsmitglieder eines Schiffes festgestellt werden kann. An dessen Ende erhalten die Seeleute dann ein Seetauglichkeitszeugnis. Eine bessere Übersicht und klarere Abgrenzungen finden sich auch bei den neu geregelten Arbeits- und -Ruhezeiten. Erforderliche Abweichungen von Höchst-arbeitszeiten oder Mindestruhezeiten sind für bestimmte Schiffskategorien oder bestimmte Arbeitseinsätze vorgesehen. Um die Besatzungsmitglieder nicht zu überfordern, werden daneben auch Ausgleichsruhezeiten vorgeschrieben. Als letztes positives Beispiel aus diesem Regelwerk möchte ich den Bereich der Berufsausbildung an Bord erwähnen. Dieser wird erstmals gesetzlich normiert. Das Berufsbildungsgesetz, das die Ausbildung an Land regelt, wird den besonderen Anforderungen auf See nur in Teilen gerecht. Die neuen Vorschriften im Seearbeitsgesetz orientieren sich hieran so weit wie möglich. Allerdings berücksichtigen sie eben auch die besonderen Gegebenheiten einer Berufsausbildung an Bord. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf leistet die Bundesregierung also ihren Beitrag zur weltweiten Anwendung des Seearbeitsübereinkommens. Sie trägt mit Sorge dafür, dass auf See angemessene Bedingungen für die Beschäftigten gelten. Durch ihre Gesetzesvorhaben sichert sie gleichzeitig, dass der Wettbewerb auf Kauffahrteischiffen nicht über die Besatzungsmitglieder ausgetragen wird. Josip Juratovic (SPD): Ich hatte gehofft, dass ich mich hier schon viel schneller wieder zum Seearbeitsübereinkommen äußern kann. Denn es war eine ganz schöne Hängepartie der Bundesregierung, bis der Gesetzentwurf zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens fertig war. Das Seearbeits-übereinkommen war 2006 von der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, beschlossen worden. In der Großen Koalition hatten wir noch intensiv an der Umsetzung gearbeitet, doch seit 2009 wurde das alles schleifen gelassen. In Antworten auf schriftliche Fragen der SPD-Fraktion und im Ausschuss wurden von der Bundesregierung immer wieder verschiedene Daten genannt, zu denen ein Gesetzentwurf vorgelegt werden sollte. Und jedes Mal verstrichen diese Daten, ohne dass etwas geschah. Deswegen möchte ich zunächst der Bundesregierung gratulieren, dass es nach viel zu langer Zeit nun endlich geglückt ist, einen Gesetzentwurf vorzulegen, und es damit endlich einen Schritt vorwärtsgeht auf dem Weg zu guten und fairen Arbeitsbedingungen auf See. Leider stimmt aber der Spruch „Was lange währt, wird endlich gut“ nicht immer. So ist das auch hier, und der Teufel steckt im Detail. Der Bundesrat hat bereits einige wichtige Anmerkungen vorgebracht, so beispielsweise bei der Anerkennung von Ausbildungsberufen in der Seeschifffahrt. Hier war es bisher so, dass die Länder einbezogen werden – und dabei muss es auch bleiben, auch wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung zunächst anderes vorsah. Wir haben an der Küste viele gute Ausbildungsstandorte für Seeleute. Diese gute Ausbildung müssen wir auch in Zukunft gewährleisten. Die Verfassung der ILO besagt, dass es durch die Umsetzung von Übereinkommen nicht zu einer Schlechterstellung im Vergleich zu den davor geltenden Regelungen kommen darf. Wir dürfen also keine der Regelungen, die bisher bestehen, verwässern. Doch auch hier sehe ich im Gesetzentwurf der Bundesregierung Probleme. Zum einen, und auch dies kritisiert der Bundesrat, werden die hafenärztlichen Dienste abgeschafft. Wir dürfen aber die Gesundheitsämter bei der Kontrolle der Arbeits- und Gesundheitsbedingungen nicht außen vor lassen, denn hier wird gute Arbeit geleistet. Hier hat sich ein Modell bewährt, das wir nicht abändern sollten. Auch in Zukunft sollen die Gesundheitsämter hier überwachen. Alles andere wäre eine Schlechterstellung der Seeleute. Die Gefahr einer Schlechterstellung sehe ich zum anderen in der Formulierung zu Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten. Wir haben derzeit eine Regelung im Seemannsgesetz, die im Großen und Ganzen gut funk-tioniert. Nach Art. 19 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation, dem Schlechterstellungsverbot, müssen wir uns auch hier daran orientieren, was bisher in Deutschland gilt. Die nun vom BMAS vorgesehenen Regelungen sind jedoch eine Schlechterstellung im Vergleich zu den bisher geltenden Höchstarbeitszeiten. Mir ist absolut bewusst, dass es in der Schifffahrt immer wieder Extremsituationen geben kann, in denen eine lange Arbeitszeit der Besatzungsmitglieder notwendig ist. Wir brauchen aber klare Regeln, die besagen, dass überlange Arbeitszeiten nicht die Regel sind. Bislang haben die Tarifvertragspartner hierzu Regelungen mit Augenmaß getroffen – Regelungen, die für Seeleute und Reeder gleichermaßen praktikabel waren. Hier dürfen wir erstens nicht die Seeleute schlechterstellen, wenn die Bundesregierung einfach die Höchstarbeitszeit im Vergleich zum bisherigen Seemannsgesetz verlängert. Und zweitens dürfen wir nicht zulassen, dass ein funktionierendes System der Tarifvertragspartner zerstört wird, indem die Bundesregierung hier ohne Not gesetzlich regulieren will. Die Anerkennung der Ausbildungen, die Rolle der Gesundheitsämter und die Regelung von Höchstarbeitszeiten sind nur drei Beispiele, anhand derer ich hier zeigen will, dass der Entwurf zum Seearbeitsgesetz noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Wir müssen im Gesetzgebungsprozess noch an entscheidenden Stellen nachbessern, und hier möchte ich meine Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP auffordern, sich den Sachargumenten nicht zu verschließen und noch mal genau nachzuprüfen, damit das Schlechterstellungsverbot aus der ILO-Verfassung respektiert wird. Lassen Sie uns bei den Beratungen im Ausschuss gemeinsam handeln, um faire Arbeitsbedingungen auf See zu schaffen. Bei aller Kritik an der deutschen Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens – zu spät und kritisch an den angesprochenen Punkten – möchte ich betonen, dass das Seearbeitsübereinkommen ein großartiges Beispiel dafür ist, wie die internationale Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik funktionieren kann – und funktionieren muss. Beim Seearbeitsübereinkommen werden weltweit gültige Standards gesetzt, die viel Missbrauch, der insbesondere auf ausgeflaggten Schiffen stattfindet, verhindern werden. Das ILO-Übereinkommen steht für weltweit gute Arbeitsbedingungen, die auch weltweit kontrolliert werden. Denn auf See kann kein Staat alleine garantieren, dass faire Arbeitsbedingungen gewährleistet sind. Hier brauchen wir die internationale Kooperation. Das Seearbeitsübereinkommen ist nicht das einzige ILO-Übereinkommen, das in Deutschland so lange liegt, bevor etwas geschieht. Ich habe Sorge, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung auch beim im letzten Jahr geschlossenen Übereinkommen 189 zu den Rechten von Hausangestellten die Umsetzung auf die lange Bank schiebt. Es ist niemandem damit geholfen, wenn auf internationaler Ebene gute und wegweisende Übereinkommen geschlossen und diese von allen gelobt wer-den – beim Übereinkommen zu Hausangestellten nicht zuletzt von der Kanzlerin, als sie im vergangenen Jahr bei der ILO-Arbeitskonferenz sprach. Was zählt, sind aber nicht die Worte, sondern die Taten. Deswegen fordere ich, dass das ILO-Übereinkommen zu Hausangestellten nicht erst mal in die Schublade gelegt wird, sondern dass hier schnell ein klarer Plan zur Ratifizierung vorgelegt wird. Die Arbeit der ILO kann nur funktionieren, wenn die Mitgliedstaaten nach dem Beschluss der Übereinkommen zu Hause ihre Hausaufgaben erledigen. Die Ratifizierungen und die Umsetzung der Übereinkommen sind die Hausaufgaben, die Deutschland von den jährlichen Internationalen Arbeitskonferenzen bekommt. Wir müssen in der Umsetzung der Hausaufgaben besser und schneller werden und mit gutem Beispiel international vorangehen. Denn nur so können weltweit gute Arbeitsbedingungen auch tatsächlich umgesetzt werden und bleiben nicht nur der Papiertiger ILO-Konferenzen in Genf. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die christlich-liberale Bundesregierung schafft mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Voraussetzungen dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland das See-arbeitsübereinkommen, Maritime Labour Convention, MLC, der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, von 2006 ratifizieren kann. Das Seearbeitsübereinkommen ist die erste Kodifizierung des Seearbeitsrechts, in der mehr als 60 bestehende Übereinkommen und Empfehlungen der ILO in -einem Regelwerk zusammengefasst werden. Das Seearbeitsübereinkommen wird zukünftig verbindlich weltweite Mindeststandards für die Arbeit und das Leben der mehr als 1,2 Millionen Seeleute an Bord von Kauffahrteischiffen setzen. Damit ist es eine Art Bill of Rights der Seeschifffahrt. Konkret geht es um Beschäftigungsbedingungen, Unterkunft und Verpflegung, Gesundheitsschutz und soziale Sicherung. Wegen der Vorgaben des Art. 59 Grundgesetz wird Deutschland zunächst das -nationale Recht ändern und erst dann das Seearbeitsübereinkommen ratifizieren. Für die Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens muss eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen angepasst und aktualisiert werden. Kern der Umsetzungsgesetzgebung ist ein neues Seearbeitsgesetz, mit dem das alte, aus dem Jahr 1957 stammende Seemannsgesetz ersetzt wird. Der Entwurf passt das Recht im Bereich der Arbeits- und Lebensbedingungen der Seeleute an die Entwicklungen der heutigen, zunehmend global aus-gerichteten modernen Seeschifffahrt an. Überkommene Regelungen, insbesondere im Bereich des Urlaubs-, Kündigungs-, und Heimschaffungsrechts, werden im Seearbeitsgesetz modernisiert. Künftig wird das Seearbeitsrecht für alle Personen gelten, die an Bord eines Schiffes unter deutscher Flagge tätig sind. Daneben werden das Verfahren zur Feststellung der Seediensttauglichkeit, die Berufsausbildung an Bord und die medizinische Ausstattung auf eine einheitliche rechtliche Grundlage gestellt. Neu geregelt werden die Vorgaben des Seearbeitsübereinkommens über die Arbeitsvermittlung, die Arbeitsinspektion und die soziale Betreuung der Seeleute. Eine weitere wichtige Neuerung ist die Regelung der flaggen- und hafenstaatlichen Kontrollen zur Durchsetzung der Anforderungen des Seearbeitsübereinkommens – Arbeitsinspektion. Das bestehende System der flaggen- und hafenstaatlichen Kontrollen – Schiffssicherheit, Umweltschutz – wird auf die Überprüfung der -Arbeits- und Lebensbedingungen der Besatzungsmitglieder erstreckt. Dabei werden Schiffe unter deutscher Flagge, ebenso Schiffe unter fremder Flagge, die deutsche Häfen anlaufen, überprüft. Auch Schiffe aus Nichtvertragsstaaten, die das Seearbeitsübereinkommen nicht ratifiziert haben, müssen dessen Mindeststandards beachten; sogenannte Nichtbegünstigungsklausel. Sie werden künftig in den Häfen ratifizierender Staaten kontrolliert werden können – auch wenn sie unter der Flagge eines Landes fahren, das das Übereinkommen nicht ratifiziert hat. Bei Hafenstaatkontrollen werden sie keine günstigere Behandlung erfahren als Schiffe aus Vertragsstaaten. Damit stärken wir die Wettbewerbsfähigkeit der Reeder, die Schiffe unter deutscher Flagge betreiben. Die Novellierung des Seearbeitsrechts nutzt die christlich-liberale Bundesregierung auch dazu, überholte Regelungen zu streichen. So wird es das im bisherigen Seearbeitsrecht vorgesehene Musterungsverfahren künftig nicht mehr geben. Das baut Bürokratie ab und entlastet alle Beteiligten finanziell um bis zu 2 Millionen Euro. Für die Arbeits- und Lebensbedingungen der Seeleute ist die Ratifikation des Seearbeitsübereinkommens von entscheidender Bedeutung. Die Verbesserungen können dazu beitragen, die Attraktivität seemännischer Berufe zu steigern. Für die deutschen Reeder ist die -Ratifikation von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Sie schafft die Garantie, dass im Bereich der -Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord von Kauffahrteischiffen ein weltweit fairer Wettbewerb besteht. Die Reeder aus anderen Staaten müssen die gleichen Anforderungen des Seearbeitsübereinkommens erfüllen. Daraus folgen faire, einheitliche Wettbewerbsbedingungen für alle Reeder. Im Rahmen der Umsetzungsgesetzgebung muss – wie bereits erwähnt – eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen angepasst und aktualisiert werden. In diesem Zusammenhang mussten viele Detailfragen geklärt werden. Dazu sind auch die Sozialpartner in der Seeschifffahrt in die Diskussion eingebunden worden. Dass wir heute mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung das Verfahren zur Ratifikation des Seearbeitsübereinkommens einleiten, halte ich in Anbetracht des umfassenden Regelungsgegenstandes und der Reichweite des Abkommens für einen beachtlichen Erfolg. Das ist auch ein -Erfolg des guten sozialen Dialogs in der Branche. Deutschland stärkt mit der Umsetzung des See-arbeitsübereinkommens die Arbeits- und Sozialrechte der Seeleute und schafft die Voraussetzungen für einen fairen Welthandel. Ich gehe insgesamt davon aus, dass wir hier eine hohe Akzeptanz im Interesse der betroffenen Seeleute und Reeder erreichen werden. Herbert Behrens (DIE LINKE): 1,2 Millionen Seeleute stehen weltweit unter dem Druck globalisierter Transportbedingungen und arbeiten unter zum Teil katastrophalen Arbeitsbedingungen, mangelnder sozialer Absicherung und Niedriglöhnen. Viele Reeder fahren unter Billigflagge und halten sich nicht an den Tarifvertrag der Internationalen Transportarbeiter-Föderation ITF. Sie zahlen ihnen mitunter kaum mehr als 500 US-Dollar pro Monat. Nach jahrelangen Verhandlungen war es der Inter-nationalen Arbeitsorganisation, ILO, gelungen, im Februar 2006 einstimmig ein weltweit gültiges einheit-liches Seearbeitsübereinkommen zu verabschieden. Doch leider konnte dieses Abkommen bis heute nicht in Kraft treten. Deutschland und andere Länder haben die Ratifizierung verschleppt. Steckt Vorsatz dahinter? Deutsche Reeder verfügen über eine der größten Handelsflotten der Welt. Aber nur auf jedem zehnten Schiff gelten auch die deutschen Rechtsvorschriften, denn nur 366 Handelsschiffe fahren unter deutscher Flagge. Die meisten Reeder umgehen die Vorschriften, indem sie unter einer Billigflagge fahren. Nach eigenen Angaben sparen sie pro Schiff zwischen einer Viertelmillion und einer halben Million Euro. Doch diese Blockadehaltung war nicht mehr aufrechtzuerhalten. Am 20. August diesen Jahres hatten 33 Schifffahrtsnationen das Abkommen ratifiziert, die zusammen über fast 60 Prozent der Tonnage der Welthandelsflotte verfügen. Damit kann das Abkommen nun auch ohne Zustimmung Deutschlands im nächsten Jahr in Kraft treten und würde auch gegen den erklärten Willen der Regierung bei uns gelten. Nachdem nun selbst die Reeder vor den negativen Auswirkungen warnten, da deutsche Schiffe zukünftig wesentlich intensiver in den Häfen kontrolliert würden als Schiffe von Staaten, die das Abkommen freiwillig umgesetzt haben, blieb der Koalition nichts anderes übrig, als ein eigenes Seearbeitsübereinkommen vorzulegen. Doch leider planen Sie, wichtige Details immer noch sehr zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umzusetzen, und fallen dabei zum Teil sogar hinter den Stand bereits existierender Regelungen zurück. Insbesondere ergibt sich eine Schlechterstellung bezüglich der §§ 3, 4 und 48 in Art. 1 des Gesetzentwurfs zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens 2006 der ILO. Wir erwarten, dass dies unverzüglich geändert wird. Wichtig ist, dass der Reeder auch weiterhin als Bürge für die Seeleute bestehen bleibt und die Einhaltung der Gesetze gewährleisten muss, selbst wenn er Teile seiner Aufgaben auf Dritte überträgt. Dies ist deshalb so in dem internationalen Abkommen vereinbart worden, weil es in der Schifffahrt immer wieder vorkommt, dass beispielsweise Seeleute von Bemannungsagenturen, BA, im Auftrag des Reeders an Bord geschickt werden, das Schiff von A nach B bringen und anschließend von denen kein Geld bekommen. In solch einem Fall haben die Seeleute dann das Recht, sich wegen der Heuerzahlung direkt an den Reeder zu wenden. Es gibt in der Schifffahrt eben auch Reeder, die sich um die Heuerzahlung an die Besatzung drücken. In einem solchen Fall haben die Seeleute international das Recht, in einem ausländischen Hafen sogenannte Schiffsgläubigerrechte geltend zu machen und notfalls das Schiff an die Kette legen zu lassen, bis die Heuerforderung erfüllt ist. Auch die Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten wurden gegenüber dem internationalen Abkommen verschlechtert. Da auf See ein normaler Achtstundentag nicht immer möglich ist, wurde eine maximale Höchstarbeitszeit an zwei aufeinanderfolgenden Tagen von -täglich 14 Stunden vereinbart. Wenn selbst dies in einer Extremsituation nicht ausreicht, können die Tarifvertragsparteien nach der Norm A 2.3 Abs. 13 unter Einhaltung der Vorgaben einen Tarifvertrag zur Verlängerung der maximalen Höchstarbeitszeiten vereinbaren. Hier wurde das Abkommen jedoch so übersetzt, dass bei uns jetzt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ohne Information der Sozialpartner die Höchstarbeitszeit nach dem Seemannsgesetz in § 48 in Art. 1 des Gesetzentwurfs pauschal für alle Schiffe verlängern könnte. Der neue Text in Abs. 2 bedeutet für Seeleute -beispielsweise auf einem großen Feederschiff eine Verlän-gerung der täglichen Höchstarbeitszeit von 10,3 Stun-den auf 13 Stunden bzw. eine Verlängerung der wöchentlichen maximalen Arbeitszeit von 72 auf 91 Stunden. Da viele Rechte von Seeleuten im Rahmen des Seearbeitsübereinkommens nicht direkt im Gesetz, sondern per Verordnungen geregelt werden können, fordern wir, diese in die parlamentarische Beratung einzubeziehen. Dies gilt insbesondere für die Schiffsbesetzungsverordnung. Die Linke fordert, dass die Regelungen zu Höchst-arbeitszeiten und Mindestruhezeiten umgehend korrigiert werden und die zulasten der Seeleute eingefügten gravierenden Abweichungen vom Abkommen behoben werden. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, wurde mittlerweile von über 30 Staaten ratifiziert, die zusammen mehr als 33 Prozent der Welthandelstonnage pro Jahr transportieren. Damit sind die Mindestvoraussetzungen erfüllt und das Übereinkommen kann im Sommer 2013 in Kraft treten. Es wird also Zeit, dass die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf auch in Deutschland die Bedingungen zur Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens schafft. Es geht schließlich darum, dass die circa 1,2 Millionen Seeleute weltweit bessere Arbeits- und -Lebensbedingungen erhalten. Die Seeleute, die Tag für Tag den Welthandel und die stark ausdifferenzierte -Arbeitsteilung aufrechterhalten, bekommen endlich die Wertschätzung, die sie verdienen. Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung. Aber eine Passage ist höchst problematisch. Die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben nur zum Teil gemacht. Gegenüber dem Referentenentwurf wurden einige Verbesserungen vorgenommen. Sie muss dennoch nacharbeiten und zumindest den zentralen Kritikpunkt bis zur zweiten Lesung beseitigen. Wir kritisieren insbesondere eine gravierende Verschlechterung zulasten der Seeleute, die die Bundes-regierung gegenüber dem ILO-Entwurf zum Seearbeitsübereinkommen vorgenommen hat. Dabei geht es um die Haftungsfrage des Reeders, falls dieser Personal über eine Bemannungsagentur einstellt und diese Seeleute nicht oder nicht wie vereinbart bezahlt. Nach dem ILO-Entwurf ist der Reeder für alle Forderungen der Seeleute uneingeschränkt haftbar. Die Bundesregierung hat die Haftungsfrage in dem Gesetzentwurf aber erheblich verkompliziert und zulasten der Seeleute abgeschwächt. Laut dem Gesetzentwurf tritt der Reeder nur noch als Bürge auf, wenn er Personal über eine Bemannungsagentur anstellt. Für deutsche Seeleute wird es schwer und für ausländische Seeleute dürfte es nahezu unmöglich sein, ihre Ansprüche gegenüber dem Reeder geltend zu machen. Daher fordern wir die Bundesregierung auf, die Haftung entsprechend dem ILO-Entwurf zu regeln und § 4 Abs. 2 des Seearbeitsgesetzes ersatzlos zu streichen. Die Seeleute haben ein Recht auf ein einfaches und faires Verfahren, in dem der Reeder, wie es die ILO verlangt, der Durchgriffshaftung unterliegt. Über den Gesetzentwurf hinaus erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie die Ausflaggung erschwert und dafür sorgt, dass wieder mehr Schiffe eingeflaggt werden. Derzeit hat Deutschland mit circa 3 000 Schiffen die weltweit größte Handelsflotte. Davon fahren aber nur 300 Schiffe unter deutscher Flagge. Die Einflaggung würde auch dazu beitragen, dass die Arbeitsbedingungen besser kontrolliert und damit verbessert werden können. Es ist dringend erforderlich, dass die Lebens- und -Arbeitsbedingungen auf den Schiffen verbessert werden, denn die Schiffe sind aus Kostengründen die meiste Zeit auf See. Die Seeleute sind auf angemessene Unterkünfte, Freizeiteinrichtungen und medizinische Betreuung angewiesen. Aufgrund der erheblichen Missstände und der Verschiedenheit der Arbeitsbedingungen ist es an der Zeit, dass weltweit geltende Arbeitsnormen, Beschäftigungsbedingungen und Mindestanforderungen an die Infrastruktur an Bord geschaffen und wirkungsvoll durchgesetzt werden. Deshalb sollte die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf nicht die Reeder schonen, sondern die Belange der Beschäftigten in den Mittelpunkt stellen. Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Ich freue mich, dass hier heute die erste Lesung des neuen Seearbeitsgesetzes und begleitender Gesetzesänderungen ansteht. Bereits der Titel des Gesamtvorhabens macht deutlich, dass unser Gesetzentwurf Teil eines umfassenden Prozesses ist. Umgesetzt werden soll das Seearbeitsübereinkommen 2006 der Internationalen -Arbeitsorganisation, ILO. Das Seearbeitsübereinkommen ist im Februar 2006 von den Vertretern der in der Internationalen Arbeitsorganisation versammelten Staaten ohne Gegenstimme verabschiedet worden. Nachdem die dafür erforderlichen Ratifikationen jetzt vorliegen, wird das Seearbeitsübereinkommen am 20. August 2013 in Kraft treten. Das Übereinkommen konsolidiert und aktualisiert das internationale Seearbeitsrecht. Regelungen aus 35 Übereinkommen und 30 Empfehlungen der ILO werden in eine einheitliche Urkunde überführt. Umfassend werden alle Aspekte der Arbeit und des Lebens an Bord von Handelsschiffen geregelt. Die Anforderungen beziehen sich auf die Begründung der Beschäftigungsverhältnisse, ein Mindestmaß an arbeitsrechtlichem und sozialem Schutz und auf die Durchsetzung dieser Standards. Abgebildet ist die ganze Breite des Arbeitens an Bord von Seeschiffen. Vorsorge wird getroffen hinsichtlich der Arbeitssicherheit, für eine ausreichende und angemessene Unterkunft und Verpflegung, aber auch für eine gute medizinische Versorgung und soziale Absicherung. Ich will einzelne Punkte hervorheben. Eine Neuerung ist der verpflichtend vorgegebene Abschluss eines ausführlichen schriftlichen Heuervertrags. Die detaillierten Anforderungen an den Vertragsinhalt stellen sicher, dass das Besatzungsmitglied jederzeit seine wesentlichen Rechte und Pflichten nachlesen kann. Ein Vertragsentwurf muss dem Besatzungsmitglied rechtzeitig vor -Vertragsschluss übermittelt werden. So werden für das Besatzungsmitglied verbesserte Prüf- und Beratungsmöglichkeiten sichergestellt. Ein weiterer Schwerpunkt von Übereinkommen und Gesetzentwurf sind die Regelungen zur Erfüllung und Durchsetzung der Mindestanforderungen zum Schutz der Seeleute. Hier sind zwei Stichworte wichtig: Flaggenstaatkontrolle und Hafenstaatkontrolle. Sie wissen, Handelsschiffe führen die Flagge eines bestimmten Staates. Dieser Staat ist völkerrechtlich für schiffsrechtliche Regelungen einschließlich arbeitsrechtlicher -Regelungen verantwortlich. Das Seearbeitsübereinkommen gestaltet diese Regelungspflicht inhaltlich aus. Zugleich verpflichtet es den Flaggenstaat dazu, die -Regelung effektiv auf den Schiffen unter seiner Flagge durchzusetzen. Hierzu wird der moderne Weg einer Zertifizierung beschritten. Ergebnis der Flaggenstaatkon-trolle ist, dass für das Schiff ein Seearbeitszeugnis -einschließlich einer Seearbeitskonformitätserklärung ausgestellt wird. Diese Dokumente sind eine Aufstellung der nach dem jeweils einschlägigen nationalen Recht an die Lebens- und Arbeitsbedingungen auf dem Schiff zu stellenden Anforderungen und der vom Reeder zu ihrer Erfüllung getroffenen Maßnahmen. Bestätigt wird, dass das Schiff den arbeitsrechtlichen Anforderungen genügt. Die Dokumente werden aktuell gehalten, indem in -bestimmten Intervallen Überprüfungen und nach fünf Jahren eine Neuausstellung vorgegeben werden. Der Gesetzentwurf überträgt diese Aufgaben für Schiffe unter deutscher Flagge der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft, die bereits eine Dienststelle Schiffssicherheit unterhält. Seearbeitszeugnis und Seearbeitskonformitätserklärung spielen eine wichtige Rolle für den zweiten Pfeiler der Durchsetzung des Seearbeitsübereinkommens, die Hafenstaatkontrolle. Das Seearbeitsübereinkommen verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, ausländische Schiffe in ihren Häfen auf die Einhaltung der Mindeststandards aus dem Übereinkommen zu überprüfen. -Dabei gilt die Kontrollpflicht gleichermaßen gegenüber Schiffen von Staaten, die dem Seearbeitsübereinkommen beigetreten sind, wie gegenüber Schiffen von Staaten, die dies nicht getan haben. Bei den Kontrollen in ausländischen Häfen können Schiffe auf die von ihren nationalen Behörden ausgestellten Seearbeitspapiere verweisen. Die Dokumente erbringen dort einen Anscheinsbeweis dafür, dass die Anforderungen aus dem Seearbeitsübereinkommen erfüllt sind. Hier wird deutlich, welche Bedeutung die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für Schiffe unter deutscher Flagge eingeführte Möglichkeit hat, das Seearbeitszeugnis ausgestellt zu erhalten. Schiffe unter deutscher Flagge werden dadurch gut und sicher durch Kontrollen in ausländischen Häfen kommen. Kostspielige Verzögerungen bei der Kontrolle, Verlängerungen der Hafenliegezeit oder sogar eine Festhaltung seitens des Hafenstaates werden vermieden. Meine Ausführungen habe ich bisher auf die das Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation bedingten Neuerungen konzentriert. Darüber will ich einen zweiten Schwerpunkt des Gesetzes nicht unerwähnt lassen. Dieses Gesetz modernisiert grundlegend das deutsche Seearbeitsrecht und bereitet es auf die Anforderungen der kommenden Jahrzehnte vor. Bisher ist die Materie im Wesentlichen durch das Seemannsgesetz aus dem Jahr 1957 geregelt. Seitdem haben sich aber die Verhältnisse verändert. Die Handelsschifffahrt ist sehr viel internationaler geworden. Der Anteil an ausländischen Seeleuten aus Unionsländern, aber auch aus Drittstaaten, ist stark angestiegen. Es ist deshalb nicht mehr zeitgemäß und entspricht nicht den Bestimmungen des Übereinkommens, wenn etwa bei der Erkrankung eines Besatzungsmitglieds die Zahlung des sogenannten Reederkrankengeldes nur dann vorgeschrieben ist, wenn das Besatzungsmitglied in Deutschland seinen Wohnsitz hat. Der zunehmend -internationalen Zusammensetzung der Besatzung widerspricht es auch, wenn bei der Gewährung von „Heimaturlaub“ als Urlaubsort ausschließlich auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes abgestellt wird. Bedeutende Modernisierungen sollen auch in anderen Bereichen geschaffen werden. So fehlt es bisher bei der Berufsausbildung an Bord von Seeschiffen an einer klaren, einheitlichen und den praktischen Erfordernissen entsprechenden gesetzlichen Grundlage. Die Praxis behilft sich hier mit einer Teilregelung in der Schiffs-mechaniker-Ausbildungsverordnung und einer analogen Anwendung von Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes. Mit dem Gesetz wird nun erstmals die Berufsausbildung für einen Beruf an Bord von Seeschiffen auf eine umfassende und angepasste gesetzliche Grundlage gestellt. Schließlich trägt das Gesetz zur Entbürokratisierung bei. Beispielsweise wird das Musterungsverfahren aufgegeben, das bisher vor der Einstellung von Besatzungsmitgliedern die Beteiligung der Seemannsämter er-fordert. Auch Seefahrtsbücher, wie sie bisher den Besatzungsmitgliedern von den Seemannsämtern ausgestellt werden, müssen nicht mehr geführt werden. Wirtschaftlich ist dies keine Kleinigkeit. Wir erwarten hier Entlastungen für die Betroffenen von circa 800 000 Euro allein an zu entrichtenden Gebühren. Ein letzter Aspekt. Mit der Energiewende einher geht der Ausbau von Windenergieanlagen auf See. In den deutschen Küstengewässern und der deutschen Außenwirtschaftszone sind viele solcher Anlagen in Bau oder in Planung. Dies wird zu stark ansteigenden Beschäftigtenzahlen in den genannten Seegebieten führen. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf leistet einen Beitrag zur rechtlichen Bewältigung dieser Entwicklung. Es wird klargestellt, dass das Arbeitszeitgesetz auch in der deutschen Außenwirtschaftszone gilt. Rechtsverordnungen werden vorbereitet, durch die an die besonderen -Verhältnisse der Offshoreindustrie angepasste Höchstarbeitszeiten geregelt werden sollen. Ich hoffe, ich habe Interesse und Verständnis für diesen wichtigen Gesetzentwurf fördern können. Schließen will ich mit einem Ausblick auf zukünftige Entwicklungen. Die Bundesregierung strebt die Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens an. Die Vorbereitung des hierzu noch erforderlichen förmlichen Ratifikationsgesetzes steht vor dem Abschluss. Bitte wundern Sie sich also nicht, wenn Sie bald erneut mit dem Seearbeitsübereinkommen befasst werden, dann unter dem -Gesichtspunkt der Ratifikation. Heute geht es um die Umsetzung der Anforderungen aus dem Seearbeitsübereinkommen. Hier möchte ich Sie um zügige und ziel-gerichtete Beratung bitten, damit wir den dargestellten Beitrag zu besseren Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord von Seeschiffen leisten können. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/10959 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich sehe keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 25 b. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9614, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9066 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Die Umsetzung der UN-Resolution 1325 mit einem Rechenschaftsmechanismus fördern – Drucksachen 17/8777, 17/10904 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Egon Jüttner Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Rainer Stinner Stefan Liebich Kerstin Müller (Köln) Auch hier nehmen wir, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, die Reden zu Protokoll. Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): Die UN-Resolution 1325 wurde am 31. Oktober 2000 vom UN-Sicherheitsrat einstimmig verabschiedet. Die CDU/CSU-Fraktion steht genauso wie die Bundesregierung voll hinter dieser Resolution. In ihr wird die gleichberechtigte Einbindung von Frauen in politische Prozesse und Institutionen, bei der Planung, bei der personellen Ausgestaltung von Friedensmissionen und bei der Verhandlung von Friedensabkommen gefordert. Es war Zeit, diese Resolution zu verabschieden und der Rolle von Frauen in Konfliktsituationen Rechnung zu tragen. Denn Zivilpersonen, und hier insbesondere Frauen und Kinder, stellen die weitaus größte Mehrheit der von bewaffneten Konflikten betroffenen Personen dar. Die dramatischen Bilder aus Syrien zeigen dies gerade auch in jüngster Zeit wieder deutlich: Frauen und Kinder machen nicht nur den Hauptanteil an Flüchtlingen und Binnenvertriebenen aus, sie werden auch in zunehmendem Maße von Kriegsparteien oder terroristischen Akteuren gezielt angegriffen. So galten bis 2010 circa 27,5 Millionen Menschen als binnenvertrieben. Als Opfer von Verfolgung und Krieg haben sie meist weder rechtlichen noch physischen Schutz. Der für sie zuständige Staat gewährleistet ihnen oft keinen Schutz. Sie müssen ihre Häuser verlassen und sind häufig Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, bevor sie ihren Wohnort verlassen oder verlassen müssen. Und als Flüchtlinge haben viele aus Furcht vor Verfolgung im eigenen Land ihre Heimat verlassen, weil sie einer bestimmten Ethnie angehören, eine andere Religion als die Mehrheit ausüben oder eine andere politische Überzeugung vertreten. Teilweise werden sie verfolgt, misshandelt oder gefoltert. Und gerade Frauen und Mädchen sind verstärkt Opfer von Vergewaltigung. Den Schutz ihres Landes können sie nicht in Anspruch nehmen und verlassen es deshalb. Während auf der einen Seite Frauen von Kriegen, Bürgerkriegen und sonstigen bewaffneten Auseinandersetzungen überdurchschnittlich stark betroffen sind, wird ihre Rolle bei der Verhütung und Beilegung von Konflikten und bei der Friedenskonsolidierung nicht ausreichend gewürdigt. Es ist auch nicht sichergestellt, dass Frauen an allen Anstrengungen zur Wahrung und Förderung von Frieden und Sicherheit gleichberechtigt und in vollem Umfang teilhaben. Die Resolution 1325 vom Oktober 2000 führt nun aber dazu, dass die Rolle von Frauen an den Entscheidungen im Hinblick auf die Verhütung und Beilegung von Konflikten ausgebaut wird. Sie garantiert, dass in allen Bereichen von Friedenssicherungseinsätzen eine Geschlechterperspektive integriert wird. Die Resolution regt an, die Zahl der Frauen in Entscheidungsfunktionen, bei Feldmissionen der Vereinten Nationen, bei den Militärbeobachtern, der Zivilpolizei sowie beim Menschenrechtspersonal und beim humanitären Personal auszuweiten. Sie empfiehlt, das gesamte Friedenssicherungspersonal im Hinblick auf den Schutz, die besonderen Bedürfnisse und die Menschenrechte von Frauen und Kindern in Konfliktsituationen speziell auszubilden und das Datenmaterial zu den Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf Frauen und Mädchen zu konsolidieren. Dies sind wichtige und richtige Schritte, die die volle Unterstützung der Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion haben. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Resolution nicht Halt macht bei der Rolle von Frauen und Mädchen im Konfliktfall, sondern auch dazu auffordert, deren besonderen Bedürfnisse bei der Normalisierung, der Wiedereingliederung und beim Wiederaufbau nach Konflikten Rechnung zu tragen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Aufforderung, mehr Frauen zu Sonderbeauftragten und Sonderbotschafterinnen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zu benennen. Wir hoffen, dass in dieser Hinsicht möglichst viele Mitgliedstaaten dieser Aufforderung nachkommen und dem Generalsekretär geeignete Kandidatinnen vorschlagen. Wir halten dies für einen äußerst wichtigen und wirksamen und vor allem symbolträchtigen Schritt. Ich weise in diesem Zusammenhang auf so herausragende Persönlichkeiten hin wie Hina Jilani, die UN-Sonderbeauftragte für Menschenrechtsverteidiger, oder die UN-Sonderbotschafterin gegen Beschneidung, Waris Dirie, die zudem seit Juli 2010 auch noch Friedensbotschafterin der Afrikanischen Union ist. Hina Jilani, eine 1953 in Pakistan geborene Anwältin und Menschenrechtsaktivistin, gründete 1980 gemeinsam mit ihrer Schwester Asma Pakistans erste Anwaltskanzlei für Frauenrechte und ist Mitbegründerin der Kommission für Menschenrechte in Pakistan. Kofi -Annan berief sie einst zur Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für die Lage von Menschenrechten. Waris Dirie, ein 1965 geborenes österreichisches Model somalischer Herkunft, Bestsellerautorin und Menschenrechtsaktivistin, machte sich im Kampf gegen die Beschneidung von Frauen und Mädchen einen Namen. Sie entstammt einer Nomadenfamilie. Als sie im Alter von 13 Jahren an einen alten Mann verheiratet werden sollte, floh sie durch die Wüste nach Mogadischu. In ihrem Buch „Wüstenblume“ berichtete sie über ihre Beschneidung und löste damit ein weltweites Medienecho aus. Wir unterstützen die in der Resolution 1325 gemachte Anregung, in den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen Leitlinien für die Aus- und Fortbildung sowie Material über den Schutz, die Rechte und die besonderen Bedürfnisse von Frauen sowie über die Wichtigkeit der Beteiligung von Frauen an allen Friedenssicherungs- und Friedenskonsolidierungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Dies ist eine wichtige präventive Maßnahme, die hoffentlich dazu führt, die Sensibilität für die Situation von Frauen in Konfliktsituationen, für ihre spezifischen Probleme und Herausforderungen zu schärfen. Man kann nur hoffen, dass sich daraus ein positiver Nebeneffekt ergibt und die angedachten Maßnahmen eine Strahlkraft auf die gesamte Gesellschaft haben und sich durch sie positive Auswirkungen auf den gesamtgesellschaftlichen Umgang mit Frauen und ihre gesellschaftliche Rolle ergeben. Die Resolution bringt mit der Forderung, Maßnahmen zur Gewährleistung des Schutzes und der Achtung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen, insbesondere im Zusammenhang mit der Verfassung, dem Wahlsystem, der Polizei und der rechtsprechenden Gewalt des jeweils betroffenen Landes zu ergreifen, eine Kernforderung deutscher Außen- und Menschenrechtspolitik zum Ausdruck, die ausdrücklich die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion findet. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Menschen, die sich mit dem Thema Frauen in Konfliktsituationen beschäftigen, die Wirksamkeit der in der Resolution 1325 angeregten Maßnahmen möglicherweise mit einer gewissen Skepsis betrachten und bezweifeln, dass in den Konfliktherden dieser Welt auf die Stimme von Frauen gehört und auf ihre Rechte eingegangen wird. Vor dieser Einstellung kann ich nur warnen. Ich teile sie nicht, denn sie entspricht meines Erachtens nicht den Realitäten. In einer Reihe von Ländern, in denen es große soziale Spannungen, ethnische Konflikte oder kriegerische Auseinandersetzungen gegeben hat oder noch gibt, konnten Frauen beachtlichen Einfluss erlangen und haben es sogar an die Spitze von Staat und Regierung geschafft. Ich denke hier an Indira Gandhi in Indien, an die Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson-Sirleaf in Liberia, an Benazir Bhutto in Pakistan oder an Chandrika Kumaratunga in Sri Lanka, um nur einige Beispiele zu nennen. Indira Gandhi ist ein Beweis für die Fähigkeit von Frauen zur politischen Gestaltung. Ellen Johnson-Sirleaf, die erste weibliche Präsidentin Afrikas, regiert das vom Bürgerkrieg ruinierte Liberia. Sie erhielt den Friedensnobelpreis. Mit Benazir Buttho stand zum ersten Mal eine Frau an der Spitze eines modernen islamischen Staates. Chandrika Kumaratunga, von 1994 bis 2005 Präsidentin Sri Lankas, schlug während ihrer Regierungszeit -einen verbindlichen Kurs ein gegenüber den Separatisten, um den Bürgerkrieg im Land zu beenden. Sicherlich teilt nicht jeder die Positionen dieser oder anderer Frauen an der Spitze von Staat, Regierung oder internationaler Organisation, aber allein die Tatsache, dass eine Frau in diesen häufig männlich geprägten Gesellschaften mit am Verhandlungstisch sitzt, ist ein Fortschritt und sollte anderen Frauen Mut machen, sich zu engagieren und einzumischen. Deutschland hat von Beginn an zu den Unterstützern der Resolution 1325 gehört. Ausdruck unseres Bekenntnisses zu deren Inhalten ist Deutschlands Teilnahme an der auf VN-Ebene von Kanada im Jahre 2001 initiierten „Freundesgruppe der Resolution 1325“. Die nationale Umsetzung erfolgt durch die jeweils beteiligten Ressorts, in deren Zusammenhang die Ressortarbeitsgruppe „1325“ eingerichtet wurde. Seit 2004 berichtet die Bundesregierung dem Bundestag über die Umsetzung der Resolution 1325. Die Europäische Union wendet die Resolution im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik an. Die Frage ist nun, ob es darüber hinaus noch eines weiteren nationalen Aktionsplans bedarf, der die Umsetzung der Resolution garantiert. In ihrem Antrag fordert die SPD einen Evaluations- und Rechenschaftsmechanismus, wie es ihn in der Resolution 1612 zu Kindern in bewaffneten Konflikten gibt. Bei der Rekrutierung von Kindersoldaten, deren gezielter Tötung, Verstümmelung, Vergewaltigung, Entführung und der Verneinung humanitären Zugangs sowie bei Angriffen auf Schulen und Krankenhäuser handelt es sich um die Verletzung von humanitärem Völkerrecht. Entsprechend kann dies auch mit Sanktionen belegt werden. Die Resolution 1325 behandelt aber, grob dargestellt, vier Aspekte: Prävention von Gewalt, angemessene Reaktion auf Gewalt, Entschädigung und Partizipation von Frauen in allen Phasen von Friedensprozessen. Geahndet werden kann jedoch nur die Partizipation von Frauen in allen Phasen von Friedensprozessen. Ein nationaler Aktionsplan ist nach unserer Auffassung jedoch nicht erforderlich. Für Frauen nämlich gibt es schon einen der Resolution 1612 vergleichbaren Mechanismus, und zwar in Form der im Jahre 2000 verabschiedeten Resolution 1960 bei sexueller Gewalt gegen Frauen. Ein nationaler Aktionsplan würde somit gegenüber dem bestehenden deutschen Engagement für die Umsetzung der Resolution 1325 keinen entscheidenden Mehrwert bedeuten. Aus diesem Grund stimmen wir dem Antrag nicht zu. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Mit der Verabschiedung der Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ und der Folgeresolutionen 1820, 1888 und 1889 trägt der Sicherheitsrat dem Tatbestand Rechnung, dass Frauen und Kinder in kriegerischen Konflikten systematisch Opfer von Gewalt werden, Frauen aber auch eine besondere Rolle als Akteurinnen in der Friedenspolitik einnehmen. In der Resolution wird dazu aufgefordert, dass Kriegsparteien die Rechte von Frauen schützen, Frauen bei der Verwirklichung von Frieden und Sicherheit auf allen Ebenen verstärkt einbezogen und eine Gender-Perspektive verankert wird. Mehr als zehn Jahre nach Verabschiedung der Resolution 1325 sind die Fakten immer noch ernüchternd: 30 Prozent des internationalen Personals in Peacekeeping-Missionen sind weiblich, davon aber nur 1,9 Prozent des militärischen Personals und 7,3 Prozent der Polizeikräfte. Blickt man auf die Führungsebene, finden sich noch weniger Frauen und auch ihre weltweite Beteiligung an Friedensverhandlungen ist mit 4 Prozent vernichtend gering. Daher greifen wir als SPD-Bundestagsfraktion mit dem vorliegenden Antrag den Vorschlag von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon aus dem Jahre 2009 auf, einen Evaluations- und Rechenschaftsmechanismus für die Resolution 1325 einzurichten. Die Motivation für einen solchen Mechanismus resultiert aus den Erfahrungen mit der Resolution 1612 zu Kindern in bewaffneten Konflikten. Mittels eines „Monitoring and Reporting“-Mechanismus werden systematisch verlässliche Informationen zu Kindern in bewaffneten Konflikten gesammelt. Verletzungshandlungen wie die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern als Soldaten werden dabei besonders berücksichtigt. Durch das systematische Sammeln, Vergleichen und Publikmachen von Informationen kann Transparenz hergestellt und der Druck auf Nationalstaaten erhöht werden, die Resolution des Sicherheitsrats entsprechend umzusetzen. Besonders wirksam hat sich dabei das Instrument des „Naming and Shaming“ in den Berichten des Generalsekretärs erwiesen: Es werden jene Staaten in den Berichten aufgelistet, die die Resolution 1612 nicht -adäquat umsetzen. Im Jahr 2010 befanden sich 57 Gruppierungen in 22 Ländern auf einer solchen Liste der Schande. In letzter Konsequenz kann der Sicherheitsrat Sanktionen gegen einen Staat beschließen. Wir sind überzeugt, dass die Einführung eines Eva-luations- und Rechenschaftsmechanismus vergleichbar dem der Resolution 1612 zu Kindern in bewaffneten Konflikten, der Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit ein besseres Umsetzungsergebnis verschaffen würde. Ban Ki-moon hatte bereits 2005 gefordert, dass Staaten nationale Aktionspläne zur Umsetzung der Resolution 1325 vorlegen sollen. Jedoch sind bislang von den 25 Ländern, die die Resolution ratifiziert haben, nur 15 dieser Aufforderung nachgekommen. Auch die Bundesregierung hat bislang nichts unternommen, einen solchen Aktionsplan vorzulegen. Das ist besonders bitter, wenn man bedenkt, dass sie seit Anfang 2011 als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat vertreten ist und so ihren Einfluss geltend machen könnte. Sie darf sich da auch nicht hinter der EU verstecken, indem sie sich darauf beruft, dass dort die Defizite bei der Umsetzung der Resolution ursächlich zu suchen sind. Vielleicht ist es Ihnen entfallen, aber auch die EU hatte die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, Aktionspläne vorzulegen. Nach der ersten Beratung unseres Antrages im Deutschen Bundestag hatten wir uns darum bemüht, mit den Parteien der Regierungskoalition einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Danach entstand auch der Eindruck, dass es keine generellen Vorbehalte gegen einen solchen Mechanismus gibt. Wie wir feststellen mussten, scheut sich die Regierungskoalition jedoch, mehr Verbindlichkeit und Nachprüfbarkeit in der Frage Förderung und Gleichberechtigung von Frauen bei Friedenssicherung und Wiederaufbau einzugehen. Das spiegelt in etwa auch das Regierungsgebaren im eigenen Land wider. Der Widerstand gegen eine gesetzliche Quote für Frauen in Aufsichtsräten ist ein Hemmschuh auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Einer der Haupteinwände der CDU/CSU- und FDP-Vertreter gegen unseren Antrag ist, in Deutschland gebe es keinen Handlungsbedarf in unserem Sinne. Unser Einwand dagegen ist: Ein solcher Evaluierungsmechanismus wäre gerade unschätzbar für die Menschen in den Ländern, in denen Frauen besonders häufig Opfer von Gewalt werden und in denen sie durch einen Berichtsmechanismus gegenüber dem UN-Sicherheitsrat solidarischen Schutz erhalten würden. Es ist zutiefst bedauerlich, dass die Parteien CDU/CSU und FDP diesen solidarischen Schutz verweigern. Trotz allem: Der Handlungsbedarf, die Vorgaben der Resolution 1325 umzusetzen, besteht unverändert fort. Wir sollten alle gemeinsam dazu beitragen, dass die Situation von Frauen in bewaffneten Konflikten, bei der Herstellung und Sicherung von Frieden und beim Wiederaufbau verbessert wird. Besonders möchte ich daher den Nichtregierungsorganisationen danken. Sie setzen sich unermüdlich für eine bessere Berücksichtigung der Resolution 1325 und einen nationalen Aktionsplan ein. Ihnen gebührt unser ganz besonderer Dank. Gemeinsam mit ihnen werde ich mich mit der SPD-Bundestagsfraktion auch weiterhin im Sinne der Resolution 1325 und der Folgeresolutionen engagieren. Bijan Djir-Sarai (FDP): „Wenn wir über die Schaffung von Frieden sprechen – was nach wie vor eine der wichtigsten Aufgaben für uns im Bereich der internationalen Sicherheit ist –, wissen wir, dass etwas fehlt. Und das sind Frauen.“ Diese wahren Worte stammen von Hillary Clinton. Sie hat recht: Der internationalen Sicherheit kann man gar keine größere Bedeutung zusprechen. Die Zahl der Frauen aber, die in Friedens- oder Verhandlungs-prozesse eingebunden sind und dort eine führende Rolle übernehmen, liegt leider nicht in einem zufriedenstellenden Bereich, noch nicht. Bei der Analyse aller Handlungen, die in Deutschland für die Gleichberechtigung bereits veranlasst wurden, stellt sich dem Betrachter nicht mehr die Frage, ob Frauen in Deutschland unterstützt werden. Die Frage, die sich stellt, ist, ob Deutschland zusätzlich einen nationalen Aktionsplan benötigt. Einen solchen nationalen Aktionsplan erarbeitet die Bundesregierung bereits. Dies ist nicht zuletzt auf die stetig -zunehmende Zahl von Staaten mit einem solchen Plan zurückzuführen. Die Erwartungen seitens einiger unserer Partner werden immer nachdrücklicher. So zum Beispiel in der Ratsarbeitsgruppe Vereinte Nationen. Aber auch die NATO und einige NATO-Partner haben eine entsprechende Erwartung zuletzt deutlich vorgetragen. Wir beobachten zufrieden, dass sich der Umgang der Staaten mit der Resolution 1325 allmählich von allgemein-politischer Unterstützung zu operativer Umsetzung wandelt. Selbst die USA, die wir als Skeptiker der Vereinten Nationen kennen, erstellen nun einen nationalen Aktionsplan. Diese Entscheidung ist daher für uns ein Ereignis mit Referenzwert. Deutschland steht den Vereinten Nationen sehr aufgeschlossen gegenüber. -Daher hat die Bundesregierung nicht gezögert, nun ebenfalls mit einem nationalen Aktionsplan zu beginnen. Somit ist die Kernforderung Nr. 2 des hier diskutierten Antrags bereits erfüllt und wird dementsprechend unnötig. Ich persönlich bin der Meinung, dieser deutsche -Aktionsplan muss jetzt richtig gut werden, um zu zeigen, dass Deutschland ihn braucht. Denn in Deutschland gibt es bereits zwei Aktionspläne. Deren Wirkungen sollten nicht unterschätzt werden. Noch 2007 nannte die damalige rot-grüne Regierung den Aktionsplan „Zivile -Krisenprävention“ mit integriertem Genderansatz als bestes Beispiel für Deutschlands Vorreiterrolle in der -zivilen Konfliktprävention. Dass dieser Aktionsplan nicht mehr reicht, seitdem Sie in der Opposition sind, empfinde ich als scheinheilig. Das Feministische Institut der Heinrich-Böll-Stiftung, lässt mit der Kritik, die vom Auswärtigen Amt -benannten Pläne und Projekte hätten gar nichts mit der UN-Resolution 1325 zu tun, erkennen, worum es in -dieser Debatte tatsächlich geht. Es geht nicht darum, besonders aktiv und effektiv für die Förderung der Frauen einzutreten und diese in jeglichen Friedensprozessen zahlreicher in Erscheinung treten zu lassen. Es geht einzig und allein um das Verfassen eines Plans. Wie würde ein solcher Plan überhaupt aussehen? Nach Berechnung durch die Vereinigung „Bündnis 1325“ wird ein Etat von 200 Millionen Euro benötigt. Bei einer so schwerwiegenden finanziellen Belastung ist es meiner Meinung nach notwendig, sich vorher zu -fragen, wie effektiv ein solcher Plan ist und wie gut dieses Geld Frauen hilft. Schauen wir uns die schon bestehenden Aktionspläne an, den bosnischen Plan beispielsweise, der vom Frauensicherheitsrat für seine Gender- Equality-Gesetze gelobt wird. Liest der Betrachter ein bisschen weiter, findet er die Aufforderung des Frauensicherheitsrats, diese tollen Gesetze doch auch bitte umzusetzen, was tatsächlich immer noch nicht der Fall ist. Oder ist der Aktionsplan Großbritanniens effektiver? Er besticht, so das Heinrich-Böll-Institut, durch „schwammige Formulierungen“. Weiter erklärt das -Institut: „An einigen Stellen bleibt der Sinn der stichwortartigen Aneinanderreihungen von Punkten verborgen.“ Noch viel fragwürdiger wird der Aktionsplan -dadurch, dass er gar keine Mechanismen zur Evaluation vorsieht. Einen solchen Aktionsplan wollen sie also erstellen? Für 200 Millionen Euro? Oder habe ich mir vielleicht einfach die falschen Aktionspläne angeschaut? Einige Kolleginnen und Kollegen aus der Linkspartei erklärten in der letzten Wahlperiode noch, man sollte einen Aktionsplan wie in den skandinavischen Ländern verfassen. Das ist insofern sehr interessant, da auch der dänische Aktionsplan bereits gründlich durchleuchtet wurde. Nach Untersuchungen besteht der Plan größtenteils aus Ankündigungen. Bereits bestehende Projekte sollen weiter verfolgt werden. Kompetenzen werden nicht verteilt, sodass gar nicht klar ist, wer den Plan wie umsetzen soll. Der schwedische Aktionsplan steht dem dänischen in keiner Weise nach. Zudem ist er zeitlich begrenzt. Auch der Punkt der Finanzierung bleibt gänzlich unerwähnt. Zusammenfassend lässt sich sagen: Der hier gestellten Forderung nach einem Aktionsplan geht das -Auswärtige Amt bereits nach. Ich möchte mich aber in aller Entschiedenheit dafür aussprechen, dass ein solcher Plan nicht – wie von der Opposition gewünscht – nur nach der Öffentlichkeitswirksamkeit gestaltet wird. Die Effektivität des Plans muss im Mittelpunkt stehen. Ich habe hier grundsätzlich das Gefühl, dass der Antragsteller die Aktionen und Vorgehensweisen der Bundesregierung nicht ausreichend verfolgt. Ansonsten wäre Folgendes aufgefallen: Die erste Forderung nach verstärkter Wahrnehmung der Schlüsselrolle von Frauen in Konflikten und nach Unterstützung der -Vereinten Nationen bei der Umsetzung der Resolution 1325 ist hinfällig. Ihr wird schon seit vielen Jahren nachgegangen. Die Bundesregierung berücksichtigt die besondere Rolle von Frauen in Fragen der Sicherheitspolitik bereits. Genauso verhält es sich mit einem nationalen Aktionsplan. Bezüglich der Forderung nach der Einbringung eines Resolutionsentwurfs im UN-Sicherheitsrat, der einen Rechenschaftsmechanismus fordern soll, erwarte ich ein bisschen mehr außenpolitisches Feingefühl. So etwas würden wir zunächst mit unseren internationalen Partnern abstimmen. Daher lehnt die FDP den hier vorliegenden Antrag ab. Stefan Liebich (DIE LINKE): Es ist erfreulich, dass die Bundesregierung nächste Woche endlich den von den Oppositionsfraktionen in insgesamt fünf Anträgen in dieser Legislatur geforderten nationalen Aktionsplan zur UN-Resolution 1325, präsentieren wird. Wir freuen uns, weil dieser Nationale Aktionsplan längst überfällig gewesen ist. Vor zwölf Jahren wurde die UN-Resolution 1325 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedet. Seitdem hat sich die Bundesregierung im Gegensatz zu vielen anderen europäischen und außereuropäischen Staaten vor allem dagegen gewehrt, den in der Resolution geforderten Aktionsplan zu verabschieden. Diesen braucht es aber, wenn man bei den zahlreichen außen- und entwicklungspolitischen Aktivitäten Deutschlands endlich für mehr Geschlechtergerechtigkeit sorgen möchte. Als ich im Sommer dieses Jahres in Washington mit der Direktorin der Organisation Women In International Security, -Jolynn Shoemaker, darüber sprach, war die Enttäuschung über die deutsche Zögerlichkeit sehr groß. Aber besser spät als nie: Die Regierung folgt nun endlich den Vorschlägen der Opposition. Aber wir sind auch befremdet, weil nun doch ganz plötzlich ein Aktionsplan aus der Taufe gehoben wird, aber so ganz anders, als sich das die zahlreichen Institutionen der Zivilgesellschaft, die sich seit Jahren für die Umsetzung von 1325 einsetzen, fordern. Denn er wird heimlich erstellt, ohne ihre Einbeziehung, ohne ihre Expertise und Erfahrung. Und wir sind befremdet, weil wir seit Wochen im Parlament den Haushalt diskutieren und in keinem der Einzelpläne ein noch so kleines Budget für 1325 zu finden ist. Wie soll etwas stattfinden, wenn es nicht auch auf finanzielle Füße gestellt wird? Und wir, insbesondere als Linke, sind besorgt, besorgt, weil wir fürchten, dass der Inhalt dieses Aktionsplans wohl eher nicht dem entspricht, was wir uns im Umgang mit der Resolution 1325 wünschen. Wir möchten, dass die UN-Resolution als ein völkerrechtlich legitimiertes Instrument genutzt wird, um Frieden zu schaffen, um Konflikte zu vermeiden und Frauen und Mädchen zu schützen. Dieses Schützen, so glauben wir, kann und darf nicht militärisch passieren. Die Resolution 1325 bietet leider das Potenzial missbraucht zu werden für etwas, das unserem Ziel von einer friedlicheren Welt, in der Konflikte nicht mehr durch Kriege gelöst werden, entgegensteht, indem die schlechte Situation von Frauen genutzt wird, um Kriege zu legitimieren. Das haben wir jetzt schon mehrmals gehabt, mit schrecklichem Ausgang: In wohl kaum einer Region der Welt geht es Frauen so schlecht wie in -Afghanistan, dem Land, in das die meisten Hilfsleistungen weltweit fließen und wo die Bundeswehr seit fast zwölf Jahren Krieg führt. Afghanistan hat gezeigt, dass das Projekt zivil-militärischer Zusammenarbeit gescheitert ist. Aber auch die Folgen der Austeritätsprogramme treffen Frauen besonders. Es gibt Berichte aus Griechenland, dass Frauen Krankenhäuser mit 1 000 Euro bestechen müssen, um dort ihr Kind zur Welt bringen zu dürfen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns auch mit den wichtigen Frauenorganisationen, die zu 1325 arbeiten, zusammensetzen und sehen, wie ein nationaler Aktionsplan aussehen kann. Wie echtes Engagement für ein Ziel, das wir, glaube ich, hier im Kern ja alle teilen, mehr Geschlechtergerechtigkeit hier, in Europa, in der ganzen Welt, -gestaltet werden muss. Der hier vorliegende Antrag der SPD leistet zu dieser Diskussion durchaus einen Beitrag. Klar ist ein Rechenschaftsmechanismus wichtig. Wir werden uns bei der Abstimmung aber enthalten, weil wir doch finden, dass man in einem Parlamentsantrag weitergehen muss und dass wir mit unserem gemeinsamen rot-rot-grünen -Antrag zur Forderung eines nationalen Aktionsplans zu 1325 auch schon mal weiter waren. Und es kann auch nicht verschwiegen werden, dass wir Oppositionsfraktionen unterschiedliche Vorstellungen von dem haben, wie 1325 umgesetzt werden soll. Für uns ist die Resolution kein Instrument, dafür zu sorgen, dass mehr Frauen als Soldatinnen in Kriege ziehen. Wir wollen es stattdessen als ein Instrument, das mit den drei P – Partizipation, Prävention und Protektion – Frieden möglich macht. Dennoch sind wir uns über die -Notwendigkeit eines nationalen Aktionsplans in der -Opposition einig. Und nun endlich folgt die Regierung dem auch. Wichtiger jedoch als jeder Aktionsplan dieser Welt ist politischer Wille. