Plenarprotokoll 17/199 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 199. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 I n h a l t : Ausschussüberweisung Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags (Drucksachen 17/10976, 17/11011) in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 38: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2012 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2012) (Drucksache 17/10900) Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) Florian Toncar (FDP) Joachim Poß (SPD) Joachim Poß (SPD) Florian Toncar (FDP) Steffen Bockhahn (DIE LINKE) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Norbert Barthle (CDU/CSU) Peter Friedrich, Minister (Baden-Württemberg) Otto Fricke (FDP) Andrej Hunko (DIE LINKE) Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Rolf Schwanitz (SPD) Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) Bettina Hagedorn (SPD) Antje Tillmann (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 35: a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Energiewende sozial gestalten – Bezahlbare Strompreise gewährleisten (Drucksache 17/10800) b) Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS   90/DIE GRÜNEN: Bezahlbare Energie sichern durch Einsparung, Erneuerbare und mehr Verbraucherrechte (Drucksache 17/11030) c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter, Rolf Hempelmann, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die Energiewende – Kosten für Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen (Drucksache 17/10366) Katja Kipping (DIE LINKE) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Klaus Breil (FDP) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Hubertus Heil (Peine) (SPD) Ulrich Kelber (SPD) Sven Morlok, Staatsminister (Sachsen) Katja Kipping (DIE LINKE) Hubertus Heil (Peine) (SPD) Caren Lay (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jens Koeppen (CDU/CSU) Ulrich Kelber (SPD) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Dr. Erik Schweickert (FDP) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Johannes Röring (CDU/CSU) Katja Kipping (DIE LINKE) Ulrich Kelber (SPD) Tagesordnungspunkt 36: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge (Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz – AltvVerbG) (Drucksache 17/10818) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) Petra Hinz (Essen) (SPD) Frank Schäffler (FDP) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) Dr. Carsten Sieling (SPD) Ingrid Arndt-Brauer (SPD) Dr. Daniel Volk (FDP) Bettina Kudla (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Fraktion der SPD: Eine gesetzliche Obergrenze für verbrauchergerechte Dispositionszinsen (Drucksache 17/10988) b) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Axel Troost, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Begrenzung der Zinssätze für Dispositions- und Überziehungskredite (Drucksache 17/10855) Dr. Carsten Sieling (SPD) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) Caren Lay (DIE LINKE) Dr. Erik Schweickert (FDP) Caren Lay (DIE LINKE) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mechthild Heil (CDU/CSU) Kerstin Tack (SPD) Tagesordnungspunkt 39: a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechtsstaatlichkeit in Russland (Drucksachen 17/7541, 17/9521) b) Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Agnes Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Modernisierung Russlands ohne Rechtsstaatlichkeit (Drucksache 17/11002) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktion der SPD: Gemeinsam die Modernisierung Russlands voranbringen – Rückschläge überwinden – Neue Impulse für die Partnerschaft setzen (Drucksache 17/11005) Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Frank Heinrich (CDU/CSU) Franz Thönnes (SPD) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Inhaltsverzeichnis 199. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet; nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie vor Eintritt in unsere Tagesordnung auf die Vereinbarung der Fraktionen aufmerksam machen, die Unterrichtung der Bundesregierung zum Beitragssatzgesetz 2013 auf der Drucksache 17/11059 dem federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie zur Mitberatung dem Haushaltsausschuss, dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu überweisen. Können Sie sich damit anfreunden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann können wir so verfahren. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 und 38 auf: 34 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags – Drucksachen 17/10976, 17/11011 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union 38 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2012 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2012) – Drucksache 17/10900 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu stelle ich keine Einwände fest. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Steffen Kampeter. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir treffen uns heute Morgen, nachdem in Brüssel weitere wichtige und aus deutscher Sicht erfreuliche Festlegungen für die europäische Integration getroffen worden sind. Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates aus der vergangenen Nacht machen deutlich, welch erfreuliche Fortschritte es gegeben hat für mehr Stabilität in Europa. Dies ist ein Erfolg für die Frau Bundeskanzlerin. Es ist ein Erfolg für Europa und damit ein Erfolg für uns alle, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was habt ihr denn gemacht?) Europa zeigt sich weiter handlungsfähig. Die Vereinbarungen zeigen allerdings auch, dass unser Wille zur Einigung nicht zulasten von Qualität geht. Insbesondere die Festlegungen zur Bankenunion machen deutlich, wie wichtig die Inkraftsetzung einer einheitlichen europäischen Aufsicht ist. Wir lassen uns da insoweit auch nicht in qualitativ schlechtere Lösungen drängen. Deswegen ist es erfreulich, dass die von uns vorgesehene Schrittfolge vom Europäischen Rat bestätigt worden ist. Das entspricht dem, was die Frau Bundeskanzlerin am vergangenen Donnerstag hier in ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht hat. Damit schlage ich eine Brücke zu einem Teil dessen, was wir heute in erster Lesung beraten. Es geht um die Umsetzung der europarechtlichen Regelungen, die wir in der Vergangenheit getroffen haben, in nationales Recht. Der Fiskalvertrag und die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts haben mehrere Dimensionen. Zum einen geht es um anständige Haushaltspolitik – dass man auf Dauer nicht mehr Geld ausgeben kann, als man hat –, zum anderen geht es darum, die nationalen Reformkompetenzen nicht nur in der Euro-Zone zu stärken und diese Reformkompetenzen mit dem Ziel von mehr Wettbewerbsorientierung fortzuentwickeln. Schließlich geht es darum, in abgestimmter europäischer Form einzugreifen, wo sich jemand an europäische Regeln nicht hält. Diese drei Dimensionen – anständige Haushaltspolitik und Stärkung der Reformkompetenz bei gleichzeitiger Kontrolle –, das ist das, wofür die Bundesregierung und die christlich-liberale Koalition angetreten sind. Um das national umzusetzen, haben wir diesen Gesetzentwurf heute eingebracht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die nationale Umsetzung des Fiskalvertrags macht deutlich, dass Bund und Länder in der Umsetzung dessen, was haushaltspolitisch geboten ist, zusammenarbeiten müssen. Das darf nicht zulasten einer einzelnen Ebene gehen. Gleichwohl weiß ich, dass starke Schultern mehr als schwächere Schultern tragen können. Föderalismus bedeutet in Deutschland auch Eigenverantwortung. Deswegen müssen die Haushaltsprobleme der Länder vordringlich von den Ländern selbst gelöst werden. Jeder kehre bitte vor seiner eigenen Tür. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Trotzdem ermöglichen wir mit dem hier vorgelegten Gesetzespaket, dass wir uns über diese Fragen abstimmen. Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass dies nicht die letzte Diskussion über die Bund-Länder-Finanzverfassung ist. In der nächsten Legislaturperiode wird das Thema Föderalismuskommission – unter welcher Überschrift auch immer – zweifelsohne eine größere Bedeutung haben. Wir Deutschen stehen bei der Umsetzung des Fiskalvertrages aber auch unter besonderer internationaler Beobachtung; denn wer von anderen viel einfordert, muss bei der Umsetzung der europäischen Regeln in nationales Recht außerordentlich vorbildlich handeln. Deswegen wollen wir unser geltendes Regelwerk um einen -Sicherungs- und Korrekturmechanismus auf gesamtstaatlicher Ebene ergänzen. Kern dieses Mechanismus ist, dass wir die nach den europäischen Regeln zulässige Obergrenze für das gesamtstaatliche strukturelle Defizit von einem halben Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes festschreiben, die Einhaltung dieser Grenze durch den Stabilitätsrat überwachen lassen und etwaige Sank-tionszahlungen innerstaatlich aufteilen. Insgesamt schaffen wir so ein finanzpolitisches Regelwerk in europäischem Geist. Ich will an dieser Stelle festhalten, dass Befürchtungen, dass Schuldenbremsen – seien sie national oder international initiiert – das Ende von gestaltender Politik sind, falsch sind. Das Gegenteil ist richtig: Nur wer darauf achtet, mit seinen Haushaltsmitteln auszukommen, ist von den Kapitalmärkten unabhängig, ist von steigenden Zinsen unabhängig. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes und der Fiskalvertrag auf europäischer Ebene sind die Rückgewinnung des Gestaltungsraumes für Politik. Deswegen ist die Schuldenbremse wichtig und eine notwendige Ergänzung, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, als man glaubte, nur mit Schulden Politik gestalten zu können. Konsolidierung ist ein Auftrag an Gestaltung, an Priorisierung, und deswegen auch im Sinne nachfolgender Generationen notwendig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie mich auf den zweiten Gesetzentwurf eingehen, den wir heute dem Deutschen Bundestag vorlegen; er hat mit dem Haushalt zu tun. Ich will nicht verhehlen, dass ich den Eindruck habe, dass die Vorlage dieses Nachtragshaushaltes dem einen oder anderen Landesvertreter es etwas leichter macht, dem Fiskalvertrag im Bundesrat zuzustimmen. Es geht um mehrere Dinge. Es geht zum einen um mehr Geld für die unter Dreijährigen-Betreuung. Kristina Schröder, die Bundesfamilienministerin, hat auf diesem Kompetenzfeld besondere Verdienste, weil sie nicht nur dafür eingetreten ist, dass sich der Bund auf diesem Feld engagiert. Vielmehr ermahnt sie auch kontinuierlich die Länder, ihre Verantwortung wahrzunehmen, die sie bei der unter Dreijährigen-Betreuung verfassungsrechtlich haben. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dies ist keine leichte Aufgabe. Vielmehr sollte man ihr gelegentlich ein bisschen mehr Respekt – statt der Unruhe der Opposition – entgegenbringen. Dies ist nämlich eine Investition in die Zukunft, die wir absichern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Sie wird im Einzelnen noch einmal darauf eingehen. Als Finanzpolitiker will ich auf eine Sache hinweisen: Es geht nicht – und das werden wir auch nicht durchgehen lassen –, dass die Länder kassieren, ohne in diesem Bereich zu investieren. Wie werden ganz genau hinsehen, ob die zusätzlichen Mittel auch dort eingesetzt werden, wofür sie gedacht sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die zweite Botschaft des Nachtragsetats ist: Wir halten Wort in Europa. Es ist auf dem letzten Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Juni beschlossen worden, dass wir die Europäische Investitionsbank mit mehr Eigenkapital ausstatten, damit sie mehr Möglichkeiten hat. Die Europäische Investitionsbank ist ein wichtiges Instrument unserer Wachstumsförderungsstrategie in Europa. Deswegen glaube ich, dass die 1,6 Milliarden Euro, die wir der EIB aus Deutschland bereitstellen, ein wichtiger Beitrag für mehr Wachstum und Beschäftigung in allen Ländern Europas und sicherlich auch ein Beitrag zur Linderung der Folgen der Krise in den sogenannten Peripherieländern sind. Deutschland steht zu seinem Wort. Wir übernehmen Führung bei der Einzahlung der Kapitalverstärkung der Europäischen Investitionsbank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Schließlich bleibt zu sagen: Der Hauptstadtflughafen ist sicherlich kein Glanzstück der Landespolitik von Berlin bzw. Brandenburg. Wir stehen aber auch zu unserer Verantwortung, wenn es schwierig wird. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat die Bundesregierung denn für eine Verantwortung? – Joachim Poß [SPD]: Was macht denn der Ramsauer im Aufsichtsrat?) Es ist für das Ansehen Deutschlands nicht sehr vorteilhaft, wenn der Eindruck erweckt wird, wir könnten keine Flughäfen mehr bauen. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Richtig!) Trotzdem macht es überhaupt keinen Sinn, jetzt in Klein-Klein zu verfallen und die notwendige Erneuerung des Hauptstadtflughafens weiter zu verzögern. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal Herrn Ramsauer! – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist peinlich für die Bundesregierung, die mit zwei Leuten im Aufsichtsrat sitzt!) Hier sagen wir: Für die notwendige Kapitalerhöhung, vorbehaltlich weiterer Beschlüsse in der Koalition, schaffen wir eine haushaltsrechtliche Voraussetzung. Selbst wenn uns der Wind einmal ins Gesicht bläst und andere nicht so gehandelt haben, wie man sich das gewünscht hätte, (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Kollege war es!) steht der Bund auch hier zu seiner Verantwortung. Deswegen ist die Entscheidung zum Flughafen Berlin-Brandenburg mit Zustimmung des Bundes zweifelsohne richtig. Nun könnte man sagen: Das sind nur drei Punkte, und schon wieder steigt die Nettokreditaufnahme. – Das ist falsch, liebe Freunde, meine sehr verehrten Damen und Herren. Richtig ist vielmehr, dass es uns durch die erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und das sehr stabile Zinsumfeld möglich wurde, (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind Krisengewinnler!) diese zusätzlichen Herausforderungen zu schultern. Das geschieht mit Minderausgaben an anderer Stelle, vor allen Dingen im Zinsbereich. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz spitz gerechnet!) Die europäische Solidarität, die Solidarität für die unter Dreijährigen und das Ermöglichen von Leistungen auf Landesebene führen eben nicht zu Mehrbelastungen oder zu Einschränkungen an anderer Stelle. Vielmehr ist die Haushaltspolitik von Wolfgang Schäuble solide. Wenn zusätzliche Leistungen einmal nötig sind, können wir sie auch erbringen. Das ist ein gutes Signal für Deutschland. Damit ist deutsche Haushaltspolitik sicherlich auch ein Maßstab für europäische Stabilität in Haushaltsangelegenheiten. Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Carsten Schneider das Wort. (Beifall bei der SPD) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beginnen möchte ich mit einer kurzen Erwiderung zum europäischen Gipfel gestern. Soweit ich es festgestellt habe, gab es gar keine Ergebnisse, außer der Ankündigung, dass der Termin, zum 1. Januar 2013 eine europäische Bankenaufsicht einzuführen, auch auf Druck der Bundesregierung verschoben worden ist. Warum ist das so? Darauf hat der französische Präsident gestern hingewiesen. Er sagte, in Deutschland stehe ein Wahltermin an. Warum ist dieser Wahltermin für Deutschland so wichtig? Es handelt sich um die Bundestagswahl, es stehen also wichtige Entscheidungen an. Was hat die Kanzlerin beim letzten Gipfel zugesagt? Sie hat zugesagt, dass es eine Direktkapitalisierung von europäischen Banken aus europäischen Steuermitteln geben soll. Die größten europäischen Banken werden sich dann, wenn sie Probleme haben, beim deutschen Steuerzahler bedienen können. Ich finde, das hätten Sie auch einmal sagen müssen. Diese Direktkapitalisierung lehnen wir strikt ab. (Beifall bei der SPD) Es war ein Fehler, Ende Juni diesen Beschluss zu fassen. Er bedeutet eine Aufhebung des Zusammenhangs von Risiko und Haftung und führt zu einem direkten Zugriff auf deutsches Steuerzahlergeld durch europäische Banken. Das wollen wir nicht. Wir wollen nicht, dass der Stabilitätsmechanismus, der eigentlich für Staaten gedacht ist, auf diese Weise zu einem Selbstbedienungsladen für Banken wird. Deswegen werden wir darauf bestehen, dass diese Entscheidung korrigiert wird. Ich komme jetzt zum Nachtragshaushalt. Ja, wir stimmen den einzelnen Maßnahmen zu, die hier geändert werden sollen. Nein, wir stimmen der hohen Kreditaufnahme nicht zu. Sehr verehrter Herr Kollege Kampeter, Sie haben nicht gesagt, dass die Zahl von 32 Milliarden Euro, die Sie jetzt als Kreditaufnahme veranschlagen, fast doppelt so hoch ist wie die Zahl, die 2011 veranschlagt wurde. Herr Kampeter, Sie haben auch nicht gesagt, dass Herr Schäuble in seiner Amtszeit 112 Milliarden Euro Schulden gemacht hat und die Aufnahme weiterer Schulden plant, wozu die Regierung Ja gesagt hat. Sie haben auch nicht gesagt, dass es bei den Zinsen Entlastungen in Höhe von über 20 Milliarden Euro gab. Dies ist kein Ausweis solider Finanzpolitik, das ist das Gegenteil. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die SPD hat in den Haushaltsberatungen 2012 Anträge eingebracht: zum Steuersubventionsabbau, zu Steuererhöhungen im Spitzenbereich, zu Ausgabenkürzungen, um die Kreditaufnahme um 7 Milliarden Euro zu senken. Sie haben alles abgelehnt. Im Rahmen der Beratungen zum Nachtragshaushalt werden wir nach Möglichkeiten suchen – und sie auch finden –, um die Kreditaufnahme auf ein erträglicheres Niveau zu senken. Wir wollen Ihnen zumindest verwehren, auf Kosten künftiger Generationen mit dem Geld so zu schludern, wie Sie es jetzt tun. Deswegen werden wir dem Nachtragshaushalt, so wie er jetzt vorliegt – mit einer hohen Kreditaufnahme –, nicht zustimmen. (Beifall bei der SPD) Zum Zweiten eine kurze Anmerkung zum Flughafen Berlin-Brandenburg. Die Entwicklung dort ist sicherlich kein Ruhmesblatt. Aber ich finde, zur Verantwortung des Bundes, den Sie vertreten, gehört es ja wohl dazu, darauf hinzuweisen, dass der Bund mit je einem Staatssekretär aus dem Finanzministerium und dem Verkehrsministerium ebenso im Aufsichtsrat vertreten war und ebenso nicht gehandelt hat oder die Fehler mit hingenommen hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Machen Sie sich da nicht vom Acker. Sie gehören genauso mit dazu. Drittens: Fiskalvertrag. Ja, hier geht es um eine wichtige Entscheidung für die Europäische Union, aber auch für uns hier in Deutschland. Der Fiskalvertrag – Sie haben darauf hingewiesen – setzt weitestgehend auf der deutschen Schuldenbremse auf; die Möglichkeit der strukturellen Verschuldung ist sogar noch höher als nach deutschem Recht. Das Einzige, was wir wirklich ändern müssen, ist der Korrekturmechanismus, der greift, wenn es innerhalb eines Jahres zu Veränderungen kommt oder die vorgegebenen Zahlen nicht eingehalten werden. Ich finde, man muss sich das ganz genau anschauen. In den vergangenen Jahren haben wir erlebt, dass der Bundestag bei den Entscheidungen, die er tagtäglich, manchmal auch über Nacht, zu treffen hat, etwa zur Bankenrettung und insbesondere zur Euro-Stabilisierung, zunehmend Getriebener ist. Oftmals war es so, dass wir sehr weitgehend von der Expertise der Bundesregierung, aber auch externem Sachverstand abhängig waren. Ich finde, dass es richtig ist, in Notsituationen zu entscheiden. Ich finde aber auch, dass man die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen muss. Eine dieser Konsequenzen kann nur sein, den Bundestag als Ort der Debatte und der Entscheidungen, für die wir alle im End-effekt geradestehen, institutionell so zu stärken, dass er diese Aufgabe wahrnehmen kann. Wenn ich mir einerseits das Gesetz anschaue und andererseits die Vorgabe der Europäischen Union zur Kenntnis nehme, ein unabhängiges Gremium einzurichten, das die Finanzpolitik begutachtet, evaluiert und letztendlich Bewertungen abgibt, dann komme ich zu dem Schluss: So wie Sie es bisher vorgeschlagen haben – ich vermute, es handelt sich um eine Einigung mit den Bundesländern –, ist es doch sehr stark auf die Exekutive orientiert und fixiert. Die Benennung der Mitglieder des unabhängigen Gremiums erfolgt durch die Bundesregierung und den Bundesrat. Letztendlich sind nur drei von neun Mitgliedern wirklich unabhängig, und sie berichten dem Bundestag im Zweifel gar nicht; wir haben auch gar keinen Einfluss darauf. Da aber die Finanzpolitik – Steuern, Verschuldung – Kernbereich der parlamentarischen Demokratie und unserer Entscheidungsbefugnisse ist, muss dieses Gremium mit seiner Kontrollmöglichkeit beim Bundestag eingerichtet werden, damit der Bundestag letztendlich darüber debattieren kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Otto Fricke [FDP]) Ich sage das wirklich vollkommen wertungsfrei. Denn es gibt unabhängig davon, wer gerade zur Regierung oder zur Opposition gehört – ich habe lange genug im Bundestag eine Regierung mitgetragen –, immer Debatten zwischen Opposition und Regierung. Hier geht es aber um eine Grundsatzentscheidung – wahrscheinlich für die nächsten 20 oder 30 Jahre – über die Frage, in welchem Verhältnis der Bundestag, das Parlament, zur Regierung steht und inwieweit er langfristig strukturell in der Lage ist, mit Expertise in die Debatten einzugreifen, die auf europäischer Ebene, in der Wissenschaft und insbesondere zwischen Bund und Ländern stattfinden. Ich finde, jetzt ist die Gelegenheit, eine solche Grundsatzentscheidung zu treffen. Deswegen hoffe ich, dass es uns allen gelingt, dort eine Veränderung vorzunehmen, um den Bundestag zu stärken, und zum Beispiel dem Vorschlag der SPD zu folgen, einen nationalen Rat für Finanzpolitik einzurichten, der es ermöglicht, dass wir auch in der Öffentlichkeit kritisch, aber konstruktiv über eine Finanzpolitik für Deutschland diskutieren, mit der es in Zukunft gelingt, wirklich glaubwürdig und solide hauszuhalten. In diesem Sinne: Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Florian Toncar ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Florian Toncar (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über die Umsetzung des Fiskalvertrags und damit über einen ganz entscheidenden Baustein unserer neuen europäischen Stabilitätsunion, eine der Antworten, die die Bundesregierung gemeinsam mit den europäischen Partnern auf die aktuelle Krise im Euro-Raum gegeben hat und die uns weiterführt, wenn sie jetzt konsequent umgesetzt wird. In Zukunft dürfen Staaten, die den Euro als Währung haben, und einige andere europäische Staaten nur noch Schulden im Umfang von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts machen. Sie müssen nach diesem Fiskalvertrag ihre Gesamtverschuldung kontrolliert auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts abbauen; man muss die Verschuldung also Schritt für Schritt reduzieren. Die europäischen Institutionen, die Kommission und der Gerichtshof, können besser durchsetzen, dass das eingehalten wird. Das ist ein ganz entscheidender Fortschritt gegenüber dem, was bisher gegolten hat. Ich will noch einmal daran erinnern, warum dieser Fiskalvertrag nötig wurde. Es gab beim Euro eigentlich von Anfang an Regeln, die besagt haben: Ihr dürft nicht so viele Schulden machen. – Wer beim Euro Mitglied werden wollte, der durfte höchstens 60 Prozent Verschuldung haben und durfte nicht mehr als 3 Prozent neue Schulden pro Jahr machen. Das Problem ist nur, dass diese Regeln nicht eingehalten worden sind, weil sie von SPD und Grünen gemeinsam mit Frankreich im Jahr 2004 politisch ausgehebelt wurden. Die Regeln, die Sie damals ramponiert haben, stellen wir mit dem Fiskalvertrag wieder her. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Legendenbildung!) Ich finde es übrigens auch ganz interessant, dass man von Sozialdemokraten und Grünen nie etwas dazu hört, was sie 2004 gemacht haben. (Joachim Poß [SPD]: Was? Ständig haben wir was dazu gesagt!) – Sie können gleich etwas dazu sagen, Kollege Poß. Eigentlich müssten Sie, da Sie sehen, was mit der Europäischen Währungsunion passiert ist, nachdem Sie die Regeln deformiert haben, ziemlich demütig sein (Patrick Döring [FDP]: Schämen Sie sich!) und sich bei den Bürgern in Deutschland dafür entschuldigen, was Sie im Jahr 2004 angerichtet haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Was hat denn Waigel vorher gemacht?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Toncar, darf Ihnen der Kollege Poß eine Zwischenfrage stellen? Florian Toncar (FDP): Bitte schön. Joachim Poß (SPD): Lieber Herr Kollege, wollen Sie mit diesen Ausführungen bestreiten, dass erst durch die Änderung des Vertrages die Möglichkeiten eröffnet wurden, die CDU/CSU und SPD zur Zeit der Großen Koalition genutzt haben, um das Konzept der Schuldenbremse umzusetzen und die Philosophie des Stabilitäts- und Wachstumspaktes aufzugreifen, und erst dadurch die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, dass wir in der Krise gemeinschaftlich erfolgreich arbeiten konnten, indem wir zwei Krisenpakete mit 80 Milliarden Euro verabschiedet haben? Ohne die vertraglichen Änderungen hätten wir diese Möglichkeiten nicht gehabt. Wollen Sie das mit Ihren Ausführungen bestreiten? Oder haben Sie das nicht mitbekommen? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich muss schon feststellen, dass der ehemalige Koalitionspartner – bis hin zur Kanzlerin – sein Gedächtnis in dieser Frage total verloren hat, aber Sie haben es doch auch aufmerksam verfolgt. Florian Toncar (FDP): Kollege Poß, ich bin Ihnen zunächst einmal dankbar, dass Sie sich auf die Diskussion einlassen. (Joachim Poß [SPD]: Wir haben uns öfters dazu geäußert!) – Gut. In Ordnung. – Sie sagten gerade allerdings, dass der Bruch der Regeln, das Deformieren der Regeln 2004 – das haben Sie politisch zu verantworten – dazu geführt haben, dass man 2009 Probleme lösen konnte, Probleme, die man ohne den Bruch dieser Regeln nicht oder nicht in dieser Form gehabt hätte. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das ist eine ganz bemerkenswerte Argumentation. (Joachim Poß [SPD]: Das ist auch totaler Quatsch, weil die Schuldenbremse ja auch von Ihnen gewollt war!) – Ich hatte das Gefühl, die SPD-Fraktion ist eben schon einmal zu Wort gekommen, und sie wird im Laufe dieser Debatte sicherlich noch einmal zu Wort kommen. Was der Fiskalvertrag jedenfalls beinhaltet, ist, dass Europa gemeinsam voranschreitet und sagt: Unser Wohlstand, unser Wirtschaftswachstum dürfen nicht durch Neuverschuldung erkauft werden. Wohlstand muss erarbeitet werden und darf nicht über Neuverschuldung generiert werden. Es ist für Regierungen zwar manchmal verführerisch, Schulden zu machen, (Bettina Hagedorn [SPD]: Warum machen Sie jetzt in der guten Zeit so viele Schulden?) aber wir werden mit dem Fiskalvertrag diesem Konzept von Wirtschaftswachstum und Wohlstand, dem Sie ja offenkundig auch noch anhängen, eine Absage erteilen. Das wird es in Europa in Zukunft nicht mehr geben. Wir werden im Zuge der Umsetzung des Fiskalvertrags auch die aktuellen politischen Themen noch einmal aufgreifen und wollen die heutige Debatte nutzen, um die politische Schwerpunktsetzung der Bundesregierung auf Bildung zu unterstreichen. Sie wissen, in vier Jahren investieren wir trotz Haushaltskonsolidierung und ohne dafür zusätzliche Schulden zu machen 12 Milliarden Euro in alle möglichen Bereiche von Bildung und Forschung. Dieser Verantwortung kommen wir auch heute nach, indem wir weitere 580 Millionen Euro in den Ausbau der Kinderbetreuung investieren. Für uns ist es eine wichtige Investition, weil es Bildungseinrichtungen sind, in denen Kinder eine gute Zukunft haben sollen, und wir bekennen uns als Bund dazu, dass wir hier in der Verantwortung stehen. Wir wissen aber auch, dass sich die Länder, die ursprünglich beim Ausbau der Kinderbetreuung mitgemacht haben, dieses Mal finanziell nicht beteiligen. Auch das muss man einmal hervorheben: Diese Aufstockung nimmt der Bund ganz alleine vor. Das muss man einmal betonen, weil – so finde ich – es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Bund, Länder und Kommunen sollten eigentlich gemeinsam für eine gute Kinderbetreuung sorgen. Wie gesagt, wir beschließen diese Aufstockung heute alleine, weil wir meinen, dass es gut und richtig ist, etwas für die Kinder zu tun. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Im Übrigen werden wir im Zuge der Umsetzung des Fiskalvertrags auch das Haushaltsrecht in Deutschland ändern. Was den Bund angeht, werden wir die Regeln im Haushaltsrecht des Bundes festschreiben. So viel ändert sich nicht, da wir die Schuldenbremse bereits haben. Die Größenordnungen sind ähnlich. Es mag kleinere statistische Unterschiede geben. Im Grunde geht es um die Botschaft der Schuldenbremse, die jetzt im Haushaltsgrundsätzegesetz festgeschrieben wird. Aber wir werden uns natürlich auch darüber unterhalten müssen, wie wir in unserem föderalistischen System mit unterschiedlichen Haushaltspolitiken in den Ländern umgehen, wenn wir als Gesamtstaat eine solche Obergrenze haben, wenn wir uns als Gesamtstaat verpflichten, nicht mehr als 0,5 Prozent neue Schulden zu machen. In diesem Zusammenhang muss ich sagen: Die Haushaltspolitiken der Bundesländer liegen sehr weit auseinander. Bayern beispielsweise gelingt ein Schuldenabbau. Bayern tilgt seine Altschulden. Es hat einen Haushaltsüberschuss erwirtschaftet, während andere Bundesländer das nicht hinbekommen. In meinem Bundesland, Baden-Württemberg (Otto Fricke [FDP]: Ein Trauerspiel!) – ein Vertreter dieses Landes wird in der heutigen Debatte zu Wort kommen –, wurde ein besenreiner Haushalt übernommen: ohne Neuverschuldung. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Bis zum Jahr 2020 werden aber 6 bis 8 Milliarden Euro zusätzliche Schulden gemacht, die bisher nicht eingeplant waren. Ich glaube, daran kann man erkennen, dass es einen Unterschied macht, ob man eine bürgerliche Koalition hat oder Rot-Grün in den Ländern regiert und dabei die Konsolidierungserfolge, die es gegeben hat, wieder zurückdreht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Herr Mappus hat es richtig gut gemacht! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war richtige bürgerliche Tugend von Mappus bei EnBW!) Um klar zu sagen, was wir hier im Bund machen: Wir werden die Zielmarke der Schuldenbremse, die 2016 für uns rechtlich verbindlich ist, nach der derzeitigen Planung mit dem Haushalt 2013 erreichen, also drei Jahre früher, als wir das müssten. Das ist ein Erfolg. Wer vor drei Jahren darauf hätte wetten wollen, hätte nicht viele gefunden, die eingeschlagen hätten. Wir sind wesentlich schneller vorangekommen, weil wir zusätzliche Einnahmen nicht gleich für zusätzliche Ausgaben genutzt haben, sondern die Höhe der Ausgaben in den letzten zweieinhalb Jahren konstant gehalten haben. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja, weil die Zinsen um 20 Milliarden niedriger sind!) Das hat dazu geführt, dass die Neuverschuldung immer weiter gesunken ist. Ich will das vergleichen mit dem, was in den Jahren 2005 bis 2008 passiert ist, also – ich sage das ausdrücklich – in der Zeit vor der Lehman-Pleite, bevor die Krise ausgebrochen ist, also in den guten Jahren: In dieser Zeit sind die Ausgaben des Bundes um knapp 30 Milliarden Euro gestiegen. Die Bedingungen waren damals ähnlich wie heute. Trotz sinkender Arbeitslosenquote und guter Wachstumszahlen haben Sie es nicht geschafft, die Ausgaben im Griff zu behalten. Die Ausgaben sind damals in nur drei Jahren um über 10 Prozent gestiegen – unter der Verantwortung von Finanzminister Steinbrück, der uns heute erklärt, wie es besser gehen könnte. Wenn man Herrn Steinbrück an seinen Taten misst, dann muss man sagen: Er hat relativ wenig vorgelegt, was ihn berechtigt, heute hart über andere zu urteilen, die sich in dieser Krise in der Haushaltspolitik ziemlich gut schlagen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Antje Tillmann [CDU/CSU]: Richtig!) Wir werden alles tun, damit Deutschland diesen Konsolidierungskurs fortsetzen kann, damit der Bund weiterhin so gute Haushaltszahlen vorlegen kann wie zurzeit. (Bettina Hagedorn [SPD]: Welcher Konsolidierungskurs? Wovon reden Sie eigentlich?) Die Zahlen lügen, glaube ich, nicht. Sie sind sehr erfreulich. Daran werden wir weiter arbeiten. Das heutige Gesetz ist ein erster Schritt. Weitere werden in den nächsten Wochen folgen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Poß erhält nun die Möglichkeit zu einer Kurzintervention. Joachim Poß (SPD): Kollege Toncar, um Ihrer Aufforderung nachzukommen, will ich zum wiederholten Male – das haben schon der Kollege Carsten Schneider, die Kollegin Barbara Hendricks und andere mehrfach gemacht – auf die Geschichte des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu sprechen kommen und meine Verwunderung darüber ausdrücken, dass Sie, der Sie als Einziger der FDP-Fraktion, als es um die Schuldenbremse ging, eine gewisse Kompetenz gezeigt haben, jetzt Ihre eigene Kompetenz mit diesem Beitrag verleugnen. Sie haben als Einziger das Konzept der Schuldenbremse akzeptiert, das die Veränderung abbildet, die wir im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts 2005 vorgenommen haben. Darin besteht die Änderung der Philosophie: In guten Zeiten vorsorgen, um in schwierigen Zeiten besser handeln zu können. Wir wollten nicht eine starre 3-Prozent-Grenze haben, die ja auch von anderen Staaten missverstanden wurde – ich erinnere auch an die Diskussion über die 3,0 Prozent, die insbesondere in der Union Ende der 90er-Jahre geführt wurde – in dem Sinne: Dann müssen wir auch 3 Prozent ausnutzen. – Nein, seit der Veränderung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes haben wir viel bessere finanzpolitische Handlungsmöglichkeiten, um mit Krisen umzugehen. Alles andere ist parteipolitische Feindbildpflege, angefangen bei der Kanzlerin, die leugnet, dass wir an dieser Stelle eine qualitative Verbesserung bekommen haben, die nicht versteht, dass es nicht um Aufweichung geht, sondern um bessere Handhabung, gerade in einer Zeit, in der wir in Europa Krisen bestehen müssen. (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: So ein Gequatsche! – Gegenruf des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: So ist das, Klaus-Peter!) Florian Toncar (FDP): Herr Kollege Poß, ich bin dankbar, dass Sie noch einmal klargemacht haben, dass Sie eigentlich keine großen Schwierigkeiten mit dem haben, was Sie 2004 begonnen haben. Sie glauben, dass das ein Problem löst. Ich bestreite, dass das Schuldenmachen in Europa irgendein Problem löst. Dadurch wurde das Problem von heute geschaffen; es ist überhaupt erst dadurch entstanden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das ist so was von idiotisch, was Sie gerade sagen!) Sie haben die Schuldenbremse angesprochen. Sie wissen so gut wie ich, dass sich meine Fraktion in der Föderalismuskommission für ein vollständiges Verschuldungsverbot ausgesprochen hat. Wir haben damals darüber diskutiert, ob man zustimmen soll, obwohl uns auch 0,35 Prozent zu viel sind, oder nicht. Das sozusagen umzudrehen und zu sagen, die Fraktion sei damals gegen die Schuldenbremse gewesen, ist verwegen; das wissen Sie auch. Ich selber habe mich anders entschieden. Ich habe damals gesagt: besser 0,35 Prozent als die alten Regeln. Aber es ist trotz allem falsch und auch nicht redlich, daraus, dass sich alle anderen damals enthalten haben – es gab übrigens in Ihrer Fraktion haufenweise Neinstimmen und Enthaltungen, obwohl Sie damals mitregiert haben; auch das will ich einmal erwähnen –, den Schluss zu ziehen, dass die anderen etwas für die Verschuldung übrighätten. Ganz im Gegenteil: Denen waren Ihre Regeln nicht streng genug. (Joachim Poß [SPD]: Oh!) Ich bin übrigens jederzeit dafür zu haben, die Schuldenregel im Grundgesetz weiter zu verschärfen. Das ist meine ganz persönliche Meinung, aber, ich glaube, auch die Meinung der Mehrheit meiner Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält das Wort der Kollege Steffen Bockhahn für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Steffen Bockhahn (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein bisschen abenteuerlich, was man hier hört. Ich lerne gerade von der FDP, dass Schulden grundsätzlich schlecht sind. Ich habe aber einmal gelernt, dass eine gesunde Volkswirtschaft ohne Schulden gar nicht auskommt. Die FDP sollte sich einigen, was sie machen will. Es gibt Situationen, in denen Schulden sogar sehr sinnvoll sind. Da braucht man sie. Auch das gehört zur Wahrheit. (Otto Fricke [FDP]: Das eine ist Staat, das -andere privat!) Nächster Punkt. Ich kenne mich mit der Landespolitik in Baden-Württemberg nicht besonders gut aus; es ist auch sehr weit weg von Mecklenburg-Vorpommern, dem bekanntlich schöneren Bundesland, dem schönsten der Welt. Sie sprachen von einem besenreinen Haushalt in Baden-Württemberg. Ich glaube, Herr Toncar, Sie haben vergessen, dass Ihr Sportsfreund Mappus dort eine kleine Hypothek hinterlassen hat, die jetzt zu tilgen ist. Das mag nur eines der Probleme sein. Aber dass Sie sich dort redlich verhalten hätten, ist nicht die ganze Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde die Entwicklung gerade hochgradig spannend. Die FDP, die Union, die Grünen und die SPD wollten den Fiskalpakt, und jetzt sind sie sich plötzlich nicht mehr einig, wer mit dem Spielzeug spielen darf. Das ist mein Eindruck. Letztlich haben Sie alle zusammen zugestimmt, dass die gesamtstaatliche Neuverschuldung nur noch 0,5 Prozent betragen darf. Das fanden Sie alle richtig. Wir haben nicht zugestimmt, weil wir, wie ich vorhin sagte, glauben, dass man sich – im gesamtstaatlichen und im volkswirtschaftlichen Interesse – auch andere Regelungen erlauben muss. Das maximale staatliche Defizit darf 0,5 Prozent aller in ganz Deutschland erzeugten Waren und Dienstleistungen betragen. Anders als bei der Schuldenbremse geht es hier jetzt nicht nur um Bund und Länder, sondern auch um die Kommunen und die Sozialkassen. Von diesen 0,5 Prozent fallen immerhin 0,35 Prozent auf den Bund. Damit bleiben 0,15 Prozent mögliche Schulden für Länder und Kommunen übrig. Das ist, mit Verlaub, eine völlig unrealistische Einschätzung der gegenwärtigen -Finanzlage der Kommunen und ihrer Perspektiven. (Beifall bei der LINKEN) Das ist übrigens auch kein Zufall; denn der Bund macht sich zulasten der Kommunen immer wieder einen schlanken Fuß. Ich will Ihnen ein schönes Beispiel nennen: die Entwicklung der Sozialausgaben, die bei den Kommunen anfallen. Die Zahlen nenne ich Ihnen gleich. Sie sind nicht von mir, sondern vom Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern. Ich habe sie dem jüngst vorgestellten Kommunalfinanzbericht entnommen. Sie zeigen die Entwicklung der Sozialausgaben allein in den Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern; dieses Bundesland hat bekanntlich nicht so viele Einwohner. 2001 hatten alle Städte und Gemeinden im Land Sozialausgaben in Höhe von insgesamt 600 Millionen Euro. Dann gab es die von Ihnen allen für richtig befundene Umstellung der Sozialleistungen, auch Hartz-IV-Reform genannt. Heute, zehn Jahre später, liegt die Belastung pro Jahr bei fast 1,2 Milliarden Euro. (Bettina Hagedorn [SPD]: Da ist aber die Grundsicherung mit drin!) Das heißt, für die Kommunen hat sich die Last der Sozialausgaben binnen zehn Jahren verdoppelt. Die Einnahmen der Kommunen haben sich in diesen zehn Jahren alles andere als verdoppelt. Das wissen Sie. Wer darauf keine Rücksicht nimmt, geht sträflich mit den Kommunen im Land und damit mit der Wiege der Demokratie in der Bundesrepublik um. Da erlebt man immer wieder, was Sozialabbau bedeutet. (Beifall bei der LINKEN) Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Arbeitslosen nach der offiziellen Lesart gesunken. Das heißt, eigentlich hätte alles viel besser werden müssen. Die Kommunen bekommen von den Ländern stetig weniger Geld, weniger Zuweisungen und können ihre Pflichtaufgaben selbst bei steigender Neuverschuldung kaum noch erfüllen. Der Fiskalpakt wird diese Entwicklung weiter verschärfen. Im Ergebnis können die Kommunen dann kaum noch investieren. Dabei sind sie schon heute eine der stärksten Stützen der Wirtschaft. Die Kommunen sind die Investoren in der Bundesrepublik Deutschland. Wer ihre Finanzkraft schwächt, schadet der Wirtschaft insgesamt. Zusammengenommen führt genau das in eine Abwärtsspirale. Hinzu kommt, dass notwendige Aufgaben nicht mehr erledigt und „weggekürzt“ werden. Ich darf Ihnen ein kleines feines Beispiel dafür nennen. In einer Gemeinde in der Nähe von Rostock gibt es einen Jugendklub, der keine Miete bezahlen muss, weil die Gemeinde eine Immobilie zur Verfügung gestellt hat. Das ist schon mal eine gute Sache. Für die Jugendlichen dieser Gemeinde werden pro Jahr genau 1 000 Euro Sachmittel zur Verfügung gestellt. Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich damit auskennt; aber 1 000 Euro Sachmittel für einen Jugendklub in einer Gemeinde für ein ganzes Jahr – das kann ich Ihnen verraten – sind zu wenig. (Beifall bei der LINKEN) Die Kommune kann aber gar nicht mehr leisten. Das Problem besteht darin, dass im Umfeld dieser Gemeinde schon längst fleißig braune Ökologen arbeiten und Dinge betreiben, die wir als Demokratinnen und Demokraten alles andere als richtig finden können. Der Fiskalpakt führt dazu, dass es einen weiteren Rückzug öffentlicher Institutionen und damit einen weiteren Vertrauensverlust geben muss. Die Länder haben dieses Ungemach zweifelsfrei geahnt, wenngleich sie natürlich selten frei von Eigeninte-ressen sind. Die Schwierigkeit besteht darin, dass Sie in Ihrer Haushaltsbetrachtung ausschließlich einer ausgabenorientierten Denkweise folgen. Das allerdings vernachlässigt, dass man gelegentlich auch Notwendiges -finanzieren muss und dabei nicht zuerst an die Ausgaben, sondern an die Notwendigkeiten denken muss. Wenn man Defizite begrenzen will, wofür ausdrücklich auch die Linke ist, (Zuruf von der FDP: Ha! Ha!) dann muss man sich Gedanken darüber machen, dass die Einnahmen stimmen. Insoweit will ich Ihnen nur einige Möglichkeiten nennen: die Vermögensteuer, den Spitzensteuersatz, den Körperschaftsteuersatz, das Ehegattensplitting, die Finanztransaktionsteuer, die Reduzierung der Subvention für energieintensive Unternehmen. Es gibt so viele Möglichkeiten, die Sie liegen lassen. Sie verzichten freiwillig auf Einnahmen und beschweren sich dann, dass Sie kein Geld haben. (Beifall bei der LINKEN) Dieser Nachtragshaushalt ist ein Offenbarungseid von schlechter Haushaltspolitik und Planlosigkeit. (Otto Fricke [FDP]: Welcher Teil denn? EIB?) Das kann ich Ihnen so knallhart sagen. Die Zustimmung zum Fiskalpakt haben Sie sich von den Ländern teuer erkauft. Sie haben sie sich ausschließlich erkauft; Sie haben sie nicht bekommen. Das war keine Sternstunde der Demokratie. Das war kein Vorbild für Haushaltspolitik, die transparent und ehrlich ist. Was empfinden Sie denn dabei, meine Damen und Herren, wenn sämtliche Zeitungen, egal ob der linken oder der rechten Ecke zugehörig, schreiben, dass die Verhandlungen über den Fiskalpakt schlicht und ergreifend ein Feilschen auf dem Basar waren? Das war keine vernünftige Haushaltspolitik. Es ging nur um die Frage: Wie viel müssen wir zahlen, damit die Länder endlich doch zustimmen, obwohl sie wissen, dass es ihnen schaden wird? Dieser Nachtragshaushalt braucht keine neuen Kredite – das stimmt –, und ja, die Kindertagesstätten sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dann frage ich mich aber, warum nach wie vor etwa zwei Drittel der Kosten für einen Kitaplatz bei den Eltern und bei der Kommune hängen bleiben. Wo ist denn da die gesamtgesellschaftliche Beteiligung? Da besteht erheblicher Nachholbedarf. Da ist es jetzt nicht mit den 580 Millionen Euro getan. Das, was Sie hier machen, zeigt nicht etwa, dass Sie gut gewirtschaftet haben, wenn Sie nicht zusätzliche Schulden brauchen – 32 Milliarden Euro sollen es in diesem Jahr werden –, sondern schlicht und ergreifend, dass viel Luft im Budget war, die Sie jetzt rauslassen. Gute Haushaltspolitik hätte darauf anders reagiert. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält die Kollegin Priska Hinz nun das Wort. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Toncar, es ist schon reichlich vergnüglich, wenn Sie hier so tun, als mache Deutschland eine hervorragende Sparpolitik, an der sich Europa ein Beispiel nehmen soll. (Otto Fricke [FDP]: Das sagen aber alle -Europäer!) Uns liegt heute ein zweiter Nachtragshaushalt vor, der neue Schulden in Höhe von 32 Milliarden Euro festlegt. (Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär: Unsinn! – Otto Fricke [FDP]: Nein! Das stimmt doch nicht! Es sind gar nicht 32 Milliarden Euro neue Schulden!) – Es sind 32 Milliarden Euro neue Schulden, 32 Milliarden Euro, die in diesem Jahr aufgenommen werden sollen – natürlich! –, obwohl wir sprudelnde Einnahmen, obwohl wir historisch geringe Zinsausgaben haben. Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Das sind 32 Milliarden Euro zu viel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Was die Erhöhung des Kapitals der EIB, die mit dem Nachtragshaushalt finanziert werden soll, betrifft – diesen Aspekt haben übrigens wir in den Verhandlungen durchgesetzt –, muss man feststellen: Das war, auch wenn dafür nun Mittel zur Verfügung gestellt werden, nicht das Glanzstück der FDP, (Bettina Hagedorn [SPD]: Oh ja! Das kann man wohl sagen!) um das einmal deutlich zu sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Aber dann brauchen Sie doch nicht über die Verschuldung zu jammern! Das passt doch nicht zusammen! Mamma Mia!) – Doch. Wir wollen, dass das finanziert wird. (Otto Fricke [FDP]: Aha! Jetzt wird es -interessant!) An anderen Stellen könnte man im Haushalt allerdings tatsächlich einsparen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Aber was machen Sie? Sie rechnen mit spitzem Bleistift und kommen zu dem Ergebnis, dass in diesem Jahr geringere Zinsausgaben anfallen werden. Damit wollen Sie, sozusagen in Klammern, sagen: Deutschland geht als Gewinner aus der europäischen Krise hervor. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Erstaunlicherweise sind es 2,2 Milliarden Euro, die wir weniger für Zinsen ausgeben müssen. Das ist genau der Betrag, den wir brauchen, um den zweiten Nachtrag zu finanzieren. Liebe Leute, für so blöd werden Sie uns doch wohl nicht halten, (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Doch!) dass wir Ihnen glauben, was Sie uns da vorlegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Natürlich ist der Nachtragshaushalt, wenn man die getroffene Vereinbarung umsetzen will, richtig. (Otto Fricke [FDP]: Aha! Das ist jetzt wichtig! Und weiter?) Aber schon beim ersten Nachtrag hat Kollege Barthle behauptet, dass die Einzahlungen in den ESM-Kapitalstock nicht zu einer Erhöhung der Nettokreditaufnahme führen werden. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Nein! Das habe ich nie behauptet! Es ging um die strukturelle Verschuldung!) Am Ende kam es doch zu einer Erhöhung. In Anbetracht der geringeren Zinsausgaben soll der Deckel dieses Mal aber gleich bleiben. Ich will deutlich machen, was wir im Rahmen der Vereinbarungen zum Fiskalvertrag erreicht haben – das sage ich auch in Richtung der Linken –: Wir Grünen haben erreicht, dass die Regierungspolitik eine Wende nehmen musste. (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Wohin denn?) Wir haben erreicht, dass Investitionen in Krisenländern zu einem zweiten Standbein geworden sind. Wir können die Staaten nicht aus der Krise „heraussparen“. Vielmehr müssen auch zielgerichtete Investitionen erfolgen, zum Beispiel in die Netzinfrastruktur, egal ob in den öffentlichen Verkehr, die Mediengestaltung oder in erneuerbare Energien. Das ist der Punkt, den wir Grünen durchgesetzt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Große Klasse! – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Na ja! Ganz so war es ja nun nicht! Da gehören immer noch zwei zu! Das haben wir ja wohl zusammen gemacht! – Bettina Hagedorn [SPD]: Das waren wir zusammen!) – Ich rede hier für meine Fraktion. Da manch ein Kanzlerkandidat immer wieder gerne darauf hinweist, was die SPD-Fraktion durchgesetzt hat, (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja, ja! Das haben wir trotzdem zusammen gemacht!) werde ich heute erklären, was die Grünen durchgesetzt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben nicht nur Investitionen, sondern auch die Finanztransaktionsteuer durchgesetzt. Wir sind froh, dass wir den Widerstand der FDP endlich überwinden konnten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Durchgesetzt habt ihr schon mal gar nichts!) Damit konnten wir dem Finanzminister an dieser Stelle den Rücken stärken. Wir hoffen, dass elf Mitgliedstaaten der Europäischen Union diesen Weg bald tatsächlich gehen und eine Finanztransaktionsteuer einführen werden. Wir wissen aber: Es liegt noch ein langer Weg vor uns. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, genau!) Ich möchte einen Punkt aufgreifen, den Kollege Schneider angesprochen hat: das unabhängige Kontrollgremium. Ich finde, das, was dazu im Ausführungsgesetz steht, ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Um die Unabhängigkeit eines solchen Gremiums sicherzustellen, müsste man erstens gewährleisten, dass es keine Veranstaltung nur der Exekutive ist, und zweitens, dass es möglichst frei von politischer Einflussnahme ist, was die Entstehung seiner Prognosen und Empfehlungen im Hinblick auf den Abbau der Schulden in den Bundesländern und im Bund angeht. Vor diesem Hintergrund halte ich es für erforderlich, dass wir in den weiteren Beratungen noch einmal darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll und notwendig ist, hier Veränderungen vorzunehmen. Ich komme zum Schluss. Als letzten Punkt möchte ich darauf hinweisen: Wir haben ja erfahren, dass heute ein guter Tag für Europa ist, weil sich die Kanzlerin auf dem EU-Gipfel durchgesetzt hat. (Heiterkeit des Abg. Carsten Schneider -[Erfurt] [SPD]) Es ist sicher insofern ein guter Tag, als sich die Kanzlerin nicht durchgesetzt hat, als es um den Vorschlag des Finanzministers ging, einen Währungskommissar einzusetzen, der unabhängig vom Europäischen Parlament in nationale Haushalte eingreifen darf. Es ist sicher auch insofern ein guter Tag, als deutlich wurde, dass es keinen Euro-Zonen-Haushalt geben wird, über den das Europäische Parlament keine Kontrolle hat. Ich muss aber sagen, dass wir die Regierung in Bezug auf die Bankenunion weiterhin treiben werden, vor allen Dingen dahin, dass es nicht nur eine gemeinsame Bankenaufsicht, sondern auch einen gemeinsamen Bankenrestrukturierungsfonds gibt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir zittern!) Der ist nämlich gleichzeitig notwendig, damit die -Steuerzahler nicht dafür zahlen, wenn Banken in die Krise geraten sind und ihre Geschäftsmodelle ändern oder sogar abgewickelt werden müssen. Insofern ist das heute nur ein weiterer Mosaikstein auf dem Weg aus der Krise heraus, aber ein richtiger Mosaikstein, und wir werden beraten, wie wir diesen Mosaikstein in unserem Sinne weiter zurechtfeilen können. