Plenarprotokoll 17/201 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 201. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Reinhold Sendker Wahl der Abgeordneten Dr. Michael Meister und Hubertus Heil (Peine) als Mitglieder des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau Wahl des Abgeordneten Patrick Kurth (Kyffhäuser) als Mitglied in den Beirat beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR gemäß § 39 Abs. 1 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes Wahl der Abgeordneten Petra Hinz (Essen) als stellvertretendes Mitglied in den Beirat zur Auswahl von Themen für die Sonderpostwertzeichen ohne Zuschlag beim Bundesfinanzministerium Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Absetzung der Tagesordnungspunkte 4, 5, 22 und 24 Nachträgliche Ausschussüberweisungen Begrüßung der Präsidentin des Parlaments der Republik Island, Frau Ásta Jóhannesdóttir Zusatztagesordnungspunkt 2: Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes Wahl Ergebnis Tagesordnungspunkt 3: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung (Drucksachen 17/10773, 17/11174) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11178) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Minijobs mit sozialversicherungspflichtiger Arbeit gleichstellen (Drucksachen 17/7386, 17/11174) Karl Schiewerling (CDU/CSU) Anette Kramme (SPD) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) Diana Golze (DIE LINKE) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) (Erklärung nach § 30 GO) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) (Erklärung nach § 30 GO) Max Straubinger (CDU/CSU) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Sebastian Blumenthal (FDP) Diana Golze (DIE LINKE) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) Heike Brehmer (CDU/CSU) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) Namentliche Abstimmung Ergebnis Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Praxisgebühr sofort abschaffen (Drucksache 17/11192) b) Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Praxisgebühr jetzt abschaffen (Drucksache 17/11141) c) Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Praxisgebühr und Zusatzbeiträge jetzt abschaffen (Drucksache 17/11179) Dr. Karl Lauterbach (SPD) Johannes Singhammer (CDU/CSU) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) Heinz Lanfermann (FDP) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jens Spahn (CDU/CSU) Dr. Karl Lauterbach (SPD) Dr. Edgar Franke (SPD) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) Karin Maag (CDU/CSU) Steffen-Claudio Lemme (SPD) Rudolf Henke (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 48: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Auswandererschutzgesetzes (Drucksache 17/11047) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des Internationalen Privatrechts (Drucksache 17/11049) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlägen für einen -Beschluss des Rates über die Unterzeichnung und für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts (Drucksache 17/11050) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des AZR-Gesetzes (Drucksache 17/11051) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 2004 zur Kontrolle und Behandlung von Ballastwasser und Sedimenten von Schiffen (Ballastwasser-Gesetz) (Drucksache 17/11052) f) Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Ute Koczy, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz bei Steinkohleimporten (Drucksache 17/10845) g) Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Thomas Gambke, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erleichterungen für Klein- und Kleinstkapitalgesellschaften bei der Offenlegung der Jahresabschlüsse (Drucksache 17/11027) h) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn, Renate Künast, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aufsichtsrat neu besetzen, Geschäftsführer entlassen und den Flughafen Berlin-Brandenburg skandalfrei fertigstellen (Drucksache 17/11168) Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Michael Hartmann (Wackernheim), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Europäische Harmonisierung im Datenschutz auf hohem Niveau -sicherstellen – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (Drucksache 17/11144) Tagesordnungspunkt 49: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die weitere Bereinigung von Übergangsrecht aus dem Einigungsvertrag (Drucksachen 17/10755, 17/11092) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2013 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2013) (Drucksachen 17/10915, 17/11165) c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr sowie zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes (Drucksachen 17/10958, 17/11181) d) – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerhinterziehung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksachen 17/10751, 17/11106) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (Drucksachen 17/10752, 17/11106) e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Klimagerechte Stadtpolitik – Potentiale nutzen, soziale Gerechtigkeit garantieren, wirtschaftliche Entwicklung unterstützen – zu dem Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Stephan Kühn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz in der Stadt – zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Ingrid Nestle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Energieeffizienz und Klimaschutz im Gebäudebereich (Drucksachen 17/7023, 17/5368, 17/5778, 17/8384) f)–l) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 480, 481, 482, 483, 484, 485 und 486 zu Petitionen (Drucksachen 17/11020, 17/11021, 17/11022, 17/11023, 17/11024, 17/11025, 17/11026) Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zu Äußerungen des Vizekanzlers Dr. Rösler, das Betreuungsgeld koste viel Geld, sei nicht gegenfinanziert und eine Bildungskomponente fehle völlig Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) Markus Grübel (CDU/CSU) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Patrick Meinhardt (FDP) Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Norbert Geis (CDU/CSU) Caren Marks (SPD) Florian Toncar (FDP) Rolf Schwanitz (SPD) Daniela Ludwig (CDU/CSU) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 7: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2013 (Beitragssatzgesetz 2013) (Drucksachen 17/10743, 17/11059 (neu), 17/11175) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11177) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Anton Schaaf, Anette Kramme, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Schaffung eines Demographie-Fonds in der gesetzlichen Rentenversicherung zur Stabilisierung der Beitragssatzentwicklung (Demographie-Fonds-Gesetz) (Drucksachen 17/10775, 17/11175) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rentenbeiträge nicht absenken – Spielräume für Leistungsverbesserungen nutzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beitragssätze nachhaltig stabilisieren, Erwerbsminderungsrente verbessern, Reha-Budget angemessen ausgestalten (Drucksachen  17/10779,  17/11010, 17/11175) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Anton Schaaf (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Anton Schaaf (SPD) Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Psychische Belastungen in der Arbeitswelt reduzieren (Drucksache 17/11042) b) Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Psychische Gefährdungen mindern – Alters- und alternsgerecht arbeiten (Drucksache 17/10867) Jutta Krellmann (DIE LINKE) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD) Pascal Kober (FDP) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ulrich Lange (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 9: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt in der Fassung vom 5. April 2012 (Drucksachen 17/10059, 17/11093) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11096) Olav Gutting (CDU/CSU) Joachim Poß (SPD) Dr. Volker Wissing (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Dr. Volker Wissing (FDP) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF Martin Gerster (SPD) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Tobias Lindner, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wirtschaft im Umbruch – Wandel ökologisch, sozial und europäisch gestalten (Drucksache 17/11162) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Chancen nutzen – Vorsorgende Wirtschaftspolitik jetzt einleiten (Drucksachen 17/8346, 17/8642) Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) Ingo Egloff (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Ulla Lötzer (DIE LINKE) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht (Drucksachen 17/10040, 17/10252, 17/11119) Peter Aumer (CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD) Björn Sänger (FDP) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) Kerstin Tack (SPD) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zukunft des Mautkonzeptes in Deutschland (Drucksachen 17/9623, 17/11098) Uwe Beckmeyer (SPD) Karl Holmeier (CDU/CSU) Florian Pronold (SPD) Sabine Leidig (DIE LINKE) Oliver Luksic (FDP) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Steffen Bilger (CDU/CSU) Florian Pronold (SPD) Tagesordnungspunkt 15: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes 2013 (Drucksachen 17/10000, 17/10604, 11190, 17/11220) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11191) b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsteuergesetzes und des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Verkehrsteueränderungsgesetz – VerkehrStÄndG) (Drucksachen 17/10039, 17/10424, 17/11183, 17/11219) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11187) Olav Gutting (CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Dr. Daniel Volk (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Patricia Lips (CDU/CSU) Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Erklärung nach § 31 GO) Michael Kauch (FDP) (Erklärung nach § 31 GO) Namentliche Abstimmungen Ergebnisse Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neue Chancen für Menschen mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt (Drucksache 17/9974) Josip Juratovic (SPD) Ulrich Lange (CDU/CSU) Sevim Da?delen (DIE LINKE) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Uwe Schummer (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 13: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts (Drucksachen 17/10774, 17/11180) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11189) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Richard Pitterle, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verlustverrechnung einschränken – Steuereinnahmen sicherstellen (Drucksachen 17/5525, 17/11180) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Dr. Volker Wissing (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Hochschulzugang bundesgesetzlich regeln – Recht auf freien Zugang zum Master sichern (Drucksache 17/10861) Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr (Drucksachen 17/9694, 17/11182) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD) Stephan Thomae (FDP) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 16: a) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus dem nationalen Bildungsbericht ziehen – Bildungsblockaden aufbrechen und mehr Teilhabe ermöglichen (Drucksache 17/11074) b) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Markus Kurth, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zusammen lernen – Recht auf inklusive Bildung bundesweit umsetzen (Drucksache 17/11163) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Dr. Ilja Seifert, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gemeinsam lernen – Inklusion in der Bildung endlich umsetzen (Drucksache 17/11143) Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2063 (2012) vom 31. Juli 2012 (Drucksache 17/11036) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA Christoph Strässer (SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMVg Christine Buchholz (DIE LINKE) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Philipp Mißfelder (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolutionen 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und 2057 (2012) vom 5. Juli 2012 (Drucksache 17/11037) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMVg Christine Buchholz (DIE LINKE) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Philipp Mißfelder (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Johannes Pflug, Dr. Rolf Mützenich, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine kohärente Gesamtstrategie für Pakistan – Für eine aktive Einbindungsdiplomatie, Stärkung der demokratischen Kräfte und eine verlässliche Entwicklungszusammenarbeit (Drucksache 17/11033) Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 17/10750, 17/11176) Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Steffen-Claudio Lemme, Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Betroffenen Frauen nach dem Anti-D-Hilfegesetz zu mehr Verfahrenssicherheit und Transparenz verhelfen (Drucksache 17/10645) Karin Maag (CDU/CSU) Steffen-Claudio Lemme (SPD) Dr. Erwin Lotter (FDP) Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 17/10146, 17/11184) Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lebenssituation der durch Contergan geschädigten Menschen mit einem Dritten Conterganstiftungsänderungsgesetz und weiteren Maßnahmen spürbar verbessern (Drucksache 17/11041) Thomas Jarzombek (CDU/CSU) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) Nicole Bracht-Bendt (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 30: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister und zur Änderung anderer Gesetze (Drucksachen  17/10749,  17/10962, 17/11185) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11188) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Max Straubinger (CDU/CSU) Anton Schaaf (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Klaus Ernst (DIE LINKE) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Dorothea Steiner, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wertstoffsammlung verbessern – Mehr Ressourcen aus Abfällen zurückgewinnen (Drucksache 17/11161) Michael Brand (CDU/CSU) Gerd Bollmann (SPD) Horst Meierhofer (FDP) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 32: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und anderer Gesetze (Drucksachen 17/10961, 17/11164) Lena Strothmann (CDU/CSU) Andrea Wicklein (SPD) Claudia Bögel (FDP) Johanna Voß (DIE LINKE) Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Wolfgang Gunkel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht (Drucksache 17/9187) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Rüdiger Veit (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 33: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 17/10746, 17/11105) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Rüdiger Veit (SPD) Serkan Tören (FDP) Sevim Da?delen (DIE LINKE) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Tagesordnungspunkt 29: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Griese, Dr. Eva Högl, Michael Roth (Heringen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Nationales Reformprogramm 2012 muss soziale Ziele der Strategie „Europa 2020“ berücksichtigen (Drucksachen 17/9154, 17/9480) Lena Strothmann (CDU/CSU) Kerstin Griese (SPD) Michael Schlecht (DIE LINKE) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Tagesordnungspunkt 35: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Erweiterung des Geltungsbereichs der Verordnung (EU) Nr. 1214/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über den gewerbsmäßigen grenzüberschreitenden Straßentransport von Euro-Bargeld zwischen Mitgliedstaaten des Euro-Raums (Drucksachen 17/10759, 17/11186) Peter Aumer (CDU/CSU) Martin Gerster (SPD) Holger Krestel (FDP) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 31: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mineralölhaltige Druckfarben bei wiederverwendbarem Papier und Lebensmittelverpackungen verbieten (Drucksachen 17/7371, 17/10661) Mechthild Heil (CDU/CSU) Elvira Drobinski-Weiß (SPD) Dr. Erik Schweickert (FDP) Karin Binder (DIE LINKE) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 37: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes und anderer Gesetze (Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetz) (Drucksache 17/8802) b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Unterhaltsvorschussrecht (Drucksache 17/2584) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Norbert Geis (CDU/CSU) Caren Marks (SPD) Sibylle Laurischk (FDP) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 39: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend ein Mitteilungsverfahren (Drucksache 17/10916) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) Eckhard Pols (CDU/CSU) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) Miriam Gruß (FDP) Diana Golze (DIE LINKE) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 34: Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz als verbindliches Grundprinzip in der öffentlich finanzierten Wissenschaft verankern (Drucksache 17/11029) Tankred Schipanski (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 41: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. November 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksachen 17/10753, 17/11104) Manfred Kolbe (CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Holger Krestel (FDP) Richard Pitterle (DIE LINKE) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 36: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Johannes Pflug, Karin Roth (Esslingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Myanmar auf dem Weg zur Demokratie begleiten und unterstützen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Ute Koczy, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Myanmar – Den demokratischen Wandel unterstützen (Drucksachen 17/9727, 17/9739, 17/10903) Jürgen Klimke (CDU/CSU) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) Edelgard Bulmahn (SPD) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) Stefan Liebich (DIE LINKE) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 38: Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Ingo Egloff, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Kein Port Package III auf Kosten von Arbeitsplätzen und Sicherheit (Drucksache 17/11147) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) Matthias Lietz (CDU/CSU) Uwe Beckmeyer (SPD) Torsten Staffeldt (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 40: a) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Anwendung der Administrativhaft und willkürliche Festnahmen durch israelische und palästinensische Sicherheitskräfte verurteilen (Drucksache 17/11166) b) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Gaza-Blockade beenden (Drucksache 17/11167) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD) Dr. Rainer Stinner (FDP) Annette Groth (DIE LINKE) Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 42: a) Antrag der Abgeordneten Lars Klingbeil, Martin Dörmann, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Potenziale von WLAN-Netzen nutzen und Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber schaffen (Drucksache 17/11145) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes – Störerhaftung (Drucksache 17/11137) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Lars Klingbeil (SPD) Jimmy Schulz (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes teilgenommen haben Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung zu dem Entwurf eines Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung (Tagesordnungspunkt 3a) Rita Pawelski (CDU/CSU) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Jan-Marco Luczak und Stefanie Vogelsang (beide CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDBIS/90/Die GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundes-regierung; Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Dr. Max Stadler (beide FDP) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS/90/Die GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung; Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Canel, Michael Kauch, Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Sebastian Körber, Oliver Luksic, Patrick Meinhardt, Jan Mücke und Marina Schuster (alle FDP) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS/90/Die GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung; Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Aschenberg-Dugnus, Claudia Bögel, Marco Buschmann, Helga Daub, Patrick Döring, Jörg van Essen, Heiner Kamp, Dr. Erwin Lotter, Gabriele Molitor, Petra Müller (Aachen), Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Gisela Piltz, Werner Simmling, Joachim Spatz und Johannes Vogel (alle FDP) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS/90/Die GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung; Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Frank Heinrich, Anette Hübinger, Dr. Stefan Kaufmann, Nadine Schön (St. Wendel), Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden), Jens Spahn, Antje Tillmann, Kai Wegner, Marcus Weinberg (Hamburg), Sabine Weiss (Wesel I) und Dr. Matthias Zimmer (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS/90/Die GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung; Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS/90/Die GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung; Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Christian Hirte (CDU/CSU) Dr. Birgit Reinemund (FDP) Dr. Daniel Volk (FDP) Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Hans-Joachim Hacker, Gabriele Hiller-Ohm und Heinz Paula (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung; Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Hochschulzugang bundesgesetzlich regeln – Recht auf freien Zugang zum Master sichern (Tagesordnungspunkt 14) Tankred Schipanski (CDU/CSU) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) Swen Schulz (Spandau) (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Nicole Gohlke (DIE LINKE) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: Konsequenzen aus dem nationalen Bildungsbericht ziehen – Bildungsblockaden aufbrechen und mehr Teilhabe ermöglichen; Zusammen lernen – Recht auf inklusive Bildung bundesweit umsetzen; Gemeinsam lernen – Inklusion in der Bildung endlich umsetzen (Tagesordnungspunkt 16 a und b, Zusatztagesordnungspunkt 7) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU) Oliver Kaczmarek (SPD) Sylvia Canel (FDP) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Eine kohärente Gesamtstrategie für Pakistan – Für eine aktive Einbindungsdiplomatie, Stärkung der demokratischen Kräfte und eine verlässliche Entwicklungszusammenarbeit (Tagesordnungspunkt 19) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) Johannes Pflug (SPD) Bijan Djir-Sarai (FDP) Heike Hänsel (DIE LINKE) Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 26) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD) Miriam Gruß (FDP) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 28) Maria Michalk (CDU/CSU) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Gabriele Molitor (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Inhaltsverzeichnis 201. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zu unserer Plenarsitzung. Bevor wir in die heutige Tagesordnung eintreten, möchte ich zunächst dem Kollegen Reinhold Sendker zu seinem 60. Geburtstag gratulieren, den er gestern gefeiert hat. Alle guten Wünsche im Namen des gesamten Hauses! (Beifall) Nun müssen wir noch drei Wahlen durchführen: Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, den Kollegen Dr. Michael Meister für eine weitere Amtszeit als Mitglied des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu berufen. Die SPD-Fraktion benennt für die neue Amtsperiode erneut den Kollegen Hubertus Heil als Mitglied des Verwaltungsrates. Sind Sie mit beiden Vorschlägen einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Kollegen Dr. Michael Meister und Hubertus Heil für eine weitere Amtszeit als Mitglieder des Verwaltungsrates gewählt. Für die neue Amtszeit des Beirates beim Bundes-beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR gemäß § 39 Abs. 1 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes schlägt die FDP-Fraktion vor, den Kollegen Patrick Kurth als Mitglied zu wählen. Darf ich auch zu diesem Vorschlag Ihr Einverständnis feststellen? – Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist der Kollege Kurth für die neue Amtszeit als Mitglied des Beirates gewählt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Schließlich schlägt die SPD-Fraktion vor, als Nachfolgerin der ausgeschiedenen Kollegin Nicolette Kressl die Kollegin Petra Hinz als stellvertretendes Mitglied in den Beirat zur Auswahl von Themen für die Sonderpostwertzeichen ohne Zuschlag beim Bundesfinanzministerium zu wählen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) – Ich nehme mit besonderer Erleichterung zur Kenntnis, dass Sie offenkundig auch die einschränkende Bemerkung, dass damit kein Zuschlag verbunden ist, demütig akzeptieren. – Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist die Kollegin Petra Hinz „ohne Zuschlag“ für die neue Amtszeit als Mitglied des Programmbeirates gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Soziale Situation der Kinder in Deutschland verbessert in Zeiten christlich-liberaler Regierungspolitik (siehe 200. Sitzung) ZP 2 Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Praxisgebühr sofort abschaffen – Drucksache 17/11192 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Praxisgebühr jetzt abschaffen – Drucksache 17/11141 – c) Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Praxisgebühr und Zusatzbeiträge jetzt abschaffen – Drucksache 17/11179 – ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 48 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Michael Hartmann (Wackernheim), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Europäische Harmonisierung im Datenschutz auf hohem Niveau sicherstellen hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Drucksache 17/11144 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zu Äußerungen des Vizekanzlers Dr. Rösler, das Betreuungsgeld koste viel Geld, sei nicht gegenfinanziert und eine Bildungskomponente fehle völlig ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Chancen nutzen – Vorsorgende Wirtschaftspolitik jetzt einleiten – Drucksachen 17/8346, 17/8642 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Dr. Ilja Seifert, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gemeinsam lernen – Inklusion in der Bildung endlich umsetzen – Drucksache 17/11143 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Außerdem werden die Tagesordnungspunkte 4, 5, 22 und 24 abgesetzt. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs unserer Tagesordnung. Schließlich darf ich noch auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam machen: Der am 27. September 2012 (195. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf und die mit diesem verbundene Unterrichtung sollen zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes – Drucksache 17/10744, 17/10797 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Der am 18. Oktober 2012 (198. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften – Drucksache 17/10957 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Gibt es Widerspruch hierzu im Ganzen oder zu einer einzelnen der vorgetragenen Veränderungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das hiermit so beschlossen. Wir kommen nun zu unserem Zusatzpunkt 2: ZP 2 Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes Nach § 5 Abs. 1 des Gesetzes über den Bundes-rechungshof wählen der Deutsche Bundestag und der Bundesrat jeweils ohne Aussprache auf Vorschlag der Bundesregierung den Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes. Zur Wahl sind die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, das heißt mindestens 311 Ja-Stimmen erforderlich. Die Bundesregierung schlägt mit Schreiben vom 24. Oktober 2012 vor, den Kollegen Christian Ahrendt zum Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes zu wählen. Ich gebe Ihnen einige Hinweise zum Wahlverfahren. Für die Wahl benötigen Sie Ihren blauen Wahlausweis, den Sie bitte, soweit Sie das noch nicht getan haben, Ihrem Stimmkartenfach entnehmen. Weiterhin benötigen Sie den blauen Stimmzettel mit Wahlumschlag. Diese Unterlagen erhalten Sie von den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Ausgabetischen vor den Wahlkabinen. Dort zeigen Sie bitte Ihren Wahlausweis vor. Die Wahl ist geheim. Das heißt, Sie dürfen Ihren Stimmzettel nur in einer der Wahlkabinen ankreuzen und dort in den Wahlumschlag legen. Andernfalls wäre die Stimmabgabe ungültig. Die Wahl kann gegebenenfalls vorschriftsmäßig wiederholt werden. Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich, darauf zu achten. Gültig sind nur Stimmzettel mit einem Kreuz bei „Ja“, „Nein“ oder „Enthalte mich“. Ungültig sind demzufolge Stimmzettel, die entweder kein Kreuz oder mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Übergeben Sie bitte, bevor Sie den Wahlumschlag in eine der Wahlurnen werfen, Ihren Wahlausweis einem der Schriftführer an der Wahlurne. Die Abgabe des Wahlausweises dient als Nachweis der Teilnahme an der Wahl. Kontrollieren Sie daher, ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt. Ich darf nun die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir zu signalisieren, ob das jeweils in der erforderlichen Anzahl der Fall ist. – Links fehlt noch ein Schriftführer. Dann eröffne ich hiermit die Wahl. Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmzettel abgegeben? (Zuruf: Nein!) – Okay. Zweiter Versuch: Haben nun alle anwesenden Mitglieder des Bundestages ihre Stimmzettel abgegeben? – Das scheint der Fall zu sein. Dann schließe ich hiermit den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl geben wir Ihnen nach der Auszählung, während des nächsten Tagesordnungspunktes, bekannt.1 Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung – Drucksache 17/10773 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – Drucksache 17/11174 – Berichterstattung: Abgeordneter Max Straubinger – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11178 – Berichterstattung: Abgeordnete Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Bettina Hagedorn Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Minijobs mit sozialversicherungspflichtiger Arbeit gleichstellen – Drucksachen 17/7386, 17/11174 – Berichterstattung: Abgeordneter Max Straubinger Über den Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Union und FDP legen heute einen Gesetzentwurf zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vor. (Elke Ferner [SPD]: Das hätten Sie besser mal bleiben lassen!) Grund ist, dass wir seit 2003 im Bereich der geringfügigen Beschäftigung keine Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze hatten und dass es um einen Inflationsausgleich geht, was ein Stück Gerechtigkeit zu den in dieser Zeit tatsächlich stattgefundenen Reallohnsteigerungen herstellt. Meine Damen und Herren, wir wissen, dass Minijobs in der Diskussion sind. Minijobs sind nichts Neues. Vor 100 Jahren, 1911, wurde in der Reichsversicherungsordnung festgelegt, dass vorübergehende Dienstleistungen versicherungsfrei blieben. 1977 wurde zum ersten Mal der Begriff „geringfügige Beschäftigung“ eingeführt. 1999 hatten wir die Angleichung zwischen Ost und West. Im Rahmen dieser Angleichung war geklärt worden, dass die Menschen unter gleichen Bedingungen arbeiten sollen. Die Entwicklung der Minijobs bekam allerdings einen Schub, und zwar 2003, als im Rahmen der Hartz-II-Gesetze eine neue Regelung eingeführt wurde, nämlich dass man zu seiner ordentlichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung noch einen Minijob dazu haben konnte. Seitdem ist die Zahl der Minijobs explo-sionsartig auf 2,5 Millionen gestiegen. Minijobs sind geschaffen worden, um Menschen aus der Schwarzarbeit herauszuholen. (Elke Ferner [SPD]: Das hat aber nicht -funktioniert!) Sie sind geschaffen worden, um das einzubeziehen, was bisher unter steuerlichen und sozialrechtlichen Gesichtspunkten nicht berücksichtigt wurde, und um den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich in der Sozialversicherung abzusichern. Unser Gesetz, dessen Entwurf Ihnen vorliegt, sieht eine Erhöhung der Entgeltgrenze bei der geringfügigen Beschäftigung von 400 auf 450 Euro und beim Gleitzonenentgelt von 800 auf 850 Euro vor. Gleichzeitig legen wir mit diesem Gesetz fest, dass Menschen, die eine geringfügige Beschäftigung ausüben, von Anfang an rentenversicherungspflichtig sind; das ist neu. Bisher sind sie es nicht. Bisher müssen sie ausdrücklich erklären, wenn sie es sein wollen. Mit diesem Gesetz ändern wir die geltende Regelung. Die Betreffenden müssen ausdrücklich erklären, dass sie nicht rentenversicherungspflichtig sein wollen. Ich halte das für einen wichtigen Schritt im Bereich der Sozialpolitik. Ich glaube, dass wir vielen Menschen in diesem Land damit einen Gefallen tun und so das Bewusstsein dafür, dass man mit einem Minijob den Schutz der Rentenversicherung bekommen kann, schärfen. Ich hoffe sehr, dass es viele Menschen gibt, die die Chancen, die damit verbunden sind, tatsächlich erkennen und nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In Zukunft wird es so sein, dass nach einer bestimmten Karenzzeit der Arbeitgeber die Verantwortung dafür trägt, dass die Arbeitnehmer, die er im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses einstellt, über die Vorteile der Rentenversicherung informiert werden. Er muss dokumentieren, dass er die Unterlagen der Knappschaft ausgehändigt hat und seiner Informationspflicht nachgekommen ist. Die Vorteile der Rentenversicherung sind eindeutig. Mit der Rentenversicherungspflicht erwirbt man schon in jungen Jahren Rentenanwartschaften. Man erwirbt über diesen Weg die Möglichkeit, Schutz vor Invalidität zu bekommen. Man hat zudem ein Recht auf Rehabilitation. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung eröffnet den Arbeitnehmern die Möglichkeit, am Riester-Sparen teilzunehmen. Ich halte das für einen wichtigen Fortschritt. In der Anhörung ist dieser Schritt einhellig von allen begrüßt worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Anette Kramme [SPD]: Waren Sie bei einem anderen Termin, Herr Schiewerling?) Wir haben heute 7,3 Millionen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Davon üben 2,5 Millionen Beschäftigte die geringfügige Beschäftigung als Nebenjob aus. Das heißt, sie haben eine ordentliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und verdienen sich darüber hinaus im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung Geld hinzu. Ich weiß, dass schnell gesagt wird, das sei Ausdruck purer Armut und Verelendung. Könnte es sein, dass die Menschen die Freiheit, die sich hier ergibt, gerne nutzen wollen? Könnte es sein, dass sie die Möglichkeit nutzen wollen, sich über diesen Weg den ein oder anderen Wunsch zu erfüllen? Aber es kann auch sein – das will ich nicht in Abrede stellen –, dass die Menschen über diesen Weg die Möglichkeit haben, ihre finanziellen Grundlagen bzw. ihr Familieneinkommen zu verbessern. Insgesamt ist festzustellen, dass von den 7,3 Millionen geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen etwa 20 Prozent Rentnerinnen und Rentner und etwa 20 Prozent Jugendliche, Schüler und Studenten sind. Das macht deutlich, dass es gerade in diesem Bereich trotz der große Spannbreite viele Menschen gibt, die ein Interesse haben, dass Minijobs als gestaltende Möglichkeit erhalten bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Natürlich will ich nicht in Abrede stellen, dass Minijobs Gefahren mit sich bringen, dass es Branchen gibt, die glauben, allein über den Weg der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ihren Betrieb aufrechtzuerhalten. Ich halte das auch unter betrieblichen Gesichtspunkten für einen völligen Irrglauben. Das wird nicht gut gehen. Der Handelsverband Deutschland hat uns mitgeteilt, dass nur 2 000 der in den letzten Jahren entstandenen 26 000 Beschäftigungsverhältnisse Minijobs sind; dem stehen 24 000 ordentliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gegenüber. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht in Ihrer schriftlichen Stellungnahme aber anders!) Das zeigt: Die Branche beschreitet in diesem Bereich neue Wege. Dies begrüßen wir ausdrücklich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich hoffe sehr, dass die Menschen die Möglichkeiten nutzen, die wir ihnen eröffnen, und dass wir sie auf ihrem weiteren Weg in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ein gutes Stück unterstützen. Immerhin hat ein Drittel aller Minijobber den Weg in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gefunden. (Elke Ferner [SPD]: Aber zwei Drittel nicht!) – Frau Kollegin Ferner, wenn zwei Drittel den Weg dorthin nicht gefunden haben, dann heißt das nicht, dass sie ihn nicht gehen durften. Viele von ihnen wollten ihn auch nicht gehen, (Elke Ferner [SPD]: Zehn Jahre und mehr sind viele in einem Minijob!) weil sie sich bewusst für diesen Schritt entschieden haben. Ich hoffe sehr, dass der jetzt eingeschlagene Weg zu einer guten Entwicklung führen wird. (Elke Ferner [SPD]: Ich hoffe, dass diese -Regierung bald am Ende ist!) Wir bitten Sie um Ihre Unterstützung unseres Gesetzentwurfs. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ehrentribüne hat die Präsidentin des Parlaments der Republik Island, Frau Asta Johannesdottir, mit ihrer Delegation Platz genommen. (Beifall) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie im Namen des ganzen Hauses. Für Ihren Aufenthalt in Deutschland, Ihre Besuche sowie für die weiteren Gespräche wünschen wir Ihnen alles Gute. Wir freuen uns über die immer enger werdenden Verbindungen zwischen unseren beiden Parlamenten. Vielen Dank für Ihr Interesse. (Beifall) Nächste Rednerin ist die Kollegin Anette Kramme für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Anette Kramme (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben folgende Tatsache zu beobachten: In dieser Legislaturperiode wurde uns bislang von der Arbeitsministerin lediglich eine Handvoll von Gesetzen vorgelegt. Jetzt aber geht es wahrlich Schlag auf Schlag, ein Gesetzentwurf jagt den anderen – zum Rentenbeitrag, zur Unfallversicherung, zu den Minijobs. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Hier wird regiert! Die Fraktion arbeitet!) Sogar bei den Regelungen für die Bezirksschornsteinfeger wird an den Stellschrauben gedreht. Das artet in geradezu hektischen Aktionismus aus. Aber Sie wissen: Mit hektischem Aktionismus geht immer schlechte Qualität einher. (Beifall bei der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Also, Frau Kramme!) Man glaubt nicht, dass diese Arbeitsministerin sage und schreibe drei Jahre Zeit hatte, um über die erwähnten Gesetzentwürfe nachzudenken. Heute beraten wir abschließend über das Thema Minijobs. Am Freitag hat Ministerin Schröder auf einer Konferenz des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 45 Minuten über die Minijobs gesprochen, den eigenen Gesetzentwurf jedoch noch nicht einmal erwähnt. Die Unionsabgeordnete Winkelmeier-Becker hat gesagt: Dieser Gesetzentwurf ist nicht das Konzept der Unionsfraktion. – Herr Schiewerling, bei Ihnen hat sich das etwas anders angehört. Auf der Webseite des Fami-lienministeriums – Sie gestatten mir, dass ich zitiere – heißt es: Im Idealfall sind Minijobs ein Übergang in die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Häufig werden sie aber diesem Anspruch nicht gerecht. … Die Attraktivität einer Beschäftigung im Minijob … wandelt sich mit der Zeit oftmals in Ernüchterung über Entwicklungschancen, Einkommensperspektiven und Alterssicherungsansprüche um. Im ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2011 heißt es, Lebensverläufe in Minijobs seien desaströs. (Elke Ferner [SPD]: Ja!) Meine Damen und Herren in der Union, ist das nicht ziemlich eindeutig? Für Rentner und Studenten mögen Minijobs eine gewisse Attraktivität haben. Dabei wäre es manchmal sinnvoller, wenn auch Studenten einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgingen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Sollen sie studieren, oder sollen sie arbeiten?) Aber für die meisten anderen Menschen werden Minijobs zur biografischen Sackgasse. Minijobber erhalten weitaus weniger Stundenlohn. Im Jahr 2006 waren es im Durchschnitt 9 Euro; Vollzeitbeschäftigte hatten 18 Euro. Es gibt Diskriminierung bei bezahltem Urlaub oder beim Mutterschutz. Im Jahr 2004 erhielt nicht einmal jeder Dreizehnte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall; von den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten waren es weitaus mehr. Es gibt Rentenarmut bei Frauen vor allen Dingen aus dem Westen. Ich habe mir gestern die Zahlen aus der AVID-Studie herausgesucht. 50 Prozent Frauen im Westen haben im Durchschnitt sieben Jahre einen Minijob in ihrer Erwerbsbiografie. Das bedeutet massive Einbußen bei der Altersrente. (Elke Ferner [SPD]: So ist das!) 10 Prozent der Frauen üben 13, 14, 15 oder sogar 16 Jahre einen Minijob aus. (Elke Ferner [SPD]: Eine tolle Perspektive!) Viele Frauen haben oft keine Wahl – gerade nach der Babypause –, einen anderen Job als einen Minijob zu bekommen. Im Handel sind über viele Jahre sozialversicherungspflichtige Jobs vernichtet worden. Genauso sieht es in der Gastronomie aus. Wenn Sie sagen, Herr Schiewerling, im Bereich des Handels habe sich etwas verändert, dann kann ich nicht nachvollziehen, dass die Zahl der Minijobs dennoch weiter ansteigt. (Beifall bei der SPD) All diese Probleme kommen aber in Ihrem Gesetzentwurf nicht vor. Sie machen zweierlei: Sie nehmen eine Ausweitung der Minijobgrenzen vor und sorgen damit für eine Verfestigung dieser katastrophalen Beschäftigungsform. Sie sagen, es solle eine Versicherungspflicht mit der Möglichkeit des Opt-out geben, schreiben aber gleichzeitig, dass diese Möglichkeit so gut wie gar nicht in Anspruch genommen werden wird. (Elke Ferner [SPD]: Ja!) Die Erhöhung der Schwellenwerte ermöglicht es noch leichter, normale Jobs in Minijobs zu zerlegen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist Quatsch!) Es geht angeblich um eine Anpassung an die allgemeine Einkommensentwicklung. Aber der Durchschnittsverdienst liegt nur bei 220 Euro. Es ist eine Illusion, davon auszugehen, dass Arbeitgeber die Stundenlöhne erhöhen werden, und auch Minijobber wollen tatsächlich höhere Stundenzahlen haben; wir haben dies erst in der Sachverständigenanhörung vernommen. Tatsächlich wollen sie circa 20 Stunden und nicht lediglich 12 Stunden in der Woche arbeiten. Wir brauchen etwas anderes. Wir brauchen eine Rückführung der Minijobs. (Beifall bei der SPD) Es geht im Prinzip um Folgendes: Wir brauchen eine Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, sodass Teilzeitbeschäftigung auch befristet ausgeübt werden kann und Frauen so wieder einer regulären Vollzeitbeschäftigung nachgehen können. Es gibt im Teilzeit- und Befristungsgesetz einen Rechtsanspruch auf Aufstockung der Arbeitszeit. Leider kennt niemand diesen Anspruch; vielleicht müssen wir ihn noch genauer und besser formulieren, damit sich daraus mehr Chancen ergeben. Wir sollten überlegen, das Nachweisgesetz zu ändern, weil gerade Minijobber häufig keine Arbeitsverträge bekommen. Wir sollten überlegen, dies – genauso wie im Berufsausbildungsgesetz – strafbewehrt zu gestalten, also Verstöße mit einer Geldbuße zu belegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir sollten, damit die Hürde bei 400 auf 401 Euro leichter überwunden wird, über die Einführung einer Gleitzeitzonenregelung nachdenken, wie es beispielsweise das Institut Arbeit und Qualifikation vorsieht. Meine Damen und Herren, zuallerletzt sei noch etwas zur Rentenversicherung gesagt: Ihre angebliche Absicherung verkommt zur Marginalie. Ihr Tiger ist nicht nur zahnlos, er ist ein pazifistischer Vegetarier. In diesem Sinne herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Johannes Vogel für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Entgegen dem, was hier jetzt wieder von der Opposition behauptet wurde, sind Minijobs ein Teil des erfolgreichen deutschen Arbeitsmarkts, der von vielen Menschen gebraucht und gewollt wird. Das werden Sie nicht wegdiskutieren können. (Beifall bei der FDP) Das ist so, weil Minijobs Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen die Möglichkeit geben, sich unkompliziert etwas dazuzuverdienen. Da sind in der Tat die Studenten. Ich kenne das aus eigener Erfahrung: Auch ich habe als Schüler und Student schon im Minijob dazuverdient. So ist es auch heute. So sind heute Minijobber zum Beispiel in großer Zahl Menschen wie eine Studentin, die nebenher kellnert, um sich das Studium zu finanzieren. Minijobs sind aber noch mehr. Sie eröffnen zum Beispiel einem Feuerwehrmann die Möglichkeit, am Wochenende im Cateringservice noch tätig zu sein und sich etwas dazuzuverdienen. Sie stellen zum Beispiel auch eine Möglichkeit für eine Seniorin dar, die im Haushalt ihrer Nachbarin noch aushelfen will, dies ebenso unkompliziert zu tun – (Zuruf der Abg. Elke Ferner [SPD]) – weil sie es will –, um nur drei Beispiele aus meinem persönlichen Bekanntenkreis zu nennen. Weil Minijobs den Menschen diese Möglichkeiten bieten und gewollt und gebraucht werden, ist es auch richtig und nur fair, nach zehn Jahren einen Inflationsausgleich zu ermög-lichen und die Grenze auf 450 Euro anzuheben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist auch richtig, dass wir das Versicherungsprinzip in der Rentenversicherung umkehren und einen Wechsel von Opt-in zu Opt-out vornehmen. So wird dafür gesorgt, dass der, der sich keine Gedanken macht, automatisch in der Rentenversicherung abgesichert ist und zum Beispiel eine Erwerbsminderungsrente und die Riester-Förderung in Anspruch nehmen kann. Gleichzeitig wird aber niemand, der das in seiner Lebenssituation nicht will, gezwungen, mehr abzuführen als heute. Das ist eine maßvolle Regelung, und auch das hat uns die Anhörung am vergangenen Montag bestätigt, wie Herr Kollege Schiewerling schon gesagt hat. Schauen wir uns doch einmal an, was den Minijobs alles vorgeworfen wird – Sie haben das ja eben auch wieder ausgeführt –: Es kam eben bei Ihnen, liebe Frau Kollegin Kramme, zum Beispiel die Behauptung, Minijobs hätten in einigen Branchen dazu geführt, dass -sozialversicherungspflichtige Beschäftigung durch Minijobs ersetzt wurde. Machen wir einmal einen Realitätstest. Interessanterweise beschäftigen drei Viertel der Arbeitgeber, die Minijobber haben, überhaupt nur drei Minijobber. Um eine sozialversicherungspflichtige Stelle zu ersetzen, brauchten sie schon vier. Das kann also nicht aufgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Elke Ferner [SPD]: Das ist eine Milchbubenrechnung, Herr Vogel!) Folgerichtig ist in den vergangenen Jahren die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung stärker gestiegen als die Zahl der Minijobs. Dies führt dazu, dass der Anteil der Minijobs am Arbeitsmarkt eben nicht zunimmt. Weil Sie das nicht glauben, habe ich Ihnen einmal die Grafik der Minijobzentrale mitgebracht. Hier ist die Kurve des Anteils der Minijobs an der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu sehen. Gäbe es eine Ersetzung, müsste die Kurve hochgehen; sie ist aber flach. (Elke Ferner [SPD]: Ihre Rede ist flach!) Das zeigt: Ersetzung sieht anders aus, sie findet einfach nicht statt. (Beifall bei der FDP – Elke Ferner [SPD]: Nein, nein, nein!) Der zweite Vorwurf, der immer wieder erhoben wird, lautet, Minijobs würden niedrig entlohnt. Da zitiere ich, weil Sie es uns nicht glauben, einmal das Statistische Bundesamt. Ihm werden Sie ja wohl glauben und es nicht in Abrede stellen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 8,4 Prozent!) Es sagt uns: Für geringfügig Beschäftigte ist zu beachten, dass sie im Unterschied zu anderen Beschäftigungsformen kaum Abzüge für Lohnsteuer und Sozialversicherung haben. Viele geringfügig Beschäftigte stehen deshalb netto besser da, als der am Bruttoverdienst gemessene … Anteil an Niedriglohnbeziehern vermuten lässt. (Elke Ferner [SPD]: Das ist eine Milchbubenrechnung!) Der mittlere Nettoverdienst von Minijobbern liegt bei 70 Prozent des Durchschnittsverdienstes. Die Kenner im Ausschuss wissen, dass dies oberhalb der Niedriglohnschwelle liegt. Im Klartext, auf Deutsch: Minijobs haben mit Niedriglohn im Regelfall eben nichts zu tun, (Lachen bei der SPD und der LINKEN) und das, obwohl Minijobs ja nun in aller Regel nicht in der Neurochirurgie angeboten werden. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das sagt nicht die Koalition, sondern das sagt uns das Statistische Bundesamt. Das dritte Argument, das immer genannt wird, lautet, Minijobs stellten eine Sackgasse für Frauen dar. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Damit muss man sich ernsthaft beschäftigen, weil wir alle wollen, dass der Anteil der Frauen an der Erwerbstätigkeit gerade in Zeiten des Fachkräftemangels hochgeht. (Elke Ferner [SPD]: Sie wollen das offenbar nicht!) Nur, stellen die Minijobs hier das Problem dar? Da muss man sich erst einmal vergegenwärtigen, dass die übergroße Mehrheit der Minijobber nicht mehr als einen -Minijob ausüben will; das zeigen uns alle Umfragen. Sie sind in einer Lebenssituation, in der sie nur einen Minijob wollen. Ein Drittel der Minijobber ist übrigens unter 25 oder über 60 Jahre alt. Sie wollen nur einen Minijob machen. (Elke Ferner [SPD]: Oh, mein Gott, wie peinlich!) Die Altersgruppe der 20- bis 25-Jährigen ist unter den Minijobbern am stärksten vertreten. Das sind in der Regel Studenten, die nur einen Minijob machen wollen. Das dürfen Sie auch nicht vergessen, wenn Sie sich dieses Instrument anschauen. In der Tat sind Frauen unter den Minijobbern – die gerne mehr arbeiten würden, das ist die Minderheit – in der Mehrheit; das stimmt. (Elke Ferner [SPD]: Zwei Drittel der Minijobber sind Frauen!) Die Frage ist aber doch: Liegt das an den Minijobs, dass sie nicht mehr als einen Minijob ausüben können, obwohl sie mehr arbeiten wollen? Liegt das nicht an etwas anderem, Frau Kollegin Ferner, zum Beispiel daran, dass es nicht genug Betreuung gibt? Oder liegt das nicht zum Beispiel daran, dass es immer noch die Steuerklasse V gibt? (Elke Ferner [SPD]: Vielleicht liegt das am Ehegattensplitting!) Und sollten wir das dann nicht ändern? Da könnten wir gemeinsam agieren. Nur dafür kann der Minijob nichts. Insofern ist es falsch, dass Sie hier die Minijobs diskreditieren; das bringt nichts. Ich habe es Ihnen schon in erster Lesung gesagt: Wenn Ihr Auto einen Motorschaden hat und Sie es sich nicht leisten können, den Motor auszutauschen, dann wechseln Sie auch nicht das Getriebe aus. Das wäre reiner Aktionismus und würde nichts zur Lösung des Pro-blems beitragen. Ein solcher Aktionismus würde aber auf dem Rücken der Minijobber ausgetragen, die einen Minijob wollen und brauchen. Sie sollten mit solchen Argumenten nicht die Minijobs diskreditieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Ich halte abschließend fest: Die Kritikpunkte betreffend die Minijobs halten einer Überprüfung nicht stand. Sie sollten die These, auf dem deutschen Arbeitsmarkt sei alles schlecht, überdenken – Sie versuchen immer wieder, dies anhand der Minijobs zu belegen – und die Diskussion nicht auf dem Rücken der Minijobber austragen. Wir machen das nicht, nehmen stattdessen den überfälligen Inflationsausgleich vor und erhöhen die Verdienstgrenze auf 450 Euro; wir werden das machen. Ich finde es schade, dass Sie nicht zustimmen. Für die 7 Millionen Minijobber draußen im Land ist es in jedem Falle das Richtige. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, komme ich zu unserem Zusatzpunkt 2 zurück und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes bekannt: abgegebene Wahlausweise 561, abgegebene Stimmen 561. Davon haben mit Ja gestimmt 449, (Beifall bei Abgeordneten der FDP) mit Nein haben gestimmt 55. 57 Mitglieder des Hauses haben sich der Stimme enthalten.2 Ungültige Stimmen hat es nicht gegeben. Damit hat der Kollege Christian Ahrendt die erforderliche absolute Mehrheit erreicht. Ich darf dem Kollegen Ahrendt zu seiner Wahl durch den Deutschen Bundestag die herzlichen Glückwünsche des Hauses aussprechen. (Beifall) Das Ergebnis der Wahl werde ich der Frau Bundeskanzlerin und dem Herrn Präsidenten des Bundesrates zu weiterer Veranlassung mitteilen. Wir setzen nun die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 3 fort. Nächste Rednerin ist die Kollegin Diana Golze für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Diana Golze (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe einmal ein paar Zeitungsüberschriften mitgebracht, übrigens nicht aus der taz oder der jungen Welt. Zum Beispiel titelte Die Welt am 3. Oktober: „Studie: Minijobs sind ‚Falle‘ für Frauen“. Die Rheinische Post erklärte am gleichen Tag: „Minijobs verschärfen den Fachkräftemangel“. Die Welt titelte am 18. Oktober: „DGB warnt Bundesregierung vor Ausweitung der Minijobs“. Der Stern schrieb: „Zahl der Zweitjobs verdoppelt – Regierung meint: Kein Anlass zur Sorge“. Im Internetportal Telepolis ist gar vom „gescheiterten Arbeitsmodell Minijob“ die Rede. Ich finde, das sind keine guten Schlagzeilen für einen Gesetzentwurf der Regierung, den sie doch als so wichtig erachtet und in den höchsten Tönen lobt. Worüber reden wir also? Wir sprechen über 7 Millionen Menschen, die in Minijobs beschäftigt sind, davon 4,8 Millionen ausschließlich in einem Minijob. Fast eine halbe Million davon, 477 000, muss ihren Minijoblohn mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken. Die Mehrheit der Minijobbenden sind Frauen. Sie arbeiten als Reinigungskräfte, in der Gastronomie, in Hotels, im Einzelhandel und zunehmend auch in Gesundheitsberufen. Die Koalitionsfraktionen wollen nun die Verdienstgrenze bei der geringfügigen Beschäftigung anheben. Aber ich sage: Das ist die falsche Medizin. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Denn nicht die Löhne der Minijobbenden werden steigen, sondern die Zahl der Minijobs wird zunehmen, mit all den Problemen, die damit einhergehen. Seit der Reform im Jahr 2003 unter Rot-Grün haben sich die Probleme verschärft, und zwar unter allen Regierungskon-stellationen. Ich möchte auf drei Schwerpunkte der Fehlentwicklungen eingehen. Erstens. Minijobs bedeuten organisiertes Lohndumping; denn sie werden fast immer unterhalb der Niedriglohnschwelle entlohnt. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes werden mehr als 80 Prozent der Minijobber unterhalb der Niedriglohnschwelle entlohnt, Herr Vogel. (Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Brutto! Sie müssen auch die zweite Zeile lesen!) Schon jetzt ist das Verhältnis von Minijobs zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung eins zu fünf. Wenn bereits 20 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse Minijobs sind, sollte dies Anlass zu großer Sorge sein über den Verfall der regulären Strukturen am Arbeitsmarkt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es hat sich ein subventionierter Parallelarbeitsmarkt gebildet, der dringend abgeschafft werden muss. (Beifall bei der LINKEN) Was macht die Regierung? Frau von der Leyen weitet das Problem durch die vorgesehene Neuregelung aus, statt es zu bekämpfen. Das ist mir vor allem deshalb ein Rätsel, weil sie in Talkshows immer mit sorgenvollem Gesicht sagt, dass man doch etwas dagegen tun müsse und dass gerade Frauen davon betroffen seien. Herr Vogel, ich möchte ihr Beispiel vom Feuerwehrmann aufgreifen, der sich am Wochenende bei einem Cateringservice etwas dazuverdient. (Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Dazuverdienen will!) Mehr als 2 Millionen in Vollzeit arbeitende Menschen wie der Feuerwehrmann müssen sich nebenbei mit einem Minijob etwas dazuverdienen. (Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Sie wollen!) Haben die alle feuchte Wände zu Hause? Können die ihre Familienmitglieder nicht mehr ertragen? Haben die zu viel Zeit? Ist das ihr Hobby? (Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt Menschen, die arbeiten gern!) – Ja, sie arbeiten gerne. Ich bin mir aber sicher, dass der von Ihnen als Beispiel genannte Feuerwehrmann gerne ein Gehalt hätte, von dem er leben und mit dem er seine Familie ernähren kann. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg van Essen [FDP]: Ja, vielleicht hat er Spaß daran! Dann lassen Sie es ihm doch!) Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Feuerwehrmann als Hobby am Wochenende bei einem Cateringservice arbeitet. Seine Kinder bekommt er dann überhaupt nicht mehr zu Gesicht. Um Menschen wie dem Feuerwehrmann zu helfen, brauchen wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Nur so bekommen die Menschen ein Gehalt, von dem sie leben können. Es darf nicht sein, dass sie trotz Arbeit arm sind. (Beifall bei der LINKEN) Herr Vogel, was Sie hier vortragen, ist so was von lebensfremd. Ich bitte Sie: Sprechen Sie einmal mit Ihrem Feuerwehrmann! (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]) – Das können wir gerne machen, Herr Vogel. Minijobs sind bei den Arbeitgebern nicht nur wegen der niedrigen Löhne beliebt, sondern auch wegen der geringen Standards, die sich eingeschliffen haben. Zum Beispiel gibt es in der Regel keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Der Mutterschutz ist nur bedingt gegeben. Bezahlter Urlaub für Minijobbende ist die Ausnahme und nicht die Regel. Dadurch sparen die Arbeitgeber noch mehr Kosten. Das ist zwar gesetzwidrig, aber die Minijobber machen den Mund nicht auf, weil sie die 400 Euro brauchen. Übrigens bekommen die meisten nicht einmal 400 Euro. Im Durchschnitt bekommen sie 260 Euro, weil die Minijobs eben so schlecht bezahlt sind. Sie machen den Mund nicht auf, weil sie diesen Zusatzverdienst brauchen, weil sie finanziell von ihm abhängig sind. Das darf nicht sein! Wir dürfen keine Beschäftigten erster und zweiter Klasse in einer demokratischen Gesellschaft wie der unseren zulassen, und deshalb müssen Minijobs abgeschafft werden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Elke Ferner [SPD]) Zweiter Schwerpunkt. Minijobs sind aus gleichstellungspolitischer Sicht eine Katastrophe; denn zwei Drittel der Minijobbenden sind Frauen. Sie bewegen sich damit beruflich in einer Sackgasse mit hohen persönlichen Risiken. Selbst im Gleichstellungsbericht der Bundesregierung – bitte hören Sie auf Ihre Sachverständigen! – werden Minijobs als nicht mehr zeitgemäß eingeschätzt. Die Frauen verbleiben in wirtschaftlicher Abhängigkeit, entweder von ihrem Mann oder vom Jobcenter. Beides ist für Frauen nicht gerade attraktiv. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Altersarmut ist für sie vorprogrammiert. Deshalb besteht dringender Handlungsbedarf. Die Anhebung der Verdienstgrenzen führt zu einer Ausweitung dieser Form prekärer Beschäftigung. Wir müssen aufhören, die Minijobs auszubauen; vielmehr müssen wir sie mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gleichsetzen. (Beifall bei der LINKEN) Dritter Schwerpunkt. Minijobs bedeuten Alters-armut. Auch die Einführung einer Rentenversicherungspflicht für Minijobs ändert nichts daran, dass Minijobs Minilöhne bedeuten und daher Minirenten die Folge sind. Die Deutsche Rentenversicherung hat festgestellt: Derzeit wird für einen Minijob, der monatlich mit 400 Euro vergütet wird – wenn denn überhaupt so viel gezahlt wird –, ein Rentenbeitrag von 3,18 Euro im Jahr erworben. Mit der neuen Regelung sind wir bei 4,15 Euro – im Jahr! (Elke Ferner [SPD]: Sensationell!) Ich habe im März die Bundesregierung gefragt, was sie zu diesen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung sagt. Mir wurde schriftlich bestätigt: Nach 45 Jahren in einem Minijob mit 450 Euro Verdienst bekommt man eine Rente von 205,70 Euro. (Elke Ferner [SPD]: Sensationell!) Da wir wissen, dass vor allem Frauen lange in Minijobs verharren, und da wir wissen, dass die Minijobs kein Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt, zu einer so-zialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung sind, wissen wir auch, auf welche Katastrophe – Altersarmut von Frauen – wir mit diesen Minijobs zusteuern. Das kann doch wirklich nicht Ihr Ernst sein. (Beifall bei der LINKEN) Daran müssen wir etwas ändern, und wir dürfen das Problem nicht auch noch verschärfen. Die Koalitionsfraktionen gehen übrigens davon aus – das zeigt ihr Gesetzentwurf –, dass 90 Prozent der Minijobbenden das sogenannte Opt-out-Verfahren wählen werden, das heißt, dass sie darauf verzichten, in die Rentenversicherung einzuzahlen, weil sie von dem wenigen, was sie haben, nicht auch noch etwas in die Rentenversicherung einzahlen können. Das zeigt, dass mit diesem Vorschlag nur Sand in die Augen gestreut wird. Das ist keine Verbesserung für die Rente. Das ist kein Ausweg aus der Altersarmut. Mit -Minijobs kann man keine eigenständige Altersvorsorge aufbauen. Auch das ist ein Grund, sie abzuschaffen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Wir müssen diese Fehlanreize beseitigen. Wir müssen Minijobs endlich mit sozialversicherungspflichtiger -Beschäftigung gleichsetzen. Das entspricht auch dem Wunsch der Beschäftigten, gerade dem von Frauen. Zwei Drittel der minijobbenden Frauen, Herr Vogel – er ist leider nicht mehr da –, (Jörg van Essen [FDP]: Doch! Er ist noch da! – Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Doch!) wünschen sich eine längere Arbeitszeit. Das ist das Ergebnis von Umfragen, die nicht von der Linken gemacht worden sind, sondern diese Zahlen stammen vom Statistischen Bundesamt. Wir fordern mehr Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt. Wir fordern einen gesetzlichen Mindestlohn. Wir fordern, dass das Lohndumping endlich beendet wird. Es darf keine unterschiedliche Behandlung von Beschäftigungsformen geben. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Aus der Wissenschaft gibt es dazu verschiedene Vorschläge. Wenn wir uns in dem Ziel einig sind, dass wir keine zweite und dritte Klasse von Beschäftigten in diesem Land haben wollen, dann lassen Sie uns über den Weg streiten. Lassen Sie uns diese Verschärfung bei den prekären Beschäftigungsverhältnissen endlich beenden. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. Wir werden den Gesetzentwurf natürlich ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Brigitte Pothmer ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Wirklichkeit weiß es jeder hier im Saal: (Elke Ferner [SPD]: Die da drüben nicht!) Die Ausweitung von Minijobs ist falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Minijobs haben als Brücke in versicherungspflichtige Beschäftigung versagt. Minijobs sorgen für lebenslange ökonomische Abhängigkeit von Frauen, entweder von ihrem Ehemann oder von staatlichen Transferleistungen. Dies ist nicht allein meine Erkenntnis. Diese Erkenntnis können Sie einem Gutachten entnehmen, das die Bundesfrauenministerin in Auftrag gegeben und letzte Woche Freitag öffentlich vorgestellt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Warum finanziert das Bundesfrauenministerium teure Gutachten aus Steuergeldern und ignoriert dann die Erkenntnisse, die aus diesem Gutachten hervorgehen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Elke Ferner [SPD]: Genau!) Ich frage Sie: Wo ist in dieser Debatte eigentlich die Bundesfrauenministerin? (Elke Ferner [SPD]: Da, wo sie immer ist! -Abgetaucht!) Warum trägt sie heute hier, in dieser Debatte, die Erkenntnisse aus diesem Gutachten nicht vor? (Elke Ferner [SPD]: Genau!) Sie ignoriert nicht nur die Erkenntnisse aus dem Gutachten, das sie selbst in Auftrag gegeben hat, nein – Frau Kramme hat bereits darauf hingewiesen –, sie ignoriert auch den eigenen Gleichstellungsbericht, also den Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. In diesem Gleichstellungsbericht steht: Minijobs wirken „desas-trös“ auf die Erwerbsbiografien von Frauen. Vielleicht sollten Sie, Herr Vogel, sich diese Lektüre einmal zu Gemüte führen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich finde, es ist die Aufgabe von Frau Schröder, es ist die Aufgabe der Bundesfrauenministerin, einer Politik entgegenzuwirken, die sich so negativ auf die Erwerbsbiografien von Frauen auswirkt. Dafür wird sie gut bezahlt. Das ist ihr Job. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber nicht nur Frau Schröder duckt sich weg, wenn es um die Minijobs geht, auch Frau von der Leyen praktiziert in dieser Frage einen Totstellreflex. Frau von der Leyen, noch vor einem Jahr haben Sie der Wochenzeitung Die Zeit ins Blatt diktiert – ich zitiere –: … ich bin eine entschiedene Gegnerin der Ausweitung der Minijobs. (Elke Ferner [SPD]: Das kann sie ja nachher unter Beweis stellen!) Frau von der Leyen, seit Jahren erklären Sie Frau Schröder, was in der Frauenpolitik wichtig und richtig ist. Ich bin die Letzte, die behaupten würde, das sei nicht notwendig. Aber jetzt sind Sie gefordert. Jetzt geht es um Ihren ureigenen Verantwortungsbereich. Ich finde, wenn wir heute diesen Gesetzentwurf hier verabschieden, dann haben Sie kläglich versagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die Ausweitung von Minijobs ist nicht nur frauen-politisch desaströs, sondern auch aus arbeitsmarktpolitischer Sicht ein kapitaler Fehler. Sie weiten damit den Niedriglohnsektor aus und treiben die Spaltung auf dem Arbeitsmarkt weiter voran. Außerdem wirkt – das ist hier schon gesagt worden – die Ausweitung von Minijobs kontraproduktiv beim Kampf gegen den Fachkräftemangel. Sie wissen genauso gut wie ich – alle möglichen Untersuchungen zeigen das –: Frauen wollen mehr arbeiten. Sie wollen ihr Erwerbsarbeitsvolumen ausdehnen. Frauen wollen mehr als Minijobs. Die Wirtschaft braucht diese gut qualifizierten Frauen. Aber Minijobs halten die Frauen am Arbeitsmarkt klein. (Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Was hindert sie, Frau Kollegin? Doch nicht die -Minijobs! Steuern! Betreuung! All das!) Ihr Potenzial verkümmert. Die Qualifikationen werden abgewertet. Nur die wenigsten schaffen den Sprung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und in ein auskömmliches Einkommen. Ich frage Sie, Frau von der Leyen: Sieht so Ihr Kampf gegen den Fachkräftemangel aus? (Beifall der Abg. Elke Ferner [SPD]) Sieht so Ihr Kampf für bessere Erwerbsbiografien von Frauen aus? Das kann nicht Ihr Ernst sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Außerdem – auch das ist bekannt –: Altersarmut und Minijobs gehen Hand in Hand. Sie behaupten, der Altersarmut den Kampf anzusagen. Die Ausweitung von Minijobs ist die Ausweitung von Altersarmut. (Beifall der Abg. Elke Ferner [SPD]) So schlicht ist die Gleichung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Dass Ihre Opt-out-Regelung daran wirklich gar nichts ändern wird, das wissen Sie. Das schreiben Sie selbst in Ihrem Gesetzentwurf. (Elke Ferner [SPD]: Genau! 90 Prozent! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiße Salbe!) Sie schreiben: 90 Prozent werden diese Regelung nicht in Anspruch nehmen. Für diesen minimalen Effekt betreiben Sie einen maximalen bürokratischen Aufwand. (Elke Ferner [SPD]: Ja!) Ich habe Ihnen das schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfes vorgerechnet. 787 500 Arbeitsstunden werden in Betrieben gebraucht. Sie verbrennen in den Betrieben 22 Millionen Euro nur für den bürokratischen Aufwand. Den Beschäftigten bringt das nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Lieber Herr Vogel, ich habe mich einmal ein bisschen auf der Homepage der FDP getummelt. (Jörg van Essen [FDP]: Wie schön! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Oh!) – Ja, wir alle hier erhalten ein gutes Schmerzensgeld. Ich finde, da muss man sich das einmal zumuten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben dort eine Rubrik: Meilensteine zum Bürokratieabbau. – Herr Vogel, da lacht doch die Koralle. (Heiterkeit) Das, was Sie hier mit diesem Gesetzentwurf vorlegen, ist ein Meilenstein für Bürokratieaufbau. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Waren Sie bei der Anhörung?) Sie stellen sich jetzt hierhin und versuchen, den Eindruck zu erwecken, als würde ausgerechnet die FDP das Füllhorn über die Arbeitenden, über die Armen und Entrechteten ausschütten. Herr Vogel, das ist zynisch. Wenn Sie wirklich etwas für Geringverdiener tun wollten, dann gäben Sie endlich Ihre Bockbeinigkeit beim gesetzlichen Mindestlohn auf. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Kommen Sie nicht immer mit dem Ammenmärchen vom Inflationsausgleich. Sie wissen genauso gut wie ich: Drei Viertel aller Minijobber und Minijobberinnen kommen an die 400-Euro-Grenze überhaupt nicht heran. (Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Ein Drittel arbeitet über der Grenze!) Was Sie wollen, ist eine Ausweitung des Niedriglohnbereichs. Sie wollen mehr Niedriglohn, noch mehr Niedriglohn und noch mehr Niedriglohn. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Nach diesen Aussagen weint die Koralle!) Das wollen wir ausdrücklich nicht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Wir wollen mehr gute Arbeit, von der die Menschen auch leben können. Wir wollen Arbeit, die auch vor Altersarmut schützt. Das alles bietet Ihr Gesetzentwurf nicht. Deswegen lehnen wir ihn ab. Ich danke Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Enkelmann will zur Geschäftsordnung sprechen. Bitte schön. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, der Verlauf der Debatte macht eines sehr deutlich: Es geht hier um ein wichtiges Thema, um ein Thema, das Millionen Frauen in diesem Land beschäftigt. Wir können nicht nachvollziehen, weshalb die Frauenministerin nicht im Plenum ist. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Caren Marks [SPD]: Jetzt fragt sich die Koalition: Wer ist eigentlich die Frauenministerin? – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir beantragen deswegen nach § 42 der Geschäftsordnung die Herbeirufung der Ministerin. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Regierungsbank ist doch hervorragend besetzt!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wird das Wort zur Gegenrede gegen den Geschäftsordnungsantrag gewünscht? – Bitte schön, Herr Kollege Grosse-Brömer. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedaure, dass zwischendurch immer wieder diese Spielchen gespielt werden müssen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist kein Spiel, das ist Geschäftsordnung!) Auf der Regierungsbank sitzen die Ministerin für Arbeit und Soziales und der Parlamentarische Staatssekretär aus dem Familienministerium, Dr. Hermann Kues. Man kann natürlich der Auffassung sein, man müsse regelmäßig Minister herbeizitieren. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist Geschäftsordnung, Herr Grosse-Brömer!) – Das ist Ihr gutes Recht. Ich appelliere ja nur, darüber nachzudenken, ob es wirklich Sinn macht, diesen Meinungsaustausch zu unterbrechen, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das liegt an Ihrer Frauenministerin! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Es geht doch gar nicht um die Frauenministerin!) nur weil Ihnen eine sehr gut besetzte, fast vollständig besetzte Regierungsbank immer noch nicht ausreicht. (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Elke Ferner [SPD]: Wo denn? – Zuruf von der Linken: Auf der Regierungsbank ist fast niemand da!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich lasse über den zweifellos zulässigen Geschäftsordnungsantrag abstimmen. Wer dem Antrag der Fraktion Die Linke zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Nach meinem Eindruck hat die Mehrheit diesen Antrag abgelehnt. (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN) – Dafür ist, wie Sie wissen, nach der Geschäftsordnung das Präsidium zuständig. Diesem Eindruck hat niemand widersprochen. Damit ist der Antrag abgelehnt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir setzen die Debatte fort. Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion. Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das zeigt sehr deutlich: Die Oppositionsfraktionen wollen lieber Klamauk machen, als sich mit den Tatsachen auseinanderzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Um bei den Worten von Frau Pothmer zu bleiben: Da weint die Koralle. Es geht hier nämlich um eine ganz ernste Angelegenheit: Wollen wir die Preissteigerungsraten der vergangenen zehn Jahre anrechnen und die Geringfügigkeitsgrenze dementsprechend anheben? Frau Pothmer, Ihre Partei und auch die SPD haben 2003 der Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse zugestimmt – aber mit Begründungen, die völlig anders sind als die, die Sie heute dargelegt haben. (Elke Ferner [SPD]: Sie haben es im Vermittlungsausschuss verschlimmbessert!) Insofern ist es richtig, wenn wir die Grenzen anpassen und eine Erhöhung von 400 auf 450 Euro vornehmen sowie die Midijobgrenze von 401 auf 850 Euro ausdehnen. Dies ist sachgerecht, zumal wir es zusätzlich sozialpolitisch hervorragend untermauern. Kollege Schiewerling hat bereits darauf hingewiesen, dass wir jetzt eine generelle Rentenversicherungspflicht einführen, aus der man sich nur per Antrag verabschieden kann. Für Rentnerinnen und Rentner ist das auch sinnvoll. Schülern und Studenten würde ich eine solche Antragstellung gar nicht empfehlen, weil sie bereits mit geringsten Beiträgen Anwartschaftszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben und damit schneller die fünfjährige Wartezeit nachweisen können. Unter diesen Gesichtspunkten haben wir, glaube ich, eine großartige, auch sozialpolitisch orientierte Regelung in das Gesetz aufgenommen, verehrte Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Anette Kramme [SPD]: Sie sollten sich schämen!) Von den Kolleginnen und Kollegen wurde schon dargelegt, was die Rentenversicherungspflicht bedeutet. Damit werden Altersrentenanwartschaften erworben. Vor allen Dingen wird auch eine Anwartschaft für Rehaleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und für eine Erwerbsunfähigkeitsrente erworben. Außerdem kann man dann die Riester-Rente abschließen. Darüber hinaus hat man die Möglichkeit, zusätzliche Anwartschaftszeiten wie Zeiten für langjährig Versicherte und dergleichen mehr in der Rentenversicherung nachzuweisen. Das zeigt sehr deutlich, dass wir damit eine gute gesetzliche Grundlage geschaffen haben, die sich in keiner Weise von der Grundlage sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung unterscheidet. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Straubinger, darf der Kollege Strengmann-Kuhn Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Max Straubinger (CDU/CSU): Gerne. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Straubinger, Sie haben gerade die Bedeutung der Rentenversicherungspflicht, des Zugangs zur Erwerbsminderungsrente, zur Reha und zur Riester-Rente erläutert. Nicht zu vergessen ist, falls das irgendwann einmal kommen sollte, der Zugang zur Zuschussrente zwecks Bekämpfung der Altersarmut. Warum führen Sie, wenn Sie das so sehen, nicht eine Rentenversicherungspflicht für die Minijobber ein, sondern dieses merkwürdige Opt-out-Modell? Schließlich gehen Sie selbst davon aus – Brigitte Pothmer hat das eben schon beschrieben –, dass sich nur 10 Prozent für die Rentenversicherung entscheiden werden und die restlichen 90 Prozent dagegen. Sie haben gerade noch einmal an die Studierenden appelliert, sich doch ebenfalls sozialversicherungspflichtig beschäftigen zu lassen. Das ist durchaus vernünftig. Warum sind Sie dann nicht konsequent und führen eine Rentenversicherungspflicht für die Minijobber ein? Dann gibt es zumindest für die entsprechenden Fälle eine Absicherung. Es bestünde sogar eine Absicherung gegen Altersarmut, wenn es irgendwann einmal eine Zuschussrente, eine Garantierente oder was auch immer gibt. Warum lassen Sie sich da von der FDP über den Tisch ziehen? Ich weiß, dass Sie selbst – aus den Gründen, die Sie genannt haben – durchaus gegen das Opt-out-Modell sind. Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Kollege Strengmann-Kuhn, ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage. Natürlich könnte man es generalisieren. Dann müsste man aber auch Ausnahmen formulieren. Wir sind, glaube ich, beide der Meinung, dass man aktiven Rentnerinnen und Rentnern nicht zumuten kann, Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen zu müssen. Bei Schülern, die Zeitungen, Reklameheftchen und dergleichen austragen, ist eine Beitragszahlung in meinen Augen ebenfalls nicht sinnvoll. Insofern müsste man bei ihnen Ausnahmen machen. Man kann sich über die Opt-out-Regelung streiten; das ist völlig klar. Meines Erachtens ist es aber eine Fehlannahme – das ist auch im Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen niedergeschrieben –, dass sich möglicherweise 90 Prozent verabschieden werden. Ich bin überzeugt, dass es weit weniger sein werden. Allerdings liegt es in der Natur der Sache, dass diese Bundesregierung und unsere Fraktionen vorsichtig schätzen. Das machen wir ja auch beim Haushalt. (Lachen der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Natürlich. Wir haben in den Haushaltsgesetzen bisher immer Schulden in einer Höhe veranschlagt, die das überstieg, was dann tatsächlich an Schulden aufgenommen werden musste. – Ähnlich verfahren wir bei vielen Prognosen, bei Wirtschaftsprognosen und dergleichen mehr. Damit sind wir gut gefahren. Ich bin überzeugt, dass weit mehr als von Ihnen erwartet die Rentenversicherungspflicht in Anspruch nehmen bzw. sich nicht daraus verabschieden werden. Wir sollten uns überraschen lassen. Mit den positiven Zahlen, die dann festzustellen sind, können wir uns noch trefflich auseinandersetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich wende mich gegen die Dämonisierung der Minijobs, die heute stattfindet. Ich habe es bereits ausgeführt: Wer die Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung aufgibt, hat den Vorteil, dass der pauschale Betrag in Höhe von 15 Prozent, den der Arbeitgeber zahlt, ihm persönlich zugerechnet wird. Wenn er das nicht tut, dann hat er persönlich nichts davon, sondern es profitiert nur die allgemeine Rentenversicherung. Auch unter diesem Gesichtspunkt lohnt es sich also, die Rentenversicherungsfreiheit aufzugeben. Damit wird natürlich genauso ein Anspruch auf Altersrente begründet. Frau Kollegin Pothmer und Frau Kollegin Kramme, ob Sie 400 Euro in einem rein sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis oder in einem Minijob verdienen, ist egal. Der Rentenanspruch wird nicht höher, wenn wir an der beitragsbezogenen Rente festhalten. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch keine Rentenversicherungspflicht! – Anette Kramme [SPD]: Es geht doch um die Stellenzahlerhöhung! – Elke Ferner [SPD]: Also ist das jetzt die Beerdigung der Zuschussrente von Frau von der Leyen?) Wenn ich das SPD-Rentenkonzept betrachte, das Sie zukünftig noch überarbeiten sollten, habe ich den Eindruck, dass sich die SPD davon verabschieden will. Auch unter diesen Gesichtspunkten lohnt es sich also, dies hier sehr sachgerecht zu beurteilen und zu betrachten. (Elke Ferner [SPD]: Sie müssen das mit Frau von der Leyen besprechen!) Ich wende mich gegen die Dämonisierung der Minijobregelung, zu der es heute vor allen Dingen aus der Fraktion Die Linke wieder gekommen ist. Diese ist letztendlich in keiner Weise mit dem Ausdruck „prekäre -Beschäftigung“ zu stigmatisieren. Hier gelten genau dieselben Arbeitsbedingungen: Jeder ganz normale Tarifvertrag, die Urlaubsregelungen und die Regelungen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sind einzuhalten. (Elke Ferner [SPD]: Das tun die aber nicht!) Sie können nicht pauschal jedem Arbeitgeber unterstellen, sie würden das nicht einhalten, und ständig nur Misstrauen gegenüber allen Arbeitgebern ausdrücken. Das nicht einzuhalten, wäre bei einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung genauso möglich, indem man sagt: Ich entlohne Sie für sieben Stunden, aber zehn Stunden müssen Sie arbeiten. Das wäre ganz genau dasselbe. Das, was Sie betreiben, ist unstatthaft. Sie stellen hier alle Arbeitgeber letztendlich so dar, als ob sie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um ihren Lohn betrügen würden. Das ist aber Ihre Sache. Wir machen das nicht mit, und das lassen wir auch nicht gelten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Diana Golze [DIE LINKE]: Sie sind dafür verantwortlich!) Sie haben dann auch noch dargestellt, dass ein Minijob bedeutet, dass man mit Hartz IV aufstocken muss. (Diana Golze [DIE LINKE]: Nein, mit der Grundsicherung!) In der Regel ist das ganz anders: Die Hartz-IV-Leistungen werden durch einen Minijob aufgestockt, weil durch einen 400-Euro-Minijob 160 Euro zusätzlich verdient werden, die nicht auf die Hartz-IV-Leistung angerechnet werden. Das ist die Erfahrung – nicht umgekehrt. Die Hartz-IV-Leistung wird aufgestockt und nicht umgekehrt der Minijob durch eine Hartz-IV-Leistung. Hier verkennen Sie die Realität. Sie müssen noch einmal in Ihren Antrag hineinschauen, der von Fehlinformationen nur so strotzt. Dort wird dargestellt, dass die Arbeitgeber einen Vorteil hätten, wenn sie Beschäftigungsverhältnisse in Form von Minijobs einführen würden. Bei diesem Beschäftigungsverhältnis werden die Arbeitgeber aber mit einer Pauschale von 30 Prozent belastet, während sie nur mit 20 Prozent Lohnnebenkosten belastet werden, wenn sie ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis anbieten. Es ist sehr deutlich, dass letztendlich sowohl die Minijobber als auch die Betriebe ein Interesse an dieser Form der Beschäftigung haben können. Bei mir in der Heimat zum Beispiel wird die örtliche Tankstelle als einfacher Familienbetrieb geführt. Der Inhaber ist froh, wenn ein Student dort ein paar Stunden lang aushilft, damit sich die Familie auch einmal in Ruhe einen freien Sonntag gönnen kann. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Max Straubinger (CDU/CSU): Für diese Tätigkeit könnte niemals ein ganztägiges Beschäftigungsverhältnis bzw. eine Vollzeitbeschäftigung angeboten werden. Minijobs sind deshalb notwendig zur Flexibilisierung und vor allen Dingen zum Abarbeiten von Arbeitsspitzen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Beim Herrn Präsidenten bedanke ich mich herzlich für die Geduld. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Diana Golze [DIE LINKE]: Setzen! Sechs!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über zwei parlamentarische Initiativen, die unterschiedlicher nicht sein können. Auf der einen Seite haben wir den Gesetzentwurf von CDU/CSU und FDP zur Ausweitung der Minijobs, und auf der anderen Seite fordert die Linke die Abschaffung selbiger. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben folgende Ausgangslage: Ungefähr 7,5 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten ohne eigenständige Krankenversicherung, ohne vollwertige Rentenansprüche und ohne ein Recht auf Arbeitslosengeld I. Lohnfortzahlung bei Krankheit oder bezahlter Urlaub werden ihnen in der Regel verwehrt. Sie verdienen, obwohl die meisten von ihnen eine abgeschlossene Berufsausbildung haben, durchschnittlich etwa 5 Euro in der Stunde und 300 Euro im Monat. So, lieber Herr Kollege Vogel und Herr Straubinger, sieht die Wirklichkeit aus. Wenn Sie, Herr Kollege Straubinger, in diesem Zusammenhang von Dämonisierung sprechen, dann haben Sie wirklich keine Ahnung, wie die Wirklichkeit aussieht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der Niedriglohnsektor weitet sich aus – durch Ihr Minijobgesetz noch mehr –, und im Niedriglohnsektor wird niedrig bezahlt. Deshalb heißt er auch so, Herr Kollege Vogel. Der Übergang in existenzsichernde Beschäftigung gelingt nur selten. Die meisten dieser Beschäftigten sind Frauen, Minijobberinnen. Für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, sind diese Minijobs ganz offensichtlich der Hit; denn Sie wollen noch mehr davon. Deshalb schlagen Sie in Ihrem Gesetzentwurf vor, die Verdienstgrenze von 400 auf 450 Euro für die geringfügig Beschäftigten anzuheben. Welche Folgen wird dieses Gesetz haben? Die Minijobberinnen werden nicht etwa mehr verdienen, was vielleicht ganz gut wäre. Nein, es wird lediglich noch mehr Minijobberinnen geben. (Elke Ferner [SPD]: So ist das!) Damit steigt der Anteil der Frauen, die entweder von ihrem Partner oder von Sozialleistungen abhängig sind. Es wird im Zusammenhang mit den Minijobs viel von der „dazuverdienenden Ehefrau“ gesprochen. Die Wirklichkeit ist: Nicht einmal die Hälfte aller Minijobberinnen hat heute einen Partner, der in einem regulären Arbeitsverhältnis steht und sie mitversorgen könnte. Alle anderen, wenn sie nicht gerade Studentinnen oder Rentnerinnen sind, müssten eine aufstockende Sozialleistung in Anspruch nehmen; denn weder 300 noch 450 Euro Monatsgehalt sind existenzsichernd. Unser gemeinsames Ziel muss doch aber die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Männern und Frauen auf der Basis eines eigenen Einkommens sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In unserem Unterhaltsrecht und in unserer Hinterbliebenenversorgung wird davon im Übrigen schon lange ausgegangen. Davon, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, lese ich in Ihrem Gesetzentwurf nichts. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Im Gegenteil: Sie halten eine Beschäftigungsform, die einen Partner, zumeist die Frau, in einer Zuverdienerrolle sieht, ganz offensichtlich für zukunftsweisend. Diese Vorstellung ist zwar von vorvorgestern, (Elke Ferner [SPD]: Von vorvorvorgestern!) Sie halten aber daran fest und zementieren dieses Frauenbild mit Ihrem Minijobgesetz. Ehegattensplitting und die kostenlose Krankenmitversicherung tun ihr Übriges. Frauen werden so wichtiger Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt beraubt, jetzt und später. Jetzt bedeutet der Minijob Entgeltdiskriminierung, Abhängigkeit und in der Regel eine berufliche Sackgasse. Später führt er in die Altersarmut. Ich komme zu der von Ihnen vorgeschlagenen Rentenversicherungspflicht, die automatisch gilt, wenn die Minijobberin nicht widerspricht. Dies macht die Sache aber nicht leichter. Zwar rückt damit eine eigenständige Alterssicherung näher, aber aus zwei Gründen wird sie das Problem drohender Altersarmut nicht lösen. Erstens. Der Rentenanspruch, der erworben werden kann, ist sehr gering. Laut Rentenversicherung beträgt er maximal 4,30 Euro pro Jahr. Erst nach etwa 200 Jahren im Minijob würde man die Grenze der Grundsicherung im Alter erreichen. Zweitens muss davon ausgegangen werden – das wurde auch in unserer Anhörung am Montag deutlich –, dass mehr als neun von zehn geringfügig Beschäftigten nicht in die Rentenversicherung einzahlen werden. Eines steht fest: Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, verstehen nichts von Gerechtigkeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das haben Sie inzwischen zur Genüge bewiesen, und zwar mit ihrem Betreuungsgeld, mit der Flexi-Quote und jetzt mit diesem Frauenbenachteiligungsgesetz. Sie ignorieren dabei selbst knallharte Fakten Ihrer eigenen Bundesregierung; es wurde schon darauf hingewiesen. Der Gleichstellungsbericht bezeichnet bereits die jetzt bestehende Minijobregelung gleichstellungspolitisch als desaströs. Die jetzige Ausweitung setzt dem noch eins obendrauf. So viel zur Geschlechtergerechtigkeit. Aber auch volkswirtschaftlich gesehen ist diese – so wurde es in unserer Anhörung am Montag genannt – Ausweitung der „Stilllegung von Arbeitsvermögen“ nicht vertretbar. Herr Kollege Straubinger, Sie haben darauf hingewiesen, dass sich die SPD und die Grünen 2003 für die Ausweitung der Minijobs ausgesprochen haben. Das ist richtig. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass wir damals auf Ihren Druck hin im Vermittlungsausschuss so gehandelt haben. Zudem hatten wir damals eine andere Arbeitsmarktsituation. Wir hatten eine sehr hohe Arbeitslosigkeit. Auch wir hatten die Hoffnung, durch die Minijobs eine Brücke in reguläre Beschäftigung, in den ersten Arbeitsmarkt schlagen zu können. Leider hat sich das als Illusion, als falsch erwiesen. Deshalb müssen wir nachsteuern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben heute eine ganz andere Arbeitsmarktsituation. Wir brauchen dringend Fachkräfte, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das diskutieren wir immer wieder. Wer nun meint, ausgerechnet mit der Ausweitung von Minijobs Fachkräfte gewinnen zu können, hat schlichtweg keine Ahnung vom Arbeitsmarkt. (Beifall bei der SPD) Ich fasse zusammen: Präsident Dr. Norbert Lammert: Das muss jetzt sehr konzentriert erfolgen. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Ihr Gesetzentwurf ist inakzeptabel. Er gehört in die Tonne. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sehr schön! Geht doch. – Sebastian Blumenthal ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sebastian Blumenthal (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann nur noch staunen, in welche Richtung Rot-Rot-Grün die Debatte lenkt. Frau Kramme, Sie hatten vorhin ausgeführt, das Instrument der Minijobs sei ein katastrophales Instrument, das nun ausgeweitet werden solle. (Elke Ferner [SPD]: Sagt im Gleichstellungsbericht Ihre Expertin!) Ich frage Sie und die SPD-Fraktion: Wie stehen Sie dazu, dass wir den 163 geringfügig beschäftigten Mitarbeitern bei Ihnen in der Bundestagsfraktion – ich habe mir einmal angeschaut, wie viele bei Ihnen auf Basis der Minijobregelung beschäftigt sind – mit der Ausweitung der Verdienstgrenze neue Möglichkeiten eröffnen? – Sie sprechen von der Ausweitung eines katastrophalen Arbeitsmarktinstruments, arbeiten aber in Ihrer Bundestagsfraktion selbst mit diesem Instrument. Das ist auf gar keinen Fall glaubhaft, und das diskreditiert schon Ihre ganze Argumentationsführung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Das sind Praktikantenverträge! Bei uns bekommen die Praktikanten wenigstens noch Geld! – Anette Kramme [SPD]: Da sind die Auszubildenden drin!) Ich komme zu den Grünen. Frau Pothmer, Ihr Beitrag war nicht nur frei von biologischen Grundkenntnissen – Stichwort: Da lacht doch die Koralle –, sondern auch Sie müssen einen Widerspruch aufklären: Obwohl Sie das Instrument hier sehr stark negativ dargestellt -haben, sind in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen 43 Mitarbeiter auf genau dieser Basis beschäftigt. Ich kann Ihnen sogar noch weitere Beispiele nennen, die belegen, dass in Wahlkreisbüros, in den Kreisverbänden usw. sowie in weiteren Untergliederungen genau mit diesem Arbeitsmarktinstrument Arbeitsplätze auch im Umkreis von Bündnis 90/Die Grünen geschaffen werden. Ihre Argumentation ist genauso wenig glaubhaft wie die Argumentation der SPD. Ansonsten müssten Sie ja auf dieses Instrument verzichten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Im Gegensatz zu Ihnen bezahlen wir unsere Praktikanten!) Ich komme zur Fraktion Die Linke. Frau Golze, Sie hatten dem Kollegen Vogel vorhin unterstellt, er würde lebensfremd argumentieren. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Völlig zu Recht!) Ich möchte Ihnen zurückgeben: Auch Ihre Argumentation scheint realitätsfremd zu sein. In der Bundestagsfraktion Die Linke werden 67 Mitarbeiter genau auf dieser Basis beschäftigt. Das sind mehr als 10 Prozent der Mitarbeiter, die bei der Fraktion Die Linke insgesamt im Einsatz sind. Ich möchte Ihnen noch ein weiteres Beispiel nennen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Darf die Kollegin Golze Ihnen eine Zwischenfrage stellen, bevor Sie ein weiteres Beispiel nennen? Sebastian Blumenthal (FDP): Bitte schön. Diana Golze (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich möchte Sie einfach nur fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass im Gegensatz zu der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion – zumindest nach meinen Informationen – bei den anderen Fraktionen Praktikantinnen und Praktikanten, zum Beispiel auch Studentinnen und Studenten, die innerhalb ihrer Ausbildung ein Praktikum bei einem Bundestagsabgeordneten machen, eine Aufwandsentschädigung bekommen (Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Das ist schlicht falsch!) und dass viele meiner Kollegen – ich gehe davon aus, dass das auch in den anderen Fraktionen so ist – (Anette Kramme [SPD]: So ist es!) diesen Praktikantinnen und Praktikanten dafür etwas zahlen (Elke Ferner [SPD]: Bei Ihnen! Bei denen aber offenkundig nicht!) und dass das als ordentliches Beschäftigungsverhältnis über die Bundestagsverwaltung abgewickelt wird. (Zuruf von der FDP: Wo ist denn da der Gegensatz?) Mich würde Ihre Meinung dazu interessieren. Ich glaube, wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, zieht Ihr Argument nicht. (Beifall bei der LINKEN) Sebastian Blumenthal (FDP): Vielen Dank für die Anregung, Frau Kollegin. Damit bringen Sie mich jetzt aber nicht wirklich in Verlegenheit. (Elke Ferner [SPD]: Doch!) Wenn Sie suggerieren wollen, die Fraktion der FDP würde eine solche Bezahlung nicht vornehmen, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ihre Zahlen stimmen nicht!) kann ich Ihnen das Gegenteil darlegen. (Elke Ferner [SPD]: Wie viel zahlen Sie denn Ihren Praktikanten? – Anette Kramme [SPD]: Wie viel zahlen Sie denn Ihren Praktikanten?) Sie lösen damit auch den Widerspruch nicht auf, dass Sie in Ihren Reihen mit dem Instrument der Minijobs Abgeordnetenmitarbeiter beschäftigen. Diesen Widerspruch konnten Sie auch in Ihrer Zwischenfrage nicht auflösen. Insofern ist das meine Antwort darauf: Wir zahlen auch, und Sie können den Widerspruch nicht auflösen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Setzen! Sechs! – Anette Kramme [SPD]: Welche Regelung gibt es denn bei Ihnen? Können Sie die darlegen?) Ich komme zu einem weiteren Beispiel aus den Reihen der Linken, das hochinteressant ist. Sie intonieren hier immer den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Von einer Ihrer Landtagsfraktionen gibt es eine Stellenausschreibung, die auf Basis von 450 Euro im Monat ausgeschrieben wird. Das Ganze ist als Vollzeitstelle ausgeschrieben. Wenn wir das herunterrechnen, kommen Sie mit der Ausschreibung auf einen Stundenlohn von 2,92 Euro. (Zurufe von der LINKEN: Quatsch! – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das glauben Sie doch selber nicht!) Das sind die Ausschreibungen, die Sie veröffentlichen; uns unterstellen Sie, wir würden unlauter agieren. Auch das ist widersprüchlich, Frau Kollegin. Das ist die Klammer um die Argumentationslinie von Rot-Rot-Grün: Sie unterstellen uns mit der Skandalisierung und dem Vorwurf, wir würden für prekäre Beschäftigungsverhältnisse sorgen, (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist unredlich, was Sie machen, Herr Kollege! Das ist wirklich unredlich!) dass wir Menschen in Situationen bringen, in denen kein vernünftiger Lohn mehr gezahlt wird. Sie selbst bieten aber in Ihrem realen Handeln genau solche Stellen an, ob in der Bundestagsfraktion, in den Parteiuntergliederungen oder auf der Ebene der Landesparlamente. (Elke Ferner [SPD]: Sie lügen, ohne rot zu werden! – Anette Kramme [SPD]: Sie lügen, ohne rot zu werden! Wirklich!) Mit solchem Verhalten können Sie uns mit Sicherheit nicht dazu bringen, dass wir sagen, das Instrument sei nicht gerechtfertigt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich komme noch zu weiteren Punkten. Sie haben von der Anhörung berichtet. Ich glaube, das waren Sie, Frau Pothmer. Sie hatten aus dem Gutachten für das BMSFJ zur Situation der Frauen zitiert. Meine Bitte ist: Zitieren Sie dann vollständig! Ich werde jetzt das vortragen, was Sie nicht vorgetragen haben. Das Zitat aus der Studie „Frauen im Minijob“ lautet wie folgt: Diese Entwicklung hängt eng mit den sozial- und steuerrechtlichen Regelungen für Verheiratete zusammen. … 84 % der aktuell im Minijob pur tätigen Frauen sind verheiratet (nur 10 % sind ledig). (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ehegattensplitting!) Vor allem folgenden Satz haben Sie vergessen: Die gelegentlich geäußerte These von der Ausbeutung von Frauen im Minijob durch den Arbeitgeber bestätigt sich im Horizont der subjektiven Wahrnehmung und Erfahrungen von Frauen im Minijob pur nicht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Aber wenn Sie nicht mehr im Minijob sind, schon!) Sie sehen, dass wir bei allen Punkten, die Sie uns entgegenzustellen versucht haben, mit Fakten und nackten Zahlen dagegen argumentieren können. Wir verwahren uns gegen die Art und Weise, wie Sie eine Skandalisierung dieses Instruments herbeiführen wollen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie das doch einmal Frau von der Leyen! Fragen Sie das doch einmal Frau Schröder!) Für uns gibt es gute Gründe, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich denke, dass ich auf die meisten Ihrer Punkte die entsprechende Antwort geben konnte. (Elke Ferner [SPD]: Nein! – Mechthild Rawert [SPD]: In keinster Weise!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin für die SPD-Fraktion ist die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller. (Beifall bei der SPD) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Blumenthal, ich glaube, so etwas nennt man Entlastungsangriff. In der Regel gehen die schief. So war das bei Ihnen auch. Ich werde wie die Kollegin Pothmer nicht davor -zurückschrecken, heute Mittag mit Interesse auf der Homepage der FDP-Bundestagsfraktion nachzusehen. (Jörg van Essen [FDP]: Das lohnt sich immer!) Ich erwarte eine lückenlose Darstellung, wie Sie mit -Ihren Praktikanten und Mitarbeitern umgehen. Das wüssten wir jetzt alle gerne ganz genau. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich verstehe auch, dass Sie diesen Entlastungsangriff gestartet haben. Wir erleben ja im Deutschen Bundestag zum wiederholten Male, dass diese Regierungskoalition wider besseres Wissen handelt. Das erste Beispiel ist das Betreuungsgeld. Wider besseres Wissen werden Sie es einführen. (Holger Krestel [FDP]: Bleiben Sie mal beim Thema!) Das zweite Beispiel ist genau das, über das wir heute diskutieren. Nach dem Gesetz der Serie fürchte ich: Sie werden in den wenigen Monaten, die Sie noch Zeit -haben, erneut vielfach wider besseres Wissen handeln. Wer hätte gedacht, meine Damen und Herren, dass Frauenministerin Schröder (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die nicht da ist, kein Interesse hat!) mit der Vorstellung des Gutachtens die amtierende Arbeits- und Sozialministerin frauenpolitisch überholen könnte? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich finde, das ist ein besonderer Moment in unserer -Republik. Ich habe den großen Wunsch, dass wir in Sachen -Minijobs alle miteinander die rosaroten Brillen ablegen. Dann würde es allerdings kräftige Fallgeräusche in Ihren Reihen geben, weil Sie im Gegensatz zu uns den Arbeitsmarkt nicht realistisch sehen. Wenn Sie diese Brillen abnehmen würden, könnten Sie das aber auch. (Elke Ferner [SPD]: Das Problem ist nur, dass sie unter den Brillen auch noch Scheuklappen haben!) Wir diffamieren keinen Arbeitgeber, aber wir sagen: Es gibt solche und solche. Leider – das werden Sie nicht entkräften können, aber Sie haben ja gleich noch das Wort – gibt es Arbeitsverhältnisse, bei denen viele Minijobber ihre Rechte nicht kennen und deshalb nicht nutzen. Das gilt für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und leider, leider nutzen das auch einige Arbeitgeber aus. Dass das nicht wenige sind, das konnten wir bei der Anhörung am Montag erfahren. Ich zitiere aus der Stellungnahme von Frau Dr. -Weinkopf in der Anhörung: Ich befürchte …, dass die Zahl der Minijobs weiter steigen wird. Durch die Anhebung der Verdienstgrenze rutschen einige hinein, die bislang sozialversicherungspflichtig waren. Von daher ist eine Ausweitung zu erwarten, die dem Arbeitsmarkt aus meiner Sicht überhaupt nicht guttut. Wir haben jetzt schon einen Minijob auf etwa fünf sozialversi-cherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Wir erweitern also den Anteil derjenigen …, die nicht voll in die Sozialversicherungspflicht einbezogen sind … Das ist die Wahrheit; darüber reden wir hier, und Sie geben Gas an dieser Stelle. Eine Regelung, über die Sie heute sagen: „90 Prozent werden sie gar nicht nutzen“, die ist ja nur 10 Prozent wert. (Elke Ferner [SPD]: Genau!) Deshalb frage ich mich: Warum regeln Sie das gesetzlich dann eigentlich so? (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich finde, das heißt, Leute hinter die Fichte zu führen, und insbesondere betrifft das Frauen. Als ich mir den Gesetzentwurf ansah, dachte ich: Das ist wie bei den Berliner Hinterhöfen. Die sind ja bekannt dafür: ein schickes Vorderhaus, dann kommt ein Hinterhof, und dann gibt es ein erstes und ein zweites Hinterhaus. Wir reden bei Minijobs im Augenblick über dieses letzte Hinterhaus. (Elke Ferner [SPD]: Den Keller!) Da gibt es keinen Aufzug nach oben, da gibt es kaum -Tageslicht, und – das will ich Ihnen sagen – da gibt es eben auch nicht den wunderbaren Aufstieg oder die Brücke, über die hier vielfach geredet wurde. Sie finden es gut, dass ein Drittel einen vermeint-lichen Übergang in den ersten Arbeitsmarkt findet. Mich interessieren die anderen zwei Drittel noch viel mehr. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die erwarten, dass wir hier handeln, und zwar auf eine Weise, die sie unterstützt. Dass das ein Gleichstellungsproblem ist, ist heute deutlich geworden. Ich bin mehr als betrübt darüber, dass Sie an dieser Stelle gar kein Wort darüber verlieren. Wir reden nicht über jene kleinen Arbeitsverhältnisse, die die Gattin eines gutverdienenden Ehemanns nebenher haben mag – das ist eine persönliche Lebensplanung, die jedem freisteht, die aber mancher Frau auch schon zum Verhängnis wurde –; wir reden darüber, dass Frauen und Männer in ordentlichen sozialversicherungspflichtigen Jobs Vollzeit arbeiten. Diese Zielperspektive haben Sie offenkundig aus den Augen verloren. (Elke Ferner [SPD]: Genau!) Das ist das eigentliche Drama, das wir heute feststellen müssen. (Beifall bei der SPD) Wo ich schon bei diesem Bild „Hinterhof und Hinterhaus“ bin, will ich Ihnen auch sagen: Genau deshalb -haben der DGB und die Regierung in NRW gute Über-legungen dazu angestellt, welche Lösungen wirklich zielführend sind. Darüber höre ich überhaupt nichts von Ihnen. Haben Sie sich beschäftigt (Elke Ferner [SPD]: Nein!) mit der Begrenzung der Wochenarbeitszeit bei Minijobs? (Elke Ferner [SPD]: Nein, haben die nicht!) Ein interessanter Vorschlag! Haben Sie sich beschäftigt mit Gleitzonen? Ich finde, das ist ein kluger Vorschlag; er ist diskussionswürdig. Nichts höre ich davon. Deshalb befürchte ich leider, dass Sie weiterhin einen gespaltenen Arbeitsmarkt haben wollen und nicht davor zurückschrecken, den Graben tiefer zu machen. Ich bedaure dies sehr. Deshalb kann es keine Zustimmung geben zu Ihrem Entsetzesentwurf – – Gesetzentwurf, der entsetzlich ist. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Elke Ferner [SPD]: „Entsetzesentwurf“, das ist gut!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Heike Brehmer hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Heike Brehmer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir heute Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vornehmen. Nach der Wirtschaftskrise hat sich der deutsche Arbeitsmarkt erfolgreich entwickelt. Die gute Entwicklung der deutschen Wirtschaft hat dazu geführt, dass sich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über Lohnerhöhungen freuen können. So konnten die Renten sowie die Sätze für das Arbeitslosengeld II angehoben und die Rentenbeitragssätze für Arbeitnehmer gesenkt werden. (Zuruf von der FDP: Sehr gut!) Wir als christlich-liberale Koalition wollen mit den Änderungen im Bereich der geringfügig Beschäftigten der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt Rechnung tragen. Angesichts der Lohnentwicklung der -letzten Jahre sehen wir es als notwendig an, die Arbeitsentgeltgrenze von 400 auf 450 Euro anzuheben. Entsprechend wird die Grenze für das Gleitzonenentgelt von 800 auf 850 Euro angepasst. (Zuruf von der FDP: Hört! Hört!) Die vielfach von der Opposition vorgebrachte Behauptung, dass Minijobs sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verdrängen, ist bei genauer Betrachtung nicht haltbar. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Stimmt nicht!) Seit 2005 ist die Zahl der Minijobber lediglich um 2,9 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum haben die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse um 9 Prozent zugelegt. Die Einführung der Minijobs im Jahr 2003 durch Rot-Grün hat zur Umwandlung der Schwarzarbeit in reguläre Beschäftigung geführt. Ein Hinweis darauf ist der starke Aufwuchs der Beschäftigungszahlen in den letzten Jahren. Hier zeigt sich, dass die Einführung der Minijobs eine richtige Entscheidung war; denn dadurch wurde Schwarzarbeit erfolgreich bekämpft. Minijobs eignen sich für Studenten, die sich etwas dazuverdienen wollen, aber auch für rüstige Senioren, welche sich etwas zu ihrer Rente dazuverdienen wollen. In den letzten Wochen bin ich wiederholt im Wahlkreis darauf angesprochen worden, wann wir nun endlich die Erhöhung im Deutschen Bundestag beschließen. Viele Menschen in geringfügiger Beschäftigung erwarten von uns, dass die Geringfügigkeitsgrenze angehoben wird. Viele Betroffene – Frau Kramme, da gebe ich Ihnen recht – wollen mehr verdienen und würden natürlich auch gern mehr arbeiten. Mit Blick auf die demografische Entwicklung werden wir mit Minijobs dem Fachkräftemangel nicht begegnen können. Zur Wahrheit gehört aber auch, zu sagen, dass für viele Bürger der Minijob die einzige Möglichkeit ist, etwas Geld dazuzuverdienen. Besonders in strukturschwachen ländlichen Regionen fehlen Vollzeitarbeitsplätze. Durch die weiten Entfernungen sind Familie und ein Vollzeitjob oft nicht unter einen Hut zu bringen. Das Fehlen von Kindertagesstätten und schlechte Verkehrsanbindungen kommen in manchen Regionen noch erschwerend dazu. Ein flexibler Minijob, mit dem man Beruf und Familie in Einklang bringen kann, ist für viele eine gute Möglichkeit, um das Haushaltsbudget etwas aufzubessern. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Fakt ist, dass bereits heute in dünn besiedelten Gebieten keine Tageszeitung pünktlich im Briefkasten wäre oder die Tankstelle nicht so lange geöffnet hätte, wenn es keine Minijobs gäbe. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das könnte man auch anders regeln, Frau Kollegin!) Ohne die geringfügig Beschäftigten wäre vieles in unserem Alltag nicht möglich. Eine Dankeschön an dieser Stelle einmal allen, die sich tagtäglich einbringen und in einem Minijob eine gute Arbeit verrichten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mit unserem vorliegenden Gesetzentwurf zur geringfügigen Beschäftigung wollen wir einen besseren Einstieg in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen ermöglichen. Minijobs sollten nur eine vorübergehende Beschäftigungsform sein. Eine jahrelange Dauerbeschäftigung in Minijobs führt später zu einer unzureichenden Altersvorsorge. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber genau das ist doch die Realität! Was erzählen Sie denn da?) Genau deswegen wollen wir mit der beabsichtigten Neuregelung eine Verbesserung der Rentenversicherungsmöglichkeiten für die geringfügig Beschäftigten schaffen. Im Zuge der Einführung der Rentenversicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte, verbunden mit der Opt-out-Regelung, müssen sich die Arbeitnehmer mit der eigenen Altersvorsorge befassen. Die Arbeitnehmer können so für die Zeit in geringfügiger Beschäftigung Entgeltpunkte für die Rentenversicherung sammeln und zu Anwartschaften für ihre Rente beitragen. Damit sind sie auch im Falle einer Erwerbsunfähigkeit abgesichert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Auch Riestern – Herr Schiewerling hat vorhin schon darauf hingewiesen – ist für die betroffene Gruppe möglich. Darüber hinaus sichern sich die Minijobber mit ihren Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung einen Anspruch auf Rehabilitationsmaßnahmen. Mit dieser Neuregelung wollen wir entscheidend den Versicherungsschutz für geringfügig Beschäftigte verbessern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser gemeinsames Ziel muss es sein, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so zu setzen, dass mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen und ein Minijob im Erwerbsleben nur eine Ausnahme bleibt. Die CDU/CSU lehnt den Antrag der Fraktion Die Linke ab. Ich würde Sie, meine Damen und Herren, bitten, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Peter Tauber, auch für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir schreiben heute eine Erfolgsgeschichte fort, bei der wir – das kann man ganz offen sagen – nicht die Urheberschaft haben. Die Urheberschaft haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vor diesem Hintergrund ist es schon bezeichnend, auf welche Art und Weise Sie ein Instrument, von dem Millionen Menschen in diesem Land profitieren, selbst infrage stellen. Das zeugt von einem Selbstverständnis – damit müssen Sie am Ende des Tages klarkommen –, das sich für mich nur sehr schwer erschließt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Wir kommen damit moralisch klar!) Wenn wir uns die Situation der Minijobber in diesem Land anschauen, dann müssen wir – da haben Sie recht – auch auf die Bereiche schauen, wo es Probleme gibt, wo Erwerbsbiografien entstehen, die uns nicht kalt lassen können, weil sie im Zweifel zu Altersarmut führen können, wo es vor allem um die Frauen geht und um die Frage: Gelingt es, aus einem Minijob heraus oder im Anschluss an einen Minijob (Elke Ferner [SPD]: Was sagt denn die Studie von Frau Schröder dazu? Haben Sie sich die einmal angeguckt?) in ein vollwertiges sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu wechseln? Zur Wahrheit gehört es aber auch, zu sagen, dass die Legende, die Sie hier stricken, dass wir eine Ausweitung der Minijobs wollen, nichts anderes ist als eine Legende. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen lediglich die Rahmenbedingungen für die Minijobber, die es gibt, verbessern. Sie wollen es ihnen dagegen verwehren, an der Lohnentwicklung der letzten Jahre und am wirtschaftlichen Aufschwung zu partizipieren, indem Sie die Minijobber in dem 400-Euro-Getto festmauern wollen. Wir wollen, dass sie mehr bekommen können, und zwar 450 Euro. Das haben die meisten Minijobber auch verdient. Sie müssen sich dann der Frage stellen: Was antworten Sie den Minijobbern, wenn sie fragen, warum sie weiterhin 400 Euro und nicht 450 Euro bekommen sollen? Darauf bin ich sehr gespannt. (Zurufe der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dass die Rede von der Ausweitung eine Legende ist, weil Sie damit unterstellen, dass es zulasten der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse geht, belegen schon die Zahlen. Während die Zahl der Minijobber seit Einführung nur leicht gestiegen ist, zwischenzeitlich sogar im ersten Quartal dieses Jahres rückläufig war, wächst die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs in diesem Land überproportional. Wir haben bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen einen Anstieg um 9 Prozent. Das sind 2,4 Millionen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ehe Sie unterstellen, dass Minijobs dies verhinderten, sollten Sie lieber etwas Mathematik machen und sich nur diese Statistik anschauen. Dann werden Sie ein bisschen schlauer. (Elke Ferner [SPD]: Eine Milchbubenrechnung ist das, was Sie gerade aufmachen!) – Schade, dass ich diesen Zwischenruf nicht verstanden habe, Frau Kollegin. (Elke Ferner [SPD]: Eine Milchbuben-rechnung ist das!) Ich werde das mit großem Interesse im Protokoll nachlesen. Vielleicht stellen Sie das nächste Mal eine Zwischenfrage. Wir müssen also mit dieser Legende aufräumen. Wir dürfen dabei die Probleme – das gestehe ich Ihnen zu – natürlich nicht aus dem Blick verlieren. Wir müssen aber auch die Fortschritte klar benennen. Das haben die Kolleginnen und Kollegen, die hier gesprochen haben, eindrucksvoll getan. Die Regelung, die wir jetzt bei der Rentenversicherung treffen wollen, ist ein solcher Fortschritt mit den beschriebenen Effekten. Einen Punkt muss man noch etwas näher benennen, weil er in der Debatte viel zu kurz kam: der Erfolg im Kampf gegen die Schwarzarbeit. (Elke Ferner [SPD]: Schauen Sie doch einmal in die Studie von Frau Schröder! Das stimmt nicht, was Sie da erzählen!) Das betrifft gerade den Bereich der häuslichen Beschäftigungsverhältnisse. Schauen Sie sich doch die Wirklichkeit an. Es mag nicht in Ihr vorgeprägtes Weltbild passen, (Elke Ferner [SPD]: Das steht in der Studie -Ihrer eigenen Regierung!) aber meistens ist die Wirklichkeit nicht so, wie man sie sich wünscht. Schauen Sie sich doch an, wie viele 400-Euro-Jobs im Haushaltsbereich entstanden sind. (Elke Ferner [SPD]: 220 000! – Zurufe der Abg. Anette Kramme [SPD]) Diese Tätigkeiten wurden früher in Schwarzarbeit ausgeübt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Darüber muss man reden. Es ist ein großer Erfolg, dass uns dies gelungen ist, und es ist wichtig, dass es diese Möglichkeiten gibt. Werfen wir einen Blick auf diejenigen, die einen Minijob haben. Allein in meinem Wahlkreis sind das 32 000 Menschen, davon 7 000 junge Menschen, die einen Minijob neben ihrem Studium, neben der Schule oder vielleicht sogar neben der Berufsausbildung ausüben. Diese jungen Menschen sagen möglicherweise: Das Ganze ist für mich eine tolle Chance, andere Bereiche des Arbeitslebens kennenzulernen. Das sind immerhin 400 Euro, um die ich nicht Mama und Papa bitten muss, sondern über die ich frei verfügen kann. – Das ist für junge Menschen viel Geld. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Insofern muss man festhalten: Es ist gut, dass es diese Jobs für junge Leute gibt, weil sie auf diese Weise lernen, wie unsere Arbeitswelt funktioniert, weil sie sich ausprobieren können, (Elke Ferner [SPD]: Weil sie sich ausbeuten lassen können!) weil sie unterschiedliche Bereiche des Arbeitslebens kennenlernen, weil sie auch die Belastungen kennenlernen, denen man sich im Arbeitsleben stellen muss. Wenn Sie das gleich als Ausbeutung definieren, dann haben Sie eines nicht verstanden: Es gibt viele Menschen, die gerne arbeiten und nicht nur deshalb neben einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zusätzlich einen Minijob ausüben, weil es mit dem Gehalt nicht reicht. Das mag es auch geben. (Elke Ferner [SPD]: Das ist die Regel!) – Das ist nicht die Regel. – Die Frage lautet aber: Was machen Sie mit diesen Menschen, wenn Sie ihnen den 400-Euro-Job wegnehmen? Es gibt sehr viele Menschen, die sagen: Ich arbeite gerne, ich möchte gerne zusätzlich in einem anderen Bereich arbeiten, und deshalb mache ich neben meinem Job noch einen Minijob. Es gibt beides. Es gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass Sie endlich aufhören, nur ein einseitiges Bild der Minijobber in diesem Land zu zeichnen. Dasselbe gilt übrigens auch für die Älteren. Natürlich gibt es auch die dramatischen Fälle, in denen die Rente nicht ausreicht und die Menschen gezwungen sind, mit einem 400-Euro-Job noch etwas hinzuzuverdienen. Es gibt jedoch sehr viele Rentnerinnen und Rentner, die so rüstig sind, dass sie noch etwas tun wollen und zum Beispiel mit einem 400-Euro-Job in ihrer alten Firma weiterarbeiten. Unsere Aufgabe ist es, diese Bandbreite abzudecken. Hierum geht es, wenn wir diesen Gesetzentwurf diskutieren. Man darf nicht pauschal sagen: Das taugt alles nichts, hier ist damals nicht ordentlich gearbeitet worden, wir krempeln das jetzt um. Das wäre der völlig falsche Ansatz bei diesem Thema. Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen: Wir hören, dass quer durch alle Fraktionen Praktikanten und Mitarbeiter auf 400-Euro-Basis beschäftigt werden. Das sind wohl eher junge Menschen, die neben dem Studium in einer Bundestagsfraktion arbeiten oder dort ein Praktikum machen und davon profitieren. Das ist ja auch in Ordnung. Das ist übrigens gängige Praxis in allen Fraktionen. Es ist nun extrem unredlich von Ihnen, den Kollegen von der FDP zu unterstellen, sie würden nach anderen Maßstäben verfahren, als wir das alle gemeinsam tun. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Das tun die doch ständig!) Umgekehrt müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, ob Sie bei Ihren Praktikanten oder Mitarbeitern, die Sie auf 400-Euro-Basis beschäftigen, auch die Arbeitszeiten einhalten. (Elke Ferner [SPD]: Ja! Doch!) Ich behaupte, nein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Das ist eine Lüge, die Sie da aufstellen!) Diese Leute werden nämlich viel länger im Büro sitzen. Den gegenteiligen Nachweis müssen Sie erbringen, wenn Sie den Kollegen von der FDP entsprechende Vorwürfe machen. Sie müssen sich an denselben Maßstäben messen lassen, die Sie an andere anlegen. (Elke Ferner [SPD]: Ich habe damit überhaupt keine Probleme! Im Gegensatz zu Ihnen!) Das ist die Wahrheit. Als Letztes gebe ich Ihnen Folgendes mit auf den Weg: Wenn wir das nächste Mal über Minijobs diskutieren, dann lassen Sie sich Ihre Reden besser von Ihren Minijobbern schreiben; dabei kommt mehr rum, als wenn Sie es machen. (Elke Ferner [SPD]: Und Sie halten Ihre -Reden am besten gar nicht!) Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Zurufe von der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurf zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11174, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 17/10773 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen nun zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Wir stimmen dabei über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion der SPD namentlich ab. Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die sie verwenden, auch Ihren Namen tragen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Bevor ich die Abstimmung eröffne, weise ich darauf hin, dass mir drei Erklärungen zur Abstimmung vorliegen. Falls es noch weitere geben sollte, fügen wir sie wie üblich dem Protokoll bei. Sind alle Abstimmungsplätze von jeweils zwei Schriftführern besetzt? – Dort ist das der Fall. Links auch? – Dann eröffne ich die Abstimmung. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich stelle die obligate Frage: Haben alle anwesenden Mitglieder an der Abstimmung teilgenommen? – Aha, da kommt noch jemand. Ich glaube, jetzt haben alle an der Abstimmung teilgenommen. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.3 Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort. Zunächst zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Minijobs mit sozialversicherungspflichtiger Arbeit gleichstellen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11174, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7386 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? (Unruhe) – Ich bitte darum, sich an der Abstimmung zu beteiligen. Wie ist es bei der CDU/CSU? Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? (Zurufe von der CDU/CSU: Alle!) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen von SPD und Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 3 a bis 3 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Praxisgebühr sofort abschaffen – Drucksache 17/11192 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Praxisgebühr jetzt abschaffen – Drucksache 17/11141 – c) Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Praxisgebühr und Zusatzbeiträge jetzt abschaffen – Drucksache 17/11179 – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt, über ihren Antrag in der Sache namentlich abzustimmen. Diese namentliche Abstimmung werden wir aber nur durchführen, wenn nicht, wie von den Koalitionsfraktionen beantragt, zuvor die Ausschussüberweisung beschlossen wird. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Karl Lauterbach für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Praxisgebühr wurde in der Großen Koalition eingeführt. Mit ihr waren damals drei Hoffnungen verbunden: Wir wollten damals die Anzahl überflüssiger Arztbesuche reduzieren, wir wollten die Anzahl unnötiger Facharztbesuche ohne vorherigen Hausarztbesuch reduzieren, und wir wollten mehr Kostenbewusstsein bei den Patienten säen. Der Erfinder der Praxisgebühr ist heute nicht bei uns; er verantwortet sich in München. Das ist Horst Seehofer gewesen. Ich erlaube hier ausdrücklich dem ZDF die Berichterstattung über diesen Punkt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Oppermann [SPD]: Das darf gesendet werden! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie sind ja ein Scherzkeks!) Horst Seehofer hat damals im Vermittlungsausschuss – ich sage dies deshalb, weil man das selten hört – darum gebeten, dass die Praxisgebühr eingeführt wird. Er war damals in einem regelrechten Zuzahlungsrausch und forderte, die Praxisgebühr bei jedem Arztbesuch zu erheben. Wir haben damals als SPD verhindern können, dass die Praxisgebühr bei jedem Arztbesuch gezahlt werden muss. Wir haben – so sage ich es einmal – das Schlimmste verhindert. Aber der Erfinder der Praxisgebühr – Unehre, wem Unehre gebührt – war Horst Seehofer. (Beifall bei der SPD) Unsere damaligen Bedenken haben sich bestätigt: Die Zahl der Arztbesuche ist gestiegen, sie ist nicht zurückgegangen. Auch die Zahl unnötiger Facharztbesuche ohne steuernde Wirkung hat zugenommen. Das Kostenbewusstsein bei den Patienten ist nicht besser geworden. Wir haben mehr Bürokratie in den Praxen; die Ärzte lehnen daher die Praxisgebühr zu Recht ab. Alte und Kranke fühlen sich diskriminiert. Sie fragen sich: Weshalb müssen wir dieses Sonderopfer erbringen, während die Krankenkassen fast 30 Milliarden Euro Überschuss erwirtschaften? Die Praxisgebühr gehört somit abgeschafft; das ist eine richtige Entscheidung. Dies bleibt auch dann eine richtige Entscheidung, wenn sich die FDP dafür einsetzt. Nicht alles, was die FDP für richtig hält, ist automatisch falsch. (Lachen des Abg. Heinz Lanfermann [FDP]) Hier sind wir mit der FDP in einem Boot. Die Praxisgebühr muss ersatzlos gestrichen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unsere Sorge ist – ich will es gleich auf den Punkt bringen –, dass die unstrittig unsinnige Praxisgebühr durch ein noch unsinnigeres Betreuungsgeld ersetzt wird. Das ist unsere Sorge. Wir wissen alle: Es ist ein Kuhhandel in Vorbereitung, der als solcher noch verdeckt werden soll. Das gelingt aber, ehrlich gesagt, recht schlecht. Die Praxisgebühr, die aus Perspektive der FDP unsinnig ist, soll gegen die Einführung des Betreuungsgeldes eingetauscht werden, das aus Sicht der FDP ebenfalls unsinnig ist. Der Vizekanzler und FDP-Vorsitzende Rösler trug vor, das Betreuungsgeld koste viel Geld, sei nicht gegenfinanziert und eine Bildungskomponente fehle völlig. Da muss man sagen: Chapeau, Herr Rösler! Damit haben Sie es auf den Punkt gebracht. Dann ist es aber völlig unklar, weshalb Herr Brüderle darauf hinweist, dass das unsinnige Betreuungsgeld jetzt eingeführt werden soll. Der Eindruck, der sich hier aufdrängt, ist: Die Praxisgebühr schadet in erster Linie Alten und Kranken; sie soll jetzt durch ein Betreuungsgeld ersetzt werden, welches in erster Linie Kindern schadet. Ich sage: Das ist der Tiefpunkt des schwarz-gelben Regierungshandwerks, wenn man hier noch von „Handwerk“ zu sprechen wagt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hier wird Murks gegen Murks getauscht. Seien wir doch ehrlich: Hier wird ein Murks zugelassen, damit ein anderer Murks abgeschafft werden kann. Es wird für Deutschland nichts erreicht. Es ist unklar, was dem Land mehr schadet: der abgeschaffte Murks oder der neu eingeführte Murks. Insofern ist die Regierungskoalition hier in einen Kuhhandel verwickelt, der zum Schluss allen Beteiligten schadet. Vizekanzler Rösler wurde vom Parlamentarischen Geschäftsführer Oppermann als „Umfaller“ bezeichnet. Ich muss sagen: Besser kann man es nicht ausdrücken; es ist tatsächlich so. Vizekanzler Rösler hat sich selbst früher einmal als „Bambus im Sturm“ bezeichnet. Wenn ich ehrlich sein soll: Er erinnert heute eher an einen eingeknickten Strohhalm als an einen Bambus im Sturm. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben der FDP und auch der Union heute ein faires Angebot zu machen. Das faire Angebot ist Folgendes: Wir haben unseren Antrag modifiziert. Wir verzichten auf jedes Beiwerk. Mit unserem heutigen Antrag gibt es die Abschaffung der Praxisgebühr pur, ohne jedes Beiwerk, keine anderen Inhalte. (Gisela Piltz [FDP]: Keine Inhalte! Das kennen wir von Ihnen!) Das heißt: Wenn es die FDP ehrlich meint, dann kann sie heute mit uns abstimmen. Ein Kuhhandel ist bei uns nicht nötig. Bei uns bekommen Sie die sinnvolle Abschaffung der Praxisgebühr, ohne dass Sie dafür einem anderen Unsinn zustimmen müssen. Die Bundeskanzlerin, die gerade gekommen ist, erweckt den Eindruck, als ob sie dies alles nichts angehe. Tatsache ist aber, dass der Murks, der hier getauscht wird, zum Schluss auch in ihrer Verantwortung liegt. Daher ist es nicht unwichtig, was wir hier beschließen. Die wichtigen Entscheidungen, die im Ausland für unser Land zu treffen sind, ersetzen kein aktives Regierungshandeln, das unsere Kinder und die alten und kranken Menschen im Land betrifft. Daher möchte ich appellieren, diese Debatte ernst genug zu nehmen. Wir bringen heute unseren Antrag ein, mit dem die Praxisgebühr abgeschafft werden kann, ohne dass sich jemand verbiegen muss, ohne Kuhhandel. Es ist eine ehrliche Abschaffung. Meine sehr verehrten Kollegen von der FDP, hier können Sie einmal Ehrlichkeit und Rückgrat zeigen. (Beifall bei der SPD) Sie können zeigen, dass Sie nicht nur Taktiker und Strategen sind, dass Sie es ernst meinen, dass Sie nicht zum Verdruss beitragen. Denn genau diese Kuhhandel, die zulasten der Menschen gehen, führen zu Politikverdrossenheit. Das ist der Grund, weshalb Sie in Umfragen bei 3 Prozent liegen und die Union in keiner Großstadt mehr ernst genommen wird und keine Wahl mehr gewinnen kann. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwischendurch gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu Ände-rungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung -bekannt: abgegebene Stimmen 583. Mit Ja haben gestimmt 315, mit Nein haben gestimmt 268, Enthaltungen keine. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 580; davon ja: 314 nein: 266 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Nein SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Da?delen Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Wir fahren in der Diskussion zum jetzigen Tagesordnungspunkt fort. Ich erteile Johannes Singhammer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Johannes Singhammer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Lauterbach, Ihnen von der Opposition geht es nicht um die Praxisgebühr. Es geht Ihnen auch nicht um die Sorgen der Patientinnen und Patienten. (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Ihnen geht es um ein schräges, taktisches Spielchen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Sie hoffen und glauben, dass Sie mit Ihrem Antrag die Koalition in Bedrängnis bringen könnten. (Elke Ferner [SPD]: So einen Antrag schaffen Sie von ganz alleine!) Lassen Sie mich eines sagen: Ihr schiefer Winkelzug ist zum Misserfolg verdammt. Warum? Weil er den Charakter einer unfreiwilligen Vorlage hat. (Elke Ferner [SPD]: Was? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zur Sache!) Sie können über die Abschaffung der Praxisgebühr und die Verringerung der Überschüsse der gesetzlichen Kran-kenversicherung nur sprechen, weil wir die historisch einmalige Situation von gefüllten Kassen im Gesundheitsfonds und bei den Krankenkassen haben. (Elke Ferner [SPD]: Über 12 Milliarden nur aus Beitragsanhebungen!) Dieses historisch Einmalige, das hat diese Koalition geschafft, weil wir die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt und eisenharte Sparmaßnahmen verfügt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD]) Das war nicht planlos, sondern planvoll. (Thomas Oppermann [SPD]: Waren Sie ein paar Jahre im Ausland?) Im vergangenen Jahr sind allein bei den Arzneimitteln 1,1 Milliarden Euro eingespart worden. Das ist der Grund für die jetzige komfortable Situation. Viele erinnern sich noch: Vor nicht weniger als zwei Jahren haben wir diskutiert: Wie können wir das sich abzeichnende Defizit von 11 Milliarden Euro vermeiden? Wie können wir das schwarze Loch im Bereich Finanzen beseitigen? Heute führen wir eine Diskussion, die im Deutschen Bundestag in den vergangenen Jahrzehnten so noch nicht geführt worden ist: Wie gehen wir mit Überschüssen im Fonds, mit Reserven bei den Kassen um? Was soll mit diesen Überschüssen geschehen? (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie den Beitragssatz großzügig angehoben haben! Das ist doch ganz klar!) Eine solche Diskussion ist für uns komfortabel, sie ist angenehm, und wir werden dafür sorgen, dass uns die Überschüsse nicht zerrinnen, sondern dass der Aspekt der Sicherheit bei der gesetzlichen Krankenversicherung gewahrt wird. Zur Praxisgebühr. Sie ist natürlich auch zum Zweck der Einnahmegewinnung eingeführt worden. In den vergangenen Jahren – darauf hat der Kollege Zöller immer wieder hingewiesen – hat die Praxisgebühr 16 Milliarden Euro eingebracht. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In einem Jahr? Niemals! – Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Niemals! – Elke Ferner [SPD]: Die Zahlen sollten Sie noch einmal überprüfen, Herr Singhammer! – Gegenruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU]: In acht Jahren! – Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Das hat er aber nicht dazu gesagt! – Gegenruf des Abg. Heinz Lanfermann [FDP]: Sie wissen doch noch, wann sie eingeführt worden ist!) – Frau Ferner, Sie kommen mir gerade recht. Sie haben Ihren Antrag ursprünglich überschrieben mit: „Hausärztinnen und Hausärzte stärken“. So haben Sie Ihren Antrag ursprünglich genannt. (Mechthild Rawert [SPD]: Toller Titel! Sehr gut!) Nun haben Sie ihn wieder beseitigt. Das ist auch gut so. (Mechthild Rawert [SPD]: Genau!) Denn die Praxisgebühr hat insbesondere bei den sogenannten Hausarztverträgen zu einer Steuerungswirkung geführt. Viele Hausarztverträge sind deshalb angestrebt worden und haben sich deshalb als attraktiv erwiesen, weil ein Bestandteil vieler dieser Verträge war, dass die Praxisgebühr in diesem Komplettpaket nicht mehr enthalten ist. Wenn jetzt die Praxisgebühr abgeschafft wird, dann bedeutet das eine massive Verringerung der Attraktivität von Hausarztverträgen. Insofern ist es richtig, dass Sie Ihren ursprünglichen Antragstext leicht verändert haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Machen Sie weiter so! Ich darf daran erinnern – Sie haben das so beiläufig erwähnt –: Die Praxisgebühr ist in der Zeit der rot-grünen Koalition beschlossen worden, (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: -Genau!) mit Zustimmung der Union. Ja, so war es. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf Betreiben der Union!) 2009 – auch das kann ich Ihnen nicht ersparen – hat die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt – nicht 2004, sondern 2009 – erklärt: Im Gegensatz zu Ländern, wo Patienten bei jedem Arztbesuch zuzahlen müssen, sei die Praxisgebühr moderat und sozial ausgewogen. Sie sagte: „Wir planen keine Erhöhung, aber auch keine Rücknahme.“ Das war vor drei Jahren. Ich stelle fest: Die politische Halbwertszeit von derartigen Bekundungen beträgt bei den Sozialdemokraten genau drei Jahre. (Elke Ferner [SPD]: Wollen wir einmal sehen, wie lange Ihre dauert!) Was machen Sie nach der Bundestagswahl als Nächstes? Wie werden Sie Ihre Meinung wieder geändert haben? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich sage Ihnen: Wichtiger als all diese Diskussionen ist für die Patientinnen und Patienten, dass sie jederzeit und überall in unserem Land eine qualitätsvolle gesundheitliche Versorgung erhalten. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das ist doch -trivial! Allgemeinplätze!) Das interessiert die Menschen draußen. Sie wollen, dass es in der Stadt und auf dem Land gleichermaßen eine qualitativ gute Versorgung gibt. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Wer will das nicht?) Deshalb fördern wir die Struktur der Gesundheitsversorgung gleichmäßig und bewerten auch die Gesundheitsversorgung als eine Strukturleistung. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Fangen Sie doch damit an!) Das wird auch künftig nicht ohne Mehrausgaben zu bewältigen sein. Wir haben mit Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des ländlichen Raumes begonnen, damit sich mehr Ärzte im ländlichen Raum niederlassen. Mit 120 Millionen Euro wollen wir die Feiertags- und Notdienste der Apotheken im ländlichen Raum honorieren. Damit stärken wir die Struktur in den ländlichen Regionen. Wir werden die Strukturleistung, die das Gesundheitswesen darstellt, weiterhin unterstützen. Denn der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und des schnellen Internets im ländlichen Raum kann keine positive Wirkung entfalten, wenn in den ländlichen Regionen keine ausreichende qualitätsvolle Gesundheitsversorgung vorhanden ist. Dann werden alle anderen Strukturmaßnahmen nichts nützen. Deshalb nehmen wir nochmals Geld in die Hand. Deshalb setzen wir hier einen Schwerpunkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Heinz Lanfermann [FDP]) Darum sage ich Ihnen: Lasst uns darüber diskutieren. Lasst uns den Menschen die Sicherheit geben, dass die Versorgung auch weiterhin garantiert ist, und lasst uns nicht mit schrägen taktischen Spielchen, die erkennbar und durchschaubar sind, die Menschen verunsichern. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Fasst euch mal an eure Nase!) Wir machen eine nachhaltige Gesundheitspolitik auf einer gesicherten finanziellen Basis. Diese Politik wird die Koalition in den verbleibenden Monaten dieser Legis-laturperiode und in der nächsten Legislaturperiode fortsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Der Wunschzettel wird noch geschrieben zu Weihnachten!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Singhammer, mich hat gewundert, dass Sie allen hier unterstellen, dass es ihnen nur um Taktik geht. Was glauben Sie eigentlich, was die Leute, die uns hier zu-hören, denken? Einigen von ihnen, die heute noch die Praxisgebühr zahlen müssen, fällt es vielleicht wirklich schwer, sie zu bezahlen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: 52 Prozent sind befreit! Reden Sie doch nicht so einen Schwachsinn!) Lassen Sie uns doch einmal über die Sache sprechen, darüber, worum es hier geht, über die Anträge der Opposition. Lassen Sie uns beleuchten, ob die Abschaffung der Praxisgebühr machbar ist oder ob das nicht machbar ist. Die Linke hat schon vor längerer Zeit einen solchen Antrag gestellt. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: -Richtig!) Sie haben im Ausschuss verhindert, dass dieser Antrag auf die Tagesordnung gekommen ist. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: -Genau so ist es!) In diesem Sinne: Lieber Karl Lauterbach, die Linke hat damals ein ehrliches Angebot unterbreitet, dem die SPD hätte zustimmen können. (Beifall bei der LINKEN) Eines ist doch ganz klar: Die Praxisgebühr ist unsozial, die Praxisgebühr ist überflüssig, und die Praxisgebühr gefährdet letztlich die Gesundheit. Wir haben schon bei der Einführung gesagt, dass wir dagegen sind. Seit langem versuchen wir, die Praxisgebühr abzuschaffen. Jetzt gibt es einen großen Wettlauf: Die Grünen sind für die Abschaffung. Die Sozialdemokraten sind für die Abschaffung. Heute habe ich gelesen, dass das rot-grüne Nordrhein-Westfalen die Abschaffung im Bundesrat beantragen will. Die FDP ist für die Abschaffung der -Praxisgebühr. Selbst bei der Union gibt es viele, die die Praxisgebühr abschaffen wollen. Eigentlich könnten wir heute ruhig abstimmen und die Praxisgebühr schlicht abschaffen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schauen Sie, es ist doch so: Auf der Gesundheitsministerkonferenz haben sich elf Länder dafür ausgesprochen, dass die Praxisgebühr abgeschafft wird. Das schwarz-gelb regierte Hessen ist dafür. Das zeigt doch ganz klar: Das sollten wir machen. Warum machen wir das nicht? Aus einem Grund: Im Koalitionsausschuss – da wird wie auf einem Basar oder bei einem Kuhhandel verhandelt – steht die Praxisgebühr mit auf der Tagesordnung. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wie wollen Sie den Menschen erklären, dass das die Politik hier im Bundestag ist? (Beifall bei der LINKEN) Ich will aber auch daran erinnern – das ist schon gesagt worden; das sollten wir alle nicht vergessen –, wann die Praxisgebühr eingeführt worden ist. Das war 2004. Das hat Rot-Grün im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes gemacht, mit Zustimmung der CDU/CSU. Das war im Rahmen der Agenda 2010. Es ging darum, die Lohnnebenkosten zu senken, die Krankenversicherungsbeiträge zu senken und eine Steuerungswirkung zu entfalten. Die Praxisgebühr war Teil eines Pakets. Ich will den Anlass nutzen, um zu sagen, was alles damals von Rot-Grün beschlossen worden ist. Es wurden ja nicht nur die 10 Euro pro Quartal beschlossen. Es wurden eine Zuzahlung von 10 Prozent zu Arznei- und Hilfsmitteln und bei einem Krankenhausaufenthalt an den ersten 28 Tagen 10 Euro pro Tag beschlossen. Es ist beschlossen worden, dass die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel und die Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung komplett von den Patientinnen und Patienten getragen werden müssen. Das Entbindungs- und das Sterbegeld sind gestrichen worden. Die Belastungsobergrenze für Zuzahlungen ist auf 2 Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens erhöht worden. Das alles ist damals von Rot-Grün im Rahmen der Agenda 2010 zulasten der Patientinnen und Patienten beschlossen worden. Die Praxisgebühr – das ist sonnenklar; ich glaube, da gibt es Konsens hier im Haus – hat ihre Ziele nicht erreicht. Die Steuerungswirkung ist nicht eingetreten. Wir können feststellen, dass es insgesamt nicht weniger Arztbesuche gibt. Es gibt sogar mehr Arztbesuche. Aber einige Versicherte verzichten deswegen auf Arztbesuche. Das sind nicht wir Bundestagsabgeordnete und andere Gutverdienende. Wer verzichtet darauf? Die Geringverdienenden sowie Rentnerinnen und Rentner. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!) Der Verzicht auf Arztbesuche führt zur Verschleppung von Krankheiten und hat negative Folgen für die Gesundheit. Letztlich führt dies sogar zu Zusatzkosten. Einige Versicherte gehen oft zum Arzt, aber gerade die sozial Schwächeren verzichten auf Arztbesuche. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Die sind alle -befreit!) Dazu kommt der bürokratische Aufwand; das wissen wir alle. Auch die FDP weist darauf hin. Die Bürokratiekosten für Arztpraxen betragen 360 Millionen Euro. Dieses Geld steht für die Patientinnen und Patienten letztlich nicht zur Verfügung. Die zusätzlichen Einnahmen betragen nicht 8 Milliarden Euro. Es sind nicht -einmal 2 Milliarden Euro pro Jahr. Wenn man diese Einnahmen einmal in Relation zu den Einnahmen des Gesundheitsfonds betrachtet – diese liegen bei ungefähr 180, 190 Milliarden Euro –, dann sieht man, dass sie circa 1 Prozent der Einnahmen des Gesundheitsfonds ausmachen. Das hat die Praxisgebühr eingebracht. Noch einmal: Die anderen Maßnahmen haben für die Patientinnen und Patienten insgesamt zusätzliche Belastungen in Höhe von 46 Milliarden Euro gebracht. Das Ergebnis ist – dies verkünden Sie jetzt mit großem Stolz –: Die Krankenversicherungen haben einen Überschuss von über 20 Milliarden Euro. Ich finde, dass es nicht in Ordnung ist, wenn auf der einen Seite die Krankenkassen einen Überschuss von 20 Milliarden Euro haben und auf der anderen Seite die Ärmsten der Bevölkerung eine Praxisgebühr zahlen müssen. Das ist nicht akzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Von den Ärmsten zahlt sie niemand!) Im Übrigen gibt es auch bei den Kassen sehr wohl differenzierte Sichtweisen. Es ist nicht so, dass alle Kassen das ganz toll finden. Es ist im Übrigen auch eine schreiende Ungerechtigkeit, dass 9 Millionen Privatversicherte diese Gebühr nicht zahlen. Dies ist eine Zweiklassenmedizin. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Geht es noch ein bisschen plumper?) Nun möchte ich einen Satz zur SPD sagen. Man kann es ja nett ausdrücken, lieber Karl Lauterbach, und es eine Weiterentwicklung von Positionen nennen und von Erkenntniszuwachs sprechen. Eines allerdings geht nicht: dass sich die SPD in dieser Frage als Speerspitze der Bewegung geriert. Das ist sie nicht. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt nämlich eine andere Fraktion, die die Abschaffung der Praxisgebühr seit vielen Jahren fordert. Ich finde es zwar gut, dass sich Ihre Position verändert hat; letztlich müssen wir aber auf etwas anderes drängen. Wir brauchen eine solidarische Bürgerversicherung, damit wir diesen Bereich insgesamt verändern. Nicht nur die Praxisgebühr muss weg. Die Beitragsbemessungsgrenze muss natürlich auch aufgehoben werden. Wir müssen Beamte, Abgeordnete und Selbstständige in das allgemeine System einzahlen lassen. Dann werden wir dieses Problem lösen können. Wir als Linke haben eine Studie anfertigen lassen. Die Ergebnisse dieser Studie sind sonnenklar. Ähnliche Erkenntnisse gibt es auch bei den Sozialdemokraten. Aktuell liegen die Beiträge bei 15,5 Prozent, nicht einmal paritätisch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt. Wir wollen eine Bürgerversicherung mit einem Beitrag in Höhe von 10,5 Prozent, wobei beide, Ar-beitgeber und Arbeitnehmer, 5,25 Prozent übernehmen. Dann könnten wir alle Zuzahlungen abschaffen, wir könnten die Praxisgebühr abschaffen, und wir könnten das Ganze finanzieren. Das wäre der Weg; das wäre wirklich eine große Lösung. (Beifall bei der LINKEN) Es ist natürlich interessant, dass auch Sie das wollen. Wir alle wissen, dass die Privatversicherungen im Niedergang sind. Das wird sich so ergeben. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Wir wollten die Bürgerversicherung zuerst! – Elke Ferner [SPD]: Die haben wir schon beschlossen, da gab es die Partei Die Linke noch gar nicht!) – Nur zu, ich bin ja für die Bürgerversicherung. Sie müssen mir aber eines erklären: Wenn Sie wirklich für die Bürgerversicherung sind, dann müsste doch für Sie – anders als für Ihren Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück – die FDP ein Albtraumpartner sein; denn die wollen das nicht. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke wäre der Traumpartner; denn wir wollen eine Bürgerversicherung. Lassen Sie uns das doch gemeinsam machen. Das wäre eine vernünftige Variante. Wir sollten darüber nachdenken, hier einen großen Schnitt zu machen, und nicht nur kurzfristig handeln. Sie haben jetzt gesagt, dass Sie einen Antrag vorlegen, in dem Sie ausschließlich die Abschaffung der Praxisgebühr fordern. Ich sage Ihnen: Wir werden Ihrem Antrag bei allen Differenzen – die Linke verhält sich da ein bisschen anders –, zustimmen. Die Grünen haben einen Antrag gestellt. Ich sage ganz klar: Die Fraktion Die Linke stimmt diesem Antrag zu. Die FDP ist für die Abschaffung der Praxisgebühr. Es könnte heute eine ganz einfache Angelegenheit sein: Wir stimmen ab, und wir schaffen die Praxisgebühr ab. Ich glaube, im Lande würden sich ganz viele darüber freuen. Ganz nebenbei: Es wäre ein Gewinn für die Demokratie, wenn wir einmal außerhalb dieser Basarhandlungen und außerhalb von Anrufen und Ähnlichem etwas im Bundestag klärten, wovon die Mehrheit des Hauses überzeugt ist. Die Mehrheit hält die Einführung der Praxisgebühr für einen großen Fehler, weil alles das, was man sich davon erwartet hat, nicht eingetroffen ist. Wir sollten endlich eine Entscheidung treffen, die im Sinne der Ärztinnen und Ärzte, im Sinne der Patientinnen und Patienten, im Sinne der Krankenkassen, also im Sinne der Mehrheit in diesem Lande ist. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Heinz Lanfermann für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Heinz Lanfermann (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben hier schon eine Vielzahl von Debatten zur Gesundheitspolitik erlebt. Mit einer ganzen Reihe von Gesetzen haben wir die Finanzen wieder in Ordnung gebracht. Wir haben den Arzneimittelmarkt völlig neu organisiert, wir haben das GKV-Versorgungsstrukturgesetz durchs Parlament gebracht, das insbesondere für den ländlichen Raum viele Verbesserungen bringt. Zuletzt haben wir das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz beschlossen, von dem insbesondere Menschen mit Demenz profitieren. Wir kümmern uns um eine Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung, die schon sehr gut ist in diesem Lande. Das, was noch verbessert werden kann, gehen der liberale Gesundheitsminister und die Gesundheits-politiker von CDU/CSU und FDP gemeinsam an. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Das kann ja noch lange dauern!) „Worum geht es heute?“, wird sich mancher Zuschauer fragen. Angeblich geht es um die Praxisgebühr; doch das stimmt so nicht ganz. Herr Kollege Lauterbach, Sie haben versucht, sich in ein fremdes Boot zu setzen. Als Kuckucksei werden Sie bei uns nicht unterkommen. Sie wollen gerne teilhaben an einer Diskussion, die in den letzten anderthalb Jahren in der Hauptsache von der FDP angestoßen wurde. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ach nein!) Es geht darum, Ideen zu entwickeln, gute Gründe vorzutragen, sich aber auch Argumente anzuhören, die dagegen sprechen könnten. In dieser Debatte befinden wir uns im Übrigen noch. Indem hier Anträge gestellt werden, die aus Versatzstücken früherer Anträge bestehen, wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, die Opposition würde an der Mitarbeit gehindert. Damit muss ich aufräumen. Wir wären ganz im Gegenteil froh, wenn aus der Opposition konstruktive Vorschläge kämen und die Debatte mit uns wirklich geführt würde. Die drei Anträge der einzelnen Oppositionsfraktionen, die heute wieder neue Anträge gestellt haben, sind im Plenum bereits ausführlich behandelt worden. Wie es sich gehört – so werden wir es auch heute halten –, haben wir die Anträge an den Gesundheitsausschuss überwiesen. Im Ausschuss sind die Anträge auf die Tagesordnung gesetzt und aufgerufen worden. Über die Sache sprechen wollten die Oppositionsfraktionen nicht. Sie wollten, dass möglichst schnell abgestimmt wird, damit die Anträge wieder ins Plenum gehen. So wiederholt sich ein seltsames Schauspiel im Gesundheitsausschuss, über das man hier durchaus einmal berichten sollte: Ich habe im Ausschuss mehrfach den Antrag gestellt, dass wir diskutieren, man aber bitte darauf Rücksicht nehmen möge, dass innerhalb der Koalition eine diesbezügliche Diskussion läuft. Wir wollen, wie es im Koalitionsvertrag steht, prüfen, ob die Praxisgebühr sinnvoller und unbürokratischer erhoben werden kann. Das hängt zusammen mit der generellen Frage – auch das ist kein Geheimnis –, welche Steuerungsinstrumente es denn geben könnte, die womöglich sinnvoller sind als die Praxisgebühr, über die zumindest die Mehrheit der Betrachter sagt, dass sie ihre Lenkungsfunktion nicht oder jedenfalls nicht sehr gut erfüllt. Das haben Sie leider nicht wahrgenommen. Das heißt, dieser Tagesordnungspunkt wird seit mehreren Sitzungswochen jedes Mal im Ausschuss auf die Tagesordnung gesetzt und von der Vorsitzenden aufgerufen; aber es meldet sich aus der Opposition niemand zu Wort, um entsprechende Beiträge vorzubringen. Das Einzige, was Sie wollen, ist, dass abgestimmt wird. Wir sagen: Wir haben hier noch Beratungsbedarf untereinander. (Elke Ferner [SPD]: Sie drücken sich vor der Abstimmung!