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie jetzt endlich Frauen mit an die Tische bei Friedensverhandlungen holt und Sicherheit für Menschen beiden Geschlechts in all den vielen Kriegs- und Krisenregionen dieser Welt schafft. Soziale Sicherheit und Sicherheit vor Krieg und Zerstörung, nur dann kann auch ein Aktionsplan für die 1325 etwas nutzen. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Malala Yousufzai hat einen hohen Preis für ihren Mut gezahlt – religiöse Fanatiker in Pakistan schossen Anfang Oktober auf die 14-Jährige auf ihrem Weg zur Schule. Offen und mutig war sie seit Jahren im konfliktträchtigen Swat-Tal für das Recht von Mädchen auf Schulbildung eingetreten; jetzt liegt sie schwerverletzt im Krankenhaus. Erneut wurde ihr durch die Taliban der Tod angedroht. Ich schicke ihr von hier aus unsere Solidarität und die besten Genesungswünsche. Malalas Schicksal ist ein Beispiel von vielen dafür, welchen Gefahren Mädchen und Frauen in Kriegs- und Konfliktgebieten ausgesetzt sind. Diese Einsicht führte im Jahr 2000 mit dazu, dass die UN-Resolution 1325 unterzeichnet wurde, um die Schlüsselrolle von Frauen bei gewalttätigen Konflikten und beim Friedensaufbau zu unterstützen. Das war wichtig. Aber hat sich danach viel bewegt? Die Mitgliedstaaten waren aufgefordert, einen Aktionsplan vorzulegen – Rot-Rot-Grün legten 2011 einen Antrag dazu vor, der abgelehnt wurde. Dem SPD-Antrag mit dem Versuch, einen Rechenschaftsmechanismus zu implementieren, droht jetzt ein ähnliches Schicksal durch die Koalition von CDU/CSU und FDP. Was meinte unser Kollege Jürgen Klimke bei der ersten Beratung am 10. Mai so schön? Dass doch die Kollegen von SPD und Grünen – Zitat – „aus lauter Profilierungssucht in UN-Fragen wieder einmal über das Ziel hinausgeschossen“ seien! Weder sei eine Rechenschaftspflicht durch die Staaten notwendig noch ein Aktionsplan, weil diese – Zitat – „bis auf das politische Zeichen keinen entscheidenden Mehrwert erzeugen“ würden. Mit Verlaub, lieber Jürgen Klimke, da haben Sie sich ganz schön vergaloppiert! Denn wenn ich mich nicht täusche, dann arbeitet man jetzt gerade daran, einen solchen Aktionsplan auf den Weg zu bringen. Wenn das stimmt, dann müsste die schwarz-gelbe Koalition hier und heute ihre Zustimmung zu diesem Antrag geben und vor allem sich bei der Opposition dafür bedanken, dass diese so hartnäckig das Thema Aktionsplan und Rechenschaftsmechanismus für die Resolution 1325 vo-rantreibt. Wir Grünen finden es ausgesprochen wichtig, dass auf der UN-Ebene mehr für Frauen getan wird. Auch deshalb hatten wir diese Woche im Entwicklungsausschuss bei den Haushaltsberatungen für UN-Women 14 Millionen Euro mehr gefordert, was CDU und FDP abgelehnt haben. Die Gründe unseres Engagements für einen Aktionsplan führe ich Ihnen gerne noch mal auf – denn die ungeheuerliche Gewalt, die vor allem Frauen und Mädchen in Konflikten erleben, muss viel intensiver als bisher bekämpft werden. Frauen sind konfrontiert mit Ausbeutung, Unterdrückung, sexueller Kriegsgewalt bis hin zu Massen- und Mehrfachvergewaltigungen, sexueller Sklaverei und Zwangsprostitution. Vor diesem Hintergrund ist es unfassbar, dass Frauen in Friedensverhandlungen kaum gehört und nicht eingebunden werden. Für Frauen gehen die Probleme im Post-Konflikt-Kontext weiter: Gewalt und Traumatisierungen, vermehrte häusliche und öffentliche Gewalt sind an der Tagesordnung. Schon daran merkt man, dass der Weg zum Frieden nur über die Unterstützung der Frauen und die Befriedung ihrer Situation führen kann. Sonst bleibt es bei den Ursachen, die leicht zu erneutem Ausbruch von gewalttätigen Konflikten führen können. Mit der Resolution 1325 wurden zentrale Forderungen der Geschlechtergerechtigkeit völkerrechtlich verbindlich verankert. Die drei Schlagworte dafür heißen: Prävention, Partizipation, Protektion. Dies war der Auftakt für die Verankerung von Gender-Aspekten in Friedensprozessen. Auf der Resolution 1325 aufbauend sind weitere Resolutionen verabschiedet worden, zum Beispiel 2008 die UN-Resolution 1820 – sexuelle Gewalt als Kriegsverbrechen und Gefahr für Frieden und -Sicherheit – oder 2009 die UN-Resolution 1888 – Präzisierung bisheriger Forderungen, Sonderbericht-erstatter und Sanktionsmöglichkeiten – sowie die UN-Resolution 1889: Rolle von Frauen in friedensstabilisierenden Maßnahmen in Post-Konflikt-Situationen aus dem Jahre 2009. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der schwarz-gelben Koalition, wollen Sie weiterhin dafür sorgen, dass diese wichtige Rolle der Resolution 1325 durch deutsche Drückebergerei vor einem Aktionsplan abgeschwächt wird? Besser wäre es, Sie stimmten heute zu und unterstützten das Anliegen; denn wenn der Aktionsplan jetzt doch käme, dann hätten Sie sich eine Verteidigung Ihrer lahmen Argumentation sparen können. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10904, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8777 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) – zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen, zur Änderung der Verordnung zur Begrenzung der Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen beim Umfüllen oder Lagern von Ottokraftstoffen, Kraftstoffgemischen oder Rohbenzin sowie zur Änderung der Verordnung zur Begrenzung der Kohlenwasserstoffemissionen bei der Betankung von Kraftfahrzeugen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Gerd Bollmann, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Schadstoffbelastung durch Abfallmitverbrennung senken – Gleiche Bedingungen für Müllverbrennung und Abfallmitverbrennung – Drucksachen 17/10605, 17/10707 Nr. 2.3, 17/9555, 17/11060 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Paul Ute Vogt Dr. Lutz Knopek Ralph Lenkert Dorothea Steiner Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat in seiner Beschlussempfehlung den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9555 mit dem Titel „Schadstoffbelastung durch Abfallmitverbrennung senken – Gleiche Bedingungen für Müllverbrennung und Abfallmitverbrennung“ mit einbezogen. Über diese Vorlage soll jetzt abschließend beraten werden. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Dr. Michael Paul (CDU/CSU): Die Umsetzung der Richtlinie für Industrieemissionen (IE-RL oder auch IED, Industrial Emissions Directive) in deutsches Recht ist eines der umfangreichsten Gesetzgebungsvorhaben im Umweltrecht in dieser -Legislaturperiode. Die Richtlinie 2010/75/EU stellt das zentrale europäische Regelwerk für die Zulassung und den Betrieb von Industrieanlagen und damit für die Luftreinhaltung dar. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist davon in besonderer Weise betroffen, schließlich -stehen von den europaweit durch die Richtlinie erfassten circa 52 000 Anlagen rund 9 000 Anlagen in Deutschland. Es handelt sich zum Beispiel um Anlagen zur Energieerzeugung, Stahlwerke, Anlagen zum Gießen und Walzen von Metallen, die Automobilindustrie, industrielle Chemieanlagen, Mineralölraffinerien und andere mehr. Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte haben wir in Deutschland ein im internationalen Vergleich sehr -hohes Umweltschutzniveau erreicht. Um dieses hohe Umweltschutzniveau sicherzustellen, haben wir ein umfangreiches Regelungswerk, das der Zulassung und dem Betrieb genehmigungsbedürftiger Anlagen zugrunde zu legen ist: das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und die dazugehörigen Rechtsverordnungen. In diesen Regelwerken sind zum Beispiel die technischen Anforderungen an eine Anlage definiert und spezifische Emissionsgrenzwerte vorgeschrieben. Auch wird die Durchführung von Emissionsmessungen verlangt und werden entsprechende Abnahmen und regelmäßige Überprüfungen auferlegt. Die europäische Industrieemissionsrichtlinie fußt – wie auch bereits die Vorgängerrichtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umwelt-verschmutzung, IVU-Richtlinie – auf einem Konzept, welches die Verminderung und Vermeidung von Verschmutzung der Luft, des Wassers und des Bodens sowie die Erreichung einer hohen Energieeffizienz integriert betrachtet. Die IED legt dabei neue, engere Ziele zur Verbesserung der Luftqualität und der Emissionsstandards auf EU-Ebene fest. Diese äußern sich insbesondere in strengeren Genehmigungs- und Grenzwertanforderungen, der Aufwertung der Merkblätter zur bestverfügbaren Technologie, BVT, sowie in erweiterten Berichts- und Überwachungspflichten für Betreiber und Behörden. Die Umsetzung der IED in nationales Recht muss bis 7. Januar 2013 erfolgen. Sowohl aus Umweltsicht als auch aus Sicht des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist es positiv zu bewerten, dass die Verbindlichkeit der besten verfügbaren Technik, BVT, mittels der BVT-Merkblätter in Europa zunehmend vereinheitlicht wird. Dass dadurch europaweit ein insgesamt höherer Umweltschutzniveau gewährleistet wird, kann aus Sicht der Umwelt nur begrüßt werden. Einheitliche Rahmenbedingungen innerhalb der EU stärken aber auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, da dann gleiche „Spielregeln“ für alle europäischen Anlagen gelten. Die Umsetzung eines Teils der IED beraten wir heute: die Zweite Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen, die sich insbesondere mit den Großfeuerungsanlagen (13. BImSchV) und mit der -Abfallverbrennung und -mitverbrennung (17. BImSchV) befasst. Ein anderer Teil der Umsetzung wird uns in wenigen Tagen hier beschäftigen, dabei geht es insbesondere um Änderungen des BImSchG. Ein dritter Teil schließlich liegt zur Beratung und Beschlussfassung dem Bundesrat vor. Es handelt sich also um ein Regelungspaket, das vielfältige Auswirkungen auf diese -Industrien hat. Dabei ist die Änderung der Großfeuerungsanlagenverordnung im Kontext der Energiewende zu sehen. Auch wenn wir im Jahr 2020 unsere Stromversorgung zu 40 Prozent aus erneuerbaren Energien decken, heißt das im Umkehrschluss, dass 60 Prozent der Stromerzeugung dann noch immer aus konventionellen Kraftwerken stammen. Bestehende Anlagen werden weiterbetrieben werden. Für diese bestehenden Anlagen wie auch für neue Anlagen gilt es, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der auf der einen Seite das hohe, nationale Umweltschutzniveau erhält, auf der anderen Seite die Möglichkeiten zur Erzeugung von Strom aus fossilen Energien nicht erdrosselt. Dies ist auch die Grundlage, auf der wir die IED ins deutsche Recht umsetzen: Die Grenzwerte und Vorgaben aus der IED werden überall dort, wo sie strengere Maßnahmen verlangen, eins zu eins in das nationale Recht übernommen. War der erreichte Umweltstandard in Deutschland bereits höher, so wurde von diesem höheren Standard nicht abgewichen. Es gibt also keine Reduzierung der nationalen Umweltstandards. Allerdings gab es auch einige Punkte, an denen weitergehende Maßnahmen über die IED hinaus und auch über den bisherigen nationalen Standard hinaus diskutiert wurden. Hier sind insbesondere die Grenzwerte für Staub und Sickstoffoxide zu nennen. Gerade bei Staub und Stickoxiden können mancherorts in Deutschland die Umweltqualitätsnormen nicht eingehalten werden. Mit Blick auf Staub gibt es in manchen Umweltzonen zu viele Tage, an denen die Grenzwerte überschritten werden, und bei den Stickoxiden können zum Teil die Immissionsjahresgrenzwerte nicht eingehalten werden. Ursache für diese Grenzwertüberschreitungen sind in nahezu -gleichen Anteilen der Verkehr, die Heizungsanlagen der privaten Haushalte sowie die Industrie. Bei den industriellen Anlagen haben die Großfeuerungsanlagen und die Müllverbrennungs- und -mitverbrennungsanlagen einen erheblichen Anteil. Deshalb wurde im Rahmen der Umsetzung der IED in der 13. und 17. BImSchV für diese Anlagen nationale Verschärfungen in Bezug auf Staub- und Stickoxide aufgenommen, die sich an der Leistungsfähigkeit der Anlagen orientieren. Auch im Hinblick auf Quecksilber haben wir einen neuen Emissionsgrenzwert eingeführt, der so nicht in der IED vorgesehen ist. Aufgrund der toxischen Eigenschaften dieses Schwermetalls halten wir Maßnahmen zur gezielten Emissionsminderung bei den Verbrennungsanlagen für geboten. Der neue im Jahresmittelwert einzuhaltende Emissionswert für Quecksilber ist anspruchsvoll. Bei den Anlagen werden hierfür Nachrüstungen und zum Teil erhebliche Anpassungsmaßnahmen erforderlich. Es stellt sich die Frage, ob wir anspruchsvoll genug sind. Die jetzt eingeführte Regelung ist als wichtiger Zwischenschritt zu sehen im Rahmen einer umfassenden Quecksilberminderungsstrategie. Zusammenfassend möchte ich folgendes Fazit ziehen: Die Vorgaben der Richtlinie über Industrieemissionen heben die Anforderungen an den Betrieb von Großfeuerungsanlagen und Abfallverbrennungsanlagen europaweit auf ein hohes Niveau. Um die vorgeschriebenen Grenzwerte einhalten zu können, müssen die betroffenen Unternehmen meist erhebliche Maßnahmen ergreifen. An einigen wichtigen Stellen legen wir die Messlatte noch höher als in der europäischen Gesamtschau. Doch dies halte ich vor dem Hintergrund der Vorsorge für notwendig und gegenüber der Wirtschaft für vertretbar. Franz Obermeier (CDU/CSU): Diese EU-Richtlinie ist wie eine Medaille. Sie ist von zwei Seiten zu betrachten: Die eine ist die Umweltpolitik, die andere die Industriepolitik. Unsere Aufgabe ist es, hier einen ausgewogenen Ausgleich zu erzielen. Gerade wenn wir die Energiewende vernünftig gestalten wollen – und das heißt, die Kontinuität bei der Stromerzeugung zu bezahlbaren Preisen zu sichern –, müssen wir auch die Nutzung bestehender Anlagen und den notwendigen Neubau von modernen Kraftwerken im Auge behalten. Bestandskraftwerke stehen für einen entscheidenden Teil der Energiesicherheit gerade. Sie sind zur Netzstabilisierung und Grundlastversorgung neben den erneuerbaren Energien noch immer unverzichtbar. Wie oft bei der Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht gibt es Stimmen, die für uns in Deutschland gleich „noch eins draufsetzen möchten“ und weitere Verschärfungen – schärfere Grenzwerte – fordern. Hiervor kann ich nur warnen. Deutsche Alleingänge sind umweltpolitisch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, für die Wirtschaft und Verbraucher aber verheerend. Bei der IED-Richtlinie – lndustrieemissionsrichtlinie – gibt es vor allem zwei Punkte, bei denen ich Nachbesserungsbedarf sehe: Zum Ersten geht es um die Grenzwerte für Gaskraftwerke. Gerade wegen der zunehmenden fluktuierenden Einspeisung erneuerbarer Energien müssen die Kraftwerke in Zukunft flexibler gefahren werden. An- und -Abfahrvorgänge werden zunehmen, und dies ist ja auch gewollt. Deshalb halte ich es für falsch, wenn bei den Messungen – wie jetzt geplant – auch die An- und Abfahrvorgänge mit berücksichtigt werden sollen. Dies ist eine Verschärfung, die über die IED-RL hinausgeht. Also, das An- und Abfahren der Kraftwerke sollte he-rausgenommen werden, dieser Passus ersatzlos entfallen. Zum Zweiten geht es um die Staubemissionswerte für Altanlagen: Ab 2019 soll auch für Bestands- und Altanlagen nach § 11 Abs. 1 ein Staubjahresmittelgrenzwert von 10 Milligramm pro Normkubikmeter gelten. Diese Regel würde dazu führen, dass eine Reihe von alten Kraftwerken vom Netz genommen werden müssten. Das würde genau in die Zeit fallen, wo die letzten Kernkraftwerke vom Netz gehen. Mit Blick auf die Netzstabilität könnte dies negative Folgen haben. Die Einhaltung von schärferen Jahresmittelwerten für bestehende Anlagen würde zu entsprechenden Nachrüstungen und Kosten führen und am Ende weiter die Verbraucher zusätzlich belasten. Ich plädiere dafür, hier eine Verschiebung des Datums zu prüfen. Insgesamt rege ich an, diese beiden Punkte nochmals aufzugreifen und entsprechende Anpassungsmöglichkeiten zu prüfen. Zum Schluss: Ich sage: Wir müssen die Energiewende sorgfältig, Schritt für Schritt und mit Augenmaß vornehmen. Resultat einer nationalen Verschärfung der Emis-sionsgrenzwerte bei den Kraftwerken nur bei uns in Deutschland wären geringere Versorgungssicherheit und mehr Stromimporte aus ausländischen Anlagen. Da ausländische Anlagen lediglich die niedrigeren Vorschriften der EU-Richtlinie erfüllen müssen, hätte dies unmittelbare Wettbewerbsnachteile für deutsche Kraftwerksbetreiber. Zudem würden Finanzmittel für aufwendige Nachrüstmaßnahmen nicht für Investitionen in die Energiewende zur Verfügung stehen – man kann jeden Euro nur einmal ausgeben. Die Energiewirtschaft wird durch die laufende Kraftwerkserneuerung zukünftig ohnehin weniger Luftschadstoffe emittieren. Zusätzlich wird die wachsende Nutzung von erneuerbaren Energien dazu führen, dass sämtliche Emissionen aus fossilen Kraftwerken zurückgehen werden, weil sie schlicht weniger eingesetzt werden. Gerade in den nächsten Jahren sollte darauf verzichtet werden, zusätzliche Kraftwerkskapazitäten „aus dem Markt zu regulieren". Dies unterstreicht auch der -Bericht der Bundesnetzagentur vom Mai 2012, in dem explizit empfohlen wird, keine weiteren Kraftwerke stillzulegen. Richtig ist, europäische Gemeinsamkeit zu praktizieren und mit allen politischen Möglichkeiten auch weltweit Verbesserungen einzufordern. Nur so können Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil Deutschlands vermieden werden. Soll die Stromversorgung sicher und vor allem noch bezahlbar bleiben, müssen wir auch an den erforderlichen Neubau modernster Kraftwerke denken. Unsere Wirtschaft, unser Wohlstand und unser Sozialstaat hängen vom Strom ab. Wir brauchen realistische Rahmenbedingungen. Sonst wird es keine Investoren geben. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, für eine verlässliche und umweltverträgliche Stromversorgung zu sorgen, die uns aber nicht die Basis unseres Sozialstaates – Wirtschaft und Arbeitsplätze – unter unseren Füßen wegzieht. Ute Vogt (SPD): Ich will mal mit dem Erfreulichen beginnen: Die Bundesregierung scheint es mit dieser Vorlage zur Richtlinie über Industrieemissionen, der sogenannten IED-Richt-linie, immerhin einmal zu schaffen, die EU-Vorgaben innerhalb der vorgegebenen Frist zum 6. Januar 2013 in nationales Recht umzusetzen. Die IED ist eine der wichtigsten Richtlinien zur immissionsschutzrechtlichen Regelung der Genehmigung und Überwachung von Industrieanlagen und der Sachverständigenrat der Bundesregierung in Umweltfragen nennt sie zu Recht das „Grundgesetz des Anlagenlagenrechts“. Sie regelt die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung von Luft, Wasser und Boden durch industrielle Anlagen und bildet damit tatsächlich eine umfassende Grundlage, um die Industrie europaweit weiter an umweltverträgliches Wirtschaften heranzuführen bzw. dafür zu verpflichten. Bereits die Vorgängerrichtlinie, Richtlinie zur in-tegrierten Vermeidung und Verminderung der Um-weltverschmutzung, IVU, hatte die Harmonisierung des Umweltschutzniveaus und die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen in der EU zum Ziel. In der Praxis wurde dieses Ziel bisher jedoch nicht erreicht. Gescheitert ist es bislang vor allem an der mangelnden Verbindlichkeit der dort festgelegten Vorgaben. Die IED sorgt nun für eine solche Verbindlichkeit – und dies in allen Ländern der EU. Genehmigungsfähig ist demnach nur noch die Technologie, die dem der Stand der Technik entspricht, eine Praxis, die wir aus Deutschland bereits über die BVT-Merkblätter kennen, BVT heißt „beste verfügbare Technik“. Durch einzelne Rechtsetzungen wie zum Beispiel die Vorgaben aus dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, dem Wasserhaushaltsgesetz oder auch der TA Luft sind in Deutschland in vielen Bereichen bereits Grenzwerte -umgesetzt, die ein hohes Umwelt- und Gesundheitsschutzniveau schaffen. Dies hat auch bewirkt, dass der deutsche Anlagenbau eine gute Positionierung bei der Produktion umweltverträglicher Industrieanlagen erreicht hat und sich gegenüber europäischen Mitbewerbern einen Wettbewerbsvorsprung verschaffen konnte. Wenn nun der Betrieb von Anlagen europaweit unter gleiche Standards gestellt wird, ist dies zum einen eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen, birgt zum anderen aber auch die Chance von neuen Absatzmärkten für umweltverträgliche Technologien. Deshalb begrüßen wir die grundsätzliche Konzeption zur Umsetzung der IED. Allerdings bleibt die Bundesregierung mit ihrem Verordnungsentwurf hinter den notwendigen Regelungen zurück. Denn so erfreulich die europaweiten Verbesserungen zu bewerten sind, in Deutschland selbst wird sich an der faktischen Lage leider rein gar nichts verändern. Nun kann man sich zurücklehnen und sagen, dies liegt daran, dass Deutschland bisher bereits strenge Grenzwerte festgelegt hatte, und die anderen ziehen eben nun nach. Aber das ist doch eine mehr als defensive Haltung. Auch unsere Anhörung vergangenen Montag hat bestätigt, dass die Vorgaben für die deutsche Industrie alles andere als hart sind. Die Bundesregierung sollte die Chance ergreifen, unsere Vorreiterrolle zu sichern und auszubauen. Denn auch künftig überleben am Markt die Unternehmen, die am effizientesten und fortschrittlichsten sind. Deshalb brauchen wir – wie bisher – ambitioniertere Ziele, zumindest zur Reduzierung der Quecksilberbelastung und auch bei den Feinstaubwerten. Denn machen wir uns nichts vor: Freiwilligkeit führt leider in den seltensten Fällen zu Verbesserungen. Besonders schwer wiegt ihre Unterlassung in Sachen Quecksilberverschmutzung. Selbst in den USA, die bisher nicht dafür bekannt sind, die schärfsten Umweltgesetze zu haben, ist man uns weit voraus. Ab dem Jahr 2016 darf dort kein bestehendes Kraftwerk im Monatsdurchschnitt mehr als 1,5 Mikrogramm pro Kubikmeter Quecksilber emittieren. Für Neuanlagen ist sogar ein noch weit schärferer Wert, 0,35 Mikrogramm pro Kubikmeter bei 5 Volumenprozent O2, vorgeschlagen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Wir haben in Deutschland bisher nach bester verfügbarer Technik keine Anlage, die über 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Quecksilber emittiert, nach Umsetzung der IED sollen nun jedoch 30 Mikrogramm pro Kubikmeter erlaubt sein. Und in den USA ist gleichzeitig die Reduzierung auf ein Zehntel vorgesehen. Dies folgt keiner Logik und schon gar nicht der Vorgabe, die beste verfügbare Technik einzusetzen. Da überzeugt auch der Bezug auf die Eins-zu-eins-Umsetzung der europäischen Vorgaben nicht. Es verbietet uns schließlich niemand, mindestens unsere bisherigen Standards zu halten. Im Gegenteil: Die Richtlinie lässt dies sogar ausdrücklich zu. Und bei uns in Deutschland existiert die dafür notwendige Technik bereits und wird genutzt, um die Emissionen von Quecksilber auf sogar unter 1 Mikrogramm pro Kubikmeter zu senken. Das Umweltbundesamt, UBA, schlägt deshalb vor, den deutschen Grenzwert auf zunächst 3 Mikrogramm zu senken. Und sie sollten dieser Empfehlung im Interesse der Gesundheit, der Umwelt, aber auch der Standortsicherung folgen. Ebenso wenig ambitioniert ist der Umgang mit dem Thema Feinstaub. Wir sind bereits heute technisch in der Lage, weit niedrigere Grenzwerte für Feinstaub einzuhalten. Und wir sind es den Menschen in Deutschland auch schuldig – denn Feinstaub ist der Hauptverur-sacher von Luftverschmutzung. Die gesundheitlichen Folgen sind immens – und auch die damit verbundenen Kosten für unser Gesundheitssystem. Vor allem Kinder leiden an den Auswirkungen und gesundheitlichen Folgeschäden. Die Verordnung hätte auch hier genutzt -werden müssen, eine Verbesserung herbeizuführen. Das haben Sie bisher nicht getan. Nutzen Sie die verbleibende Zeit, unsere Änderungsvorschläge zu prüfen und in das Gesetz einfließen zu lassen. Dr. Lutz Knopek (FDP): Mit dem vorliegenden Verordnungsentwurf der Bundesregierung wird ein wichtiger Teil der europäischen Industrieemissionsrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt. Durch die Richtlinie über Industrieemissionen – kurz: IED – wird die bisherige Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung von 1996 überarbeitet und mit sechs sektoralen Richtlinien, die Anforderungen für bestimmte Anlagenarten enthalten, zusammengefasst. Insbesondere werden in den Anhängen V und VI die Richtlinien für Großfeuerungsanlagen und zur Abfallverbrennung und zur Abfallmitverbrennung in die IED integriert. Diese beiden Anhänge werden heute mit einer Novellierung der 13. und der 17. Bundesimmissionsschutzverordnung in deutsches Recht umgesetzt. Die Richtlinie stellt zukünftig das zentrale europäische Regelwerk für die Zulassung und den Betrieb von Industrieanlagen dar. Sie erfasst europaweit circa 52 000 Anlagen, in Deutschland circa 9 000 Anlagen. Zwei Prinzipien haben uns bei der Überarbeitung der beiden Bundesimmissionsschutzverordnungen geleitet. Zum einen haben CDU/CSU und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart, EU-Vorgaben möglichst ein zu eins in deutsches Recht zu übernehmen. Diesen Willen haben die Koalitionspartner im Entschließungsantrag „Marktwirtschaftliche Industriepolitik für Deutschland – Inte-graler Bestandteil der Sozialen Marktwirtschaft“ noch einmal bekräftigt und beschlossen, „bei der Umsetzung der europäischen Industrieemissionsrichtline auf unbürokratische und praxisnahe Regelungen zu setzen, keine national einseitigen Verschärfungen vorzunehmen und die europäischen Vorgaben im Verhältnis ein zu eins in nationales Recht zu übernehmen“. Jede Abweichung von dieser Vorgehensweise bedarf daher einer überzeugenden Begründung. Zum anderen hat uns das ungeschriebene parlamentarische Gesetz, dass die Integration von EU-Vorgaben nicht mit einer Aufweichung nationaler Umweltstandards einhergehen darf, geleitet. Der Verordnungsentwurf der Bundesregierung wird diesen Anforderungen weitestgehend gerecht. In zwei wesentlichen Punkten, namentlich der Einführung eines neuen Jahresmittelwertes für die Emissionen von Staub und Quecksilber, geht der Regierungsentwurf über die Vorgaben der IED hinaus. Diese Abweichung ist jedoch zur Erfüllung der Ziele der Luftqualitätsrichtlinie und zur Verringerung hochtoxischer Quecksilberimmissionen gut begründet und für die deutsche Industrie mit nur geringem Aufwand erfüllbar. Meine Fraktion hätte sich gewünscht, dass die zukünftig im Rahmen der Energiewende vermehrt notwendigen schnellen An- und Abfahrvorgänge insbesondere für Gaskraftwerke zur Stabilisierung der fluktuierenden Einspeisung erneuerbarer Energien eine stärkere Berücksichtigung in der Verordnung gefunden hätten. Aufgrund des engen Zeitrahmens zur Umsetzung der IED war eine entsprechende Einigung mit dem Koalitionspartner jedoch nicht möglich. Da es die begründete Annahme gibt, dass der Bundestag sich erneut mit dieser Verordnung nach der Befassung des Bundesrates beschäftigen wird, werden wir dem Verordnungsentwurf heute zunächst -zustimmen. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Schwarz qualmende Schornsteine wecken Ängste vor Gefahren, und wir alle werden vorsichtig – was wir nicht sehen und riechen können, dem können wir nicht ausweichen. Gerade die Abgase der Industrieproduktion enthalten oft schädliche Bestandteile. Die anstehende Verordnungsänderung bot die Chance, bewährte Umwelttechniken konsequent einzusetzen und zukünftig mehr Schwermetalle, Stickoxide und Benzole aus der Luft zu entfernen. Weniger Allergien, weniger Infektionskrankheiten, weil die Immunabwehr nicht durch Quecksilber geschwächt wird – das wäre doch ein lohnendes Ziel und würde die gesamte Volkswirtschaft von Gesundheitskosten entlasten. Leider beschränkt sich diese Koalition auch bei diesem Thema auf Kostensenkung für ihre Klientel, die Energie-, Chemie-, Zement- und Stahlindustrie. Die -verhältnismäßig hohen Schadstoffgrenzwerte bringen diesen Industriebereichen Kosteneinsparungen zulasten unser aller Gesundheit. Dabei opfern sie langfristig ihre Wettbewerbsfähigkeit kurzfristigen Renditezielen, weil international der Trend zu schadstoffarmer Produktion zunimmt. Selbst China verweigert inzwischen oft die ungebremste Schadstoffemission. Zu den Einzelheiten: Während Unternehmen in den USA jetzt im Monatsmittel maximal 3 Mikrogramm Quecksilber pro Kubikmeter Abluft ausstoßen dürfen, soll das deutsche Jahresmittel bei maximal 10 Mikrogramm liegen. Dass jetzt sogar die USA mehr Wert auf Umweltschutz legen, macht nachdenklich. Auch am Beispiel Stickoxide wird deutlich, dass die Bundesregierung je nach Betroffenem Unterschiede in den Umweltstandards macht. Während im Verkehrsbereich der Ausstoß an Stickoxiden trotz steigenden Verkehrs sinkt, wächst er in der Industrie seit zwölf Jahren an. Deshalb verfehlt Deutschland die Erfüllung seiner Verpflichtung zur Senkung des Stickoxidausstoßes um 25 Prozent. Trotzdem legt diese Verordnung für die Industrie Grenzwerte fest, die mehr als das Doppelte über dem technisch leicht Erreichbaren liegen. Aus den Zementöfen emittieren durch Brennstoffe aus Abfall Stäube mit gefährlichen Anhaftungen von Furanen und Dioxinen, die in einer Abfallverbrennunganlage nicht in die Luft gelangen würden. Bereits 60 Prozent der Energie für einen Zementofen wird aus sogenannten Ersatzbrennstoffen gewonnen. Dies wird dann auch noch als stoffliches Recycling verkauft. Weil man aber die Abgase bei Zementöfen nicht so genau prüfen muss wie in der Müllverbrennungsanlage, merkt keiner, welche Schadstoffe aus dem Schornstein quellen. Statt diesen bekannten Missstand zu beseitigen, steckt diese Regierung den Kopf in den Sand. Die Linke fordert die Anwendung der Grenzwerte von Abfallverbrennungsanlagen für die Mitverbrennung von Abfall, egal ob in Zement- oder Stahlwerken. Wenn diese Grenzwerte nicht eingehalten werden, muss die Mitverbrennung verboten werden. Wir unterstützen die SPD bei ihrem entsprechenden Vorschlag. Wir fordern für Deutschland Grenzwerte für Quecksilber wie in den Vereinigten Staaten. Dass ich das einmal im Umweltbereich sagen muss, ist traurig. Die Linke fordert, dass die Stickoxidgrenzwerte halbiert werden. Wir stimmen für die Gesundheit der Bevölkerung, und deshalb stimmt die Linke der Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen nicht zu. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der vorliegenden Verordnung hat die Bundesregierung leider die Chance vertan, eine maßgebliche Verbesserung der Umweltsituation in Deutschland herbeizuführen und schädliche Emissionen langfristig zu reduzieren. Die europäische Richtlinie hätte die Möglichkeit eröffnet, bei wichtigen Schadstoffen die Grenzwerte zu verschärfen und damit sowohl messbare Verbesserungen für die Luftqualität zu erreichen als auch Anreize zur Weiterentwicklung neuer Technologien zu setzen. Stattdessen machen Sie nur kleine Schritte bei der Absenkung der Grenzwerte. Sie führen neue Regelungen ein, die weitgehend wirkungslos bleiben werden. Die formulierten Anforderungen an die Vermeidung und Verminderung von Industrieemissionen gehen nicht über den bereits erreichten Stand der Technik hinaus. Verraten Sie mir bitte, wie dadurch Anreize zu neuen Innovationen gesetzt werden sollen? Wie soll denn so die Belastung mit Industrieemissionen maßgeblich verringert werden, werte Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition? Und Sie vergeben auch die deutsche Vorreiterrolle im Umweltschutz. Es ist ja nahezu peinlich, dass selbst die USA, ja die USA, bisher nicht gerade bekannt für progressive Umweltpolitik, zukünftig strengere Grenzwerte für Quecksilber in Großfeuerungskraftwerken haben werden als die Bundesrepublik. Im Rahmen dieser Verordnung hätte man die Grenzwerte deutlich senken müssen, technisch ist das schon lange kein Problem mehr. Und selbst der Referentenentwurf des Umweltministe-riums sah strengere Grenzwerte vor. Sie aber sind leider mal wieder eingeknickt und lassen zu, dass alte Kohlekraftwerke nicht mal den Stand der Technik erfüllen müssen. Sie sind eingeknickt vor der Industrielobby, die ihre alten Kohlekraftwerke, die Dreckschleudern, nicht kostenpflichtig modernisieren will. Dabei haben die genug Rendite, um das zu finanzieren. Die bekannten Gefahren für die Gesundheit durch Quecksilber, insbesondere für Kinder, ignorieren Sie dabei gekonnt. Hier geht Rücksicht auf die Großindustrie vor verbesserten Gesundheitsschutz von Bürgerinnen und Bürgern. Auch in puncto Feinstaub hätte man deutliche Fortschritte erzielen können, wenn man nur gewollt hätte. Die Feinstaubbelastung in unseren Städten ist bei ungünstiger Witterungslage extrem hoch. Allein mit Maßnahmen im Verkehrssektor, die wir dringend brauchen, werden wir das Feinstaubproblem aber nicht ausreichend in den Griff kriegen. Wir müssen auch die permanente Belastung durch Industrieemissionen verringern. Auch hier vergibt die Bundesregierung die Chance, die Schadstoffbelastung der Luft maßgeblich zu reduzieren, mit allen daraus folgenden Risiken für die Gesundheit vieler Menschen. Genau das Gleiche bei den Stickoxiden. Auch hier sind die vorgeschlagenen Grenzwerte noch immer deutlich zu hoch. Sie wollen weiterhin die Braunkohle bevorzugen, obwohl es keinen Anlass dazu gibt. Die verschiedenen Brennstoffe müssen bezüglich der Stickoxidemissionen endlich gleichgestellt werden. Wir brauchen sowohl für die Kohlekraftwerke als auch für die Abfallmitverbrennung strengere Grenzwerte für Stickoxide, die eine substanzielle Verbesserung der Luftqualität zur Folge haben. In Sachen Luftreinhaltung versagt Ihr Verordnungsentwurf auf ganzer Linie. Aber auch beim zweiten Teil der Umsetzung der IED-Richtlinie, den wir hier in der nächsten Woche diskutieren werden, sieht es nicht besser aus. Ich will den Details nicht vorgreifen, aber lassen Sie mich eins doch sagen: Sie, Herr Altmaier, haben sich auf die Energiewende verpflichtet, es ist Ihr großes Projekt. Wir alle wollen, dass die Energiewende klappt, und wir alle wissen, das der Schlüssel dazu Energieeffizienz ist. Die Umsetzung der IED-Richtlinie hätte die Möglichkeit eröffnet, hier einen großen Schritt voranzukommen. Die IED-Richtlinie erlaubt es den Mitgliedstaaten, Energieeffizienz als Grundpflicht der Betreiber von Industrieanlagen festzulegen. Warum haben Sie die Chance vergeben, hier klare Mindestwirkungsgrade für die Energienutzung bei Industrieanlagen festzulegen? Das hätte einen wirklichen Fortschritt bei der Energie-effizienz im industriellen Bereich gebracht. Warum, frage ich Sie, vergeben Sie auch diese Möglichkeit, einen maßgeblichen Beitrag zur Energiewende zu leisten? Mein Fazit kann nur heißen: Diese Verordnung ist kein Beitrag zu angemessenen Umweltstandards und kein Beitrag zum verbesserten Umweltschutz. Noch -haben Sie die Chance, beim Gesetzentwurf in Sachen Energieeffizienz nachzubessern. Bitte tun Sie dies, damit die Umsetzung der IED-Richtlinie nicht auch noch zu einem Reinfall für die Energiewende wird. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11060, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 17/10605 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9555. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 7 a und 7 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Gottschalck, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neue Impulse für die Förderung des Radverkehrs setzen – Den Nationalen Radverkehrsplan 2020 überarbeiten – Drucksache 17/11000 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationaler Radverkehrsplan 2020 – Den Radverkehr gemeinsam weiterentwickeln – Drucksache 17/10681 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Auch hier wird vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben.7 – Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11000 und 17/10681 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Zulassungsverfahrens für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen – Drucksache 17/10960 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir die Reden zu Protokoll. Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Lassen Sie mich zu Beginn auf die positive Entwicklung der rückläufigen Piratenangriffe zu sprechen kommen. Schon im Jahr 2011 ist die Zahl der Geiselnahmen im Zusammenhang mit Angriffen durch Piraten weltweit von 1181 im Jahr 2010 auf 802 zurückgegangen. Das International Maritime Bureau, IMB, verzeichnete bis Ende Mai 2012 rund um das Horn von Afrika 60 Piratenangriffe. Im Vergleich zum Vorjahr ist hier erneut ein signifikanter Rückgang zu registrieren. Die Fachpresse und Experten begründen diese guten Nachrichten unter anderem mit dem verbesserten Selbstschutz, wie etwa der Einhaltung der Best-Management-Practices-Verhaltensregeln der International Maritime Organization, IMO, aber auch mit der effektiven Arbeit der internationalen Seestreitkräfte. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, es sei an dieser Stelle erinnert, dass Sie vor einigen Monaten in diesem Hohen Hause der deutschen Beteiligung am Atalanta-Einsatz ihre Zustimmung versagt haben. Für Ihr wahlkampfgeleitetes Taktieren setzen Sie die Sicherheit der Besatzungen auf deutschen und allen anderen Handelsschiffen aufs Spiel. Sie haben sich offenkundig nicht nur von der Reformpolitik der Agenda 2010 des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder verabschiedet, sondern auch von Zeiten, als sich die SPD noch um die maritime Wirtschaft bemühte. Ihr nicht nachzuvollziehendes Abstimmungsverhalten offenbart Ihr Desinteresse an der maritimen Branche. Der Gipfel dieser beschämenden Gleichgültigkeit ist die Charterung des unter portugiesischer Flagge fahrenden Kreuzfahrtschiffes MS Princess Daphne durch eine Beteiligungsgesellschaft der SPD. Zulasten der deutschen Flagge will sich Ihre Parteiführung im Willy-Brandt-Haus die Wahlkampfkasse aufbessern, weil im Madeira-Register die arbeits- und sozialrechtlichen Standards weitaus geringer sind als in Deutschland. Ihr Antrag „Maritimes Bündnis fortentwickeln – Schifffahrtsstandort“, dessen Forderungen nach einer Stärkung des maritimen Standortes Deutschland und der Verbesserung der Situation von nautischem und technischem Personals wir hier schon diskutieren durften, ist in diesem Zusammenhang nicht nur fragwürdig, sondern beschämend. Bevor Sie die Bundesregierung mit Forderungen konfrontieren, sollten Sie in Ihren Reihen zunächst einmal wieder ein Bewusstsein für maritime Fragen entwickeln. Abgesehen davon, dass Sie mit Ihren aktuellen Forderungen nach Transparenz in Fragen von Nebeneinkünften der Bundestagsabgeordneten und der Parteienfinanzierung an dieser Stelle hier Ihr wahres Gesicht offenbaren, verprellen Sie die Besatzungen auf den Schiffen unter deutscher Flagge. Glaubwürdigkeit in wichtigen Fragen der maritimen Politik sieht anders aus. Die Union hat in dieser Bundesregierung, aber auch unter der großen Koalition bereits seit 2008 unterschiedliche Maßnahmen ergriffen, etwa durch die Beteiligung der Bundeswehr im Zuge internationaler Einsätze, um die humanitären Hilfslieferungen für das afrikanische Krisengebiet zu sichern und um natürlich dem auftretenden Phänomen der Schiffs- und Besatzungsentführungen sowie der Lösegelderpressung wirksam entgegenzutreten. Der Aufbau staatlicher Strukturen als Voraussetzung zum wirtschaftlichen Wiederaufbau in Somalia und der damit verbundenen Eindämmung von Hunger und Armut ist ebenfalls eine wesentliche Maßnahme, der sich Deutschland verpflichtet fühlt. Die Bundesrepublik leistet hier einen wichtigen Beitrag: Deutsche Soldaten, die Sie durch Ihre Verweigerung bei Atalanta offenbar nicht weiter beteiligen wollen, partizipieren beispielsweise auch an der EU-geführten Ausbildungsmission Eutm Somalia. Bislang konnten dadurch 1 800 Soldaten der somalischen Übergangsregierung in Uganda ausgebildet werden. Bis Dezember dieses Jahres sollen es dann 3 000 somalische Soldaten sein. Im Februar 2010 wurde als Reaktion auf die weltweit steigenden Piraterievorfälle das Piraterie-Präventionszentrum bei der Bundespolizei See in Neustadt in Holstein geschaffen. Diese Einrichtung bietet den deutschen Reedern unterschiedliche Dienstleistungen zur Vorbeugung möglicher Attacken durch Piraten an. Mit Risikoanalysen, der Darstellung technischer Präventionsmaßnahmen, wie etwa der aktiven Abwehr durch nautische Manöver, und der Vermittlung von Verhaltensgrundsätzen ist eine wichtige Anlaufstelle eingerichtet worden. Die deutschen Reeder sind gesetzlich dazu angehalten, die Eigensicherung ihrer Schiffe zu unterstützen und die Umsetzung der Best Management Practices zu gewährleisten. Sie sehen, die unionsgeführten Bundesregierungen haben in vielfältiger Weise zu Verbesserungen der Gefahrenabwehr auf Handelsschiffen beigetragen. Doch lassen Sie mich zum vorliegenden Gesetzentwurf der Regierungskoalition kommen, die im Gegensatz zu Ihnen, geschätzte Mitglieder der Opposition, mit sachlicher Arbeit und im Dialog mit den Betroffenen Lösungsvorschläge zur Abwehr von Piraterie vorlegt. Ich möchte die Gelegenheit daher nutzen, mich bei den beteiligten Ressorts, dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesministerium des Innern, zu bedanken, dass es ihnen gelungen ist, trotz der schwierigen recht-lichen und inhaltlich komplexen Problematik bei der Zulassung von privaten Sicherheitsunternehmen einen unbürokratischen und für alle akzeptablen Gesetzentwurf vorzulegen. Da uns bewusst war, dass die Anwesenheit von privaten Sicherheitsunternehmen an Bord von Schiffen bereits Realität ist und auch ein hohes Maß an Sicherheit gewährleistet, bestand die Herausforderung nun darin, allen Beteiligten Rechtssicherheit zu verschaffen. Um es noch einmal festzuhalten: Bisher ist der Einsatz privater Sicherheitsunternehmen nicht verboten, sondern bislang nur nicht geregelt, da wir es hier mit einer Sondersituation zu tun haben, deren Ausmaß und Konsequenzen erst in den letzten Jahren deutlich wurden. Der Einsatz von Bewachungsunternehmen auf hoher See stellt aus sicherheitstechnischer Perspektive eine Sondersituation dar, zumal, anders als auf dem Festland, keine hoheitlichen Kräfte angefordert werden können. Insofern müssen die privaten Sicherheitsunternehmen höchsten Anforderungen entsprechen. Das Erfordernis von Bewachungsunternehmen wird schnell sichtbar, denn der Erfolg gibt ihnen Recht: Sofern Bewachungsunternehmen an Bord von Handelsschiffen waren, ließen die Piraten von ihrem geplanten Angriff ab oder die Angriffe konnten erfolgreich abgewehrt werden. Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten in enger Abstimmung mit Verbänden und Koalitionsabgeordneten nun ein Ergebnis präsentiert, das dem Anspruch Rechnung trägt, diese Maßnahmen auf ein rechtssicheres Fundament zu stellen. Der Gesetzentwurf wurde mit den Betroffenen diskutiert und stellt in dem Bündel an Aktivitäten zur Pirateriebekämpfung eine weitere wichtige Ergänzung dar. Damit wird den Forderungen und Bedürfnissen der Branche entsprochen. Diese Arbeit erfährt im Übrigen auch die Würdigung der deutschen Reeder, die neben anderen Interessenvertretungen und den Bundesländern im Diskussionsprozess eingebunden waren und auch weiterhin sind. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung gilt es, die Herausforderung zu meistern, der Besatzung den nötigen Schutz vor etwaigen Angriffen zu ermöglichen und dabei aber die Gefahr zu minimieren, dass Menschen zu Schaden kommen. Diese anspruchsvolle Aufgabe kann nicht ausschließlich durch die EU-geführte Atalanta-Mission erfüllt werden. In einem Seegebiet, das 18-mal größer ist als Deutschland, ist die Bedrohung für die Schiffsbesatzung und den freien Warenverkehr nach wie vor hoch. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass 95 Prozent des internationalen Warenverkehrs und 90 Prozent der europäischen Güterexporte an Drittstaaten über den Seeweg erfolgen. Nach den Krisenjahren 2008 und 2009 hat sich der Welthandel und damit auch die maritime Wirtschaft erholen können. Das führt nun erfreulicherweise dazu, dass der internationale Seeverkehr seinen Wachstumsprozess fortsetzt. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines Piratenüberfalls unter 1 Prozent liegt und wir 2011 einen Rückgang von Angriffen durch Piraten verzeichnen dürfen, ist der Anlass zur Sorge nach wie vor gegeben. Ein wachsender Schiffsverkehr bedeutet einerseits wirtschaftlich positive Effekte, allerdings auch zusätz-liche Angriffsmöglichkeiten für die Piraten. Insbesondere vor den Küsten Somalias, an denen 236 der 439 Atta-cken im Jahr 2011 erfasst wurden, muss also weiter aktiv die Pirateriebekämpfung verfolgt werden. Auch wenn die Erfolgsquote der Piraten in den letzten zwei Jahren, insgesamt betrachtet, erheblich gesunken ist, besteht also kein Grund zum Aufatmen. Die bisher getroffenen Maßnahmen haben bereits zu einer Reduzierung der Attacken durch Piraten geführt. Dennoch bleibt der Handlungsbedarf, wie eingangs bereits erwähnt, gegeben. Immer mehr Reeder setzen international agierende Bewachungsunternehmen ein, um in risikobehafteten Gebieten besseren Schutz in Anspruch zu nehmen. Umso bedeutsamer ist es, dass Bewachungsunternehmen eingesetzt werden, die über die nötige -Professionalität, Zuverlässigkeit und ausreichend Erfahrung verfügen. An erster Stelle muss hier Rechts-sicherheit geboten werden. Dieser Forderung der Reeder wird die Bundesregierung nachkommen, indem von den Bewachungsunternehmen und ihren Mitarbeitern eindeutige Anforderungsprofile gesetzlich eingefordert werden. Dabei geht es vor allem um die fachliche, der besonderen Situation auf den Schiffen angepasste Qualifikation und Eignung derjenigen, die für zusätzliche Sicherheit an Bord sorgen sollen. Das Personal muss neben den sicherheitstechnischen Anforderungen auch über maritime Kenntnisse verfügen, denn die Leistungen werden auf hoher See erbracht und bedürfen einer gewissen Vertrautheit mit den Vorgängen an Bord eines Schiffes. Allein hieran wird der Regelungsbedarf deutlich, dem die Bundesregierung nachkommt und sich dabei an den noch vorläufigen Leitlinien der IMO orientiert. Die Bundesregierung richtet sich dabei auch nach europäischen Nachbarn, die ebenso Bewachungsunternehmen zertifizieren. Mit der Orientierung an europäischen Standards bilden wir vergleichbare und rechtlich verbindliche Normen für internationale Bewachungs-unternehmen, die zügig zugelassen werden können. Für unsere Seeleute und die deutschen Reeder wird eine notwendige Rahmenbedingung für zusätzliche Sicherheit an Bord geschaffen. Die Zulassung der Bewachungsunterneh-men über das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle mit Unterstützung der Bundespolizei erfolgen zu lassen, ist aus Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion richtig. Die ebenfalls notwendig gewordene Änderung des Waffenrechts sowie deren über die Bundesländer zu -erfolgende Bearbeitung ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ebenfalls unbürokratisch gelöst: Dank der erfolgreichen Abstimmung zwischen Bund und betroffenen Ländern ist es gelungen, die Erlaubniserteilung -hinsichtlich des Waffenrechts über die Freie und Hansestadt Hamburg abzuwickeln. Den Bewachungsunter-nehmen wird damit ein föderales und behördliches Durcheinander erspart. Abschließend möchte ich auf die Notwendigkeit hinweisen, dass die hierzu parallel ebenfalls erforderliche Rechtsverordnung sobald wie möglich beschlossen wird. Diese soll die verschiedenen Verpflichtungen für die Bewachungsunternehmen enthalten, etwa das Führen eines Prozesshandbuches, das Verfahrensabläufe zur Planung und Durchführung von Einsätzen auf See beschreibt und dokumentiert. Die Koalition unterstreicht erneut, dass sie verläss-licher Partner der maritimen Wirtschaft ist und es auch bleiben wird. Die Opposition kann im Gesetzgebungsverfahren beweisen, ob sie der Branche mit über 400 000 Mitarbeitern in Deutschland ähnlich treu zur Seite steht. Ingo Egloff (SPD): Der Gesetzentwurf nimmt die Forderungen aus unserem Antrag vom April im Wesentlichen auf und geht insgesamt in die richtige Richtung. Unsere Forderung, die Befugnisse privater Sicherheitsdienste beim Einsatz gegen Piratenangriffe an Bord von Handelsschiffen unter deutscher Flagge gesetzlich zu regeln und die Bestimmungen der Gewerbeordnung in Bezug auf einen internationalen Einsatz privater Sicherheitsdienste anzupassen, ist ebenso berücksichtigt wie die grundsätzliche Vorgabe, dass die Zertifizierung nach den vorläufigen Leitlinien für Schiffseigner, Schiffsbetreiber und Schiffsführer der International Maritime Organization, IMO, erfolgen soll, damit nur zuverlässige und ausreichend geschulte Sicherheitskräfte zum Einsatz kommen dürfen. Mit der Zuständigkeit des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA, und der Unterstützung durch die Bundespolizei wird die Zulassung auf eine solide Basis gestellt. Der Einsatz hoheitlicher Sicherheitskräfte auf und zum Schutz von Handelsschiffen soll auch in Zukunft nicht der Regelfall werden. Wir fordern aber, dass eine unmittelbare Zuständigkeit des Bundeskriminalamts und die Einführung einer Sonderstaatsanwaltschaft zur optimalen Durchführung von Ermittlungsverfahren geprüft werden. Zu klären bleibt die Ausgestaltung des Zulassungsverfahrens, zu der die konkrete Formulierung der Rechtsverordnung von der Bundesregierung noch vorgelegt werden muss. Dies muss rasch geschehen: Zwar orientieren sich heute bereits die meisten Sicherheitsdienste und Reeder an den Leitlinien der IMO, aber bis für Handelsschiffe unter deutscher Flagge nach diesem Gesetzentwurf verbindliche Regeln vorliegen und der Einsatz von Bewachungsunternehmen beginnt, die eine Zertifizierung durch die BAFA vorweisen können, wird wohl mindestens ein weiteres Jahr verstreichen. Im vorliegenden Gesetzentwurf fehlt die von uns bereits im April geforderte Festschreibung, dass die Kommandokette an Bord beim Einsatz privater Sicherheitskräfte auf der Grundlage der im Seemannsgesetz geregelten Stellung des Kapitäns, der Rechtsverhältnisse der Besatzung und der sonstigen im Rahmen des Schiffsbetriebs an Bord tätigen Personen vertraglich klar definiert und sichergestellt wird. Mit anderen Worten: Es muss klar sein, dass Sicherheitskräfte erst auf Anweisung des Kapitäns tätig werden dürfen. Bei den Verhaltensregeln für das Sicherheitspersonal muss -dabei insbesondere berücksichtigt werden, dass Schiffsführung und Sicherheitskräfte durchaus unterschiedliche Ansichten haben können, ob Maßnahmen notwendig sind oder nicht. Wir begrüßen, dass durch die Einführung des Zulassungserfordernisses den Reedern vorgeschrieben wird, nur durch die BAFA zertifizierte Bewachungsunternehmen einzusetzen. Im Zuge der für diese Vorschrift benötigten Änderung der See-Eigensicherungsverordnung muss darüber hinaus aber auch sichergestellt werden, dass die umfassenden Informationsrechte der zuständigen Bundesbehörden und beauftragten Stellen auch beim Einsatz privater Sicherheitskräfte gewahrt bleiben und sie von diesen auf Verlangen alle notwendigen Auskünfte und erforderlichen Unterlagen erhalten. Über die jetzt vorgelegten gesetzlichen Regelungen hinaus bleibt die Bundesregierung aufgefordert, gemeinsam mit den Partnern des Maritimen Bündnisses gegenüber den deutschen Reedereien für eine Rückflaggung des Schiffsbestandes unter deutsche Flagge einzutreten. Dies ist nicht nur Bestandteil der Vereinbarungen im Rahmen der Nationalen Maritimen Konferenzen. Der Gesetzgeber kann nach dem Prinzip der Flaggenhoheit nur Regelungen treffen, die sich auf Schiffe unter deutscher Flagge beziehen. Es wird im Interesse auch der Reeder sein, durch ein gesetzlich und durch Rechtsverordnung eindeutig geregeltes Zulassungsverfahren nicht nur Sicherheit an Bord, sondern auch Rechtssicherheit zu gewinnen. Manfred Todtenhausen (FDP): Über 90 Prozent des Welthandels und fast 95 Prozent des Außenhandels der Europäischen Union werden über den Seeweg abgewickelt. Die Bundesrepublik Deutschland, als weltweit zweitgrößte Handelsnation, nutzt für nahezu 70 Prozent des Im- und Exports maritime Transportwege. Rund 45 000 Handelsschiffe sind derzeit auf internationalen Gewässern unterwegs und transportieren mehr als 7 Milliarden Tonnen Güter pro Jahr – mit steigender Tendenz. Die Ozeane sind die mit Abstand wichtigsten Verbindungswege unserer zunehmend globalisierten Welt. Doch nicht nur die Industrienationen rund um den Globus haben die Bedeutung maritimer Handelswege erkannt, sondern auch Piraten. Wie schon in der Antike wissen diese auch heute um den Gegenwert der wertvollen Fracht und die hohe Bedeutung eines möglichst ungehinderten Welthandels. Piraterie ist selbstverständlich kein neues Phänomen; sie hat aber in Bezug auf ihr Ausmaß eine neue Dimension erreicht. Allein im Jahr 2011 ereigneten sich weltweit 439 derartige Attacken, mehr als die Hälfte davon am Horn von Afrika. Insbesondere aufstrebenden und entwickelten Volkswirtschaften entstehen durch die weltweit stark gestiegene Zahl von Übergriffen erhebliche wirtschaftliche Schäden. Aber auch die erhebliche Bedrohung für Leib und Leben der Seeleute zeigt deutlich, dass die Bekämpfung der Piraterie eine wichtige Aufgabe ist. Dafür müssen zweckmäßige und effiziente Maßnahmen ergriffen werden. Erfreulicherweise ging die Anzahl der Überfälle in diesem Jahr bisher um rund ein Drittel zurück. Die Ursache ist aber nicht etwa das nachlassende Interesse am Kapern von Schiffen. Vielmehr zeigen die bisher ergriffenen Maßnahmen erste Wirkungen. Neben der starken internationalen Militärpräsenz in den besonders betroffenen Seegebieten – die Deutsche Marine ist bekanntermaßen auch erfolgreich in die EU-geführte Operation Atalanta eingebunden – heuern Reeder zunehmend bewaffnetes Sicherheitspersonal für ihre Schiffe an. Gerade diese Maßnahme hat sich offenbar als besonders wirksam erwiesen. Allein die abschreckende Wirkung bewaffneter Sicherheitskräfte und der einsetzende Widerstand haben dazu geführt, dass bisher keines der so gesicherten Schiffe entführt wurde. Diese Form der Selbsthilfe der Reeder zeigt aber auch den Handlungsbedarf des Gesetzgebers. Den Befürchtungen der Branche, durch unangemessenes Handeln des angeworbenen Personals eine unkalkulierbare Eskalation in Konfliktsituationen hervorzurufen, ist entsprechend zu begegnen. Reedereien brauchen in dieser Frage Rechtssicherheit und müssen auf die Entscheidungen und Fähigkeiten des von ihnen beauftragten Sicherheitspersonals vertrauen können. Die Bundesregierung hat daher einen Gesetzentwurf vorgelegt, der erstmals ein transparentes und für die Wirtschaft möglichst unbürokratisches Zulassungsverfahren für private bewaffnete Sicherheitsdienste auf deutschen Schiffen etabliert. Das Verfahren orientiert sich eng an den Leitlinien der Internationalen Schifffahrtsorganisation, IMO. Ziel ist es, dass nur zuverlässige, besonnene und fachkundige Sicherheitskräfte auf deutschen Handelsschiffen zum Einsatz kommen. Zusätzlich sollen aber auch die Bewachungsunternehmen hohen Qualitätsstandards und Überwachungsmechanismen unterliegen. Zukünftig wird das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA, als zuständige Behörde zentral für die Zulassung und Überwachung von Sicherheitsunternehmen und deren Personal zuständig sein. Es wird diese Aufgabe in enger Kooperation mit der Bundespolizei erfüllen. Ergänzend wird das Land Hamburg als zentrale Waffenbehörde einheitlich und transparent die Erteilung und Verwaltung der erforderlichen Waffenberechtigungen vornehmen. Damit bleibt das hohe Schutzniveau des Waffenrechts auch bei diesem speziellen Anwendungsfall erhalten. Auf Schiffen unter deutscher Flagge ist immer auch deutsches Recht anzuwenden. Die vorgesehenen Regeln gelten deshalb selbstverständlich auch für im Ausland niedergelassene Bewachungsunternehmen, sobald sie entsprechende Aufträge auf deutschen Schiffen übernehmen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir in Deutschland und auch im internationalen Vergleich neue Wege. Unsere einheitlichen und qualitätsorientierten Sicherheitsstandards könnten zu einem neuen Gütesiegel werden, das letztlich auch die deutsche Flagge in der internationalen Handelsschifffahrt stärkt. An dieser Stelle möchte ich nicht versäumen, dem Bundeswirtschaftsministerium und insbesondere dem Parlamentarischen Staatssekretär und maritimen Koordinator, Hans-Joachim Otto, zu danken, der mit persönlichem Einsatz und dem notwendigen Fingerspitzengefühl bei sensiblen Fragen Geschick und Kompetenz bewiesen hat. Ich bitte Sie daher, den vorliegenden Gesetzentwurf zu unterstützen. Lassen Sie uns gemeinsam die Voraussetzungen dafür schaffen, dass unsere Schiffe die Weltmeere ein Stück sicherer passieren können. „Über den Wind können wir nicht bestimmen, aber wir können die Segel richten.