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Diese Beratungen werden nun durch den Kollegen Norbert Barthle von der CDU/CSU-Fraktion fortgesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Norbert Barthle (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einige Worte zur im Nachtragsetat veranschlagten Verschuldung sagen. Liebe Frau Kollegin Priska Hinz, Sie wissen ganz genau, dass sich diese 32 Milliarden Euro strukturell um über 10 Milliarden Euro reduzieren, wenn wir die Zahlungen an den ESM, 8,7 Milliarden Euro, und die Zahlungen an die EIB, 1,6 Milliarden Euro, abziehen. Wenn wir dann auch noch die 1 Milliarde Euro abziehen, die von der Bank hier links von mir erpresst wurde, sieht die Zahl schon ganz anders aus. Das zu sagen, gehört auch zur Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bei der Einbringungsrede hat der Kollege Fricke nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, dass das größte Risiko für den Bundeshaushalt auf dieser Seite des Plenums sitzt, auf der Bundesratsbank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!) So viel zum Thema Neuverschuldung. Ohne diese Beträge lägen die neuen Schulden in einer Größenordnung von etwa 21 Milliarden Euro. Wir halten den Pfad der jährlich sinkenden Nettokreditaufnahmen ein. Im kommenden Jahr wird sie bei 18 Milliarden Euro liegen. Ich darf daran erinnern, dass uns der Kanzlerkandidat der SPD mit 86 Milliarden Euro zusätzlichen Schulden die größte Neuverschuldung der Geschichte der Republik hinterlassen hat. Auch das muss wieder einmal gesagt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Scheinheiligkeit! – Weitere Zurufe von der SPD) Kommen wir zu den Gesetzentwürfen, die heute beraten werden. Staatssekretär Steffen Kampeter hat ausführlich dargelegt, was heute rechtlich zur Debatte steht. Da die Haushalts- und Finanzpolitik sehr viel mit Glaubwürdigkeit zu tun hat, will ich aber nicht über die rechtlichen Inhalte, sondern über die Umsetzung dessen reden, was der Fiskalvertrag vorsieht; denn hier lohnt ein Blick sowohl auf den Bund als auch auf die Länder. Vielleicht zunächst einmal zum Bund: Wir setzen die Schuldenbremse nicht nur Buchstabe für Buchstabe um – wir haben rechtlich schon alles erledigt, was notwendig ist –, sondern wir unterschreiten die Grenze der maximal möglichen Nettokreditaufnahme Jahr für Jahr deutlich. Das Ziel der Schuldenbremse, das 2016 erreicht werden soll, erreichen wir bereits drei Jahre früher; Kollege Toncar hat darauf hingewiesen. Das ist der Erfolg dieser Koalition aus CDU/CSU und FDP. Wir sind besser und schneller, als es uns das Grundgesetz vorgibt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist ja ganz toll!) Da sich der Fiskalvertrag aber auf die gesamtstaatliche Verschuldung bezieht und auch die Länder einbezieht, ist es schon lohnend, sich auch einmal die Situation in den Ländern anzuschauen, und zwar vor dem Hintergrund, dass die Haushaltssituation im Bund viel gravierender ist als in den Ländern. Die durchschnittliche Pro-Kopf-Verschuldung ist im Bund höher als in den Ländern. Dennoch hat der Bund die Länder für die Jahre 2010 bis 2016 um mindestens 55 Milliarden Euro entlastet: durch die Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und der Kosten aus dem Hochschulpakt 2020 sowie durch etliche Steuergesetze, die wir in den letzten Jahren gemacht haben. Die Länder werden immer wieder durch den Bund entlastet. Wie sieht die Schuldenbremse bezogen auf die Länder aus? Die Länder müssen sich seit 2011 so aufstellen, dass sie ab dem Jahre 2020 keine neuen Kredite mehr aufnehmen müssen. (Otto Fricke [FDP]: Müssten!) Wer sich dies bis 2019 auf Wiedervorlage legt, der läuft Gefahr, dass er dieses Ziel nicht erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb ist es notwendig, dass die Länder die Schuldenbremse in ihre Landesverfassungen übernehmen. Einige Länder haben das getan: Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Rheinland-Pfalz. Andere Länder wiederum haben Änderungen in ihrer jeweiligen Landeshaushaltsordnung vorgenommen. Das hat allerdings eine deutlich schwächere Bindewirkung; denn das kann mit einfacher parlamentarischer Mehrheit jederzeit umgangen und wieder aufgehoben werden. Ein Teil der Länder hat bisher noch gar keine Maßnahmen ergriffen. Die Höflichkeit gebietet es, dass ich die Sünder nicht namentlich nenne. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch, bitte!) Ich nenne nur ein Land, leider mein Heimatland, (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Baden-Württemberg. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Unglaublich!) Dort ist es noch schlimmer. Die grün-rot geführte Landesregierung hat die Landeshaushaltsordnung verändert, um damit die Möglichkeit zu schaffen, in den -kommenden Jahren fast 7 Milliarden Euro zusätzliche Schulden zu machen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Skandal!) Dazu sagt sie: Die Neuverschuldung senken wir 2020 auf null, also dann, wenn es notwendig ist. – Das ist eine Politik zulasten der kommenden Generationen. Dabei kann es nicht bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Andere Länder zeigen, dass Haushaltskonsolidierung und -sanierung durchaus gelingen kann. Ich will an dieser Stelle ganz bewusst Bayern nennen. Auch Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sind gute Beispiele. Diese Länder haben seit 2006 keine neuen Schulden mehr gemacht, zum Teil sogar Überschüsse erzielt. Sachsen hat im Jahr 2011 und Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2007 und 2008 Haushaltsüberschüsse erzielt. Bayern tilgt bereits seine Altschulden. Daran sehen Sie, dass es gelingen kann, Haushalte zu konsolidieren. (Bettina Hagedorn [SPD]: Nur wie?) Die sogenannten Konsolidierungshilfeländer, diejenigen, die Bundeshilfen zum Ausgleich ihrer Haushalte bekommen – das sind Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein –, haben immerhin Verwaltungsvereinbarungen getroffen, um die Schulden bis 2020 abzubauen. Also, was können wir feststellen? Die Lage in den Ländern ist ausgesprochen heterogen. Während der Bund mit gutem Beispiel vorangeht, (Bettina Hagedorn [SPD]: Ha, ha, ha!) sind einige Länder sehr zögerlich. Deshalb fordere ich an dieser Stelle alle Länder in Deutschland auf, die Schuldenbremse in ihre Landesverfassungen zu übernehmen. Wir als Deutschland sind gefordert, ein Stück weit als gutes Beispiel voranzugehen. Das sind wir unseren europäischen Partnern schuldig. Gestern hat hier in Antwort auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin der Kanzlerkandidat der SPD gemeint, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Guter Mann!) wir seien ein schlechtes Vorbild für Europa. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Richtig!) Ich habe den Verdacht: Er hat die Länder gemeint, in denen seine Parteifreunde regieren. Wir müssen auch in den Bundesländern als gutes Beispiel vorangehen, gesamtstaatlich die Schuldenbremse und den Fiskalvertrag einhalten und eine Absicherung im Sinne einer rechtlichen Bindung in die Landesverfassungen aufnehmen, damit nicht je nach politischer Mehrheit und Gesinnung anders agiert werden kann. Eines ist doch deutlich: Dort, wo Grün oder Rot regiert, hält man vom Sparen nicht sonderlich viel. (Zurufe von Abgeordneten der SPD: Ah!) Da wird lustig der Weg in neue Verschuldung gegangen – immer zulasten kommender Generationen. Das Ganze nennt sich dann nachhaltige Politik. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn in Niedersachsen?) Nachhaltige Politik heißt für Rot und Grün: Die nachfolgenden Generationen müssen den Kopf hinhalten für die Schulden, die andere zuvor gemacht haben. – Das hat mit Nachhaltigkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb noch mal: Der Fiskalvertrag ist ein Vertrag, der 25 Länder in Europa bindet, eine Schuldenbremse nach unserem Beispiel in die entsprechende Landesverfassung oder einen rechtsähnlichen Zustand zu übernehmen. Das ist ein Riesenfortschritt für die Stabilitätskultur in Europa. Das darf nicht von einzelnen Bundesländern unterminiert werden, sondern muss von den Bundesländern mitgetragen werden. Nur dann können wir als beispielgebendes Land vorangehen. Ich bin froh, dass sich 25 von 27 Euro-Ländern verpflichtet haben, die Schuldenbremse in ihre Landesverfassungen zu übernehmen. Das ist ein guter Tag für Europa, auch im Blick auf die Beschlüsse in Brüssel. Die Kanzlerin hat hier gestern erklärt: Was die Bankenunion und die Bankenaufsicht angeht, da zählt Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Das ist ein Ergebnis des Brüsseler Gipfels. Deshalb auch an dieser Stelle nochmals Dank für das gute Verhandlungs-ergebnis unserer Bundeskanzlerin. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Euphemismus!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der baden-württembergische Minister für Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten, Peter Friedrich. (Beifall bei der SPD) Peter Friedrich, Minister (Baden-Württemberg): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Abgeordneten des Deutschen Bundestages! Ich danke der SPD-Fraktion, dass ich die Möglichkeit habe, in der Debatte zur Umsetzung des Fiskalvertrags die Position der Länder zu erläutern. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Minister, darf ich mir den Hinweis erlauben, dass Sie diese Möglichkeit auch ohne Genehmigung der SPD-Fraktion qua Verfassung gehabt hätten? (Heiterkeit) Peter Friedrich, Minister (Baden-Württemberg): Das ist richtig; aber ich möchte nichtsdestoweniger meinen Dank aussprechen, dass die Fraktion mir dies ausdrücklich ermöglicht hat. Sie legen ja viel Wert auf Höflichkeit. Insofern wollte ich Ihren Anforderungen Genüge tun. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was ist das für ein mangelndes Selbstbewusstsein eines großen Landes? Mannomann! So tritt doch kein Minister des Landes Baden-Württemberg auf!) – Herr Kauder, zu Ihnen komme ich gleich noch. Gestern hat die Bundeskanzlerin auf die Schwierigkeit hingewiesen, wie gemeinschaftliche Regeln in -Europa mit Haushaltsautonomie und demokratischer Legitimation zu verbinden sind. Es gab eine differenzierte und gute Debatte zu diesem Punkt. Deswegen sollten wir auch bei der Frage der Umsetzung des Fiskalvertrages auf genau diesen Punkt noch einmal eingehen. Es ist so, dass die Bundesregierung mit dem Fiskalvertrag einen Vertrag unterschrieben hat, der Veränderungen auch für die Schuldenbremse des Grundgesetzes bedeutet. Deswegen war es für die Länder, und zwar für alle 16 einvernehmlich, wichtig, dass wir mit dem Bund ein Verhandlungsergebnis erzielen, das die Haushaltsautonomie der Länderhaushalte gewährleistet und dazu führt, dass wir in Deutschland die gleiche Architektur von demokratischer Legitimation und Haushaltsautonomie in den Ländern haben, wie wir sie für Europa anstreben. Es war ein mühsamer und letztlich guter Verhandlungsprozess, der dazu geführt hat, dass die Haushaltsautonomie der Länder auch im Haushaltsgrundsätzegesetz festgelegt werden soll. (Beifall bei der SPD) Die spannende Frage ist nur, warum das – wenn das in den Eckpunkten für das Haushaltsgrundsätzegesetz so enthalten war – wieder aus dem Gesetzentwurf verschwunden ist und der Bund sich jetzt sehr wohl eine Hintertür offenlässt, über die Verpflichtung der Länder zur Einhaltung der grundgesetzlichen Schuldenbremse hinaus in die Haushaltsautonomie der Länder einzugreifen. Damit wird man der demokratischen Legitimation von Haushaltsrecht in den Ländern nicht gerecht. Insofern verstößt der Bund momentan mit dem, was er hier vorschlägt, gegen das, was die Bundeskanzlerin gestern für Europa als Zielsetzung formuliert hat. Deswegen bitte ich dringend, dass wir in den Beratungen genau diesen Punkt gemeinsam korrigieren. (Beifall bei der SPD) Alle 16 Länder bekennen sich zur Schuldenbremse, wie im Grundgesetz vereinbart. Das haben wir in den Verhandlungen festgehalten. Einige Bundesländer brauchen da Hilfen. Wir haben, was diese Vereinbarung angeht, darüber hinaus einige Punkte besprochen und beschlossen, die den Pfad für die Länder festlegen. Herr Toncar und Herr Barthle, ich will darauf hinweisen: Das einzig Besenreine, das wir in Baden-Württemberg übernommen haben, waren die Schatzkammern des Landes. Das war das Einzige, was wirklich besenrein war. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben in Baden-Württemberg ein strukturelles Haushaltsdefizit von 2,5 Milliarden Euro übernommen. Im Haushalt des nächsten Jahres haben wir es auf 1,8 Milliarden Euro reduziert – und im Jahr darauf auf 1,5 Milliarden Euro. Die strukturelle Nullverschuldung für den Haushalt Baden-Württemberg werden wir 2020 – trotz Länderfinanzausgleich und trotz der Tatsache, dass der Bund nach wie vor Konnexitätsgrundsätze nicht beachtet – erreichen. Das größte Risiko für die Haushalte der Länder und Kommunen ist der Bund, der permanent Aufgaben auf Länder und Kommunen verlagert, ohne tatsächlich an allen Stellen die Kosten zu übernehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Barthle, wir haben der CDU-Fraktion in Baden-Württemberg angeboten – wir drängen darauf; ich bitte Sie, uns darin zu unterstützen –, die grundgesetzliche Schuldenbremse eins zu eins in den Landeshaushalt zu überführen. Die CDU-Fraktion in Baden-Württemberg verweigert momentan die verfassungsgebende Mehrheit, die dafür notwendig ist. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Ach, guck mal an!) Das ist die Wahrheit, die zu erwähnen mit dazu gehört. Mit Verlaub: Die frühere Landesregierung in Baden-Württemberg wurde vom Landesgerichtshof wegen Verfassungsbruchs in Bezug auf Haushaltsgrundsätze verurteilt, weil man 5 Milliarden Euro neue Schulden am Haushalt vorbei aufgenommen hatte. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Unglaublich! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das gilt auch für Nordrhein-Westfalen, für Frau Kraft!) – Herr Barthle, wer in Haushaltsfragen die Verfassung bricht, dem glaubt man nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will noch einen Punkt ansprechen. Es geht um die Frage, wie mögliche Sanktionen bei Verstoß gegen den Fiskalvertrag überwälzt werden. Hier gibt es eine Regelung. (Unruhe) – Ich kann verstehen, dass man beim Thema Mappus-Erbe leicht aus der Haut fahren kann. Wir haben das täglich zu ertragen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Länder – auch Baden-Württemberg – leisten ihren Beitrag. Wir geben den Kommunen zusätzlich allein 330 Millionen Euro, um dem Ausbau der Kindergartenplätze gerecht zu werden. Wir fordern Sie auf, im Haushalt die Mittel einzustellen, die den Ländern zugesagt wurden, und zwar im Rahmen einer Lösung, die wir, glaube ich, gemeinsam finden können, bei der nicht zum Schluss die Berichtspflichten die Soße teurer machen als den Braten. Das ist nämlich der Effekt, den wir momentan erleben. Sie wollen Berichtspflichten weit über das hinaus, was Sinn macht, verankern. Zu dem Ausbau stehen wir, auch finanzieren wir unseren Teil mit. Wir geben den Kommunen das Geld. Lassen Sie uns aber bitte eine Regelung treffen, die auch funktioniert, und ersparen Sie uns einseitige Schuldzuweisungen. Sie brauchen die Länder und die Kommunen, um das hinzubekommen. Sie bekommen es nicht dadurch hin, dass Sie in Zukunft – wie Sie sich das momentan vorstellen – zusätzliche Kontrollverpflichtungen auferlegen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Otto Fricke (FDP): Geschätzter Herr Präsident; ich wünsche einen angenehmen Wechsel mit der Vizepräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rede gerade hat gezeigt, dass der Kollege Barthle mit seiner Aussage einfach recht hatte. Das größte Risiko für den Bundeshaushalt sitzt auf der jetzt wieder fast vollkommen leeren Bundesratsbank. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie peinlich ist denn das!) Ausdrücklich, Herr Minister Friedrich: Ich finde es gut, dass Sie gekommen sind, weil das ein Teil dessen ist, was notwendig ist, damit wir in die Diskussion eintreten. Das finde ich gut. Ich hätte mir gewünscht, dass Berlin und Brandenburg ebenfalls hierhergekommen wären; denn denen helfen wir auch. Worum geht es in unserer Debatte eigentlich? Es geht um zwei Gesetze, die im Endeffekt nur deswegen zustande kommen, weil wir den Ländern helfen müssen und weil wir Europa helfen müssen. Warum müssen wir Europa helfen? Weil wir als Bundesrepublik Deutschland in Europa eine Verpflichtung haben. Wir können von unseren europäischen Nachbarn nicht nur verlangen, dass sie sparen, sondern wir müssen ihnen auch sagen, dass sie investieren müssen. Dabei müssen wir ihnen helfen. Deswegen geben wir der Europäischen Investitionsbank das notwendige Eigenkapital, um in Zukunft entsprechende Investitionen überhaupt zu ermöglichen. In Richtung Rot und Grün: Es ist immer dasselbe Spiel, es ist wie in der Schule: Herr Lehrer, ich habe es aber auch gewusst. (Lachen bei der SPD – Manfred Zöllmer [SPD]: Otto Fricke hat es gewusst!) Es geht doch gar nicht darum. Vielmehr geht es darum, welche Verpflichtung wir als Bundesrepublik Deutschland innerhalb Europas haben. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das war daneben!) Die erfüllen wir, indem wir 1,6 Milliarden Euro für die Europäische Investitionsbank zur Verfügung stellen. Zu Frau Kollegin Hinz – sie ist gerade nicht da –: Die Aussage, dass wir neue 32 Milliarden Euro Schulden machen, ist schlichtweg falsch. Ich will das von hier aus korrigieren. Mit diesem Nachtragshaushalt macht die Koalition, macht die Bundesregierung (Manfred Zöllmer [SPD]: Neue Schulden!) keinen Cent zusätzliche neue Schulden, keinen einzigen Cent. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 32 Milliarden! Habt ihr schon vorher gemacht! 32 Milliarden habt ihr neue!) Warum macht sie das? Sie macht das deswegen, weil sie Ausgaben hat, durch die sie Europa hilft, und weil sie Ausgaben hat, die den Ländern helfen, insbesondere Berlin und Brandenburg; ich komme gleich noch dazu. Gleichzeitig sagen wir ganz Europa: Wenn ihr so solide haushaltet, sind wir bereit, euch Geld zu niedrigeren Zinsen zur Verfügung zu stellen. Das heißt nicht, dass wir in Europa kalt abkassieren. Den Vorteil, den wir dadurch haben, dass wir innerhalb Europas Hort der Stabilität, Hort der besten Haushalte sind, geben wir als Zinsgewinn an die Europäische Investitionsbank, damit sich in anderen Ländern Europas die Wirtschaft wieder erholen kann. Das verstehe ich auch im Hinblick auf Europa unter gesunder Haushaltspolitik. Das hätten Sie nie hinbekommen, unsere Koalition bekommt das eben hin. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zu Berlin und Brandenburg. Das muss ich an dieser Stelle noch einmal klarstellen: Sie bekommen weitere 300 Millionen Euro für den Flughafen, weil sie nicht in der Lage sind, ein Großprojekt hinzubekommen. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bund ist dabei! Der Bund ist Anteilseigner! Was macht denn der Bund im Aufsichtsrat?) Man kann ja froh sein, dass es nicht wie in Rheinland-Pfalz ist, dass man erst baut und nachher feststellt, dass der Ministerpräsident gehen muss. Wir haben hier noch ein bisschen die Finger drauf. (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Der Bund ist von Anfang an beteiligt!) – Natürlich ist es so, dass der Bund beteiligt ist, deswegen zahlt er ja auch die 300 Millionen, (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Dann muss man hier nicht rumprügeln!) und zwar dann – das will ich ausdrücklich für das Protokoll festhalten –, wenn sich der Haushaltsausschuss darüber im Klaren ist, dass die notwendigen Reformen in Bezug auf den Flughafen erfolgen. Es ist gleichzeitig so – ich bitte, in den Gesetzentwurf zu gucken –, dass wir die entsprechenden Vorstandsbeschlüsse der Flughafengesellschaft brauchen, bevor irgendetwas passiert. Wir geben nicht mal eben einfach so 300 Millionen für den Flughafen – so wie in den Ländern übrigens –, sondern wir erwarten einiges mehr. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Dann sagt das doch einmal eurem Minister!) Ich will für meine Fraktion ausdrücklich sagen: Was bisher in Bezug auf den Flughafen auch im Personalbereich und bei den Zuständigkeiten passiert ist, reicht meiner Fraktion nicht, deswegen die entsprechende qualifizierte Sperre. Lassen Sie mich zur Bundesratsbank kommen. Die Bürger draußen im Land glauben immer, dass die armen kleinen Länder und die armen kleinen Kommunen gar keine Steuereinnahmen haben. Liebe Bürger, wenn Sie sich irgend etwas kaufen und Mehrwertsteuer zahlen, gehen Sie davon aus, dass Sie in dem Moment mehr Mehrwertsteuer an Länder und Kommunen zahlen als an den Bund. Vor allen Dingen die Länder tun immer so, als würden sie von Ihnen gar kein Geld kriegen, dabei müssen Sie wissen, dass mehr als 50 Prozent der Steuereinnahmen in Deutschland insgesamt an Länder und Kommunen gehen. Die Länder sagen immer wieder: Wir haben keine Autonomie! Liebe Länder, dann nehmt euch dem doch an! Sagt doch: Okay, wir sind bereit, selber über unsere Steuern zu entscheiden, wir sind bereit, in einen steuerlichen Wettbewerb unter den Ländern einzutreten, wir nehmen die Zuständigkeit wahr. (Iris Gleicke [SPD]: Das ist billig gerade! Das ist unglaublich billig!) Aber das wollt ihr nicht! Ihr wollt Folgendes haben – das haben wir gestern im Haushaltsausschuss wieder festgestellt –: Ihr wollt, dass der Bund das macht, um dann am Ende eure Aufgaben zu bezahlen. Was wir jetzt bei der Kinderbetreuung machen, ist nie originär unsere Aufgabe gewesen. Man ist aber gerne bereit, das Geld vom Bund zu nehmen, um dann zu sagen – Herr Schmid, das finde ich fast eine Unverschämtheit –: Aber bitte keine Kontrolle, bitte keine Berichtspflicht und bloß nicht den Bundesrechnungshof dabei haben. Für uns Haushälter ist immer wieder die Erkenntnis: Zahlen soll der Bund, obwohl Länder und Kommunen mehr Geld haben als der Bund, aber einmischen soll er sich bloß nicht. Dann kommen Sie immer wieder damit, dass wir neue Aufgaben übertragen. Wenn ich frage: „Ja, wo sind die denn?“, dann kommt im Moment nichts. Der Bund hat das gemerkt, und wir alle wissen, dass wir dieses Spiel an der Stelle nicht machen können. Es ist doch im Endeffekt so: Das, was wir an Entlastung geschaffen haben, beläuft sich inzwischen pro Jahr auf 10 Milliarden Euro. Wir geben für Länder und Kommunen gegenüber den bisherigen Ausgaben 10 Milliarden Euro zusätzlich aus. Wir haben es gestern im Bereich Bildung festgestellt: Das, was für Bildung ausgegeben wird, wird teilweise direkt durchgeleitet, weil die Länder aus ihren Aufgaben herausgehen. Zum Schluss will ich mich noch einmal kurz mit dem Land Baden-Württemberg beschäftigen, das Sie hier dargestellt haben. Der Bürger hat gerade gehört, es gebe dort eine strukturelle Neuverschuldung. „Strukturell“ hört sich immer gut an. Aber wenn man einmal fragt, was die explizite war, dann sind Sie, Herr Minister, doch mit mir der Meinung, dass die in Baden-Württemberg bei null war. Die explizite Neuverschuldung war bei null. Da war sie bei der Übergabe. (Peter Friedrich, Minister [Baden-Württemberg]: Nein!) Dann machen Sie Milliardenschulden, und jetzt kommt das Allerbeste: Das Land Baden-Württemberg will eine Schuldenbremse. Man denkt ja, die Schwaben sind besonders sparsam. Das habe ich bisher immer gedacht. Aber grüne Schwaben scheinen nicht sparsam zu sein; denn Sie wollen jedes Jahr nur in gleichmäßigen Schritten davon herunter. Ich sage Ihnen: Wenn man von einer Null kommt, dann sollte man so schnell wie möglich wieder auf die Null herunterkommen und keine Pseudoschuldenbremse machen, indem man sagt: Wir bremsen einmal etwas langsamer und machen das im Jahre 2020. Sie in Baden-Württemberg wollen bis 2020 6 Milliarden Euro Schulden machen, und zwar – meine Damen und Herren, halten Sie sich fest – nicht auf Basis der gegenwärtigen Gesetzgebung, sondern sie machen 6 Milliarden Euro Schulden, obwohl Sie die Steuererhöhungen, die Rot-Grün gerne machen will, mit eingerechnet haben. Das nenne ich nicht mehr schwäbisch, sondern das ist nach meiner Meinung südeuropäisch. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist peinlich! – Bettina Hagedorn [SPD]: Stammtischniveau!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Andrej Hunko hat jetzt für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Andrej Hunko (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Worüber reden wir heute? Wir reden über die Umsetzung des Fiskalpaktes, der Ende Juni hier im Bundestag zusammen mit dem ESM von den vier Fraktionen mit Mehrheit beschlossen wurde, in nationales Recht. Was ist der Fiskalpakt? Der Fiskalpakt ist die Institutionalisierung einer völlig verfehlten Krisenpolitik und Krisenanalyse in der Europäischen Union. Das wird jetzt sozusagen in dauerhaftes Völkerrecht gegossen und heute hier im Bundestag in nationales Recht umgesetzt. Warum ist diese Krisenpolitik verfehlt? Sie basiert auf einer völlig falschen Analyse der Krise in der Euro-Zone. Wir haben es heute immer wieder gehört. Auch bei dem Gesetzentwurf ist es so. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, es gäbe eine Staatsschuldenkrise aufgrund überhöhter Ausgabenpolitik. Wenn man sich aber einmal die offiziellen Zahlen der Europäischen Zentralbank anschaut, so kann man feststellen, dass die Staatsverschuldung in der Euro-Zone in der Zeit von 2000 bis 2008 im Durchschnitt tendenziell rückläufig war, nämlich von etwa 73 Prozent auf 67 Prozent im Jahre 2008 zurückgegangen ist, und erst danach als Folge der Finanz- und Bankenkrise stark angestiegen ist. Wir haben einmal nachgefragt: Woher kommt denn dieser Anstieg? Der Kollege Klaus Ernst hat vor wenigen Wochen gefragt: Um wie viel ist die Staatsverschuldung in Deutschland als Folge der Banken- und Rettungspakete 2008 angestiegen? Antwort: 322,5 Milliarden Euro, kumuliert seit 2008. Das ist die Ursache für den Anstieg der Staatsverschuldung. Das soll jetzt mit dem Gesetz zur Umsetzung des Fiskalpakts durch Kürzungen im Sozialbereich, im Bildungsbereich, im Gesundheitsbereich, im öffentlichen Bereich zurückgeführt werden. Deshalb sagen viele Menschen in Südeuropa – das habe ich gerade erfahren –: Dieser Fiskalpakt ist ein Pakt zum Angriff auf soziale Rechte, auf Arbeitnehmerrechte. – Wir lehnen das ab. Wir lehnen diese völlig verfehlte Krisenpolitik ab. (Beifall bei der LINKEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ich würde dabei einmal ein bisschen abrüsten!) Es ist auch ein Angriff auf demokratische Rechte der Haushaltsgesetzgeber, weil die Budgethoheit verlagert wird. Sie wird zum Teil auf die Ebene der EU-Kommission verlagert. Ein Beispiel dafür ist das strukturelle Defizit. Sie wissen genau, dass die Berechnung des strukturellen Defizits wirtschaftspolitisch sehr umstritten ist. Es gibt unterschiedliche Schulen; man kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wer hat denn die Definitionsmacht für dieses strukturelle Defizit? Das werden in Zukunft Wirtschaftswissenschaftler der EU-Kommission haben, die nur sehr fragwürdig demokratisch legitimiert sind. Wir sehen das als sehr problematisch an: Das ist kein Mehr an Europa, sondern ein Weniger an Demokratie. (Beifall bei der LINKEN) Drittens ist diese Krisenpolitik und Krisenanalyse in der Konsequenz auch sozial verheerend. Wir sehen das in Griechenland und Portugal. Griechenland – ich war letzte Woche dort – ist am Rande einer humanitären Tragödie. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Quatsch!) Diese Politik wird jetzt auch zunehmend in den zentraleuropäischen Staaten bzw. in Deutschland umgesetzt. Mit dem Fiskalpakt werden jetzt schon die Sachzwänge geschaffen, auf die sich dann später berufen wird, wenn es um Kürzungen etwa im kommunalen Bereich oder im Länderbereich geht. Wir lehnen das eindeutig ab. Ich will Ihnen ein aktuelles Beispiel aus meiner Heimatstadt Aachen nennen. Dort hat gestern der älteste Waggonbauer, Bombardier, angekündigt, den Standort mit 600 Arbeitsplätzen zu schließen. Es ist der älteste Waggonbauer in Deutschland. Ich habe mit dem Geschäftsführer gesprochen. Er sagt, die Bahntechnik und die Auftragslage seien gut; die Probleme seien der erhöhte Wettbewerbsdruck und das Wegbrechen der Märkte in Südeuropa. Das sind schon Konsequenzen dieser völlig falschen Politik. Die Linke wird an der Seite der Menschen stehen, die sich dagegen wehren. Sie können auf unsere Unterstützung vertrauen. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Anscheinend tun sie das nicht!) Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sven-Christian Kindler hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vorweg zu Norbert Barthle und Otto Fricke: Sie haben gesagt, das größte Risiko für den Bundeshaushalt säße auf der Bundesratsbank; das seien die Bundesländer. Das finde ich angesichts der unseriösen schwarz-gelben Haushaltspolitik eine abenteuerliche Behauptung und Beschimpfung der Länder. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was ist denn passiert? Diese Koalition hat die Steuern für Hoteliers, reiche Erben und Besserverdienende gesenkt und damit auch die Steuerbasis in den Ländern erodieren lassen. Es war auch so, dass vor allen Dingen innerhalb dieser Wahlperiode, aber auch schon vorher die CDU und die FDP konsequent Landtagswahl für Landtagswahl verloren haben. Deshalb sind Sie neidisch: Sie haben keine Mehrheit mehr im Bundesrat, und die nächste Landtagswahl werden Sie auch verlieren. In Niedersachsen wird Schwarz-Gelb komplett abgelöst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Noch eine Bemerkung zu Otto Fricke. Unseriöse Haushaltspolitik hat er pauschal als „südeuropäisch“ bezeichnet. Diese Aussage finde ich abenteuerlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Zum Thema Krise: Spanien hatte bis 2007 super Haushaltszahlen mit einer geringen Gesamtverschuldung und einem sehr guten Defizit, übrigens besser als Deutschland in dieser Zeit. Spanien hatte aber hohe Bankschulden. Das ist das Problem: Es geht um eine Bankschuldenkrise. Das hat die FDP nicht verstanden. Ich finde es diffamierend von der FDP, auf dem Rücken Europas billigsten Stammtischpopulismus zu machen. Das geht nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Noch ein paar Anmerkungen zum Nachtragshaushalt und auch zum Flughafen BER. Dazu wurde schon einiges gesagt. Es wurde gesagt, dass auch der Bund in der Verantwortung ist. Wir haben im Haushaltsausschuss und im Verkehrsausschuss viele Fragen dazu gehabt. Was ist mit dem Baufortschritt und dem Thema Kosten? Wir haben bisher nur wenige Antworten vom Ministerium zu den Kosten und der Finanzierung bekommen. Der Bericht zu den Infrastrukturvorhaben, zum Beispiel zu den Anschlüssen der Deutschen Bahn, liegt immer noch nicht vor. Wir haben ihn als Haushälterinnen und Haushälter seit Wochen angefordert; das Verkehrsministerium hat ihn nicht geliefert. Diese verfehlte Informationspolitik der Bundesregierung muss endlich aufhören. Wir brauchen Klarheit und Details über die Kosten des BER-Flughafens. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt stellen Sie das mit 312 Millionen Euro in die Verpflichtungsermächtigungen ein. Dabei ist das Finanzierungskonzept noch gar nicht klar. Wir wissen nicht, um was es nachher wirklich geht. Es wurde bisher kein Finanzierungskonzept vorgelegt. Wir können das auch in den aktuellen Haushaltsberatungen besprechen. Wir müssen es nicht in den Nachtragshaushalt einstellen. Das ist nicht notwendig. Zum Aufsichtsrat will ich sagen: Natürlich ist auch der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Wowereit hier in der Pflicht. Der Aufsichtsrat hat versagt. Aber auch Minister Ramsauer und Minister Schäuble haben mit den Staatssekretären Bomba und Gatzer Vertreter in diesem Gremium sitzen. Diese Aufsichtsratsmitglieder haben ebenfalls versagt. Der Aufsichtsrat wusste lange Bescheid über den mangelhaften Brandschutz bzw. die mangelhafte Entrauchungsanlage. Dieser Aufsichtsrat hat es nicht gebacken bekommen; er hat versagt. Er muss ausgewechselt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch ein Satz zum Thema Kitaausbau. Es stimmt, wir brauchen zusätzliche Plätze für die unter Dreijährigen, um den Rechtsanspruch 2013 zu erfüllen. Aber Kristina Schröder hat es drei Jahre lang nicht hinbekommen, sich in dieser schwarz-gelben Koalition gegen Herrn Schäuble durchzusetzen. Es gab drei Jahre kein Geld mehr für neue Kitaplätze. Mehr Geld dafür mussten die rot-grün regierten Länder erst in den Verhandlungen über den Fiskalpakt durchsetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Wessen Aufgabe ist denn das mit den Kitas?) Jetzt so zu tun, als ob die Länder das Geld, dessen Bewilligung sie selber durchgesetzt haben, nicht wollten, ist absurd. Was die Länder beklagen, ist, dass die Betriebsmittel für Erzieherinnen und Erzieher nicht wie abgemacht 2013, sondern erst 2015 fließen sollen. Wir brauchen diese Mittel aber bereits 2013, um den Rechtsanspruch zu erfüllen. Pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten. Die Bundesregierung muss ihre Zusagen an die Länder beim Kitaausbau endlich einhalten und dafür sorgen, dass die vereinbarten Betriebsmittel rechtzeitig fließen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort die Bundesministerin Dr. Kristina Schröder. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute nicht nur über das Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags, sondern auch darüber, ob es gelingt, den Kitaausbau zu beschleunigen. Der Bund stellt für 30 000 neue Kitaplätze zusätzlich 580 Millionen Euro zur Verfügung. Damit sollen die 30 000 Plätze eingerichtet werden, die mehr gebraucht werden als 2007 veranschlagt. Wir alle sind uns sicherlich einig, dass es sich kein Land leisten kann, auf dieses Geld für den Kitaausbau zu verzichten, zumal nur noch rund neun Monate Zeit bleiben, bis der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz in Kraft tritt. Trotzdem gab und gibt es nach der Stellungnahme des Bundesrates einige Irritationen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich machen, was die Bundesregierung mit den Ländern vereinbart hat; denn es gab nicht nur umfangreiche Gespräche, Herr Minister Friedrich, sondern eine ausdrückliche Einigung mit den Ländern. Bereits im August dieses Jahres haben wir uns auf die Verteilung der 580 Millionen Euro und auf die Förderbedingungen verständigt. Den Ländern war in diesen Verhandlungen sehr wichtig, dass das Geld nicht nach dem Maßstab verteilt wird, wo derzeit noch die meisten Kitaplätze fehlen. Vielmehr bestanden die Länder auf einer Verteilung nach der Zahl der unter Dreijährigen in den jeweiligen Ländern. Wir haben dem zugestimmt, weil wir gesagt haben: Wir können nicht monatelang darüber diskutieren. Durch Diskutieren entstehen keine Kitaplätze. (Caren Marks [SPD]: Das merken Sie auch schon!) Wir haben auch zugestimmt, dass die neuen Gelder sogar rückwirkend ab dem 1. Juli 2012 für den Kitaausbau eingesetzt werden können, damit die Kommunen möglichst sofort mit der Einrichtung weiterer Plätze beginnen können. Wir haben dafür aber auch Bedingungen vereinbart, weil wir aus den Erfahrungen des bisherigen Ausbaus lernen müssen. (Caren Marks [SPD]: Sie müssen noch viel lernen!) Erstens. Wir wollen, dass dort neue Kitaplätze entstehen, wo sie von den Familien gebraucht werden. Wir wollen, dass das Geld des Bundes dort für den Bau von Kitaplätzen eingesetzt wird, wo Bedarf da ist. Das kann auch heißen, dass Gelder, die bis zu einem bestimmten Termin nicht genutzt werden, dann an andere Länder gehen, die sie für den Kitaausbau dringend brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zweitens. Wir wollen Transparenz. Bund, Länder und Kommunen haben von Anfang an ausgemacht, den Kitaausbau gemeinsam zu stemmen, und das, obwohl dafür verfassungsrechtlich der Bund überhaupt nicht zuständig ist. „Gemeinsam stemmen“, meine Damen und Herren, heißt aber, dass man mit offenen Zahlen arbeitet. Jeder soll wissen können: Wo fehlen wie viele Plätze? Jeder soll wissen können: Wie viele Plätze sind im Bau? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Jeder soll wissen können: Welches Land hat wie viel von seinem eigenen Anteil an den Kosten schon erbracht? Meine Damen und Herren, das ist keine Bürokratie; das ist eine Selbstverständlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Bund zahlt übrigens das Geld auch nur aus einem einzigen Grund an die Länder: Weil wir es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht direkt an die Kommunen zahlen können. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist dafür nun zuständig? Wer hat das Grundgesetz denn so gemacht? – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Deutsche Bundestag hat das beschlossen mit Zweidrittelmehrheit! Da waren Sie auch dabei!) Dass wir hier nichts Unmögliches verlangen, das zeigt der Blick auf ein Land, das für viele hier im Haus in Sachen Kinderbetreuung der Lieblingsfeind Nummer eins ist, nämlich Bayern. In Bayern wird nicht nur viel eigenes Landesgeld für den Kitaausbau in die Hand genommen, sondern Bayern weist auch ganz genau nach, was damit gebaut wurde, wie hoch jeweils der Bundesanteil ist, wie hoch jeweils der Landesanteil ist. Das macht kein anderes Land so. Wenn ich eine sozialdemokratische Landesministerin wäre, würde ich mich schämen, dass ausgerechnet das vielgescholtene Bayern hier seriöser und transparenter arbeitet als man selbst. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Natürlich könnte der Bund das Geld überweisen und dann den Ländern sagen: Jetzt macht mal schön! – Verfassungsrechtlich wäre das richtig – der Kitaausbau ist Ländersache –; vielleicht wäre es auch wahltaktisch klüger, zu sagen: Der Bund zahlt und hält sich ansonsten zurück. – Aber das tun wir nicht, und das werden wir nicht tun, weil es nicht das Selbstverständnis dieser Koalition ist, zu zahlen und sich dann zurückzulehnen. Wir wollen für die Eltern etwas erreichen. Deshalb setzen wir alles daran, dass zum 1. August 2013 in Deutschland jede Familie, die einen Kitaplatz benötigt, auch einen bekommt; denn nur dann haben wir in Deutschland Wahlfreiheit für Familien. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wenn es dann im Sinne der Sache einmal rumpelt, dann ist das eben so. Mir ist es lieber, dass es jetzt rumpelt, als dass Eltern im August nächsten Jahres keinen Kitaplatz finden. Die Eltern verlassen sich auf den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Der Kitaausbau wird nur gelingen, wenn alle Beteiligten sich ihrer Verantwortung bewusst sind und sich dementsprechend verhalten. Der Bund ist dazu bereit. Ich hoffe, dass alle anderen es auch sind. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich gebe das Wort dem Kollegen Rolf Schwanitz für die SPD-Fraktion. Rolf Schwanitz (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Rede noch einmal daran erinnert und gemahnt, dass alle sich ihrer Verantwortung bewusst sein sollen. Ich sage einmal ausdrücklich: Was Sie in dieser Woche als medialen Rundumschlag gegen die Länder gemacht haben, ist absolut verantwortungslos. Sie sind Ihrer Verantwortung überhaupt nicht gerecht geworden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Es kann nicht nur in eine Richtung gehen!) Also meine Bitte: Legen Sie bitte an sich selbst dieselben Maßstäbe an! (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Umgekehrt ist das in Ordnung, ja?) Ich will mich als Allererstes beim Bundesrat recht herzlich bedanken; denn ohne die Länder, ohne die Verknüpfung des Themas Kitaausbau mit dem Thema Fiskalpakt – vorhin ist vom Kollegen Barthle von Erpressung geredet worden – wäre es überhaupt nicht möglich gewesen, zu erreichen, dass zusätzliche Bundesmittel für den Kitaausbau bereitgestellt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ohne diese Rettungsaktion der Länder im Vermittlungsausschuss wäre der Rechtsanspruch der Kinder quasi gescheitert, meine Damen und Herren. (Bettina Hagedorn [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Das liegt in Ihrer Verantwortung!) Nachdem Sie das stets abgelehnt haben, wäre gar keine Möglichkeit mehr gewesen, das Ausbauprogramm bedarfsgerecht, so wie die Bedarfszahlen tatsächlich sind, aufzustocken. Deshalb mein herzlicher Dank an die Länderseite! Das kommt spät, aber, wie ich hoffe, nicht zu spät. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das hat auch etwas damit zu tun, dass die Bundesministerin diesen zusätzlichen Ausbaubedarf jahrelang ignoriert hat. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir – ich hoffe es nicht; aber es sieht leider anders aus – eine Bundesfamilienministerin haben, die momentan den letzten Rest an familienpolitischer Gemeinsamkeit, die wir mit den Ländern haben, zertrampelt. Ich glaube, dass das ein großer Fehler ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will noch einmal daran erinnern: Drei Jahre lang hat diese Ministerin jede Forderung nach einem Krippengipfel abgelehnt. Drei Jahre lang wurde bestritten, dass es in diesem Land einen höheren Bedarf an Kitaausbau gibt, um den Rechtsanspruch zu retten. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Drei Jahre lang haben die Länder die Mittel gar nicht abgerufen!) Erst im Mai 2012 wurde eingeräumt, dass ein Zusatzbedarf von 30 000 Plätzen existiert. Aber selbst dann war diese Bundesregierung nicht bereit dazu, das Ausbauprogramm aufzustocken. Erst im Juni – über den Bundesrat, über den Vermittlungsausschuss – ist es gelungen, diesen Teil noch in das Ausbauprogramm aufzunehmen. Meine Damen und Herren, das hat nichts mit Frau Schröder zu tun, es hat überhaupt nichts mit Frau Schröder zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nachdem Sie darauf eingegangen sind, will auch ich einen Blick in den Gesetzentwurf selbst werfen. Ich will ausdrücklich sagen: Ich habe nichts gegen Kontrolle. Aber was Sie hier an Kontrollpflichten aufbauen wollen, das ist schon das bürokratische Monster, das in diesem Plenarsaal oft zitiert wird. Sie wollen die Länder zu neuen monatlichen, neuen halbjährlichen Berichten verpflichten, die bis weit nach 2008 hinein zurückgehen. Anstatt die Zahl der Kitaplätze auszubauen, wollen Sie die Bürokratie ausbauen. Das kann nicht sinnvoll sein, und das ist nicht das, was hier gemacht werden muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zum Zweiten fällt auf, dass die Verstärkungsmittel für den Zusatzausbau gestreckt werden: Sie sollen nicht bis 2013 laufen, sondern bis Ende 2014, bei den Betriebskosten sogar bis Ende 2015. Es ist also schon im Gesetz selber angelegt, dass zum August 2013 der Rechtsanspruch auf Kitabetreuung wegen des Zusatzbedarfs nicht abgesichert werden kann. Also machen Sie sich ein Stück ehrlich, Frau Ministerin, und erzählen Sie hier nicht solche Sachen! (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum Dritten fällt auf, dass der Gesetzentwurf bezogen auf den Zusatzbedarf keine richtige Hilfe für den Kitaausbau bringt. In dem Gesetzentwurf wird eine Mechanik aufgebaut – ich hoffe, wir können sie in den Beratungen noch verändern –, die so aussieht, dass ein Land, wenn es bis Ende 2012 beim Kitaausbau hinter der Planung zurückbleibt, faktisch gar keine zusätzlichen Mittel zur Deckung des Zusatzbedarfs bekommt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig! Ist ja logisch!) Das heißt, ausgerechnet dort, wo der größte Nachholbedarf besteht, wird quasi zuerst der Geldhahn zugedreht. Das ist, als ob in einem Krankenhaus die leichten Fälle wunderbar mit Medikamenten versorgt, die schweren Fälle aber vor die Tür gesetzt würden. Das kann keine sinnvolle Verstärkungsstrategie sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie können das, was ich sage, ja für falsch halten. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das tun wir auch!) Deswegen will ich Ihnen auch sagen, was der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Herr Haseloff – er gehört nicht zu den Sozialdemokraten, sondern zu Ihrer Parteicouleur –, dazu gesagt hat: Was jetzt zur Voraussetzung für Zahlungen des Bundes genannt werde, entspreche nicht der Geschäftsgrundlage. – Weiter hat er gesagt: „Frau Schröder sollte nachdenklich machen, dass dies von allen Bundesländern übereinstimmend so gesehen wird.“ – Meine Hoffnung auf die Nachdenklichkeit der Ministerin ist allerdings begrenzt. (Caren Marks [SPD]: Da fehlt eine Grundvo-raussetzung!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Andreas Mattfeldt hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2012 schaffen wir heute die Voraussetzungen dafür, dass Deutschland die Erhöhung des Eigenkapitals der Europäischen Investitionsbank in Höhe von 1,6 Milliarden Euro wird leisten können. Darüber hinaus enthält dieser Nachtrag Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 312 Millionen Euro, damit die jetzt notwendigen Beschlüsse zur Deckung des zusätzlichen Kapitalbedarfs der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH getätigt werden können. Die immensen Verfehlungen beim Flughafenbau sind sowohl für uns Abgeordnete als auch für die Bevölkerung nicht mehr nachzuvollziehen. Ich sage hier deutlich: Für eine Industrienation wie Deutschland mit großartigen Leistungen ist das Thema Flughafen Berlin Brandenburg schon sehr demütigend. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist das!) Darüber hinaus stellen wir in diesem Nachtrag dar, dass durch die Bund-Länder-Verpflichtung 30 000 zusätzliche Plätze für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren finanziert werden. Insgesamt wird der Bund dem Sondervermögen Kinderbetreuungsausbau noch einmal 580,5 Millionen Euro zuweisen. Damit handelt die Bundesregierung erneut zugunsten von Kommunen und Ländern und stellt weitere Gelder für den Kinderbetreuungsausbau zur Verfügung (Bettina Hagedorn [SPD]: Weil wir Sie zum Jagen getragen haben!) – und das, obwohl Kinderbetreuung in die originäre Zuständigkeit der Kommunen und der Länder fällt. Dies wird leider von vielen rot-grün regierten Bundesländern, aber auch von den Kommunen, schnell vergessen und unter den Tisch gekehrt. (Zuruf des Abg. Steffen Bockhahn [DIE LINKE]) – Wissen Sie, Herr Bockhahn, es ärgert mich schon, wenn lautstark, wie in den vergangenen Monaten, von gewissen Kreisen nach mehr Geld vom Bund geschrien und mitgeteilt wurde, der Bund würde seine Zusagen zum Ausbau von Kindertagesstätten nicht einhalten. Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. – Deshalb möchte ich gemeinsam mit Ihnen auf den Krippengipfel 2007 zurückblicken, auf dem die Schaffung von Krippenplätzen vereinbart wurde. Seinerzeit haben sich auf Initiative von Ursula von der Leyen Bund, Länder und Kommunen in einem gemeinsamen Kraftakt, weil alle Beteiligten die Notwendigkeit erkannt haben, darauf geeinigt, bis 2013 ein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren zu schaffen. (Bettina Hagedorn [SPD]: Ihr habt das Konzept erfolgreich abgeschrieben!) Der Bund, Frau Hagedorn, hat seinerzeit seine Verpflichtung direkt umgesetzt und insgesamt 4 Milliarden Euro bereitgestellt: 2,15 Milliarden Euro für Investitionen und sogar – darüber haben wir seinerzeit lange verhandelt – 1,85 Milliarden Euro für Unterhalt und Betriebskosten. (Bettina Hagedorn [SPD]: Das war Bestandteil der Einigung!) Bei Kommunen und Ländern sah eine sofortige Umsetzung leider in einigen Teilen anders aus. Hier konnten wir vielfach eine sehr abwartende Haltung beobachten. Ich weiß aus eigener Erfahrung als seinerzeitiger Hauptverwaltungsbeamter, dass viele Kommunen das Problem zum Teil vor sich hergeschoben haben. Diese Haltung hat zu der Verzögerung geführt, vor der wir heute stehen, und hat die Lücken entstehen lassen, die wir nun erneut in einem enormen Kraftakt werden füllen müssen. (Bettina Hagedorn [SPD]: Wir stocken auf!) An diesem Nachtrag von 580 Millionen Euro für Kindertagesstätten sehen Sie auch, welch eine große Bedeutung die Familienpolitik in dieser Koalition hat. Damit unterscheiden wir uns fundamental von dem, was die rot-grüne Koalition in ihrer Amtszeit geschafft hat. (Rolf Schwanitz [SPD]: Das ist ja lächerlich!) – Das ist nicht lächerlich. Während in Ihrer Zeit, Herr Poß, unter Gerhard Schröder, Familienpolitik als Gedöns bezeichnet wurde (Joachim Poß [SPD]: Aufgeblasenes Pathos ist das!) und bestenfalls stiefmütterlich, wenn überhaupt, behandelt wurde, hat Kristina Schröder in ihrer Amtszeit den Etat um mehr als eine halbe Milliarde Euro angehoben. Beispielhaft möchte ich die insgesamt rund 400 Millionen Euro nennen, die von 2011 bis 2014 in die Verbesserung der Qualität der frühkindlichen Sprachförderung durch qualifiziertes Personal in 4 000 Schwerpunktkitas investiert werden. Noch einmal: Auch dies ist eigentlich originäre Aufgabe der Kommunen. Mit der Finanzierung durch den Bund bieten wir den Kommunen die Entlastung, die sie immer wieder vom Bund fordern. Gerade vor diesem Hintergrund ist es für mich der Gipfel der Unverschämtheit, dass Frau Schwesig der Ministerin Schröder vorwirft, sie würde immer neue Forderungen an die Vergabe der Mittel knüpfen und würde auf der Bremse stehen. Nach den gemachten Erfahrungen kann ich nur sagen, es ist absolut notwendig, dass die Mittelvergabe an zu erfüllende Pflichten und vor allen Dingen auch an Fristen gebunden ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Ministerin vorzuwerfen, sie würde den Kitaausbau ausbremsen, ist nahezu ungeheuerlich. Das ist an Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten und dient nur dem eigentlichen Zweck, von eigenen Verfehlungen in zahlreichen Bereichen abzulenken. Meine Damen und Herren, Kitakostenübernahme und vor allem auch die Kostenübernahme für die Grundsicherung im Alter entlasten die Kommunen erheblich. Diese Entlastungen und die durch eine kluge Wirtschaftspolitik ausgelösten Steuermehreinnahmen haben per 30. Juni dieses Jahres bereits zu einer erheblichen Verbesserung der finanziellen Situation der Kommunen geführt. Durch die Verschiebung im Bundeshaushalt zugunsten der Kommunen entlastet diese christlich-liberale Regierung (Zurufe von der SPD: Oh!) die Kommunen finanziell in einer noch nie dagewesenen Höhe. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Deshalb, meine Damen und Herren von der Opposition, verbitte ich mir Ihren Vorwurf, wir würden die Kommunen vernachlässigen. Dieser Vorwurf entbehrt jeglicher Grundlage. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das sind die Fakten, Andreas! – Zurufe von der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Bettina Hagedorn hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Bettina Hagedorn (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich muss schon sagen: Was für einen Eindruck müssen die Zuschauer auf der Tribüne gewinnen! Was Sie als Regierungsfraktionen angesichts dieser Debatte – wir reden über die Umsetzung des Fiskalpakts und über den Nachtragshaushalt – an kleinkariertem Pepita bieten, das ist unter der Würde dieses Hauses. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist nämlich so – das wissen vielleicht nicht alle Zuhörer –, dass der Fiskalpakt in diesem Haus mit der Zustimmung von vier Fraktionen eine große Mehrheit gefunden hat und dass es in Deutschland – übrigens im Gegensatz zu vielen Nachbarländern – eine breite parlamentarische Mehrheit für ganz wesentliche Weichenstellungen auf europäischer Ebene gibt, weil Rot-Grün gemeinsam mit der Regierung eine große europäische Verantwortung übernimmt. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das ist ja das Problem!) Der von Ihnen eingebrachte Nachtragshaushalt enthält drei wesentliche Maßgaben, die damit in einem unmittelbaren Sinnzusammenhang stehen; hierüber ist schon diskutiert worden. Dabei geht es sowohl um die Zustimmung der Länder zum Fiskalpakt, die richtig ist, als auch um die Zustimmung von Rot-Grün. Nur aufgrund dessen können jetzt ein Wachstumspaket und ein Paket gegen die Jugendarbeitslosigkeit auf europäischer Ebene verabschiedet werden, was die Aufstockung der Mittel der Europäischen Investitionsbank erforderlich macht. Nur aufgrund dessen werden in Deutschland 30 000 neue Kitaplätze geschaffen, was die Bereitstellung von 580 Millionen Euro erforderlich macht. Weil wir in diesem Hause das gemeinsam wollen, wäre es jetzt eigentlich angemessen, auch gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir das Ganze zu einem guten Ende führen können. Diese Chance auf eine gemeinsame Linie verpassen Sie jedoch mit Ihrem Klein-Klein, dem Parteiengezänk und Ihrem Kleinmut. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zu Recht ist bereits gesagt worden, dass es auf europäischer Ebene jetzt endlich einen Kurswechsel gibt – weg von den neoliberalen Rezepten der Regierungen in ganz Europa unter der Federführung von Frau Merkel, weg von falschen Kürzungsorgien, die ursächlich zu einer einbrechenden Binnennachfrage, zu einer erlahmenden Wirtschaft und damit letzten Endes zu der hohen Jugendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen Ländern geführt haben. Es ist gut und richtig, dass diese Änderungen erfolgen. Zu diesen Maßnahmen erhalten Sie unsere Zustimmung. Dass Sie aber auf der anderen Seite Ihre eigenen Schularbeiten nicht machen und jetzt nicht durch strukturelle Kürzungen im eigenen Haushalt zu einer soliden Gegenfinanzierung gelangen, dass Sie sich in Europa als Sparkommissar gerieren, im eigenen Land aber nichts davon wissen wollen, das ist ja das Drama. (Beifall bei der SPD) Die Gegenfinanzierung – das haben sowohl Frau Hinz als auch Carsten Schneider und andere schon zu Recht gesagt – nehmen Sie sozusagen im Schlafwagen mit, indem Sie für 2012 komischerweise exakt 2,2 Milliarden Euro geringere Zinsausgaben veranschlagen. In welchem gesamtpolitischen Umfeld bewegen wir uns denn? Es ist durchaus so, dass wir uns über eine brummende Konjunktur hier immer gemeinsam gefreut haben. Es reicht für eine Regierung jedoch nicht aus, sich lediglich darin zu gefallen. Es ist vielmehr Verantwortung dieser Regierung, Vorsorge für die Zukunft zu tragen, auch bei sich eintrübenden Aussichten. Genau dies soll mit der Schuldenbremse erreicht werden, die übrigens von uns gemeinsam beschlossen wurde. Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Was tun Sie? Über den Nachtragshaushalt und die geringeren Zinszahlungen habe ich schon gesprochen. Wir haben es in dieser Woche aber auch mit der Vorstellung der Wachstumsprognose für das Jahr 2013 zu tun gehabt. Ich will nur darauf hinweisen: Sie haben öffentlich so getan, als sei alles im grünen Bereich; (Volker Kauder [CDU/CSU]: Im grünen nicht, aber im guten Bereich!) tatsächlich ist es so, dass Sie in dem Haushaltsentwurf 2013, den wir in diesem Parlament gerade parallel beraten, von einem Wachstum von 1,6 Prozent im Jahr 2013 ausgeht. Aber wo sind wir jetzt? Bei 1 Prozent Wachstum. Sie gehen in Ihrem Haushaltsentwurf von 2,78 Millionen Arbeitslosen im Jahr 2013 aus. Und wo sind wir jetzt? Seit dieser Woche haben wir es schwarz auf weiß: bei 2,94 Millionen Arbeitslosen; das sind 150 000 Arbeitslose mehr. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: 2 Millionen -weniger als zu Ihrer Zeit!) Was bedeutet das? Das bedeutet notwendige Ausgaben im Haushalt 2013, und Sie nehmen das nicht zur Kenntnis. Sie treffen keine Vorsorge, sondern rechnen sich alles schön, (Beifall bei der SPD) um den Menschen letzten Endes Sand in die Augen zu streuen, und das, obwohl Sie es in Deutschland mit zwei verantwortungsbewussten Oppositionsparteien zu tun haben, (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das ist mir neu!) die im Grunde bereit sind, bei den Dingen, die für die Menschen in dieser Lage wichtig sind, mit Ihnen an einem Strang zu ziehen und in eine Richtung zu gehen. Aber Sie ergreifen nicht die Hand, und damit werden Sie der Verantwortung nicht gerecht. Ich fordere Sie auf: Greifen Sie die wesentlichen Punkte auf, die wir Ihnen vorschlagen, insbesondere was das Expertengremium anbelangt. Stärken Sie dieses Parlament und schaffen Sie ein Gremium, das gegenüber dem Bundestag rechenschaftspflichtig ist. Lassen Sie das Gremium nicht zu einem einfachen Instrument verkommen, das der Regierung und auf europäischer Ebene nur in irgendwelchen Hinterzimmern berichtet. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Antje Tillmann das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Antje Tillmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben 2009 als eines der ersten Länder in Europa eine Schuldenbremse in der Verfassung, im Grundgesetz, verankert und ein Jahr später den Stabilitätsrat mit Kompetenzen ausgestattet, wie sie heute im Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags verlangt werden. Der Steinbrück-Entwurf für den Haushalt 2010 sah noch eine Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro vor, wir aber werden vermutlich schon im nächsten Jahr die Vorgaben der Schuldenbremse, die eigentlich erst 2016 eingehalten werden müssen, unterschreiten. Wir sind auf einem guten Weg. Da ist die Verabschiedung des Fiskalpaktumsetzungsgesetzes heute ein weiterer Schritt, und zwar ein entscheidender Schritt in einem Bereich, in dem wir noch nicht gut waren: Die Länder sahen sich bei der deutschen Schuldenbremse nicht in der Verantwortung für die Kommunen. In unserer Verfassung steht, dass die Länder in ihren Haushalten bis 2020 eine Neuverschuldung von null erreichen müssen, und die Länder interpretieren das so, dass sie keine Verantwortung für die Verschuldung der Kommunen haben. Mit dem heutigen Beschluss ändert sich das. Im Umsetzungsgesetz steht nämlich eindeutig: Die Länder tragen im Rahmen des Fiskalvertrags die Verantwortung für ihre Kommunen. Das ist ein Meilenstein im Hinblick auf die Haushalts-sicherheit der Kommunen. Ich möchte nur kurz daran erinnern, dass es die SPD-Länder sind, in denen es den Kommunen am schlechtesten geht. Die Kommunen mit der höchsten Verschuldung befinden sich gerade in den SPD-Ländern. Heute machen wir einen Riesenschritt zum Vorteil der Kommunen. Neben der finanziellen Entlastung durch Übernahme der Kosten der Grundsicherung und des Bildungspakets profitieren sie nun auch von Rechtsklarheit hinsichtlich der Verschuldung. Der zweite Grund, warum das Gesetz ein Meilenstein im Hinblick auf die Beteiligung der Kommunen ist, ist die direkte Beteiligung der Kommunen am Beirat beim Stabilitätsrat. Das heißt, diejenigen, die von Sparmaßnahmen der Länder betroffen sind, dürfen mitberaten; sie können mitbestimmen und öffentlich ihre Position darstellen. Viele der Äußerungen zu den Kommunen, die hier gemacht worden sind, sind schlichtweg unwahr. Es ist diese Regierung, die in dieser Legislaturperiode die größte Entlastung für die Kommunen überhaupt beschlossen hat. (Bettina Hagedorn [SPD]: Das war auch unter Druck! Auch da haben wir Sie zum Jagen getragen!) Auch die Äußerung von Herrn Minister Friedrich, dass wir durch Übertragung von Aufgaben die Kommunen belasten würden, ist einfach nur unwahr. Der Bundespräsident dürfte ein solches Gesetz gar nicht unterzeichnen, weil es verfassungswidrig wäre. Bleiben Sie bei der Wahrheit. Diese Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP steht hinter unseren Kommunen. Wir entlasten die Kommunen, binden sie ein und stellen sicher, dass die Kommunen bei Haushaltsdiskussionen mitberaten dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das tun wir über den Beirat auch deswegen, weil der Stabilitätsrat Sanierungsvorschläge für Länderhaushalte sofort an die Landesregierungen weitergibt, und natürlich müssen an den Beratungen der Landesregierungen alle Kommunen teilhaben dürfen, denn sie sind von diesen Einsparmaßnahmen betroffen. Insofern werden wir sicherstellen, dass nicht nur eine betroffene Kommune, sondern alle betroffenen Kommunen an diesen Beratungen teilnehmen. Ich freue mich sehr, Herr Minister Friedrich, dass Sie jetzt wieder anwesend sind; denn ich finde es beim zweiten Thema, dem Kindergartenausbau, entlarvend, dass ausgerechnet ein Vertreter des Landes heute hier spricht, das beim alten Kindergartenausbauprogramm zum 24. Sep-tember den niedrigsten Mittelabruf aufweist. Erst 55 Prozent der Mittel sind von Baden-Württemberg abgerufen worden. Insofern erachte ich es als schwierig, sich hierhin zu stellen und zu fordern, dass man bei einem neuen Programm keinen Nachweis erbringen muss. Ihr Auftritt führt bei mir erst recht dazu, der Ministerin den Rücken zu stärken, denn wir wollen wissen, was die Länder mit den Geldern machen. Darüber hinaus sind es nicht -zuletzt SPD-Kollegen in den Kommunen, die uns auffordern, sicherzustellen, dass die Länder das Geld auch tatsächlich für den Kindergartenausbau nutzen. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit sind nämlich schlecht. Der Evaluationsbericht zeigt ganz deutlich, dass nicht nachweisbar ist, ob die Länder ihrer Verpflichtung aus dem alten Programm nachkommen. Auch da zeigt der Bericht ganz deutlich: Es sind bis zum 24. September nur 73 Prozent der Mittel abgerufen worden. Die zweite Forderung der Länder finde ich noch bizarrer. Sie wollen nämlich Betriebskostenerstattungen für Kindergärten bekommen, die noch gar nicht in Betrieb sind. Das müssen sie erst einmal erklären. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn ich 2013 Mittel für einen Kindergartenbau abrufe, dann kann dieser Kindergarten 2013 noch gar nicht in Betrieb sein. Deshalb hat die Ministerin völlig recht, dass die Betriebskosten erst dann erstattet werden, wenn sie tatsächlich anfallen. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Richtig!) Auch hier glaube ich, dass die Länder über ihre Position noch einmal nachdenken müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Alles andere ist Beschiss!) – Danke für den freundlichen Zwischenruf. Ich wundere mich schon, denn Frau Haderthauer hätte die Position der Länder hier sehr viel besser darstellen können. Einerseits hat sie die Mittel in voller Höhe abgerufen, andererseits ist sie interessanterweise gleichzeitig dafür, dass nachgewiesen wird, wie die Mittel verwendet werden. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ist nicht da!) Bayern hat nämlich im Gegensatz zu anderen Ländern nichts zu verstecken. Daher, Herr Minister Friedrich, werden Sie hier noch einiges hinsichtlich des Mittelabrufs zu erklären haben. Wir werden nicht auf Kosten der Eltern zocken. Die Länder, die bereits im Vermittlungsausschuss das Gesetz zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger von der kalten Progression sowie das Gesetz zur energetischen Gebäudesanierung blockieren, blockieren jetzt den Kitaausbau. Dann ist es aber auch ihre Aufgabe, den Eltern 2013 zu erklären, warum wir noch nicht so weit fortgeschritten sind, wie wir es uns eigentlich wünschten. Die Eltern können sich auf uns verlassen. Wir werden den Kitaausbau beschleunigen. Wir sind unseren Verpflichtungen nachgekommen und werden mit diesem Gesetz unsere Aufgaben erfüllen. Wir werden diese Mittel zur Verfügung stellen, damit die Eltern Sicherheit haben, was die Betreuung ihrer Kinder angeht. Ich hoffe, bis zum Vermittlungsausschuss ändern die Länder ihre Position. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Es ist verabredet, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/10976, 17/11011 und 17/10900 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 35 a bis c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Energiewende sozial gestalten – Bezahlbare Strompreise gewährleisten – Drucksache 17/10800 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bezahlbare Energie sichern durch Einsparung, Erneuerbare und mehr Verbraucherrechte – Drucksache 17/11030 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Federführung strittig c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter, Rolf Hempelmann, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Energiewende – Kosten für Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen – Drucksache 17/10366 – Es ist verabredet, anderthalb Stunden darüber zu debattieren. – Auch dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Katja Kipping (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Strompreise steigen. Seit dem Jahr 2000 sind sie um 70 Prozent gestiegen, und für Menschen mit geringem Einkommen und für kleine Unternehmen ist damit oft die Schmerzgrenze erreicht. Ja, für viele ist die Schmerzgrenze sogar überschritten. Davon zeugen bis zu 800 000 Stromsperrungen. Jedem, der diese Stromsperrungen auf die leichte Schulter nimmt, empfehle ich den Selbsttest. Versuchen Sie doch einmal, mehrere Tage ohne Strom zu leben. Man kann das Handy nicht aufladen. Man hat keinen Zugang zum Internet. Wenn man keinen Gasherd hat, kann man sich nicht einmal eine Tasse Tee kochen. Familien mit Kleinkindern können nicht einmal die Babynahrung aufwärmen. Wir können hier nicht tatenlos zusehen, wenn sich die Energiearmut in diesem Land ausbreitet. Die Stromrechnung darf keine Schuldenfalle werden. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Da hilft nur: Rechnung bezahlen!) Deswegen müssen wir sozial nachsteuern, und zwar mit einer sozialen Energiewende. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen schlägt Ihnen die Linke ein Konzept für eine soziale Energiewende vor. Dieses Konzept ist eingebettet in ein größeres Konzept für einen sozialökologischen Umbau. Das ist unser „Plan B“. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Oh! Den Plan B haben wir schon vierzig Jahre erlebt!) Über diesen diskutieren wir auch im Internet mit allen Interessierten. Zu einer sozialen Energiewende gehört unter anderem ein Stromsockeltarif. Dieser besteht aus zwei Komponenten: aus einem Gratissockel von 300 Kilowattstunden pro Haushalt zuzüglich eines Gratissockels von 200 Kilowattstunden pro Person. Für eine vierköpfige Familie macht das einen Gratissockel von 1 100 Kilowattstunden. Um diesen Gratissockel zu finanzieren, wird der darüber hinausgehende Strom teurer. Davon profitieren Haushalte, die weniger verbrauchen als der Durchschnitt. Wer weniger verbraucht als der Durchschnitt, zahlt zukünftig deutlich weniger. Wer mehr verbraucht, zahlt deutlich mehr. Es gibt also einen Anreiz zum Stromsparen. Gleichzeitig hat dieses Modell eine soziale Dimension; denn wir wissen – laut Statistischem Bundesamt –, dass mit steigendem Einkommen auch der Stromverbrauch steigt. Genau darum geht es uns. Wir wollen sozialen Ausgleich und Anreize zum Stromsparen zusammen denken; denn soziale und ökologische Komponenten gehören immer zusammen gedacht und dürfen niemals gegeneinander ausgespielt werden. (Beifall bei der LINKEN) Außerdem schlagen wir eine Abwrackprämie für stromfressende Kühlschränke und Waschmaschinen vor. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ökodiktatur!) Ja, wer ein altes, stromfressendes Modell durch ein besonders stromsparendes ersetzen möchte, der soll von der öffentlichen Hand einen Zuschuss in Höhe von 200 Euro bekommen. Ich freue mich sehr, dass die Grünen dieses Modell, das ich im Sommer vorgeschlagen habe, übernommen haben. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das macht es nicht besser!) So macht Cross-over Spaß. Zudem will die Linke die wirklichen Ursachen für die Strompreisexplosion angehen. Schwarz-Gelb behauptet, die erneuerbaren Energien bzw. deren Förderung sei daran schuld. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft schlägt in dieselbe Kerbe und plakatiert flächendeckend: Subventionen lassen Strompreise explodieren! EEG – also das Erneuerbare-Energien-Gesetz – abschaffen! Nur zum Hintergrund, für diejenigen, die diese Organisation noch nicht kennen: Hierbei handelt es sich um eine Organisation, die von der Wirtschaft finanziert wird und den Auftrag hat, die gesellschaftliche Stimmung im Interesse der Wirtschaft zu beeinflussen. Hier wird uns also ein sehr interessantes Schauspiel geboten: Wirtschaftslobbyisten und Schwarz-Gelb entdecken ihre soziale Ader und ziehen in vermeintlich tiefer Sorge um die Armen in diesem Land gegen die erneuerbaren Energien zu Felde. Wenn es diesen Kräften so wichtig ist, gegen Armut vorzugehen, dann frage ich mich, warum gerade sie alles, aber auch wirklich alles getan haben, um einen Mindestlohn, der wirklich vor Armut schützt, zu verhindern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sind also gut beraten, Ihr Deutungsmuster zu hinterfragen. Ist die Förderung des Bereichs der erneuerbaren Energien wirklich daran schuld? Wenn man sich die Zahlen genau anschaut, entsteht ein ganz anderes Bild: Die Förderung des Bereichs der erneuerbaren Energien ist nur zu einem Drittel für den Preisanstieg verantwortlich. Das heißt, zwei Drittel, also der viel größere Teil, gehen auf andere Ursachen zurück. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb: Warum verschweigen Sie diese Tatsache permanent? Ich meine, Ihnen geht es überhaupt nicht um die Energiearmut. Sie wollen einfach nur die erneuerbaren Energien in Misskredit bringen, und das ist schäbig. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es spricht sich inzwischen herum, dass in den schwarz-gelben Hinterzimmern daran gearbeitet wird, die Energiewende auszubremsen, womöglich den Atomausstieg sogar wieder rückgängig zu machen. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wir machen es erst möglich!) Das ist ein verheerendes Vorhaben; denn eine Energiewende ist, wenn sie sozial ausgewogen ist, finanzierbar. Atomstrom aber kostet Leben! (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Oh! Das ist wieder ein Spruch!) Deswegen darf es nie wieder ein Zurück zum gesellschaftlichen russischen Roulette mit Atomstrom geben; denn damit spielen wir mit unser aller Leben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zudem will Schwarz-Gelb vom eigentlichen Hauptverursacher ablenken, von den sprudelnden Gewinnen der großen Stromkonzerne. Es ist schon auffällig: Während die Preise an der Strombörse sinken, steigen die Preise für die Privathaushalte. Das muss mir einmal jemand erklären. Da gibt es eine Differenz, und diese Differenz stecken sich die Stromversorger in die Tasche. Die Linke meint: Sprudelnde Gewinne der Stromkonzerne auf der einen Seite und wachsende Energiearmut auf der anderen Seite – das ist nicht länger hinnehmbar. Es muss Schluss sein mit dieser Preistreiberei. Deswegen brauchen wir endlich wieder eine funktionierende Strompreisaufsicht. (Beifall bei der LINKEN) Aber womöglich wollen Sie Ihren Kumpels von den Stromkonzernen gar nicht so genau auf die Finger schauen. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Jetzt komm!) Halten wir fest: Die Hetze gegen erneuerbare Energien nützt wem? Der Atom- und Kohlelobby und den großen Stromkonzernen. Sie nützt aber mitnichten den Menschen, die von Stromsperren betroffen sind. Alles in allem ist diese Debatte über steigende Strompreise und erneuerbare Energien ein wunderbares Lehrstück; denn hieran lässt sich ganz hervorragend beobachten, wie die Herrschenden den Eindruck erwecken, (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Herrschenden!) es ginge ihnen um die Armen in diesem Land. Dabei machen sie vor allen Dingen bloß eines: Sie machen das Geschäft der Stromkonzerne. Das ist wirklich schäbig. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Grüne und SPD verteidigen nun das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Ich finde, an dieser Stelle sollte man einen Namen erwähnen. Ohne diesen Mann bzw. ohne seinen beharrlichen Einsatz hätte es dieses Gesetz wahrscheinlich nie gegeben: Hermann Scheer, der Träger des alternativen Nobelpreises, der vor zwei Jahren leider viel zu früh verstorben ist. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ja, das EEG ist zu Recht ein Exportschlager geworden. Allerdings hat Rot-Grün damals einen ganz zentralen Aspekt vernachlässigt: den sozialen Ausgleich. Sie waren auf dem sozialen Auge leider blind. Diese Unterlassungssünde rächt sich jetzt; denn die Kohle- bzw. Atomlobby nutzt jetzt die steigenden Strompreise, um die erneuerbaren Energien schlechtzumachen. Gerade wenn einem die Energiewende wichtig ist – ich bin wirklich eine leidenschaftliche Kämpferin für eine Energiewende hin zu erneuerbaren Energien und dezentraler Stromerzeugung –, muss das Soziale mitgedacht werden. Ökologische Fortschritte dürfen nie mit dem kollektiven Frieren der Ärmsten erkauft werden. Genau deswegen heißt es ganz klar: Die Energiewende muss sozial sein, damit sie nicht scheitert. Dazu unterbreitet Ihnen die Linke hier Vorschläge. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Thomas Bareiß das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Kipping, unter Ihrem Plan B, den Sie gerade beschreiben, haben 15 Millionen Menschen über vierzig Jahre lang in diesem Land schwer gelitten. Das ist die Wahrheit. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Jetzt werden Sie mal nicht uncharmant! Ich war elf Jahre alt, als die Wende kam!) Sozialismus war immer teurer für die Menschen. Auch wenn bei Ihnen Hopfen und Malz verloren sind, auch wenn Sie bei all dem Unglück und Leid, den der Sozialismus über das Land gebracht hat, immer noch an den Sozialismus glauben, sage ich Ihnen: (Katja Kipping [DIE LINKE]: So was Langweiliges!) Markt und Wettbewerb sind immer noch die besten Steuerungselemente, um neue Technologien anzureizen. Darauf setzen wir bei unserer Energiewende; denn darum geht es. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Nein. – Es geht um neue Technologien in unserem Land. Es geht darum, wie wir Wachstum und Wohlstand für unser Land generieren. Das ist der zentrale Bestandteil unseres Energiekonzepts. Ich verfolge jetzt die dritte Debatte in dieser Woche zu diesem Thema. Ich frage mich manchmal, ob Rot-Grün unser Energiekonzept überhaupt jemals gelesen und gesehen hat, was alles darin steht. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welches denn? Welches Konzept?) Es gab unter Ihrer Ägide in sieben Jahren Rot-Grün kein Energiekonzept. Wir haben nicht nur wie Sie ausschließlich den Ausstieg organisiert, sondern wir haben auch den Einstieg in erneuerbare Energien, in Energieeffizienz und in Kraft-Wärme-Kopplung organisiert. Diese Punkte gehen wir Stück für Stück an, nachdem Sie sieben Jahre lang nichts gemacht haben. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie gestern schon fälschlich behauptet!) Das Problem, das wir jetzt haben, beruht darauf, dass Sie nichts gemacht haben. Dafür müssen wir jetzt teuer zahlen. Wir müssen die Energiewende umso schneller gestalten und die Energieeffizienz steigern. Ich will in meinem Beitrag auf den Fragenkatalog der SPD eingehen: 14 Seiten, 137 Fragen, großer Respekt. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Sie die Exekutive durch Ihre Fragen lahmlegen und die Beamten vor neue Herausforderungen stellen wollen. Aber auch damit können wir umgehen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So sehen Sie parlamentarische Rechte? Was sind Sie für ein Abgeordneter? – Gegenruf des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ein guter!) – Wenn Sie das Energiekonzept lesen würden, würden sich Ihnen viele Fragen beantworten. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Welches Konzept?) – Das Konzept, das wir vor einem Jahr vorgelegt haben, Herr Heil. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Energiewendeversager sind Sie!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie jetzt eine Zwischenfrage zulassen? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Nein. (Ulrich Kelber [SPD]: Der Bareiß traut sich nie, Zwischenfragen zuzulassen!) Mein erster Eindruck war, dass die Fragen in einem sozialistischen Zentralbüro gestellt werden. Lieber Herr Kelber, Sie fragen, wie sich die Energiepreise in den nächsten Jahren entwickeln werden. Sie wollen wissen, wie sich der CO2-Preis im Emissionshandel in den nächsten Jahren entwickeln wird. Sie wollen wissen, was das Betreiben von Kraftwerken kosten wird und wie sich die Rohstoffpreise entwickeln werden. Sie haben Fragen zur Entwicklung der Volllaststunden in den nächsten Jahren. Auch hier sage ich: Im Energiebereich wird es in den nächsten Jahren Markt und Wettbewerb geben müssen. Wir brauchen eher mehr Markt, als wir derzeit haben. Wir können nicht alles am Reißbrett planen, wie Sie sich das vorstellen. Wir brauchen jetzt Zeit. Die Energiewende ist ein Marathonlauf, der die nächsten 30, 40 Jahre lang andauern wird. Wir haben erst 2 oder 3 Kilometer hinter uns. Wir können heute noch nicht sagen, welche Technologiesprünge es in den nächsten Jahren geben wird und wo wir die Wachstums- und Wohl-stands-impulse, die wir brauchen, erzielen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben in Ihren Fragen den Emissionshandel angesprochen. Sie bemängeln, dass hierfür kein funktionierendes Markt-instrument geschaffen wurde. Entgegen dem, was Sie behaupten, bestimmen Angebot und Nachfrage den CO2-Preis. Der geringe CO2-Preis hat nachvollziehbare Gründe: Erstens wurde in den letzten Jahren erheblich weniger CO2 emittiert. Industrie und Verkehr haben ihre Emissionen Stück für Stück reduziert. Wir wollten die Nachfrage und damit auch den Preis reduzieren. Zweitens – das müssen wir eingestehen; das ist ein Problem, das wir noch aus rot-grünen Zeiten mit uns herumschleppen –: Die Grundpfeiler des Emissionshandels und des EEG passen nicht zusammen. Deshalb müssen wir uns auch in den nächsten Jahren überlegen, wie wir diese beiden Pfeiler zusammenbekommen, um eine einzige Strategie zu entwickeln und nicht zwei verschiedene Strategien zu verfolgen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wer regiert denn hier eigentlich? – Ulrich Kelber [SPD]: Hört sich an wie ein Oppositionssprecher, der über eine fremde Regierung spricht!) Wenn Sie in Frage 53 Ihrer Großen Anfrage unterstellen, dass der Emissionshandel nicht funktioniert, wenn Sie schreiben, wir bräuchten einen Preis von mehr als 25 Euro je CO2-Tonne, dann entgegne ich Ihnen: Man kann die Spielregeln des Marktes nicht außer Kraft setzen, auch wenn man sich dies wünscht. Wir setzen auf den Markt und treiben damit die Energiewende und die CO2-Reduktion voran. (Ulrich Kelber [SPD]: Das ist schon der Oppositionsmodus! Diese Rede können Sie nächstes Jahr halten! Dann sind wir dran!) Kein Land hat ein so hohes CO2-Reduktionsziel wie wir. Ich glaube, auch das muss man heute wieder einmal sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Alles ist falsch! Dass Herr Schweickert klatscht, zeigt, dass der Redner schwach ist! Er klatscht, um ihn zu unterstützen!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will aber auch gerne auf andere Fragen eingehen. Beispielsweise behandeln Sie in Ihrer Frage 4 die EEG-Umlage. Da schreiben Sie: Welche Maßnahmen hat sie – die Bundesregierung – zur Begrenzung der Umlagenhöhe ergriffen, und welche Effekte ergeben sich aus diesen Maßnahmen für den Aufwuchs der erneuerbaren Energien? Die bessere Frage wäre vielleicht gewesen, warum Sie uns daran gehindert haben und warum Sie versucht haben, das entsprechend zu unterbinden. Wir haben mit dem Abbau der rot-grünen Überforderung nämlich Ernst gemacht. Den Förderbauch der Solarbranche beispielsweise, der aus Ihrer Zeit kommt, müssen wir jetzt vor uns herschieben. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hallo?) Diesen Bauch, der von Herrn Kelber und Herrn Gabriel kommt, schieben wir, wie gesagt, vor uns her, und er belastet die Verbraucher in besonderer Weise. Sie behaupten heute noch, die Sonne schicke uns keine Rechnung. Aber das Gegenteil ist der Fall. (Ulrich Kelber [SPD]: Der Anstieg hat doch mit der Entscheidung aus dem Jahre 2005 gar nichts zu tun!) Auch hier müssen wir uns die Zahlen genau anschauen. Der Verbraucher zahlt im kommenden Jahr 5,2 Cent je Kilowattstunde Umlage. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht an die Sonne, Herr Bareiß!) – Herr Fell, hören Sie ruhig zu. – Davon kommen 2,2 Cent je Kilowattstunde aus der Photovoltaik, also aus der Solarbranche. (Ulrich Kelber [SPD]: Und in welchen Jahren ist das entstanden?) Dabei bekommen wir gerade einmal 3 Prozent unseres Stroms aus der Solarbranche. Das zeigt, dass hier eine unglaubliche Fehlsteuerung vorhanden ist, die wir in den letzten Monaten Stück für Stück gegen Ihren Widerstand abgebaut haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Der 1,8-Prozent-Lindner ist auch da!) Wir haben den sogenannten atmenden Deckel eingeführt, (Ulrich Kelber [SPD]: Habt ihr nicht!) haben versucht, einen Korridor für die nächsten Jahre zu definieren. (Zuruf des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Jetzt hören Sie einmal zu, Herr Fell. Sie können noch etwas lernen. – Wir haben die Vergütung der Solarbranche bis zum Jahr 2012 erheblich heruntergefahren. Sie betrug im Jahr 2000, also in Ihrer Zeit, noch 50 Cent je Kilowattstunde und im Jahr 2009 noch 43 Cent je Kilowattstunde. Sie haben also in neun Jahren gerade einmal eine Reduktion um 7 Cent je Kilowattstunde geschafft, während wir in nur drei Jahren eine Reduktion auf 19,5 Cent je Kilowattstunde erreicht haben. Das zeigt, dass wir Schritt für Schritt vorangehen und die Solarbranche auch wirklich marktfähig machen. Damit entlasten wir den Verbraucher massiv. Bei der Freifläche gehen wir sogar herunter auf 13,5 Cent je Kilowattstunde, und zwar immer gegen Ihren entschiedenen Widerstand. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Branche hat die Kostensenkungen über Innovationen geschafft! Das war doch nicht Schwarz-Gelb!) Wir haben dank Peter Altmaier einen Fördervolumendeckel eingeführt und haben gesagt: Ab 52 Gigawatt werden wir keine weiteren Subventionen mehr gewähren. Dann ist die Solarbranche marktfähig und kann sich dem Wettbewerb stellen. Auch das geht in die richtige Richtung. Im Rahmen des Marktintegrationsmodells beginnen wir ebenfalls damit, die erneuerbaren Energien Stück für Stück in den Markt zu bringen. Das ist der richtige Weg, den wir konsequent beschreiten werden. All diese Maßnahmen – ich habe es schon gesagt – wurden von der Opposition massiv bekämpft. Das hat dazu geführt, dass der Zubau der Solarpellets sich ganz vernünftig entwickelt. Im letzten Jahr hatten wir noch 1 800 Megawatt Zubau monatlich; jetzt sind wir bei 540 Megawatt. Das ist ein Maß, das verkraftbar ist und in die richtige Richtung weist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch einige Sätze zum Thema EEG-Ausnahmen sagen – damit haben Sie ja ein großes Problem; wir haben in dieser Woche schon viel darüber gesprochen –: Mit der Neuregelung des EEG sorgen wir dafür, dass nur für Unternehmen des produzierenden Gewerbes Ausnahme-regelungen vorgesehen werden. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie diskreditieren die notwendigen Ausnahmen!) All die Ausnahmeregelungen, die es noch während Ihrer Regierungszeit gab – Sie haben sie genannt; es gab unter anderem Ausnahmen für Imbissbuden und Golfplätze –, haben wir gestrichen. In Zukunft ist die Befreiung von der EEG-Umlage nur noch für Unternehmen des produzierenden Gewerbes möglich. Auch diese Maßnahme zielt in die richtige Richtung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das EEG mutwillig zerstört!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt viele weitere Fragen, die ich jetzt beantworten könnte. Ein wichtiger Aspekt sind die Ausnahmen für die energie-intensive Industrie. Sie behaupten, dass die großen Unternehmen von der EEG-Umlage komplett befreit werden. Ich sage Ihnen: ThyssenKrupp zahlt in diesem Jahr rund 4 500 Euro EEG-Umlage pro Arbeitsplatz, lieber Herr Fell. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Niemand verlangt das!) 4 500 Euro pro Arbeitsplatz! Wenn ThyssenKrupp die volle EEG-Umlage zahlen müsste, wären es 20 000 Euro je Arbeitsplatz. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Niemand hat das verlangt!) Das würde den Industriestandort Deutschland gefährden. Ich kämpfe gerne für die 5,7 Millionen Menschen, die in der Industrie beschäftigt sind. Die Industrie wird nämlich auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands leisten. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie haben von Industriepolitik doch keine Ahnung!) Deshalb ist die Befreiung von der EEG-Umlage für die Industrie enorm wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: ThyssenKrupp ist der Solarlobby doch völlig egal!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre eigentlich noch viel zu sagen, zum Beispiel zu den Themen Energieeffizienz und Kraft-Wärme-Kopplung. Wir haben ein in sich schlüssiges Energiekonzept. Ich fordere Sie noch einmal auf: Lesen Sie unser Energiekonzept! Dann könnten wir uns die eine oder andere Debatte im Deutschen Bundestag ersparen. Wir sollten dieses große Projekt, bei dem es um ein Mehr an Wohlstand und Wachstum geht, gemeinsam und konstruktiv angehen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Erst alle beschimpfen und dann Gemeinsamkeiten einfordern! Das ist eine interessante Vorgehensweise!) Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Akzeptanz der Menschen für dieses Projekt nicht verlieren. Ich finde, dass Sie an diesem Projekt engagiert mitwirken sollten. Ich fordere Sie noch einmal auf – wie immer –: Machen Sie mit! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt erteile ich Hubertus Heil das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bareiß, Sie sind ja schon richtig im Oppositionsmodus. Sie beklagen eine Situation, obwohl Sie noch an der Regierung sind. In gewisser Weise kann ich das verstehen. Angesichts des Zickzackkurses Ihrer Bundeskanzlerin in der Energiepolitik der letzten vier Jahre ist es selbst für ausgewiesene Energiepolitiker ganz schön schwer, dem zu folgen. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Drei Jahre!) Wir erinnern uns: Wir haben in den letzten vier Jahren in der Energiepolitik drei Bundeskanzlerinnen Merkel erlebt. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die Geschichte kennen wir schon, Herr Heil! Sie brauchen sie nicht in jeder Rede zu erzählen!) Zunächst war da die Klimakanzlerin, die von Gipfel zu Gipfel geeilt ist und ehrgeizige Klimaschutzziele verkündet hat. Das haben wir gut gefunden; wir waren ja damals in der Großen Koalition. Nach der Finanzkrise und nach dem Regierungswechsel zu Schwarz-Gelb war Frau Merkel die Laufzeitenverlängerungskanzlerin. Ein halbes Jahr später, nach Fukushima, war sie dann die Ausstiegskanzlerin. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist langsam echt langweilig! Denken Sie sich doch mal etwas Neues aus!) Meine Damen und Herren, die Pirouetten, die Sie in den letzten vier Jahren gedreht haben, (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Es waren nur drei Jahre, keine vier!) haben in der Energiewirtschaft dafür gesorgt, dass es keine Planungs- und Investitionssicherheit mehr gibt. Nicht die Energiewende ist das Problem. Vielmehr treibt das grottenschlechte Management der Energiewende durch diese Bundesregierung die Preise von Strom und Energie nach oben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Drei Jahre, Herr Heil! Nicht vier!) Ich will Ihnen eines sagen, Herr Bareiß – das kommt in Ihren Reden nämlich gar nicht mehr vor –: Als jemand, der sich als Industriepolitiker versteht, bin ich nach wie vor der festen Überzeugung, dass die Energiewende eine Riesenchance für die Industrienation Bundesrepublik Deutschland ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Exakt!) In einer Welt mit Energiehunger, aufstrebenden Ländern und Bevölkerungswachstum haben Deutschland und -Europa die Chance, Ausrüster der Welt zu sein, wenn es um moderne erneuerbare Energien und Energieeffizienztechnik geht. Wenn wir es gut machen, gilt das übrigens auch hinsichtlich der Frage, wie man eine Energiewende intelligent managt. Nur, meine Damen und Herren, genau das ist das Problem. Sie haben gerade gesagt, wir sollten Ihr Energiekonzept lesen. Ich frage Sie: Welches Energiekonzept? Meinen Sie das Energiekonzept, von dem Herr Altmaier gestern in einer Talkshow behauptet hat, es gebe es gar nicht? (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Altmaier hat gestern bei Herrn Beckmann beklagt, dass es, als er ins Amt kam, keine entsprechenden Pläne gegeben habe. Das war ja wohl eine Kritik an Herrn Röttgen, wenn ich das richtig verstanden habe. Wenn ich mir vor Augen führe, wie widersprüchlich die Aussagen von Herrn Rösler und Herrn Altmaier sind, schwant mir Schlimmes. Das ist leider nicht besser, als es bei Röttgen und Rösler war. Diese Koalition hat nicht die Kraft, die Energiewende umzusetzen. Die Koalitionäre blockieren sich gegenseitig. Das treibt die Preise für Verbraucher und Wirtschaft in diesem Land nach oben. Sie haben auf die wesentlichen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Energiewende stellen, keine schlüssigen Konzepte und Antworten. Ihnen geht es nur noch darum, den Schwarzen Peter für Ihr Versagen anderen in die Schuhe zu schieben. Jetzt sage ich Ihnen einmal, worum es im Einzelnen geht. Wir haben eine extremistische Diskussion über das EEG auf der einen Seite und über Ausnahmen für energieintensive Betriebe auf der anderen Seite. Wir haben auf der einen Seite einen Bundeswirtschaftsminister, der so tut, als sei das EEG der Untergang des Abendlandes, und wir haben auf der anderen Seite politische Kräfte in diesem Land, die sagen: Alle Ausnahmen für die energieintensiven Betriebe müssen weg. Das ist nicht unsere Position. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen natürlich, dass Vorstellungen von einem zukünftigen Strommarktdesign, die Sie nicht haben, umgesetzt werden. Wir wollen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht gebremst, sondern vorangetrieben wird und dass er mit dem Netzausbau in diesem Land stärker synchronisiert wird. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Und wer bezahlt das?) Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Es geht schon darum, eine Vorstellung vom Strommarktdesign der Zukunft, die Sie nicht haben, zu entwickeln. Das schaffen Peter Altmaier und Philipp Rösler aber offensichtlich nicht. Herr Bareiß, Sie haben damals mit Herrn zu Guttenberg und Herrn Glos in der Großen Koalition beim Unbundling verhindert, dass es eine Deutsche Netz AG geben kann. Das rächt sich jetzt beim Ausbau der Leitungen bitterlich, weil die notwendige Investi-tionskraft nicht da ist. Sie müssen sich schon zuschreiben lassen, dass Sie keine Ideen dafür haben, wie man Energieeffizienz in diesem Land wirklich voranbringen kann. Sie haben keine Vorstellung davon, wie wir Versorgungssicherheit außerhalb der planwirtschaftlichen Notinstrumente, die Sie diesen Winter einführen müssen, langfristig sichern können. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Wir wollen das Erneuerbare-Energien-Gesetz vernünftig weiterentwickeln und Stück für Stück dafür sorgen, dass die Erneuerbaren als stabiler Teil der Energieversorgung auch marktfähiger werden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist kein Fehler gewesen, sondern es hat dafür gesorgt, dass wir mittlerweile bei einem Anteil der erneuerbaren Energien von 25 Prozent angelangt sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt politische Kräfte, die alle Ausnahmen für die energieintensiven Betriebe „weghauen“ wollen. Ich sage Ihnen: Sie tragen die Verantwortung dafür, dass die notwendigen Ausnahmen für energieintensive Betriebe in diesem Land so diskreditiert wurden, weil Sie diese Ausnahmen ohne Sinn und Verstand ausgeweitet haben. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es war die rot-grüne Regierung, die zu Recht dafür gesorgt hat, dass Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, an dieser Stelle nicht über Gebühr belastet werden. Es ist nämlich ganz klar, dass wir eine Industrienation sind und bleiben wollen. Aber Sie haben ausgeweitet. (Dr. Matthias Miersch [SPD]: So ist es! – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Für den industriellen Mittelstand haben wir ausgeweitet! Das gehört auch dazu! Das sind auch Arbeitsplätze! Es gibt nicht nur die Industrie, sondern auch den Mittelstand!) Herr Altmaier sagt jetzt, er sei gerne bereit, über diese Ausnahmen noch einmal zu reden. Selbst Philipp Rösler und Herr Bareiß stellen sich hin und sagen: Alles in Ordnung. Das passt bei Ihnen vorne und hinten nicht. (Beifall bei der SPD) Ich sage an dieser Stelle: Wir wollen eine saubere, eine sichere und eine bezahlbare Energieversorgung für die Wirtschaft und die Verbraucher in diesem Land. Es macht uns keiner etwas vor. Natürlich ist die Energiewende eine Riesenherausforderung. Aber die Tatsache, dass Sie keinen Masterplan haben, (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Haben wir doch! – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil!) führt dazu, dass 16 Bundesländer eigene Energiekonzepte haben, die an dieser Stelle zum Teil nicht zusammenpassen; es fehlt nämlich eine politische Führung. Die Tatsache, dass sich das Wirtschafts- und das Umweltministerium gegenseitig blockieren und das Bundeskanzleramt tatenlos zuguckt, ist das eigentliche Problem für die Umsetzung der Energiewende. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Heil, Herr Lindner würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das zulassen? Hubertus Heil (Peine) (SPD): Ach, der Herr Lindner. Gerne! Bitte schön. – Ich vermisse übrigens den anderen Lindner, wenn ich Sie sehe. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist besser als er!) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Sie bekommen noch mehr Lindner, als Ihnen in der SPD guttun wird; das kann ich Ihnen sagen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Lieber Herr Heil, ich möchte Ihnen durch eine leichte Verlängerung Ihrer Redezeit einfach die Gelegenheit geben, nun einmal selber eine Antwort zu geben. Sie behaupten, auch ökonomisch „unterwegs“ zu sein. Wir wissen, dass es eigentlich immer nur zwei Möglichkeiten gibt, nämlich entweder die Ausgaben zu kürzen oder die Einnahmen zu erhöhen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Sie brauchen unser Konzept!) Sie sagen jetzt hier, dass Sie auf der einen Seite den Zubau erneuerbarer Energien sogar noch verstärken möchten. Auf der anderen Seite beklagen Sie, dass wir gerade für mittelständische Unternehmen Ausnahmen haben, damit sie ihren Industriestandort hier erhalten können. Sagen Sie mir einmal, wer die Rechnung für den weiteren Ausbau regenerativer Energien bezahlen soll. Auf der einen Seite beklagen Sie hier die Ausnahmen für die Industrie, und auf der anderen Seite wollen Sie weiter ausbauen. Was gilt denn nun eigentlich, Herr Heil? Wer soll die Rechnung bezahlen? (Rolf Hempelmann [SPD]: Lasst uns doch einmal die Kostensenkungsrechnung bei den Erneuerbaren anschauen!) Setzen Sie sich doch einmal mit der IG Metall aus-einander, die uns schreibt. Hubertus Heil (Peine) (SPD): Ja, sicher. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Nein, das tun Sie nicht. – Sie hat natürlich Sorge um die Arbeitsplätze der Menschen, die in diesen Betrieben arbeiten. Erklären Sie uns doch einmal, wer diese Rechnung aus Ihrer Sicht bezahlen soll. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Erneuerbaren senken die Stromkosten!) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Gerne, Herr Lindner. – Bleiben Sie bitte stehen, damit ich Ihnen antworten kann. – Ich danke Ihnen für diese Gelegenheit. Ich habe eben davon gesprochen, dass mir zwei extremistische Debatten wirklich gegen den Strich gehen, weil sie mit der Sache nicht viel zu tun haben. Sie können mir glauben: Ich habe einen Wahlkreis mit energieintensiven Unternehmen. In meiner Heimatstadt Peine gibt es ein Elektrostahlwerk, das im internationalen Wettbewerb steht. Für solche Unternehmen sind diese Ausnahmen zu Recht gedacht. Aber es ist nicht in Ordnung, dass Sie ohne Sinn und Verstand die Zahl der Ausnahmen auf Unternehmen ausgeweitet haben, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen, (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Industrieller -Mittelstand!) und dem Rest der Verbraucher dann die steigenden EEG-Umlagekosten aufgebürdet haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen: Ich bin für Ausnahmen für energie-intensive Unternehmen, weil wir deren Arbeitsplätze wirklich brauchen. Wir brauchen die ganze Wertschöpfungskette, angefangen bei der Grundstoffindustrie über die kleinen und mittleren Unternehmen bis zu den Hightechschmieden. Aber die Ausweitung der Ausnahmen führt dazu, dass andere die Lasten schultern müssen. Ein anderer Punkt. Wir haben uns doch auf den Atomausstieg verständigt. Zumindest hoffe ich, dass diese Einigung noch steht. Bei Ihnen weiß ich das nicht so genau. Sie trauern der Atomkraft manchmal vielleicht noch hinterher. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ja!) – Gut, dass Sie das an dieser Stelle einmal zugeben. Aber Sie haben mit zugestimmt, dass wir in einem relativ knappen Zeitraum aus der Atomkraft aussteigen. Vielleicht stellen Sie es auch wieder infrage. Das kann ja sein. Ich weiß es nicht, Herr Lindner. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nein!) Gleichzeitig haben Sie sich auf sehr ehrgeizige Klimaschutzziele verständigt. Das ist eine doppelte Energiewende, die Sie im Hinblick auf die Ziele mit unterschrieben haben. Es behauptet niemand, dass diese Herausforderung einfach zu bewältigen ist. Aber wir haben 2000 damit begonnen, den Umbau in der Energieversorgung zu vollziehen. Sie haben an diesem Punkt erst eine Rolle rückwärts gemacht. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Geben Sie mal eine Antwort!) Jetzt wird es mit der Umsetzung zeitlich knapp. Wenn man soziale und ökonomische Belange im Kopf hat, dann muss man sich nicht darum kümmern, die Energiewende schlechtzureden, sondern man muss sich darum kümmern, sie besser zu machen, als Sie es vorhaben, und die Lasten gerecht zu verteilen. Frau Merkel hat an einem Punkt vollkommen recht – Zitat –: Die Energiewende gibt es nicht zum Nulltarif. – Das werden auch Sie nicht bestreiten. Machen Sie sich Gedanken darüber, dass die Energiewende gut und effizient umgesetzt wird und die Lasten gerecht verteilt werden. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ich habe Sie etwas gefragt!) Das ist die Aufgabe, vor der Sie stehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Keine Antwort!) Was Sie machen, ist doch ein Schwarzer-Peter-Spiel. Sie sind noch an der Regierung; das wird nächstes Jahr Gott sei Dank vorbei sein. Setzen Sie sich einmal durch und machen Sie eine vernünftige Energiepolitik. Sie und die CDU/CSU beschimpfen sich gegenseitig: Herr Altmaier gegen Herrn Rösler. Herr Altmaier macht einen Vorschlag, angeblich einen Verfahrensvorschlag – das ist nicht einmal ein Konzept, etwas, was in Ihren Reihen nicht einmal mehrheitsfähig ist –, und Herr Rösler widerspricht. Dabei geht es auch um Profilbildung einer schwächelnden FDP vor den Landtagswahlen in Niedersachsen und der Bundestagswahl. Ihnen geht es um die FDP und nicht um eine vernünftige Energiepolitik, Herr Lindner. Genau das scheint das Problem zu sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wieder keine Antwort der SPD!) Herr Lindner, das ist eine große Herausforderung. Das ist eine ganz anstrengende Aufgabe. Auch in unserer Regierungszeit – das sage ich deutlich – gab es unterschiedliche Auffassungen zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium. Es ist ganz legitim, dass es verschiedene Ressortinteressen und unterschiedliche Herangehensweisen gibt. Der Unterschied ist nur: Es gab damals zwischen Werner Müller und Jürgen Trittin zwar nicht jeden Tag eitel Sonnenschein, aber am Ende des Tages sind sie zu gemeinsamen Lösungen gekommen, weil beispielsweise Frank-Walter Steinmeier im Bundeskanzleramt dafür gesorgt hat. Wo sind eigentlich Herr Pofalla und Frau Merkel in dieser Debatte? Sie schauen tatenlos zu, wie diese Jungs die Energiewende vergeigen. Das treibt die Kosten in die Höhe. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen einen Masterplan für die Energiewende in diesem Land. Wir wollen dafür sorgen, dass Bund, Länder und Kommunen an einem Strang ziehen und nicht auseinanderdriften. Auch zwischen den Bundesländern gibt es sehr unterschiedliche Interessen. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Allerdings! 16 verschiedene Konzepte!) Das ist legitim. Aber für eine Energiepolitik aus einem Guss, für eine gelungene Energiewende brauchen wir einen nationalen Masterplan. Sie reden so, als seien Sie gar nicht in der Regierung. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist -alles Geschwätz!) Ich sage Ihnen: Das wird nächstes Jahr der Fall sein. Energiewendeversager wie Röttgen, Rösler, Altmaier und Merkel (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Und Trittin!) kann das Industrieland Bundesrepublik Deutschland und können auch die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land nicht weiter gebrauchen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Auf eine konkrete Frage keine Antwort!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Klaus Breil für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Breil (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Heil, bitte beachten Sie bei Ihren Schimpfkanonaden einfach einmal, dass wir erst die überbordenden Kosten für die Förderung der Erneuerbaren auffangen und in den Griff bekommen mussten, Kosten, für die Rot-Grün die Grundsteine gelegt hat. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ich war im -Vermittlungsausschuss!) Verwechseln Sie als Wirtschaftsexperte – ich nehme an, dass Sie diesen Anspruch erheben – (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: -Absurderweise!) nicht Anträge und ergangene Bescheide. Anfang 2010, in einer meiner ersten Reden zum Thema Energie vor diesem Hohen Haus, war es mein zentrales Anliegen, Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, über die mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz verbundenen Kosten aufzuklären. Damals ging es um 8,2 Milliarden Euro. Ich warnte vor einem Anstieg auf 10 Milliarden Euro für das darauffolgende Jahr 2011. Heute, im Jahr 2012, sprechen wir über eine andere Zahl. Wir sprechen davon, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher im kommenden Jahr für die Förderung erneuerbarer Energien fast das Doppelte, nämlich rund 20 Milliarden Euro, zahlen müssen. Damit ist die Schmerzgrenze deutlich überschritten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Daher muss es in den kommenden Wochen darum gehen, durch entschiedenes Handeln weitere Belastungen erstens für die Verbraucher und zweitens für die Indus-trie bzw. die Wirtschaft in Deutschland zu verhindern. Meine Damen und Herren, bloße Verfahrensschritte bringen uns an dieser Stelle nicht weiter. Wenn wir bis Mai nächsten Jahres nur diskutieren, schaffen wir in dieser Legislaturperiode keine Gesetzesänderung mehr. Wir Liberalen haben daher als kurzfristige und konkrete Maßnahme vorgeschlagen, die Stromsteuer so schnell wie möglich anzupassen, und zwar mindestens um die Höhe der Mehrwertsteuer, die auf den Betrag der Erhöhung der Umlage gezahlt werden muss. Noch besser wäre es natürlich, die Stromsteuer um die gesamte Mehrwertsteuer zu ermäßigen. Der Staat darf sich nicht auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher an der Umlagenerhöhung bereichern. In der Wirtschaft nennt man so etwas Windfall Profits. (Rolf Hempelmann [SPD]: Aber die Unternehmen dürfen es!) Für wen dieser Betrag pro Haushalt und Monat nur ein kleiner Fisch ist und wer diese Entlastung um immerhin rund 500 Millionen Euro mit dem Argument abtut, es sei nicht gerecht, der nimmt die Sache nicht ernst. Wer uns an dieser Stelle die Zustimmung verweigert, soll den Verbraucherinnen und Verbrauchern ins Gesicht sagen: Stellt euch 2013 und 2014 weiter auf steigende Stromkosten ein. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Wenn wir nicht bald handeln, erreichen wir eine wirksame Gesetzesänderung erst Mitte 2014. Das ist schlichtweg zu spät. Lassen Sie mich noch einen zweiten Punkt ansprechen, der schon in der Aktuellen Stunde am Mittwoch diskutiert wurde: Das sind die Ausnahmen für unsere im internationalen Wettbewerb stehende Industrie. In ihrem Antrag sprechen die Grünen von den gesamten Entlastungen für die Industrie und nicht von jenen im Rahmen des EEG. Im Rahmen des EEG nämlich machen die Entlastungen der besonderen Ausgleichsregelung rund ein Fünftel der Umlage bzw. rund 1 Euro-Cent aus; das entspricht 2,5 Milliarden Euro. Diese Summe ist nur die Hälfte dessen, was die Bundesnetzagentur schon heute für 2012 als Zulagen allein für die hinzugekommenen neuen Anlagen der Photovoltaik errechnet hat, nämlich 5 Milliarden Euro. Dabei sichern die energieintensiven Industrien, deren Entlastung 2,5 Milliarden Euro kosten wird, über 850 000 Arbeitsplätze am Industriestandort. Mit Multiplikatorwirkung bedeutet es – das ist für Sie vielleicht neu – sicherlich weit über 2 Millionen Arbeitsplätze. 2,5 Milliarden Euro für 850 000 Arbeitsplätze. 7 Milliarden Euro plus wahrscheinlich 5 Milliarden Euro für weniger als 100 000 Arbeitsplätze aktuell. Meine Damen und Herren der Opposition – insbesondere möchte ich Herrn Heil als gerade selbsternannten Industriepolitiker ansprechen; hören Sie gut zu –, bitte, nehmen Sie sich am Wochenende ein paar Minuten Zeit und lassen Sie dieses Verhältnis auf sich einwirken. Danke. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Hans-Josef Fell hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Jetzt kommt Solarlobby, die Erste! – Gegenruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]: Also, Lindner, mach mal Transparenz auf deiner Website, anstatt das Maul aufzureißen! Ich sage nur Stufe 3!) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Energiepreise steigen wegen der erneuerbaren Energien. – So lauteten die Schlagzeilen vieler Medien in den letzten Tagen und Wochen. Schuld sei die EEG-Umlage. Besonnene Kommentare und differenzierte Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung, der Zeit oder in der Financial Times Deutschland gehen unter in der von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft organisierten Hetzkampagne gegen die erneuerbaren Energien, die Sie von Schwarz-Gelb auch noch unterstützen. Doch damit werden Sie nicht durchkommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schauen wir uns die Energiewelt doch ein bisschen genauer an, meine Damen und Herren von Union und FDP. Trotz aller Erfolge des Ausbaus der erneuerbaren Energien wird die Energie immer noch von den klimaschädlichen fossilen Rohstoffen Erdöl, Erdgas und Kohle plus ein wenig Atomkraft dominiert. Sie behaupten vielfach, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien teuer sei, was im Umkehrschluss bedeuten müsste, dass die Beibehaltung der konventionellen Energien weniger teuer sei. Genau das aber ist Ihr Trugschluss. Betrachten wir die makroökonomische Ebene, so wird exakt das Gegenteil klar. Die fossilen Energien sind heute schon viel zu teuer, sie destabilisieren unsere Wirtschaft und gefährden unseren Wohlstand. Die Europäische Union ist in besonderem Maße abhängig vom Import fossiler Rohstoffe. So betrug im letzten Jahr die europäische Importrechnung für Erdöl, Erdgas und Kohle über 400 Milliarden Euro. Wenn man nun weiß, dass die EU der 27 ein Außenhandelsdefizit von 120 Milliarden Euro hat, so wird klar, dass die europäische Wirtschafts- und die Euro-Krise auch mit den immer teureren Energieimporten zusammenhängen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das treibt die Staatsverschuldung und die Wirtschaftskrise voran, das steckt hinter der Massenarbeitslosigkeit in vielen europäischen Ländern, und das ist auch die Hauptursache für Armut vieler Menschen, die sich schon heute nicht mehr die Güter für den täglichen Bedarf sowie Energie in ausreichendem Maße leisten können. Schon jetzt rächt sich, dass Europa in der Vergangenheit nicht auf erneuerbare Energien umgestiegen ist und das Thema Energieeinsparung sträflich vernachlässigt hat. Denn genau das sind die Strategien, um unsere Volkswirtschaften vor der Bedrohung durch die inzwischen kaum mehr bezahlbaren Energieimporte zu erlösen. In der vor gut zwei Jahren aufgelegten Sicherheitsanalyse der Bundeswehr zu Peak Oil hätten Sie das längst nachlesen können; doch Sie ignorieren konsequent die Zusammenhänge. In Ihren Energiedebatten kommt dieser Zusammenhang nie vor. Sie versäumen es damit vollständig, diesen großen Zusammenhang in den Mittelpunkt zu stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dabei würde der konsequente Umstieg auf erneuerbare Energien im Zuge der Energiewende Deutschland bis 2050 um etwa 570 Milliarden Euro entlasten. (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Woher haben Sie denn die Zahl?) – Die können Sie nachlesen in (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Dem Blättchen für Solarwirtschaft!) der Leitstudie des BMU. Sie können das dort in den Studien nachlesen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Bei Herrn Kelber! Bei EUROSOLAR!) Aber das Schlimmste ist, dass ausgerechnet Sie die erneuerbaren Energien immer noch kampagnenartig als Energiepreistreiber diffamieren (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ist doch so!) und so eine Lösung verhindern. Sie versuchen permanent, der Bevölkerung einzureden, dass die erneuerbaren Energien zu teuer seien. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ist doch so!) Schauen wir uns doch einmal die Energiepreise, die die Privathaushalte zahlen müssen, etwas differenzierter an. Gemäß einer kürzlich im Landeskabinett Schleswig-Holstein vorgestellten Analyse stiegen die Heizölpreise von 1998 bis 2012 um fast 300 Prozent, die Erdgaspreise um über 100 Prozent, die Strompreise dagegen nur um 50 Prozent. Selbst die Spritpreise sind wesentlich stärker gestiegen als die Strompreise. Sie aber reiten nur auf der Höhe der Strompreise herum und übersehen dabei völlig den sozialen Sprengstoff, der sich aus den übrigen, wesentlich höheren Energiepreisen ergibt. Das belastet unsere Haushalte schon heute massiv. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Strompreis steigt weniger wegen des Ausbaus der erneuerbaren Energien, sondern vielmehr wegen des Anstiegs der Preise für fossile Rohstoffe, wegen der hohen Gewinne der Konzerne und vor allem wegen Ihrer immensen Fehler, die Sie von Schwarz-Gelb in jede EEG-Novelle eingebaut haben. Das haben wir gestern ausführlich diskutiert. Sie konnten nichts dagegensetzen. Wenn wir gerade einkommensschwache Haushalte vor steigenden Energiepreisen schützen wollen, müssen wir alles tun, um sie sehr schnell durch Energiesparmaßnahmen zu unterstützen. Damit beschleunigen wir auch den Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie von Schwarz-Gelb tun gerade das völlige Gegenteil, indem sie die Begrenzung des Ausbaus erneuerbarer Energien durchsetzen wollen. Sie schalten Windkraftanlagen ab, wenn zu viel Windstrom im Netz ist, und wollen sogar den weiteren Ausbau der Windkraft begrenzen. Machen wir es doch lieber wie die Dänen, die bei fast kostenlosem überschüssigem Windstrom Windkraftanlagen nicht abschalten, sondern diesen Strom in Nah- und Fernwärmenetze geben, damit teures Erdöl und Erdgas ersetzt werden. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Da sind wir jetzt dabei!) So können wir Einkommensschwachen helfen, Heizkosten zu sparen, und gleichzeitig die erneuerbaren Energien ausbauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Durch die Umstellung auf erneuerbare Energien fallen natürlich Investitionskosten an, die aber sozial gerecht verteilt werden müssen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Fell. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In unserem heute vorgelegten Antrag werden Sie vieles finden. Mein Kollege Markus Kurth wird dieses noch verdeutlichen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Genau. – Herr Fell! Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin, zum Schluss fordere ich Union und FDP auf, unserem Antrag zuzustimmen und endlich die Hetzkampagne gegen den Ausbau erneuerbarer Energien zu beenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wir diskutieren dieses Thema – immer ein bisschen unterschiedlich akzentuiert – nun zum dritten Mal in dieser Sitzungswoche. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie lernen nichts dazu!) Wenn man etwas dreimal diskutiert, muss man sich natürlich schon fragen: Was bringt die Debatte? (Zuruf von der FDP: Nichts!) Meiner Meinung nach bringt sie Folgendes: Ich glaube, man kann nicht mehr leugnen, dass diese Energiewende richtig Geld kostet (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir haben das nie geleugnet!) und dass die Union und die FDP recht hatten mit dem Hinweis, dass das teuer wird. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wussten Sie das vor einem Jahr schon?) Das muss man einmal in der Klarheit sagen. Das ist hier nicht einmal von der Linken bestritten worden; (Katja Kipping [DIE LINKE]: Vor allem kosten die Konzerngewinne!) denn man müsste keine Verteilungsdiskussionen führen, wenn man nicht genau wüsste, dass diese ganze Geschichte teuer wird. Nun wäre es richtig und angemessen, man würde sich an dieser Stelle darüber unterhalten, was man tun kann, damit es nicht zu teuer wird, statt Verteilungskämpfe und Schwarzer-Peter-Diskussionen – das Wort hat der Kollege Heil vorhin gebraucht – zu führen und sich zu überlegen, wer denn an der ganzen Misere schuld sein könnte. Ich sage Ihnen ganz offen: Mich ärgert es, dass man das nicht tut; denn ich glaube, es wäre schon notwendig, dass wir hier Lösungen präsentieren und nicht ständig dieselbe problemorientierte Debatte führen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Nüßlein, auch das ist wie gestern: Herr Lenkert würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Okay, wunderbar. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Nüßlein, Sie sind ja nun in einer Partei, die die Marktwirtschaft fordert und fördert. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie nicht!) Nach dem, was ich gelernt habe – ich habe es in den letzten 22 Jahren gelernt –, richtet sich der Preis nach Angebot und Nachfrage. Da stelle ich jetzt die Frage: Wo haben wir in Deutschland viel Stromangebot, und wo haben wir wenig Stromangebot? Ich stelle die zweite Frage dazu: Wo ist der Preis des Stromes höher, und wo ist er niedriger? Ich gebe Ihnen schon einmal die Antworten vor: In Norddeutschland und in Ostdeutschland haben wir sehr viel Strom im Angebot, in Bayern und Baden-Württemberg sehr wenig. Trotzdem ist der Strompreis in Bayern und in Baden-Württemberg deutlich niedriger als in Norddeutschland und in Ostdeutschland. Es ist also erst einmal nicht marktwirtschaftlich. Jetzt möchte ich von Ihnen wissen: Was tun Sie, um dieses Missverhältnis auszugleichen? Denn es verstärkt sich ja noch dadurch, dass energieintensive Unternehmen oder Unternehmen, die einen relativ hohen Stromverbrauch haben, sich gezielt in Süddeutschland ansiedeln, wo wir zwar wenig Strom haben, er aber weniger kostet, und, wenn wir Pech haben, aus Norddeutschland oder Ostdeutschland abwandern, weil es sich nicht rechnet, weil der Strom so teuer ist. Was tun Sie gegen dieses Missverhältnis? Möchten Sie da nicht unseren Vorschlägen folgen, die besagen: „Wir brauchen bundeseinheitliche Netzentgelte“? (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Brauchen Sie jetzt nicht den Telefonjoker, Herr Nüßlein? – Heiterkeit bei der SPD) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Ich bin in der Tat ratlos und frage mich, wie man eine solche Frage an der Stelle beantworten soll. Das Einzige, was man dieser Frage zunächst einmal entnehmen kann, ist die spannende Abgrenzung, dass wir für die Marktwirtschaft sind und Sie dagegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) – Das haben Sie selber so formuliert. Das muss man erst einmal vorab festhalten, damit man den Unsinn, der danach kommt, irgendwo einordnen kann; denn ich muss Ihnen ganz offen sagen: Ich habe nicht verstanden, was Sie mit dieser Frage letztendlich sagen wollen. Wollen Sie sagen, dass sich Unternehmen sinnvollerweise im Norden ansiedeln sollen? Die werden einen Grund haben, lieber Kollege Lenkert, warum sie das im Süden tun. Vielleicht liegt es auch an der einen oder anderen politischen Ausrichtung und daran, dass wir insbesondere im Süden ordentliche Rahmenbedingungen haben, nämlich in Bayern, wo die CSU regiert, und nicht da, wo Sie umeinanderfuchteln. Das mag auch ein Grund dafür sein, dass die Unternehmen sich so entscheiden. Ich kann also nicht nachvollziehen, was diese Frage mit dem Thema zu tun hat und was Sie mir damit gerade eben signalisieren wollten. Wir sind auch nicht in der von Ihnen favorisierten Planwirtschaft, in der man dem Unternehmen, das viel Strom verbraucht, sagt: Du gehst bitte nicht in den Süden, sondern in den Norden, weil dort überschüssiger Strom vorhanden ist. – Das hat es vielleicht in der DDR gegeben. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das sind ja olle Kamellen!) Aber funktioniert hat es auch da nicht. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht das Thema! – Ulrich Kelber [SPD]: Warum müssen sich die Blockparteien eigentlich immer streiten?) Wenn Sie das nach so vielen Jahren einmal verstehen würden, in denen Sie es selbst miterlebt haben, dann wäre das schon eine ganz gute Geschichte. Aber ich entnehme dieser Frage auch, dass Sie mit solchen Haltet-den-Dieb-Debatten nach dem Motto „Wer ist denn jetzt an der ganzen Misere schuld?“ fröhlich weiter Schwarzer Peter spielen wollen. Sie zwingen einen mit dieser Diskussion dazu, mitzumachen. Das finde ich bedauerlich, weil man in den zehn Minuten auch andere Dinge darstellen könnte. Aber ich mache dann natürlich mit und sage: Ja gut, dann müssen Sie sich an die eigene Nase fassen. Der Kollege Heil bemängelt fehlendes Management. Sie nehmen für sich in Anspruch, diese Energiewende angestoßen zu haben. Ich kann mich aber überhaupt nicht daran erinnern, dass Sie irgendwo einen Schritt gemacht hätten, der von dem Aufbau erneuerbarer Kapazitäten in Richtung Aufbau der Versorgung geführt hätte. Dazu gibt es nichts; es gibt keinen Ansatz bei dem, was Sie damals gemacht haben. Also haben Sie entweder nicht an den Erfolg des EEG geglaubt, oder Sie haben gedacht: Die schwierigen Dinge sollen die machen, die nach uns kommen. – Dass es bei einem volatilen Aufkommen schwierig ist, eine entsprechende Versorgung aufzubauen, werden Sie uns doch zumindest zubilligen. Wenn wir über die Frage diskutieren wollen, wo noch Fehler gemacht worden sind, dann muss sich die grüne Seite auch an die eigene Nase fassen und zugeben: Jawohl, wir sind mit dem Thema PV zu früh und zu teuer an den Markt gegangen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein! – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Überhaupt nicht zu früh! Sonst wären wir doch heute gar nicht so weit!) Alles, was danach gekommen ist, nämlich das mühselige Bremsen in diesem Bereich, lag daran, dass Sie mit fast 50 Cent an das Thema herangegangen sind, was jenseits von Gut und Böse war. Sie haben gesagt: Das ist ein Forschungsthema, aber weil wir gerade einen Hebel in der Hand haben, wollen wir jetzt diesem Forschungsthema einen Markt zuweisen. – Das hat letztendlich nicht dazu geführt, dass es vorangeht, sondern es hat dazu geführt, dass wir einen riesigen Kostenberg vor uns herschieben, der jetzt auch am Image des EEG kratzt. Sie wissen, dass mir das auch persönlich wehtut. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie auch die Frage von Herrn Heil zulassen? Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Ja. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Nüßlein, auf die Gefahr hin, dass Sie Zwischenfragen einfach nicht beantworten, die Ihnen gestellt werden, versuche ich, Ihnen zwei Gedanken in Frageform näherzubringen. Erstens. Können Sie sich erinnern, dass der rot-grüne Ausstiegsbeschluss – er war aus meiner Sicht übrigens intelligenter als das, was Sie gemacht haben – mit dem Konzept der Übertragung von Reststrommengen in der damaligen Zeit – es geht übrigens um den Zeitraum 2000 bis 2025 – die Möglichkeit eröffnet hätte, anders mit dem Thema Versorgungssicherheit und Planbarkeit umzugehen, als es mit Ihrem Ausstiegsbeschluss der Fall ist? Sie haben die Jahre definiert. Wir haben damals an dieser Stelle bewusst gesagt: Wir brauchen für die Versorgungssicherheit den Ausgleich durch flexible Instrumente. Sei’s drum, es ist jetzt anders entschieden worden. Aber ich will auf den Fakt hinweisen, dass wir uns durchaus Gedanken gemacht haben, wie wir Versorgungssicherheit hinbekommen. Zweitens. Wenn es Ihnen nicht nur darum geht, anderen Schuld in die Schuhe zu schieben, interessiert mich beim Thema Reservekapazitäten, die wir alle für notwendig halten – Stichwort Volatilität –, die Frage, wann Sie mit einem Konzept für strategische Reserve, Kapazitätsmärkte oder wie auch immer Sie es nennen wollen, herauskommen. Denn Sie sind immer noch in einer Regierungsfraktion, Herr Nüßlein. Das wird zwar nächstes Jahr vorbei sein, (Lachen bei der FDP – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Träum weiter!) aber Sie können doch nicht immer nur auf andere zeigen, sondern müssen auch sagen, wie Sie das Problem lösen wollen. Das ist der Punkt. Wann kommt das Konzept zu Kapazitätsmärkten und Reservestrategien, und wie sieht es nach Ihrer Vorstellung aus, Herr Nüßlein? Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Ich finde den ersten Teil Ihrer Einlassung hochspannend. Darüber sollten Sie sich auch einmal mit Ihrem früheren Koalitionspartner auseinandersetzen. Denn damit sprechen Sie implizit zwei Punkte an, nämlich erstens: Wir haben fest damit gerechnet, dass die Kernenergie über das Jahr 2022 hinaus nach unserem Konzept läuft. – Das ist die Quintessenz dessen, was Sie gerade formuliert haben. Sonst wäre der Hinweis auf diese Flexibilität Makulatur. Das ist doch klar. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie haben ihn nicht verstanden! – Gegenruf der Abg. Gabriele Groneberg [SPD]: Er will dich nicht verstehen!) – Genau das haben Sie an der Stelle formuliert. Ich finde das spannend. Sie implizieren bei der Gelegenheit noch etwas anderes, nämlich dass die Kernenergie in der Tat eine sinnvolle Ausgleichskapazität gewesen wäre, was die Energiewende vereinfacht hätte. Nur so kann man diese Einlassung verstehen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! Sie haben es nicht verstanden! Das ist wirklich ein intellektuelles Problem!) Wenn man es verständig würdigt, was Sie gerade gesagt haben, geben Sie implizit der rechten Seite des Hauses recht, die damals gesagt hat: Wir schaffen mit Laufzeitverlängerungen eine Voraussetzung dafür, die Energiewende auch finanziell und hinsichtlich der Versorgungssicherheit abzufedern. – Genau das sagen Sie jetzt. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein!) Jetzt ziehen Sie das, was Sie selber gerade formuliert haben, wieder in Zweifel. Was soll ich dazu sagen? Was den Punkt Reservekapazitäten angeht, werden wir zu gegebener Zeit etwas organisieren (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ah! Zu gegebener Zeit! Wann ist das denn?) – zeitnah –, um auch in den kommenden Wintern – es geht jetzt nicht um diesen Winter, sondern um die kommenden Winter – (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Es geht nicht um Winter! Es geht um 2020!) dagegen gewappnet zu sein, dass es bei uns einen Blackout gibt und wir Schwierigkeiten bekommen. Ich prophezeie Ihnen, dass die Diskussion über die Energiewende in der Bevölkerung, wenn es zu einem solchen Ausfall käme, komplett anders verlaufen würde. Dann hätten wir alle wieder den Schwarzen Peter, und es hieße: „Die Politik kann es nicht“, weil wir manchmal geneigt sind, das eine oder andere zu machen, was riskant ist. Ich gebe ganz offen zu: Die Energiewende birgt, so wie wir sie uns in zeitlicher Hinsicht und unter dem Druck, kein Industrieunternehmen aus dem Land vertreiben zu wollen, vorgenommen haben, gewisse Risiken. Deshalb sollten wir nicht leichtfertig und vor allen Dingen nicht jenseits der Wahrheit darüber diskutieren. Ich möchte Folgendes ganz deutlich sagen: Was in den letzten Tagen von der grünen Seite – insbesondere von Herrn Özdemir und Herrn Trittin; Sie können auch Herrn Baake mit dazu nehmen – über die Presse verlautbart wurde, ist unterirdisch; das sage ich Ihnen ganz -offen. Zu einem Erstsemester in Jura sagt man in der -Regel: Ein Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung. – Zumindest von einem ehemaligen Minister müsste man erwarten können, dass er in der Lage ist, einen Gesetzestext wenigstens anzulesen. Im Gesetz steht im Hinblick auf Befreiungen: produzierendes Gewerbe und Schienenverkehr. Mir soll einmal jemand erklären, wie man selbst bei weitestgehender Auslegung und bösartigstem Vorgehen Golfplätze als produzierendes Gewerbe verstehen kann. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ihnen braucht man nichts zu erklären, Sie verstehen sowieso nichts! – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Schmarren! Das hat doch keiner gemacht!) Wenn man das tut, dann gibt es nur zwei Varianten: Es handelt sich entweder um – ich hätte beinahe Dummheit gesagt – fahrlässiges Vernachlässigen oder um Vorsatz. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Oder eine Mischung aus beidem!) Nachdem die Diskussion für Sie so schön verlaufen ist und die falsch behaupteten Ausnahmen permanent wiederholt wurden, unterstelle ich Ihnen mittlerweile Vorsatz. Sie hören ja nicht auf. In drei Debatten hat niemand von Ihnen den Mumm gefunden, sich hier hinzustellen und zu sagen: Jawohl, da wurde etwas Falsches behauptet; das war nicht wahr. Das tut uns leid. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Mindeste, was Sie hätten machen müssen, wäre gewesen, zu sagen: Wir haben – ob boshaft oder nicht – etwas Falsches behauptet und versucht, etwas zu diskreditieren, was wir nicht hätten diskreditieren sollen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Ablenkung! Das ändert doch nichts an der Tatsache, dass Sie Ausnahmen machen!) Besser wäre es gewesen, wenn wir darüber diskutiert hätten, wie wir auf die Erhöhung der EEG-Umlage reagieren sollen. Angesichts einer EEG-Umlage in Höhe von 5,277 Cent pro Kilowattstunde muss man die Frage stellen, wie es weitergehen soll und wie wir das verteilen wollen. (Ulrich Kelber (SPD): Ja, genau! Wie verteilen wir das? Die Frage haben Sie sich gestellt! Die Linke sagt: Freibier bzw. Freistrom sowie kostenlos zur Verfügung gestellte effizientere Kühlschränke für alle. – Darüber kann man nicht ernsthaft diskutieren. Wir dagegen haben damals sehr überlegt gesagt: Wir erweitern angesichts der Tatsache, dass sich die EEG-Umlage vervielfacht hat, den Kreis derjenigen, die eine Befreiung in Anspruch nehmen können, etwas, um die Betreffenden nicht in ökonomische Schwierigkeiten zu bringen. – Ich persönlich halte das für nicht verwerflich. Wenn Sie mir nicht glauben wollen, dann glauben Sie vielleicht eher Herrn Trittin. Ich lese Ihnen einmal vor, was er am 13. November 2003 in der Diskussion über die Novelle des EEG gesagt hat: Deswegen haben wir dafür Sorge getragen, dass beispielsweise nicht nur große, sondern auch mittlere Unternehmen von der Härtefallregelung profitieren … Wenn das der Leitsatz ist, haben wir richtig gehandelt. Dass man natürlich besonders sensibel sein muss, wenn es nicht um 0,2 Cent, sondern um 5,277 Cent geht, ist doch klar; das leuchtet doch jedem ein. Was Sie wollen, ist etwas ganz anderes. Sie wollen die Teuerung, die Sie immer bestritten haben, der rechten Seite in die Schuhe schieben (Rolf Hempelmann [SPD]: Was heißt denn „in die Schuhe schieben“? – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn hier?) und behaupten, dass wir maßlos Befreiungen bewilligt hätten. Da ist die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ein ganzes Stück weiter. Dort wurde vorgeschlagen, im Zusammenhang mit den Offshoreanlagen eine Komplettbefreiung bei den Netzentgelten vorzunehmen. Fragen Sie einmal nach, wie man dort auf einen solchen – aus Ihrer Sicht – abwegigen Vorschlag gekommen ist. Das wäre hochspannend. Noch spannender wäre es allerdings, hier bei uns darüber ein bisschen mehr lösungs-orientiert und weniger problemorientiert zu diskutieren. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre wirklich gut, wenn Sie das in der Union so machen würden!) Ich bin der festen Überzeugung, dass wir über die Berechnung der EEG-Umlage noch einmal diskutieren müssen. Dazu muss man Vorschläge machen. Da ist in der Tat eine Art Zirkelschluss enthalten. Die Mehreinspeisung an erneuerbaren Energien führt am Spotmarkt zu niedrigeren Preisen, was uns eine höhere EEG-Umlage und mit einem gewissen Automatismus den Unternehmen höhere Gewinne beschert. Das ist etwas, worüber wir sicher nachdenken müssen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Ja, aber Sie machen doch nichts!) – Wir kommen ja nicht dazu, das hier zu debattieren, weil Sie hier letztendlich immer dieselbe Story vortragen. (Ulrich Kelber [SPD]: Ihr redet alle, als wärt ihr in der Opposition!) Ein weiterer Punkt. Wir haben seitens der CSU einen sinnvollen Vorschlag gemacht, wie man die EEG-Umlage nicht nur auf 20 Jahre berechnet, was mit der zugesagten Planungssicherheit zusammenhängt, sondern wie man diese Umlage auch auf die verteilt, die danach kommen. (Ulrich Kelber [SPD]: Genau! Wieder die nächste Generation! Das ist eine tolle Idee! Wie bisher!) – Nein, nicht die nächste Generation. Das ist eine Verunglimpfung. (Ulrich Kelber [SPD]: Genau! Wir konsumieren heute, und die nächste Generation soll es bezahlen! Was für eine tolle Politik!) – Denken Sie einfach darüber nach und handeln Sie nicht so fahrlässig, wie Sie es hier sonst immer tun! Es geht nicht um die nächste Generation; es geht darum, dass wir jetzt endlich einen Kapitalstock aufbauen müssen, um in Windräder, in Anlagen zu investieren, (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist doch da! Die privaten Leute machen das doch längst! Die wollen das weitermachen!) die Fixkosten verursachen, die aber dann den Vorzug haben, keine variablen Kosten zu verursachen. Das heißt, wenn wir das jetzt machen, wird es welche geben, die – das können auch noch wir sein; das ist jedenfalls meine Hoffnung – dann davon profitieren, dass erneuerbare Energien ohne variable Kosten Strom produzieren. (Ulrich Kelber [SPD]: Unglaublich! Verschuldungspolitik!) Denken Sie einfach darüber nach! Man kann sich Gedanken darüber machen, ob man die 5,27 Cent nicht ein bisschen anders verteilt. (Ulrich Kelber [SPD]: Wir machen keine neuen Schulden!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Nüßlein, jetzt ist das Ende Ihrer Redezeit überschritten. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Dann höre ich an der Stelle auf. Ich weiß, dass der Reflex parteipolitisch motiviert ist. Ich bedanke mich trotzdem fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Ulrich Kelber hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ulrich Kelber (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor drei Monaten hat die SPD-Bundestagsfraktion der Regierung 135 Fragen gestellt (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: 137!) zu den Grundlagen der Energieversorgung, zu den Kosten von Alternativen in der Energieversorgung. Eine solche Große Anfrage muss die Regierung normalerweise innerhalb von sechs Wochen beantworten. Wir bekamen ein Schreiben: Die Regierung kann diese Große Anfrage Mitte Februar 2013 beantworten. Zwei Beispiele: Welche Maßnahmen will die Regierung gegen den Anstieg der EEG-Umlage zum 1. Januar 2013 ergreifen? Beantworten wird das die Regierung im Februar 2013. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Hört! Hört!) Von welcher Preisentwicklung bei Öl-, Gas- und Kohleimporten geht die Regierung aus? Antwort: Wir müssen recherchieren. Wir werden antworten im Februar 2013. – Herr Minister, wenn man noch nicht einmal die Grundlagen kennt, wie will man dann verantwortliche Entscheidungen in der Energiepolitik treffen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir erleben drei Jahre chaotische Energiepolitik. Das sagt nicht nur die Opposition. Der frühere CDU-Ministerpräsident Oettinger, jetzt europäischer Energiekommissar, antwortet auf die Frage „Was sagen Sie zur Energiepolitik in Deutschland?“: Welche Energiepolitik? Ich komme von einem Treffen mit dem Deutsch-Norwegischen Netzwerk. Die sagen: Wir investieren nicht mehr in Deutschland – nicht in Netze, nicht in Gas, nicht in Erneuerbare; wir wissen nicht, ob irgendeine Rahmenbedingung in Deutschland länger als drei Monate hält. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Aber es gibt doch den Einspeisevorrang!) 2009 haben Sie eine Politik vorgefunden, die – als ein Beispiel – aus dem Ausstieg aus der Atomenergie bestand. Innerhalb von einem Jahr haben Sie den Ausstieg aus dem Ausstieg gemacht, ein halbes Jahr später den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. Jetzt sagen CDU-Politiker wie Vaatz, wie Bareiß, wie Pfeiffer: Eigentlich bräuchten wir doch den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. – Wer soll denn da noch investieren in diesem Land? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Natürlich ist eine sichere Energieversorgung nicht umsonst zu haben, übrigens auch dann nicht, wenn man nicht in Erneuerbare geht. Auch ein auf fossile Kraftwerke ausgerichtetes Netz muss ab und zu erneuert werden. Aber was es teuer macht, ist diese schwarz-gelbe Konzeptionslosigkeit, der Zickzackkurs an dieser Stelle. (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Phrasen-drescherei!) Ich will Ihnen auch dafür Beispiele nennen: Es gibt die Umlagen für Netzentgelte und für das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Einige werden von der Zahlung befreit; deswegen zahlen andere mehr. Ich habe am Mittwoch in der Fragestunde die Bundesregierung gefragt: Wie viel von den 1,7 Cent Anhebung der EEG-Umlage wird benötigt, weil mehr Vergütung gezahlt wird für zusätzliche Anlagen der erneuerbaren Energien? Die Antwort – nachlesbar im Protokoll –: 1,415 Cent der 1,7 Cent haben damit nichts, aber auch gar nichts zu tun. Bundesumweltminister Altmaier und Frau Bundeskanzlerin Merkel haben gesagt: Wir werden diese Befreiungen prüfen. Daher war meine zweite Frage: Bis wann genau will der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit … die Ausnahmeregelungen für die Industrie zur Befreiung von der EEG-Umlage prüfen …? Die Antwort: Das Bundesumweltministerium hat hierzu ein Forschungsvorhaben in Auftrag gegeben. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Was?) Das Vorhaben … wird bis zum 31. Juli 2014 abgeschlossen sein. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist die Realität in diesem Land, ebenfalls nachlesbar im Protokoll vom Mittwoch, das bereits online ist. Wir müssen damit rechnen, dass zusätzlich zur EEG-Umlage 0,5 bis 0,8 Cent weitere Umlagen – für die Offshorehaftungsbefreiung, für weitere Netzentgeltbefreiungen – hinzukommen. Inklusive Mehrwertsteuer unterhalten wir uns also über 3 Cent, die auf den Strompreis umgelegt werden. Wenn Sie meinen Ausführungen gerade gefolgt sind, haben Sie gesehen, dass 2,5 Cent davon unnötig sind. Ich fand den Begriff, den Bärbel Höhn dafür geprägt hat, treffend: Das ist die Merkel-Umlage. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schwarz-Gelb mobbt die erneuerbaren Energien, damit keiner merkt, dass man drei Jahre chaotische Energiepolitik gemacht hat. Allein die zwei größten Energiekonzerne in Deutschland haben angekündigt, 2012 einen Gewinn von 19 Milliarden Euro machen zu wollen. Das ist ein deutliches Plus gegenüber 2011 und übrigens fast das Achtfache des Betrages von vor über zehn Jahren. Wo sind die Stimmen aus der schwarz-gelben Regierung, die das Doppelabkassieren bei den CO2-Zertifikaten kritisieren? Erst werden die kostenlos zugeteilten Zertifikate in den Strompreis eingepreist, und jetzt, wo die Zertifikate bezahlt werden müssen, sollen die Stromkunden noch einmal dafür bezahlen. Wie kann man auf die Idee kommen, für Netzinvestitionen eine sichere, feste Rendite von 9 Prozent zuzusichern und für den Fall, dass ein Risiko entsteht, den Verbraucherinnen und Verbrauchern auch noch eine Risikobefreiungsumlage aufzulasten, damit die 9 Prozent auf keinen Fall geschmälert werden? Und warum führt der Bundeswirtschaftsminister nicht Gespräche mit dem Bundeskartellamt? Es gibt immerhin § 29 GWB. Warum prüfen wir nicht einmal, warum die sinkenden Großhandelspreise bei Strom und Gas nicht an die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden? Das wäre Regierungshandeln. Stattdessen reden Sie, als wären Sie schon in der Opposition. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Altmaier, wir brauchen endlich eine konzeptionelle Energiepolitik. Da reicht nicht das Reden über das EEG. Wir müssen Maßnahmen ergreifen, um in Süd- und Südwestdeutschland, wo die Atomkraftwerke nun schneller abgeschaltet werden, Energieversorgungssicherheit zu garantieren. Dazu brauchen die Länder natürlich eine konsistente Politik der Bundesebene. Wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir Systemstabilität gewährleisten können. Natürlich müssen die Erneuerbaren mehr Systemverantwortung übernehmen; aber sie müssen sie auch übernehmen dürfen. Wir müssen uns fragen, ob das nicht Dinosauriertechnologie ist, wenn in Deutschland immer 20 bis 30 Megawatt von fossilen Kraftwerken bereitgestellt werden müssen, ohne dass der Strom benötigt wird, nur um Systemdienstleistungen zu erbringen. Wir müssen den Strommarkt neu regeln, weil seine Regeln heute weder für Investitionen in Gaskraftwerke noch für eine Marktfähigkeit der erneuerbaren Energien reichen. Und, ja, wir müssen uns über Maßnahmen zur Senkung der Preise und – unideologisch – auch über Sozialtarife unterhalten. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Aha!) Dazu gehört die Debatte über ein EEG 2.0, das nicht deckelt, sondern hilft, von 25 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien auf 50 Prozent zu kommen. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wer soll das -bezahlen?) Darüber darf man nicht ein weiteres Jahr reden. Wir bieten Ihnen an, das auch heute zu machen. Dieses Wursteln in der Energiepolitik, diese Flickschusterei, dieser Aktionismus, diese Schaufensterpolitik mit der Beschränkung auf ein oder zwei Teilaspekte muss aufhören; sonst bekommen wir alle von Schwarz-Gelb eine teure Rechnung präsentiert. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für den Bundesrat erteile ich jetzt Herrn Minister Sven Morlok das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sven Morlok, Staatsminister (Sachsen): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Um es vorwegzuschicken: Der Freistaat Sachsen, die Staatsregierung, von CDU und FDP getragen, will einen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Dies wird uns in Deutschland nur dann gelingen, wenn wir die Akzeptanz durch die Bevölkerung auf diesem Weg nicht gefährden. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: So ist es!) Mit Akzeptanz meine ich das Landschaftsbild. Wir müssen darauf achten, dass wir die Landschaft nicht über das Maß hinaus mit Windkraftanlagen verspargeln. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist mit der Braunkohle?) Und wir müssen darauf achten, dass die Strompreise auf einem Niveau bleiben, auf dem sie für die Verbraucher akzeptabel und bezahlbar sind, auf dem sie die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen nicht gefährden, auf dem sie die Arbeitsplätze nicht gefährden. Das ist wichtig, wenn wir die Menschen in unserem Land bei dieser Politik mitnehmen wollen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Woher kommen die Strompreissteigerungen? Bis 2009 waren es Erzeugung, Transport und Vertrieb. Frau Kipping, Sie müssen zur Kenntnis nehmen: Ab 2010 gibt es dort keine Steigerung mehr. Die Kosten Transport, Vertrieb und Erzeugung blieben konstant. Der Preistreiber sind die staatlichen Abgaben. Der Preistreiber ist die Steuer. Insbesondere die EEG-Umlage ist der Preistreiber. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Ein Drittel!) Ich sage es noch einmal deutlicher formuliert: Preistreiber beim Strom ist der Staat. (Beifall bei der FDP – Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber Sie wissen schon, dass der Staat von einer schwarz-gelben Regierung geführt wird?) Wir brauchen, sehr geehrte Damen und Herren, einen Strompreisstopp, wie ihn Ministerpräsident Tillich am Mittwoch im Landtag gefordert hat. Die Strompreise dürfen für die Verbraucher nicht weiter steigen. CDU und FDP sind sich in dieser Sache einig, zumindest in Sachsen. (Lachen bei der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Ehrliche Rede!) Das EEG wurde geschaffen in einer Zeit, als die erneuerbaren Energien einen Anteil von 3 Prozent hatten. Der Anteil beträgt jetzt ungefähr 25 Prozent. Es wird doch jedem deutlich, dass ein System, das damals gepasst hat, heute die Anforderungen nicht mehr erfüllen kann. Wir brauchen endlich Effizienz bei den erneuerbaren Energien. 20-jährige Vergütungsgarantien mit Einspeisevorrang sind der falsche Weg für die Zukunft. (Beifall bei der FDP – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Investitionssicherheit interessiert Sie nicht!) Wir wollen, dass erneuerbare Energien an dem Ort produziert werden, der am günstigsten ist, und dass sie mit einem Verfahren produziert werden, das ebenfalls am günstigsten ist. (Ulrich Kelber [SPD]: Netzkosten sind egal! Das ist das mit der Einzelbetrachtung, was ich meinte!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kipping zulassen? Sven Morlok, Staatsminister (Sachsen): Gerne. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte. Katja Kipping (DIE LINKE): Lieber Herr Morlok, wenn Sie hier zur großen Staatskritik ausholen und sagen, der Staat ist der Preistreiber, dann will ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass der Bund von einer schwarz-gelben Regierung geführt wird, und ob Sie die Kritik an der Regierung und die Kritik an Ihrer eigenen Partei auf Bundesebene tatsächlich so meinen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wer hat es denn im Bundesrat blockiert?) Sven Morlok, Staatsminister (Sachsen): Sehr geehrte Frau Kipping, ich bin als Landesminister Mitglied im Bundesrat. Wenn ich mir die Debatten im Bundesrat anschaue, dann werde ich das Gefühl nicht los, dass wir bei der Energiepolitik, der Energieeffizienz von Gebäuden und bei vielen anderen Fragen schon deutlich weiter sein könnten, wenn die Bundestagsopposition den Bundesrat nicht ständig blockieren würde. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Die Bundestagsopposition kann nicht blockieren, sie ist in der Minderheit!) Sehr geehrte Damen und Herren, wir müssen die erneuerbaren Energien in den Markt integrieren. Zur Marktintegration bedarf es einer Mengensteuerung. Wir als Freistaat Sachsen schlagen Ihnen in diesem Zusammenhang ein Quotenmodell vor. Wir brauchen dieses Quotenmodell schnell. Zum 1. Januar 2014 muss Schluss sein mit dem Kostentreiber EEG. Wir brauchen eine Änderung noch vor der Bundestagswahl. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Als Sofortmaßnahme muss die Stromsteuer zum 1. Januar 2013 reduziert werden, und zwar auf das europäische Mindestniveau. (Beifall bei der FDP) Das ist genau der Betrag, der durch die EEG-Umlage obendrauf kommt. Ich kann nicht einsehen, warum man die Verbraucher im nächsten Jahr mit diesen zusätzlichen Kosten belasten soll. Wir brauchen keine Sozial-tarife, wir brauchen eine Senkung der Stromsteuer. (Beifall bei der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die können Sie doch beschließen! Ohne Bundesrat sogar! Sie können das alleine machen! Sie sind sich darüber nicht einig! Sprücheklopfer! Machen Sie es doch! Sie sind doch ein Schwätzer!) – Ich bin überhaupt kein Schwätzer, weil ich nämlich Politik für die Menschen im Freistaat Sachsen mache und mich für die Interessen der Menschen im Freistaat Sachsen einsetze. Deswegen, Herr Heil, bin ich nach Berlin gefahren, um heute hier eine Rede zu halten. Das ist der Punkt. (Ulrich Kelber [SPD]: Dann sollen doch die sächsischen FDP-Abgeordneten einen Antrag stellen! Die sächsischen FDP-Abgeordneten können das doch hier einbringen!) Lassen Sie mich bitte fortfahren. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben 1,8 Prozent bekommen für Ihre Politik!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Morlok, möchten Sie die Zwischenfrage von Herrn Heil zulassen? Sven Morlok, Staatsminister (Sachsen): Wenn es der Erkenntnis von Herrn Heil dient. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Morlok, Sie sind ja Staatsminister des Freistaats Sachsen. In Sachsen gab es einmal einen großen deutschen Schriftsteller, der später in München gelebt hat. Die Rede ist von Erich Kästner. Er hat den schönen Satz geprägt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Deshalb sage ich Ihnen zum Thema Stromsteuer: Sie von der schwarz-gelben Koalition dort drüben könnten ohne Zustimmung des Bundesrates morgen die Stromsteuer senken, wenn Sie denn das Geld haben. Dafür brauchen Sie keine Opposition, da brauchen Sie keine Blockaden von den von Rot-Grün oder Rot-Rot geführten Ländern zu befürchten. Wenn Sie das gegenfinanzieren können, dann sollten Sie es einfach machen. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Nein, nein!) Das meinte ich vorhin. Ich entschuldige mich für das leicht ungebührliche, aber im Schwäbischen gebräuchliche Wort „Schwätzer“. Wenn Sie an dieser Stelle etwas fordern, dann fordern Sie das bitte von Ihren eigenen Leuten, aber beschimpfen Sie nicht die Opposition. Das meinte ich damit. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fensterreden helfen überhaupt nicht, weder in der sozialen noch in der ökologischen noch in der ökonomischen Debatte. Sie führen Selbstgespräche zur Energiepolitik mit Ihren eigenen Leuten: Man müsste mal, man sollte mal, man könnte mal. So etwas hält uns in Deutschland auf. An dieser Stelle bitte ich Sie um Ihren Beitrag: Wann rechnen Sie mit dem Beschluss Ihrer schwarz-gelben Freunde hier in Berlin zur Senkung der Stromsteuer? In diesem oder im nächsten Jahr? Das ist meine Frage an Sie. Sven Morlok, Staatsminister (Sachsen): Sehr geehrter Herr Heil, im Gegensatz zur Bundestagsopposition, zur SPD, handelt die Sächsische Staatsregierung. Wir haben einen entsprechenden Antrag im Bundesrat eingebracht, die Stromsteuer zu senken. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir reden jetzt über Ihre Partei im Bund!) – Ich rede als Minister für die Staatsregierung im Freistaat Sachsen. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie reden hier für die sächsischen FDP-Bundestagsabgeordneten! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie reden für den Bundesrat und nicht für die Landesregierung!) Wir haben im Bundesrat einen Antrag zur Senkung der Stromsteuer eingebracht, und zwar um den Betrag, um den der Strom aufgrund der erhöhten EEG-Umlage teurer wird. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie können sich in Ihrer eigenen Partei nicht durchsetzen!) Das haben wir getan, sehr geehrter Herr Heil, und dabei haben wir eine parteiübergreifende Unterstützung gefunden, allerdings keine Mehrheit. Wir haben Unterstützung erhalten vonseiten der CSU und der FDP in Bayern; wir haben auch Unterstützung von Ihren Parteifreunden, von der SPD, gefunden, nämlich vom Bundesland Hamburg, von Olaf Scholz. Ich sage ganz klar: Wir werben für diesen Antrag, und die Zahl der Unterstützer wächst. Deswegen bin ich heute hierhergekommen. Wir wollen, dass die Zahl der Unterstützer noch größer wird und dass wir möglichst bald zu einer entsprechenden gesetzlichen Änderung kommen können. (Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Dann bringt es doch endlich ein, wenn ihr da klatscht! Maulhelden!) An die Adresse der Bundesregierung möchte ich folgende Worte richten: Herr Altmaier, ich habe Ihren Maßnahmenplan gelesen. Ich muss jedoch deutlich sagen: Verschonen Sie uns mit neuen Gutachten auf Kosten der Steuerzahler. Diese brauchen wir nicht mehr. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Bundesregierung leidet nicht an einem Mangel an Gutachten, sondern an einem Mangel an Einsicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Hört! Hört! – Bravo!) Deswegen fordere ich Sie auf, zügig zu handeln. Da ich nicht weiß, ob das Ganze tatsächlich funktioniert, Herr Kollege Heil, bereiten wir im Wirtschaftsministerium in Sachsen – dies zum Thema Handeln – gerade eine Bundesratsinitiative zu diesem Thema vor. Sicher ist sicher. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber Sie sind noch in einer Partei, oder? – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Jetzt gibt es aber kaum noch Applaus für den Herrn Landesminister! – Ulrich Kelber [SPD]: Das sind die Absetzbewegungen schon ein Jahr vor der Wahl!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Caren Lay von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD]) Caren Lay (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass inzwischen auch die Koalition begriffen hat, dass es beim Thema Strompreise um eine soziale Schieflage geht. Als wir vor anderthalb Jahren einen ähnlichen Antrag diskutiert haben, ist kaum jemand von Ihnen auf die soziale Frage eingegangen. Auch heute sind sich die Redner der CDU nicht zu schade, die Vorschläge der Linken als „DDR-Planwirtschaft“ abzutun. Ich muss Ihnen jedoch eines sagen: Angesichts der Tatsache, dass die vier großen Energiekonzerne immer noch fast 80 Prozent des Marktes beherrschen und die Preise für die Verbraucherinnen und Verbraucher permanent steigen, kann die FDP doch nicht von einem funktionierenden Markt sprechen. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Das haben wir nicht getan!) – Das haben Sie nicht getan? Ich habe das sehr wohl im Ohr, und deswegen ist die Debatte, so wie Sie sie hier aufmachen, völlig falsch angelegt. Ich muss einmal sagen: Sie hören nicht auf, die Schuld permanent auf die erneuerbaren Energien zu schieben. Ich finde das einfach unredlich. Sie schieben die Schuld auf das EEG und verschweigen die Milliardengewinne der Energiekonzerne. Ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen: Allein die Gewinne von Eon, RWE und EnBW seit dem Jahre 2002 betragen weit über 100 Milliarden Euro. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Innerhalb von sieben Jahren haben sich die Gewinne der Energiekonzerne vervierfacht. Ich habe hier von den Rednern der Koalition kein einziges kritisches Wort dazu gehört. Das werden wir Linke Ihnen nun wirklich nicht durchgehen lassen. (Beifall bei der LINKEN) Was tut die Koalition angesichts dieser Situation? Sie verteilt weiter Milliardengeschenke an die Großindus-trie: bei den Netzentgelten, bei der EEG-Umlage und beim Ökostrom. Das kann es doch wirklich nicht sein. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen sagen wir als Linke ganz klar: Wer es mit der sozialen Energiewende ernst meint, der darf über die Milliardengewinne der Konzerne und die Industrie-rabatte nun wirklich nicht schweigen. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, über die Festlegung der Strompreise für Privathaushalte organisieren sich die Versorger zulasten der Haushaltskunden hemmungslos Sonderprofite. Deswegen fordern wir Linke hier eine staatliche Preisaufsicht. Ich muss sagen, dass das keine Vorstellung aus Zeiten der DDR ist; denn wir hatten die staatliche Preisaufsicht bis zum Jahre 2007. Damals, als sie abgeschafft wurde, hat sich leider auch die SPD nicht mit Ruhm bekleckert. Nun habe auch ich noch sehr gut in Erinnerung, dass die staatliche Preisaufsicht damals nicht das schärfste Schwert war; aber wir müssen feststellen, dass die Strompreise seit ihrer Abschaffung kontinuierlich weiter angestiegen sind. Deswegen ist die Abschaffung der staatlichen Preisaufsicht nun wirklich auch keine Lösung. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen sie wieder einführen; wir wollen sie anders einführen. Wir wollen, dass die Verbraucherverbände hier ein ordentliches Wort mitzureden haben; denn wir vertrauen nicht darauf, dass beispielsweise ein Minister der FDP oder der CDU wirklich wagen würde, den Rotstift bei den Konzerngewinnen anzusetzen. Meine Damen und Herren, auch zum Thema Energiearmut habe ich von der Koalition kein Wort gehört, und das vor dem Hintergrund, dass 800 000 Haushalten im Jahr der Strom abgestellt wird. Das ist eine stille soziale Katastrophe, zu der wir wirklich nicht schweigen dürfen. (Beifall bei der LINKEN) Eine Stromsperre ist nach nur einer Ankündigung und ohne Gerichtsbeschluss möglich. Am Ende bekommt man noch eine satte Rechnung präsentiert, die man gewiss nicht bezahlen kann, wenn man ohnehin schon Gast bei der Schuldnerberatung ist. Deswegen fordern wir, dass die Versorgung mit Strom ein Grundrecht wird und Stromsperren endlich verboten werden. (Beifall bei der LINKEN) Einen letzten Punkt werde ich angesichts der Kürze der Zeit nicht ausführen können; aber ich möchte ihn zumindest einmal in dieser Debatte erwähnen. Die Stromnetze erfüllen eine öffentliche Aufgabe, sie sind Teil der öffentlichen Infrastruktur, und deswegen gehören sie endlich wieder in öffentliche Hand. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Und dann wird es besser?) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Die Linke legt mit ihrem Antrag Instrumente auf den Tisch, mit denen Verbraucherinnen und Verbraucher 4 Cent pro Kilowattstunde sparen können. Es wird höchste Zeit, die Energiewende ökologisch und sozial zu gestalten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Markus Kurth. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon verwundert: Wir debattieren hier unter dem Titel „Soziale Gestaltung der Energiewende“, aber reden jetzt ausschließlich über einen Bereich, nämlich über den Strom. Nur rund ein Fünftel der gesamten Energieausgaben eines durchschnittlichen Haushaltes entfällt auf den Bereich Strom, der Rest zu etwa gleichen Teilen auf den Bereich Mobilität und den Bereich Heizung. Einzig und allein mein Kollege Hans-Josef Fell ist in seiner Rede in dieser Debatte auf den Preisanstieg bei den fossilen Energieträgern eingegangen (Ulrich Kelber [SPD]: Bitte?) – stimmt, Herr Kelber, auch Sie haben über fossile Energien gesprochen – und hat damit die Grundlage dafür -gelegt, sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Belastungen im Wärmebereich auf ärmere, einkommensschwächere Haushalte zukommen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der Folge haben aber auch Sie von der SPD sich lediglich – das muss man sagen – auf den Strompreis konzentriert. Dabei geht selbst die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen davon aus, dass der Ölpreis auf 124 US-Dollar pro Barrel ansteigen wird. Innerhalb des Strombereichs konzentrieren Sie sich dann wiederum lediglich auf einen ganz kleinen Ausschnitt, nämlich auf das EEG, und das stellen Sie dann auch noch falsch dar. Als Sozialpolitiker bin ich ohnehin erschüttert, in einer energiepolitischen Debatte, die sich über drei Tage erstreckt, sehen zu müssen, dass sich bei Ihrer Lernkurve anscheinend nichts bewegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn es Ihnen wirklich um die gesamte Situation im Energiebereich und um die ärmeren Haushalte gehen würde, dann würden Sie auch die Bereiche Mobilität und Heizkosten mit in den Blick nehmen und diese in dieser Debatte wenigstens einmal erwähnen. Wer über soziale Energiesparpolitik, die Energiewende und deren sozialverträgliche Gestaltung redet, muss sich mit Instrumenten auseinandersetzen, die alle Energieträger und alle Bereiche umfassen und vor allen Dingen zielgenau sind. Sie von der FDP hingegen wollen mit der großen Gießkanne herangehen. Sie sprechen von der Stromsteuer. Das ist überhaupt nicht zielgenau. Das trifft nicht diejenigen, die es am nötigsten haben. Wir von Bündnis 90/Die Grünen machen Vorschläge, zum Beispiel die Einrichtung eines Energiesparfonds, aus dem dann gezielt die Gebäudesanierung und der Austausch von Geräten bezahlt werden könnte. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Und wer bezahlt das?) Wir wollen die Mittel aus diesem Energiesparfonds – und das ist der große Vorteil – vorwiegend für die Haushalte einsetzen, die am stärksten auf Unterstützung angewiesen sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wo kommt das Geld her?) Wir hätten damit ein Instrument, mit dem man eine -sozialräumliche Steuerung vornehmen und das Geld zielgenau einsetzen könnte. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wo kommt es her?) Wissen Sie, was das auch bewirken würde? Das würde zusätzlich eine erhebliche Entlastung bei den kommunalen Kassen bewirken. Denn diese müssen über die Kosten der Unterkunft, etwa bei den Hartz-IV-Beziehenden, die Heizkosten mittragen. Es käme also zu einem positiven Folgeeffekt für unsere Kommunen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass Sie kein Interesse daran haben, wie es ärmeren und einkommensschwächeren Haushalten geht, (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Sagen Sie mal, wo das Geld herkommt!) lässt sich auch daran ablesen, dass Sie es waren, die den Heizkostenzuschuss im Wohngeld gestrichen haben. (Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD]: So ist es!) Wir hingegen schlagen vor, einen Klimazuschuss an das Wohngeld anzudocken, damit die Wohngeldbezieher mit steigenden Energiepreisen im Wärmebereich zurechtkommen. Wir schlagen darüber hinaus Folgendes vor: Wenn Standards bei Gebäuden nicht eingehalten werden, dann steht den Mietern ein Mietminderungsrecht zu. Das heißt, wir favorisieren ein Bonus-Malus-System, um die Immobilienbesitzer dazu zu bringen, ihre Wohnungen zu sanieren und in den besten Stand zu versetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Des Weiteren ist es unser Anliegen, Licht ins Dunkel zu bringen. Wir wollen, dass Untersuchungen durchgeführt werden: Was ist das Energieexistenzminimum? Was ist Energiearmut? Denn auch wir schlagen vor, einen Tarif einzuführen, der ein gewisses Grundkontingent enthält. Dieses soll zwar nicht kostenlos sein – wie bei den Linken –, aber zu einem vergünstigten Preis angeboten werden. Dann soll mit einem progressiv steigenden Tarif eine Anreizwirkung ausgelöst werden. Um dieses Grundkontingent allerdings genau bestimmen zu können, müssten Forschungs- und Untersuchungsaufträge vergeben werden. Das wäre übrigens schon deshalb nötig, um auch Ihren Erkenntnisgewinn zu befördern. Dann würden Sie nicht im Nebel herumstochern (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist eure Spezialität!) und in Bezug auf das EEG Dinge behaupten, die jeder Grundlage entbehren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abschließend – das muss ich als Sozialpolitiker wirklich sagen –: Sie hätten noch und nöcher Gelegenheiten, Einkommensschwächere zu unterstützen, zum Beispiel durch den gesetzlichen Mindestlohn, wie Frau Kipping es schon richtig angesprochen hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dann könnte man die EEG-Umlage fünfmal bezahlen. Ich selbst habe in der Unterarbeitsgruppe zur Verhandlung des Hartz-IV-Regelsatzes im Jahr 2011 mitdiskutiert (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Oh, das ist lange her!) und kann mich noch genau daran erinnern, wie da um jeden Cent gerungen worden ist. Da hätte es ausreichend Gelegenheit gegeben, für die Transferbeziehenden im Rahmen einer vernünftigen Berechnung der Bedarfe die Spielräume zu berechnen, die notwendig sind, um die Energiekosten zu bezahlen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Solange Sie das nicht erledigen, möchte ich in Diskussionen zur Energiewende nicht mehr von Ihnen hören, dass Sie besonders besorgt um die Einkommensschwächeren sind. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Immer noch mehr Geld ausgeben! Das könnt ihr!) Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Das Wort hat jetzt der Kollege Jens Koeppen von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jens Koeppen (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach Fukushima war der gesellschaftliche Konsens für die Energiewende sehr groß. Es gab eine breite Mehrheit dafür in der Bevölkerung, in der Gesellschaft. Es gab eine sehr breite Mehrheit dafür im Deutschen Bundestag. Ich muss sagen, dass das sehr angenehm war. (Ulrich Kelber [SPD]: Besser als zehn Jahre zuvor!) Es ist umso erstaunlicher, dass Sie, Herr Kelber, jetzt, da die Strompreise ansteigen, alles infrage stellen. (Ulrich Kelber [SPD]: Unnötig ansteigen!) In den drei Debatten dieser Woche zu diesem Thema sind Sie teilweise wie eine Dampframme gegen die Energiewende zu Werke gegangen. Das finde ich unerträglich; denn ich habe nach wie vor die Vision – die sollten wir alle haben – von einer sauberen, bezahlbaren, sicheren und immer verfügbaren Energieversorgung. Wenn wir diesen Konsens herausstellen, wenn wir diesen Konsens weiterverfolgen und nicht nur Nebelkerzen schmeißen, dann können wir, glaube ich, unseren Kindern und Enkelkindern irgendwann ein Energieversorgungssystem ohne Risikotechnologien übergeben, ein dezentrales und vor allen Dingen ein autarkes Energieversorgungssystem. Dazu müssen wir unser Denken aber wahrscheinlich ändern. Wir können es uns nicht leisten, uns nicht zu verändern. Schon Einstein hat gesagt: „Wir müssen umdenken, um zu überleben.“ Damit hat er recht. Ich glaube, das gilt auch für die Energieversorgung. Die ganzen verkrusteten Strukturen, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, führen dazu, dass Energie teurer wird. Sie führen in die Abhängigkeit. Deswegen müssen wir uns von diesen alten Strukturen trennen. Wir müssen uns auch von der einen oder anderen Überlegung trennen, die im EEG steht – ich komme noch darauf zu sprechen –; denn nur wenn wir komplett umdenken, wird das Projekt Energieversorgung gelingen, aber auch nur dann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP]) Ich bin fest davon überzeugt: Wenn ein Land das schaffen kann, dann Deutschland. Wenn wir weiterhin Vorreiter sein wollen, dann müssen wir die Energiewende beherzt angehen, aber auf Basis eines gesellschaftlichen Konsenses. Ich komme zum Anstieg der Energiepreise. Ja, die Energiepreise sind gestiegen. Sie sind nach einer neuen Erhebung von Eurostat im Euro-Raum um bis zu 27 Prozent gestiegen. In Deutschland sind die Preise – in Anführungsstrichen – „sehr moderat“ gestiegen: nur um knappe 4 Prozent. Strom ist in Deutschland aber trotzdem hinter Dänemark am teuersten. Wir müssen uns natürlich fragen: Warum ist das so? Weltweit ist die Nachfrage gestiegen. Allein im vergangenen Jahr wurden fossile Energien für 87 Milliarden Euro importiert. Diesen 87 Milliarden Euro steht aber keine entsprechende Wertschöpfung in Deutschland gegenüber. Natürlich sind dadurch auch die Heizkosten gestiegen. Natürlich sind dadurch auch die Kraftstoffpreise und der Strompreis gestiegen. Der Strompreis ist – das muss ich sagen – nicht allein aufgrund der EEG-Umlage gestiegen; das ist ganz klar. Er ist gestiegen aufgrund von Preissteigerungen in den Bereichen Erzeugung, Transport und Vertrieb, aufgrund der Konzessionsabgabe an die Gemeinden usw., aber eben auch aufgrund der EEG-Umlage, die infolge des Ausbaus im Bereich der erneuerbaren Energien gestiegen ist. Herr Kelber, Sie haben in der gestrigen Debatte gefragt, warum die EEG-Umlage bei Ihnen so niedrig gewesen sei und bei uns so hoch. Weil der Ausbau im Bereich der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren vorangeschritten ist. Das ist doch ganz logisch. Deswegen musste die EEG-Umlage steigen. Das ist doch ganz klar. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Koeppen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kelber? Jens Koeppen (CDU/CSU): Bitte schön. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Kelber. Ulrich Kelber (SPD): Herzlichen Dank. – Genau zu diesem Punkt, zu der Frage von gestern, möchte ich drei Zahlen aus diesem Jahr nennen, die das Problem ein Stück weit deutlich machen. Wir haben jetzt die Prognose für 2013 erhalten, auf deren Grundlage die Höhe der EEG-Umlage festgelegt wurde. Wenn man sich diese Prognose anschaut, stellt man fest, dass von 2009 bis 2013 die Menge des erzeugten EEG-Stroms um 60 Prozent gestiegen ist. Die dafür benötigte, die ausgeschüttete Vergütung stieg um 100 Prozent. Hier fließt natürlich der Aspekt Solarstrom ein. Das ist ein Grund, warum der Strom pro Kilowattstunde teurer geworden ist. Die EEG-Umlage steigt aber nicht um 100 Prozent, sondern um 290 Prozent. Und da liegt der Konstruktionsfehler, der in den letzten vier Jahren begangen wurde: Man hat zusätzliche Dinge hineingenommen, die mit dem Ausbau der Erneuerbaren nichts zu tun haben. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Drei Jahre!) – Ich habe doch die Prognose für 2013 genommen. Daher sind es vier Jahre. Jens Koeppen (CDU/CSU): Herr Kelber, da Sie von Konstruktionsfehler sprechen, will ich sagen, dass ich glaube, dass dies auf einen Konstruktionsfehler des Erneuerbare-Energien-Gesetzes generell zurückzuführen ist. Ich komme nachher noch dazu. Aber es ist doch klar: Wenn ich zum Beispiel die Photovoltaik, die am teuersten ist, aber auf dem Markt am wenigstens zur Stromversorgung beiträgt, auf dem Markt hinzunehme, dann führt dies zu einem steilen Anstieg der Preise. Das ist doch logisch nachvollziehbar im EEG beschrieben. (Ulrich Kelber [SPD]: Das waren aber die 100 Prozent!) Wir können daran arbeiten – da bin ich komplett bei Ihnen –, das EEG umzuschreiben und diesen Konstruktionsfehler, wie Sie es nennen, auszumerzen. Das hat aber nichts mit den letzten drei Jahren zu tun. Ich gehe aber gleich noch auf das EEG ein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich war beim Thema Strompreise. Die Erhöhung der EEG-Umlage führt zu einer Strompreiserhöhung von etwa 5 Euro pro Monat. Natürlich ist ein solcher Preisanstieg für die Menschen, die sich dies vielleicht nicht leisten können, nicht schön. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um die geht es Ihnen doch gar nicht!) Ich glaube aber, dass diese 5 Euro verträglich sind. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie einmal diesen Menschen!) Durch den Anstieg der EEG-Umlage gibt es natürlich Handlungsbedarf. Deswegen haben wir in dieser Woche drei Debatten darüber geführt. Die Akzeptanz der Energiewende fängt beim eigenen Portemonnaie an; das ist doch ganz klar. Wir müssen dafür sorgen, dass Energie kein Luxusgut für die Menschen wird, aber wir müssen genauso dafür sorgen, dass Energie kein Luxusgut für die Industrie wird. Deswegen haben Rot-Grün, die Große Koalition und wir in der christlich-liberalen Koalition durch Ausnahmen für Standortsicherung und Arbeitsplatzsicherung gesorgt. Herr Kelber, ich möchte darauf hinweisen, dass das keine Industriebegünstigungen sind. Wir begünstigen dadurch niemanden, sondern wir stellen damit klar, dass wir keine Schwächung unseres Industriemarktes, aber auch keine Schwächung – es wird immer auf die vielen Ausnahmen hingewiesen – des industriellen Mittelstandes zulassen. Deutschland geht es zurzeit gut. Wir lassen 700 Ausnahmen zu; diese haben auch Sie zugelassen. Dabei sollten wir bleiben. Wir sollten das nicht zerreden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Es waren bei uns eben nicht so viele!) Die Betriebe können Anträge stellen. 2 000 Anträge sind gestellt worden. Diese 2 000 Anträge sind bisher nicht bewilligt, sondern wurden bisher nur gestellt. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen wir einmal, was daraus wird!) Es gibt drei Bedingungen: Der Betrieb muss energieintensiv sein, der Betrieb muss zum produzierenden Gewerbe gehören, und er sollte im internationalen Wettbewerb stehen. Das wird geprüft. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Braunkohle ist befreit und steht nicht im internationalen Wettbewerb! – Ulrich Kelber [SPD]: Die Hähnchenmäster sind schon befreit!) Peter Altmaier hat mehrfach versprochen, dass das geprüft wird. Wenn ein Antrag bestätigt wird, schauen wir uns das genau an. Wenn einer das macht, was er verspricht, dann ist es dieser Umweltminister. Er wird das einhalten. Er wird genau darauf achten, dass das nicht ausartet. Das ist keine Begünstigung, sondern Standortsicherung und Arbeitskräftesicherung. Diesen Weg sollten Sie mit uns gemeinsam gehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich hoffe, ich habe noch Zeit, um noch etwas zum EEG zu sagen. Wir brauchen hier einen Systemwandel. Ich habe es schon oft gesagt: Das EEG hat in einer außergewöhnlichen und hervorragenden Art und Weise seinen Dienst erfüllt, und es hat weltweit Anerkennung gefunden. Aber das EEG hat aus meiner Sicht etwas in den Markt gebracht, das schon zur Genüge vorhanden war, nämlich Strom. Jetzt hat es seine Aufgabe erfüllt. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Längst nicht, Herr Kollege!) – Natürlich, Herr Fell, das ist so. – Wir müssen es jetzt endlich gemeinsam zu einem Innovationsgesetz umgestalten. Das ist kein Abschlachten oder Abschalten, sondern eine Reform. Ich sagte ja am Anfang: Wir können es uns nicht leisten, uns nicht zu verändern. Wir müssen dafür sorgen, dass das EEG umgeschrieben wird. Wir müssen wieder dazu kommen, dass es um Energieversorgung geht und nicht um Rendite. Wir müssen dazu kommen, dass wir intelligent einspeisen und nicht blind. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es doch endlich! Das haben wir doch schon immer gefordert!) Wir müssen zu dezentraler und zu autarker Energieversorgung kommen, und wir müssen neue Technologien belohnen. Dazu brauchen wir die Ingenieure und die Wissenschaftler. Ich bin Techniker. Ich weiß, dass viele sagen: Hört uns doch einfach einmal an, wir haben so viele Ideen und Vorschläge. – Lasst uns diese Menschen fragen, welche Ideen sie haben, wie weit sie entwickelt sind und was wir in Serie bringen können. Wir müssen davon wegkommen, dass wir Windkraftanlagen und Solarstromanlagen einfach nur bauen, ohne zu wissen, wie wir den dort produzierten Strom abtransportieren können. Wir müssen außerdem zu einer Priorisierung beim Netzausbau kommen. Peter Altmaier hat auch hierzu einen ganz konkreten Vorschlag gemacht. Wir müssen nicht 4 000 Kilometer Leitung bauen. Wir haben in Deutschland schon 36 000 Kilometer Höchstspannungsleitung, 75 000 Kilometer Hochspannungsleitung, 500 000 Kilometer Mittelspannungsleitung und 600 000 Transformatoren. Das ist eine gute Infrastruktur. Wir müssen schauen, ob wir damit nicht auskommen, statt blind auszubauen; denn vielleicht brauchen wir das gar nicht. Wir brauchen Systemintegration, wir brauchen bedarfsgerechte Stromproduktion. Über all dies müssen wir nachdenken, und das müssen wir ins EEG schreiben. Ganz wichtig ist noch der Bereich Power to Gas. Wasserstoff spielt eine viel zu geringe Rolle. Wir können aus – in Anführungszeichen – „überschüssigem“ Strom Wasserstoff produzieren. Den können wir in die Mobilität stecken, wir können ihn für die Einspeisung in vorhandene Gasnetze nutzen. Wir können daraus wirklich Speicher machen. Wir müssen dazu kommen, dass wir diesen sogenannten erneuerbaren Wasserstoff in Kapazitätskraftwerke einspeisen, um die Lücken zu schließen. Das sind alles Punkte, für die es sich lohnt, unser Hirnschmalz einzusetzen. Wir sollten nicht an diesen 5 Euro pro Monat herumkritteln. Auch wenn die Energiewende nicht zum Nulltarif zu haben ist, so bekommen wir letztlich etwas dafür, nämlich eine saubere, eine sichere und eine autarke Energieversorgung. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Endlich mal eine besonnene Rede! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Immerhin eine nachdenkliche Rede!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin Rita Schwarzelühr-Sutter. (Beifall bei der SPD) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Koeppen, schöne neue Welt. Nur klaffen zwischen den Reden und Taten sowie den Beschlüssen der Bundesregierung Welten. Lieb- und lustlos werden da sogenannte Mittelstandsinitiativen zur Energiewende ins Leben gerufen, Plattformen installiert, Energiegipfel veranstaltet. Dadurch wird mehr als deutlich, dass Sie eigentlich gar nicht hinter der Energiewende stehen. Herr Altmaier, Sie haben in der vergangenen Woche Ihre eigene Ratlosigkeit zu Protokoll gegeben. Sie wollen mit allen Seiten reden, aber vor der Bundestagswahl nichts mehr entscheiden. Seitdem die schwarz-gelbe Bundesregierung den Ausstieg beschlossen hat, ist die EEG-Umlage zum Maßstab für bezahlbare Strompreise geworden und damit für das Gelingen der Energiewende insgesamt. Die Kanzlerin selbst versicherte noch 2011, dass die EEG-Umlage auf jeden Fall in der damaligen Größenordnung bestehen bleibt. Damals lag sie bei 3,5 Cent, heute haben wir 5,3 Cent pro Kilowattstunde. Hat sie einen Wortbruch begangen? Merkel & Co. haben im letzten Jahr die Anhebung der EEG-Umlage einfach mal aus politischen Gründen verschoben. Das wirkt sich jetzt natürlich doppelt aus. (Beifall bei der SPD) Hinzu kommt ein Posten, der noch gar nicht auf der Stromrechnung zu finden ist, nämlich die Haftungsregelung für den Ausschluss von Offshorewindparks. Das haben Sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern noch gar nicht mitgeteilt. Wo bleibt da die ehrliche Information? Stattdessen schüren Sie Ängste bei den Verbrauchern, die Energiepreise könnten explodieren, wohl wissend, dass dem eigentlich nicht so ist. Der Strompreis wird in Deutschland steigen, aber er steigt nicht in erster Linie wegen der Energiewende. Hinter dem Streit um die EEG-Umlage steckt nämlich tatsächlich viel mehr. Es ist der Machtkampf zwischen der Bundesregierung, den Befürwortern und den Gegnern der Energiewende sowie den neuen Anbietern und den etablierten Stromkonzernen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihnen und Ihren Helfern geht es darum, die Energiewende zu verzögern, zu blockieren und am liebsten umzukehren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Strompreis ist dabei nur Mittel zum Zweck. Die Energiewende der schwarz-gelben Bundesregierung entpuppt sich als die Fortsetzung der alten Energiepolitik mit neuen Mitteln. Statt der Atomkraftwerke sollen Offshorewindparks und neue Kohlekraftwerke den größten Teil des Stroms liefern – unter der Ägide der Energie-kon-zerne. Der Strom wird dann über Tausende von Kilometern neuer Netze zum Verbraucher transportiert. Großkraftwerke und neue Netze sollen eine sichere und preisgünstige Stromversorgung und den Energiekonzernen eine sichere Rendite garantieren. Alles wie gehabt. Die Energiepolitik muss sich aber tatsächlich grundlegend ändern und sich auf die Anforderungen der erneuerbaren Energien einstellen. Wir haben heute dezentral fast 25 Prozent erneuerbare Energien beim Strom. Ein Weiter-so mit dieser Energiepolitik nur ohne Atom geht deshalb gar nicht. Die Mitteldeutsche Zeitung hat in einem Artikel vom 12. Oktober 2012 geschrieben – ich zitiere –: Die Verlogenheit der Energiedebatte hat … einen neuen Spitzenwert erreicht. Weil die Ökostromumlage für private Haushalte Anfang 2013 steigt, holen die Gegner der Energiewende zum Gegenschlag aus. Ja, so ist es. Schwarz-Gelb war sich am Mittwoch in der Aktuellen Stunde noch nicht einmal zu schade, uns den Vorwurf zu machen, wir würden die Energiewende zerreden. Für diesen Akt der Verzweiflung muss man der Koalition schon fast etwas Mitleid zollen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Schwarz-Gelb glaubt, so den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg einleiten zu können, dann offenbart die Koalition tatsächlich Realitätsferne. Die Wahrheit ist nämlich etwas komplizierter. (Patrick Döring [FDP]: Oh! Sie kennen die Wahrheit? Ich bin gespannt!) Richtig ist, dass der Abschied von Atomkraft und fossilen Energieträgern Geld kostet. Ein neues Atomkraftwerk kostet 5 Milliarden Euro. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wir wollen keine neuen bauen! Das haben wir nicht vor! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wer redet denn davon?) Wer glaubt denn im Ernst, der Ersatz der deutschen Atomkraftwerke – und auf lange Sicht auch der Kohlekraftwerke – sei umsonst zu haben? (Patrick Döring [FDP]: Sie kämpfen im vorletzten Jahrhundert!) Auch Gas und Kohle sind teurer geworden. Die Netzbetreiber haben ja schon lange auf eine Laufzeitverlängerung spekuliert. In den letzten zehn Jahren haben sie fast überhaupt nicht mehr investiert bzw. nur noch das investiert, was unbedingt notwendig war, (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Was sagt denn EUROSOLAR dazu?) weil sie, wie gesagt, auf eine Verlängerung der Laufzeit gesetzt haben. Bei den Ausnahmeregelungen sind Sie nach dem Gießkannenprinzip vorgegangen. Zwischen Ihnen und uns gibt es da durchaus einen Unterschied: Auch wir haben uns zu den energieintensiven Unternehmen bekannt; wir sind ja nicht betriebsblind. Aber Sie erweitern den Umfang der Ausnahmeregelungen mal eben um den Faktor zehn. Da muss man sich schon die Frage stellen lassen: Tut man das für die eigene Klientel, oder ist man wirklich dem Verbraucher verpflichtet? (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Also wirklich! Jetzt reicht es aber!) Um mehr Sachlichkeit in die Debatte zu bekommen, haben wir bereits im Sommer dieses Jahres eine Große Anfrage mit dem Titel „Die Energiewende – Kosten für Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen“ gestellt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Martin Lindner? (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh nein!) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Ja, gerne. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Finden Sie es nicht ein bisschen unangemessen, mit Blick auf uns von „Klientel“ zu reden, (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) obwohl Sie mittlerweile die dritte Rednerin von EUROSOLAR sind, die hier und heute ganz klar Lobbyismus betreibt, statt sich ernsthaft an dieser Debatte zu beteiligen? (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Hört! Hört! So ist es! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da spricht der Träger des Bundesnebenverdienstkreuzes!) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Herr Lindner, weil Sie gerade das Thema Lobbyismus erwähnt haben, komme ich gleich einmal auf Nebeneinkünfte zu sprechen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nein! Es geht mir um Lobbyismus! – Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind einfach peinlich, Herr Lindner!) Zur Frage, wer von wem Nebeneinkünfte bezieht, kann ich Ihnen sagen: Erstens habe ich keine Nebeneinkünfte. Zweitens ist EUROSOLAR ein Verein. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ja, und? – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein ehrenamtlich arbeitender Verein!) Drittens muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: (Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP] nimmt wieder Platz – Ulrich Kelber [SPD]: Stehen bleiben! Bleiben Sie mal stehen, solange Ihre Frage beantwortet wird!) Wenn Sie Klientelpolitik betreiben, dann ist das nun einmal so; das hat jeder gesehen. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Stehen bleiben, bitte! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlechtes Benehmen, Herr Lindner!) Sie haben Ihrer Klientel mehrere Milliarden Euro zukommen lassen; ich erinnere nur an die Hoteliers. Hinzu kommt, dass Sie in die Sozialkassen gegriffen haben. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Peinlich, diese Antwort! – Gegenruf des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind peinlich!) Vor diesem Hintergrund war es schon fast schizophren, dass Sie am Mittwoch dieser Woche in einer Aktuellen Stunde über die Auswirkungen der Strompreise auf die unteren Einkommensschichten diskutieren wollten. Da müssen Sie sich schon an die eigene Nase fassen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: An Ihrer Stelle würde ich mich da mal ganz stark zurückhalten! Das ist doch purer Klientelismus, was Sie hier machen!) Es ist doch wirklich ein Armutszeugnis, wenn eine Regierung, die die Energiewende umsetzen will, noch nicht einmal in der Lage ist, Fakten zu liefern. Sie wollen eine sachliche Debatte? Ich frage Sie: Wo sind die Fakten? Wo sind Ihre Antworten auf unsere Fragen? Sie verweisen nur auf den Februar 2013. Wir wollen Fakten statt Mythen. Wo bleiben die Zahlen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Die Preissteigerungen stehen doch auf jeder Stromrechnung! Sie müssen nur hingucken! Lesen können Sie doch wohl!) Wir wollen wissen: Was hätte es uns gekostet, wenn wir nicht ausgestiegen und Reinvestitionen auf uns zugekommen wären? Sie geben aber keine Antworten, und Sie haben keine Zahlen. Wenn Sie aber kein Fundament, keinen Bauplan und keinen Bauleiter haben, dann bleibt die Energiewende eine ewige Baustelle. Aufgrund Ihrer Mutlosigkeit, des Fehlens von Entscheidungen und Ihrer mangelnden Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, kommt uns diese Baustelle teuer zu stehen. (Beifall bei der SPD) Investitionen werden zurückgestellt. Es gibt Menschen, denen der Strom abgedreht wird und die sich selbst überlassen werden. Außerdem – es wurde schon darauf hingewiesen – hat diese Koalition im Zuge der Wohngeldreform die Heizkostenpauschale gestrichen. Die Energiewende ist aber auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Strom gehört in einem entwickelten Staat zur Daseinsvorsorge. Wir brauchen eine ehrliche Debatte darüber, wie die Kosten innerhalb der Gesellschaft gerechter verteilt werden und wie wir die unteren Einkommensschichten unterstützen und vor Stromabschaltungen schützen können. Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aber Sie schüren Angst. Ich finde, das Schlimmste ist, dass Sie eine große Errungenschaft des bisher verfolgten Weges gefährden, nämlich die Beteiligung möglichst breiter Bevölkerungskreise. Nichtstun hat bekanntlich schon viel Unheil erspart. Aber in diesem Fall ist es anders. Die Energiewende erfordert Tatkraft, Ausdauer und Mut, und die haben Sie nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wollen Sie noch regieren? Wir sind gerne bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Erik Schweickert das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Erik Schweickert (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um hohe Strompreise. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, um die Energiewende!) Sie sind das Resultat einer verfehlten Energiepolitik von Rot-Grün. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Richtig!) Das muss man hier zu Anfang einmal deutlich betonen; denn die Fehlentwicklungen, die zu dem heute so hohen Strompreis geführt haben, dass wir darüber diskutieren, haben Sie zu verantworten. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts gelernt aus der Debatte! Immer das Gleiche!) Eigentlich müssten Sie in den Keller gehen, Buße tun und dem Verbraucher erklären, dass er heute 5,277 Cent pro Kilowattstunde mehr für seinen Strom bezahlen muss, weil Rot-Grün die Solarlobby mit dem EEG beglückt hat. (Beifall bei der FDP – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, weil Sie die Fehler eingebaut haben! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beschäftigen Sie sich besser mit der Weinwirtschaft! – Ulrich Kelber [SPD]: Lesen Sie sich einmal die Antwort der Bundesregierung dazu durch!) Wir reden heute im Prinzip über den Trittin-Soli. Statt der angestrebten 5 D-Mark für den Liter Benzin haben die Grünen jetzt eine EEG-Umlage von gut 5 Cent pro Kilowattstunde erreicht. Das ist der Grund dafür, dass wir heute hier zusammen sind. (Ulrich Kelber [SPD]: Es ist zum ersten Mal, dass ich Sie bei einer bewussten Unwahrheit erwische! Sonst ist er fachbezogen, aber heute erzählt er die Unwahrheit!) Sie betreiben hier reine Augenwischerei, indem Sie so tun, als ob Schwarz-Gelb für den Preisanstieg verantwortlich ist. Nein, Ursache dafür ist Ihr Erneuerbare-Energien-Gesetz aus 2000. Sie haben Traumrenditen über 20 Jahre versprochen, damit Sie das Ganze von den Verbrauchern nehmen konnten. Das wollen Sie nicht mehr wissen. Es gibt ein Dokument des Bundesumweltministerium vom 21. Juli. Ich zitiere den Titel: Die wichtigsten Merkmale des Gesetzes für den Vorrang Erneuerbarer Energien … Dort heißt es – ich zitiere noch einmal –: Das EEG sorgt für den Ausbau der umweltschonenden erneuerbaren Energien nicht durch Subventionen, sondern durch eine Umlage. (Ulrich Kelber [SPD]: Welches Jahr?) In der Realität heißt das, dass die Verbraucher das heute durch ihre Stromrechnung spüren. (Ulrich Kelber [SPD]: 21. Juli welchen Jahres?) – 2004. (Ulrich Kelber [SPD]: Das haben Sie nicht gesagt!) Diese Umlage ist nichts anderes als eine Subvention durch den Verbraucher, die Sie ihm aufladen. Ihr Herr Trittin versucht jetzt, den Verbrauchern Sand in die Augen zu streuen, indem er vom eigenen Versagen ablenkt. Sie behaupten, die hohen Strompreise seien der Entlastung der Unternehmen zu verdanken. Schauen wir uns das doch einmal an: Von 3,6 Cent pro Kilowattstunde der EEG-Umlage (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie nicht zugehört?) waren 0,6 Cent Folge der Entlastung der energieintensiven Unternehmen. Merken Sie etwas? 0,6 Cent gegenüber 3 Cent! Es ist also klar, wer der wahre Strompreistreiber ist. Es ist ganz sicherlich nicht die Industrie; (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die Industrie nicht! – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir ja nicht gesagt!) denn dieses Gesetz sorgt im Gegensatz zu einem Herrn Trittin für eine Entlastung von Unternehmen, die 850 000 Arbeitsplätze in Deutschland zur Verfügung stellen. Das haben Sie früher auch schon einmal besser gewusst, nämlich im Jahre 2003, als Sie eine Änderung Ihres Erneuerbare-Energien-Gesetzes beschlossen haben. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie doch einmal auf die Vorredner ein, anstatt Ihr Konzept vorzulesen!) Damals haben Sie die Härtefallregelungen eingeführt und geschrieben – ich zitiere wieder –: Ziel der nachstehenden Regelung ist es, eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen zu vermeiden. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, auf die wollen wir es auch begrenzt sehen!) Also stellen Sie sich doch bitte nicht hin und kritisieren das. Sie waren auch schon einmal ehrlicher in diesem Punkt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Schweickert, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenkert? Dr. Erik Schweickert (FDP): Ja. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Lenkert, bitte. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Schweickert, Sie sprachen gerade davon, dass die energieintensive Industrie nicht beteiligt ist. Nach einer Studie von Arepo Consult wird die energieintensive Indus-trie durch die Befreiungstatbestände jährlich um 10 Milliarden Euro entlastet – über alles gerechnet. Die Befreiung von der EEG-Umlage entlastet sie um 3 bis 4 Milliarden Euro, und auch die Stromsteuerbefreiung und die Netzentgeltbefreiung machen jeweils mehrere Milliarden Euro aus. All diese Befreiungen sind vom Verbraucher, von uns, über ihre Stromrechnungen für zu Hause zu bezahlen. Um das hier auch einmal zu sagen: Der Industriestrompreis beträgt in Deutschland unter 4 Cent je Kilowattstunde bei Direktabnahme. Ich zahle 26 Cent je Kilowattstunde und frage Sie, ob es nicht gerechtfertigt wäre, dass wenigstens ein Teil dieser Kosten zurückverlagert wird. Alleine die Befreiung von den Netzentgelten macht inzwischen fast 2 Cent je Kilowattstunde des Strompreises aus, die wir als Verbraucher mitbezahlen. Ihre Regierung, Ihre Koalition, hat jetzt den Offshorebetreibern noch ein neues Geschenk gemacht. Die Verbraucherinnen und Verbraucher – die Kollegin von der SPD sprach es an – müssen jetzt nämlich die Anschlusskosten für die Offshorewindparks und gleichzeitig auch noch die Kosten für die Versicherung übernehmen, falls es nicht rechtzeitig zum Anschluss kommt. (Patrick Döring [FDP]: Wie lang soll die Frage denn werden?) Schon jetzt ist bekannt, dass wir 1 Milliarde Euro dafür zahlen müssen, was für uns Verbraucherinnen und Verbraucher drei Jahre lang ein zusätzliches Netzentgelt von 0,25 Cent pro Kilowattstunde bedeutet. Ist Ihnen das bekannt, und was wollen Sie dagegen unternehmen? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. Dr. Erik Schweickert (FDP): Herr Kollege, das war jetzt sehr viel. Ich hoffe, ich habe die Frage richtig verstanden. Sie sprechen davon, dass Geschenke gemacht werden. Wer in dieser Situation von Geschenken spricht, der hat den Schuss nicht richtig gehört; (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) denn unsere energieintensiven Unternehmen stehen im Wettbewerb. Ich habe Ihnen gerade die Zahlen genannt. Angesichts der Kosten von 3 Cent pro Kilowattstunde für die EEG-Umlage, wovon die Ausnahmen für die Unternehmen nur 0,6 Cent ausmachen, können Sie nicht von Geschenken reden. Es bringt auch dem Verbraucher nichts, wenn er nachher seinen Arbeitsplatz verliert, weil wir die Ausnahmetatbestände abgeschafft haben und sein Unternehmen schließen musste. Aber nochmals: Es gab Parteien wie die Grünen, die diese Ausnahmen damals in den Gesetzestext hineingeschrieben haben. Sie haben gefragt: Wie kommen wir zu bezahlbarem Strom? Wir alle wissen, dass wir mit den Bestandsgarantien leben müssen. Diese sind von der damaligen Regierung gegeben worden. Was tun wir? Wir sorgen dafür, dass das weitere Ansteigen des Strompreises gebremst wird. Aber zurzeit ist es so, dass die Opposition im Bundesrat alles verhindert, was man in diesem Bereich tut. Beim Thema Stromsteuer kann ich nur auf den Kollegen Morlok und die vorliegenden Vorschläge verweisen. Diesen Weg können wir gerne gemeinsam gehen und die Windfall Profits, die dabei entstehen, an die Verbraucher weitergeben. Dafür werden wir uns einsetzen. Aber bitte tun Sie hier nicht so, als ob das alles Geschenke seien. Der Verbraucher muss dafür bezahlen. Das EEG ist nicht mehr zukunftsfähig. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind nicht mehr zukunftsfähig!) Wir müssen umsteuern, um zu einer bürgernahen Energiepolitik zu kommen; denn der Strom in Deutschland muss bezahlbar bleiben. Die Energiewende darf hier nicht auf dem Rücken der Verbraucher ausgetragen werden. (Beifall bei der FDP) Wir wollen den Umstieg auf die erneuerbaren Energien, aber zu akzeptablen Preisen. Es kann auch nicht sein, dass man dann Sozialtarife und Abwrackprämien für Energiefresser fordert. Es ist keine Lösung, Subventionen dadurch zu begegnen, dass man immer weitere Subventionstatbestände schafft. Ich weiß auch nicht, wie man das in diesem Bereich rechtfertigen soll. Eine weitere staatliche Überdeckung zulasten der Verbraucher darf es in diesem Bereich nicht geben. Deswegen werden wir uns diesen Vorschlägen, die weitere Ausgaben und weitere Subventionen vorsehen, entschieden entgegenstellen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt das Wort der Kollege Johannes Röring von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Johannes Röring (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die ganze Zeit gedacht, wir würden über die Energiewende sprechen, eigentlich ein Erfolgsmodell. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, nicht nur durch diese Debatte, sondern auch durch die vorhergegangenen zu einem ähnlichen Thema: Wenn Sozialpolitiker über Wirtschaft reden, dann kann das nur schiefgehen. Ich bin sehr froh, dass Peter Altmaier (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht da ist!) für die Fortentwicklung der Energiewende verantwortlich ist, die ein wichtiges Thema für uns als Kolitionsfraktion ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Eigentlich wollten wir über etwas anderes sprechen, und zwar über den Antrag der Linken, in dem es um eine soziale Energiewende und um bezahlbare Strompreise geht. Ich habe in Ihrem Antrag etwas über kostenlose Stromkontingente gelesen. Dazu stelle ich die Frage: Sind diese wirklich sozial? Ich sage Ihnen: Sie sind nicht sozial. Wissen Sie, wer das am Ende bezahlen muss? Fleißige Handwerker, fleißige Arbeitnehmer, die jeden Morgen zur Arbeit gehen und ihre Steuern zahlen. Sie bezahlen dann am Ende mit ihren Abgaben diese Transferleistungen. Da sage ich Ihnen ganz deutlich: Das ist nicht sozial. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN) Arbeitslosigkeit bekämpft man nicht durch das Aufblähen von Transferleistungen, sondern dadurch, dass man Menschen in Lohn und Arbeit bringt. Das macht die CDU/CSU sehr deutlich. Sozial ist, was Arbeit schafft. Die Linke kritisiert die Befreiung der energieintensiven Unternehmen von der EEG-Umlage als Privilegierung der Großindustrie. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Unsere Industrieunternehmen stehen im Wettbewerb mit Unternehmen in Ländern, in denen es kein EEG gibt. In Frankreich etwa sind die Stromkosten noch nicht einmal so hoch wie unsere EEG-Umlage. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!) Insofern ist es an dieser Stelle mehr als notwendig, diese Befreiungstatbestände zu gewähren; denn wir wollen in diesen energieintensiven Wirtschaftszweigen wettbewerbsfähige Unternehmen. (Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping? Johannes Röring (CDU/CSU): Ja, bitte. Katja Kipping (DIE LINKE): Herr Röring, diese Zwischenfrage ist leider notwendig, weil Sie gerade das Modell der Linken zu einem Sockeltarif vollkommen falsch und verzerrt wiedergegeben haben. Sie haben hier – wie im Übrigen schon oft die Kollegen der Koalition – versucht, Erwerbslose gegen Handwerker und Beschäftigte auszuspielen. Ich muss aber sagen: Wie so oft ging dieser Vorwurf bzw. dieser Versuch an der Sache vorbei. Wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, das linke Modell genau anzuschauen, wäre Ihnen das aufgegangen. Insofern frage ich Sie, warum Sie sich das nicht genau angeschaut haben. Dann hätten Sie bemerkt, dass von unserem Modell eben alle – Soloselbstständige, Handwerker, Beschäftigte und Hartz-IV-Betroffene – profitieren; denn unser Modell des Gratis-Sockels ist für alle Haushalte vorgesehen. Finanziert wird es durch eine stärkere Bepreisung des Stroms, der darüber hinaus verbraucht wird. Ich habe es dargelegt. Unser Modell bevorteilt all diejenigen Haushalte, die weniger Strom verbrauchen, als es der Durchschnitt macht. Das heißt, es gibt sehr wohl eine soziale Dimension; denn wir wissen, dass Haushalte mit überdurchschnittlichem Einkommen einen höheren Stromverbrauch haben. Sie könnten aber gegensteuern, indem sie einfach weniger Strom verbrauchen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Ihr Versuch, Erwerbslose gegen Handwerker auszuspielen, mal wieder danebengegangen ist? (Beifall bei der LINKEN) Johannes Röring (CDU/CSU): Ich habe beim Lesen Ihres Antrages nur feststellen können, dass es ein linkes Modell ist, (Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja, ein soziales! Danke! ) das mit Umverteilung arbeitet. Dazu sage ich ganz deutlich: Das Umverteilen muss von irgendwem bezahlt werden. Deshalb habe ich die fleißigen Menschen angesprochen, die das mit Lohnsteuern bzw. Einkommensteuern bezahlen müssen. Ich habe deutlich gesagt: Das ist für mich nicht sozial. Wir müssen, wenn wir über große Unternehmen sprechen, auch die Zulieferer, die kleinen mittelständischen Unternehmen, die ganz klar von diesen Entwicklungen profitieren, sehen. Ich komme noch einmal ganz kurz auf das EEG insgesamt zurück. Wir in der Koalition haben ganz deutlich gesagt, dass wir die Einspeisungstarife – gerade bei PV – herunterfahren müssen. Meine Damen und Herren, ich schaue in die ersten Reihen der Opposition. Als wir angekündigt haben, die EEG-Umlage bzw. die EEG-Vergütung bei PV, auch gemessen an der Kostensenkung bei den Anlagen, deutlich abzusenken, standen einige aus der ersten Reihe der Opposition mit den Solarkönigen – Sonnenkönige kann man auch sagen – hier vor dem Bundestag und haben demonstriert. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht gegen die Senkung, sondern gegen die anderen Fehler!) Uns wurde vorgeworfen, wir machten die gesamte Solarindustrie kaputt. Das muss man an der Stelle ganz deutlich sagen. Wir wissen, dass die EEG-Umlage sehr hoch ist. Ich bezweifle auch gar nicht, dass es für die Bürger eine sehr große Anstrengung ist, diese mitzahlen zu müssen. Ich erkenne aber bei Ihnen kein Konzept, wie wir die Energiewende marktwirtschaftlich gestalten können. Wir haben jetzt mittlerweile einen 25-prozentigen Anteil regenerativer Energien. Das ist weit über Plan bzw. weit mehr, als sich jeder von Ihnen hätte erträumen lassen. Dass wir jetzt bei 25 Prozent angelangt sind, ist im Grunde eine Erfolgsgeschichte. Sie wollen das im Moment zerreden. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wollen wir ausweiten!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Röring, auch der Kollege Kelber hat das Bedürfnis, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. Ich sage aber gleich, dass es die letzte Zwischenfrage ist, die ich zulasse. Ulrich Kelber (SPD): Herr Kollege, Sie haben gerade kritisiert, dass die Opposition die Absenkung der PV-Vergütung verzögert habe. War es vom Ablauf her nicht vielmehr so, dass sich die Koalition am 29. März 2012 auf die Absenkung zum 1. April verständigt hatte und dass dann nach der gemeinsamen Sitzung im BMU mit der hiesigen Opposition zum 1. April genau diese Absenkung kam? Die gesamte Debatte lief nämlich nur über technische Fragen. Da ging es zum Beispiel um Überbürokratisierung mit einem dritten Zähler im Keller etc. Ist es nicht so, dass kein einziger Cent durch die Opposition verlorenging und dass kein einziger Tag Verzögerung durch die Opposition bewirkt wurde? Johannes Röring (CDU/CSU): Herr Kelber, ich habe nicht nur das 2012er-EEG angesprochen; beim 2009er ist es ähnlich. Ich habe einfach meine Beobachtung geschildert, dass bei der notwendigen Absenkung, die wir eigentlich noch etwas ehrgeiziger wollten, von Ihnen – auch von Ihnen persönlich – zusammen mit anderen erheblicher Widerstand kam. (Ulrich Kelber [SPD]: CSU, ja!) Das hatte einen medialen Druck ausgeübt, der nicht unbedingt günstig war für die schnelle Absenkung, die wir wollten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich komme zum Schluss. Ich bin froh, dass wir mit Peter Altmaier, Herrn Rösler und vor allen Dingen unserer Bundeskanzlerin keine Politiker haben, die ruckartig, schnell und von heute auf morgen vorgehen. Ihnen geht es vielmehr darum, die Energiewende in langfristiger Perspektive zum Gelingen zu führen. Es ist ein schwieriges Manöver. Ich stelle fest: Wenn Rot-Grün das machen müsste, würde es nur Schiffbruch erleiden. Die Anträge von Grünen und Linken lehnen wir somit ab. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/10800 und 17/11030 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung jeweils beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Federführung jeweils beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Ich lasse zuerst abstimmen über die Überweisungsvorschläge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt für diese Überweisungsvorschläge? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Überweisungsvorschläge sind abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der Linken und der Grünen. Ich lasse nun abstimmen über die Überweisungsvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, also Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer stimmt für diese Überweisungsvorschläge? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Überweisungsvorschläge sind mit dem gleichen Stimmenverhältnis nur in umgekehrter Form angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge (Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz – AltvVerbG) – Drucksache 17/10818 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Recht ist das Thema der Altersvorsorge hier im Parlament ein Dauerbrenner, es bleibt eines der wichtigsten Themen auf der Tagesordnung. Die größte Herausforderung in den nächsten 20 Jahren ist für uns die demografische Entwicklung, das heißt, der Altersaufbau unserer Gesellschaft. Wir haben derzeit in Deutschland etwa 20,5 Millionen Rentenbezieher, und nach den Prognosen werden wir in 20 Jahren etwa 30 Millionen Rentenbezieher haben. Für die meisten ist die wichtigste Säule nach wie vor die gesetzliche Rentenversicherung. 17 Millionen deutsche Arbeitnehmer haben bereits eine betriebliche Altersvorsorge. Inzwischen haben auch etwa 15,6 Millionen einen Riester-Vertrag abgeschlossen, das heißt, sie sorgen auch privat durch eine staatliche geförderte Altersvorsorge vor. Die Riester-Rente ist inzwischen zehn Jahre alt. Vor zehn Jahren ist diese Rentenform unter Rot-Grün aufgebaut worden. Die Große Koalition hat sie vor wenigen Jahren erweitert, beispielsweise durch eine deutlich besser steuerlich geförderte Kinderzulage und auch durch den Einbezug der eigenen Immobilie in den Förderprozess. Mit dem Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz wollen wir die bestehende Rechtslage deutlich verbessern und flexibler gestalten; denn der Markt ist für den einzelnen Konsumenten, der später eine Riester-Rente beziehen möchte, doch sehr komplex und sehr kompliziert: Man kann einen Abschluss tätigen über eine Rentenversicherung, man kann ihn tätigen über einen Sparvertrag, einen Investmentvertrag oder beispielsweise über einen sogenannten Wohn-Riester-Vertrag, also einen Bausparvertrag. Hier gibt es gute Anbieter, aber auch viele schlechte Anbieter, wie mancher Test, zum Beispiel bei Finanztest, in den letzten Jahren gezeigt hat. Deswegen ist es unser Ziel, die bestehende Situation transparenter, flexibler zu gestalten und bürokratische Hindernisse zu vermeiden. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dazu möchte ich Ihnen fünf Positionen aus dem Entwurf des Altersvorsorge-Verbesserungsgesetzes vortragen. Die Erste ist das sogenannte Produktinformationsblatt. Für den einzelnen Nutzer des Riester-Sparvertrages wird es grundsätzlich ein Produktinformationsblatt geben, in dem gebündelt, leicht verständlich und auch standardisiert die Leistungen, die Garantien und auch die Kosten dargestellt werden; denn für uns ist einer der wichtigsten Punkte, dass der Wettbewerb durch mehr Transparenz gestärkt wird, dass der Einzelne erkennt, welche Kosten, Leistungen und Garantien im Vertrag enthalten sind. Es geht hier auch um eine Kostenreduzierung für den Verbraucher, indem er erkennt, welcher Vertrag der günstigste für ihn ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir haben in diesem Gesetzentwurf ausdrücklich festgehalten, dass für den Einzelnen ein Anbieterwechsel möglich ist. Es kann sich für den Riester-Sparer eine neue persönliche Situation ergeben. Deswegen soll auch ein Anbieterwechsel möglich sein. Wir haben allerdings auch erfahren, dass vielfach versucht wird, aus bestehenden Verträgen abzuwerben, möglicherweise aus Provisionsgründen. Deswegen werden neue Verträge aufgrund eines Anbieterwechsels nur maximal mit 50 Prozent der üblichen Abschluss- und Vertriebskosten belegt werden können. Meine Damen und Herren, inzwischen hat der sogenannte Wohn-Riester eine sehr hohe Bedeutung. Diesen gab es zu Beginn der Riester-Förderung noch nicht. 80 Prozent der Deutschen wünschen sich eine eigene Immobilie, ein eigenes Haus, eine eigene Wohnung, aber nur etwa 40 Prozent können diesen Wunsch verwirklichen. Dazu ist die Förderung in diesem Bereich ein sehr wichtiger Baustein; denn wir haben heute nicht mehr die Eigenheimförderung, wie wir sie früher einmal hatten – bekannt unter den §§ 7 b, 10 e Einkommensteuergesetz –, und andere Fördermöglichkeiten. Bisher gab es nur zwei Möglichkeiten, das Guthaben aus diesem Vertrag zu entnehmen. Eine Möglichkeit bestand in der Kauf- oder Bauphase. Es musste also ein Kauf, eine Anschaffung getätigt werden, oder es musste eine Herstellung vorgenommen werden, indem gebaut wurde. Nur in dieser Phase konnte der Sparer sein Guthaben entnehmen. Eine weitere Möglichkeit bestand, wenn er ins Rentenalter kam. Dann konnte er das Guthaben entnehmen, um damit möglicherweise Kredite abzubauen. Das entspricht aber nicht dem Wunsch der Riester-Sparer; denn sie möchten jederzeit über das Guthaben verfügen, um möglicherweise zwischendurch Entschuldungen vornehmen zu können. Deswegen ändern wir das Gesetz an der Stelle, indem wir sagen: Jederzeit kann der Sparer sein Guthaben entnehmen. Das schafft für ihn Klarheit und Sicherheit, und er kann seine Finanzierung in seinem Sinne selbst kalkulieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zum Bereich des Wohn-Riesters gehört auch die Besteuerung des Wohnförderkontos. Wer eine Förderung bekommt, muss im Alter auch Erträge versteuern. Das gilt auch für die Wohnimmobilie. Hierzu gab es zwei Möglichkeiten: Man konnte das ratierlich, ausgedehnt bis zum 85. Lebensjahr machen oder sich in einer Einmalzahlung der Steuerpflicht entledigen. Auch hier sagen wir nun: Jederzeit kann der Sparer diese Steuern abführen. Er wird damit auf alle Zeiten von weiteren Steuerzahlungen befreit. Wenn er die Möglichkeit der Einmalzahlung in Anspruch nimmt, erhält er 30 Prozent Rabatt auf die Steuerzahlung. Ein weiterer Punkt in diesem Bereich ist folgender: Für uns ist sehr wichtig, dass diese Förderung nicht nur für den Fall in Anspruch genommen werden kann, dass man baut, kauft oder im Alter das Darlehen ablösen will; denn für viele ist das Guthaben in dem Riester-Vertrag oftmals das einzige Guthaben, das sie haben, um beispielsweise im Alter das Haus oder die Wohnung altersgerecht, behindertengerecht oder barrierefrei umzubauen. Es war bisher untersagt, das Geld dafür zu verwenden. Auch das ändern wir jetzt. Das ist ein besonderer Wunsch der Bürger. Ich glaube, diesem Wunsch gerecht zu werden, kann nur der richtige Weg sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte noch kurz einen weiteren Baustein erwähnen. Es geht um die Erwerbsminderungsrente. Bisher können nur 15 Prozent der Beiträge zur Riester-Rente für die Erwerbsminderung genutzt werden. Wir erhöhen dies leicht auf 20 Prozent. Das ist nur ein kleiner Baustein. Aber wir haben auch die Möglichkeit geschaffen, in der sogenannten Basisrente die Erwerbsminderung stärker zu fördern. Das heißt, wer einen Vertrag über die sogenannte Basisrente oder Rürup-Rente abschließt, kann beispielsweise seine Beiträge zur Berufsunfähigkeitsversicherung absetzen, wenn neben der Absicherung der möglichen Berufsunfähigkeit auch eine Altersrente gezahlt wird. Wir haben insgesamt für den Aufbau einer eigenen zusätzlichen Altersvorsorge die Förderhöchstgrenze von 20 000 Euro auf 24 000 Euro erhöht. Sehr viele Menschen sind nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und können auch nicht auf eine betriebliche Altersversorgung oder auf ein Versorgungswerk zurückgreifen. Ihnen bieten wir die Möglichkeit, Beiträge für eine eigene Altersvorsorge anzusammeln. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ich denke, diese Bausteine schaffen es, die Riester-Verträge deutlich attraktiver zu machen. Ich erinnere die Kollegen der SPD-Fraktion daran, dass immerhin Herr Walter Riester vor wenigen Tagen bei der Hauptstadtmesse der Fonds Finanz in Berlin deutlich gesagt hat, dass dies eine ausgesprochen attraktive Verbesserung der Riester-Rente ist. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin Petra Hinz. (Beifall bei der SPD) Petra Hinz (Essen) (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Flosbach, Sie haben das alles gerade sehr charmant und gewinnend vorgetragen. (Zuruf von der FDP: So ist er halt!) – So ist er halt. Das kann ich in der Tat bestätigen. Aber das ist das Einzige, das ich heute bestätigen werde. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das kenne ich auch!) Was Sie vorgetragen haben, hört sich vielleicht für den Laien oder den, der an eine private kapitalgedeckte Altersvorsorge denkt, um damit sein Alter abzusichern, sehr gut an. Aber jetzt wollen wir einmal zum Kleingedruckten übergehen. Denn das, was Sie angesprochen haben, bringt für die Nutzer von Rürup- und Riester-Rente zum Teil eine Ungleichgewichtung. Insofern ist das, was Sie gerade vorgetragen haben, Augenwischerei. (Beifall bei der SPD) Wir haben vor der Sommerpause den Antrag der Fraktion Die Linke „Altersvorsorge von Finanzmärkten entkoppeln“ im Plenum beraten und ihn an den Finanzausschuss weitergeleitet. Heute beraten wir in erster Lesung den Gesetzentwurf der Regierungskoalition. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte über die Altersvorsorge – das haben wir gerade gehört – bezieht sich eigentlich auf zwei Ebenen. Die eine Ebene ist die Rente im Allgemeinen, und die andere ist die kapitalgedeckte Altersvorsorge. Die erste Ebene wird sicherlich und zu Recht im Ausschuss für Arbeit und Soziales und, wie wir gerade gehört haben, auch in anderen Bereichen diskutiert, und die zweite bei uns im Finanzausschuss. Trotz alledem möchte ich gerne auch auf die erste Ebene eingehen, zumal Herr Flosbach gerade noch einmal auf die Bedeutung hingewiesen hat und die Zahlen der zukünftigen Rentner bzw. der Nutzer genannt hat, also derjenigen, die bereits Riester- und vergleichbare Verträge abgeschlossen haben. Wir haben in unserer Regierungszeit 1998 bis 2009 dafür gesorgt, dass die gesetzliche Rentenversicherung die zentrale Säule der Altersvorsorge bleibt. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ihr habt sie massakriert!) Das haben Sie verschwiegen, Herr Flosbach. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Leben Sie mal schön weiter in der Vergangenheit! Wir kümmern uns um die Zukunft!) Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union und der FDP, erinnern sich vielleicht an die Diskussionen zur Abschaffung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung und zum völligen Umstieg auf eine privat finanzierte kapitalgedeckte Altersvorsorge. Das ist noch gar nicht so lange her. In der Zwischenzeit kam die Finanzkrise. Die Finanzkrise hat deutlich gemacht, dass unser Weg der richtige ist: auf einer Seite die gesetzliche Rentenversicherung, auf der anderen Seite die privat durch Kapital gedeckte Vorsorge und auf der dritten Seite die betriebliche Altersvorsorge. Auch das ist gerade genannt worden. Aber auch hier müssen wir der Deutlichkeit und Ehrlichkeit halber sagen: Nicht jeder hat die Chance und Möglichkeit einer betrieblichen Altersvorsorge. Heute reden wir also über die drei Säulen, die wir Sozialdemokraten gemeinsam mit den Grünen in der Koalition auf den Weg gebracht haben: die gesetzliche Rente, die betriebliche Altersvorsorge und die private, kapitalgedeckte Vorsorge. Richtig ist: Wir haben 2008 Wohn-Riester eingeführt und deutlich gemacht, dass alle Riester-Produkte vergleichbar sein müssen und dass keines privilegiert wird. Ihr Gesetz, dessen Entwurf nun vorliegt, bedeutet eine Privilegierung von Wohn-Riester. Man muss in diesem Zusammenhang über die Frage diskutieren, ob eine Immobilie immer im klassischen Sinne zur Altersvorsorge taugt. Des Weiteren müssen wir im weiteren Beratungsverlauf über Doppelförderung und Doppelfinanzierung diskutieren. Die von uns mitgetragene Rentenreform und der Ausbau privater Altersvorsorge als Ergänzung und nicht – ich betone das noch einmal – als Ersatz, wie von CDU/CSU und FDP gefordert, hatten vor allem das Ziel, die nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung zu sichern und die Belastung gerade jüngerer Generationen nicht zu groß werden zu lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und FDP, wenn wir über die Rentenvorsorge diskutieren, dürfen wir nicht den Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt und den Arbeitsplätzen aus den Augen verlieren. Menschen, die arbeiten und letzten Endes aufstocken müssen, also -Arbeitslosengeld II beziehen, werden natürlich keine Riester-Verträge abschließen – seien diese noch so optimal für die Gruppe der Geringverdiener zugeschnitten –, weil sie mit dem, was sie für ihre Arbeit erhalten, gar nicht auskommen. Sie haben also kein auskömmliches Einkommen. Insofern stellt sich hier die Frage nach der Ehrlichkeit. Wir müssen dafür sorgen, dass Mindestlöhne eingeführt werden, dass für gleiche Arbeit der gleiche Lohn gezahlt wird und dass Frauen bei gleicher Qualifikation entsprechend gefördert und berücksichtigt werden. Das sind Ansätze, die es Menschen ermöglichen, während ihres Berufslebens für das Alter anzusparen und so nicht in Altersarmut zu geraten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Über die Erfahrungen, die wir in den letzten zehn Jahren mit Riester und seit 2008 mit Rürup gesammelt haben, haben wir bereits vor der Sommerpause hier diskutiert. Wir haben eingeräumt: Es gibt Optimierungs- und Transparenzbedarf. Genau diesen Punkt Ihres Gesetzentwurfs greifen wir möglicherweise positiv auf. Aber es handelt sich nur um einen Punkt. Die Produktinformationsblätter müssen so gestaltet sein, dass die Produkte nachvollziehbar, transparent und vergleichbar sind. Dem können wir so zustimmen. Bereits in der Debatte vor der Sommerpause, als wir uns zum ersten Mal aufgrund eines Antrags der Fraktion Die Linke damit befasst haben, haben wir Sozialdemokraten darauf verwiesen, dass auch Kostentransparenz gegeben sein muss. Die Gebühren müssen gedeckelt werden. Am besten wäre es, wenn gar keine Gebühren erhoben würden. Auf jeden Fall muss das auf den Prüfstand gestellt werden. Die Kostentransparenz muss optimiert werden. Der Gesetzentwurf geht sicherlich in die richtige Richtung. Aber gemessen an Ihren großen Ankündigungen muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Sie sind als Bettvorleger gelandet. Sie haben zwar viel Wind gemacht und für Wirbel gesorgt. Aber unter dem Strich haben Sie nichts auf den Weg gebracht. Ein anderer Punkt, den wir in der Diskussion über die steuerliche Förderung der kapitalisierten Altersvorsorge angesprochen haben, ist die Grundsicherung. Für viele Menschen ist ein Grund, keinen Riester-Vertrag abzuschließen, dass sie sich ausrechnen, aufgrund des geringen Entgelts, das sie für ihre Arbeit bekommen, im Alter in die Grundsicherung zu geraten. Das ist ein großer Baustein; das müssen wir angehen. Es kann nicht sein, dass das, was für das Alter angespart wird, möglicherweise angerechnet wird. Nein, auch denjenigen, die Grundsicherung beziehen, müssen die Erlöse der Riester-Rente zur Verfügung gestellt werden. (Beifall bei der SPD) Wir sind jetzt im parlamentarischen Prozess und werden über den Gesetzentwurf diskutieren, ihn beraten. Unsere Verbesserungsvorschläge werden wir einbringen. Ich kann Ihnen nochmals bestätigen und auch zusagen: Die Punkte, in denen Sie uns gefolgt sind, nämlich im Bereich der Transparenz und der Gebührendeckelung, werden wir gern mittragen. Warum Sie bei der Basisrente im Alter die Förderhöchstgrenze von 20 000 Euro auf 24 000 Euro erhöhen und damit eine einseitige Förderung vornehmen wollen, die Förderhöchstgrenze bei der Riester-Rente aber bei 2 100 Euro belassen wollen, das müssen Sie uns schon noch erklären. Es sind einige Fragen, die geklärt werden müssen. In diesem Zusammenhang ist das, wie eben gesagt, die Frage, warum Sie die Förderhöchstgrenze ohne Not auf 24 000 Euro erhöhen wollen, obwohl doch bei 20 000 Euro die Abschöpfung noch nicht erreicht ist. (Frank Schäffler [FDP]: Weil die Beitragsbemessungsgrenze gestiegen ist!) Das sind die Fragen, die wir im Rahmen der Beratungen noch ansprechen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinne wünsche ich uns eine gute Beratung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wie wir im Ruhrgebiet sagen: Glück auf! Ich hoffe, Ihnen ist bei meinen Ausführungen deutlich geworden, lieber Herr Flosbach, dass wir über die steuerlichen Fragen reden können, aber Ursache und Wirkung nicht verwechseln dürfen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Höhe der Arbeitslosigkeit, die wir heute haben! Funktionierende Wirtschaft! Lokomotive in Europa!) Faire Löhne und ein auskömmliches Einkommen sind sehr wichtig, wenn man eine Altersvorsorge aufnehmen will. Nur wer faire Löhne bekommt, kann auch für sein Alter vorsorgen. Wir haben eine Verantwortung für die junge Generation. Wir können ihr nicht immer mehr aufbürden. Wir sollten deutlich ansprechen, ob wir mit Ihrem Gesetzentwurf Klientelpolitik betreiben oder ob wir gleiche Förderung für alle, Riester- und Rürup-Verträge, gewähren wollen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schäffler von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Frank Schäffler (FDP): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Frau Hinz, bevor Sie hier Vermutungen äußern, sollten Sie sich über die Sachlage informieren. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Ein wichtiger Hinweis! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Arroganz! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: 1 Prozent bei den Sympathiewerten haben Sie jetzt! Das passt zu dem Auftritt!) Schon heute ist es so, dass auf die Grundsicherung die Rürup-Rente, also die Basisrente, wie auch die Riester-Rente nicht angerechnet werden. (Zuruf) – Nein, das ist schon heute der Fall. Das Gesetz trägt den richtigen Namen, nämlich „Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz“; denn darum geht es. Wir wollen letztendlich die Flexibilität und den Spielraum für die individuelle Altersvorsorge verbessern – das ist das Ziel dieses Gesetzes –, und das machen wir auch; das machen wir sehr konkret. Was wir zum Beispiel beim Wohn-Riester einführen, ist letztendlich nichts anderes als die Schaffung des Kapitalwahlrechts, damit die Menschen selbst entscheiden können, was sie mit ihrem Geld machen, ob sie es verrenten lassen, ob sie es in ihre Immobilie investieren oder in der Rentenphase zur Tilgung für ihre Immobilie nutzen. Das ist mehr Freiheit, die die Menschen durch das Gesetz bekommen. Das Gesetz folgt auch, finde ich, steuerpolitisch einem richtigen Ansatz; denn steuerpolitisch muss es egal sein, ob man heute konsumiert oder im Alter konsumiert. Aber das ist in unserem Steuerrecht leider nicht so. Wer normal spart, dem nimmt der Staat von den Zinsen, von der Ernte, jedes Jahr etwas weg. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Beim Ernten muss man säen, hier kriegt man das Geld so einfach!) Wenn man das über einen langfristigen Sparprozess betrachtet, erkennt man: Der Staat nimmt nicht nur 25 Prozent plus Soli plus Kirchensteuer weg, sondern er wird dem Normalverdiener am Ende 50 bis 60 Prozent weggenommen haben. Deshalb hat Rot-Grün das damals geschaffen. Sie von Rot-Grün haben nämlich Anreize dafür geschaffen, dass Sparen nicht diskriminiert wird, sondern dass Sparen genauso behandelt wird wie der Konsum heute. Das ist steuerpolitisch aus meiner Sicht genau richtig. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Skandal!) – Das ist kein Skandal, (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Doch! Das ist die Privilegierung einer Einkommensart!) sondern das ist genau richtig. Aber was falsch ist, ist das, was Ihr Parteivorsitzender vorgeschlagen hat, nämlich dass man aus individuellem freiwilligen Sparen eine Pflicht zum Sparen macht. Das ist genau der falsche Ansatz. Wir wollen die Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen, ihnen nicht vorschreiben, ob sie heute sparen oder morgen sparen, ob sie heute konsumieren oder morgen konsumieren, sondern wir wollen, dass die Menschen das selbst entscheiden, auch entscheiden, woraufhin sie sparen. Das ist entscheidend. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann geraten sie millionenfach in die Altersarmut! Das ist die Konsequenz!) Was Ihr Parteivorsitzender vorgeschlagen hat, ist im Kern ein Angriff auf das Eigentum der Bürger. Er hat vorgeschlagen, dass 2 Prozent des Einkommens in eine betriebliche Altersvorsorge eingezahlt werden müssen. Das ist das Gegenteil von dem, was wir wollen. Jemand, der monatlich 2 000 Euro verdient, soll nach dem Vorschlag Ihres Parteivorsitzenden jedes Jahr zwangsweise 480 Euro in eine betriebliche Altersvorsorge einzahlen. Das kann doch keine vernünftige Forderung sein. Wenn Menschen für eine Immobilie sparen, haben sie vielleicht gar nicht die Möglichkeit, zusätzlich etwas für eine betriebliche Altersvorsorge beiseitezulegen. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Menschen, die keinen Mindestlohn haben, haben auch keine Immobilie! Von welchen Menschen reden Sie?) – Von Ihrem Parteivorsitzenden rede ich. (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Sie reden gerade über Menschen, die nicht den Mindestlohn bekommen!) Er hat das vorgeschlagen, das ist sein Papier „Altersarmut bekämpfen – Lebensleistung honorieren – Flexible Übergange in die Rente schaffen“. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Reden Sie über Ihren Gesetzentwurf!) Ihr Parteivorsitzender hat vorgeschlagen, dass jeder Arbeitnehmer, der 2 000 Euro Einkommen hat, 480 Euro in eine betriebliche Rente einzahlen soll. Das ist keine soziale Politik, sondern Gängelung des Sparers; geben Sie es doch zu! (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was Sie machen, ist auch keine soziale Politik! Sie treiben die Menschen in die Altersarmut!) – Doch, das ist soziale Politik: weil wir die Menschen in die Lage versetzen, so vorzusorgen, wie sie es für richtig empfinden, (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Betreuungsgeld!) ob durch Vorsorge für die Ausbildung der Kinder, ob durch Sparen auf eine Immobilie, ob durch eigene Altersvorsorge. Das ist eine Entscheidung, die jeder Einzelne höchstpersönlich treffen können muss. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber nur wer das Geld hat! Millionen haben das nicht!) Das darf Herr Gabriel den Menschen nicht vorgeben. Das ist nicht unsere Vorstellung von vernünftiger Politik. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass wir auf diese Krise, die ja eine Verschuldungskrise ist, (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist keine Verschuldungskrise! – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das ist eine Finanz- und Bankenkrise!) anders reagieren als Sie. Auf eine Verschuldungskrise muss man mit einer Sparkultur reagieren. Das heißt, man darf Sparen nicht diskriminieren. Zur Wahrheit gehört: Inflation und finanzielle Repression führen dazu, dass Sparen unterminiert wird, dass Sparen unattraktiv wird. Deshalb müssen wir alle darauf achten, dass das, was die Menschen in die Altersvorsorge stecken, durch Inflation oder finanzielle Repression nicht aufgezehrt wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Wir brauchen erst einen Mindestlohn! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die müssen erst mal was haben, was sie reinstecken können!) Das wusste Ludwig Erhard, als er sagte: Die Inflation muß vielmehr als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird. Wir sollten alle darauf achten, dass das nicht stattfindet. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Gut, dass das nur noch 4 Prozent der Wählerinnen und Wähler so sehen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege Matthias Birkwald das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf des Altersvorsorge-Verbesserungsgesetzes soll die Riester-Rente transparenter und vergleichbarer werden. Das hört sich für all jene, die sich schon mit dem Dickicht der privaten Altersvorsorge beschäftigen mussten, gut an. Wer im Dunkeln steht, kann eine Taschenlampe gut gebrauchen. Auch wir Linken wollen, dass jene Menschen, die bereits Riester-Verträge abgeschlossen haben, nicht alleingelassen werden. Doch die Linke will keineswegs zusehen, wie immer mehr Menschen in das Gestrüpp der privaten Altersvorsorge geschickt werden; denn eine Taschenlampe ändert am Dickicht nichts. Die Linke will das Dickicht roden, statt es nur ein wenig auszuleuchten. (Beifall bei der LINKEN) Das ist dringend nötig, das wäre verantwortungsvoll, und das wäre auch machbar. Doch Union und FDP wollen die kapitalgedeckte Altersvorsorge stärken – so steht es im Gesetzentwurf – und dazu die Riester-Rente ein wenig aufhübschen. Die Bundesregierung will uns glaubhaft machen, dass mit ein wenig Nachhilfe die Riester-Rente sich so entwickeln könnte wie das hässliche Entlein, das nach und nach zu einem prächtigen Schwan heranwächst. Das wäre eine gewaltige Entwicklung; doch daran zu glauben, würde in einer ebenso gewaltigen Enttäuschung enden. Deswegen sollten wir darauf verzichten. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, in der Alterssicherung brauchen wir keine Märchen, sondern Wahrhaftigkeit. Wir brauchen keine diffuse Hoffnung, sondern Sicherheit. Wie schon Helmut Kohl sagte: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Wir brauchen keine milliardenschwere Riester-Förderung, sondern jeden Cent, damit die gesetzliche Rente wieder den Lebensstandard sichern und vor Altersarmut schützen kann. Das muss heute das Thema sein. (Beifall bei der LINKEN) Darüber müssen wir reden. Dazu müssen wir die richtigen Entscheidungen treffen. Union und FDP wollen mit dem Gesetzentwurf die Riester-Vorsorge von einer ganz schlechten Leistung zu einer nur noch ein bisschen schlechten Leistung ummodeln. Das reicht nicht. (Beifall bei der LINKEN) Die unter SPD und Grünen beschlossene Rasur der gesetzlichen Rente war – das wissen wir heute alle – eine vollkommen falsche Entscheidung. Die Altersarmut steigt. Gestern stand es wieder in den Zeitungen. Mit der Riester-Rente sollte die politisch gerissene Rentenlücke geschlossen werden. Das – das ist heute klar – wird vorne und hinten nicht hinhauen. Das weiß auch die Bundesregierung. In ihrem eigenen Rentenversicherungsbericht aus dem Jahr 2011 weist sie eindeutig nach: Früher, als es noch keine Riester-Einkünfte gab, hat die gesetzliche Rente allein mehr eingebracht als morgen die gesetzliche Rente und die Riester-Vorsorge zusammengenommen. – Eine gesetzliche Rente, Frau Hinz, die noch im Jahr 2009  1 000 Euro wert gewesen wäre, wird selbst mit Riester im Jahr 2025 nur noch 987 Euro wert sein, und das trotz all der Milliarden, die der Staat dazugibt. Aber es kommt noch schlimmer. Diese Rechnung stimmt nämlich nur, wenn man durch eine rosarote Brille auf die Kapitalmärkte blickt, so wie der Kollege Schäffler eben; denn die Regierung rechnet im Rentenversicherungsbericht mit 4 Prozent Verzinsung. Das ist vollkommen unrealistisch. (Beifall bei der LINKEN) Die ganze Riesterei ist sozialpolitisch – und das heißt: vor allem für die Versicherten – ein Riesenflop. Deshalb muss Schluss damit sein. (Beifall bei der LINKEN) Die Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre zeigen sehr deutlich, dass die Altersvorsorge nicht dem Treiben der Finanzmärkte und der Versicherungswirtschaft ausgesetzt werden darf. Das Riester-Problem kann mit den Instrumenten des Verbraucherschutzes nicht gelöst werden. Mehr Transparenz bei Riester wird nicht zu mehr Vernunft auf den Finanzmärkten führen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Herr Schäffler, noch einmal an Ihre Adresse: Wer bisher kein Geld für eine Riester-Vorsorge hatte, wird nicht plötzlich welches haben, nur weil die Riester-Angebote leichter zu verstehen sind. Mehr Transparenz führt auch nicht dazu, dass die Menschen das notwendige biblische Alter erreichen, um eine vernünftige Rendite aus der Riester-Vorsorge zu erhalten. Ich erinnere noch einmal daran: Eine Frau, die vor zehn Jahren im Alter von 35 Jahren eine Riester-Rente abgeschlossen hat, muss knapp 80 Jahre alt werden, um ihre eingezahlten Beiträge wieder herauszubekommen. Will sie eine kleine Rendite von 2,5 Prozent erhalten, muss sie 90 Jahre, bei 5 Prozent Rendite muss sie 20 Jahre älter werden als Herr Heesters, also 128 Jahre leben. Das heißt doch: Nicht allein die Umsetzung der Riester-Rente ist falsch, sondern das ganze Konzept ist falsch. (Beifall bei der LINKEN) Letztendlich erweist sich die Teilprivatisierung der Altersvorsorge als ein gigantisches Förderungsprogramm für die Versicherungswirtschaft. Deswegen verstehe ich auch, warum die FDP sich so sehr dafür einsetzt. Seit 2002 brachte das Riester-Geschäft den Versicherern mehr als 36 Milliarden Euro ein. Angesichts der Finanzmarktkrise ist eine weitere staatliche Subvention von privater Vorsorge bei gleichzeitigem Abbau der gesetzlichen Rente unverantwortlich. (Beifall bei der LINKEN) Allein an die sechs größten Anbieter von Riester-Verträgen sind mehr als 4 Milliarden Euro an Zulagen und rund 14 Milliarden Euro an Beiträgen geflossen. Trotz dieser immensen Summen weiß die Bundesregierung nicht, wie hoch die Rentenansprüche der Versicherten sind. Sie weiß auch nicht, wie viel Kapital zur Deckung der Rentenansprüche zur Verfügung steht. Das haben wir abgefragt. Die Riester-Rente gaukelt Sicherheit vor, wo keine ist. Sie ist also nicht nur sozialpolitisch unsinnig, sie ist sogar gefährlich. (Beifall bei der LINKEN) Union, FDP, aber auch SPD und Grüne nehmen das einfach so hin. Die Linke macht da nicht mit. Deswegen wollen wir das grundsätzlich ändern. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke fordert: Vorrang für die gesetzliche Rente! Die für die Riester-Rente ausgegebenen Steuersubven-tionen in Milliardenhöhe müssen endlich in die gesetzliche Rente umgeleitet werden. Das Drei-Säulen-Prinzip von gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge ist gescheitert. Das müssen Sie doch endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Wenn die Rente basierend auf diesen drei Säulen hinterher niedriger ist als die frühere gesetzliche Rente, dann kann man sagen: Sechs, setzen! (Beifall bei der LINKEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Früher war alles besser!) Das sagt übrigens nicht nur die Linke. Was ich sage, hat jüngst – natürlich viel freundlicher und wissenschaftlicher formuliert – das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung mit der Studie „Auf dem Weg in die Altersarmut. Bilanz der Einführung der kapitalgedeckten Riester-Rente“ nochmals eindrucksvoll dargelegt. Deswegen sage ich: Wir müssen jetzt die gesetzliche Rentenversicherung so wiederherstellen, dass sie den Lebensstandard sichert und vor Altersarmut schützt. Ohne ein ausreichendes Rentenniveau von 53 Prozent vor Steuern werden nämlich auch Menschen mit guten Löhnen keine guten Renten erhalten. Denn nur die gesetzliche Rente bietet wirkliche Sicherheit und echte Solidarität. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Kollege Dr. Gerhard Schick. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Birkwald, das war jetzt nicht nur „Licht ins -Dickicht bringen“, sondern Sie schlagen ja nichts anderes als einen Kahlschlag vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nur bei Riester zugunsten der gesetzlichen Rente!) In der deutschen Sprache gibt es hierfür noch ein anderes Bild: das Kind mit dem Bade ausschütten. Nur weil es im Riester-Bereich Defizite gibt, heißt das doch nicht, dass man gleich alles abschaffen muss. Vielmehr geht es darum, die vorhandenen Probleme konkret anzugehen. Das ist die Aufgabe, die vor uns liegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das klappt nur nicht!) Man kann nicht nur aus der momentanen Situation an den Finanzmärkten heraus argumentieren, das reicht nicht. Vielmehr sollte man grundsätzlich überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, eine Kombination aus umlagefinanzierter Rente und kapitalgedeckter Rente anzustreben, weil beide unterschiedliche Stärken und Schwächen haben. Unser grüner Weg lautet: Schwerpunkt der Altersvorsorge bleibt die gesetzliche umlagefinanzierte Rente, es ist jedoch richtig, eine ergänzende kapitalgedeckte Vorsorge zu haben. Jetzt geht es darum, das Ganze optimal umzusetzen. Es gibt ein entscheidendes Problem: Wir stellen fest, dass eine Reihe von Produkten, die am Markt sind, für sich genommen nicht attraktiv sind, sondern erst durch die steuerliche Förderung attraktiv werden. Das heißt: Der Staat subventioniert mit Steuergeld Produkte, die an sich keine guten Produkte sind. Das können wir den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern nicht zumuten. Hier muss korrigiert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Von daher ist die Grundintention, die Sie mit den Zielen in Ihrem Gesetzentwurf niederschreiben, zunächst einmal nicht falsch: Stärkung der Verbraucher im Markt und Verbesserung des Anlegerschutzes. Die Frage ist allerdings: Was machen Sie daraus? Setzen Sie diese Ziele wirklich um, oder bleiben Sie auf halbem Wege stecken? Bei einem Blick auf die vorgetragene Kritik wird klar, dass der Reformbedarf insgesamt groß ist und man daher mit halben Schritten die Kernprobleme nicht wird lösen können. Ein Kernproblem liegt im Vertrieb; dort bleibt viel zu viel Geld stecken. Viele müssen nach einigen Jahren feststellen, dass sie zwar für eine Beratungsleistung mehr oder minder guter Qualität gezahlt haben, dass sie aber de facto nur sehr wenig Kapitel für ihre Altersvorsorge haben ansparen können. An dieses Problem müssen wir herangehen. Wir müssen überdies darauf hinwirken, dass die Menschen eine klare Vorstellung davon erhalten, wie viel Geld sie eigentlich ansparen. Es ist aufgrund der vorhandenen Informationen bisher nur schwer möglich, zu erkennen, welche Ansprüche im gesetzlichen umlagefinanzierten Rentensystem gesammelt und wie viele Gelder in der privaten und betrieblichen Vorsorge angespart wurden. Erst wenn man alle Ansprüche sinnvoll zusammenrechnen kann, kommt man zu einer realistischen Gesamtvorstellung und fühlt sich nicht mehr Vertretern so ausgesetzt, die mit einer Altersarmutslücke argumentieren und Menschen damit möglicherweise zu falschen Formen der Vorsorge überreden. Deswegen ist uns wichtig, dass der Informationsfluss verbessert wird. Das Produktinformationsblatt ist in diesem Zusammenhang eine gute Idee. Es ist auch gut, dass es gesetzliche Vorgaben zu Aufbau, Optik und Inhalt dieses Informationsblattes geben soll. Hier sollten internationale Erfahrungen aufgegriffen und einbezogen werden. Aber warum soll das nur für Neuverträge gelten und nicht für bereits abgeschlossene Verträge? Wir müssen außerdem darauf achten, dass die Informationen in dem Produktinformationsblatt nicht ihrerseits irreführend sind, weil beispielsweise die Berechnungsmethoden nicht klar sind. Zweiter wichtiger Punkt beim Thema Information: Wir wollen, dass die Menschen die Ansprüche aus den verschiedenen Systemen „zusammendenken“ können. Das ist in Ihrem Gesetzentwurf bisher nicht vorgesehen. Da ist eine Lücke; da werden wir nachhaken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie schaffen eine Produktinformationsstelle Altersvorsorge. Nun muss man sich fragen: Was wird das hier bringen? Die Stelle soll die Simulationsverfahren festlegen und die Berechnungen durchführen, deren Ergebnisse in die Produktinformationsblätter einfließen sollen. Aber warum braucht es denn neben der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen und der Zertifizierungsstelle eine dritte Institution? – Das ist in Sachen Bürokratieabbau schon ein sehr interessanter Vorschlag aus Ihren Reihen. Zudem muss man sich fragen: Werden die Ergebnisse wirklich offengelegt? Ich glaube, es ist notwendig, die Berechnungsmethoden offenzulegen, um wirkliche Transparenz und Kontrolle zu ermöglichen. Denn wir stellen fest, dass es in der Branche eine heftige Auseinandersetzung darüber gibt, wie man die einzelnen Kennziffern berechnet, weil sich die verschiedenen Anbieter Vorteile versprechen: Je nachdem, wie es berechnet wird, können sie das eine oder andere Produkt besser am Markt platzieren. – Wir müssen schauen, dass hier keine Blackbox entsteht, sondern ein öffentlich überprüfbares Simulationsverfahren, um wirklich gute Informationen für die Menschen sicherzustellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist richtig, dass Sie die Kosten beim Anbieterwechsel angehen. Der Wechsel ist schwierig, deswegen der Wettbewerb nicht gut. Aber warum bleiben Sie wieder auf halbem Weg stehen? Sie begrenzen die Kosten, die der bisherige Anbieter in Rechnung stellen darf, auf 150 Euro. Eine kurze Frage, die wir im Gesetzgebungsprozess klären müssen: Wie kommt man eigentlich auf diese Zahl? – Die Begrenzung der Kosten bezieht sich aber nur auf das Unternehmen, von dem man wegwechselt, also auf die sogenannten Goodbye-Kosten. Aber bei den Hello-Kosten, also den Kosten, die entstehen, wenn man zu einem Anbieter hinwechselt, fehlt eine klare Begrenzung. Deswegen wäre der Anbieterwechsel, wenn man Ihrem Gesetzentwurf folgte, nach wie vor zu teuer. Wir meinen, dass man da noch nachlegen muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Es gibt meines Erachtens einen interessanten Vorschlag der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg. Es geht um die Frage: Soll es ein staatlich bereitgestelltes Basisprodukt geben? (Frank Schäffler [FDP]: Den Trabi!) Ich glaube, wir sollten sehr ernsthaft darüber nachdenken. Es geht nicht darum, hier ein Obligatorium, etwas Verpflichtendes zu schaffen, sondern darum, ernst zu nehmen, was viele Menschen sagen, nämlich: Ich will mich damit nicht beschäftigen müssen, weil es für mich zu kompliziert ist. (Frank Schäffler [FDP]: Vater Staat macht das schon!) Meine feste Überzeugung ist: Der Staat sollte die private, kapitalgedeckte Vorsorge für die Menschen so einfach wie möglich gestalten. (Beifall der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deswegen gesetzliche Rentenversicherung!) – Das eine ist die gesetzliche Rentenversicherung. Aber auch zur ergänzenden Vorsorge kann man, wenn man dem schwedischen Beispiel folgt, ein Basisprodukt anbieten und den Menschen die Wahlmöglichkeit lassen, andere Wege zu gehen, wenn ihnen das Angebot nicht ausreicht. Ich glaube, das ist ein guter Vorschlag, und wir werden ihn in die Beratungen einbringen. Ich finde, da sollte man nicht so ideologisch reagieren, wie Sie von der FDP es gerade tun, sondern sich einmal fragen: Was ist eigentlich gut für die Menschen in unserem Lande? – Die Menschen sind bereit, Vorsorge zu leisten. Sie haben aber keine Lust, sich durch komplizierte Verträge zu wühlen oder sich mit dem Gefühl, vielleicht doch über den Tisch gezogen zu werden, in ein Beratungsgespräch zu begeben. Ich finde, wir sollten den Menschen eine Wahlmöglichkeit geben, ihnen also ermöglichen, eine Variante auswählen. Gleichzeitig sollten wir von staatlicher Seite aus Informationen bereitstellen und einen möglichst einfachen Weg der privaten Altersvorsorge ermöglichen. Dafür werden wir Grünen streiten. Das wird viel Licht bringen. Man muss aber nicht gleich einen Kahlschlag machen, sondern kann das, was Sie auf den Weg gebracht wurde, optimieren und voranbringen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist widersprüchlich, Herr Kollege, sehr widersprüchlich!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Mathias Middelberg das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Da hier über die Rente generell, also auch über die gesetzliche Rente, gesprochen und behauptet wurde, wir, die CDU/CSU, stellten die gesetzliche Rente infrage, möchte ich sagen: Das ist völliger Unsinn; das haben wir zu keinem Zeitpunkt getan. Wenn man sehr sorgfältig betrachtet, wer die besten Beiträge zum Thema Stabilisierung der gesetzlichen Rente leistet, dann erkennt man: Es ist die momentane Regierung mit ihrer guten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will Sie einmal an die Worte eines bekannten und erfahrenen Politikers erinnern: Wenn man sich die Rentenversicherungssystematik insgesamt anschaut, weiß man: Das Wichtigste, das man tun kann, ist, für … Arbeit zu sorgen. … Die spätere Entwicklung hängt davon ab, wie sich die Arbeitslosigkeit … entwickeln werden. Dies ist ein, wie ich finde, völlig richtiges und zutreffendes Zitat Ihres früheren Bundesarbeitsministers Franz Müntefering. Daran wollen wir uns orientieren, wenn wir heute feststellen, dass wir damals, als diese Worte gefallen sind, nämlich 2006, 5 Millionen Arbeitslose in diesem Land hatten und diese Zahl bis heute auf 2,7 Millionen gedrückt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Aber dazu haben Sie nichts beigetragen!) Wir hatten 2006 26 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, also Einzahler in die sozialen Sicherungssysteme. Wir sind heute bei fast 29 Millionen. Das heißt, wir haben diese Zahl um 3 Millionen gesteigert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Machen Sie mal die Augen zu! Was Sie dann sehen, das haben Sie gemacht!) 3 Millionen mehr Einzahler in die gesetzlichen Versicherungssysteme – das ist der beste Beitrag, den man zur Stabilisierung dieser Systeme leisten kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und die Rentenzahlbeträge sinken von Jahr zu Jahr, Herr Kollege! Das müssen Sie mal zur Kenntnis nehmen!) Fakt ist aber, dass das Rentenniveau dennoch stetig sinken wird. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Eben!) Das liegt am Verhältnis der Zahl jüngerer Menschen zu der älterer Menschen, der Bezieher aus diesem System und derer, die einzahlen. An diesen Fakten werden wir leider nichts ändern können. 1960 hatten wir noch vier Erwerbstätige, die einen Rentner finanzierten. Im Jahre 2050 werden es nur noch zwei Erwerbstätige sein, die einen Rentner zu finanzieren haben. Darauf müssen wir reagieren. Ich bin froh über große Teile des Beitrags des Kollegen Schick von den Grünen. Ich begrüße auch Ihr Bekenntnis zu einer zusätzlichen Säule der kapitalgedeckten Alterssicherung. Darüber sollten wir uns in großen Teilen des Hauses einig sein. Wir sehen es aber nicht so, wie Herr Birkwald es für die Linken hier gerade dargestellt hat. Es geht jetzt darum, dieses System zu stabilisieren und die Produkte besser und attraktiver zu machen. Es stimmt, was Herr Schick gesagt hat – auch da stimme ich ihm ausdrücklich zu –: Zu viele Kosten bleiben im Vertrieb hängen. Wir setzen gerade an diesem Punkt an – das Stichwort „Produktinformationsblatt“ ist hier schon gefallen; mein Kollege Klaus-Peter Flosbach hat dazu Ausführungen gemacht –, um die Vertriebskosten, also die Vermittlerprovision, und am Ende auch die Rendite des Produkts für die Interessenten transparenter und vergleichbarer zu machen. Wenn man das Ergebnis in einem auch optisch gut gestalteten Produktinformationsblatt einheitlich und übersichtlich darstellt, wird das dazu führen, dass auch der Normalverbraucher die verschiedenen Produkte miteinander vergleichen und feststellen kann, welches das für ihn geeignete Produkt ist und mit welchem Produkt er die beste Rendite erzielt. Es kann vielleicht sogar staatliche Anbieter geben. Das würde ich nicht generell ausschließen; aber die Kosten müssen auch dort glasklar und sauber ausgewiesen sein. Ich habe immer meine Bedenken, wenn wir zu viel Beteiligung des Staates beschließen. Wir haben das bei den Landesbanken sehr schön gesehen. Ich bin vorsichtig bei staatlicher Betätigung im wirtschaftlichen Bereich, aber ich würde dazu nicht generell Nein sagen. Dann müssen allerdings gleiche Spielregeln für alle gelten, und dann wollen wir – ich wiederhole mich – absolute Vergleichbarkeit der verschiedenen Produkte. Das wird ohne Frage auch zu mehr Wettbewerb zwischen den Anbietern führen, und das ist letztlich gut, um die Vertriebskosten zu drücken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich will auf andere Punkte nur kurz eingehen. Einige Punkte, die Sie angesprochen haben, Herr Schick – Entschuldigung, dass ich Sie gerade im Gespräch mit Ihren Kollegen stören muss –, (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reflektieren gerade Ihre Äußerungen! – Heiterkeit) sind diskutabel, so etwa zum Stichwort „Anbieterwechsel“. Ich möchte Ihnen und Frau Hinz signalisieren: Wir haben einige Punkte, über die wir sehr sachlich und offen miteinander sprechen könnten. Das sollten wir positiv mit in die Gespräche nehmen, die vor uns stehen. Wie gesagt, es gibt durchaus diskutable Ansätze. Unterm Strich möchte ich feststellen: Es ist vielleicht kein ganz großer Wurf; aber es sind technisch ganz wichtige Punkte, an denen wir ansetzen: mehr Transparenz, Vergleichbarkeit, mehr Wettbewerb im System. Mit den Verbesserungen beim sogenannten Wohn-Riester sorgen wir nicht für Schlagseite. (Dr. Daniel Volk [FDP]: So ist das! Ganz genau!) Wir tun damit wirklich etwas für die Menschen. Der altersgerechte Umbau, um nur dieses Stichwort zu nennen, ist für viele, auch für viele, die heute hier sind, ein wichtiges Thema. Das Thema „altersgerechter Umbau“ beschäftigt viele Menschen. Dass wir den sogenannten Wohn-Riester diesbezüglich nutzbar machen, ist, um nur ein Beispiel zu nennen, ein wirklich wichtiger Fortschritt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Da wir uns heute unter Finanzpolitikern unterhalten, will ich mit folgendem Hinweis abschließen – das ist mir nicht unwichtig in diesem Zusammenhang –: Ihr Honorarredner und jetziger Kanzlerkandidat, Herr Steinbrück, (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Kein Neid!) hat neulich in der Sendung Günther Jauch seine Ideen zur Steuerpolitik vorgestellt. In der Sendung ging es um seine „Honorarreden“. Bei dieser Gelegenheit wurde ziemlich zum Schluss gefragt: Was wollen Sie eigentlich steuerpolitisch machen? Dann kam die Ansage: Der Spitzensteuersatz steigt auf 49 Prozent. 7 Prozent mehr! Die Abgeltungsteuer steigt auch um 7 Prozentpunkte, von 25 auf 32 Prozent. Die Vermögensteuer kommt noch oben drauf. – Was Sie machen, ist ein Generalangriff auf den Mittelstand, auch auf den betrieblichen Mittelstand. (Widerspruch bei der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das hatten wir unter Helmut Kohl auch schon!) Sie sagen, dass Sie den betrieblichen Mittelstand außen vor lassen wollen. Das wird Ihnen nicht gelingen. Das wird so laufen, wie es bei der SPD immer läuft: Sie nehmen den Leuten erst einmal das Geld aus der Tasche. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das tun Sie doch!) Wenn Sie den Spitzensteuersatz nach oben ziehen – das verschweigen Sie; viele Leute meinen, das würde nur die Spitzenverdiener treffen –, dann verläuft die ganze Steuerkurve steiler. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Nein! Das stimmt nicht! – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das ist nicht richtig!) Das heißt, auch all diejenigen, die sich im mittleren Bereich befinden, werden kräftig zur Kasse gebeten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Jeder Handwerker, jeder Facharbeiter zahlt drauf. Sie nehmen den Leuten erst das Geld aus der Tasche, und nachher kommt der liebe Honoraronkel Steinbrück und sagt: Ich gebe euch jetzt einen netten Zuschuss zu eurer betrieblichen Altersvorsorge. – Das ist Ihr Plan. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dazu kann ich nur sagen: So können wir das nicht machen. Das ist gar keine Alternative. Man kann den Leuten nicht erst das Geld aus der Tasche ziehen und es ihnen nachher mit gönnerhafter SPD-Geste wieder zurückgeben. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Middelberg, erlauben Sie zum Abschluss eine Zwischenfrage des Kollegen Sieling? Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte. Dr. Carsten Sieling (SPD): Weil ich den Eindruck habe, dass die Dinge hier ein bisschen durcheinandergebracht werden, möchte ich Sie fragen, ob Sie vielleicht noch nicht wahrgenommen haben, dass die SPD im Zusammenhang mit dem hier vorgetragenen Einkommensteuerkonzept plant, die Einkommensgrenze, ab der der Spitzensteuersatz zu zahlen ist, von jetzt 53 000 Euro auf 100 000 Euro zu erhöhen, wodurch ein ganz anderer Kurvenverlauf entsteht als der, den Sie hier unterstellen. (Frank Schäffler [FDP]: Aber völlig abmildern werden Sie es trotzdem nicht können!) Betroffen wären nur Menschen, die mindestens 6 500 Euro und als Verheiratete mindestens 13 000 Euro im Monat verdienen. Haben Sie das zur Kenntnis genommen, und können Sie mir bestätigen, dass der Spitzensteuersatz unter Kanzler Helmut Kohl in diesem Land bei 53 Prozent lag? (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Bei einer engeren Bemessungsgrundlage! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Stimmen Sie doch dem Gesetzentwurf zur kalten Progression zu!) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Letzteres will ich Ihnen gerne bestätigen. Da war die Bemessungsgrundlage aber eine ganz andere. Sie war nämlich viel enger. Ad zwei: Ihr Kanzlerkandidat hat in der Jauch-Sendung gerade dies nicht genannt, woraus ich entnehme, dass das für ihn gar nicht so klar ist. Wir sind ganz gespannt, ob Sie diese Untergrenze, wenn Sie in der Regierungsverantwortung sind, einhalten werden. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das will keiner ausprobieren! – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde, das probieren wir einmal aus! Regierungswechsel! Das war ein guter Vorschlag!) Was ich im Übrigen zum Thema Abgeltungsteuer festgestellt habe, trifft zu. Auch mit der Vermögensteuer treffen Sie letzten Endes in der Breite die mittelständischen Betriebe. Darüber müssen Sie sich im Klaren sein. Es bleibt dabei: Sie nehmen den Leuten erst das Geld aus der Tasche und wollen nachher großzügig staatliche Zuschüsse verteilen. (Frank Schäffler [FDP]: Sehr gut! Das könnte von mir sein!) Das ist immer Ihr Modell gewesen. Das preisen Sie uns auch jetzt als Lösung an. Ich kann nur jedem raten, das abzulehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am liebsten würde ich meine Redezeit damit verbringen, meinem Vorredner zu widersprechen, (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: War alles richtig!) aber ich widerstehe dieser Versuchung. Er wird das im nächsten Jahr schon erleben. Dann hat er einen gewissen Lerneffekt, und das ist ja auch okay. Ich habe hier gestern einer Besuchergruppe von mir erzählt, dass ich heute eine Rede halten werde. Sie fragten mich natürlich sofort, zu welchem Thema ich reden werde. Ich antwortete: Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz. Daraufhin begann eine Diskussion. Sie fragten mich sofort: Oh, worüber redest du? Wirst du etwas zu Frau von der Leyens Zuschussrente und zur Bekämpfung der Altersarmut sagen? Wirst du etwas zur Generationengerechtigkeit, zum Vorschlag der jungen Abgeordneten sagen? Wirst du etwas zum Vorschlag von Herrn Laumann – wir kommen ja aus dem Münsterland –, also zum Vorschlag des Arbeitnehmerflügels, sagen? Findest du nicht auch toll, welche Rentenvorschläge die CSU hat? – Ich musste die Diskussion leider abwürgen und habe gesagt: Nein, es geht nur um die steuerliche Förderung der privaten Altersvorsorge. Alles andere regelt diese Regierungskoalition leider immer noch nicht. (Beifall bei der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ein Skandal ist das!) Herr Flosbach hat in seiner Rede gesagt, er greife fünf Punkte heraus. Leider enthält der Gesetzentwurf auch nur fünf Ziele. Ich weiß nicht, ob wir in der zweiten und dritten Lesung noch zehn weitere nachgeliefert bekommen. Bei manchen Zielen kann man sagen: Okay, das ist vielleicht eine kleine Verbesserung. Aber hier eine Stunde lang darüber zu diskutieren und so zu tun, als ob wir mit diesen fünf Zielen in der Bundesrepublik etwas grundlegend verbessern, ist schon ein bisschen unredlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Da war Herr Schick aber anderer Auffassung!) Ich möchte meinen Kollegen von den Linken ein bisschen widersprechen. Wir hatten einen guten Grund für das Drei-Säulen-Modell. Ich denke, wir sollten es weiterentwickeln und fortführen. Die gesetzliche Rentenversicherung ist natürlich die Grundlage. Sie muss lebensfähig bleiben. Obwohl wir immer weniger Beitragszahler haben, müssen wir uns überlegen, wie wir das schaffen. Das ist schwierig genug. Deswegen muss sie mit der betrieblichen Rente ergänzt werden. Das sehe ich genauso wie mein Parteivorsitzender, dessen Name meinem Vorredner gar nicht über die Lippen kam. Ich kann gerne sagen, dass er Sigmar Gabriel heißt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Idee, so viele wie möglich in eine Betriebsrente als zweite Säule einzahlen zu lassen, finde ich sehr löblich. Ich bin auch der Meinung, dass die dritte Säule, die private Altersvorsorge, sinnvoll ist. Die Riester-Rente haben wir aus guten Gründen eingeführt. Vom System her ist sie so angelegt gewesen, dass Menschen, die relativ wenig Einkommen haben, mit Förderanteilen in die Lage versetzt werden, etwas für ihre Rente zurückzulegen. Dieses Zurücklegen kann man durchaus wörtlich nehmen. Es war eigentlich nicht so gedacht, dass man permanent etwas herausnimmt und sich Häuser davon baut. Diese Erweiterung auf Wohn-Riester geht an dem ursprünglichen Modell vorbei. Ich weiß nicht, ob man das so stark privilegieren sollte. Ich bin da sehr skeptisch. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich komme zur nächsten von Ihnen geplanten Verbesserung: Thema Rürup. Sie haben bei der Versicherung von Selbstständigen eine offene Flanke. Gegen das Konzept von Frau von der Leyen, Selbstständige zwangszuversichern, gibt es eine Petition, die 80 000 Menschen unterzeichnet haben. Ich denke, das ist eine große Zahl, und das zeigt, dass Sie für diese Personengruppe keine Lösung anbieten. Es reicht, glaube ich, nicht aus, Rürup etwas transparenter zu machen. Wir müssen für die Selbstständigen sorgen. Mir wäre es am liebsten, wenn die Selbstständigen in der gesetzlichen Rentenversicherung wären. (Frank Schäffler [FDP]: Das befürchte ich auch!) Darüber sollten Sie vielleicht einmal nachdenken. Der Sprung von 20 000 auf 24 000 Euro ist keine Revolution. Ich habe grundsätzlich nichts dagegen; aber Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass das System an den Menschen, die es brauchen, ein Stück weit vorbeigeht. (Beifall bei der SPD) So gut es den heutigen Rentnern auch geht, dürfen wir nicht verkennen, dass wir momentan 4,2 Millionen Beschäftigte haben, die weniger als 1 500 Euro verdienen. Das liegt daran, dass es keinen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gibt, dass es prekäre Arbeitsverhältnisse und sehr viele 400-Euro-Jobs gibt. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Dass wir viele schlecht ausgebildete Menschen haben!) – Gut. – In dieser Situation befinden wir uns. Diese Menschen haben weder Riester- noch Rürup-Verträge. Um diese Menschen müssen wir uns kümmern; denn sie werden von Altersarmut betroffen sein. (Beifall bei der SPD) Ich möchte Sie daher bitten, Ihr Konzept grundlegend zu überarbeiten und in ein Gesamtkonzept einzubinden und die Baustellen, die Sie in anderen Bereichen haben, endlich anzugehen, ob mit Zuschüssen wie beim Konzept von Frau von der Leyen, ob mit Pflegeanrechnungszeiten oder anders. Einigen Sie sich bitte auf ein Konzept, damit die Menschen Klarheit haben und sehen, was sie im Alter erwartet. Das wissen sie nämlich nicht, weil nicht klar ist, welche Ihrer Vorschläge umgesetzt werden. Machen Sie ein Gesamtkonzept! Dann sehen die Menschen, wie große ihre persönliche Lücke sein wird, und können mit Riester oder Rürup darauf reagieren. Überarbeiten Sie diese fünf Ziele! Ich würde sie um zehn weitere Ziele ergänzen. Es kann nur besser werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Daniel Volk von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Daniel Volk (FDP): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sehr auffällig, Frau Arndt-Brauer, dass Sie durch Ihren eigenen Redebeitrag im Grunde gezeigt haben, dass auch Sie das Thema private Altersvorsorge offenbar viel zu gering einschätzen. Dies ist vor allem deswegen auffällig, weil es ja gerade Ihre Partei war, die einige dieser Modelle eingeführt hat. Das ist ein weiterer Punkt, bei dem sich die SPD von Projekten, die gerade einmal vor zehn Jahren eingeführt worden sind, verabschiedet. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Woher nehmen Sie das denn?) Das ist tatsächlich ein auffälliger und aufmerksam zu beobachtender Prozess. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das ist eine unwahre Tatsachenbehauptung, die Sie da vom Rednerpult tätigen!) Ich denke schon, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern, den Steuerzahlern, auch die Bedeutung und die Wichtigkeit einer privaten Altersvorsorge deutlich machen müssen. Insofern ist es, glaube ich, kein guter Beitrag in dieser Diskussion, die private Altersvorsorge ausdrücklich als weniger wichtig darzustellen. Man sollte sie eher als viel wichtiger darstellen. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Ich habe gesagt: eine Säule!) Deswegen ist es gut, dass hier ein Gesetzentwurf vorgelegt worden ist, mit dem die Bürgerinnen und Bürger dazu gebracht werden, privat für ihre Altersvorsorge zu sorgen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Den Beitrag des Kollegen Schick von den Grünen fand ich demgegenüber in einzelnen Punkten recht hilfreich. Es ist sicherlich der eine oder andere Punkt angesprochen worden, über den man während der Beratung diskutieren sollte. Ich meine aber, dass die Idee eines staatlich angebotenen Vorsorgeproduktes oberflächlich betrachtet sehr attraktiv klingt, sich aber bei Lichte, bei genauerer Betrachtung, durchaus die Frage stellt: Wer soll eigentlich wissen, dass dieses eine staatlich organisierte Vorsorgeprodukt das effizienteste ist? (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss niemand wissen! Das kann jeder aussuchen!) Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dort, wo der Staat in die Wirtschaft eingreift, die Effizienz schlichtweg eher leidet. Deswegen habe ich Probleme, diesem Vorschlag zu folgen. Bezeichnend war allerdings der Beitrag vonseiten der Linksfraktion. Herr Birkwald, dass Sie sich hier nicht hingestellt und einen ehemaligen Sozialminister, nämlich Norbert Blüm, zitiert haben, der „Eines ist sicher: die Rente“, gesagt hat, wunderte mich. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Er war rentenpolitisch fortschrittlicher als ihr!) Eines ist doch mittlerweile klar geworden, nämlich dass wir die zwei weiteren Säulen neben der gesetzlichen Rentenversicherung deswegen etablieren und stärken, weil ein Vertrauen allein auf die gesetzliche Rentenversicherung schlicht nicht ausreicht. Das ist doch wohl jedem klar geworden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ein Irrtum!) Sich vor diesem Hintergrund hier hinzustellen und zu sagen: „Alles andere weg, alles in die gesetzliche Rentenversicherung“, ist wider besseres Wissen und wider jegliche Erfahrung aus der Vergangenheit. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Fragen Sie mal die Menschen!) Im Übrigen wurde hier angesprochen: Na ja, das mit dem Wohn-Riester ist eigentlich nicht der richtige Ansatzpunkt. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das war nicht unsere Idee!) Ich möchte es genau andersherum betonen. Ich glaube, wir sollten viel stärker das Wohneigentum der einzelnen Bürger in den Vordergrund stellen. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Wer kann sich das denn leisten? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist nur die eine Hälfte der Bevölkerung!) Wenn man sieht, wohin momentan die Geldströme fließen, (Zuruf von der LINKEN: Vor allem in die eigene Tasche!) dann sollte man diese Bedeutung wachsen lassen, und das machen wir mit dem Wohn-Riester. Sie haben die Frage gestellt: Wer kann sich das denn leisten? Ich kann Ihnen sagen: Das kann sich derjenige leisten, der einen Arbeitsplatz hat. Entscheidend ist, dass wir wieder eine solch gute wirtschaftliche Entwicklung haben, auch auf dem Arbeitsmarkt, dass sich die Leute das wieder leisten können. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Also kein Niedriglohn mehr?) Für die private Altersvorsorge wäre es ein Problem, wenn die Arbeitslosenzahlen wieder in die Höhe schnellen würden. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Ein faires und gerechtes Auskommen ist wichtig!) Wir haben für eine gute Entwicklung gesorgt. Insofern ist es nur konsequent, dass wir in einem zweiten Schritt den Entwurf eines Altersvorsorge-Verbesserungsgesetzes vorlegen. Ich freue mich auf die Beratungen. Ich denke, Sie sollten noch einmal darüber nachdenken, ob Sie diesem Gesetzentwurf nicht doch uneingeschränkt zustimmen. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das kann ich wirklich nicht zusagen!) Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt die Kollegin Bettina Kudla das Wort. Bettina Kudla (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich die Debatte zusammenfassen: (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Oh ja!) Die Sozialversicherungssysteme zukunftsfest zu machen, ist eine der größten politischen Herausforderungen, jetzt und in den kommenden Jahren. (Beifall des Abg. Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU] – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Funktionierende Sozialversicherungssysteme sind eine enorme Errungenschaft der sozialen Marktwirtschaft. Die Sozialversicherungssysteme tragen sich schon seit vielen Jahren nicht mehr allein durch die Beitragszahlungen, sondern müssen durch erhebliche Steuerzuschüsse mitfinanziert werden. (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: So ist es!) Am größten ist der Zuschuss zur Rentenversicherung, dann folgt der zur Arbeitslosenversicherung und als Drittes der Zuschuss zur Krankenversicherung. Für die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion steht dabei immer im Vordergrund, eine sinnvolle Balance zu finden zwischen dem, was die Beitragszahler leisten können, und dem, was aus der Versicherung für die Bürger bezahlt werden muss. Die Rentenversicherung hat, gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, die mit Abstand größte Bedeutung. Von fast jedem Redner wurde das Dreisäulenmodell angesprochen. Das Dreisäulenmodell hat sich gerade deswegen bewährt, weil die drei Säulen unterschiedlich sind. Die gesetzliche Rentenversicherung ist umlagefinanziert. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Nur?) Das ist ein einmaliges System, das es nicht in jedem anderen europäischen Land gibt. Es hat sich bewährt, weil es davon abhängig ist, was die Bevölkerung erwirtschaftet. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt nirgendwo ein nur kapitalgedecktes System! Es gibt überall nur umlagefinanzierte Systeme! Überall auf der ganzen Welt!) – Es gibt nicht überall umlagefinanzierte Systeme. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Umso wichtiger ist, dass das Rentenversicherungssystem auf drei Säulen steht. Drei Säulen bieten nämlich eine größere Sicherheit als zwei Säulen oder gar nur eine Säule. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 60 Prozent haben keine sichere Rente! Aber der Beitragssatz wird trotzdem abgesenkt!) Die Bedeutung der privaten Vorsorge steigt vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung; ich werde gleich noch auf sie eingehen. Ferner wurde in der Debatte dargelegt, wie wichtig das Wirtschaftswachstum ist. Die Senkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung um immerhin 0,7 Prozentpunkte im kommenden Jahr wäre ohne Wirtschaftswachstum nicht möglich. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das ist auch falsch!) Von den Kollegen der Linken wurde angesprochen, dass es, bedingt durch die staatliche Förderung der Riester-Rente, zu Marktverzerrungen gekommen ist. Hier muss man allerdings berücksichtigen: Staatliche Anreize haben immer Auswirkungen auf bestimmte Branchen; das gilt für die Versicherungsbranche genauso wie für die Solarbranche. Für mich zumindest wiegt die Tatsache, dass man etwas Positives tut, wenn man die private Vorsorge fördert, schwerer als irgendwelche Marktverzerrungen. Ich beurteile es auch nicht als negativ, wenn dies dazu führt, dass eine bestimmte Branche dann wirtschaftlich tätig werden kann. Das darf natürlich nicht zu Verwerfungen und Nachteilen führen. Aber es ist ja gerade die Intention des Gesetzentwurfes, die Dinge transparenter zu gestalten, um eventuelle Verwerfungen zu vermeiden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da klatscht noch nicht mal die eigene Fraktion!) Kaum ein Redner hat angesprochen, dass der Staat bei der Riester-Rente eine ganze Menge drauflegt. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Ich habe das angesprochen!) Eine Familie mit zwei Kindern kann pro Jahr fast 1 000 Euro vom Staat dazubekommen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja! Aber was kommt denn hinten raus, Frau Kollegin? Darauf kommt es doch an!) – Moment! – Für ein Kind, das nach 2008 geboren wurde, bekommt man eine Zulage von immerhin 300 Euro pro Jahr. Das ist eine ganze Menge. Auf Ihre Frage: „Was kommt dabei heraus?“ antworte ich Ihnen: Bei einem Sparvorgang kommt nichts heraus, wenn man ein schlechtes Produkt wählt, das an Wert verliert. Das Produktinformationsblatt ist ja gerade dazu da, die Dinge transparenter zu machen und die Bürger davor zu schützen, dass sie von der Finanzbranche quasi über den Tisch gezogen werden. (Frank Schäffler [FDP]: Die Wahl hat man bei der Rentenversicherung nicht! Das ist immer ein schlechtes Produkt!) Transparenz und Durchschaubarkeit: Das muss das Ziel sein, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) und nur das sollte der Staat fördern. Ich denke, hier sollte man auch stärker an die Finanzbranche appellieren, dass sie die Anleger entsprechend seriös berät. Hier sehe ich nicht nur die Privatbanken, sondern genauso die Sparkassen und die Volksbanken in der Pflicht. (Beifall des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU] – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen es bei Appellen belassen! Das ist ja interessant!) – Es bleibt nicht bei Appellen, Herr Schick, sondern es bleibt ganz konkret bei dem Produktinformationsblatt, das auch veröffentlicht werden muss, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie haben keine Zahl genannt, was herauskommt!) und der Vertrag kann auch drei Jahre lang widerrufen werden, falls die Angaben in diesem Produktinformationsblatt unrichtig waren. Es wurde ferner eine sogenannte Privilegierung von Wohn-Riester angesprochen. Das ist nicht richtig. Es besteht ein Wahlrecht. Man kann entweder eine normale Rente erhalten oder ein Wohn-Riester-Angebot nutzen. Ich denke, man sollte auch den Bürgern mit einem geringen Einkommen die Möglichkeit geben, mit staatlicher Unterstützung auf eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim anzusparen. Sicherlich wird das nicht bei jedem möglich sein, aber ich denke, man sollte nicht so überheblich sein, kategorisch zu sagen: Die Eigentumsbildung wird bei geringen Einkommen nicht möglich sein. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das ist nicht überheblich, das ist die Realität!) Außerdem ist der ganze Gesetzentwurf behindertenfreundlich. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Nein, eben nicht!) Es werden auch Umbaumaßnahmen für Barrierefreiheit gefördert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Insofern kann man festhalten: Der Entwurf des Altersvorsorge-Verbesserungsgesetzes ist eine gute Sache. Übrigens: Es zeugt von einer kontinuierlichen Politik, dass die Bundesregierung auch etwas fortsetzt, was eine Vorgängerregierung eingeführt hat, (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das hätte sie bei mehr Punkten machen sollen!) dass sie es mitträgt und dass sie es positiv weiterentwickelt, indem sie die Instrumente flexibler gestaltet. Die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion sorgen mit ihrer Initiative dafür, dass die Menschen mit einem geringen Einkommen im Alter neben der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch noch eine private Rente erhalten können und damit im Alter besser abgesichert sind. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/10818 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Eine gesetzliche Obergrenze für verbrauchergerechte Dispositionszinsen – Drucksache 17/10988 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Axel Troost, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Begrenzung der Zinssätze für Dispositions- und Überziehungskredite – Drucksache 17/10855 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Carsten Sieling für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier in diesem Hause heute nicht das erste Mal über das Thema Dispozinsen. Der Grund dafür ist, dass das Problem nicht gelöst ist und die Rezepte der Bundesregierung nicht helfen. (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Blödsinn!) Was ist das Problem? Auf Tausenden von Kontoauszügen finden sich in dieser Republik regelmäßig überhöhte Dispozinsen wieder. Die Stiftung Warentest hat gerade in dieser Woche veröffentlicht und bekannt gemacht, dass der Durchschnitt der Dispozinsen in Deutschland bei 11,8 Prozent liegt – und das in einer Situation, in der sich die Banken mit 0,12 Prozent bei der EZB refinanzieren können. Das riecht verdammt nach Wucher. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich möchte Ihnen gerne diese Entwicklung grafisch zeigen, damit man genau sieht, was stattgefunden hat. (Der Redner zeigt ein Schaubild) Man sieht sehr genau, wie der Zinssatz von 2003 bis 2010 – das ist die grüne Linie –, insbesondere nach der Finanzkrise, nach unten gegangen ist, während die Dispozinsen nach oben gegangen sind, also genau gegenläufig. Man sieht fast die Figur eines Krokodils, das das Maul weit aufreißt, und mittendrin steht der Verbraucher. Dagegen müssen wir etwas machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ein rot-grünes Krokodil!) – Mit blauem Dach. Das Schlimmste daran ist das Blaue. Wahrscheinlich ist auch noch ein bisschen Gelb dabei, lieber Kollege; denn das Schlimme kann in diesem Hause immer nur von rechts kommen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will sagen: Unser Konzept ist es jetzt, gesetzlich vorzugehen, weil es nicht mehr ausreicht, zu Kaffeekränzchen einzuladen und die Branche zu bitten. Wir haben vier Eckpunkte. Wir stellen in den Vordergrund: erstens das Kundeninteresse, zweitens den Grundsatz der Vertragsfreiheit – dazu sage ich gleich etwas, weil wir keine starre Obergrenze vorsehen; auch solche Vorschläge gab es –, drittens die Berücksichtigung der Argumente und Sorgen der Banken, dass ihre Verwaltungskosten nicht gedeckt sein könnten, und viertens die Tatsache, dass es europarechtskonform ist. Ich darf Ihnen noch einmal mein schönes Krokodil zeigen. Anhand dieser Grafik leiten wir unseren Vorschlag ab. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich bin dagegen, dass wir hier über Krokodile reden!) Sie erkennen hier an der roten Linie – das ist über die Jahre die Differenz zwischen dem Leitzins und den Dispozinsen –, dass bis zum Ende des Jahres 2008 der Aufschlag auf den Leitzins bei etwa 8 Prozentpunkten gelegen hat. Man kann das als Indiz dafür auffassen, dass sich hierin die Kostensituation im Durchschnitt der Branche widerspiegelt. Unvertretbar ist eben, dass diese Linie nach oben geht. Wir schlagen deshalb vor, durchaus und bewusst als sehr marktreagibles Instrumentarium, dass wir auf den jeweils gültigen Leitzins einen Aufschlag von 8 Prozentpunkten als Obergrenze zulassen. Das bedeutet in der aktuellen Situation: Der höchste Dispozins, der genommen werden dürfte, läge bei 8,12 Prozent und nicht bei 11,8 Prozent, wie es zurzeit Realität ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darum ist das, was wir hier vorschlagen, eine deutliche Verbesserung. Ich darf auch sagen, dass die Dispozinsen dann, wenn darüber gegangen wird, also bei geduldeter höherer Inanspruchnahme, höchstens doppelt so hoch sein dürfen. Das ist die Wuchergrenze nach BGB. Damit würde das hohe Niveau insgesamt gesenkt, ohne dass man für die Branche unvertretbare Zustände schafft, aber für den Verbraucher viel Gutes erreicht. Ein solches Gesetz sollten wir machen. Das schlagen wir als SPD vor. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Marco Wanderwitz das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege von der Sozialdemokratie hat hier gerade richtigerweise gesagt: Wir widmen uns hier im Plenum des Deutschen Bundestages mittlerweile das dritte Mal in dieser Legislaturperiode demselben Thema. (Caren Lay [DIE LINKE]: Auf Antrag von der Linken jeweils! – Kerstin Tack [SPD]: Es wäre gut, wenn Sie das auch täten!) – Hören Sie doch erst einmal zu, bevor Sie dazwischenrufen. – Es kann nicht falsch sein, sich Themen regelmäßig anzuschauen, die wichtig sind. Allerdings haben wir uns die letzten Jahre mit einem durchschnittlich höheren Dispozins auseinandergesetzt, als das derzeit der Fall ist. Die Zahlen, Herr Kollege, die Sie hier zitieren, kenne ich auch. Ich kenne aber auch die Zahlen, die das Bundesfinanzministerium im ersten Halbjahr veröffentlicht hat. Der Unterschied zwischen den Zahlen des Bundesfinanzministeriums und den Zahlen, die jetzt Finanztest veröffentlicht hat, ist, dass die des Bundesfinanzministeriums wirklich alle Banken umfassen, während Finanztest natürlich nur die Zahlen aufnehmen konnten, von denen sie erfahren haben. Nach den Zahlen des Finanzministeriums liegt der durchschnittliche Dispozins bei 10 Prozent und nicht bei 11,8 Prozent. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Selbst das ist -unfair!) – Hören Sie einmal weiter zu, ich erkläre es Ihnen. Der europäische Durchschnitt liegt bei 8,8 Prozent. Wir in Deutschland liegen im Durchschnitt bei 10 Prozent, also in der Tat immer noch etwas oberhalb des europäischen Durchschnitts, aber eben bei weitem nicht mehr so weit darüber wie in den letzten Jahren. Als wir das letzte Mal hier darüber gesprochen haben, haben wir auf eine Studie verwiesen, die Bundesministerin Aigner in Auftrag gegeben hat. Mittlerweile kennen wir die Ergebnisse dieser Studie des Instituts für Finanzdienstleistungen und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Des Weiteren gibt es – das meine ich zumindest – interessante Zahlen einer Forsa-Umfrage zu diesem Thema aus dem Juli 2012. Forsa sagt: 80 Prozent der deutschen Haushalte verfügen über einen Dispozinsrahmen. Jeder vierte nutzt ihn jährlich, und nur jeder sechste nimmt ihn regelmäßig in Anspruch. Ich sage das, damit wir ein bisschen ein Gefühl für die Zahlen bekommen. Manchmal wird in der Debatte so getan, als ob 100 Prozent der deutschen Bevölkerung regelmäßig mit hohen Summen im Dispo wären. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sagt keiner!) – Hier im Haus hat es jetzt wohl niemand gesagt; aber die Debatte wird teilweise so geführt. Wenn man bedenkt – wir liegen ein wenig oberhalb des europäischen Schnitts –, dass wir in Deutschland in der Fläche ein breites Angebot an klassischen Filialbanken – Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken – haben, dann ist das einer der Punkte, durch den für mich ein Stück weit schlüssig wird, warum die Kosten höher sind. Kundennähe kostet Geld. „Mittelwert“ heißt auch – das ist, denke ich, leider in Ihrem Redebeitrag absolut zu kurz gekommen –, dass es einen Durchschnitt gibt. Natürlich gibt es Banken und Sparkassen, die günstiger sind, und es gibt welche, die teurer sind. So entsteht ein Durchschnittssatz. Es gibt welche, die teilweise erheblich günstiger sind. Die Forsa-Umfrage sagt dazu Folgendes: Überhaupt nur 43 Prozent der Verbraucher kennen ihren Dispozinssatz. Es ist relativ einfach: Man guckt auf seinen Kontoauszug, dann kennt man ihn. Aus solchen Zahlen, meine ich, kann man Rückschlüsse ziehen. 13 Prozent würden laut dieser Forsa-Umfrage allein aufgrund eines deutlich günstigeren Dispozinssatzes ihre Bank wechseln. In dieser von mir genannten Studie fällt der wichtige Satz: … greift es zu kurz, die Zinsdifferenz zwischen Geldmarktzinsen … und dem Dispozinssatz als Gewinnmarge der Bank darzustellen, wie dies bisweilen in der öffentlichen Diskussion geschieht. Ich meine, dass genau das der entscheidende Punkt ist. Es ist nicht so, dass wir das alles hier nicht schon debattiert hätten. Zumindest ist es eine zu einfache Darstellung, zu sagen: Das ist der Refinanzierungszins, und das ist der Dispozins. Für die Bildung der Zinshöhe gibt es natürlich noch weitere Faktoren. Das sind neben den Refinanzierungskosten zum Beispiel die Eigenkapitalkosten. Wir haben hier politisch mit breitem Konsens gesagt: Die Eigenkapitalquoten der Banken sind uns zu niedrig. Wenn wir die, was richtig ist, erhöhen, bedeutet das aber auch, dass für jeden Kredit höheres Eigenkapital hinterlegt werden muss. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist nicht richtig! Dispozinsen müssen nicht mit Eigenkapital unterlegt werden! Machen Sie sich klug, Herr Kollege!) – Wenn Sie mir bis zum Ende zugehört hätten, hätten Sie sich auch diesen Zwischenruf ersparen können. Verschiedene Instrumente der Banken – beispielsweise der klassische Ratenkredit, der Dispokredit oder die Bürgschaft – werden zweifellos zum einen einzeln kalkuliert. Zum anderen aber haben wir die Situation, dass ein Gesamtpaket schlüssig gebildet werden muss. Jetzt sage ich einfach mal ganz offen: Wenn eine Bank oder Sparkasse einen Dispositionskredit auf den Markt bringt, den schon die Filiale einer Bank nebenan günstiger anbieten kann, und der Verbraucher das nicht wahrnimmt, dann stelle ich mir doch – wenn ich einen funktionierenden Preiswettbewerb habe; der ist offensichtlich in Deutschland vorhanden – die Frage: Warum soll ich dann als Gesetzgeber mit den von Ihnen vorgeschlagenen scharfen Eingriffen regulieren? (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Was ist da funktionierender Markt?) Darf ich überhaupt regulieren? Darf ich solche Eingriffe in Eigentum vornehmen? Ich meine, dass wir das in Anbetracht der Preis- und Wettbewerbssituation, wie wir sie haben, jedenfalls nicht dürfen. Des Weiteren ist die Situation so, dass wir überhaupt keine validen Zahlen haben, ob und, wenn ja, wie viele Verbraucher die teuersten der Dispokredite – die gern als die Preisprobleme angeführt werden, welche sie zu Recht darstellen – überhaupt in Anspruch nehmen. Es gibt keine belegbare Zahl, ob die teuersten der Dispokredite am Markt überhaupt von irgendwelchen Verbrauchern in Anspruch genommen werden. Insofern kann auch das aus meiner Sicht kein Argument sein, diese Regulierung vorzunehmen. Es gäbe eine ganze Menge milderer Möglichkeiten. In Ihrem Antrag ist ein Beispiel enthalten, für das ich durchaus Sympathie empfinde. Da geht es um die Pflicht, auf günstigere Kredite hinzuweisen. Ich sehe aber auch da momentan noch nicht die Notwendigkeit, gesetzgeberisch tätig zu werden. Unsere Ministerin Aigner hat vor kurzem auf der Ebene der Banken und Sparkassen ein Gespräch geführt, bei dem insbesondere die Thematik „Mehr Transparenz bei den Dispokreditzinsen“ behandelt wurde. Der Finanztest weist zu Recht darauf hin, dass sich manche Banken wegducken. Transparenz ist, glaube ich, ein wichtiges Thema. Für gesetzliche Regulierungen sehen wir aber derzeit überhaupt keine Notwendigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kerstin Tack [SPD]: Das ist das Problem!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Herr Wanderwitz, Sie haben recht: Wir diskutieren in dieser Legislaturperiode das dritte Mal über die Deckelung von Dispozinsen. Leider haben Sie vergessen, zu erwähnen, dass wir das dritte Mal auf Grundlage eines Antrages der Linken über die Deckelung der Dispozinsen diskutieren. Ich möchte Sie an dieser Stelle fragen: Wo ist eigentlich der Antrag der Koalition zu diesem Thema? (Beifall bei der LINKEN – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Genau das ist der Punkt! Es braucht ja keinen, wenn nichts zu regulieren ist!) Aktuell liegt der durchschnittliche Dispozinssatz in Deutschland laut Stiftung Warentest – diese Zahl haben wir – bei fast 12 Prozent, lassen Sie es meinetwegen 10 Prozent sein. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es Banken gibt, die Dispozinsen von über 15 Prozent verlangen. Es ändert auch nichts an der Tatsache, dass sich die Banken ihr Geld für gerade einmal 0,75 Prozent leihen. Das heißt, da liegt eine Gewinnspanne von 11 Prozentpunkten – oder lassen Sie es 9 sein – dazwischen. Das ist viel zu viel. Das geht zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher, und deswegen muss der Gesetzgeber endlich handeln. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Frage ist: Wen trifft das eigentlich? Das trifft vor allen Dingen Geringverdiener, das betrifft Menschen, die keinen Kleinkredit bekommen würden, das heißt, die Banken verdienen ihre Milliarden an den Geringverdienern, die sowieso schon nichts zu verschenken haben. Das sind diejenigen Menschen, die nicht von heute auf morgen ihre Bank wechseln können, das sind Menschen, die vielleicht froh sind, dass sie überhaupt ein Girokonto haben – Sie stehen immer noch in der Pflicht, das Recht auf ein Girokonto festzuschreiben –, und deswegen zielen Ihre Argumente völlig ins Leere. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir als Linke bringen jetzt zum dritten Mal einen Antrag zu diesem Thema in den Deutschen Bundestag ein. Wir fordern nach wie vor die Begrenzung der Dispo- und Überziehungszinsen. Wir sagen: 5 Prozent über dem Basiszinssatz sind genug für einen Dispokredit. Was tut die Bundesregierung? Es ist schon erwähnt worden: Sie lädt zu Kaffeekränzchen ein, und es werden dauernd Gutachten in Auftrag gegeben, (Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Beim Sozialismus hätten Sie schon reguliert, das ist klar!) in denen interessante Sachen festgestellt werden – ich darf zitieren –: … dass die Erträge aus dem Dispokreditgeschäft die Kosten, die dem Kreditinstitut … entstehen, deutlich übersteigen, … Das heißt doch übersetzt nichts anderes: Die Banken zocken ab und sanieren sich auf Kosten ihrer ärmsten Kundinnen und Kunden. (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Sie zocken nicht ab, sie machen Gewinn! Ganz schlimm!) Das gern bemühte Argument, dass die Banken diese Gewinnspannen brauchen, um beispielsweise das hohe Ausfallrisiko bei der Kreditvergabe aufzufangen, stimmt einfach nicht. Das belegt übrigens auch das Gutachten der Ministerin. Die Bearbeitungskosten haben sich in den vergangenen Jahren überhaupt nicht erhöht, und das Ausfallrisiko bei Dispokrediten liegt gerade einmal bei 0,3 Prozent. Es gibt also keinen einzigen Grund, sich mit diesen Argumenten die Untätigkeit der Regierung schönzureden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie selber wissen genau, dass die Schutzbehauptungen der Banken nicht stimmen. Trotzdem weigern Sie sich, zu handeln. Da wird auf diskrete Ansprache und freiwillige Maßnahmen gesetzt. Sie bitten die Bankinstitute höflich um ein Gespräch, damit sie vielleicht das eine oder andere tun, aber welche Bank würde, ohne dass der Gesetzgeber eingreift, freiwillig auf Milliardengewinne verzichten wollen? Das Ergebnis des Ge-spräches der Ministerin mit den Banken und Verbraucherverbänden Anfang Oktober ist mehr als dürftig. Die Dispozinsen dürfen weiter völlig überhöht bleiben, aber die Banken versprechen, ihre abgezockten Kunden künftig besser zu informieren. Schönen Dank auch! Wissen Sie, das ist genau der Unterschied zwischen der schwarz-gelben Verbraucherpolitik und der linken Verbraucherpolitik. Sie wollen, dass die Kunden bestenfalls im Kleingedruckten darüber informiert werden, in welcher Höhe sie abgezockt werden. Wir Linke sagen ganz klar: Wo den Verbraucherinnen und Verbrauchern so in die Tasche gegriffen wird, da muss der Gesetzgeber einfach handeln. Es wird höchste Zeit, dies endlich zu tun. (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Wir haben es ausgerechnet: Würde das Hohe Haus unserem Vorschlag folgen, dann würden die Verbraucherinnen und Verbraucher alleine bei den Dispozinsen über 2 Milliarden Euro weniger an die Banken abdrücken. Wenn das kein Argument ist, dem Antrag der Linken zuzustimmen! Ich freue mich auf die Debatte, und ich freue mich, dass hier im Hohen Hause endlich einmal eine Mehrheit für die Deckelung der Dispozinsen entstehen wird. Die SPD ist – anders als beim letzten Mal – unserem Anliegen schon gefolgt. (Kerstin Tack [SPD]: Das stimmt nicht!) Ich hoffe, dass wir hier am Ende eine entsprechende Regelung hinbekommen können. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Professor Dr. Erik Schweickert das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Erik Schweickert (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die hohen Dispozinsen sind für die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin ein Ärgernis. Es ist auch schwer zu erklären, wenn der Leitzins der Europäischen Zentralbank derzeit bei 0,75 Prozent steht und der durchschnittliche Dispozins nach den neuesten Erkenntnissen der Stiftung Warentest jedoch bei 11,76 Prozent liegt. Während sich die Banken also sehr günstig Geld bei der EZB leihen können, blutet der in den Dispozins gerutschte Verbraucher umso mehr. Das ist ärgerlich. Auch dass ein klammer Verbraucher hohe Zinsen zahlt, während der sparsame Verbraucher im Moment für sein Guthaben nur sehr wenig bekommt, ist ein Ärgernis. Beim Geld hört der Spaß auf. Das gilt auch für den vorgezogenen Wahlkampf der SPD. Das führt zu wenig differenzierten Betrachtungen des vorliegenden Pro-blems. Reflexartige Rufe nach einem Eingreifen des Staates, wie sie im Moment zum Standardrepertoire der linken Parteien gehören, sind hier jedoch fehl am Platze. Wir sind der Meinung, dass nicht jeder Eingriff des Staates für die Bürgerinnen und Bürger auch eine Verbesserung bringt, ganz im Gegenteil. (Zuruf von der SPD) – Sie haben doch die Studien zitiert. Das Institut für -Finanzdienstleistungen, das Zentrum für Europäische Wirtschaftsförderung haben das Ganze begutachtet. Am Ende des Tages müssen wir alle uns daran messen lassen, ob wir beim Verbraucherschutz Verbesserungen erzielt haben. Da sind unangemessene Schnellschüsse, die dazu beitragen, dass wir an anderer Stelle Kollateralschäden aufreißen, nicht geeignet. (Caren Lay [DIE LINKE]: Sie haben zwei Jahre Zeit gehabt! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Schlafen Sie weiter!) Die angesprochene Studie hat gezeigt, dass es keine einfachen Lösungen gibt und dass eine Zinsdeckelung, wie es die Fraktionen der Linken und der SPD vorschlagen, gerade keine effiziente Lösung des Problems darstellt. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Einfach besser machen! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ja, für die Banken!) Ich möchte Ihnen sechs Gründe nennen, warum das nicht der Fall ist. Erstens. Es gibt heute schon eine Grenze der Zinshöhe, nämlich dort, wo wir den Bereich des Wuchers erreichen. Dort können Gerichte darüber entscheiden, ob der Tatbestand des Wuchers erreicht ist oder nicht, und somit auch entsprechende Maßnahmen einleiten. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Was ist denn Ihr Vorschlag? Oder nur Philosophie?) – Hören Sie zu. Zweitens. Dispozinsen sind für die kurzfristige Überbrückung von Zahlungsschwierigkeiten der Verbraucher gedacht. Sie sind also kein dauerhafter Kredit und auch nicht als solcher zu verstehen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Dann kann man die Zinsen ruhig niedrig machen!) Hier liegt übrigens der schwere Verständnisfehler im Antrag von Frau Lay. Sie schreiben, dass es sich beim Dispokredit um einen Kleinkredit handeln würde, den viele Menschen dauerhaft nutzen. Aber genau das ist der Fehler; denn der Dispositionskredit ist eben kein auf dauerhafte Nutzung angelegter Kredit. Er ist ein kurzfristiger Schutzschirm. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Aber manchen Menschen bleibt keine andere Wahl! Keine Ahnung von der Realität!) Der Dispo- und Überziehungsbereich eines Kontos ist nur ein Notpuffer. Manche Verbraucher – da bin ich bei Ihnen – nutzen den im Moment regelmäßig, so als wäre es ein Guthabenbereich. Aber dafür zahlen sie natürlich auch mehr Zinsen. Es gibt kein Recht auf billige Schulden in diesem Bereich. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Aber das Recht auf gute Löhne!) Da trägt jeder Verbraucher für sich selbst Verantwortung. Das heißt, er muss schauen, dass er sein Konto nicht überzieht. Man kann es sich bei der Bank auch so einrichten, dass das geht. Darüber hinaus gibt es Alternativen: Es gibt den Kleinkredit. Es gibt den Ratenkredit. Es gibt für Studenten günstige Kreditformen, bei denen man diese Probleme nicht hat. Da sind die Zinsen geringer als beim Dispokredit. Außerdem wird er deswegen gern genutzt, weil er unbürokratisch ist, weil man ihn einfach einmal in Anspruch nehmen kann. Es gibt einen schnelleren Zugang, mehr Flexibilität bei der Aus- und Rückzahlung und keine festen Raten. Aber deshalb ist er halt auch teurer. Drittens. Dispokredite bedeuten für die Banken mehr Aufwand. Der höhere Aufwand rechtfertigt auch höhere Kosten. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Die Studie widerlegt diese Aussage!) Viertens. Hier funktioniert der Markt; denn es gibt beim Dispozins nicht nur die Negativbeispiele mit Zinssätzen jenseits der 13 Prozent, sondern es gibt auch eine ganze Reihe von Banken, die unter dem von der SPD vorgeschlagenen Deckelungswert von 8 Prozent liegen. (Kerstin Tack [SPD]: Das sei ihnen auch -gegönnt! Warum auch nicht?) Das muss man auch einmal zur Kenntnis nehmen. Es gibt also die Möglichkeit, die kontoführende Bank zu wechseln, wenn einem die Dispozinsen zu hoch erscheinen. Nur, es wird viel zu wenig gewechselt. Der Verbraucher nutzt in diesem Bereich seine Marktmacht einfach nicht. (Kerstin Tack [SPD]: Jetzt ist der Verbraucher schuld!) Somit wird sich der Wettbewerb auch nicht zum Wohle der Verbraucher entwickeln. Fünftens. Das Beispiel wirft eine andere Frage auf: Was ist denn ein angemessener Zinssatz für Dispokredite? Sollen wir uns als Staat anmaßen, zu entscheiden, was hier gerecht ist? Sollen wir als Staat das tun? (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die -Banker aber auch nicht!) Sollen wir die besseren Banker spielen? Ich glaube, die Finanzkrise hat uns gezeigt, dass der Staat auf gar keinen Fall der bessere Banker ist, meine Damen und Herren. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber die Deutsche Bank!) Nicht nur der EZB-Leitzins spielt für die Berechnung des Dispozinssatzes für die Banken eine wichtige Rolle. Daneben sind auch die Refinanzierungskosten, die Risikokosten und die operativen Kosten wichtige Komponenten des Dispozinssatzes. Die große Spannbreite der am Markt verfügbaren Dispozinsen zeigt: Es gibt nicht nur Auswahl; es gibt auch keinen objektiv bestimmbaren Einheitszins. Was würde passieren, wenn wir Ihrem Antrag folgen? Die 2 Milliarden Euro hat Frau Lay uns gerade vorgerechnet. Was würde passieren, wenn wir trotz der geschilderten Bedenken eine Deckelung vornehmen? Es wäre schlecht für den Verbraucher, weil, wie ich bereits beschrieben habe, der Dispozins eine von mehreren betriebswirtschaftlichen Entscheidungen einer Bank im Bereich des Kontos ist. Wenn wir als Staat in diese Entscheidungen eingreifen, dann werden die Banken die Gebührenstrukturen neu ordnen. Vizepräsidentin Petra Pau: Gestatten Sie eine Frage der Kollegin Lay? Dr. Erik Schweickert (FDP): Von Frau Lay immer. Caren Lay (DIE LINKE): Herzlichen Dank, Herr Kollege Schweickert, für die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage. Sie haben gesagt, dass es aus Ihrer Sicht völlig ungerechtfertigt sei, wenn sich der Staat einmischen und den Banken sozusagen ihre Zinsen vorschreiben würde. Aber wodurch ist es dann gerechtfertigt, dass wir an anderen Stellen, beispielsweise im BGB, durchaus eine Deckelung von Zinsen vorsehen? Bei den Verzugszinsen beispielsweise gibt es das auch wie bei dem Vorschlag, den wir als Linke eingebracht haben: 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Warum kann das, was jetzt schon im BGB bei Verzugszinsen gilt und was auch die Koalition offensichtlich nicht abgeschafft hat, bei den Dispozinsen nicht eingeführt werden? Das müssen Sie mir bitte einmal erklären. Dr. Erik Schweickert (FDP): Vielen Dank für die Frage, Frau Lay. – Wir haben in diesem Zusammenhang zwei Bereiche, die man unterscheiden muss. Es gibt zwar die Berechnung eines Verzugszinssatzes durch ein Unternehmen, das sich zu verschiedenen Zinssätzen bei seiner Bank refinanziert. Dabei wird, wie Sie richtig gesagt haben, genau diese Regelung angewandt. Es ist aber nicht so, dass der Bürger ein Konto bei dem Unternehmen führt. Das ist der Punkt, um den es mir geht. Denn wenn wir eine betriebswirtschaftliche Entscheidung der Bank an einer Stelle regeln, dann werden – das zeigt auch das von Ihnen -genannte Gutachten – die Abhebegebühren und die Kontoführung teurer. (Kerstin Tack [SPD]: Wieso das denn?) Die Frage ist, ob wir das wollen. Ich sage Ihnen ganz klar: Das trifft dann die Verbraucher, die den Dispo und Überziehungszins gar nicht nutzen. Sie zahlen dann das mit, was die anderen, die in der Kreide stehen, mit dem Dispo und Überziehungszins nutzen. Genau das Problem lösen wir dann aus. Somit wäre eine Regelung in diesem Bereich, wie Sie sie vorschlagen, definitiv nicht positiv für die Verbraucher. Es wäre also nicht effizient, weil es genügend Menschen gibt, die verantwortungsvoll mit dem in Anspruch genommenen Dispokredit umgehen. Über 80 Prozent aller Haushalte in Deutschland verfügen über einen Dispokredit. Ich bin mir sicher: Wenn wir das große Angebot erhalten wollen, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass es die Möglichkeit der unterschiedlichen Zinssätze gibt. Alles in allem komme ich zum Schluss: Wir, die schwarz-gelbe Regierungskoalition, werden den Dispokredit nicht deckeln. Wir setzen vielmehr darauf, wie Sie gesagt haben, dass wir zu Gesprächen und freiwilligen Lösungen in dem Bereich kommen. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Kaffeekränzchen!) – Herr Sieling, auch der Bundesrat hat sich letzte Woche aus guten Gründen dagegen ausgesprochen, und dort haben Sie, die Oppositionsfraktionen, sogar die Mehrheit. Ihre eigenen Leute lehnen also die von Ihnen gemachten Vorschläge ab, und ich sage: zu Recht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Das stimmt allerdings! Das ist richtig! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Blockade durch die CDU in der großen Koalition!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Abzocke mit den Dispozinsen ist ein verbraucher-politisches Dauerärgernis. Deshalb beschäftigt es uns auch zu Recht dauerhaft im Parlament. Wir könnten die dauernden Debatten hier verkürzen, wenn Schwarz-Gelb aktiv werden würde. Deshalb verstehe ich auch den Unmut, dass wir immer und immer wieder darüber reden müssen, nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Denn es ist doch so: Während sich die Kreditinstitute ihr Geld zu niedrigsten Zinsen beschaffen und den daraus resultierenden Vorteil an die Menschen weitergeben, die etwas auf der hohen Kante haben, werden die Menschen, die in der Kreide stehen, ordentlich geschröpft. Es gibt keine Begründung dafür, 12, 13, 14 oder sogar 15 Prozent für einen Dispositionskredit zu verlangen. Das ist, wie ich finde, an Wucher grenzende Bereicherung; denn der Dispo weist im Vergleich zu anderen Kreditformen eine sehr geringe Ausfallquote auf – das haben Studien des Verbraucherministeriums belegt – und muss von den Banken nicht mit Eigenkapital hinterlegt werden, Herr Wanderwitz. Eine Hinterlegung mit Eigenkapital kann man also nicht als Argument für höhere Zinssätze gelten lassen. Das Problem ist: Obwohl die Zinsen in absoluten Zahlen gesunken sind – sie liegen im Durchschnitt nicht mehr bei 13 oder 14, sondern bei 12 Prozent –, ist die Schere – die SPD hat von einem Krokodil gesprochen – zwischen Leitzins und Dispozinsen weiter auseinandergegangen; denn die Zinsen, zu denen sich die Banken das Geld beschaffen, sind in den letzten Monaten weiter gesunken. Wir haben es hier also mit mangelndem Wettbewerb und Marktversagen zu tun. Herr Schweickert, ich habe hier einen Dissens mit Ihnen. Sie sagen, man könne die Bank wechseln. Machen Sie sich einmal den Spaß, in Ihrem Wahlkreis zu schauen, wo man einen günstigen Dispo bekommt, wenn man eine Filialbank haben will. Die Deutsche Skatbank beispielsweise und andere Kreditinstitute mögen tolle Zinsen geben, wenn man Internetbanking betreibt. Wenn man aber so wie ich konservativ ist (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! Aha!) und einen realen Menschen als Gegenüber in der Bank haben möchte, dann ist die Auswahl geringer. Es gibt sogar Regionen, in denen man keinen Dispo zu einem Zinssatz von unter 12 Prozent bekommt. Ich habe mir notiert, dass Sie beim letzten Mal die Idee hatten, das Kartellamt einzuschalten. Mich interessiert, was die FDP zu dem mangelnden Wettbewerb in diesem Bereich sagt. Wir sind jedenfalls der Meinung, dass wir hier politisch handeln müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Handeln bedeutet nicht, dass man die Banken zum Kaffee einlädt; das hat Frau Aigner gemacht, und das ist sehr höflich von ihr. Aber das wird auf Dauer nichts bringen. Sie haben den Bundesrat angesprochen. Die Union hat hier eine Entscheidung zugunsten der Kundinnen und Kunden blockiert. Das finde ich sehr schade. Einerseits macht Frau Aigner tolle Pressemitteilungen und geistert mit dem Thema Dispoabzocke durch die Schlagzeilen. Andererseits werden Lösungen im Bundesrat blockiert. Das finde ich nicht korrekt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Dass die Opposition Schwarz-Gelb bei der Programmatik einiges voraus hat, zeigen nicht nur die beiden Anträge der SPD und der Linken sowie der Antrag meiner Fraktion – dieser wurde bereits abschließend behandelt –, sondern auch die relativ ausführlichen Gegenargumente. So wurde gefragt: Kann denn der Staat sich anmaßen, einen Deckel einzuziehen? – Frau Lay hat darauf hingewiesen, dass sich der Staat beim Zahlungsverzug sehr wohl angemaßt hat, einen konkreten Deckel einzuziehen. Darüber, ob 5 Prozent die richtige Größenordnung sind, können wir diskutieren. Sobald ein von Schwarz-Gelb eingebrachter Gesetzentwurf vorliegt, können wir im Verbraucherausschuss eine Anhörung durchführen. Wenn Sie eine Größenordnung von 6,5 Prozent für richtig halten, werden bestimmt weder die Linke noch die SPD noch wir Grüne sagen: Nein, das kann man nicht machen. – Legen Sie also etwas vor, und präsentieren Sie uns bessere Lösungen! Ich habe zwar Ihre Kritik vernommen – darüber kann man diskutieren –, aber eine bessere Lösung haben Sie bisher nicht vorgelegt. Das finde ich sehr wenig angesichts der Tatsache, dass wir nun im dritten Jahr in diesem Parlament über dieses Thema sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Mechthild Heil hat nun für die Unionsfraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mechthild Heil (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Und jährlich grüßt das Murmeltier! Heute debattieren wir wieder einmal über die Dispozinsen. SPD und Linke haben Anträge vorgelegt, in denen sie Zinsobergrenzen fordern, die sich am Basiszinssatz orientieren. Das klingt – das gebe ich zu – beim ersten Hören gut, entpuppt sich aber schnell als wenig durchdacht und im Detail völlig inkonsequent. (Beifall der Abg. Beatrix Philipp [CDU/CSU] – Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es besser!) So verlangt die SPD nur eine Obergrenze für den vereinbarten Überziehungskredit, aber keine für die darüber hinausgehenden Überziehungen. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Natürlich!) Sie haben wieder unsauber gearbeitet. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sie haben es nicht gelesen!) Die Linke hat sich gleich die ganze Arbeit gespart und den wortgleichen Antrag aus dem Jahr 2010 vorgelegt, als ob sich in der Zwischenzeit überhaupt nichts verändert hätte. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie haben nicht zugehört!) Aber es hat sich etwas verändert. Der durchschnittliche Zinssatz ist gesunken. Lag er 2010 bei 12,5 Prozent, so liegt er heute – wir haben es eben gehört – bei knapp 10 Prozent. (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, 11,7!) Übrigens, Frau Maisch, zum Stichwort „ländlicher Raum“ – wir kommen ja aus der gleichen Gegend –: Meine Hausbank, eine Filialbank, verlangt 9 Prozent. Das ist also auch möglich. Aber wir müssen noch einmal der Frage nachgehen: Was denken Sie eigentlich, welche Höhe der Zinsen denn angemessen ist? Sie machen sich das in Ihren Anträgen wirklich sehr einfach. Klar; bei Ihnen geht es um Stimmungsmache, um die Öffentlichkeit (Widerspruch des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD]) und nicht um eine saubere und praktikable Lösung des Problems. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie sitzen es aus!) Sosehr ich mich auch darüber freue, dass Sie mit Ihren Anträgen eine plakative Zeitungsüberschrift bekommen und damit natürlich in der Öffentlichkeit auch den Druck ein wenig erhöhen: Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, auch der Komplexität dieses Problems gerecht zu werden. Davon sind Sie leider ganz weit entfernt. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oh! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ganz weit weg, Kilometer! – Gegenruf der Abg. Kerstin Tack [SPD]: Gott sei Dank haben wir euch!) Tatsache ist: Den Kunden erscheinen die hohen Zinsen als Wucher. Es besteht ein empfundenes Missverhältnis zwischen den Zinsen, die die Kunden zu zahlen haben, und den Zinsen, die die Banken zahlen, wenn sie sich Geld leihen. Aber wie kommt es zu der Differenz? Die Kollegen haben schon darauf hingewiesen: Die Höhe der Dispozinsen hat nur bedingt mit der Refinanzierung der Banken zu tun. Andere Faktoren spielen eine Reihe, zum Beispiel die betriebswirtschaftliche Risikoeinschätzung, Eigenkapital- und Betriebskosten sowie Bearbeitungskosten. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD und Linken: Nicht alle Banken sind gleich. Es gibt verschiedene Bankmodelle; die Banken haben natürlich unterschiedliche Kostenstrukturen und kommen damit auch zu unterschiedlichen Kosten für die Kunden. So kann eine Direktbank günstiger sein als eine Filialbank, weil sie zum Beispiel weniger Miet- und Personalkosten hat. (Kerstin Tack [SPD]: Niemand will das verändern!) Sie kann diese Kostenvorteile an die Kunden weitergeben und günstigere Disposätze anbieten. Sie fordern eine einheitliche Obergrenze für die Zinsen. Damit scheren Sie alle Banken, die wir auf dem Markt haben, über einen Kamm. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie schieben es auf die lange Bank! – Zuruf von der SPD: Quatsch!) Das ist Gleichmacherei auf mittlerem Niveau, frei nach dem sozialistischen Motto: Wenn alles gleich ist, dann ist es auch gut. Aber so funktioniert unsere Welt nicht und schon gar nicht unsere Bankenwelt. (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Gott sei Dank! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Da haben Sie völlig recht! – Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist allerdings richtig!) Eine Zinsobergrenze, auch eine, die an den Basiszinssatz gekoppelt ist, wird dazu führen, dass sich die Banken bequem daran orientieren. (Kerstin Tack [SPD]: Sie haben ja ein tolles Bild von den Banken!) Banken, die jetzt günstig sind, werden ihren Dispozinssatz nach oben anpassen mit dem Argument: Das ist doch staatlich empfohlen; das ist der gerechte Zinssatz. Außerdem: Andere Leistungen der Banken können teurer werden. Zum Beispiel kann die Kontoführungsgebühr steigen, weil die Leistung nicht mehr durch die Überschüsse aus den Zinsmargen querfinanziert werden kann. Ihre Vorschläge sind wirklich nicht durchdacht. Sie lösen das Problem nicht. (Caren Lay [DIE LINKE]: Was sind denn Ihre Vorschläge? Sie haben keine eigenen Vorschläge!) Deshalb lehnen wir sie auch ab. Unser Weg ist ein anderer. (Zuruf: Jetzt bin ich gespannt!) Das Verbraucherministerium hat eine Studie zu Dispozinsen und Ratenkrediten in Auftrag gegeben, um unter anderem auch die Frage zu klären: Wen trifft denn dieser hohe Zinssatz? (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Die armen Banken bestimmt!) Die Studie sagt, dass vor allem Arbeitslose und Alleinerziehende betroffen seien. Allerdings gehört zur Wahrheit, dass diejenigen, von denen die Banken erwarten, dass sie ihr Konto überziehen, aber nicht ausgleichen können, meist überhaupt keinen Zugang zu Dispokrediten erhalten. Dieser wird ihnen von den Banken von vornherein verweigert. Das Ausfallrisiko ist zu hoch, selbst bei hohen Zinsen. An dieser Stelle kämpfen wir gemeinsam für ein Konto für jedermann. (Kerstin Tack [SPD]: Aha! – Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist ja ganz was Neues! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wann kommt das Gesetz? Wann kommt der Vorschlag?) Dispokredite spielen dabei überhaupt keine Rolle. Eine Gruppe, die von den hohen Dispozinsen besonders betroffen ist, wird in dieser Diskussion regelmäßig ignoriert: Das ist der Mittelstand. Das sind die Handwerker, die Selbstständigen, die Dienstleister, die Unternehmer. Eigentlich ist bei ihnen die Geschichte immer die gleiche: Es gibt einen Liquiditätsengpass beim Unternehmen, weil ein Kunde nicht im geplanten Zeitraum gezahlt hat oder weil es außerplanmäßige Ausgaben gibt. Dann wird schon einmal der Spielraum zwischen eingeräumter und geduldeter Überziehung überschritten, und dann kommen hohe und als ungerechtfertigt empfundene Zinsen auf das Unternehmen zu. Umschulden geht nicht so einfach. Beim Wechsel der Bank würden erst einmal alle Sicherheiten neu bewertet. Weitere Zeit und weiteres Geld würden so verbrannt. Die Unternehmen sitzen dann in einer Zwickmühle. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Höhe der Dispozinsen gehört auf den Prüfstand. Ich bin froh, dass, nachdem im Juli das Gutachten erschienen ist, ein Spitzengespräch mit Bankenvertretern stattgefunden hat. (Ulrich Kelber [SPD]: Kaffeekränzchen!) – Meinetwegen gab es auch Kaffee dabei; ich weiß nicht, wie Sie Ihre Gäste empfangen. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Bei uns passiert dann was!) Die Banken beginnen, sich unter dem politischen und öffentlichen Druck zu bewegen. Die Banken fangen an, die Dispozinsen zu senken, und das freiwillig. Informationen werden transparenter gemacht. Viele Banken sind kundenfreundlich, sie erkennen den Wettbewerbsvorteil, den es bietet, im Bereich der Dispozinsen transparent, günstig und serviceorientiert zu sein. Das ist der richtige Weg. Ich setze deshalb auf eine freiwillige Selbstverpflichtung der Banken statt auf staatlichen Zwang, wie ihn die linke Seite dieses Hauses immer will. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Heil, achten Sie bitte auf die Zeit. Mechthild Heil (CDU/CSU): Der Verbraucher, der Kunde hat die Macht. Er ist es, der entscheidet, und das wissen auch die Banken. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kerstin Tack (SPD): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Banken sich einerseits bei der Zentralbank billiges Geld beschaffen, andererseits aber ausgerechnet jene Kunden mit hohen Zinsen abkassieren, die am wenigsten haben. Das war ein Zitat von Frau Verbraucherministerin Ilse Aigner vom Februar 2012. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Frau Aigner hat im Frühjahr dieses Jahres keine Gelegenheit ausgelassen, der geneigten Öffentlichkeit gegenüber ihre Empörung darüber zum Ausdruck zu bringen, wie schlimm sie es findet, was die Banken den Verbraucherinnen und Verbrauchern mit überhöhten Dispozinsen antun. Keine Schlagzeile war ihr groß genug. Sie werde das jetzt anpacken, hat sie gesagt. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Alles Schauspiel!) Dann nahm die Show wie immer ihren Lauf: Mit Steuergeldern ist ein Gutachten finanziert worden, dessen Ausfluss mitnichten irgendeine Konsequenz für politisches Handeln der Bundesregierung hat. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wie immer!) Als das Gutachten im Juli vorgelegt wurde, war Frau Aigners bekannte Reaktion: Lassen Sie uns freundschaftlich darüber reden, damit wir der Öffentlichkeit irgendetwas präsentieren können. – Regeln wolle sie aber nichts. Das ist, finde ich, schon ein bisschen Verarsche derer, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist aber hart! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein schlimmer Ausreißer! – Zuruf von der FDP: Sie sind unmöglich!) die sich darauf verlassen haben, dass, wie es vor einem halben Jahr angekündigt worden ist, gegen zu hohe Dispozinsen etwas getan wird. Da hätte ich es ehrlicher gefunden, wenn man von Anfang an – wie Frau Heil das hier für die CDU/CSU-Fraktion formuliert hat – gesagt hätte, dass man findet, dass alles bleiben könne, wie es ist, und dass man keinen Regelungsbedarf sehe. (Dr. Thomas Gebhart [CDU/CSU]: Das hat sie doch gar nicht gesagt!) Zuerst verkünden, man sehe großen Handlungsbedarf, dann aber nichts tun, das ist für jemanden, der zum Schutze der Verbraucherinnen und Verbraucher ein Ministeramt bekleidet, eindeutig zu wenig. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Heil, wir schlagen gar nicht vor, dass jede Bank einen identischen Zinssatz nehmen soll. Um Gottes willen! Was wir vorschlagen, ist ein Prozentsatz, über den die Banken beim Dispozins nicht hinausgehen können. Das heißt nicht, dass jede Bank einen identischen Zinssatz nehmen müsste. Wir schlagen vor, dass für darüber hinausgehende Zinsen der Wucherparagraf, wie im BGB geregelt – Stichwort „doppelter Zinssatz“ –, greift. Das muss man nicht erst regeln, das ist schon Bestandteil des BGB. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vorgestern hat die Welt das System der Banken mit dem Dispokredit ziemlich gut analysiert. „Über Geld spricht man nicht“, beginnt der Artikel. Dann wird gefragt: Ist es Tugend oder ist es Unverschämtheit von den Banken, zu meinen, dass man an der Stelle aus eigenem Handeln heraus keinerlei Gesprächs- und Regelungsbedarf sieht? Wir wissen, dass das Versprechen von Transparenz und Selbstverpflichtungen, insbesondere von Banken, uns bei allen anderen Themen nicht wirklich weitergebracht hat. Das Girokonto für jedermann, Frau Heil, das Sie gerade angesprochen haben, ist das allerbeste Beispiel dafür, dass uns genau diese Selbstverpflichtung, die sich die Banken auferlegen, nicht weiterhilft. Hier haben wir genau die Situation: 600 000 Menschen in Deutschland haben kein Konto – trotz Selbstverpflichtung –, und Sie wollen nicht regeln. Jetzt warten Sie darauf, dass das Europa regelt, weil Sie auch hier wieder einmal keinen Handlungsbedarf sehen. Wir sagen: Der Handlungsbedarf ist nicht nur da, er ist groß, er ist unmittelbar, er ist akut. Deshalb bitten wir darum: Überdenken Sie im weiteren Verlauf der Debatten Ihre Position! Wir würden uns freuen, wenn wir ein gemeinsames Ergebnis erzielen würden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/10988 und 17/10855 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 b sowie den Zusatzpunkt 8 auf: 39 a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechtsstaatlichkeit in Russland – Drucksachen 17/7541, 17/9521 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Agnes Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Modernisierung Russlands ohne Rechtsstaatlichkeit – Drucksache 17/11002 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Gemeinsam die Modernisierung Russlands voranbringen – Rückschläge überwinden – Neue Impulse für die Partnerschaft setzen – Drucksache 17/11005 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede Russlanddebatte in Deutschland muss die unauflösbare historische Verbindung unserer beiden Länder im Blick haben. Die im Zweiten Weltkrieg an und in Russland begangenen Verbrechen legen uns eine Verpflichtung auf, und deswegen gilt es für uns, die Entwicklung in Russland engagiert und kritisch zu begleiten, ohne jegliche Rhetorik des Kalten Krieges, aber auch ohne ein vorauseilendes Verständnis für deutliche Fehlentwicklungen in dem Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte hier sehr offen bekennen: Ich würde mich sehr freuen, wenn der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft nicht nur auf die erfreulichen Marktchancen in Russland schauen würde, sondern sich mit dieser Grundhaltung beherzt an die Seite der Demokraten und der Politik, an unsere Seite, stellen würde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Aus den bitteren Erfahrungen des politischen Totalitarismus des 20. Jahrhunderts erwächst uns die Verpflichtung, uns an die Seite derjenigen zu stellen, die gegen Unterdrückung und Bevormundung durch den Staat kämpfen, die für mehr Pluralismus stehen, die für den Vorrang des Rechts vor der Machtwillkür ihre Stimme erheben. Solche engagierten Bürgerinnen und Bürger sind es, die erst ein modernes Staatswesen begründen können. Transparenz, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit – das sind die Ingredienzen eines modernen Staates. Nur eine aktive Bürgergesellschaft ist in der Lage, diese Prinzipien mit Leben zu erfüllen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Dies verkennt die russische Führung seit vielen Jahren. Auch die Hoffnung, die wir mit Präsident -Medwedew verbunden haben, hat sich faktisch in Luft aufgelöst. Zwar wird seit vielen Jahren von der russischen Führung erklärt, sie wolle einen modernen Staat aufbauen – das wurde zum politischen Ziel erklärt –, aber misstraut wird gerade denen, die der Motor für die durchgreifende Modernisierung des Landes sein könnten. Anstatt die Kräfte der Gesellschaft sich entfalten zu lassen, wird konsequent die erstarrte und korrupte Machtvertikale weiter ausgebaut. Der Kreml sorgt dafür, dass die Justiz willfährig ist, wenn es politisch gewollt ist. Das haben wir erlebt beim Fall Chodorkowski, wir haben es auch erlebt beim dramatischen Fall Magnitskij. In russischen Lagern gibt es viele Namenlose, die eben dieser Willkür auch aus Korruptionsgründen ausgesetzt sind. Im Winter des vergangenen Jahres keimte die Hoffnung auf, dass sich das Land aus der Erstarrung befreien könne. Die russische Gesellschaft meldete sich zurück. Friedlich und kreativ forderten die Protestierenden ein demokratisches und rechtsstaatliches Russland. Anstatt diese gesellschaftliche Bewegung als große Chance zu begreifen und mit ihr eine Politik der Öffnung zu beginnen, sagte der Kreml der eigenen Gesellschaft den Kampf an. Seit Putins Amtsantritt kam der Abbau von Bürgerrechten Schlag auf Schlag: zuerst die Verschärfung des Demonstrationsrechts, dann die drastische Erhöhung der Strafen für Verleumdung, das Internetgesetz, das eine Bedrohung für die freie Kommunikation im Internet darstellt, ein NGO-Gesetz, das politisch tätige NGOs, die Zuwendungen aus dem Ausland erhalten, dazu zwingen soll, sich selbst als ausländische Agenten zu bezeichnen. Es war Ludmilla Alexejewa, die große alte Dame der russischen Bürgerrechtsbewegung, die gesagt hat: Ich werde mich nicht ein zweites Mal in meinem Leben als ausländische Agentin bezeichnen. Wir alle wissen, dass dieser Ansatz vor allen Dingen auf Golos zielt, die wunderbare, in Russland selbst aufgebaute Wahlbeobachtungsbewegung, die allerdings von Zuwendungen der EU abhängig ist und die offensichtlich seitens des Kreml als die gefährlichste Bewegung angesehen wird, weil es sonst echte Wahlen in Russland geben könnte. Wir alle haben die skandalöse Urteilsfindung im Fall „Pussy Riot“ verfolgt. Ja, Blasphemie ist auch in Deutschland verboten, ebenso ist unsittliches und unangemessenes Verhalten in deutschen Kirchen strafbewehrt. Aber hier geht dafür niemand für zwei Jahre in eine Strafkolonie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN) Deswegen darf es für die deutsche und europäische Russlandpolitik kein Weiter-so geben. Wir müssen endlich neu nachdenken. Der Kreml in seiner jetzigen Verfassung ist kein verlässlicher Partner und kein Partner für die Modernisierung. Adressat unserer Bemühungen um eine Modernisierung Russlands muss die Zivilgesellschaft sein. Dafür brauchen wir einen langen Atem und politische Fantasie. Ein Instrument haben wir jedoch selber in der Hand, und das ist die Visumfreiheit. Die Erfahrung einer offenen Gesellschaft, die Begegnung mit Freiheit, freier Kultur und Vielfalt sind das süßeste Gift, das wir gegen autoritäre Regierungen im Köcher haben. Es ist ein friedliches Mittel, und wir sollten endlich den Innenpolitikern die Macht nehmen, diesen wunderbaren Weg, den wir zur Stärkung der russischen Zivilgesellschaft anbieten könnten, zu versperren. Sie machen mit dem verengten Blick der Innenpolitiker Außenpolitik. Das gesamte Haus sollte sich dem endlich entgegenstellen. Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frank Heinrich (CDU/CSU): Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Beck, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie damit begonnen haben, auf die unauflösbare historische Verbindung hinzuweisen. In der Tat sollten wir zu Beginn zunächst einmal würdigen, was sich in Russland schon gebessert hat, bevor wir auf das zu sprechen kommen, was zu kritisieren ist. Dabei reichen meine zehn Finger gar nicht aus, um all das aufzuzählen, was kritikwürdig ist. Ohne diese Wertschätzung wird Russland – ich habe das so ähnlich auch in einem Ihrer Anträge gelesen – nur noch nationalistischer und patriarchalischer entscheiden. Ich finde, erfolgreiche Kritik – wir wollen, dass die Kritik nicht um der Rechthaberei willen im Raum steht, sondern am Schluss tatsächlich eine Veränderung bewirkt – kann es am Ende nur unter Partnern und Freunden geben, und zu einem gewissen Maß lässt sich das auf unsere Beziehung zu Russland übertragen. Für mich gibt es zwei Dinge, die eine beste Freundschaft ausmachen. Die erste Bedingung ist: Ein Freund darf mich kritisieren und mir wirklich alles sagen. Die zweite Bedingung ist, dass er es dann auch tut. Ein Stück weit gehört es zu unserer Partnerschaft mit Russland, dass wir die Kritik offen aussprechen. Ich zitiere aus dem Antrag der SPD: Hinzu kommt, dass Russland sich seit langem nicht mehr als gleichberechtigter Partner anerkannt fühlt. Weiter unten heißt es: Russlands Verlangen, wieder als vollwertiger Partner akzeptiert zu werden, ist daher nachvollziehbar. Wenn wir es mit der Partnerschaft und der Freundschaft ernst meinen, dann müssen wir auch vor Augen haben, was uns das bedeutet – und wir müssen es auch benennen. Deshalb möchte ich mit positiven Aspekten beginnen. Einige Stichworte: Wir konnten von Russland nicht nur einige kulturelle Dinge lernen; wir haben die russische Geschichte und Kultur insgesamt zu schätzen gelernt. Ich erinnere auch an die Rolle, die Russland bei unserer Wiedervereinigung gespielt hat. Ein weiterer Punkt: die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Beziehungen dürfen nicht allein darauf aufbauen, aber es ist festzuhalten, dass Deutschland einen Anteil von 8,7 Prozent am russischen Außenhandelsvolumen hat. Ein Stichwort dazu: die Ostseepipeline. Inzwischen sind 6 300 deutsche Unternehmen in Russland tätig. Sie haben die Modernisierungspartnerschaft angesprochen – ich komme gleich noch darauf –, die es seit letztem Jahr zwischen der EU und Russland gibt. Es gilt anzuerkennen, dass es unter Putin eine gewisse Stabilisierung Russlands gegeben hat. Ich zitiere aus dem Antrag der Grünen: Der Deutsche Bundestag ist sich der Tatsache bewusst, dass die Transformation Russlands als Teil der früheren Sowjetunion in einen Rechtsstaat mit einer offenen und pluralistischen Gesellschaft eine gewaltige Herausforderung darstellt. Das ist also nichts, was man gerade einmal so an einem Wochenende macht; ich glaube, das ist uns bewusst. Russland ist heute Mitglied im Europarat und hat mit dem Beitritt die Europäische Menschenrechtskonvention anerkannt; jetzt können wir uns darauf beziehen. Unsere Rolle dabei ist: Wir müssen uns mit dem gerade genannten Europarat, aber auch mit der EU und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – er hat Kritikpunkte benannt – abstimmen. Es ist auch zu erwähnen, dass wir gerade mit Russland bei der Korruptionsbekämpfung zusammenarbeiten. Eine darüber hinausgehende Zusammenarbeit ist möglich, weil Russland in diesem Jahr der WTO, der Welthandelsorganisation, beigetreten ist. Jetzt die Missstände. Ich habe gesagt, dass ich zehn Missstände nennen will – obwohl ich länger als Sie reden darf, kann ich sie nur anreißen –: Erstens. Da ist das Defizit an Rechtsstaatlichkeit. In der Antwort der Bundesregierung auf die 87 Fragen der Großen Anfrage der Grünen – Sie haben sie bekommen – heißt es sehr deutlich: Die Bundesregierung ist besorgt über fortbestehende Defizite an Rechtsstaatlichkeit in der Russischen Föderation. Trotzdem: Die Bundesregierung begrüßt, dass Präsident Dmitri Medwedew – der ehemalige Präsident – die Mängel offen benannt und Maßnahmen zur Bekämpfung der Defizite angekündigt hat. Die Bundesregierung wird Russland auch in Zukunft bei der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit unterstützen. Das heißt nicht, dass wir die Mängel nicht immer wieder betonen müssten. Der zweite Bereich ist der politische Einfluss auf die Justiz. Sie haben den Fall der Band Pussy Riot genannt, aber auch den Fall der Oppositionellen Taisia Osipowa. Es gibt so viele Einzelfälle, die zusammengenommen ein deutliches Bild des Einflusses auf die Justiz verschaffen. Hier wieder ein Zitat: Die Bundesregierung teilt die Einschätzung, dass bei der Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit in Russland Defizite fortbestehen. Es gibt dort also Stagnation, und das darf so nicht bleiben. Ich glaube, Sie haben es so ausgedrückt: Das können wir nicht weiter so laufen lassen. Drittens: die Einschränkung der Pressefreiheit. Viertens: die Zustände in den Gefängnissen. Da gibt es allerdings zwei Seiten; da muss man fair sein. Die Bundesregierung hat zur Kenntnis genommen, dass Medwedew einige Initiativen zur Humanisierung des russischen Strafsystems angestoßen und zum Teil durch Gesetzesänderungen umgesetzt hat. Zugleich teilt aber die Bundesregierung die Einschätzung, dass in den russischen Untersuchungsgefängnissen gravierende Defizite bei den Haftbedingungen fortbestehen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das in seiner Entscheidung im Fall Ananiew gegen die Russische Föderation vom Anfang dieses Jahres sehr deutlich angemahnt. Fünftens: das repressive Demonstrationsrecht. Sechstens: die Behinderung der Opposition, zuletzt bei den Gouverneurswahlen, bei denen viele Kandidaten entweder nicht zugelassen oder behindert wurden. Die Parlamentswahlen letztes Jahr im Dezember fanden unter massiven Behinderungen von Wahlbeobachterorganisationen, unter anderem von Golos, statt. Seit dem Amtsantritt von Präsident Putin sind zahlreiche Gesetze, die gegen die politische Opposition und die russische Zivilgesellschaft gerichtet sind, oft in einem Hauruckverfahren in Kraft gesetzt worden. Die Bundesregierung bedauert, dass PARNAS, die Partei der Volksfreiheit „Für ein Russland ohne Willkür und Korruption“, nicht als Partei registriert wurde und an den Dumawahlen nicht teilnehmen durfte. Siebtens: der starke Einfluss der Geheimdienste. Achtens: Ich habe selber als Pastor in der Heilsarmee einer Freikirche mitbekommen, dass Religionsgemeinschaften, die nicht russisch-orthodox sind, anders behandelt und benachteiligt werden. Neuntens: das NGO-Gesetz von 2005. Darin werden den Organisationen kostenaufwendige bürokratische Pflichten auferlegt, sodass manche Organisationen einfach nicht arbeitsfähig sind. Zehntens – das ist nicht der letzte Punkt, aber der letzte Punkt, den ich aufzähle –: die Verschleierung und Nichtaufklärung politisch motivierter Straftaten, wie sie zum Beispiel der Fall Magnitskij sehr deutlich vor Augen führt. Ihre Frage 23 möchte ich kurz vorlesen: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass es trotz des Einsetzens spezieller Sonderkommissionen und vielfacher Beteuerungen konsequenten Engagements nach wie vor keine Verurteilungen der Mörder von Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa und ihrer Auftraggeber gibt? Die Antwort der Bundesregierung ist eindeutig – ich denke, sie darf heute so im Raum stehen bleiben und sie muss von uns unterstützt werden –: Die Bundesregierung erwartet, dass diese und andere Fälle rückhaltlos aufgeklärt werden, und macht dies gegenüber der russischen Seite deutlich. Auch ich möchte es hiermit noch einmal verdeutlichen. Das sind nicht irgendwelche zehn Fälle, sondern das sind zehn für uns existenziell wichtige Hinweise auf gesellschaftliches Engagement und das Fehlen von Rechtsstaatlichkeit in diesem Land. Es geht um Dinge, die für uns in Mitteleuropa selbstverständlich sind. Insofern gilt es, Schlussfolgerungen zu ziehen (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dann -ziehen Sie mal!) und Forderungen gen Osten zu richten. Wir fordern die russische Regierung auf, sich an die freiwillig eingegangenen Verpflichtungen – ich habe das schon vorhin am Ende meiner Ausführungen zu Punkt 1 gesagt –, die aus der Ratifikation der Europäischen Menschenrechtskonvention erwachsen, zu halten und diese vollständig umzusetzen, die Hintergründe, die zum Tod von Sergej Magnitskij geführt haben, in einem rechtsstaatlichen Verfahren rückhaltlos und transparent aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, die Unabhängigkeit von Richtern sicherzustellen sowie die Unabhängigkeit und Transparenz der Justizbehörden zu erhöhen und uns das auch deutlich zu machen, die Arbeit von Verteidigern sicherzustellen, sie also nicht vom Zugang zu notwendigen Dokumenten auszuschließen oder sie politisch unter Druck zu setzen, die Unabhängigkeit der Medien zu garantieren und gegen den politisch motivierten Missbrauch der Strafjustiz vorzugehen. Das waren die Forderungen, die wir nach Osten schicken. Das heißt für uns als Parlamentarier, dass wir uns – jetzt greife ich ein Zitat aus dem Antrag der SPD auf – dafür einsetzen, „den neugewählten russischen Präsidenten Putin an seine Zusagen hinsichtlich der Stärkung der Meinungs- und Pressefreiheit, des Aufbaus einer unabhängigen Justiz sowie der Modernisierung der Wirtschaft, der staatlichen Verwaltung und des Bildungssystems zu erinnern und ihm umfassende Unterstützung bei der Umsetzung dieser Projekte anzubieten“, wie es sich für Freunde und Partner – dann auf unserer Seite – gehört. Das heißt, den Fall Magnitskij weiterhin in bilateralen Gesprächen mit Russland, also nicht nur hier von einem Podium aus, zu thematisieren und auf umfassende Aufklärung zu drängen. Weiterhin bedeutet das, der russischen Seite in bilateralen Gesprächen, vor allem bei den bevorstehenden Deutsch-Russischen Regierungskonsultationen, deutlich zu machen, dass eine gemeinsame -Modernisierungspartnerschaft nicht auf wirtschaftliche Themen beschränkt werden darf, sondern nur als ein umfassender gesellschaftlicher Prozess unter Einschluss einer Entwicklung hin zu mehr Demokratie und – Thema von heute – Rechtsstaatlichkeit gelingen kann. Die dritte Forderung lautet, Russland im bilateralen Rahmen und seitens der EU weiterhin zu drängen, dass es seine eingegangenen Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und soziale Rechte tatsächlich einhält. (Beifall bei der FDP) Ich komme zum Schluss und nehme Bezug auf meine Eingangsbemerkung zum Thema Freund/Partner. Ich bin der festen Überzeugung, dass gute Freunde beim Wort genommen werden sollten. Wenn nötig, müssen wir sie an ihr Wort erinnern. Hier und heute tun wir das ganz offiziell gemeinsam. Wir müssen aber auch in Zukunft, in jeder weiteren Begegnung, daran erinnern. Dabei handelt es sich teilweise um Begegnungen auf Regierungsebene, teilweise um Begegnungen von einzelnen Parlamentariern und teilweise um Kommunikation über die Medien. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Franz Thönnes für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Franz Thönnes (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute hier, im Plenum des Deutschen Bundestages, über das Verhältnis Deutschlands zu Russland diskutieren. Nicht gut ist – das ist ganz offensichtlich; das ist klar und deutlich zu erkennen; das konnten wir in den vergangenen Tagen in den Medien verfolgen –, dass es innerhalb der Koalitionsfraktionen keine gemeinsame Auffassung zu diesem Themenkomplex gibt. Es liegt kein Antrag der Koalitionsfraktionen zu diesem Thema vor. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Darüber reden wir jetzt ja auch nicht!) Die Einzigen, die heute einen Antrag eingebracht haben, sind die Grünen und die SPD. Eine gemeinsame Russland-Politik findet bei Ihnen nicht statt. Das ist Fakt. (Beifall bei der SPD) Deswegen ist es ganz wichtig, darauf hinzuweisen, dass in den Broschüren für das Deutschlandjahr in Russland und das Russlandjahr in Deutschland dankenswerterweise steht: „Deutschland und Russland – gemeinsam die Zukunft gestalten“. So lautet das Motto beider Länder in dieser Zeit. In beiden Ländern findet in den nächsten zwölf Monaten eine Vielzahl von Veranstaltungen statt. In den offiziellen Druckschriften heißt es dazu sinngemäß, dass es, aufbauend auf den historisch gewachsenen, engen deutsch-russischen Beziehungen, das Ziel ist, mit vielfältigen Aktivitäten das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Deutschland und Russland zu stärken und nicht zuletzt neue Wege in eine gemeinsame Zukunft unserer Länder aufzuzeigen. In der Tat, Geschichte, Kunst und Kultur unserer beiden Länder verbinden uns seit gut 1 000 Jahren. Dazu gehören viele Tage mit viel Sonnenschein, wie das heute der Fall ist. Dazu gehört aber auch eine lange Zeit mit vielen dunklen Tagen und mit Nächten in tiefster Dunkelheit. Die dunkle Zeit haben wir gemeinsam überwunden, und wir haben neue Fundamente für die Zukunft gelegt: Abkommen, Verträge, Konsultationen, Dialoge, Austausch, ein dichtes Netz wirtschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Verpflichtungen und gesellschaftlicher Beziehungen. Dazu gehören auch die Begriffe „Modernisierungspartnerschaft“ und „strategische Partnerschaft“. Diese Begriffe sollten und dürfen nicht nur auf den Bereich der wirtschaftlichen Kooperation begrenzt werden; sie reichen in einem geeinten Europa nicht zuletzt vor dem Hintergrund unserer geschichtlichen Entwicklung viel weiter. Natürlich haben wir eine breite gemeinsame ökonomische Basis. Deutschland ist Russlands zweitgrößter Handelspartner weltweit, und Russland ist unser viertgrößter Handelspartner außerhalb der EU. Sie haben auf die 6 300 Unternehmen hingewiesen, die in Russland aktiv sind. Das Volumen deutscher Direktinvestitionen in Russland beträgt 22 Milliarden Euro. Diese Werte der Entwicklung sind aber nicht nur das Resultat wirtschaftlicher Leistung, sondern sie hängen auch eng mit den Strukturen und den bestehenden Werten in Westeuropa zusammen; denn vor diesem Hintergrund sind sie entstanden. Dann sprechen wir über Freiheit, über Rechtsstaatlichkeit, über Unabhängigkeit der Justiz, über Menschenwürde, über soziale Verfasstheit, über Pressefreiheit und über Demokratie. Auf dieser Basis haben wir in den letzten Jahren gearbeitet, und auf dieser Basis haben wir mit Engagement die Entwicklung in Russland nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vor gut 20 Jahren begleitet und mit Aufmerksamkeit beobachtet. Die Entwicklungen in den letzten zwölf Monaten haben einerseits Hoffnungen geweckt, haben andererseits aber auch zu großen Sorgen geführt. Der Parteitag von „Einiges Russland“ im September 2011, auf dem der Wechsel von Medwedew zu Putin bekannt gemacht wurde, hat bei vielen Menschen Enttäuschung und Protest hervorgerufen. Die Dumawahlen mit offensichtlichen Manipulationen – es gab eine erhebliche Kritik der OSZE – haben das verstärkt. Rund um die Präsidentschaftswahlen im März dieses Jahres ist es zu den größten und umfassendsten Massendemonstrationen nach dem Zerfall der Sowjetunion gekommen. Zumeist verliefen sie friedlich. Am Anfang wusste der Staat nicht so ganz, wie er damit umgehen sollte. Stück für Stück gab es aber auch ein gewisses Maß an Demonstrationsfreiheit. Einige haben gehofft, das könnten Schritte in Richtung Entwicklung einer Bürgergesellschaft sein; denn dahinter stand die Aufkündigung eines vielleicht stillschweigend akzeptierten Vertrages: Wir sorgen aus dem Kreml heraus für Wohlstand und Stabilität, und ihr haltet euch aus der Politik heraus. Dieser „Vertrag“ hat nicht gehalten, sondern er ist aufgekündigt worden. Präsident Putin hat mit seinen Ankündigungen, Russland zu einer der führenden Industrienationen der Welt zu machen, hohe Erwartungen geweckt. Doch die ersten Monate der neuen Amtszeit zeigen eine anhaltende Nervosität der politischen Führung des Landes und machen deutlich, dass wohl eher wieder Repressionen und Zurückdrängung von Freiheiten auf der Tagesordnung stehen. Das NGO-Gesetz, das vorsieht, dass sich NGOs als ausländische Agenten registrieren lassen müssen, ist genannt worden. Das ist eine Geste des Misstrauens, die auch weiteres Misstrauen schafft. Es gibt weitere Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten: Sperrung von Internetseiten, Verschärfung des Demonstrations- und Versammlungsrechts, restriktive Gesetze gegen sexuelle Minderheiten, unverhältnismäßige Urteile wie im Fall von Pussy Riot, gerade in den letzten Tagen intensiveres Vorgehen der Sicherheitskräfte mit Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und kurzfristigen Festnahmen. Ein weiterer Punkt ist der Ausschluss des Kollegen Gennadij Gudkow der Fraktion „Gerechtes Russland“ mit Mehrheitsbeschluss der Duma. Das alles betrachten wir mit Sorge. Gerade jetzt wäre es notwendig, dass ein vernünftiger Dialog zwischen Präsident, Regierung und Opposition geführt wird. An diesem Wochenende wird ein Koordinationsrat der russischen Opposition gewählt. Ich setze darauf, dass sich führende Köpfe herausbilden und dass Potenzial vorhanden ist, um gemeinsam über Zukunftsvorstellungen für Russland zu diskutieren. Natürlich gibt es auch einige Lichtblicke: den Beitritt zur WTO, ein Stückchen Freiheit bei den Gouverneurswahlen – es ist immer noch zu wenig –, die Zulassung von mehr Parteien und die Vereinfachung dabei. Aber das reicht noch nicht. Für uns, für Deutschland, für die Europäische Union, stellen sich daher Verantwortlichkeiten für die Bewältigung der zukünftigen Aufgaben. Die Modernisierungspartnerschaft ist dafür eine gute Grundlage. Aber sie darf nicht nur verwaltet werden, sondern sie muss auch mit neuem Leben erfüllt werden. Normen wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, die in unserer Wertegemeinschaft eine Rolle spielen, müssen im gemeinsamen Dialog auch auf Russland übergehen. Dabei müssen wir ein Stück weit unsere eigene Geschichte bedenken: Kaiserreich, Zerfall der Weimarer Republik, Hitlerdiktatur und Diktatur in der DDR. Unseren Weg gehen wir nun seit über 60 Jahren. Auch das ist nicht alles von heute auf morgen passiert. Auch in Russland ist es ein historischer Prozess. Insofern muss man manchmal vielleicht einen langen Atem haben. Wir müssen Wandel durch Annährung anstreben und einen partnerschaftlich-kritischen Dialog betreiben; aber dabei darf es nie an Nachdruck fehlen. Also ist es wichtig, das zu machen, was der Kollege Heinrich aus unserem Antrag schon zitiert hat; ich muss das nicht wiederholen. Wenn wir über Rechtsstaatlichkeit reden, wenn wir über Rechtssicherheit reden, wenn wir über den Kampf gegen die Korruption reden, dann müssen wir auch deutlich sagen: Das Recht des Stärkeren gilt es durch die Stärke des Rechts zu ersetzen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Folglich ist auf der obersten Ebene darüber zu sprechen, wie die Umsetzung der Inhalte der Charta des Europarates gewährleistet wird. Wir brauchen mehr Dialog, wir brauchen mehr Zusammenkünfte. Die im Rahmen der russischen Ostseeratspräsidentschaft beabsichtigte NGO-Konferenz in Sankt Petersburg, die unter deutscher Leitung stattfinden soll, ist zu nutzen, um darüber zu diskutieren. Wir brauchen mehr gemeinsame Projekte, die aber auch gemeinsam evaluiert werden und bei denen über die gemeinsame Erwartungshaltung diskutiert wird. Es ist auch wichtig, mehr Austausch der So-zialpartner zu organisieren, um die soziale Kultur, die Sozialpartnerschaft über die viele Ebenen umfassende wirtschaftliche Präsenz in Russland zu verbreitern. Wir sollten darüber nachdenken, ein deutsch-russisches Jugendwerk zu initiieren, das den deutsch-russischen Jugendaustausch verstärkt. Wir brauchen Partnerschaften zwischen Kommunalpolitikern und zwischen Regionen. Wir brauchen auch – das ist ganz zentral; das unterstreiche ich – eine Visaliberalisierung. Langfristiges Ziel sollte, natürlich unter Wahrung unserer Sicherheitsinteressen, Visafreiheit sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich muss daran erinnern, dass Frau Merkel vor einem Jahr beim Petersburger Dialog gesagt hat, dass Deutschland auf der Bremse steht. Man kann der Regierung von hier aus nur zurufen: Frau Merkel, gehen Sie von der Bremse herunter und lassen Sie auch die Handbremse los. Wir brauchen mehr Freiheit, damit die Menschen häufiger zusammenkommen können und miteinander reden können. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn aus eurer AG geworden?) – Ich habe das ja benannt. Es war nicht „eure“, sondern unsere AG, unsere Arbeitsgruppe, in der die Koalitionsfraktionen bis heute nicht in der Lage waren, einen gemeinsamen Antrag vorzubereiten und vorzulegen. Das ist schade, und das ist bedauerlich. Wir werden weiter darüber streiten und weiter darüber diskutieren müssen. Ich möchte noch etwas hinzufügen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Thönnes, das werden Sie vertagen müssen. Schauen Sie bitte auf das Signal. Franz Thönnes (SPD): Ich formuliere meine letzten Sätze. Frau Präsidentin, danke für den Hinweis. – Ich will sagen, dass man auch im sicherheitspolitischen Bereich, bei der Raketenabwehr, Vertrauen schaffen muss, um in guter Partnerschaft die anderen Probleme zu lösen. Insofern ist es wichtig, dass wir zusammenkommen und in einem partnerschaftlichen Verhältnis an der Erreichung unserer Ziele arbeiten, sodass das, was in den Broschüren zum Deutschlandjahr in Russland und zum Russlandjahr in Deutschland steht, verwirklicht wird. Es gilt, dafür zu sorgen, dass Wege in eine gemeinsame gute Zukunft auch wirklich gemeinsam gegangen werden können. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Patrick Kurth für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Russland ist sowohl innen- als auch außenpolitisch unser größter Nachbar in der Europäischen Union. Besonders für uns Deutsche muss die Entwicklung besorgniserregend sein. Die Partnerschaft zwischen Russland und der Europäischen Union, aber auch die Partnerschaft zwischen Russland und Deutschland basiert derzeit offensichtlich auf unterschiedlichen Konzepten. Putins Bereitschaft zu Reformen hin zur Moderne ist nur schwerlich zu erkennen: Gesetze wurden verschärft. Teilnehmern illegaler Demonstrationen drohen hohe Strafen. Auslandsfinanzierte Nichtregierungsorganisationen werden gezwungen, sich quasi als ausländische Agenten zu bezeichnen und in ein spezielles Register einzutragen zu lassen. Prominente Oppositionelle und Regierungsgegner werden verfolgt, angeklagt und oftmals auch zu hohen Haftstrafen verurteilt. Der Straftatbestand der Verleumdung wurde wieder ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Einschüchterung und Kontrolle sind oftmals an der Tagesordnung. Immer wieder werden Menschenrechte auch in den Regionen, vor allem im Nordkaukasus, verletzt. Über die Wahlen muss man wenig sagen. Möglicherweise ist Genosse Putin doch nicht der lupenreine Demokrat, als der er in diesem Hause schon einmal bezeichnet worden ist. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist doch bekannt!) Diese Probleme sind bekannt; aber wir dürfen nicht müde werden, darauf hinzuweisen. Das russische Verhalten an diesen Stellen ist völlig inakzeptabel. Russland muss sich auch unserer Kritik stellen. Einige Fragen an uns sind berechtigt: Wer hat in der westlichen Welt das größte Vertrauen bei den Russen? Wer hat den größten Zugang zu Russland? Was und vor allem wem hilft es, wenn wir uns von Russland vielleicht sogar abwenden? Sind ein manchmal sehr hart formuliertes Urteil und derart klar vorgetragene Vorhaltungen mit Blick auf die Transformationsherausforderungen ausgewogen? Ist unsere scharfe Kritik auch im Vergleich zu anderen Ländern und unserem Umgang mit ihnen angemessen? So richtig und so notwendig diese Kritik ist: Sie muss verhältnismäßig bleiben. Es ist unerlässlich, Missstände offen und konsequent anzusprechen. Aber wir sind nicht der dominante Erziehungsberechtigte Russlands. Kooperation, Zusammenarbeit und Einbindung sind die richtigen Schlagwörter. Es geht um die Verfolgung gemeinsamer Interessen und um die Minimierung gemeinsamer Risiken. Viele in Europa definieren ihren Umgang mit Russland im Sinne von Sicherheit vor Russland. Für uns gilt: Sicherheit mit Russland ist das Entscheidende. (Beifall bei der FDP) Für jeden Staat und jede Gesellschaft ist der Weg in eine Demokratie kein leichter. Auch Deutschland fiel und fällt der Transformationsprozess gar nicht so einfach, wie man manchmal denkt. Hierfür hatten wir trotzdem sehr günstige Voraussetzungen: gleiche Sprache, gleiche Geschichte, eine, wenn man so möchte, Information über das andere Land, zumindest was den Osten betraf; man hat ja fast überall im Osten Westfernsehen gehabt. Die Währungsumstellung kam sehr schnell, die Vereinigung auch. Trotzdem haben wir im Jahr 22 nach der Einheit diktaturbedingt immer noch Differenzen. Angesichts dieser Transformationsherausforderungen im eigenen Land sollten wir uns vorstellen können, was in anderen Ländern ohne diese Vorbedingungen los ist. Auch darum geht es, wenn wir über Russland sprechen. Meine Damen und Herren, wir wollen diesen Transformationsprozess fördern. Wir wollen ihn unterstützen. Wir wollen Kritik deutlich machen. Wir wollen eine gleichberechtigte Modernisierungspartnerschaft. Wir wollen sie erhalten. Wir wollen sie ausbauen. Es muss eine Balance zwischen Kritik und Zusammenarbeit erreicht werden. Außerdem wollen wir uns davor hüten, die Brücken zu Russland abzubrechen. Zu einer solchen Brücke gehört auch das Visaregime. Wenn das Visaregime weiterhin so restriktiv wie gegenüber uns Deutschen gehandhabt wird, dann wird eine weitere Brücke abgebrochen. Auch wir appellieren an unsere Innenpolitiker, noch einmal darüber nachzudenken, wie man das Visaregime weiter verbessern kann, sodass es uns insgesamt hilft. Ein positives Signal für ein Miteinander findet zurzeit statt: Deutschland feiert das Russlandjahr, Russland parallel dazu das Deutschlandjahr; zahlreiche Projekte vergegenwärtigen die deutsch-russischen Beziehungen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Dieses Jahr steht unter dem Motto „Deutschland und Russland: gemeinsam die Zukunft gestalten“. Das ist eine Aufforderung an uns und die Russen. Diesen Weg sollten wir gehen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist Beifall aus Solidarität!) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Das finde ich toll. Schönen Dank. Wenn es notwendig ist, setze ich mich auch zwischendurch hin und klatsche mir selber Beifall. Das kann man sicherlich im Wechsel machen. Das kriegt man schon hin. – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mir sehr wünschen, dass wir in dieser Debatte deutlicher zum Ausdruck bringen, dass wir die Diskussion mit Russland in der Absicht führen, dazu beizutragen, dass Russland den Weg hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, weniger Armut, mehr Demokratie und zur Rechtsstaatlichkeit geht. Dies sollte auch als Faktor des Friedens politisch wirksam werden. Ich würde den russischen Bürgerinnen und Bürgern gerne nahebringen, dass dies unsere Absicht in dieser Debatte ist. Zumindest meine ist es. (Beifall bei der LINKEN) Ich füge hinzu, dass man diese Debatte nicht von oben herab und belehrend führen darf. Man sollte anderen gegenüber nicht so tun, als könnten sie aus unseren Erfahrungen alle notwendigen Schlussfolgerungen für sich selbst ableiten. Ich betrachte diese Diskussion vielmehr als eine sehr gleichberechtigte Debatte. Auch wir sollten die Bereitschaft zeigen, von der Entwicklung in Russland zu lernen; auch das ist nämlich möglich. Ich finde, es ist gut, darauf aufmerksam zu machen, dass das unverschämte Benehmen und das unverschämte Agieren der Neureichen in Russland völlig inakzeptabel sind. Die eigentlich Betroffenen finden Sie in den Me-trostationen, wo sie um Schutz und Obdach ersuchen. Die soziale Frage in Russland wird sich zu einem ungeheuren Sprengsatz entwickeln, wenn man nicht an einer Lösung der bestehenden Probleme arbeitet. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt muss ich dem Gehrcke doch glatt mal zustimmen!) – Ja. Auch so etwas gibt es. Ich möchte gern, dass in Russland begriffen wird, dass eine demokratische Entwicklung auf sozialer Gerechtigkeit aufbaut und dass Rechtsstaatlichkeit für alle Teile der Gesellschaft ungeheuer wichtig ist. Schließlich will man weder der Willkür einer Staatsverwaltung noch der Willkür eines Parteisekretärs ausgesetzt sein. Ich finde, das ist eine Schlussfolgerung, die man aus der Vergangenheit ziehen kann. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Jürgen Klimke [CDU/CSU]: Das hätten Sie sich mal früher überlegen sollen!) Das alles sage ich nicht belehrend. (Jürgen Klimke [CDU/CSU]: Beachtlich!) Ich möchte, dass wir endlich damit aufhören, über die Russland-Politik konjunkturabhängig zu diskutieren. Sprünge zwischen „lupenrein“ bzw. „hosianna!“ und „Kreuzigt sie!“ passen mir überhaupt nicht. Russland-Politik und Außenpolitik sind für mich beständige und wichtige Angelegenheiten. Ich habe übrigens nicht mit dem Thema angefangen, das bei euch in der Regierungskoalition ein Problem darstellt. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nein! Das ist kein Problem!) Aber auch mir ist natürlich aufgefallen, dass zu den Inhalten, die debattiert worden sind, aus der Richtung von Schwarz-Gelb nichts Substanzielles gekommen ist. Damit kommt man nicht durch. Ich möchte stabile Beziehungen zu Russland und Stabilität in Europa. Blickt man auf den Balkan, nach Moldawien oder in Richtung Kaukasus, stellt man fest: Kaum ein europäisches Problem ist ohne Russland lösbar. Auch die Nahostprobleme sind nur gemeinsam mit Russland lösbar, nicht gegen Russland. Hinzu kommt, dass die Abrüstungsfragen endlich auf die Tagesordnung kommen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Ich bin gegen die Einrichtung eines Raketenabwehrsystems. Eigentlich ist das nämlich ein System, das zweierlei Sicherheit in Europa etabliert. Das können wir nicht tolerieren, und wir müssen dagegen argumentieren. Ich denke, dass man, auch was das Verhältnis zu Russland angeht, einen Weg gehen sollte, den man mit „Wandel durch Annäherung“ umschreiben kann. Derzeit finden ja deutsch-russische Regierungskonsultationen statt. Wenn ich für die Tagesordnung dieser Gespräche verantwortlich wäre, würde ich entscheiden: Tagesordnungspunkt 1 – Visafreiheit. Das, was wir Richtung Russland und anderen Ländern signalisieren, ist: Ihr seid uns nicht willkommen. Ich möchte, dass wir signalisieren: Ihr seid uns willkommen. Ihre Fraktionen und Ihre Parteien haben doch Leitungsgremien. Appellieren Sie doch nicht hier an Ihre Außenpolitiker, dafür einzutreten, dass sich dort etwas ändert, sondern setzen Sie in Ihrer Fraktion durch, dass man dafür eintritt, dass sich dort etwas ändert. Es ist doch beschämend, was hier geschieht. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte gerne, dass über eine Energiepartnerschaft und eine Demokratiepartnerschaft debattiert wird. Zeigen Sie einmal ein bisschen Kreuz und treten Sie für politische Veränderungen ein. Wenn Sie nach Moskau fahren, wird Ihnen gesagt: Fassen Sie sich an die eigene Nase. Wenn ich mir ansehe, wie mit dieser Frage hier umgegangen wird, muss ich sagen: Ich finde diese Aussage berechtigt. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Für das Protokoll vermerkt: Von der Mehrheit des Hauses Beifall!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11002 und 17/11005 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 24. Oktober 2012, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen zum kommenden Wochenende auch ein wenig Erholung. (Schluss: 15.26 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 19.10.2012 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 19.10.2012* Becker, Dirk SPD 19.10.2012 Binder, Karin DIE LINKE 19.10.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 19.10.2012 Burchardt, Ulla SPD 19.10.2012 Da?delen, Sevim DIE LINKE 19.10.2012 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 19.10.2012 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 19.10.2012 Funk, Alexander CDU/CSU 19.10.2012 Gruß, Miriam FDP 19.10.2012 Gunkel, Wolfgang SPD 19.10.2012 Dr. Happach-Kasan, Christel FDP 19.10.2012 Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 19.10.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 19.10.2012 Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.10.2012 Dr. Kaufmann, Stefan CDU/CSU 19.10.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.10.2012 Lanfermann, Heinz FDP 19.10.2012 Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine FDP 19.10.2012 Dr. Lotter, Erwin FDP 19.10.2012 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 19.10.2012 Möhring, Cornelia DIE LINKE 19.10.2012 Müller (Erlangen), Stefan CDU/CSU 19.10.2012 Nahles, Andrea SPD 19.10.2012 Nink, Manfred SPD 19.10.2012 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 19.10.2012 Remmers, Ingrid DIE LINKE 19.10.2012 Röspel, René SPD 19.10.2012 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.10.2012 Schlecht, Michael DIE LINKE 19.10.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 19.10.2012 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 19.10.2012 Simmling, Werner FDP 19.10.2012 Storjohann, Gero CDU/CSU 19.10.2012 Thomae, Stephan FDP 19.10.2012 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.10.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 19.10.2012 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 19.10.2012 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.10.2012 Weinberg, Harald DIE LINKE 19.10.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 19.10.2012 Werner, Katrin DIE LINKE 19.10.2012 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.10.2012 Ziegler, Dagmar SPD 19.10.2012 Zypries, Brigitte SPD 19.10.2012 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung der NATO Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 901. Sitzung am 12. Oktober 2012 beschlossen, zu dem am 21. September 2012 zugeleiteten nachstehenden Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 Satz 3 des Grundgesetzes eine Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zu verlangen. – Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Regulierung im Eisenbahnbereich Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Globalisierung gestalten – Partnerschaften ausbauen – Verantwortung teilen – Drucksache 17/8600 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentari-schen Versammlung der NATO 57. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO vom 7. bis 10. Oktober 2011 in Bukarest, Rumänien – Drucksachen 17/9603, 17/10707 Nr.1.1 – – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundestages in der Ostseeparlamentarierkonferenz 20. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkonferenz vom 28. bis 30. August 2011 in Helsinki, Finnland – Drucksachen 17/10498, 17/10707 Nr. 1.10 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit der Westeuropäischen Union für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2011 – Drucksachen 17/10594, 17/10707 Nr. 1.13 – Ausschuss für Kultur und Medien – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in den Jahren 2009 und 2010 – Drucksache 17/9401 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/10208 Nr. A.1 Ratsdokument 10186/12 Drucksache 17/10208 Nr. A.2 Ratsdokument 10213/12 Drucksache 17/10208 Nr. A.3 Ratsdokument 10313/12 Haushaltsausschuss Drucksache 17/9797 Nr. A.4 Ratsdokument SEK(2012)270 endg. Drucksache 17/10028 Nr. A.3 Ratsdokument 10717/12 Verteidigungsausschuss Drucksache 17/5822 Nr. A.41 EuB-BReg 154/2011 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 17/6407 Nr. A.23 Ratsdokument 10958/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.60 Ratsdokument 11845/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.61 Ratsdokument 12491/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.62 Ratsdokument 12757/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.64 Ratsdokument 13016/11 Drucksache 17/7260 Nr. A.5 Ratsdokument 13683/11 Drucksache 17/7549 Nr. A.9 Ratsdokument 14450/11 Drucksache 17/7713 Nr. A.22 Ratsdokument 15405/11 Anlagen 24142 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung, Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung, Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24143 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 24168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung, Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung, Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24167