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Heinz Lanfermann (FDP): Nein, danke. – Diese Beratung führen wir, und wir sind kurz vor dem Ziel, zusammen eine vernünftige Lösung zu erarbeiten. Das können Sie übrigens alles den Tageszeitungen entnehmen, weil darüber auch genügend geschrieben und gesprochen wird. Deswegen verwahre ich mich in aller Form gegen das, was Herr Bartsch gesagt hat. Ich bedaure übrigens, dass weder der Kollege Weinberg noch die Kollegin Bunge dazu reden, die sich tatsächlich schon seit längerem mit diesem Thema beschäftigen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Immer dann, wenn es angeblich wichtig wird, sprechen andere aus der Fraktion. Die Kollegin Bender hat das mit dem Kollegen Kuhn auch erlebt. Die Stuttgarter Wähler haben sie jetzt davon erlöst, sodass das hier nicht mehr vorkommen wird. Ich habe hier mit Erstaunen festgestellt, dass Sie gesagt haben, wir hätten das von der Tagesordnung abgesetzt, Herr Bartsch. Das stimmt so nicht. Es ist niemals im Gesundheitsausschuss von der Tagesordnung abgesetzt worden. Sie haben nur die Gelegenheit zur Diskussion erst gar nicht wahrgenommen. Ich möchte Sie doch bitten, dass Sie da bei der Wahrheit bleiben. Meine Damen und Herren, wir haben erlebt, dass die SPD einen Antrag gestellt hat. Herr Lauterbach hat dann versucht, uns einzuladen. Sie haben aber in der Tat getrickst. Zuerst haben Sie einen Antrag verschickt, in dem es hauptsächlich um das Hausarztmodell ging, weil Sie es hier wieder heimlich auf die Tagesordnung bringen wollten. In allerletzter Minute haben Sie dann gemerkt, dass das vielleicht nicht ganz passt. Der Kollege Singhammer hat schon einiges dazu gesagt. Deswegen haben Sie Ihren Antrag schnell noch abgeändert und auf die Praxisgebühr beschränkt. Ich sage Ihnen in aller Offenheit: Es gibt gute Gründe, zu diskutieren. Wir haben über die Steuerungswirkung zu sprechen. Wir haben über die Finanzwirkung zu sprechen. Wir haben über die Konstruktion zu sprechen. Ein Inkasso für Dritte ist nämlich immer eine unglückliche Konstruktion. Die Ärzte haben ja niemals die Praxisgebühr für sich eingetrieben, sondern das immer für die Krankenkassen getan. Zuerst haben sie sogar noch Verluste damit gemacht, weil sie hinter Geld herlaufen mussten, was dann noch mehr Geld gekostet hat. Außerdem gibt es Bürokratiekosten. Wir haben uns bereits Gedanken darüber gemacht. Bis hin zur Kanzlerin haben wir erreicht, dass jetzt darüber nachgedacht wird. Wir stehen kurz vor einem, wie ich glaube, erfolgreichen Ende. Liebe Kollegen, deswegen appelliere ich an Sie: Lassen Sie uns das Ganze weiter im Ausschuss beraten – da, wo es hingehört. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Birgitt Bender für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt reden wir einmal nicht über Geschäftsordnung und Gedanken, sondern über die Politik, die diese Regierung macht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nach acht Jahren Geltung der Praxisgebühr kann man ganz nüchtern feststellen: Die Praxisgebühr ist ein bürokratisches Ärgernis in den Praxen und ein soziales Ärgernis im Hinblick auf Arme und Kranke, die – Überforderungsklausel hin oder her – deswegen Arztbesuche hinausschieben. Das können wir nicht wollen. Deswegen gibt es gute Gründe, die Praxisgebühr abzuschaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir stellen auch fest: Im Gesundheitsfonds ist im Moment – auch unter Beachtung der notwendigen Rücklagen – genügend Geld, um die Abschaffung der Praxisgebühr zweieinhalb Jahre lang zu finanzieren. Also spricht eigentlich alles dafür, es zu tun. Wir stellen nun aber fest: In der Regierung gibt es einen Kuhhandel. Die FDP hat jetzt ein Thema entdeckt, das „Entlastung der Versicherten“ heißt. Entlastung der Versicherten? Geht es Ihnen wirklich darum? Was dürfen wir denn allen Berichten entnehmen? Die FDP ist jetzt bereit, einer schuldenfinanzierten Ausgabe von 1,5 Milliarden Euro zuzustimmen – das sogenannte Betreuungsgeld; der Sache nach nichts anderes als eine Fernhalteprämie für Kinder aus der Kita; mithin 1,5 Milliarden Euro Schulden dafür, dass Kinder aus armen Familien weniger Chancen auf Förderung haben, als sie in der Kita hätten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die FDP weiß sogar, dass das so ist, und hat es auch gesagt. Sie ist aber bereit, das dafür mitzumachen, dass es 2 Milliarden Euro weniger bei der Praxisgebühr gibt. Das nennen Sie Entlastung? Das ist doch lächerlich. Das ist ein politischer Kuhhandel. Er stinkt zum Himmel. Dafür kann man Sie in keiner Weise loben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben aber Gelegenheit, heute unseren Anträgen hier zuzustimmen. In diesem Zusammenhang muss man noch einmal sagen, worum es bei der Praxisgebühr auch geht. Ich habe gesagt, dass im Moment im Gesundheitsfonds genügend Geld vorhanden ist, um ihre Abschaffung zu finanzieren. Dass Geld vorhanden ist, ist aber nicht das Ergebnis guter Politik. Warum haben wir denn Überschüsse im Gesundheitsfonds? Warum haben wir Überschüsse bei den Kassen? Weil Sie, aufbauend auf den Vorarbeiten der Großen Koalition, ein Modell geschaffen haben, bei dem es nicht nur einen Einheitsbeitrag gibt, sondern auch eine Unterfinanzierung der Kassen, die sich das Geld über einen Zusatzbeitrag holen sollen. Schwarz-Gelb hat diesen von Beschäftigten und Arbeitgebern zu zahlenden Beitrag eingefroren. Sie wollen, dass in Zukunft nur noch die Versicherten für die Bewältigung jeglicher Kostensteigerung im Gesundheitswesen zuständig sind. Weil Sie aber Angst vor Ihrer eigenen Courage hatten, haben Sie den einheitlichen Beitragssatz geschwind noch einmal erhöht. Deswegen ist so viel Geld im Gesundheitsfonds. Weil die Kassen Angst vor dem Zusatzbeitrag hatten, haben sie das Geld die ganze Zeit festgehalten, kein Geld für neue Versorgungsmodelle ausgegeben und bei der Reha gespart. Das Ganze ist eine Innovationsbremse im Gesundheitswesen par excellence. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sozial ist daran überhaupt nichts. Wenn es nämlich keinen Regierungswechsel gäbe, dann würde die Abschaffung der Praxisgebühr mittelfristig natürlich wieder zu Zusatzbeiträgen führen. Sie würden mit den Versicherten also „Linke Tasche – rechte Tasche“ spielen. Genau das wollen wir verhindern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Warum schreien Sie so laut! – Gegenruf des Abg. Heinz Lanfermann [FDP]: Sie schreit, weil sie Unrecht hat!) Wir wollen, dass das Gesundheitswesen wieder gescheit finanziert ist. Der Weg dahin ist die Bürgerversicherung. Als Erstes müssen die Kassen wieder entscheiden können, welche Beiträge sie erheben. Dann werden etliche die Beiträge senken, und das Geld geht direkt in die Taschen der Versicherten. Abgeschafft werden müssen dabei die Zusatzbeiträge, und abgeschafft wird dabei auch die Praxisgebühr. Mittelfristig wird sie durch die Bürgerversicherung finanziert, wodurch es zu größerer Solidarität und mehr Einnahmen kommt. Das muss die Perspektive sein – und kein Kuhhandel, bei dem man noch Geld dafür herauswirft, die sozialen Chancen Benachteiligter noch weiter zu vermindern. Das kann es nicht sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Jens Spahn für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jens Spahn (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es wichtig, sich angesichts der Debatte noch einmal in Erinnerung zu rufen, warum wir überhaupt in der Lage sind, eine solche Debatte zu führen, (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: -Richtig!) und dass es eigentlich ein Novum in der längeren, jüngeren deutschen Krankenversicherungsgeschichte ist, dass wir mittlerweile seit Wochen öffentlich an vielen Stellen darüber reden, wie wir mit Rücklagen in der gesetzlichen Krankenversicherung umgehen. Über Jahrzehnte wurde immer darüber gesprochen, wie wir mit Defiziten umgehen und dass wir im Gesundheitswesen Kostendämpfung betreiben müssen. Unsere erfolgreiche Politik hat uns dahin gebracht, dass wir in den sozialen Sicherungssystemen Rücklagen haben. Ich finde, das gehört am Anfang einer solchen Debatte erst einmal entsprechend gewürdigt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Diese Rücklagen haben für sich genommen tatsächlich große Formen angenommen. Sie betragen im Gesundheitsfonds 10 Milliarden Euro. Bei einzelnen Kassen sind es noch einmal Rücklagen in Höhe von 14 Milliarden Euro. Das muss man übrigens bitte wirklich differenzieren, Herr Kollege Lauterbach; das können Sie nicht einfach zusammenzählen. Das heißt also, einzelne Kassen haben sehr hohe Rücklagen, während andere auch heute noch Zusatzbeiträge erheben. Genauso wie es früher Unterschiede beim Beitragssatz gab, gibt es heute Unterschiede in der Finanzsituation der Kassen. Die einen schütten Prämien aus, andere müssen Zusatzbeiträge erheben. Das ist gelebter Preiswettbewerb. Die Summen sind für sich genommen natürlich hoch. 10 Milliarden Euro: Das ist und bleibt eine Menge Geld. Zur Wahrheit gehört aber auch, zu sagen: Bei Gesamtausgaben für die gesetzliche Krankenversicherung im nächsten Jahr von 190 Milliarden Euro reichen 10 Milliarden Euro nicht einmal, um sie einen halben Monat lang zu finanzieren. Auch das müssen wir in der Debatte einmal deutlich machen: Es sind Rücklagen da, und es ist gut, dass es Rücklagen gibt, aber wir sollten es auch einmal ertragen, diese Rücklagen zu behalten, für den Fall, dass wieder schlechtere Zeiten kommen. Dafür werben wir in der Union jedenfalls massiv. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Und bei der Rente?) Rücklagen auch einmal ertragen und erhalten zu können und in der Politik nicht gleich wieder Debatten darüber führen zu müssen, wie wir Rücklagen möglichst schnell wieder ausgeben können, ist wichtig und im Übrigen insbesondere auch im Interesse von Patientinnen und Patienten; (Zuruf von der LINKEN: Was ist bei der Rente?) denn zum einen kann uns keiner garantieren, dass die gute wirtschaftliche Lage in einer Zeit, in der es in fast allen Ländern auf der Welt wirtschaftlich nicht ganz so gut läuft, für uns, die Exportnation Deutschland, weiterhin so bestehen bleibt, und zum anderen erwartet uns eine demografische Veränderung – wir werden weniger und älter –, die sich natürlich auch im Gesundheitswesen und bei der Bekämpfung und Behandlung von Krankheiten bemerkbar machen wird. Deswegen ist es im Interesse von Patientinnen und Patienten, aber auch von denjenigen, die im Gesundheitswesen tätig sind, dass wir einmal drei, vier, fünf, sechs Jahre lang und idealerweise noch länger Stabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung haben. (Elke Ferner [SPD]: Für die Rente gilt das nicht, oder wie?) Dafür sind Rücklagen gut. Deswegen wollen wir gerne von diesen Rücklagen möglichst viel erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Gilt das nicht für die Rente?) – Das gilt im Übrigen auch für die Rente. Darauf weise ich hin, weil Sie hier immer „Rente“ schreien. Ja, wir senken den Beitragssatz in der Rentenversicherung, aber es bleiben selbst nach der Senkung des Beitragssatzes noch 20 Milliarden Euro an Rücklagen in der Rentenversicherung übrig. (Elke Ferner [SPD]: Wie lange, Herr Spahn?) Das heißt, auch dort betreiben wir Vorsorge für schlechtere Zeiten. Auch dort wollen wir Geld zurücklegen, weil das eben im Interesse derjenigen ist, die damit vielleicht dieses Jahr nichts zu tun haben, aber in drei, vier oder fünf Jahren mit diesem sozialen Sicherungssystem umgehen müssen. Ein anderer Punkt ist die Praxisgebühr und Ihre Frage, Herr Lauterbach: Wer hat sie denn eigentlich eingeführt? Wissen Sie, das ist das grundsätzliche Problem jenseits der Praxisgebühr, das Sie bzw. Rot-Grün mit dem haben, was Sie im Übrigen zusammen mit uns an vielen Stellen, auch in der Opposition, eine verantwortungsvolle Rolle übernehmend, unter dem Oberbegriff „Agenda 2010“ beschlossen haben. Es ging um die Gesundheitsreform, eine Rentenreform, eine Steuerreform, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Genau diese Maßnahmen, vor sechs, sieben, acht Jahren beschlossen, haben den deutschen Aufschwung, den wir heute haben, das zweite große deutsche Wirtschaftswunder, erst möglich gemacht. Wir stehen heute wirtschaftlich so gut da wie nie zuvor, im Grunde genommen seit vielen Jahrzehnten. Wir haben in vielen Regionen des Landes Vollbeschäftigung. Wir haben in Deutschland so viele Menschen in Beschäftigung wie noch nie zuvor. Das hat mit den Reformen vor sechs, sieben, acht Jahren zu tun. Sie schämen sich aber für das, was Sie getan haben. Deswegen stellen die Menschen diesen positiven Kontext zwischen „Es wurden Reformen gemacht“ und „Diese Reformen haben Erfolg gehabt“ nicht her, weil Sie sich ständig populistisch in die Büsche schlagen. Das ist an dieser Stelle ein grundsätzliches Problem. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Praxisgebühr ist ein Ausfluss dieses grundsätz-lichen Problems. Ulla Schmidt ist gerade schon zitiert worden. Sie hat sich zu Recht bis 2009 – heute traut sie sich wahrscheinlich nicht mehr, das zu sagen, weil das bei Ihnen nicht mehr angesagt ist – dazu bekannt. Wir haben die Zuzahlungen gemeinsam eingeführt: Zuzahlungen als Steuerungselement, (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat aber nichts gesteuert!) aber auch als eine Form von Solidarität desjenigen, der auf eines der besten Gesundheitswesen der Welt zählen kann. Herr Bartsch, Sie sollten nicht so unehrlich daherreden, wie Sie das gerade gemacht haben. (Elke Ferner [SPD]: Sie haben einen sehr merkwürdigen Solidaritätsbegriff!) Wir haben für die sogenannte Chronikerregelung gesorgt: Ein chronisch Kranker muss nicht mehr als 1 Prozent seines Einkommens für die Praxisgebühr aufwenden. (Elke Ferner [SPD]: Sie wollten sie doch -abschaffen! Unglaublich!) – Frau Ferner, ich glaube, wir haben diese Regelung -gemeinsam eingeführt. Sie stehen zwar nicht mehr dazu. Dafür schreien Sie ganz schön laut herum. (Elke Ferner [SPD]: Sie wollten sie doch in der letzten Wahlperiode abschaffen!) Von den allgemein Versicherten muss niemand mehr als 2 Prozent seines Einkommens dafür aufwenden. Das heißt, dass Geringverdiener, dass chronisch Kranke durch Zuzahlungen natürlich nicht überfordert werden. Wir haben das bewusst sozial ausgewogen. (Elke Ferner [SPD]: Sie wollten sie doch -abschaffen!) Deswegen muss jemand, der beispielsweise nur 1 000 Euro im Monat hat, niemals mehr als 10 Euro im Monat für Zuzahlungen oder für die Praxisgebühr ausgeben und kann gleichzeitig darauf hoffen, dass eines der besten Gesundheitswesen der Welt mit guten Leistungen in jeder Lebenslage und bei jeder Erkrankung, egal wie teuer die Behandlung ist, für ihn zur Verfügung steht. Auch das ist eine Form von Solidarität. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lauterbach? Jens Spahn (CDU/CSU): Jederzeit mit Freude. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Vielen Dank. – Sie haben gerade den Kollegen Bartsch gemaßregelt, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nein!) er hätte fälschlicherweise die Chronikerregelung kritisiert, die Sie eingeführt hätten. Ist es richtig, dass die Union damals gegen die Einführung der Chronikerregelung gewesen ist? Ist es richtig, dass Sie in der letzten Legislaturperiode die bestehende Chronikerregelung, die Sie sich gerade noch selbst zugeschrieben haben, abschaffen wollten? (Elke Ferner [SPD]: Genau!) Jens Spahn (CDU/CSU): Es ist erst einmal richtig, wie ich das schon festgestellt habe, dass wir die Chronikerregelung vor acht Jahren gemeinsam eingeführt haben. (Elke Ferner [SPD]: Sie eiern herum!) – Sie müssen einmal differenziert debattieren lernen, finde ich manchmal. (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Sie machen das immer mit dem Vorschlaghammer. (Mechthild Rawert [SPD]: Herr Spahn, der Spiegel ist groß gewesen!) – Nein, ein chronisch Kranker ist nicht per se sozial schwach. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!) Es gibt Millionäre mit Diabetes. Auch in diesem Land gibt es sie. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind sie aber nicht gesetzlich versichert!) Deswegen haben wir einmal gesagt: Lasst uns doch einmal schauen, ob die Chronikerregelung nicht zu weit -gefasst ist; denn darüber, dass wir den Millionär mit Diabetes nur 1 Prozent und nicht 2 Prozent seines Einkommens zuzahlen lassen, kann man einmal reden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Sie wollten sie abschaffen! Stehen Sie zu dem, was Sie gefordert hatten! – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Millionär ist nicht gesetzlich versichert!) Dass aber diejenigen, die nur ein geringes Einkommen haben, insbesondere dann, wenn sie chronisch krank sind und regelmäßig Medikamente brauchen, natürlich nicht überfordert werden dürfen, (Elke Ferner [SPD]: Das haben Sie doch nicht gefordert!) und dass es dafür natürlich eine prozentuale Begrenzung braucht, haben wir nie infrage gestellt. Das ist sogar eine elementare Regelung eines fairen, eines gerechten Systems. Wir wollen allerdings dieses Instrument zielgenau bei denen einsetzen, die ein geringes Einkommen haben. Heute profitieren aber auch viele davon, die gut verdienen. Wir wollen es gerechter machen, und wenn es darum geht, sind wir jederzeit dabei. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bleibe dabei: Die Praxisgebühr als Form der Zuzahlung ist grundsätzlich auch eine Form von Solidarität. Das heißt, wenn ich Krebs habe, wenn ich Multiple Sklerose habe, wenn ich Parkinson habe, kann ich damit rechnen, dass mir eines der besten Gesundheitssysteme der Welt zur Verfügung steht und dass mir von der Solidargemeinschaft geholfen wird. Im Rahmen dessen, was ich leisten kann, und unter Berücksichtigung von Einkommensgrenzen bringe ich mich aber auch ein. Ich glaube – das erlebt man auch in zahlreichen Veranstaltungen –, viele Menschen sind genau dazu bereit. Wir haben aber auch gesagt – es ist richtig, darüber zu diskutieren –, dass man die hohen Rücklagen auch dazu nutzen kann, die Bürgerinnen und Bürger moderat zu entlasten. Der größte Teil sollte aber für schlechte Zeiten zurückgelegt werden. Gleichzeitig können wir in der gesetzlichen Krankenversicherung eine moderate Entlastung vornehmen in einer Phase, in der es sinnvoll ist, Impulse für wirtschaftliches Wachstum im nächsten Jahr zu setzen. Darüber reden wir gerade in der Großen Koalition. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Das war ein klassischer Freud’scher Versprecher. Ich meinte natürlich unsere großartige Koalition. Ich musste heute so oft unsere gemeinsamen Beschlüsse loben, dass ich gedanklich in der falschen Richtung unterwegs war. Diese großartige Koalition diskutiert darüber, wie wir die Rücklage im Bestand sichern können, aber gleichzeitig zu moderaten vernünftigen Entlastungen für die Menschen im Lande kommen können. Glauben Sie mir, wir werden auch zu einem guten Kompromiss kommen. Eines wird aber zu keinem Zeitpunkt passieren. Das kann ich Ihnen versprechen. Wir werden nicht um der billigen Überschrift willen – das ist genau das, was Sie mit der Debatte heute Morgen bezwecken wollen – (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Nein! Nein! Nein!) und um des Populismus willen politisch aktiv werden. Ob es die Rente mit 67 ist, ob es die Praxisgebühr ist oder ob es um höhere Steuern geht, Sie schlagen sich bei alldem in die Büsche und laufen weg vor dem, was Sie einmal gemeinsam mit uns beschlossen haben. Sie laufen außerdem weg vor dem, was die Basis für den großen wirtschaftlichen Erfolg war, den wir heute zu verzeichnen haben. Mit uns wird es das nicht geben. Wir werden verantwortungsvoll und vor allem auch über den Wahltag -hinaus planen und zudem mit den Finanzen in der gesetzlichen Krankenversicherung vernünftig umgehen. Das jedenfalls kann ich Ihnen versprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Edgar Franke für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Edgar Franke (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In bestimmten Medien in Deutschland liest man manchmal jede gängige Geschichtsfälschung. Wenn man heute den einen oder anderen Redner gehört hat, so konnte man den Eindruck gewinnen, dass das ein bisschen in diese Richtung ging. Es wurde gesagt, Rot-Grün mit der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt wollte 2003 bzw. 2004 diese Praxisgebühr. Richtig ist vielmehr, Herr Singhammer: Die jetzige Praxisgebühr ist von CDU und CSU durchgesetzt worden. (Zuruf des Abg. Johannes Singhammer [CDU/CSU]) CDU und CSU wollten im Rahmen der Erarbeitung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes diese Praxisgebühr. Rot-Grün hatte aber damals im Bundesrat nicht die Mehrheit. Ich erinnere daran, dass die Union damals 10 Prozent der Behandlungskosten als Selbstbeteiligung und 5 Euro für jeden Arztbesuch forderte. Das ist die historische Wahrheit, Herr Singhammer. Das darf man nicht vergessen. (Beifall bei der SPD) Herr Seehofer hat einmal von der schönsten Nacht seines Lebens mit Ulla Schmidt gesprochen. In dieser schönsten Nacht wurde ein Kompromiss vereinbart. Der Kompromiss war die Praxisgebühr von 10 Euro. Herr Spahn, ich habe vorhin noch persönlich mit Ulla Schmidt gesprochen. (Zurufe von der CDU/CSU und FDP) Sie hat gesagt, man habe dem Kompromiss nur zugestimmt, um weitergehende Zuzahlungen zu verhindern. Das ist etwas ganz anderes als das, was Sie gesagt haben. Rot-Grün wollte nämlich Praxisgebühren gerade beim Hausarzt und insbesondere bei den Standardfachärzten verhindern. Wir wollten lediglich eine Gebühr für den Besuch bei teuren Fachärzten, um unnötige Apparatemedizin und unnötige Kosten zu verhindern. Diese Richtung hat Rot-Grün damals in der Gesundheitspolitik eingeschlagen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Wir wollten nämlich gerade das Facharzt-Hopping vermeiden und Kosten einsparen und effizienter gestalten. Viele Geschichtsfälschungen – ich habe es eben schon erwähnt – gingen hier weiter. Man muss deshalb fragen: Warum diskutieren wir die Abschaffung der Praxisgebühr? Es ist richtig: Wir haben 20 Milliarden Euro Überschüsse bei der gesetzlichen Krankenversicherung und im Gesundheitsfonds. Aber diese Überschüsse haben wir auch deshalb, weil diese Regierung nicht richtig rechnen kann. Die Beiträge sind nämlich viel zu hoch. Die FDP wollte immer „Mehr Netto vom Brutto“, aber was hat sie gemacht? Sie haben die Beiträge zur Krankenversicherung erhöht. Das ist auch eine Wahrheit. (Beifall bei der SPD – Jens Ackermann [FDP]: Aber Sie haben ein Minus gehabt! Ein Minus!) Den Versicherten ist somit Geld vorenthalten worden. Herr Spahn hat angesprochen, warum wir so gute Beschäftigungszahlen haben. Es ist richtig, Herr Spahn: Wir haben so gute Beschäftigungszahlen, weil unter Rot-Grün Strukturreformen realisiert worden sind. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein!) Wir haben den Reformstau unter Kohl aufgelöst. So wird die Katze bunt; so ist die Wahrheit, mein sehr verehrter Herr Spahn. Was erleben wir heute? Chaotische Zustände in der Regierungskoalition. (Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?) Was will die Regierung? Zur Abschaffung der Praxisgebühr hört man das eine oder das andere. Wollen Sie die Beiträge senken? Wollen Sie am Einheitsbeitragssatz festhalten? Frau Bender hat zu Recht darauf hingewiesen. Über die Beitragssatzautonomie wäre nachzudenken. Wollen Sie die Rücklage als Finanzpolster? Kein Mensch weiß so richtig, was diese Regierung will. (Jens Ackermann [FDP]: Gute Qualität für die Patienten!) Mein geschätzter Kollege Lauterbach hat schon gesagt: Der Geburtshelfer der Praxisgebühr, CSU-Chef Seehofer, will die Beibehaltung. Auch der geschätzte Kollege Singhammer hat in der Rheinischen Post ausdrücklich gesagt: Die CSU in Berlin ist weiter der Meinung, dass die Praxisgebühr ihre Berechtigung hat. Söder will die Abschaffung. Hasselfeldt will die Senkung. Frau Bundeskanzlerin Merkel war ein bisschen dagegen und lässt jetzt durch ihren Regierungssprecher erklären, dass sie ein bisschen dafür sei. Herr Lanfermann hat sich eben selber zitiert. Er sagt in jeder Ausschusssitzung treuherzig, dass noch Beratungsbedarf besteht. Die FDP hat noch keine konkrete Position. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Natürlich haben wir die!) Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen, glaube ich, wie es geht. Wir wollen die Krankenversicherung entlasten. Ich darf noch einmal die drei Punkte nennen, die für unseren Antrag „Praxisgebühr sofort abschaffen“ sprechen. Erstens. Allen ist klar, dass die Praxisgebühr keine Steuerungswirkung mehr hat. Sie ist lediglich ein Finanzierungsinstrument. Zweitens. Die Kranken und Einkommensschwachen werden durch die Praxisgebühr einseitig besonders belastet. Drittens – das darf man nicht vergessen, und das muss man hier noch einmal ausdrücklich sagen – hat die Praxisgebühr zu erheblichen Bürokratie- und Verwaltungskosten geführt. Der Normenkontrollrat hat festgestellt, dass 300 Millionen Euro Bürokratiekosten für den Einbehalt und die Dokumentation anfallen. Auch das spricht ganz klar dafür, die Praxisgebühr abzuschaffen. Der Zoff in der Koalition um die Praxisgebühr zeigt erneut die Zerrissenheit von Schwarz-Gelb. Er zeigt mir vor allen Dingen auch, dass es in der Sozialpolitik keinen Konsens zwischen CDU/CSU und FDP mehr gibt. Die SPD ist für die Abschaffung der Praxisgebühr. Noch einmal: Sie belastet einseitig die Einkommensschwachen und Kranken. Die erhoffte Lenkungswirkung hin zu den Hausärzten ist ausgeblieben. Es ist lediglich Bürokratie erzeugt worden. Ich kann nur an die Vertreter der Koalition appellieren, dass sie mit uns für die Abschaffung der Praxis-gebühr stimmen. Ich hoffe, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch einmal etwas Vernünftiges machen. Machen Sie etwas Vernünftiges: Stimmen Sie einfach für unseren Antrag! Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Christine Aschenberg-Dugnus für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf unser eigentliches Thema komme, möchte ich – wie der Kollege Spahn es getan hat – auf unsere gute Finanzsi-tuation eingehen; das ist nämlich das Positive, das wir haben. Ich kann nur sagen: Sie hätten sich zu rot-grünen Regierungszeiten darüber gefreut, aber Sie haben nicht im Traum daran gedacht, dass einmal eine Zeit kommen würde – zu Ihrer Zeit war das nämlich nie der Fall –, in der die Kassen und der Fonds so gut dastehen würden wie jetzt. (Elke Ferner [SPD]: Das stimmt doch nicht! Frau Kollegin, Sie haben keine Ahnung und davon eine ganze Menge!) Das kann man den Menschen draußen gar nicht oft genug sagen. Wir haben hier gute Politik abgeliefert. Unser Minister Daniel Bahr macht gute Politik. Nur deswegen stehen wir überhaupt hier, um dieses Thema zu debattieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun komme ich zum eigentlichen Thema. Lieber Kollege Franke, ich schätze Sie als Mensch ja sehr, aber nach dem, was Sie eben zum Thema Geschichtsfälschung gesagt haben, muss ich Ihnen raten: Sie sollten sich mal an die eigene Nase fassen. Das war schon eine Nummer aus dem Tollhaus: Rot-Grün als Regierung ist von der Opposition genötigt worden, bestimmte Dinge zu verabschieden. – Das können Sie hier doch keinem erzählen und draußen auch keinem erzählen. (Mechthild Rawert [SPD]: Bundesrat!) Wenn ich mir einmal Ihren Antrag anschaue, sehe ich: Da steht: „die von CDU/CSU … durchgesetzte Praxisgebühr“. In dem gesamten Antrag wird so getan, als wären Sie von der SPD überhaupt nicht daran beteiligt gewesen. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: So ist das! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie waren doch überhaupt nicht dabei! Sie wissen das doch gar nicht!) Wem wollen Sie draußen eigentlich Sand in die Augen streuen? Damit lassen wir Sie nicht durchkommen! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Öffentlichkeit weiß, dass Sie es waren, die die Praxisgebühr installiert haben. (Elke Ferner [SPD]: Die Öffentlichkeit weiß, dass Sie gegen die Abschaffung sind! – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmen Sie der Abschaffung zu, ja oder nein?) Wir haben eben vom Kollegen Singhammer gehört – vielen Dank dafür! –, dass Frau Schmidt noch im Jahr 2009 gesagt hat, sie ist für die Beibehaltung der Praxisgebühr; sie möchte sie nicht abschaffen. (Heinz Lanfermann [FDP]: Hat keiner widersprochen!) Genau vor diesem Hintergrund müssen wir den Antrag der SPD sehen. Sie schreiben dann noch, wir als FDP würden nur öffentlich so tun, als wollten wir die Praxisgebühr abschaffen. (Beifall der Abg. Dr. Marlies Volkmer [SPD]) Das empfinde ich persönlich als Frechheit. Sie werfen uns Täuschung vor. (Elke Ferner [SPD]: Deshalb sind wir ja gespannt, wie Sie gleich abstimmen werden!) Sie sind die Pharisäer, die hier etwas behaupten, aber Ihr Agieren in der Vergangenheit war völlig anders. (Beifall bei der FDP) Sie machen die taktischen Spielchen hier, und dazu kann ich nur sagen: Wir werden diese taktischen Spielchen aufdecken. (Mechthild Rawert [SPD]: Welche Karte heben Sie gleich, rot, blau oder weiß? – Elke Ferner [SPD]: Dann sind Sie gegen die Abschaffung der Praxisgebühr?) Die Bevölkerung wird mitbekommen, dass das zu überhaupt nichts führt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Nein, ich würde gerne weitermachen. (Heinz Lanfermann [FDP]: Lauterbach mit Tarnkappe! – Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Anfangen!) Meine Damen und Herren, die Koalition braucht Ihre Anträge nicht, um gute Gesundheitspolitik mit Augenmaß zu machen. (Beifall bei der FDP) Das schaffen wir auch ohne die Opposition. Ich muss sagen: Ja, natürlich, wir haben in der Koalition unterschiedliche Auffassungen. Das ist so in einer Demokratie. Das können einige hier im Hause vielleicht nicht so nachvollziehen, (Heinz Lanfermann [FDP]: Das haben die schon wieder vergessen!) aber das ist so. Es wird jetzt gesagt, man mache uns ein faires Angebot. Ich empfinde das nicht als faires Angebot; das ist ein unmoralisches Angebot. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl!) Wir gehen nicht fremd. (Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD]) Wir werden die Sache mit unserem Koalitionspartner regeln, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Kuhhandel mit dem Betreuungsgeld!) Der Kollege Lanfermann hatte vollkommen recht. Es geht Ihnen gar nicht um eine sachliche Diskussion; es geht Ihnen darum, hier Schaufensteranträge zu stellen. Sie haben gemerkt: Aha, es steht auf einmal eine Einigung kurz bevor. Da müssen wir aber schnell noch einmal unsere Spielchen hier im Plenum treiben. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Das ist der Hintergrund dieser Debatte, die wir hier heute zum x-ten Male führen. (Elke Ferner [SPD]: Was denn jetzt, jetzt erst oder zum xten Male?) Ich sage Ihnen: Das machen wir nicht mit. Wir werden in der Koalition weiter beraten. Wir werden im Ausschuss weiter beraten. Wir werden gemeinsam zu einem guten Ergebnis kommen. (Elke Ferner [SPD]: Das wäre was ganz Neues!) – Das ist nichts Neues; das machen wir in der Koalition schon von Anfang an so, meine Damen und Herren. – Ich kann der Öffentlichkeit immer nur sagen: Ihre Spielchen, vor allen Dingen die der SPD, machen wir nicht mit. Ich nehme da Sie von den Grünen aus, weil Ihr Antrag anders aussieht. Sie haben Ihren Antrag heute Vormittag noch einmal geändert. (Elke Ferner [SPD]: Ja, wir wollten Ihnen die Zustimmung erleichtern!) Bei Ihnen – das muss ich jetzt wirklich sagen – geht es auch noch um andere Dinge. Aber bei Ihnen von der SPD ist es wirklich so, dass ich sage: Da sitzen die Pharisäer im Plenum. (Elke Ferner [SPD]: Jetzt aber mal halblang hier!) Das müssen wir ganz klar aufzeigen. Das machen wir nicht mit. Wir werden uns in der Koalition einigen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heinz Lanfermann [FDP]: Und die Schaufenster sind auch noch schlecht dekoriert!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Karin Maag für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Karin Maag (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben das heute schon mehrfach gehört: Die Debatte wird offensichtlich nur deshalb geführt, weil die Opposition meint, sie könne einen Keil zwischen Union und FDP treiben. (Zuruf von der FDP: So ist es! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Der Keil fällt durch, so weit sind Sie auseinander!) Ich bin mir sehr sicher: Das wird ihr nicht gelingen. Der fundamentale Unterschied zwischen Ihnen und uns ist: Wir, Union und FDP, ringen mit Argumenten in der Sache. Die Opposition insgesamt hingegen streitet ausschließlich um ihr Führungspersonal. Wir diskutieren zuerst und stimmen dann ab. Offensichtlich ist es bei Ihnen genau umgekehrt. Auch den Versicherten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nützt diese Debatte nichts. Die Zuzahlungen – das muss man einfach einmal sagen – sind eine wichtige Einnahmequelle für die Kassen, und sie entlasten die Beitragszahler. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber den Patienten würde es was nützen!) – Nein, liebe Frau Kollegin. Die dauerhaft fehlenden Einnahmen müssen ja irgendwo ausgeglichen werden. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!) Ich habe von Ihnen noch nicht gehört, dass Sie irgendwo weniger Ausgaben vorsehen wollen. Dies geht nur über andere Einnahmearten, und dafür kämen wieder die Beitragszahler infrage. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bürgerversicherung!) Insofern halte ich von Ihren Anträgen nichts. (Elke Ferner [SPD]: Was erzählen Sie für einen Unsinn? Eben erzählten Sie noch was von Überschüssen!) – Ich komme dazu, Frau Ferner. Diese Debatte hat natürlich etwas Gutes – jetzt sind wir bei den Überschüssen –: Sie ist doch ein Kompliment an die Leistung von Union und FDP. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Mit Beitragssatzanhebungen! Damit haben Sie die Überschüsse generiert!) Uns ist es gelungen, die Finanzierung in der GKV sicherzustellen, und zwar ohne Leistungseinschränkung und vielen Unkenrufen zum Trotz. Es wurde immer geschrien: Priorisierung, Rationierung! – Wir sichern eine dauerhafte, gute Versorgung für unsere Patienten und für die Versicherten. Das ist doch ein Wert. Darauf können wir aufbauen. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das glauben Sie doch selbst nicht!) Klar ist – Sie selbst haben es gesagt –: Im Moment geht es den meisten – ich betone: den meisten – Kassen gut. Wenn wir das weiterhin gewährleisten wollen, brauchen wir eine verlässliche Finanzierung. Wir wollen, dass sich die Menschen weiterhin darauf verlassen können, in jeder Lebenssituation eine medizinische Versorgung auf höchstem Niveau zu bekommen. Aber das kostet. Dafür wurde mit der Praxisgebühr nicht nur Preisbewusstsein geschaffen, sondern vor allen Dingen ein stabilisierendes Element der Finanzierung, und das ist mir wichtig. Wir wissen, dass Wirtschaftswachstum nicht von Gott gegeben ist. Die Liquiditätsreserve über die Mindestreserve hinaus – wir reden hier von 25 Prozent, also einem Viertel einer durchschnittlichen Monatsausgabe; wir reden hier nicht über Vermögen – ist deshalb ökonomisch sinnvoll und vor allem auch wieder im Interesse der Versicherten. Meine Damen und Herren insbesondere von den Linken, würden wir die Praxisgebühr oder die Zuzahlungen insgesamt abschaffen, wie Sie es fordern, dann hätten uns in den letzten 8 Jahren – das bezieht sich jetzt auf die Praxisgebühr – 16 Milliarden Euro im System gefehlt. Jedes Jahr waren das 2 Milliarden Euro aufgrund der Praxisgebühr. Wenn wir die Zuzahlungen insgesamt abschaffen, fehlen jährlich 5 Milliarden Euro in den Kassen. Das würde übrigens einer dauerhaften Erhöhung der Kassenbeiträge um 0,5 Beitragssatzpunkte entsprechen. Ohne Ausgleich würde jede kleine Delle in der Konjunktur zu einem Zusatzbeitrag führen. Insofern ist das ein völlig sinnloses Unterfangen. Auch über die Mär davon, dass sich Arztbesuche – diese haben insbesondere Sie wieder vorgebracht – ein Teil der Bevölkerung nicht leisten kann, haben wir schon gesprochen. Die Überforderungsklausel gilt. Es gibt sie, und niemand will sie abschaffen. 2003 wurde unter anderem als Ziel eine Stärkung der Eigenverantwortung der Versicherten genannt. Lieber Herr Lanfermann, die Eigenverantwortung ist Ihr Thema. Deswegen wäre es mir schon wichtig, dass Sie zuhören. Danke. – Es geht um Leistung gegen Kostenbeteiligung. Damit sollte bei den Versicherten ein Gefühl für Preissensibilität und Ressourcenverantwortlichkeit geschaffen werden. Das hat wenig mit einer dauerhaften steuerlichen Entlastung zu tun, die Sie, liebe Kollegen von Rot-Grün, im Bundesrat nachhaltig blockieren. Mit der Praxisgebühr, die einmal im Quartal anfällt, ist diese Selbstbeteiligung sehr moderat ausgefallen. Das ist mir wichtig, weil rund 20 Prozent der Versicherten 80 Prozent der Kosten tragen. Ähnlich wie bei der Rente alimentieren doch hier innerhalb des Systems die Jüngeren die Älteren und die eher Gesunden die eher Kranken. (Elke Ferner [SPD]: Also, Solidarität ist für Sie Alimentation! Das ist ja ein tolles Solidaritätsverständnis!) Ohne die Praxisgebühr würde dieser Transfergedanke noch mehr ausgeweitet. Mit welchen Argumenten wenden Sie sich gegen den Verzicht auf weitere Zuzahlungen? Wo ist hier die Grenze; bei den Krankenhäusern, in den Apotheken usw.? Ich jedenfalls will den Gedanken der Eigenverantwortung nicht ohne Not aufgeben. Jetzt noch ein Satz zur Steuerungswirkung. Lieber Kollege Franke, das Gesetz ist nicht im Vermittlungsausschuss entstanden. Bei aller Liebe, Sie waren an der Regierung. (Elke Ferner [SPD]: Ich weiß nicht, was Sie für ein Verständnis und für ein Wissen haben, aber offenbar kein gutes!) Das nur als Hinweis. Die Debatte wird vor allen Dingen auf der Basis von Untersuchungen zur Häufigkeit von Arztbesuchen geführt. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ausscheren aus dem Bundesrat! Das föderale System gilt für Sie nicht?) – Ich habe den Vermittlungsausschuss angeführt, und dort ist das Gesetz nicht entstanden. (Elke Ferner [SPD]: Aber dort ist das Gesetz vorgeschlagen und beschlossen worden!) – Liebe Frau Ferner, das nächste Mal lassen Sie sich von Ihrer Fraktion Redezeit geben, und dann können Sie alles, was Sie jetzt so vor sich – schwäbisch gesagt – bruddeln, ordentlich vortragen. (Elke Ferner [SPD]: „Bruddeln“ ist eine Beleidigung, Frau Kollegin! Als Saarländerin verstehe ich das sehr wohl! Das gebe ich zurück! Das gebe ich zurück, was Sie hier vorne machen! Sie machen es selbst! – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) – Frau Ferner, machen Sie einfach einen Punkt und halblang. Wir reden jetzt über die Steuerungswirkung. Tatsache ist, dass diese Debatte vor allem auf der Basis von Untersuchungen zur Häufigkeit der Arztbesuche geführt wird. Richtig ist, dass es im Durchschnitt 17 Kontakte im Jahr sind. Richtig ist aber auch, dass 16 Prozent der Patienten für 50 Prozent der Kontakte zuständig sind. Ich habe schon in der letzten Debatte darauf verwiesen, dass es immer noch eine ordentliche und gute Steuerungswirkung gibt, dass die Praxisgebühr vor allem die Hinwendung der Patienten zu Selektivverträgen, zu Hausarztverträgen und damit zu den Hausärzten fördert. Es gibt entsprechende Modelle, zum Beispiel der Barmer GEK und vieler Betriebskrankenkassen. Ich nenne als Beispiel für eine gute Steuerungswirkung die Zuzahlungen im Generikamarkt. Erst das In-Aussicht-Stellen des Verzichts auf die Gebühr veranlasst viele Patienten dazu, sich in die Verträge einzuschreiben. Ohne Praxisgebühr werden wir wieder das Facharzthopping erleben. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Karin Maag (CDU/CSU): Wir werden ohne Not wieder volle Notfallambulanzen am Wochenende haben. Und die sinnvolle Stärkung der Hausärzte im System können wir wieder zu den Akten legen. Genau deshalb werden wir ohne Ihre Hilfe innerhalb der Koalition das Notwendige überlegen und zu guten und richtigen Entscheidungen kommen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Steffen-Claudio Lemme für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Steffen-Claudio Lemme (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister Bahr! Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz! Frau Flach! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Praxisgebühr“: Allein der Name ist irrsinnig. Eine Gebühr, wie man sie sonst vielleicht von Parkgebühren oder den unsäglichen Studiengebühren kennt, zu entrichten, um im Krankheitsfall behandelt zu werden, widerspricht dem sozialen und solidarischen Grundgedanken der gesetzlichen Krankenversicherung. Kurzum: Die Praxisgebühr gehört abgeschafft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch darum, weil sich der erhoffte Nutzen nicht gezeigt hat: Weder konnte die Anzahl der Arztbesuche signifikant gesenkt noch die hausarztzentrierte Versorgung gestärkt werden. Noch immer sind die Deutschen Spitzenreiter in den Wartezimmern mit durchschnittlich 17 Arztbesuchen pro Jahr gegenüber nur 6 Arztbesuchen in den Niederlanden. Die Praxisgebühr verursacht zusätzliche Kosten für die Versicherten ohne zusätzlichen Nutzen. Eigentlich ist es noch schlimmer; denn es entstehen zusätzliche Kosten bei geringerem Nutzen für die Versicherten, da die Praxisgebühr manchen Kranken davon abgehalten hat, zum Arzt zu gehen. Das macht nicht nur aus gesundheitsökonomischer Sicht absolut keinen Sinn, nein. Da müsste doch selbst bei Schwarz-Gelb der Groschen fallen. Stattdessen spielen Sie die Praxisgebühr gegen das Betreuungsgeld aus. Um eines an dieser Stelle klipp und klar zu sagen: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind gegen die Praxisgebühr und gegen das Betreuungsgeld. (Beifall bei der SPD) Ich finde es moralisch verwerflich, dass Sie Ihre Zankereien auf dem Rücken der emanzipierten Familien austragen; denn mit dem Betreuungsgeld kommen wir wieder in der Steinzeit an. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Wir haben es ja nicht gemacht damals!) Ich weiß nicht, ob es Ihnen entgangen ist: Führende Ökonominnen und Ökonomen, Soziologinnen und Soziologen, Juristinnen und Juristen sagen Ihnen: Stoppen Sie das Betreuungsgeld! – Aber auf diesem Ohr moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse scheint die Bundesregierung taub zu sein. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Wie bitte?) Doch zurück zur Praxisgebühr. Die Abschaffung kommt den Patientinnen und Patienten in vielerlei Hinsicht zugute. Wir kommen damit der paritätischen Finanzierung wieder ein Stück näher. Betrachtet man die Finanzierung des Gesundheitssystems, stellt man fest, dass der Anteil der sogenannten Out-of-Pocket-Zahlungen, also der Zuzahlungen, die von den Patientinnen und Patienten direkt aus der eigenen Tasche geleistet werden müssen, bereits im Jahr 2009 bei 13 Prozent lag. Die Daten von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD, zeigen darüber hinaus, dass der Anteil der Selbstbeteiligung zwischen den Jahren 2000 und 2009 in nicht unerheblichem Maße gestiegen ist. Das bedeutet eine stetige Zunahme und einseitige finanzielle Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land; denn die Arbeitgeber sind hier ja fein raus. Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass der Anteil der Selbstbeteiligung im Durchschnitt aller OECD-Mitgliedstaaten gesunken ist. Deutschland steht mit der Privatisierung von Gesundheitskosten und der Individualisierung von gesundheitlichen Risiken im internationalen Vergleich fast alleine da. Was sind die Folgen? Wir haben: die Praxisgebühr in Höhe von 10 Euro pro Quartal, Zuzahlungen zu Medikamenten und Hilfs- und Heilmitteln, 10 Euro pro Kalendertag im Krankenhaus – und das bis zu 28 Tagen – und noch vieles mehr. Wie sollen sich das Alleinerziehende oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit geringem Einkommen leisten, wie beispielsweise im Osten, wo das Lohnniveau spürbar unter dem der westdeutschen Bundesländer liegt? Da tun die 10 Euro Praxisgebühr deutlich mehr weh. Ihre Reaktion darauf fällt eindeutig aus. Sie gehen trotz Krankheit entweder gar nicht zum Arzt, oder aber sie schieben den Arztbesuch ins nächste Quartal, um für das auslaufende Quartal die Praxisgebühr zu sparen. Das ist aber nicht nur schlecht für die Kranken, sondern führt auch für uns alle zu weiter steigenden Kosten. Gewerkschaften, Patientenorganisationen, Sozial- und Wohlfahrtsverbände weisen seit längerem auf die negativen Steuerungseffekte der Praxisgebühr hin und betonen dabei die Verschärfung der sozialen und gesundheitlichen Ungleichheit in Deutschland. Wir müssen endlich handeln. Die Praxisgebühr muss weg! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Hausärztinnen und Hausärzte sind wichtige Akteure in der Versorgungslandschaft. Leider wird ihnen bislang noch nicht der Stellenwert beigemessen, den sie verdienen. Ihre Funktion wird unterschätzt. Durch die Praxisgebühr war beabsichtigt, dass die Hausärztinnen und Hausärzte die Patientinnen und Patienten durch das ambulante Versorgungssystem navigieren und damit als Lotsen fungieren. Auch dieser erhoffte Effekt ist nicht eingetreten. Die Hausärztinnen und Hausärzte leiden noch immer unter einem schlechten Image, auch bei den Medizinstudenten. Im Vergleich zu anderen Facharztgruppen verdienen Hausärzte deutlich weniger, und ihre Arbeit ist noch nicht so hoch angesehen wie beispielsweise die eines Kardiologen. Dabei müsste den Hausärztinnen und Hausärzten in einer immer älter werdenden Gesellschaft eine Schlüsselfunktion zukommen. Doch der Hausärztemangel ist in manchen Regionen Deutschlands fatal. Lassen Sie mich kurz zusammenfassen: Die Praxisgebühr hat in keinster Weise dazu geführt, positive Effekte im deutschen Gesundheitssystem hervorzurufen. Im Gegenteil: Sie hat einen Beitrag zur sozialen und gesundheitlichen Ungleichheit geleistet. Ihre Abschaffung ist überfällig. Daher bitte ich Sie um breite Zustimmung zu unserem Antrag, die Praxisgebühr abzuschaffen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kollegen Rudolf Henke für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Rudolf Henke (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Im Alter, bei Krankheit oder in anderen schwierigen Lebenssituationen kann es für jeden von uns Momente geben, in denen wir auf die Solidarität der anderen angewiesen sind. Diese Solidarität unter veränderten ökonomischen Bedingungen in einer globalisierten Welt, aber auch angesichts der veränderten demographischen Entwicklung zu gewährleisten ist unsere Aufgabe. Dass wir alle glücklicherweise immer älter werden und die Lebenserwartung steigt, auf der anderen Seite aber zu wenig Kinder geboren werden, ist die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Das waren Worte aus der Debatte vom 9. September 2003, vorgetragen von der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Im Anschluss daran wurde im Deutschen Bundestag die Einführung der Praxisgebühr als Teil eines Sanierungskonzepts für die sozialen Versicherungssysteme beschlossen. Es ist im Protokoll registriert: „Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen“. Wenn ich das Gleiche sage, hätte ich jetzt gern den gleichen Beifall. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aber Sie haben sich ja von Ihrer damaligen Haltung abgewendet. Sie nennen die Praxisgebühr heute ja sogar „irrsinnig“. (Zuruf von der CDU/CSU: Wendehälse!) Sie erwecken den Anschein, es sei moralisch verwerflich, was damals Ihre eigene Politik war, (Mechthild Rawert [SPD]: Wir schauen nach Evidenz!) und Sie stellen sich hin und tun so, als wäre das im Grunde gänzlich unehrenhaft. (Mechthild Rawert [SPD]: Wo ist denn die Evidenz?) Sie bringen drei Argumente. Das erste lautet, die Praxisgebühr ist unwirksam; das zweite lautet, sie ist unsozial, und das dritte lautet, sie ist unnötig. Mit allen drei Argumenten möchte ich mich auseinandersetzen. Zur Frage der Wirksamkeit. Wenn man sich das methodisch einmal genau anguckt, merkt man: Es ist ja eine superkomische Konstruktion, zu sagen: Weil nach der Einführung der Kassengebühr die Arztbesuche trotzdem angestiegen sind, ist das der Beweis dafür, dass die Kassengebühr auf Arztbesuche keinen Einfluss hatte; sie hat bei der Steuerungswirkung versagt. – Das ist relativ albern. Denn es kann ja dafür, warum die Zahl der Arztbesuche steigt, eine Begründung geben, die gar nichts mit der Kassengebühr zu tun hat. Dann hat die Kassengebühr trotzdem eine Wirkung, die darin liegt, dass sie einen Anstieg, der darüber läge, dämpft. Ich halte das jedenfalls für methodisch genauso gut belegt, genauso gut vertretbar wie die Aussage, sie sei unwirksam. (Mechthild Rawert [SPD]: Darüber gibt es nur keine Untersuchungen! Über das andere ja!) Im Übrigen möchte ich aus einem Interview mit der damals immer noch amtierenden Bundesgesundheits-ministerin Ulla Schmidt mit der Welt online aus dem Jahr 2004 zitieren, wo sie erklärt hat: Sie bringt jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro. Sie war ein Kompromiss. … Sie ist nicht beliebt, aber die Mehrheit der Versicherten hat sie akzeptiert. … Es stimmt, dass die Praxisgebühr mittlerweile nur eine geringe Lenkungswirkung hat. Aber sie ist eine Form der Zuzahlung und bringt eine Menge notwendiger Einnahmen. So weit Ulla Schmidt, die ja zu Ihren Reihen gehört – egal, worüber Sie, Herr Franke, mit ihr telefoniert haben. Das müsste dann ja im Gegensatz zu dem stehen, was sie noch 2004 der Öffentlichkeit gegenüber erklärt hat. (Elke Ferner [SPD]: Wir können Ihnen dann ja auch Ihre Rede vorhalten!) Dann zu der Frage, ob die Praxisgebühr denn unsozial ist. Es ist ja schon viel darüber gesprochen worden, dass Zuzahlungen nicht einen Wert von 1 Prozent oder 2 Prozent des Jahreseinkommens überschreiten können. Aber ich glaube, es gibt noch einen zweiten Punkt. Worum machen sich die Menschen Sorgen, wenn sie über die Sozialkassen in Deutschland sprechen und nachdenken? Sie machen sich Sorgen darum, dass die Finanzkraft der sozialen Kassen angesichts der demografischen Entwicklung, angesichts des medizinischen Fortschritts, angesichts berechtigter Erwartungen an Lohnerhöhungen bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen möglicherweise nicht reichen könnte, um die Versicherungsversprechen einzulösen. Das Wichtigste, was wir für Patientinnen und Patienten in Deutschland tun können – noch wichtiger vielleicht als all das, was wir mit dem Patientenrechtegesetz bewirken, jedenfalls aber zusätzlich nötig –, ist, dass wir die Finanzkraft der gesetzlichen Krankenkassen so stark machen, dass sich jeder, der heute in dieses System hi-neinkommt, darauf verlassen kann, dass dieses System auch dann, wenn er älter ist, finanziell tragfähig sein wird. Dies erfordert natürlich, dass man sich auf die großen Risiken konzentriert und sie zuverlässig absichert. Wo ist denn dann das Problem für jemanden, der durchschnittlich verdient, eine Eigenbeteiligung von 10 Euro zu leisten? Im Übrigen, verehrte SPD-Kollegen, wollen Sie ja auch gar keine Abschaffung der übrigen Zuzahlungen, jedenfalls jetzt nicht, oder Sie machen die Abschaffung der Praxisgebühr zu einem Schritt auf dem Weg dazu. Dritte Bemerkung: Die Praxisgebühr ist unnötig. – Ja, es ist wahr und mit Recht betont worden, dass die Koalition erreicht hat, dass die Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen unendlich viel besser ist, als sie es früher war. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Zulasten der Versicherten!) Die Koalition hat dies erreicht, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben die Grundlage dafür erwirtschaftet haben und weil wir auf einen Wachstumspfad zurückgekehrt sind, der heute zu Rekordzahlen an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten geführt hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Trotz dieser Regierung, nicht wegen!) Das ist eine Leistung, die uns diese Situation erst ermöglicht. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, in meiner Heimatstadt Aachen, in meinem Wahlkreis kämpfen jetzt zur Stunde 600 Arbeiter der Firma Bombardier um ihre Arbeitsplätze, weil das Unternehmen angekündigt hat, 600 Stellen zu streichen und das Werk, das 174 Jahre alt ist, zu schließen, da man angeblich in einem wachsenden Markt für Ausrüstungsinvestitionen bei der Bahn keine Aufträge mehr bekommt. In einer Situation, wo das auch anderswo eintreten kann, soll ich mich jetzt hierher stellen und sagen: „Wir sind sicher, dass das Geld, das in den Kassen ist, für alle reicht, um in Zukunft die Sozialversicherungsaufgaben zu finanzieren“, und ich soll auf Einnahmen in Höhe von 1,5 oder 1,6 Milliarden Euro verzichten? (Elke Ferner [SPD]: Dann stimmen Sie doch wohl gegen die Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge?) Das ist kurzsichtig, das geht in meiner Wahrnehmung weit über das hinaus, was Sie an Prognosekraft aufbringen können. Deswegen sage ich: Die Finanzkraft der sozialen Kassen zu erhalten, ist für deren Verlässlichkeit und für die Gültigkeit des Versicherungsversprechens viel wichtiger als die Frage, ob wir jetzt den Ärzten oder den Versicherten gefallen und Applaus dafür bekommen, dass wir uns für die Abschaffung der Praxisgebühr einsetzen. Zum Schluss noch eine letzte Bemerkung. Lieber Herr Kollege Lauterbach, Sie haben Horst Seehofer als Erfinder der Kassengebühr angegriffen. Ich weiß nicht, ob er das war; ich war nicht dabei, ich kann das nicht sagen. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Er war es, ich war dabei!) Sie haben dazu gesagt: Unehre, wem Unehre gebührt. – Herr Lauterbach, wenn das der Stil der Debatte ist, (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Ja! Die Wahrheit!) dass Sie, wenn jemand eine neue Idee hat und sie vorträgt, anschließend sagen: Ich bin derjenige, der hier die Schulnote verteilt, der ihn moralisch abwertet und der dann erklärt, wer eine neue Idee hat, verdient das Urteil „Unehre, wem Unehre gebührt“, dann machen Sie parlamentarische Debatte im Sachkern unmöglich und sorgen dafür, dass nur noch populistisch und polemisch gestritten werden kann. Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Heuchelei! Wie gehen Sie denn miteinander um? – Elke Ferner [SPD]: Die klatschen aber auch bei jedem Müll!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Die Fraktionen der SPD, der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen wünschen die Abstimmung ihrer -Anträge auf Drucksachen 17/11192, 17/11141 und 17/11179 in der Sache. Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP wünschen jeweils Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für Gesundheit. Die Anträge auf den Drucksachen 17/11192 und 17/11179 sollen darüber hinaus mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Nach ständiger Übung stimmen wir zuerst über die Anträge auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragten Überweisungen? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? (Thomas Oppermann [SPD]: Mehrheit! -Sofortige Abstimmung!) – Es besteht Uneinigkeit im Präsidium. Ich wiederhole die Abstimmung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU], zum Abg. Thomas Oppermann [SPD] gewandt: Das -haben Sie doch schon vorher ausgemacht, Sie scheinheiliger Tropf!) Wer stimmt für die Überweisungen? – Wer stimmt dagegen? – (Zurufe von der SPD: Mehrheit!) Enthaltungen? – Es herrscht Uneinigkeit. Sie kennen das Verfahren: Es folgt jetzt ein Hammelsprung. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU], zum Abg. Thomas Oppermann [SPD] gewandt: Schämen Sie sich!) Ich bitte Sie also, den Plenarsaal zu verlassen und dann durch die entsprechenden Türen – Ja, Nein, Enthaltung – den Plenarsaal wieder zu betreten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, den Plenarsaal zu verlassen, damit wir eine ordnungs-gemäße Durchführung des Hammelsprungs garantieren können. Ich habe den Eindruck, alle Kolleginnen und Kollegen haben den Plenarsaal verlassen, sodass wir jetzt mit der Abstimmung beginnen können. Die Abstimmung ist eröffnet. Darf ich fragen, ob alle werten Abgeordneten den Plenarsaal wieder betreten haben? – Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mir das Ergebnis zu übermitteln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung mit – Sie wissen, es geht um die Frage der Überweisung an die Ausschüsse –: Mit Ja haben gestimmt 297, mit Nein 225, Enthaltungen keine. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damit sind die Überweisungen so beschlossen. Das heißt, wir stimmen heute nicht in der Sache über die Anträge ab; daher entfällt auch die namentliche Abstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tagesordnungspunkte 48 a bis 48 h sowie Zusatzpunkt 4 auf: 48 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Auswandererschutzgesetzes – Drucksache 17/11047 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des Internationalen Privatrechts – Drucksache 17/11049 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlägen für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung und für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts – Drucksache 17/11050 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Rechtsausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des AZR-Gesetzes – Drucksache 17/11051 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 2004 zur Kontrolle und Behandlung von Ballastwasser und Sedimenten von Schiffen (Ballastwasser-Gesetz) – Drucksache 17/11052 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Ute Koczy, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz bei Steinkohleimporten – Drucksache 17/10845 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Thomas Gambke, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erleichterungen für Klein- und Kleinstkapitalgesellschaften bei der Offenlegung der Jahresabschlüsse – Drucksache 17/11027 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Kühn, Renate Künast, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aufsichtsrat neu besetzen, Geschäftsführer entlassen und den Flughafen Berlin-Brandenburg skandalfrei fertigstellen – Drucksache 17/11168 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Tourismus ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Michael Hartmann (Wackernheim), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Europäische Harmonisierung im Datenschutz auf hohem Niveau sicherstellen hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-tages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grund-gesetzes i. V. m. § 10 des Gesetzes über die -Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Drucksache 17/11144 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 49 a bis 49 l. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 49 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die weitere Bereinigung von Übergangsrecht aus dem Einigungsvertrag – Drucksache 17/10755 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/11092 – Berichterstattung: Abgeordnete Marco Wanderwitz Sonja Steffen Marco Buschmann Jens Petermann Ingrid Hönlinger Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11092, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10755 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Was ist mit der FDP und den Grünen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Linken und FDP bei Enthaltung der Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? (Markus Grübel [CDU/CSU], an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gerichtet: Aufstehen! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben eine Lücke!) – Die Lücke ist geschlossen. Das Haus stimmt zu bei Enthaltung der Grünen. Tagesordnungspunkt 49 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2013 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2013) – Drucksache 17/10915 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/11165 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heinz Riesenhuber Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 17/11165, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10915 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 49 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr sowie zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes – Drucksache 17/10958 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) – Drucksache 17/11181 – Berichterstattung: Abgeordneter Thomas Lutze Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11181, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10958 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 49 d: – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerhinterziehung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Drucksache 17/10751 – – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen – Drucksache 17/10752 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/11106 – Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Lothar Binding (Heidelberg) Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11106, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-sache 17/10751 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11106, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10752 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Enthaltung von Linken und Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 49 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Klimagerechte Stadtpolitik – Potentiale nutzen, soziale Gerechtigkeit garantieren, wirtschaftliche Entwicklung unterstützen – zu dem Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Stephan Kühn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimaschutz in der Stadt – zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Ingrid Nestle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Energieeffizienz und Klimaschutz im Gebäudebereich – Drucksachen 17/7023, 17/5368, 17/5778, 17/8384 – Berichterstattung: Abgeordneter Peter Götz Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8384 die Ablehnung des Antrags der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/7023 mit dem Titel „Klimagerechte Stadtpolitik – Potentiale nutzen, soziale Gerechtigkeit garantieren, wirtschaftliche Entwicklung unterstützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die -Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5368 mit dem Titel „Klimaschutz in der Stadt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Linken und Grünen bei Enthaltung der SPD angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5778 mit dem Titel „Energieeffizienz und Klimaschutz im Gebäudebereich“. Wer stimmt für diese -Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung von SPD und Linken angenommen. Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 49 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 480 zu Petitionen – Drucksache 17/11020 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 480 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 49 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 481 zu Petitionen – Drucksache 17/11021 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 481 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 49 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 482 zu Petitionen – Drucksache 17/11022 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 482 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 49 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 483 zu Petitionen – Drucksache 17/11023 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 483 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen von Linken und Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 49 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 484 zu Petitionen – Drucksache 17/11024 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 484 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen von SPD und Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 49 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 485 zu Petitionen – Drucksache 17/11025 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 485 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und Grünen gegen die Stimmen von SPD und Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 49 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 486 zu Petitionen – Drucksache 17/11026 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 486 ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Haltung der Bundesregierung zu Äußerungen des Vizekanzlers Dr. Rösler, das Betreuungsgeld koste viel Geld, sei nicht gegenfinanziert und eine Bildungskomponente fehle völlig (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich eröffne die Aussprache und erteile Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das … Betreuungsgeld kostet viel Geld, ist nicht gegenfinanziert und eine Bildungskomponente fehlt völlig. (Beifall bei der SPD) Ich muss Ihnen offen und ehrlich sagen: Ich hatte bisher nicht viel Gelegenheit, Übereinstimmung mit Herrn Rösler zu suchen, aber hier hat er recht. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es schön, dass im Laufe der Zeit Entwicklung möglich ist. Sie begreifen jetzt, was Opposition, Wissenschaft, Verfassungsjuristen, Kinderschutzbund, Migrantenverbände, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Evangelische Kirche und vor allen Dingen die große Mehrheit der Bevölkerung schon seit langem wissen: Das Betreuungsgeld ist Geldverschwendung, setzt völlig falsche Anreize, taugt nichts und muss vom Tisch. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich hier auch zum Betreuungsgeld geredet. Dass das Thema noch immer „hängt“, hat natürlich Gründe. Wenn Sie in der Koalition davon überzeugt wären, dass das Betreuungsgeld wirklich das Richtige ist, dann hätten Sie es längst umgesetzt. Was Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, in Wahrheit beunruhigt, (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Wir sind die Ruhe selbst!) ist, dass Sie in diesem Falle nicht nur Kritik aus der Opposition bekommen, sondern dass die Verständnislosigkeit in den eigenen Reihen von Monat zu Monat wächst. Viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU glauben selbst nicht an dieses Instrument. Sie haben aber nicht die Kraft – und das ist das Entscheidende –, aus der wachsenden Verständnislosigkeit in den eigenen Reihen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Sie lassen die Dinge treiben und hoffen auf Ermüdung der Öffentlichkeit bei diesem Thema. Genau das werden wir Ihnen aber nicht durchgehen lassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dass ich mich zu diesem Thema nach einem Jahr hier im Bundestag wieder zu Wort melde, hat nichts damit zu tun, dass ich das Betreuungsgeld für eine der vielen nicht finanzierten sinnlosen Maßnahmen zur Klientelbefriedigung halte, sondern weil ich noch immer – heute sogar immer mehr – der Meinung bin, dass Sie in unserem Bildungssystem an einer verhängnisvoll falschen Weichenstellung arbeiten. Die Tragweite dessen, was Sie hier jetzt auf den Weg schicken wollen, erkennen Sie bei Ihrem koalitionären Tunnelblick inzwischen gar nicht mehr. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie müssen sich doch über eines im klaren sein: Sie können in der nächsten Woche im Koalitionsausschuss irgendeinen krummen Kompromiss zurechtzimmern, den der Finanzminister am Ende bezahlt und der Ihnen in der Koalition vielleicht über die nächsten vier Wochen hilft. Es bleibt aber bei der Wahrheit, die ich vor einem Jahr von diesem Pult aus auch schon gesagt habe: Das, was Sie hier vorbereiten, ist eine bildungspolitische Katastrophe. Ein anderes Wort habe ich dafür nicht zur Verfügung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was immer Sie in der Koalitionsküche jetzt zusammenbrutzeln: Sie verantworten am Ende einen grundlegend falschen Anreiz, nämlich eine Prämie dafür, dass Kinder zu Hause bleiben. Viele von Ihnen wissen vermutlich, was Sie damit anrichten: Gerade viele der Kinder, die wir viel mehr in öffentlichen Betreuungseinrichtungen sehen möchten, gerade viele der Kinder, die erst durch die Betreuung in öffentlichen Einrichtungen überhaupt eine Chance im Bildungssystem bekommen, gerade auch viele Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund, die eine möglichst frühzeitige Sprachförderung erhalten müssen, werden durch Ihre Prämie und Ihren Fehlanreiz zu Hause bleiben. Sie wissen das, machen es aber trotzdem. Das ist das Verantwortungslose. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich meine, wir müssen familienpolitisch argumentieren. Aber auch ökonomisch verstehe ich Sie nicht, gerade diese Koalition nicht, gerade wenn Sie, wie viele von Ihnen, bei der letzten BDA-Jahrestagung geredet und gehört haben, was Ihnen die Unternehmer in diesem Lande berichten, nämlich von ihrer Sorge um den Mangel an Arbeitskräften. Nun besteht aber die Hälfte der gut ausgebildeten jungen Menschen in diesem Lande aus Frauen. Deren Erwerbstätigkeit – daran haben wir ein Interesse – müssen wir fördern und nicht behindern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber es scheint so zu sein, dass Ideologie oder Koali-tionsarithmetik auch die einfachsten Gesetze der Logik außer Kraft setzen. Vor einem Jahr kam ich aus einem Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden zu der Debatte zum Betreuungsgeld hierher. Zufälligerweise hat ein solches Treffen gerade gestern wieder stattgefunden. Ich will Ihnen noch einmal sagen: Die Botschaft, die von unseren Kommunen kommt, ist immer noch dieselbe. Sie ist ganz einfach und klar: Hört damit auf, Geld auszugeben, damit Kinder zu Hause bleiben! Ganz im Gegenteil: Jeder Euro, jeder Cent, der für diesen Unsinn verschleudert wird, der wird für den Kitaausbau dringend gebraucht. – Recht haben die kommunalen Spitzenverbände! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb zum Schluss. Mit Verlaub: Alle Argumente liegen auf dem Tisch, aber sie sind eben nicht auf Ihrer Seite. Auf Ihrer Seite ist der ominöse Koalitionsfrieden. Nicht aber dem sind Sie mit Ihrem Mandat verpflichtet, sondern dem Wohl von Familien und der Zukunft der Kinder hier in Deutschland. Deshalb muss das Betreuungsgeld vom Tisch. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Frank-Walter Steinmeier. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Markus Grübel. Bitte schön, Kollege Markus Grübel. (Beifall bei der CDU/CSU – Martin Burkert [SPD]: Wo sind denn eure Frauen?) Markus Grübel (CDU/CSU): Die kommen noch. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier im Deutschen Bundestag schon eine sehr seltsame Opposition. Wenn das Thema Betreuungsgeld auf der regulären Tagesordnung des Bundestages steht, dann verweigert sich die Opposition, dann versucht die Opposition mit allen Verfahrens-tricks, auch mit schlechten, die Debatte hier im Parlament zu verhindern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wenn dieses Thema in einer Woche einmal nicht auf der Tagesordnung steht, dann können wir uns blind darauf verlassen, dass es dazu eine Aktuelle Stunde gibt. Ich kann die Zahl der Aktuellen Stunden zum Betreuungsgeld schon nicht mehr zählen. (Caren Marks [SPD]: Es reicht noch nicht einmal mehr, bis zehn zu zählen!) Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass wir Sie noch durch Sachargumente überzeugen können. Aber zur Sache. Zur Grundsatzfrage hat der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, Rainer Brüderle, gestern alles gesagt. Herr Brüderle hat noch einmal betont, dass er zum Betreuungsgeld steht. (Caren Marks [SPD]: Was zählt denn nun?) Ich zitiere: Wir sind vertragstreu, das ist vereinbart. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Brüderle oder Rösler?) Das sagt Rainer Brüderle. Wir werden in naher Zukunft den Gesetzentwurf hier im Deutschen Bundestag zu einem guten Abschluss bringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Es wird noch ein paar Änderungen geben, zum Beispiel Wahlleistungen für eine kapitalgedeckte Rente, oder die FDP hat noch Wünsche für eine Bildungskomponente, aber im Kern wird es beim vereinbarten Betreuungsgeld bleiben. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Jetzt kommen aber wir ins Grübeln, Herr Grübel!) Um was geht es beim Betreuungsgeld? Bund, Länder und Gemeinden fördern jeden Platz für jedes Kind unter drei Jahren mit 900 bis 1 000 Euro im Monat. Eltern, die die Betreuung selbst organisieren oder eine Betreuung, die nicht öffentlich gefördert wird, in Anspruch nehmen, sollen künftig 150 Euro im Monat erhalten. Als Anerkennung für ihre Betreuungsleistung, aber auch als -Unterstützung für die selbstorganisierte Betreuung, die nicht staatlich gefördert wird, (Caren Marks [SPD]: Wer keine Bibliothek nutzt, kriegt auch Geld jeden Monat?) fördern Bund, Länder und Gemeinden jeden Platz für einen unter Dreijährigen mit 900 Euro bis 1 000 Euro im Monat. Dabei geht es um ein- oder zweijährige Kinder. (Iris Gleicke [SPD]: Kriegen jetzt Nichtschwimmer, die nicht ins Schwimmbad gehen, auch Geld?) Meine Damen und Herren, wir wollen die Wahlfreiheit. Dazu gehört einerseits das Betreuungsgeld und andererseits der massive Ausbau der Kinderbetreuungsplätze auch für die unter Dreijährigen. Noch nie wurden in Deutschland so viele Betreuungsplätze für unter Dreijährige geschaffen wie in den letzten drei Jahren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das ist auch notwendig!) Noch nie wurde so viel Bundesgeld eingesetzt, um Betreuungsplätze zu schaffen. In den letzten drei Jahren haben wir 4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. In vielen Ländern sind diese Mittel jetzt aufgebraucht. Darum haben wir jetzt zusätzliche Mittel, nämlich 580 Millionen Euro, für zusätzliche 30 000 Betreuungsplätze bereitgestellt. Was machen nun aber manche Länder bzw. die Länder? Sie blockieren, weil sie nicht regelmäßig berichten wollen, wie viele Betreuungsplätze zur Verfügung stehen. Diese Zahl brauchen wir aber, um garantieren zu können, dass wir im August 2013 auch wirklich den Rechtsanspruch erfüllen können. Ich kann mich noch gut an das Tagesbetreuungsausbaugesetz erinnern – Herr Steinmeier; Frau Künast, Sie reden nachher –, das von Rot-Grün auf den Weg gebracht worden ist. Dabei sind auch Milliarden eingesetzt worden. Ich habe aber noch keinen SPD-Bürgermeister und noch keinen SPD-Kämmerer gefunden, der mir gesagt hat: Das Geld ist in meiner Kommune angekommen. Das haben wir beim Kinderförderungsgesetz besser gemacht. Damals haben wir gemeinsam regiert. Wir haben gesagt: Es muss nachweisbar sein, dass die Kommune das Geld bekommt, die tatsächlich Betreuungsplätze für unter Dreijährige schafft. – Heute kann jeder im Haushaltsplan seiner Gemeinde nachlesen, zu welchem Anteil der Bund beispielsweise einen Neubau bezuschusst und wie hoch die laufende Förderung des Bundes ist. Dabei können sich die Kommunen auf den Bund verlassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man sich auf Sie verlässt, ist man verlassen! Das ist die Wahrheit!) Diese guten Erfahrungen wollen Sie jetzt wieder aufgeben. Insbesondere die rot-grün regierten Länder wollen das ändern und das Geld wieder in ihre Taschen leiten. Deshalb haben wir die Sorge, dass nur wenig oder gar nichts bei den Kommunen ankommt. Dabei machen wir nicht mit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Am Thema vorbei!) Meine Damen und Herren, schauen wir doch einmal auf den Ausbauzustand. Wer hat sich in den letzten Jahren angestrengt? Es gibt eine neue Studie vom Deutschen Jugendinstitut. Danach ist der Fehlbedarf in einem SPD-regierten Land am größten, nämlich in Bremen. Dann folgt Nordrhein-Westfalen. Im Osten ist der Fehlbedarf in Mecklenburg-Vorpommern am größten. Wer ist denn dort Sozialministerin? Das ist doch eine von der SPD, (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Eine gute!) die hier immer dicke Backen macht, es aber nicht hinbekommt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen stehen besser da. Deshalb kann man wirklich sagen, dass die Voraussetzungen ähnlich sind. (Caren Marks [SPD]: Niedersachsen! Schwarz-gelb!) Schauen wir doch einmal in den Westen. Wer hat im Westen den geringsten Fehlbedarf? Dies ist der Freistaat Bayern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bayern ist für das Betreuungsgeld, tut aber etwas für den Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen und ist dabei vorbildlich. Bayern hat sich wirklich angestrengt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei dieser Lage sollten Sie Ihre Länder beeinflussen, dass sie die 580 Millionen Euro für die 30 000 neuen Betreuungsplätze nehmen, nicht weiter blockieren und ihrer Berichtspflicht nachkommen. (Caren Marks [SPD]: Reden Sie einmal zum Betreuungsgeld!) Vielleicht ist der wirkliche Grund für die heutige Aktuelle Stunde, von diesem Problem und von Ihrem eigenen Versagen abzulenken. Dabei machen wir aber nicht mit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Caren Marks [SPD]: Thema verfehlt!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Markus Grübel. – Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Dr. Gregor Gysi. Bitte schön, Kollege Dr. Gregor Gysi. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beschäftige mich jetzt einmal mit dem Frauenbild der Männer der CDU/CSU. Ich kenne Ihr Frauenbild. Sie stellen sich Frauen so vor: Frauen sitzen zu Hause, betreuen, versorgen und erziehen die Kinder. Dann machen sie die Wohnung sauber. Dann kümmern sie sich um die Wäsche aller Familienmitglieder. Dann bügeln sie die Hemden des Ehemannes. Dann gehen sie einkaufen. Dann stellen sie ihrem Mann die Puschen hin, damit er abends bequem vor dem Fernseher sitzen kann. (Markus Grübel [CDU/CSU]: Realitätsfremd!) Ich sage Ihnen aber: Dieses Frauenbild ist so etwas von veraltet, dass ich mich wundere, dass Frau Hasselfeldt in der CSU nicht darum kämpft, dass das endlich einmal überwunden wird. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Zwischendurch müssen sie beim ZDF anrufen!) Davon gibt es auch eine Folge: In Ihrer Fraktion gibt es wenig Frauen, nämlich nur 18,98 Prozent. In unserer Fraktion gibt es mehr Frauen als Männer, nämlich 55,2 Prozent. Erreichen Sie das erst einmal. (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einen Frak-tionsvorsitzenden!) Ich weiß natürlich auch, dass es Frauen gibt, die eine solche Rolle übernehmen und sich sogar darin wohlfühlen. Ich habe vor ihnen auch vollen Respekt. Aber das heißt nicht, dass man das politisch als Bundestag noch finanziell fördern und unterstützen muss. Ganz im Gegenteil: Wenn man die Gleichstellung der Geschlechter erreichen will, muss man zumindest in der CDU/CSU erst einmal das Bild der Männer von den Frauen grundsätzlich ändern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die eindeutig beweisen, dass es ein großer Vorteil für Kinder ist, wenn sie Kindertageseinrichtungen aufsuchen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ab drittem Lebensjahr! – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Kindergärten sind super!) Warum nehmen Sie sie nicht zur Kenntnis? Die Kinder lernen von anderen Kindern. Sie lernen auch sozial. Das gilt übrigens nicht nur für Kinder von Alleinerziehenden, sondern gerade auch für Kinder aus betuchten Verhältnissen. Sie lernen dann nämlich auch den Umgang mit anderen Verhältnissen und werden wieder natürlicher, als sie es von zu Hause mitbekommen haben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) In der Schule zeigt sich, dass diese Kinder, die vorher Kindertagesstätten besucht haben, aufgeschlossener sind und leichter den Lehrstoff erfassen als jene Kinder, die nur zu Hause waren. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Klassenkampf in der Kita, oder was?) Nach den Kindertagesstätten müsste der Besuch einer Ganztagsschule beginnen, und zwar auch deshalb, weil es den Kindern hilft und gleichzeitig ermöglicht, dass Frauen und Männer sich gleichberechtigt beruflich entwickeln können. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt eine Studie, die Folgendes besagt – ich zitiere wörtlich –: Besonders für die Kinder von Alleinerziehenden hat die Ganztagsbetreuung einen positiven Effekt. Ihre Schulleistungen lassen sich durch die Betreuung signifikant verbessern. Dann wird in der Studie Folgendes festgestellt: Der Anteil der Kinder von Alleinerziehenden an Gymnasien würde von 36 auf 62 Prozent steigen, wenn alle Kinder diese Angebote hätten und auch wahrnehmen könnten. Mit Ihrem Geld wollen Sie genau das verhindern. Erklären Sie doch einmal den Kindern, was Sie damit eigentlich anrichten. (Beifall bei der LINKEN – Markus Grübel [CDU/CSU]: Wir brauchen keine Betreuungsplätze, damit sie leer bleiben!) – Ja, natürlich. Sie wollen ja dann bezahlen, wenn die Eltern die Kinder nicht dort hinschicken. Damit richten Sie sich geradezu an die ärmeren Eltern, nach dem Motto: Wenn ihr Knete haben wollt, dann bringt eure Kinder nicht in die Kindertageseinrichtungen. – Ich bitte Sie, das ist 19. Jahrhundert. Das hat mit dem 21. Jahrhundert nichts mehr zu tun. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Übrigens haben die Kindertageseinrichtungen im Osten einen Vorsprung. Warum können wir das nicht in ganz Deutschland einführen? Man kann doch auch einmal einen Vorsprung im Osten für ganz Deutschland nutzen. Was spricht eigentlich dagegen? (Lachen des Abg. Holger Krestel [FDP]) – Ja, da reagieren Sie sofort arrogant. Das ist eine völlige Fehlleistung. Schauen Sie sich einmal die Studien etc. zur beruflichen Entwicklung von Frauen aus dem Osten an! Wenn Sie das nicht zur Kenntnis nehmen, dann hilft es nichts. Es tut mir leid: Dann bleiben Sie im Kalten Krieg stecken. (Beifall bei der LINKEN – Holger Krestel [FDP]: Gucken Sie mal, wo der Osten damit hingekommen ist! Sie waren am Ende pleite, und zwar nicht nur finanziell!) Ab 1. August gibt es einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuungsstellen. Vielen Kommunen fehlt aber das Geld. Warum geben Sie das für diesen Unsinn vorgesehene Geld nicht den Kommunen, um die Kinderbetreuungsstellen zu finanzieren? Sie haben von Bayern und vielen anderen Ländern gesprochen, die auf den Ausweg setzen, eine Mutter zu finden, die mehrere Kinder betreut. Das ist natürlich nur die halbe Miete. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Haben Sie ein Problem mit Tagesmüttern, oder was?) Eine Kindertageseinrichtung mit hochqualifiziertem Personal ist wesentlich besser. Das müssen wir übrigens auch erreichen, und zwar verstärkt. (Beifall bei der LINKEN) Also: Ich halte von diesem Zwischenweg relativ wenig. Nun sage ich Ihnen – auch an die Adresse der FDP –: Das Geschacher in der Koalition ist nicht nachvollziehbar. Ich frage Sie von der FDP: Was hat ein ohnehin nicht zu rechtfertigender Zuschuss zur privaten Pflegeversicherung mit dem Betreuungsgeld zu tun? Was hat die Berücksichtigung von Rentenpunkten für Frauen, die vor 1992 Kinder zur Welt gebracht haben, mit dem Betreuungsgeld zu tun? Was hat die Verpflichtung zur Wahrnehmung von Vorsorgeuntersuchungen von Kindern mit dem Betreuungsgeld zu tun? Was hat ein sogenanntes Bildungssparen für Kinder – fragen Sie das mal Herrn Brüderle! – mit dem Betreuungsgeld zu tun? Was ist das für ein Kuhhandel, den Sie organisieren? 71 Prozent aller Befragten in Deutschland wollen kein Betreuungsgeld, übrigens auch 62 Prozent aller Anhängerinnen und Anhänger der CDU. Das sollten Sie bedenken. Deshalb sage ich Ihnen: Lassen Sie diesen Blödsinn, diesen Rückfall in ein völlig antiquiertes Frauenbild und ins 19. Jahrhundert! Das brauchen wir nicht. Wir brauchen dieses Geld dringend für die Kinderbetreuungsstellen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Gregor Gysi. – Nächster Redner für die Fraktion der FDP, unser Kollege Patrick Meinhardt. Bitte schön, Kollege Patrick Meinhardt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Patrick Meinhardt (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Steinmeier, ich darf einmal zitieren: Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung (zum Beispiel Betreuungsgeld) eingeführt werden. So beschlossen bei der Änderung des Sozialgesetzbuchs durch die Große Koalition – mit Ihrer Stimme, Herr Steinmeier. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) An dieser Stelle muss man einmal sehr deutlich sagen: Stehen Sie zu dem, was Sie in der Vergangenheit in das Sozialgesetzbuch hineingeschrieben haben! (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Gott sei Dank haben wir es nicht!) Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen, Herr Steinmeier. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Da drückt sich aber einer vor der Verantwortung!) Fühlten Sie sich dem Koalitionsfrieden oder fühlten Sie sich dem deutschen Volk verpflichtet? Aus dem gleichen Jahr darf ich den Kollegen Steinbrück zitieren. Da kam die Meldung über die Ticker: Koalition konnte sich einigen. „Das Veto des Finanzministers ist weg“, sagte die damalige Ministerin von der Leyen. – Was sagte Herr Steinbrück dazu, zu diesem Betreuungsgeldkompromiss? – „Es sei ein vernünftiger Kompromiss.“ Damit sind Sie als Sozialdemokraten aus der Debatte herausgekommen. Stellen Sie sich doch Ihrer eigenen Verantwortung und schlagen Sie sich hier nicht in die Büsche! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Wer führt es jetzt ein? Sie! Wir nicht! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was sagt die FDP heute?) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben ein wichtiges Datum; das ist der 1. August nächsten Jahres. Alle Anstrengungen müssen darauf hinauslaufen, den Ausbau der Krippenplätze genau so umzusetzen, wie er verabschiedet worden ist. Diese Bundesregierung stellt die Mittel hierfür in vollem Umfang zur Verfügung. Sie legt noch einmal 580 Millionen Euro obendrauf. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das wird nicht reichen! – Caren Marks [SPD]: Die wir Ihnen mühselig abgetrotzt haben!) Deswegen: Kümmern Sie sich darum, dass Ihre Landesregierungen diese Mittel abrufen, die Auszahlung nicht blockieren, sondern den Weg freimachen, sodass wir am 1. August kommenden Jahres auch das erreichen, was wir in diesem Land gesellschaftspolitisch erreichen wollen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine ganze Reihe von Herausforderungen, die wir in diese Diskussion um die Frage des Betreuungsgeldes, die Frage der richtigen Familienpolitik und die Frage der richtigen gesellschaftspolitischen Schwerpunkte mit -hineinbringen wollen. Logischerweise – das gehört zu einer Koalition – gibt es bei Wegen zu einem Ziel unterschiedliche Akzentuierungen und auch eine Diskussion darüber, wie die Ausgestaltung optimal laufen soll. Als FDP-Bundestagsfraktion haben wir klare Akzente in der Debatte gesetzt. Zum Ersten geht es darum, dass wir so schnell wie möglich eine schwarze Null im Bundeshaushalt wollen; (Caren Marks [SPD]: Wir haben eine Null in der Regierung sitzen! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben nur Nullen in der Regierung!) das hat für uns oberste Priorität. Wir wollen erreichen, dass eine solide Finanzierung sichergestellt ist; denn eine solide Haushaltspolitik ist die beste Generationenpolitik. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zum Zweiten – das ist für uns der zentrale Punkt –: Wir wollen als Liberale und wir wollen auch in dieser Regierungskoalition ein bildungspolitisches Signal setzen. (Caren Marks [SPD]: Das haben Sie auch -nötig!) Es geht um eine starke Bildungskomponente, wie es der Bundesvorsitzende der Freien Demokratischen Partei formuliert hat. Es geht darum, für die Kinder Bildungschancen für die Zukunft zu eröffnen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn jetzt?) Deswegen ist das Ziel der Liberalen, in dieser Debatte, in dieser gesellschaftspolitisch wichtigen Debatte, ein kluges Zeichen für ein intelligentes Bildungssparen zu setzen. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wo ist es denn? Wo denn?) Bildungspolitische Fragestellungen an dieser Stelle zu diskutieren, ist aus liberaler Sicht der richtige Ansatzpunkt. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Machen Sie doch einmal einen Vorschlag!) Monat für Monat sind hier Möglichkeiten gegeben, die wir im Koalitionsvertrag auch schon angedeutet und aufgetan haben, nämlich beispielsweise über ein Bildungskonto, über einen Bildungsbonus Schwerpunkte zu setzen. Das wäre der Einstieg in ein modernes und sozial gerechtes Bildungssparen. Unser Ziel ist es, dass wir in dieser gesellschaftspolitischen Debatte einen starken Akzent, ein starkes Zeichen für die Bildung setzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Zusammenhang ist es auch wichtig und gut, dass das Bundeswirtschaftsministerium ein Gutachten zur Zukunft des Vermögensbildungsgesetzes in Auftrag gegeben hat, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Meinhardt, wir reden doch zum Betreuungsgeld!) um zu schauen, auf welche Art und Weise wir Vermögensbildung über die Frage des Bildungssparens und die Frage der stärkeren Akzentuierung hier miteinander erreichen können. (Mechthild Rawert [SPD]: Soziale Chancengleichheit!) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es lohnt sich, in diesem Hohen Hause darum zu streiten, wie wir Zukunftschancen für Kinder verbessern können. Es lohnt sich, auch darum zu streiten, wie wir einen Bildungsbonus schaffen können. Es lohnt sich mit Sicherheit, darum zu streiten, wie wir die Bildungschancen in diesem Land noch weiter erhöhen können. Das ist die Debatte, die wir hier auch führen müssen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Patrick Meinhardt. – Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Renate Künast. Bitte schön, Frau Kollegin Renate Künast. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will einmal sagen: Bisher habe ich kein entscheidendes Argument für das Betreuungsgeld gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Mein letzter Vorredner, Herr Meinhardt, hat gesagt, das wichtigste Datum im nächsten Jahr sei der August 2013, wenn es den Rechtsanspruch gibt. Ich habe eher den Eindruck: Bei Ihnen ist das wichtigste Datum der 1. April nächsten Jahres; denn so agieren Sie. (Markus Grübel [CDU/CSU]: Inkrafttreten Betreuungsgeld! Da haben Sie recht!) Anders kann ich das nicht verstehen; denn mit dem 1. April verbindet man doch immer einen Aprilscherz. (Holger Krestel [FDP]: Hören Sie die Bartwickelmaschine klappern?) Was soll man denn davon halten: Herr Rösler läuft herum und kritisiert zu Recht: Das Betreuungsgeld ist zu teuer. Es ist ein falsches Instrument. Es ist nicht gegen-finanziert und hat keine bildungspolitische Komponente. – Da denken wir schon: Wow! Endlich legt sich jetzt die FDP einmal ins Zeug – ganz modern – und tut etwas für die Kinder und für die Frauen. – Kurz danach kommt Herr Brüderle, springt Rösler in den Nacken und sagt: Nein, wir sind vertragstreu. – Dann gilt wieder das. Herr Meinhardt hat gerade hier am Redepult einen doppelten Rittberger zur Aufführung gebracht und gesagt: (Patrick Meinhardt [FDP]: So etwas schaffe ich gar nicht!) Beide haben recht. Wir sind vertragstreu. – Dann kommt mit Bildungssparen sozusagen die bildungspolitische Komponente ins Spiel. Wollen Sie uns und auch die Frauen in diesem Land eigentlich veräppeln? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wer über Bildung redet, weiß: Auf den Anfang kommt es an. Wollen Sie uns jetzt erzählen, dass ein Kind das erste, zweite, dritte, vierte Lebensjahr zu Hause bleiben soll, obwohl es auf den Anfang ankommt, um Bildung zu erleben – wir wissen, der Kindergarten hat einen Bildungsauftrag –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und dass man mit 100 oder 150 Euro für Bildungssparen für später vorsorgen soll? Sie müssen wissen: Die Entscheidung darüber, ob sich ein Kind auf seinem Schulweg tapfer und mutig zum Beispiel zum Abitur und um zu studieren auf den Weg macht, wird nicht dadurch gefällt, dass man sicherheitshalber schon im Kindesalter Bildungssparen für das Studium macht. Vielmehr wird dies dadurch entschieden, dass dieses Kind seine Kompetenzen und Möglichkeiten kennenlernt und ausleben und entwickeln kann. Und da gehen Sie wieder nicht ran! Insofern: Vergessen Sie Ihr Bildungssparen an dieser Stelle! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Patrick Meinhardt [FDP]) – Über das Bildungssparen können wir gerne diskutieren. Aber vorher machen wir das Betreuungsgeld nicht. Dann würde Bildungssparen Sinn machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das alles ist doch von vorgestern und keine Antwort auf die Frage, die die meisten Eltern haben, die sagen, sie seien hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie aufgerieben. Der Bedarf an Krippenplätzen steigt immer noch weiter. In manchen Kommunen liegt er schon heute bei über 50 Prozent. Viele Väter wollen gerne weniger erwerbstätig und Frauen mehr erwerbstätig sein. Für solche Dinge muss man doch einen familienpolitischen und bildungspolitischen Rahmen schaffen. Aber ich habe den Eindruck: Hier sollen nicht die Familien gerettet werden, sondern hier soll die Koalition gerettet werden, weil Sie sich gerade noch durchmauscheln wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist nichts als ein Versuch, irgendwie davon abzulenken, dass die Aufgaben für den August 2013 in Bezug auf den Rechtsanspruch nicht realisiert werden können. Der nationale Bildungsbericht, von Frau Schavan in Auftrag gegeben, hat vor der Leistung Betreuungsgeld gewarnt. Bei den Empfehlungen aus Europa für unseren Haushalt wird gesagt: keine steuerlichen finanziellen Anreize dieser Art für das Zuhausebleiben. Die Mehrheit der Eltern will das Betreuungsgeld nicht. Selbst der Sozialdienst katholischer Frauen in Bayern will das Elterngeld nicht. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Elterngeld?) – Betreuungsgeld. Entschuldigung. – Alle wollen an dieser Stelle eine bessere Infrastruktur mit mehr Personal und individueller Förderung. Dann frage ich mich noch, warum Sie und Frau von der Leyen an dieser Stelle so gern von einer drohenden Altersarmut der Frauen reden. Sie bekämpfen doch die Altersarmut der Frauen nicht damit, dass Sie ihnen heute 100 oder 150 Euro geben. Vor drei, vier Wochen sollte das noch sein, damit die Frauen ihre Altersvorsorge bezahlen können. Aber auch das ist offensichtlich schon wieder vergessen. (Markus Grübel [CDU/CSU]: Nein! Das steht noch auf der Tagesordnung! Abwarten!) Was soll denn sein? – Die Frauen brauchen eine echte Wahlfreiheit. Das heißt, es muss mehr Kindergartenplätze geben, und es muss irgendwann einmal einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagskindergartenplatz geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Nur so funktioniert das. Wir müssen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt noch viel mehr erreichen, zum Beispiel die Schließung der Lohnlücke und einen Mindestlohn. Was ich bei Ihnen kritisiere, ist ganz klar: Nach Ihrer Vorstellung soll mit dem Betreuungsgeld die Erziehungsleistung gesetzlich anerkannt werden. Aber am Ende bekommen auch die, die gar nicht erziehen, sondern die 100 oder 150 Euro als Taschengeld für das Au-pair-Mädchen nehmen, das Geld. Was wollen Sie denn nun: eine Erziehungsleistung an dieser Stelle rechtfertigen oder einen Bildungsauftrag wahrnehmen? Mein letzter Gedanke in meiner Rede gilt Ihnen, Herrn Grübel. Herr Grübel, Sie haben sich hier durch das Thema gegrübelt. Sie haben gesagt, Sie würden den Ländern 580 Millionen Euro zusätzlich geben. Sie haben aber nicht gesagt, dass die 580 Millionen Euro von den Bundesländern kofinanziert werden sollen und es eine regelmäßige Berichtspflicht geben soll. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Aha! – Markus Grübel [CDU/CSU]: Das ist doch Aufgabe der Länder!) Ausgemacht war an dieser Stelle: Länder und Kommunen übernehmen die Personalkosten, während der Bund eine einmalige finanzielle Leistung als Investition erbringt. Sie haben nicht die Wahrheit gesagt. Sie geben den Kommunen nicht das Unterstützungsgeld, sondern stattdessen das Betreuungsgeld. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Das lehnen wir ab. Im Notfall schaffen wir es im nächsten Jahr wieder ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Renate Künast. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Norbert Geis. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Norbert Geis (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Künast, Sie bringen einiges durcheinander. Sie verwechseln nicht nur das Betreuungs- mit dem Elterngeld, sondern Sie unterscheiden auch nicht zwischen Krippe und Kindergarten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der eine Versprecher!) Die Krippe betreut Kinder in den ersten drei Jahren, und dann beginnt der Kindergarten. Wir alle sind dafür, dass möglichst viele Kinder in den Kindergarten gehen. Wir stimmen mit Ihnen darin überein, dass die Kinder ab diesem Alter in den Kindergarten kommen sollen, damit deren Kommunikationsfähigkeit wächst. Das wollen wir genauso wie Sie. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie dürfen uns das Gegenteil nicht vorwerfen. In dieser Debatte ist nichts Neues hervorgebracht worden, und es wird auch nichts Neues hervorgebracht. (Caren Marks [SPD]: Ja, dann können Sie sich ja setzen!) Wir reden hier im Parlament zum siebten oder achten Mal über das Betreuungsgeld. Sieben oder acht Mal sind dieselben Argumente vorgetragen worden. Um was geht es Ihnen eigentlich? Es geht Ihnen gar nicht mehr um die Argumente, sondern darum, aus einer vielleicht koalitionsinternen Meinungsverschiedenheit Kapital für Ihre eigene Partei zu schlagen. (Caren Marks [SPD]: Nein, die Kinder! Es geht um die Kinder!) – Darum geht es nicht. Es geht Ihnen nicht um die Kinder. – Es geht Ihnen ganz billig um einen Vorteil für Ihre eigene Partei. Den brauchen Sie natürlich auch, weil Sie sonst keinen bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Wir kämpfen für die Kinder!) – Lassen Sie mich doch einmal ausreden! Ich will Ihnen sagen, was ich am Betreuungsgeld kritisiere. Ich kritisiere am Betreuungsgeld die Bezeichnung. Früher haben wir dazu Erziehungsgeld gesagt. Es wurde zwei Jahre das Erziehungsgeld und in einigen Bundesländern ab dem dritten Jahr das Landeserziehungsgeld gezahlt. Das gab es beispielsweise in Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen. Wir haben es damals Erziehungsgeld genannt. Es geht hier schließlich um Erziehung. Es geht darum, dass durch dieses Geld die Erziehungsleistung der Eltern unterstützt wird. Dazu hat der Staat nach Art. 6 Grundgesetz eine Verpflichtung. Er muss die Erziehungsleistung der Eltern unterstützen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Aller Eltern!) – Aller Eltern. – Deswegen sollten wir es nicht Betreuungsgeld nennen; denn es geht nicht um Betreuung, sondern um Erziehung. Eine bessere Bezeichnung wäre also Erziehungsgeld. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Warum denn nur dann, wenn die Krippe nicht besucht wird?) Herr Steinmeier und viele andere haben vorgetragen, dass Kinder, wenn sie in den ersten drei Jahren bei ihren Eltern bleiben und daheim erzogen werden, (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das steht nicht drin im Gesetz!) einen Nachteil gegenüber Kindern haben, die eine Kita besucht haben. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Nein, nein, nein!) – Okay, ich nehme Ihre Korrektur entgegen. – Das kann auch nicht richtig sein. Aber es wird so verstanden. Es kann nicht sein, dass Sie die Erziehung durch die Eltern, die Mutter oder den Vater, disqualifizieren. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Das kann doch nicht sein. Damit will ich aber nicht sagen, dass die Eltern, die ihr Kind in die Kita geben, nicht in gleichem Maße Nähe und Bindung zum Kind aufbauen können. Ich gehe davon aus, dass dies ebenfalls der Fall ist. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nein, das sagen Sie überhaupt nicht!) – Nein, ich sage das nicht. Aber ich sage Ihnen: Sie können auch nicht das Gegenteil behaupten, nämlich dass ein Kind einen Nachteil hätte, wenn es nicht in die Kita kommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist weit hergeholt und völlig falsch. Des Weiteren wird immer wieder behauptet – auch von Ihnen, Herr Steinmeier –, das Betreuungsgeld sei verfassungswidrig. (Caren Marks [SPD]: Das sagen Verfassungsexperten! – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Nicht das Betreuungsgeld, der Entwurf ist verfassungswidrig!) Das kann ich nun überhaupt nicht nachvollziehen. Was geschieht denn hier? Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, im Jahr 2008 haben Sie zugestimmt, dass die Erziehungsleistungen der Eltern unterstützt werden sollen. Das sollte zum einen durch die Kitas erfolgen; hier sind wir voll bei Ihnen. Hierfür hat der Staat bereits über 4 Milliarden Euro geleistet. Es sind die SPD-regierten Länder, die ihre Leistung noch nicht erbracht haben. Das müssen Sie sich vorhalten lassen. Zum anderen sollte eine Unterstützung durch das Betreuungsgeld erfolgen. Das haben Sie im Jahr 2008 selber so entschieden. Sie haben mit uns entschieden, dass der Staat die Unterstützung der Erziehungsleistungen auf zweierlei Weise vornehmen kann (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Jetzt brauchen Sie uns, um Ihr Betreuungsgeld zu rechtfertigen?) – nein, ich will Ihnen nur die Wahrheit sagen –, nämlich auf der einen Seite durch die Kita als Sachleistung und auf der anderen Seite durch das Betreuungsgeld als Geldleistung. Was soll daran verfassungswidrig sein? Wir geben den Eltern Wahlfreiheit. Wir sagen ihnen: Ihr könnt wählen, ob ihr euer Kind in die Kita gebt oder ob ihr das Betreuungsgeld nehmt. – Eine solche Wahlfreiheit kann doch nicht verfassungswidrig sein. So etwas kann doch nur einem seltsam gewundenen juristischen Hirn einfallen. Damit können Sie bei uns nicht anlanden. Ich möchte einen weiteren Punkt hervorheben. Der Staat wird meiner Meinung nach in eine Gerechtigkeitslücke geraten, wenn er nur die Eltern unterstützt, die ihr Kind in die Kita geben. Das sind ja maximal 40 Prozent der Eltern. 60 Prozent der Eltern, die ihr Kind in den ersten drei Jahren daheim erziehen wollen, soll der Staat nicht unterstützen? Das führt meiner Meinung nach zu einer Gerechtigkeitslücke. (Beifall bei der CDU/CSU) Das können wir so nicht stehen lassen. Bitte werfen Sie einen kurzen Blick zu unseren Nachbarn in Frankreich. Dort werden die Kinder landesweit zu maximal 15 Prozent in die Krippe gebracht, 25 Prozent gehen zur Tagesmutter. Frankreich zahlt aber ein einkommensabhängiges Betreuungsgeld von 300 bis 500 Euro. Ähnlich verhält es sich in Skandinavien. In Norwegen werden einkommensabhängig pro Monat und Kind mindestens 300 Euro als Betreuungsgeld gezahlt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die schaffen das Betreuungsgeld gerade ab!) In Schweden wird es ähnlich gehandhabt. Nur wir sind wieder einmal klüger. Wir sollten etwas bescheidener sein und uns lieber ein Beispiel an unseren Nachbarn nehmen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Skandinavien schafft es ab, Herr Geis!) Vielleicht kommen Sie dann auf andere Ideen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Norbert Geis. – Nächste Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unsere Kollegin Caren Marks. Bitte schön, Frau Kollegin Caren Marks. (Beifall bei der SPD) Caren Marks (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Geis, wenn Ihre Argumentation so überzeugend wäre, dann hätte das vielleicht auch zu einer erneuten Aufstellung in Ihrem Wahlkreis geführt. Das sei nur nebenbei bemerkt. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! Oh!) Herr Meinhardt, das ist doch der verzweifelte Versuch der FDP, sich hier einen schlanken Fuß zu machen. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wenn Ihnen die Argumente ausgehen, kommen persönliche Verleumdungen! Pfui!) Im KiföG steht ausdrücklich, dass das Betreuungsgeld 2013 eingeführt werden soll. Das heißt, diejenigen, die jetzt regieren, kommen nicht aus der Verantwortung heraus. (Patrick Meinhardt [FDP]: Sie aber auch nicht!) Wer den Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld einbringt und verabschiedet, der ist dafür verantwortlich. (Patrick Meinhardt [FDP]: Sie haben es -verabschiedet!) Frau von der Leyen, die im Übrigen genauso wie die SPD immer ganz klar gegen das Betreuungsgeld war, hat es nicht vermocht, die CSU im Zaum zu halten und zu verhindern, dass das Betreuungsgeld im KiföG aufgenommen wird. Hätten wir in dem Gesetzentwurf nicht die unverbindliche Sollbestimmung aufgenommen, hätte der Bund damals nicht den gesamten U-3-Ausbau vorangebracht und 4 Milliarden Euro bereitgestellt. Es ging uns um die Kinder und die Familien; das war wichtiger. Jetzt liegt es alleine an Ihnen, die Einführung des Betreuungsgeldes scheitern zu lassen. Aus dieser Nummer kommen Sie als FDP nicht heraus; das sage ich Ihnen. (Beifall bei der SPD) Wer die Debatte über das Betreuungsgeld in den vergangenen Monaten verfolgt hat, dem wird sicherlich aufgefallen sein, dass sich die Regierungskoalition stets um die Beantwortung einer ganz entscheidenden Frage he-rumdrückt: Wer soll das bezahlen? Der FDP – genauer gesagt: dem FDP-Vorsitzenden und Vizekanzler Rösler – fällt auf einmal ein, dass die Regierungskoalition hierauf ja noch eine Antwort schuldig ist. Plötzlich stellt er das Betreuungsgeld unter Finanzierungsvorbehalt. (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht plötzlich!) Ist das vielleicht ein Versuch, sich – auch in den eigenen Reihen – als Hardliner zu profilieren, Herr Rösler? Warum Sie nicht schon von Anfang an auf die Finanzierung des Betreuungsgeldes gepocht haben – gerade bei einem derart umstrittenen Gesetzentwurf –, findet meine Fraktion wirklich mehr als rätselhaft. Wir haben immer darauf gedrängt, Ross und Reiter bei der Finanzierung zu nennen. Dann kommt wenige Tage nach Ihnen, Herr Rösler, Ihr Fraktionsvorsitzender Brüderle als Versöhner um die Ecke gebogen und sagt: Das Betreuungsgeld wird von der FDP mitgetragen. (Zuruf von der CDU/CSU: Guter Mann!) Meine Herren von der FDP, welches Wort gilt denn nun? Auch die Berliner Zeitung spricht bereits von einer Debatte in der FDP, die verzweifelte Formen angenommen habe. Aber der Gipfel in dieser Debatte ist, dass die CSU öffentlich ein Finanzierungskonzept ablehnt. So sieht Frau Hasselfeldt – so in öffentlichen Erklärungen – keine Notwendigkeit einer Gegenfinanzierung. Solide Haushaltspolitik, meine Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, geht definitiv anders. Wo kommen wir hin, wenn die Bundesregierung in Zukunft nicht mehr verpflichtet ist, zu sagen, woher das Geld für ein neues politisches und vor allem unsinniges Vorhaben kommt? Zu Recht gibt es große Befürchtungen, dass vor allem im Bereich des Bundesfamilienministeriums wirklich herbe Einschnitte drohen. Kürzungen zulasten von Familien, Kindern, Jugendlichen und Älteren – so wird das Gegenfinanzierungskonzept zum Betreuungsgeld aussehen. Das geht auf Kosten der Familien, für die Sie angeblich mit dem Betreuungsgeld Politik machen wollen. Meine Kolleginnen und Kollegen, Fakt ist: Das geplante Betreuungsgeld ist wirklich nichts anderes als der verzweifelte Versuch der CSU, die Kosten für ein bayerisches Wahlversprechen dem Bund aufs Auge zu drücken. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ihnen lassen wir das nicht durchgehen. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Sie haben es doch damals als SPD vereinbart!) Das ist die Wahrheit, der Sie sich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, stellen müssen und die nun endlich auch dem kleinen Koalitionspartner, zumindest dem Vizekanzler, zu dämmern scheint. Meine Damen und Herren von der Koalition, jenseits der Finanzierungsfrage ist noch etwas ganz anderes wichtig: Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger und die große Mehrheit der Familien in unserem Land verstehen nicht, warum Sie so vehement dieses Betreuungsgeld durchdrücken wollen. Erst recht durchschaut wirklich niemand mehr die Vorschläge, die wie Tennisbälle aus einer Ballmaschine auf uns niederprasseln. Mal soll das Betreuungsgeld an alle ausgezahlt werden, dann wieder nur an bestimmte Gruppen, aber nicht an Empfängerinnen und Empfänger von Transferleistungen. Dann kommt ein neuer Vorschlag: Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II sollen vielleicht doch das Betreuungsgeld bekommen, aber natürlich nicht bar, sondern quasi als Gutschein. Mal fordern Sie, das Betreuungsgeld an die Wahrnehmung von Vorsorgeuntersuchungen zu knüpfen, dann wieder nicht. Ein anderes Mal verknüpfen Sie es mit der Praxisgebühr. Ich fürchte, Schwarz-Gelb blickt hier selbst nicht mehr durch. Für meine Fraktion und für die Menschen wird diese Diskussion von Tag zu Tag absurder. Wir bleiben bei unserer klaren Haltung: Das Betreuungsgeld ist und bleibt Unsinn, egal wie es ausgestaltet wird. Es schadet dem Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung. Es konterkariert Bildungs-, Gleichstellungs- und Sozialpolitik. (Zuruf von der CDU/CSU: Mein Gott!) Es widerspricht einer modernen Familienpolitik, wie -übrigens auch vier ehemalige Familienministerinnen, darunter auch zwei aus den Reihen der Union, öffentlich deutlich gesagt haben. Vielleicht denken Sie einmal darüber nach. Wir appellieren erneut an Sie, insbesondere an Sie, Herr Rösler, den Vizekanzler: Stehen Sie als FDP zu Ihrem Wort! Stehen Sie als FDP-Vorsitzender zu Ihrem Wort! Lassen Sie die Finger von diesem Vorhaben! Es wird uns gesellschaftspolitisch um Jahre zurückwerfen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollegin Caren Marks. – Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Florian Toncar. Bitte, Kollege Toncar. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Iris Gleicke [SPD]: Frauenstreik! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: FDP-Frauen ins Plenum!) Florian Toncar (FDP): Danke schön, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe Verständnis dafür, dass wir heute eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema haben, auch wenn es eigentlich in fast jeder Woche der letzten Monate dazu eine Debatte gegeben hat; aber es ist ja auch ein kontroverses Thema. Neue Argumente hat die heutige Debatte nicht hervorgebracht; das muss man auch sagen. Frau Kollegin Marks, ich glaube, dass Sie nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollten, dass es nicht darum geht, dass sich irgendjemand in der Koalition um die Verantwortung für das Betreuungsgeld drücken möchte. Vielmehr verantworten alle, die darüber zu beschließen haben, das, was letztlich beschlossen wird. Das war und ist so. (Iris Gleicke [SPD]: Eure Frauen haben sich schon aus dem Plenum verabschiedet, weil es ihnen so peinlich ist!) Aber worum es natürlich schon geht, ist die Frage Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit, und das hat der Kollege Meinhardt thematisiert. Ich halte es für nicht besonders glaubwürdig, dass diejenigen, die schon einmal eine Barleistung akzeptiert hatten – das Wort „Zahlung“ steht in Ihrem Konzept von 2008 –, (Caren Marks [SPD]: Soll!) nun die Allerersten sind, die solche Aktuellen Stunden beantragen. Darum geht es und nicht um die Frage der Verantwortung der Regierungskoalition. (Beifall bei der FDP) Der Bundeswirtschaftsminister Dr. Rösler hat am vergangenen Sonntag nochmals auf zwei Sachargumente hingewiesen, die es zu berücksichtigen gilt. Es geht um die Frage, wie man das Betreuungsgeld so ausgestalten kann, dass es bildungspolitisch die richtigen Folgen zeitigt, dass es eine Bildungskomponente gibt, und um die Frage, wie wir es in Zeiten abkühlender Konjunktur mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung vereinbaren können. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie den Quatsch doch einfach wegstreichen!) Das sind berechtigte Argumente. Sie sind im Übrigen nicht zum ersten Mal geäußert worden. Sie wurden von meiner Fraktion hier immer wieder vorgetragen. Das ist nichts Neues; aber es bleibt natürlich richtig, dies auch so zu sagen. (Beifall bei der FDP) Über diese Fragen wird jetzt gesprochen. Es wird in den nächsten Wochen darüber Gespräche geben, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drei Jahre schon!) und wenn es etwas gibt, was entscheidungsfähig ist, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit drei Jahren schon!) dann wird es hier im Deutschen Bundestag vorgelegt. Die FDP ist vertragstreu; aber Gründlichkeit geht uns vor Schnelligkeit. Es kann keine Rede davon sein, dass hier etwas durchgedrückt wird, wie Sie gesagt haben, Frau Kollegin. Ganz im Gegenteil: Es wird gründlich diskutiert, und der Vizekanzler hat dazu berechtigte Anmerkungen gemacht. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Herr Brüderle auch?) Sie haben aber auch zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Koalition in dieser Wahlperiode viele echte Verbesserungen für Familien bereits beschlossen hat, und das übrigens in einer sehr angespannten finanziellen Situation. Ich will darauf noch einmal hinweisen, weil ich glaube, dass die Debatte einen falschen Eindruck erweckt, wenn hier immer nur über ein Thema diskutiert wird und viele Verbesserungen für Familien und im Bildungsbereich in den letzten Jahren völlig ignoriert werden. Die Familien sind von dieser Koalition steuerlich entlastet worden; das Kindergeld ist erhöht worden. Wir haben beschlossen, in vier Jahren 12 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und Forschung auszugeben. Das ist etwas, wovon Familien sehr profitieren, gerade auch im Bereich der frühkindlichen Bildung. Wir haben beispielsweise 300 Millionen Euro dafür zur Verfügung gestellt, dass es in den Kindertagesstätten eine qualifizierte Sprachförderung durch zusätzliches Personal gibt, damit unter drei Jahre alte Kinder, die nicht ausreichend Deutsch können, dort Deutsch lernen. Dies kostet übrigens die Kommunen keinen einzigen Euro; das zahlt alles der Bund. Das heißt, wir haben nicht nur in die Quantität, also in Betreuungsplätze, sondern auch in die Qualität der Betreuung, in die Bildung in den Kindertageseinrichtungen investiert. Die Angebote vor Ort werden hervorragend angenommen, und das zeigt auch, dass man im Bereich der frühkindlichen Bildung wirklich etwas getan hat. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben in diesem Jahr beschlossen, dass der Bund nochmals 580 Millionen Euro für zusätzliche Plätze bei der Kinderbetreuung ausgibt. Früher haben alle drei staatlichen Ebenen ihren Anteil geleistet und sich beteiligt, also auch Länder und Kommunen. Jetzt füllt der Bund die Lücke und stellt die zusätzlichen Mittel allein bereit. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt ja gar nicht! Sie wollen eine Kofinanzierung!) Ich würde von Ihnen gern einmal wissen, was Sie dazu sagen, dass die Länder nicht eine ähnliche Verpflichtung wie der Bund übernommen haben. Wenn die Länder dies getan hätten, wären wir weiter, was die Zahl der Betreuungsplätze angeht. Dann hätten wir mehr Geld zur Verfügung, um die frühkindliche Bildung zu verbessern. Da sind Sie wiederum aus der Debatte ausgestiegen. Ihre Länder haben da nichts gemacht, und auch darauf muss man an dieser Stelle einmal hinweisen. Wir haben dafür gesorgt, dass der Bund über das hinaus, was bereits den Kommunen zugesagt wurde, Verpflichtungen bei den Betriebskosten der Kitas übernimmt, weil es eben nicht reicht, nur Gebäude herzustellen und auszustatten und Plätze zu schaffen. Schließlich haben die Kommunen Folgekosten zu tragen. Auch da engagieren wir uns stärker, als es ursprünglich im Jahr 2007 zugesagt worden war. Diese Koalition kümmert sich also um frühkindliche Bildung. Sie nimmt dafür auch eine ganze Menge Geld in die Hand. Auch das soll heute erwähnt werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ganz allgemein will ich darauf hinweisen, dass wir auch in Zeiten der Schuldenbremse die Kommunen in Deutschland um über 4 Milliarden Euro jährlich entlasten, weil wir wissen, dass sie gerade wegen dieser Mammutaufgabe, dieser riesigen Aufgabe des Kinderbetreuungsausbaus, mit den herkömmlichen finanziellen Mitteln alleine nicht klargekommen wären. Wir werden – aufwachsend in den nächsten Jahren – über 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen und so den Kommunen zusätzlichen Spielraum verschaffen. Sie wissen genauso gut wie wir, dass Kommunen besonders stark in Bildung investieren, dass also eine Entlastung der Kommunen immer direkte Folgen für die Qualität der Bildungsarbeit vor Ort hat. Wir tun etwas für die frühkindliche Bildung. Alle anderslautenden Behauptungen gehen an den Tatsachen vorbei. Wir werden uns deswegen in dieser Frage über Lösungen verständigen, aber ansonsten unseren Kurs weiterverfolgen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Toncar. – Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Rolf Schwanitz. Bitte schön, Kollege Rolf Schwanitz. (Beifall bei der SPD) Rolf Schwanitz (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Geis, nach Ihrem ergreifenden Bekenntnis, dass wir alle dafür sind, dass möglichst viele Kinder im Alter von unter drei Jahren in die Kindertagesstätten gehen, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt! In den Kindergarten!) will ich auf den Zusammenhang zwischen Kitaausbau und Betreuungsgeld hinweisen. Ich will dazu einfach aus dem Gesetzentwurf zitieren, den die Regierung im Kabinett beschlossen hat. Da heißt es nämlich zum Betreuungsgeld: Es schließt die verbliebene Lücke im Angebot staatlicher Förder- und Betreuungsangebote für Kinder bis zum dritten Lebensjahr. Das Betreuungsgeld soll den Bedarf im Kitabereich verringern. Darum geht es, meine Damen und Herren; das ist der Zusammenhang. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie wissen das und schreiben das sogar in den Gesetzentwurf. Das geht schon knapp an Heuchelei vorbei. Ich will etwas zur Finanzierung dieses Rückschrittsprojekts sagen, weil sie mich als Haushälter natürlich ganz besonders berührt. Das Betreuungsgeld ist im Haushaltsentwurf 2013 mit 300 Millionen Euro etatisiert, im Familienetat als gesetzliche Leistung ausgewiesen. Ich habe die Ministerin bei den Berichterstattergesprächen gefragt: Wie sieht denn die Gegenfinanzierung aus? Die Ministerin hat in der ihr eigenen schmallippigen Art gesagt: Herr Schwanitz, Sie sehen doch, dass dies nicht mit Mitteln aus meinem Etat gegenfinanziert wird. – Das ist richtig. Aber richtig ist auch, dass es 2013 über die Nettokreditaufnahme finanziert wird. Ich halte also zunächst einmal für das Jahr 2013 fest: Das, was Sie als 300-Millionen-Euro-Block für das Betreuungsgeld in den Haushalt eingestellt haben, muss auf Pump, über neue Schulden, finanziert werden. Sie finanzieren das zulasten der künftigen Generationen, die das mit Zinsen und Zinseszinsen zurückzuzahlen haben, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Das dicke Ende kommt erst noch; denn bei voller Haushaltswirkung im Jahr 2014 sind es 1,1 Milliarden Euro. 2015 wären es – wenn der Wähler Sie im nächsten Jahr gewähren ließe – 1,2 Milliarden Euro, die hier -finanziert werden müssten, und das alles unter den Vorgaben der Schuldenbremse. Es geht also nicht, dass Sie hier den Notausgang für Helden nutzen, nach dem Motto: Wir machen mal neue Schulden. – Dieser Betrag von 1,2 Milliarden Euro muss durch Kürzungen in gleicher Größenordnung direkt gegenfinanziert werden; darum geht es. Nun habe ich aufmerksam gehört, was Sie, Herr FDP-Generalsekretär Döring, gestern Morgen im Deutschlandfunk gesagt haben. Sie haben auf die Frage, wo die 1,2 Milliarden Euro eigentlich eingespart werden sollen, gesagt: Dort, wo es eingeführt wird, also im Familien-etat. (Caren Marks [SPD]: Genau wie ich es gesagt habe!) Er hat gleich zwei Tipps hinterhergeschoben und gesagt: Da gibt es ja die familienpolitischen Leistungen und die kinderpolitischen Leistungen. Die inhaltliche, politische Seite – es ist rückschrittliche Politik, ein Rückfall in das 19. Jahrhundert – ist das eine. Das andere ist, dass es faktisch einen Kahlschlag bei den familienpolitischen Leistungen geben muss, damit diese Vergangenheitspolitik finanziert werden kann. (Beifall bei der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade, dass Frau Schröder wieder nicht spricht! Sonst könnte sie uns dazu etwas sagen!) Ich will einmal die Dimensionen ins Verhältnis setzen. Die Zuschüsse für Gleichstellungspolitik, Familien und Ältere, die aus dem Familienetat von Frau Schröder aufgebracht werden, haben ein Volumen von 37 Millionen Euro. Das sind schlappe 3 Prozent dessen, was Sie für das Betreuungsgeld aufbringen und an anderer Stelle kürzen müssten. (Patrick Döring [FDP]: Die familienpolitischen Leistungen sind doch nicht im Etat von Frau Schröder!) Wo wollen Sie denn da eigentlich kürzen? Das würde mich einmal interessieren, Herr Döring. Der Kinder- und Jugendplan, das zentrale Förderinstrument im Familien-etat für die Kinder- und Jugendpolitik in Deutschland, hat ein Volumen von knapp 150 Millionen Euro. Das sind 12 Prozent dessen, was Sie für das Betreuungsgeld kürzen müssten. Was wollen Sie denn eigentlich kürzen, Herr Döring? Das würde mich schon einmal interessieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nein, dieser Irrsinn, meine Damen und Herren, muss gestoppt werden. Hier wird faktisch – ich bin fest davon überzeugt, dass das in den Hinterzimmern der Koalition schon längst diskutiert wird – der Kahlschlag einer zeitgemäßen Familienpolitik erwogen und vorbereitet, nur damit die CSU ihren Fetisch bekommt. Das ist die Situation. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die eigentliche Schuld liegt nicht bei Frau Schröder – mit Verlaub, von Frau Schröder erwarte ich an dieser Stelle nichts mehr –, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sondern bei der Bundeskanzlerin. In dieser Bundesregierung wird nicht geführt. In dieser wunderbaren schwarz-gelben Koalition kann sich jeder austoben, wie er will: vom kleinen liberalen Hanswurst bis zum Politiker aus bajuwarischen Ländern mit verstaubten Vorstellungen von vorgestern. (Widerspruch bei der CDU/CSU – Patrick Meinhardt [FDP]: Bewahren sie Haltung im Spiel!) Man wolle Nachteile vom deutschen Volk abwenden, hat Frau Merkel gesagt. Dieses Schauspiel muss nächstes Jahr beendet werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Daniela Ludwig. Bitte schön, Kollegin Daniela Ludwig. (Beifall bei der CDU/CSU) Daniela Ludwig (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Marks, zu Ihrer Rede möchte ich eigentlich gar nichts sagen, außer vielleicht zu Ihrer allerersten Äußerung. (Caren Marks [SPD]: Dann ist ja gut! – Martin Burkert [SPD]: Ja, das ist auch besser!) – Ja, das sehen Ihre Kollegen selber so, dass man Sie besser nicht kommentieren sollte. (Caren Marks [SPD]: Nein! Dass Sie besser nichts dazu sagen, das sehen die so! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ja, ja, bei der SPD ist Fremdschämen angesagt!) Wenn Ihnen gar nichts mehr einfällt – Ihre Taktik kennen wir aus den letzten Aktuellen Stunden –, dann müssen Sie offenbar gegenüber jemandem aus meiner Kollegenschaft – in diesem Fall gegenüber Herrn Geis – persönlich und diffamierend werden. Das möchte ich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit zurückweisen. (Beifall bei der CDU/CSU) Man muss andere Meinungen aushalten können, ohne gleich unter die Gürtellinie zu schlagen. Vielleicht nehmen Sie sich das beim nächsten Mal mehr zu Herzen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fangen Sie doch mal an! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Es wäre eine Entschuldigung angebracht!) Lieber Herr Steinmeier, Sie sagen, es sei eine bildungspolitische Katastrophe, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist Frau von der Leyen!) wenn Eltern ihre Kinder im Alter von ein oder zwei Jahren selbst betreuen wollen. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das ist doch Quatsch! Jetzt hören Sie doch mit diesem Unsinn auf!) – Hätten Sie diesen Unsinn nicht gesagt, dann bräuchte ich ihn nicht zu zitieren. (Caren Marks [SPD]: Ja, dann zitieren Sie mal richtig!) Herr Steinmeier, Sie sagen, es sei eine bildungspolitische Katastrophe, (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das sagt Frau von der Leyen!) wenn Eltern eine andere Betreuung als eine staatliche Krippe für ihre ein- und zweijährigen Kinder in Anspruch nehmen wollten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Ihre Ministerin! Reden Sie in Richtung Regierungsbank, nicht zu uns!) Herr Steinmeier, Sie sagen, es sei eine bildungspolitische Katastrophe, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann redet Frau Schröder eigentlich?) wenn Eltern frei und individuell entscheiden, was sie mit ihren Kleinst- und Kleinkindern im Hinblick auf die Betreuung machen wollen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch gar nicht!) Das ist peinlich. Schämen Sie sich! (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie werden es nie verstehen! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie will es nicht verstehen!) – Ich fürchte, Sie verstehen es nicht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar nichts verstanden!) Ich gestehe Ihnen aber eines zu: Zumindest haben Sie seit der letzten Aktuellen Stunde zum Betreuungsgeld, in der Sie gesprochen haben, den Unterschied zwischen Krippe und Kindergarten gelernt. Das muss man bei Ihnen schon als Fortschritt bezeichnen. (Caren Marks [SPD]: Oh Gott!) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, was ist eigentlich so schwierig daran, zu akzeptieren, dass Eltern, wenn sie ein sehr kleines Kind haben, frei darüber entscheiden wollen, ob und in welche Betreuung sie ihr Kind geben wollen? Was ist eigentlich so schwierig daran, anzuerkennen, dass es neben einer massiven, guten und richtigen Förderung von Kinderkrippen von staatlicher Seite andere Möglichkeiten einer Kleinst- und Kleinkindbetreuung geben kann und dass diese mit einem ohnehin ausgesprochen geringen Betrag von 100 bzw. 150 Euro ein Stück weit unterstützt werden sollen? Was spricht eigentlich dagegen? (Martin Burkert [SPD]: Dass die CSU nicht mit Geld umgehen kann, das wissen wir mittlerweile!) Worauf gründet sich eigentlich Ihr ständig vorgetragenes Misstrauen gegenüber Eltern? Sie behaupten: Wenn jemand nicht genug Einkommen hat, nicht mindestens -Abitur oder die deutsche Staatsbürgerschaft vorweisen kann, dann kann er darüber nicht verantwortungsbewusst entscheiden. Das verstehe ich nicht. (Caren Marks [SPD]: Das glauben wir!) Ich habe es heute leider wieder nicht verstanden. Noch einmal: Wir vertrauen Eltern, wir misstrauen ihnen nicht. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Gar nicht wahr! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stehen Sie eigentlich noch zum Rechtsanspruch? – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Dem ZDF vertrauen Sie ja auch! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie vertrauen Ihrem Pressesprecher! – Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen können wir mit ausgesprochen gutem Gewissen hinter dem Konzept des Betreuungsgeldes stehen. Die FDP will noch eine Bildungskomponente einbauen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Da es um ein- oder zweijährige Kinder geht, bin ich gespannt, was Sie vorschlagen wollen, aber ich bin offen für alles. (Zurufe von der SPD: Oh! Oh!) Wir können aber nicht darüber reden, dass es die Mehrheit der linken Seite dieses Hauses als schlecht ansieht, wenn Kinder im Alter von einem Jahr zu Hause bleiben und erst in den Kindergarten gehen, wenn sie drei Jahre alt sind. In Bayern haben wir eine 99-prozentige Abdeckung mit Kindergartenplätzen. Ich glaube, den bayerischen Kindern geht es gut. Wer möchte, dass sein Kind in eine Krippe geht, findet in Bayern in quantitativer und qualitativer Hinsicht die besten Voraussetzungen. Unser Haushalt ist so gesund, dass wir uns einen ordentlichen Krippenausbau locker leisten können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Die Landesbank lässt grüßen! Herzlichen Glückwunsch!) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächste Rednerin ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Marianne Schieder. Bitte schön, Frau Kollegin Marianne Schieder. (Beifall bei der SPD) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte das große Glück, auf einem Oberpfälzer Bauernhof groß werden zu dürfen, zusammen mit Geschwistern und in einer ganz typischen bäuerlichen Großfamilie, vor allen Dingen aber mit einer Großmutter, die für nahezu alle Lebenssituationen die richtige Lebensweisheit parat hatte. Kurz, knapp, prägnant und sehr bildhaft wurde die Sache auf den Punkt gebracht. Eine dieser Lebensweisheiten passt so gut zu dieser wirklich unsäglichen Diskussion über das Betreuungsgeld, dass ich sie Ihnen nicht vorenthalten möchte. Immer dann, wenn wir Kinder unsere Aufgaben so gar nicht auf die Reihe gebracht haben und wenn das Ergebnis alles andere als zufriedenstellend war, sagte unsere Oma – sie sagte es natürlich auf Oberpfälzisch –: Du bist wia da söll Schneinda, der hot gsagt, des gibt se scho mi’m Biegln’, wäi a kennt hot, dass a an seina Hosn des -Hosndial hint und niat vorn eingnaht hot. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da ich natürlich wusste, dass ein Großteil der Kolleginnen und Kollegen unsere wunderbare Sprache nicht kann, habe ich auch die Übersetzung dabei. Also, meine Oma hätte auf Hochdeutsch gesagt: Du bist wie jener Schneidermeister, der bei näherer Betrachtung der von ihm genähten Hose leider feststellen musste, dass er den Reißverschluss, der zum Öffnen derselbigen Hose gebraucht wird, am Hinterteil angebracht hatte und eben nicht vorn. Der sagte dann: Ja, das wird sich schon geben beim Bügeln. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, ich brauche nicht zu erklären, dass diesem guten Schneidermeister das Bügeln nicht helfen wird. So ist es auch mit den Vorstellungen der Bundesregierung zum Betreuungsgeld: Man kann die Sache drehen und wenden, wie man will – das ganze Ding ist von Grund auf eine Fehlkonstruktion. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist rückwärtsgewandt und absolut nicht geeignet, seinen Zweck zu erfüllen. Ganz bestimmt ist es absolut ungeeignet, um jungen Menschen die zu Recht eingeforderte Unterstützung bei ihrer Erziehungsleistung zukommen zu lassen. Nun werden Sie nicht müde, zu betonen – Frau Raab hat es gerade wieder gesagt –, das Betreuungsgeld müsse kommen, weil die Leistung der Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen, honoriert werden müsse. Ja, was meinen Sie denn, was Eltern tun, deren Kinder vier oder acht Stunden in der Krippe sind? Der Tag hat 24 Stunden und nicht 8 Stunden! Diese Eltern erziehen ihre Kinder genauso zu Hause. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Übrigens, lesen Sie doch einmal Ihren Gesetzentwurf. Da ist von der Betreuung durch die Eltern keine Rede. (Caren Marks [SPD]: Ganz genau!) Da geht es einzig und allein darum: Wird eine Kita aufgesucht oder nicht? Dort heißt es wörtlich: Anspruch auf Betreuungsgeld hat, wer „für das Kind keine dauerhafte durch öffentliche Sach- und Personalkostenzuschüsse geförderte Kinderbetreuung, insbesondere keine Betreuung in Tageseinrichtungen“ in Anspruch nimmt. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Ja!) Ferner heißt es in der Begründung: Für den Bezug von Betreuungsgeld ist es nicht relevant, „in welchem Umfang die Eltern erwerbstätig sind“, und es ist nicht nötig, dass die Eltern für die Betreuung ihre Berufstätigkeit reduzieren. (Beifall des Abg. Florian Toncar [FDP]) Das heißt de facto: Wie und wo das Kind betreut wird, ist egal. Für den Bezug ist einzig und allein wichtig, dass das Kind nicht in einer Kita betreut wird. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kolleginnen und Kollegen, das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Das kann doch nicht Ihre Vorstellung von möglichst guter frühkindlicher Bildung sein. Alle Welt erkennt inzwischen die enorme Bedeutung der frühkindlichen Bildung. Überall wird heftig darüber diskutiert, wie man das Wissen über die frühkindliche Bildung besser in die Köpfe der Eltern bringen kann. Überall wird darüber diskutiert, wie man die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher noch besser gestalten kann. Die Kommunen investieren landauf, landab in gute Kitas, weil sie deren Bedeutung für die Entwicklung der Kinder kennen. Dennoch kommen Sie daher und wollen einen Gesetzentwurf durchdrücken, in dem steht: Liebe Eltern, wichtig ist, dass Sie keine Kita in Anspruch nehmen. Dann sparen Sie nicht nur Geld, sondern bekommen von uns auch noch Geld bar auf die Hand. – Das hat mit Familien- und Kinderfreundlichkeit nichts zu tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, seien Sie zumindest ehrlich: In Wahrheit hoffen Sie doch, dass Sie sich mit dem Betreuungsgeld darüber hinwegretten können, dass am 1. August 2013 in Bayern bei weitem nicht genügend Kitaplätze vorhanden sein werden, um den Rechtsanspruch zu erfüllen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie alle kennen die Zahlen zum Stand des Aufbaus der U3-Betreuung: Mecklenburg-Vorpommern 52 Prozent, Bayern 21 Prozent. (Caren Marks [SPD]: Das sind die Zahlen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Und Nordrhein-Westfalen, Marianne?) Ich komme zurück auf meine Großmutter, Herr Kollege, und appelliere an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP: Versuchen Sie, sich nicht länger einzureden, dass dieser Murks von Gesetzentwurf noch zu retten ist. Schmeißen Sie das Ding weg! Denn es wird nichts mehr. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Im Sinne der Großmutter!) – Ja. – Der FDP möchte ich einen Spruch eines berühmten bayerischen Volksschauspielers mit auf den Weg geben, einen Spruch von Karl Valentin. (Patrick Meinhardt [FDP]: Toller Mann!) Er hat einmal gesagt: „Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.“ (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Trauen Sie sich, zu dürfen, und versenken Sie mit uns diesen Gesetzentwurf. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin Marianne Schieder, ich hätte Ihnen gern noch einen Zeitzuschlag für die Übersetzung gegeben; aber Sie haben dies nicht benötigt. (Heiterkeit – Caren Marks [SPD]: Sie hat es untertitelt!) Nächster und letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist Kollege Dr. Peter Tauber für die Fraktion der CDU/CSU. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich kann man über die Frage, ob man neben den jeweils mit knapp 1 000 Euro von der Solidargemeinschaft finanzierten Krippen- und Kitaplätzen einen Ausgleich für die Eltern, die dieses Angebot nicht in Anspruch nehmen wollen, schaffen will, ganz rational und ruhig diskutieren. Rein theoretisch kann man nach einer sehr ruhigen und besonnenen Überlegung oder Debatte zu dem Ergebnis kommen: Na ja, vielleicht wollen wir das Geld an dieser Stelle nicht investieren. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich diese Diskussion mit mir selbst und mit Freunden und Kollegen immer wieder geführt habe und führe. Ich sage Ihnen aber auch ganz ehrlich: Ich brauche nur eine einzige Debatte mit Ihnen in diesem Haus, und ich weiß, dass ich dafür stimmen werde. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dies mache ich aus einem einfachen Grund; man kann es in zwei Sätzen zusammenfassen. Herr Präsident, ich zitiere aus dem Kurznachrichtendienst Twitter. Dort hat jemand die Debatte und Ihre Wortbeiträge mit einem schönen Satz in 140 Zeichen zusammengefasst: „Ah! SPD, Grüne und Linke heute wieder so: ‚Eltern schaden ihren Kindern.‘“ Das ist die Quintessenz Ihrer Aussagen. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie wollen eben nicht das, was wir wollen. Wir wollen, dass beides gleichberechtigt akzeptiert und wertgeschätzt wird. Wir wollen auch, dass es gute, qualifizierte Betreuung für unter Dreijährige gibt. Ein kleiner Hinweis an die Kollegen von den Grünen: Ich hätte mich hier lieber mit Frau Dörner gestritten. Auch sie ist eine sehr große Gegnerin des Betreuungsgeldes; aber sie kennt sich zumindest in der Sache, in der Materie aus, nicht wie Frau Künast, die über Vierjährige und über Bildung schwadroniert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Über Vierjährige reden wir nicht. Wir sprechen über Kinder, die jünger als 36 Monate sind. Sie erwecken den Eindruck, dass wir über Bildungspolitik reden und dass es darum gehe, 15 Monate alten Kindern frühkindliches Englisch beizubringen. Das ist sehr weit weg von der Lebenswirklichkeit. Es ist fast unerträglich, was Sie hier von sich geben. Für wie dumm halten Sie die Menschen? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Natürlich geht es auch um Bildung, aber um eine andere Art von Bildung. Es geht um Zuwendung, Liebe und Betreuung, (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Wo steht dies?) und zwar sowohl in der Krippe als auch zu Hause. Sie unterstellen permanent, dass es eine große Zahl von Eltern in diesem Land gibt, die das nicht leisten. (Iris Gleicke [SPD]: Sie unterstellen gerade -allen anderen etwas!) Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Das ist der erste Punkt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lesen Sie einmal in den Protokollen Ihre Reden dazu in den letzten Debatten nach. Dann werden Sie das feststellen. Man kann zu dem Ergebnis kommen: Ja, wir wollen einen solchen Ausgleich, ein solches Angebot für die Eltern schaffen, die ihr 15 Monate altes Kind noch nicht in eine Krippe geben wollen, die es vielleicht erst mit drei Jahren in den Kindergarten geben wollen. Das ist der Gegenstand dieser Aktuellen Stunde. Die spannende Frage ist: Auf welche Art und Weise wird das organisiert, was ist die Grundlage, wie sieht das genaue Modell aus? Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es ist gar nicht schlimm, dass wir mit den Kollegen der FDP über den richtigen Weg streiten. Das hat einen einfachen Grund: Nicht die Kollegen der FDP haben das erfunden, Sie haben das mit uns erfunden. (Caren Marks [SPD]: Nein! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Finnen haben das erfunden? Wie war das mit sachlich und fachlich?) – Sie können dazwischenrufen und das abstreiten, so viel Sie wollen, Frau Marks. Ich bin Ihre Zwischenrufe gewöhnt. Im Bundesgesetzblatt, Jahrgang 2008, Teil I, Nr. 57, ausgegeben zu Bonn am 15. Dezember 2008, steht – Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich –: Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung (zum Beispiel Betreuungsgeld) eingeführt werden. (Caren Marks [SPD]: „Soll“ heißt nicht, dass man das machen muss!) Dieses Gesetz hat die Große Koalition beschlossen, Sie haben das mit beschlossen. Unter dem Gesetz steht – vielleicht ist das der Grund, warum er in der Debatte heute nicht da ist – zum Beispiel der Name Peer Steinbrück. Bis zum Beschluss des Gesetzes in diesem Hohen Hause, aber auch darüber hinaus werden Sie in zwei Punkten Ihre Ansichten ändern müssen: Erstens. Das Misstrauen, das Sie Eltern entgegenbringen, die sich dafür entscheiden, keinen Krippenplatz in Anspruch zu nehmen, müssen Sie ablegen. Dieses Misstrauen ist eine Unverschämtheit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist mit Ihrem Misstrauen gegenüber erwerbstätigen Eltern? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso misstrauen Sie den Erzieherinnen und Erziehern? – Anton Schaaf [SPD]: Sie reden gerade zum Teil Unfug!) Zweitens. Sie müssen anerkennen – wir tun das; das ist der große Unterschied zwischen Ihnen und uns; deswegen sind wir in der Debatte sehr viel sachlicher und ruhiger als Sie –, dass manche Eltern, auch wenn es gute Betreuungseinrichtungen gibt, (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das war auch nicht immer so!) diese Einrichtungen erst später in Anspruch nehmen wollen. Ich finde, diese Eltern müssen Wahlfreiheit haben, und wir müssen ihnen die Wahl erleichtern. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soll es demnächst auch ein Bibliotheksgeld oder ein Schwimmbadgeld geben?) In Wahrheit ist es doch so: Weil es Ihrem Gesellschaftsmodell entspricht, wollen Sie alle Kinder in die Krippe zwingen. Von der Lufthoheit über den Kinderbetten träumen die Sozis schon immer. Die wollen Sie jetzt erringen. Da machen wir nicht mit. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Anton Schaaf [SPD]: Das war unterirdisch!) Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Dr. Peter Tauber war der letzte Redner in unserer Aktuellen Stunde. (Iris Gleicke [SPD]: Stimmt, das war das Letzte!) Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2013 (Beitragssatzgesetz 2013) – Drucksachen 17/10743, 17/11059 (neu) – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – Drucksache 17/11175 – Berichterstattung: Abgeordneter Matthias W. Birkwald – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11177 – Berichterstattung: Abgeordnete Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Bettina Hagedorn Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Anton Schaaf, Anette Kramme, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Schaffung eines Demographie-Fonds in der gesetzlichen Rentenversicherung zur Stabilisierung der Beitragssatzentwicklung (Demographie-Fonds-Gesetz) – Drucksache 17/10775 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – Drucksache 17/11175 – Berichterstattung: Abgeordneter Matthias W. Birkwald c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rentenbeiträge nicht absenken – Spielräume für Leistungsverbesserungen nutzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beitragssätze nachhaltig stabilisieren, Erwerbsminderungsrente verbessern, Reha-Budget angemessen ausgestalten – Drucksachen 17/10779, 17/11010, 17/11175 – Berichterstattung: Abgeordneter Matthias W. Birkwald Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Erster Redner in unserer Aussprache ist der Kollege Peter Weiß für die Fraktion der CDU/CSU. Bitte schön, Kollege Peter Weiß. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im deutschen Rentenrecht steht eine eindeutige und klare Formulierung – ich zitiere –: Der Beitragssatz in der allgemeinen Rentenversicherung ist vom 1. Januar eines Jahres an zu verändern, wenn am 31. Dezember dieses Jahres bei Beibehaltung des bisherigen Beitragssatzes die Mittel der Nachhaltigkeitsrücklage … das 1,5fache der … Ausgaben für einen Kalendermonat … voraussichtlich übersteigen. Nach Feststellung des unabhängigen Schätzerkreises für die Rentenversicherung, der Mitte dieses Monats getagt hat, bedeutet diese gesetzliche Bestimmung, dass der Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Januar 2013 auf 18,9 Prozent gesenkt werden muss. Das Gesetz ist eindeutig (Anton Schaaf [SPD]: Eindeutig änderbar!) und lässt keine andere Entscheidung zu. (Iris Gleicke [SPD]: Wir sind der Gesetzgeber, Herr Weiß!) Die Bundesregierung und das Parlament sind gehalten, die Gesetze zu achten. Deswegen entspricht das, was wir heute beschließen, schlichtweg dem, was im Gesetz steht. Es ist auch richtig, dass Regierung und Deutscher Bundestag das tun, was ihnen gesetzlich vorgegeben ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gesetze kann man ändern! Dafür sind wir da!) Weil in dieser Debatte vonseiten der Opposition anderes vorgetragen wird, noch der freundliche Hinweis: Diese Gesetzesformulierung ist im Jahr 2001 so von der damaligen rot-grünen Koalition hier im Deutschen Bundestag beschlossen worden. Deswegen ist es umso verwunderlicher, dass die damaligen Regierungsparteien diese Gesetzesbestimmung offensichtlich nicht mehr kennen oder kennen wollen. (Iris Gleicke [SPD]: Wir sind der Gesetzgeber und nehmen unsere Verantwortung hier wahr!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist ein erfreulicher Tag, da wir über die Möglichkeit einer Beitragssenkung sprechen können. Der Unterschied zur Zeit von Rot-Grün ist, dass die Rentenkasse damals ins Minus fiel. Erstmals musste der Bundesfinanzminister der Rentenkasse mit einem staatlichen Zuschuss aushelfen, damit Renten ausbezahlt werden konnten. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: So ist es!) Heute haben wir eine Rücklage in der Rentenkasse; wir haben ein Plus in der Rentenkasse. Insofern ist es eine gute Nachricht für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland, dass die Rente nicht auf Pump ausgezahlt werden muss, sondern aus einer prall gefüllten Rentenkasse ausgezahlt werden kann. Das ist eine tolle Leistung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Wir reden lieber über Überschüsse als über Defizite!) Nun ist es sehr verwunderlich, dass der Vorschlag gemacht wird, wir sollten diese Absenkung gar nicht vornehmen. Das hat zwei unterschiedliche Folgen. Die erste Folge ist: Eine Beitragssenkung führt automatisch dazu – so die Rentenformel, die Rot-Grün ebenfalls beschlossen hat –, dass die Rentenerhöhung der Rentnerinnen und Rentner zum 1. Juli höher ausfällt. In diesem Jahr hat dies ungefähr 0,4 Prozentpunkte zusätzliche Rentenerhöhung ausgemacht, im nächsten Jahr würde es voraussichtlich 0,9 Prozentpunkte zusätzliche Rentenerhöhung ausmachen. (Zuruf von der FDP: Da freuen sich die -Rentner!) Wenn die Opposition heute beantragt, die Beitragsabsenkung nicht zu beschließen, dann soll ebendiese Opposition den deutschen Rentnerinnen und Rentnern bitte auch erklären, warum sie ihnen eine Rentenerhöhung vorenthalten will. Wir wollen ein Plus für die Rentnerinnen und Rentner. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann streichen Sie lieber alle Kürzungsfaktoren aus der Rentenformel! Dann ist das Sparpotenzial größer!) Richtig ist, dass zu Zeiten, als Helmut Kohl und Norbert Blüm noch die Verantwortung für die deutsche Rentenversicherung als Regierungschef und Bundes-arbeitsminister getragen haben, in der Rentenversicherung eine höhere Rücklage gebildet werden konnte. Ich finde es schon ein wenig verwunderlich, dass bei den Sozialdemokraten und den Grünen offensichtlich die Meinung vorherrscht, Helmut Kohl und Norbert Blüm seien Sozialdemokraten gewesen. Mitnichten! (Anton Schaaf [SPD]: Da lege ich auch Wert drauf!) Natürlich kann man auch dafür plädieren, zum alten Recht zurückzukehren. Der Punkt ist nur der – das ist der große Unterschied –: Die Rentenpläne, die von der Opposition vorgelegt werden, zeigen uns, dass es den Oppositionsfraktionen gar nicht darum geht, noch mehr Rücklage in der Rente zu ermöglichen. Vielmehr wollen sie Geld ausgeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn ich die Rücklage aber verjubeln will, dann habe ich für die Rentenversicherung nichts gewonnen, sondern werde sie auf alle Zeit mit höheren Belastungen versehen (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber für die Rentnerinnen und Rentner hat man was gewonnen!) und künftig immer höhere Beiträge der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler erheben müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Max Straubinger [CDU/CSU]: Jugendfeindlich ist das!) Es gibt keinen ungeschickteren Augenblick als den heutigen, mehr Rücklage in der Rentenversicherung zu fordern. Warum? Die Rentenversicherung sollte ihr Geld in unser aller Interesse und im Interesse der Rentnerinnen und Renten gut anlegen können. Bei den niedrigen Zinssätzen, die die Rentenversicherung wegen der strengen Vorschriften, (Anton Schaaf [SPD]: Dann sollte auch keiner privat vorsorgen im Moment! Da ist doch das gleiche Argument! Das ist doch unterirdisch!) die wir ihr machen, derzeit erzielt, liegt sie allerdings unterhalb der Inflationsrate. Insofern ist der heutige Zeitpunkt der ungeschickteste Zeitpunkt, einen solchen Antrag zu stellen. (Iris Gleicke [SPD]: Deswegen brauchen wir Leistungsverbesserungen! – Anton Schaaf [SPD]: Dann sollten Sie den Leuten auch nicht empfehlen, zu riestern!