“ Frank Tempel (DIE LINKE): Die Tatsache, dass noch niemals Schiffe unter deutscher Flagge gekapert worden sind, auf denen sich bewaffnetes Sicherheitspersonal befand, führt nicht zwangsläufig zu dem Ergebnis, die Sicherheit der -Seeschiffe privaten Bewachungsunternehmen anzuvertrauen. Der Schutz vor Kriminalität – also auch vor Piraterie – ist eine hoheitliche Aufgabe des Staates. Gerade wenn es sich um schwerste Straftaten wie Entführung und Erpressung handelt, ist die Abgabe des hoheitlichen Handelns an private Sicherheitsdienste äußerst bedenklich und wird von der Linken strikt abgelehnt. Die -Sicherheitsfirmen sollen militärisch ausgerüstet und für die Abwehr schwerster Verbrechen zuständig sein. Andererseits dürfen sie nur im Rahmen der Jedermannsrechte wie Notwehr, Notstand und Selbsthilfe handeln. Es ist äußerst fraglich, inwieweit Privatfirmen ein angemessenes Handeln gewährleisten können und wie Vorfällen mit Schusswaffeneinsatz rechtlich aufzuarbeiten sein sollen. Was passiert mit Gefangenen? Haben Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen die entsprechende Ausbildung und rechtliche Befähigung? Mit dem im Gesetz vorgeschriebenen Zulassungsprozedere für geeignete Mit-arbeiter und der Berichtspflicht bei Einsätzen ist eine Angemessenheit im Handeln wohl kaum abzusichern. Die Bundesregierung gibt an, dass weltweit 160 bis 180 Unternehmen diese spezielle Art maritimer Sicherheitsdienstleistungen anbieten, zehn von ihnen kommen aus Deutschland. Einige internationale Sicherheits-firmen waren in den letzten Jahren in den Schlagzeilen, weil sie in Gebieten mit kriegerischen Auseinandersetzungen wie im Irak völlig unverhältnismäßige Gewaltanwendungen zu verantworten hatten. Will die Bundesregierung sehenden Auges solche Situationen heraufbeschwören? In der Antwort auf die Kleine Anfrage der Grünen zum Zulassungsverfahren für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen muss die Bundesregierung selbst eingestehen, dass eine Vor-Ort-Kontrolle von ausländischen Bewachungsunternehmen nicht möglich ist. BAFA und Bundespolizei könnten nur die Plausibilität der zur Zertifizierung eingereichten Dokumente überprüfen. Mit solcherlei Zulassungsverfahren will man also Unternehmen legitimieren, Aufgaben aus dem engsten Kreis hoheitlichen Handelns zu übernehmen? Ein unglaublicher Vorgang! Interessant ist auch der Zeitpunkt, zu dem das Gesetzt verabschiedet werden soll. Laut dem letzten „Pirateriebericht der Bundespolizei See“ sind die Piraterieaktivitäten am Horn von Afrika um 67 Prozent und weltweit um 33 Prozent zurückgegangen. Dies ist auf ein Bündel von Maßnahmen zurückzuführen, insbesondere auf die militärisch geschützten Konvoifahrten, die Sicherheitsteams auf Schiffen, die Verfolgung der Geldwäsche von Lösegeldern und auf die Stärkung der somalischen Zentralgewalt. Man könnte meinen, der Gesetzentwurf aus dem Hause von Minister Rösler soll in letzter -Sekunde der Sicherheitsbranche Zugänge zu neuen Märkten eröffnen, genau in dem Moment, wo das Problem seine hohe politische Relevanz verliert. Es liegen sinnvolle Vorschläge auf dem Tisch, wie die zivile Seefahrt geschützt werden könnte. Der Verband Deutscher Reeder fordert hoheitliche Kräfte, konkret die Bundespolizei, und kann sich sogar eine Seesicherheitsgebühr vorstellen, um die Reedereien an den Kosten zu beteiligen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei schlägt die Umschulung von Bundeswehrsoldaten vor, die durch die Bundeswehrreform freigesetzt werden. Über die Eingliederung in eine zu schaffende Struktur der Bundespolizei und nach gründlicher rechtlicher und fachlicher Ausbildung könnte dann ein Einsatz auf Seeschiffen erfolgen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung hat zu Recht erkannt, dass zur Regulierung des Tätigkeitsfeldes privater bewaffneter Sicherheitsunternehmen die geltenden Anforderungen der Gewerbeordnung nicht mehr ausreichen. Lassen Sie mich noch einmal aus führen, welche Anforderungen dies zur Zeit sind: Wer ein Sicherheits-gewerbe eröffnen will, muss nachweisen, dass er zuverlässig ist und über die notwendigen Mittel verfügt. Zusätzlich muss er sich von einer Industrie- und Handelskammer 80 Stunden unterrichten lassen, welche rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Vorschriften für ein solches Gewerbe zu beachten sind. Ob er das alles versteht, ist dabei unerheblich. Eine Prüfung ist nicht vorgesehen. Bei seinen Angestellten ist dann diese Unterrichtung auf 40 Stunden verkürzt. Auch bei ihnen ist keine Prüfung vorgesehen. Dies sind äußerst niedrige Schwellen. Seit Ende des Ost-West-Konflikts hat es im Sicherheitsbereich eine ungeahnte Privatisierungswelle gegeben. Die Anzahl von privaten Sicherheitsunternehmen hat sich seit 1994 in Deutschland mehr als verdoppelt. In demselben Maße ist der Umsatz der Branche gewachsen. Wir Bündnisgrüne setzen uns seit Jahren dafür ein, dass diese Schwellen erhöht werden, um gerade bei den Sicherheitsunternehmen, deren Angestellte auch Waffen tragen, stärker als bisher Zuverlässigkeit und Geeignetheit sowohl der Unternehmensführung als auch der Angestellten sicherzustellen. Hier gibt es schon gute Vorschläge der Länder. Das ist ein Ziel, das sowohl im Interesse der Öffentlichkeit als auch im Interesse der Auftraggeber und der Branche selbst liegt. Und die Länder haben in ihrer Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf zu Recht darauf hingewiesen, dass aus ihrer Sicht auch klarere gesetzliche Regelungen für deutsches Sicher-heits-personal auf ausländisch geflaggten Schiffen notwendig sind. Ich finde es daher befremdlich, dass Sie sich geweigert haben, heute auch über den Antrag meiner Fraktion zum selben Thema zu debattieren. Ich weiß ja, dass der Antrag gut ist – dass er aber so gut ist, dass es Ihnen offensichtlich peinlich ist, ihn neben Ihrem Gesetzentwurf aufzusetzen, überrascht mich dann doch. Sie begnügen sich in Ihrem Gesetzentwurf damit, einen kleinen Tätigkeitsbereich privater Sicherheitsunternehmen strenger zu regulieren. Hier sind wir ja im Grundsatz bei Ihnen, auch wenn der von Ihnen verwendete Begriff der Bewachungsunternehmen gegenüber dem, was diese bewaffneten Sicherheitsteams bei Piratenangriffen an Bord leisten müssen, äußerst vernied-lichend ist. Auch wird erst die Rechtsverordnung zum Gesetz zeigen, wie ernst Sie es mit der Regulierung tatsächlich meinen. Und da ist es für uns sehr unverständlich, dass Sie sich bisher weigern, uns Einzelheiten über die von Ihnen geplanten Zulassungserfordernisse mitzuteilen. Die Antworten auf unsere Kleine Anfrage zum Thema grenzen schon hart an eine Missachtung des parlamentarischen Fragerechts. So antworten Sie auf die Frage, ob für eine Zulassung Kenntnisse des Sicherheitspersonals zu Menschenrechten nachzuweisen sind, dass das Sicherheitspersonal die Menschenrechte einhalten müsse. Sie lassen uns im Unklaren, wie Sie bei Ihrem unternehmensbezogenen Ansatz sicherstellen wollen, dass das von den Unternehmen eingesetzte Bewachungspersonal über die erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt. Die Kriterien der International Maritime Organization, IMO, sind zwar eine gute Grundlage. Aber durch welche konkreten Unterlagen sollen sie belegt werden? Die Frage stellt sich vor allem bei ausländischen Unternehmen und vor allem vor dem Hintergrund, dass Sie nicht beabsichtigen, Vor-Ort-Kontrollen durchführen zu lassen. So laufen Sie Gefahr, dass Ihr Zulassungsverfahren zu einem zahnlosen Papiertiger wird. Sie wissen ja, Papier ist geduldig. Oder wollen Sie nur die deutschen Sicherheitsunternehmen kontrollieren? Als Ergebnis würde dieses Arbeitsfeld wohl auslän-dischen Sicherheitsunternehmen überlassen bleiben, die sich effektiver Kontrolle entziehen. Mir ist daher nicht klar, warum Sie sich bei all unseren Nachfragen immer wieder weigern, klare Zulassungskriterien auf europäischer Ebene zu entwickeln. Dann hätten wir wenigstens auf dem europäischen Markt klare Regelungen. Ich möchte an dieser Stelle auch auf den International Code of Conduct for Private Security Service Providers, ICoC, hinweisen. Auch wenn sich bei dieser Selbstverpflichtung die Frage stellt, wie ihre Einhaltung überprüft werden kann; sie zeigt jedoch, dass sich die dazugehörigen Unternehmen zumindest mit wichtigen menschen- und völkerrechtlichen Aspekten ihrer Arbeit auseinandergesetzt haben. Wir hoffen, dass Sie uns in den anstehenden Ausschussberatungen mehr Details zum geplanten Zulassungsverfahren geben werden. Aber nun zu dem, was man Ihrem Gesetzentwurf bereits entnehmen kann. Es beruhigt mich, dass Sie immer wieder klarstellen, dass es keine Aufweichung des Waffenrechts geben wird. Weiterhin begrüßen wir, dass Sie in dem Gesetzentwurf deutlich machen, dass die Bordrechte des Kapitäns unangetastet bleiben. Eine wichtige Klarstellung ist auch, dass die bewaffneten Sicherheitskräfte an Bord bei der Abwehr von Piraten auf die Jedermannsrechte wie Notwehr, Notstand und Selbsthilfe beschränkt sind. Ich wüsste allerdings gern, wie Sie sicherstellen wollen, dass ausländische Sicherheitskräfte darüber informiert sind, was in Deutschland unter „Jedermannsrechte“ fällt. Etliche Fragen bleiben auch weiter noch offen: Wie werden die Waffen des Sicherheitspersonals an Bord verwahrt? Wie wird verhindert, dass sich das Sicher-heits-personal schwere Waffen aus schwimmenden Waffendepots besorgt? Wichtig ist uns auch, dass die Dokumentationspflichten ausreichend ausgestaltet werden. Es muss möglich sein, Zwischenfälle hinreichend nachzuverfolgen. Hier sollte uns der Fall der in Indien verhafteten italienischen Soldaten zu denken geben, die beim Schutz eines italienischen Frachters indische Fischer, die sie für Piraten hielten, erschossen. Ein Austausch dieser Dokumentationen könnte zudem im Rahmen der International Maritime Organization wichtige Erkenntnisse im Kampf gegen die Piraterie liefern. Wir unterstützen jeden Schritt, der dazu führt, dass klarere Regeln für die deutsche Sicherheitswirtschaft, ihrem sensiblen Tätigkeitsfeld entsprechend aufgestellt werden. Wir hoffen, dass die anstehende Rechtsverordnung, die die Zulassungskriterien für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen regeln soll, in diese Richtung weist. Wir appellieren aber an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition: Bleiben Sie nicht dabei stehen! Nehmen Sie unsere Vorschläge auf! Sorgen Sie für mehr Qualität im Sicherheitsgewerbe, indem Sie in der Gewerbeordnung sicherstellen, dass es nicht dem Zufall überlassen bleibt, ob im Sicherheitsgewerbe Zuverlässigkeit und Geeignetheit die grundlegenden Maßstäbe darstellen! Die Vorlage dieses Gesetzentwurfs ist das Eingeständnis einer Regelungslücke, die lange geleugnet wurde. Zur Schließung dieser Regelungslücke bedarf es allerdings erheblich mehr, als der heute vorliegende Entwurf leistet. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/10960 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Remmers, Kersten Steinke, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bürgerbeteiligung stärken – Petitionsrecht ausbauen – Drucksache 17/10682 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f) Rechtsausschuss Petitionsausschuss Innenausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir die Reden zu Protokoll. Günter Baumann (CDU/CSU): Das Petitionsrecht hat sich in unserem Land bewährt und hilft, Politikverdrossenheit abzubauen. Wir verstehen uns als Anlaufpunkt für viele Bürgerinnen und Bürger, die Sorgen und Nöte haben und für die Lösung ihres Problems Hilfe benötigen. Die Arbeit des Petitionsausschusses ist gerade im Hinblick auf die Fortentwicklung im Bereich der öffentlichen Petitionen seit dem Jahr 2005 eine Erfolgs-geschichte. Inzwischen werden monatlich zwischen 30 und 80 neue Petitionen im Internetportal eingestellt. Durch die Veröffentlichung im Internet werden einer breiten Öffentlichkeit Themen von allgemeinem Interesse vorgestellt. Vor einigen Wochen haben wir an gleicher Stelle den Jahresbericht 2011 des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages debattiert. Die Diskussionen der -Abgeordneten belegten eindrucksvoll: Die Bürgerinnen und Bürger haben Vertrauen in unsere Arbeit, und -obwohl es eine Vielzahl von Beauftragten in den verschiedensten Ministerien, Behörden oder Institutionen gibt, ist die Zahl der Petitionen mit 15 000 bis 18 000 in den letzten Jahren nahezu gleich geblieben. Im vergangenen Jahr haben den Deutschen Bundestag 15 191 Eingaben und Petitionen erreicht, das heißt täglich etwa 60 Petitionen als Neueingang. Nimmt man die Massenpetitionen aus dem im Internetportal veröffentlichten Petitionen hinzu, so haben sich etwa 500 000 Bürgerinnen und Bürger am Petitionswesen im Jahr 2011 beteiligt. Die Zahlen belegen eindrucksvoll, dass sich das -Petitionsverfahren bewährt hat. Dort, wo die Abgeordneten Handlungsbedarf sahen, wurde eine Neufassung unserer Verfahrensgrundsätze vorgenommen und von einer breiten Mehrheit im Ausschuss geteilt. Die These der Fraktion Die Linke, dass die Petitionen nicht immer die Fachpolitiker und Fachpolitikerinnen erreichen, teilen wir nicht. Die Massenpetitionen, die von allgemeinem öffentlichen Interesse sind und im -Internetportal des Deutschen Bundestages eine breite Unterstützung erfahren, werden in aller Regel auch in den Fachausschüssen diskutiert und durch Anträge -begleitet. Die Möglichkeit zur Überweisung in den jeweiligen Fachausschuss gibt uns § 109 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Danach holt der Petitionsausschuss eine Stellungnahme der Fachausschüsse ein, wenn die Petitionen einen Gegenstand der Beratung in diesen Fachausschüssen betreffen. Die Empfehlungen der Fachausschüsse fließen dann in die Bearbeitung der Petitionen mit ein und helfen uns bei den entsprechenden Votierungen. Das Argument der Fraktion Die Linke in ihrem Antrag, der Grad des öffentlichen Interesses an einem Thema kann leicht über die Zahl der Mitzeichnenden gemessen werden, lehnen wir ab. Bei der hier geführten Diskussion darf der Einzelfall des „kleinen“ Bürgers ohne Unterstützung aus dem Internet nicht ins Hintertreffen geraten. Die Mehrzahl der Petitionen eignen sich eben nicht für eine breite öffentliche Diskussion im -Internet. Das Grundgesetz mit seinem Grundrecht in Art. 17 verpflichtet uns Mitglieder des Petitionsausschusses, das Anliegen des Einzelnen besonders im Auge zu behalten. Schon jetzt beobachten wir eine zunehmende Instrumentalisierung der öffentlichen Petitionen durch Verbände und Lobbyisten. Schon jetzt bietet das Instrument der öffentlichen Petitionen hier den Verbänden ein Podium, der Diskussion politischen Nachdruck zu verleihen. Dem Ansinnen der Fraktion Die Linke, diese Entwicklung noch auszubauen, würde dem Anliegen des einzelnen Petenten und seinem Grundrecht in Art. 17 GG widersprechen. Die Behandlung einer Petition im nichtöffentlichen Petitionsverfahren ist keine zweitrangige Bearbeitung. Für mich ist jede Petition, -jedes Anliegen gleichwertig, und ich möchte bei meiner Petitionsbearbeitung keinerlei Unterscheidung zwischen öffentlicher und nichtöffentlicher Petition machen. Auch würde eine noch stärkere Bedeutung von Quoren aus meiner Sicht das Individualgrundrecht aus dem Grundgesetz noch weiter in den Hintergrund drängen. Wir als Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion messen auch den Wert einer Petition nicht nach der Anzahl der Unterstützer. Zusammenfassend möchte ich klarstellen: Der Peti-tionsausschuss hat die ureigene Aufgabe, sich mit den Sorgen und Nöten der Menschen in konkreten Einzelfällen zu beschäftigen und leistet hier eine hervorragende Arbeit. Für diese Arbeit haben wir gute Instrumente mit dem Grundgesetz und unseren Verfahrensregeln. Unser System der Bürgerbeteiligung wird in vielen Ländern anerkannt, und bei Auslandsreisen hören wir immer wieder hohe Wertschätzung über unser Petitionswesen. Ich erkenne keinen Grund, unser bewährtes System zu verändern oder ein Petitionsgesetz neu zu schaffen. Deshalb lehnen wir den Antrag der Linksfraktion ab. Gero Storjohann (CDU/CSU): Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über ein sehr gutes und bürgernahes Petitionsrecht, das sich in den letzten Jahrzehnten bewährt hat, weshalb der hier vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke abzulehnen ist. Der sukzessive Ausbau des Petitionswesens in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte, die weltweit -Beachtung findet und auf reges Interesse stößt. Mit der Einführung der sogenannten Onlinepetitionen im September 2005 haben wir die direkte Bürgerbeteiligung als Teil des Petitionsrechtes weiter gestärkt. Seitdem können die Bürgerinnen und Bürger schnell und unkompliziert über das Internet Petitionen einreichen oder mitzeichnen, aber auch im Internet veröffentlichte Petitionen diskutieren. Mehr als 5 000 Petitionen, das sind rund ein Drittel aller eingereichten Petitionen, wurden im Jahr 2011 über das Webformular auf der Internetseite des Deutschen Bundestages eingereicht. Auch die rege Beteiligung der Nutzer der Internetplattform des Deutschen Bundestages in der Diskussion und Mitzeichnung veröffentlichter Petitionen zeigt, dass wir über ein leicht zugängliches und unkompliziertes Peti-tionsrecht verfügen, dass einer aktiven Bürgerbeteiligung in keiner Weise entgegenwirkt. Das System der E-Petitionen wurde daher auch im Jahr 2010 durch die Aktion Mensch und die Stiftung Digitale Chancen mit dem Preis „BIENE“ ausgezeichnet. Ich begrüße es sehr, dass nun auch der Thüringer Landtag das System der elektronischen Petitionen einführt. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages ist Vorbild auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. In der vergangenen Sitzungswoche trafen sich Mitglieder des Petitionsausschusses gleich mit zwei Delegationen aus Südafrika und Tadschikistan, die zu Gast im Deutschen Bundestag waren, um mehr über die -Arbeit des Petitionsausschusses zu erfahren und unsere Erfahrungen beim Auf- und Ausbau der eigenen Peti-tionssysteme zu berücksichtigen. Gerade kehren wir von einer Delegationsreise des Petitionsausschusses aus der Türkei zurück. Auch dort zeigte man ein großes Interesse am deutschen Petitionssystem. Ich bin mir sicher, dass auch unsere türkischen Kollegen zahlreiche Anregungen aus unserem Erfahrungsaustausch annehmen und das türkische Petitionsrecht weiter verbessern werden. Beim Austausch mit unseren internationalen Kollegen, sei es nun im Rahmen der europäischen oder weltweiten Ombudsmannkonferenzen, stelle ich immer wieder fest, dass unser deutsches Petitionssystem für viele Parlamente dieser Welt Vorbildcharakter besitzt. Das bestehende Petitionsrecht hat sich in Deutschland bewährt. Dies hat sich auch bei der Neufassung der Verfahrensgrundsätze des Petitionsausschusses im vergangenen November gezeigt, die von einer breiten Mehrheit getragen worden ist. Die Darstellung unseres Petitionssystems im Antrag der Linken ist realitätsfern. So heißt es in der Begründung des Antrages, die Petitionsanliegen erreichten nicht die zuständigen Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker. Dies ist schlichtweg falsch. Für die öffentlichen Anhörungen des Petitionsausschusses werden häufig die zuständigen Fachpolitiker als stellvertretende Mitglieder des Petitionsausschusses für ihre Fraktionen benannt, um an der Beratung der Petitionen teilzunehmen. Nicht selten werden Petitionsanliegen aufgrund des § 109 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages an die zuständigen Fachausschüsse überwiesen, um in einem laufenden Gesetzgebungsverfahren Berücksichtigung finden zu können. Auch ohne die zwingende Notwendigkeit einer Überweisung nach §109 der Geschäftsordnung überweist der Petitionsausschuss eine Vielzahl der eingereichten Petitionen zur Mitberatung und Abgabe einer Stellungnahme an die zuständigen Fachausschüsse. Nicht umsonst setzt sich der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages aus einer bunten Mischung von Fachpolitikern aus jedem Bereich zusammen. Als Berichterstatter setze ich mich beispielsweise überwiegend mit Petitionen auseinander, die aus meinem Fachgebiet Verkehr, Bau und Stadtentwicklung stammen. Die Kollegen aus dem Bereich Arbeit und Soziales kümmern sich überwiegend um Petitionen, die das SGB betreffen – usw. Bei der Bearbeitung von Petitionen bringt also jeder von uns seine eigene Fachexpertise ein. Oft genug tragen wir als Mitglieder des Petitionsausschusses schnell und unbürokratisch Themen in unsere Arbeitsgruppen und Fachausschüsse oder suchen das persönliche Gespräch mit den zuständigen Kollegen. Diese Praxis hat sich grundsätzlich bewährt, um vielen Bürgerinnen und Bürgern rasch und kompetent zu helfen. Unser Petitionsrecht muss sich auch weiterhin auf die Einzelanliegen der Bürgerinnen und Bürger fokussieren. Es handelt sich hierbei um das Kerngeschäft des Peti-tionsausschusses. In vielen Fällen kann der Petitionsausschuss schon durch das Einholen einer Stellungnahme bei den zuständigen Behörden Abhilfe schaffen, da die Behörden vor Ort noch einmal genau prüfen, ob sie ihren Ermessensspielraum angemessen ausgeschöpft haben. Der Argumentation des Antrages, der Grad des öffentlichen Interesses an einem Thema könne leicht über die Zahl der Mitzeichnenden gemessen werden, kann nicht gefolgt werden. Dies war sicherlich auch nicht die Intention der Mütter und Väter des Grundgesetzes, als sie in Art. 17 des Grundgesetzes das Peti-tionsrecht für jedermann verankerten. Denn grundsätzlich kann sich jeder in Deutschland mit jedem Thema an den Petitionsausschuss des Bundestages wenden, unabhängig von seinem Alter, seiner Staatsangehörigkeit und seinem Wohnort. Das Petitionsrecht gilt also für Kinder und für Erwachsene, für Ausländer und für Deutsche. Das Anliegen einer Einzelperson kann von einem sehr viel größeren öffentlichen Interesse sein als ein Anliegen, das eine Vielzahl von Mitzeichnern besitzt. Einer zunehmenden Instrumentalisierung des Peti-tionswesens durch große Verbände sollten wir daher im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, die sich mit ihren zum Teil sehr persönlichen Anliegen an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages wenden, durch eine Behandlung von sogenannten Massenpetitionen im Plenum des Deutschen Bundestages nicht weiter Vorschub leisten, zumal durch unsere öffentlichen Ausschusssitzungen Petitionen von öffentlichem Interesse bereits eine geeignete Plattform, um den Gegenstand einer Petition darzustellen und zu diskutieren, besitzen. Der Wert einer Petition darf sich nicht allein durch die Zahl der Unterstützer bemessen. Verbandsarbeit muss Verbandsarbeit bleiben und darf nicht das bürgernahe Petitionswesen unterwandern. Zusammenfassend betrachtet möchte ich noch einmal betonen, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland über ein sehr gutes Petitionswesen verfügen, das seiner Aufgabe, sich den einzelnen Bitten und Beschwerden der Menschen anzunehmen, mehr als gerecht wird. Daher ist der Antrag der Fraktion Die Linke abzulehnen. Sonja Steffen (SPD): Das Petitionswesen ist ein ganz besonders wichtiger Teil unseres demokratischen Systems. Wir sollten immer wieder darüber nachdenken, wie wir das Petitionswesen und damit die direkten Einflussmöglichkeiten der Menschen auf unser Parlament und seine Entscheidungen stärken können. Leider eignet sich jedoch der von der Fraktion Die Linke vorgelegte Antrag hierzu nicht. Sie fordert die Bundesregierung dazu auf, ein Petitions-gesetz vorzulegen, welches die Behandlung von Massen- und Sammelpetitionen im Plenum und in den zuständigen Fachausschüssen vorsieht. Das Recht, Bitten und Beschwerden an den Bundestag zu richten, ist im Grundgesetz verankert. Für die Frage, wie der Bundestag bestimmte Anliegen und Vorhaben bearbeitet und wie er seine Arbeitsabläufe intern organisiert, gibt er sich selbst am Anfang jeder Legislaturperiode eine Geschäftsordnung. In Abschnitt IX der GO-BT „Behandlung von Petitionen“ werden die Zuständigkeit des Petitionsausschusses, die Überweisung von Petitionen, die Rechte des Petitionsausschusses, die Übertragung von Befugnissen auf einzelne Petitionsausschussmitglieder sowie das Abfassen von Beschlussempfehlung und Bericht des Petitionsausschusses geregelt. Die Befugnisse des Petitionsausschusses, Akten einzusehen, Auskünfte einzufordern und Amtshilfe zu verlangen, sind im Gesetz nach Art. 45 c GG, dem sogenannten Befugnisgesetz, festgelegt. Das eigentliche Petitionsverfahren regelt der Ausschuss selbst, indem er nach § 110 Abs. 1 GO-BT Grundsätze über die Behandlung von Bitten und Beschwerden aufstellt. Vor diesem Hintergrund finde ich als Sprecherin für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung der SPD-Bundestagsfraktion die Aufforderung der Fraktion Die Linke an die Bundesregierung, ein Petitionsgesetz vorzulegen, äußerst bedenklich. Die Abgeordneten sollten die Abläufe des Parlaments auch zukünftig unbedingt selbst bestimmen – dazu bieten Geschäftsordnung und Verfahrensgrundsätze des Petitionsausschusses genügend Möglichkeiten. Ich begrüße es aber, dass Sie mit Ihrem Antrag dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht haben. Es gibt viele Stellen, an denen wir das Petitionswesen und den Ablauf des Verfahrens noch verbessern könnten. Ein wichtiger Punkt ist nach wie vor die lange Bearbeitungszeit. Meine Fraktion hat sich bereits für die Einführung der gleichzeitigen Berichterstattung eingesetzt. Wir werden sehen, welche Verbesserungen durch dieses Instrument in Zukunft erzielt werden. Teilweise werden die Berichterstattungen absichtlich verzögert, was jedoch vertretbar ist, wenn dies im Interesse der Petenten geschieht. Nicht vertretbar ist es, wenn die Verzögerungen auf Unstimmigkeiten innerhalb einer Fraktion oder Koalition bzw. auf die Untätigkeit der Bundesregierung zurückzuführen ist. In dieser Woche haben wir in einer öffentlichen Sitzung endlich das Thema Vorratsdatenspeicherung beraten. Bereits letztes Jahr um diese Zeit hatte die dazugehörige öffentliche Petition 64 704 Mitzeichnungen erreicht. Dreimal haben die Oppositionsparteien im Petitionsausschuss versucht, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Sie wurden jedesmal von CDU/CSU und FDP blockiert. Die Regierungskoalition wollte eine öffentliche Debatte so lange wie möglich vermeiden, da sie nach wie vor keine gemeinsame Position zu dem Thema vorweisen kann. Hier brauchen wir Mechanismen, die sicherstellen, dass eine Beratung zeitnah durchgeführt wird und Themen nicht ausgesessen werden können. Unsere Demokratie braucht kritische und strittige öffentliche Debatten. Das Einreichen von Onlinepetitionen und deren öffentliche Beratung im Parlament ist hierfür ein ausgezeichnetes Instrument, das wir weiter ausbauen und verbessern sollten. Stephan Thomae (FDP): Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich bereits seit Jahren für die Einführung direktdemokratischer Elemente auf Bundesebene ein. Auf Länder- und Kommunalebene sehen die Verfassungen der Bundesländer Bürgerentscheide, Bürgerbegehren und Bürgerbefragungen vor. In der Europäischen Union ist die Einführung der Europäischen Bürgerinitiative in Vorbereitung. Auf Bundesebene fehlt ein vergleichbares plebiszitäres Element. Deshalb finde ich jeden Antrag positiv, der mehr Bürgerbeteiligung fordert. Aber gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht. Und das erkennt man bei diesem Antrag der Fraktion Die Linke „Bürgerbeteiligung stärken – Petitionsrecht ausbauen“, Drucksache 17/10682. Der Petitionsausschuss wirkt überwiegend im Verborgenen. Er ermöglicht es den Bürgerinnen und Bürgern, sich mit ihren Bitten und Beschwerden unmittelbar und direkt an die Volksvertretung zu wenden. Jedermann kann seine Anliegen schriftlich an den Petitionsausschuss richten. Das Petitionsverfahren ist in den §§ 108 ff. der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, GO-BT, in den Grundsätzen des Petitionsausschusses über die Behandlung von Bitten und Beschwerden, Verfahrensgrundsätze, und in der Anlage zu Ziffer 7.1 (4) Verfahrensgrundsätze, Richtlinie für die Behandlung von öffentlichen Petitionen, öP, geregelt. In dem Antrag der Linken soll ein Entwurf für ein Petitionsgesetz durch die Bundesregierung vorgelegt werden, der unter anderem die Behandlung von Massen- und Sammelpetitionen im Plenum und in den zustän-digen Fachausschüssen vorsieht. Das Parlament soll das Petitionsrecht also aus seinen Händen in die Hände der Regierung geben. Das unterstützen wir Liberale nicht. Das Petitionswesen ist einer der parlamentarischen Grundpfeiler des Parlaments. Als Seismograph der Gesellschaft können Massenpetitionen Fehlentwicklungen anzeigen und politische und mediale Prozesse in Gang setzen. Der Petitionsausschuss kann dann auf die Begehren der Petenten und Petentinnen schnell reagieren. Das geht aber nur, wenn das Petitionsrecht in der Hand des Parlamentes bleibt. Denn nur so kann garantiert werden, dass das Verfahren reibungslos verläuft und sich selbstständig an neue Gegebenheiten anpasst. Aber in Ihrem Antrag der Fraktion Die Linke steckt auch eine gute Idee. Ich stimme mit Ihnen überein, dass die gegenwärtigen Regelungen zum Petitionsrecht nicht ausreichen. Weil die Demokratie ein ständiges „Stirb und werde“ ist, ist der Ruf nach mehr Bürgerbeteiligung in aller Munde. Aufgrund der neuen Medien wird es auch immer einfacher und wünschenswerter, die Bürger durch innovative Art und Weise am Staat teilhaben zu lassen. Der Bildungsstand der Menschen, ihre Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten, nicht zuletzt unter Nutzung moderner Medien, erlauben ein vielfaches Mehr an Zusammenwirken. 79 Prozent der Deutschen sind einer aktuellen Umfrage zufolge für mehr Mitbestimmung. Daher wollen wir Liberalen nicht nur die repräsentative parlamentarische Demokratie weiterentwickeln, sondern auch die direkte Demokratie. Wir wollen nicht einfach nur entweder parlamentarische oder direkte Demokratie, sondern eine Verknüpfung der beiden, wir wollen ein Ineinandergreifen, eine Verzahnung. In der 16. Legislaturperiode trat der Petitionsausschuss mit der Einrichtung öffentlicher Petitionen etwas stärker ins Rampenlicht. Seither können Petitionen auf einer eigenen Homepage des Petitionsausschusses unterstützt werden, in Diskussionsforen können die Bürger an der Meinungsbildung mitwirken. Die Petitionsseiten des Bundestages erzielen die höchsten Zugriffszahlen aller Webseiten des Parlaments. Sechs Petitionen fanden über 100 000 Unterstützer, zahlreiche weitere immerhin noch über 50 000 Mitzeichner. Findet eine öffentliche Petition bei Einreichung oder innerhalb von drei Wochen nach der Einreichung mindestens 50 000 Un-terstützer, kann eine öffentliche Anhörung des Hauptpetenten im Petitionsausschuss stattfinden, wenn der Ausschuss nicht mit Zweidrittelmehrheit etwas anders beschließt. Die FDP will nun einen weiteren Schritt tun. Nach dem Willen der FDP sollen Petitionen im Rahmen des Bürgerplenarverfahrens, die bei ihrer Einreichung oder innerhalb von zwei Monaten seit Einreichung von mindestens 100 000 Menschen unterstützt werden, öffentlich in einer Bürgerstunde im Plenum debattiert und zur -anschließenden Beratung in die zuständigen Fachausschüsse überwiesen werden. Erst nach dieser „Ehrenrunde“ sollen diese Petitionen in die öffentliche Anhörung des Hauptpetenten im Petitionsausschuss münden. Abschließend werden die Petitionen vom Fachausschuss zusammen mit einer inhaltlich begründeten Stellungnahme zurück an den Petitionsausschuss überwiesen, wo die Petition gemäß Art. 45 c Grundgesetz abschließend beraten und behandelt wird. In Zeiten, in denen es Mode geworden ist, sich von den Parteien, der Politik und sogar der Demokratie selbst abzuwenden, will sich das Parlament mit dieser Geste den Menschen stärker zuwenden. Die Erweiterung des Petitionsverfahrens durch die Einführung des Bürgerplenarverfahrens ermöglicht es Bürgerinnen und Bürgern, Themen von öffentlichem Interesse direkt auf der Tagesordnung des Plenums zu platzieren. Die Bürger sollen stärker in die parlamentarischen Vorgänge eingebunden, ihre Themen unmittelbar den Weg ins Plenum des Deutschen Bundestages, die Kronkammer unserer parlamentarischen Demokratie, finden können. Es macht in der öffentlichen Wahrnehmung einen Unterschied, ob eine Bundestagsfraktion oder ob 100 000 Bürger eine Debatte auf die Tagesordnung einer Sitzungswoche bringen. Die Anliegen der Bürger werden nicht im Schatten dunkler Ausschusssitzungssäle beraten, sondern unter dem Sonnenlicht der Reichstagskuppel. Diese Änderungen bewirken ein Stück unmittelbarer Demokratie. Der Deutsche Bundestag ist schon heute eines der transparentesten und durchsichtigsten Parlamente der Welt – in seiner Architektur und in seinen Verfahrensweisen. Er wird jetzt auch permeabler und durchlässiger für die Bitten und Beschwerden der Menschen. Und dabei ist, wie gezeigt, die Idee so neu nicht: Der Bundestag kehrt mit diesen Änderungen zu seinen Wurzeln zurück. Bei unserer Initiative bleibt das ureigene Recht der Petitionen das Recht des Parlamentes. Der vorgeschlagene Weg erscheint als geeignete Möglichkeit, die -Vorzüge der parlamentarischen Demokratie mit den Vorzügen der direkten Demokratie zu paaren. Das Bürgerplenarverfahren setzt den im Jahr 2005 mit der Einführung der öffentlichen Petition beschrittenen Weg konsequent fort und trägt bereits Züge eines Volksinitiativrechtes. Die Anregung wird aus der Mitte der Gesellschaft geboren, die Befassung und Beschlussfassung findet aber auf der parlamentarischen Ebene statt und garantiert jenes Maß an Transparenz und Beteiligung der betroffenen Kreise, die sich in der über 60-jährigen Verfassungswirklichkeit unseres Landes herausgebildet haben. Dabei wird die parlamentarische Behandlung aller anderen Petitionen wie bisher dadurch nicht verschlechtert. Der vorliegende Antrag „Bürgerbeteiligung stär-ken – Petitionsrecht ausbauen“ kann dieses nicht sichern. Aus diesem Grund lehnen wir den Antrag der Fraktion Die Linke ab. Ingrid Remmers (DIE LINKE): Es ist keine große Neuigkeit, dass Koalitionsverträge mitunter nicht eingehalten werden. Schließlich verändern sich ja manchmal auch die äußeren Umstände, sodass die Politik schnell reagieren muss. Deswegen begrüße ich zum Beispiel auch den Ausstieg aus der Kernenergie. Im Koalitionsvertrag war ja noch die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke vorgesehen. Ich frage mich allerdings, warum in der schwarz-gelben Koalition die Angst vor der eigenen Bevölkerung so schnell zugenommen hat, dass nicht mal die guten Absichten zur besseren Bürgerbeteiligung und der Ausweitung des Petitionsrechts umgesetzt werden. Leider lesen nicht alle Journalisten und interessierten Bürger am Ende einer Legislaturperiode dieses 133 Seiten starke Märchenbuch, um mal zu schauen, wie viele Vorhaben denn still und heimlich begraben worden sind. Deswegen gibt es auch heute unseren Antrag. Sie haben versprochen, das Petitionsrecht zu erweitern. Massenpetitionen mit mehreren Tausend Mitzeichnenden sollen auch im Plenum debattiert und in den Fachausschüssen beraten werden, ein guter Plan. Manchmal ist die Schwarmintelligenz der Bürgerinnen und Bürger dem Gespür von uns Politikerinnen und -Politikern nämlich doch überlegen. Oder welche Fraktion hat das Thema Hebammenvergütung vor dem Eingang der fast 200 000 Unterschriften in einen der Ausschüsse gebracht? Warum diskutieren wir hier nicht mal fraktionsübergreifend die Ideen für ein Grundeinkommen? Warum kann sich die Regierung um eine klare Position zur GEMA herumdrücken? Weil es dazu keine ordentliche Aussprache gibt, wo die Parteien und die Regierung Farbe bekennen müssen und die vielen Tausend Petentinnen und Petenten die Debatte mitverfolgen können. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde die öffentlichen Sitzungen des Petitionsausschusses zu den Massenpetitionen natürlich richtig. Wir können die Regierung zu ihren Positionen befragen, aber es wird viel zu oft abgewiegelt, verschoben, verschleppt, und am Ende fühlt sich kein Bürger ernst genommen, der sich für ein Thema interessiert und engagiert. Schließlich dauert es meistens mehrere Monate bis Jahre, bis der Ausschuss nach einer Anhörung die Petition abstimmt und eine Antwort der Regierung dazu vorliegt. Stellen Sie sich vor, es gäbe zumindest eine halbe Stunde Aussprache im Plenum zur Kernzeit, in der das Anliegen von mehr als 50 000 Unterzeichnenden debattiert wird. Wäre das nicht ein hervorragender Bestandteil für mehr direkte Demokratie? Selbst wenn keine der Fraktionen das Petitionsanliegen unterstützen würde, dann kann das zumindest in den Reden dazu schlüssig begründet werden. Was glauben Sie, wie intensiv die Menschen die Anträge der Fraktionen in einem Fachausschuss lesen würden, die sich inhaltlich auf eine Massenpetition beziehen? Deswegen ärgert es mich so, dass die guten Absichten bei der Änderung der Verfahrensgrundsätze einfach unter den Tisch gefallen sind. Der Kollege Thomae hatte per Pressemitteilung noch im Juni 2011 angekündigt, dass die FDP-Fraktion für die Behandlung von Massenpetitionen im Plenum und den Fachausschüssen stimmen wird. In den Obleuteberatungen war dann plötzlich keine Rede mehr davon. Hat da vielleicht der größere Koalitionspartner kalte Füße bekommen? Das ist mehr als traurig. Ich schlage den beiden Regierungsparteien folgenden Tausch vor: Die FDP gibt ihren Widerstand gegen die Finanztransaktionsteuer auf und bekommt dafür die Erweiterung des Petitionsrechts. Glauben Sie mir, das würden die Wählerinnen und Wähler sicher eher honorieren als den umgekehrten Deal! Und wenn Sie jetzt argumentieren, dass die Regierung der falsche Adressat für solch einen Antrag ist, weil er die Parlamentsrechte berührt, dann kann ich nur antworten: Einem ausformulierten Antrag der Koalitionsfraktionen zur Änderung der Geschäftsordnung mit den genannten Inhalten würden wir ganz sicher zustimmen. Leider habe ich wenig Hoffnung, dass das in dieser Legislaturperiode noch passiert. Wenn sie nicht mehr Bürgerbeteiligung wollen, dann frage ich mich nur, warum Sie es vorher in den Koalitionsvertrag schreiben. Ich nenne das die reine Wählertäuschung. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Petitionen sind heute zu einem unverzichtbaren und selbstverständlichen Bestandteil zivilgesellschaftlichen Engagements der Bürgerinnen und Bürger geworden. Rot-Grün hatte zu Beginn seiner Regierungszeit versprochen, das Petitionsrecht zu einem echten Instrument politischer Mitbeteiligung für die Bürgerinnen und Bürger auszubauen. Und Rot-Grün hat dieses Versprechen selbstverständlich gehalten. Insbesondere die von Rot-Grün gegen heftigen Widerspruch von CDU/CSU und FDP eingeführten Instrumente der elektronischen und öffentlichen Petitionen haben zu einer eindrucksvollen Erweiterung der Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger im Petitionsrecht beigetragen. Ganz anders die jetzige CDU/CSU-FDP-Koalition. Ginge es nach CDU/CSU und FDP, wäre der Petitionsausschuss auch heute noch immer ein wenig beachteter Kummerkasten. Es ist peinlich, dass CDU/CSU und FDP an ihr bisher nicht eingelöstes Versprechen erinnert werden müssen, bei Massenpetitionen eine Behandlung des Anliegens im Plenum des Deutschen Bundes-tages unter Beteiligung der zuständigen Ausschüsse zu ermöglichen. Dabei würde dieser Vorschlag auch unsere Zustimmung finden. Aber offenbar ist die Regierungskoalition selbst zu kleinsten Reformschritten im Petitionsrecht nicht fähig. Denn die stärkere Beachtung von Massenpetitionen kann nur ein Baustein der Reform des Petitionsrechts hin zu mehr Offenheit und Bürgerbeteiligung sein. Grundsätzlich sollten alle Petitionen öffentlich beraten werden. Dass Petitionen von einer öffentlichen Be-ratung ausgenommen sind, in denen der Petent keine -öffentliche Beratung wünscht, private oder datenschutzrechtliche Belange dem entgegenstehen, ist selbstverständlich. Heute ist es aber Praxis, dass selbst öffent-liche Petitionen nichtöffentlich beraten und beschieden werden. Dies ist absurd und nicht mehr vermittelbar. Bündnis90/Die Grünen sehen die technischen und grundsätzlichen Möglichkeiten des Petitionsrechts bei weitem nicht ausgeschöpft. So ist die Frist von vier Wochen zur Mitzeichnung zu kurz, ist das Quorum von 50 000 Mitzeichnern zu hoch. Bündnis 90/Die Grünen streben darüber hinaus einen weiteren grundlegenden Ausbau der Mitwirkungsmöglichkeiten und eine umfassende Transparenz des Verfahrens für die Bürgerinnen und Bürger im Petitionsrecht an. Wir sind der Überzeugung, dass eine Stärkung des Petitionsrechts ein richtiger Weg ist, repräsentative und teilnehmende Demokratie auf neuartige Weise miteinander zu kombinieren. Wir wollen darum das Instrument der öffentlichen Petition zu einer wirklich „Offenen Petition“ für die Bürgerinnen und Bürger machen. Petitionen sollten nicht nur wie bisher gemeinsam im Onlineangebot des Peti-tionsausschusses diskutiert werden, sondern auch gemeinsam erarbeitet und eingereicht werden können. Diese Bitten zur Gesetzgebung sollten dann auch eine angemessene Bearbeitung in den Fachausschüssen und im Plenum finden. Die Linke fordert die Bundesregierung auf, ein Peti-tionsgesetz vorzulegen. Dies lehnen wir ab. Das Peti-tionsbehandlungsrecht ist ein Parlamentsrecht. Adressat einer Petition ist die Volksvertretung, mit Rechten und Pflichten des Parlamentes. Diese sind im Grundgesetz, im Befugnisgesetz, in der Geschäftsordnung des Bundestages und in den Verfahrensgrundsätzen niedergelegt und konkretisiert. Dieses Regelwerk eröffnet dem Parlament und dem Petitionsausschuss genau jene Spielräume und Möglichkeiten, die für flexibles Handeln und Agieren und letztlich für eine erfolgreiche Arbeit auch im Härte- und Ermessensfall günstig sind. Notwendige Änderungen können und sollten in diesem Handlungsrahmen vorgenommen werden. Ein Petitionsgesetz, das diese Handlungsspielräume einengt und dem Ermessen Fesseln anlegt, brauchen wir nicht. Geradezu absurd ist es, die Formulierung eines solchen Gesetzes und der Regularien der Petitionsbearbeitung in die Hände der Regierung zu legen. Das Peti-tionsrecht ist Instrument zur Kontrolle und Korrektur der Exekutive durch das Parlament. Das Parlament darf sich nicht von der Regierung vorschreiben lassen, wie es zu handeln hat. Das Petitionsrecht gehört in die Hand der Volksvertretung und nicht in die Finger der Regierung. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/10682 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Groth, Katrin Werner, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Freiheit für Mumia Abu-Jamal – Drucksache 17/8916 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): Dem Antrag der Fraktion Die Linke „Freiheit für Mumia Abu-Jamal“ kann die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht zustimmen. Wir möchten juristische Fälle nicht politisch instrumentalisieren. Dies lehnen wir sowohl im konkreten Fall als auch ganz generell ab. Die Unabhängigkeit der Justiz ist ein hohes Gut, das es permanent zu verteidigen gilt. Urteile dürfen nicht politisch sein, und genauso wenig dürfen sie von der Politik für politische Zwecke missbraucht werden. Alle politisch Handelnden sollten die Unabhängigkeit der Justiz als Teil der Gewaltenteilung anerkennen und respektieren. Dies gilt nicht nur für unser eigenes Land, sondern auch für andere Länder und selbstverständlich auch für die Vereinigten Staaten. Der Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz eines jeden Landes ist nicht gleichbedeutend damit, dass wir das Strafverständnis einer jeden Rechtsordnung teilen oder jeden Urteilsspruch für angemessen halten. Die CDU/CSU lehnt genauso wie jede andere Fraktion des Hohen Hauses die Todesstrafe ab. Wir sind froh, dass hierüber in Deutschland ein breiter politischer und gesellschaftlicher Konsens besteht. Wir werden auch nicht müde, diese Rechtsauffassung gegenüber anderen Ländern kundzutun. Dies zeigt auch unser Verhalten in der Entwicklungspolitik, wo wir Entwicklungshilfe mitunter von der Abschaffung bzw. der Nichtanwendung der Todes-strafe abhängig machen. Ein weiteres Beispiel sind unsere regelmäßigen Proteste gegenüber der Vollstreckung von Todesurteilen in China oder dem Iran oder unsere konsequente Positionierung in dieser Frage gegenüber den USA und anderen Verbündeten. Wir stehen auch voll und ganz hinter dem Grundsatz, dass Mitgliedstaat der EU nur sein kann, wer die Todesstrafe abgeschafft hat. Diese eindeutige Positionierung gegen die Todesstrafe ist aber etwas völlig anderes, als einzelne Richtersprüche zu beurteilen und per Ferndiagnose Freisprüche zu fordern. Der Deutsche Bundestag kann – und sollte auch nicht – über Schuld und Unschuld von Mumia Abu-Jamal entscheiden. Es verwundert mich deshalb, wie man sich anmaßen kann, in diesem juristisch offensichtlich höchst komplexen Fall über die Ablehnung der Todesstrafe hinaus Position zu beziehen. Es ist nicht bewiesen, ob es sich im Fall Mumia Abu-Jamal um ein rassistisch motiviertes Urteil handelt. Jahrzehntelanges Schweigen des Angeklagten wurde von widersprüchlichen Stellungnahmen abgelöst, unterschiedliche Zeugenaussagen wurden gemacht und später widerrufen. Andere Personen behaupteten, die Mumia Abu-Jamal zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Dies alles scheint mir doch ein recht verwirrender juristischer Sachverhalt zu sein. Ich kann deshalb den Deutschen Bundestag nur warnen, sich entsprechend zu positionieren. Wir sind kein Gericht, uns stehen nicht die Mittel eines Gerichtes zur Erforschung des Tathergangs zur Verfügung und daher sollten wir uns auch kein Urteil anmaßen. Seit nunmehr 30 Jahren beschäftigt dieser Fall die Gerichte in den Vereinigten Staaten, aber die Fraktion Die Linke meint, wir könnten ihn per Antrag hier und heute entscheiden. Mit der CDU/CSU-Fraktion ist so etwas nicht zu machen. Wir sollten uns vielmehr darauf beschränken, die Aussetzung der Todesstrafe durch die Staatsanwaltschaft Philadelphia zu begrüßen. Dies ist meines Erachtens genauso weit wie ein Parlament gehen darf, ohne die Unabhängigkeit der Justiz anzutasten. Die Frage „Todesstrafe – Ja oder nein?“ hat nichts mit Schuld oder Unschuld zu tun. Sie ist keine Frage der angemessenen, gebotenen und verhältnismäßigen Anwendung des Strafmaßes. Es geht bei ihren Befürwortern und Gegnern nie nur um einen konkreten Fall. Diese Frage darf von der Bank des Richters und von der des Staatsanwaltes heruntergeholt werden hinein in die Gesellschaft und damit auch hinein in dieses Haus. Es ist eine Wertefrage und eine Frage von verfassungsrechtlichem Ausmaß sowie eine Frage der Menschenrechte und der Menschenwürde. Zum Glück ist es auch eine Frage, die in unserer deutschen Werte- und Rechtsordnung schon seit 1949 entschieden ist. Die Antragsteller darf ich daran erinnern, dass die DDR erst 38 Jahre später, nämlich am 17. Juli 1987, so weit war. Die CDU/CSU-Fraktion tritt weltweit für die Abschaffung der Todesstrafe ein, und die Bundesregierung wird nicht müde, dies gegenüber allen Nationen, seien wir eng mit ihnen verbündet oder nicht, zu betonen. 30 Jahre beschäftigen sich die Gerichte bereits mit dem Fall Mumia Abu-Jamal. Der zuständige Bezirksstaatsanwalt wird, nachdem er die Todesstrafe ausgesetzt hatte, mit folgenden Worten zitiert: „Es gab für mich nie einen Zweifel, dass Mumia Abu-Jamal den Polizisten Faulkner erschossen und getötet hat.“ Der Verurteilte bleibe für den Rest seines Lebens hinter Schloss und Riegel, „und da gehört er auch hin“, so der Bezirksstaatsanwalt weiter. Bei der von mir und meiner Fraktion geforderten Anerkennung der Unabhängigkeit der Justiz nehme ich diese Wertung zur Kenntnis. Eine Beurteilung kann ich mir nicht erlauben. Eine Beurteilung sollte sich keiner von uns erlauben, der nicht mit juristischem Sachverstand die Akten sorgfältig geprüft und alle Beteiligten gehört hat. Worüber ich mir aber sehr wohl ein Urteil erlauben kann, ist die Frage, ob wir eine Person, die von einem zuständigen Staatsanwalt mit diesen Worten eingeschätzt worden ist, in einer deutschen Gebietskörperschaft zum Ehrenbürger ernennen sollen. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass die Stadt Paris diesen Schritt unternommen hat. Die Frage, ob wir den USA anbieten sollen, Mumia Abu-Jamal in Deutschland Aufnahme zu gewähren, stellt sich für uns nicht. Mit Ehrenbürgerschaften sollten wir vorsichtig umgehen. Mumia Abu-Jamal gehört sicherlich nicht zu den Personen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, deren Taten so unumstritten waren und sind, dass sie die Verleihung einer Ehrenbürgerschaft rechtfertigen. Die Stadt Paris ist in ihrer Entscheidung frei, wen sie zum Ehrenbürger macht und wen nicht. Wir respektieren zwar diese Entscheidung, nachvollziehen aber können wir sie nicht. Es besteht nach unserer Auffassung überhaupt kein Grund, den Vereinigten Staaten von Amerika die Aufnahme von Mumia Abu-Jamal anzubieten. Die Todesstrafe gegen den Verurteilten ist ausgesetzt. Damit ist unsere Hauptforderung erfüllt. Weder Mumia Abu--Jamal noch sein Opfer noch die Tat als solche oder einer der Zeugen stehen in irgendeinem Bezug zu Deutschland. Weshalb wir Mumia Abu-Jamal bei uns aufnehmen sollen, ist für uns als CDU/CSU nicht nachvollziehbar. Eine fundierte Begründung hierfür bleiben Sie in Ihrem Antrag schuldig. Mit Ihrer Forderung nach Freilassung Mumia Abu-Jamals und Aufnahme in Deutschland zeigen Sie Ihre wahren Absichten. Es geht Ihnen in erster Linie nicht um Gerechtigkeit bzw. ein gerechtes Urteil im konkreten Fall. Ihnen geht es vor allem um die Diskreditierung des Rechtssystems der Vereinigten Staaten, und es geht Ihnen um die Freiheit für eine Ikone der internationalen Linken, losgelöst von der Frage „Schuldig oder unschuldig?“. Wir halten das US-amerikanische Rechtssystem gerade wegen der Todesstrafe durchaus für nicht perfekt. Aber ein Rechtssystem ändert oder reformiert man nicht, indem man sich Verurteilte herauspickt, mit denen man politisch auf einer Wellenlänge liegt und sie, losgelöst von der Frage, ob schuldig oder nicht schuldig, freispricht. Mit einem juristischen Freispruch hat so eine Entscheidung nichts mehr zu tun. Das ist einzig und allein ein politischer Freispruch. Deshalb lehnt die Fraktion der CDU/CSU den Antrag der Linken ab. Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): „Wie kann ein Staat, der die gesamte Gesellschaft repräsentiert und die Aufgabe hat, die Gesellschaft zu schützen, sich selbst auf die gleiche Stufe stellen wie ein Mörder?“ Diese Frage stellte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan vor zwölf Jahren in New York. Damals wurde ihm bzw. der UN eine weltweite Petition mit 3,2 Millionen Unterschriften gegen die Todesstrafe überreicht. Ich kann seinen Worten nur zustimmen: Ein Staat hat zuvörderst die Pflicht, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen, ihr höchstes Gut, das Recht auf Leben, zu wahren und die Menschenwürde aller Bürger – dies gilt auch für Verbrecher – zu verteidigen. Dies ist in zahlreichen internationalen Übereinkommen festgelegt und bei der Mehrheit der Staaten Konsens. Und dafür kämpft die SPD seit langem und wird dies auch weiterhin mit aller Kraft tun – zuletzt in unserem gemeinsamen Antrag mit den Grünen „Todesstrafe weltweit abschaffen“ aus dem Jahr 2010. Ich kann übrigens immer noch nicht verstehen, warum sich die Regierungskoalition damals einem gemeinsamen Antrag verweigerte. In früheren Legislaturperioden scheiterten solche Initiativen nicht an der beschämenden Kleinlichkeit einzelner Unionsabgeordneter. 58 Staaten bestrafen derzeit Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung oder Wirtschaftsdelikte mit dem Tod. -25 von ihnen haben bis ins letzte Jahr die Todesstrafe auch noch vollstreckt. Im Iran steht die Todesstrafe sogar auf das „Verbrechen“ der politischen Meinungs-äußerung. Dort wurden im vergangenen Jahr übrigens auch drei Personen hingerichtet, die ihre Straftraten begingen, als sie noch minderjährig waren. Mancherorts gilt die Todesstrafe auch für Drogendelikte, und nicht vergessen sollten wir die Vielzahl von Todesurteilen nach dem Scharia-Recht: wegen Homosexualität, Ehebruchs oder Apostasie, also dem Abfall vom angeblich „wahren“ Glauben. Im März dieses Jahres hat Amnesty International seinen Bericht „Todesstrafen und Hinrichtungen 2011“ veröffentlicht. China belegt den grausamen ersten Platz. Wie viele Menschen jährlich exekutiert werden, ist nicht ganz klar. Amnesty schätzt ihre Zahl auf mehrere Tausend. Der Iran mit 360 Hinrichtungen, Saudi-Arabien mit 82 und der Irak mit 68 Hinrichtungen – allein im vergangenen Jahr – folgen auf den Plätzen danach. Als einziges westliches Land halten die USA, bzw. 34 ihrer 50 Bundesstaaten, an der Todesstrafe fest. Positiv anzuerkennen ist aber, dass Illinois im vergangenen Jahr die Todesstrafe abschaffte und der Gouverneur von Oregon, John Kitzhaber, verkündete, dass er während seiner Amtszeit in seinem Bundesstaat keine weitere Hinrichtung zulassen werde. Dennoch belegten die USA mit 43 Hinrichtungen im letzten Jahr den fünften Platz der Liste. Nach den Angaben des Death Penalty Information Center saßen im April 2011 3 222 Personen im Todestrakt. Und dazu kommen 78 weitere, denn die US-amerikanischen Richter verhängten in 78 Fällen erneut die Todesstrafe. Viele der Verurteilten sitzen mehrere Jahre, manche jahrzehntelang, im Todestrakt. Die Justiz hält es dabei nicht für nötig, ihnen mitzuteilen, wann die Strafe vollstreckt werden wird. Das ist eine unmenschliche Behandlung und meiner Meinung nach psychische Folter. Besonders bedrückt mich die Tatsache, dass die USA einerseits in der Spitzengruppe der Todesurteile sind und andererseits als Vertreter der sogenannten aufgeklärten westlichen Welt global für die Entwicklung von Menschenrechten und Demokratie eintreten wollen. Das macht es auch für uns schwerer, weiterhin glaubwürdig für die Abschaffung und Ächtung der Todesstrafe einzutreten. Zuletzt sorgten die Fälle der zwei in den USA inhaftierten Afroamerikaner Troy Davis und Mumia Abu--Jamal für mediale Aufmerksamkeit und Empörung. In beiden Fällen bestehen erhebliche Zweifel an ihrer Schuld. Der hier diskutierte Antrag der Linken widmet sich Mumia Abu-Jamal und fordert die Freilassung des Verurteilten. 30 Jahre zieht sich nun bereits der Prozess um den afroamerikanischen Journalisten hin. 1982 wurde er wegen des Mordes an dem Polizisten Daniel Faulkner zum Tode verurteilt. Seit letztem Jahr steht nun fest: -Mumia Abu-Jamal wird nicht hingerichtet. Das Todesurteil wurde in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Das macht deutlich, wie wichtig internationaler Druck in diesen Fragen ist. Die Schuldfrage ist aber immer noch nicht eindeutig geklärt. Immer wieder wurden neue Zeugen angehört, alte Zeugen revidierten ihre Aussagen oder behaupteten im Nachhinein, von der Polizei erpresst worden zu sein. Er selber hatte seine Unschuld immer wieder beteuert, sich jedoch erst einige Jahre nach dem Vorfall überhaupt dazu geäußert. Unsere Forderung kann nur sein, endlich Licht in dieses Dunkel zu bringen. Sicher ist nämlich: Die internationalen Standards für ein faires Gerichtsverfahren wurden nicht eingehalten. Um die mageren Fakten herum entbrannte in den letzten 30 Jahren ein hochpolitisierter Glaubenskampf entlang ideologischer Fronten. Es wurde von Justizwillkür und Rassismus gesprochen. Dabei mag es ja durchaus sein, dass dies die treibenden Gründe im Prozess und für die Verurteilung gewesen sind. Das Problem allerdings ist: Es kann bislang anscheinend nicht wirklich nachgewiesen werden. Und deshalb kann ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, in Ihrer Forderung, die Verantwortlichen für rassistisch motivierte Urteile zur Rechenschaft zu ziehen, nur ausdrücklich unterstützen. Allerdings wird das ohne einen entsprechenden Nachweis nicht gelingen. Die Umwandlung der Todesstrafe von Mumia Abu-Jamal in eine lebenslange Haft ist zu begrüßen – so bitter allerdings eine solche Strafe für einen ist, der seine Schuld bestreitet. Dies eröffnet aber die Chance für die USA, den Fall ehrlich aufzuarbeiten, daraus zu lernen und Konsequenzen zu ziehen. Etwas unlogisch erscheint mir Ihr Antrag bezüglich der Forderungen zwei und drei. Hier fordern Sie zum einen die Freilassung von Mumia Abu-Jamal – Sie gehen also von seiner Unschuld aus. Zum anderen bieten Sie im nächsten Punkt an, Mumia Abu-Jamal in Deutschland aufzunehmen – als Verurteilten; hier gehen Sie also von seiner Schuld aus. Diesen Widerspruch sollten Sie vielleicht bis zur nächsten Lesung noch einmal intern diskutieren. Die Aufhebung des Todesurteils gegen Mumia Abu-Jamal macht mir aber Mut. Genauso wie die weltweiten Stimmen, die seit einigen Jahren verstärkt gegen die Todesstrafe laut werden. Vielleicht gibt es ja Hoffnung auf eine aufgeklärte Debatte über diese steinzeitliche Bestrafungsmethode. Wir können erfreut feststellen, dass sich weltweit immer mehr Politiker, Präsidenten, Minister und Richter gegen diese grausame Form der Bestrafung aussprechen und dass die Anzahl der Länder, die die Todesstrafe verhängen und vollstrecken, laut Amnesty-Bericht zurückgeht. Allerdings – und das ist das Wasser im Wein der Freude – nehmen die nackten quantitativen Zahlen eine gegenläufige Entwicklung. Insgesamt ist die Anzahl der offiziell registrierten Vollstreckungen angestiegen von 527 in 2010 auf 676 in 2011. Dies ist vor allem auf den deutlichen Anstieg von Hinrichtungen im Mittleren Osten, im Irak, im Iran und in Saudi-Arabien zurückzuführen. Die Zahlen aus China – geschätzte mehrere Tausend im Jahr – sind da allerdings nicht dabei. Ich möchte noch einmal mein Eingangszitat von Kofi Annan in Erinnerung rufen: Ein Staat, der die Todesstrafe durchführt, stellt sich auf die gleiche Stufe wie ein Mörder. – Daher appelliere ich an die Bundesregierung, sich in kommenden Gesprächen mit der US-Regierung – wie immer sie nach dem 6. November aussehen mag – dafür einzusetzen, dass die Todesstrafe in allen US-amerikanischen Bundesstaaten abgeschafft wird, und darauf zu drängen, das alle zum Tode Verurteilten begnadigt werden. Außerdem fordere ich die Bundesregierung dazu auf, in bilateralen Gesprächen mit allen Ländern, die den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte noch nicht ratifiziert haben, für eine schnelle Ratifizierung zu werben. Ein weiterer wichtiger Schritt wäre wegen der Vorbildfunktion Europas allerdings auch, wenn auch Polen als letztes Mitglied der EU das Protokoll Nr. 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention endlich verabschieden würde. Pascal Kober (FDP): Wir befassen uns heute in erster Beratung mit einem Antrag der Linken zum Fall von Mumia Abu-Jamal. Zunächst möchte ich betonen, dass die FDP die Todesstrafe unter allen Umständen ablehnt, und zwar völlig unabhängig von der Frage der Schuld oder Unschuld der dazu Verurteilten. Ich denke, alle Fraktionen dieses Hauses sind sich in diesem Punkt einig. Die Todesstrafe ist mit der Würde des Menschen unvereinbar, sie verletzt das unveräußerliche Grundrecht auf Leben. Sie ist durch nichts zu rechtfertigen. Weder hat sie eine abschreckende Wirkung bei der Verbrechensbekämpfung, noch kann sie aus dem Motiv der Sühne oder der Gerechtigkeit heraus begründet werden. Darum ist die weltweite Ächtung und Abschaffung der Todesstrafe ein erklärtes Ziel liberaler Menschenrechtspolitik und ein Arbeitsschwerpunkt dieser Bundesregierung. Schon unser -Koalitionsvertrag hält dieses Ziel auf Seite 126 schriftlich fest, und wir verfolgen diesbezüglich eine aktive Politik. Damit wollen wir grundsätzlich auf diese Praxis in einzelnen Ländern Einfluss nehmen, um auf Aussetzung und Abschaffung der Todesstrafe hinzuwirken. Zu diesen Ländern gehören leider auch die USA, mit denen wir jedoch grundsätzlich sehr eng und freundschaftlich verbunden sind. Die FDP-Bundestagsfraktion erhebt daher die Stimme gegenüber sämtlichen Staaten, welche die Todesstrafe vollstrecken, seien es nun demokratische Staaten wie die USA oder autoritäre Staaten wie China, Iran oder Belarus. Selbst wenn sie wie im vorliegenden Fall von Mumia Abu-Jamal letztendlich nicht vollstreckt wird, so ist -bereits die Verhängung der Todesstrafe unmenschlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, was schon allein die Verurteilung zum Tode bei den betroffenen Menschen an Leid und Existenzangst verursacht. So auch im Fall von Mumia Abu-Jamal, der wegen Polizistenmord 1982 zum Tode verurteilt wurde. Fast 30 Jahre beschäftigte der Fall die Justiz, bis die Staatsanwaltschaft die Forderung nach der Todesstrafe im Dezember 2011 endlich fallen ließ. Dies war ein überfälliger Schritt, der weltweit begrüßt wurde. Ihr nun vorliegender Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, geht jedoch einen Schritt weiter und damit zu weit. Nicht nur fordern Sie darin die Bundesregierung unnötigerweise auf, etwas zu tun, was sie bereits umsetzt, nämlich die weltweite Ächtung und -Abschaffung der Todesstrafe einzufordern und aktiv dafür einzutreten. Unter Punkt 2 fordern Sie außerdem die Bundesregierung auf, sich gegenüber der US-Regierung für die Freilassung von Mumia Abu-Jamal einzusetzen. Die FDP-Bundestagsfraktion teilt die Einschätzung, dass die Verurteilung von Mumia Abu-Jamal den rechtsstaatlichen Erwartungen, die wir an die USA stellen, nicht voll entsprochen hat. Namhafte und unabhängige Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International hatten wiederholt -darauf hingewiesen, dass juristische Standards in Bezug auf faire Verfahren während seines Prozesses nicht eingehalten wurden. Natürlich ist das Justizsystem der USA in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass alle Angeklagten nach rechtsstaatlichen Grundsätzen und frei von jeglicher Diskriminierung behandelt werden. Als Freund der USA ist es auch unsere Pflicht, unsere amerikanischen Partner bei gegebenem Anlass darauf hinzuweisen. Als Bundestagsabgeordnete ist es von hier aus jedoch nicht möglich, eine Entscheidung anstelle des Justiz--systems der USA über die Schuld oder Unschuld von Mumia Abu-Jamal zu treffen. Ich möchte die zustän-digen Behörden der USA jedoch auffordern, die seitens vieler Nichtregierungsorganisationen bestehenden Zweifel am rechtsstaatlichen Verfahren ernst zu nehmen und auszuräumen. Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, darauf -hinzuweisen, dass dank breiten zivilgesellschaftlichen Engagements die Todesstrafe in den USA auf dem -Rückzug ist. In den vergangenen fünf Jahren haben vier US-Bundesstaaten die Todesstrafe abgeschafft, zuletzt -Connecticut Ende April dieses Jahres; dem waren Oregon und Illinois vorausgegangen. Im November werden die Bürger Kaliforniens in einer Volksabstimmung entscheiden, ob die Todesstrafe auch in dem bevölkerungsreichsten US-Bundesstaat abgeschafft werden soll. Ich hoffe inständig, dass sie dem Beispiel der genannten Staaten folgen, und werde die Abschaffung der Todesstrafe im Gespräch mit unseren amerikanischen Partnern weiter mit Nachdruck thematisieren. Annette Groth (DIE LINKE): Seit fast 30 Jahren setzen sich weltweit viele Zehntausende Menschen für das Leben von Mumia Abu-Jamal ein. Immer wieder war sein Hinrichtungstermin geplant, konnte aber durch die bewundernswerte weltweite Solidarität verhindert werden. Der Einsatz für Mumia Abu-Jamal in der weltweiten Solidaritätsbewegung ist immer auch ein Kampf für Gerechtigkeit und gegen die Todesstrafe. Tausende von Institutionen, Organisationen und Einzelpersonen haben sich für das Leben von Mumia Abu-Jamal und gegen die Todesstrafe eingesetzt. Ihnen allen gilt unser Respekt und Dank. 2003 wurde Mumia Abu-Jamal in Paris zum Ehrenbürger ernannt. Angela Davis, selbst eine prominente ehemalige politische Gefangene in den USA, hatte stellvertretend für Mumia Abu-Jamal die Auszeichnung in Paris entgegengenommen. Erst vor wenigen Tagen hat die französische Stadt Bobigny eine Straße nach Mumia Abu-Jamal benannt. Dies sind Beispiele, wie auch Kommunen und Parlamente ihre Solidarität zeigen können. Ich hoffe, dass auch in Deutschland viele Städte und Kommunen diesem Beispiel folgen. Ein wichtiger Schritt in Deutschland waren der Beschluss der Bremischen Bürgerschaft „Einsatz für die Abschaffung der Todesstrafe und ihrer Vollstreckung“ und ihre Solidarität mit der bundesweiten Kampagne zur Abwendung der Vollstreckung des Todesurteils an -Mumia Abu-Jamal. Einen solchen Beschluss hätten wir uns auch hier im Deutschen Bundestag gewünscht. Es war jedoch auch in der Zeit von Rot-Grün nicht möglich, einen solchen Beschluss zu fassen, da sich auch die rot-grüne Bundesregierung einem solchen Signal verweigert hat. Jetzt ist Mumia Abu-Jamal nach 30 Jahren endlich aus der Todeszelle in den „normalen Vollzug“ verlegt worden. Mit seiner Verlegung hat Mumia Abu-Jamal endlich die Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen, ohne mit einer Hinrichtung rechnen zu müssen. Dies ist ein wichtiger Schritt. Trotzdem bleiben wir bei unsere Forderung: „Lasst Mumia Abu-Jamal endlich frei!“ Wir bitten alle Fraktionen im Deutschen Bundestag, unseren Antrag zu unterstützen, damit diese Forderung endlich auch von der Bundesregierung gegenüber den USA vorgetragen wird. Durch seine aufrechte Haltung und seinen immerwährenden Einsatz gegen die Todesstrafe ist Mumia Abu-Jamal zum Sinnbild für den Kampf gegen die -Todesstrafe geworden. Für viele Menschen wurde er Vorbild und Hoffnung zugleich. Auch die Fraktion Die Linke hat seinen Kampf gegen die Todesstrafe seit mehr als 20 Jahren aktiv unterstützt und sich in vielen Anträgen hier im Deutschen Bundestag für seine Freilassung eingesetzt. Die Todesstrafe ist eine barbarische Strafe, die mit humanitären und aufklärerischen Grundüberzeugungen in keiner Weise vereinbar ist. Staaten nehmen sich das Recht, Menschen legal zu töten, und negieren damit das individuelle Menschenrecht auf Leben. Staaten, die die Todesstrafe noch immer praktizieren, können nicht als moderne Rechtsstaaten angesehen werden. Die Todesstrafe ist eine Siegerjustiz, die auf Rache aufbaut. Rache als Grundmotiv von juristischen Entscheidungen ist jedoch mit einem modernen Rechtsstaat nicht vereinbar. Die Fraktion Die Linke wird ihren Einsatz gegen die Todesstrafe so lange fortsetzen, bis diese weltweit geächtet und verboten ist. Als Fraktion haben wir immer die Anträge gegen die Todesstrafe in China, im Iran oder in anderen Staaten begrüßt und unterstützt, selbst wenn wir bei interfraktionellen Anträgen ausgegrenzt wurden. Umso unverständlicher ist die Tatsache, dass die Regierungsfraktionen, aber auch die SPD gegen die Anträge der Fraktion Die Linke, die gegen die Todesstrafe in den USA gerichtet waren, gestimmt haben. Es macht die menschenrechtspolitische Arbeit der anderen Fraktionen nicht glaubwürdig, wenn sie bei ihrem „Verbündeten“ USA keine klaren Worte gegen die Todesstrafe finden, aber bei Staaten wie Iran oder China schon. Die Fraktion Die Linke lehnt die Todesstrafe ab, gleich in welchem Land sie verhängt wird. Die gleiche Klarheit wünschen wir uns auch von den anderen Fraktionen. In den Todestrakten der USA sitzen in der Regel keine Reichen, sondern die Armen, Ausgegrenzten und Opfer des ungerechten rassistisch geprägten Justizsystems der USA. Fast die Hälfte sind Afroamerikaner. Dazu kommen überdurchschnittlich viele Angehörige anderer ethnischer Minderheiten. Weiße US-Amerikaner werden in den USA viel seltener zum Tode verurteilt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie aufgrund der Geschichte von Sklaverei und Kolonialismus in der Mehrheit über mehr materiellen Wohlstand verfügen und daher häufig in der Lage sind, eine angemessene Verteidigung vor Gericht zu organisieren. Aber auch in den USA wird der Widerstand gegen die Todesstrafe immer stärker. Viele Menschen verstehen die Zusammenhänge zwischen Rassismus und dieser Form der Klassenjustiz. Mumia Abu-Jamal hat diese Tatsachen als Journalist immer klar benannt. Daher wird er von vielen auch als „Stimme der Unterdrückten“ bezeichnet. Er spricht nicht nur für Gefangene oder für die Marginalisierten in den USA, sondern für uns alle, die gegen die Todesstrafe kämpfen. Die Forderungen von Mumia Abu-Jamal -werden von vielen verstanden und weitergetragen. Sie motivieren Menschen in vielen Ländern der Welt, die bestehenden Verhältnisse zu hinterfragen und kämpferisch dazu beizutragen, diese Verhältnisse zu ändern. Mumia Abu-Jamal ist ein Symbol für den Kampf um Gerechtigkeit und gegen eine rassistisch motivierte Politik gegen Minderheiten. In unserem Antrag fordern wir die weltweite Ächtung und Abschaffung der Todesstrafe. Wir fordern die -Bundesregierung auf, sich nachdrücklich gegenüber der Regierung der USA für die Freilassung von Mumia Abu-Jamal einzusetzen. Dies wollen wir mit einem Angebot an die USA verbinden, Mumia Abu-Jamal in Deutschland Aufnahme zu gewähren. Mumia Abu-Jamal sitzt seit 30 Jahren unschuldig im Gefängnis. Jetzt ist es an der Zeit, dass er endlich in Freiheit leben kann. Bitte -unterstützen Sie dieses Anliegen. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seitdem ich das letzte Mal im Bundestag eine Rede zum Thema Todesstrafe gehalten habe, sind eineinhalb Jahre vergangen. Heute stelle ich mit Bedauern fest, dass sich die Notwendigkeit, sich mit diesem Thema zu befassen, seitdem keineswegs verringert hat. Nach wie vor gilt es für Deutschland, sich auf bilateraler Ebene, auf der Ebene der Europäischen Union und auf der Ebene der Vereinten Nationen mit größten Anstrengungen für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe einzusetzen. In diesem Sinne stimmt meine Fraktion dem Antrag der Linken zu. Vor ein paar Tagen konnte man in der Presse einen von Guido Westerwelle und anderen europäischen Außenministern verfassten Artikel lesen, der sich ebenfalls mit dem Thema befasst. Darin ist von ermutigenden Zahlen die Rede: In den vergangenen 20 Jahren hätten über 50 Staaten der Todesstrafe „den Rücken gekehrt“. Ich freue mich über jeden Staat mehr, der dies tut; jedoch gibt es auch andere Zahlen: Im Jahr 2011 wurden mindestens 680 Personen hingerichtet, während es im Jahr 2010 noch 527 waren; des Weiteren wurden annähernd 2 000 Todesurteile ausgesprochen, und mehr als 18 000 Menschen warteten auf die Vollstreckung ihres Todesurteils. Diese Zahlen sind eher ernüchternd als -ermutigend. Unterm Strich zeigen sie nämlich zwei -Tendenzen. Die positive Tendenz wird in Herrn -Westerwelles Artikel hervorgehoben: Immer mehr Staaten schaffen die Todesstrafe ab. Die negative ist die, die meiner Meinung weitaus mehr ins Gewicht fällt: Die Zahl der Hingerichteten nimmt zu. Jede Person, die durch die Todesstrafe ihr Leben verliert, erinnert uns daran, dass es der Menschheit seit Hunderten von Jahren nicht gelungen ist, diesen menschenverachtenden Akt des Strafvollzugs abzuschaffen. Die Todesstrafe gehört zu den ältesten Strafmaßnahmen der Menschheit und scheint leider jede Gesellschaftsform, auch wenn sie sich für noch so aufgeklärt hält, zu überleben. Wie das Beispiel einiger Bundesstaaten in den USA zeigt, gilt das auch für die Demokratie. Und ein Blick auf China, das weltweit die meisten Todesurteile vollstreckt, reicht, um zu erkennen, dass es sich mit dem Kommunismus genauso verhält. Aber ganz gleich, von welchem Land oder welcher Staatsform gesprochen wird – was ihnen allen gemeinsam ist, ist, dass die Verantwortlichen meinen, dass sie andere Menschen aufgrund eines begangenen Verbrechens mit dem Tod bestrafen müssten, dass Personen, die gegen Gesetze und Sittlichkeit verstoßen haben, das Recht verlieren, weiterzuleben. Nein! Kein Staat hat das Recht, über Leben oder Tod seiner Bürger zu entscheiden. Das Recht auf Leben erwirbt jeder Mensch mit der Geburt. Niemand darf es ihm nehmen, egal was er oder sie getan hat. Diese Universalität des Rechts auf Leben gebietet es jedem politischen Akteur, jeder Regierung, auch der Bundesregierung, sich gegenüber allen Staaten, in denen die Todesstrafe praktiziert wird, mit der gleichen -Intensität für deren Abschaffung einzusetzen. Wirtschaftliche oder machtpolitische Interessen sollten dem Engagement für Menschenrechte und Menschenwürde nicht im Wege stehen. Länder wie Deutschland verlieren ihr Gesicht, wenn ihre Regierungen bei Gesprächen mit den USA oder China nicht immer wieder und bei jeder Gelegenheit ihren Standpunkt und ihre menschenrechtlichen Errungenschaften betonen, nämlich den unbedingten Schutz der menschlichen Würde und des Lebens. Gerade stolze Nationen wie die USA und China, die auf Gesichtswahrung großen Wert legen, sollten für dieses Interesse Verständnis haben. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/8916 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Annette Groth, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Menschenrechte und Demokratie in den Staaten des Südkaukasus fördern – Drucksachen 17/7645, 17/8681 – Berichterstattung: Abgeordnete Erika Steinbach Ullrich Meßmer Marina Schuster Katrin Werner Volker Beck (Köln) Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Erika Steinbach (CDU/CSU): „Menschenrechte und Demokratie in den Staaten des Südkaukasus fördern“, so lautet der Titel des Antrags, den wir heute abschließend beraten. Wie unterschiedlich das Verständnis dessen ist, was unter einer solchen Überschrift gefasst werden kann, wird klar, wenn man diesen Antrag liest. Den Verfassern rate ich, die ideologische Brille einmal beiseite zu legen, das klärt den Blick. So wird behauptet, es erfolgte mithilfe der EU--Aktionspläne der Europäischen Nachbarschaftpolitik eine Unterordnung der Menschenrechte unter einen neoliberalen Wirtschaftsumbau mit der Folge der Zementierung von Massenarmut. Mit einer solchen Aussage leiten die Verfasser ihren Antrag ein. Das Gegenteil ist der Fall. Mit dem Projekt der Östlichen Partnerschaft wird das Hauptziel verfolgt, die EU und die Partnerländer unter dem Dach der Europäischen Nachbarschaftspolitik politisch und wirtschaftlich einander anzunähern. Beziehungen sollen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur intensiviert werden. Es geht auch darum, Kontakte zwischen den Menschen in der EU und den Partnerländern zu fördern. Das ist für die Länder, denen keine Beitrittsperspektive in die EU eröffnet wird, ein wichtiges Projekt. Denn hier entsteht durch Austausch eine Annäherung an europäische Werte. Dabei spielen die Menschenrechte eine wesentliche Rolle. Der Anstoß politischer Reformen in diesen Ländern, die dringend notwendig sind, rangiert weit vor wirtschaftlicher Zusammenarbeit zum Beispiel im Bereich der Energiewirtschaft. Die EU ist der wichtigste Handelspartner für die drei Südkaukasus-Staaten. Das steht dem Engagement der EU im Bereich der Menschenrechte in der Region nicht entgegen, sondern befördert es. Dieser Tage wurde der Europäischen Union der Friedensnobelpreis für das Jahr 2012 verliehen. Das Nobelpreiskomitee begründete seine Entscheidung mit dem Beitrag der Europäischen Union zu Frieden, Verständigung, Demokratie und Menschenrechten in den vergangenen 60 Jahren. Dieser Beitrag ist nicht hoch genug zu schätzen. So enthält auch der Aktionsplan, der im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik mit Aserbaidschan im Jahr 2006 vereinbart wurde, wichtige Reformforderungen in den Bereichen Justiz und Verwaltung, Bürgerrechte und demokratische Standards. Seit dem Ende der Sowjetunion und den nachfolgenden staatlichen Unabhängigkeiten vor 20 Jahren haben Armenien, Aserbaidschan und Georgien Entwicklungen durchlaufen, die von innenpolitischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbrüchen gekennzeichnet waren. Kriege und Vertreibungen großer Bevölkerungsgruppen zählten dazu. Es ist dringend notwendig, die Menschenrechtslage in den drei Südkaukasus-Staaten zu verbessern. Gerade weil die menschenrechtsverachtende Zeit vor der Unabhängigkeit immer noch nachwirkt, ist das so schwer. Im vorliegenden Antrag werden jedoch Ursache und Wirkung verwechselt. Sie erheben gern und immer wieder die Forderung, die Bundesregierung müsse die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte den bürgerlichen und politischen Menschenrechten gleichstellen. Die -Wiener Weltkonferenz für Menschenrechte bekräftigte 1993, dass die WSK-Rechte untrennbarer und gleichrangiger Teil der allgemeinen Menschenrechte sind und in einem unauflöslichen Zusammenhang mit den bürgerlichen und politischen Rechten stehen. Die Bundesregierung bekennt sich zur Gleichrangigkeit sowie zur Interdependenz aller Menschenrechte. Deshalb ist die Menschenrechtspolitik Deutschlands in seiner Außen- und Entwicklungspolitik darauf ausgerichtet, auch den WSK-Rechten zur Umsetzung zu verhelfen. Tenor des Antrags ist jedoch, die WSK-Rechte den bürgerlichen und politischen Rechten voranzustellen. Diesem Ansinnen widerspreche ich vehement. Die Europäische Union nutzt das Instrument des Menschenrechtsdialogs mit ihren Partnerländern Armenien und Georgien. Die Bundesregierung thematisiert die Menschenrechtslage in bilateralen Gesprächen mit allen drei Südkaukasus-Staaten regelmäßig und mahnt die Einhaltung der entsprechenden internationalen Verpflichtungen an. Flankiert wird dies durch die Unterstützung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit im Schwer-punkt-programm „Demokratie, Kommunalentwicklung und Rechtsstaat“ durch die Rechts- und Justizberatung in den drei Südkaukasus-Staaten. Menschenrechte und Demokratie in den Staaten des Südkaukasus fördern Deutschland und die Europäische Union bereits vielfältig. Den vorliegenden Antrag lehnen wir ab, da er in bekannter Tradition der Verfasser ein unrealistisches Bild zeichnet und unterstellt, dass dem nicht so sei. Ullrich Meßmer (SPD): Die Staaten des Südkaukasus, Georgien, Armenien und Aserbaidschan, haben seit ihrer Unabhängigkeit 1991 schwierige Prozesse im Zuge der Konsolidierung ihrer Staatlichkeit durchlaufen. Zwischenstaatliche Auseinandersetzungen und Nationalitätenkonflikte spielten hierbei ebenso eine Rolle wie wirtschaftliche Not, Flüchtlingselend und innenpolitische Instabilität. Und auch wenn alle drei Länder mittlerweile ihre Staatlichkeit konsolidiert haben und Mitglied im Europarat und Partnerländer der Europäischen Nachbarschaftsinitiative geworden sind, ist es richtig, sich auch weiterhin intensiv mit diesen Länder zu beschäftigen und Hilfe bei der Weiterentwicklung von Demokratie und Menschenrechten anzubieten. Denn nach wie vor ist die Menschenrechtslage in allen drei Ländern problematisch. Insofern ist der Antrag zu begrüßen. Lassen Sie uns die einzelnen Länder ein wenig genauer betrachten. In Armenien harrt die gewaltsame Niederschlagung der Massenproteste gegen die umstrittene Präsidentenwahl 2008 weiterhin der Aufklärung. Der regierungskritische Sender „Gala TV“ hat unlängst seine Sendelizenz verloren. Auch wird das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht eingehalten, obwohl es in der Verfassung verankert ist. Besonders die Situation der WSK-Rechte hat sich in Armenien verschärft. 34 Prozent der armenischen Bevölkerung leben in Armut, weitere 20 Prozent gelten als unmittelbar armutsgefährdet. Ein weiteres gravierendes Problem stellt die geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen dar. Häusliche Gewalt gegen Frauen ist nach wie vor stark verbreitet, wobei es für betroffene Frauen kaum Schutzräume gibt. In Georgien hat sich die Menschenrechtslage nach dem Kaukasuskrieg 2008 weiter verschlechtert. Auch hier gibt es bislang keine Aufklärung zu der Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte während der Proteste gegen Präsident Saakaschwili. Auch die Aufklärung möglicher Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht während des Kaukasuskrieges ist bislang unterblieben. Umso mehr erfreut es, dass in Georgien mit den Präsidentschaftswahlen 2012 ein demokratischer Wechsel an der Spitze geglückt scheint: Der Herausforderer -Saakaschwilis, der Milliardär Iwanischwili, hat die Präsidentschaftswahlen vom Oktober 2012 nicht nur klar für sich entschieden, sondern er wurde auch durch den unterlegenen amtierenden Präsidenten anerkannt, der damit gleichzeitig seine Niederlage einräumte. Der neue Präsident sieht sich allerdings großen Erwartungen und Herausforderungen gegenüber. Das Land benötigt dringend Sozialprogramme, besonders die medizinische Versorgung muss verbessert werden. Auch die Versorgung der Bevölkerung, von der 40 Prozent in Armut lebt, gilt als große und entscheidende Herausforderung für den neuen Präsidenten. Dabei gilt es auch die besonders schlechte Situation der Binnenflüchtlinge im Auge zu behalten. Des Weiteren müssen der Minderheitenschutz verbessert und die Korruptionsbekämpfung vorangebracht werden. Auch die Medienfreiheit muss weiter verbessert werden, damit regierungskritische Journalisten nicht weiter Repressalien oder wirtschaft-lichen Schikanen ausgesetzt werden. In Aserbaidschan bleibt vor allem die Lage bei den bürgerlichen und politischen Menschenrechten weiter angespannt. Noch immer werden Demonstrationen der Opposition in der Hauptstadt Baku verboten, werden regierungskritische Medien stark eingeschränkt und regierungskritische Journalisten und Blogger verfolgt und mit Haftstrafen bedroht. Daneben ist die Korruption weit verbreitet. Von den 200 000 Kriegsflüchtlingen aus Armenien und den 800 000 Binnenvertriebenen als Folge des armenisch-aserbaidschanischen Konflikts um Berg-Karabach leben noch etwa 20 Prozent in unzureichenden Wohnverhältnissen und es gibt insgesamt Probleme mit ihrer Integration. Positiv lässt sich die Toleranz gegenüber Minderheiten und die religiöse Toleranz hervorheben. Anders als in Armenien und Georgien sind Erfolge bei der Armutsbekämpfung in Aserbaidschan erkennbar: Der Armutsanteil konnte von knapp 50 Prozent 2001 auf nunmehr 9 Prozent gesenkt werden. Die wirtschaftliche Dynamik des Landes, die vor allem von der Erdöl- und Gasindustrie getragen wird, machte Sozialprogramme möglich, die zusammen mit staatlicher Umverteilungspolitik den Armutsanteil senken konnten. Dies ist – auch im Sinne der WSK-Rechte – zu begrüßen. Es darf jedoch nicht zu dem Schluss führen, dass die Menschenrechtslage allein dadurch in Aserbaidschan um ein Vielfaches besser sei als in den anderen Ländern des Südkaukasus. Gerade mit Blick auf die bürgerlichen und politischen Rechte ist die Lage in Aserbaidschan sicherlich schlechter als in Georgien, wo zum ersten Mal Wahlen nach demokratischen Standards stattgefunden und damit zu einem demokratisch legitimierten Wechsel an der Staatsspitze geführt haben. Auch wäre der Schluss falsch, die WSK-Rechte höher als die bürgerlichen und politischen Rechte anzusetzen. Ebenso ist es falsch, die bürgerlichen und politischen den WSK-Rechten vorzuziehen. Menschenrechte können immer nur in ihrer Gesamtheit verwirklicht werden, da sie einander unmittelbar bedingen und unmittelbar voneinander abhängen. Die Darstellung der Situation in Aserbaidschan ist daher im Antrag eindeutig zu positiv und teilweise falsch, auch wenn – und das möchte ich hier ausdrücklich betonen – eine Verminderung von Armut natürlich immer zu begrüßen ist. Ein ausschließliches Fokussieren auf staatliche Umverteilung und Sozialprogramme und die generelle Absage an Privatisierungen helfen nicht in allen Situationen weiter. Häufig benötigen Länder zur Verbesserung der Durchsetzung der WSK-Rechte ein Bündel von Maßnahmen, und hierbei können Privat-investitionen und private Initiativen durchaus ihren Beitrag leisten. In diesem Sinne ist der Antrag, der teilweise richtige Analysen und Forderungen enthält, nicht mitzutragen. Die Unterstützung der einzelnen Länder selber ist aber gleichwohl selbstverständlich wie auch politisch geboten. Marina Schuster (FDP): Es ist unbestreitbar, dass wir uns für eine Förderung der Menschenrechte und der Demokratie in den Staaten des Südkaukasus einsetzen müssen. Insofern kann ich dem Titel – allerdings nur dem Titel – des vorliegenden Antrags der Linken zustimmen. Inhaltlich zeigt sich jedoch eine Perspektive von Menschenrechten, die nicht falscher sein könnte. Sie ist schlicht selektiv. Die Linke hat bereits an anderer Stelle – ich erinnere an die Debatten zu Kuba – ihre Auffassung gezeigt, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte gegen bürgerliche und politische Rechte auszuspielen. Dieser Ansatz ist falsch. Wir unterscheiden eben nicht nach Wertigkeit unterschiedlicher Menschenrechtsformen. Schutz und Wahrung aller Menschenrechte sind und bleiben Priorität der Bundesregierung. Dabei sind die WSK-Rechte untrennbarer und gleichrangiger Teil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und stehen in einem unauflöslichen Zusammenhang mit den bürgerlichen und politischen Menschenrechten. Der Antrag führt an, dass sich die Situation der WSK-Rechte im Südkaukasus aufgrund von Privatisierungspolitik verschlechtert habe. Diese Annahme stellt Ursache und Wirkung in einen völlig falschen Zusammenhang. Weiterhin fordert die Linke die Bundesregierung auf, einer weiteren Privatisierung in den Ländern des Südkaukasus vorzubeugen, weil die Linken ihr Mantra wiederholen, jede Privatisierung sei des Teufels. Das ist falsch, und es widerspricht nicht nur dem liberalen Geist der Freiheit, für den wir als FDP-Fraktion engagiert eintreten, sondern auch den Grundsätzen von wirtschaftlichem Freihandel, auf die sich zum Beispiel die Europäische Union gründet. In dem Antrag wird außerdem übersehen, dass eine positive wirtschaftliche Entwicklung und eine positive Menschenrechtsentwicklung, gerade der WSK-Rechte, häufig einhergehen. Außerdem fehlt die historische Einbettung komplett: Der schlechte Zustand der WSK-Rechte im Südkaukasus ist natürlich auch auf den zum Teil desolaten Zustand der Wirtschaft zurückzuführen. Dieser ergibt sich aber auch aus den postsowjetischen Rahmenbedingungen und den Strukturen, die damals aufgebaut wurden. Für besonders gefährlich halte ich den selektiven Blick des Antrags auf Aserbaidschan. Liebe Kollegen und Kolleginnen von der Linken, bis heute ist mir nicht klar, warum Sie die interfraktionelle Erklärung des Menschenrechtsauschusses zu Aserbaidschan nicht mitgetragen haben. Schlimmer, in Ihrem Antrag loben Sie die Innenpolitik des Landes. In keinem Wort wird erwähnt, dass Aserbaidschan bis heute seinen Verpflichtungen aus der Europäischen Menschrechtskonvention nicht voll nachkommt. Das Auftreten Aserbaidschans in Straßburg hat eindrücklich bewiesen, dass wir auch in Zukunft nicht auf große Veränderungen und demokratische Fortschritte hoffen dürfen. Voraussetzung für den Beitritt Aserbaidschans war unter anderem die Freilassung von politischen Gefangenen. Diese Verpflichtung hat das Land bisher nicht erfüllt. Trotz mehrmaliger Aufforderungen hat sich Aserbaidschan geweigert, dem Sonderberichterstatter bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Christoph Strässer, ein Visum zur Einreise nach Aser-baid-schan auszustellen. Nachdem vor wenigen Wochen entsprechend einem aus Baku geäußerten Wunsch die Beschränkung des Mandates allein auf politische Gefangene in Aserbaidschan fallen gelassen wurde, hat Aserbaidschan dem Sonderberichterstatter für politische Gefangene dennoch kein Visum ausgestellt, sodass eine Reise abermals abgesagt werden musste. Das Verhalten Aserbaidschans ist nicht akzeptabel. Lassen Sie mich noch auf einen letzten Punkt eingehen: Der Antrag versäumt eine grundsätzliche politische und sicherheitspolitische Einbettung. Nach wie vor gibt es schwelende Konflikte zwischen den Staaten des Südkaukasus. Auch das erlebe ich immer wieder in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Natürlich spielt der Berg-Karabach-Konflikt hier eine große Rolle. Sicherheitspolitische Aspekte gehören aber zur Diskussion der Entwicklung der betreffenden Länder dazu. Und eine wichtige Prämisse der EU-Nachbarschaftspolitik ist ja gerade die Konfliktprävention. Auch hierauf geht der vorliegende Antrag nicht ein. Selbstverständlich wird sich die Bundesregierung auch weiterhin energisch für eine Förderung der Menschenrechte in Armenien, Aserbaidschan und Georgien einsetzen. Der Antrag der Linken ist hierzu jedoch nicht der richtige Ansatz und ist deshalb schlichtweg abzulehnen. Katrin Werner (DIE LINKE): Der jüngste Folterskandal in georgischen Gefängnissen unterstreicht die Aktualität unseres Antrags. Der Menschenrechtslage in den Staaten des Südkaukasus muss dringend größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Bilder und Videos der misshandelten, gefolterten, vergewaltigten und gedemütigten Häftlinge haben mich tief erschüttert. Der Folterskandal zeigt exemplarisch, dass die jahrelangen Vorschusslorbeeren des -Westens für die vermeintlichen Demokratiefortschritte in Georgien offenbar verfrüht und politisch unzutreffend gewesen sind. Vor allem die deutsche Bundesregierung hat die Menschenrechtsbilanz und den neoautoritären Politikstil unter Präsident Saakaschwili stets beschönigt, da Georgien der engste Partner der USA, NATO und EU in der Region ist. Das kennen wir schon zur -Genüge mit Blick auf die Menschenrechtsdefizite im eigenen Land und in anderen Ländern mit prowestlich orientierten, autoritären Regimen. Wer sich gegenüber dem Westen kooperativ verhält, wird hofiert, und wer sich dazu eine in Widerspruch stehende, eigenständige Politik leistet, wird häufig sanktioniert. Die Linke wird nicht müde werden, die Bundesregierung aufzufordern: Beenden Sie endlich ihre Politik der Doppelstandards bei Menschenrechten! Immerhin – und dies stimmt mich vorsichtig optimistisch – ist die Aufarbeitung des Folterskandals in Georgien selbst in vollem Gang. Mehrere Minister mussten bereits ihren Hut nehmen und ein Großteil der Gefängnisleitungen und des Wachpersonals soll ausgetauscht werden. Zumindest scheinen die Zeiten, in denen ein -solcher Skandal ohne nennenswerte Folgen blieb, endgültig vorüber zu sein. Hierzu gehört auch der von den georgischen Wählerinnen und Wählern herbeigeführte politische Wechsel bei den Parlamentswahlen am 1. Oktober 2012. Sofern der friedliche Machtwechsel gelingt, kann dies als starkes Signal für die Demokratie mit überregionaler Bedeutung verstanden werden. Auch wenn zuletzt der Folterskandal viel Wasser auf die Mühlen des siegreichen Oppositionsbündnisses „Georgischer Traum“ gelenkt hat, bleibt die soziale Frage das größte innenpolitische Problem Georgiens. Über die Hälfte der georgischen Bevölkerung lebt seit der Un-abhängigkeit vor über zwanzig Jahren in Armut. Das bringt mich zu einem wichtigen Punkt in unserem Antrag. Wie in der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses steht, meinten einige Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fraktionen, wir würden in unserem Antrag die WSK-Rechte einseitig in den Vordergrund stellen. Dazu kann ich nur sagen: Entweder haben Sie unseren Antrag nicht richtig gelesen oder nicht richtig verstanden. Die Linke fordert in dem -Antrag die Bundesregierung wörtlich auf, „in der Menschenrechts-, Entwicklungs- und Außenpolitik Deutschlands grundsätzlich den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten den GLEICHEN Stellenwert einzuräumen wie den bürgerlichen und politischen Menschenrechten“. Von einer Besserstellung der WSK-Rechte gegenüber den bürgerlichen und politischen Rechten kann folglich keine Rede sein. Die jeweiligen Rechte ergänzen sich vielmehr gegenseitig und hängen voneinander ab. Gerade deshalb müssen aber die -Aktionspläne der EU-Nachbarschaftspolitik mit den Südkaukasus-Staaten dringend ergänzt werden, weil sie bislang die wirtschaftlichen und sozialen Rechte stark vernachlässigen und sich vornehmlich auf gute Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung und neoliberalen Wirtschaftsumbau konzentrieren. Es ist jedoch in diesen Ländern, vor allem in Georgien und Armenien, eine stärkere staatliche Sozialpolitik erforderlich, um die wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerungsmehrheit zu stabilisieren und zu verbessern. Wenn Sie dies ablehnen, dokumentieren sie damit nur, dass Sie an der Ideologie des ungehemmten Marktradikalismus festhalten wollen und dass Ihnen die Lebensbedingungen der Bevölkerung egal sind. Das sollten Sie dann an dieser Stelle auch ehrlicherweise zugeben. Ähnlich absurd ist die Behauptung, wir würden die Situation bei den bürgerlichen und politischen Menschenrechten in Aserbaidschan schönreden. In unserem Antrag steht unmissverständlich, dass in allen drei Südkaukasus-Republiken jegliche Formen repressiver -Gewaltausübung durch die dortigen Regierungen unterbleiben sollen, freie und faire Wahlen durchgeführt und die Versammlungs-, Meinungs-, Medien- und Pressefreiheit uneingeschränkt garantiert werden müssen. Genauso müssen selbstverständlich in allen drei Ländern umgehend alle gewaltlosen politischen Gefangenen freigelassen werden. Aserbaidschan bildet dabei keine Ausnahme. Die Angaben darüber, wie viele politische Gefangene es gibt und nach welchen Kriterien jemand als ein politischer Gefangener gilt, müssen aber stimmen. Ich -bedauere es sehr, dass der Europarat in dieser Frage -zutiefst gespalten ist. Dass es bei der Zahl von politischen Gefangenen erhebliche Unterschiede zwischen den drei Ländern gibt, ist eine Tatsache, die von internationalen Menschenrechtsorganisationen bestätigt wird. Menschenrechtsverletzungen und politische Strafjustiz gibt es auch in christlichen Ländern. Ein wichtiger Grund für ausbleibende Fortschritte bei Menschenrechten und Demokratie sind die schwelenden Konflikte in der Südkaukasus-Region. Sie dienen den dortigen Regierungen häufig als Rechtfertigung -dafür, dass die Verteidigungs- und Abwehrbereitschaft gegen äußere Gegner zunächst wichtiger sei als die -Demokratieentwicklung in den Staaten selbst. Das -Gegenteil dessen wäre aber richtig: Fortschritte bei -Demokratie und Menschenrechten würden die Vertrauensbildung zwischen den verfeindeten Konfliktparteien fördern und die Erfolgsaussichten für friedliche Lösungen der ethnoterritorialen Konflikte erhöhen. Die innerstaatlichen Konflikte in Georgien um die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien sowie der zwischenstaatliche Konflikt Armeniens und Aserbaidschans um Berg-Karabach können nur nach den völkerrechtlichen Prinzipien der Gewaltfreiheit, der territorialen Integrität, der Staatensouveränität und dem inneren Selbstbestimmungsrecht von Minderheiten beigelegt werden. Das Selbstbestimmungsrecht ist nicht gleichbedeutend mit einem Anspruch auf einen eigenen Staat. Von den Konfliktparteien ist zu verlangen, dass sie alles unterlassen, was diesbezügliche Spannungen unter ihnen anheizt und Vertrauen zerstört. Die Glorifizierung von Mördern als Nationalhelden und die Tötung von -Zivilisten durch Heckenschützen, darunter selbst minderjährige Kinder, sind klarer Ausdruck von fortbestehendem Feinddenken, das Versöhnungsfortschritte und Friedenslösungen massiv erschwert. Die Linke fordert die Bundesregierung auf, sich für eine Wiederbelebung des Friedensprozesses im Südkaukasus einzusetzen und hierfür in den verantwortlichen Gremien wie der Minsker Gruppe der OSZE deutlich -aktiver mitzuarbeiten und zu diesem Zweck auch enger mit Russland zu kooperieren. Zivile Konfliktlösungen wären für die Situation der Menschen und die Demokratieentwicklung im Südkaukasus weitaus wichtiger als neue Freihandelsabkommen mit der EU, von denen nur europäische Großkonzerne und die politischen Eliten profitieren. Aus diesem Grund werben wir um Zustimmung zu unserem Antrag und lehnen die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses ab. Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Am 15. Dezember des letzten Jahres hielt ich die erste Rede zum vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke. Meine Kritik an Ihrem Antrag zielte vor allem auf die negative Einschätzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik in Bezug auf die südkaukasischen Staaten ab, wogegen die Lage in Aserbaidschan deutlich zu unkritisch dargestellt wurde. Deshalb werden und können wir dem Antrag nicht zustimmen. Heute möchte ich vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen meine Thesen aus dem Vorjahr überprüfen. Ich beginne mit Georgien. Meine Fraktion hat in einem eigenen Antrag, Bundestagsdrucksache 17/8778, im Februar 2012 für eine engere Kooperation mit Georgien plädiert. Zugleich haben wir aber auch auf die demokratischen und menschenrechtlichen Defizite im Land hingewiesen, darunter unter anderem die prekäre Lage in den georgischen Gefängnissen. Genau diese Missstände, dazu noch die dort stattfindende Folter, waren ein entscheidender Grund für die Abwahl der Regierungspartei von Präsident Saakaschwili. Deshalb tut die neue Regierung gut daran, nun – wie angekündigt – glaubwürdige Reformen im Strafvollzug anzugehen. Die Wahlen in Georgien haben zu einem Regierungswechsel geführt. Am Mittwoch konstituiert sich das neue Parlament, danach wird der Ministerpräsident gewählt. Erstmals seit der Unabhängigkeit steht Georgien vor der Herausforderung, eine Kohabitation zu gestalten, das heißt, Präsident und Ministerpräsident gehören unterschiedlichen Parteien an. Mit der ersten Benennung von Kabinettsposten setzte der künftige Ministerpräsident Iwanischwili positive Signale. Er macht keine Zugeständnisse an die nationalkonservativen Kräfte, denen er im Wahlkampf an einigen Stellen auf seiner Liste bedauerlicherweise Unterschlupf geboten hatte. Ebenso positiv hervorzuheben ist, dass sich die zukünftige Regierung im Parlament auf eine Dreifraktionenkoalition stützen wird. Der Wahlgewinner hat mehrfach betont, am Ziel der euroatlantischen Integration Georgiens festzuhalten. Daran muss man ihn messen. Seine erste Auslandsreise ist nach Washington geplant. Interessant erscheint mir ferner, wie genau eine pragmatische Neugestaltung der georgisch-russischen Beziehungen aussehen wird. Auf jeden Fall sollte Deutschland diesen Annäherungsprozess an Russland aktiv unterstützen. Erst nach einer Neugestaltung der Russland-Politik wird auch wieder Bewegung in die festgefahrenen Konflikte um Abchasien und Südossetien kommen. Einen konstruktiven Beitrag kann hier sicherlich der neue Minister Paata Zakareischwili von der Republikanischen Partei leisten. Wie kaum ein anderer hat er sich seit dem Ausbruch der Konflikte zu Beginn der 1990er-Jahre immer wieder für eine Aussöhnung eingesetzt und genießt auf beiden Seiten Vertrauen. Deutschland und die EU müssen Georgien mit glaubwürdigen Ansätzen für eine Einbindung der Sezessionsgebiete in die Östliche Partnerschaft zur Seite stehen. Berichte über das tatsächliche Ausmaß der Wahlfälschung zugunsten der bisherigen Regierungspartei liegen vor. Noch ist allerdings unsicher, wie mit diesen Auswertungen umgegangen wird. Zusammenfassend muss man konstatieren, dass der Machtwechsel bislang vergleichsweise friedlich verlaufen ist, unter anderem auch weil Saakaschwili bereits vor der Bekanntgabe der Endergebnisse die Niederlage seiner Partei eingeräumt hat. Das hat auf jeden Fall Respekt verdient, unabhängig davon, welche Motive ausschlaggebend für seine Entscheidung gewesen sein mögen. Kommen wir zu Aserbaidschan. Dieses Land bleibt für Deutschland ein schwieriger Partner. Wir beschäftigen uns seit geraumer Zeit sehr intensiv mit den Verhältnissen in Baku, und das nicht nur, weil Aserbaidschan als Gewinner im Eurovision Songcontest den Wettbewerb im eigenen Land austragen durfte. Aufgrund des Songcontests stand Aserbaidschan mehrere Monate lang im Licht der Weltöffentlichkeit. Kurzfristig hat das einigen Menschen im Land sicherlich geholfen, die mittel- und langfristigen Folgen dürften kaum zu einer verbesserten Menschenrechtssituation in dem ölreichen Südkaukasus-Staat führen. Im Gegenteil. Nach Abreise der internationalen Journalisten geht das Regime des Präsidenten Alijew härter denn je gegen Oppositionelle vor. Im Zuge der Vorbereitung für den Wettbewerb ging die Regierung unter anderem auch resolut gegen Haus-eigentümer vor, Zwangsenteignungen wurden vorgenommen und Menschen aus ihren Häusern getrieben. Immer härtere Bandagen werden gegenüber der oppositionellen Presse angelegt. Die bekannte kritische Journalistin Khadija Ismailowa sah sich sogar einer Schmierkampagne ausgesetzt, weil sie wiederholt über Korruption in großem Stil in Aserbaidschan geschrieben hat. In jedem der größeren Korruptionsfälle war eine Beteiligung des Präsidenten Alijew und seiner Familie auszumachen. Investigativer Journalismus kann in Aserbaidschan tödlich oder im Gefängnis enden. Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2011 liegt das Land derzeit auf Platz 162 von insgesamt 178 betrachteten Ländern. Von einer Verbesserung im Jahr 2012 ist kaum auszugehen. Aus unserer Sicht ist es wichtig, die wenigen unabhängigen Nichtregierungsorganisationen zu unterstützen. In diesem Zusammenhang sollte auch darüber nachgedacht werden, den aus politischen Gründen zwangsweise exmatrikulierten Studentinnen und Studenten schnell und unbürokratisch einen Studienplatz in Deutschland oder in der Europäischen Union anzubieten. Ein ähnliches Verfahren ist bislang schon mit Zwangsexmatrikulierten aus Belarus üblich. Schutz für politische Oppositionelle sollte ebenso einen Vorrang in der Zusammenarbeit mit Aserbaidschan haben. Bei meinem letzten Besuch hörte ich von Oppositionspolitikern, wie insbesondere der Druck auf die eigene Familie wächst. Viele sind diesem nicht gewachsen und haben häufig den Wunsch, für eine bestimmte Zeit das Land zu verlassen. Ein besonders unschönes Beispiel für die Abschaffung der Pressefreiheit ist der staatlich gesteuerte Bankrott der beiden Oppositionszeitungen „Azadliq“ und -„Müsavat“. Mit einem sogenannten Stadtverschönerungsprogramm in Baku sorgt die Stadtverwaltung dafür, dass die alten bisherigen Zeitungskioske abgerissen werden und an gleicher Stelle neue Verkaufsstände entstehen. Die Krux besteht jedoch nun darin, dass der -Eigentümer der neuen Kioske – ein enger Freund des Präsidenten – den Pächtern „empfohlen“ hat, die beiden einzigen Oppositionszeitungen nicht mehr in das Programm aufzunehmen. Damit bricht diesen faktisch ihre gesamte wirtschaftliche Grundlage weg. Sie können bereits jetzt ihre ausstehenden Schulden nicht begleichen und müssen Redakteure entlassen. An Werbung und Anzeigen von Unternehmen ist nicht zu denken, denn seit langem werden aus Angst vor staatlichem Druck keine kommerziellen Anzeigen mehr in Oppositionszeitungen geschaltet. Wenn der Straßenverkauf tatsächlich wegbricht, ist auch die letzte wirtschaftliche Grundlage verloren. Mit diesem Politikstil belastet Aserbaidschan die bilateralen Beziehungen, die auch besonders zur Lösung des sich verschärfenden Konflikts um Berg-Karabach von Bedeutung sind. Ich möchte hier nicht lange auf den in Ungarn verurteilten Mörder eingehen, der überstellt nach Aserbai-dschan trotz eines völkerrechtlichen Vertrags nicht weiter inhaftiert, sondern als Held gefeiert und befördert wurde. Ein solches Verhalten Aserbaidschans ist aus unserer Sicht vollkommen inakzeptabel. In diesem Zusammenhang hat sicherlich auch die armenische Seite reagiert, indem sie aus innenpolitischen Erwägungen umgehend die diplomatischen Beziehungen zu Ungarn abbrach und Teilnehmer aus internationalen Schulungen abberief. Die Bundesregierung sollte auch auf die armenische Seite einwirken, ihre verschärfte Kriegsrhetorik zu beenden, die gerade den Eindruck erweckt, als habe sie nur darauf gewartet, die Eskalation voranzutreiben. Armenien steht nach wie vor in der Pflicht, seine Truppen aus den besetzten Gebieten rund um Berg-Karabach abzuziehen. Ein erster Schritt in diese Richtung könnte einen Großteil des Konfliktstaus lösen. Stattdessen wird aber der Nationalismus auch von den moderaten Politikern in Armenien weiter befeuert. Deshalb muss diesem auf beiden Seiten unbedingt Einhalt geboten werden. Wenn es zu einer Lösung im Karabach-Konflikt kommen soll, dann sind vor allem Kompromissfähigkeit und Vertragstreue gefragt. Die Madrider Prinzipien stellten an dieser Stelle eine wichtige Etappe dar. Nun muss die OSZE-Minsk-Gruppe aufpassen, dass die Verhandlungsbereitschaft der beteiligten Staaten nicht gänzlich versiegt. Derzeit laufen alle internationalen Bemühungen ins Leere, weil die Konfliktparteien kein echtes Interesse an einer Kooperation haben, sie gefangen sind in ihrer jahrelangen Kriegsrhetorik und jegliche Kompromisse als innenpolitische Schwäche ausgelegt werden. Das einzige Mittel, das langfristig helfen wird, sind die Step-step-Maßnahmen der zivilen Konfliktlösung. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, diese Maßnahmen im Südkaukasus signifikant zu erhöhen. Auch im Bundestag können wir mit unserem IPS-Programm einen kleinen Beitrag zur Weiterentwicklung einer demokratischen Kultur leisten. Ich habe im Oktober jeweils fünf hochqualifizierte und motivierte junge Menschen aus Georgien und Aserbaidschan für das Praktikum im Bundestag ausgewählt. Herr Börnsen wählte drei Stipendiaten aus Armenien aus. Lassen wir diese jungen Menschen im nächsten Jahr teilhaben an unseren Entscheidungsprozessen, die sie zu Multiplikatoren für Offenheit und Kompromissfähigkeit in beiden Staaten werden lassen können. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8681, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7645 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. Oktober 2012, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. (Schluss: 22.03 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 18.10.2012 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 18.10.2012* Becker, Dirk SPD 18.10.2012 Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.10.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 18.10.2012 Dagdelen, Sevim DIE LINKE 18.10.2012 Ernst, Klaus DIE LINKE 18.10.2012 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 18.10.2012 Funk, Alexander CDU/CSU 18.10.2012 Gerdes, Michael SPD 18.10.2012 Hahn, Florian CDU/CSU 18.10.2012 Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 18.10.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 18.10.2012 Hintze, Peter CDU/CSU 18.10.2012 Dr. Kaufmann, Stefan CDU/CSU 18.10.2012 Krichbaum, Gunther CDU/CSU 18.10.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.10.2012 Lanfermann, Heinz FDP 18.10.2012 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 18.10.2012 Möller, Kornelia DIE LINKE 18.10.2012 Nink, Manfred SPD 18.10.2012 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 18.10.2012 Rawert, Mechthild SPD 18.10.2012 Remmers, Ingrid DIE LINKE 18.10.2012 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.10.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 18.10.2012 Dr. Schwanholz, Martin SPD 18.10.2012 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 18.10.2012 Simmling, Werner FDP 18.10.2012 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 18.10.2012 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.10.2012 Weinberg, Harald DIE LINKE 18.10.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 18.10.2012 Werner, Katrin DIE LINKE 18.10.2012 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.10.2012 Ziegler, Dagmar SPD 18.10.2012 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung der NATO Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91 b) (Tagesordnungspunkt 14) Monika Grütters (CDU/CSU): Heute legt die Bundesregierung ihren Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes im Bildungsbereich vor. Lassen Sie uns noch einmal vergegenwärtigen, warum wir über diese Änderung beraten. Natürlich geht es zum einen darum, neue Möglichkeiten für bildungspolitische Kooperationen zwischen Bund und Ländern zu ermöglichen. Im Zentrum steht aber heute vielmehr der Ehrgeiz, zukünftig wenigstens nicht wieder hinter das aktuelle Kooperationsniveau zurückzufallen. Wir sollten in der Debatte nie vergessen, dass Hochschulpakt, Exzellenzinitiative und Qualitätspakt für die Lehre in der verfassungsrechtlichen Istsituation nur zeitlich begrenzte Umwege um die grundgesetzlichen Kooperationsgrenzen sind. Ob sie einer Klage in Karlsruhe standhalten würden, ist nicht geklärt, und an eine einfache, generelle Entfristung ist angesichts der klaren Vorgaben des Grundgesetzes nicht zu denken. Bund, Länder und Vertreter aller Parteien haben am Zustandekommen dieser Pakte mitgewirkt, weil ihnen bewusst war und ist, dass die Länder mit der Herausforderung der doppelten Abiturjahrgänge, mit den Folgen der Aussetzung der Wehrpflicht und mit der ohnehin gestiegenen Zahl der Studierwilligen echt überfordert sind. Es war und bleibt richtig, dass den Herausforderungen einer wissensbasierten Gesellschaft nur mit einer gesamtstaatlichen Antwort begegnet werden kann. Der Hochschulpakt ist deshalb ein Ergebnis politischer Vernunft und Zeichen eines verantwortungsvollen Umgangs mit dem Zukunftsfeld Bildung, an dem alle politischen Akteure im Bund und in den Ländern ihren verdienten Anteil haben. Heute wissen wir, dass der Hochschulpakt aber auch ein Signal war, das tief in die Gesellschaft hineingewirkt hat. Die gemeinsame Anstrengung von Bund und Ländern und der Konsens über Parteigrenzen hinweg haben gerade den jungen Menschen in unserem Land deutlich gemacht, welche Bedeutung und welcher Wert einer akademischen Ausbildung zukommt. Mehr als 46 Prozent eines Jahrgangs studieren heute schon. Mittlerweile kommen jedes Jahr mehr als 550 000 neue Studienanfänger an die Universitäten. Das sind gute Nachrichten, aber auch große Herausforderungen, die über die Auswirkungen von G 8 hinausgehen. Hoffen wir, dass dieser Trend noch lange anhalten wird! Aber – das wissen wir hier alle – der Hochschulpakt als Voraussetzung dieser Erfolge ist endlich. Die zweite Programmphase läuft 2015 aus, und eine beliebige Verlängerung dieses Instrumentes würde die Grenzen eines unveränderten Grundgesetzes sprengen. Es geht also tatsächlich darum, dass wir die Erfolge sichern, die wir in Bund und Ländern gemeinsam erreicht haben. Nicht nur wir Politiker, sondern auch die Unis, die dort Beschäftigten und vor allem die Studierenden – wir alle haben viel zu verlieren, wenn wir es nicht schaffen, uns auf eine Änderung des Grundgesetzes zu einigen. Diese Einsicht liegt dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zugrunde, der heute eingebracht wird. Er beschränkt sich zunächst darauf, die Weichen für die dauerhafte Sicherung des bereits Erreichten zu stellen. In dieser Hinsicht verändert der Entwurf den Status quo nicht, er macht ihn nur endlich verfassungssicher und damit zukunftsfest. Aber leider, leider können manche Kollegen ihrem Oppositionsreflex nicht widerstehen. Gerade der SPD gehen diese Änderungen nicht weit genug. Sie will die Kooperationsmöglichkeiten auch auf den Schulbereich ausweiten. Und in der Tat: Auch und gerade im Schulbereich macht die fehlende Kooperation große Probleme; das wissen wir natürlich auch. Ein Kind, dessen Eltern von Berlin nach Bayern umziehen, leidet, und es verliert nicht selten ganze Schuljahre dabei. Das ist vollkommen inakzeptabel. Wenn wir mit einer Grundgesetzänderung hier Abhilfe schaffen könnten, wäre ich dazu sofort bereit. Aber – und das wissen wir und Sie natürlich ebenso gut – eine solche Regelung wird an den Ländern scheitern, solange sie fürchten, dass die Länder bei einer Mitwirkung des Bundes im Bereich Bildung den Kernbereich ihrer Kompetenzen zumindest teilweise einschränken müssten. Wenn wir nicht gemeinsam in der Lage sind, eine solche Kooperationskultur sensibel zu beschreiben und gesetzlich zu regeln, sind die Länder zu einer Verfassungsänderung hier zum jetzigen Zeitpunkt nicht bereit. Wer also das eine ultimativ mit dem anderen einfordert, verhindert beides. So gelingt weder eine Verbesserung der Hochschulsituation noch eine bessere Kooperationskultur in der Schulbildung. Das hat die SPD noch nicht verstanden. Ihr Vorschlag stellt eher ein kleines trojanisches Pferd dar. Wo außen „Schulbereich“ draufsteht, ist ein kleiner Länderfinanzausgleich drin. Sie glauben doch tatsächlich, die föderalistischen Probleme im Schulbereich wären dann gelöst, wenn der Bund Mehrwertsteuerpunkte an die Länder abtritt. Damit wäre das Bildungsproblem aber gerade nicht gelöst. Eine bedingungslose Zuweisung finanzieller -Mittel wird ja nicht die KMK revolutionieren und das schaffen, worauf wir seit Jahrzehnten warten: die Bildungssysteme und -leistungen der Länder endlich vergleichbar zu machen. Vielmehr fürchten wir, dass derart unspezifisch vom Bund an die Länder durchgereichte Mittel in erster Linie von den Länderfinanzministern zur Finanzierung der Lehrerpensionen verwendet würden. Das aber ist sicher nicht der Sinn der Bildungspolitik – und schon gar nicht der Bildungspolitik des Bundes. Abgesehen davon muss ein Parlament, ein Haushälter natürlich eine Mitverantwortung übernehmen können für die Vergabe der Mittel und ihre Verwendung. Eine simple Abtretung erheblicher Mittel über Mehrwertsteuerpunkte bedeutet auch einen Verzicht auf Mitwirkung – was für ein politisches Ethos steckt dahinter? Einen solchen Umgang mit Steuergeldern kann ich als Abgeordnete gegenüber meinen Wählerinnen und Wählern nicht verantworten – zumal er die Probleme der föderalen Vergleichbarkeit und Mobilität im Schulbereich überhaupt nicht löst. Ich bin mir sicher, dass auch der Großteil meiner Ausschusskolleginnen und Kollegen – auch die Damen und Herren der SPD – das so sehen. Deshalb appelliere ich an Sie: Lassen Sie uns gemeinsam den bereits beschrittenen Weg der verstärkten Kooperation im Bund-Länder-Bereich und die bereits sichtbaren gemeinsamen Erfolge zumindest im Hochschulbereich sichern! Hier gibt es bereits jetzt einen Konsens mit allen Ländern, der so für den Schulbereich noch nicht besteht. Deshalb bitte ich Sie, auf Ihre Ländervertreter einzuwirken, damit diese die Einladung von Bundesministerin Annette Schavan für Ende Oktober ernst nehmen und dort nicht um Länderfinanzfragen zocken, sondern sich um die Sicherung der gemeinsamen Erfolge in der Hochschulpolitik und der künftigen Perspektiven für die Bildungsbereiche bemühen. Es ist vielleicht die letzte Chance, dieses Thema von überragender Bedeutung für die Zukunft unseres Landes zu einem Erfolg zu führen. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf eingebracht – aber die -Koalition will ihn offenbar nicht im Plenum des Deutschen Bundestages debattieren, hat ihn weit hinten auf der -Tagesordnung versteckt und letztlich die Debatte nur zu Protokoll gegeben. Hält die Koalition den eigenen Vorschlag selbst für so schlecht? Zumindest sieht sie ein, dass er keine Chance auf eine Umsetzung hat, weil schlicht und einfach die Mehrheit fehlt, weil er nicht überzeugend ist. Im Konsens aller Fraktionen hatten wir eine Sachverständigenanhörung zu diesem Thema angesetzt. Dort gab es viele interessante und überzeugende Argumente für mehr Kooperation von Bund und Ländern in der -Bildung. Doch die Regierungskoalition reduziert ihren Vorschlag auf die Erweiterung der bestehenden Kooperationsmöglichkeiten von Bund und Ländern im Bereich der Wissenschaft einzig und allein für eine Handvoll -besonderer Einrichtungen. Wir haben es in den vergangenen Monaten immer wieder gesagt: Nach der Methode „Friss, Vogel, oder stirb“ wird diese Teilmaßnahme, für die es zweifelsohne viel Zustimmung auch in unserer Fraktion gibt, isoliert als einzig wahre und machbare -Lösung präsentiert. Doch dabei wird vollkommen außer Acht gelassen, dass die Fixierung auf eine solche Teil-lösung die Gesamtbalance zerstört und alles zum Scheitern bringt. Das Motto „Lasst uns den kleinsten gemeinsamen Nenner vereinbaren, alles Weitere sehen wir dann“ sieht nur auf den ersten Blick wie ein vernünftiges realpolitisches Vorgehen aus. Der Bundesrat hat den Regierungsvorschlag bereits abgelehnt. Zu Recht! Denn für diesen Bereich hatte die SPD-Fraktion bereits Möglichkeiten der Kooperation durchgesetzt. Auf dieser Basis werden etwa die Exzellenzinitiative und der Hochschulpakt realisiert. Die Hauptprobleme, vor denen wir heute stehen, sind jedoch andere und benötigen dringend die Zusammenarbeit von Bund und Ländern – und darum eben eine durchgreifende Änderung des Grundgesetzes. Es geht doch wohl nicht an, dass die Bundesregierung einige -wenige Einrichtungen vom Bund finanzieren und Forscherstellen schaffen will, während sie nicht einmal da-rüber nachdenkt, wie Ganztagsschulen eingerichtet oder mehr Pädagogen zur Förderung von Schülern eingestellt werden können. Auch die Bildung an den Hochschulen, ihre Grundfinanzierung und die Lehre würde außen vor gelassen. Mehr Kooperation ist für Wissenschaft sinnvoll. Für die Bildung, für die Lehre an den Hochschulen und insbesondere für die Schulen ist sie jedoch vordringlich und zwingend nötig: Wir müssen endlich überhaupt damit anfangen! Ich kenne kein Bundesland, das das Ganztagsschulprogramm der Regierung Schröder heute noch für schlecht hält. Die einzige – und berechtigte – Kritik ist, dass es auf bauliche Investitionen beschränkt war. Doch anders ging es damals nicht. Darum muss ein ganz neuer Kooperationsartikel ins Grundgesetz, der die Bildung in -ihrer gesamten Breite im Blick behält. Die von der -Koalition geforderte Teillösung aber würde eine solche Verbesserung für die Bildung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Nach der Ablehnung des Regierungsvorschlages im Bundesrat hat Bundesministerin Schavan die Länder zu einem Gespräch eingeladen. Es ist die Frage, was dabei herauskommen soll, wenn doch andererseits Frau -Schavan immer so tut, als sei der Regierungsvorschlag der einzig realisierbare. Wir sind offen für eine Einigung. Sie muss nicht exakt unseren Vorschlag abbilden. Aber sie muss der Bildung, sie muss den Kitakindern, Schülerinnen und Schülern, den Auszubildenden und Studierenden helfen. Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Wir brauchen ganz dringend mehr Kooperation zwischen dem Bund und den Ländern, was das Feld der Bildungspolitik betrifft! Das mit der Föderalismusreform im Grundgesetz verankerte Kooperationsverbot muss beseitigt werden. Der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung sieht das so. Dies hat nun auch die Bundesregierung erkannt, wie der vorliegende Gesetzentwurf zeigt, den wir heute erstmalig diskutieren. Aber das was vorliegt ist sicherlich nur ein ganz kleiner Wurf und nicht geeignet, die Aufgabe zu lösen. Der Weg zu einer umfassenden und gewinnbringenden Kooperation ist aus meiner Sicht vergleichbar mit einem Marathon. Um mit diesem Bild ein bisschen weiter zu arbeiten, möchte ich einmal den vorliegenden Gesetzentwurf dort einordnen. Dann erscheint der vorgelegte Gesetzentwurf nämlich in einem ganz anderen Licht, als man ihn derzeit verkaufen will. Er würde maxi-mal dazu nützen, die ersten beiden Kilometer zu schaffen. Dann geht dem Kooperationswillen der Bundes-regierung leider die Puste aus. Der vorliegende Gesetzentwurf ist maximal ein kurzer Spurt in die richtige Richtung, doch fehlt ihm tatsächlich die Ausdauer, um grundlegend etwas zu verbessern. Wenn man sich die Stellungnahme des Bundesrates ansieht, so wird dieser Eindruck verstärkt. Selbst unionsgeführte Bundesländer haben mit dem Gesetzentwurf ein Problem, wie man zum Beispiel auch an der Reaktion aus Bayern sehen kann. So will Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch, dass nicht nur bei der Spitzenforschung kooperiert werden darf, sondern bei der Grundfinanzierung der Hochschulen insgesamt angesetzt werden muss. Das wäre schon erfreulich, doch würde auch eine solche Reform kaum für die ersten zehn Kilometer reichen, um wieder auf den Vergleich mit dem Marathon zurück zu greifen. Denn Bildung wird nicht allein an den Hochschulen vermittelt. Was ist mit den Schulen? Unabhängig von der Schulstruktur gibt es in allen Bundesländern den dringenden Wunsch nach einem Ausbau der Schulsozialarbeit oder der Ganztagsbetreuung. Wo bleibt die außerschulische und informelle Bildung? Die Bildungslandschaft in Deutschland ist sehr breit aufgestellt. Wissen wird an unterschiedlichsten Orten und auf vielfältige Weise vermittelt. Bildung ist seit jeher eine der wichtigsten Ressourcen, die unser Land hat. Wer ernsthaft eine Bildungsrepublik will, der muss mehr tun, als nur Spitzenforschung bzw. Hochschulen in den Blick zu nehmen, wenn es um Koope-ration zwischen Bund und Ländern geht. Ich möchte nochmals einen Blick auf Bayern werfen, um zu verdeutlichen, warum es nicht ausreicht, nur im Bereich der Hochschulen das Kooperationsverbot zu ändern, selbst wenn man die Mitfinanzierung aller Hochschulen durch den Bund ermöglichen würde. Bayern ist zwar bei verschiedensten Bildungstests sehr gut. Aber deswegen ist die Welt an Bayerns Schulen keineswegs in Ordnung. In keinem anderen Bundesland sind zum Beispiel die Bildungsperspektiven in derart hohem Maß vom Geldbeutel der Eltern abhängig wie im Freistaat, ein Zeichen dafür, dass es dringend der Nachbesserung bedarf, um durch das staatliche System möglichst allen Kindern sehr gute Chancen zu ermöglichen. Ähnlich sieht es mit der Ganztagesbetreuung aus. Gerade Bayern wäre geholfen, wenn es endlich ein bundesweites Ganztagsschulprogramm geben würde, mit dem nicht nur in Infrastruktur, sondern auch in Personal investiert werden könnte, ein Programm, mit dem vor allem auch die Qualität an den Ganztagsschulen und nicht nur die Quantität gefördert werden könnte. Es gäbe eine Möglichkeit, an den Mittelschulen flächendeckend Schulsozialarbeit und gebundene Ganztagsbetreuung anzubieten und den dort herrschenden Lehrermangel zu bekämpfen, und zwar nicht nur mit geschönten Zahlen, bei denen man so tut, als wären Teilzeitstellen oder befristete Verträge gleichzusetzen mit Vollzeitlehrerstellen. Weiter geht es mit der frühkindlichen Bildung. Auch hier könnten mit einer umfassenden Öffnung des Kooperationsverbots gemeinsam die Angebote verbessert und ausgebaut werden. Die CSU könnte endlich das unsinnige Betreuungsgeld fallen lassen, wenn Bund und Länder umfassend im Bereich der Bildung kooperieren würden. Dann müsste man nicht mit fragwürdigen Ersatzangeboten darüber hinwegtäuschen, dass Bayern seine Hausaufgaben in der frühkindlichen Bildung noch nicht gemacht hat. Neben der Hochschule, den allgemeinbildenden Schulen und der beruflichen Ausbildung gibt es unzählige Akteure, die im Bereich der informellen Bildung aktiv sind. Auch hier könnten vonseiten des Bundes unter Wahrung der Kultushoheit der Länder wertvolle Impulse gesetzt werden, angesichts der Tatsache von Schuldenbremse, knappen kommunalen Haushalten und unzureichenden Bildungsbudgets der Länder eine sinnvolle Form der Zusammenarbeit. Doch auch dafür braucht es eine umfassende Änderung des Kooperationsverbotes, das neben Wissenschaft und Forschung vor allem die Zusammenarbeit im Bereich der Bildung erlaubt. Eine Grundgesetzänderung kann man nicht alle Tage neu diskutieren. Wenn wir nun das Projekt schon in Angriff nehmen und wenn Sie ernsthaft eine Bildungsrepublik wollen, dann haben Sie Mut und bringen Sie mit uns eine Grundgesetzänderung auf den Weg, die mehr erlaubt, als ein bisschen Spitzenforschungsförderung. Mit unserem Vorschlag, einen neuen Art. 104 c in das Grundgesetz aufzunehmen, würde Bildung insgesamt profitieren. Unter Wahrung der Bildungshoheit der Länder könnte das gesamte Bildungssystem in Deutschland gestärkt werden: Hochschulen, Schulen und die unterschiedlichsten Arten der informellen sowie außerschulischen Bildung. Darüber hinaus hätte unser Vorschlag den Vorteil, dass er bereits von den SPD-geführten Bundesländern mitgetragen wird und so eine breite Zustimmung im Bundesrat gegeben ist. Um zu meinem Bild des Marathons vom Anfang zurückzukommen: Unser Antrag führt zum Ziel. Er ist dazu angelegt, die gesamte Strecke des föderalen Langstreckenlaufes im Bereich der Bildung zu schaffen. Das Ziel heißt mehr Bildungsgerechtigkeit und eine Bildungskooperation, die breiten Teilen der Bevölkerung nutzt. Nehmen Sie die Bildung in Gänze in den Blick, und gehen Sie mit uns den Weg über einen neuen Art. 104 c! Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Deutschlands Hochschullandschaft steht in Zeiten des Bologna--Reformprozesses, angesichts steigender Studierendenzahlen – ob nun durch die seit Jahren anwachsende Studienanfängerquote, die doppelten Abiturjahrgänge oder die Aussetzung der Wehrpflicht – und durch die haushalts- und finanzpolitischen Zwänge – Stichwort Schuldenbremsen – vor nie da gewesenen Herausforderungen. Seit Jahren unternimmt der Bund massive Anstrengungen, damit diese Entwicklung nicht zulasten von Studierenden und Lehrenden verläuft. Die christlich-liberale Koalition hat mit ihren zahlreichen Initiativen wie dem Hochschulpakt, dem Qualitätspakt „Lehre“, der Exzellenzinitiative oder dem Deutschland-Stipendium – um nur wenige zu nennen – in erheblichem Maße dazu beigetragen, dass die für die Hochschulen verantwortlichen Länder mit diesen großen Herausforderungen nicht allein gelassen werden. Leider gehen einige Länder nicht so verantwortungsvoll mit diesen Bundesmitteln um, wie es eigentlich im Interesse der Hochschulen sein sollte. Und so verstärkt der Bund auf der einen Seite beständig sein Engagement für die Hochschullandschaft, und auf der anderen Seite fahren Länder wie Berlin ihre Mittel im gleichen Maße zurück. Der Tagesspiegel drückt es ganz treffend aus: Den Hauptstadthochschulen bleibt nichts anderes, als die „Suppe mit Bundesgeld zu strecken“. Der Senat stiehlt sich aus seiner Verantwortung. Eine Schande! Die Regierungsfraktionen sind sich einig, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zunehmend von der Leistungsfähigkeit des Wissenschaftssystems abhängen wird. Im Bereich der universitären Forschung hat sich – nicht zuletzt wegen des enormen Engagements des Bundes – enorm viel getan. Für den Bereich der Hochschullehre gilt es, ein ähnliches Aufbauprogramm zu entwickeln. Es darf nicht hingenommen werden, dass diese wichtige Aufgabe zunehmend unter die Räder gerät. Wir müssen Hochschullehre attraktiver gestalten, Betreuungsrelationen und -intensität deutlich verbessern, innovativere Formen des Austausches zwischen Lehrenden und Lernenden auf den Weg bringen und die Brücke zwischen der Vermittlung von Wissen und Kompetenzen und der Erfahrbarkeit von Forschung schlagen. Das lässt sich nicht zum Nulltarif haben. Nicht zuletzt deswegen legt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor, mit dem eine Änderung des Grundgesetzes in Art. 91 b auf den Weg gebracht wird. Ziel ist es, dass der Bund künftig im Hochschulbereich stärker mit den Ländern kooperieren kann. Denn spätestens seit dem in Zeiten der Großen Koalition im Jahr 2006 eingeführten Kooperationsverbot im Bildungsbereich sind die Möglichkeiten des Bundes extrem eingeschränkt, sich sinnvoll an der Finanzierung von Bildungsvorhaben zu beteiligen. Heute wissen wir, dass die Einführung dieses Kooperationsverbotes – um es mit den Worten Hans-Dietrich Genschers zu sagen – „zu den größten Fehlleistungen der schwarz-roten Koalition“ gehörte. Die FDP hat sich damals wie heute massiv gegen dieses Kooperationsverbot ausgesprochen. Insoweit ist es nur konsequent, dass wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner heute eine Regelung auf den Weg bringen wollen, um das Kooperationsverbot im Wissenschaftsbereich zu lockern. In den Sonntagsreden von Vertretern von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Linken wird die Regelung von 2006 verteufelt. Gleichzeitig gibt man sich Fantastereien hin, malt sich aus, was wäre, wenn der Bund die Zügel in der Hand hielte. Dass der Realisierungsgehalt dieser nebulösen Vorstellungen jedoch gegen null tendiert, klammert man dagegen allzu gerne aus. Bezeichnend war die Reaktion der Kollegin Krista Sager auf den Hinweis, dass der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs öffentlich erklärt habe, man werde die Länderhoheit im Schulbereich vehement verteidigen. Es mag zwar sein, dass Herr Kretschmann nur ein einzelner Grüner ist, doch es drängt sich die Frage auf, wie die grüne Bundestagsfraktion angesichts der konträren Haltung eigener Führungspersönlichkeiten – mögen diese noch so verschroben sein – sich als seriöser Verhandlungspartner gerieren will. Jedenfalls erschwert das elende Hickhack die dringend erforderliche Konsensfindung – schließlich benötigen wir nicht nur auf Bundesebene eine Zweidrittelmehrheit, auch die Länder müssen in gleichem Umfang mitziehen. Und wer solche Verhandlungen mit Maximalforderungen überlastet, seine unabgestimmten Positionen in den Raum wirft, gefährdet auf unverantwortliche Weise ein für alle tragfähiges Ergebnis. Es geht hier um die Zukunft unseres Hochschulsystems und nicht um die Ausgestaltung eines Krötenwanderweges. Hier sind die kleinkrämerischen Zänkereien entschieden fehl am Platze. Kurzum: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, basierend auf dem Vorstoß des bayerischen FDP-Wissenschaftsministers Dr. Wolfgang Heubisch, bietet die Chance, die wirklich drängenden Fragen zu lösen. Natürlich bleiben Wünsche unerfüllt. Mit Lob aus den Oppositionsfraktionen war nicht zu rechnen. Aber im Interesse der deutschen Hochschulen und Hunderttausender Studierender wäre es angebracht, sich aus dem Schmollwinkel herauszubegeben und endlich die Ärmel aufzukrempeln und ernsthaft zu verhandeln. Forderungen mit Blick auf den Schulbereich, auch wenn die FDP-Bundestagsfraktion diese grundsätzlich für sinnvoll hält, sind aufgrund der Gemengelage – man denke an die Worte des grünen Ministerpräsidenten – derzeit nicht -realisierbar. Unser Vorschlag lautet: Konzentrieren wir uns auf das Machbare. Die Oppositionsfraktionen tun sich mit ihrer Verweigerungshaltung auch keinen Gefallen. Es mutet nicht glaubwürdig an, wenn, wie derzeit im Deutschen Bundestag, die Änderung des Art. 91 b des Grundgesetzes mit dem Hinweis, sie sei nicht weitreichend genug, abgelehnt wird und man zeitgleich im Bundesrat verkündet, dass eine weiterreichende Lockerung des Kooperationsverbotes nicht infrage kommt. Mit dieser unsinnigen Haltung zementiert die Opposition das Kooperationsverbot auf lange Sicht – und die Hochschulverbände, Studierenden und Bevölkerung sind keineswegs so naiv, dies nicht zu erkennen. In der Öffentlichkeit wird man sehr schnell erkennen, wer die historische Chance verbockt hat. Und es ist doch klar, dass wir die Gelegenheit nutzen werden, darauf aufmerksam zu machen, wer die Saboteure einer Verfassungsänderung waren. Ich würde mir jedoch für unsere Hochschulen in Deutschland wünschen, dass Sie uns diesen Wahlkampfschlager aus den Händen nehmen und Vernunft walten lassen. Während nahezu alle wichtigen Institutionen im Wissenschaftsbereich – von den Forschungsgemeinschaften über die Hochschulverbände und den Wissenschaftsrat bis hin zu den Sachverständigen in unserer öffentlichen Anhörung am 19. März 2012 im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – unseren Gesetzesvorschlag einhellig begrüßen, legen die Oppositionsfraktionen aus rein wahltaktischem Kalkül unüberbrückbare Steine in den Weg. Da ist es nur bezeichnend, dass es mit Dr. Wolfgang Heubisch ein FDP-Wissenschaftsminister ist, der angesichts dieser Gefechtslage einen Kompromissvorschlag formuliert, um doch noch eine Grundgesetzänderung zum Wohle der Hochschulen und damit der Studierenden zu ermöglichen. Mich verwundert es nicht, dass aus den Reihen der Oppositionsfraktionen hierzu keinerlei Verlautbarung zu vernehmen ist. Einzig der sozialdemokratische Politikrentner Jürgen Zöllner hat die Zeichen der Zeit erkannt, nur wird dieser in seinen eigenen Reihen schon lange nicht mehr erhört. Mich erreichen fast täglich Zuschriften von Hochschulpräsidenten aus ganz Deutschland, die Mut machen, an dem Ziel festzuhalten, eine Mitwirkung des Bundes bei der Hochschulfinanzierung durch die Änderung von Art. 91 b Grundgesetz zu ermöglichen. Ich bezweifle, dass diese Briefe nicht auch die Vertreter der Oppositionsfraktionen erreichen, und frage mich, ob diese noch mit gutem Gewissen den Vertretern der Hochschulen gegenübertreten können, sollten sie sich unserem Gesetzesvorschlag verweigern und auf lange Zeit das Kooperationsverbot zementieren. Mit diesem fahrlässigen Handeln verpassen Sie die einmalige Chance für Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen und fügen unserem Land Schaden zu, da Sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Wissenschaftssystems auf lange Zeit gefährden. Wiederholen Sie Ihre Fehler aus dem Jahre 2006 nicht! Lassen Sie diesmal Vernunft walten! Nicole Gohlke (DIE LINKE): Im letzten Wintersemester fehlten mehr als 100 000 Studienplätze im -Bundesgebiet, Tausende Studienbewerber gingen leer aus – trotz Studienberechtigung in der Tasche. In Baden-Württemberg fehlen ab 2013 mindestens 7 000 Masterstudienplätze pro Jahr, an der Hochschule Offenburg erhält nur jeder zehnte Bewerber eine Zulassung zu einem Masterstudiengang. Das Studentenwerk fordert den Bau von mindestens 25 000 Wohnheimplätzen, da viele -Studierende gerade jetzt zu Semesterbeginn keine finanzierbare Wohnung finden. In Hannover kommen beispielsweise auf 760 freie Wohnheimplätze mittlerweile 2 650 Bewerber. In München sind derzeit mindestens 6 000 junge Menschen ohne Unterkunft. Und in den Ländern werden ab 2014 mindestens 700 Millionen Euro im Jahr für den Hochschulbau fehlen. Ende 2011 stellte der Deutsche Philologenverband fest, dass in der Bundesrepublik jede Woche rund 1 Million Unterrichtsstunden ausfallen. Die durchschnittliche Klassengröße liegt laut Statistischem Bundesamt bei 27 Schülern an Gymnasien und bei 26 an Realschulen und integrierten Gesamtschulen. Eine 2009 von Klaus Klemm veröffentlichte Studie schätzt den Einstellungsbedarf von Lehrerinnen und Lehrern bis zum Jahr 2015/16 bei konstanter Schüler-Lehrer-Relation auf 195 921. Diese Liste wäre leicht zu erweitern, sie -beschreibt lediglich einen Ausschnitt der bildungspolitischen Missstände und Leerstellen in der Bundesrepu-blik. Während die Presse voll ist von solchen Nachrichten, verharrt die Bundesregierung im Aussitzmodus und hält an ihrem völlig unzureichenden und vielfach kritisierten Gesetzentwurf zur Lockerung des Kooperationsverbotes fest. Seit der Bekanntmachung des Gesetzentwurfs im März dieses Jahres wurde von den Oppositionsparteien, von Gewerkschaften und vielen bildungspolitischen -Akteuren Kritik geübt. Im Bildungsausschuss gab es eine Anhörung, in der die Sachverständigen fast einhellig die Position vertreten haben, dass das Verbot der -Kooperation abgeschafft und die Zusammenarbeit von Bund und Ländern endlich verfassungsrechtlich verankert gehört. Dabei müsse vor allem sichergestellt werden, dass sich die Zusammenarbeit auf die gesamte Bildung erstreckt und eben nicht nur auf „Einrichtungen und Vorhaben an einigen Hochschulen von überregionaler Bedeutung“, wie das der schwarz-gelbe Entwurf vorsieht. Trotz dieser Kritik brachte die Bundesregierung ihre Grundgesetzänderung völlig unverändert im September zur Beratung in den Bundesrat ein und erhielt dort das absehbare Ergebnis: noch nicht einmal die einfache Mehrheit der Stimmen. Manche Niederlagen scheinen fast gewollt zu sein. Die Bundesregierung legt einen sehr dürftigen Gesetzentwurf vor, verändert – trotz großer Kritik – keinen Satz und stellt sich dann als politisch gescheiterter Veränderer des Kooperationsverbotes dar. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, das ist scheinheilig. Wenn Sie wirklich den politischen Willen hätten, das Kooperationsverbot zu lockern, dann stellten Sie sich der Kritik, nähmen Sie die Aufforderung des Bundesrates ernst, über einen neuen Entwurf gemeinsam zu beraten, überarbeiteten Sie Ihren Vorschlag und weiteten Sie die Möglichkeiten der Kooperation endlich auf die gesamte Bildung aus. Sie sind weiterhin am Zug, Damen und Herren von der Regierung! Die derzeitigen Probleme in allen Bildungsbereichen sind gravierend und werden in dem schwarz-gelben Entwurf nicht berücksichtigt; denn Sie kümmern sich einzig und allein um die Spitzenforschung. Statt des Umsteuerns weg vom gescheiterten Wettbewerbsföderalismus hin zur politisch gewollten Kooperation von Bund und Ländern im Sinne der Bildung, statt sich der Verantwortung zu stellen, in einer gemeinsamen Kraftanstrengung die Qualität des gesamten Bildungs- und Wissenschaftssystems zu verbessern und endlich die Gleichheit von Bildungschancen – unabhängig von regionalen, sozialen oder herkunftsbedingten Unterschieden – politisch zu gewährleisten, setzen Sie weiter auf die Förderung einiger Leuchtturmprojekte in der Forschung. Noch nicht einmal die grundlegenden Probleme der Hochschulfinanzierung würden mit Ihrem Gesetz gelöst. Wir brauchen dauerhaft ein gemeinsames Engagement von Bund und Ländern für mehr Studienplätze, wenn wir die unerträglichen Zustände bei der Hochschulzulassung überwinden wollen. Wir brauchen gemeinsame Initiativen von Bund und Ländern zur Öffnung der Hochschulen. Wir haben bereits eine Fernuniversität, die bundesweit arbeitet und die für viele die einzige Chance auf ein Hochschulstudium ist – aber der Bund gibt hierfür keinen Cent, und die Fern-Uni Hagen pfeift finanziell aus dem letzten Loch. Mit Ihrem Gesetzentwurf würde sich hieran nicht das Geringste ändern, ganz zu schweigen von den Problemen in der allgemeinen Bildung: -weder wäre ein neues Ganztagsschulprogramm noch eine umfassende Verwirklichung von Inklusion mit vereinten Kräften möglich. Wenn Sie diese Probleme noch nicht einmal interessieren, sollten Sie von der Bildungsrepublik schweigen! Die föderalen Strukturen sind für diese Regierung schon längst nur noch das Abschieben von Verantwortung und die Ausrede für unterlassene Finanzierungen und politische Steuerung. Der Föderalismus entlässt Sie aber nicht aus Ihrer bildungspolitischen Verantwortung. Wenn Sie keine Verantwortung tragen wollen, dann -treten Sie ab, statt Notwendiges zu verhindern. Die Linke fordert weiterhin die sofortige Abschaffung des Kooperationsverbotes, die Verankerung einer Gemeinschaftsaufgabe Bildung, eine gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern und eine kontinuierliche institutionelle Mitfinanzierung der Hochschulen durch den Bund in der Fläche. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Endlich findet nun die erste Lesung des Vorschlags der Koalition zur Änderung des Grundgesetzes statt. Was Sie uns hier leider nicht vorlegen, ist ein substanzieller Antrag zur Aufhebung des Kooperationsverbots. Der zuständigen Bundesbildungsministerin ist es bisher nicht gelungen, einen einigungsfähigen Vorschlag vorzulegen. Stattdessen hat die Bundesregierung ihren schwarz-gelben Entwurf auf den Weg gebracht, ohne Gespräche mit den Oppositionsfraktionen und den Ländern zu suchen. Wer die benötigte Zweidrittelmehrheit für mehr Kooperation erreichen möchte, sollte schon im Verfahren und im eigenen Handeln kooperativ sein und nicht einfach einen Konsens suggerieren, der bislang nicht hergestellt wurde. Der Koalitionsvorschlag ist aber vor allem inhaltlich nicht zielführend. Anstatt der allgemeinen Erkenntnis zu folgen, dass die Einführung des Kooperationsverbots ein riesiger Fehler war, legen Sie uns hier eine Verfassungsänderung vor, die nur auf den Bereich Wissenschaft unzureichend eingeht. Völlig unberücksichtigt lassen Sie die Aufhebung des Kooperationsverbots im Bildungsbereich. Deswegen hat ihr Vorschlag zu Recht im Bundesrat keine Mehrheit gefunden! Wir Grüne waren von Anfang an gegen das Kooperationsverbot. Wir sind daher weiter sehr an einer Einigung interessiert. Denn es geht uns dabei um die bildungspolitischen Zukunftschancen aller Kinder und Jugendlichen in diesem Land. Auch die Koalition muss doch erkennen, dass viele Bundesländer finanziell kaum in der Lage sind, ihr Bildungssystem angemessen auszufinanzieren, vor allem wenn sie zugleich die Schuldenbremse einhalten sollen. Auch deswegen brauchen wir eine Ermöglichungsverfassung für bessere Bildung und bessere Wissenschaft und ein Aufbrechen verfassungsrechtlicher Bildungsblockaden. Es ist im gemeinsamen Interesse aller staatlichen Ebenen, die Leistungsfähigkeit und Qualität der Bildung zu steigern; denn die immensen Folgekosten unterlassener Bildungsinvestitionen und -unzureichender Qualifizierung tragen die Sozialkassen aller Ebenen. Wir setzen uns daher für einen kooperativen Bildungsföderalismus ein. Es ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, für gute Bildungsinstitutionen zu sorgen – von der frühkindlichen Bildung über Ganztagsschulen bis hin zu den Hochschulen. Dies muss sich auch in der Verfassung widerspiegeln. Bildung muss in der Breite und von Beginn an besser werden. Wir Grüne wollen daher eine Verantwortungspartnerschaft und Vertrauenskultur mit Ländern und Kommunen eingehen. Wir sind es leid, dass hier Scheindebatten geführt werden, für die jetzt wirklich keine Zeit mehr ist: Es ist schlicht falsch, dass die Opposition die Hochschulen in „Geiselhaft“ nehmen würde – uns Grünen geht es vielmehr um eine Lösung, die verbesserte Kooperation im gesamten Bildungswesen ermöglicht. Nur wenn dies flächendeckend gelingt, nützt dies auch nachhaltig der Hochschulbildung. Selbst wenn man für einen Moment den Aspekt der Schulen ausblendet: Auch für die Wissenschaft ist der vorliegende Vorschlag doch völlig unzureichend, weil damit lediglich wenigen Spitzenuniversitäten oder einzelnen exzellenten Einrichtungen vage Mittel in Aussicht gestellt würden. Auch den Hochschulen wird der Regierungsvorschlag so kaum gerecht. Wir wollen das Maximum für eine bessere Bildung erreichen und sind für dieses Ziel immer gesprächs- und handlungsbereit. Und noch eine Scheindebatte sollten wir beenden: Es ist völlig verfehlt, unseren Vorschlägen zu unterstellen, wir wollten den Ländern die Zuständigkeit für die Schulen nehmen. Niemand – egal auf welcher Ebene, egal in welcher Partei – braucht den Popanz aufzubauen, dass es uns Grünen oder der SPD um ein Hineinregieren in die Schulen vor Ort ginge. Als Grüne wollen wir Kooperation ermöglichen – unter Wahrung der Kulturhoheit der Bundesländer, im Einvernehmen mit ihnen und auf der Basis fester Bund-Länder-Vereinbarungen, und das mit dem klaren Ziel, kein Kind zurückzulassen und die Bildungschancen aller Kinder und Jugendlichen zu verbessern. Denn Bildung ist präventive Sozialpolitik, ermöglicht Inklusion, Integration und Teilhabe, legt die Basis für wirtschaftliche Entwicklung und Innovationsfähigkeit. Jedem und jeder ist offensichtlich, wie sehr die bestehende Verfassungslage sinnvolle Lösungen blockiert. Bestes Beispiel sind die Verrenkungen des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets. Anstatt die Bildungseinrichtungen für alle Kinder und Jugendlichen zu stärken, wurde hier ein Bürokratiemonster erschaffen, das eigentlich alle Beteiligten gern wieder verjagen würden. Dies ist nur möglich, wenn wir die Verfassung entsprechend ändern! Wir begrüßen, dass Frau Ministerin Schavan nun endlich auf die Länder zugeht, um im Dialog zu der für eine Grundgesetzänderung benötigten Zweidrittelmehrheit zu kommen. Das war überfällig. Schade, dass sie unsere ständig wiederholten Aufforderungen zu einem Reformkonvent für eine Verfassungsänderung monatelang ignoriert haben. Dies wäre nicht nur der effektivere Weg gewesen, sondern hätte der Sache sicher gedient. Nun müssen wir das immer enger werdende Zeitfenster auf dem Weg zur Kooperationskultur endlich nutzen! Jetzt ist es an der Zeit, Vorwürfe beiseitezulassen und nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen. Es ist bitter nötig, endlich von den bildungs- und gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten auszugehen. Diese bestehen in erster Linie darin, die Spaltungen im deutschen Bildungssystem zu überwinden. Die Finanzierung von Inklusion und besserer individueller Förderung wird nur gemeinsam gelingen. Man kann es gar nicht oft genug wiederholen: Kindeswohl muss vor Kooperationsverbot gehen. Die Bürgerinnen und Bürger, die Schülerinnen und Schüler und die Eltern wünschen – ebenso wie ein Großteil der Praktiker und Wissenschaft, der Städtetag, die Gewerkschaften und Kirchen sowie Wirtschaftsverbände –, dass das Kooperationsverbot aufgehoben wird. Ein Blockieren dieses Ziels nützt niemandem, sondern schadet der Politik insgesamt. Zu Recht würde Bund und Ländern Reformunfähigkeit vorgeworfen und der Föderalismus blamiert. Das dürfen wir alle nicht zulassen. Ich hoffe und bleibe optimistisch, dass wir gemeinsam mehr erreichen können als den jetzt vorliegenden Koalitionsvorschlag. Wir halten unsere ausformulierten Vorschläge und Anträge für konkrete Änderungen der Art. 91 b und 104 c weiterhin für gute und machbare Lösungen. Dazu muss sich die Koalition bewegen und endlich für einen echten Konsens offen sein. Ihr Koalitionskonsens reicht inhaltlich nicht aus. Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Am 30. Mai haben wir im Kabinett den Ihnen vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Art. 91b des Grundgesetzes beschlossen. Wir wollen ermöglichen, dass Bund und Länder in Zukunft auch bei der institutionellen Förderung unserer Hochschulen dauerhaft zusammenarbeiten können. Diese -Kooperation zielt auf zwei große Herausforderungen für die Zukunft: Deutschlands Position im internationalen Wettbewerb um Ideen und künftigen Wohlstand zu verbessern und die Anzahl und Qualität der Fachkräfte von morgen zu erhöhen. In der Wirtschaft und in der Wissenschaft nimmt der internationale Wettbewerb zu. Internationale Rankings sprechen hier eine deutliche Sprache: Um zur Spitzengruppe der Welt aufzuschließen, müssen deutsche Hochschulen noch besser werden. Wir dürfen nicht nur an den Wettbewerb zwischen einzelnen Bundesländern bei uns denken – auch der ist wichtig – sondern eben auch an die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands insgesamt. Zum Beispiel in Asien wird massiv in die dortigen Hochschulsysteme investiert. Dies ist die eine Herausforderung, vor der wir stehen und die wir nur gemeinsam meistern können. Es gibt aber eine zweite Herausforderung, die mindestens ebenso wichtig ist: Wir müssen die Ressourcen zur Verfügung stellen, die für die Aus- und Weiterbildung der künftigen Fachkräfte auf höchstem Niveau in Deutschland notwendig sind. Die Zielrichtung meiner Intention lässt sich an den Initiativen ablesen, die Bund und Länder in den vergangenen Jahren gemeinsam für einen befristeten Zeitraum gestartet haben und mit denen wir die Hochschulen in unserem Land erfolgreich vorangebracht haben. Hiervon profitieren die Studierenden genauso wie die Forschung. Beispielhaft nenne ich den Hochschulpakt 2020, mit dem wir neue Studienmöglichkeiten für die zu erwartenden 327 000 zusätzlichen Studienanfänger schaffen. Ich nenne weiter den Qualitätspakt Lehre, an dem gegenwärtig 186 Hochschulen aus allen 16 Ländern beteiligt sind. Ich nenne schließlich die Exzellenzinitiative, mit der wir die internationale Sichtbarkeit unserer Hochschulen vor allem in der Forschung entscheidend verbessern und nach vorne bringen. Die Resonanz auf diese milliardenschweren -Programme zeigt: Es gibt in allen Ländern einen Bedarf dafür. Es gibt ein immenses Interesse der Hochschulen. Mit Blick auf die Studierenden und die Wett-bewerbsfähigkeit unserer Hochschulen muss ich auch -sagen: Es gibt schlicht die gesamtstaatliche Notwendigkeit, dass wir gemeinsam handeln. Die angestrebte Änderung des Grundgesetzes trägt wesentlich zur Bewältigung beider Herausforderungen bei. In den Reden, die anlässlich der Befassung mit dem Gesetzentwurf im Bundesrat gehalten wurden, war von den Länderkollegen zu hören, dass der Entwurf nicht weit genug gehe, dass man auch den Bildungsbereich mit einbeziehen müsse. Ich wiederhole hier gerne noch einmal, was ich bereits in der Debatte im Bundesrat gesagt habe: Herzlich gerne, gerne können wir über zweite und dritte Schritte reden, aber zunächst einmal lassen Sie uns gemeinsam jetzt diesen ersten Schritt tun. Der Bundesrat hat die Bundesregierung aufgefordert, mit den Ländern in Gespräche einzutreten. Deshalb habe ich nun die Kultus- und Wissenschaftsminister der Länder für den 25. Oktober 2012 zu einem Gespräch eingeladen. Ich frage aber: Gibt es einen Konsens der Länder untereinander? Ich sehe nicht, dass die Länder wissen, welche Änderungen sie wollen und wie weit diese gehen sollen. Im Übrigen habe ich bereits mehrfach vorgeschlagen, entsprechend der Empfehlung von renommierten -Bildungspolitikern und Experten – wie zuletzt von der Robert-Bosch-Stiftung – einen Bildungsrat einzurichten, der analog zum Wissenschaftsrat mit Experten und Vertretern der Politik von Bund und Ländern besetzt sein soll. Ein großer gemeinsamer Erfolg ist, dass wir das vereinbarte 10-Prozent-Ziel fast erreicht haben. Der Anteil von Bildung und Forschung am Bruttoinlandsprodukt lag 2008 bei 8,6 Prozent und ist in den Jahren 2009 und 2010 trotz einer Steigerung des BIP um 5,2 Prozent mit 9,5 Prozent auf hohem Niveau konstant geblieben. Insgesamt betrugen 2010 die Bildungsausgaben 172,3 Milliarden Euro. Damit ist das vereinbarte 10-Prozent-Ziel in greifbarer Nähe. Nun hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme des Weiteren gefordert, dass der Bund die Länderhaushalte zur Erreichung der bildungspolitischen Zielsetzungen mit zusätzlichen Umsatzsteuerpunkten unterstützt. Diese Forderung lehne ich ab. Denn da machen es sich die Länder zu einfach. Der Bund ist nicht die Sparkasse der Länder. Auch für den Bund gilt die Schuldenbremse, und zudem ist die Finanzausstattung des Bundes – dieser Hinweis sei erlaubt – deutlich ungünstiger als die der Länder. Vielmehr geht es um zusätzliche Mittel – nicht um schlichte Umverteilung. Darüber hinaus halte ich eine solche Übertragung auch nicht für zweckmäßig, da die übertragenen Mittel der Gestaltungsund Kontrollmöglichkeit des Bundes entzogen wären. Ich denke, hier haben wir in diesem Hause einen Konsens. Es kann schließlich nicht sein, dass der Bund das Geld gibt, aber inhaltlich dann nicht mitsprechen darf. Sie alle wissen: Die Zeit drängt. Sie alle wissen: Die Hochschulen brauchen diese Änderung jetzt. Sie alle kennen die Appelle der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, der Hochschulrektorenkonferenz und der TU9. Deshalb bitte ich Sie: Helfen Sie den Hochschulen jetzt. Nehmen Sie nicht die Hochschulen und Studenten als Geiseln. Gerne können wir über weitere Schritte reden, aber lassen Sie uns die Zeit nutzen und jetzt diesen wichtigen Schritt gemeinsam tun. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Rechtliche und finanzielle Voraussetzungen für die Zahlung -einer Ausstellungsvergütung für bildende Künstlerinnen und Künstler schaffen (Tagesordnungspunkt 15) Monika Grütters (CDU/CSU): Zum wiederholten Mal – das letzte Mal war es im vergangenen Jahr am 7. Juli auf Antrag der Grünen – diskutieren wir heute das Für und Wider einer Ausstellungsvergütung. Jetzt ist es die Linke, die sich einer Forderung des BBK anschließen will – es ist zwar alles schon mehrfach gesagt, aber eben nicht von allen. Sie wollen einen „unverzichtbaren Anspruch auf eine angemessene Vergütung für die Verwertung ihrer Werke im Rahmen von öffentlichen Ausstellungen sichern“. Zugleich soll dafür gesorgt werden, dass „Institutionen, die zeitgenössische Kunst ausstellen (…), nicht über Gebühr belastet werden.“ Also muss der Steuerzahler wieder einmal in die Tasche greifen, denn Museen, die heute kaum noch einen Ankauf- oder Ausstellungsetat haben, müssten ja hier noch einmal drauflegen, und das geht eben aus den vorhandenen Haushalten kaum. Eine „Gerechtigkeitslücke“ gerade gegenüber bildenden Künstlern im Vergleich zu Künstlern anderer Sparten, wie sie damals von den Grünen hier ausgemacht wurde, kann ich nicht erkennen – wir alle wissen, dass es sehr erfolgreiche Maler und Bildhauer gibt, ebenso wie arme Poeten, und nur wenige wohlhabende Musiker. Richtig ist: Der bildende Künstler lebt im Gegensatz zu anderen Künstlern vom Verkauf seiner Werke, der Autor vom Vertrieb, der Musiker von Aufführungen. Erfolgreich verkaufen kann ein Künstler dann, wenn er zuvor bekannt gemacht wurde – zum Beispiel durch Ausstellungen in Museen, Kunstvereinen, Galerien etc. Das bringt dem bildenden Künstler eine große Öffentlichkeit und bestenfalls Anerkennung seines Werkes. Während die einen bei Lesung, die anderen bei Konzerten eine direkte Vergütung erhalten, lebt der bildende Künstler vom direkten Verkauf seiner Werke oder auch zum Beispiel von der Nutzung der Abbildungen. Die nun erneut geforderte Ausstellungsvergütung soll dazu dienen, bildenden Künstlern auch aus der Ausstellung ihrer Werke einen wirtschaftlichen Nutzen zukommen zu lassen – auf dass sich ihre wirtschaftliche und damit soziale Lage verbessere. Abgesehen davon, dass auch eine Ausstellungsvergütung die in vielen Fällen sicher schwierige wirtschaft-liche Situation der Künstler mitnichten auffangen würde, wäre die Ausstellungsvergütung so nur eine verkappte zusätzliche Sozialleistung. Aber mit welcher Berechtigung eigentlich? Wenn auch in verschiedenen Systemen, so arbeiten und leben doch alle Künstler von demselben Prinzip: vom „Verkauf“, von der Verwertung, von der Nutzung ihrer kreativen Arbeit – eben indem sie sie aufführen – Bühne, Musik – oder ihr Kunstwerk sein Publikum – Kompositionen, Theaterstücke – oder halt neue Besitzer – bildende Kunst – findet. Die soziale Absicherung aller (!) Künstlerinnen und Künstler in Deutschland unterstützen wir mit der Künstlersozialkasse – eine große und übrigens weltweit in dieser Form einzigartige Anerkennung, die die Gesellschaft den besonderen Erfordernissen diesem uns so wichtigen Berufsstand zollt. Viele Befürworter einer Ausstellungsvergütung blicken hoffnungsvoll auf das schwedische Modell, das 2009 in Kraft trat. Aber hat das schwedische Modell die ökonomischen Verhältnisse der Künstler oder deren Möglichkeit, ihre Werke auszustellen, tatsächlich signifikant verbessert? Nicht, dass wir wüssten. Zu bedenken ist aber sehr wohl, was für dramatische Konsequenzen es gerade finanziell für die Museen hätte: Solange es die Forderungen nach einem Vergütungsanspruch für die öffentliche Ausstellung bildender Kunst gibt, werden sie von fast allen im Kunstbetrieb Verantwortlichen abgelehnt. Die Museen haben ja ein großes Interesse an Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. Sie verleihen den Häusern Lebendigkeit und Aktualität. Umgekehrt wissen natürlich auch die Künstler um die Vorteile einer Ausstellung in diesen Institutionen. Gerade Ausstellungen ihrer Werke in öffentlichen Museen sind für die Künstler wie ein Ritterschlag, die Arbeiten erfahren so ja auch eine enorme Wertsteigerung. Die Schattenseite: Durch Ausstellungsvergütungen werden Ausstellungen für die Veranstalter erheblich teurer, in der Folge planen die Museen weniger Ausstellungen, oder man greift gleich auf die – freien – Werke zurück, für die keine Gebühr bezahlt werden muss – und das geht dann endgültig zulasten derjenigen Künstler, die Sie doch begünstigen wollen. Nur die bekommen dann noch weniger Präsentationsmöglichkeiten. In fast allen Fällen werden schon heute Ausstellungen nicht einmal kostendeckend durchgeführt. Künstler an Ausstellungseinnahmen zu beteiligen, würde in vielen Fällen den finanziellen Ruin der Veranstalter bedeuten, und das wäre dann das endgültige Aus einer wirksamen Kunst- und Künstlerförderung. Die meisten Museen verfügen ohnehin kaum noch über große Ausstellungsetats. Ihr Budget für Ausstellungen müsste also entsprechend erhöht werden. Wer, bitte, will das bezahlen? BKM? Oder der Aufrichtigkeit und Wahrheit halber dann doch lieber das Sozialministerium? Als eine Stiftungschefin, die beinahe jährlich Ausstellungen erarbeitet, kann ich Ihnen aus langjähriger, persönlicher Erfahrung berichten, dass die Mehrzahl der (Kunst-)Museumsbesucher nicht an Werken zeitgenössischer Künstler, sondern eher an Werken der klassischen Moderne oder der aIten Kunst interessiert ist. Diese fallen ohnehin nicht unter die Ausstellungsvergütung. Für Werke zeitgenössischer Künstler müssen wir das Publikum zunächst mühsam begeistern. Kuratierung der Ausstellung, Transport der Werke, Schreiner-, Maler- und Reinigungsarbeiten, Restaurierung, Beschriftung, Beleuchtung, Bewachung, Heizung und Klimatisierung, Herstellung von Katalogen, Plakaten, Einladungskarten, deren Versand, Kosten für die Eröffnung etc. All diese Kosten übernehmen wir als Aussteller bereits. Und dann auch noch eine Vergütung an die Künstler zahlen als „Belohnung“ dafür, dass wir sie bekannt machen? Natürlich könnte man die Künstler an dem Gewinn, der mit der Präsentation ihrer Kunstwerke erwirtschaftet wird, beteiligen, wenn es denn überhaupt einen gäbe. Doch wer am Erlös beteiligt wird, müsste auch einen Teil der Kosten übernehmen – und diese übertreffen bekanntlich in fast allen Fällen die Einnahmen aus den Ausstellungsprojekten. Hinzu kommt, dass der Kunstmarkt genau dieses Geschäft betreibt, in Galerien und auf Messen. Museen haben einen anderen Auftrag. Die Auswirkungen auf die private Kunstförderung und Ausstellungstätigkeit wären verheerend, weil sich solche Kosten nicht über die Eintrittsgelder auf die Besucher verlagern lassen. Die Enquete-Kommission hat dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung empfohlen, erneut zu prüfen, „mit welchen Regelungen und Maßnahmen im Urhebervertragsrecht eine angemessene, an die wirtschaftlichen Verhältnisse angepasste Vergütung für alle Urheber und ausübenden Künstler erreicht werden kann, da die bisherigen Regelungen im Urhebervertragsgesetz unzureichend sind“. Die bildende Kunst wird über den Verkauf verwertet. Glauben Sie wirklich, dass ein Künstler, dessen Werke nicht gekauft werden, gegen Vergütung ausgestellt würde? Sicher nicht. Eine Ausstellungsvergütung nach dem von Ihnen vorgeschlagenen Modus käme vor allem einem kleinen Kreis längst etablierter Künstler zugute. Österreich jedenfalls hat die Ausstellungsvergütung zurückgenommen – 1996 eingeführt, 2000 wieder abgeschafft –: Dort gibt es keine Ausstellungsvergütung für urheberrechtlich geschützte Werke der bildenden Kunst mehr. Die Ausstellungsvergütung bewirkte nämlich prompt eine Benachteiligung lebender Künstler und wirkte sich am Ende sogar nachteilig für den ganzen Kunststandort Österreich aus. Positiv an Ihrem Antrag ist, dass wir einmal mehr das wichtige Thema Soziale Lage der Künstler besprechen, und das werden wir in einer der nächsten Ausschusssitzungen dann ja auch noch einmal tun. Es ist uns allen wichtig, dass unsere Künstler für ihre Arbeit – gut – bezahlt werden. Aber eine pauschalierte Ausstellungszahlung für Einrichtungen des BKM, für Institutionen, die überwiegend mit etablierten und auf dem Kunstmarkt bereits eingeführten Künstlern arbeiten? Das jedenfalls führt nicht zu mehr – sozialer oder wirtschaftlicher – Gerechtigkeit. Wichtiger ist es, die Chancen für Künstler zu verbessern, überhaupt ausstellen zu können, nicht, sie gesondert zu vergüten. Es braucht mehr Ausstellungsmöglichkeiten für jüngere bildende Künstler, weitere Fördermöglichkeiten, Projektzuschüsse oder Arbeitsstipendien – Stiftung Kunstfonds, Künstlerstipendien der Villa Massimo etc. – und Ankaufetats für die Museen – und hier sind vor allem die Länder und Kommunen gefragt. Christoph Poland (CDU/CSU): Die Förderung von Künstlerinnen und Künstlern in Deutschland hat einen guten Ruf – und das zu Recht. Die Kultur hat in Deutschland schon immer eine wichtige Rolle gespielt, und der föderale Staat Bundesrepublik Deutschland braucht und fördert diese kulturelle Klammer zwischen Bund und Ländern in besonderer Weise. Der deutsche Staat fördert seine Kultur mit „nur“ 1,67 Prozent aller öffentlichen Haushalte, aber das sind circa 9,6 Milliarden Euro jährlich. Das hat einen positiven Effekt und eine nachhaltige Wirkung! Im föderalen Bundesstaat Bundesrepublik liegt die Hoheit über Bildung und Kultur bei den Ländern. Sie finanzieren den Großteil der öffentlich geförderten Kultur mit über 43 Prozent, die Kommunen sogar noch mehr, mit 44,4 Prozent. 113 Millionen Menschen besuchten 2009 deutsche Museen – eine Steigerung von circa 2,2 Millionen gegenüber dem Vorjahr. Das sind zehnmal mal so viele Gäste, wie alle Bundesligaspiele einer Saison Besucher hatten. Vor diesem Hintergrund kann ich nur feststellen: Der Antrag der Linken ist populistisch. Ihn von den Grünen fast wortwörtlich zu übernehmen, macht ihn und die gute Absicht nicht besser! Was würde eine Ausstellungsvergütung in Deutschland bewirken? Die ausstellenden Institutionen verzichten aus Kostengründen gänzlich oder teilweise auf die Ausstellung. Das kann uns nicht recht sein. Wir sind zu Recht stolz auf eine breite Kulturszene. Sie von den Linken nehmen bitte die Fakten zur Kenntnis: Die Forderung nach einer Ausstellungsvergütung geht von falschen Voraussetzungen aus. Denn nur 10 Prozent der Museen in Deutschland sind reine Kunstmuseen. Überwiegend werden Kunstwerke zu Illustra-tionszwecken ausgestellt, und mit einer Ausstellungsgebühr würden diese Werke aus dem Ausstellungskonzept herausgenommen und als verzichtbar angesehen. Die Mehrzahl der Museen in Deutschland sind klein und Einrichtungen mit geringen Besucherzahlen und wenig Personal. Auch solche kleinen Museen würden auf zeitgenössische Künstler verzichten, da der Verwaltungsaufwand für die Abrechnung der Ausstellungsvergütung in keinem Verhältnis zu den Kosten steht. Entscheiden sich die Aussteller für die Umlage der Kosten, würde das automatisch zu einer Erhöhung der Eintrittspreise führen. Das können wir nicht wollen. Über 30 Prozent der Museen erheben keinen Eintritt, und 33 Prozent haben einen Eintrittspreis bei maximal 2 Euro. Der Jahresverdienst von Künstlerinnen und Künstlern ist nicht hoch. Das ist beklagenswert, aber auch den meisten Künstlerinnen und Künstlern bei Aufnahme -ihres Berufs klar. Daher unterstützen wir mit Bundesmitteln die Künstlerinnen und Künstler in Deutschland über die Künstlersozialkasse. Es ist für uns in Regierungsverantwortung eine bürgerliche Tugend, die Kunst und Freiheit zu fördern. Das sage ich deutlich in Richtung der Linken bei so populistischen Anträgen wie diesem. Und nehmen Sie bitte auch aus der Diskussion schon um den Antrag der Grünen zur Kenntnis: Das schwedische Modell einer Ausstellungsgebühr ist nicht übertragbar, und das österreichische Modell wurde wieder abgeschafft! Meine Erfahrung als Ausstellungsmacher war immer, dass es darum geht, Künstlern eine Plattform zu bieten und Besuchern die Schwellenangst beim Ausstellungsbesuch zu nehmen. Der Antrag der Linken ist kein Weg dahin. Siegmund Ehrmann (SPD): Vor knapp anderthalb Jahren haben wir an gleicher Stelle einen Antrag der Grünen debattiert, die ein Ausstellungshonorar bzw. eine Ausstellungszahlung fordern. Dieser Vorschlag orientiert sich am schwedischen Modell einer Künstlervergütung. Dazu hatte die Friedrich-Ebert-Stiftung im Herbst 2010 eine Studie vorgestellt und am 25. November 2010 ein Expertengespräch durchgeführt. Ich habe schon damals deutlich gemacht, dass das schwedische Modell nicht direkt auf Deutschland übertragbar ist. Im Vergleich zu Schweden, wo auch nur eine geringe Zahl von Ausstellungshäusern und staatlichen Museen unter diese Regelung fallen, sind es in Deutschland deutlich mehr öffentliche Einrichtungen, die von einer solchen Regelung erfasst werden müssten, und diese Einrichtungen befinden sich überwiegend in der kulturpolitischen Verantwortung von Ländern und Kommunen. Die Forderung nach einer verpflichtenden Ausstellungszahlung an bildende Künstlerinnen und Künstler greift zu kurz, wenn damit nur der Bund angesprochen wird. Es wäre nach einer Regelung zu suchen, die die Länder und Kommunen und natürlich auch deren aktuelle finanzielle Lage berücksichtigt. Was nützt eine Forderung, wenn sie auch bei bestem Willen nicht erfüllt werden kann. Dass es Lösungen gibt, zeigt das Land Berlin. Hier wurden erstmals im Sommer 2011 für eine vom Land organisierte Ausstellung – „based in berlin“, Gesamtetat: 1,2 Millionen Euro – Honorare gezahlt. Kritik gab es natürlich sofort an der Höhe hier: 500 Euro. Berlin hat aber auch andere Wege gesucht und gefunden, die bildende Kunst zu unterstützen. Über ein Atelierprogramm beispielsweise wird die Möglichkeit zur Präsentation von Kunst ebenfalls gefördert. Ich meine, dass es sich die Linke etwas zu leicht macht, wenn sie fordert, der Bund möge seinen Einfluss geltend machen, dass auch die Länder und Kommunen ein verpflichtendes Ausstellungshonorar zahlen mögen. Sie sollten schon auch sagen, wie genau das gehen soll angesichts der finanziellen Lage vieler Kommunen. Wenn der Bund eine Ausstellungszahlung in seinen Einrichtungen ermöglichen würde, was vielleicht sogar finanziell überschaubar ist, würde er damit Länder und Kommunen in erhebliche Erklärungs- und Handlungsnöte bringen. Von den über 6 500 Museen und Ausstellungshäusern in Deutschland sind nach Angaben des Instituts für Museumsforschung nur knapp 60 in der Trägerschaft des Bundes; der allergrößte Anteil öffentlicher Museen ist in kommunaler Trägerschaft. Gleichwohl sieht die SPD-Bundestagsfraktion den Bund in der Verantwortung. Orientiert an pragmatischen Lösungen, wie in Berlin, könnten und sollten erste Schritte hin zu einer angemessenen Vergütung von bildenden Künstlerinnen und Künstlern erfolgen. Damit wären wir beim zweiten Kernpunkt des Antrages. Die Linke versucht nämlich, schlauer als die Grünen zu sein, und fordert zunächst eine urheberrechtliche Ausstellungsvergütung. Solange es diese aber nicht gibt, soll es eine Ausstellungszahlung bzw. ein Ausstellungshonorar geben. Die Linke weiß also selbst, dass es neben vielen Argumenten für eine Ausstellungsvergütung, die wir als Kulturpolitiker allesamt teilen, auch eine Menge von Argumenten dagegen gibt. Diese sollte man nicht unterschätzen, zumal diese insbesondere von kommunaler Seite und dem Deutschen Museumsbund, also den Akteuren, die eine solche Vergütung finanziell zu schultern hätten, vorgetragen werden. Sie argumentieren, dass diese Zusatzkosten dazu führen könnten, dass im Ergebnis weniger Ausstellungen durchgeführt werden und am Ende nur die bekannten und etablierten Künstler profitieren. Derartige Erfahrungen in Österreich haben dazu geführt, dass man sich dort von einer entsprechenden Regelung wieder verabschiedet hat. Ich will die Argumente für und gegen eine urheberrechtliche Ausstellungsvergütung nicht alle einzeln noch einmal vortragen. Für die SPD will ich an dieser Stelle deutlich sagen, dass wir diese nun schon mehr als 30 Jahre alte Forderung maßgeblicher Verbände im Bereich der bildenden Kunst, eine Ausstellungsvergütung einzuführen, immer positiv begleitet haben. Mit einem Sondervotum hat sich die SPD in der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ für eine Ausstellungsvergütung ausgesprochen. Eine parlamentarische Initiative der SPD-Kulturpolitiker 2005 war nicht erfolgreich, auch weil die Verbände der bildenden Künstlerinnen und Künstler unterschiedliche Vorstellungen hatten, wie genau eine Ausstellungsvergütung rechtlich ausgestaltet sein soll. Wir halten das Anliegen einer gerechten und fairen Vergütung von bildenden Künstlerinnen und Künstlern für mehr als berechtigt. Wir wollen, dass Kultur- und Medienschaffende, Künstlerinnen und Künstler und Kreative von ihrer Arbeit leben können. In unserem Projekt Kreativpakt haben wir deutlich gemacht, dass eine öffentliche Förderung auch daran geknüpft sein sollte, dass Tarifverträge und soziale Mindeststandards eingehalten werden. Die Forderung nach einer Ausstellungsvergütung, unabhängig von der Frage nach der konkreten Ausgestaltung, gehört dazu. Wir halten es für wichtig, zu umfassenden und tragfähigen Lösungen zu kommen. Unser Ziel ist es, dass die Künstler und Kreative durch ihr Schaffen und ihr Werk auch ein angemessenes Einkommen erzielen können. Die Vor- und Nachteile der vorgestellten Ansätze für Ausstellungszahlungen, -honorare bzw. Ausstellungsvergütung müssen sorgfältig abgewogen werden. Nur mit einer sinnvollen und belastbaren Lösung ist den Kulturschaffenden auch wirklich geholfen. Dabei sollten alternative Lösungen zur Förderung der bildenden Kunst ebenfalls bedacht werden. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Das Thema Ausstellungsvergütung ist im Deutschen Bundestag ein wohlbekanntes. Bereits in der letzten Wahlperiode wurde dieses Thema in der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ ausführlich beraten und kontrovers debattiert. Die Enquete-Berichte sowie die Sondervoten spiegelten die Debatte wider; der Antrag der Fraktion Die Linke wiederholt sie nun. Zweifellos ist der Beteiligungsgrundsatz, nach dem der Urheber oder Leistungsschutzberechtigte an jeder wirtschaftlichen Nutzung seiner Werke oder Leistungen angemessen zu beteiligen ist, einer der tragenden Leitgedanken des Urheberrechts. Nach unserem liberalen Verständnis realisiert sich darin die Verwertungsfreiheit des Einzelnen, die wir schützen und gewährleisten müssen. Für uns ist und bleibt die Einführung einer Ausstellungsvergütung für bildende Künstlerinnen und Künstler aber der falsche Weg, um ihre – teilweise auch für uns unbefriedigende – soziale Lage zu verbessern. Der Antrag moniert die Ungleichbehandlung bildender Künstlerinnen und Künstler. Für uns war diese Ungleichbehandlung ein Grund, genauer hinzusehen, und wir stellten bereits in den Beratungen der Enquete fest: Ungleiches wird richtigerweise und dem verfassungsmäßigen Gleichheitssatz entsprechend ungleich behandelt. Insofern drängt sich mir der Verdacht auf, dass die Linken Symbolpolitik betreiben. Nach dem Motto „Gut gemeint ist manchmal das Gegenteil von gut“ muss ich dringend davor warnen, ungleich mit ungerecht gleichzusetzen und die besonderen Verhältnisse im Ausstellungswesen zu verkennen. Bei reinen Verkaufsausstellungen dürfte die Notwendigkeit einer weiteren Beteiligung selbst von der Linksfraktion verneint werden. Mit Blick auf die zahlreichen Ausnahmen, die der Antrag für kleinere Vereine und Projekte, Eigentümer und Galeristen vorsieht, blieben daneben nur große Ausstellungsformate vergütungspflichtig. Unter diesen gibt es selbstverständlich Leuchttürme wie die Documenta in Kassel oder den MOMA--Besuch in Berlin, die sich gewinnbringend vermarkten lassen. Hier werden in der Regel aber bereits etablierte Künstler gezeigt. Bei allen Bemühungen um eine lebendige deutsche Kunstszene gebe ich mich nicht der Hoffnung hin, dass diese Formate die Regel werden könnten. Regelmäßig betroffen wären also die übrigen Ausstellungen: kleinere Ausstellungen in Museen und Kunstvereinen. Ausgerechnet diese engagierten Ausstellungsmacher würden also zusätzlich unter wirtschaftlichen Erfolgsdruck gesetzt. Für uns wäre es nur allzu verständlich, wenn sie als Konsequenz vorrangig auf bekannte und etablierte Künstlerinnen und Künstler setzen würden, um das wirtschaftliche Risiko zu minimieren. Insofern nützte die Ausstellungsvergütung vor allem denen, die sie gar nicht bräuchten. Es droht sogar, was der Kollege Siegmund Ehrmann in einer ähnlich gelagerten Debatte zu einem Antrag der Grünen so treffend als Bärendienst an den Künstlern beschrieben hat. Der Deutsche Museumsbund und Vertreter der Kommunen und Länder, in deren Verantwortung besonders viele kleinere Museen und Ausstellungsräume stehen, weisen immer wieder auf den Effekt von Zusatzkosten hin: weniger Ausstellungen! Dies wäre aber gerade für die von den Linken fokussierte Zielgruppe fatal. Gerade junge und unbekannte Künstlerinnen und Künstler profitieren unmittelbar von der Ausstellung ihrer Werke, weil sie ihre Bekanntheit steigert und ihnen Kontakte zu Galeristen und Sammlern verschafft. Da es schlechterdings nicht vorstellbar ist, dass ein Künstler keine Werke verkauft und keine Aufträge erhält, aber so oft ausgestellt wird, dass er davon leben könnte, könnte sich die Lage bildender Künstlerinnen und Künstler also sogar verschlechtern. Schließlich sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Ausstellungsmacher schon aus wirtschaftlichen Gründen die Ausstellungsvergütung einpreisen müssten. Letztlich würde sie sich also in höheren Eintritts- oder Verzehr-güterpreisen und sinkenden Besucherzahlen niederschlagen. Wenn die Linken, wie Sie in Ihrem Antrag ebenfalls schreiben, die Zugänglichkeit zu den Ausstellungen für alle Bürgerinnen und Bürger gewährleisten wollen, ist dies sicherlich der falsche Weg. Mein Kollege Reiner Deutschmann hat in der bereits erwähnten Debatte darauf verwiesen, dass wir strukturelle Unterstützungsmöglichkeiten suchen sollten. Wie lassen sich zum Beispiel durch Zwischennutzungen günstige Atelier- oder Ausstellungsflächen gewinnen? Welche Maßnahmen entlasten den allgemeinen Kunsthandel nach der auf zwingendem EU-Recht beruhenden Anpassung des Mehrwertsteuersatzes? Staatsminister Neumann und Staatssekretär Otto prüfen derzeit unter anderem die Möglichkeit einer Margenbesteuerung und eine Anhebung des Bundeszuschusses zur KSK. Alle diese Maßnahmen wirken strukturell und wären aus unserer Sicht geeigneter als die von der Linken geforderte Mehrbelastung des Ausstellungswesens. Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Als lähmenden Stillstand könnte man die Situation beschreiben, mit der wir uns heute auseinanderzusetzen haben: Seit 30 Jahren debattieren bildende Künstlerinnen und Künstler, die sie vertretenden Organisationen und Politikerinnen und Politiker über „rechtliche und finanzielle Voraussetzungen für die Zahlung einer Ausstellungsvergütung“, wie es in unserem Antrag heißt. Es geht darum, eine seit langem bestehende Gerechtigkeitslücke im geltenden Urheberrecht zu schließen. Einen ersten Schritt in diese Richtung haben die Grünen mit ihrem Antrag „Für eine Ausstellungszahlung an bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen bei durch den Bund geförderten Ausstellungen“, Druck-sache 17/6346, im letzten Jahr gemacht. Diesen Antrag haben wir unterstützt. Er wurde leider im mitberatenden Haushaltsausschuss abgelehnt. Seitdem wieder: lähmender Stillstand. Aber nun kommt Bewegung in die Geschichte. Am 12. Dezember gibt es im Kulturausschuss ein Fachgespräch zur bildenden Kunst unter anderem auch zum Thema Ausstellungsvergütung. Der Antrag der Grünen und unserer vom heutigen Tag stehen dann zur Diskussion. Schweden hat 2009 eine Ausstellungsvergütung eingeführt, deren Regelungen durch die Zusammenarbeit von Künstlerorganisationen und dem schwedischen Kulturrat erarbeitet wurden. Seitdem sind alle staatlichen Museen verpflichtet, für alle Werke im Eigentum eines in Schweden lebenden Künstlers eine Ausstellungsvergütung zu zahlen. 109 Kunsteinrichtungen haben sich dieser Regelung inzwischen angeschlossen. Schritt für Schritt verbessert sich so die Situation der schwedischen Künstlerinnen und Künstler. Außerdem ist diese Regelung Ausdruck für die Anerkennung künstlerischer Leistungen durch den Staat, durch die Gesellschaft. Ich frage: Warum ist es eigentlich bei uns nicht möglich, endlich eine Ausstellungsvergütung im Urheberrecht zu verankern? Wenn sich die Bundesrepublik Deutschland als Kulturstaat versteht und das Schaffen von Künstlerinnen und Künstlern für unverzichtbar hält, dann muss sie auch die Konsequenzen daraus ziehen und dafür sorgen, dass Kreative von ihrer Arbeit leben können. Museen, Kunstvereine und Kommunalverbände haben in der Vergangenheit vor der Einführung der Ausstellungsvergütung gewarnt. Sie machten deutlich, dass bereits jetzt die Etats für Ausstellungen so knapp bemessen seien, dass die Einführung letztlich zu weniger Ausstellungen und damit auch zu weniger Präsentationsmöglichkeiten für Künstler führen würde. Dieser Argumentation haben sich leider viele Politiker – namentlich aus den Reihen der Koalition – angeschlossen. Sie alle haben gegen die Einführung einer Ausstellungsvergütung argumentiert. Koalition und auch SPD werden nicht müde, davor zu warnen, eine solche Vergütung würde eventuell mehr schaden als nutzen. Hier gilt: Immer wenn es darum geht, Ungerechtigkeiten aus der Welt zu schaffen und Menschen zu einem besseren Anteil an ihrer Arbeit zu verhelfen, kommt dieses Totschlagargument. Das war bei der Diskussion um den Mindestlohn so. Das war beim Folgerecht so. Gerade der Fall Folgerecht zeigt, dass sich nichts von der Schwarzmalerei, die jedem Vergütungsanspruch entgegengehalten wird, in der Realität bewahrheitet hat. Anke Schierholz von der VG Bild-Kunst hat belegt, dass zum Beispiel in Groß-britannien nach der Einführung des Folgerechts das Auk-tionswesen genauso blüht wie zuvor. Dass die finanzielle Situation der Museen und anderer Kulturstätten äußerst schwierig ist, ist auch uns bekannt. Die Frage ist nur, welche Konsequenzen wir aus dieser Tatsache ziehen. Finden wir uns damit ab, dass wir ein kulturelles Prekariat haben? Halten wir das für normal, oder tun wir etwas dagegen? Wir als Linke sind nicht bereit, diese Unterfinanzierung weiter hinzunehmen. Deshalb fordern wir in unserem Antrag auch ein Umsteuern in der Finanzpolitik des Bundes, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Länder und Kommunen ihre Aufgaben zur Daseinsvorsorge auch im kulturellen Bereich leisten können. Uns geht es um eine Lösung, die zum einen die Benachteiligung bildender Künstlerinnen und Künstler im geltenden Recht beendet und darüber hinaus sichert, dass die Vergütung auch wirklich den Urheberinnen und Urhebern zugutekommt. Der Vergütungsanspruch soll deshalb unverzichtbar sein, im Voraus nur an eine Verwertungsgesellschaft abgetreten und nur durch diese geltend gemacht werden können. Kleinere Vereine und Projekte, die zeitgenössische Kunst ausstellen, sollen nicht über Gebühr belastet werden. Hier sind Ausnahmeregelungen sinnvoll. Der Kunsthandel soll davon gänzlich ausgenommen werden. Die konkrete Ausgestaltung der rechtlichen Regelung sowie die Höhe und Kriterien einer Ausstellungsvergütung sollen in einem Gremium mit den Vertreterinnen und Vertretern der betroffenen Verbände und Institutionen sowie ausgewählten Künstlerinnen und Künstlern und Rechtsexperten beraten werden. Es geht ja nicht um Millionen oder Milliarden an finanziellem Mehrbedarf. Nehmen wir Berlin als Beispiel. Schon mit circa 400 000 Euro jährlich ließe sich hier laut einer Berechnung des BBK Berlin der Bedarf für die Ausstellungen in den sechs größeren Landeseinrichtungen sowie den Ausstellungsflächen der Kunstvereine -decken. Unsere Kolleginnen und Kollegen in der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin haben in ihrem Antrag vom Februar dieses Jahres zur Zahlung von Ausstellungsvergütungen in öffentlichen Einrichtungen des Landes Berlin im vergangenen Jahr als ersten Schritt einen Ausstellungsfonds für die kommunalen Galerien in Höhe von 200 000 Euro im Jahr gefordert. Nehmen wir an: Jeder Bezirk hat mindestens eine kommunale Galerie. Dann wären dies ungefähr 18 000 Euro pro Haus und pro Jahr. Und dies hieße um die 3 000 Euro pro Ausstellung bei sechs bis sieben Ausstellungen. Diese Summen kämen Künstlern zugute – einzeln oder in der ausstellenden Gruppe. Ist das zu viel? Zu viel verlangt? Bricht damit unser öffentliches Finanzsystem zusammen? Es ist uns klar, dass wir mit diesen Forderungen die finanzielle Situation von bildenden Künstlerinnen und Künstlern nicht von Grund auf verbessern können. Es geht dabei auch um Anerkennung ihres Schaffens und um Gerechtigkeit. Vergessen wir bitte nicht, wie viel gerade Kunstausstellungen wert sind für eine Stadt, eine Region, wie viel sie beitragen, für deren Ausstrahlungskraft und Faszination. Und alles ohne einen Euro Honorar für die ausstellenden Künstler? Das kann doch unser politischer Wille nicht sein. Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir begrüßen, dass nach unserem Grünen-Antrag zur Ausstellungszahlung jetzt auch die Linken einen Antrag mit derselben Intention vorlegen. Darin übernehmen die Linken unter anderem unsere zentrale Forderung, dass der Bund eine verpflichtende Ausstellungszahlung an bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen in seine Förderkriterien mit aufnehmen soll. Wir sind überzeugt: Dies wäre ein erster Schritt von Bundesseite mit Signalwirkung an Länder und Kommunen, um die bestehende Gerechtigkeitslücke im Bereich bildende Kunst zu schließen. Interpretinnen und Interpreten erhalten für ihre öffentlichen künstlerischen Darbietungen in der Regel eine Gage. Bildende Künstlerinnen und Künstler müssen zumindest für die öffentliche Ausstellung ihrer Werke vergütet werden. Die Linken schließen bei dieser Forderung zu Recht den Kunsthandel aus. In Galerien oder bei Kunstauktionen besteht für Künstlerinnen und Künstler die Option, dass ihre Werke verkauft werden und sie eine Gewinnbeteiligung erhalten, ganz im Gegensatz zu Ausstellungen in Museen. Zwar werden Leihgebühren entrichtet, wenn Kunstwerke eines Museums temporär in ein anderes wandern. Aber die Schöpferinnen und Schöpfer selbst erhalten keinen Cent für das Ausleihen ihrer Werke bei nicht kommerziellen, öffentlichen Ausstellungen. Eine Ausstellungsvergütung wäre keineswegs mit immensen Kosten verbunden. Gerade einmal 2 bis 3 Prozent eines Ausstellungsetats betreffen die Ausstellungsvergütung an Künstlerinnen und Künstler, wie wir am Beispiel Schweden sehen können. Seit 30 Jahren appellieren Kunstverbände gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi an die Politik, die Ungleichbehandlung im Bereich bildende Kunst zu beenden. Dass es höchste Zeit ist für ein entschlossenes politisches Handeln zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Situation insbesondere von bildenden Künstlerinnen und Künstlern, belegen zahlreiche Statistiken. Laut einer Studie des BBK – des Bundesverbands der Bildenden Künstlerinnen und Künstler – nehmen über 50 Prozent der befragten Künstlerinnen und Künstler durchschnittlich lediglich 5 000 Euro pro Jahr durch den Verkauf ihrer Werke ein. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass Frauen im Bereich bildende Kunst ein Drittel weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen und das, obwohl Frauen mit 60 Prozent an Kunstakademien eindeutig in der Mehrheit sind. Werke von Künstlerinnen sind wesentlich seltener in Galerien und Museen zu finden; unter den ersten zehn der bedeutendsten und somit bestverdienenden Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart befinden sich laut Manager-Magazin gerade einmal drei Frauen. Was die Gleichstellung von Frauen auch im Kulturbetrieb betrifft, haben wir Grünen ja in dieser Legislaturperiode bereits einen Antrag vorgelegt; auf die Umsetzung unserer Forderungen durch die Bundesregierung warten wir bis heute vergeblich. Während die Ausstellung von Kunstwerken im analogen Raum den Künstlerinnen und Künstlern keinerlei Vergütung einbringt, ist beispielsweise die öffentliche Abbildung von Kunstwerken im Internet gemäß § 15 Abs. 2 UrhG vergütungspflichtig. Das heißt, die Schöpferinnen und Schöpfer erhalten entsprechend -Ausschüttungen über die VG Bildkunst. Im bestehenden Urheberrecht existiert eine rechtliche Lücke für eine Ausstellungsvergütung von künstlerischen Werken im analogen Raum, welche die Linken in ihrem Antrag ebenso wie der BBK durch die Forderung einer entsprechenden Ergänzung eines Rechtsanspruchs füllen -wollen. Soweit dadurch der Zugang zu öffentlichen Ausstellungen und somit die Möglichkeit zur Teilhabe an Kunstwerken für alle Bürgerinnen und Bürger nicht beeinträchtigt werden, ist gegen diesen Vorschlag aus unserer Sicht nichts einzuwenden. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang auch, dass die Linken in ihrem Antrag die Verantwortung des Bundes für eine bessere Finanzausstattung der Länder und Kommunen nicht außer Acht lassen. Auch ein Rechtsanspruch auf eine Ausstellungsvergütung als Ergänzung im Urheberrecht wird jedoch ohne grundlegende Reformen beim Urhebervertragsrecht in der Praxis – auch darauf gehen die Linken in ihrem -Antrag ein – nur wenig bewirken. Schöpferinnen von künstlerischen Werken müssen eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber den Verwertern ihrer Werke erhalten, damit wirtschaftliche Gewinne der öffentlichen Verbreitung nicht überproportional bei marktstarken Verwertern und Vermittlern liegen. Die Bundesregierung sollte diesbezüglich schleunigst einen Gesetzentwurf vorlegen – Künstlerinnen und Künstler in Deutschland sind darauf angewiesen, dass die Politik endlich -maßgebliche Entscheidungen trifft, um ihre soziale und wirtschaftliche Lage zu verbessern. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (Tagesordnungspunkt 16) Michael Frieser (CDU/CSU): Was bereits viel zu lange währt, wird nun hoffentlich gut. In dem Gesetzentwurf zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Gerichtshofs vom 17. Juli 1998 wird nun das Verbrechen der Aggression definiert. Dies ist ein wesentlicher Schritt, damit in Zukunft die Strafandrohung durch den Internationalen Strafgerichtshof nicht nur eine leere Drohung ist. Der Internationale Strafgerichtshof muss als permanentes internationales Gericht in die Lage versetzt werden, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Um die Tragweite der geplanten Änderungen des Römischen Statuts zu erfassen, muss zunächst die historische Entwicklung, die zu diesen Änderungen führte, betrachtet werden. Am 30. September und 1. Oktober 1946 verkündete das Internationale Militärtribunal in Nürnberg die Urteile gegen 22 Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges. Das Urteil von Nürnberg stellte einen Ausgangspunkt für weitere Bemühungen der Staatengemeinschaft um einen internationalen Strafgerichtshof dar. Nachfolgend bekräftigte die UN-Vollversammlung ausdrücklich die Rechtsprinzipien, die in Nürnberg zur Anwendung gekommen waren, als sogenannte Nürnberger Prinzipien. Was in Nürnberg seinen Anfang nahm, wurde stetig weiterentwickelt. Bereits 1950 legte die Völkerrechtskommission der UNO sieben Prinzipien vor, die den Anspruch darauf erhoben, dass schwere Verstöße gegen die internationale Werteordnung geahndet werden. Diese Nürnberger Prinzipien haben im Römischen Statut des Internationalen Gerichtshofs eine Weiterentwicklung erfahren. Das Statut ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der das Völkerstrafrecht kodifiziert, damit in internationalen Beziehungen keine rechtsfreien Räume verbleiben, in denen Menschen schutzlos den Gräueltaten von Kriegsverbrechern ausgesetzt sind. Jede Person, die eine Tat begeht, die nach dem Völkerrecht als Verbrechen bestimmt wurde, ist dafür verantwortlich und wird der Bestrafung zugeführt, auch wenn das nationale Recht keine Strafe für eine Tat vorsieht. Um diese Prinzipien durchzusetzen, wurde mit dem am 1. Juli 2002 in Kraft getretenen Römischen Statut der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eingerichtet. Der IStGH will die nationale Strafgerichtsbarkeit der Staaten nicht ersetzen und ist auch kein letztinstanzliches Rechtsmittelgericht, welches Verfahren der nationalen Strafgerichtsbarkeit überprüfen könnte. Der IStGH ergänzt vielmehr die innerstaatliche Gerichtsbarkeit bei der Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen, deren Vorrang im Statut vielfach verankert ist. Der Internationale Strafgerichtshof ist damit Ausdruck des gemeinsamen Wunsches der Staatengemeinschaft, für Frieden und Gerechtigkeit auch außerhalb der nationalen Grenzen einzustehen. Das erste Urteil sprach der Internationale Strafgerichtshof am 14. März 2012 im Verfahren gegen den früheren kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga, der wegen der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindersoldaten für schuldig befunden wurde. Er wurde dafür am 10. Juli 2012 zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Dieses Urteil zeigt, dass die Nürnberger Prinzipien kein theoretisches Konstrukt sind, sondern auch in die Praxis umgesetzt werden können. Doch die Entwicklung des Völkerstrafrechts ist durch die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshof 2002 nicht zu einem Abschluss gekommen. Jetzt gilt es zu beweisen, dass Deutschland aus seiner dunklen Vergangenheit gelernt hat und seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nachkommt. Das Völkerstrafrecht muss zu einem wirksamen Instrument der Friedenssicherung aufgebaut werden. Bereits die Strafandrohung muss Aggressoren in ihre Schranken weisen. Dazu ist die stetige Optimierung und Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts notwendig, die mit der vorliegenden Änderung unterstützt werden muss. Obwohl bereits im ursprünglichen Statut das Verbrechen der Aggression als Straftatbestand angelegt gewesen war, hatten sich die Vertragsstaaten auf der Gründungskonferenz weder auf eine Definition des Verbrechens der Aggression einigen können noch auf die vorzusehende Rolle des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Eine Kodifikation des Tatbestands scheiterte auch an umstrittenen Fragen wie dem Umfang des Rechts auf Selbstverteidigung und die Zulässigkeit humanitärer Intervention. Nach Art. 5 des Statuts, wie es auf der Konferenz in Rom verabschiedet wurde, besitzt der Gerichtshof die sachliche Zuständigkeit für das Verbrechen der Aggression. Da aber keine Definition der Aggression beschlossen werden konnte, bleibt die Norm eine leere Hülle, und zwar so lange, bis eine Definition in das Statut eingefügt wird. Dies ist angesichts der herausragenden Bedeutung des Aggressionstatbestands, dessen Zweck es ist, die Gewaltanwendung als solche auf internationaler Ebene zu pönalisieren, ein unhaltbarer Zustand. Vom 31. Mai bis 11. Juni 2010 fand in Kampala die erste Überprüfungskonferenz des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs statt, in deren Mittelpunkt die Bemühungen um eine Einigung in Bezug auf das Verbrechen der Aggression standen. Mit den Änderungen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs werden nun eine Definition des Verbrechens der Aggression und die Bedingungen der Ausübung der Gerichtsbarkeit in das Römische Statut eingefügt. Auch wird der Einsatz bestimmter Waffen und Geschosse, deren Verwendung in internationalen bewaffneten Konflikten bereits ein Kriegsverbrechen darstellt, auch im nicht internationalen bewaffneten Konflikt unter Strafe gestellt. Diese Änderungen sind die Früchte eines langwierigen Prozesses, in dem das Völkerstrafrecht geschaffen und weiter ausgestaltet wurde. Einzelne Staaten sind in mühsamen Verhandlungen Kompromisse eingegangen, um das gemeinsame, höhere Ziel voranzubringen: ein umfassendes System internationaler Strafgerichtsbarkeit, die die nationale Strafverfolgung wirksam ergänzt. Die Normierung des Aggressionstatbestandes ist dabei von herausragender Bedeutung. Nur durch diesen kann eine wesentliche Lücke der völkerrechtlichen Strafbarkeit geschlossen werden. Der nun verabschiedete Tatbestand des Aggressionsverbrechens stellt einen ausgewogenen Kompromiss dar und trägt der Tatsache Rechnung, dass dieses Delikt im Vergleich zu den anderen im Römischen Statut aufgeführten Verbrechen durch die Kriminalisierung staatlicher Angriffshandlungen und als Führungsverbrechen einen besonderen Charakter hat. Die individuellen Tathandlungen wurden fast wörtlich den Vorgaben des Statuts des Nürnberger Militärgerichtshofs zum „Verbrechen gegen den Frieden“ entnommen. Von einem Verbrechen der Aggression wird ausgegangen, wenn eine Person, die tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken, eine Angriffshandlung plant, vorbereitet oder ausführt, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt. Die Formulierung stellt klar, dass es sich um ein sogenanntes Führungsverbrechen handelt, das hohe Anforderungen an die individuelle Täterqualität stellt. Es betrifft nicht die kleinen Befehlsempfänger, sondern zieht die Täter zur Rechenschaft, die tatsächlich für den Angriff auf den Frieden verantwortlich sind. Regierungsoberhäupter dürfen nicht über dem Gesetz stehen. Eine Angriffshandlung stellt jede mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbare Anwendung von Waffengewalt durch einen anderen Staat dar, so zum Beispiel die Invasion des Hoheitsgebiets eines Staates oder der Angriff auf dieses durch die Streitkräfte eines anderen Staates. Auch eine militärische Besetzung, die sich aus einer solchen Invasion ergibt, sowie die Bombardierung oder Beschießung des Hoheitsgebiets sind umfasst. Neben der Blockade der Häfen oder Küsten eines Staates ist auch der Einsatz von Streitkräften eines Staates, die sich mit der Zustimmung eines anderen Staates in dessen Hoheitsgebiet befinden, unter Verstoß gegen die in der entsprechenden Einwilligung oder Vereinbarung vorgesehenen Bedingungen strafbar. Damit ist nicht jede völkerrechtswidrige staatliche Gewaltanwendung zugleich ein Aggressionsverbrechen. Rechtlich umstrittene Einsätze, die im Rahmen humanitärer Interventionen durchgeführt werden, um das Leid von Menschen zu lindern und weitere Gewalt zu verhindern, werden so nicht erfasst. Auch Fälle von nicht hinreichender Intensität sollen gerade nicht berücksichtigt werden. Die Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression wird in den Änderungen geregelt. Der Gerichtshof kann seine Gerichtsbarkeit nur bei Verbrechen der Aggression ausüben, die ein Jahr nach Ratifikation oder Annahme der Änderungen durch 30 Vertragsstaaten begangen werden. Eine weitere wichtige Änderung betrifft die Strafbarkeit gewisser verbotener Waffen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten. Die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen, die Verwendung erstickender, giftiger oder gleichartiger Gase sowie aller ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffe oder Vorrichtungen, die Verwendung von Geschossen, die sich im Körper des Menschen leicht ausdehnen oder flachdrücken, sind in internationalen bewaffneten Konflikten bereits strafbar. Der Zustand, dass der Einsatz von Giftgasen zwar in internationalen Konflikten bereits als Kriegsverbrechen geahndet werden kann, Machthaber aber ihr eigenes Volk mit diesen Waffen konsequenzlos angreifen können, ist unerträglich. Hier kommt es nun zu einer Angleichung, da eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen den Konfliktformen auf humanitär völkerrechtlicher Ebene heute nicht mehr angemessen ist. Das Leiden und die Verletzungswirkung, die durch diese Waffen ausgelöst werden, sind verurteilenswert, gleich in welcher Art von Konflikt sie eingesetzt werden. Diese Änderungen liegen mir als in Nürnberg direkt gewähltem Abgeordneten besonders am Herzen. In Nürnberg entsteht ein Institut für die Durchsetzung der Nürnberger Prinzipien zum Völkerstrafrecht. Es soll als Expertenforum dazu beitragen, Frieden mit den Mitteln des Rechts zu sichern, indem es interdisziplinäre Forschung betreibt und zielgruppenspezifisches Training zu völkerstrafrechtlichen Themen sowie Menschenrechtsbildung anbietet. Ziel der Akademie ist es, die Akzeptanz des Völkerstrafrechts und der Nürnberger Prinzipien international zu fördern. Die Bundesrepublik Deutschland hat an der Ausarbeitung des Römischen Statuts aktiv mitgewirkt. Wir müssen uns weiterhin aktiv dafür einsetzen, dass der Inter-nationale Strafgerichtshof möglichst effektiv arbeiten kann und breite Unterstützung in der Staatengemeinschaft findet. Das Gesetz zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshof vom 17. Juli 1998 ist dabei ein wichtiger und wirksamer Schritt, um Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit der Strafbarkeit zuzuführen. Christoph Strässer (SPD): Ich begrüße den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu den Änderungen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 10. und 11. Juni 2010 in Kampala. Das nicht zuletzt deshalb, weil ich in der ugandischen Hauptstadt an der parlamentarischen Begleitung zur Konferenz der Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes, IStGH, teilnehmen durfte und so den schwierigen, aber auch beeindruckenden Einigungsprozess begleiten konnte. Es gäbe vieles über diese Konferenz zu berichten. Vor allem der Wille der meisten Beteiligten, eine tragfähige Einigung unbedingt zu erreichen, war und ist für mich immer noch unvergesslich. Die Konferenz war von der internationalen Vereinigung „Parliamentarians for global Action“, PGA, in Zusammenarbeit mit der Protokollabteilung des Parlamentes von Uganda organisiert worden. Insgesamt nahmen an der Veranstaltung neben den Organisatoren und weiteren offiziellen Vertretern 117 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus mehr als 30 Ländern teil. Das sichtbarste Ergebnis war die trotz großer Skepsis erkennbare Zustimmung der großen Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen aus afrikanischen Ländern zur Arbeit des IStGH. Eine vor Beginn der Konferenz befürchtete Tendenz, die beklagte „Afrika-Lastigkeit“ der bisher bekannten Ermittlungen könne auch auf der Review-Konferenz zu einer Austritts- bzw. Kündigungswelle gerade afrikanischer Staaten führen, wurde eindrucksvoll widerlegt. Im Gegenteil, es wurde ein sehr deutliches und klares Engagement zur Unterstützung der Tätigkeit des Gerichtshofes erkennbar. In der Abschlusserklärung wurden in insgesamt 12 Punkten noch einmal die weitge-henden Übereinstimmungen des Treffens niedergelegt. Insbesondere wurde Wert darauf gelegt, gemeinsam in den jeweiligen Regionen für eine weitere Verbreitung des Statuts zu sorgen und das Statut in den nationalen Gesetzeswerken vollständig zu implementieren. Einer der Hauptschwerpunkte der damaligen Konferenz und Thema des hier zu beratenden Gesetzentwurfes der Bundesregierung war die Frage, ob der Internationale Strafgerichtshof auch über Aggressionsverbrechen urteilen sollte. Für mich stand schon damals fest, dass sich gerade die deutsche Bundesregierung aufgrund unserer Geschichte dafür einsetzen musste, dass der Internationale Strafgerichtshof auch über Angriffskriege urteilen können soll. Zweimal hat Deutschland die Welt in einen Weltkrieg gestürzt, indem es Angriffskriege gegen seine Nachbarn führte, Kriegsverbrechen von bis dahin nicht gekanntem Ausmaß verübte und versuchte, die jüdische Bevölkerung Europas auszulöschen. Das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal hat nach der Befreiung vom Faschismus erstmals in der Rechtsgeschichte über einen Angriffskrieg und Völkermord gerichtet. Dabei wäre es 2010 in Kampala durchaus möglich gewesen, dass dieser Straftatbestand aus dem Rom-Statut gestrichen werden würde. Dahinter steckte seinerzeit vor allem die Befürchtung, der Streit über eine Definition von Aggressionsverbrechen könnte den IStGH insgesamt schwächen. Der SPD-Bundestagsfraktion und mir war es hierbei wichtig, dass der Internationale Strafgerichtshof seine Arbeit nicht nur fortsetzen konnte, sondern dass er weitere Rechte erhalten musste. Denn der IStGH und seine Arbeit bedeuten einen wichtigen Fortschritt, ja einen Quantensprung für die Wahrung und Durchsetzung der individuellen Menschenrechte. In Kampala unterstützten wir insofern alle Anstrengungen, die zwei Ziele befördern sollten: die Definition des Straftatbestands „Aggressionsverbrechen“ in der Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes und die Stärkung der Arbeitsfähigkeit und die Erweiterung der Kompetenzen des IStGH. Deshalb ist dieser Gesetzentwurf ein Beleg für den Erfolg dieser Konferenz. Denn wir verpflichten uns hiermit, die Ergebnisse von Kampala in nationales Recht umzusetzen. Danach liegt ein Verbrechen der Aggression vor, wenn die Planung, Initiierung oder Durchführung eines bewaffneten Angriffs gegen einen anderen Staat vorliegt. Dieses Verbrechen kann nur von politischen und militärischen Entscheidungsträgern eines Staates begangen werden. Durch die Änderung des Art. 8 Abs. 2 Buchstabe e des Römischen Statuts wird außerdem der Einsatz bestimmter Waffen und Geschosse im Einklang mit dem Völkergewohnheitsrecht und dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch auch im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt unter Strafe gestellt. Die USA, die dem IStGH bislang ferngeblieben sind und in Kampala nur mit Beobachterstatus vertreten waren, scheiterten glücklicherweise mit ihrem Versuch, den Streit um die Definition neu zu entfachen. Große Diskussionen entbrannten über die Frage, wie sich diese Definition auf das Verhältnis zwischen dem IStGH und dem Sicherheitsrat der VN auswirken wird, welcher laut Kap. VII der VN-Charta einen Akt der Aggression in den internationalen Beziehungen bis dato als einziger feststellen konnte. Hier kollidierten die Interessen der fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates – USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich – mit jenen von Kanada, Australien und vor allem der süd-amerikanischen und afrikanischen Vertragsstaaten. Während die Mitglieder des Sicherheitsrates ihr alleiniges Recht auf die Feststellung einer Aggression erhalten wollten, fürchtete die andere Gruppe eine Politisierung und zunehmende Abhängigkeit des IStGH. Am Ende der Diskussion stand schließlich ein Kompromiss, der mehrere Wege offenlässt, ein „Verbrechen der Aggression“ festzustellen und strafrechtlich zu verfolgen: Erstens. Der Sicherheitsrat stellt ein „Verbrechen der Aggression“ fest und beauftragt den Chefankläger des IStGH, ein Verfahren einzuleiten. Zweitens. Der Chefankläger selbst darf ein Verfahren einleiten, wenn er der Meinung ist, dass ein „Verbrechen der Aggression“ stattgefunden hat, der Sicherheitsrat jedoch sechs Monate untätig bleibt. Drittens. Ein Vertragsstaat bittet den Chefankläger, ein Verfahren einzuleiten. Natürlich gibt es auch Anlass zu Kritik. Denn den Vertragsstaaten wird die Möglichkeit eingeräumt, ihre Entscheidungsträger vor Strafverfolgung durch eine sogenannte Opting-out-Erklärung zu schützen. Drittstaaten, zum Beispiel USA, Russland und China, fallen per se nicht unter die Aggressionszuständigkeit des IStGH. Das hat die unerfreuliche Folge, dass der IStGH nicht -tätig werden darf, wenn ein Vertragsstaat, der die Aggressionszuständigkeit des Gerichts anerkannt hat, von einem Drittstaat oder einem ausoptierten Vertragsstaat angegriffen wird. Obwohl die Gerichtsbarkeit des IStGH in Bezug auf das „Verbrechen der Aggression“ frühestens am 1. Januar 2017 und nur, nachdem mindestens 30 Vertragsstaaten die in Kampala formulierten Regelungen ratifiziert haben, beginnt, sollten wir alle glücklich über die Möglichkeit der Verabschiedung dieses Gesetzes sein und dafür werben, wo immer es möglich ist, auch andere Vertragsstaaten von der Notwendigkeit und Nützlichkeit der -Ratifizierung zu überzeugen. Dass angesichts dieser Konflikte eine Einigung erreicht wurde, ist nämlich nichts weniger als ein historischer Erfolg – zumal vor dem Hintergrund der seit Jahrzehnten festgefahrenen Absichten, den Sicherheitsrat und die UNO insgesamt zu reformieren. Die Annahme der Aggressionsbestimmung in Kampala und die Übernahme in deutsches Recht stellt deshalb einen riesigen Schritt für die internationale Strafjustiz dar. In Anbetracht der mehr als ein halbes Jahrhundert andauernden Bemühungen zur Kodifikation des Aggressionsverbrechens kann man das Ergebnis aus Kampala mit Fug und Recht als Erfolg bezeichnen. Damit der IStGH seine gegenwärtigen und künftigen Aufgaben erfüllen kann, braucht er die volle Unterstützung der Vertragsstaaten. Die zahlenmäßig gestiegenen und meist sehr aufwendigen Untersuchungen und Verfahren erfordern ausreichende finanzielle und personelle Mittel. Schon jetzt stößt der Gerichtshof an die Grenzen seiner Arbeitsfähigkeit. Die seit letztem Jahr laufenden Untersuchungen in Libyen und in der Elfenbeinküste sind finanziell bereits nicht mehr gedeckt. Deshalb sollte Deutschland beispielgebend für andere Vertragsstaaten seinen freiwilligen Beitrag an den Gerichtshof deutlich erhöhen. Die Ergebnisse der Konferenz von Kampala werden den IStGH langfristig stärken, was einerseits eine große Verantwortung und Herausforderung bedeutet, andererseits aber auch eine große Chance ist. Treten die Regelungen von Kampala 2017 wirklich in Kraft, kann jede Gewaltanwendung gegenüber einem anderen Staat vor dem IStGH angeklagt werden. Dies wäre ein großer Schritt in Richtung einer starken und effizienten Verrechtlichung der internationalen Beziehungen. Deshalb werden wir voraussichtlich nach den Ausschussberatungen diesem Gesetz zustimmen. Marina Schuster (FDP): „Ein historischer Durchbruch für die Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts“ – eindeutiger könnte die Denkschrift zum Gesetzentwurf, den wir heute debattieren, nicht sein. Die Einigung in Kampala, den Tatbestand der Aggression unter die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshof zu stellen, schließt eine große Lücke des Völkerstrafrechts. Sie ist ein Meilenstein im internationalen Kampf gegen die Straflosigkeit. An dieser Stelle möchte ich mich bei Markus Löning, dem Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, bedanken. Er war Delegationsleiter in Kampala. Dabei wurde er maßgeblich durch die juristische Expertise von Professor Dr. Claus Kreß und der Völkerrechtsberaterin der Bundesregierung, Dr. Susanne Wasum-Rainer, unterstützt. Es ist dem Einsatz des Teams zu verdanken, dass bei dieser Konferenz die Ziele Deutschlands vollständig erreicht wurden. Und auch ich stehe hier nicht ohne Stolz. Deutschland ist nach San Marino und Liechtenstein das dritte Land, das die Änderungen des Römischen Statuts ratifiziert. Als Menschenrechtspolitikerin bin ich stolz, dass Deutschland hier eine Vorbildrolle übernommen hat und ein entscheidendes Signal an andere Länder sendet. Ebenso kann ich selbstbewusst sagen, dass unsere christlich-liberale Koalition heute ein wichtiges Ziel – wortwörtlich aus dem Koalitionsvertrag – erreicht hat. Die FDP-Fraktion kann damit auf eine erfolgreiche Menschenrechtsbilanz zurückblicken, und auch das Gesetz zu den Änderungen des Römischen Statuts geht auf eine Initiative von uns Liberalen zurück. Gleichzeitig mit der Definition des Tatbestands der Aggression wurde in Kampala eine weitere wichtige Änderung des Römischen Statuts erreicht. Deutschland war maßgeblich daran beteiligt, dass der Einsatz bestimmter besonders grausamer Waffen und Geschosse auch in nicht internationalen bewaffneten Konflikten in Zukunft als Kriegsverbrechen eingestuft wird. Mit dem Tatbestand der Aggression knüpft das Rom-Statut direkt an die Nürnberger Prozesse an. Bereits im Statut des Internationalen Militärgerichtshofs wurde dieser als „Verbrechen gegen den Frieden“ als zentraler Anklagepunkt aufgeführt. Die Nürnberger und Tokioter Prozesse legten den Grundstein für das Ende der Straf-losigkeit und damit für eine der größten kulturellen Errungenschaften der modernen Menschheitsgeschichte. Die Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien, für Ruanda, Sierra Leone und Kambodscha führen dieses Vermächtnis seit den 1990er- und 2000er-Jahren fort. Sicher ist Ihnen allen das Verfahren gegen den früheren serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit noch in Erinnerung. In Den Haag hat nun gerade der Prozess gegen den letzten Angeklagten vor dem VN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien begonnen. Goran Hadzic steht wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht. Er soll an Mord, Folter und Vertreibungen beteiligt gewesen sein. In mühseliger Detailarbeit arbeitet das Tribunal für Ruanda den grausamen Völkermord an Tutsi und Hutu auf. Und mit der Verurteilung des ehemaligen liberianischen Präsidenten Charles Taylor vor dem Sondergericht für Sierra Leone konnte ein großer Erfolg im Kampf gegen die Straflosigkeit erreicht werden. Leider gibt es aber auch Beispiele, die zeigen, dass Vergangenheitsbewältigung und Strafverfolgung nach dem Ende von Unrechtsregimen oder Völkerrechtsverbrechen häufig unbefriedigend sind. So geht die Aufarbeitung der Schreckensherrschaft der Roten Khmer nur schleppend voran. Auch wenn der hauptverantwortliche Folterer „Duch“ verurteilt werden konnte, behindert die Regierung in Phnom Penh die Ermittlungen derart, dass bereits zwei anerkannte Richter aus Deutschland und der Schweiz ihr Amt niedergelegt haben. Kambodscha ist kein Einzelfall. Diesen Sommer hatte ich die Gelegenheit, mich auf einer Reise nach Kenia direkt vor Ort über den Versöhnungsprozess im Anschluss an die blutigen Ausschreitungen nach den Wahlen 2007 und 2008 zu informieren. Es hat mich sehr beunruhigt, zu hören, dass keiner der Täter bisher verurteilt wurde. Viele Opfer fühlen sich alleingelassen. Dies zeigt, welch große Bedeutung der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs zukommt, welcher seit 2009 diese Vorfälle untersucht. Das Verfahren gegen vier hochrangige Staatsbeamte ist für 2013 geplant. William Samoei Ruto, Joshua arap Sang, Francis Kirimi Muthaura und Uhuru Muigai Kenyatta werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Die Ermittlungen des IStGH sind die große Hoffnung der kenianischen Zivilgesellschaft, die sich nach einer Aufarbeitung der Vergangenheit sehnt. Wir sehen also immer wieder, wie wichtig die Gründung des Internationalen Strafgerichthofs war. Das „Wunder von Rom“, wie der renommierte Völkerrechtsprofessor Christian Tomuschat die diplomatische Bevollmächtigtenkonferenz von 1998 kürzlich nannte, bestätigte die Universalität des Gedankens von Nürnberg. Völkermörder, Kriegsverbrecher und Verbrecher gegen die Menschlichkeit müssen nun grundsätzlich davon ausgehen, dass sie sich für ihre Taten verantworten müssen, und zwar vor einem zentralen, überparteilichen, objektiven Gericht – ohne zeitliche Begrenzung! Der Beschluss von Kampala stärkt die Rolle der individuellen Verantwortung. Die Definition sieht vor, dass das Verbrechen der Aggression nur von einer Person begangen werden kann, die tatsächlich in der Lage ist, das politische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken. Man spricht hier auch vom „Führungsverbrechen“. Mit seinem Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Umar al-Bahir hat der Internationale Strafgerichtshof bereits bewiesen, dass er auch nicht vor Verfahren gegen amtierende Staatsoberhäupter zurückschreckt. Bis jetzt sind 121 Staaten dem Römischen Statut beigetreten; damit hat sich die Zahl der Mitgliedstaaten seit dem Inkrafttreten des Vertrags verdoppelt. Wenn wir allerdings das Ende das Straflosigkeit als ernsthaftes Ziel verfolgen, reicht dies noch lange nicht. Bis jetzt sind weder China noch Russland oder die USA Mitglieder des Römischen Statuts; das sind drei von fünf ständigen Mitgliedern des VN-Sicherheitsrates. Während diese Aufzählung oft und prominent erwähnt wird, werden viele andere Staaten vergessen, die sich bisher auch noch nicht zum Internationalen Strafgerichtshof bekannt haben: Indien, Indonesien, Israel und Irak. Tunesien ist erst kürzlich und als einziger Staat der arabischen Welt beigetreten. Weitere große Herausforderungen des Gerichts sind die Beschleunigung der Verfahren und eine langfristige Finanzierung. Nach Japan ist Deutschland der zweitgrößte Geldgeber des IStGH. Wir steuern knappe 12 Pro-zent des 110-Millionen-Euro-Budgets bei. Um den sehr hohen Erwartungen und Anforderungen gerecht zu werden, ist es unabdingbar, dass das Gericht ausreichend mit Ressourcen ausgestattet ist. Dies gilt insbesondere für qualifiziertes Personal. Die Richter des IStGH müssen nicht nur über solide Kenntnisse des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte verfügen, sondern brauchen auch praktische Erfahrungen in strafrechtlichen Prozessen. Deutschland stellt mit Hans-Peter Kaul einen der 18 Richter. Mit dem Institut zur Durchsetzung der Nürnberger Prinzipien zum Völkerstrafrecht, das unsere christlich--liberale Koalition ins Leben gerufen hat, haben wir ein weiteres wichtiges Zeichen gesetzt. 2012 wurden bereits mehrere Modellprojekte durchgeführt: unter anderem eine Summer School zum Thema „From Nuremberg to The Hague“ mit amerikanischen und zwei kenianischen Studenten im Juni. Immer wieder bemängeln Kritiker, dass es in der zehn- jährigen Tätigkeit des IStGH lediglich ein einziges Urteil gab. Im März wurde der kongolesische Milizenführer Thomas Lubanga wegen der Rekrutierung von Kindersoldaten schuldig gesprochen. Selten wird hingegen von den Schwierigkeiten gesprochen, die die Ermittler des Gerichts bei ihren Untersuchungen bewältigen müssen. Bei ihrer Arbeit ist die Anklagebehörde auf Zeugenaussagen und vor allem auf die Kooperation der Behörden vor Ort angewiesen. Ein Großteil der Ermittlungsarbeit muss in Den Haag, dem Sitz des Gerichts, stattfinden. Im Ergebnis wird hier auch von „remote justice“ – Gerechtigkeit aus der Ferne – gesprochen und die entstehende emotionale Distanz kritisiert. Sehr ähnlich ist der Vorwurf, dass es sich beim IStGH um eine koloniale Institution handele. Kurz vor ihrem Antritt als neue Chefanklägerin widerlegte Fatou -Bensouda dies sehr energisch: „Als Frau, als stellvertretende Chef-anklägerin, als Afrikanerin bin ich wirklich bestürzt, wenn gesagt wird, dass der Internationale Strafgerichtshof immer nur Afrikaner ins Visier nimmt. Das tut er nicht. Der IStGH kooperiert mit Afrika. Und er versucht, die Opfer in Afrika zu beschützen.“ Zurzeit führt das Gericht Vorermittlungen zu Fällen in Afghanistan, -Kolumbien, Südkorea, Georgien und in den palästinen-sischen Gebieten und bestätigt damit den universellen -Fokus des Römischen Statuts. Deutschland steht fest hinter dem Internationalen Strafgerichtshof. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf bekennen wir uns klar zu seiner Arbeit, und wir werden das Gericht auf seinem vielversprechenden Weg mit großem Engagement begleiten. Stefan Liebich (DIE LINKE): Am 25. April 2002 debattierte der Deutsche Bundestag die Ratifizierung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes vom 17. Juli 1998 und stimmte schließlich einstimmig zu. Die Fraktion der PDS hatte dazu, zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches, einen Entschließungsantrag eingebracht, der zwar abgelehnt wurde, dessen teilweise Umsetzung wir aber nun nach zehn Jahren erleben. Wir forderten damals die Bundesregierung auf, die Definition eines Verbrechens der Aggression, die Aufnahme eines Verbrechenstatbestandes des internationales Terrorismus, die Strafbarkeit des Einsatzes von Atomwaffen und anderer grausamer Waffen und die Festlegung einer Altersgrenze von 18 Jahren für den Einsatz als Soldat in den internationalen Gremien anzumahnen und dafür tätig zu werden. Jetzt liegt uns ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, ein Gesetzentwurf, der die Resolutionen der ersten Überprüfungskonferenz des Rom-Statuts, die 2010 in Kampala, Uganda statt fand, umsetzt und die Veränderungen des Rom-Statuts ratifizieren soll. Er regelt die Definition eines Verbrechens der Aggression, die Strafbarkeit der Verwendung von – im weiteren Sinne – chemischen Waffen, obwohl die Definition der Chemiewaffenkonvention da sicher besser ist, und die Strafbarkeit grausamer Waffen – hier im Sinne von zum Beispiel Teilmantelgeschossen –; beides nicht nur in zwischenstaatlichen Konflikten. All das ist zu begrüßen. Immerhin, zwei von fünf Forderungen unseres damaligen Entschließungsantrages sind umgesetzt. Und es gilt festzuhalten: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat trotz erheblichen Widerstandes der Regierung der Vereinigten Staaten seine Arbeit aufnehmen können. 121 Staaten haben mittlerweile das Rom-Statut ratifiziert. Mit der Verurteilung von Thomas Lubanga im Juli dieses Jahres wurde das erste Verfahren zum Abschluss gebracht. Lubanga war der Versklavung von Kindern als Soldaten in Hunderten Fällen schuldig gesprochen worden. Im Fakultativprotokoll zu dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes, betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten, von der Bundes-republik unterzeichnet, aber mit einem Vorbehalt versehen, ist geregelt, keine Heranwachsenden unter 18 zum Dienst in Streitkräften heranzuziehen. Auch im Sinne internationaler Glaubwürdigkeit kann ich Sie nur auffordern: Ziehen Sie diesen Vorbehalt zurück! Auch in Deutschland – und da müssen wir Vorbild sein – darf der Dienst in Streitkräften erst ab 18 möglich sein. Festzuhalten bleibt auch: „Erste Pflicht der deutschen Politik ist es, auf die Durchsetzung eines internationalen Rechts zu drängen, das für alle Staaten verbindlich ist. Ohne eine solche Rechtsordnung kann es keinen Frieden geben. Auch international gilt: Die Freiheit des Stärkeren führt zur Unterdrückung. Das Recht schützt die -Freiheit der Schwächeren.“ Das schrieb unser späterer Parteivorsitzender Oskar Lafontaine im Jahr 2005, und ich stimme dem aus vollem Herzen zu. Deshalb muss die Bundesregierung auf allen Ebenen dafür wirken, dass die USA und Russland ihren Widerstand gegen den Internationalen Strafgerichtshof auf-geben. Gut, dass die Tschechische Republik 2009 als letzter EU-Mitgliedsstaat die Ratifizierungsurkunde hinterlegt hat. Bei den Beitrittsverhandlungen zur EU sollte die Ratifizierung des Rom-Statuts und damit die Anerkennung eines wichtigen Teils des Völkerrechts Bedingung sein, meine ich. Historisch ist die Definition eines Verbrechens der Aggression gar nicht hoch genug zu bewerten, bei allen Abstrichen und vielen Kompromissen. Nach den Kriegsverbrechertribunalen von Nürnberg und Tokio und der UN-Resolution 3314 von 1974 ist es gelungen, eine breit getragene Definition zu erarbeiten, die dem Gericht Raum zu eigenem Handeln lässt. Deshalb werden wir unsere Kritik im parlamentarischen Beratungsverfahren benennen, dem Gesetzentwurf jedoch zustimmen. Hausaufgaben – nicht nur der Bundesregierung; sie ist aber hier unser Adressat – bleiben: ein Tatbestand des internationalen Terrorismus und die Strafbarkeit des Einsatzes von Atomwaffen und aller Massenvernichtungswaffen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Internationale Strafgerichtshof, IStGH, soll künftig auch über das Verbrechen des Angriffskrieges urteilen. Das beschlossen in der Nacht zum 12. Juni 2010 die damals 111 Mitgliedstaaten des Römischen Statuts bei einer Konferenz in Ugandas Hauptstadt Kampala und fügten einen neuen Art. 8bis in das Römische Statut des IStGH ein. Demnach können der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die Vertragstaaten des Römischen Statuts sowie die Chefanklägerin in Zukunft Ermittlungen wegen Aggressionsverbrechen einleiten. Nun müssen Präsidenten oder Armeeführer damit rechnen, wegen völkerrechtswidriger Invasionen, Bombardements oder Blockaden anderer Länder persönlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Dies ist gerade für uns Deutsche ein wesentlicher Meilenstein in der völkerrechtlichen Entwicklung. Es geht beim Verbrechen der Aggression um nicht weniger als um das Erbe der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Wir Grüne hatten die deutsche Delegation in Kampala durch einen Antrag unterstützt (Bundestagsdrucksache 17/1767). Im Nachhinein ist es umso bedauerlicher und unverständlicher, dass sowohl die schwarz-gelbe Koalition als auch die SPD diesen Antrag einst abgelehnt haben. 28 Monate nach Kampala ist es aber nun doch ein gutes Zeichen, dass die Bundesregierung die dort gefundenen Beschlüsse ratifizieren möchte. In Kampala wurde ein Kompromiss in letzter Minute gefunden. Der IStGH kann ab 2017 nun einerseits Aggressionsverbrechen auch dann behandeln, wenn der Sicherheitsrat untätig bleibt – obgleich die Chefanklägerin und die von einem Angriff betroffenen Staaten erst hohe Hürden zu überwinden haben, ehe sie ein Verfahren einleiten können. Andererseits darf der IStGH nicht gegen Angehörige von Staaten ermitteln, die dem Statut ferngeblieben sind, zum Beispiel die USA, China und Russland. Ihre Führer müssen daher nicht befürchten, wegen möglicher Aggressionen – etwa in Afghanistan, Tibet oder Georgien – belangt zu werden. Mit dem universellen Anspruch des Gerichts ist dieser Kompromiss nach Ansicht von Bündnis 90/Die Grünen nur bedingt vereinbar. Mehr als bedauerlich ist zudem die vorgesehene Optionslösung, wonach die Vertragstaaten erklären können, dass der IStGH nicht für Aggressionen zuständig sein soll, die durch ihre Staatsangehörigen begangen wurden oder von ihrem Staatsgebiet ausgehen. Darüber, dass wir Grünen und vermutlich auch die Bundesregierung sich ein noch schöneres Ergebnis gewünscht hätten, brauchen wir uns jedoch nicht lange zu unterhalten. In erster Linie sollten wir uns über den in Kampala erzielten Durchbruch freuen – Minimalkonsens hin oder her. Der Sinn der neuen Einigung besteht vor allem darin, eine gefährliche Lücke im Recht der Staatenwelt zu schließen. Zwar können bislang Verbrechen innerhalb des Kriegs verfolgt werden, auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Nur beim Angriffskrieg selbst war das bisher nicht möglich. Dabei gilt er seit den Nürnberger Prozessen gegen die NS-Führung als „das schwerste internationale Verbrechen“. Die deutsche Delegation hat in Kampala – genauso wie übrigens schon bei der Schaffung des Römischen Statuts – einen sehr wichtigen und konstruktiven Beitrag geleistet, um eine Einigung zu erzielen, und hat gemeinsam mit den Niederlanden eine Gruppe der Gleichgesinnten organisiert, um auf einen Kompromiss hinzuarbeiten. Und auch wenn Menschenrechtsorganisationen wie etwa Amnesty International zu Recht kritisieren, dass man den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates zu sehr entgegengekommen sei, so muss ich doch kon-statieren, dass eine nicht ganz perfekte Regelung des Tatbestandes des Aggressionsverbrechens immer noch deutlich besser ist als gar keine Regelung. Dennoch hat auch die Beharrlichkeit von Amnesty International, Human Rights Watch und anderen NGOs insgesamt eine sehr wichtige und positive Rolle gespielt: Ohne deren Forderungen wären insbesondere Großbritannien und Frankreich nicht unter jenen enormen Druck geraten, unter dem sie zuletzt standen. Auch Maximalforderungen zu erheben, ist in Verhandlungsrunden legitim und von großer Bedeutung. Wer den gefundenen Konsens nun für zu schmalbrüstig erachtet, der sollte bedenken, dass die Völkerrechtsentwicklung sich eher in Dekaden als in Jahren vollzieht. Eine Erweiterung des Aggressionstatbestandes ist wohl im steten Prozess weiterhin möglich. Die große Aufgabe, die in naher Zukunft zu bewältigen sein wird, ist die Implementierung des Tatbestands des Aggressionsverbrechens in die deutsche Rechtsordnung. Für die Umsetzung des Art. 8bis des Römischen Statuts ins deutsche Recht gibt es verschiedene denkbare Varianten. Die vermeintlich einfachste, zugleich aber auch unambitionierteste Möglichkeit ist wohl, keine Änderungen im deutschen Recht vorzunehmen und mit dem -bestehenden § 80 StGB weiter zu operieren. Die Materialien zu Art. 8bis des Römischen Statuts könnten dann als reine Auslegungshilfe herangezogen werden. Dafür spricht, dass es keine völkerrechtliche Pflicht gibt, das Verbrechen der Aggression ins deutsche Recht zu implementieren. Gegen diese Variante ist jedoch einzuwenden, dass die Bundesrepublik ihrer Vorreiterrolle im Völkerstrafrecht, die sie in Kampala erneut unter Beweis gestellt hat, und auch ihrer historischen Verpflichtung nur unzureichend Rechnung tragen würde. Die zweite, genau gegensätzliche Lösung wäre wohl, Art. 8bis des Römischen Statuts vollumfänglich in einer ins Deutsche übersetzten Form im deutschen Recht abzu-bilden. Hier stellt sich jedoch die Frage des Bestimmtheitsgrundsatzes im deutschen Recht, im Strafrecht zumal. Dem wird Art. 8bis nicht gerecht. Insbesondere die soeben dargestellte Entstehungsgeschichte des Kompromisses zum Tatbestand des Aggressionsverbrechens hatte es erforderlich gemacht, auf Formulierungen zurückzugreifen, die wohl erst im Zuge der Rechtsauslegung und anwendung näher definiert werden. Ein Umstand zwar, der in vielen nationalen Gesetzgebungsverfahren ebenfalls vorkommt. Dort aber wird im Regelfall mit bereits bekannten Rechtsbegriffen jongliert, die die Verfassungsmäßigkeit zumindest in der Regel nicht überstrapazieren. So bleibt als dritte Möglichkeit wohl nur ein Mittelweg. Aufbauend auf § 80 StGB müsste Art. 8bis des Römischen Statuts in modifizierter Form ins deutsche Recht übernommen werden, wenn auch nicht unbedingt im StGB. § 80 StGB ist anerkannt verfassungsgemäß und hinreichend bestimmt, auch im Hinblick auf die Definition des Tatbestandsmerkmals des Angriffskrieges. Natürlich müsste die Norm jedoch verändert werden. Zum einen im Hinblick auf den Täterkreis; denn klar ist, dass das Aggressionsverbrechen im Römischen Statut ein Führungsdelikt, nach deutscher Wertung also ein absolutes Sonderdelikt, darstellt. Insbesondere aber ist die Klärung der Frage notwendig, ob der Bezug zu Deutschland in der Norm erhalten bleiben solle. Ob der Bezug zu Deutschland, wie ihn derzeit § 80 StGB vorsieht, aufrechterhalten bleiben oder zugunsten eines echten Weltrechtsprinzips aufgehoben werden soll, ist eine der beiden schwierigsten Fragen bei der Implementierung des Verbrechens der Aggression in die deutsche Rechtsordnung. Der Ständige Internationale Gerichtshof hatte im Jahr 1927 im Lotus-Fall geurteilt, dass die Ausdehnung nationaler Strafgerichtsbarkeit nur dann unzulässig sei, wenn ein ausdrückliches völkerrechtliches Verbot nachweisbar wäre. Dieses wegweisende Urteil hat das Weltrechtsprinzip begründet und gilt bis heute. Diese Lotus-Entscheidung konsequent umzusetzen, hieße, den Deutschland-Bezug aus dem neu zu schaffenden Tatbestand zu streichen. Damit infolgedessen jedoch nicht wegen jeder weltweiten Aggression vor deutschen Gerichten verhandelt werden müsste, wäre jedoch eine strafprozessuale Einschränkung über § 153 f StPO zwingend erforderlich. Wir müssen uns daher fragen, ob wir so eine weite Regelung im materiellen Strafrecht tatsächlich haben möchten. Ob es wirklich sinnvoll wäre, den Anschein eines weltweit für alle Aggressionsverbrechen zuständigen materiellen Strafrechts zu erwecken, wenn doch klar ist, dass die Ermittlungsbehörden und auch die Gerichte in der Vielzahl dieser Fälle an ihre Grenzen stoßen würden. Die große Mehrzahl der Strafanzeigen nach einem neuen, auf dem Weltrechtsprinzip basierenden Tatbestand des Aggressionsverbrechens würde aufgrund berechtigter strafprozessualer Erwägungen eingestellt. Dies würde in erster Linie Enttäuschung hervorrufen und das Bestreben um eine Stärkung des Völkerstrafrechts vermutlich eher behindern als fördern. Es ist daher notwendig, den neuen Tatbestand realistisch und auch pragmatisch zu fassen. Der Bezug zur Bundesrepublik Deutschland – ähnlich wie er derzeit in § 80 StGB steht – sollte daher nicht pauschal aufgegeben werden. Denn neben dem Argument, dass die mögliche Überfrachtung der Gerichte und Ermittlungsbehörden Enttäuschung produzieren würde, stellt sich zusätzlich die Frage, ob ein Weltrechtsprinzip im Falle der Aggression völkerrechtlich überhaupt möglich wäre. Im Gegensatz zu anderen Völkerrechtsverbrechen gibt es im Hinblick auf die Aggression keine diesbezügliche Staatenpraxis. Mit diesem Argument das Weltrechtsprinzip beim Aggressionsverbrechen aber nun abzulehnen, wäre zu vorschnell. Jede Form des Völkergewohnheitsrechts nimmt aus irgendeinem Anlass und durch irgendeine Norm ihren Anfang. Das Völkerstrafrecht weiter voranbringen zu wollen, hieße also, bei der Umsetzung des Aggressionsverbrechens ins deutsche Recht nicht gänzlich auf einen weltrechtlichen Anspruch zu verzichten. Zumal andernfalls eine nicht zu erklärende Ungleichbehandlung zwischen den einzelnen Völkerrechtsverbrechen die Folge wäre. Eine vermittelnde Lösung wäre also auch hier angebracht. Nicht alle Aggressionsverbrechen sind per se vom Weltrechtsprinzip erfasst. Nichtstaatliche Akteure schließt beispielsweise auch Art. 8bis des Römischen Statuts aus. Zwar muss bei der Fassung des Tatbestandes der Gefahr entgegengewirkt werden, dass Angriffskriege in zwei Kategorien unterteilt würden: in solche, die von deutschen Behörden verfolgt oder nicht verfolgt werden. Doch dies kann durch eine geschickte, sich am Sinn und Zweck der Norm orien-tierende Formulierung des Tatbestandes und der Tathandlung vermieden werden. Dies leitet zu der zweiten aus meiner Sicht wesentlichen Frage bei der Implementierung des Verbrechens der Aggression in die deutsche Rechtsordnung über, der Frage nach der Definition des Angriffskrieges. Es erscheint charmant, die Definition aus Art. 8bis Abs. 2 des Römischen Statuts zu übernehmen. Dies hieße jedoch zum einen, sich erneut an bislang im deutschen Recht undefinierte Rechtsbegriffe heranwagen zu müssen – mit allen Schwierigkeiten im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot und die Verfassungsmäßigkeit, und zum anderen, den in Art. 8bis enthaltenen Verweis auf die Resolution 3314 (XXIX) der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu übernehmen. Zu Recht wird der in Kampala gefundene Kompromiss für den Tatbestand des Aggressionsverbrechens für diesen Verweis kritisiert. Denn die Bezugnahme auf die Resolution 3314 (XXIX) kontaminiert den Aggressionsbegriff mit politischen Erwägungen der Sicherheitsratsmitglieder. Im deutschen Strafrecht wäre es ein einmaliger Fremdkörper, würde die Einschätzung des UN-Sicherheitsrates zur Tatbestandsvoraussetzung einer strafbaren Handlung. Zur Lösung dieses Problems böte es sich an, die Angriffshandlung im deutschen Recht gesondert und ohne eine Bezugnahme auf die Resolution zu definieren. Art. 3 der Resolution könnte hierfür aus seinem Kontext herausgehoben und verwendet werden. Er ist progressiv und wird international besonders von den kleineren Staaten begrüßt. Auch angesichts anderer Probleme bietet es sich aus meiner Sicht nicht an, die Definition aus Art. 8bis Abs. 2 des Römischen Statuts einfach zu übernehmen. Etwa die aus unserer Sicht unscharf formulierte Tathandlung der Anwendung von Waffengewalt. Oder den Buchstaben f, der Handlungen unter Strafe stellt, durch die ein Staat erlaubt, dass sein Hoheitsgebiet mit Erlaubnis von einem anderen Staat dazu genutzt wird, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen. Die Flugbasen der USA in der Bundesrepublik sind hierfür ein klassisches Beispiel. Wann immer ein von den USA geführter Krieg, bei dem in Deutschland stationierte amerikanische Soldaten eingreifen, mit dem Vorwurf der Aggression belegt wird, würden vermutlich sogleich zahlreiche Strafanzeigen gegen deutsche Verantwortliche eingehen, die die Stationierung US-amerikanischer Truppen gestatten. Und zwar unabhängig von der Frage, ob der Bezug zu Deutschland im Aggressionsverbrechen aufrechterhalten bleibt oder nicht. Angesichts dieser und vermutlich noch vieler weiterer Fallstricke sollte sich der Gesetzgeber daher die Mühe machen, den Angriffskrieg selber zu definieren. Unbenommen davon bleibt ja die Möglichkeit, in der Begründung des Gesetzentwurfs darauf zu verweisen, dass Art. 8bis des Römischen Statuts zur weiteren Auslegung des Begriffs herangezogen werden sollte. Angesichts der bereits angesprochenen Vorreiterrolle, die die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahrzehnten im Völkerstrafrecht eingenommen hat und auch weiterhin einnehmen sollte, bin ich der Meinung, dass eine Platzierung des neuen Tatbestandes des Aggressionsverbrechens im StGB unzureichend wäre. Anstatt § 80 StGB neu zu fassen, sollte eine neue Norm im Völkerstrafgesetzbuch geschaffen werden. Nur so könnte Deutschland eine international mustergültige Regelung schaffen. Die Bundesrepublik würde hierdurch ihren Willen sichtbar bekräftigen, das Aggressionsverbrechen zu ächten. Denn bei aller notwendigen Begrenzung des Weltrechtsprinzips und bei allem verständlichen Wunsch, die deutschen Gerichte nicht zu überfrachten, müssen wir doch auch zugleich die Stärkung des IStGH als Institution im Blick behalten. Es hilft dem Gerichtshof nicht, wenn wir verhältnismäßig unambitionierte nationale Normen kreieren, die die wesentlichen Problemfälle dann auf den IStGH verlagern. Der IStGH ist ein Gericht nur für jenen Notfall, in dem die nationalen Gerichte und Rechtsordnungen versagen. Daher plädiere ich für eine mutige Lösung und die Schaffung eines neuen Tatbestandes im VStGB. Ein Beharren auf § 80 StGB in einer modifizierten Form wäre der Größe des Projektes nicht angemessen. Zuletzt noch eine kurze Bemerkung zur prozessualen Flankierung. Jede noch so gute neue Regelung würde an Einfluss und Macht verlieren, wenn § 153 f StPO weiterhin so restriktiv angewandt würde wie bislang. Er muss reformiert werden. Das Wort „insbesondere“ im zweiten Absatz suggeriert in meinen Augen, dass es sich im Vergleich zum ersten Absatz eher um eine Soll- als um eine Kann-Vorschrift handelt. Zudem wird – etwa in der zweiten Rumsfeld-Entscheidung – in der Rechtspraxis regelmäßig geprüft, ob angesichts der Möglichkeiten der -Beweissicherung in einem fernen Staat oder der antizipierten Rechtshilfe ein Verfahren denn überhaupt zu einer Anklage führen könne. Dieser Ansatz, so nachvollziehbar und menschlich er auch erscheint, muss sehr kritisch hinterfragt werden. Er steht so nicht im Gesetz. Wer Enttäuschungen bei der Umsetzung des Tatbestandes des Aggressionsverbrechens ins deutsche Recht vorbeugen will, der sollte auch hier ansetzen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfahren – Konsequenzen aus den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ziehen (Tagesordnungspunkt 17) Helmut Brandt (CDU/CSU): In ihrem Antrag, den wir heute in zweiter Lesung beraten, kritisiert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dass entgegen einer Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Deutschland keine Möglichkeit eines effektiven Rechtsschutzes gegen die Überstellung in einen anderen EU-Mitgliedstaat auf Basis der Dublin-Verordnung bestehe. Nach der Entscheidung des Gerichtshofes vom 21. Januar 2011 müssen Behörden und Gerichte eine Beschwerde, mit der geltend gemacht wird, durch die Abschiebung in ein anderes Land einer gegen Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu sein, gründlich untersuchen. Die zuständige Instanz muss die Kompetenz haben, die Beschwerde in der Sache zu prüfen. Der Deutsche Bundestag soll daher die Bundesregierung auffordern, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem der in den §§ 27 a, 34 a Abs. 2 und 75 AsylVfG vorgesehene Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Überstellungen im Rahmen der Dublin-II-Verordnung aufgehoben wird und stattdessen das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz mit aufschiebender Wirkung festgeschrieben wird. Hintergrund des vorliegenden Antrags ist neben einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21. Januar 2011 ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 21. Dezember 2011. In dem Verfahren von Asylbewerbern aus Afghanistan, dem Iran und Algerien gegen das Vereinigte Königreich und die Republik Irland hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass ein Asylbewerber nicht an einen Mitgliedstaat überstellt werden darf, in dem er Gefahr läuft, unmenschlich behandelt zu werden; das Unionsrecht lasse keine unwiderlegbare Vermutung zu, dass die Mitgliedstaaten die Grundrechte der Asylbewerber beachten. Begründet wird der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen damit, dass ein Schutzsuchender grundsätzlich vor einer Rückführung in einen anderen EU-Mitgliedstaat die Möglichkeit einer effektiven rechtlichen Überprüfung mit aufschiebender Wirkung haben müsse: dass viele Verwaltungsgerichte bereits dementsprechend entschieden, reiche nicht aus. Ihren Antrag lehnen wir ab. Die Regelungen des Asylverfahrensgesetzes zum sicheren Drittstaat wurden 1996 vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich gebilligt. Und auch der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 21. Dezember 2011 festgestellt, dass eine Prüfung der Rechtstexte, die das Gemeinsame Europäische Asylsystem bilden, die Annahme zulasse, dass alle an diesem System beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention haben. Die Mitgliedstaaten dürfen einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht eng umgrenzte Ausnahmen festgelegt, in denen die von der Verfassung beziehungsweise dem Gesetzgeber getroffene Festlegung von Staaten als sicher und damit auch der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 34 a Asylverfahrensgesetz nicht gilt. Und auch der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass von einer Rücküberstellung abzusehen sei, wenn ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe die Annahme nahelegen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen. Was Rücküberstellungen nach Griechenland anbelangt, hat der damalige Bundesinnenminister, Thomas de Maizière, mit der bereits Anfang Januar 2011 zunächst auf ein Jahr befristeten und zwischenzeitlich um ein weiteres Jahr bis Januar 2013 verlängerten vollständigen Aussetzung von Überstellungen von Deutschland nach Griechenland die entscheidende Konsequenz aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gezogen. Hintergrund der Entscheidung des Bundesinnenministers waren Berichte von Delegationsteilnehmern sowie Nichtregierungsorganisationen und dem Hohen Flüchtlingskommissariat, die immer wieder auf die unhaltbaren Zustände in Griechenland hinwiesen. Trotz der geleisteten oder angebotenen Hilfe herrschten und herrschen in den Flüchtlingslagern menschenunwürdige Zustände. Die griechische Regierung ist nach wie vor nicht in der Lage und wohl auch nicht willens, sich für eine deutliche Verbesserung der Lage der Flüchtlinge einzusetzen. Aufgrund der vollständigen Aussetzung von Überstellungen nach Griechenland gibt es derzeit keine Gerichtsverfahren, bei denen es auf die Frage vorläufigen Rechtsschutzes gegen Überstellungen dorthin ankommt. Ich versichere Ihnen, dass über eine mögliche Verlängerung der Aussetzung von Überstellungen nach Griechenland auf Basis der Dublin-Verordnung rechtzeitig entschieden wird. Einen akuten Bedarf für eine generelle Änderung des § 34 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz kann ich deshalb nicht erkennen. In Bezug auf Überstellungen in andere Mitgliedstaaten sind derzeit keine Konsequenzen veranlasst. Die deutliche Verurteilung von Griechenland zeigt, dass es sich um eine ganz außergewöhnliche und einzigartige Situation handelt: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stützt seine Entscheidung auf übereinstimmende und über einen längeren Zeitraum verfestigte Berichte zahlreicher europäischer Institutionen und unabhängiger internationaler Organisationen über massive strukturelle Mängel im Griechenland-Asylsystem, die im Ergebnis eine Schutzverweigerung bedeuten. Eine solche Situation besteht in Bezug auf andere Mitgliedstaaten nach derzeitigem Kenntnisstand nicht. Soweit Verwaltungsgerichte gleichwohl Überstellungen in andere Mitgliedstaaten im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes untersagen, was zum Beispiel in Bezug auf Italien teilweise der Fall ist, teilen wir die darin zugrunde liegende Einschätzung nicht: Weder für Italien noch für andere Mitgliedstaaten gibt es konkrete Anhaltspunkte für sogenannte systemische Mängel des Asylsystems, die zu einer generellen Aussetzung von Überstellungen veranlassen. Eine Änderung des § 34 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz kommt überdies zum jetzigen Zeitpunkt für uns auch deshalb nicht in Betracht, da aktuell auf europäischer Ebene Verhandlungen über eine Neufassung der Dublin-Verordnung stattfinden. Im Zuge dieser Gespräche wird auch über die Möglichkeit eines einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung im Rahmen des Dublin-Verfahrens verhandelt. Ich bitte um Verständnis, dass wir schon aus Gründen einer einheitlichen europäischen Regelung zunächst den Ausgang dieser Gespräche abwarten. Ich warne jedoch ausdrücklich davor, das Dublin-System als solches infrage stellen. Denn die auf dem Verantwortungsgrundsatz basierenden Zuständigkeitsregelungen der Dublin-Verordnung und ihres Vorgängerabkommens haben sich in den über zehn Jahren ihrer Anwendung bewährt. Das Dublin-II-Abkommen war und ist der Garant dafür, dass wir keinen unkontrollierten und auch von uns nicht mehr zu bewältigenden Asylbewerberstrom haben. Und das Dublin-System bietet die Garantie dafür, dass das europäische Asylsystem nicht dadurch ins Stocken gerät, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen. Einen Alleingang dahin gehend, den in den §§ 27 a, 34 a Abs. 2 und 75 AsylVfG vorgesehenen Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Überstellungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin-II-Verordnung generell aufzuheben, wird es deshalb mit uns nicht geben. Wichtig erscheint mir außerdem, dass wir auf europäischer Ebene darüber nachdenken, die Visumsfreiheit für Länder wie Serbien und Mazedonien schnellstmöglich auszusetzen. Die Zahlen der Asylbewerber des Monats September 2012 zeigen insbesondere einen sprunghaften Anstieg von Asylanträgen durch serbische und mazedonische Staatsangehörige. Das liegt zum einen an der Abschaffung der Visapflicht für diese Länder, zum anderen aber auch an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das Asylbewerbern die volle Sozialhilfe zuerkannte. So etwas spricht sich natürlich auch in Staaten wie Serbien und Mazedonien, die ein besonders großes Wohlstandsgefälle zum EU-Raum aufweisen, rasend schnell herum. Diese Menschen kommen nach Deutschland, um hier ein besseres Leben führen zu können. Das mag menschlich verständlich sein; aber dafür ist das Asylrecht nicht geschaffen worden. Rüdiger Veit (SPD): In seinem Urteil vom 21. Januar 2011, MSS. gegen Belgien und Griechenland (Beschwerde-Nr. 3096/09), hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, entschieden, dass die Rücküberstellung in dem konkreten Fall nach Griechenland aufgrund der dortigen Haft- und Lebensbedingungen eine Verletzung von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK, darstellt; zudem liege eine Verletzung von Art. 13 EMRK, dem Recht auf eine wirksame Beschwerde vor, da der Beschwerdeführer keine Möglichkeit hatte, vor der Überstellung nach Griechenland gegen diese Rücküberstellung wirksame Rechtsmittel einzulegen. Mit anderen Worten: Aus dieser Entscheidung des EGMR folgt unzweideutig, dass es Flüchtlingen, die rücküberstellt werden sollen, möglich sein muss, dagegen Rechtsmittel einzulegen. Das geltende deutsche Recht schließt in § 34 a Abs. 2 AsylVfG die Möglichkeit eines einstweiligen Rechtsschutzes gegen Abschiebungen in einen sogenannten -sicheren Drittstaat aus. Damit entspricht es nicht der Rechtsprechung des EGMR. Ende des Jahres 2011 folgte die Große Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union, EuGH, der Linie des EGMR. In seiner Entscheidung vom 21. Dezember 2011 stellte sie fest, „dass das Unionsrecht der Geltung einer unwiderlegbaren Vermutung entgegensteht, dass der im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 – Dublin-II-Verordnung – „als zuständig bestimmte Mitgliedstaat die Unionsgrundrechte beachtet“. Der EuGH führte weiter aus, „dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedstaat, im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 – Dublin-II-Verordnung – zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systematischen Mängel des Asylverfahrens und der -Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem -Mitgliedstaat … Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen … Behandlung … ausgesetzt zu werden“. Vielleicht wundern Sie sich, warum ich die Entscheidungen des EGMR und des EuGH hier noch einmal so ausführlich darlege, sind sie doch auch hinreichend in dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen -genannt. Ich tue dies vor allem im Hinblick auf die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion. Nach dem Bericht des Innenausschusses zu dem vorliegenden Antrag hatten sie die Ablehnung des Antrags empfohlen, da er auf einer „fehlgehenden Interpretation einzelner Entscheidungen des … EuGH und des … EGMR“ -beruhe; mit diesen falschen Interpretationen der Rechtsprechung der höchsten europäischen Gerichte wolle die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Asylkompromiss von 1992/1993 „zu Fall bringen“. Was ich zuvor zu den Entscheidungen des EGMR und des EuGH berichtet habe, habe ich nicht interpretiert, sondern zitiert. Die Entscheidungen dieser beiden -Gerichte sind eindeutig, klar verständlich und bedürfen insofern keiner Interpretation mehr. Ich bin mir auch sicher, dass EGMR und EuGH bei ihren Entscheidungen nicht im Sinn hatten, den deutschen Asylkompromiss auszuhöhlen. Das erscheint abwegig. EuGH und EGMR sind die für die Mitgliedstaaten maßgebenden Obergerichte. Sie haben entschieden, dass im Verfahren gegen Überstellungen im Rahmen der Dublin-II-Verordnung ein effektiver einstweiliger Rechtsschutz möglich sein muss und dass es keine unwiderlegliche Vermutung für die Einhaltung und Gewährung der durch die EMRK geschützten Rechte in den Mitgliedstaaten gibt. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht in mehreren Eilentscheidungen, in denen es die aufschiebende Wirkung eingelegter Rechtsmittel gegen Rückführungen nach Griechenland aufgrund einer „grundrechtskonformen Auslegung“ des § 34 a Abs. 2 AsylVfG bejaht hat, so entschieden. Ebenso urteilten verschiedene Verwaltungsgerichte quer durch die gesamte Republik. Nach Griechenland wird derzeit – wie wir alle wissen – überhaupt nicht mehr rücküberstellt. Diese Entscheidungspraxis deutscher Gerichte kann aber nicht dazu führen – wie die Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion jedoch meinen –, dass in Deutschland kein Handlungsbedarf bestehe. Zudem kann es nicht richtig sein, das Bundesverfassungsgericht jeweils im Einzelfall mit der Frage zu bemühen, ob ein einstweiliger Rechtsschutz gegen eine Überstellung angezeigt sei, wenn der EGMR deutlich sagt, dass dies ein Recht ist, das grundsätzlich gegeben sein muss. Es ist eine -Fragestellung, die der Gesetzgeber zu entscheiden hat und wohl auch demnächst wird entscheiden müssen; denn am 19. September 2012 hat der Innenausschuss des EPs die geänderte Dublin-II-VO verabschiedet, auf die sich EP, Rat und Kommission zuvor in Trilogverhandlungen in erster Lesung geeinigt hatten. In dieser Neufassung ist ein einstweiliger genereller Rechtsschutz gegen Rücküberstellungen vorgesehen. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir auch ausdrücklich die Entscheidung des EGMR von Anfang dieses Jahres. Der EGMR hatte einen Fall zu entscheiden, in dem Italien eine Gruppe von auf hoher See aufgegriffenen Menschen an libysche Sicherheitskräfte zurücküberstellte (Urteil vom 23. Februar 2012, Hirsi Jamaa u. a. gegen Italien, Nr. 27765/09). Damit verstieß Italien gegen die Europäische Konvention für Menschenrechte, EMRK: Wenn Vertreter eines EGMR-Vertragsstaates -effektive Kontrolle über eine Person, ein Gebiet oder ein Schiff ausüben, dann sind sie an die EMRK – insbesondere das Non-Refoulement-Gebot – auch außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets gebunden. Bei einer Überarbeitung der Frontex-Verordnung müssen wir darauf drängen, dass die EU-Menschenrechte bei Einsätzen der Grenzschutzagentur gewahrt werden. Die Entwicklungen an den EU-Außengrenzen – insbesondere zum Beispiel in Griechenland aber auch in jüngster Zeit in Ungarn – haben deutlich gemacht, dass wir in Europa dringend eine Verantwortungsteilung brauchen. Ich halte das für die derzeit dringendste politische Aufgabe im Rahmen des europäischen Flüchtlingsrechts. Eine solche ist im Dublin-II-System nicht vor-gesehen. Das ist ungerecht. Es ist ungerecht gegenüber den Mitgliedstaaten, die EU-Außengrenzen haben; sie -müssen die Hauptlast tragen, und es ist ungerecht gegenüber den Flüchtlingen, weil die auf dem Papier vereinheitlichten Aufnahme-, Verfahrens- und Anerkennungsbedingungen weit davon entfernt sind, in der Praxis tatsächlich EU-weit gleich angewandt zu werden. Gleichzeitig sollten wir darüber nachdenken, legale Wege nach Europa zu öffnen. Eine Möglichkeit ist die Vergabe von sogenannten Schutzvisa. Außerdem sind wir für den Aufbau von langfristigen Resettlement--Programmen mit einem bestimmten Kontingent. Die bestehenden Programme sollten dementsprechend ausgebaut werden. Ich könnte mir zum Beispiel die Aufnahme von 100 000 Personen pro Jahr EU-weit vorstellen, um mal konkret eine Hausnummer zu nennen. Um ein wirksames europäisches Asylsystem zu -haben, müssen wir an vielen Stellen Änderungen vornehmen. Die von den europäischen Gerichten eingeforderte Möglichkeit der Gewährung einstweiligen Schutzes gegen Rücküberstellungen in Erstaufnahmeländer ist ein notwendiger Schritt in diese Richtung. Wir stimmen dem Antrag zu. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Über das europäische Asylsystem muss weiter beraten und nachgedacht werden, und das muss auch bei den anstehenden Verhandlungen zum Ausdruck gebracht werden. Eine Nachjustierung erscheint in mancher Hinsicht sinnvoll – auch beim Rechtsschutz, allerdings ist es völlig überzogen, in diesem Zusammenhang plakativ von „menschen- und europarechtswidrigen Bestimmungen des deutschen Rechts“ zu sprechen, wie die Antragssteller das zum wiederholten Male tun. Ob tatsächlich das von Regierungen vereinbarte Europarecht, wie die Grünen das mutig behaupten, das Verfassungsrecht, etwa des Parlamentarischen Rates in Deutschland bricht, darüber hat Karlsruhe sich bislang nicht so eindeutig geäußert. Als Parlamentarier finde ich, dass Recht, das direkt aus einer demokratisch-parlamentarischen Willensbildung entsteht, grundsätzlich Vorrang vor intergouvernementalen Vereinbarungen haben sollte. Da ist der demokratische Einfluss mir denn doch zu indirekt. Insofern sind Reformen zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie auf europäischer Ebene geboten. Das Bundesministerium des Inneren hat voriges Jahr alle Überstellungen nach der Dublin-II-VO nach Griechenland ausgesetzt. Hier hat der Bundesinnenminister die volle Unterstützung der FDP-Bundestagsfraktion. Damit wird die schwierige Situation berücksichtigt, die in Griechenland für Asylbewerber besteht. Bereits im Jahr 2010 war nur ein kleiner Anteil von Personen überhaupt nach Griechenland überstellt worden; in den restlichen Fällen hatte die Bundesrepublik Deutschland bereits von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht. Das Bundesverfassungsgericht hat als Reaktion auf die Aussetzung die Verfahren, die dort zur Geltendmachung einstweiligen Rechtsschutzes anhängig waren, eingestellt. Es ist über die Notwendigkeit eines einstweiligen Rechtsschutzes also nicht entschieden worden. Man kann ja grundsätzlich der Auffassung sein, dass Deutschland angesichts der bisherigen Situation des Rechtsschutzes bei Dublin-II-Verfahren noch Nachholbedarf hat. Die Bundesregierung geht aber sehr verantwortungsvoll mit dem Rückführungsmechanismus um: Rückführungen sind nun ausgesetzt; bereits im vergangenen Jahr wurden nur 50 Personen nach Griechenland zurückgeführt; beim Rest wurde vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht. Gleichzeitig können auch Staaten wie Griechenland nicht bevorzugt werden, wenn sie die Standards nicht einhalten: Der Druck muss aufrechterhalten bleiben. Kon-krete Hilfe hat die Bundesregierung für die griechischen Behörden auch angeboten – hinsichtlich der menschenwürdigen und schnelleren Gestaltung der Asylverfahren und der Rahmenbedingungen hierzu ist dieses ebenso wie zur stärkeren Grenzsicherheit vonnöten. Der Schutz von Menschen in Not ist für uns ein hohes Gut. Die FDP wird daher in der Koalition mit der CDU/CSU die Asylpolitik weiterhin verantwortungsbewusst und sensibel entwickeln und die EU-Planungen konstruktiv begleiten. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wir behandeln heute abschließend einen Antrag der Grünen, in dem die volle Wiederherstellung des Eilrechtsschutzes bei Abschiebungen im Rahmen des Dublin-Systems gefordert wird. Innerhalb der EU ist im Regelfall der Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, in den eine Person zuerst eingereist ist. Wenn Asylsuchende dennoch nach Deutschland weiterreisen, wird ihr Asylantrag nicht inhaltlich geprüft und sie müssen in das Erstein-reiseland zurückkehren, um dort ihr Asylverfahren zu betreiben. Im Zuge dessen erhalten sie einen Überstellungsbescheid. Eine Klage gegen diesen Bescheid hat allerdings keine aufschiebende Wirkung – dies wird nach geltendem Recht sogar ausdrücklich ausgeschlossen. Ein solches Verfahren widerspricht dem EU-Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Behörden der Mitgliedstaaten nicht einfach automatisch von einer -„Sicherheit“ in anderen Mitgliedstaaten ausgehen dürfen. Ernstliche Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Asylsystems und den Aufnahmebedingungen des Staates, in den überstellt werden soll, müssen grundsätzlich überprüft werden können. Die unerträglichen Zustände in Griechenland, aber zum Beispiel auch in Italien und Ungarn, führen das klar vor Augen. Deutsche Verwaltungsgerichte haben deshalb in mittlerweile Hunderten Fällen entgegen dem klaren Wortlaut des Asylverfahrensgesetzes einstweiligen Rechtsschutz verfügt. Doch in der Bundesrepublik wird der Rechtsschutz nicht allein durch die Rechtslage ausgehebelt, sondern auch durch eine zutiefst rechtsstaatswidrige Behördenpraxis. Im Mai dieses Jahres hat die Abschiebebeobachtung am Flughafen Frankfurt/Main ihren Tätigkeits-bericht für das Jahr 2011 vorgelegt. Darin wird der Fall eines 18-jährigen Jugendlichen aus dem Sudan dar-gestellt. Gemäß der Dublin-Verordnung ist Italien der zuständige EU-Staat. Der Jugendliche ist schwer traumatisiert, durch das stabile Umfeld einer Jugendhilfeeinrichtung befindet er sich auf dem Weg der Besserung. Doch dann wird er nachts aus der Einrichtung abgeholt und zum Flughafen gebracht. Weder die Einrichtung noch sein Anwalt werden vorher informiert. Anschließende Recherchen des Forums Abschiebebeobachtung ergeben, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die zuständige Ausländerbehörde aufgefordert hat, den Bescheid über die Überstellung erst zu übergeben, wenn die Überstellung selbst stattfindet. Damit hat der Betroffene keine Möglichkeit mehr, sich wirksam gegen seine Überstellung zur Wehr zu setzen. Ein neueres Beispiel stammt aus dem August dieses Jahres. Da sollte ein Asylbewerber nach Italien zurückgeschoben werden. Das Verwaltungsgericht entschied jedoch, die Abschiebung dürfe nicht stattfinden, und erließ eine einstweilige Verfügung. Der Betroffene wurde da gerade zum Flieger gebracht. Die Bundespolizei wollte nicht auf den von der Ausländerbehörde telefonisch bereits angekündigten Beschluss warten und vollzog die Abschiebung in Kenntnis des Urteilsspruchs. Eine Minute nachdem das Flugzeug seine Parkposition verlassen hatte, traf die richterliche Verfügung dann auch per Fax ein – zu spät. Inzwischen hat die Bundesregierung den Asylbewerber auf Staatskosten zurückholen müssen. Aber das Verfahren war eine unglaubliche -Belastung und Zumutung für den Betroffenen, der in -Europa Schutz vor Verfolgung sucht. Hätten seine Rechtsmittel gegen die geplante Überstellung aufschiebende Wirkung gehabt, wäre allen Beteiligten eine Menge erspart geblieben. Die Bundesregierung weigert sich beharrlich, mir auf meine zahlreichen parlamentarischen Fragen zu dieser Zustellungspraxis auch nur einmal klar zu antworten. Erst eine neue Weisung des NRW-Innenministeriums an die Ausländerbehörden aus dem Juli hat bestätigt, dass das Bundesamt durch seine Vorgaben in der Praxis tatsächlich effektiven Rechtsschutz bewusst verhindert hat. In der Weisung aus Nordrhein-Westfalen heißt es – ich zitiere –: „Das Bundesamt übermittelte die Rücküberstellungsbescheide in der Praxis an die Ausländerbehörden bislang mit der Bitte diese – möglichst am Überstellungstag – … zuzustellen.“ Nun sendet das Bundesamt den Dublin-Bescheid der zuständigen Ausländerbehörde zwei Wochen vor Termin zu, lässt aber fatalerweise komplett offen, wann er zugestellt werden soll. Ich halte also fest, dass die Bundesregierung zur rechtsstaatswidrigen Praxis des Bundesamtes bewusst unzureichende Antworten gegeben hat. Nun hat das Bundesamt den Schwarzen Peter den Ländern zugeschoben. Wann die Ausländerbehörden die Bescheide nun zustellen, bleibt ganz ihnen überlassen. Zu befürchten ist daher, dass viele an der gängigen Praxis festhalten. Es kann aber nicht angehen, dass die Zustellung des Bescheids aus rein taktischen Erwägungen bis zur letzten Minute herausgezögert wird. Die Effizienz des Behördenhandelns wird mit einem solchen Vorgehen über den Rechtsstaat gestellt. Die Bundesregierung ist gefordert, hier endlich für eine einheitliche und rechtsstaatliche Praxis zu sorgen. Sobald feststeht, dass ein Asylbewerber in einen anderen Staat überstellt werden soll, muss das den Betroffenen auch rechtzeitig mitgeteilt werden. In der ersten Debatte dieses Antrags haben Sie von der CDU/CSU geäußert, die Einführung eines effektiven Rechtsschutzes sei überflüssig. Denn es gebe ja bereits das Selbsteintrittsrecht der EU-Staaten, von dem die Bundesrepublik im Falle Griechenlands auch Gebrauch mache. Da dort kein effektives Asylverfahren garantiert ist, werden auch keine Asylsuchenden nach Griechenland zurückgeschoben. Ich darf Sie daran erinnern, dass es zwei Jahre gedauert hat, bis sich diese Einsicht in der Bundesregierung durchgesetzt hat – zwei Jahre, in denen Asylsuchende in Not und Elend abgeschoben wurden. Außerdem geht dieses Argument an der Sache vollkommen vorbei. Die Grünen fordern in ihrem Antrag, den individuellen Rechtsschutz von Asylsuchenden zu stärken. Dafür sollen Überstellungsentscheidungen gerichtlich überprüfbar gemacht werden. Das ist etwas vollkommen anderes als das Recht des Staates, von einer Überstellung im Einzelfall oder in bestimmte Länder abzusehen. Das ist ein reines Gnadenrecht. Wir wollen aber kein Gnadenrecht, sondern garantierte individuelle Grundrechte, deren Einhaltung von Gerichten überprüft werden kann. Die Linke stimmt dem Antrag der Grünen deshalb zu. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Noch immer haben bei Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung Schutzsuchende im Asylverfahren nach deutschem Recht keinen Anspruch auf effektiven einstweiligen Rechtsschutz. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig. Denn wie sollen Asylsuchende die Gründe für einen Verbleib in Deutschland und damit den sogenannten Selbsteintritt zur Durchführung des Asylverfahrens hier wirksam vorbringen? Krankheiten, familiäre Bindungen, aber auch gravierende Mängel im Asylsystem des Staates, in den zurücküberstellt werden soll, können die Durchführung eines nationalen Asylverfahrens begründen. Nur wie soll dies durchgesetzt werden können, wenn aufgrund der Inhaftierung der allermeisten Dublin-Asylfälle – Rücküberstellungshaft – es nur wenigen gelingt, aus der Haft heraus einen Anwalt zu finden, der den entsprechenden Rechtsschutzantrag auf den Weg bringt? Seit den mit dem 1. EU-Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 eingeführten Änderungen wurde über § 34 a Abs. 2 AsylVfG der einstweilige Rechtsschutz gegen Entscheidungen im Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung generell ausgeschlossen. Vom Ausland aus kann ein effektiver Rechtsschutz vor deutschen Verwaltungsgerichten aber nicht greifen. Ein Rechtsbehelf ist nur dann wirksam, wenn irreparable Folgen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme vor deren gerichtlichen Überprüfung eintreten können, so weit als möglich ausgeschlossen werden können. Der Gesetzgeber ist hier zeitnah gefordert, die menschen- und europarechtswidrigen Bestimmungen des deutschen Rechts aufzuheben und im deutschen Recht effektiven Rechtsschutz gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention und unionsrechtlichen Vorgaben festzuschreiben. Dies fordert der vorliegende Antrag. Die Koalition hat in den Innenausschussberatungen hingegen weiter auf Verzögerung und Abwiegeln ge-setzt – und dies, obwohl inzwischen neben den deutlichen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch im Entwurf der Kommission zur Reform der Dublin-II-Verordnung ein wirksamer Rechtsschutz bei Rücküberstellungen vorgesehen werden soll. In einem Urteil vom 21. Dezember 2011 in den verbundenen Rechtssachen C-411/10 und C-493/10 hat der Gerichtshof der Europäischen Union unmissverständlich klargestellt, dass ein Asylbewerber nicht in einen Mitgliedstaat überstellt werden darf, in dem er Gefahr läuft, unmenschlich behandelt zu werden. Der EuGH hat ferner entschieden: Das Unionsrecht lässt keine unwiderlegbare Vermutung zu, dass die Mitgliedstaaten die Grundrechte der Asylbewerber beachten. Der Gerichtshof stellte fest, eine Anwendung der Dublin-II-Verordnung (EG 343/2003) auf der Grundlage einer unwiderlegbaren Vermutung, dass die Grundrechte des Asylbewerbers im zuständigen Mitgliedstaat beachtet werden, ist mit der Pflicht der Mitgliedstaaten zur grundrechtskonformen Auslegung und Anwendung der Verordnung unvereinbar. Zuvor hatte bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer Grundsatzentscheidung vom 21. Januar 2011 im Verfahren M.S.S. (Beschwerde-Nr. 3096/09) aus Art. 3 in Verbindung mit Art. 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention die Verpflichtung der Vertragsstaaten abgeleitet, vor einer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat im Rahmen einer Einzelfallprüfung die Einhaltung der aus Art. 3 EMRK folgenden Verpflichtungen durch den zuständigen Mitgliedstaat zu prüfen. Art. 13, in Verbindung mit Art. 3, EMRK sei dann verletzt, wenn es vor einer Überstellung für den Betroffenen keine Möglichkeit gibt, gegen die Entscheidung, ihn in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen, wirksame Rechtsmittel einzulegen. Das bedeutet im Klartext: Eine automatische Rücküberstellung eines Asylbewerbers, ohne dass sich ein Gericht mit den Verhältnissen in dem anderen Mitgliedsland befasst, ist nicht im Einklang mit EU-Recht. Der deutsche Gesetzgeber muss nunmehr endlich den Weg frei machen und durch eine Gesetzesänderung gewährleisten, dass Schutzsuchenden ein effektiver Rechtsschutz gegen eine Abschiebung in einen anderen EU-Mitgliedstaat gewährt wird. Um auch dies klarzustellen: Die Entscheidung des EuGH bezieht sich auf alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union – nicht nur auf Griechenland. Wenn nun also die Bundesregierung, wie im Innenausschuss vorgetragen, sich in ihrer Haltung bestätigt fühlt, weil sie keine Asylbewerber mehr im Rahmen des Dublin-II-Verfahrens nach Griechenland zurücküberstellt, dann ist dies viel zu kurz gegriffen, was die Dimension der Entscheidung des EuGH angeht. Es geht also auch um systemische Missstände in den Asylverfahren und der Anerkennungspraxis in anderen EU-Mitgliedstaaten, wie zum Beispiel in Ungarn, wo ein diktatorischer Folterstaat wie Syrien noch bis Anfang des Jahres als „sicheres Herkunftsland“ eingestuft war. Das ist schlichtweg unfassbar. Oder zu nennen in Bulgarien auch, wo Asylsuchende unter unwürdigen Bedingungen inhaftiert werden, bloß weil sie einen Asylantrag stellen wollen. Für den deutschen Gesetzgeber ergibt sich aus den Urteilen des EuGH und des EGMR ein klarer Auftrag: § 34 a des Asylverfahrensgesetzes ist zu streichen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs (... Strafrechtsänderungsgesetz - ... StRÄndG) – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: – Vorurteilsmotivierte Straftaten wirksam verfolgen (Tagesordnungspunkt 20 a und b) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Zweifellos machen uns gerade die Straftaten besonders betroffen, bei denen Hass die Triebfeder ihrer Begehung ist. Was sind das für Menschen, die anderen Menschen Gewalt antun, nur weil sie eine andere Hautfarbe, Religion, Herkunft oder Weltanschauung haben oder weil sie Behinderungen haben? Natürlich denken wir dabei unmittelbar an die aktuellen Fälle rechtsextremistischer Täter, die über den Zeitraum eines Jahrzehnts Geschäftsleute griechischer und türkischer Abstammung ermordet haben, aber auch an die Übergriffe brutalster Art in U- und S-Bahnen -sowie auf öffentlichen Plätzen, die in jüngster Zeit insbesondere von jugendlichen Tätern begangen worden sind. Sicherlich haben wir noch die schrecklichen Bilder, von Überwachungskameras aufgezeichnet, vor Augen: Wehrlose Menschen werden verprügelt und zu Boden getreten. Und auch dann noch, wenn sie schon am Boden liegen, wird zielgerichtet weiter auf den Kopf eingetreten. Aber uns sind darüberhinaus auch die vielen anderen Vorfälle präsent: Hetzjagden auf Ausländer, Brände, die in Asylbewerberheimen gelegt werden, Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe oder Herkunft auf brutalste und menschenverachtende Weise gequält und misshandelt, ja getötet werden. Es handelt sich dabei um schlimmste Übergriffe, und alle diese Taten werden von uns allen gleichermaßen verurteilt. Sie sind gerade auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie durch einen besonderen Unrechtsgehalt gekennzeichnet sind. Denn es geht bei diesen Straftaten nicht um eine individuelle, persönliche Auseinandersetzung zwischen Täter und Opfer. Das Opfer ist vielmehr gerade nicht deshalb Opfer, weil es ein Individuum ist, sondern weil es Teil einer Gruppe ist, die vom Täter als „anders“ abgestempelt wird. Dem besonderen Unrechtsgehalt solcher Hasstaten möchten der Bundesrat und die SPD-Fraktion durch die zur Abstimmung stehenden Gesetzentwürfe Rechnung tragen. Sie haben dabei zum Ziel, eine Ergänzung in § 46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches aufzunehmen und damit die Berücksichtigung des besonderen Unrechtsgehaltes bei der Strafzumessung ausdrücklich zu verankern. Vorgeschlagen wird, strafschärfende Regelbeispiele in die Strafzumessungsregeln zur Motivation oder Zielsetzung des Täters aufzunehmen. Besonders menschenverachtende, rassistische oder fremdenfeindliche Motive für die Tat sollen damit bei der Strafzumessung strafschärfend zu berücksichtigen sein. Ohne Frage ist dem Anliegen von Bundesrat und SPD-Fraktion in der Sache insoweit zuzustimmen, als dass die von mir eingangs angesprochenen Taten zu Recht die Frage aufwerfen, ob unser Strafrecht in ausreichendem Maße Instrumente bereithält, diese besonderen Umstände im Verfahren und vor allem schlussendlich im Urteil im entsprechenden Maße zu berücksichtigen. In den Beratungen zu den Gesetzentwürfen und zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der noch einmal einen ganz anderen Akzent setzt, haben wir uns mit dieser Frage intensiv auseinandergesetzt. Insbesondere die Sachverständigenanhörung hat dazu einen besonderen Beitrag geleistet. Unser Fazit ist: Einer gesetzlichen Ergänzung in § 46 Abs. 2 StGB bedarf es nicht. Der Strafrahmen, also das gesetzliche Höchst- und Mindestmaß, wird durch den konkreten Gesetzesverstoß festgestellt, mit all seinen Tatmodalitäten und Tatumständen, die den Strafrahmen erhöhen oder mildern können. In diesem festgestellten Strafrahmen sind sämtliche Umstände, die zugunsten, aber auch zuungunsten des Täter sprechen, abzuwägen. Das geltende Recht gebietet und gestattet es dabei jetzt schon, derartige Hassmotivationslagen und Zielsetzungen bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Dazu gehören, sofern dies nicht bereits Tatbestandsmerkmal ist, die Beweggründe und Tatziele, beispielsweise Taten, die auf eine verfestigte rechtsfeindliche oder gleichgültige Haltung zurückgehen. Als weiterer Strafschärfungsgrund ist die Gesinnung, die aus der Tat spricht, zu bewerten, wie etwa eine rohe, böswillige, gewissenlose, grausame und/oder rücksichtslose Gesinnung. Das geltende Recht gibt also bereits jetzt die Möglichkeit, die in den Gesetzentwürfen als Regelbeispiel ausgestalteten Strafzumessungsründe bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, ohne dass diese ausdrücklich festgeschrieben sind. Das heißt zunächst einmal: Eine zu schließende rechtliche Lücke gibt es nicht. Das, was durch den Gesetzentwurf geregelt werden soll, ist bereits geltendes Recht. Damit käme der Regelung nur eines zu: Symbolcharakter. Symbolische Gesetze mögen gelegentlich auch ihre Berechtigung haben, insbesondere dann, wenn dadurch Werte und Einstellungen bekräftigt werden. Gleichwohl sollte man aber mit symbolischen Gesetzen sehr vorsichtig und zurückhaltend umgehen. Sonst sieht man irgendwann vor lauter Symbolen das Wesentliche nicht mehr. Und genau dieser Frage, wo die wesentlichen Defizite an dieser Stelle sind, sollten wir uns viel eher widmen. Im rechtlichen, gesetzlichen Rahmen liegen sie jedenfalls offenkundig nicht. Tatsache ist zunächst, dass gesicherte rechtstatsächliche Erkenntnisse sowohl im Hinblick auf Art und Umfang des Vorkommens von Straftaten, die durch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe motiviert sind, als auch auf den Umgang der Strafverfolgungsbehörden in sämtlichen Stadien des Verfahrens fehlen. Darauf hat in der Anhörung insbesondere der Sachverständige Professor Radtke hingewiesen. Hier kann ein Ansatzpunkt sein, sich die Sache noch einmal genau anzuschauen. Insofern verweise ich in dieser Hinsicht auch gerne, weil es ein wirklich sinnvoller Punkt ist, auf die entsprechende Forderung im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Das ist eine Anregung, der wir uns nicht verschließen sollten. Mit einer vertieften Untersuchung lässt sich möglicherweise das herausfinden, wo wir momentan noch im Nebel stochern. Denn mangels rechtstatsächlicher Erkenntnisse können wir derzeit nicht beurteilen, ob es Defizite gibt oder nicht. Ferner können wir nicht beurteilen, wo diese Defizite, wenn es sie denn geben sollte, liegen: beim „Erstkontakt“ mit einem möglicherweise strafrechtlich relevanten Vorfall, bei der staatsanwaltschaftlichen Ermittlung und Anklagevorbereitung oder in der gerichtlichen Hauptverhandlung mit anschließender Urteilsfindung? Angesichts der fehlenden Untersuchungserkenntnisse lässt sich dementsprechend auch ein etwaiger gesetzgeberischer Handlungsbedarf nicht klar erkennen. Wir sollten das Thema aus den genannten Gründen nicht aus dem Blick lassen. Und möglicherweise ist das Bundesjustizministerium ja auch auf Bitten bereit, eine entsprechende rechtstatsächliche Untersuchung in Gang zu setzen. Wenn eine solche dann vorliegt, mag das Anlass sein, das Problem noch einmal anzugehen. Unmittelbaren Anpassungsbedarf bei § 46 StGB sehen wir indessen nicht. Wir werden die Gesetzentwürfe und den Antrag dementsprechend ablehnen. Burkhard Lischka (SPD): Es ist jetzt knapp ein Jahr her, da stockte uns allen gemeinsam der Atem, als wir erfuhren, dass eine rechtsextremistische Terrorgruppe elf Jahre lang durch dieses Land zog, mindestens zehn schreckliche Morde verübte, Banküberfalle und Sprengstoffanschläge durchführte. Am Anfang war Erschrecken, Empörung, Wut und Trauer über diese fürchterliche Mordserie – und Scham, Scham darüber, dass dies in unserem Land, ausgerechnet in unserem Land, 60 Jahre nach der nationalsozialistischen Barbarei möglich war. Und diese Scham empfinden wir noch heute. Erstaunlich war allerdings das Erstaunen, das in mancher öffentlichen Äußerung zum Ausdruck kam. Nein, erstaunt und überrascht konnte eigentlich niemand sein. Denn in den 20 Jahren zuvor waren bereits weit über 150 Menschen durch braune Gewalt in unserem Land ums Leben gekommen. Die braune Gewalt- und Blutspur hatte sich bereits längst durch unser Land gelegt, spätestens seit den Pogromen von Hoyerswerda, Rostock-Lichten-hagen, Mölln und Solingen. Und auch diese schreck-lichen Vorfalle waren nur die sichtbare Spitze alltäglicher neonazistischer Gewalttaten überall in unserem Land: Kinderwagen, die in Hausfluren angezündet werden, geschändete jüdische Friedhöfe, abgefackelte -Dönerbuden, Behinderte, Ausländer und Jugendliche, die mit Baseballschlägern niedergeschlagen wurden, Menschen, die sich nicht mehr in bestimmte Stadtteile trauen. Das alles gehört zum Alltag in unserem Land. Und hieran hat sich trotz aller Appelle nichts geändert, bis zum heutigen Tag. Und damit werden wir uns nicht abfinden. Niemals! Rechtsextreme Gewalt wird seit vielen Jahren immer wieder bagatellisiert und verharmlost. Auch das gehört zum Alltag. Opfer brauner Gewalt berichten immer wieder und übereinstimmend, sie würden häufig nicht ernst genommen. Zeugenaussagen werden zum Teil gar nicht oder unvollständig aufgenommen. In manchen Fällen wird den Opfern eine Mitschuld suggeriert. Rechtsextremistische und rassistische Hintergründe einer Tat werden nicht erkannt oder beiseite geschoben. Da sind die Ermittlungen bei der NSU-Mordserie überhaupt keine Besonderheit, wo ja auch über viele Jahre ein fremdenfeindlicher Hintergrund ausgeblendet wurde. Wie schrieb die FAZ Anfang des Jahres: „Im gerichtlichen Alltag spielt die rassistische und fremdenfeindliche Motivation von Straftaten nahezu keine Rolle“. Die fehlende Aufklärung und unzureichende Aburteilung rechtsradikaler Straftaten sind verheerend, zuallerst für die betroffenen Opfer, aber auch für die Angehörigen und schließlich für unsere gesamte Gesellschaft. Denn wenn die Opfer das Gefühl haben, im Stich gelassen zu werden, wenn sie den Eindruck haben, es werde nicht genau hingeschaut und verurteilt, dann ist das nicht weniger als eine Krise für unseren Rechtsstaat. Da, wo Menschen durch Straßen gejagt, misshandelt, geschlagen und getreten werden, da, wo sie um ihr Leben fürchten, da müssen diese Taten auch strafrechtlich als das behandelt werden, was sie sind: ein Anschlag auf die Menschenwürde, ein Anschlag auf uns alle. Und das sollte, das muss auch in unserem Strafgesetzbuch Niederschlag finden, wie in vielen vielen anderen Ländern auch. Deshalb unser Antrag, rassistische, fremdenfeindliche und menschenverachtende Motive von Gewalttaten strafschärfend zu berücksichtigen. Wenn der Gesetzgeber angesichts brutalster Übergriffe die Rechtslage hier klipp und klar verdeutlicht, dann sind wir das den Opfern, aber auch unserem Rechtsstaat schuldig! Es wird deshalb Zeit, höchste Zeit, dass wir endlich ein klares Zeichen setzen. Sönke Rix (SPD): Die Zahl der rechtextremistischen Straf- und Gewalttaten ist in der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts nach einem vorübergehenden Rückgang wieder gestiegen. Bereits nach der Wende 1989/90 nahm in Deutschland die Anzahl rechtsextremistischer Straf- und -Gewalttaten drastisch zu. Im Jahr 2010 erfasste das Bundeskriminalamt 15 905 rechtsextremistische Straftaten, darunter 762 Gewalttaten. Damit kommt es in Deutschland täglich zu durchschnittlich zwei bis drei gewaltsamen rechtsextremistischen Übergriffen. Dies kann und darf in unserem Land nicht nur nicht toleriert -werden, vielmehr brauchen wir ein starkes Signal, das wir dieser Motivation zur Gewaltausübung entgegensetzen. Wir brauchen eine Regelung im Strafgesetzbuch, die rechten Gewalttätern klar verdeutlicht, welche Strafen sie erwarten, wenn sie Menschen aufgrund rassistischer, antisemitischer Motive, aufgrund ihrer Wohnungslosigkeit oder anderer sozialdarwinistischer Beweggründe oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder Geschlechtsidentität sowie aufgrund ihrer Behinderung, ihrer nicht rechten Einstellung oder ihres Engagements gegen Neonazis angreifen. Ich bestreite nicht, dass die vorgeschlagene gesetz-liche Verankerung auch Symbolpolitik ist. Es ist ein Symbol an die betroffenen Minderheiten, dass Staat und Gesellschaft rechte Gewalt nicht hinnehmen. Wir setzen ein Zeichen, dass solche Taten ganz besonders geahndet werden, da sie als Botschaftsverbrechen geeignet sind, Angst und Unruhe zu schüren und demokratische Werte an und für sich infrage zu stellen. Aber es handelt sich nicht nur um Symbolpolitik. Wir wollen mit dieser Regelung auch derzeit bestehende Defizite bei den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten beheben. Viele Vereine und Verbände, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren, und ganz besonders die Opferberatungsstellen sagen mir immer wieder, dass vorurteilsmotivierte Straftaten im Rahmen der Strafverfolgung durch die Polizei und die Staatsanwaltschaften, aber auch bei der Strafzumessung schlichtweg nicht erkannt werden. Möglicherweise sollten wir den Begriff „Hasskriminalität“ noch einmal überdenken. „Hass“ reduziert die Tat auf ein emotionales, individuelles Problem des -Täters und verbirgt die zugrunde liegenden, gesellschaftlich relevanten Vorurteile. Aus Respekt vor den Opfern sollte man klar benennen, was Ziele und Beweggründe waren – Rassismus, Antisemitismus, Homo-/Transphobie, Sozialdarwinismus oder der Wille, ein extrem rechtes Weltbild umzusetzen und all jenen Gruppen ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben abzusprechen, die als Feinde einer imaginierten Volksgemeinschaft gelten. Die Beratungsstellen selbst sprechen von rechter Gewalt, um in der politischen Sphäre deutlich zu machen, welche ideologische Basis den Taten zugrunde liegt. Rechtsextremismus kann nicht nur mit Gesetzen, Polizei und Verfassungsschutz erfolgreich bekämpft werden. Viel wichtiger ist die Prävention. Wir müssen die gesellschaftlichen Bindekräfte stärken und den Rechtsextremen keine Räume überlassen, in die sie mit ihrer -Menschenfeindlichkeit eindringen können. Die Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft muss im Zentrum unserer Bemühungen stehen. Die Programme gegen Rechtsextremismus müssen dauerhaft und verlässlich unterstützt werden. Sie haben zum Aufbau lokaler Strukturen beigetragen und zeigen Wirkung. Bürgerinnen und Bürger verteidigen die Demokratie gegen Neonazis: Im persönlichen Gespräch, in Bildungseinrichtungen, am Arbeitsplatz, in den Kommunalparlamenten und nicht zuletzt auch zunehmend bei Demonstrationen und -Blockaden gegen Naziaufmärsche. Ohne die Opferberatungen, mobilen Beratungsteams und die vielen Initiativen vor Ort stünde der Kampf gegen Rechtsextremismus in vielen Regionen auf verlorenem Posten. Viele Träger leiden allerdings unter der Kurzfristigkeit und Prekarität ihrer Finanzierung. Gelungene Modellprojekte -können deshalb oft nicht langfristig etabliert werden, Organisa-tionswissen geht verloren, und qualifiziertes Personal wandert ab. Das wollen wir ändern. Die dreijährige Befristung der Projekte muss aufgehoben werden. Gute Projekte dürfen auch länger dauern. Nicht zuletzt ist es eine zentrale Aufgabe, den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken und allen jungen Menschen gute Zukunftschancen zu geben. Dazu gehört, unsere Städte und Gemeinden finanziell gut auszustatten, sodass sie Kultur, Sport, Jugend-arbeit und Sozialarbeit wieder ausbauen können. Staat und Gesellschaft müssen ein klares Zeichen setzen: Rechtsextreme, Rassisten und verfassungsfeindliche Parteien haben in einem demokratischen Deutschland keinen Platz. Wir sind überzeugt: Die Stärkung der Demokratie und der engagierten Demokratinnen und Demokraten sind der beste Verfassungsschutz. Darum möchte ich am Ende festhalten: Es ist wichtig, dass die Opfer rassistischer, rechtsextremer und menschenverachtender Gewalt als solche anerkannt werden. Und es folgt daraus für mich auch eine stärkere Bestrafung der Täter. Aber noch mehr wünsche ich mir, dass solche Straftaten gar nicht erst passieren. Und das geht nur mit einer Zivilgesellschaft, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Jörg van Essen (FDP): Ich denke, die bisherige Debatte hat gezeigt, dass sich insgesamt das Gefühl verbreitet, dass es in Deutschland keine Situation geben darf, in der rechtsradikale Straftäter ihre Taten ohne Konsequenzen begehen dürfen. Gerade der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wie auch der Gesetzentwurf der SPD zu einer Änderung des § 46 StGB könnten den Eindruck entstehen lassen, dass es Defizite in der wirksamen Strafverfolgung oder Strafzumessung bei Hassdelikten geben könnte. Ich habe aber über eine falsche oder unzureichende Strafzumessung bezüglich rechtsradikaler Straftaten noch keinerlei Vorwürfe mitbekommen. Ich kann ganz im Gegenteil aus meiner Tätigkeit als Staatsanwalt in einer Staatsschutzabteilung nur feststellen, dass vorurteilsmotivierte Straftaten stets zutreffend und mit notwendig hohen Strafen seitens der Gerichte gewürdigt wurden. Es bedarf keiner Änderung des § 46 des Strafgesetzbuchs, da die Berücksichtigung solcher Motive immer Gegenstand der Rechtsprechung in unserem Land gewesen ist. Zu Recht berücksichtigen die Gerichte, welche Beweggründe den Täter zu seiner Tat veranlasst haben. Im Rahmen der Strafzumessung werden alle Beweggründe zugunsten und zulasten des Täters gegeneinander abgewogen, sodass vorurteilsmotivierte Hassdelikte in diese Abwägung ebenfalls miteinbezogen werden. Mir ist kein Fall bekannt geworden, dass sich diese bewährte Gerichtspraxis geändert haben sollte. Die Grünen führen in ihrem Antrag selber aus, dass in der deutschen Gerichtspraxis anerkannt ist, dass rassistische oder fremdenfeindliche Beweggründe nach § 46 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen sind und regelmäßig zu einer Strafschärfung führen. Es ist nicht fördernd, wenn wir einige wenige Dinge bzw. Motive in der Strafzumessung hervorheben. Andere Taten, die übrigens auch von Rechtsradikalen bzw. von Menschen mit rechtsradikaler Gesinnung begangen werden, sind in gleicher Weise verachtenswert und erfordern eine entsprechende strafrechtliche Konsequenz. Vor diesem Hintergrund ist eine generalisierende gesetzliche Regelung bestimmter strafschärfender Motive in § 46 StGB der falsche Weg. Strafzumessung ist stets eine Einzelfallentscheidung der Gerichte, denen man vertrauen muss und kann. Wir müssen daher Überlegungen anstellen, wie wir auf anderem Weg mit diesem Problem besser fertig werden. Zu verbessern wäre zum einen die frühzeitige -Berücksichtigung solcher vorurteilsmotivierten Handlungen im Ermittlungsverfahren, um eine bessere Aufklärung der Tatmotive und der Gesinnung des Täters zu ermöglichen. Zum anderen sollten die Verfahren beschleunigt werden, um eine klare, schnelle und eindeutige Antwort der Gerichte auf dieses Fehlverhalten zu geben. Dadurch wird dem Täter deutlich gemacht, dass wir nicht bereit sind, ein solches Verhalten zu akzeptieren. Wir sollten den Weg der Veränderung des § 46 StGB nicht gehen. Es ist nicht ersichtlich, was als Konsequenz für die Justiz aus dieser Änderung zu erwarten ist. Wir sollten uns in diesem Zusammenhang vor Augen halten, dass die Justiz bzw. die Gerichte unabhängig und daher die Auswirkungen einer Änderung des § 46 StGB nicht abzuschätzen sind. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Wir debattieren hier eine Änderung des Strafgesetzbuches, bei der es darum gehen soll, dass menschenverachtende Tatmotive als besondere Umstände in der Strafzumessung Anwendung finden sollen. Es geht um sogenannte Hassdelikte, denen, da sind wir uns wohl alle einig, ein erhöhter -Unrechtsgehalt innewohnt. Im Kern geht es darum, rassistische, fremdenfeindliche und sonstige menschenverachtende Beweggründe und Ziele der Täter strafschärfend im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Wir verstehen die Motive, die hinter den vorgeschlagenen Gesetzesänderungen stehen, wir halten sie aber für den falschen Weg. Bereits jetzt – die Gesetzesentwürfe des Bundesrates und der SPD weisen explizit -darauf hin, und unter den Sachverständigen herrschte diesbezüglich Einigkeit – können hassgeleitete Motive der Täter strafverschärfend berücksichtigt werden. Es fehlt also nicht an einer Rechtsgrundlage. Es fehlt an einem dem erhöhten Unrechtsgehalt von Hasskriminalität angemessenen Umgang. Wir sind nicht davon überzeugt, dass es hilfreich ist, das Strafgesetzbuch zu ändern, um die Gerichte zu sensibilisieren und der Rechtsprechung einen Anhaltspunkt zu geben, wie es im Gesetzentwurf des Bundesrates heißt. Wir glauben, dass das Problem viel früher anfängt. Bei den Behörden, bei den Straftaten aufnehmenden -Polizeidienststellen und bei der Handhabung der öffentlichen Statistiken. Sie wissen genauso gut wie wir, dass die Opferberatungsstellen für Opfer rassistischer Gewalt stets höhere Zahlen ausweisen als zum Beispiel die -polizeiliche Kriminalstatistik. Hieran kann der Gesetzesvorschlag nichts ändern, sondern hier muss eine gesellschaftliche Sensibilisierung her. Sensibilisierung mittels einer Änderung des Strafgesetzbuches ist eine Scheinlösung. Natürlich weist diese Regelung Richterinnen und Richter noch einmal gesondert auf die Möglichkeit hin, die Motive der Tat bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Aber der Hinweis im Gesetz ändert noch lange nicht die Handhabung des Gesetzes. Sensibilisierung setzt Aufklärung voraus und Prävention. Wir leben in einer Zeit, in der sich ein Untersuchungsausschuss mit einer ganzen Mordserie beschäftigen muss, weil offensichtlich niemand sich vorstellen konnte, dass Nazis ihre Art von Hasskriminalität derart ausleben. Wir leben in einer Zeit, in der wir immer wieder mit Nachrichten überrascht werden, dass V-Leute des Verfassungsschutzes in Naziaktivitäten verwickelt waren und sind, diese teilweise sogar gefördert haben. Wir leben in einer Zeit, in der der Innenminister ganz ungeniert fordern kann, Asylbewerbern und Asylbewer-berinnen die Leistungen zu kürzen – obwohl ein anderslautendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorliegt. Auf dem Oranienplatz in Kreuzberg campen gerade Flüchtlinge und Asylbewerber und Asylbewerberinnen, um unter anderem gegen die Residenzpflicht zu protestieren. Wenn wir anfangen, Flüchtlinge und -Asylbewerber und Asylbewerberinnen nicht weiter zu diskriminieren, dann schaffen wir Sensibilität. Sensibilisierung schaffen wir, wenn wir Projekte, die sich um Aufklärung und Prävention kümmern, endlich einer Regelfinanzierung zuführen, statt ihnen alle drei oder vier Jahre aufzubürden, neue Projektanträge zu schreiben. Sensibilisierung schaffen wir, wenn wir hier und überall sagen: Gleiche Rechte für alle hier lebenden Menschen. Wenn wir das erreicht haben, dann werden Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, aber auch Behörden und Polizistinnen und Polizisten von sich aus die Motive von Hasskriminalität bei der Strafzumessung und bei der Aufnahme von Straftaten berücksichtigen. Eine Gesetzesänderung brauchen wir dafür nicht. Wir haben im Rechtsausschuss eine Anhörung zum Thema Hasskriminalität durchgeführt. Die Sachverständigen waren hinsichtlich einer Änderung des Strafgesetzbuches unterschiedlicher Meinung. Ich will dennoch auch auf ein methodisches Problem der Gesetzentwürfe eingehen. Sie schaffen mit dem Begriff „menschenverachtende Bewegründe" in Abgrenzung zu fremdenfeindlich und rassistisch eine Formulierung, die Spielraum für Ungenauigkeiten lässt. Wir sind uns sicherlich einig: Auch Homophobie und Antisemitismus sind menschenverachtend, auch Straftaten gegen Obdachlose oder sozial benachteiligte Personen. Korrekt wäre es dann aber, genau das auch in den Gesetzentwürfen aufzuschreiben. Obwohl wir das hinter den Gesetzentwürfen stehende Ansinnen teilen, können wir ihnen aus den genannten Gründen nicht zustimmen. Wir sollten aber alle gemeinsam dafür Sorge tragen, dass Hasskriminalität in diesem Land keine Chance hat. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo-rüber herrscht zwischen uns Einigkeit? Ja, es gibt Straftäter, die aus rassistischen, fremdenfeindlichen oder menschenverachtenden Motiven heraus handeln. Ja, wir wollen, dass diese Motive aufgedeckt und bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, selbstverständlich strafschärfend. Aber gibt es einen objektiven Befund, dass dies in unseren Strafgerichten nicht geschieht? An Gesetzen mangelt es nicht. § 46 Strafgesetzbuch erlaubt und fordert die Erhebung und Berücksichtigung aller Motive, also auch der rassistischen, fremdenfeindlichen oder menschenverachtenden. Deshalb hat der Sachverständige Graf, Richter am BGH, die Vorschläge des Bundesrates und der SPD als überflüssig und reine Symbolhandlung bezeichnet. Die wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen über die Praxis an den Gerichten sprechen eher gegen die These, dass rassistische, fremdenfeindliche oder menschenverachtende Motive in großer Zahl unbeachtet bleiben. Und doch: Wir sollten auch diejenigen ernst nehmen, die vor Ort Opferbetreuung betreiben, die die Neonazi- und Rechtsradikalenszene beobachten, die die Strafverfahren verfolgen und die berichten, dass allzu oft rassistische, fremdenfeindliche oder menschenverachtende Motive unausgesprochen und ungesühnt bleiben. Deshalb muss etwas gemacht werden, aber nicht irgendetwas, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, sondern das Richtige: Einige gewichtige Gründe sprechen gegen die Vorschläge der SPD und des Bundesrates. Erstens. Sie setzen am Ende und nicht am Anfang an. Die Strafzumessungsvorschrift des § 46 StGB richtet sich an das Gericht, welches am Ende das Urteil spricht. Man muss aber bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft ansetzen. Dort werden die ersten Ermittlungen geführt, dort werden die ersten Beweise gesichert und die Zeugen verhört. Hier muss nach rassistischen, fremdenfeindlichen oder menschenverachtenden Motiven gesucht und müssen Beweise hierfür gesichert werden. Der Sachverständige Professor Radtke erklärte hierzu: Man kann nicht die Strafzumessung ändern wollen, damit das Ermittlungsverfahren besser läuft. Deshalb muss man die Ausbildung der Polizei darauf ausrichten, dass rassistischen, fremdenfeindlichen oder menschenverachtenden Motiven nachzugehen ist und Beweise dafür zu sichern sind. Man muss die Richtlinien für das Strafverfahren ändern und festlegen, dass bei Vorliegen rassistischer, fremdenfeindlicher oder menschenverachtender Motive das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung in der Regel zu bejahen ist. Das ist nicht so spektakulär wie Gesetzesänderungsinitiativen, aber es ist viel wirksamer. Zweitens. Es wird die Gefahr von Fehlurteilen wegen verbotener Doppelverwertung geschürt. Am Beispiel des Strafverfahrens gegen den NSU ist dies deutlich zu machen. Im kommenden Prozess vor dem OLG München wird es um die Frage gehen, ob die Morde an neun Türken und einem Griechen „aus niederen Beweggründen“, also zum Beispiel aus rassistischen oder fremdenfeind-lichen Beweggründen erfolgten. Bejaht das Gericht dies, dann bleibt kein Raum mehr, etwaige rassistische, fremdenfeindliche oder menschenverachtende Motive bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Geschieht dies trotzdem, hätten wir es mit einem Fehlurteil zu tun. Auch in allen Verfahren wegen Volksverhetzung nach § 130 StGB haben wir mit dem Problem der verbotenen Doppelverwertung zu tun, wenn § 46 nach den Vorstellungen der SPD geändert wird. Der Sachverständige Graf, Richter am BGH, hat davor ausdrücklich gewarnt. Drittens. Bei der Strafzumessung nach § 46 StGB sind die „Beweggründe und Ziele des Täters“ und/oder seine „Gesinnung, die aus der Tat spricht“ in den Blick zu nehmen. Die Gesetzentwürfe wollen die Worte „rassistischen, fremdenfeindlichen oder menschenverachtenden“ an die Beweggründe und Ziele hängen, nicht an die Gesinnung, die aus der Tat spricht. Dies würde Fehl-urteile provozieren, wenn die Beachtung rassistischer, fremdenfeindlicher oder menschenverachtender Motive losgelöst von ihrer Bindung an die Tat in die Strafzumessung Eingang finden könnte. Dies wäre aber Gesinnungsjustiz, die aus rechtsstaatlichen Gründen auch bei rassistischen, fremdenfeindlichen oder menschenverachtende Motivlagen untragbar wäre. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich weiß, dass sie dies nicht wollen. Aber durch die Fehl-lokation ihres Vorschlags provozieren sie falsche Urteile und damit eine Beschädigung des Rechtsstaats. Viertens. Wir kennen ausschließliche Strafschärfungsgründe – und der Bundesrat und die SPD wollen doch wohl rassistische, fremdenfeindliche oder menschenverachtende Motive ausschließlich strafschärfend in die Strafzumessung einfließen lassen – nur als Regelbeispiele im materiellen Strafrecht mit der Folge erhöhter Strafrahmen. Die Beweggründe eines Täters können, angesiedelt im Allgemeinen Teil des StGB in § 46 immer nur strafschärfend wie auch strafmildernd sein. Aber genau das wollen weder der Bundesrat noch die SPD. Darauf hat der Sachverständige Professor Radtke ausdrücklich warnend hingewiesen. Wir Grünen haben schon 2010 in unserem Antrag „Daueraufgabe Demokratiestärkung – Die Auseinandersetzung mit rassistischen, antisemitischen und menschenverachtenden Haltungen gesamtgesellschaftlich angehen und die Förderprogramme des Bundes danach ausrichten“, Drucksache 17/2482, 15 Punkte zum Vorgehen gegen rassistischen, fremdenfeindlichen oder menschenverachtenden Hass benannt. Wir wählen nicht die verengte Sichtweise auf das Strafrecht, sondern schlagen ein gesamtgesellschaftliches Vorgehen vor. Mit unserem heutigen Antrag komplettieren wir unseren Handlungskatalog um die Ausbildung der Ermittlungsbeamten und klare Regeln in den Richtlinien für das Strafverfahren. Wir gehen einen besseren und erfolgversprechenderen Weg. Den kontraproduktiven Vorschlägen der SPD und des Bundesrates können wir trotz ihrer guten Absichten nicht folgen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung: Antrag: Neue Impulse für die Förderung des Radverkehrs setzen – Den Nationalen Radverkehrsplan 2020 überarbeiten – Unterrichtung: Nationaler Radverkehrsplan 2020 – Den Radverkehr gemeinsam weiterentwickeln (Zusatztagesordnungspunkt 7) Gero Storjohann (CDU/CSU): Das Fahrrad als Verkehrsmittel nimmt einen wichtigen und stetig wachsenden Teil am Gesamtverkehrsaufkommen in Deutschland ein. Radfahren schont die Umwelt; denn das Fahrrad ist ein vollkommen emissionsfreies Verkehrsmittel. Radfahren entlastet das motorisierte Verkehrsaufkommen in unseren belebten Innenstädten. Radfahren ist gesund und hält fit. Und nicht zuletzt: Radfahren macht Spaß. -Sicherlich hat jeder von uns schon Fahrradtouren mit Freunden und Familie erlebt, an die er sich noch lange gerne zurückerinnert. Das Fahrrad als Verkehrsmittel hat viele Vorteile für den Einzelnen, für die Gesellschaft und die Umwelt. Es gibt also viele gute Gründe, den Radverkehr weiter zu fördern. Deshalb hat die Bundesregierung den Nationalen Radverkehrsplan 2020 vorgelegt. Mit diesem neuen Nationalen Radverkehrsplan setzt die christlich-liberale Koalition wichtige Impulse an die zuständigen Länder und Kommunen. Die Aufgabe des Bundes ist es, die Rahmenbedingungen für die weitere Entwicklung des Radverkehrs zu schaffen. Der Bund fördert den Radverkehr in seiner Zuständigkeit als Gesetzgeber und in seiner Verantwortung für den Bau von Radwegen an Bundesstraßen und Bundeswasserstraßen. Mit dem Nationalen Radverkehrsplan möchte der Bund Förderer, Impulsgeber, Moderator und Koordinator sein. Es werden grundsätzliche Leitlinien für die örtliche Radverkehrsförderung in den kommenden Jahren formuliert. Ziel ist es, den Radverkehr in Deutschland noch attraktiver und sicherer zu machen. Deutschland soll noch fahrradfreundlicher werden. Aber der Hauptadressat des Plans sind die Länder und Kommunen. Sie sind es, die für die einzelnen Maßnahmen der Radverkehrsförderung vor Ort zuständig sind. So will es unsere föderale Ordnung. Und es dient auch der Sache, dass diese Aufgabe bei den Ländern und Kommunen angesiedelt ist. Denn es sind die Entscheidungsträger vor Ort, die am besten beurteilen können, welche Maßnahmen in den Städten und Gemeinden Sinn ergeben. Die kommunalen Entscheidungsträger wissen am besten, wie weit ihre Kommune in der Radverkehrsförderung vorangeschritten ist und wie die nächsten Schritte individuell aussehen können. Der Nationale Radverkehrsplan ist deshalb kein verbindliches -Programm für die Kommunen, in dem der Bund den Ländern und Kommunen vorschreibt, wie gute Radverkehrsförderung auszusehen hat. Stattdessen sammelt der Nationale Radverkehrsplan Ideen einer guten Radverkehrsförderung. Er analysiert die aktuellen Entwicklungen des Radverkehrs und formuliert Empfehlungen an die Kommunen. Wie sehen diese aktuellen Entwicklungen im deutschen Radverkehr aus? Hierzu möchte ich einige Zahlen nennen. Derzeit gibt es in Deutschland 70 Millionen Fahrräder. Die Branche verkauft jedes Jahr 4 Millionen Räder und macht 5 Milliarden Euro Umsatz. Der Radverkehr ist somit auch ein gewaltiger Wirtschaftsfaktor. In etwas mehr als 80 Prozent aller deutschen Haushalte ist mindestens ein Fahrrad vorhanden. Jeder vierte Haushalt verfügt sogar über drei oder mehr Räder. Derzeit wird jeder zehnte Weg in Deutschland mit dem Rad zurückgelegt – Tendenz steigend. Unser Ziel ist es, diesen Anteil in den kommenden Jahren auf 15 Prozent zu erhöhen. Eine Maßnahme, um dieses Ziel zu erreichen, liegt beispielsweise im weiteren Ausbau von öffentlichen Fahrradverleihsystemen. In einigen Städten gibt es solche Systeme bereits. Das Bundesverkehrsministerium hat hierzu einen Modellversuch „Öffentliche Fahrradverleihsysteme“ durchgeführt. Durch solche Systeme stehen den Bürgerinnen und Bürgern auch dann Fahrräder als Verkehrsmittel zur Verfügung, wenn sie kein -eigenes Fahrrad besitzen. Solche Angebote sind für die Bürgerinnen und Bürger attraktiv, weil das Fahrrad gerade innerstädtisch bei kurzen Strecken oftmals das schnellste Verkehrsmittel ist. Neun von zehn Fahrten mit dem Fahrrad werden für die Bewältigung einer Strecke von weniger als fünf Kilometer absolviert. Hier liegt ein besonderes Potenzial des Radverkehrs. Innerstädtisch kann der Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen noch weiter gesteigert werden. Dazu muss es gelingen, die Hürden zur Nutzung des Fahrrads auf solchen Wegen zu senken – durch gute Fahrradinfrastruktur oder beispielsweise durch solche öffentlichen Verleihsysteme. Es muss auch gelingen, das Fahrrad in ein Verkehrskonzept bestehend aus Radverkehr, ÖPNV und Fußgängerverkehr zu integrieren – als Alternative zum motorisierten Individualverkehr. Die Kommunen sind bei der Schaffung solcher Strukturen unterschiedlich weit fortgeschritten. Deshalb gibt der Nationale Radverkehrsplan den Kommunen die Möglichkeit, sich selbst hinsichtlich ihres Entwicklungsstadiums bei der Radverkehrsförderung zu kategorisieren. Das Konzept unterscheidet zwischen Einsteigern, Aufsteigern und Vorreitern. Einsteiger sind diejenigen Kommunen, die noch am Anfang der Radverkehrsförderung stehen. Der Anteil des Radverkehrs liegt in diesen Kommunen in der Regel deutlich unter 10 Prozent. Die organisatorischen Strukturen der Radverkehrsförderung sind entweder nicht vorhanden oder erst in den Anfängen – in kleinen Kommunen auch durch begrenzte personelle Ressourcen. Als Aufsteiger werden diejenigen Kommunen bezeichnet, die in der Radverkehrsförderung fortgeschritten sind. Hier existieren ambitionierte Zielwerte, Förderstrategien und umfangreiche Maßnahmen der Radverkehrsförderung. Der Radverkehrsanteil liegt zwischen 10 und 25 Prozent. Mindestens eine Basisinfrastruktur für den Radverkehr ist vorhanden. Vorreiter sind schließlich jene Kommunen, die ein hohes Niveau der Radverkehrsförderung erreicht haben. Der Radverkehrsanteil liegt bei über 25 Prozent. Die Radverkehrsförderung stellt eine breit getragene gesellschaftliche und politische Selbstverständlichkeit dar. Die Vorreiter haben zudem eine besondere Vorbildfunktion für andere Kommunen und tragen ihre Erfahrungen und ihr Fachwissen nach außen. Paradebeispiele für solche Vorreiterkommunen sind Münster mit einem Radverkehrsanteil von 38 Prozent, Oldenburg mit 43 Prozent oder Greifswald mit 44 Prozent. Der Nationale Radverkehrsplan bündelt die Erfahrungen dieser unterschiedlich kategorisierten Städte. Eines der vorrangigen Ziele des Nationalen Radverkehrsplans ist es, dass die Gemeinden voneinander lernen und ihre unterschiedlichen Erfahrungen austauschen. Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs sind dabei auf vielfältige Weise möglich und können durch Bund, Länder und Kommunen gemäß des jeweiligen Kompetenzbereiches durchgeführt werden. Ich möchte einige wichtige Handlungsfelder der zukünftigen Förderung des Radverkehrs erwähnen. Wesentliche Grundvoraussetzung des Radverkehrs sind durchgängige und vor allem alltagstaugliche Radverkehrsnetze. Diese müssen alle wesentlichen regionalen Punkte verbinden. Aufgabe des Bundes ist hierbei der Bau von Radwegen an Bundesstraßen und Bundeswasserstraßen. Gerade an den Bundesstraßen mit ihrem schnellen Kfz-Verkehr sind gut ausgebaute Radwege notwendig, um Radverkehr und motorisierten Verkehr zu entflechten und so zur Verkehrssicherheit beizutragen. Der Ausbaustand von Radwegen an Bundesstraßen ist bereits sehr hoch. Entlang der rund 40 000 Bundesstraßenkilometer finden sich rund 19 000 Kilometer Radwege. Dieser Ausbaustand ist auch vor dem Hintergrund bereits beachtlich, dass sich manche Bundesstraßen aufgrund ihrer topografischen Verhältnisse nicht zum Bau von Radwegen eignen. Der weitere Bau von Radwegen wird gleichwohl mit jährlich 60 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt gefördert. Für die Land- und Kreisstraßen sind die Länder und Kommunen verantwortlich. 25 000 Kilometer Radwege an Landstraßen und 16 000 Kilometer Radwege an Kreisstraßen sind vorhanden. Hier sind Länder und Kommunen aufgefordert, in ihren Ausbaubemühungen ebenfalls weiter fortzufahren. Gute Erfahrungen haben einige Kommunen damit gemacht, die Förderung des Radverkehrs als Teil einer integrierten Stadtentwicklungspolitik zu begreifen: Durch Fördermaßnahmen können Stadtteile aufgewertet werden. Es lassen sich Konzepte einer „Stadt der kurzen Wege“ entwickeln. Zudem unterstützt der Radverkehr die Lärmreduktions- und Luftreinhaltepläne der Kommunen. Durch aktive und -innovative Radverkehrspolitik steigern die Kommunen somit direkt ihre Lebensqualität und Attraktivität. Ein weiteres wichtiges Handlungsfeld, um das Fahrrad in den Kommunen noch populärer zu machen, ist die Schaffung sicherer und ausreichender Abstellmöglichkeiten an Bahnhöfen, an zentralen Anlaufpunkten in den Städten und an touristischen Attraktionen. Erfahrungen zeigen, dass ein Mangel an Abstellanlagen ein zentrales Hindernis für die Fahrradnutzung sein kann. Hier sind die zuständigen Kommunen aufgefordert, Abhilfe zu schaffen. Um den Kommunen hierbei unterstützend unter die Arme zu greifen, wird der Bund gute Beispiele sammeln und veröffentlichen, innovative Lösungen anstoßen und den Kontakt und Erfahrungsaustausch zwischen den Kommunen anregen. Der Radverkehr wird zudem dann weiter wachsen, wenn es uns gelingt, die Verkehrssicherheit von Radfahrern zu erhöhen. Auch wenn im Jahr 2011 die Zahl der getöteten und schwerverletzten Radfahrer gestiegen ist, sind die Zahlen in der langfristigen Betrachtung rückläufig. Hier bleibt aber noch viel zu tun. Neun von zehn Fahrradunfällen ereignen sich innerorts. Besonders gefährdet sind Kinder und ältere Bürgerinnen und Bürger über 65 Jahre. Bei diesen Gruppen sind die Unfallfolgen auch meist besonders schwer. Die Hälfte der 2011 im Straßenverkehr getöteten Radfahrer war über 65 Jahre alt. Ein gesteigerter Bedarf nach mehr Verkehrssicherheit entsteht auch aus der zunehmenden Verbreitung von Elektrofahrrädern, die deutlich höhere Endgeschwindigkeiten erreichen als herkömmliche Fahrräder. Um die Verkehrssicherheit weiter zu erhöhen, ist ein gemeinsames Handeln von Bund, Ländern und Kommunen zwingend erforderlich. Die Bundesregierung hat mit ihrem Verkehrssicherheitsprogramm bereits einen wichtigen Baustein zur Stärkung der Verkehrssicherheit vorgelegt. Wichtig sind darüber hinaus zielgerichtete Verkehrssicherheitskampagnen. Zu nennen ist hier die Kampagne „Runter vom Gas“ des Bundesverkehrsministeriums und des Deutschen Verkehrssicherheitsrates. Darüber hinaus ist es der Koalition ein besonderes Anliegen, die freiwillige Helmtragequote weiter zu erhöhen. Fahrradhelme können verhindern, dass es im Falle eines Unfalls zu schwersten Kopfverletzungen kommt. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Verkehrswacht hat das Bundesverkehrsministerium hierzu die Kampagne „Ich trag’ Helm“ gestartet. Der Bund prüft zudem derzeit mit den Ländern, ob und inwieweit das Sanktionsniveau im Bereich des Radverkehrs erhöht werden soll. Es geht dabei nicht nur um Verstöße von Radfahrern, sondern auch um solche von Autofahrern, die sich negativ auf den Radverkehr auswirken können, wie zum Beispiel unzulässiges Parken oder Halten auf Radwegen. Länder und Kommunen sind im Bereich der Verkehrssicherheit dazu aufgerufen, Analysen der Unfallschwerpunkte vor Ort durchzuführen und davon abgeleitet Strategien und Maßnahmenbündel zu entwickeln. Wichtig sind auf Länderebene Verkehrssicherheitsnetzwerke, die die Kompetenzen von Verwaltungen, Polizei, Verbänden, Schulen und Verkehrsunternehmen bündeln und die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für das Thema erhöhen. Zudem sind die Länder und Kommunen dazu aufgerufen, beim Bau von Radinfrastruktur die Empfehlungen des technischen Regelwerks für die grundlegenden Anforderungen und Dimensionierungen solcher Infrastruktur konsequent anzuwenden. Besonderer Aufmerksamkeit der Kommunen bedarf zudem die Verkehrssicherheit von Kindern auf dem Weg zur Schule. Tempo 30 vor Schulen trägt zu einem sichereren Schulweg bei. Durch die Polizei und die Verkehrswachten kann Mobilitäts- und Verkehrserziehung in den Schulen und Kindertageseinrichtungen sichergestellt werden. Die Kommunen sollten dieses Engagement unbedingt weiter anerkennen und weiter ausbauen. Wie ich beschrieben habe, sind jedoch nicht nur Kinder besonders gefährdet, sondern gerade auch ältere Menschen. Deshalb sollte ein zukünftiger Schwerpunkt auch auf die Mobilitätsbildung von Erwachsenen gelegt werden. Die Kommunen sollten entsprechende Angebote, wie zum Beispiel das Radverkehrstraining für -ältere Menschen oder für Menschen mit Migrationshintergrund, stärker in ihre Aktivitäten zur Radverkehrsförderung integrieren. Der Bund wird bei Bedarf ergänzend und unterstützend die Lehrinhalte der Fahrschulausbildung und der Fahrerlaubnisprüfung sowie in Abstimmung mit den Ländern auch der Fahrlehrerausbildung kontinuierlich überprüfen und anpassen. Als letztes Beispiel möchte ich erwähnen, dass es für den weiteren Erfolg der Fahrradverkehrsförderung besonders wichtig ist, dass es uns gelingt, die verschiedenen Verkehrsmittel besser miteinander zu verknüpfen. Auf lokaler Ebene sollten die Aufgabenträger des ÖPNV die Fahrradmitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln flächendeckend ermöglichen und für sichere Abstellmöglichkeiten an Bahnhöfen und Haltestellen sorgen. Zudem freut es mich außerordentlich, dass die Deutsche Bahn AG zugesichert hat, dass es möglich sein wird, in den zukünftigen ICx-Schnellzügen ab 2016 Fahrräder zu transportieren. Hierdurch werden weitere Hürden der Fahrradnutzung, beispielsweise bei der Fahrt in den Urlaub, abgebaut. Der Nationale Radverkehrsplan ist ein überzeugendes Programm für die Radverkehrsförderung auf allen politischen Ebenen in den kommenden Jahren. Die christlich-liberale Koalition misst dem Radverkehr einen besonderen Stellenwert zu. Der Fahrradverkehr ist im Zentrum der Verkehrspolitik angekommen. Noch einige Worte zu dem vorliegenden SPD-Antrag. Der Antrag der SPD wiederholt vieles, was bereits Inhalt des Nationalen Radverkehrsplans ist. Einen darüber hinausgehenden Mehrwert des Antrags vermisse ich. Einige Aussagen des Antrags sind zudem schlicht falsch. So wird behauptet, dass der Bundesverkehrsminister Investitionen in die Aufklärung über die Wichtigkeit der freiwilligen Helmnutzung unterlasse. Hier empfehle ich nochmals die Internetseite www.ich-trag-helm.de des Bundesverkehrsministeriums und der Deutschen Verkehrswacht. Es handelt sich genau um eine solche Aufklärungskampagne, wie sie von der SPD gefordert wird. Offensichtlich haben sich die Kollegen der SPD nicht ausreichend informiert, als sie ihren Antrag geschrieben haben. Darüber hinaus verkennt der SPD-Antrag die vorrangige Kompetenz der Länder und der Kommunen für die Radverkehrsförderung. An mehreren Stellen -werden umfangreiche finanzielle Förderprogramme des Bundes für den Radverkehr gefordert. Es scheint, als wolle die SPD die Kompetenz der Radverkehrsförderung beim Bund bündeln. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion hingegen setzen hier auf die Verantwortung der Entscheidungsträger von Ländern und Kommunen. Das föderale Verantwortungssystem hat den Radverkehr primär dort angesiedelt. Vor Ort kann sachgerechter entschieden werden, welche Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs sinnvoll sind. Der Bund bekennt sich hingegen zu seiner Verantwortung für den Bau von Radwegen an Bundesstraßen und Bundeswasserstraßen und zu seiner Rolle als Moderator und Koordinator. Hier leistet der Nationale Radverkehrsplan einen wichtigen Dienst. Der Nationale Radverkehrsplan wird dazu beitragen, Deutschland in den kommenden Jahren noch fahrradfreundlicher zu gestalten. Ulrike Gottschalck (SPD): Fahrradfahren ist gesund, umweltfreundlich und kostengünstig. Der Ausbau des Fahrradverkehrs erhöht die Lebensqualität, senkt den CO2-Ausstoß und macht Städte und Gemeinden -lebendiger. Wir haben also sehr gute Gründe, den -Fahrradverkehr zu fördern; dies haben sozialdemokratische Verkehrspolitikerinnen und Verkehrspolitiker früh erkannt. Der erste Radverkehrsplan war ein Quantensprung, weil sich sozialdemokratische Bundesverkehrsminister zu einer aktiven Rolle bei der Förderung des Fahrradverkehrs bekannt haben. Es wurden Umsetzungsstrategien zur Radverkehrsförderung initiiert, ein fahrradfreundliches Klima angestoßen und wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht. Mit der Einrichtung eines eigenen Haushaltstitels für Bau und Erhaltung von Radwegen in der Baulast des Bundes wurden die Ausgaben für Radwege an Bundesstraßen verdoppelt. Seit 2003 konnten so jährlich deutlich mehr Radwege gebaut werden. Es wurde ein weiterer Haushaltstitel zum „Ausbau von -Betriebswegen an Bundeswasserstraßen“ mit einem -Anfangsfördervolumen von 10 Millionen Euro eingerichtet, um den Ausbau und den Erhalt von Freizeitradwegen im Verlauf von Bundeswasserstraßen zu fördern. Weiterhin wurde das Fahrradportal www.nationalerradverkehrsplan.de“ und der Bund-Länder-Arbeitskreis „Fahrradverkehr“, BLAK, eingerichtet, um die Umsetzung und Weiterentwicklung des NRVP zu fördern. Zudem wurden jährlich 2 Millionen für nichtinvestive Maßnahmen zur Umsetzung und Koordination des NRVP zur Verfügung gestellt. Als Erfolg können wir zudem den Aufbau der Fahrradakademie und einer Fahrradkommunalkonferenz für die bundesweite Vernetzung der Kommunen verbuchen. Noch einmal: Fahrradfahren ist umweltfreundlich, gesund und hält mobil. Daher muss es unser gemeinsames Ziel sein, den Radverkehrsanteil in Deutschland weiter deutlich zu steigern. Das Verkehrsmittel Fahrrad muss neben dem öffentlichen Verkehr und dem motorisierten Individualverkehr als gleichwertiges Verkehrsmittel einer nachhaltigen integrierten Verkehrspolitik verstanden werden und bei allen Konzepten für Verkehr, Stadtentwicklung und Raumordnung berücksichtigt werden. Nun haben wir den am 5. September 2012 von der Bundesregierung beschlossenen neuen „Nationalen Radverkehrsplan 2020“ vorliegen. Auf 88 Seiten finden wir eine umfassende Bestandsaufnahme und eine Analyse der aktuellen Situation. Es sind gute Ansätze enthalten, und ich bedanke mich ausdrücklich bei den wenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in diesem großen Ministerium überhaupt noch für Radverkehr zuständig sind. Dies ist auch schon einer meiner Kritikpunkte. Wenn der Radverkehr wirklich ein gleichwertiges Verkehrsmittel werden soll, muss sich dies auch beim Personal im Ministerium widerspiegeln. Aber leider ist das Gegenteil der Fall. Wie aus der Antwort zu meiner Kleinen Anfrage hervorgeht, sind nur 6 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Radverkehr zuständig und davon haben 2 befristete Arbeitsverträge, die zum 31. Dezember 2012 auslaufen. Wie die Bundesregierung dann mit nur noch vier Personen die notwendigen Aufgaben zur Förderung des Radverkehrs erfüllen will, bleibt -offen. Dieser Widerspruch zwischen Ankündigung und -Realität zieht sich leider wie ein roter – oder besser: schwarzer – Faden durch den NRVP. Die Wünsche und Pläne des NRVP passen nicht zu der politischen Realität, und ich befürchte, das liegt an der Hausspitze. Die Radverkehrspolitik von Bundesverkehrsminister Ramsauer ist unglaubwürdig. Die Bundesregierung will den Anteil des Fahrradverkehrs erhöhen, kürzt aber die Mittel. 2010 waren noch 100 Millionen Euro im Haushalt, für 2013 sind nur noch 60 Millionen Euro vorgesehen. Nur wenige Empfehlungen der vom Minister eigens eingesetzten Expertenkommission zur Fortentwicklung des NRVP 2020 wurden aufgenommen, und, wenn überhaupt, sind sie nur sehr vage formuliert. Anstatt sich als Impulsgeber für Fahrradverkehr zu profilieren, verweist die Bundesregierung immer wieder auf die Zuständigkeit der Länder und Kommunen und spielt Schwarzer Peter. Populistisch bedient der Minister mit öffentlichen Äußerungen über sogenannte Kampfradler negative Vorurteile. Er verleugnet, dass das Auto immer noch der Hauptverursacher von Unfällen im Straßenverkehr ist. Der Bundesverkehrsminister sollte sich lieber bei den Länderministern dafür einsetzen, dass genug Polizei-beamte zur Überwachung bestehender Gesetze für alle Verkehrsteilnehmer zur Verfügung stehen. Verkehrsrowdys müssen bestraft werden, keine Frage – aber die findet man leider bei allen Verkehrsteilnehmern. Ein Manko ist auch, dass der Autoverkehr weitest-gehend ausgespart wird; damit umschifft Minister Ramsauer geschickt die Diskussion um den Platz im Straßenraum. Mehr Fahrradfahrer brauchen auch mehr Platz, um sicher radeln zu können. Im NRVP fehlen konkrete ambitionierte Ziele und die verbindliche Finanzierung einer engagierten Fahrrad-politik des Bundes. Wir Sozialdemokraten fordern daher mit unserem aktuell vorliegenden Antrag die Bundes-regierung auf, das Fahrradfahren in Deutschland weiter ernsthaft zu fördern und starke Impulse zu setzen. Wir fordern unter anderem die Finanzausstattung für den Bau von Radwegen an Bundesfernstraßen in einer Höhe von 100 Millionen Euro in der mittelfristigen Finanzplanung festzuschreiben. Dies haben wir auch mit einem Haushaltsantrag untermauert. Eine Steigerung des Radverkehrs in Deutschland durchschnittlich auf 20 Prozent am Modal Split der Verkehrsträger bis 2020. Die Beauftragung eines Parlamentarischen Staats-sekretärs beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit der Funktion des Fahrradbeauftragten und eine personelle Aufwertung des Ressorts. Eine verlässliche Förderung mit Kontinuität. Ein eigenständiges Themenfeld „Radverkehr im ländlichen Raum“. Wir haben also gute Konzepte, damit das Fahrrad wichtiger Bestandteil einer integrierten Verkehrs- und Mobilitätspolitik wird. Grundvoraussetzung ist jedoch, dass man es politisch will. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen bereit, die vagen Ankündigungen im NRVP in konkrete Politik umzusetzen. Torsten Staffeldt (FDP): Vorab: Als täglicher Fahrradnutzer habe ich ein großes Eigeninteresse daran, den Radverkehr zu fördern. Doch der vorliegende Antrag der Sozialdemokraten ist, wie leider häufig, ein klassischer Schaufensterantrag. Er bedient die Wünsche der Klientel, zeigt, dass die Sozialdemokraten vermeintlich handeln, ist aber letztlich fernab der Realität, insbesondere was den Forderungsteil betrifft. Niemand wird bestreiten, dass Fahrradfahren eine gesunde und umweltfreundliche Alternative zum Auto darstellt. Doch Forderungen, die das Thema Fahrrad auf den Olymp aller Verkehrsträger setzen, fahren weit über die Ziellinie hinaus und sind den anderen Verkehrsträgern gegenüber maßlos übertrieben hoch, zumal ja im Antrag der Sozialdemokraten von der Gleichwertigkeit der Verkehrsträger die Rede ist. Insofern kann ja auch nicht der Radverkehr Sonderregelungen, wohl aber die gleiche Aufmerksamkeit wie andere Verkehrsträger erwarten. Damit stelle ich erst einmal grundsätzlich Widersprüche im Antrag fest. Völlig zu viel in die Pedale des Antrages getreten wird zum Beispiel in folgendem Punkt: Forderung eines eigenen Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit der Funktion des Fahrradbeauftragten der Bundesregierung. Dann können wir auch gleich aktuell einen Parlamentarischen Staatssekretär für den Wiederaufbau des Schlosses oder für Wassersportler einsetzen. Anderer Kritikpunkt: Es soll eine neue Promillegrenze für Radfahrerinnen und Radfahrer eingeführt werden. Andererseits – Zitat – „muss die Bundesregierung auf die Länder einwirken, dass die Kontrolldichte von Fahrradfahrern durch die Landespolizeien erhöht wird“. Bezieht sich das auf mehr Promillekontrollen, liebe Antragsteller, oder etwa auf die Raser, die die Verkehrssicherheit im Radverkehr nun wirklich gefährden, oder warum sollen Radfahrer häufiger kontrolliert werden? Das hätte ich gern erläutert bekommen. Abgesehen davon freuen sich sicherlich die Landespolizeien über den Aufwuchs an Arbeit. Nächster Kritikpunkt: Der Bau von Radwegen soll als Teil von städtebaulichen Konzepten zur Umgestaltung des öffentlichen Raumes im Rahmen von Städtebauförderung gefördert werden. Interessanter Versuch, über den Radverkehr das Thema Städtebauförderung mit zusätzlichen Hunderten von Millionen Euro zu beglücken! Andererseits ist im Antrag die Rede davon, dass die Förderung des Radverkehrs im ländlichen Raum als eigenständiges Themenfeld im Nationalen Radverkehrsplan 2020 verankert und mit eigenen Maßnahmen unterlegt werden soll. Wir haben also die Forderung, den Radverkehr bei der Städtebauförderung zu fördern, und das Gleiche soll im ländlichen Raum erfolgen, also auf dem Lande und in der Stadt. Sicher, es blieben nur noch die Luft und das Wasser, aber die Fahrräder mit denen man über das Wasser fahren und in der Luft fliegen kann, wird es wohl erst in der Zukunft geben. Auszuschließen ist das natürlich nicht, wenn die SPD weiterhin solche Anträge stellt. Nächster Punkt: An anderer Stelle im Antrag heißt es, dass das Radfahren „in allen Bevölkerungsschichten eine breite Zustimmung und Akzeptanz“ verzeichnet. Es ist von einem positiven Imagewandel die Rede. Andererseits wird der Regierung „populistische Pflege von Vorurteilen“ vorgeworfen. Nach dieser Theorie bremst also die Regierungskoalition das Fahrrad populistisch so sehr aus, dass das Radeln immer beliebter wird? Meine Damen und Herren, hier wird in Bezug auf das Fahrrad vonseiten der SPD gegen die Regierung getreten, was das Zeug hält. Sie sollten an dieser Stelle einen Gang runterschalten, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD. Diese an die Regierung gerichteten Unterstellungen haben nichts in einem ernst gemeinten Antrag zu suchen. Allein schon deshalb lehnen wir den Antrag ab. Herbert Behrens (DIE LINKE): Kleine Kinder dabei zu beobachten, mit welcher Lust und welchem Entdeckergeist sie auf ihren kleinen Fahrrädern unterwegs sind, macht uns großen Spaß. Kinder erleben die neu gewonnene Freiheit durch das Fahrrad ganz unmittelbar. Stück um Stück erweitern sie ihren Erfahrungshorizont und erobern sich ihre Welt. Alles spricht dafür, diese Lust am Fahrradfahren zu erhalten und zu fördern. Das können wir tun, indem wir das Fahrradfahren so sicher und so angenehm wie möglich machen. Das muss auch das Ziel eines Nationalen Radverkehrsplans sein. Der Radverkehrsplan 2020 der Bundesregierung wird dieser Anforderung nicht in vollem Umfang gerecht. Er liefert uns zwar eine gute Beschreibung der Situation der Radfahrerinnen und Radfahrer auf den Straßen. Er liefert uns auch eine ganze Reihe von Handlungserfordernissen. Wenn wir uns aber die Lösungsstrategien anschauen, dann wird es mit einem Mal ganz übersichtlich. Da bleibt es bei Appellen und Vorschlägen. Formulierungen wie: „Der Bund engagiert sich weiterhin …“, „Die Bundesregierung unterstützt das Ziel …“, sind Absichtserklärungen, nicht mehr. Der Antrag der SPD-Fraktion kritisiert das zu Recht und fordert eine Reihe von Verbesserungen, damit das Fahrradfahren in Deutschland attraktiver und sicherer wird und mehr Leute mit dem Fahrrad fahren als heute. Sie übernehmen dabei Forderungen des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, ADFC, und des Verkehrsclubs Deutschlands, VCD. Die Linke unterstützt diese viel ehrgeizigeren Ziele der Clubs und wird dem Antrag der SPD zustimmen. Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, taugt der Hinweis auf den sozialdemokratischen Verkehrsminister, der mit dem Radverkehrsplan 2012 eine breite Akzeptanz und Zustimmung des Fahrrades initiiert habe, nicht wirklich. Ich glaube, das Fahrradfahren hat eine erfolgreiche Geschichte, die schon vor 2002 begonnen hat. Das ist jetzt Schnee von gestern. Wir können ja dazulernen und künftig eine bessere Verkehrspolitik und Fahrradverkehrspolitik machen. Was gehört unserer Meinung nach dazu? Das Fahrrad muss als selbstverständliches Verkehrsmittel wahrgenommen werden. Dafür müssen die speziellen Verkehrswege für Radfahrer mindestens in einem genauso guten Zustand sein wie die für die Autofahrer. Auf den Straßen brauchen die Radfahrer eigene Fahrspuren. Für Autofahrer ist das schließlich völlig normal. Wir müssen das positive Image des Radfahrens fördern. Dazu passt es überhaupt nicht, wenn der Bundesverkehrsminister in seinen Äußerungen über aggressive Radfahrer in seiner Rhetorik nicht minder aggressiv daherkommt. Wir müssen den Städten und Gemeinden Anregungen geben, wie der Fahrradverkehr nachhaltig in das innerstädtische Verkehrssystem eingebaut werden kann. Das klappt nicht mit Projekten, die nach dem Projektende wieder verschwinden. Es müssen gemeinsam mit den Fachverbänden Handlungsempfehlungen und Rezepte entwickelt werden, die in den Kommunen direkt umgesetzt werden können. Die höhere Bedeutung von Fahrradverkehr muss auch im Verkehrsministerium erkennbar sein. Wir wissen um das Schattendasein der Radverkehrspolitik im Ministerium. Impulsgeber und Ratgeber kann man aber nur sein, wenn dafür Personalkapazitäten vorhanden sind. Noch eine weitere Anregung der Fachverbände hat die SPD in ihrem Antrag aufgenommen, den die Linke ausdrücklich unterstützt. Der Verkehrsminister geht halbherzig an die Frage heran, wo wir eigentlich nach acht Jahren Radverkehrsplan stehen wollen. 15 Prozent aller zurückgelegten Wege sollen mit dem Fahrrad gemacht werden. Das ist keine einfach nur gegriffene Zahl. Erhebungen und Prognosen mehrerer Instituten haben diese Zahl ausgeworfen. Berechnungen von Potenzialen, Szenariobeobachtungen und Variationsrechnungen, wie sie im Radverkehrsplan genannt werden, sind jedoch keine politischen Ziele. Die Linke sagt, ein Radverkehrsanteil von 20 Prozent an den zurückgelegten Wegen ist erreichbar, wenn man neben dem politischen Willen auch die Unterstützung für die derjenigen sicherstellt, die mitmachen sollen, das zu erreichen. Das sind die Fachverbände, das Ministerium, die Länder und Kommunen. Der Radverkehrsplan bietet ein ordentliches Fundament für eine Überarbeitung. Die Arbeit der vielen engagierten Fahrradfreunde, die an diesem Plan der Bundesregierung beteiligt waren, ist keinesfalls umsonst. Wir wissen, einige von ihnen hätten gerne mehr konkrete Ziele dringehabt. Jetzt besteht die Chance, durch eine Überarbeitung den Plan besser zu machen. Die Lust am Fahrradfahren, die wir bei Kindern sehen, werden sie sich so als Heranwachsende erhalten können. Und auch als Erwachsene werden wir das Fahrrad als selbstverständliches, gleichberechtigtes und attraktives Verkehrsmittel akzeptieren und nutzen. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir beraten heute in erster Lesung den neuen Nationalen Radverkehrsplan 2020. Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer hat am 5. September den Kabinettsbeschluss zum Nationalen Radverkehrsplan 2020 medienwirksam in die Kameras gehalten und sich plötzlich und unerwartet als Förderer des Radverkehrs inszeniert. Sehr glaubwürdig ist dies allerdings nicht, denn zuvor hat er sich in seiner Amtszeit vor allem mit stigmatisierenden Äußerungen über sogenannte Kampfradler hervorgetan und den Radverkehrsetat fast halbiert. Standen im Jahr 2010 noch 100 Millionen Euro für Radwegebau an Bundesstraßen und Wasserstraßen zur Verfügung, sind es im Etatentwurf 2013 nur noch 60 Millionen Euro. Dazu passt auch, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung als erste Amtshandlung das Radverkehrsreferat im Bundesverkehrsministerium aufgelöst und mit reduziertem Personal einer anderen Abteilung im Ministerium zugeordnet hat. Schauen wir also genauer hin, was uns die Bundesregierung als nationale Radverkehrsstrategie für die nächsten Jahre präsentiert, um dafür zu sorgen, dass sich bis zum Jahr 2020 wesentlich mehr Menschen gesund und umweltfreundlich mit dem Fahrrad fortbewegen können. Schließlich hatte Verkehrsminister Ramsauer eigens dazu ein Expertengremium zurate gezogen und mit Vertretern von Fachverbänden, Ländern und Kommunen umfangreiche Abstimmungsprozesse durchgeführt. Was wir bekommen haben, ist ein fachlich fundierter und nahezu umfassender Sachstandsbericht zur Situation des Radverkehrs in Deutschland, der zahlreiche Maßnahmen und kreative Ansätze zur Radverkehrsförderung auflistet und den Trend zu einer neuen Fahrradkultur sehr gut beschreibt. Einen ambitionierten Aktionsplan mit einer eindeutigen Strategie, wie sich die Bundesregierung Deutschland zu einem fahrradfreundlichen Land entwickeln will, legt die Bundesregierung allerdings nicht vor, zumal sie grundlegende Empfehlungen der Experten nur halbherzig umsetzt oder ignoriert. So fehlen im Nationalen Radverkehrsplan 2020 klare Ziele und Fristen, bis wann die Bundesregierung welche Maßnahmen zur Radverkehrsförderung umsetzen will, insbesondere dazu, wie der Radverkehrsanteil bis zum Jahr 2020 deutlich gesteigert werden soll. Der Nationale Radverkehrsplan 2020 enthält keinerlei Aussagen zur Finanzierung der vorgeschlagenen Maßnahmen zur Radverkehrsförderung. Die Bundesregierung überlässt die Finanzierung der meisten Maßnahmen den Ländern und den klammen Kommunen, während der Bund nicht mal ausreichend Mittel für die Instandhaltung und den Ausbau von Radwegen an Bundesstraßen und Bundeswasserstraßen zur Verfügung stellt. Wie wenig ambitioniert die für möglich gehaltene Steigerung des Radverkehrsanteil auf 15 Prozent bis zum Jahr 2020 ist, zeigen aktuelle Zahlen des Deutschen Mobilitätspanels von 2011, das im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung jährlich erhoben wird. Danach lag der Radverkehrsanteil am Verkehrs-aufkommen im Jahr 2011 bereits bei 14,7 Prozent. Das Bundesverkehrsministerium erklärt also zum möglichen Anteil in 2020, was im Jahr der Erarbeitung des Nationalen Radverkehrsplans schon längst Realität in Deutschland ist. Nicht jeder zehnte, sondern jeder siebte Weg wird aktuell bereits mit dem Rad zurückgelegt. Besondere Bedeutung muss dem Thema Verkehrssicherheit beigemessen werden. Diese ist in hohem Maße abhängig vom Zustand der Infrastruktur und dem örtlichen Geschwindigkeitsniveau. Rund 75 Prozent der Zusammenstöße zwischen Radfahrenden und Kraftfahrzeugen werden durch Autofahrerinnen und Autofahrer verursacht. Die überwiegend Geschädigten sind Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer. Betroffen sind bei steigenden Unfallzahlen besonders ältere Menschen über 65 Jahre. Trotzdem unterlässt es die Bundesregierung, die Restriktionen in der StVO abzuschaffen, die verhindern, dass Kommunen Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit zur Erhöhung der Verkehrssicherheit einführen können. Stattdessen lädt der Nationale Radverkehrplan 2020 die Verantwortung für die Sicherheit vor allem wieder bei den Radfahrenden ab, die fluoreszierende Radhelme tragen und bei Regelverstößen mit höheren Bußgeldern bestraft werden sollen. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, den vom Kabinett beschlossenen Nationalen Radverkehrsplan 2020 zu überarbeiten. Erstens. Der Nationale Radverkehrplan 2020 muss verbindliche Lang- und Mittelfristziele festlegen und konkret benennen, welche Maßnahmen dazu bis wann von welcher Akteursebene – Bund, Länder, Gemeinden, Verbände – ergriffen werden sollen. Der Erfolg dieser Maßnahmen muss evaluiert werden. Zweitens. Der Nationale Radverkehrplan 2020 muss als Ziel formulieren, dass der Radverkehrsanteil an allen Wegen in Deutschland bis 2020 auf mindestens 20 Prozent ansteigen soll. Drittens. Die Bundeshaushaltsmittel für den Bau von Radwegen entlang von Bundesstraßen müssen auf mindestens das Niveau 100 Millionen Euro pro Jahr erhöht und verstetigt werden. Viertens. Die Bundesregierung muss sich eindeutig zur Schaffung eines flächendeckenden integrierten Radverkehrsnetzes in Deutschland bekennen. Der Bund ist aufgefordert, die Länder und Gemeinden beim Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur durch die kontinuierliche Finanzierung von innovativen Modellprojekten, sogenannte Leuchtturmprojekte, zu unterstützen. Darunter verstehen wir beispielsweise Radschnellwege, Fahrradabstellanlagen und Ortsdurchfahrten sowie bundesweite Imagekampagnen. Fünftens. Die Bundesregierung sollte eine(n) Radverkehrsbeauftragte(n) auf Staatssekretärsebene benennen. Zur Koordinierung der bundesweiten Aktivitäten zur Stärkung des Radverkehrs sollte im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ein eigenständiges Radverkehrsreferat eingerichtet und angemessen personell ausgestattet werden. Anlagen 1Ergebnis Seite 23936 D 2Anlage 6 3Anlage 3 4Anlage 2 5Anlage 5 6Anlage 4 7Anlage 7 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 198. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 198. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2012 24031 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 24102 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 198. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 198. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2012 24101