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen den Oppositionsfraktionen und den Regierungsfraktionen. (Anton Schaaf [SPD]: Ja, in der Tat!) Für eine sichere Rente unserer Rentnerinnen und Rentner und auch für Rentensteigerungen sorgt nur eine solide, vor allem eine auf solider Finanzierung aufbauende Rentenpolitik. Was die Opposition vorlegt, ist keine solide Rentenpolitik, sondern bedeutet zusätzliche Ausgaben zulasten der nächsten Generationen. Weiterhin gilt: Eine sichere Rente ist ein Markenzeichen der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP. Dazu stehen wir. Das zeigt auch die heutige Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Peter Weiß. – Nächster Redner ist unser Kollege Anton Schaaf für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Kollege Anton Schaaf. (Beifall bei der SPD) Anton Schaaf (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Peter Weiß, das war gerade wirklich abenteuerlich. Heute Morgen stand hier die Koalition, diskutierte über die Gesundheitspolitik und die Praxisgebühr (Max Straubinger [CDU/CSU]: Minijobs!) und sagte: Wir müssen das Geld im Bereich der Gesundheitspolitik zusammenhalten, und wir müssen sparsam damit umgehen. Deswegen wollen wir die Praxisgebühr nicht abschaffen, sondern wir wollen Rücklagen bilden, damit wir die Leute auch in Zukunft sicher versorgen können. – Das war das Argument heute Morgen. Jetzt argumentieren Sie genau gegenteilig. Wir wollen diese Rücklage behalten, damit die Rente sicher bleibt. Sie sagen: Lasst uns die Nachhaltigkeitsrücklage wieder auf 0,2 Monatsausgaben senken; das Geld gehört anderen. – Nein, wir wollen Sicherheit bezogen auf die Rentenkasse. Deswegen fordern wir, die Beiträge jetzt nicht zu senken. Damit stehen wir übrigens nicht allein. Gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Sozialverbänden sagen wir: Lasst die Finger davon. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Und verbraten!) Ihre Argumentation lautet: Im Gesetz steht, dass der Beitragssatz gesenkt werden muss. Ja, das steht im Gesetz. Aber wir sind der Gesetzgeber. Wir können Gesetze verändern. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Gute Gesetze soll man nicht verändern!) Wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, über den heute ebenfalls abgestimmt wird, den Sie aber ablehnen. Offensichtlich sind Sie nur noch Vollzugsbeamte und nicht mehr Gesetzgeber in diesem Land, Herr Peter Weiß. So habe ich zumindest Ihre Argumentation hier verstanden. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Gute Gesetze soll man nicht verändern!) Man muss sich einmal anhören, was Sie beim Thema Rente noch vorhaben. Die Ministerin war beim Thema „Rente“ in dieser Legislaturperiode ein Totalausfall; das lässt sich ja nun konstatieren. Mit ihrer Zuschussrente ist sie voll vor die Wand gefahren. Von ihren Plänen ist nichts mehr übrig. Uns werfen Sie vor, immer mehr Geld ausgeben zu wollen, weswegen wir die Rücklage behalten und die Beiträge nicht senken wollten. Diesen Vorwurf kann man von mir aus erheben. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja, zu Recht!) Aber Sie selber verweisen beispielsweise darauf, dass Sie in Bezug auf die Kindererziehungszeiten von Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren sind, etwas machen wollen. Das kostet übrigens viel Geld. Wenn ich mir ansehe, was dabei herauskommt, dann muss ich sagen, dass Sie die Menschen ganz gewaltig hinter die Fichte führen. Sie wollen nämlich nicht allen, deren Kinder vor 1992 geboren worden sind, sondern nur denen, die neu in Rente gehen, einen halben und nicht etwa einen ganzen Entgeltpunkt gewähren. Diejenigen, die schon jetzt in Rente sind, bekommen gar nichts. Mit solchen Regelungen führen Sie die Menschen hinter die Fichte, meine Damen und Herren von der Koalition. Eine Reform in dieser Art und Weise geht nicht. Sie wollten sogar die Zuschussrente – verfassungswidrig – über Beiträge finanzieren; sie wollten einen Griff in die Rentenkasse vornehmen. Daneben philosophieren Sie jetzt über die Erwerbsminderungsrente. Ich sage Ihnen: Ja, da muss man etwas machen. Sie wollen aber – das habe ich in der Zeitung gelesen – erst ab dem Jahre 2030  1 Milliarde Euro zusätzlich für Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente einsetzen. Das, was Sie hier veranstalten wollen, ist geradezu lächerlich. Lassen Sie es lieber sein. Ab 2013 werden wir einige Korrekturen vornehmen, auch was die Rentenpolitik angeht. Ich sage Ihnen auch: Wenn wir wollen, dass ein höheres Renteneintrittsalter für die allermeisten Menschen in diesem Lande, die schwer und hart arbeiten, akzeptabel wird, dann müssen wir die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen. Dafür muss man Geld in die Hand nehmen. Die Erwerbsminderungsrente ist dabei ein zentraler Punkt. Die Abschläge müssen weg, und die Zurechnungszeit muss heraufgesetzt werden. Ansonsten wird die Rente mit 67 von den Menschen, die in diesem Lande hart arbeiten, nie akzeptiert. Man muss das also schon im Zusammenhang sehen. (Beifall bei der SPD) Dafür nehmen wir Geld in die Hand, wenn wir wieder die Verantwortung in diesem Land bekommen haben. Schauen Sie sich an, was die geplante Beitragssenkung für einen durchschnittlichen Arbeitnehmer bringt: etwa das, was die berühmte Maß Bier kostet. Eine Maß Bier mag in Bayern eine besondere Einheit sein. Für die restliche Republik spielt es aber überhaupt keine Rolle, ob man eine Maß Bier mehr oder weniger hat. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Was ist mit Kölsch?) Die Menschen wollen Sicherheit und nicht 8 Euro mehr in der Tasche. Das Ganze nützt ja letzten Endes übrigens nur Gutverdienern und Durchschnittsverdienern. Wenn man sich Niedrigverdiener anschaut, dann sieht man, dass bei ihnen durch eine Rentenbeitragssenkung nur 2 bis 4 Euro übrig bleiben. Schaut man sich unseren Gesetzentwurf an, dann sieht man, dass es möglich ist, Gesetze zu ändern. Man hat sich an den Begrifflichkeiten ein wenig gestört. Ich kann das nachvollziehen, wenn von Begriffen wie Demografiereserve gesprochen wird. Wenn man diesen Gesetzentwurf zur Rentenpolitik isoliert betrachtet, ist es sogar berechtigt, das so zu sehen. Aber wenn man ihn in einem größeren Zusammenhang sieht, Stichwort „Einführung einer Erwerbstätigenversicherung“, dann erkennt man, dass aus Ihrem Vorwurf ein Schuh wird. Mich selber stört diese Begrifflichkeit an dieser Stelle persönlich nicht; aber ich kann nachvollziehen, dass sich andere daran stören. Allerdings muss man das im Kontext sehen, und dann macht es wieder Sinn, darüber zu diskutieren. Wenn wir jetzt den Rentenbeitragssatz bei 19,6 Prozent belassen würden, dann wäre es so, dass wir bis Ende des Jahrzehnts eine Ansparphase hätten und bis zum Jahr 2025 den Beitragssatz ohne Mehrausgaben nicht anheben müssten. Das wäre Ausdruck von Verlässlichkeit. Auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wäre das verlässlich. Aber diese Verlässlichkeit wollen Sie nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen, was dabei herauskommen wird – das ärgert mich dabei maßlos –, wenn der Rentenbeitragssatz jetzt auf 18,9 Prozent gesenkt wird: Am Ende dieses Jahrzehnts wird der Beitragssatz sprunghaft ansteigen müssen. Ich hoffe, dass Sie dann nicht in der Verantwortung sind. Aber wenn ja, dann müssten Sie auch rechtfertigen, warum man so große Sprünge in der Rentenversicherung zulässt. Ich finde solche großen Sprünge unzulässig. Jemand muss mir einmal erklären: Was ergibt sich dann im Zusammenhang mit der Schuldenbremse? Wenn die Konjunktur schwächelt und die Einnahmen der Rentenversicherung nachlassen und Sie keinen Kredit an die Rentenkasse wegen der Schuldenbremse auszahlen können, was ist dann? Dann muss man die Beiträge erhöhen. Davon werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unmittelbar betroffen sein. Das ist das, was dabei herauskommen wird. Zu den Erziehungszeiten habe ich bereits etwas gesagt. Sie wollen nun doch so etwas Ähnliches wie eine Zuschussrente einführen, sagen das aber nicht mehr. Das ist auch nicht mehr durchsetzbar; dieses Thema ist durch. Dabei wollen Sie Menschen, die lange gearbeitet haben, über das jetzige Rentensystem mit einer Rente nach Mindestentgeltpunkten helfen. Da bin ich sofort bei Ihnen, absolut und ohne jeden Zweifel. Was ich aber auf keinen Fall mitmachen werde – das sage ich den Menschen im Lande ganz laut –: Diese Koalition will mit dieser Lösung vor allen Dingen die Versicherungswirtschaft in Deutschland stärken. Sie sagen: Voraussetzung dafür, dass wir das machen, ist die Beschäftigungszeit; aber einen Freibetrag gibt es nur bei Riester-Rente oder einer betrieblichen Altersvorsorge, also einer kapitalgedeckte Altersvorsorge. Ich sage Ihnen: Das ist eine massive Ungleichbehandlung gegenüber allen anderen Sparformen, übrigens auch gegenüber der Rentenversicherung. So kann man mit dem Thema aus meiner Sicht nicht umgehen. Wir schlagen etwas anderes vor, nämlich dass ausschließlich die Beschäftigungszeiten dazu berechtigen, eine auf 850 Euro aufgestockte Rente in Anspruch zu nehmen. (Beifall bei der SPD) Es war einmal ein Reisender in Österreich unterwegs, der aus seiner Reise einen Reisebericht gemacht hat. Dabei war er auch im Stubaital gewesen. Die Menschen dort hat er folgendermaßen beschrieben: ein kleines, listiges Bergvolk, das sich im Wesentlichen durch Jodeln verständigt. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Und den Reißverschluss hinten hat!) Klein sind Sie in der Rentenpolitik, weil Sie nichts auf die Reihe bekommen haben. Listig sind Sie, wenn Sie die Menschen mit Ihren Modellen hinter die Fichte führen. Jodeln kann wohl der eine oder andere bei Ihnen, aber eines ist völlig klar: Die Politik von Ihnen versteht kein Mensch. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Heinrich Kolb. Bitte schön, Kollege Dr. Heinrich Kolb. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Toni Schaaf, das war ja eine Reise quer durch den Garten der Rentenpolitik mit anekdotischen Anwandlungen. Wenn man so redet, dann meidet man damit das Kernthema der Debatte. Insofern will ich gerne auf das zurückverweisen, worüber wir heute reden, nämlich darüber, dass es in Deutschland möglich ist, in krisenhaften Zeiten eine kräftige Rentenbeitragssenkung vorzunehmen. Das ist alles andere als selbstverständlich; das ist vielmehr der Erfolg der guten Politik dieser Bundesregierung. Das will ich hier zu Beginn meiner Rede sehr deutlich feststellen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wenn wir es nämlich nicht geschafft hätten durch die Nutzung eines ganzen Repertoires von Beschäftigungsformen einen zahlenmäßigen Höchststand an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Deutschland zu erreichen – darüber haben wir hier öfters debattiert –, dann hätten wir überhaupt nicht die Spielräume, um heute diese Rentenbeitragssatzsenkung zu beschließen. Wenn Sie so wollen, ist das ein Luxusproblem, um das uns ganz Europa beneidet. Ich bin sicher, die SPD hätte jede Woche ein Freudenfeuer angezündet, wenn sie annähernd solche Zahlen vorzuweisen gehabt hätte. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der zweite Punkt. Die Nachhaltigkeitsrücklage ist ein Liquiditätspuffer, der unterjährige Schwankungen, auch kurzfristige konjunkturelle Schwankungen, ausgleichen soll; sie ist nicht mehr und nicht weniger. Deswegen ist es gut, das auch der Höhe nach zu bemessen. Ich will diejenigen, die immer noch so ein bisschen den Juliusturm aus den frühen Adenauer-Zeiten im Hinterkopf haben, darauf hinweisen: In heutigen Werten war der Juliusturm nicht viel höher als die Nachhaltigkeitsrücklage, die wir trotz Senkung des Rentenbeitragssatzes am Ende des Jahres 2013 voraussichtlich haben werden, nämlich knapp 30 Milliarden Euro. Das ist die Wahrheit, und das muss man hier auch einmal sagen. Sie sagen: Gesetze kann man ändern. Ich finde aber, seine Überzeugungen sollte man nicht unbedingt ändern, jedenfalls nicht ohne Not. Deswegen muss man noch einmal darauf hinweisen: Es gab Zeiten, in denen die SPD in diesem Haus über die Notwendigkeit gesprochen hat, die Lohnnebenkosten zu begrenzen. Als im Jahr 2001 die Automatik eingeführt wurde, dass die Beiträge gesenkt werden, wenn die Nachhaltigkeitsrücklage ein bestimmtes Maß überschreitet, hieß es damals von Rot-Grün, konkret von Arbeitsminister Walter Riester: Die Stabilisierung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung wendet den Anstieg der Lohnnebenkosten ab. Dies hat eine stabilisierende Wirkung auf die Entwicklung des Preisniveaus. Die Lohnkosten sind eine wichtige Einflussgröße für das Preisniveau. – Die Parlamentarische Staatssekretärin Mascher sagte: Das erhöht unsere Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt. Das stärkt das Wirtschaftswachstum und hilft, dass neue Jobs entstehen. Das war die SPD des Jahres 2001. Leider klingt das im Jahr 2012 ganz anders. Für uns ist es aber unverändert wichtig, dass wir mit der Absenkung des Rentenbeitragssatzes in einer Schlüsselsituation der konjunkturellen Entwicklung einen Wachstumsimpuls dadurch geben, dass wir die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler um knapp 7 Milliarden Euro entlasten. Diesen könnte man verstärken, wenn Sie im Bundesrat endlich Ihre Blockadehaltung gegenüber der Beseitigung der kalten Progression aufgeben würden. Dies sind jeweils circa 6,5 Milliarden Euro, also 13 Milliarden Euro insgesamt. Das würde nicht einfach in der Volkswirtschaft verpuffen, sondern uns helfen, Beschäftigung auf hohem Niveau in Deutschland zu stabilisieren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es ist schon gesagt worden, dass viele von dieser Senkung profitieren. Deswegen kann ich Ihre Verbohrtheit auch gar nicht verstehen. Der Bundeshaushalt profitiert in doppelter Weise, nämlich durch einen niedrigeren Bundeszuschuss, aber auch durch höhere Steuereinnahmen, weil die steuerlich absetzbaren Rentenversicherungsbeiträge niedriger ausfallen werden. Die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen profitieren bei der Vergütung der Arbeit ihrer Angestellten davon. Vor allen Dingen profitieren aber die Rentner. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das Rentenniveau sinkt weiter!) Ich halte es auch für außerordentlich wichtig, dass wir nicht durch dauerndes Herumfummeln an den Stellschrauben der Rentenpolitik das Vertrauen in die Rentenversicherung beschädigen. Vielmehr müssen wir den Rentnern das Zeichen geben: Wir halten an der Rentenformel und an den Stellschrauben der Rentenversicherung auch dann fest, wenn dies zu euren Gunsten wirkt. – Deswegen muss der Beitragssatz heute gesenkt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie geben ihnen Krümel und nehmen ihnen den Kuchen!) In der Anhörung ist sehr deutlich geworden, dass ein Demografiefonds, wie ihn sich die SPD vorstellt, nicht funktioniert. Die Sachverständigen haben das sehr deutlich gesagt. Wenn es einen Peak bei der Beitragssatzentwicklung geben würde, dann könnte man diesen tunneln. Wir steuern aber auf ein Plateau zu. Deshalb kann man nicht, indem man über wenige Jahre hinweg Beiträge anspart, eine Entwicklung aushebeln, die unvermeidlich ansteht. Auch wenn der Beitragssatz nicht gesenkt werden würde, muss der Beitragssatz ab 2020, spätestens ab 2025 angehoben werden, weil die demografische Entwicklung nun einmal so ist, wie sie ist, weil die Menschen in unserem Land länger leben und weil der Anteil der Menschen im Alter von mehr als 65 Jahren steigt. Diese Grundgesetze kann man nicht aushebeln. Die Einrichtung eines Demografiefonds heißt für Sie: Es soll ein bisschen Geld zurückgelegt werden, damit man sich möglicherweise ein paar Wünsche erfüllen kann. – Ich bin aber sicher, Sie werden überhaupt nicht in die Situation kommen, dass das am Ende möglich wäre. (Zuruf des Abg. Anton Schaaf [SPD]) Wenn Sie noch ein bisschen Verantwortung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland empfinden, lieber Toni Schaaf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD – früher sind Sie ja immer angetreten, Politik für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland zu machen –, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist schon lange vorbei!) dann können Sie heute nicht wirklich den Menschen diese Entlastung verweigern, so wie Sie bisher ihnen schon die steuerliche Entlastung im Zusammenhang mit der kalten Progression verweigert haben. Es handelt sich hier nicht um Menschen, deren Einkommen an der Beitragsbemessungsgrenze liegt oder darüber hinausgeht. Diese Menschen spüren diese Entlastung überhaupt nicht. Sondern es handelt sich um Menschen mit einem kleinen oder mittleren Einkommen, die das, was sie an dieser Stelle erhalten, unmittelbar zu Konsumzwecken verwenden können und teilweise auch verwenden müssen. Diese Entlastung sollten wir den Menschen geben. Das ist mein Plädoyer, und darum bitte ich Sie alle. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Matthias W. Birkwald. Bitte schön, Kollege Matthias W. Birkwald. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kolb, es gibt für Regierungsparteien nichts Schöneres, als mit Geschenken in den Wahlkampf zu gehen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat mit Wahlkampf nichts zu tun!) Genau das machen CDU/CSU und FDP, wenn sie jetzt die Beitragssätze von 19,6 auf 18,9 Prozent senken wollen. Manchmal bleibt von Geschenken wenig übrig, wenn man sie erst einmal ausgepackt hat. Genau so ist es mit der Rentenbeitragssenkung: mit viel Tamtam verpackt, aber letztendlich doch nur Kleinkram und obendrein auch noch vergiftet. Ein solches Geschenk lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eine Dachdeckergesellin erhält nach zweijähriger Tätigkeit ein Tarifgehalt von 2 707 Euro brutto im Monat. Wenn der Beitragssatz um 0,7 Prozentpunkte gesenkt wird, muss sie knapp 9,50 Euro weniger Beitrag in die Rentenkasse zahlen. Das heißt in Köln-Lindenthal: in der Mittagspause einmal Currywurst mit Pommes und zwei Mineralwasser. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Und was macht sie bei der Praxisgebühr von 10 Euro?) Ein Kölner Friseur mit Tarifgehalt müsste da schon auf die Currywurst verzichten und sich auf Pommes und -Kakao beschränken. Denn bei einem Bruttomonatsverdienst von 1 326 Euro kommen bei der von den Christdemokraten und den Liberalen gewollten Beitragssenkung nur noch 4,60 Euro bei ihm an. Dabei wird aber eines vergessen: Diese mit großer Geste verteilte kleine Gabe führt dazu, dass die Menschen im Alter noch schlechter vor Altersarmut geschützt sein werden. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! Ausdrücklich nein, Herr Birkwald! Das wissen Sie auch!) Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, beschenken heute die Menschen mit Currywurst und Pommes, die sich diese Beschäftigten morgen als Rentnerinnen und Rentner nicht mehr werden leisten können. Ihre Rentenpolitik, Herr Kolb – vor allem die Rente erst ab 67 und die Absenkung des Rentenniveaus –, wird am Ende zu Rentenkürzungen führen. Genau das müssen Sie den Menschen aber auch sagen. Hören Sie auf, die Menschen an der Nase herumzuführen! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sagen Sie ihnen, dass das bisschen mehr Netto vom Brutto heute zu mehr Altersarmut morgen und übermorgen führen wird! Seien Sie einfach ehrlich! Oder noch besser: Ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege Birkwald, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Kolb? Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Gerne. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön, Kollege Dr. Kolb. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Herr Kollege Birkwald, wären Sie bereit, mir zuzustimmen, (Anton Schaaf [SPD]: Kann ich mir schwer vorstellen!) dass die erworbenen Rentenanwartschaften in einem Jahr nicht von der Höhe des in diesem Jahr geltenden Rentenbeitragssatzes abhängen, sondern allein vom Verhältnis des verbeitragten Entgeltes eines Versicherten zum Durchschnittsentgelt in diesem Jahr, dass also der, der genau das Durchschnittsentgelt verdient, einen Entgeltpunkt bekommt? Dieser Entgeltpunkt ist aktuell 28,07 Euro wert, und zwar unabhängig von dem Beitrag, den man dafür bezahlt. Wären Sie auch bereit, mir zuzustimmen, dass niemand, nicht einmal ein Matthias Birkwald, heute voraussehen kann, wie hoch der Rentenwert im Jahr 2030 sein wird, dass es jedenfalls keinen Automatismus gibt, dass das Nettostandardrentenniveau vor Steuern auf 43 Prozent absinkt, sondern dass wir derzeit eine deutlich günstigere Entwicklung haben? Wären Sie bereit, mir in diesen Punkten zuzustimmen? Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Herr Kollege Kolb, Sie haben das gestern im Ausschuss schon einmal versucht. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber es hat nichts genutzt! – Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Anton Schaaf [SPD]) Ich will Ihnen gerne sagen, dass Sie gerade am Schluss Ihrer Frage den wesentlichen Punkt genannt haben: Ihre Politik ist es, das Rentenniveau abzusenken. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein!) Ob am Schluss 43 Prozent oder 44,5 Prozent herauskommen – all das sichert deutlich nicht mehr den Lebensstandard. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir sind besser als die Opposition!) Es ist deutlich weniger als heute, wo das Rentenniveau bei knapp 50 Prozent liegt. Gerade diejenigen, die Durchschnittseinkommen oder niedrigere Einkommen haben, schicken Sie damit in die Altersarmut. Das hat Ministerin von der Leyen – das habe ich ausdrücklich gewürdigt – mit ihrer Schocktabelle in der Bild am Sonntag deutlich gemacht. Wenn Sie an der Rentenformel nichts ändern und die Kürzungsfaktoren nicht streichen, dann werden die Renten weiter absinken und dann werden Sie damit Millionen Menschen in die Altersarmut treiben. Daran führt kein Weg vorbei. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir sind viel besser unterwegs als Walter Riester!) Meine Damen und Herren, wer jetzt den Rentenbeitrag senkt, tut nichts dafür, dass die Rente zum Leben reicht. Das habe ich gerade noch einmal erläutert. Die Rente muss wieder den Lebensstandard sichern, und sie muss vor Altersarmut schützen. Mit der ständigen Beitragssatzsenkerei ist das nicht zu machen, Herr Kolb. Das sollten Sie nicht behaupten. Das sind wenige Euro im nächsten und übernächsten Jahr, aber auf Dauer geht das Rentenniveau herunter, und damit ist das die falsche Politik. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie sollten auch sagen, dass die Zahl der Beitragszahler eine Rolle spielt! Eine entscheidende sogar!) Der DGB hat erkannt, dass die Beitragssatzsenkerei nichts nützt, und die CDU/CSU hat das auch verstanden; bei der FDP bin ich mir jetzt nicht so sicher. Aber dennoch wollen Sie das Problem verschlimmern. Auch die SPD tut, bisher jedenfalls, nichts gegen den freien Fall des Rentenniveaus. Die Kollegin Pothmer von den Grünen findet sogar die Absenkung des Rentenniveaus auf bis zu 43 Prozent richtig. Das Motto bei mehreren im Hause lautet also: Hauptsache, die Rentenbeiträge steigen nicht zu sehr. Das bedeutet dann aber, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ordentlich entlastet bleiben und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer privat vorsorgen sollen. Wer das nicht schafft, wird in die Grundsicherung abgeschoben. – Das ist zynisch, das ist unverantwortlich, und da macht die Linke aus guten Gründen nicht mit. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, die Rentenversicherung hat kürzlich auf das besonders hohe Armutsrisiko für Erwerbsgeminderte hingewiesen. Wer im Jahr 2000 in eine volle Erwerbsminderungsrente ging, erhielt im Durchschnitt, Herr Kolb, 738 Euro. Im vorigen Jahr waren es noch 634 Euro, also 104 Euro weniger. Wenn die Kölner Dachdeckerin vor ihrem 63. Geburtstag erkrankt und nicht mehr arbeiten kann, wird ihr die Rente um bis zu 10,8 Prozent gekürzt werden. Diese ungerechten Abschläge zu streichen, würde die Betroffenen im Durchschnitt immerhin aus der Grundsicherungsbürokratie herausholen. Das wäre zwar noch lange nicht genug, aber es wäre ein erster wichtiger Schritt. Und er ist finanzierbar! Die Abschläge abzuschaffen, würde bis zum Jahr 2030 insgesamt circa 4,6 Milliarden Euro kosten. Durch die Beitragssatzsenkung gehen der Rentenkasse 8 Milliarden Euro verloren – jedes Jahr. Meine Damen und Herren, niemand wird freiwillig krank, und deshalb müssen die Abschläge in der Erwerbsminderungsrente gestrichen werden. Das wäre locker zu finanzieren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. Bitte schön, Kollege Dr. Strengmann-Kuhn. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren auf den Tribünen und vor den Fernsehschirmen! Was wir jetzt hier erleben, ist eine reine Showveranstaltung der schwarz-gelben Koalition. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Eigentlich ist es völlig unnötig, hierzu einen Gesetzentwurf vorzulegen. Peter Weiß hat vorhin selber gesagt: Es gibt ein Gesetz, und es ist ein reiner Automatismus, der jetzt abläuft. Das hätte man normalerweise einfach per Verordnung machen können. Das haben viele von den Sachverständigen in ihren schriftlichen Stellungnahmen zu der Anhörung am Montag auch geschrieben und ihr Befremden darüber bekundet, dass überhaupt ein Gesetzentwurf vorgelegt wird; man hätte es über eine Verordnung machen müssen und können. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann könnten Sie nicht diskutieren, Herr Strengmann-Kuhn!) Man brauchte einfach eine Bühne, um sich hinzustellen und zu sagen: Wir tun Tolles für die armen Rentnerinnen und Rentner (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Endlich sagt es mal einer! Prima!) und für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Ich glaube, dass diese Show nicht aufgeht. (Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Aber jetzt kommt erst mal eine Zwischenfrage des Kollegen Peter Weiß. Vizepräsident Eduard Oswald: Ja. Da Sie die schon zugelassen haben und der Präsident damit einverstanden ist, sage ich: Bitte schön. Es ist ja gut, wenn das alles so läuft. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Verehrter Herr Kollege Strengmann-Kuhn, Sie haben mit Ihrem Hinweis recht: Man kann es auch per Rechtsverordnung machen. – Bedeutet die Tatsache, dass Sie gleich zu Beginn Ihrer Rede dieses Thema ansprechen, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sich wünscht, dass man kein Gesetz macht, sondern eine Rechtsverordnung, und dass dann, wenn eine solche Rechtsverordnung vorgelegt würde, die Grünen den Landesregierungen, an denen sie beteiligt sind, empfehlen, im Bundesrat dieser Rechtsverordnung mit Freude zuzustimmen? Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank für die Frage; denn jetzt kann ich ausführlich auf das eingehen, was Sie in Ihrer Rede gesagt haben. Die Regelungen zur Obergrenze und Untergrenze haben ja wir unter Rot-Grün im Gesetz eingeführt. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Richtig!) Nun ist das zehn Jahre her. Nach zehn Jahren kann man sich die Lage durchaus neu anschauen und überlegen, ob die Ober- und Untergrenze, die wir damals festgelegt haben, heutzutage noch Sinn machen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 20 Prozent sind immer noch 20 Prozent!) Dazu kann ich sowohl die Sachverständigen aus der Anhörung zitieren als auch einige Kolleginnen und Kollegen aus Ihrer eigenen Fraktion, die durchaus auch hier im Plenarsaal schon gesagt haben, dass man darüber nachdenken könnte, die Obergrenze von 1,5 Monatsausgaben zu erhöhen, nämlich auf zwei Monatsausgaben, wie ein Sachverständiger gesagt hat, oder auf drei Monatsausgaben, was Herr Schiewerling ins Spiel gebracht hat. Die meisten Sachverständigen waren bezüglich der Untergrenze der Meinung, man sollte nicht auf 0,2 Monatsausgaben, sondern auf 0,5 Monatsausgaben gehen, damit die Rücklage nicht komplett abgesenkt wird. Die Debatte darüber sollten wir hier sehr sachlich führen. Wenn man das gemacht hätte, dann wäre man nicht unbedingt zu dem Ergebnis gekommen, dass es tatsächlich sinnvoll ist, jetzt die Beiträge zu senken. Wir beide waren gestern bei einer Veranstaltung der AWO, auf der Sie selbst gesagt haben, Sie hätten durchaus Sympathie für den Vorschlag, die Beiträge jetzt nicht zu senken, sondern sie langfristig konstant zu halten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hört! Hört! – Zurufe von der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Ihr macht jetzt aber keinen Dialog! Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich sage: Herzlichen Glückwunsch! Genau das beantragen wir. In Ihrer Rede gerade haben Sie aber gesagt, die Beiträge nicht zu senken, mache wenig Sinn, weil die Renditen auf dem Finanzmarkt im Moment zu gering sind. Wir finden, das ist nicht so ein starkes Argument. Wir wollen vielmehr langfristig konstante Beitragssätze und sie jetzt nicht senken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Abends spricht er so und jetzt so! Hört! Hört! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Also Zustimmung zur Verordnung! Das war aber keine Antwort auf die Frage!) – Die Antwort auf die Frage habe ich im Prinzip gegeben. (Iris Gleicke [SPD]: Nicht nur im Prinzip!) Sie haben ja gefragt, was wir den Bundesländern raten würden. Wir würden ihnen raten, der Verordnung nicht zuzustimmen. Vielmehr wäre jetzt die Gelegenheit, das Gesetz im Rahmen der ganzen Debatten zu verändern, die wir ohnehin über die Rente führen und in der die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen nach wie vor überhaupt nichts vorlegen, außer dieses eine Gesetz, das eigentlich unnötig wäre, weil man dies als Verordnung machen könnte, und das Schornsteinfegergesetz, bei dem wir als Parlament gezwungen sind, etwas zu machen. Auch da haben Sie reagiert, weil Sie den Gesetzen und Gerichtsurteilen nicht widersprechen wollen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Gutes Gesetz! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Gutes Gesetz!) Insofern ist das, was Sie hier machen, wieder einmal großartig. Eigentlich sind Sie bei der Rentenpolitik völlig blank. Da hat der Kollege Schaaf – er hat das gerade schon angesprochen – völlig recht: Da passiert nichts. Das alles, was hier wieder einmal stattfindet, ist nichts anderes als eine große Rentenshow von Frau von der Leyen. Warum wir der Meinung sind, dass die Rentenbeiträge jetzt nicht gesenkt werden sollen, habe ich eben schon angedeutet, nämlich weil das ein sehr kurzsichtiges Vorgehen ist. In der Tat ist es meines Erachtens kein Zufall, dass die Rentenbeiträge kurz vor der Bundestagswahl gesenkt werden sollen. Das hat natürlich etwas mit Wahlkampf zu tun. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir haben auch letztes Jahr gesenkt!) Auch intern gab es bei Ihnen eine Diskussion darüber, ob man nicht besser andere Wege geht. Aber das macht sich vielleicht ganz gut; denn schließlich ist das insbesondere für die FDP der letzte Strohhalm, vielleicht doch noch dazu zu kommen, mehr – wie hieß es doch gleich? – Netto vom Brutto hinzubekommen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir lösen das ein!) Das ist aber sehr kurzfristig gedacht. Die meisten Bürgerinnen und Bürger durchschauen das. Zumindest diejenigen, mit denen ich rede, fragen: Was soll das, jetzt die Rentenbeiträge zu senken, wenn sie in wenigen Jahren wieder steigen und wir dann wieder mehr zahlen müssen? Es ist in der Tat eine Frage der Generationengerechtigkeit, ob wir es hinbekommen, die Beiträge dauerhaft konstant zu halten. Da gehen wir auch konform mit der Debatte über die Krankenversicherungsbeiträge. Auch da ist unsere Position, dass wir sagen: Man muss die Beiträge in der Krankenversicherung durch eine Bürgerversicherung dauerhaft und nachhaltig niedrig halten. Langfristig müssen wir das auch bei der Rente hinbekommen, um stabile Beitragssätze mit einem vernünftigen Rentenniveau zu gewährleisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie sagen weiterhin, es mache keinen Sinn, so wie SPD und Linke es vorschlagen, die Obergrenze bei der Nachhaltigkeitsrücklage komplett abzuschaffen und das Geld auf dem Kapitalmarkt anzulegen. Richtig! Deswegen sagen wir, dass man das Geld teilweise verwenden sollte, nicht um einen Tunnel zu bohren, sondern um von der jetzigen Beitragssenkung zur Beitragssteigerung eine Brücke zu schaffen. Dann könnte man die Beiträge auf der einen Seite längerfristig konstant halten und auf der anderen Seite gemäßigte Leistungsverbesserungen durchführen. Von Vervespern oder Verschleudern zu reden, wenn wir fordern, Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente vorzunehmen und das Rehabudget bedarfsgerecht auszustatten, finde ich wirklich hanebüchen. Unsere Position ist: keine Beitragssatzsenkung jetzt, stabile Beitragssätze in der Zukunft – das ist generationengerecht – (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das geht nicht zusammen!) und Leistungsverbesserung insbesondere für diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen eine Erwerbsminderungsrente beziehen. Für diese müsste es möglich sein, ohne Abschläge in Rente zu gehen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, das ist gut!) Vizepräsident Eduard Oswald: Bevor Sie mit einem neuen Gedanken beginnen, schauen Sie bitte schnell einmal auf die Uhr. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe keinen neuen Gedanken mehr, sondern will nur noch sagen: Noch ein Jahr geht diese schwarz-gelbe Show weiter. Danach machen wir wieder eine nachhaltige, solide Rentenpolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das warten wir einmal gelassen ab!) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster und letzter Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Paul Lehrieder. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsfraktionen, sofern Sie es vergessen haben, rufe ich Ihnen gerne in Erinnerung, dass wir mit der Absenkung des Beitragssatzes zum 1. Januar 2013 auf 18,9 Prozent in der gesetzlichen Rentenversicherung und auf 25,1 Pro-zent in der knappschaftlichen Rentenversicherung geltendem Recht folgen; Recht aus rot-grüner Zeit. Das will ich noch einmal ausdrücklich betonen. Lieber Anton Schaaf, wenn ich deine Währungseinheit von einem Maß Bier nehme, dann sind das jetzt fünf kleine Kölsch. Die 10,50 Euro, über die wir reden, sind sehr wohl keine Peanuts. (Anton Schaaf [SPD]: Trinkt keiner! – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Weitere Zurufe von der SPD) – Herr Präsident, ich brauche jetzt erst einmal wieder die Aufmerksamkeit der SPD. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lieber Kollege Schaaf, wenn Sie im selben Atemzug die heute Morgen diskutierte Praxisgebühr anführen, so gebietet es die Ehrlichkeit, zu sagen, dass die Praxisgebühr mit 10 Euro einmal im Quartal anfällt. Die Entlastung, die wir heute vornehmen, beträgt bei einem Durchschnittseinkommen jeden Monat immerhin 10,50 Euro. Das heißt, wir entlasten um dreimal so viel, wie die Praxisgebühr maximal bringen könnte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) So gesehen handelt es sich keinesfalls um Kleinkram, wie Sie ausgeführt haben. Zur Währungseinheit Currywurst, Herr Kollege Birkwald, fällt mir momentan auch nichts ein. Nach § 158 SGB VI ist der Beitragssatz zu Beginn eines Jahres zu senken, wenn die Mittel der Nachhaltigkeitsrücklage zum Ende des Jahres – – (Abg. Anton Schaaf [SPD] meldet sich zu -einer Zwischenfrage) – Herr Präsident, ich bin selbstverständlich bereit, die Frage des Kollegen Schaaf anzunehmen. Vizepräsident Eduard Oswald: Alles läuft gut. Hier sieht man auch das gute kollegiale Verhältnis im Ausschuss. Bitte schön. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt!) Anton Schaaf (SPD): In der Tat, es ist ein sehr gutes kollegiales Verhältnis. Deswegen werde ich den Kollegen Lehrieder auch nicht bitten, zu jodeln, sondern bitte ihn, mir Folgendes zu beantworten: Heute Morgen beim Thema Gesundheit war die Argumentation, man müsse die Kasse beieinanderhalten und sparsam mit dem Geld umgehen und dürfe deswegen die Praxisgebühr nicht abschaffen. Gilt bei der Rentenkasse nicht das gleiche Argument, und zwar im Hinblick auf die Schuldengrenze, die wir im Grundgesetz vereinbart haben, und im Hinblick darauf, dass es vielleicht einmal schlechtere Zeiten geben könnte und wir damit eine schlechtere Einnahmesituation haben könnten? Sie haben dabei auch nicht berücksichtigt, was die Sachverständigen zur Obergrenze gesagt haben. Das Gleiche gilt auch für die Untergrenze. Hier wurde gesagt, man solle eine Rücklage von 0,5 Monatsausgaben halten. All das ist überhaupt nicht berücksichtigt worden. Hier geht es nur darum, einen maximalen Effekt gegenüber der Bevölkerung zu erreichen. Das habe ich schon im Zusammenhang mit der Praxisgebühr moniert. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Lieber Kollege Anton Schaaf, jodeln und Schuhplattler tanzen werde ich hier nicht. Da kann ich Sie beruhigen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schade eigentlich!) Ich komme aus Franken. Da ist es nicht üblich, Schuhplattler zu tanzen. Wir haben andere, gleichwohl schöne Tänze. Den Gefallen werde ich Ihnen aber nicht tun. Sie haben ausgeführt: Wir entlasten die Mitbürgerinnen und Mitbürger; dabei müssen wir aber auch die Kassen zusammenhalten. Das ist auch der Kern dessen, was die Sachverständigen am Montag ausgeführt haben. Die Demografierücklage, die immer angesprochen wird und für die ich am Anfang zugegebenermaßen ein hohes Maß an Sympathie hatte – wir lassen das Geld ansparen, weil wir es in den nächsten Jahren brauchen –, wird eben nicht so lange reichen, wie es für eine nachhaltige Senkung der Beiträge notwendig wäre. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann aber gleich ganz weg?) Die Demografierücklage beträgt maximal etwas über 80 Milliarden Euro. Wir hätten in den Wahljahren 2017 eine Rücklage von etwa 79 Milliarden Euro und 2021 von etwa 80 Milliarden Euro, wenn wir auf die Absenkung verzichten. Auch das gehört zur Wahrheit. Das heißt, die Chance, dass wir diese Demografierücklage zweckmäßig verwenden, ist außerordentlich gering. Zur Frage der Verwendung der Demografierücklage im Umlageverfahren: Die Beträge, die hier aufgebaut werden, sind, wenn wir die Gesamtsumme, die für die Renten ausgegeben werden, ansehen, relativ bescheiden. Das war die Aussage der Sachverständigen am vergangenen Montag. Im Übrigen ist dies auch nur ein temporäres Problem, worauf schon hingewiesen wurde. Die Demografierücklage ist, wenn wir diese Berechnungen nehmen, spätestens im Jahr 2024, 2025 verbraucht. Dann gehen wir in das normale Verfahren hinein. 2030 liegen alle Schätzungen zu den Beitragssätzen, Herr Kollege Schaaf, bei 21,8 bzw. 21,9 Prozent, also knapp unter der 22-Prozent-Grenze. Wir reden hier also über einen ganz bescheidenen Zeitraum. Deshalb ist die Gefahr groß – auch darauf müssen wir achten –, dass wir im Hinblick auf die derzeit günstige Finanzierung – – (Abg. Anton Schaaf [SPD] nimmt wieder Platz) – Aufstehen bitte, ich bin noch nicht fertig. Herr Präsident, kann er sich wieder hinstellen? Ich bin noch bei der Beantwortung. (Zurufe von der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Braucht ihr jetzt doch einen Präsidenten dazu? Vorher ging es ohne. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Es geht um die Beantwortung der Frage, was mit dem Geld zu geschehen hat. Wenn Leistungen ausgebaut werden, haben diese Leistungen finanzielle Folgen, die weit über das Jahr 2024 hinausgehen und die dann ohnehin schwierige -Finanzierung der Rentenversicherung weiter erschweren. Deshalb kann man davor nur warnen, lieber Anton Schaaf. Das Geld, das sich heute in der Rücklage befindet, haben die jetzigen Beitragszahler aufgebracht. Genau denen steht das Geld auch zu. Deshalb sind wir der Auffassung – im Übrigen ähnlich wie die Große Koalition beim Thema Arbeitslosenversicherung –, dass die Beiträge in den sozialen Sicherungssystemen da abgesenkt werden sollten, wo man die Menschen entlasten kann. Eine Entlastung der kleinen Bürger und der Arbeitnehmer war früher auch Augenmerk der SPD. Ich würde mir wünschen, dass Sie in diesem Verfahren wieder einer Entlastung zustimmen könnten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jetzt bin ich fertig, Herr Präsident. Vizepräsident Eduard Oswald: Jawohl. Damit darf sich der Kollege wieder setzen. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Unter Anwendung des gesetzlichen Anpassungs-mechanismus sowie auf der Grundlage der Ergebnisse der turnusgemäßen Einschätzung der Rentenfinanzen durch den Rentenversicherungsschätzerkreis, verbunden mit der guten wirtschaftlichen Entwicklung, ergibt sich die Absenkung des Beitragssatzes auf 18,9 Prozent. Lieber Herr Kollege Schaaf, es ist längst nicht so, dass wir diesen Zeitpunkt beeinflussen können. Schön wäre es ja. Es ist Zufall, dass uns jetzt die gut laufende Konjunktur ein Dreivierteljahr vor der nächsten Wahl die Möglichkeit gibt, diese Absenkung vorzunehmen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aha! Also die Bundesregierung ist unschuldig daran! Schön, dass man das auch einmal hört!) Das liegt aber daran, dass in Deutschland die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften die Krise gut überstanden haben, im Übrigen auch mit gemeinsam hier in diesem Hause entwickelten Szenarien, zum Beispiel der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes usw. Das heißt: Wir befinden uns derzeit in der günstigen Situation – anders als alle Länder um uns herum –, dass wir Absenkungen in den Sozialabgabebereichen vornehmen können. Das sollten wir tun. Das sind wir unseren Bürgerinnen und Bürgern schuldig. Lieber Anton Schaaf, wenn Sie Ihren Beitrag zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger leisten wollen, dann bitte ich Sie höflich: Sprechen Sie mit Ihren Ministerpräsidenten, damit sie die Blockade im Bundesrat gegen die Absenkung der Steuertarife, gegen die Verbesserungen im Bereich der kalten Progression endlich aufgeben. Dann können wir die kleinen und mittleren Bürger noch besser entlasten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Absenkung des Beitragssatzes führt im Jahr 2013 zu einer deutlichen Erhöhung der verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit kleinen Einkommen sind in dieser christlich-liberalen Koalition gut aufbewahrt. Wir sind die Anwälte der kleinen Leute. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Das führt zu einer spürbaren Entlastung der Arbeitnehmer und Unternehmen in Höhe von etwa 3,2 Milliarden Euro. Hiermit werden deutliche Impulse für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und positive Signale auf dem Arbeitsmarkt gesetzt. Des Weiteren profitieren auch die Rentnerinnen und Rentner davon; denn die Senkung des Rentenbeitragssatzes zum 1. Januar 2013 wirkt sich auch auf die Rentenanpassungsformel aus und somit steigernd auf die Rentenanpassung zum 1. Juli 2014. Die Renten werden dem-nach in den nächsten beiden Jahren um 1,3 Prozent steigen. Neben der normalen Erhöhung erhält ein Rentner mit einer Rente von etwa 1 000 Euro im Monat durch die Absenkung der Beitragssätze zur Rentenversicherung im Monat circa 13 Euro zusätzlich. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das Rentenniveau sinkt trotzdem weiter!) Es gehört zur Generationengerechtigkeit dazu, dass die Menschen, die unser Land aufgebaut haben, jetzt auch von einer Entlastung profitieren können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wie Sie sehen, steht die Beitragssatzsenkung – anders als von Ihnen behauptet –, keineswegs im Widerspruch zu unserem Ziel der Vermeidung von Altersarmut. Schließlich leisten wir einen weiteren wichtigen Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen; denn die Anpassung des Beitragssatzes bedeutet zugleich eine Entlastung um etwa 1,6 Milliarden Euro für den Bund, um 80 Millionen Euro für die Länder und um 150 Millionen Euro für die Kommunen, also insgesamt um 1,9 Milliarden Euro. Allein der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung sinkt um 1,1 Milliarden Euro. Wir entlasten die Länder, wir entlasten die Kommunen, nicht nur im SGB-XII-Bereich, über den wir nächste Sitzungswoche reden werden, sondern auch durch die Absenkung der Rentenbeiträge. Ich stelle fest: Die Interessen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, aber auch der Kommunen sind in dieser christlich-liberalen Koalition in guten Händen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Übrigen, meine sehr geehrten Damen und Herren auf der linken Seite des Hohen Hauses, hat die Sachverständigenanhörung am vergangenen Montag doch ganz klar und deutlich gezeigt, dass Ihre Vorhaben nicht das Geringste mit Nachhaltigkeit zu tun haben. Im Gegenteil: Ihre Forderungen würden in den nächsten Jahrzehnten unweigerlich zu Kostenexplosionen führen, die nicht zu verantworten wären. Über den Leistungsausbau habe ich vorhin bereits ausgeführt. Der Verzicht auf die Absenkung der Beitragssätze zur gesetzlichen Rentenversicherung und damit der Aufbau einer sogenannten Demografiereserve würde lediglich zu einer zeitlichen Verschiebung der Beitragssatzerhöhung ab 2025 führen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 13 Jahre später!) Ich habe es bereits ausgeführt: Von den Sachverständigen wurde das Problem des Tunnels unter einem Plateau angesprochen. Sie können sich unschwer vorstellen: Wenn Sie unter einem Plateau einen Tunnel bauen, können Sie sehr lange bohren, Sie werden das Ende aber nie erreichen. Genau in diese Richtung dürfen wir uns nicht bewegen. Deshalb ist die Absenkung richtig. Deshalb bitte ich Sie: Helfen Sie mit, für die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen in Deutschland etwas Gutes zu tun. Stimmen Sie für unsere Anträge. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Auf gar keinen Fall!) Vizepräsident Eduard Oswald: Das war eine punktgenaue Landung, Herr Kollege Paul Lehrieder. – Ich schließe nun die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenver-sicherung für das Jahr 2013. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11175, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/10743 und 17/11059 (neu) in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Somit ist der Gesetzentwurf angenommen. Tagesordnungspunkt 7 b, Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der Sozialdemokraten über die Schaffung eines Demographie-Fonds in der gesetzlichen Rentenversicherung zur Stabilisierung der Beitragssatzentwicklung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11175, den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 17/10775 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Die Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 7 c. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/11175 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10779 mit dem Titel „Rentenbeiträge nicht absenken – Spielräume für Leistungsverbesserungen nutzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! – Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Fraktion der Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11010 mit dem Titel „Beitragssätze nachhaltig stabilisieren, Erwerbsminderungsrente verbessern, Reha-Budget angemessen ausgestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Linksfraktion. Gegenprobe! – Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Die Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Psychische Belastungen in der Arbeitswelt reduzieren – Drucksache 17/11042 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Psychische Gefährdungen mindern – Alters- und alternsgerecht arbeiten – Drucksache 17/10867 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Verabredet ist, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort der Kollegin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wachsender Leistungsdruck prägt immer mehr die Arbeitswelt in dieser Gesellschaft. Die Zunahme von Arbeitsstress hat gravierende gesundheitliche Folgen für Millionen von Menschen. Der jährliche Fehlzeiten-Report der AOK belegt, dass die Zahl der Krankheitstage wegen psychischer Belastungen von 1994 bis heute um 120 Prozent gestiegen ist. Psychische Erkrankungen sind in Deutschland mittlerweile die Hauptursache für Frühverrentun-gen. Die Bundesregierung hat dieses Thema neuerdings für sich entdeckt. Die Gründe für wachsenden Arbeitsstress sind aber eigentlich schon lange bekannt: Die erste und wichtigste Ursache in diesem Zusammenhang ist die Verdichtung von Arbeit. Die meisten Beschäftigten müssen heute mehr Arbeit in derselben Zeit leisten als vor wenigen Jahren. Krankenhäuser sind mittlerweile ein sehr gutes Beispiel dafür. So wurde in der Berliner Charité jahrelang Personal gekürzt. Jetzt ist eine einzelne Pflegerin in der Nachtschicht für die Pflege von 31 Patienten verantwortlich. Das ist Akkord im Krankenhaus, das verursacht Stress. Einen solchen Job macht man nicht nur wegen des Geldes, sondern auch aus sozialem Engagement und aus Liebe zu den Menschen. Zweitens führt die zunehmende Entgrenzung von Arbeit zu Stress. Viele Beschäftigte können sich nicht mehr ausreichend von der Arbeit erholen. Der Achtstundentag ist für sie längst Vergangenheit. Unbezahlte Mehrarbeit nimmt breitflächig zu. Drittens führt die Zunahme von unsicheren Arbeitsverhältnissen zu wachsendem Stress in vielen Unternehmen. Befristete Arbeitsverhältnisse nehmen seit einigen Jahren kontinuierlich zu, gleichzeitig Leiharbeit und Werkverträge. All dies zwingt Beschäftigte zum häufigeren Wechsel ihres Arbeitsplatzes, was auch wieder Stress bedeutet. Dies bedeutet auch größeren Konkurrenzdruck in den Belegschaften. Die Politik der Bundesregierung hat diese Entwicklung gefördert ebenso wie zuvor die Agenda 2010 von Rot-Grün. Die Linke will mit drei gesetzlichen Maßnahmen den Stress am Arbeitsplatz verringern: Erstens. Wir wollen den Arbeitsschutz verbessern. Konkret heißt dies: Wir unterstützen die Forderung meiner Gewerkschaft, der IG Metall, nach einer Anti-Stress-Verordnung. Damit werden im betrieblichen Arbeitsschutz verbindliche Standards zur Prüfung von Stressbelastungen verankert. Zweitens. Wir wollen die Arbeitszeiten klarer regeln. Die gesetzliche Höchstarbeitszeit muss auf 40 Stunden verringert werden, (Beifall bei der LINKEN) und Überstunden müssen stärker begrenzt werden. Freizeit muss Freizeit bleiben. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Wir wollen die Einflussmöglichkeiten der Beschäftigten auf die Organisation der Arbeitsprozesse im Betrieb deutlich verbessern. Dies bedeutet: Beschäftigten und ihren Betriebsräten muss Einfluss auf die Personalausstattung ihres Arbeitsbereichs gegeben werden, um die gestellten Anforderungen erfüllen zu können. Sie müssen an diesen Entscheidungen beteiligt werden. Sie brauchen Vetorechte gegen den Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen, wenn Stammbeschäftigte ersetzt werden sollen. (Beifall bei der LINKEN) All diese Maßnahmen hätte die Bundesregierung längst anpacken können, wenn sie dieses Thema ernst genommen hätte. Stattdessen hat sie jahrelang von flexibler Arbeit geschwärmt und dabei billigend in Kauf genommen, dass private Unternehmen ihre Gewinne auf Kosten der Gesundheit ihrer jeweiligen Beschäftigten erhöhen. Damit muss Schluss sein. (Beifall bei der LINKEN) Die Bedürfnisse der Beschäftigten müssen Vorfahrt bekommen vor den Profitinteressen der Unternehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, Frau Krellmann: Die Verdichtung von Arbeit ist in der Tat zu einem Problem geworden. Auch die Tat-sache, dass wir die Arbeitseffizienz in den letzten Jahren in einem erheblich höheren Maße steigern konnten als die Materialeffizienz und die Energieeffizienz, spricht sicherlich nicht für Nachhaltigkeit. Arbeit nur als einen Produktionsfaktor zu sehen und sie nur als Human Resource zu bezeichnen, entspricht aus unserer Sicht nicht der Personalität der Arbeit, die zum Ausdruck kommen sollte. Es überrascht dann nicht, dass 67 Prozent der Menschen in ständiger Hektik und Unruhe die größten Auslöser von Stress sehen und dass die Weltgesundheitsorganisation beruflichen Stress zu einer der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts erklärt hat. Nun hat die IG Metall – die Kollegin Krellmann hat das erwähnt – eine Anti-Stress-Verordnung vorgelegt. Ein wenig aufbauend auf der Anti-Stress-Verordnung, diskutieren wir heute einen Antrag der Linken und einen Antrag der Grünen. Mir ist bei der Lektüre sowohl der Anti-Stress-Verordnung als auch der beiden Anträge nicht so ganz klar geworden, ob es tatsächlich richtig ist, die psychischen Belastungen im Arbeitsleben vorrangig über gesetzliche Maßnahmen oder über Verordnungen zu regeln. Ich glaube, uns tut es gut, dass wir erst einmal vornehmlich in die Betriebe hineinschauen. Dabei geht es für mich im Wesentlichen um vier zentrale Punkte: Erstens. Der Erhalt der psychischen Gesundheit von Beschäftigten muss zur Selbstverständlichkeit in jeder Unternehmenskultur werden. Die besten Lösungen können partnerschaftlich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gefunden werden. Dabei sollen sie von Krankenkassen, Rentenversicherungen, Werks- und Betriebs-ärzten, Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften, Innungen und Kammern Unterstützung erhalten. Das entspricht dem Prinzip der Subsidiarität. Zweitens. Wir sollten einen gesamtgesellschaftlichen Prozess initiieren, damit psychische Erkrankungen, vor allen Dingen Depressionen, enttabuisiert werden, damit Erkrankungen dieser Art und Weise nicht als Schwachheit oder Mangel ausgelegt werden, sondern als etwas, das jedem Arbeitnehmer passieren kann. Wir müssen also darangehen, diese Dinge zu enttabuisieren und ein Klima der Wertschätzung zu erreichen. Drittens. Wir müssen auch darangehen, eine genaue Diagnostik und Klassifikation des Begriffes „Burn-out“ zu erreichen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass der Begriff „Burn-out“ ein bisschen den Stellenwert des Begriffes der Hysterie im 19. Jahrhundert hat: Man klebt das Label auf unterschiedlichste Symptome, ohne genau zu wissen, was man damit letztendlich meint. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Wissenschaft weiß das schon!) Ich bin der Meinung, eine geeignete wissenschaftliche Begründung, Diagnostik und Therapie von Burn-out wäre hier ausgesprochen hilfreich. Viertens. Last, not least bin auch ich der Überzeugung, dass eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer – über eine Kapitalbeteiligung, eine Prozessbeteiligung oder andere Formen der Beteiligung – ebenfalls hilfreich ist, wenn es darum geht, die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz deutlich zu senken. Meine Damen und Herren, große Entwürfe treffen auf konkrete Lebenswelten. Wir können natürlich ganz praktisch etwas tun; denn wir sind als Bundestagsabgeordnete auch Arbeitgeber. Und wir alle sind vorbildliche Arbeitgeber. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Na ja!) Wir rufen unsere Mitarbeiter nie am Wochenende oder abends, nach Feierabend, an. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich nicht!) Wir bestehen natürlich darauf, dass keiner der Mitarbeiter länger als 40 Stunden arbeitet, und sind natürlich der Meinung, dass die Tätigkeit unserer Mitarbeiter, wie es die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall vorsieht, „der Gesundheit zuträglich“ ist. Oder nicht? Nur selten finden gegenteilige Erfahrungen den Weg in die Presse. Das zeigt aber auch, wie schwierig der Umgang mit diesem Themenfeld ist. Letztendlich, denke ich, fangen die Veränderungen bei uns an. Wenn wir vernünftig sind, wenn wir vernünftig mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgehen, dann brauchen wir keine Gesetze. Wenn wir nicht vernünftig sind, dann helfen keine Gesetze. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Josip Juratovic. (Beifall bei der SPD) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon seit Jahrzehnten wird über das Projekt „Humanisierung der Arbeit“ diskutiert. Als ehemaliger Betriebsrat war ich mit dabei, wenn es darum ging, die Arbeitswelt an die Bedürfnisse der Arbeitnehmer anzupassen. Das Ziel ist es, die Arbeitswelt so zu gestalten, dass Arbeit nicht krank macht. Die Humanisierung der Arbeitswelt ist ein immerwährendes Thema. Während der Industrialisierung ging es darum, schwere körperliche Arbeit zu vereinfachen. Später mussten in der Industrie die Taktzeiten arbeitnehmerfreundlich gestaltet werden. Das Problem ist jedoch, dass die Arbeitswelt insgesamt nicht unbedingt humaner geworden ist. Die Probleme haben sich nur verlagert und haben ein anderes Gesicht als früher. Heute ist es in Bezug auf die Humanisierung der Arbeitswelt die große Aufgabe, darauf zu achten, psychische Belastungen zu vermeiden. Die Belastungen in unserer Arbeitswelt haben sich zwar verändert, aber es sind Belastungen geblieben. Das Problem ist, dass die Belastungen heute nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen sind. Früher war es offensichtlich, dass es Probleme mit dem Rücken gibt, wenn man permanent über Kopf arbeiten muss. Heute sind die Belastungen subtiler, wenn Arbeitnehmer viel Stress haben. Viele Unternehmen operieren heute nur noch nach reiner Wachstumslogik und schauen nur auf die kurzfristige Rendite. Es wird großer Druck auf die Mitarbeiter ausgeübt, die sich ständigen Optimierungsprozessen ausgesetzt sehen. Diese Leistungsverdichtung bedeutet für viele Arbeitnehmer Stress. Zudem bestimmen moderne Informations- und Kommunikationsmedien die meisten Bereiche unserer Arbeit. Technische Innovationen führen zu immer schnelleren Veränderungen. Das Wissen, das man gestern noch brauchte, ist heute schon nichts mehr wert. Die Arbeitnehmer brauchen immer mehr Flexibilität und Lernbereitschaft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Entwicklung von prekärer Arbeit hat Einfluss auf Stress in der Arbeitswelt. Wenn ein Arbeitnehmer weiß, dass er befristet, über Leiharbeit oder auf der Grundlage eines Werkvertrags arbeitet, lebt er in der ständiger Unsicherheit in Bezug auf seinen Arbeitsplatz. Er kann seine -Zukunft nicht planen, geschweige denn eine Familie gründen. Zudem will er dauernd Höchstleistungen vollbringen, um eventuell vom Unternehmen übernommen zu werden. Außerdem hat in vielen Berufen die Arbeitszeit zugenommen. Im Sommer veröffentlichte das Statistische Bundesamt Daten zur Qualität der Arbeit. Seit Mitte der 90er-Jahre ist die Wochenarbeitszeit um etwa 40 Minuten angestiegen, ein Viertel der Beschäftigten arbeitet auch samstags – in den 90er-Jahren waren es nur 18,8 Prozent –, und immer mehr Beschäftigte arbeiten nachts. Die Zahlen belegen, dass die Arbeitnehmer immer flexibler werden müssen, um ihre Arbeit zu erfüllen. All diese Trends zeigen, dass sich unsere Arbeitswelt verändert hat. Mit diesen Veränderungen kommen neue Herausforderungen auf uns zu, auf die wir reagieren müssen. Wir brauchen neue Regelungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz, um auf die steigenden psychischen Belastungen zu reagieren. Im Arbeitsschutz ist alles Mögliche detailliert geregelt; ich denke zum Beispiel an die Biostoffverordnung. Eine Verordnung im Bereich der psychischen Belastungen fehlt jedoch. Wir brauchen dringend eine Anti-Stress-Verordnung, um diese Regelungslücke zu schließen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Gestaltung unserer Arbeitswelt und die konkreten Arbeitsbedingungen müssen stärker in den politischen Fokus rücken. Zu oft wird der Arbeits- und Gesundheitsschutz in die technische Ecke von DIN-Normen und Verordnungen gedrängt. Wir brauchen hier mehr politische Gestaltung im Sinne der Humanisierung der Arbeitswelt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darüber hinaus müssen wir sicherstellen, dass die Arbeitsschutzaufsicht gut und effektiv arbeiten kann. Ich appelliere an die Länder, die Personalsituation zu verbessern. Zudem müssen wir uns dafür starkmachen, dass Gefährdungsbeurteilungen häufiger genutzt werden. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz hängt davon ab, dass -bekannt ist, welche Belastungen der jeweilige Arbeitsplatz beinhaltet. Diese Gefährdungsbeurteilungen müssen auch alterssensibel durchgeführt werden. Wir müssen dringend dafür sorgen, dass alle Betriebe Gefährdungsbeurteilungen erstellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch im Bereich Arbeitszeit müssen wir Lösungen finden. Wir müssen regeln, bis wann ein Mitarbeiter für den Arbeitgeber erreichbar sein muss. Oft machen sich die Mitarbeiter auch selbst oder untereinander Druck und arbeiten deshalb bei Projektarbeiten mit kurzen Fristen abends und nachts weiter. Hier müssen auch die Unternehmen handeln; denn kein Arbeitgeber kann ein Interesse daran haben, dass sein Mitarbeiter aufgrund überlanger Arbeitszeiten nach ein paar Jahren ein Burn-out-Syndrom hat. Unsere Fachkräfte dürfen nicht durch enorm lange Arbeitszeiten und eine enorme Arbeitsbelastung verbraten werden. Dies ist auch ein entscheidender Punkt im Zusammenhang mit dem Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Wenn die Arbeitszeiten nicht so geregelt sind, dass Zeit für die Familie bleibt, bringt das alles nichts. Unser Ziel im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes muss sein, möglichst viele psychische Belastungen präventiv zu verhindern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir müssen die Arbeitswelt so gestalten, dass psychische Belastungen erst gar nicht entstehen. An einem besseren Arbeits- und Gesundheitsschutz sollten alle in unserer Gesellschaft ein Interesse haben: die Arbeitnehmer, damit sie nicht krank werden, die Arbeitgeber, damit ihre Arbeitnehmer nicht aufgrund von Krankheit fehlen, und der Staat, weil wir damit Kosten für unser Gesundheitssystem vermeiden. Es ist dringend notwendig, dass im Bereich der psychischen Belastungen endlich konkret etwas geschieht. Bisher fällt Ministerin von der Leyen vor allem dadurch auf, dass sie medienwirksam Regelungen für die Erreichbarkeit über das Smartphone fordert. Konkret aber passiert nichts. Zur Anti-Stress-Verordnung sagt unsere Ministerin zum Beispiel nichts. Herr Zimmer, Sie haben hier hervorragend analysiert. Ich wünsche Ihnen viel Glück bei der Erstellung eines entsprechenden Antrags bzw. Gesetzentwurfs. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen das neue Ziel der psychischen Gesundheit in der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie stärker nutzen. Es reicht nicht, warme Worte an die Presse zu richten. Die Bundesregierung muss endlich gesetzlich handeln; denn viele Arbeitgeber handeln nicht aus Eigeninteresse, sondern nur, wenn sie dazu verpflichtet sind, wie Studien belegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Arbeits- und Gesundheitsschutz ist entscheidend für die Lebensqualität in unserem Land. Arbeit darf nicht krank machen, insbesondere nicht psychisch. Wir müssen Arbeit so gestalten, dass die Menschen ihr Leben genießen können und genug Freizeit und Zeit für ihre Familie haben. Wir brauchen gute und gesunde Arbeit, um die Lebensqualität in unserem Land zu steigern. Die SPD wird in den nächsten Wochen einen umfassenden Antrag zur Modernisierung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes vorlegen. In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Beate Müller--Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Pascal Kober hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Pascal Kober (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den beiden Anträgen von Linken und Grünen, die wir heute beraten, wird ein durchaus wichtiges Thema aufgegriffen: die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz. Dieses Thema ist wichtig. Dieses Thema hat die Regierungskoalition allerdings schon etwas früher erkannt als Sie. Sie hat schon im Koalitionsvertrag vor drei Jahren vereinbart, eine umfassende Präventionsstrategie zu erarbeiten. Diese Strategie ist gründlich ausgearbeitet worden; die Arbeiten stehen kurz vor ihrem Abschluss. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon! Vor drei Jahren! Da haben Sie noch gar nicht lesen können!) Parallel dazu wurden vonseiten der christlich-liberalen Regierungskoalition entscheidende Schritte zur Förderung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz unternommen. So hat das Bundesgesundheitsministerium die Kampagne „Unternehmen unternehmen Gesundheit“ im Jahr 2011 gestartet. Ziel dieser Kampagne ist es vor allem, die Zahl von kleinen und mittleren Unternehmen zu erhöhen, die sich aktiv im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung engagieren. So gibt es auf der Homepage des Bundesministeriums für Gesundheit eine Sammlung von hundert vorbildlichen Projekten der Krankenkassen, die den kleinen und mittleren Unternehmen als Ideenbörse dienen können. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden hier über den Arbeitsschutz!) Der demografische Wandel und der damit einhergehende Fachkräftemangel werden dazu führen, dass das Thema der psychischen Gesundheit und die Notwendigkeit, die Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu fördern, bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsabläufe in den Unternehmen in Zukunft noch mehr in den Vordergrund gerückt werden. Klar ist aber auch, dass die Zahl der psychisch bedingten Krankheiten in den vergangenen Jahren zugenommen hat. 2010 verursachten psychische Erkrankungen 53,5 Millionen Krankheitstage; das sind 80 Prozent mehr als 1997. Mittlerweile sind fast 40 Prozent der Neuzugänge bei Frühverrentungen darauf zurückzuführen. Ich denke, dass man aber auch genau prüfen muss, inwieweit die zunehmende Zahl wirklich auf steigende Erkrankungsfälle zurückzuführen ist und nicht zum Teil auch auf verbesserte Diagnosemöglichkeiten. Peter Weiß hat gestern in der Ausschusssitzung folgendes Beispiel genannt: Was früher vielleicht als ein Rückenleiden diagnostiziert wurde, aber in Wahrheit eine psychische Erkrankung war, kann und wird mittlerweile als solche diagnostiziert. Es ist gut, dass das Thema enttabuisiert wurde und man sich nicht mehr für psychische Erkrankungen schämen muss. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Gerade im Bereich des Sports gibt es prominente Beispiele wie den Skispringer Sven Hannawald oder den Fußballtrainer Ralf Rangnick, die durch ihr öffentliches Bekenntnis zu ihrer Burn-out-Erkrankung Verständnis und gesteigerte Aufmerksamkeit für das Thema erzeugt haben. Das ist gut. Nicht nur das Bundesgesundheitsministerium hat bereits entsprechende Maßnahmen auf den Weg gebracht, sondern auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat Programme aufgelegt und arbeitet tatkräftig daran. So hat es beispielsweise die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie von Bund, Ländern und Kommunen fortgeführt, die nun das Thema „Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung“ zu einem der drei Schwerpunktthemen für das Jahr 2013 erklärt hat. Bereits im Frühjahr dieses Jahres hatte das BMAS einen Expertenworkshop organisiert, um den gegenwärtigen Forschungsstand zum Thema „Psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt“ zu erheben, und darauf folgend weitere Forschungsvorhaben zum Schließen von wissenschaftlich-medizinischen Erkenntnislücken in diesem Bereich in Auftrag gegeben. Das ist nur ein kleiner Teil der Maßnahmen dieser christlich-liberalen Bundesregierung. Sie sehen daran, wie wichtig uns dieses Thema ist. Die Maßnahmen, die die Linken und die Grünen in ihren Anträgen vorschlagen, gehen am Ziel weit vorbei. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wohl wahr!) So will die Linke ein Vetorecht für Betriebs- und Personalräte beim Einsatz von Zeitarbeit oder Werkverträgen. In anderen Anträgen, die Sie schon in den Bundestag eingebracht haben, fordern Sie gar das Verbot dieser beiden Instrumente der Arbeitsteilung. (Zuruf von der LINKEN: Ja, richtig so!) Dies würde jedoch die psychische Gesundheit nicht erhöhen, sondern bedeuten, dass viele Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren würden, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leider wahr!) mit allen negativen Auswirkungen, die Arbeitslosigkeit auf das psychische Befinden eines Menschen hat. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz zu fördern, ist gut und wichtig, aber dies sollte nicht auf Kosten des Arbeitsplatzes geschehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Kolleginnen und Kollegen der Grünen stellen in ihrem Antrag ähnliche Forderungen; damit gehen Sie das Thema von der falschen Seite an. Sie fordern in Ihrem Antrag einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn sowie die Einschränkung von Zeitarbeit und befristeter Beschäftigung. Auch hier kann ich Ihnen nur entgegnen, dass diese Maßnahmen mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit bringen würden. Daher können wir dem auf gar keinen Fall zustimmen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Woher wissen Sie denn das?) Ziel muss es sein, die Gesundheit der Menschen am Arbeitsplatz zu fördern, aber nicht auf Kosten der Arbeitsplätze. Zum Abschluss, lieber Herr Ernst, möchte ich noch einen anderen Aspekt einbringen. Ich halte es für einen ein wenig verengten Blickwinkel, wenn man das Thema „psychische Erkrankungen“ nur auf der Ebene der Arbeitswelt betrachtet. Uns allen muss doch klar sein, dass Arbeit nur ein Teil des Lebens ist. Auch die privaten Lebensumstände haben Auswirkungen auf das psychische Befinden eines Menschen und können Ursache von Krankheiten sein. Jemand, der frisch verliebt ist, ist gewöhnlich in besserer Stimmung als jemand nach einer Trennung. Wem gerade ein Kind geboren worden ist, dem geht es besser als jemandem nach einem Trauerfall in der Familie. Entsprechend werden dann auch Belastungen am Arbeitsplatz unterschiedlich wahrgenommen und wirken sich entsprechend unterschiedlich auf den Einzelnen aus. Ich möchte uns daher davor warnen, das Thema ausschließlich aufseiten der Arbeitswelt anzugehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch andere gesellschaftliche Bereiche wie beispielsweise die Schule – auch Schülerinnen und Schüler sind psychischen Belastungen ausgesetzt – gehören in den Blickwinkel der gesellschaftlichen Debatte über dieses Thema. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eine schließt das andere nicht aus!) Psychische Erkrankungen können mannigfaltige Ursachen haben, deren wir uns als Gesellschaft insgesamt annehmen müssen. Diese Regierungskoalition hat das Thema angepackt. Wir werden den Menschen zur Seite stehen und diese gesellschaftliche Debatte gemeinsam führen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat Beate Müller-Gemmeke für Bündnis 90/Die Grünen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gute und gesunde Arbeitsbedingungen sind eine Zukunftsinvestition, die sich für alle lohnt: für die Betriebe, für den öffentlichen Dienst und ins-besondere für die Beschäftigten. Schlechte Arbeits-bedingungen machen hingegen krank. Heute sind – das wurde schon gesagt – die psychischen Belastungen mit 37 Prozent die Hauptursache für Frühverrentungen. Wer zu früh in Rente geht, bekommt weniger Geld; in der Folge droht Altersarmut. Dieses Problem hat inzwischen auch die Ministerin entdeckt. Mit ihrer Zuschussrente hat sie allerdings nur die Symptome im Blick. Entscheidend sind jedoch die Ursachen. Wer Alters-armut bekämpfen will, der muss auch dafür sorgen, dass die Menschen gesund bis zur Rente arbeiten können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Gestern haben wir zum ersten Mal im Ausschuss über dieses Thema diskutiert. Unstrittig war, dass die Zahl der Krankheitstage aufgrund von psychischen Belastungen von Jahr zur Jahr zunimmt. Die vagen Lösungsansätze waren für mich aber nicht überzeugend. Es ging um -deklaratorische Klarstellung, um Sensibilisierung. Das alles hat sich sehr unverbindlich angehört. Das ist mir schlichtweg zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was wir brauchen, sind konkrete Werkzeuge, die wir den Betrieben an die Hand geben können. Notwendig sind klare Definitionen und Vorgaben. Die Betriebe müssen wissen, wann und wie psychische Gefährdungen am Arbeitsplatz entstehen und wie sie, zum Beispiel bei Schichtarbeit oder bei Taktarbeit, vermieden werden können. Die Betriebe müssen wissen: Was bewirkt Mobbing? Wo liegen die Grenzen bei der Rufbereitschaft? Wo liegen die Grenzen bei Arbeitsverdichtung und Mehrarbeit? Betriebswirtschaftliche Ziele und die Leistungsfähigkeit der Menschen müssen schlicht zusammenpassen. Geht es um den Lärmschutz oder um giftige Chemikalien, dann existieren Verordnungen. Für den Bereich der psychischen Belastungen fehlen aber entsprechende Regelungen. Das ist nicht akzeptabel. Der Schutz vor psychischen Gefährdungen und Stress am Arbeitsplatz muss im System der Arbeitsschutzgesetze konkretisiert werden. Deshalb fordern auch wir mit unserem Antrag, dass endlich eine Anti-Stress-Verordnung auf den Weg gebracht wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der -LINKEN) Das reicht aber nicht. Die Arbeitsbedingungen müssen auch alters- und alternsgerecht ausgestaltet werden. Zentral dafür sind die Gefährdungsbeurteilungen; sie müssen zukünftig verbindlich durchgeführt werden, und zwar auch altersbezogen. Hier greift der Antrag der -Linken zu kurz. Notwendig sind Arbeitsbedingungen, die dem jeweiligen Alter der Beschäftigten angemessen sind und perspektivisch das gesamte Erwerbsleben im Blick haben. Dem Arbeitsschutz fehlt bisher auch eine Geschlechterperspektive; denn was für Männer akzeptabel ist, muss noch lange nicht für Frauen gesundheitsförderlich sein. Gerade wenn es um arbeitsbedingte psychische -Belastungen geht, sind Frauen doppelt so stark betroffen wie Männer. Das liegt zum einen daran, dass ein -beträchtlicher Anteil der Frauen in prekären Jobs arbeitet. Andererseits ist es auch ein Indiz dafür, dass in Deutschland die angebliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer noch auf Kosten von Frauen geht. Sehr geehrte Regierungsfraktionen, bei diesem Thema geht es um die Gesundheit und die Lebensqualität der Beschäftigten. Psychische Erkrankungen sind schrecklich; denn sie isolieren die Menschen und belasten zugleich die gesamte Familie. Nehmen Sie dieses Thema bitte endlich ernst! Aber es geht auch um die Betriebe; denn nur mit einer tragfähigen Arbeitskultur, die Jungen und Älteren ebenso wie Männern und Frauen gleichermaßen gerecht wird, sind der demografische Wandel und der drohende Fachkräftemangel in den Betrieben zu bewältigen. Nehmen Sie sich des Themas an, machen Sie sich zusammen mit den Sozialpartnern auf den Weg. Wir brauchen eine alters- und alternsgerechte Arbeitswelt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der -LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es spricht jetzt der Kollege Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ulrich Lange (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben – ich glaube, da sind wir uns in diesem Hause einig – das Problem sehr wohl als drängendes Problem erkannt. Liebe Kollegin Krellmann, allzu oft stimme ich Ihnen ja nicht zu, aber ich bedanke mich für den Hinweis, dass sich die Bundesregierung dieses -Themas angenommen hat. Das sehen wir durchaus als positives Zeichen von Ihrer Seite für unsere Arbeit. Herzlichen Dank dafür. Ich will nicht alle Zahlen wiederholen, die wir jetzt schon gehört haben, beispielsweise wie viel Prozent der Frühverrentungen aus psychischer Erkrankung resultieren und in welchem Maße dieses Krankheitsbild in der Arbeitswelt auftritt. Kollege Kober hat, glaube ich, sehr richtig ausgeführt, dass wir es hier mit einer multikausalen Kette zu tun haben, die zu diesen Erkrankungen führt. Auch die Entstigmatisierung, eine bessere Kenntnis über diese -Erkrankungen und natürlich auch das offene Umgehen der Betroffenen selber mit dieser Krankheit führen dazu, dass man diesem Krankheitsbild heute anders entgegentritt. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, mit den Eingangssätzen genug des Lobes von mir. Die Vorschläge, die Sie machen, halten wir in Gänze für nicht zielführend; ich erwähne beispielhaft das individuelle Vetorecht, eine Kommission zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes, Meldepflicht. Wir haben durchaus Vertrauen in unsere Unternehmen, in unsere Unternehmer und Unternehmerinnen, dass das Arbeitsschutzgesetz in den Betrieben angewendet wird. Man sollte hier nicht immer das Negativ-beispiel nennen, auf das schwarze Schaf abzielen. In vielen Betrieben wird mit den Arbeitnehmervertretungen zusammen sehr wohl, sehr gut und sehr konstruktiv an diesem Thema gearbeitet. Ich möchte auch ausdrücklich unterstreichen, dass ich davon überzeugt bin, dass wir ein sehr gutes Arbeitszeitgesetz haben und wir hier nicht über das Arbeitszeit-gesetz, Kollegin Krellmann, eingreifen sollten. Zum Betriebsverfassungsgesetz. Mit dieser Keule, mit der Sie schlagen, sind Sie bei einem alten Thema. Immer dann, wenn wir hier irgendetwas diskutieren, wollen Sie über das Betriebsverfassungsrecht Dinge regeln, womit letztlich die Systematik dieses Gesetzes und das Grundverständnis über die Stellung unserer Betriebe verändert würden. Sie wollen ein Mitbestimmungsrecht bei wirtschaftlichen Fragen und bei der strategischen Ausrichtung. (Zuruf von der LINKEN) Das betrifft nicht die Frage der psychischen Belastung am Arbeitsplatz, sondern zielt in Richtung einer grundsätzlichen Veränderung unserer Wirtschaftsstruktur, die Sie damit erreichen wollen. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]) Solche Gesetze, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir mit Sicherheit nicht. Vielmehr brauchen wir das Verständnis in den Betrieben. Ich will auf die Vorschläge der Grünen auch nur mit einem Satz eingehen: Es geht nicht darum, dem Problem mit mehr Verordnungen oder mehr Bürokratie, sondern mit konkreten Ansätzen in den Betrieben zu begegnen. Ich glaube, dass unsere Bundesregierung hier mit -zahlreichen Initiativen über die Häuser hinweg auf dem richtigen Weg ist: ob es um die Initiative Neue Qualität der Arbeit – hier schon mehrfach besprochen – geht, ob es die Initiativen für mehr Familienfreundlichkeit und flexiblere Arbeitszeiten sind, ob es mit dem Ausbau von Kitas um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, ob es um die Initiative „Unternehmen unternehmen Gesundheit“ aus dem Gesundheitsministerium für die betriebliche Gesundheitsförderung oder ob es um die schon genannte Koordinationsplattform Nationale Arbeitsschutzkonferenz geht. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es geht um den Gesundheitsschutz der Beschäftigten!) Insgesamt gesehen sind wir hier auf einem guten Weg, weil wir alle wissen, dass wir dem Problem nur über eine ressortübergreifende Strategie (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen doch für diejenigen eine Antwort haben, die es nicht machen wollen! Das ist doch das Problem!) begegnen können. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Zahlen zeigen doch das Problem!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir von der Koalition wollen, dass der Erhalt der psychischen Gesundheit von Beschäftigten Teil einer jeden Unternehmenskultur – ich unterstreiche das Wort „Unternehmenskultur“ – (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schön, aber es reicht nicht!) und Teil unserer Gesellschaft wird und dass wir mit -diesem Thema offen umgehen. Helfen wir zusammen. Dann werden wir dieses Problem auch in den Griff -bekommen. (Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Ernst hätte Ihnen gerne eine Frage gestellt, aber das möchten Sie wohl nicht mehr zulassen. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11042 und 17/10867 an die -Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. – Damit sind Sie einverstanden. Das ist dann so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt in der Fassung vom 5. April 2012 – Drucksache 17/10059 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/11093 – Berichterstattung: Abgeordnete Olav Gutting Martin Gerster Holger Krestel Dr. Barbara Höll Dr. Thomas Gambke – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11096 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider (Erfurt) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und ein solcher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Am Ende der Beratung werden wir über diesen Gesetzentwurf namentlich abstimmen. Es ist vorgesehen, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich ebenfalls keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen Olav Gutting für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Olav Gutting (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir stimmen heute über den Gesetzentwurf zum Deutsch-Schweizer Abkommen über die -Zusammenarbeit im Bereich Steuern ab. In den Beratungen wurde immer wieder der Vorwurf erhoben, dieses Abkommen sei ungerecht; vor allem seien die Steuersätze zu gering. Allerdings ist diese -Behauptung bei nüchterner Betrachtung nicht haltbar. Die Steuersätze liegen im Bereich zwischen 21 und 41 Prozent. Diese beziehen sich wohlgemerkt auf das Kapitalvermögen, also nicht auf die Erträge, sondern auf die Substanz, und zwar auch dann, wenn die Steueransprüche eigentlich bereits verjährt wären. Natürlich kann man sich bei einem solchen Abkommen immer wieder Einzelfälle in der Theorie denken, bei denen man auf individuelle Steuersätze kommt, die in der Tat nicht ganz befriedigen können. Man muss aber immer bedenken: Wir haben es hier mit einem Abkommen zu tun, das nicht im luftleeren Raum entstanden ist, sondern zwischen zwei souveränen Staaten ausgehandelt wurde. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Genau!) Wie immer bei Verhandlungen zwischen gleich -starken Partnern gibt es nicht nur Weiß und Schwarz, sondern Kompromisse. Kompromisse bedeuten auch Grautöne. Es ist eben nicht so, dass wir uns in der Regierungskoalition das einfach nur ausgedacht und aufgeschrieben haben, sondern das, was heute vorliegt, ist das Ergebnis von langwierigen, zähen, am Ende aber erfolgreichen Verhandlungen mit der Schweiz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir werden jetzt gleich in der weiteren Debatte erleben, wie die Opposition über dieses Abkommen herzieht. In dieser Diskussion muss man deshalb schon auch einmal erwähnen, dass die rot-grüne Bundesregierung, als sie noch in Amt und Würden war, ein Steueramnestiegesetz vorgelegt hat, mit dem den Steuersündern weltweit ein Discountsteuersatz von 15 Prozent und Straffreiheit angeboten wurden. Wir sprechen heute über ein Abkommen mit Steuersätzen, die fast dreimal so hoch liegen wie der von Ihnen mit 15 Prozent gesetzte Standard. Hier muss man sich schon einmal überlegen, ob man sich an der einen oder anderen Stelle vielleicht ein bisschen zurücknehmen sollte. Wie immer in der Politik muss man sich, wenn man Kompromisse eingehen muss, die Frage stellen: Wie ist die Situation jetzt und heute, und wie ist sie mit diesem Abkommen in der Zukunft? (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Viel besser!) Die Situation jetzt ist die: Die Besteuerung von deutschem Vermögen in der Schweiz erfolgt nur auf freiwilliger Basis oder eben aufgrund von Zufallserkenntnissen im Zusammenhang mit den Ankäufen von Steuer-CDs. Ich glaube, damit werden wir dem Gleichheitsgrundsatz nicht gerecht. Ich denke, wir sind uns in diesem Hause zumindest diesbezüglich einig, dass das nicht dem Grundsatz gleicher Besteuerung entspricht. Dass das Modell der CD-Ankäufe auch in Zukunft nicht funktioniert, sollte eigentlich bei allen hier Konsens sein. (Manfred Zöllmer [SPD]: Die haben richtig Kohle hereingebracht!) Diese CD-Ankäufe können kein Zukunftsmodell sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun zum Vergleich mit der Situation in der Zukunft: Mit diesem Steuerabkommen ist zukünftig sichergestellt, dass die Besteuerung erstmals überhaupt in einer gleichmäßigen Weise durchgeführt wird. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Ja, aber in einer schlechten!) Die Steuer auf die Geldanlagen in der Schweiz bildet in Zukunft genau das ab, was auch in Deutschland durchgeführt wird, nämlich die anonyme Quellenbesteuerung. Genau das Gleiche, was wir in Deutschland haben, werden wir zukünftig auch in der Schweiz haben. Diese anonyme Quellenbesteuerung wurde im Übrigen von einem Finanzminister der SPD, Ihrem heutigen Kanzlerkandidaten, eingeführt. Es tut mir leid: Ich kann nicht erkennen, dass das, was in Deutschland rechtmäßig ist, in der Schweiz unrechtmäßig sein soll. Zu der Höhe der Einnahmen. Nun, was die Höhe der Einnahmen aus diesem Abkommen anbelangt, da besteht zugegebenermaßen ein gewisses Maß an Unsicherheit. Wenn wir die exakte Summe dessen kennen würden, was in der Schweiz an unversteuerten Vermögen liegt, dann bräuchten wir dieses Abkommen nicht. Wir wissen es nicht. Trotzdem halte ich es für plausibel, für nachvollziehbar und realistisch, dass wir mit Einnahmen von circa 10 Milliarden Euro für die Nachversteuerung rechnen können und danach dann jährlich mit einem Aufkommen in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrages; (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Milchmädchenrechnung!) das ist Geld, das unsere Kommunen und die Länder dringend brauchen. Ich weiß wirklich nicht, wie Sie von der Opposition sich das vorstellen. Was sind denn die Alternativen zu diesem Abkommen? (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abkommen mit automatischem Informationsaustausch!) Ist es denn etwa gerecht, dass wir es mit dem Ankauf von CDs vom Zufall abhängig machen, ob eine Besteuerung von Vermögensanlagen in der Schweiz stattfindet oder nicht? Ich glaube das nicht. Bei denjenigen, die unehrlich sind und die nicht durch Zufall erwischt werden, verjähren nämlich zwischenzeitlich die Steueransprüche munter weiter, Jahr für Jahr. Mit jedem Jahr, in dem dieses Steuerabkommen von Ihnen aus parteitaktischen Gründen blockiert wird, verliert der deutsche Staat, verlieren die deutschen Bürgerinnen und Bürger Steueransprüche im Milliardenbereich. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Ja, das stimmt!) Wenn Sie weiter im Bundesrat blockieren, wie Sie das schon angekündigt haben, dann werden Sie auf absehbare Zeit gar nichts haben. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) Wer die Stimmung in der Schweiz aufmerksam verfolgt hat, dem dürfte nicht entgangen sein, dass es keine neuen Verhandlungen geben wird. Die Schweiz wird sich eben nichts diktieren lassen. Ihre Ministerpräsidenten Beck und Kretschmann waren erst vor kurzem in der Schweiz. Seit sie dort waren und die Lage sondiert haben, ist es um sie relativ still geworden. Ich kann Ihnen abschließend nur raten: Erkennen Sie an, dass wir heute mit diesem Abkommen einen Zwischenschritt erreicht haben. Das ist nicht das Abkommen für alle Zeiten, sondern das ist die Basis für weitere Verhandlungen, die wir heute abschließen können. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Quatsch!) Erlauben Sie mir noch eine Empfehlung zum Abschluss an Sie in der Opposition. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Olav Gutting (CDU/CSU): Ich möchte Ihnen raten: Klettern Sie nicht allzu hoch auf die Bäume; denn Sie werden bei diesem Abkommen ziemlich bald wieder heruntersteigen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Die werden nicht heruntersteigen, die fallen runter!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD-Fraktion hat Joachim Poß jetzt das Wort. (Beifall bei der SPD) Joachim Poß (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Stimmung in der Schweiz war jedenfalls nach der ersten Paraphierung des Abkommens glänzend. Da haben die Champagnerkorken geknallt, Herr Kollege Gutting. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Quatsch!) Das hatte seine Gründe: (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Reden Sie doch mal mit der Kavallerie!) Ihr Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat sich nämlich mit diesem Abkommen zum Komplizen einer fragwürdigen Weißgeldstrategie der Schweiz und der Schweizer Banken gemacht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist unverschämt!) Auch nach intensiven Beratungen, Gesprächen mit Praktikern, Finanzbeamten, Kriminalbeamten, nach der Anhörung der Sachverständigen ist die Beurteilung der SPD eindeutig: Dieses Abkommen muss aus Gründen der Steuergerechtigkeit und aus vielen anderen Gründen abgelehnt werden. (Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aus parteitaktischen Gründen!) Es bringt für den deutschen Rechtsstaat und die ehrlichen deutschen Steuerzahler mehr Nachteile als Vorteile. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das kann belegt werden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Hehlerei und Datenklau – ist das Rechtsstaat?) Dieser Vorgang ist im Übrigen, Herr Kauder, für mich ein Präzedenzfall, wie ernst es diese Bundesregierung im Kampf gegen die Steueroasen meint, (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: -Sagen Sie mal was zur Hehlerei!) die auszutrocknen Sie bei den G-20-Konferenzen versprochen haben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Hehler ist so gut wie der Stehler!) Mit bilateralen Abkommen dieser Qualität kommt man nicht gegen die Steueroasen und deren Wirksamkeit an. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dieses Abkommen würde eine wirksame europäische Strategie gegen Steuerhinterziehung auf Jahre verzögern, wenn nicht ganz unterlaufen. Dieses Abkommen ist deshalb ein Hindernis im weiteren Kampf gegen die Steueroasen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der Verzögerer ist der Steuerhinterzieher!) – Herr Kollege Michelbach, Sie kennen sich in der Geschäftswelt doch gut aus. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja klar!) Mit dem vorliegenden Abkommen werden auch zukünftig unversteuerte Gelder aus Deutschland unentdeckt in die Schweiz fließen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Die mit dem Abkommen verbundene Legalisierung von Steuerkriminalität bei fortbestehender Anonymität können wir nicht akzeptieren. Kollege Gutting, das ist der Unterschied. Was zu Zeiten von Hans Eichel gemacht wurde, war von den Steuersätzen her bescheiden, wie Sie es zu Recht geschildert haben. Die Betreffenden mussten aber, anders als beim vorliegenden Abkommen, sozusagen die Hosen herunterlassen. Die Anonymität wurde aufgehoben. Sie wollten in die Steuerehrlichkeit zurück. Nach Ihren Vorstellungen können sie jedoch in der Steuerunehrlichkeit verbleiben. Es sind nicht nur Steuersünder, sondern auch Kriminelle ganz anderer Art, die im Schutz der Anonymität verbleiben wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die USA geben sich mit diesen Qualitäten und Standards nicht zufrieden. In diesem Fall sollten wir den USA beipflichten, was deren Standards angeht. Die USA geben sich jedenfalls nicht mit der Anonymität zufrieden. Es gibt eine Alternative – warum beschreiten Sie nicht diesen Weg, Herr Schäuble? –, die besser ist und für die Sie – dies gilt für die gesamte Koalition – eigentlich kämpfen müssten. Das ist der umfassende automatische Informationsaustausch, der auch die Aufdeckung unbekannter Steuerfälle ermöglicht. Herr Schäuble, Sie haben aber von vornherein das Ziel verfolgt, überhaupt zu einem Abkommen zu gelangen. Deshalb haben Sie die Position der Schweizer Regierung und der Schweizer Banken weitgehend übernommen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Elf Jahre habt ihr nichts geschafft!) Deutschland ist der wichtigste Wirtschaftspartner der Schweiz. (Olav Gutting [CDU/CSU]: Also erpressen wir sie?) Daher frage ich: Vor diesem Hintergrund sollte nicht mehr zu erreichen gewesen sein? Die Schweiz verfolgt doch eigene Interessen. Sie will auch bei uns wirtschaftlich tätig sein, wie sie auch in den USA wirtschaftlich tätig sein will. Darauf haben die USA Bezug genommen. Es gibt auch keine Entwicklungen in neuerer Zeit, die das Abkommen akzeptabler machen würden. Weder das von Ihnen gefeierte neue Doppelbesteuerungsabkommen Deutschlands mit Singapur, das im Übrigen noch gar nicht unterzeichnet worden ist, noch die mögliche Zulassung von Gruppenanfragen durch die Schweiz beheben die großen Lücken im vorliegenden Abkommen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Was sind also die Hauptpunkte, die einzuwenden sind? Die Legalisierung der Steuerhinterziehung bei fortbestehender Anonymität ist ein ganz wichtiger Punkt. Die pauschale Einmalzahlung hebt im Kern auf die über die Jahre unversteuerten Kapitalerträge ab und berücksichtigt deshalb nicht wirklich, dass die in der Schweiz angelegten und jetzt nachversteuerten Vermögen oftmals bereits das Ergebnis von Steuerhinterziehung sind. Das ist ein Sachverhalt, den der nordrhein-westfälische Finanzminister zu Recht stark betont. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Herr Poß, erst lesen, dann reden!) Dies alles ist und bleibt ein Schlag ins Gesicht aller Steuerehrlichen. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Fachlich falsch!) Vermögenswerte können trotz Abkommen über Familienstiftungen, Trusts oder Schließfächer anstelle von Konten und Depots leicht und legal der Besteuerung entzogen werden. Steuerpflichtige können ihre Konten und Depots bis zum Jahresanfang 2013 auflösen und die Vermögenswerte unerkannt und sanktionslos aus der Schweiz in Drittländer abziehen. Insofern ist das vorliegende Abkommen wie ein Schweizer Käse. Wie so die 10 Milliarden Euro, von denen oft die Rede ist, für den deutschen Fiskus zustande kommen sollen, mit denen Sie werben, das weiß allein der liebe Gott. Belastbar sind diese Zahlen jedenfalls nicht. Das alles spricht dafür, dass wir dieses Abkommen im Deutschen Bundestag ablehnen. Meine Parteifreunde und, ich denke, auch die Parteifreunde der Grünen werden das auch im Bundesrat machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Volker Wissing (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Poß, ich finde es nicht schlimm, dass Sie die Meinung vertreten, die Sie hier vorhin kundgetan haben. Schlimm finde ich aber, dass Sie das wider besseres Wissen tun. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dieses Abkommen regelt zwei Bereiche: zum einen geht es um die Altfälle, und zum anderen schafft es eine Lösung für die Zukunft. Es ist nicht richtig, dass bei den Altfällen nur die Kapitalerträge besteuert werden, sondern es wird die gesamte Vermögenssubstanz, das heißt die Summe, die sich auf dem Konto befindet, in vollem Umfang besteuert, also das gesamte Anlagevermögen und die Kapitalerträge. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Genau! Das hat er immer noch nicht begriffen!) Das wissen Sie auch. Dass Sie das Gegenteil behauptet haben, finde ich nicht in Ordnung; denn die Menschen wollen zu Recht, dass wir mit dem Thema Steuerhinterziehung und der Bekämpfung von Steuerhinterziehung seriös und sachlich umgehen. Wer wider besseres Wissen behauptet, nach dem Abkommen würden nur Kapitalerträge, aber keine Vermögenssubstanz besteuert, der leistet keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung mit dem wirklich ernsten Problem. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: So ist es!) Herr Kollege Poß, Sie haben eben gesagt, es gebe eine Alternative auch für die Altfälle, indem man über einen vollständigen Informationsaustausch mit der Schweiz verhandelt. (Joachim Poß [SPD]: Nicht nur mit der Schweiz! Mit Österreich geht es auch!) Sie wissen, dass auch das nicht wahr ist; denn die Schweiz ist ein Rechtsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland auch. Wir haben eine Verfassung, die verbietet, dass man Gesetze rückwirkend ändern kann. Dieses Prinzip des Rückwirkungsverbotes nach unserem deutschen Grundgesetz nehmen wir alle im Deutschen Bundestag sehr ernst. Ich finde, es ist eine Frage des Respekts vor Abgeordneten anderer Parlamente, in diesem Fall vor den Schweizer Kollegen, anzuerkennen, dass sie das Rückwirkungsverbot in ihrer Verfassung ebenso ernst nehmen wie wir. Deswegen sagen wir ganz klar: Es ist nicht wahr, dass es eine Alternative für die Altfälle gibt. Das Rückwirkungsverbot gilt in Deutschland wie in der Schweiz. Deswegen sollten Sie sich endlich von Ihrer Scheinlösung verabschieden und sich den konkreten Problemen zuwenden. Sie haben keine Lösung für die Altfälle – wir haben heute eine in Gesetzesform. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie haben eine für die neuen Fälle!) Auch das verbale Aufrüsten gegenüber der Schweiz, dass man die Kavallerie dorthin schicken will oder die Schweiz in die Nähe der Kriminalität rückt, (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Steueroasen!) wie Sie es eben gemacht haben – Sie haben gesagt, die Schweiz verfolge mit ihrer Weißgeldstrategie irgendwelche kriminellen Ziele und man mache sich zum Komplizen; das alles waren Ihre Worte –, ist kein seriöser Beitrag zur Lösung des ernsten Problems der Steuerhinter-ziehung; denn Sie wissen, dass das alles nicht wahr ist. Was das Problem in der Zukunft angeht, ist in dem Abkommen klar geregelt, dass die Kapitalerträge in der Schweiz in Zukunft ebenso besteuert werden wie in Deutschland. Jetzt muss ich alle Bürgerinnen und Bürger fragen: Finden Sie es gerecht, dass man auf Kapitalerträge in der Schweiz genauso viel Steuern zahlt wie in Deutschland? Wir finden das gerecht, und deswegen wollen wir dieses Gesetz. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Warum sind Sie dagegen? Wenn Sie dazu etwas gesagt hätten, wären wir einen Schritt weiter; denn die Ano-nymität gilt bei den Kapitalerträgen in Deutschland genauso wie in der Schweiz. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Aber nicht für illegales Geld! Sie legalisieren damit Steuerhinterziehung!) Also gibt es auch da keinen Unterschied. Deswegen sollten wir, finde ich, den Menschen sagen, dass dieses Abkommen ein Problem löst, und zwar mit maximaler Gerechtigkeit: gleiches Steuerrecht für Deutsche in der Schweiz wie in Deutschland. Was will man denn noch mehr erreichen? Warum wollen Sie denn die Kavallerie ausrücken lassen, wenn Ihnen so ein gutes Abkommen vorliegt? (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wo ist denn der Kavallerieführer? – Gegenruf der Abg. Michaela Noll [CDU/CSU]: Er hält Vorträge, aber dafür gibt es nichts mehr!) Deswegen: Wir brauchen dieses Abkommen. Ich finde es hervorragend, dass Sie, Herr Minister Schäuble, in Verhandlungen mit der Schweiz auch erreicht haben, dass es Gruppenanfragen gibt, dass für die Zukunft mehr Kontrollmöglichkeiten geschaffen werden und dass Steuerhinterziehung über die Schweiz der Vergangenheit angehört, sobald dieses Abkommen in Kraft tritt. Das ist auch Ihr Verdienst. Wir wissen, dass Sie sich sehr darum bemüht haben. Deswegen auch ein ganz herzliches Dankeschön vom Deutschen Bundestag an Sie persönlich, Herr Minister Schäuble, für dieses hervorragende Verhandlungsergebnis im Sinne der Steuergerechtigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die Steuerhinterziehung ist nicht nur ein Problem mit der Schweiz, sondern auch mit anderen Ländern. Dass Sie, Herr Minister Schäuble, auch mit anderen Steueroasen auf der Welt Gespräche führen, um das System der Steuerhinterziehung durch mangelnden Informationsaustausch und fehlende Steuerabkommen systematisch zu schließen, sind wir den Menschen schuldig, die in Deutschland ehrlich ihre Steuern zahlen. Fair ist ein Staat nur dann, wenn er gleichmäßig Steuern erhebt. Jetzt komme ich zu Ihren Steuer-CDs. Sie sagen genauso wie wir: Der Staat soll seinen Steueranspruch gleichmäßig durchsetzen. Die Frage ist aber: Schafft man das mit ordentlichem Recht und guten Gesetzen wie mit dem Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben, (Widerspruch bei der LINKEN) oder schafft man das durch Kooperation mit Kriminellen, die in ihren Heimatländern gegen Datenschutzbestimmungen und ihre arbeitsrechtlichen Pflichten verstoßen und Daten von Bürgerinnen und Bürgern entwenden, um sie an den deutschen Staat zu veräußern? Nun können wir lange diskutieren, ob solche Datenankäufe nach deutschem Recht möglich sind oder nicht möglich sind. Wir können lange darüber diskutieren, ob das im Strafprozess verwertbar ist oder nicht. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spricht dafür, dass es eine Verwertbarkeit gibt. Aber was Sie nicht wegdiskutieren können, ist, dass es eines Rechtsstaats – für mich ist und bleibt die Bundesrepublik Deutschland ein Rechtsstaat – unwürdig ist, den eigenen Steueranspruch nur durchsetzen zu können, indem man mit Kriminellen in anderen Staaten kooperiert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Was Sie den Menschen, die in Deutschland ehrlich Steuern zahlen, auch sagen müssen, ist, dass das Geld, das Sie den Datendieben in der Schweiz bezahlen, von den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern erwirtschaftet werden muss. (Ingo Egloff [SPD]: Beschäftigen Sie sich mal mit Steuerkriminellen, die das Geld ins Ausland bringen!) Ich bin nicht der Meinung, dass die Deutschen Steuern zahlen sollen, damit der Staat mit den Steuereinnahmen Kriminelle im Ausland finanziert, sondern ich erwarte ein konsistentes, rechtsstaatlich einwandfreies Steuerrecht und saubere Doppelbesteuerungsabkommen, damit Ordnung und Recht und Klarheit und Fairness und Gerechtigkeit im Steuersystem herrschen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das ist ein gutes Abkommen, weil es ein Beitrag zu rechtsstaatlichem Steuervollzug ist. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Nein! Das Abkommen hilft Steuerhinterziehern!) Es ist ein gutes Abkommen, weil es die Altfälle abarbeitet und besteuert und dabei die Möglichkeiten maximal ausschöpft. Und es ist ein gerechtes und gutes Abkommen, weil für die Zukunft gleiches Steuerrecht für Deutsche in der Schweiz wie in Deutschland gilt. Deswegen finde ich es richtig, wenn Kollege Gutting sagt: Rüsten Sie bei diesem Thema ab! Hören Sie auf, den Menschen zu erklären, dass es eine Alternative gibt! Diese Alternative wird von Ihnen schlicht und einfach nur erfunden. Sagen Sie den Menschen doch die Wahrheit, nämlich dass man mit den Altfällen nicht mehr anders umgehen kann als so und dass die Alternative zu diesem Abkommen keine gerechtere Besteuerung ist – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Dr. Volker Wissing (FDP): – ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin –, sondern dass die Alternative zu diesem Abkommen die Verjährung für alle Zeit ist! Das ist die ungerechteste Va-riante gegenüber den ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. Deswegen: Denken Sie noch einmal darüber nach! Stimmen Sie dem Abkommen zu! Es ist das beste, was mit der Schweiz jemals ausgehandelt worden ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wissing, das war ja mal wieder ein Tiefpunkt. (Lachen des Abg. Holger Krestel [FDP]) Wenn man seine Politik ständig als alternativlos darstellt und Alternativen nicht mehr wahrnimmt, ist man in der Politik wirklich überflüssig; denn Politik ist der Kampf um Alternativen, um verschiedene Lösungsmöglichkeiten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Schäuble erklärte vorgestern, der weitere Ankauf von Steuer-CDs sei keine Alternative zu einer vernünftigen gesetzlichen Regelung. Ich finde, dem kann man zustimmen. Hätten Sie doch eine vernünftige Regelung vorgelegt! Aber Ihr Vorschlag ist einfach ein Geschenk für Steuerbetrüger, für die Schweizer Finanzindustrie und eine Einladung zu organisierter Steuerkriminalität, und es widerspricht dem, was wir hier in Sachen Schwarzgeldbekämpfung versucht haben. Das ist ein Schlag gegen all diese Bemühungen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Nein!) Sie sagen einfach: Entweder dieses schlechte Abkommen oder gar keines. – Nein, die Alternative ist: entweder ein Abkommen oder automatischer Informationsaustausch. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das stimmt doch einfach nicht!) Um das einmal zu erklären: Der automatische Informationsaustausch ist das effektivste Mittel, um Steuerhinterziehung wirklich zu bekämpfen. Das heißt einfach, dass zwischen den Ländern vereinbart wird, dass steuerrelevante Daten wie Person, Vermögenswerte, Erträge, Kontodaten automatisch zwischen den Finanzbehörden der Länder ausgetauscht werden. Wenn Sie jetzt dieses Abkommen beschließen, verhindern Sie vor allem auf internationaler Ebene und in der EU den weiteren Kampf um diesen automatischen Informationsaustausch; und das ist ein großer Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Es ist doch völlig klar: Wir sind die größte Volkswirtschaft in Europa. Wenn wir jetzt hier klein beigeben, hat kein anderes Land in der Europäischen Union überhaupt nur den Hauch einer Chance, mit der Schweiz einen automatischen Informationsaustausch zu vereinbaren. Dass es anders geht, das haben die USA bewiesen. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist doch nicht wahr!) Da gelten jetzt solche Bedingungen, dass de facto ein automatischer Informationsaustausch besteht. Es geht also anders. Es ist nachgewiesen, dass heute schon zum Beispiel Österreich mit Hinweis auf die Unterzeichnung des Abkommens Deutschland/Schweiz sagt: Wir werden uns an der weiteren Erarbeitung der europäischen Zinsrichtlinie – hin zum automatischen Informationsaustausch – nicht mehr beteiligen. – Damit behindern Sie wirklich den Kampf gegen Steuerhinterziehung. Das wirft uns um Jahre zurück. Auch das ist ein Grund, warum wir dieses Abkommen ablehnen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie sich einigermaßen bemüht hätten, hätte sich das auch in der Anhörung im Finanzausschuss widerspiegeln müssen. Sie haben zu der Anhörung im Finanzausschuss interessanterweise vor allem Vertreter der Schweizer Finanzindustrie eingeladen, nämlich von UBS, SwissBanking und dem Eidgenössischen Finanzdepartement. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Höll, Herr Wissing würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Ja. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Dr. Volker Wissing (FDP): Frau Kollegin, Sie haben eben gesagt, dass die Schweiz mit den USA einen automatischen Informationsaustausch vereinbart hat. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Nein. Dr. Volker Wissing (FDP): In der Öffentlichkeit wird immer wieder behauptet, mit den USA seien weitergehende Informationsabkommen getroffen worden als mit der Bundesrepublik Deutschland. Nun hat der Finanzausschuss eine Anhörung mit vielen Sachverständigen durchgeführt. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass alle Sachverständigen gegenüber dem Deutschen Bundestag bestätigt haben, dass das Abkommen mit den USA, was den Datenaustausch angeht, nicht über das hinausgeht, was wir zwischen Deutschland und der Schweiz ausgehandelt haben? Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Danke für die Frage. – Nach den weiteren Beratungen im Finanzausschuss habe ich sowieso den Eindruck, dass wir in verschiedenen Anhörungen saßen; davon einmal ganz abgesehen. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Da gibt es -Protokolle, Frau Höll!) Klar ist: Ich habe hier nicht gesagt, dass ein automatischer Informationsaustausch vereinbart wurde. Ich habe soeben gesagt, dass die Kriterien für die Auskünfte massiv abgesenkt wurden. Dadurch wird faktisch erzwungen, dass es zu einem Informationsaustausch kommt, der zwar noch kein automatischer Informationsaustausch ist, der aber kurz davor ist, einer zu sein. Und das, finde ich, kann man auch tatsächlich zur Kenntnis nehmen. Wir sollten uns wirklich einmal mit den Meinungen der Sachverständigen in der Anhörung beschäftigen. Ich habe mir extra einmal einige Zitate herausgesucht. Herr Thomas Eigenthaler von der Deutschen Steuergewerkschaft sagte – Zitat –: „Wir lehnen das Abkommen ab.“ Er verweist auf Art. 108 des Grundgesetzes mit der entsprechenden Vorschrift, wonach für den Vollzug von Steuergesetzen nun einmal die Finanzbehörden zuständig sind. Das gilt ja wohl noch. Aber was machen Sie in dem Abkommen? Sie übertragen die definitive Besteuerung, die abschließende Besteuerung an Banken in der Schweiz, Banken, die jahrelang mit dem Geschäftsmodell „Schweizer Bankgeheimnis“ Geld verdient haben. (Olav Gutting [CDU/CSU]: Dasselbe Problem wie in Deutschland! Kontrolle durch die Behörden!) Sie haben jetzt auf einmal das Grundvertrauen, dass diese Banken die Vorreiter bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung sind. Das ist doch einfach Augenwischerei. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Steinbrück hat ja auch keine Zeit! Sonst hätten wir den hingeschickt!) Herr Eigenthaler kritisiert das geplante Verbot von CD-Käufen, weil er sagt: Das ist natürlich eine massive Behinderung der Steuerfahnder. Die vereinbarte Zahl von 1 300 Anfragen, die die deutschen Finanzbehörden innerhalb von zwei Jahren an die Schweizer stellen dürfen, ist einfach aus der Luft gegriffen. Das wird kein wirksames, effektives Mittel sein. Ich verweise auf Markus Meinzer vom Netzwerk für Steuergerechtigkeit. Er verwies auf die Behinderung der EU-Zinsrichtlinie, weil sich, wie ich es eben gesagt habe, Österreich und Luxemburg schon jetzt darauf berufen, dass Deutschland dieses Steuerabkommen abschließen will. Er hat auch auf den hohen Verwaltungsaufwand verwiesen, der mit dem Abkommen verbunden ist, weil in weiteren Verhandlungen die Staaten jeweils bilaterale Abkommen abschließen müssen, wenn es keine EU-einheitliche Zinsrichtlinie gibt. Professor Grinberg von der Georgetown University sagte, die Ratifizierung des Abkommens sei ein Rückschlag für die deutschen Bemühungen, die Steuerflucht deutscher Staatsbürger mittels ausländischer Konten zu bekämpfen. Das alles sind Aussagen der Sachverständigen. Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter hatte eine klar ablehnende Haltung. Das muss ich einfach zitieren: Es führt dazu, dass diese Gelder nach wie vor -anonym bleiben. Und das ist im Grunde das, was uns in der Tat sehr schockiert hat. … Wir erkennen eine gewisse Beratungsresistenz der Bundesregierung. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Eine gewisse Erkenntnisresistenz der Opposition!) „Gewisse Beratungsresistenz“ – das ist sehr freundlich formuliert. Aber klar ist – darauf hat er hingewiesen –, dass alles das, was intern auf Selbstregulierungsmaßnahmen hinausläuft, immer nur ein Feigenblatt ist. Die Schweizer Banken haben im Rahmen ihrer Beratung Bürgerinnen und Bürger angeschrieben, die bei ihnen Konten haben, dass sie das Geld pauschal nachversteuern können und dafür anonym bleiben. Das heißt, das ist wirklich ein Ablasshandel. Also, ich habe kriminelle Energie entwickelt – – Ich nicht! (Heiterkeit) Wenn man kriminelle Energie entwickelt hat und Geld schwarz in die Schweiz verbracht hat, besteht nun die Möglichkeit einer pauschalen Nachbesteuerung mit 21 Prozent. Das wird bei den meisten zum Tragen kommen. Das ist oftmals weniger, als man bei einer normalen Besteuerung zahlen müsste. Hinzu kommt: Ich bleibe anonym. Ich entziehe mich dem Zugriff für diese kriminellen Handlungen und bekomme einen Persilschein. Ich frage mich wirklich, wo wir leben. Herr Wissing, Sie haben eben die Rechtsstaatlichkeit hochgehalten. Das hat nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das zu der Nachbesteuerung. Wir lehnen natürlich auch ab, dass Sie nichts tun, um Möglichkeiten für zukünftige Steuerhinterziehungen, die die Schweizer Banken schon wieder aufgezeigt haben, zu beseitigen. Wenn man einen Trust oder eine Stiftung in Luxemburg oder Liechtenstein gründet und diese von einer Schweizer Bank verwalten lässt, dann bleibt es dabei, dass dem Staat das Geld entzogen wird. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Mein letzter Satz. – Wir reden hier über Bürgerinnen und Bürger, die über sehr hohe Einkommen verfügen und sich ihrer Pflicht entziehen, entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit etwas zum Gemeinwesen beizutragen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Ich frage mich, warum Sie dafür so viel Kraft aufwenden. Wir lehnen das Abkommen konsequent ab. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Dr. Gerhard Schick. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Abkommen geht sowohl beim Umgang mit der Vergangenheit als auch beim Weg in die Zukunft in die falsche Richtung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Was die Vergangenheit angeht: Es ermöglicht eine Amnestie ohne Aufdeckung; das heißt, es wird ein Mantel des Schweigens nicht nur über die Steuerhinterziehung, sondern auch über damit verbundene Straftaten gelegt, weshalb nicht nur die Steuerbehörden, sondern auch Experten aus dem Bereich der Justizverwaltung sagen: Das darf nicht passieren. Was die Zukunft betrifft: Es wird mit der Abgeltungsteuer etwas festgelegt, was schon in Deutschland ungerecht ist. Ist es denn gerecht, dass man Kapitalerträge, die insbesondere Menschen mit sehr hohen Einkommen haben, mit einem niedrigeren Satz besteuert als Arbeitserträge? Nein, das ist ungerecht, und es wäre falsch, das über das Schweizer Steuerabkommen für die Zukunft festzuschreiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Olav Gutting [CDU/CSU]: Meinen Sie Steinbrück?) Stellen wir einmal die Frage: Wem nützt eigentlich das Abkommen? Wie ist die Situation mit und wie ist die Situation ohne Abkommen? Es ist interessant, welche Einschätzungen wir aus der Schweiz erhalten können. Ich zitiere aus dem Tagesspiegel vom 10. Oktober den Leiter des German Tax and Legal Center der KPMG AG in Zürich: Ohne Steuerabkommen wird der Druck auf Steuerhinterzieher in der Schweiz größer werden. – Ich zitiere Herrn Odier, den Präsidenten der Schweizerischen Bankiervereinigung: Sollte das Abkommen scheitern, „müssten die Kunden mit erhöhter Unsicherheit rechnen. …“ (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ja, dieses Abkommen schafft Sicherheit für Steuerhinterzieher statt Unsicherheit. Und das ist falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Sie verwirklichen im Endeffekt die Strategie der Schweizerischen Bankiervereinigung. Angesichts des Drucks, der nach der Aufdeckung der skandalösen Steuerhinterziehungsfälle aufgebaut worden ist, hat man in der Schweiz überlegt: Wie können wir diesem Druck standhalten? Was können wir dem entgegensetzen? – Die Idee war: Wir schaffen eine Abgeltungsteuer. Sie können das sehr genau in der Publikation der Schweizerischen Bankiervereinigung, Faktenblatt Steuerabkommen 2012, nachlesen. Dort heißt es: Um das zu verhindern, hat die Schweiz ein eigenständiges Gegenkonzept entwickelt: die Abgeltungssteuer. Es soll damit genau das erreicht werden, was nicht im Interesse aller ehrlichen Steuerzahler sein kann. Ich zitiere wieder: Das bewahrt die Privatsphäre der Bankkunden. Also das Bankgeheimnis. Und da machen wir Grüne nicht mit; denn nur die Offenlegung gegenüber dem Finanzamt stellt sicher, dass es eine faire Besteuerung für alle gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Schöne ist: Sie haben uns ja demonstriert, wem dieses Abkommen nutzt. Von den 18 Sachverständigen, die Stellung genommen haben, hat sich die Mehrheit gegen dieses Abkommen ausgesprochen – und das, obwohl Sie die Mehrheit benennen konnten –, und nur eine Minderheit von sieben Sachverständigen war dafür. Von diesen sieben kamen vier aus der Schweiz. (Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Und welche Sachverständigen aus der Schweiz waren das? Das war zunächst ein Vertreter der UBS, des größten Vermögensverwalters, der mit üblen Steuerhinterziehungsfällen und Fällen von Beihilfe zur Steuerhinterziehung in den USA, in Frankreich, in der Schweiz und in Deutschland in Verbindung gebracht wird. Das war die Credit Suisse, das waren die Schweizerische Bankierver-einigung sowie ein Vertreter der Schweizer Regierung. Das sind die Sachverständigen, die der Meinung sind, dass dieses Steuerabkommen gut sein soll. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Aha!) Ich glaube, das ist Beweis genug. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Interessant ist auch, wen Sie befragt haben: Von 16 Fragen der Koalitionsfraktionen gingen 10 Fragen an die Vertreter aus der Schweiz, die in ihren Antworten herausgearbeitet haben, dass dieses Abkommen nicht den ehrlichen deutschen Steuerbürgern nutzt. (Joachim Poß [SPD]: Kumpanei! Üble Kumpanei!) Danke, dass Sie das so deutlich gemacht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen, der sehr wichtig ist, wenn man das Wesen der Steuerhinterziehung erfassen will. Ein Großteil der Steuerhinter-ziehung läuft heute nicht mehr so wie früher ab, dass einfach jemand mit einem Köfferchen eine Grenze überquert – also bilateral –, (Zuruf von der FDP: Jetzt kommt der Mann vom Fach!) sondern es handelt sich häufig um Konstruktionen, die mehrere Staaten berühren. Mal sind es die Schweiz und Liechtenstein, mal sind es die Schweiz und Panama etc. Deswegen muss jeder rein bilaterale Ansatz zwangsläufig zu Problemen führen. Deswegen ist es ein strategischer Fehler, Herr Schäuble, dass Sie die jahrelange produktive Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich auf diesem Gebiet beendet haben, die Ihre beiden Amtsvorgänger erfolgreich betrieben haben – im Rahmen der Europäischen Union durch das Vorantreiben der Zinssteuerrichtlinie und im Rahmen der OECD –, und uns jetzt auf einem bilateralen Weg in die Sackgasse führen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist der größte Quatsch, den ich je gehört habe!) Ich zitiere dafür den Vertreter aus den USA, der bei der Anhörung dabei war: Für Deutschland und die EU insgesamt wird es … schwieriger werden, Druck auf andere Rechtsgebiete auszuüben, sich am automatischen Informationsaustausch zu beteiligen, sobald Deutschland mit der Schweiz eine anonyme Abgeltungssteuer vereinbart hat. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das zeigt genau: Der von Ihnen gewählte bilaterale Ansatz führt in die Irre. Wir brauchen einen europäischen Ansatz gegen die Steuerhinterziehung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort für die Bundesregierung ergreift der Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte zunächst darum bitten, dass wir in einer Zeit, in der in Europa vielfältige Diskussionen geführt werden, in der Art, wie wir unsere nationalen politischen Debatten führen, immer daran denken, dass unsere Partner in Europa einen Anspruch darauf haben, dass wir mit Respekt über sie reden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es schadet Deutschland und es schadet Europa, (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie haben Stil!) wenn wir bloß aus innenpolitischen Gründen in einer Weise über andere reden, die unerträglich ist. Ich möchte gerne eine zweite Bemerkung machen. Herr Kollege Schick, man kann ja unterschiedlicher Meinung sein, ob man die geltende deutsche Steuergesetzgebung, also das System der Kapitalertragsbesteuerung mit der definitiven Abgeltungsteuer, für richtig hält oder nicht. Ich glaube, Sie haben das damals nicht für richtig gehalten. Das ist Ihr gutes Recht. Das Gesetz trägt allerdings die Unterschrift des damaligen Finanzministers, und das war Herr Steinbrück. Wir haben dem Gesetz auch zugestimmt; es ist in Kraft. Mit diesem Abkommen – wenn es in Kraft tritt – stellen wir sicher, dass Kapitalanlagen von deutschen Steuerflüchtigen in der Schweiz genauso steuerlich behandelt werden, wie wenn sie in Deutschland angelegt worden wären. Etwas anderes kann man nicht machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Behauptung also, wir würden durch das Abkommen mit der Schweiz etwas anderes schaffen, ist Unsinn. Das ist nun wirklich unterhalb dessen, was man als Niveau parlamentarischer Auseinandersetzung akzeptieren sollte. Wir schaffen damit die Möglichkeit, und die Schweizer Banken machen dann dasselbe, was die deutschen Banken auch machen. Das muss auch der Vorsitzende einer Gewerkschaft einsehen. Ob ihm das passt oder nicht, ist eine andere Frage; aber in Deutschland ist es mit Sparkassen und Banken genauso. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen ist das ein Abkommen für die Zukunft; es sei denn, man sagt, das deutsche Gesetz sei falsch. Das darf man aber nicht der Schweiz vorwerfen, sondern das ist unsere deutsche Verantwortung. Wir können jederzeit neue Gesetze machen; daran haben wir ja keinen Mangel. Aber solange das betreffende deutsche Gesetz so gilt, müssen wir dafür sorgen, dass es gesetzmäßig vollzogen wird, nicht allein durch Zufallsfunde, womöglich in der Zusammenarbeit mit mehr oder weniger Kriminellen, sondern durch einen verwaltungsmäßigen, einen ordnungsgemäßen rechtsstaatlichen Vollzug. Dies sichert das Abkommen mit der Schweiz für die Zukunft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das ist der erste Punkt. Daran können Sie überhaupt nicht rütteln. Es entspricht im Übrigen dem Informationsaustausch. Dazu haben wir den OECD-Standard mit der Schweiz ja vereinbart. Das ist alles international; das sind die multilateralen Bemühungen. Sie werfen die Dinge völlig durcheinander. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Richtig!) Die zweite Bemerkung bezieht sich auf die Vergangenheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss einfach zur Kenntnis nehmen – der Kollege Wissing hat es gesagt –: Belastende Gesetze können nach unserem Verfassungsverständnis rückwirkend nicht eingeführt werden. Angesichts dessen, was für uns gilt, müssen wir doch respektieren, dass es in der Schweiz nicht anders ist. Die Schweiz hat ein Bankgeheimnis; es ist integraler Bestandteil der Schweizer Rechtsordnung seit 70 oder mehr Jahren. Wenn dies so ist, dann kann man für die Vergangenheit nicht erreichen, dass die Schweiz dies rückwirkend ändert. Das wäre bei uns verfassungswidrig, und das ist es in der Schweiz auch. Daher sollte man die Schweiz deswegen nicht beschimpfen, sondern man sollte sich anschauen, welche Lösung wir mit der Schweiz verhandelt haben. Zwei Möglichkeiten hat der Steuerpflichtige, und das teilen ihm die Banken auch mit. Entweder kann er eine Mitteilung seines Finanzamts bringen, dass er seine steuerlichen Pflichten erfüllt hat, oder der Bestand seines Ver-mögens – Herr Kollege Poß, Sie sollten schon zwischen Erträgen und Vermögensbestand unterscheiden – (Joachim Poß [SPD]: Ich habe von der technischen Durchführung gesprochen! Ich habe nicht gesagt, das ist das Vermögen!) wird mit einem Pauschalsatz an Steuer belegt. Jetzt sage ich Ihnen, wie er sich berechnet. Wenn ein Vermögen schon seit zehn Jahren in der Schweiz liegt, dann – es mag wie auch immer entstanden sein – sind die steuer- und strafrechtlichen Ansprüche verjährt. Diese Verjährung kann auch rückwirkend nicht aufgehoben werden. Auch das ist ein festes Verfassungsprinzip. 58 Prozent aller Konten und Depots in der Schweiz bestehen seit mehr als zehn Jahren. Dies sage ich, damit wir wissen, wovon wir reden. Daher können steuerlich also nur diejenigen Erträge von Belang sein, die in diesen zehn Jahren angefallen sind und zu besteuern sind. Dafür gilt ein Satz von 21 Prozent auf die Summe, auf die Substanz des Kapitals. Das ist ein höherer Satz, als man ihn bei einer Regelbesteuerung erzielt. Deswegen gehen alle davon aus – Schweizer Banken haben ja Untersuchungen dazu durchgeführt –, dass in mehr als 90 Prozent aller Fälle die Durchführung der Regel-besteuerung für den Steuerpflichtigen günstiger ist. Das ist aber der Sinn einer Pauschalregelung. Wenn Sie 100 Prozent erreichen wollen, bekommen Sie keine Pauschalregelung zustande. Was ist mit den Vermögen, die in den letzten zehn Jahren angewachsen sind oder überhaupt erst in den letzten zehn Jahren in die Schweiz verbracht worden sind? Dort wird ein höherer Prozentsatz auf das Kapital erhoben, aus genau diesem Grund, damit man nämlich auch den Teil erfasst, der möglicherweise in der Substanz der Besteuerung liegt. Es kann auch die Erbschaftsteuer gewesen sein, die hinterzogen wurde. Wir haben noch gar nicht darüber diskutiert, dass in der Zukunft, wenn der Steuerpflichtige verstirbt, ent-weder die Erbschaftsbesteuerung regulär durchgeführt wird oder der höchstmögliche Erbschaftsteuersatz von 50 Prozent von der Schweizer Bank abgeführt wird. (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!) Meine Damen und Herren, was wollen wir denn eigentlich mehr? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn dies nicht der Fall ist, dann beendet die Schweizer Bank ihre Geschäftsbeziehung mit dem Kunden. Die Schweiz teilt uns mit, wohin die Vermögen verlagert werden, damit wir mit den betreffenden Ländern Kontakt aufnehmen können. Sie haben ja diese sogenannte Abschleichbewegung in den letzten Monaten zum großen Thema gemacht. Inzwischen haben wir uns belehren lassen: Nur bei 0,5 Prozent der Vermögenswerte sind in den letzten Monaten Konten aufgelöst worden. Das ist der ganz normale Schwund; bei jeder Bank werden immer mal Konten aufgelöst. Also kann davon überhaupt keine Rede sein. Darüber hinaus bekommen wir die Antwort, in welche Länder es abfließt, sodass wir in Zukunft auch die entsprechenden Möglichkeiten haben. Das Abkommen ist – auch diese wahrheitswidrige Behauptung darf hier nicht unwidersprochen stehen bleiben – von der Kommission der Europäischen Union geprüft und für gut befunden worden. Es gibt keine Einwendungen aus dem europäischen Recht heraus. Das heißt, Sie reden wider besseres Wissen, meine Damen und Herren, und verunsichern die Menschen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Alternative zu diesem Abkommen ist, dass die Steueransprüche verjähren. Die Verjährungsfrist beträgt in aller Regel zehn Jahre. Da 58 Prozent aller Depots und Konten bereits länger als zehn Jahre bestehen, muss jedermann wissen: Das meiste wird in kurzer Zeit verjährt sein. Entweder wird dieses Abkommen zum 1. Januar 2013 in Kraft treten, oder wir werden kein Abkommen haben. Dann wird weiterhin ein Zustand bestehen, in dem wir die Besteuerung von Einkünften, die deutsche Steuerpflichtige aus Kapitalvermögen in der Schweiz haben, von Zufallsfunden und von der Zusammenarbeit mit mehr oder weniger rechtsstaatlich einwandfreien Per-sönlichkeiten abhängig machen. Das kann doch nicht im Sinne einer gesetzmäßig handelnden Verwaltung sein. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sage ich mit allem Ernst und in aller Ernsthaftigkeit: Wenn wir un-sere Verantwortung für einen gerechten Vollzug der deutschen Steuergesetze einigermaßen wahrnehmen wollen, dann erfüllen wir mit diesem Abkommen unsere Pflicht. Deswegen werbe ich um Ihre Zustimmung zu diesem Abkommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hören Sie auf, aus vordergründigen parteistrategischen Überlegungen Unbehagen gegen Banken, Steuerhinterziehung und was weiß ich zu schüren! (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich habe ich Unbehagen gegen Steuerhinterziehung! Das ist wohl gerechtfertigt!) – Nein, nein, ich habe doch gar nichts dagegen. Ich sage nur: Wenn Sie Steuerhinterziehung bekämpfen wollen, müssen Sie dieses Abkommen in Kraft setzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das Gegenteil ist der Fall! Das wissen Sie auch!) Anderenfalls laden Sie die Verantwortung dafür auf sich, dass wir auch weiterhin auf Zufallsfunde angewiesen sind und unserer Verpflichtung, für die Gleichmäßigkeit der Besteuerung und die Rechtsstaatlichkeit des Gesetzesvollzugs zu sorgen, nicht gerecht werden. Dieses Abkommen wird zum 1. Januar in Kraft treten, oder es wird gescheitert sein. Sie werden in absehbarer Zeit kein anderes Abkommen bekommen. Sie werden als Alternative zu diesem Abkommen haben, dass die Steueransprüche verjähren. Das Bundesfinanzministerium hat nie von 10 Milliarden Euro gesprochen; davon haben wir überhaupt nichts gesagt. (Joachim Poß [SPD]: Aber Ihre Redner haben das so erwähnt!) – Nein, ich erkläre es Ihnen doch. Herr Kollege Poß, ich kann es Ihnen genau erklären. Wir haben mit der Schweiz verabredet, dass die Schweizer Banken bei Abschluss des Abkommens eine anzurechnende Vorauszahlung, die gilt und definitiv ist, von 2 Milliarden Schweizer Franken leisten werden. Großbritannien hat ein ähnliches Abkommen mit der Schweiz. Großbritannien bekommt eine Vorauszahlung Schweizer Banken in Höhe von 500 Millionen Schweizer Franken. In Großbritannien hat man eine bestimmte Summe, die man dort aus der rückwirkenden Besteuerung erwartet, in den Haushalt eingestellt. Wenn man die britischen Zahlen mit vier multipliziert, was nach der Logik einigermaßen richtig sein könnte, dann kommt man auf einen Betrag, Herr Kollege Poß, der größer als 10 Milliarden Euro ist. Nur dies haben wir gesagt. Wir selber haben nichts anderes als die 2 Milliarden Schweizer Franken in unsere Planungen eingestellt. Alles andere warten wir ab. Aber darüber hinaus ist klar: Für die Zukunft werden wir die normalen Kapitalertragsteuern aus der Schweiz genauso abgeführt bekommen, wie wir sie auch von deutschen Banken bekommen. Wenn Sie das Abkommen scheitern lassen, dann werden wir auch für die Zukunft allenfalls auf Zufallsfunde angewiesen sein. Das ist nicht zu verantworten. Deswegen werbe ich mit allem Ernst und in aller Sachlichkeit um Ihre Zustimmung zu diesem Abkommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Jürgen Trittin. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Schäuble, ich habe mich gemeldet, weil Sie davon gesprochen haben, man solle mit seinen Nachbarn re-spektvoll umgehen. Ich rate sehr dazu. Aber dazu passt es nicht, dass Sie diejenigen, die sich in Deutschland darum bemühen, Steuerhinterziehung zu verfolgen, zum Beispiel den nordrhein-westfälischen Finanzminister, hier in Ihrer Rede klandestin und hintenherum der Zusammenarbeit mit Kriminellen bezichtigen. Das ist keine Zusammenarbeit mit Kriminellen, sondern Strafverfolgung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wenn Sie sich heute hier einer Garantiesumme von 2 Milliarden Euro rühmen, dann muss ich Sie darauf hinweisen, dass diejenigen, die Sie der Zusammenarbeit mit Kriminellen zeihen, durch den Ankauf von Steuer-CDs mittlerweile fast das Doppelte für den deutschen Steuerzahler hereingeholt haben. Das sollte Ihnen zu denken geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Sie haben schon 2009 einer Bundesregierung angehört. Im Jahre 2009 war die Bundesregierung beim G-20-Gipfel in London vertreten. Sie haben ein Schlusskommuniqué verabschiedet. Darin steht wörtlich: „Die Ära des Bankgeheimnisses ist vorbei.“ Aber das Abkommen, das Sie heute vorlegen, ist nichts anderes, als eine überlebte Ära mit aller Gewalt in die Zukunft zu retten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Ich sage Ihnen eines: Sie überantworten den Vollzug deutscher Steuergesetze Banken wie der UBS und der Credit Suisse, die in diversen Verfahren in den USA, in Frankreich und auch in Deutschland der Beihilfe zur Steuerhinterziehung nicht nur bezichtigt, sondern auch überführt worden sind. Was ist das für eine Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit, Herr Minister? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt ist Schluss!) Bis heute habe ich gedacht, Sie wären ein großer -Europäer. (Unruhe bei der CDU/CSU) Aber Ihre Haltung, mit der Schweiz ein bilaterales Abkommen abzuschließen, führt dazu, dass die Umsetzung der europäischen Zinssteuerrichtlinie von Österreich und Luxemburg mehr und mehr infrage gestellt wird. Sie sagen, man solle respektvoll mit den Nachbarn umgehen. Auch ich bin der Auffassung, dass man re-spektvoll mit der Schweiz umgehen sollte. Aber mit einem sollte man keinen Schindluder treiben: mit der Freundschaft und der guten Nachbarschaft zu Frankreich. Was Sie mit diesem bilateralen Abkommen angefangen haben, ist eine Absage an Europa. Das ist nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland und nicht im Interesse von Europa. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Herr Bundesminister zur Antwort. Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Trittin, ich habe eine lange parlamentarische Erfahrung und habe meine Vorstellungen vom Sinn der parlamentarischen Kurzintervention und davon, was nicht ihr Sinn ist. Ich weiß auch, dass es zurzeit in Parteien Mitgliederbefragungen und Ähnliches gibt. Aber lassen wir das einmal dahingestellt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, ob man das unbedingt miteinander vermischen sollte. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es scheint ja gesessen zu haben!) – Herr Kollege Trittin, wissen Sie: Ich bin vom Inhalt Ihrer Ausführungen wenig beeindruckt. Jeder hat gehört, was Sie hier gesagt haben. Jeder hat auch gehört, was Sie vorher gesagt haben. Ich habe gesagt, dass es besser ist, wir setzen den Vollzug unserer Gesetze durch, die wir verabschiedet haben, die aber von Ihrer Fraktion infrage gestellt werden; denn Ihr Kollege hat gesagt, es sei ganz schlimm, dass wir eine Abgeltungsteuer, die Kapitalertragsteuer, haben. Herr Kollege Trittin, das ist aber geltendes Recht. Dieses Gesetz ist vom Deutschen Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats so beschlossen worden. Es ist in Kraft; es gilt. Da wir nun verpflichtet sind, den rechtmäßigen Vollzug, die Steuergerechtigkeit sicherzustellen, ist es richtig, dafür zu sorgen, dass dieses Gesetz auch auf Steuerpflichtige, die ihr Kapitalvermögen in der Schweiz haben, angewandt wird. Dies sichert dieses Abkommen, und wenn das Abkommen nicht zustande kommt, dann ist der Vollzug der Gesetze in der Schweiz nicht sichergestellt. Dann ist man – auch das habe ich gesagt – auf Zufallsfunde und auf eine entsprechende Zusammenarbeit angewiesen. Ich habe nicht irgendeinen Kollegen der Zusammenarbeit mit Kriminellen bezichtigt, sondern ich habe gesagt: Wir sind beim Vollzug der Gesetze. Ich habe an solchen Entscheidungen, Daten anzukaufen, mitgewirkt. Aber das ist die schlechtere Lösung. Herr Kollege Trittin, die bessere Lösung ist, dass wir uns bemühen, durch Gesetze und Verträge sicherzustellen, dass Regeln allgemein und rechtsstaatlich einwandfrei angewandt werden. Wenn Sie dagegen sind, dann ist das Ihre Position. Ich rate jedem, die Position der Bundesregierung und der Koalition einzunehmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Martin Gerster hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Martin Gerster (SPD): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister Schäuble, Sie haben davon gesprochen, dass wir respektvoll mit der Schweiz umgehen sollen. Wir gehen respektvoll mit der Schweiz um. Ich glaube nicht, dass der Konflikt zwischen der Schweiz und Deutschland besteht. Die Konfliktlinie ist vielmehr eine ganz andere. Da gibt es auf der einen Seite die ehrlichen Steuerzahler bei uns, die ihren Beitrag zu einem funktionierenden Gemeinwesen leisten. Da gibt es auf der anderen Seite die Steuerkriminellen und ihre Hintermänner und zuweilen eben auch die Schweizer Kreditinstitute, die einen Beitrag dazu leisten, dass Steuerhinterziehung überhaupt stattfinden kann. Das ist doch die Konfliktlinie. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie mahnen einen respektvollen Umgang an. Ich sage Ihnen: Auch die Sachverständigen im Finanzausschuss und auch unsere Beamten, die sich äußern und ihre Meinung kundtun, haben einen Anspruch darauf, fair und respektvoll behandelt zu werden. Aber was wir in der Anhörung und anschließend auch in den Beratungen im Finanzausschuss erlebt haben, ist alles andere als re-spektvoll gewesen; denn dort wurden die Sachverständigen, die Kriminalbeamten und die Steuerbeamten von den Regierungsfraktionen diskreditiert. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das stimmt doch gar nicht! Das stimmt überhaupt nicht! Das ist doch unmöglich!) In dem Bericht des Finanzausschusses, Frau Vorsitzende Reinemund, heißt es: In der Anhörung zum Gesetzentwurf habe es auch – so sagen es Union und FDP – kritische Stimmen gegeben. – Immerhin, Sie gestehen das wenigstens ein. Dies sei z. B. bei Vertretern der Steuergewerkschaft und dem Bund Deutscher Kriminalbeamter aus deren Perspektive auch zu erwarten gewesen. Ein entsprechendes Abkommen mit der Schweiz führe zu einer Aufgabenminderung bei diesen Gruppen, was deren kritische Haltung selbstverständlich mache. Es ist unglaublich, wie die Regierungsfraktionen, wie Schwarz-Gelb die eigenen Beamtinnen und Beamten und ihre sachkundige Meinung diskreditieren. Das darf doch wohl nicht wahr sein! (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Daniel Volk [FDP]: Was ist denn daran diskriminierend?) Warum soll es zu einer Aufgabenminderung kommen? Sie haben doch selbst die Bedingungen mit ausgehandelt, die dazu führen, dass sie enorme Einschränkungen bei der Ermittlung von Steuerhinterziehung in Kauf nehmen müssen. Das ist doch die Wahrheit. Deshalb war im Finanzausschuss von den Sachverständigen eine derart kritische Meinung zu hören. Nächster Punkt. Auch wir Parlamentarier, Herr Minister Schäuble, haben einen Anspruch auf respektvollen und ehrlichen Umgang. Ich wundere mich sehr, wie hier mit Zahlen gespielt wird. Kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen haben wir gehört, was diese Steuerabkommen für unsere Kassen bringen sollen. (Zuruf von der SPD: Genau!) Es wurde für jedes Bundesland detailliert aufgelistet, wie hoch die Mehreinnahmen wären. Als wir im Finanzausschuss nachgefragt haben, sagte Staatssekretär Koschyk, eine Berechnung sei überhaupt nicht möglich. Zwischendurch hören wir wieder, dass es 10 Milliarden Euro Steuereinnahmen sind und dass wir Sozialdemokraten darauf doch nicht verzichten könnten, (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Der Minister hat es doch gerade erklärt!) weil wir inzwischen in so vielen Bundesländern regieren würden. Ich kann nur sagen: Gut, dass wir Sozialdemokraten wieder in so vielen Bundesländern regieren. Herr Schäuble, mit solchen Zahlenbeispielen können Sie uns jedenfalls nicht davon überzeugen, diesem Steuerabkommen zuzustimmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wesentliche Gründe dafür, warum wir dem Abkommen nicht zustimmen können, sind, dass die Anonymität der Steuerhinterzieher gewahrt bleibt, dass es sanktionslos bleibt und dass man bis zum Ende des Jahres noch Zeit hat, seine Gelder in andere Steueroasen zu verschieben. Das ist das sogenannte Abschleichen. Herr Schäuble, Sie haben gesagt – ich habe es mir aufgeschrieben –, Sie hätten sich beraten lassen. Ich frage mich: Von wem haben Sie sich beraten lassen und diese Zahl, 0,5 Prozent, erfahren? Das würden wir schon sehr gerne wissen. Wir haben den Eindruck, dass Sie in dieser ganzen Angelegenheit die falschen Berater haben. (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) Anders kann man gar nicht auf die Idee kommen – auch mit Blick auf die Zukunft Europas –, ein solches Steuerabkommen abschließen zu wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für die SPD bleiben unter dem Strich viele Gründe, warum wir dieses Steuerabkommen ablehnen. Ich kann nur hoffen – das sage ich auch im Namen meiner Fraktion –, dass sich im Bundesrat keine Mehrheit für dieses Steuerabkommen findet. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen vom 21. September 2011 mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt in der Fassung vom 5. April 2012. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11093, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/10059 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Die Oppositionsfraktionen haben dagegen gestimmt. Enthaltungen gab es keine. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wir stimmen über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktionen der SPD, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Fehlen noch Schriftführerinnen oder Schriftführer? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das trotz umfassender Möglichkeiten und eigenem Bemühen seine Stimme bis jetzt noch nicht abgeben konnte? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung.4 Ich bitte Sie herzlich, die Gänge zu räumen und Ihre Plätze wieder einzunehmen, damit wir in der Beratung fortfahren können. Vielleicht hilft es, wenn ich Ihnen mitteile, dass wir noch einige namentliche Abstimmungen vor uns haben und dass sich durch den relativ großen Zeitverzug die Abendtermine verschieben können. Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort. Wir kommen zu den Entschließungsanträgen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11152? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion abgelehnt. Enthalten haben sich Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Die Koalitionsfraktionen haben dagegen gestimmt. Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11153. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dieser Entschließungsantrag ist ebenfalls abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion und die Linke. Die SPD hat sich enthalten. Die Koalitionsfraktionen haben dagegen gestimmt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 sowie Zusatzpunkt 6 auf: 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Tobias Lindner, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wirtschaft im Umbruch – Wandel ökologisch, sozial und europäisch gestalten – Drucksache 17/11162 – ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Chancen nutzen – Vorsorgende Wirtschaftspolitik jetzt einleiten – Drucksachen 17/8346, 17/8642 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. Damit sind Sie einverstanden? – Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Kollegin Kerstin Andreae für Bündnis 90/Die Grünen. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ludwig Erhard hat gesagt: Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie. – Dieser Satz wird von Wirtschaftsministern und von der FDP gerne zitiert. Meinetwegen, dann ist es halt zu 50 Prozent Psychologie, aber dann entfallen immer noch 50 Prozent darauf, etwas zu tun. Das Einzige, was man bei diesem Wirtschaftsminister und dieser Koalition im Bereich der Wirtschaftspolitik erkennen kann, ist 100 Prozent Stillstand: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) keine steuerliche Forschungsförderung, kein besserer Zugang zu Wagniskapital. Der Bürokratieabbau stockt. Seit Juli 2011 sind rund 1,1 Milliarden Euro Bürokratiekosten durch neue Gesetze entstanden. Eines dieser neuen Gesetze umfasste im Übrigen die von uns unterstützte Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Dieses Gesetz gilt seit April dieses Jahres. Sie waren damals davon ausgegangen, dass ungefähr 300 000 Menschen von diesem Gesetz profitieren werden. Seit Inkrafttreten des Gesetzes sind 270 Personen zusätzlich in Deutschland angekommen, so die Zahlen des DIHK. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) Wenn Sie bei diesem Tempo bleiben, brauchen Sie noch 625 Jahre, um die Zahl 300 000 zu erreichen. Erzählen Sie mir nicht, dass Sie hier kraftvoll gegen den Fachkräftemangel und für die Erleichterung bei der Zuwanderung handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vor einem Jahr hat die Zeitschrift Cicero den Wirtschaftsminister Rösler zu einem der Absteiger des Jahres erklärt. Die Überschrift dieses Artikels war: „Keine einzige große Idee“. Ich hatte damals gehofft, dass vielleicht etwas passieren wird. Wenn ich mir aber anschaue, was dann wirtschaftspolitisch geschehen ist, muss ich in der Tat sagen: Da gibt es keine einzige große Idee. Sie ruhen sich auf dem Argument mit der Psychologie aus, haben aber keine Vorstellung davon, wo und wie wir weitermachen sollten. Sie haben keine große Idee. Ökologische Modernisierung kann die industrielle Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland werden; das wäre eine große Idee. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darum geht es in dem Antrag, den wir Ihnen heute vorlegen. Die Wirtschaft steht vor einem tiefgreifenden Wandel, sie befindet sich im Umbruch. Ein Wirtschaftsminister muss diesen Umbruch zum einen erkennen – er muss ihn zum Teil auch einfordern –, zum anderen muss er ihn begleiten, ihn in allen Bereichen durchdeklinieren. Dann nimmt ein Wirtschaftsminister seine Aufgabe wahr. Zurück zur Ökologie. Traditionelles Wirtschaften mit diesem gigantischen Rohstoffhunger, mit diesem gigantischen Energiehunger ist nicht zukunftsfähig. Den Zahlen für die EU 27 können Sie entnehmen, dass wir ein Außenhandelsdefizit in Höhe von 120 Milliarden Euro haben, auch aufgrund der Importe von Rohstoffen. Wir sind auf dem falschen Pfad. Wir verbrauchen zu viel. Wir brauchen eine Antwort darauf, wie wir von diesem falschen Wirtschaftsmodell wegkommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie kennen den Kampf des Wirtschaftsministers gegen die Energieeffizienzrichtlinie. Wir müssen aber endlich eine Strategie entwickeln, wie wir im Bereich Rohstoffeffizienz, im Bereich Energieeffizienz und im Bereich Einsparungen wirklich vorangehen können, und dies nicht etwa nur deswegen, weil Rohstoffe und Energie so teuer geworden sind, sondern weil dies wirtschaftliche Perspektiven und Chancen für neue Jobs bietet. Von einem Wirtschaftsminister hätte ich erwartet, dass er eine große Idee entwickelt, wie wir dieses Land zukunftsfähig aufstellen. Aber hier herrscht bei Ihnen absolute Fehlanzeige. Wir werden immer weniger innovativ. Wenn Sie sich den Innovationsindikator anschauen, können Sie genau erkennen: Deutschland rutscht ab. Uns fehlen die Ideen, die Innovationen, uns fehlt kraftvolles Handeln, obwohl wir vorangehen und große Ideen entwickeln müssen. Sie ziehen sich immer darauf zurück, Wirtschaft sei zu 50 Prozent Psychologie. Das ist viel zu wenig. Diese große Idee, die ich geschildert habe, scheint leider viel zu groß für Sie zu sein. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD] – Zuruf von der FDP: Ganz schwach!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst auf Frau Andreae eingehen. Wenn ich das richtig gesehen habe, wird unsere erfolgreiche Regierungsarbeit in Ihrem Antrag als „Stillstandspolitik“ bezeichnet. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Erfolg, Herr Pfeiffer?) Was verstehen Sie unter Stillstand? Verstehen Sie unter Stillstand, dass wir in den letzten Jahren die höchsten Wachstumsraten der Wirtschaft seit der Wiedervereinigung hatten? Ist Stillstand, dass wir mit 41,5 Millionen Menschen die höchste Beschäftigungsquote in Deutschland überhaupt haben? Ist Stillstand, dass wir die geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa haben? Ist Stillstand, dass die Erwerbsbeteiligung der 55- bis 64-Jährigen in den letzten zehn Jahren von 38 Prozent auf 60 Prozent gestiegen ist? Ist Stillstand, dass wir die höchsten F-und-E-Ausgaben in der Geschichte der Bundesrepublik haben? Liebe Frau Andreae, da muss einer von uns etwas falsch verstanden haben. Eine solche Bedeutung des Begriffes „Stillstand“ finden Sie im Duden nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wenn man sich genau anschaut, was Sie in Ihrem Antrag fordern, findet man viele gute Dinge; da will ich gar nicht widersprechen. Sie fordern zum Beispiel, dass der Zugang zu Wagniskapital erleichtert wird. Diese Auffassung teilen wir. Mit dem Haushaltsentwurf wollen wir erreichen, dass für die nächsten vier Jahre eine Wagniskapitalförderung von 150 Millionen Euro bereitgestellt wird. Gefördert werden private Investoren. Insbesondere Business Angels und jungen innovativen Unternehmen soll Beteiligungskapital zur Verfügung gestellt werden. Insoweit haben wir die Dinge schon gemacht, bevor Sie Ihren Antrag geschrieben haben. Dann sprechen Sie viel von Binnenmarkt, von Kaufkraft und davon, was man da alles stärken sollte. Sie haben in den nächsten Tagen und Wochen noch Gelegenheit dazu, sich zu beweisen und genau dies mit uns gemeinsam zu tun. Wir haben verabschiedet, dass der Grundfreibetrag im nächsten Jahr erhöht werden soll. Wir haben verabschiedet, dass die Menschen in diesem Land von den Lohnerhöhungen auch etwas spüren sollen, indem die kalte Progression, letztlich die kalte Enteignung, abgemildert wird. Der entsprechende Gesetzentwurf liegt im Bundesrat. Sie können dafür sorgen, dass nicht nur Baden-Württemberg, sondern der Bundesrat insgesamt zustimmt. Dann haben wir eine effektive Steuerentlastung der kleinen und mittleren Leistungsträger und eine größere Wirksamkeit des Inflationsausgleichs. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie sprechen über den Abbau von Bürokratie. Auch da können wir gemeinsam viel erreichen. Wir haben auf den Weg gebracht, dass die steuerlichen Aufbewahrungsfristen in einem ersten Schritt auf acht Jahre, dann auf sieben Jahre und in einer längeren Perspektive auf fünf Jahre verkürzt werden. (Beifall der Abg. Rita Pawelski [CDU/CSU]) Das ist das größte Bürokratieabbauprogramm, das man sich für die Freien Berufe, für das Handwerk und für den Mittelstand vorstellen kann. Es entfaltet auch eine psychologische Wirkung. Wir freuen uns daher auf Ihre Zustimmung zum Jahressteuergesetz, das demnächst im Bundesrat zur Abstimmung ansteht. Sie fordern im energetischen Bereich Nachhaltigkeit und andere Dinge mehr. Auch da können Sie mitmachen, indem Sie damit aufhören – ihre Verweigerung können wir nicht mehr länger akzeptieren –, die steuerliche Abzugsfähigkeit der energetischen Sanierung im Bundesrat zu blockieren. Dies tun Sie seit knapp eineinhalb Jahren, obwohl Sie im letzten Jahr zusammen mit den Bundesländern dem Energieprogramm zugestimmt haben. Deshalb werden wir jetzt im Interesse der energetischen Sanierung, im Interesse der von Ihnen angesprochenen Nachhaltigkeit Ersatzmaßnahmen auf den Weg bringen. Wir werden andere Möglichkeiten schaffen, durch die wir diese Zielgruppe erreichen. Dies wird leider nicht mit steuerlichen Entlastungen und der Schaffung von Abzugsmöglichkeiten verbunden sein, weil Sie es verhindern. Das müssen Sie den Menschen draußen sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie sprechen auch den Arbeitsmarkt an. Da hätten Sie heute schon – ein paar Tagesordnungspunkte zuvor, nämlich bei der Erhöhung der Grenze für Minijobs von 400 auf 450 Euro – Gelegenheit gehabt, Nägel mit Köpfen zu machen. Ihre Redner haben aber nicht nur dagegen gesprochen, sondern Ihre Fraktion hat heute dagegen gestimmt, dass die Minijob-Beschäftigten einen Inflationsausgleich bekommen. Sie haben dagegen gestimmt, dass sie einen Reallohnzuwachs von 400 auf 450 Euro erfahren. Sie haben dagegen gestimmt, dass zukünftig eine Erhöhung der sozialen Sicherheit durch eine automatische Rentenversicherungspflicht erreicht werden kann. Sie haben für mehr Schwarzarbeit gestimmt, indem Sie dies alles abgelehnt haben. Das ist für mich nicht die Beschäftigungs- und Arbeitsförderung, die ich mir vorstelle und die Sie in Ihrem Antrag mit vielen wolkigen Worten beschreiben. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verharren in alten Strukturen!) Sie haben bei einem der vorherigen Tagesordnungspunkte gegen eine Senkung der Rentenbeiträge gestimmt. Dabei ist das im Bereich der Sozialversicherung das größte Programm zur Stärkung des Binnenkonsums, das wir für das nächste Jahr auf den Weg bringen können. Die Menschen, die arbeiten und in die Rentenversicherung einzahlen, müssen weniger Beiträge zahlen und haben dadurch mehr Geld zur Verfügung. Sie können entweder konsumieren oder vielleicht auch entsprechend privat vorsorgen. Aber Sie sind dagegen. Sie sind auch gegen höhere Rentenerhöhungen. Ein komplizierter Mechanismus, den Sie kennen, Frau Andreae, führt nämlich dazu, dass die Renten im nächsten Jahr sogar überproportional steigen. (Beifall der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Aber dieses Signal für mehr Binnenkonsum, Wachstum und Beschäftigung, das mit Blick auf Europa wichtig ist, geht von Ihnen nicht aus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie unterstellen uns – damit komme ich zum Schluss – Engstirnigkeit. Dabei haben Sie anscheinend wenig von Technologieoffenheit gehört. Sie sprechen viel von Nachhaltigkeit – ich hätte es zählen können, habe aber irgendwann aufgehört –, von Zukunftstechnologien, von Nanotechnologie, Biotechnologie und Gentechnologie. Andere Begriffe finden wir in Ihrem Antrag für Wachstum und Beschäftigung aber nicht. Insofern kann ich nur feststellen und zum Abschluss Churchill zitieren – das darf ich noch schnell machen –: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie kommen jetzt schon zum zweiten Mal zum Abschluss. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Es gibt Leute, die halten Unternehmer für einen räudigen Wolf, den man totschlagen müsse, andere meinen, der Unternehmer sei eine Kuh, die man ununterbrochen melken kann. Nur ganz wenige sehen in ihm das Pferd, das den Karren zieht. Wir sehen das Pferd, das den Karren zieht. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Die ganz Linken wissen nicht, was sie sehen, und Sie sind wohl irgendwo dazwischen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP liegt unter 3 Prozent! Da ist es mit dem Pferd nicht ganz so weit her!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Entwurf des Gesetzes zum Abkommen mit der Schweiz auf den Drucksachen 17/10059 und 17/11093 bekannt: abgegebene Stimmen 569. Mit Ja haben gestimmt 312 Kolleginnen und Kollegen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mit Nein haben gestimmt 256, und es gab 1 Enthaltung. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 568; davon ja: 311 nein: 256 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Nein SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Da?delen Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Enthalten SPD Hans-Ulrich Klose Wir kommen zurück zu unserer Debatte, und ich gebe das Wort dem Kollegen Ingo Egloff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ingo Egloff (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Pfeiffer, Sie haben hier eben versucht, deutlich zu machen, dass es keinen Stillstand in der Wirtschaftspolitik gibt. Wenn Sie aber mit den Betroffenen reden, beispielsweise mit der Energiewirtschaft oder der Industrie, dann erzählen sie Ihnen etwas ganz anderes. Sie haben nämlich das Gefühl, dass Sie sowohl in der Energiepolitik als auch in der Industriepolitik keinen Plan haben, wo es hingehen soll. Sie, die Sie sich immer so gerieren, als seien Sie die Parteien der Wirtschaft, sind an dieser Stelle eine einzige Enttäuschung für die deutsche Wirtschaft. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Breil [FDP]: Außer dass wir das beste Wirtschaftswachstum seit langem haben!) Sie stellen sich hier hin und sagen, das Steuergesetz, das im Bundesrat liegt, würde die kalte Progression beseitigen. Wenn Sie die kalte Progression wirklich beseitigen wollen, dann müssen Sie 30 Milliarden Euro in die Hand nehmen. Dieses Geld haben Sie bzw. hat dieser Staat nicht, um es in die Hand zu nehmen. Sie haben weiße Salbe verteilt, nur um Ihren Koalitionspartner zu beruhigen. Sie wissen selber, dass diejenigen, die ein kleines Einkommen haben, nur so viel von dieser Steuerreform profitieren, dass sie sich davon eine Currywurst kaufen können, aber nur dann, wenn sie zwei Monate lang sparen. Das bewirkt das Gesetz, das im Bundesrat liegt. (Holger Krestel [FDP]: Sie gönnen den Leuten nicht einmal die Currywurst!) Lassen Sie uns zu dem Antrag der Grünen zurückkommen. Ich meine, der Antrag weist in die richtige Richtung. Ich finde es gut, dass wir hier die Gelegenheit haben, einmal grundsätzlicher über die Frage zu diskutieren, in welche Richtung sich die Wirtschaft in diesem Land, aber auch in Europa entwickeln soll. Ich will hier nicht alle Bereiche aufgreifen. Das wäre viel zu viel; dazu reicht die Zeit nicht. Ein paar Sachen möchte ich aber herausgreifen. Es ist kein Geheimnis, dass wir in vielen Bereichen mit den Grünen übereinstimmen, wie zum Beispiel in der Kritik an der nicht erfolgenden Energiewende durch die Regierung. Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, dass die Bundesregierung die Energiewende endlich als nationale Aufgabe begreifen muss und dass man nicht dabei stehen bleiben und darauf hoffen darf, dass der Markt es regeln wird. Der Markt wird es nämlich nicht alleine regeln. Das sehen wir im Moment. (Klaus Breil [FDP]: So, so! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Aha! „Im Moment“!) Wir möchten, dass es einen nationalen Ausbauplan gibt, und es wäre auch wünschenswert, wenn es eine staatliche Beteiligung an den Netzgesellschaften gäbe, die sich dieser Energiewende dann auch annähmen. Damit, dass Sie nach dem beschlossenen Atomausstieg ein Jahr lang nichts getan und bis zum heutigen Tag noch nichts umgesetzt haben, obwohl zum Beispiel das Konzept für den Anschluss von Offshoreanlagen seit März abgestimmt vorliegt, zeigen Sie nur eines: Sie haben die Tragweite unserer gemeinsamen Entscheidung, aus der Atomenergie und mittelfristig aus der fossilen Energieerzeugung auszusteigen, nicht begriffen. Sie wollen das wichtigste Industrieland Europas energiemäßig umsteuern, aber Sie haben keinen tragfähigen Plan. Das ist weder zukunftsgerichtet noch nachhaltig. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Allerdings teilen wir auch nicht die pauschale Kritik an der Ausnahme bestimmter Branchen bei den Netzleitungsgebühren. Wir sind jedoch der Auffassung, dass die Ausnahmen, die die Regierung hier beschlossen hat, so ausgeweitet worden sind, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung leidet. Trotzdem sind wir der Auffassung, dass es richtig ist, energieintensive Industriebetriebe auszunehmen, die für die Wertschöpfungsketten in diesem Land wichtig sind und sonst nicht konkurrenzfähig wären; denn wir wollen die ganzen Wertschöpfungsketten hier in Deutschland. Wir wollen die Grundstoffindustrie in Deutschland; denn wir wollen hier nicht abhängig sein von anderen. Auch das ist ein Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit in der Wirtschaft. (Beifall bei der SPD – Klaus Breil [FDP]: Genau das machen wir!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, auch wenn wir viele Ihrer Forderungen teilen und sie hier zum Teil ja schon selbst in Antragsform eingebracht haben, drückt Ihr Antrag an einigen Stellen etwas aus, was zumindest mir nicht gefällt. Natürlich brauchen wir Forschungsförderung für den Mittelstand. Ich finde es aber auch nicht schlimm, dass ein Großkonzern Forschungsförderung erhält, wenn er damit etwas Vernünftiges macht. Die Stärke der deutschen Wirtschaft ist es, dass wir einerseits große Konzerne von Weltrang haben, andererseits aber auch viele Mittelständler, zum Teil auch solche, die als Hidden Champions auf dem Weltmarkt sehr erfolgreich sind. Deshalb möchte ich an dieser Stelle keinen Unterschied machen; denn nur gemeinsam ist der Exporterfolg der deutschen Wirtschaft, ist das Ausschöpfen ihres Innovationspotenzials möglich. Die SPD begrüßt ausdrücklich die Reindustrialisierungsstrategie der Europäischen Union. Wir wollen ein Europa, das wieder Vorreiter bei Wettbewerbsfähigkeit und Innovation wird. Wir wollen Produkte, die dem Ziel der Ressourcenschonung und dem Klimaschutz verpflichtet sind. Wir wollen die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern überwinden. Aber wir wollen im Vergleich zu anderen Gegenden der Welt auch konkurrenzfähig sein. (Beifall bei der SPD – Klaus Breil [FDP]: Sie wollen, und wir haben schon gemacht!) – Darauf warten wir schon lange, Herr Breil. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie reden und wir handeln!) – Schön wäre das ja. – Deshalb müssen wir europäische Leitmärkte definieren, in denen wir erfolgreich sind, wo wir in der Lage sind, auf dem Weltmarkt mitzuhalten. Wir müssen eine gemeinsame europäische Industriepolitik formulieren. Leitmärkte sind unserer Meinung nach zum Beispiel der Maschinenbau, der in Europa 10 Prozent der industriellen Wertschöpfung ausmacht und in dem in Deutschland 870 000 Menschen beschäftigt sind, die Luft- und Raumfahrtindustrie, die mit Airbus und EADS jetzt schon ein Beispiel europäischer Industrie-kooperation ist. Wir dürfen auch die Automobilindustrie nicht aus den Augen verlieren, nicht nur, weil in Deutschland jeder siebte Arbeitsplatz an dieser Branche hängt, sondern auch, weil sich die Menschen in ihrer Mobilität nicht werden einschränken lassen. Im Gegenteil: Auch in anderen Gegenden der Welt wird das Automobil eine zunehmende Rolle spielen. Deshalb brauchen wir im Gesamtinteresse des Klimaschutzes innovative Techniken wie Brennstoffzellen und Elektromobilität. Deshalb brauchen wir hier auch die Forschung in der deutschen Industrie. Deswegen sollten wir auch die Automobil-industrie als einen der Leitmärkte ansehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Davon profitiert der Klimaschutz in der gesamten Welt. Wir brauchen innovative Bahntechniken, und auch der Bereich der Chemie- und Pharmaindustrie gehört zu den sektoralen Leitmärkten, die für ein hohes Innova-tionspotenzial stehen. Eine zukünftige europäische Innovationsstrategie benötigt neue Breitbandnetze. Hier steht Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern auf einem hinteren Platz, was den Ausbau angeht. (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Du lieber Gott!) Kommunikationsmöglichkeiten sind heute, insbesondere für Mittelständler in ländlichen Regionen, der Schlüssel zum Erfolg. Der Ausbau der europäischen Breitbandnetze, der Energienetze und der Bahnverbindungen ist ein Baustein zum Erfolg der europäischen Reindustrialisierungspolitik. Dieser Aspekt der europäischen Industriepolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, ist, auch wenn Sie das in Ihrem Beitrag, Frau Andreae, angesprochen haben, in Ihrem Antrag, ich nenne es einmal so: ein bisschen unterbelichtet. Industrie ist unseres Erachtens nicht alte Wirtschaft. Industrielle Beschäftigung und Wertschöpfung haben dazu geführt, dass Deutschland besser durch die Krise gekommen ist als andere Länder. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Breil [FDP]: Dank der Regierung!) Industrielle Innovation ist auch der Schlüssel zum Erfolg bei Ressourceneinsparung und Energieeffizienz und kann mit dazu beitragen, die Klimaschutzziele weltweit zu befördern. Das ist eine echte Win-win-Situation. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Wirtschaft nachhaltiger und klimafreundlicher zu gestalten. Diese Debatte lohnt. Insofern kann das nur ein erster Auftakt sein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Martin Lindner das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Lieber Herr Kollege Egloff, aus Ihren Worten und auch aus Ihrem Gesicht sprachen so deutlich wie nie zuvor die ganze Frustration, Depression und Traurigkeit der Opposition, dass es Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht so gut wie nie zuvor gegangen ist. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nie so wenig Arbeitslosigkeit, nie so viel Zuwachs, gerade im Binnenbereich, aber auch im Export, Lohnzuwächse, wie wir heute gelesen haben, gerade im unteren Segment: Es macht Sie wirklich traurig, dass Sie keinen wirklichen Ansatzpunkt für Ihre Kritik haben, sondern sich an so einem lächerlichen Hokuspokus abarbeiten und solchen Schimären nachjagen, wie Sie das gerade getan haben. Dem schließt sich auch dieser Antrag an. Frau Kollegin Andreae, Sie wollten mit den Forderungen Ihres Antrags die Wirtschaftskraft stärken. Sie beginnen mit einem ökologischen Umbau. Statt zu sagen: „Wir können an der einen oder anderen Stelle etwas weiterentwickeln, was in diesem Land erfolgreich ist“, wollen Sie gleich umbauen. In Wahrheit wollen Sie nicht einen wirtschaftlichen Umbau, einen ökologischen Umbau haben, sondern einen wirtschaftlichen Abbau bewirken. Das ist der zentrale Punkt Ihres Antrags. (Beifall bei der FDP – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie!) Sie schreiben zum Beispiel davon, umweltschädliche Subventionen abbauen zu wollen. In diesem Zusammenhang wagen Sie es, uns den Begriff „Lobbypolitik“ vorzuhalten. Wenn wir auf der anderen Seite hier Debatten über die Energiepolitik führen, haben Sie überhaupt kein Problem damit, dass aus der Opposition von SPD und Grünen gleich drei Eurosolar-Lobbyisten aufmarschieren und deutlich machen, dass sie gar keine Volksvertreter sind, sondern pure Lobbyisten in diesen Fragen. Dann sollten Sie sich mit diesen Worten wirklich deutlich zurückhalten. Das sage ich Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Außerdem wollen Sie nachhaltige Finanzmärkte schaffen. Dabei wollen Sie eine „Größenbremse für Banken einführen“. Herrschaften, wie viele Großbanken haben wir denn eigentlich in Deutschland? 80 Prozent der deutschen Banken sind Genossenschaftsbanken, Sparkassen oder Landesbanken, an denen der Staat beteiligt ist. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die machen einen guten Job!) Hinzu kommt die teilverstaatlichte Commerzbank. Dann bleiben noch 20 Prozent übrig. Die Hälfte davon sind Kleinstbanken oder private Banken. Dann gibt es noch die Deutsche Bank. Dann schreiben Sie doch gleich in Ihren Antrag hinein, dass Sie das einzige große deutsche Bankinstitut auch noch abschaffen wollen. Für eine Volkswirtschaft mit dieser Bedeutung ist dies aber deutlich zu wenig. Es geht nicht nur mit Sparkassen und Regionalbanken, meine Damen und Herren. Das sage ich Ihnen an dieser Stelle auch ganz deutlich. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass wir das europäisch denken müssen, haben Sie schon noch drauf?) Ihr Antrag enthält aber auch gute Ansätze. Dabei möchte ich mich dem Kollegen Pfeiffer anschließen. Mit Ihrer Forderung nach einer steuerlichen Forschungsförderung und einem besseren Zugang zu Wagniskapital kämpfen Sie mit uns gemeinsam dafür, dass wir Spielräume erarbeiten, dass wir an anderen Stellen kürzen können, um diese wichtigen Projekte durchsetzen zu können. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hört auf mit Betreuungsgeld und Hotelsteuer!) Dabei kann man auch etwas gemeinsam machen. Dazu lade ich Sie ein. (Beifall des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]) Das geht aber natürlich nicht mit solchen Schaufensteranträgen. (Ingo Egloff [SPD]: Wenn Sie etwas so Qualifiziertes zustande bringen würden, würden wir uns freuen!) Wenn Sie es mit diesem Antrag ernst meinten, dann würden Sie darauf hinwirken, dass dieser Antrag im Ausschuss beraten wird. Aber einen so umfangreichen Antrag hier vorzustellen und zur sofortigen Abstimmung zu stellen, zeigt, dass Sie gar keine ernsthafte Debatte führen wollen, sondern dass Sie hier irgendetwas für Ihre Klientel machen wollen. Mit seriöser Politik hat das aber nichts zu tun. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten bereits jeden einzelnen dieser Punkte als Antrag im Ausschuss!) Es fehlen zentrale Punkte und Punkte, denen Sie sich in Ihrer Partei stellen müssen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Ratschläge von 3 Prozent!) Erstens meine ich damit die Infrastrukturprojekte. Dabei müssen Sie sich einmal zu Projekten bekennen – auch wenn die Kugeln pfeifen –, die für die Fortentwicklung und den Bestand dieser Industriegesellschaft eminent sind. Das sind Projekte im Straßenverkehr, im Schienenverkehr und im Flugverkehr. Wenn Sie der Meinung sind, es müsse überall restriktiv und einschränkend vorgegangen werden – hier keine Startbahn, da keine Schienen, hier keine Autobahnverbindung, wobei Sie wegen 2 Kilometern Autobahn sogar eine Koalition nicht eingehen –, dann erklären Sie doch bitte auf der anderen Seite den Leuten, dass die Realisierung dieser ökologischen Politik mit erheblichen und dramatischen Einbußen des Wohlstands dieses Landes einhergeht. Sagen Sie den Leuten, dass heute in einem Supermarkt etwa 10 000 Produkte verfügbar sind. Sagen Sie ihnen, dass in den 70er- und 80er-Jahren noch 700 bis 800 Produkte verfügbar waren. Sagen Sie ihnen, dass es sich nur noch Bestverdiener leisten können, in Feinkostläden einzukaufen, wenn Sie das realisieren, was Sie -realisieren wollen, Normalbürger an diesen Wohlstands-errungenschaften aber nicht mehr teilhaben. Sagen Sie den Leuten, dass Fliegen dann nur noch für Topverdiener möglich ist, wie dies in den 50er- und 60er-Jahren der Fall war. Sagen Sie ihnen, dass Mallorca dann nicht mehr drin ist. Sagen Sie den Leuten die Wahrheit. Dies ist manchmal besser, als es in Ihrem Soziologendeutsch immer wieder zu verklausulieren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Worauf Ihr Ansinnen hinausläuft und was Ihre wichtigsten Fragen sind, das erwähnen Sie am Anfang Ihres Antrags – dies ist der ökologische Umbau – sowie am Ende Ihres Antrags. Am Ende Ihres Antrags fallen aber nur noch Schlüsselworte, die Sie für wichtig halten, die aber nichts mit Wirtschaftspolitik zu tun haben: Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, Geschlechterquote, Benachteiligungen, Mindestlohn, Mitbestimmung und Equal Pay. In irgendwelchen sozialpolitischen Anträgen mag das alles richtig sein. Sie erheben aber hier den Anspruch, Wirtschaftspolitik zu betreiben. Das hat mit Wirtschaftspolitik aber nichts zu tun. Das ist eine Art Antimaterie zur Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das lehnen wir ab. Mit uns wird es kein Programm geben, das absichtlich zu Rezession in diesem Land führt. Davon haben wir eine durchaus andere Vorstellung. Der letzte Punkt: Wenn Sie wirklich einen Eindruck davon bekommen wollen, was die Menschen in den kleinen Betrieben, den Familienbetrieben zurzeit bedrückt, dann reden Sie mit ihnen über Ihre Lieblingsprojekte Vermögensteuer und Vermögensabgabe. Dann kriegen Sie einen Eindruck davon, was gerade Familienunternehmen, Schlosserbetriebe, Schreinerbetriebe und andere Handwerke davon halten, weil sie genau wissen – das können Sie gerade in Frankreich studieren –: Wer glaubt und postuliert, er würde den Reichen ans Fell gehen, wie Herr Hollande in unserem Nachbarland, der kriegt aus der Millionärsteuer einen Ertrag von 250 Millionen Euro. Die Leute lesen das, und sie wissen genau, dass es bei solchen Sachen nicht um Millionäre geht, sondern dass einem ganz normalen Mittelständler und der Mittelschicht das Fell über die Ohren gezogen werden soll. Darum geht es, und darüber werden wir auch im kommenden Jahr die Auseinandersetzung sehr intensiv führen, meine Damen und Herren. Wir stehen für Fortschritt. Wir stehen für Wachstum. Wir wollen, dass Deutschland weiter stark bleibt. Sie -haben genau das Gegenteil vor. Dagegen werden wir kämpfen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Kerstin Andreae vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie hat doch schon gesprochen!) Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – Das ist richtig. Ich habe schon gesprochen. Aber ich muss einen Punkt weit von mir weisen. Sie hatten den Herrn Kollegen Egloff angesprochen, es dann aber auf die Opposition insgesamt bezogen. Sie haben gesagt, die Opposition würde sich freuen, wenn es der Wirtschaft und den Menschen schlecht geht. Das finde ich unglaublich. Wir alle sind Parlamentarier und nehmen unsere Verantwortung und unsere Arbeit sehr ernst. Eine Hauptaufgabe unserer Arbeit ist, dass wir versuchen, zum Besten der Menschen, der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Umwelt zu handeln. Genau dies tun wir und nehmen es für uns in Anspruch. Deswegen bin ich erstens überhaupt nicht bereit und weise es auf das Vehementeste von mir, wenn Sie uns in der Opposition alleine oder in Gänze vorwerfen, dass wir uns freuen würden, wenn es irgendjemandem schlecht geht, um dann unsere Politik erklären zu können. Das weise ich auf das Allerschärfste von mir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Zweitens will ich Ihnen sagen: Es ist doch nicht unsere Erfindung, dass wir uns in einem Strukturwandel befinden und dass diese Regierung keine Antworten auf diesen Strukturwandel hat. Der Ifo-Index ist zum sechsten Mal in Folge gefallen. Die DIHK-Unternehmensumfrage belegt verschlechterte Geschäftsaussichten. Die Herbstprognose aus dem Hause Ihres Wirtschaftsministers Rösler musste wiederum nach unten korrigiert werden. Entschuldigung, hat das die Opposition erfunden, oder sind das Zahlen aus Studien und Untersuchungen oder aus dem Wirtschaftsministerium? Es sind Belege dafür, dass sich der Wind dreht. Wir fordern ein, dass Sie auf diesen Wandel reagieren, aber das tun Sie nicht. Das werfen wir Ihnen vor. Das hat überhaupt nichts mit Freude über irgendetwas zu tun, sondern das ist eine klare Analyse und Einforderung von Handeln. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Lindner zur Erwiderung. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Frau Kollegin Andreae, ich unterstelle weder Ihnen noch der gesamten Opposition, dass Sie sich freuen würden, wenn es Menschen schlechter geht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie doch eben gesagt!) – Nein. Das müssen Sie im Protokoll nachlesen. Dann werden Sie sehen, dass ich sagte: Ihre Verzweiflung darüber, dass Sie keinen richtigen Ansatz finden, dieser Regierung wirtschaftspolitisches Versagen vorzuwerfen, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Jeden Tag!) ist Ihr Problem. Wir haben jeden Tag Zahlen, von denen Sie, als Sie regierten, geträumt hätten. (Ingo Egloff [SPD]: Trotz dieser Regierung, nicht wegen!) Sie hatten maximale Arbeitslosigkeit. Sie hatten maximale Inflation. Das ist das, was Sie als rot-grüne Bundesregierung seinerzeit zusammengebracht oder auch zusammengestümpert haben. Natürlich verzweifeln Sie daran, dass selbst in einer Abschwungphase, die eine ganz normale zyklische -Entwicklung darstellt, Erfolgsmeldungen kommen, etwa dass Deutschland einer der attraktivsten Investitions-standorte geworden ist und dass es in einem wachsenden Prozess auch gelungen ist, beispielsweise Exportdefizite, die wir im europäischen Bereich haben, im außereuropäischen Bereich auszugleichen. Das sind Erfolgsmeldungen. Ich rede nicht von Gutachten. Sie finden immer ein paar griesgrämige Gutachten zu allem. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Gutachten des Wirtschaftsministeriums!) Sie müssen sich vielmehr an die volkswirtschaftlichen Daten und an die echten Fakten und Zahlen halten statt an das, was Ihnen Ihre Hausgutachter aufgeschrieben -haben. Das ist der entscheidende Punkt. Sie müssen versuchen, in einer solchen Phase etwas konstruktiver an die Dinge heranzugehen. Dass Sie jedes Mal repetieren, dass die SPD ihren Anteil hatte, 2002 und 2003, als sie allmählich ihre Agenda-Politik machte, ist schon peinlich. Es sind zehn Jahre verstrichen, und jetzt – daran verzweifeln Sie natürlich – kriegen Sie nichts mehr zustande. Jetzt machen Sie genau das -Gegenteil der Agenda-Politik. Sie wollen all das wieder abräumen, was damals mit eine Ursache für die heutige Situation gelegt hat. Sie sagen immer wieder: Das alles hat mit der schwarz-gelben Regierung nichts zu tun. Das waren alles wir, 2003. – Dass Sie es damals in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts mit Ihren programmatischen Entwicklungen waren, die die Grundlagen gelegt haben, das werden Sie uns demnächst auch noch vorhalten. (Ingo Egloff [SPD]: Müssen wir nicht! Sie sind nicht mehr dabei!) Die Wahrheit ist doch, dass es, seitdem diese Regierung im Amt ist, Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht gut geht. Ich lade Sie herzlich ein, mit uns um noch bessere Lösungen zu ringen – wie beispielsweise bei der steuerlichen Forschungsförderung oder beim Wagnis-kapital. Aber lassen Sie dieses lächerliche und unglaubwürdige Kassandragerufe! Das hat keinen Sinn. Das glaubt Ihnen auch keiner. Versuchen Sie, Ihre wirtschaftsfeindliche Politik im Zaum zu halten! Sie stellen auf der einen Seite einen Kandidaten auf, (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er antwortet aber schon gar nicht mehr!) der meint, mit Wirtschaftspolitik reüssieren zu können, und auf der anderen Seite machen Sie genau das Gegenteil. Versuchen Sie erst einmal, Kandidat und Programm zusammenzubringen! Dann reden wir hier über vernünftige Programme weiter. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin Ulla Lötzer. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Lötzer (DIE LINKE): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ach, wissen Sie, Herr Lindner, mit den Exporterfolgen heften Sie sich vor allem die Ergebnisse der Wirtschaftspolitik der Regierungen Chinas, Lateinamerikas und anderer Staaten als Ihre Erfolge an die Brust. Wenn der Abschwung kommt, dann waren es wahrscheinlich die Märkte oder sonst wer, aber nicht Sie. So simpel geht es einfach nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Andreae, Sie haben recht, wenn Sie – im Gegensatz zu Herrn Lindner – sagen, dass wir einen grundlegenden Wandel der Wirtschaft brauchen. Dazu gehören auch Verteilungsgerechtigkeit und Chancengerechtigkeit für alle; so schreiben Sie. Die Art, wie und was wir -arbeiten und wie wir wirtschaften, muss sich ändern. Natürlich brauchen wir auch, Herr Egloff, Maßnahmen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage. Herr Pfeiffer und Herr Lindner, genauso richtig ist, dass Sie in dieser Hinsicht restlos versagen. „Stagnation“ oder „Stillstand“ wäre ja noch ein Lob für das, was Sie tun. Auf alle Herausforderungen hat Ihr Wirtschaftsminister, Herr Rösler, nur eine Antwort: „Der Markt wird es richten“, statt den Wandel in Industrie und Dienstleistungsbereich tatsächlich politisch zu gestalten. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Die Zeit der Planwirtschaft ist vorbei!) Armut und Armutslöhne werden von Ihnen zementiert und ausgeweitet. Das und nichts anderes haben die Debatten über Minijobs und Rente gezeigt. Sie blockieren die Energiewende, weil Sie die Kosten für die Verbraucherinnen und Verbraucher hochtreiben und die Hand über die großen Vier halten, statt dezentrale Energieerzeugung, kleine und mittlere Ansätze, Genossenschaften und anderes zu stützen. (Beifall bei der LINKEN) Frau Andreae, auch wenn wir viele Forderungen und Aspekte in dem von Ihnen vorgelegten Antrag teilen, muss ich ein paar Tropfen Wasser in den Wein gießen. Das betrifft vor allem: Gute Arbeit für alle. „Nach 30 Jahren Deregulierung liegt der Arbeitsmarkt in totaler Unordnung, prekäre Beschäftigung und der Niedriglohnsektor nehmen zu“, schreibt der DGB in seinem Papier. Sie aber weigern sich nach wie vor, den Bruch mit der Agenda 2010 zu vollziehen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf jeden Fall!) Es war Ihre Politik, die zur Ausweitung von Niedriglöhnen, Leiharbeit und Minijobs geführt hat. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen muss man es korrigieren!) Hartz IV hat Armut und Zukunftsängste vorangetrieben. Bis heute verweigern Sie die Rücknahme der Rente mit 67, (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch richtig!) obwohl das Rentenkürzungen und Altersarmut vorantreibt. Angstfreiheit im Wandel sieht anders aus. Statt immer mehr Reichtum für wenige wollen wir ein gutes Leben für alle. (Beifall bei der LINKEN) Das geht nur mit Umverteilung von Vermögen, Arbeit und Einkommen. Auf europäischer Ebene stützen SPD und Grüne die Bundesregierung bei ihren Kürzungsprogrammen, die die Menschen in Armut und Massenarbeitslosigkeit -treiben und die Krise verschärfen. Ein ökologisches -Investitionsprogramm für Europa ist richtig, aber nicht zusätzlich zu Kürzungsprogrammen, sondern statt -Kürzungsprogrammen. (Beifall bei der LINKEN) Gerade für Europa wären Festlegungen für einen neuen sozialen Ausgleich und soziale Grundrechte wichtig. Das fehlt mir bei Ihnen leider völlig. Bei Herrn Lindner bleibt die Demokratie vor den Werkstoren stehen. Das hat er mit dem, was alles seiner Meinung nach nicht zur Wirtschaftspolitik gehört, deutlich gemacht. Frau Andreae, ich meine, auch bei Ihnen kommt die Frage der Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zu kurz. Sie sagen zwar, die betriebliche Mitbestimmung müsse gestärkt werden. Ich glaube aber, das reicht nicht aus. Für die große Idee eines großen -Wandels braucht man viele Ideen zur direkten Bürger- und Bürgerinnenbeteiligung und zur Ausweitung von Demokratie innerhalb und außerhalb des Betriebs und auch gegenüber der Wirtschaft. (Beifall bei der LINKEN) Bei diesen Punkten müssen Sie noch nachsitzen. Erst dann wird aus dem Wandel tatsächlich ein grundsätzlicher sozialer und ökologischer Erneuerungswandel. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Andreas Lämmel von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man sich den Antrag anschaut, dann stellt man fest, dass das im ersten Moment ganz gut klingt. Die Überschrift ist wie immer gut designt. Aber beim genaueren Hinschauen fällt sofort auf: viele Zustandsbeschreibungen, langatmig geschrieben, Allgemeinplätze, die jeden Tag in jeder Zeitung zu lesen sind. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Noten hier verteilen, Herr Lämmel! Alles, was recht ist! Geht’s noch?) Sie zählen eine Menge Dinge auf, Frau Andreae, die längst erledigt sind. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Ich stelle mir manchmal die Frage, ob Sie im Wirtschaftsausschuss gar nicht anwesend sind, ob Sie den Diskussionen dort nicht folgen können (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) oder ob Sie vielleicht die Beschlüsse, die wir im Wirtschaftsausschuss schon gefasst haben, überhaupt nicht verinnerlicht haben. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bringen Sie einmal Beispiele!) Ein weiterer Punkt fällt mir bei den Grünen immer mehr auf, nämlich dass Sie sich immer weiter von dem Thema soziale Marktwirtschaft verabschieden. Ihnen geht es im Wesentlichen um staatlichen Dirigismus, um Planwirtschaft und vor allen Dingen um die Gängelung der Unternehmen hier in Deutschland. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beispiele!) Von unternehmerischer Freiheit, unternehmerischer Motivation und den Fähigkeiten deutscher Unternehmer kann ich in Ihrem Antrag nichts lesen. (Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echt nicht? Dann würde ich ihn noch einmal lesen!) Eine Überraschung gibt es trotzdem, Frau Andreae, nämlich weil in Ihrem Antrag steht – das habe ich von Ihnen noch nie gehört –: „Es gibt keine gute oder schlechte Industrie.“ Das ist ja einmal eine neue Erkenntnis. Das ist richtig toll. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie mal sehen!) Denn wir haben früher immer genau gehört: Sie unterscheiden zwischen den Guten und den Schlechten. Die Schlechten müssen weg, damit im Prinzip die Guten übrig bleiben. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben immer nur behauptet, dass wir das tun!) Die chemische Industrie, die Automobilindustrie und vor allem die Grundstoffindustrie waren für Sie ständig rote Tücher. Wenn man diesen Absatz weiterliest, kommt der -entlarvende Satz: „Diese klassische Klientelpolitik auf Druck einflussreicher Lobbys geht zu Lasten unserer -Zukunft.“ Ich erinnere mich noch genau an die Diskussionen über das Erneuerbare-Energien-Gesetz, Frau Andreae, in der die Lobbyisten der Solarindustrie, der Windindustrie und weiterer Bereiche aufmarschierten und die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes verhindert haben. Selbst in Ihrer Partei und auch bei der SPD ist man doch mittlerweile schon längst so weit, zu erkennen, dass das EEG so, wie wir es heute haben, in die Irre führt und klar zulasten der Zukunft geht, weil es den Menschen enorme finanzielle Mittel aus der Tasche zieht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Nun noch zu einigen konkreten Punkten: Das Thema Ressourceneffizienz ist kein Thema, das die Grünen in die politische Diskussion geworfen haben, sondern -Ressourceneffizienz bewegt uns alle. Aber da fordern Sie wieder die Handhabe des Staates. Sie wollen -Verbrauchsobergrenzen einführen. Sie wollen eine Preisgestaltung für Energie und Rohstoffe in Form einer sozial-ökologischen Steuerreform. Sie sollten gelegentlich wieder einmal ein Unternehmen besuchen und nachschauen, was deutsche Unternehmer selbst unternehmen, um hohen Rohstoffpreisen und hohen Energiekosten zu begegnen. Sie setzen nämlich von selbst auf Ressourceneffizienz und Energieeffizienz. Als Staat muss man die Wirtschaft nicht ständig mit neuen Verordnungen und Gängelungen dahin bringen, sondern jeder Unternehmer, der im globalen Wettbewerb überleben will, muss das von sich aus machen. Deswegen brauchen wir die Anträge der Grünen dazu nicht. Sie haben auch die Rohstoffstrategie der Bundes-regierung überhaupt nicht gelesen und haben auch nicht verstanden, worum es in der Rohstoffstrategie überhaupt geht. Dann zum Thema Innovationen: Das ist das wichtigste Feld für die deutsche Wirtschaft; denn ohne Innovationen wird man im globalen Wettkampf nicht bestehen können. Sie kritisieren in Ihrem Antrag, dass kleine und mittlere Unternehmen von der Förderung nicht profitieren. Wo sind wir denn? Sie haben offensichtlich die Haushaltsverhandlungen in der letzten Woche nicht mitbekommen. Dass Sie gegen den Haushalt und damit auch gegen die Mittel für kleine und mittlere Unternehmen gestimmt haben, sei einmal dahingestellt. Offensichtlich haben Sie aber nicht mitbekommen, was sich in den letzten Jahren getan hat. Es gibt das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand. Es geht hier nicht um die Großindustrie, wie Sie es in Ihrem Antrag suggerieren. Wenn Sie mit Unternehmern sprechen, dann stellen Sie fest, dass alle sagen, dass das Programm, das nach dem Konjunkturpaket II auf ganz Deutschland ausgeweitet wurde, das unbürokratischste und das technologie-offenste ist, das es bisher in der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat. Dies ist doch ein toller Erfolg. Schauen wir uns einmal die Zahlen an. Seit 2005, Frau Andreae, seit die Grünen also in die Opposition gegangen sind – das hat sich offensichtlich positiv ausgewirkt –, haben sich die Fördermittel, die direkt an die KMU gegangen sind, mehr als verdoppelt, von einstmals 400 Millionen Euro auf über 1 Milliarde Euro. Dieses Geld wurde in Innovationen, neue Produkte und neue Verfahren gesteckt. Meine Damen und Herren, der Antrag, in dem die Grünen uns suggerieren wollen, dass sie etwas von Wirtschaftspolitik verstehen, ist ein Rohrkrepierer; das muss man so sagen. Er ist das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hätten Sie sich das geschenkt, hätten Sie dem Deutschen Bundestag mindestens 50 Kilo Papier erspart und hätten damit zur Ressourcenschonung in der Welt beigetragen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11162 mit dem Titel „Wirtschaft im Umbruch – Wandel ökologisch, sozial und europäisch gestalten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der SPD. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Chancen nutzen – Vorsorgende Wirtschaftspolitik jetzt einleiten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8642, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8346 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht – Drucksachen 17/10040, 17/10252 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/11119 – Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Manfred Zöllmer Björn Sänger Dr. Gerhard Schick Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Über den Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Peter Aumer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Peter Aumer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter Lesung abschließend beraten, kommen wir ein großes Stück in Sachen Stärkung unseres Finanzsystems und der Ver-braucherschutzinteressen in der Bundesrepublik Deutschland voran. (Manfred Zöllmer [SPD]: Wer es glaubt, wird selig!) Die Finanzkrise hat uns deutlich gemacht, dass das Aufsichts- und Regulierungssystem in Deutschland, in -Europa und in der Welt nicht ausreichend war; denn Fehlentwicklungen und systemische Risiken wurden zu spät oder gar nicht erkannt. Wir von der christlich-liberalen Koalition haben uns daher seit Ausbruch der Krise umfangreich mit der Stabilisierung, der Regulierung und der Aufsicht über die Finanzmärkte auseinandergesetzt. In dieser Legislaturperiode haben wir hier im Deutschen Bundestag bereits knapp 20 Gesetze zur Bändigung und Regulierung des Banken- und Finanzsektors auf den Weg gebracht. (Beifall bei der CDU/CSU – Bettina Hagedorn [SPD]: Hat doch alles nichts gebracht!) – Ich komme gleich noch zu Ihnen. – Neun weitere Gesetze sind in Arbeit und stehen kurz vor dem Abschluss. Auf europäischer Ebene kommen etwa 70 Gesetzesinitiativen seit Anfang der Krise hinzu. Angesichts des Einwurfs der SPD-Kollegin, es habe alles nichts genutzt, komme ich auf den Vorschlag Ihres Kanzlerkandidaten zu sprechen, der ein fulminantes Konzept der Finanzmarktregulierung angekündigt hat. Was sich jedoch dahinter verbirgt, ist eine Blase von Maßnahmen, die bereits umgesetzt sind oder die sich auf deutscher oder europäischer Ebene in der Umsetzung befinden. (Zuruf von der SPD: Auf europäischer Ebene?) Ich glaube, hier sollte sich die SPD zurückhalten. Wenn das alles ist, was Ihr Kanzlerkandidat in petto hat, dann kann ich nur sagen: Armes Deutschland! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die christlich-liberale Koalition arbeitet verlässlich an einer an Stabilität orientierten Finanzmarktregulierung und vor allem daran, dass die Finanzmarktregulierung nach den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft funktioniert. Unser Bundesminister Wolfgang Schäuble ist ein verlässlicher Partner für eine effektive und stringente Regulierung der Finanzmärkte. Vor kurzem hat er bei einem Interview mit einer Zeitung Folgendes gesagt: … ganz ohne Regeln und Grenzen geht es auch mit Finanzmärkten nicht. Die zerstören sich selbst, wenn sie keine Grenzen haben. Das ist in der sozialen Marktwirtschaft unsere Aufgabe: Regelungen auf den Weg zu bringen und Grenzen zu setzen, in denen sich die Banken und Kreditinstitute bewegen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit dem Gesetz, dessen Entwurf vorliegt, stärken wir die deutsche Finanzaufsicht und setzen weiterhin einen effektiven Regulierungsrahmen für die Finanzmärkte. In diesem Gesetzentwurf werden verschiedene Punkte abgearbeitet. Die Verbesserung der Aufsichtsstruktur ist dabei ein wesentlicher Aspekt. Mit einem Ausschuss für Finanzstabilität, der eingerichtet werden soll und der analog zu dem auf europäischer Ebene tätigen Ausschuss für Systemrisiken arbeitet, versuchen wir, gemeinsam die makroprudenzielle Aufsicht zu verbessern, die Stabilität des Finanzsystems zu überwachen und rechtzeitig vor Gefahren betreffend die Finanzmärkte zu warnen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Bezahlungsstruktur der BaFin. Auch hier halten wir es für wichtig, marktorientiert zu arbeiten und die Beamtinnen und Beamten entsprechend zu entlohnen. Ich habe es bereits angesprochen: Auch der Verbraucherschutz findet seine Berücksichtigung in diesem Gesetzentwurf. So soll ein Verbraucherbeirat installiert werden. Erstmals wird auch ein Beschwerdeverfahren in das Gesetz aufgenommen, das die Beziehungen zwischen Kunden und Verbraucherschutzorganisationen regelt. Das Gesetz zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht zeigt, dass die christlich-liberale Koalition die Lehren aus der Finanzmarktkrise gezogen und eine effektive und schlagkräftige Aufsicht und Regulierung auf den Weg gebracht hat. Deutschland leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Regulierung der Finanzmärkte auf europäischer und internationaler Ebene. Ich habe ein weiteres Zitat von unserem Bundesfinanzminister gelesen, das mir sehr gut gefallen hat; es entstammt einer Rede, die er bei einem Kongress des Handelsblatts gehalten hat. Dieses Zitat zeigt fünf wesentliche Punkte auf, die für die Finanzmarktregulierung wichtig sind. All diese Punkte, meine sehr geehrten Damen und Herren der Opposition, haben wir umgesetzt. Sie sollten dazu beitragen, dass wir hier gemeinsam vorankommen. Die fünf Punkte lauten: Wir wollen die Transparenz der Märkte und Produkte erhöhen. Wir wollen der Haftung wieder Geltung verschaffen. Wir wollen die Verursacher an den Kosten der Krise beteiligen. Wir wollen das -Finanzsystem insgesamt krisenfester machen. Und wir wollen fünftens eine durchsetzungsstärkere Aufsicht. Dies haben wir versprochen, und das halten wir nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Deswegen bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, sodass wir in Deutschland weiterhin den Herausforderungen der -Finanzmarktregulierung begegnen können. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion sprich jetzt der Kollege Manfred Zöllmer. (Beifall bei der SPD) Manfred Zöllmer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Aumer, im vierten Jahr der Krise sollte es eigentlich ein bisschen mehr als nur ein „Wir wollen“ sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da sollte man dann schon auf die Ergebnisse schauen. Letzte Woche gab es im Europäischen Rat eine Verständigung, einen rechtlichen Rahmen für eine europäische Finanzaufsicht bis zum Ende dieses Jahres aufzustellen. Dann soll im Laufe des nächsten Jahres die Bankenaufsicht auf europäischer Ebene stufenweise in Betrieb genommen werden. Jetzt lassen Sie uns einmal gemeinsam einen Blick auf den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Reform der deutschen Finanzaufsicht werfen. Es soll zum 1. Januar 2013 in Kraft treten, also zu einem Zeitpunkt, da es bereits einen Rechtsrahmen für eine europäische Aufsichtsstruktur gibt. Wir sollen also nach dem Willen der Koalition die deutsche Finanzaufsicht reformieren, die im nächsten Jahr auf die europäische Ebene verlagert wird. Mit Verlaub, ich weiß wirklich nicht, was das soll. Wir werden, nein, wir müssen deshalb den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen, denn mit diesem Gesetzentwurf wird das Thema, um das es geht, eindeutig verfehlt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben deshalb in unserem Entschließungsantrag gefordert, diesen Gesetzentwurf zurückzuziehen und sich intensiv um eine vernünftige europäische Lösung zu kümmern. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das haben wir letzte Woche schon entschieden! Das ist ein bisschen spät!) Das ist auch wirklich notwendig. Aber die Koalitionsfraktionen sind offensichtlich nicht bereit, diesem Thema die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Wir haben das mit dem Entschließungsantrag erlebt, der aus der Hüfte gekommen, hier vorgelegt und dann verabschiedet worden ist. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wir sind wie John Wayne! Wir treffen aus der Hüfte!) – Herr Kollege Brinkhaus, für das, was Sie unter „treffen“ verstehen, habe ich zwei gute Beispiele. Schauen wir doch nur einmal Ihren Antrag zur europäischen Bankenunion an. Was steht darin? Sie fordern die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, dass es einen Zugriff, eine Regulierung auf europäischer Ebene nur bei den großen, international tätigen Banken gibt. Jetzt blicken wir einfach auf die letzte Woche zurück. Was hat denn die Kanzlerin vereinbart? Sie finden in dieser Vereinbarung nichts von einer Beschränkung. Es ist völlig klar, dass die EZB in Zukunft Zugriff auf über 6 000 europäische Banken hat. So viel vielleicht zum Schießen und Treffen aus der Hüfte. Leider haben Sie danebengeschossen. (Beifall bei der SPD) Die Bundeskanzlerin hat sich nicht durchsetzen können, und das wird natürlich ganz erhebliche Auswirkungen auf die deutsche Aufsichtsstruktur haben. Wie, wissen wir noch nicht genau. Aber gerade deshalb macht es ja keinen Sinn, jetzt in einem Gesetzentwurf Regelungen für eine Struktur zu treffen, die wir überhaupt nicht kennen. Dann gibt es einen weiteren Punkt. Sie haben gefordert, dass nach wirksamer Einführung der Bankenaufsicht sich die Banken beim ESM nur dann refinanzieren können, wenn sie sozusagen besenrein sind, wenn sie keine Schulden haben. Dies wird – wenn ich mir die Ergebnisse vom letzten Donnerstag anschaue – ebenfalls nicht der Fall sein. (Beifall bei der SPD) Dann lesen wir die Presse und sehen: Herr Brüderle (Zuruf von der CDU/CSU: Ein guter Mann!) bewertet das als „ein gutes Ergebnis für die Bundes-regierung“. Herr Brinkhaus, ich frage Sie: Wenn das ein gutes Ergebnis ist, wie sieht dann eigentlich ein schlechtes Ergebnis aus? (Beifall bei der SPD) Hier versucht Herr Brüderle, einfach nur schönzureden, was eine eindeutige Niederlage für die Koalitionsfraktionen ist. Schauen Sie noch einmal in Ihren Antrag! Ein weiterer Punkt, warum wir den Gesetzentwurf ablehnen müssen, ist Ihr Umgang mit dem Verbraucherschutz. Herr Aumer, es ist nicht so, dass Sie hier, bezogen auf den Verbraucherschutz, neue Standards setzen. Sie weigern sich, den kollektiven Verbraucherschutz explizit als Aufsichtsziel für die BaFin gesetzlich zu verankern. Daran wird deutlich, wie Sie Verbraucherschutz bewerten, nämlich als etwas, was völlig nachrangig ist. Dies können und wollen wir angesichts der Ereignisse, die wir alle gemeinsam beklagen, nicht akzeptieren. (Beifall bei der SPD) Zusammenfassend kann man nur sagen: Thema verfehlt, zur Strafe bitte einen neuen Gesetzentwurf vorlegen! (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Da kommt der Lehrer wieder durch! Wir sollen nachsitzen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Björn Sänger. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Björn Sänger (FDP): Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Während der Finanzkrise haben wir festgestellt: Das Vertrauen ist weg, und an Kontrolle mangelte es. Deshalb hat diese Regierungskoalition schon zu Beginn ihrer Tätigkeit im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir die nationale -Finanzaussicht reformieren wollen. Wir hatten hier -ursprünglich eine andere Lösung vorgesehen; das ist richtig. Aber der Erkenntnisgewinn hat dann schlussendlich zu einer guten Lösung geführt; diese liegt vor. Herr Zöllmer, man kann natürlich darüber streiten, ob es Sinn macht, so lange abzuwarten, bis auf EU-Ebene irgendetwas reguliert wird. Aber ich sage Ihnen eines: Es wird auch in Zukunft eine nationale Aufsicht geben, und da ist es doch besser – zumindest aus unserer Sicht –, wenn die nationale Aufsicht gut aufgestellt ist. Möglicherweise ist die Lösung, die wir heute höchstwahrscheinlich mit großer Mehrheit beschließen werden, eine Blaupause für eine europäische Regelung; es wäre nicht das erste Mal. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Während der Finanzkrise sind einige Probleme offenbar geworden: Wir haben Mängel bei der Verzahnung der makro- und der mikroprudenziellen Aufsicht festgestellt. Die Globalsicht und die Unternehmenssicht müssen zusammengeführt werden. Das tun wir mit dem Ausschuss für Finanzstabilität. Wir institutionalisieren die Zusammenarbeit von BaFin und Bundesbank und geben der Bundesbank hier auch neue Analysetools an die Hand, wobei uns an dieser Stelle auch wichtig ist – ich betone dies noch einmal –, dass zunächst auf entsprechende Daten zugegriffen wird, die schon vorhanden sind, und die Bundesbank hier nicht wahllos weitere Daten zum Beispiel bei Versicherungsunternehmen erhebt. Wir haben im Ausschuss für Finanzstabilität – auch das ist uns wichtig – alle drei Säulen der Finanzbranche, also Wertpapiere, Versicherung und Banken, erfasst, sodass wir hier wirklich eine umfassende Finanzstabilität sicherstellen können. Des Weiteren haben wir die Unabhängigkeit der Aufsicht klargestellt, indem wir den Verwaltungsrat entsprechend reformieren und dort die Lobbyverbände herausnehmen. Wir beseitigen damit ein Konstrukt, Herr Zöllmer, für das Ihr Finanzminister Hans Eichel verantwortlich ist. Man kann natürlich sagen: Wer die Chose bezahlt, der soll auch im Verwaltungsrat mitbestimmen. Aber mir persönlich ist nicht bekannt, dass der ADAC in irgendeinem Verwaltungsrat des TÜV sitzt, und die -Autofahrer zahlen die entsprechenden Überwachungsgebühren auch vollkommen allein. Es sieht einfach schlecht aus, wenn die Finanzlobby hier im Verwaltungsrat vertreten ist. Dies haben wir geregelt, indem wir die zehn bislang von den Verbänden benannten Vertreter auf sechs unabhängige Vertreter zurückfahren. Drei sollen auf Vorschlag der betreffenden Verbände – hier ist wichtig, dass alle drei Säulen berücksichtigt werden – hineinkommen und weitere drei über ein Anhörungsrecht. (Manfred Zöllmer [SPD]: Dann kommen die ja doch rein!) – Nein, es kommen unabhängige Experten hinein. Aber man hört natürlich die entsprechenden Branchenverbände an, ob diese Experten auch über ausreichend -Expertise verfügen. Das ist im Verwaltungshandeln -vollkommen normal. Des Weiteren haben wir den Verbraucherschutz gestärkt, indem wir ein Beschwerdeverfahren institutionalisiert und einen Verbraucherbeirat eingerichtet haben. Damit geben wir der BaFin Möglichkeiten an die Hand, strukturelle Defizite im Finanzvertrieb zu erkennen; denn die BaFin ist dafür da, strukturelle Defizite und Probleme, die möglicherweise institutionalisiert sind, zu erkennen. Die Aufgabe der BaFin ist es nicht, eine Art Finanz-Stasi zu sein, die Produkten und einzelnen Beratern hinterherläuft, um Einzelfallentscheidungen zu treffen. Dafür ist sie personell auch gar nicht aufgestellt. Wir wissen, dass derzeit eine Menge Stellen nicht besetzt sind. Wir ändern die Besoldung, um marktfähig zu werden. Ich fasse zusammen: Wir haben die Zusammenarbeit zwischen BaFin und Bundesbank institutionalisiert. Wir haben damit eine strukturelle Qualitätsverbesserung in der Allfinanzaufsicht in Deutschland erreicht und stabilisieren damit das System. Wir stärken des Weiteren die Unabhängigkeit der BaFin, indem wir die Lobbyverbände aus dem Verwaltungsrat herausnehmen. Das steigert das Vertrauen in die Aufsicht in Deutschland. Wir stärken den Verbraucherschutz durch entsprechende Beschwerderechte und einen Verbraucherbeirat. Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Bundesregierung alles dafür tut, dass wir hier in Deutschland ein stabiles Finanzsystem haben und die Trümmer aus rot-grüner Vergangenheit, die wir vorgefunden haben, beseitigen. Dieses Gesetz ist vorbildlich. Dem kann man zustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Axel Troost von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diejenigen, die sich vielleicht nicht mit dem Thema auskennen, merken, dass wir hier heute eine Paralleldiskussion führen. Eine Diskussion dreht sich um den Gesetzentwurf, der schon seit Mitte des Jahres diskutiert wird, aber jetzt in vielen Bereichen obsolet geworden ist, weil eine Bankenunion geschaffen werden soll, eine andersartige europäische Bankenaufsicht. Wir führen hier eine Debatte über drei Vorlagen und somit drei unterschiedliche Diskussionen. Ich will zuerst etwas zur Frage der Bankenunion sagen. Gestern war Herr Draghi zu Besuch, und ich habe ihn gefragt – leider habe ich keine Antwort bekommen –, ob er ernsthaft glaubt, dass die Europäische Zentralbank 6 000 bis 8 000 europäische Banken beaufsichtigen kann. Das kann sie nicht – das ist völlig klar –, aber trotzdem fährt der Zug im Augenblick immer noch in diese Richtung. In der Tat ist nicht erkennbar, dass sich die Bundesregierung diesem Prozess wirklich widersetzt. Im Augenblick sieht es so aus, als ob zum 1. Januar 2013 zuerst nur die systemrelevanten Banken dran sind und danach, bis Ende nächsten Jahres, eben andere hinzukommen sollen. Das ist für uns völlig inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]) Ich will in diesem Zusammenhang nur einmal darauf hinweisen: Wir in Deutschland waren und sind stolz auf die Allfinanzaufsicht, aber sehen da noch Schwierigkeiten. Wir brauchen eine Organisationsuntersuchung bei der BaFin, weil wir wissen, dass die Verschränkungen zwischen Banken und Versicherungen immer noch nicht genug in den Blick genommen werden, dass es da noch Fehler gibt. Wenn man all dies in einem europäischen Prozess zur EZB verlagert, haben wir wieder nur eine Bankenaufsicht und nicht mehr die Allfinanzaufsicht. Das wäre ein Riesenproblem; das ist für meine Begriffe nicht akzeptabel. (Beifall bei der LINKEN) Ein zweiter Punkt, der ganz wichtig ist, betrifft nicht die Organisation, sondern den Inhalt der Aufsicht. Da stellen wir fest, dass der Inhalt der Aufsicht vor dem Hintergrund dessen, was notwendig wäre, nach wie vor völlig unzureichend ist. Der ganze Bereich der Schattenbanken, also derjenigen Institute, die über Geld in Billionenhöhe verfügen, aber nicht dem Kreditwesengesetz unterworfen sind, wird nach wie vor nicht kontrolliert. Geschäftsmodelle von Banken werden nach wie vor nicht zur Disposition gestellt. Das bleibt völlig unzureichend und kann aus unserer Sicht so nicht bleiben, sondern muss unbedingt angegangen werden. Der letzte Punkt betrifft den Änderungsantrag der Grünen, dem wir zustimmen werden, und die Frage des Verbraucherschutzes. Ich muss sagen: Ich halte es schon für eine Zumutung, dass die FDP von einer Finanz-Stasi spricht, wenn man versucht, Zockerprodukte, die nach wie vor auf dem Markt sind, auszumachen und zu verbieten. Das, was von der Bundesregierung vorgelegt wird, sorgt für einen sehr schwachen finanziellen Verbraucherschutz; es entspricht bei weitem nicht dem, worüber diskutiert wurde. Wir haben gesagt: Wir brauchen eine Art Finanzwächter, die gemeinsam mit Vertretern des Verbraucherschutzes die Märkte beobachten. Wir brauchen letztlich so etwas wie einen Finanz-TÜV. Dann brauchen wir nämlich auch keine sogenannte Finanz-Stasi. Denn Finanz-TÜV heißt in diesem Fall: Es gibt nur Geschäftsmodelle und Produkte, die vorher genehmigt worden sind. Nicht alles ist so lange erlaubt, bis es irgendwann einmal verboten ist, und bevor wir überhaupt ein entsprechendes Gesetz verabschieden können, haben -Anwaltskanzleien schon wieder ein Alternativprodukt erfunden. Das alles wird mit diesem Gesetz nicht geregelt. Insofern ist zu befürchten, dass in den nächsten Wochen noch sehr viel Hektik auf uns zukommt, wenn es um die europäische Ebene geht. Mit diesem Gesetz wird man dem aber noch nicht einmal in Ansätzen gerecht. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Dr. Gerhard Schick. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: -Immer der Gleiche! – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Die haben nur einen!) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei wenigen Gesetzentwürfen der Bundesregierung ist der Unterschied zwischen dem, was einmal gesagt worden ist, und dem, was jetzt auf dem Tisch liegt, so groß wie hier; ich finde es gut, dass Kollege Sänger das offen angesprochen hat. Ich will klarmachen, was das bedeutet. In sehr vielen Debatten zur Finanzkrise über Monate und Jahre hinweg hat die FDP-Fraktion behauptet, dass die Arbeitsteilung zwischen BaFin und Bundesbank, wie sie unter Rot-Grün entstanden ist, ein großes Defizit -darstellt. Nach einem Prozess des Nachdenkens stellen Sie fest, dass wir damals die richtige Struktur geschaffen haben, und deswegen wollen Sie sie beibehalten. Das muss einmal festgehalten werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Weil die Zeit knapp ist, möchte ich auf die für uns zentrale Schwäche des Gesetzentwurfes eingehen, obwohl es viele andere Punkte gibt, die wir im Ausschuss ebenfalls thematisiert haben. Es geht um die Frage: Ist die Finanzaufsicht in Deutschland nur dafür da, sich um die Stabilität der Institute zu kümmern? Sollte ihre zentrale Aufgabe nicht auch darin bestehen, die Kunden als Gruppe vor Fehlverhalten von Banken, Versicherungen und Fonds zu schützen? Was macht die Koalition? Völlige Fehlanzeige! Lassen Sie mich durch zwei, drei internationale Vergleiche deutlich machen, was passiert. In Frankreich nutzt die Finanzaufsichtsbehörde das Beschwerdemanagement aktiv, um herauszufinden, was los ist. In Deutschland lässt man diesen Bereich verkümmern, man streicht sogar noch Stellen. In Großbritannien wird eine neue Finanzaufsichtsbehörde, die Financial Conduct -Authority, geschaffen, die die Erlaubnis hat, Finanzprodukte zu verbieten und sofort vom Markt zu nehmen. Genau das wäre auch in Deutschland nötig, aber das wollen Sie nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die SEC in den USA kann Sammelklagen initiieren. Sie kann die Finanzinstitute auch dazu zwingen, Schadenersatz an die Anleger zu zahlen, zum Beispiel für Zertifikate, die die Citibank vertrieben hat. Warum erhält nicht auch eine Aufsichtsbehörde in Deutschland die Möglichkeit, die Kunden so zu schützen, wie das in anderen Ländern der Fall ist? Warum muss es so sein, dass der Anleger, der Kunde auf dem Finanzmarkt in Deutschland so viel schlechter geschützt ist als in anderen Ländern? Das sehen wir nicht ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir haben in die Beratungen im Ausschuss einen -Änderungsantrag zum Gesetzentwurf eingebracht, der zum Ziel hat, das Aufgabenfeld der Aufsicht zu erweitern. Die BaFin soll auch für Kundinnen und Kunden -zuständig sein. Sie haben das abgelehnt. Da sieht man, bei wem in diesem Haus Kundinnen und Kunden in guten Händen sind, nämlich beim Bündnis 90/Die Grünen und nicht bei dieser Koalition. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. Olav Gutting [CDU/CSU]) Jetzt legen wir Ihnen einen Änderungsantrag vor. Kollege Sänger hat gesagt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. – Zu Beginn dieser Legislaturperiode hat die Ministerin für Ankündigungen und leere Drohungen, Ilse Aigner, viel über Testkäufe gesprochen. Sie haben das sogar in den Haushaltsplan der BaFin eingestellt. Auf Kleine Anfragen konnten wir erfahren, was Sie Groß-artiges vorhaben. Auch die Sprecherin des Finanzministeriums hat 2010 noch gesagt: Das bereiten wir ganz konkret vor. – Inzwischen ist keine Rede mehr davon. Auch die Haushaltsansätze enthalten keine entsprechende Position. Als es um die Kontrolle der Beratungsqualität ging, haben Sie den Mund sehr voll genommen. Sie liefern aber nichts. Deswegen legen wir Ihnen jetzt einen Änderungsantrag vor, der die gesetzliche Grundlage für Testkäufe schaffen soll. Wir intendieren damit nicht, den Berater zu kontrollieren. Das Entscheidende ist, dass wir falsche Vertriebsstrukturen und provisions-orientierte Fehlberatung beseitigen. Die BaFin soll die Möglichkeit bekommen, das zu unterbinden, weil Falschberatung die Kundinnen und Kunden in Deutschland jedes Jahr Milliarden kostet. Das muss beendet werden. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Ralph Brinkhaus von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir verabschieden hier heute ein Gesetz, mit dem die Aufsichtsstrukturen und der Verbraucherschutz in Deutschland ver-bessert werden. (Zuruf von der SPD: Schön wäre es!) Mit diesem Gesetz werden übrigens auch – darüber hat bisher noch keiner gesprochen – die Vergütungsstrukturen innerhalb der BaFin verbessert, (Manfred Zöllmer [SPD]: Doch! Doch! Doch!) damit wir gute Leute für diese Arbeit finden und die guten Leute, die dort arbeiten, gehalten werden können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dieser Gesetzentwurf wurde von der Opposition kritisiert. Ich fange mit dem Kollegen Zöllmer an, der sich ein bisschen widersprochen hat. Er hat gesagt: Warum macht ihr dieses Gesetz eigentlich? Auf europäischer Ebene passiert da doch so viel. – Okay. Das würde aber bedeuten: keine Verbesserung der Vergütungsstruktur bei der BaFin und kein verbesserter Verbraucherschutz. Dann würden wir auch nicht so etwas Sinnvolles wie den Stabilitätsrat einführen, der hier in Deutschland schauen soll, ob es systemische Risiken gibt – Stichwort „Immobilienblase“ –, ob es Probleme bei Versicherungen, Bausparkassen oder mit Mittelstandskrediten gibt. Herr Zöllmer, ich hielte das für fahrlässig. Zweiter Punkt. Es wird kritisiert, dass wir uns von der ursprünglichen Ankündigung, eine integrierte Aufsicht bei einem Institut anzusiedeln, also eine Art Kombination aus Bundesbank und BaFin einzurichten, verabschiedet haben. Das ist richtig. Das war ein langer Erkenntnisprozess. Durch all die Probleme, die jetzt dadurch auf uns zukommen, dass bei der EZB genau das gemacht werden soll – es geht um die Trennung von Geldpolitik und Aufsicht; damit sind Fragen der Unabhängigkeit und der Abgrenzung verbunden –, sind wir doch eigentlich nur bestätigt worden. Viele Probleme sind also nicht gelöst, und deswegen lösen wir die Probleme, die wir hier in Deutschland lösen können, und zwar jetzt sofort. Genau das machen wir mit diesem Gesetzentwurf. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dann wurde das Thema Verbraucherschutz angesprochen. Wir werden gleich feststellen, dass es diesbezüglich einen kleinen Wertungswiderspruch zwischen Herrn Zöllmer, der dieses Gesetz nicht haben will, und Frau Tack gibt – sie wird nach mir für die SPD sprechen –, die sagt: Wir brauchen noch viel mehr Verbraucherschutz im Rahmen der BaFin. Der Kollege Schick hat angeführt, dass es klasse internationale Beispiele gibt, beispielsweise die Financial Conduct Authority, die zeigt, wie in Großbritannien Verbraucherschutz gemacht wird. Im Handelsblatt steht in dieser Woche ein schönes Zitat des designierten Chefs der Financial Conduct Authority: Wir sorgen dafür, dass die richtigen Finanzinstitute die richtigen Produkte über die richtigen Vertriebswege an die richtigen Kunden verkaufen. – Da kann ich nur noch brechen. Das ist eine unglaubliche Geschichte. Das ist totalitärer Paternalismus. Das ist ein Rückfall in sozialistische Zeiten. Heute schreiben sie uns vor, welche Finanzprodukte richtig sind, morgen schreiben Sie uns vor, was wir zu essen haben, und übermorgen, was wir zu reden haben. Das werden wir nicht dulden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Man muss doch einmal schauen, was für ein Menschenbild dahintersteht. Das ist nicht unser Menschenbild. Wenn man dann noch so tut, lieber Kollege Schick, als wenn in den Bereichen Verbraucherschutz und Aufsicht nichts gemacht worden wäre, dann zeigt das nur, dass die Grünen nicht wahrgenommen haben, was in den letzten drei Jahren gemacht worden ist. In den letzten drei Jahren ist nämlich eine ganze Menge gemacht worden. Wenn Sie dann auch noch behaupten, dass der kollektive Verbraucherschutz bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht nicht verankert ist, dann zeugt das schlichtweg von einer Fehlwahrnehmung. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat das öffent-liche Interesse zu wahren. Das ist kollektiver Verbraucherschutz. Insofern ist dieses Gesetz eine Klarstellung, eine Erweiterung und gut und richtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die ganze Diskussion, die wir über diesen Gesetzentwurf führen, zeigt das ganze Elend der Opposition in den letzten drei Jahren. Es wird nur kritisiert, nach mehr Daten gefragt, genörgelt, problematisiert und gesagt, worüber man sonst noch alles diskutieren könnte. In der Zeit, in der Sie sich hier am Herumnörgeln ergötzt haben, haben wir Folgendes gemacht: Wir haben europäisches Recht umgesetzt, und wir haben viele deutsche Gesetze auf den Weg gebracht. Nur eine kleine Auswahl dessen, was wir gemacht haben: Wir haben die Vergütungsstrukturen reguliert; da haben wir geliefert. Regulierung der Ratingagenturen: Da haben wir geliefert. Regulierung der Großkredite: Da haben wir geliefert. Regulierung der Verbriefungen: Da haben wir geliefert. Regulierung des grauen Kapitalmarkts: Auch da haben wir geliefert. Neuordnung der nationalen Finanzaufsicht: Da haben wir geliefert. Neuordnung der europäischen Finanzaufsicht: Auch da haben wir geliefert. Bankenrestrukturierungsgesetz: Da haben wir geliefert, und zwar als erstes Land in Europa und in der Welt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Beteiligung der Banken an den Kosten der Krise: Wer hat die Bankenabgabe eingeführt? Wir waren es. Wir haben reguliert. Wir haben geliefert. (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Wir können die Liste noch weiterführen. Neuordnung der Eigenkapital- und Liquiditätsregeln für Banken: Wir haben geliefert. Wir warten auf die europäische Umsetzung. Das Zeug steht auf der Rampe und muss nur abgeholt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Neuordnung der Versicherungsaufsicht, Solvency II: Auch dazu haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt und warten auf die europäische Endfassung von Regelungen. Auch da haben wir geliefert. Auch das steht auf der Rampe und kann abgeholt werden. Auch da haben wir geliefert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Es gibt gar nicht so viel Redezeit für den Kollegen Brinkhaus, wie er braucht!) Das Ganze geht noch weiter. Denn wir haben nicht nur geliefert, sondern wir sind auch in der Produktion. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Wir werden nächste Woche einen Vorschlag zur Umsetzung der europäischen Richtlinie zur stärkeren Regulierung der OTC-Derivatemärkte vorlegen, dieses großen Finanzmarktbereiches, der uns allen so viel Sorgen bereitet. Nächste Woche ist die erste Lesung. Auch da werden wir liefern. (Zurufe von der SPD: Oh!) Hochfrequenzhandel: Das ganze Projekt wird noch vor der Winterpause von uns vorgelegt werden. Auch da werden wir liefern. Regulierung der alternativen Investmentfonds: Auch da werden wir liefern. Auch da wird etwas vorgelegt werden. Ich könnte die Liste noch stundenlang weiterführen. Fakt ist: Wir haben bei der Finanzmarktregulierung geliefert, und zwar nicht nur heute mit diesem Gesetzentwurf, sondern auch schon in der Vergangenheit. Ihr großer Regulierer, der hier in den letzten drei Jahren kaum vertreten war – ich sehe ihn auch gerade jetzt nicht; wahrscheinlich ist er wieder anderweitig unterwegs –, führt nur große Worte im Mund. Insofern kann ich nur zu einem auffordern: Nörgeln Sie nicht an diesem Gesetzentwurf herum! Machen Sie es besser oder stimmen Sie heute zu! Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Tack von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Kerstin Tack (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Brinkhaus, Ihre Rede war relativ laut. Da Sie von Elend gesprochen haben: Ja, auch das war relativ elend. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will sagen: Sie haben völlig recht. Ich betrachte das, was wir hier heute beschließen sollen, aus verbraucherpolitischer Sicht. Es entspricht, wenn man Ihnen und der FDP glauben soll, nicht einmal ansatzweise dem, was Frau Aigner als Ministerin und die Kollegen aus der Regierungskoalition versprochen haben, als sie im Koalitionsvertrag eine effizientere Aufsicht angemahnt haben. Wir wollen, dass Verbraucherschutz explizit als Ziel der Finanzaufsicht festgeschrieben wird. Wir wollen nicht, dass er nur in der Begründung eines Gesetzentwurfes steht, sondern wir wollen, dass er als Ziel in einem Gesetz festgeschrieben wird. (Beifall bei der SPD) Herr Schick, machen Sie es nicht zum Alleinstellungsmerkmal der Grünen. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Okay!) – Okay. – Dieses Ziel muss fest definiert werden. Diese Auffassung eint uns; (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bei Herrn Steinbrück fehlt der Verbraucher!) daher sollten wir uns nicht gegenseitig die Show stehlen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie können uns gar keine Show stehlen!) Wir in der Opposition sind uns sehr einig, dass dieses Ziel festgeschrieben werden muss. Wir sind uns auch sehr einig in dem Punkt, dass wir die Finanzaufsicht dadurch stärken können, dass wir ihr einen Finanzmarktwächter zur Verfügung stellen. Es geht um die Stärkung der Verbraucherzentralen, die genau das tun sollen, was sie am besten können: Sie sollen beraten. Sie sollen zusammentragen. Sie sollen informieren. Sie sollen aber ihre Erkenntnisse auch an die Aufsichtsbehörden geben können, damit Aufsichtsbehörden tätig werden müssen. (Beifall bei der SPD) Genau dafür treten wir ein. Wir sehen, dass die BaFin auch im Interesse des Verbraucherschutzes tätig werden muss. Wir sind uns sicher – zumindest in den Opposi-tionsreihen –, dass ein Finanzmarktwächter eine sinnvolle, hilfreiche und gelingende Ergänzung zur staatlichen Marktaufsicht ist. (Beifall bei der SPD) Der Verbraucherbeirat, der hier schon mehrfach positiv erwähnt wurde, wird ausschließlich in der Gesetzesbegründung genannt und hat keinerlei Rechte, weder Informations- noch Anhörungsrechte. Wir wollen mehr. (Beifall bei der SPD) Ferner wollen wir, dass die blinden Flecken endlich beseitigt werden. Wir wollen, dass alle, auch die freien Finanzvermittler und künftig auch die Honorarberater, unter die Aufsicht der BaFin fallen. Auch das wäre in Ihrem Sinne, würden Sie Ihren Koalitionsvertrag ernst nehmen. (Beifall bei der SPD) Zur Frage von Testkäufern wurde von der Grünen-Fraktion ein eigener Antrag eingebracht. Auch wir wollen Testkäufer, und wir stehen damit nicht allein: Noch Anfang des Jahres hat die Verbraucherministerin, Frau Aigner, landauf, landab gefordert, dass die BaFin Testkäuferinnen und Testkäufer einsetzt. (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Bis heute gibt es solche Testkäufer nicht. Die Ministerin kann sich nicht verteidigen: Sie ist nicht da. Heute würde sie wahrscheinlich anders reden. Aber das war ihre Forderung, diese Forderung hat sie Anfang des Jahres gestellt. Heute will die Koalition davon nichts mehr wissen. Auch das hat etwas mit Elend zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sehr geehrte Damen und Herren, wenn wir heute diesen Gesetzentwurf ablehnen, dann hat das viele Gründe, nicht nur den Verbraucherschutzgrund. Es hat explizit auch den Grund, dass wir aus Europa etwas zu erwarten haben. Wir regeln besser dann, wenn wir wissen, was auf uns zukommt. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11119, den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksachen 17/10040 und 10252, in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11172 vor, über den wir zuerst abstimmen. Zu diesem Änderungsantrag hat die Fraktion der Grünen namentliche Abstimmung beantragt. Anders als ursprünglich aufgeführt, ist der Antrag auf namentliche Abstimmung zum Änderungsantrag der Grünen gestellt worden. Damit es hier keine Missverständnisse gibt, sage ich es noch einmal: Wir stimmen in namentlicher Abstimmung über den Änderungsantrag der Grünen ab. Das heißt, Sie müssen anders abstimmen, als es ursprünglich vorgesehen war. Damit das ganz klar ist, wiederhole ich es zum dritten Mal: Es gibt einen Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, dass über ihren Änderungsantrag namentlich abgestimmt wird. Das heißt, wer für den Änderungsantrag der Grünen ist, muss mit Blau stimmen, wer dagegen ist, muss mit Rot stimmen. Ich hoffe, dass es jetzt jeder verstanden hat. Auf Wunsch würde ich es auch ein viertes Mal wiederholen. Sind die Schriftführerinnen und Schriftführer auf ihren Plätzen? – Ich eröffne die Abstimmung und bitte, die Stimmkarten einzuwerfen. Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarten eingeworfen, oder gibt es Kolleginnen und Kollegen, die das noch nicht getan haben oder die noch Entscheidungshilfe benötigen? – Nein. Wenn alle Kolleginnen und Kollegen ihre Karten eingeworfen haben, dann schließe ich den Wahlgang. Bevor wir fortfahren können, müssen wir selbstverständlich das Ergebnis abwarten. Ich möchte gleich darauf hinweisen, dass wir nachher über den Gesetzentwurf nicht namentlich abstimmen, sondern, wie üblich, durch Handzeichen und in dritter Lesung durch Erheben vom Platz. Ich unterbreche die Sitzung, bis das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorliegt. (Unterbrechung von 18.17 bis 18.24 Uhr) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht bekannt: abgegebene Stimmen 560. Mit Ja haben gestimmt 123, mit Nein haben gestimmt 313, Enthaltungen 124. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 558; davon ja: 123 nein: 311 enthalten: 124 Ja SPD Ulla Burchardt DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Da?delen Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Birgitt Bender Agnes Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Rolf Hempelmann FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Enthalten SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Wolfgang Hellmich Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Ralph Lenkert Wir kommen nun zum Gesetzentwurf in der Ausschussfassung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von SPD und Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenergebnis angenommen. Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zu dem Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 17/11173. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt, gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und bei Enthaltung der Linken und der Grünen. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zukunft des Mautkonzeptes in Deutschland – Drucksachen 17/9623, 17/11098 – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Uwe Beckmeyer von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Uwe Beckmeyer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Sinn dieser Großen Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion war es, etwas über die Pläne der amtierenden Bundesregierung zur Zukunft des Mautkonzeptes in Erfahrung zu bringen. Uns liegt nach sechs Monaten des Wartens jetzt eine Antwort vor. Ich hoffe nur, dass sie auch der Bundesverkehrsminister als Person gelesen hat. In der Rubrik „Neues aus dem Sommerloch“ sind Sie, Herr Minister, mit verschiedensten Initiativen fest gebucht. Aber diesmal, denke ich, geht es um den jährlichen Ruf der CSU nach Einführung einer Pkw-Maut, dem, so erscheint es mir, mit der Antwort der Bundes-regierung zumindest für diese Legislaturperiode endgültig eine Absage erteilt wird. Es wird auch mit einer zweiten Mär aufgeräumt, die Sie immer wieder in die deutschen Lande streuen, nach der Melodie: Hätten wir doch eine Vignette, könnten wir für eine Kompensation für inländische Autofahrer sorgen. Auch da heißt es in der Antwort der Bundesregierung – nicht Ihres Hauses, sondern der gesamten -Bundesregierung –, dass dies einen Verstoß gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot darstellen könnte. Um es einmal klarzustellen: Auch hier haben Sie eine kurzfristige mediale Lufthoheit gehabt; aber verantwortliche Politik sieht anders aus. Ich denke, eine verantwortliche Politik kümmert sich um die Finanzierung der Infrastruktur in Deutschland. Das aber vermissen wir bei Ihnen. (Beifall bei der SPD) Beenden Sie diese Geisterdebatten; sonst werden Sie irgendwann einmal der letzte Pkw-Maut-Dino. Was ich gut finde – allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt, dass Sie sich hier ein Hintertürchen offenhalten –, ist, wenn Sie sagen: In meinem Hause gibt es keine Denkverbote. – Ich bin der Meinung: Das ist schon einmal gut. Entweder muss der Minister denken oder das Haus. Aber wenn Sie Aufträge erteilen, dann bitte ich um Folgendes: Erstens. Lassen Sie doch einmal darüber nachdenken, wie Sie die teilweise selbst verursachten enormen Mindereinnahmen durch das Mautmoratorium abstellen. Die Addition der Mindereinnahmen von 2009 bis Mitte 2012 betragen überschlägig mehr als 500 Millionen Euro. Hier ist Handlungsbedarf, Herr Minister. Darauf komme ich noch zurück. Zweitens. Lassen Sie doch bitte einmal darüber nachdenken, wie Sie eine Lkw-Maut auf allen Bundes-, Landes- und Gemeindestraßen mit welchem technischen, mit welchem elektronischen System, ob nun mit Toll Collect oder nicht, realisieren können. Drittens. Lassen Sie doch einmal darüber nachdenken, mit welchen rechtlichen Vereinbarungen Sie nach August 2015 mit Toll Collect oder anderen weiterarbeiten wollen. Viertens. Lassen Sie doch einmal darüber nachdenken, wie Sie und vor allem wann Sie endlich die durch die EU-Wegekostenrichtlinie empfohlene Anrechnung externer Kosten des Straßengüterverkehrs auch in Deutschland im Rahmen der Nutzerfinanzierung einführen wollen. Ausweislich der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage haben Sie über all das bisher nicht nachgedacht. Denn auf unsere Frage, ob eine mögliche „Anlastung externer Kosten des Verkehrs Teil der Vertragsverhandlungen mit der Mautbetreiberfirma“ war, antwortet die Bundesregierung mit einem schlichten Nein. Was mich beim Lesen Ihrer Antworten fassungslos gemacht hat, ist, dass Sie überhaupt keine Prognosezahlen haben, was denn wäre, wenn zum Beispiel alle Straßen bemautet werden. Dazu gibt es in Ihrem Haus keine Zahlen. Ich finde das abenteuerlich. Ich muss ganz ehrlich sagen: So wird die Fortentwicklung des Mautsystems von Ihnen ausgebremst. Wenn Sie am Ende dieser Legislaturperiode abtreten, sind das vier verlorene Jahre. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ich möchte an dieser Stelle die Koalition wirklich darum bitten, im letzten Jahr vielleicht noch ein wenig Kraft aufzubringen, um bei der Frage der Infrastrukturfinanzierung endlich in die Spur zu kommen. Die Ausweitung der Maut, ob auf andere Fahrzeugklassen oder andere Strecken, ist bei Ihnen nicht gut aufgehoben. Die entsprechenden Voraussetzungen hierzu erfüllen Sie nicht. Die Koalition hat die Fortentwicklung des Mautsystems offenkundig gar nicht auf der Agenda. Außerdem haben Sie keine Prognosen zur Mautausweitung, kein Konzept und keine Idee für Kostengerechtigkeit. Damit haben Sie im Grunde die Zukunftsfragen dieser Republik in diesem Themenfeld missachtet. Greifen Sie dem Minister endlich ins Steuer, sofern Sie das noch können! Ansonsten fährt der Minister weiter in die falsche Richtung. Der ADAC spottet: Populismus bayerischer Provinzpolitik. – Das ist das Ergebnis und die Summe dessen, was wir hier erfahren haben. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Karl Holmeier von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Karl Holmeier (CDU/CSU): Sehr verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich betonen, dass im ersten Absatz der Vorbemerkung der Großen Anfrage der SPD absolut zutreffende Feststellungen getroffen werden. Die deutsche Verkehrspolitik steht vor gewaltigen Herausforderungen, vor allem bei der Straßeninfrastruktur. Dies haben wir allerdings schon zu Beginn der Legislaturperiode erkannt. Hierzu hätten wir keine Große Anfrage der SPD gebraucht. (Lachen beim Abg. Uwe Beckmeyer [SPD]) So heißt es bereits im christlich-liberalen Koalitionsvertrag: Erhalt sowie Neu- und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sind weit hinter dem Bedarf zurückgeblieben. Wir meinen damit die Zeit, in der die SPD Regierungsverantwortung trug. Sie ziehen daher falsche Schlussfolgerungen in Ihrer Großen Anfrage, werte Kolleginnen und Kollegen der SPD. (Florian Pronold [SPD]: Wenn man Fragen stellt, zieht man keine Schlussfolgerungen!) Es war Ihre Politik, die die heutigen Engpässe verursacht hat. Es war die Politik der SPD-Verkehrsminister, die es über zehn Jahre hinweg versäumt haben, sich um den Erhalt der Bundesstraßen, der Bundesautobahnen und der zahlreichen Brücken zu kümmern. Der CSU-Verkehrsminister Dr. Peter Ramsauer muss heute die Suppe auslöffeln, die die SPD ihm eingebrockt hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Oh, der Arme!) Doch anstatt sich in Ihrer Großen Anfrage wenigstens in großer Demut zu üben, schieben Sie die Schuld einfach auf die Bundesregierung. So einfach geht es nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Schuld an der Misere ist nicht das Mautmoratorium. Schuld ist allein die SPD. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Um eines klarzustellen: Die christlich-liberale Koalition steht hinter dem Mautmoratorium; denn wir haben eine gesamtstaatliche Verantwortung gegenüber dem Speditionsgewerbe in Deutschland. Die deutschen Spediteure sind einem ungeheuer harten internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Ihre Gewinnmargen sind minimal. Spielraum gibt es kaum. Wir alle in unserem Land sind auf die deutschen Spediteure angewiesen, um die Wirtschaft und die Bevölkerung mit Gütern zu versorgen. Die christlich-liberale Koalition hat deshalb beschlossen, die Lkw-Maut nicht weiter zu erhöhen. Wenn Sie sich anschauen, wie sich das Mautmoratorium auf die Einnahmesituation des Bundes ausgewirkt hat, so werden auch Sie erkennen, dass darin mit Sicherheit nicht der Grund liegt für den schlechten Zustand der Straßen und Brücken in Deutschland. Klar ist: Wir haben eindeutig zu wenig Geld für neue Investitionen. (Florian Pronold [SPD]: Was haben Sie denn in den letzten Jahren gemacht?) – Ich sage es Ihnen gleich. – Deshalb haben die Verkehrspolitiker der Koalition bereits im vergangenen Jahr eine zusätzliche Milliarde erkämpft, (Lachen bei Abgeordneten der SPD) und auch für das kommende Jahr 2013 bin ich sehr zuversichtlich. Mit dem Finanzierungskreislauf Straße haben wir außerdem einen historisch wichtigen Schritt für mehr Unabhängigkeit im Verkehrsetat getan. Einen weiteren wichtigen Schritt, meine sehr verehrten Damen und Herren, könnten wir gehen, wenn wir uns auf einheitliche europäische Regelungen einschließlich der Einführung einer Pkw-Maut in Form einer Vignette verständigen könnten. Sie sehen, dass die christlich-liberale Koalition die Probleme anpackt und Minister Ramsauer die richtigen Antworten darauf hat. Hätten die SPD-Verkehrsminister seinerzeit ebenso beherzt gehandelt, dann stünden wir heute besser da. Das steht eindeutig fest. Wären die SPD-Verkehrsminister seinerzeit nicht so viele grenzüberschreitende Verpflichtungen eingegangen, so hätten auch wir heute mehr Geld für den Straßenbau. Und hätte sich der SPD-Verkehrsminister Stolpe seinerzeit nur halb so viele Gedanken über die Ausgestaltung des Betreibervertrages mit Toll Collect gemacht wie Sie in Ihrer Großen Anfrage, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann müssten wir heute nicht in zwei Schiedsverfahren über mehrere Milliarden Euro streiten. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Holmeier, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pronold? Karl Holmeier (CDU/CSU): Gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. Florian Pronold (SPD): Herr Kollege Holmeier, Sie haben gerade wieder für die schwarz-gelbe Koalition proklamiert, dass Sie an der Einführung einer Pkw-Maut festhalten wollen. Wird diese Regierung, die die Antworten zu dem vorliegenden Fragenkatalog gegeben hat, von Ihnen noch getragen, und können Sie mir sagen, welche Antwort unter Punkt 87 auf die Frage steht, ob diese Regierung die Einführung einer Pkw-Maut verfolgt? Karl Holmeier (CDU/CSU): Die Regierung wird von mir und natürlich von uns allen bestens getragen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ziel ist, insgesamt mehr Geld für Verkehrsprojekte im Bereich Straße zu bekommen. Dabei ist die Vignette irgendwann eine Alternative. (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Florian Pronold [SPD]: Sie sollten die Antworten Ihrer Regierung zu den Fragen lesen!) – Ich habe sie gelesen. (Florian Pronold [SPD]: Aber nicht zur Kenntnis genommen!) Ich sage nochmals zur Klarstellung: Die Schiedsverfahren gibt es nur deshalb, weil Herr Stolpe als Verkehrsminister dilettantisch verhandelt hat, weil er keine klaren und eindeutigen vertraglichen Regelungen für den Fall der verspäteten Einführung der Lkw-Maut getroffen hat, (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist Quatsch!) und weil er und seine SPD sich von Toll Collect über den Tisch haben ziehen lassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD) Wenn ich mir die Fragen in der Großen Anfrage so durchlese, komme ich zu dem Schluss, dass sich ein SPD-Verkehrsminister jederzeit wieder über den Tisch ziehen lassen würde. Mit Ihren Fragen, warum man jetzt eigentlich einen Beratervertrag für die Maut 2015 braucht und was ein solches Beraterteam eigentlich machen soll, geben Sie klar zu erkennen, dass Ihnen die Bedeutung einer rechtssicheren Vertragsgestaltung immer noch nicht bewusst ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dazu kann ich nur sagen: Große Ahnungslosigkeit in der Großen Anfrage der SPD. (Florian Pronold [SPD]: Wer schreibt Ihnen denn solche Reden auf?) Nur gut, meine sehr verehrten Damen und Herren der Opposition, dass Sie auch im nächsten Jahr nach der Bundestagswahl wieder auf der Oppositionsbank sitzen werden. So kann Minister Ramsauer einen ordentlichen neuen Betreibervertrag aushandeln. Ich sage Ihnen im Voraus: Damit wird die Maut 2015 ein Erfolg. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin Sabine Leidig. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ein bisschen unzufrieden mit dieser Großen Anfrage, weil sie vor allen Dingen darauf fokussiert, wie man den Güterverkehr am Rollen halten kann. Ich glaube, dass ein großer Teil der Güterverkehre überhaupt nichts mehr mit dem Wohlstand und der Lebensqualität der Bevölkerung zu tun hat. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ah ja! Gewagte These!) Ein großer Teil findet zwischen einzelnen Betriebsteilen großer Firmen statt. Ein anderer Teil entfällt auf den Austausch von Waren derselben Qualität: Milcherzeugnisse im Wert von 5 Milliarden Euro werden eingeführt; gleichzeitig werden Milcherzeugnisse im Wert von 4 Milliarden Euro ausgeführt. Alles findet mit Lkw statt. Das ist nichts, was wir wünschenswert finden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Oliver Luksic [FDP]: Wir sind Exportweltmeister!) Die Lkw-Kolonnen sind eine Last. Heutzutage fühlt sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung durch Verkehrslärm und Folgen des Güterverkehrs beeinträchtigt. Die Maut ist bei weitem nicht hoch genug – das ist völlig klar –, und das sagen selbst die Studien aus dem Verkehrsministerium. Heute werden 18 Cent pro Kilometer auf der Autobahn bezahlt. Allein die Wegekosten, also die Kosten für Bau und Erhalt von Straßen, betragen 30 Cent pro Kilometer. Wir fordern, dass die Maut sofort auf diese Höhe angehoben und auch auf die Bundesstraßen ausgedehnt wird; das ist das Mindeste. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Auf Feldwege!) Aber eigentlich geht es darum, die Maut für Lkw so zu erhöhen, dass schrittweise wirklich die gesellschaftlichen Folgekosten damit bezahlt werden können. Worum geht es dabei? Es geht um Unfälle, um Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung, um Lärmerkrankungen, um Klimaschäden. Das alles kostet nicht nur Lebensqualität, sondern das kostet auch Geld, das die ganze Gesellschaft aufbringen muss. Die EU-Kommission hat Szenarien entwickelt. In einem Szenario hat sie nur einen kleinen Teil dieser Folgekosten einbezogen. Schon dann, wenn man nur diesen kleinen Teil einbezieht, müsste die Straßennutzungsgebühr verdoppelt werden. Interessant ist, dass die Transportgewerbetreibenden auf ihrem Gipfel vor zwei Wochen selbst gesagt haben, dass es kein Problem ist, die Maut zu erhöhen, dass man dann eben die Kosten auf diejenigen überwälzen muss, die den Gewinn davon haben. Die EU-Kommission hat auch ein Maximumszenario aufgestellt, und das finde ich ganz bemerkenswert: Darin sind unter anderem auch die Staukosten berücksichtigt. Dabei kommt die EU-Kommission zu dem Ergebnis, dass nicht 18 Cent pro Kilometer der angemessene Preis wäre, der für die Lkw entrichtet werden müsste, sondern 3 Euro pro Kilometer. Es ist so, dass bis zu dieser Summe gesellschaftlich draufgelegt wird, und das ist eine ziemlich unmittelbare Subvention der Global Player. (Oliver Luksic [FDP]: Weltverschwörung!) Schauen wir uns einmal an – auch das hat die EU-Kommission in ihrer Studie gemacht –, wie es sich in Europa ausgleichen würde, wenn man die Maut tatsächlich anheben würde: Einnahmen würden natürlich vor allen Dingen dort anfallen, wo viel Lkw-Verkehr durchrauscht, nämlich in Deutschland, in Frankreich, in der Schweiz, in Österreich, eben in den Ländern, die zentral liegen. Wenn man dann gegenrechnet, was die eigenen Verkehrsunternehmen in anderen Ländern zahlen müssten, kommt man zu dem Ergebnis, dass 20 bis 23 Milliarden Euro jährlich zusätzlich in den Bundeshaushalt fließen würden. Ich fände es wirklich gut, wenn die Bundesregierung sich mit entsprechenden Plänen beschäftigen würde. Damit könnte sie die Tradition der früheren Verkehrsminister brechen und einen neuen Weg einschlagen. Es geht darum, einen Plan zu machen, wie man tatsächlich zu einer solchen Anrechnung der gesellschaftlichen Kosten kommt. Mit den Einnahmen würden wir zum Beispiel solche Unternehmen fördern, denen es gelingt, Wertschöpfungs- und Lieferketten zu organisieren, die mit möglichst wenig Transporten und möglichst wenig Materialaufwand die Güterversorgung sicherstellen. In diesem Sinne: Weniger Verkehr ist mehr. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort der Kollege Oliver Luksic von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Florian Pronold [SPD]: Der begründet, warum Schwarz-Gelb die Pkw-Maut doch einführt!) Oliver Luksic (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen vor der Bundestagswahl Klarheit schaffen und die Mauthöheverordnung verabschieden. Die Zukunft der Lkw-Maut hängt natürlich vom Wegekostengutachten ab, das erst im nächsten Frühjahr vorliegen wird. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist doch gar nicht wahr!) Dann werden wir hier wie immer besonnen handeln. Was haben wir bis jetzt getan? (Florian Pronold [SPD]: Was haben Sie -getan?) Seit Einführung der Maut flossen die Einnahmen nicht in den Ausbau und den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur. Weniger als 10 Prozent wurden reinvestiert. Erst die christlich-liberale Bundesregierung hat der undurchsichtigen Verteilung der Mautmittel ein Ende gesetzt. Eingeführt haben wir den Finanzierungskreislauf Straße (Florian Pronold [SPD]: Ist dafür mehr Geld da?) und dafür gesorgt, dass das Aufkommen auch wirklich für die Bundesfernstraßen verwendet wird. Das ist ein Erfolgsmodell. Wir haben die unter Rot-Grün eingeführte Zweckentfremdung von Mautmitteln und damit auch die Mautlüge endlich beendet, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das Mautmoratorium – Kollege Holmeier hat es zu Recht angesprochen – ist richtig und wichtig. Es schafft Vertrauen und Verlässlichkeit für den Mittelstand, für das Transportgewerbe. Deswegen werden wir es bis zum Ende der Legislaturperiode auch dabei belassen. Liebe Kollegin Leidig, Sie fordern die Internalisierung externer Kosten. Dabei dürfen Sie aber nicht nur die Maut sehen; Sie müssen auch sehen, dass der Staat noch zahlreiche andere Steuereinnahmen aus dem Verkehrsbereich hat: Mineralölsteuer, Kfz-Steuer, Versicherungsteuern. Das blenden Sie jedes Mal aus, wenn Sie über die Maut reden. (Zurufe der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Wir ruhen uns nicht darauf aus. Wie gesagt: Wir werden das Thema Mauthöheverordnung angehen. Das ist in der Tat ein Unterschied zwischen uns und Ihnen: Wir wollen keine zusätzlichen Belastungen für das Logistikgewerbe, für den Mittelstand. Wir wollen auch nicht, wie Sie, die Ausweitung der Maut auf kleinere Fahrzeuge, weil das den Mittelstand belasten würde. Deswegen ist das unserer Meinung nach der falsche Weg, den wir nicht mitgehen, Herr Kollege Beckmeyer. Wir werden hingegen Anreize für den Einsatz von schadstoffarmen Euro-6-Lkw setzen. Das wird ein wichtiges Thema sein, das wir im nächsten Jahr angehen. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Noch weniger Maut!) Widmen wir uns nun einmal dem, was Sie alles, auch in Anträgen, im Verkehrsausschuss gefordert haben, was aber unserer Meinung nach so nicht geht: Es kann doch nicht sein, dass wir den Menschen immer mehr in die Taschen greifen. Wir müssen einmal sehen, dass wir ein Steueraufkommen aus dem Verkehrsbereich haben, das mittlerweile bei 53 Milliarden Euro liegt. Deswegen wird die FDP-Bundestagsfraktion eine Pkw-Maut, die einfach eine weitere Belastung darstellt, nicht unterstützen. (Florian Pronold [SPD]: Was hat da der Holmeier vorhin gesagt? Hat der Holmeier jetzt gelogen, oder wie?) Sie wollen mit Ihren Anträgen die Citymaut einführen. Sie wollen eine Verkehrsinfrastrukturabgabe, eine Logistikabgabe, die Erhöhung der Kfz-Steuer und die Ausweitung der Lkw-Maut. Was Sie dabei aber unterschlagen? Diese Kosten würden dann natürlich an die Verbraucher weitergegeben, weil alle Produkte teurer werden. (Florian Pronold [SPD]: Gerade leidet noch der Mittelstand, jetzt der Verbraucher! Können Sie sich einmal entscheiden?) Ihre Anträge – wir haben es einmal zusammengerechnet – bedeuten 6,5 Milliarden Euro Mehrbelastung ohne jegliche Gegenfinanzierung. Das ist keine solide Politik, die Sie im Verkehrsbereich machen. Deswegen lehnen wir das ab, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie wissen es besser! – Florian Pronold [SPD]: Schwach begonnen, stark nachgelassen!) Wir werden in dieser Legislaturperiode keine Pkw-Maut beschließen. Das steht nicht im Koalitionsvertrag. Aber wir werden natürlich dafür sorgen, dass wir die vorhandenen Mittel priorisieren. (Florian Pronold [SPD]: Was hat der Holmeier gerade erzählt? Ist sich die Koalition einmal einig? Sie müssen sich schon einmal einigen, was Sie reden!) Wir werden die private Beteiligung von Unternehmen verstärken. Wir wollen Planungs- und Genehmigungsverfahren verbessern, damit wir für einen Euro mehr gebaut bekommen. Wir werden uns im Haushaltsverfahren auch dafür einsetzen, mehr Geld für den Verkehrsinvestitionshaushalt zu bekommen. Wie gesagt: Wir werden nächstes Jahr noch einmal über das Thema Lkw-Maut diskutieren. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Ein bisschen spät!) Dann wird es letzten Endes hier noch einmal zur Debatte kommen. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen uns und Ihnen: Wir setzen auf eine solide, nachhaltige und finanzierte Verkehrspolitik. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das merkt man!) Sie hingegen wollen weitere Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger, für den Mittelstand sowie für das Gewerbe, und das ist mit dieser Koalition nicht zu machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Anton Hofreiter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Luksic, Sie haben gesagt, dass die Logistikabgabe, die ein sehr modernes Instrument war, das von Rot-Grün eingeführt worden ist, nicht -berücksichtigt habe, dass es inzwischen moderne Logistikketten gibt. Das heißt, Güter werden nicht entweder auf der Schiene, auf der Straße oder auf dem Seeweg transportiert, sondern in der Regel gibt es Logistikketten. Weiterhin haben Sie davon gesprochen, dass die Verwendung der Mautmittel unklar und intransparent war. (Oliver Luksic [FDP]: Ja, genau!) Nun: 51 Prozent sind für die Straße verwendet worden, 38 Prozent für die Schiene und 11 Prozent für die Wasserstraße. Es mag sein, dass das intransparent ist. Aber, wenn wir einmal ehrlich sind, ist das gar nicht so komplex. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Was haben Sie stattdessen gemacht? Sie setzen jetzt die Mauteinnahmen nur noch für den Verkehrsträger Straße ein. (Oliver Luksic [FDP]: Das ist Kreislauf! Das wollen Sie doch sonst auch immer! – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Die anderen kriegen Haushaltsmittel!) Ist das wirklich ein modernes Logistikkonzept, das einer der größten Exportnationen der Welt angemessen ist? Ist das wirklich angemessen für ein Land, das so stark von Export und Import abhängig ist, das so stark davon abhängig ist, dass wir die Verkehrsinfrastruktur zukunfts-fähig machen? Nein, das ist es natürlich nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Schauen wir uns einmal an, was Sie des Weiteren noch gemacht haben. Sie beklagen jedes Mal wortreich, dass die Einnahmen, dass die Gelder nicht ausreichen, um die Verkehrsinfrastruktur auszubauen. Rot-Grün hat einen guten Einnahmetopf geschaffen. Und was haben Sie als Erstes gemacht? – Sie haben beschlossen, dass dieser Einnahmetopf nicht mehr wachsen darf. Warum beklagen Sie dann das Ganze? Wie passt das zusammen? Sie sprechen auch gerne davon, dass das Ganze entsprechend marktwirtschaftlich organisiert werden muss. Das ist sicher klug und richtig. Aber Marktwirtschaft funktioniert nur dann richtig klug, wenn die Preise die Wahrheit sagen. Die Preise sagen eben nicht die Wahrheit und können damit kein vernünftiges Signal an die Märkte geben, wenn ein Teil der Kosten von der Allgemeinheit übernommen wird. Und es ist völlig unstrittig, dass ein Teil der Kosten von der Allgemeinheit übernommen wird. Das hat zur Folge, dass der Mitteleinsatz ineffizient wird. Das haben Sie noch verschärft. Nebenbei bemerkt – wenn ich es mir gestatten darf – finde ich es lustig, dass ausgerechnet die Linksfraktion in dem Fall so sehr für ein rein marktwirtschaftliches Instrument streitet. Aber wie gesagt, man darf dazulernen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Schauen wir uns einmal die Debatte insgesamt an: Der Kollege von der FDP sprach davon, dass es keine Pkw-Maut geben wird. Der Kollege der CSU, der der gleichen Partei wie der Minister angehört, sprach von der Pkw-Maut. Auch der Minister sprach des Öfteren davon. Es heißt ja, es gebe keine Denkverbote im Ministerium. Fragt man jedoch das Verkehrsministerium: „Plant die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode, die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland prüfen zu lassen?“, (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Nein!) bekommt man die Antwort: Nein. Warum reden Sie dann immer davon? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Warum beklagen Sie dann immer die nicht vorhandenen Finanzen? Warum reden Sie immer davon, dass die Österreicher endlich bei uns zahlen sollen? Irgendetwas stimmt hier nicht zwischen Worten und Taten. Was brauchen wir? Wir brauchen endlich eine moderne Verkehrspolitik, die erkennt, dass es nicht genügt, Umgehungsstraßen zu eröffnen – allerdings gibt es immer weniger neue Umgehungsstraßen – und sich dabei feiern zu lassen. Wir brauchen eine moderne Verkehrspolitik, die insbesondere die Kosten des Güterverkehrs vernünftig einbezieht, die die externen Kosten vernünftig einbezieht, damit die Marktwirtschaft funktioniert und für Logistikketten zukünftig entsprechend aufeinander abgestimmte Konzepte angeboten werden. Davon konnten wir leider bis jetzt sehr wenig erkennen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Bilger von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Steffen Bilger (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! -Zunächst herzlichen Dank an die SPD-Fraktion, dass Sie uns mit Ihrer 87 Einzelfragen umfassenden Großen -Anfrage ein umfassendes Nachschlagewerk zur Lkw-Maut in Deutschland verschafft hat. (Florian Pronold [SPD]: Wenn es etwas helfen würde!) Danke aber auch dafür, dass Sie der Bundesregierung damit die Gelegenheit gegeben haben, (Florian Pronold [SPD]: Ihr Scheitern zu erklären!) aufzuzeigen, wie gut wir in der Koalition in der Verkehrspolitik arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Lachen bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Der war gut!) Der Titel der Großen Anfrage der Sozialdemokraten lautet: „Zukunft des Mautkonzeptes in Deutschland“. Nach der Lektüre der Antwort wird klar: Mit uns hat das deutsche Mautkonzept eine Zukunft. (Florian Pronold [SPD]: Nur welche?) Sie geben uns Gelegenheit, dies noch einmal zu verdeutlichen. Zunächst will ich festhalten: Die Mautausweitung auf vierspurige Bundesstraßen stellt eine gute Regelung dar. Die Ausdehnung des Streckennetzes war schon lange -angedacht, selbst von der SPD bei der Einführung des Systems. Es waren die in der Antwort beschriebenen technischen Probleme, die einer schnelleren Einführung im Wege standen. Daran hat die Bundesregierung keine Schuld. Die Bundesregierung hat aber durch geschickte Verhandlungen mit dem Betreiber eine realistische Regelung gefunden, trotz der Differenzen wegen des Schiedsverfahrens. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Wir sehen das aber anders!) Außerdem ist es richtig und wichtig, dass der Bund verschiedene Optionen für die Zukunft des Lkw-Mautsystems für die Zeit nach 2015 ergebnisoffen prüft. Ein Schnellschuss oder eine Vorfestlegung würde hier niemandem nutzen. Steigende Mauteinnahmen sind gut und wichtig. Sie sind dringend nötig, um unsere Infrastruktur funktionsfähig zu erhalten. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verhindern Sie doch gerade!) Dabei sollte uns aber auch wichtig sein, und das sollte man noch einmal verdeutlichen: Es geht um Arbeitsplätze, es geht um den Logistikstandort Deutschland, und es geht nicht zuletzt um Kosten, die an die Verbraucher weitergegeben werden, wenn wir leichtfertig über Mauterhöhung diskutieren, ohne die Risiken abzuwägen. Ich denke, dass wir bisher einen guten Mittelweg gefunden haben, den es auch weiter zu beschreiten gilt. Meine Damen und Herren, ich finde es etwas merkwürdig, dass die SPD mit ihrer Großen Anfrage versucht, Kritik an der Bundesregierung zu üben, ohne anscheinend selbst zu merken, woher die Grundprobleme beim Mautkonzept kommen. Wenn damals unter einem SPD-Bundesverkehrsminister sauber gearbeitet worden wäre, würde es heute dieses Schiedsverfahren mit -seinem ungewissen Ausgang und seinen exorbitanten Kosten vermutlich gar nicht geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Uwe Beckmeyer [SPD]: Wir haben wenigstens eine Maut geschaffen! Sie haben nichts geschaffen!) Fast 100 Millionen Euro wurden bisher schon für dieses Mautschiedsverfahren ausgegeben. Damit hätte man etliche Umgehungsstraßen bauen können. (Zuruf von der FDP: Genau!) Ich will aber nicht nur sagen, was schlecht war bei der SPD, sondern auch, was gut läuft im Mautsystem. Ins-gesamt pflegen wir ja doch ein konstruktives Miteinander. Die Antwort der Bundesregierung zeigt deutlich, dass das System funktioniert. Auf Mautausweichverkehre entfallen lediglich 4 Prozent, und der Anteil der Mautpreller liegt gerade einmal bei unter 1 Prozent mit sinkender Tendenz. (Florian Pronold [SPD]: Dann reden Sie einmal mit den Leuten, die an den Bundesstraßen darunter leiden!) An dieser Stelle möchte ich auch die Leistung von Toll Collect durchaus anerkennen, denn das System funktioniert mittlerweile technisch gut. Doch – das ist in den bisherigen Reden schon angeklungen – es geht nicht nur um die Lkw-Maut, sondern es geht auch allgemein um das Stichwort „Nutzerfinanzierung“. Beinahe im Wochenrhythmus stellt eine der Oppositionsfraktionen der Bundesregierung eine Frage zum Thema Pkw-Maut. Die Antwort ist, wie vorhin bereits gesagt wurde, immer dieselbe: keine Denkverbote, steht zurzeit aber nicht auf der Tagesordnung. So ist es, und so ist es auch in Ordnung, (Sören Bartol [SPD]: Super Formulierung! – Uwe Beckmeyer [SPD]: Hauptsache, ihr denkt einmal!) auch wenn wir uns im Süden – das heißt, auch der grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg – durchaus vorstellen können, eine Maut- oder Vignettenlösung einzuführen. Wir haben in den letzten Wochen wieder gehört, wie unterfinanziert die Straße ist: In der Finanzplanung bis 2016 fehlen 1,7 Milliarden Euro für laufende Vorhaben. Dazu gibt es für 7 Milliarden Euro baureife und planfestgestellte, also demnächst baureife Projekte. Darin sind die üblichen Kostensteigerungen noch nicht einmal -enthalten. Pro Mobilität schreibt dazu: „Vor allem -Menschen in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen warten auf die Lösungen ihrer Verkehrsprobleme.“ Wir reden hier nicht von Wunschstraßen regionaler Vertreter, sondern von für die Wirtschaft lebenswichtigen Bundesfernstraßen und von Umgehungsstraßen, die die Menschen von Lärm und Abgasen entlasten. Allein mit Priorisierungen, Effizienzsteigerungen und ähnlichen – durchaus auch wichtigen – Maßnahmen kommen wir nicht weiter. Deswegen: Unsere Auffassung zu diesem Thema als CDUler aus Baden-Württemberg ist klar: Es muss auch weiterhin Spielraum für -Neubaumaßnahmen geben. Da unterscheiden wir uns von dem grün-roten Weg. Und wie gesagt: Um mehr Geld für die Infrastruktur zur Verfügung stellen zu können, darf es keine Denkverbote geben. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, dass nach dem ursprünglichen Konzept der SPD ein Mehr an Mauteinnahmen noch nicht einmal dem Verkehrshaushalt zugutegekommen wäre. (Florian Pronold [SPD]: Straßen oder -Schienen oder was?) Es war – das wurde vorhin schon gesagt – Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer, der den Finanzierungskreislauf Straße eingeführt hat. Und noch einmal in aller Deutlichkeit, weil es, wie ich immer wieder feststelle, viele Bürger gar nicht mitbekommen haben: Mittlerweile kommen die Lkw-Mauteinnahmen direkt der Straßeninfrastruktur zugute. So muss es auch sein. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Und der Rest?) Vorhin wurde es bereits angesprochen, und Sie stellen jetzt auch die Frage: Was ist mit der Schiene, und was ist mit der Wasserstraße? Selbstverständlich erfolgt die -Finanzierung hierfür weiterhin aus dem Haushalt. Nicht zuletzt: Es waren die Koalitionsfraktionen und diese unionsgeführte Bundesregierung, die mit dem In-frastrukturbeschleunigungsprogramm den Mut aufbrachten, 1 Milliarde Euro zusätzlich in die Hand zu nehmen – ein Vielfaches von dem also, was durch die von der SPD beklagten Mautmindereinnahmen hereingekommen wäre. Das nenne ich Prioritätensetzung. Lassen Sie uns weiter darüber diskutieren, wie die Mittel sinnvoll eingesetzt werden und wie es uns gelingen kann, insgesamt mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung zu haben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Florian Pronold von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Florian Pronold (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe drei Minuten Redezeit. (Steffen Bilger [CDU/CSU]: Deshalb die -Zwischenfrage vorhin!) Wenn ich alle Ankündigungen von Herrn Ramsauer zur Einführung einer Pkw-Maut aus den letzten vier Jahren hier vorlesen wollte – ich habe sie hier einmal ausgedruckt –, würde das allein 30 Minuten dauern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir erleben hier ein Schauspiel, bei dem die schwarz-gelbe Koalition in gewohnter Einigkeit auftritt. Der eine sagt: Wir sind geschlossen für die Einführung der Pkw-Maut. Der andere sagt: Nein, wir werden sie nicht einführen. Der Dritte sagt: Es gibt keine Denkverbote; vielleicht sprechen wir einmal in der nächsten Wahlperiode darüber, wenn wir nicht mehr regieren. Was ergibt denn das für ein Bild? Die Bundesregierung sagt nüchtern und knapp in der Antwort auf unsere Frage 87: Es wird in dieser Wahlperiode keine Pkw-Maut geben. Da frage ich mich: Was hat denn dieser Minister drei Jahre lang gemacht? Warum debattiert er denn über die Pkw-Maut, wenn sie zum Schluss sowieso nicht kommt? Ich frage mich auch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, warum Sie die Menschen im Rahmen der Propaganda auf Ihrem Parteitag und der Anträge, die Sie dort verabschieden, belügen. (Zuruf von der CDU/CSU: Ach geh!) 7. Oktober 2011, Beschluss des CSU-Parteitages zur Einführung der Pkw-Maut mit einem ganz spannenden letzten Absatz, in dem nämlich steht: Die deutschen Autofahrer sollen nicht an den Kosten der Pkw-Maut beteiligt werden, sondern sie sollen durch andere Maßnahmen entlastet werden. Wenn das so ist, dann stellt sich erst einmal die Frage: Woher kommt denn das Mehr an Geld für die Infrastruktur? Die ausländischen Autofahrer, die 7 Prozent der Autofahrer insgesamt ausmachen, können es nicht sein; denn eine Erhebung der Pkw-Maut bei diesen würde gerade einmal die Einführungskosten erbringen. Dann lesen wir in der Antwort der Bundesregierung auf Frage 86 der Großen Anfrage, dass dies europarechtlich gar nicht zulässig ist, was übrigens CSU-Abgeordnete schon vor diesem Beschluss des Parteitages vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages bescheinigt bekommen haben. Trotzdem lügen Sie die Menschen an und sagen, das koste die deutschen Autofahrer nichts, das zahlten bloß die Ausländer, und beschließen das mit dem stellvertretenden Parteivorsitzenden der CSU und Bundesverkehrsminister auf Ihrem Parteitag. Das ist Lügen par excellence. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Lesen Sie mal die Antwort genau nach!) Dann können wir uns noch über die hier vorgebrachten Wehklagen über das fehlende Geld unterhalten. Der Kollege Beckmeyer hat schon auf Folgendes hingewiesen: Wenn Sie sagen, dass schon mit 100 Millionen Euro eine Menge Umgehungsstraßen gebaut werden können, was könnte dann mit den 500 Millionen Euro gebaut werden, die uns zusätzlich zur Verfügung stünden, wenn Sie das mit der Lkw-Maut unter Ihrer Verantwortung richtig gemacht hätten? 500 Millionen sind uns durch die Lappen gegangen. Das sind fünfmal so viele Umgehungsstraßen. (Beifall bei der SPD) Da Sie beklagen, dass auch ansonsten Geld für den Verkehrshaushalt fehlt, sage ich Ihnen eines: 1,5 Milliarden Euro haben Sie jedes Jahr im Haushalt aus dem Bereich des Verkehrs, über die Luftverkehrsteuer und über die Bahndividende, mehr eingenommen. So gut wie nichts davon ist für die Verkehrsinfrastruktur ausgegeben worden. Da helfen auch keine verkehrsträgereigenen Finanzierungskreisläufe. Es ist zu wenig Geld vorhanden. Wissen Sie, was das Schlimme ist? Schlimm ist nicht, dass Herr Ramsauer Ankündigungen macht und sie nicht einhält. Das Schlimme ist, dass dies drei verlorene Jahre für die Infrastruktur, für die Zukunft von Deutschland, für Wachstum und Arbeitsplätze waren. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes 2013 – Drucksachen 17/10000, 17/10604 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksachen 17/11190, 17/11220 – Berichterstattung: Abgeordnete Olav Gutting Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Daniel Volk Lisa Paus – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11191 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider (Erfurt) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsteuergesetzes und des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Verkehrsteueränderungsgesetz – VerkehrStÄndG) – Drucksachen 17/10039, 17/10424 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksachen 17/11183, 17/11219 – Berichterstattung: Abgeordnete Patricia Lips Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dr. Daniel Volk Lisa Paus – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11187 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider (Erfurt) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) Zu dem Jahressteuergesetz 2013 liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD, ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke, zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD und über einen Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden wir später namentlich abstimmen. Zu dem Verkehrsteueränderungsgesetz liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Olav Gutting von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Olav Gutting (CDU/CSU): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! In zweiter und dritter Lesung behandeln wir heute einen Gesetzentwurf, der es schon aufgrund seines Umfangs in sich hat. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Zusammen mit den Empfehlungen des Bundesrates waren es über 200 steuerrechtliche Maßnahmen, über die wir zu beraten hatten. Wie immer enthält das Jahressteuergesetz neben einer Vielzahl von technischen und redaktionellen Änderungen auch eine Reihe von politisch bedeutsamen Regelungen und Maßnahmen. Ein Beispiel dafür ist die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Steuerunterlagen. Im Interesse des Bürokratieabbaus, den diese Koalition konsequent durchführt, werden die bisherigen Aufbewahrungsfristen von zehn Jahre in einem ersten Schritt auf acht Jahre abgesenkt und in einem weiteren Schritt ab dem Jahr 2015 auf sieben Jahre verkürzt. Der Normenkontrollrat, der sich diese Sache angeschaut hat, bestätigt uns hierfür eine Kostenersparnis bei den Bürokratiekosten von circa 2,5 Milliarden Euro. Mit unserem Jahressteuergesetz 2013 bauen wir auch die steuerlichen Wettbewerbsnachteile für Elektro- und Hybridfahrzeuge ab. Wir wollen Deutschland bis zum Jahr 2020 zu einem Leitmarkt und zu einem Leitanbieter für Elektromobilität entwickeln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zukünftig wird deshalb der Listenpreis als Besteuerungsgrundlage für die 1Prozent-Regelung bei den Dienstwagen um die Kosten des Batteriesystems gemindert. Ebenfalls bedeutsam in diesem Gesetz ist, dass wir die ursprünglich vorgesehene Besteuerung von Reservistenbezügen nicht umsetzen. Wir wollen hiermit nochmals unterstreichen, dass wir die Bezüge bei den Reservisten wie bisher komplett steuerfrei belassen. Wir halten dies auch angesichts der besonderen Belastung von Reservisten, die ihr Berufsleben für die Wehrübungen und -einsätze unterbrechen, für mehr als gerechtfertigt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Kritik der gewerblichen Bildungsträger, die durch eine Umsatzsteuerfreiheit den Vorsteuerabzug verlieren würden, haben wir aufgegriffen und den in vielen Gesprächen vorgetragenen Befürchtungen der Volkshochschulen und der privaten Musik-, Tanz- und Ballettschulen zum Verlust ihrer bisherigen Umsatzsteuerfreiheit Rechnung getragen. Mit dem Jahressteuergesetz versuchen wir auch immer, missbräuchlichen Gestaltungen, das heißt Gestaltungen mit dem Ziel der legalen Steuervermeidung, einen Riegel vorzuschieben. Bei diesen Steuervermei-dungsmodellen, die immer wieder auftauchen, ist es ja oft so wie bei Hase und Igel: Kaum haben wir ein Steuersparmodell vom Markt genommen, tauchen bereits andere kreative Modelle am Steuersparhorizont auf. Deswegen ist es wichtig, dass wir hier immer auf Zack sind und rechtzeitig gegensteuern. In letzter Zeit hat sich hier ein Modell etabliert, das die arbeitsplatzerhaltende Privilegierung von Betriebsvermögen beim Betriebsübergang ausnutzt. Es ist das vereinzelte Phänomen der sogenannten Cash-Gesellschaften, mit denen Barvermögen über eine Gesellschaft als Vehikel quasi steuerfrei auf die nächste Generation geschleust wird. Wir brauchen hier eine angemessene Regelung, welche diese missbräuchliche Gestaltung verhindert. Aber wir müssen gleichzeitig aufpassen, dass wir bei einer solchen Regelung nicht den Betrieben und Unternehmen in unserem Land die Liquidität entziehen. Deswegen ist der zu diesem Bereich vorliegende Vorschlag der Opposition und des Bundesrates nicht tauglich; er schüttet das Kind mit dem Bade aus und gefährdet damit viele Arbeitsplätze beim Betriebsübergang. Wir werden – das haben wir zugesagt – noch einmal eingehend prüfen, wie wir das Gestaltungsmodell der Cash-Gesellschaften trennscharf austrocknen können. Schnellschüsse sind allerdings bei der Vielzahl der hier auf dem Spiel stehenden Arbeitsplätze und der Vielzahl der steuerehrlichen Betriebe und Unternehmen in unserem Lande nicht angezeigt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dass es uns ernst ist mit dem Ziel, Modelle zur Steuervermeidung auszuschalten und zu unterbinden, zeigt sich auch an der Tatsache, dass wir mit unserem Jahressteuergesetz 2013 den sogenannten Goldfinger-Modellen einen Riegel vorschieben, bei denen ausländische Rohstoffhandelsgesellschaften genutzt werden, um über den negativen Progressionsvorbehalt und das DBA-Abkommen eine Steuerminderung hinzubekommen. Dies wird zukünftig nicht mehr möglich sein. Wir wollen in dieser Regierungskoalition – darin sind wir uns einig – missbräuchliche Steuergestaltungen ausschalten. Es geht hier genauso um Gerechtigkeit wie heute Nachmittag beim Schweizer Steuerabkommen; wir wollen, dass der Steuerehrliche keine Nachteile hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit Blick auf dieses große Gesetzeswerk – ich habe es vorhin gesagt: über 200 zu beratende Änderungen – bedanke ich mich abschließend bei den Berichterstattern der Koalition, aber auch der Opposition für die immer gute, faire und zielorientierte Zusammenarbeit. In diesen Dank beziehe ich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMF und des Finanzausschusses ein, die sich im Zusammenhang mit diesem Gesetzgebungsverfahren teilweise weit über die normalen Dienstzeiten hinaus eingesetzt haben. Dafür mein Dankeschön! Jetzt ist es so weit, dass wir diesem Gesetz nach dieser Debatte zustimmen können. Es ist ein Omnibusgesetz, und es braucht freie Fahrt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Schönen Dank, Herr Präsident. – Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vorhin in einer feurigen Rede von Herrn Brinkhaus gehört: Die Koalition liefert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist klar. Man sollte natürlich bei jeder Lieferung gucken, ob die Produkte nicht faul sind, ob sie nicht defekt, unvollständig oder alt sind. (Beifall bei der SPD) Da muss man immer ein bisschen genauer hingucken. Ich möchte vorab sagen: Den Dank, den Herr Gutting formuliert hat, nehmen wir an; denn wir haben uns wirklich angestrengt, gut zu beraten. Dem Lob an die Verwaltung und die Mitarbeiter schließen wir uns an, weil sie sehr viel arbeiten mussten und gute Vorlagen gemacht haben. Wir spüren aber doch: Es kommt in dieser Legislaturperiode eine gewisse Endzeitstimmung auf. Das erkennt man daran, dass in einer Wahnsinnshektik unendlich viele Anträge sehr kurzfristig eingebracht wurden. Man erkennt, dass noch der letzte Spiegelstrich der Koalitionsvereinbarung eilfertig in ein Gesetz gegossen werden muss, und dann vergisst man natürlich wichtige Dinge. Sie werden zum Beispiel erleben, dass Baden-Württemberg den Vermittlungsausschuss anruft, weil Regelungen fehlen, um die ungerechte Besteuerung bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften zu beenden. Das ist auch sinnvoll; denn es ist an der Zeit, dass das geregelt wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]) Dazu stellen die Grünen einen Antrag, wir stellen einen Antrag. Da merkt man: Das Gesetz ist einfach nicht zeitgemäß. Es gibt noch andere Dinge, die man jetzt hätte korrigieren müssen. So stellen wir etwa einen Antrag auf Abschaffung der Sondervergünstigungen für Hotels. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auch das hätte man jetzt korrigieren müssen. Sie alle wissen, dass dies falsch war. Man kann erkennen, dass das Nähen mit heißer Nadel nicht immer dazu führt, dass die Lieferung am Ende gut ist. Es ist sogar so, dass die Regierung mitunter Dinge versucht hat, die vernünftig sind, nämlich entlang der EU-rechtlichen Vorgaben Dinge zu regeln und der Rechtsprechung Genüge zu leisten. Es kamen, der Hektik geschuldet, teilweise schlechte Regelungen heraus: Die Volkshochschulen, die Musikschulen und natürlich die Vereine – auf sie komme ich gleich zurück – mussten sich aufregen, weil die neuen Regelungen für sie eine extreme Verteuerung bedeutet hätten. Man muss sagen, dass es bei der Beratung des Entwurfes ungefähr so lief: Man entwickelt eilfertig schlechte Regelungen, kämpft dann eine ganze Weile erfolgreich gegen sich selbst, streicht diese Regelungen wieder und verkauft das dann als großen Erfolg für die Bürger. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]) Aber diesen Umweg hätte man sich vielleicht auch sparen können. Ich will es nur an einem Beispiel deutlich machen. Da gab es eine Regelung zu den Vereinen; ich nenne einmal die DLRG. Wir wissen, der Verfassungsschutz arbeitet immer hundertprozentig korrekt – das erleben wir gerade an allen Ecken und Enden –; aber trotzdem könnte ein Irrtum passieren. Wenn jetzt so ein Verein irrtümlich im Verfassungsschutzbericht erwähnt worden wäre, hätte das dazu geführt, dass er die Gemeinnützigkeit verloren hätte, und zwar ohne dass der Verein die Chance gehabt hätte, das zu korrigieren und zu widerlegen. Das heißt, man wollte den Vereinen sogar den Rechtsweg, den Weg des Widerspruchs abschneiden. Wie kann man denn solch eine Regelung treffen? Wir sind froh, dass Sie auch da den Kampf gegen sich selbst gewonnen haben und das wieder herausgenommen haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist natürlich völlig klar, dass sich dann auch der Paritätische Gesamtverband aufregt; denn er hatte große Sorge, was das tatsächlich bedeuten würde. Wenn man ein bisschen genauer hinschaut, dann merkt man: Dinge, die man heute hätte regeln können, sind zum Teil sehr feingliedrig. Ich nenne das Beispiel der Probleme mit den Selbsthilfeeinrichtungen der Pfarrerschaft. Das ist etwas Kompliziertes; man muss darüber genau nachdenken. Aber diese Probleme sind gar nicht angepackt worden. Warum? Man war zu eilig, zu hektisch, zu wenig problemorientiert. Man hat zu stark auf das Liefern geachtet, aber nicht auf die Qualität. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die SPD stellt auch Anträge mit der Ausrichtung, Steuerschlupflöcher zu schließen. Ich will, weil meine Redezeit zu Ende ist, es nur kurz erwähnen: Wenn man erkennt, dass mit dem Kauf oder Verkauf einer Aktie 1,5 Milliarden Euro Steuern gespart werden können, und erkennt, dass da im Umwandlungssteuerrecht ein Problem besteht, dies aber im Jahressteuergesetz 2013 nicht anpackt, dann frage ich mich: Was ist das eigentlich für eine Gesamtlieferung? Ich würde sagen: Wir kleben auf die Lieferung: Return to Sender. Das wäre eine ganz gute Sache. Deshalb lehnen wir das Gesetz ab. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Daniel Volk ist für die FDP-Fraktion der nächste Redner. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Daniel Volk (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Binding, was Sie gerade dargestellt haben bezüglich des Jahressteuergesetzes – das ist ja eigentlich Ihr großes Lieblingsprojekt; Sie sagen immer, wir bräuchten diese Jahressteuergesetze –, entspricht in keiner Weise der Realität. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ihr habt versprochen, keines mehr zu machen! Jetzt haben wir es doch!) Sie wissen ganz genau, dass ein Jahressteuergesetz im Wesentlichen dadurch entsteht, dass Vorschläge aus der Verwaltung, aus den Finanzämtern und von den Bundesländern in einem Gesetzentwurf zusammengefasst werden. Dieser wird dann dem Parlament vorgelegt. Es ist ein ganz normaler Vorgang, dass in einem solchen Gesetzentwurf Punkte geändert oder gestrichen werden. Das so auszulegen, als habe die Koalition intern mit-einander gerungen, ist abwegig. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ihr habt immerhin 37 Änderungsanträge gestellt! Ich habe nur ganz wenige genannt!) Das ist jenseits der Realität, Herr Kollege Binding, und das wissen Sie selber ganz genau. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Im Zuge dieses Tagesordnungspunktes beraten wir nicht nur das Jahressteuergesetz, sondern auch das Verkehrsteueränderungsgesetz. Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass wir als Koalition in diesem Verkehrsteueränderungsgesetz – im Wesentlichen betreffend das Versicherungsteuergesetz, aber auch das Kraftfahrzeugsteuergesetz – zusätzlich eine Regelung aufgenommen haben, die der Tatsache, dass die zu beobachtenden Wetterextreme immer stärker zunehmen, gerecht wird. Das vorliegende Gesetz ist eben auf der Höhe der Zeit. Es ist uns gelungen, die sogenannte Hagelversicherung für Landwirte und Gärtnereien zu einer Mehrgefahrenversicherung auszuweiten, in die auch Elementarschäden wie Starkfrost oder Überschwemmungen aufgenommen werden. Das ist ein Verdienst dieser Koalition. Wir als Koalition helfen denjenigen, die durch Wetterextreme beeinträchtigt werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Kollege Binding, in Bezug auf das Jahressteuergesetz haben Sie die Thematik angesprochen, wie wir mit mutmaßlich verfassungsfeindlichen Organisationen im Steuerrecht umgehen sollten. Der Vorschlag, der uns vorgelegt wurde – übrigens unterstützt vom Bundesrat, dem auch Rot und Grün angehören –, hätte faktisch zu einer Verkürzung der Rechtsweggarantie geführt. Deswegen haben gerade wir als FDP gesagt, dass wir es nicht in Ordnung finden, eine solche Verkürzung der Rechtsweggarantie vorzunehmen; denn der Rechtsstaat ist nur dann ein starker Rechtsstaat, wenn er wirklich allen dieselbe Rechtsschutz- und Rechtsweggarantie gewährt. Die von der Verwaltung vorgeschlagene Regelung war mit uns nicht zu machen. Wir haben die entsprechenden Punkte wieder aus dem Entwurf herausgestrichen. Das ist ein gutes Signal für den deutschen Rechtsstaat. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das habe ich ja korrekterweise erwähnt!) Zum Bereich der privaten Bildungsanbieter, aber auch der Volkshochschulen. Ja, die Regelung, die diesbezüglich von der Verwaltung vorgeschlagen wurde, hat zu einer erheblichen Unruhe bei den Betroffenen geführt. Wir haben die Bedenken aufgenommen, weil wir finden, dass Bildung nicht der Sicherung der Steuereinnahmen dient; vielmehr dient Bildung der Zukunft unseres Landes. Deswegen haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Umsatzsteuerfreiheit im Zusammenhang mit Bildungsangeboten bestehen bleibt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Man muss bedenken: Wir mussten aufgrund europäischer Vorgaben eine Umsatzsteuerregelung im Hinblick auf Kunst- und Sammlergegenstände vornehmen. Wir als Koalition haben uns dafür eingesetzt, dass für diese Steuerpflichtigen, für Galeristen, Münzsammler und Briefmarkensammler, eine bürokratiefreie, pragmatische Regelung eingeführt werden wird. Wir können also sagen, dass europäische Vorgaben von uns im Parlament umgesetzt werden. Allerdings berücksichtigen wir dabei die Bedenken, die Sorgen und die Nöte der Steuerpflichtigen. Auch das ist eine gute Nachricht für die Betroffenen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Entwurf des Jahressteuergesetzes 2013 umfasst viele Punkte. Es ist immer eine Herausforderung, einen solchen Entwurf in allen Einzelpunkten zu beraten. Die Koalitionsfraktionen haben die Beratungen im Finanzausschuss verantwortungsvoll und im Interesse der Steuerpflichtigen geführt. Wir legen heute ein Jahressteuergesetz zur Beschlussfassung vor, das eine bürokratiefreie und für die Steuerpflichtigen günstige Anwendung der dort vorgesehenen Regelungen ermöglicht. Abschließend möchte ich noch einen entscheidenden Punkt erwähnen, die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen. Mit der Verkürzung der Aufbewahrungsfristen setzen wir ein Projekt dieser Koalition fort: die Sicherstellung der Durchführung einer zeitnahen Betriebsprüfung. Ein wesentlicher Aspekt beim Bürokratieabbau ist nämlich, dass steuerpflichtige Unternehmen so schnell wie möglich durch eine zeitnahe Betriebsprüfung Rechtssicherheit bekommen. Aus diesem Grund ist die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen ein ganz entscheidender Punkt in diesem Jahressteuergesetz. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist nicht einmal mit dem Strafrecht harmonisiert! Diese Regelung ist ein Drama und teuer!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Barbara Höll für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich für den Dank, den Herr Gutting ausgesprochen hat, bedanken, kann ihn aber nicht zurückgeben. Nach allen Beratungen, in denen wir wirklich entgegenkommend waren, und vor der letzten Beratung war klar: Es ist, wie es ist. Wir haben Fachgespräche geführt. Die meisten Abgeordneten hatten ihre Vorbereitung für die Ausschusssitzung am Mittwoch bereits am Dienstagabend beendet. Dann kam das böse Erwachen am Mittwochvormittag: 37 Änderungsanträge – ich wiederhole: 37 – (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Von denen 30 bekannt waren! Nur 7 waren neu!) hat die Koalition am späten Dienstagabend in die Büros gemailt. Das ist keine Grundlage für eine ordentliche Beratung, noch dazu, wenn wir zwei Gesetze ändern, die sehr viele technische Details enthalten. Das heißt für uns, dass wir alles kontrollieren müssen, um feststellen zu können, was sich tatsächlich hinter den Änderungen verbirgt. (Beifall bei der LINKEN) Das ist keine gute parlamentarische Arbeit. Das zeigt, dass Sie sich selbst und das, was Sie tun, nicht mehr ernst nehmen. Wir begrüßen, dass Sie einige Teile herausgenommen haben. An dieser Stelle kann man sagen: Okay, die Beratungen haben wenigstens ein bisschen gewirkt. Sie schlagen aber auch Änderungen vor, die wir nicht begrüßen können. Fangen wir doch einmal mit den Aufbewahrungsfristen an, Herr Volk. Sie verkürzen jetzt also die Aufbewahrungsfrist und sagen großartig: Das soll Einsparungen von über 1 Milliarde Euro bringen. Es wurde übrigens nie gesagt, warum das eine Einsparung bringen soll. Ich meine, dass es ganz egal ist, ob die Akten oder CDs ein Jahr länger oder kürzer im Keller liegen. Mir hat sich bis heute nicht erschlossen, wieso dadurch Bürokratiekosten eingespart werden. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Da sieht man Ihre Kenntnis von der Praxis!) Sie sagen, es solle dann zu zeitnahen Betriebsprüfungen kommen. Haben Sie das Personal in den Finanzämtern denn entsprechend aufgestockt? Wurde veranlasst, dass das personell unterfüttert wird? (Dr. Daniel Volk [FDP]: Das ist doch wohl eher Ländersache!) Und wie sieht das eigentlich mit dem Strafrecht aus? Welche Regelungen haben wir da? Ich sage: Diese Verkürzung der Aufbewahrungsfristen kann dazu führen, dass der Steuervollzug nicht mehr ordentlich kontrolliert werden kann. Das lehnen wir natürlich ab. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben gesagt – das ist richtig –, dass die Extremismusklausel herausgenommen wurde. Wir haben Ihnen dazu einen Änderungsantrag vorgelegt. Man muss sich einmal anschauen, was in der Abgabenordnung zur Gewährung von Vergünstigungen für gemeinnützige Vereine steht: Die Vereine dürfen dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandeln. Rassistische und gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes gerichtete Bestrebungen sollen natürlich nicht steuerlich gefördert werden. Bisher ist das von den Finanzämtern ordentlich überprüft worden. Es hätte weder dieser Regelung jetzt bedurft noch der Änderung der Abgabenordnung 2009. Sie drücken hier wieder unter dem diffusen Begriff des Extremismus einen Allgemeinverdacht gegen viele engagierte Personen aus, die aktiv gegen rechtsextremistisches Denken in Deutschland wirken. Sich dann auch noch auf den Verfassungsschutz zu berufen, (Dr. Daniel Volk [FDP]: Die Regelung ist doch draußen!) das spricht den Vorgängen hier und dem Engagement der Menschen Hohn. (Beifall bei der LINKEN) Dazu, dass Sie daran gedacht haben, eine solche Ungehörigkeit vorzusehen, fehlen einem die Worte. Ich möchte kurz noch etwas zur Änderung des Verkehrsteuergesetzes sagen. Dass auch die Hagelversicherung für landwirtschaftliche Betriebe der ermäßigten -Besteuerung unterliegen soll, das begrüßen wir. Im Gesetzentwurf ist aber auch – das präsentieren Sie als Erfolg, Herr Gutting – die steuerliche Bevorzugung, die Subventionierung – sprich: auf Kosten der Allgemeinheit – von Elektroautos vorgesehen. Das ist klimapolitisch aber völlig kurzfristig gedacht. Denn erstens bleiben Sie damit bei der Förderung des Individualverkehrs, und zweitens wissen wir nicht – wir wissen es vor allem aufgrund Ihrer Energiepolitik nicht –, wie der Strom erzeugt wird, den die Elektroautos verbrauchen. Bleibt es bei Kohle, oder ist es tatsächlich grüner Strom? Dann könnte man eventuell darüber nachdenken. Nein, dies müssen wir anders anpacken. Wenn wir subventionieren, dann nachhaltig. Dann müssten wir zum Beispiel etwas im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs tun. Ich bedaure es sehr, dass Sie auch den Empfehlungen des Bundesrates nicht vollständig gefolgt sind. Das trifft, wie Kollege Binding schon sagte, unter anderem den Evangelischen Pfarrverein. Da gibt es die Einrichtung einer solidarischen Selbsthilfe hinsichtlich der Krankenversicherung. Hierzu streichen Sie jetzt Regelungen. Diese Organisationen wissen nicht, wie es weitergehen soll. Da fehlen sogar mir als Atheistin die Worte. Wir können diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Wir unterstützen die Vorschläge der SPD und der Grünen – dies wären sinnvolle Ergänzungen – zur steuerlichen Gleichstellung der Eingetragenen Lebenspartnerschaften – Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): – und zur Rücknahme der steuerlichen Bevorzugung bei den Hotelübernachtungen, also der Regelung, in deren Rahmen Sie eine einseitige Bevorzugung Ihrer Klientel vorgenommen haben. Wir unterstützen diese Änderungsanträge, aber dem Gesetzentwurf stimmen wir nicht zu. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Lisa Paus ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende des Tages waren es 36 Änderungsanträge von Schwarz-Gelb. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Super!) Aber eine Änderung durfte einfach nicht dabei sein: die vollständige Gleichstellung der Eingetragenen Lebenspartnerschaften im Steuerrecht, vor allem nicht bei der Einkommensteuer. Dabei hat das höchste Gericht in diesem Lande in den vergangenen zehn Jahren jedes Mal und ohne Ausnahme festgestellt, dass die steuerliche Ungleichbehandlung von Lebenspartnerschaften im Vergleich zu Ehen verfassungswidrig ist. Mittlerweile gewähren 14 Bundesländer Rechtsschutz in der Frage der einkommensteuerlichen Gleichstellung, nur die schwarz-gelb geführten Länder Bayern und Sachsen tun es nicht. So geht eine vermeintlich bürgerliche Regierung mit ihren Bürgern und mit den Bürgerrechten in diesem Land um. Das ist absurd. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir geben Ihnen heute noch eine letzte Gelegenheit, das zu korrigieren. Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu, in dem gefordert wird, die Gleichstellung endlich vollständig herzustellen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir denken überhaupt nicht daran!) Man muss bei diesem Gesetz absurderweise begrüßen, was nicht darin steht. Sie von der Koalition wollten ernsthaft Babyschwimmkurse besteuern, weil – Zitat – bei unter Dreijährigen gar nicht von einer Bildungsleistung gesprochen werden kann – Zitat Ende. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Nein, wollten wir nicht!) Dies entspricht der Linie der Familienministerin Schröder. Dazu fällt mir nur eines ein: das Betreuungsgeld. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Gleiche gilt für die Umsatzsteuerpraxis bei Musik-, Tanz- und Ballettschulen und anderen Bildungsträgern. Diese wollten Sie ändern und damit deren Existenz gefährden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das machen wir doch gar nicht! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Wollten wir nicht! Das steht nicht im Gesetz!) Diesen Quatsch lassen Sie jetzt sein. Auch darüber sind wir froh. – Herr Volk, Sie wissen, dass ich recht habe. Sie wollten den Verfassungsschutz künftig entscheiden lassen, welche Organisation gemeinnützig ist und welche nicht. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Wollten wir nicht! Deswegen steht es nicht im Gesetz!) Der Verfassungsschutz zeigt aktuell in einem wirklich erschreckenden Ausmaß, dass er so jedenfalls überhaupt nicht funktioniert. Auch hier sind Sie zurückgerudert, und auch darüber sind wir froh. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dennoch konnten Sie nicht aus Ihrer Haut, auch an diesem Jahressteuergesetz war wieder die Mövenpick-Koalition zugange. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes werden – dafür haben Sie sich selber gelobt – die Aufbewahrungsfristen für Unternehmen verkürzt. Ich frage die Koalition: Wenn Belege nach sieben Jahren vernichtet werden dürfen, wie soll dann die Steuerfahndung, wie gesetzlich vorgeschrieben, Steuerhinterziehung noch bis zu zehn Jahre zurückverfolgen können? Die Betriebsprüfer der Finanzämter sind doch schon jetzt am Limit. Die Verkürzung der Frist für die Aktenaufbewahrung wird deswegen gerade nicht dazu führen, dass die Unternehmen schneller geprüft werden, sondern dazu, dass deutlich weniger Unternehmen geprüft werden. 1 Milliarde Euro weniger an Einnahmen erwarten die Länder. Einladung zum Steuerbetrug; ich sage: Das ist absurd. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]) Auch bei der Erbschaftsteuer laden Sie weiter zum Missbrauch ein. Allein durch die Wahl der Rechtsform kann man steuerlich profitieren. Der Bundesfinanzhof – nicht die Grünen – hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass Ihre Reform verfassungswidrig ist. Was braucht es noch, dass Sie endlich aufwachen? Ohne eine Änderung bleibt es weiterhin möglich, dass zum -Beispiel von einem 73-Millionen-Euro-Geschenk von Anteilen an einem Medienunternehmen kein einziger Euro Schenkungsteuer hängen bleibt. Meine Damen und Herren, das müssen wir dringend ändern. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch was die Energiewende angeht, ist bei Ihnen Fehlanzeige. Wir alle wissen, dass nur CO2-arme, spritsparende, saubere Autos eine Zukunft haben. Wie diese Autos genau aussehen werden, wissen wir heute noch nicht. Gerade deswegen ist eine technologieneutrale Förderung für den Durchbruch emissionsarmer Fahrzeuge im Massengeschäft so wichtig. Das wissen selbst Sie, muss ich konzedieren – bis vor einer Woche jedenfalls. In Ihren Beschlüssen der ganzen letzten Jahre stand, dass Autos mit einem CO2-Ausstoß von weniger als 50 Gramm pro Kilometer keine Kfz-Steuer zahlen müssen. Wir wollten mehr; aber Sie ersetzen jetzt selbst diese Position durch ein Placebo mit der Überschrift „Elektromobilität“. Auch das ist absurd. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben dazu Änderungsanträge gestellt. Damit haben Sie jetzt eine letzte Chance, alles auszubessern. Sollten Sie diese Chance nicht wahrnehmen, müssen wir Ihren Gesetzentwurf leider ablehnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Patricia Lips das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Patricia Lips (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und -Herren! Es geht heute Abend um zwei große Gesetzespakete: zum einen um das Jahressteuergesetz und zum anderen um ein Gesetzespaket, das Änderungen bei der Versicherungsteuer und bei der Kraftfahrzeugsteuer bringt; im Folgenden möchte ich mich ein Stück weit darauf beschränken. Um was geht es uns grundsätzlich? Es geht uns um mehr Klarheit bei den Kriterien und damit verbunden um größere Rechtssicherheit sowie um den Abbau von Bürokratie und die Erhöhung der Transparenz. Hinzu kommt – wir hörten es bereits; ich komme noch einmal darauf zurück –, dass Elektrofahrzeuge statt fünf Jahre nun zehn Jahre von der Steuer befreit werden. Zur Änderung der Versicherungsteuer. Wir begrüßen ausdrücklich Punkte wie die Anhebung von Schwellenwerten, die Zusammenfassung von Zeiträumen zur -Veranlagung, die Möglichkeit der elektronischen Anmeldung und vieles andere mehr; ich möchte hier nur einige Beispiele nennen. An anderen Punkten kamen die Koalitionsfraktionen im Zuge der Beratungen zu inhaltlich durchaus abweichenden Beurteilungen bzw. zu Ergänzungen. Aus Zeitgründen möchte ich hier nur zwei Schwerpunkte nennen: In dem Entwurf war ursprünglich vorgesehen, dass künftig auch die verwirklichten Selbstbehalte bei der Kfz-Haftpflichtversicherung der Besteuerung unterliegen sollen. Dies würde zwangsläufig zu einer Neukalkulation unzähliger Verträge führen und dazu, dass nun wirklich jeder Schadensfall, der über den Selbstbehalt geregelt wurde, gemeldet werden müsste. Deswegen haben wir diese Regelung wieder aus dem Entwurf heraus-genommen. (Beifall des Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]) Eine wichtige Neuerung – wir hörten das bereits in Anklängen – gibt es hingegen in Ergänzung zum Gesetz für die deutschen Landwirte. Dabei geht es um die sogenannte Mehrgefahrenversicherung. Hagel ist eine der größten Gefahren für die Landwirtschaft. Deshalb gilt bereits seit 1922 ein besonderer Steuersatz für die Hagelversicherung. Weitere Elementarschäden wie Frost, Stark-regen und Überschwemmungen – wir alle kennen sie aus unseren Regionen –, die bisher mit dem regulären Steuersatz belegt waren, werden nun dem Hagel gleichgesetzt und gemeinsam mit dem besonderen Steuersatz in Höhe von 0,3 Promille auf die Versicherungssumme belegt. Wir kommen damit einer Entwicklung entgegen, die sich seit Jahren im Zuge des Klimawandels bemerkbar macht. Gleichzeitig streben wir als Finanzpolitiker aber auch noch eine Entlastung für die Allgemeinheit an. Der Abschluss von Mehrgefahrenversicherungen wird attraktiver als bisher, sodass bei einer Verwirklichung des Risikos, also im Schadensfall, weniger die Steuerzahler und vermehrt Versicherungen für den Schaden aufzukommen haben. Das ist in mehrerer Hinsicht ein ganz wichtiger Baustein in diesem Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Darüber hinaus war es uns wichtig, dass in manchen Bereichen verstärkt für Planungssicherheit gesorgt wird. Dies gilt beispielsweise für die Versicherung von Windkraftanlagen im Offshorebereich, der nun – analog den Anlagen an Land – durch das Gesetz ebenfalls der Versicherungsteuer unterliegt. Hier haben wir durch eine leichte Zeitverzögerung mit Inkrafttreten ab 2014 für Planungssicherheit gesorgt. Kommen wir noch einmal zur Kfz-Besteuerung. Im Rahmen des Gesamtprogramms „Elektromobilität“ wollen wir in der Tat alle Elektrofahrzeuge statt für bisher fünf nun für zehn Jahre steuerfrei stellen. Neben immer mehr privaten Nutzern setzen auch Fahrzeugflotten diese Fahrzeuge ein. Diese Entwicklung wollen wir verstärkt fördern. Wir haben es heute Abend schon gehört: Es ist der zweite Baustein – neben einem anderen im Jahressteuergesetz –, durch den wir für die E-Mobilität eine weitere Förderung vorsehen. Die Förderung der Elektromobilität ist eine Richtung im Gesamtprogramm, die zu begrüßen ist; auch das war uns wichtig. Es sind am heutigen Abend also zwei Maßnahmen zu nennen, durch die diese Technik weiter gefördert wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun kann man diese Steuerbefreiung – Frau Paus hat es angesprochen – natürlich auf weitere emissionsarme Fahrzeuge ausdehnen. Ein entsprechender Änderungsantrag liegt vor. Auch die Stellungnahme des Bundesrates sieht dies vor. Ich will an dieser Stelle auch nicht die Formulierung im Regierungsprogramm – Elektromobilität – verschweigen. Ich sage aber auch: Wir haben 2009 die Kfz-Steuer neu geregelt und den Schwerpunkt dabei auf den CO2-Ausstoß gelegt. Seit dieser Zeit sind 10 Millionen Fahrzeuge neu zugelassen worden, die dieser Regelung unterliegen. Wir haben die Situation, dass Hybridfahrzeuge und erdgasbetriebene Fahrzeuge in -vielen Fällen wegen des Bezuges auf den CO2-Ausstoß bereits heute steuerfrei sind. Es bleibt lediglich die -Mindestbelastung beim Hubraum. Das sind in der Regel 20 bis 40 Euro im Jahr. Die können wir jetzt auch noch streichen. Ich persönlich glaube als Finanzpolitiker aber nicht, dass wir damit einen noch größeren Anreiz setzen, als wir ihn bisher an dieser Stelle schon haben. Wir -haben den richtigen Weg eingeschlagen. Ich möchte zum Abschluss noch einen Punkt erwähnen. Wir werden aus dem Kfz-Steuergesetz auch eine Regelung herausnehmen. Da geht es um den Bestand der Altfahrzeuge, die ab 2013 ebenfalls unter diese Neuregelung hätten fallen sollen. Wir mussten feststellen, dass es keine geeignete und rechtssichere Messtechnik gibt. Wir reden hier über Millionen von Fahrzeugen. Machen wir uns nichts vor: Für die meisten wäre das wahrscheinlich – das liegt in der Natur der Sache – mit einer leichten Steuererhöhung verbunden. Hier rate ich dringend, dieses Vorhaben erst in Gang zu setzen, wenn wir diese Rechtssicherheit haben. Das hat nichts mit Verweigerungshaltung oder Ähnlichem zu tun. Das ist nicht schön. Aber wir haben es zu akzeptieren. Von daher werden wir diese Regelung im Kfz-Steuergesetz streichen. Das gehört zur Aufrichtigkeit und zur Transparenz des Gesetzes. Es wäre nur Augenwischerei, etwas darin zu lassen, was an dieser Stelle dann doch nicht in Kraft treten kann. Ich darf mich sehr herzlich für die Aufmerksamkeit bedanken und bitte um Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Sabine Bätzing-Lichtenthäler für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner haben die Gesetzentwürfe inhaltlich schon zusammengefasst. Deshalb will ich nur noch einige Worte zum Verfahren sagen: So geht es nicht! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, wundern Sie sich wirklich, dass die Menschen Ihre Politik nicht mehr verstehen? Wie soll man auch nur einem Bürger sinnvoll erklären, dass Sie nicht nur im Entwurf des Jahressteuergesetzes 2013, sondern auch im Entwurf des Verkehrsteueränderungsgesetzes fast alles gestrichen haben, was ursprünglich enthalten war, und jetzt wesentliche Änderungen aufgenommen haben, die vorher überhaupt nicht erwähnt waren? Und das alles in einem Gesetz, das Sie als ein Gesetz zur Klarstellung von Dingen bezeichnet haben, die eigentlich ganz klar sind und jetzt nicht mehr klargestellt werden müssen, weil sie so klar sind. Ich verstehe das nicht mehr. Was ist eigentlich los bei Ihnen? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) War der Gesetzentwurf der Bundesregierung von Anfang an so schlecht, dass von ihm nichts übrig blieb, oder war er gut und zielführend, aber Sie trauen sich nur nicht, ihn umzusetzen, weil Sie schon in den Wahlkampfmodus geschaltet haben und wieder einmal Steuergeschenke verteilen wollen? (Dr. Daniel Volk [FDP]: Das nennt man Gewaltenteilung! Legislative und Exekutive!) Das Ministerium wollte noch sachlich und fachlich arbeiten, aber Ihre Botschaft an das BMF war klar: -Unbequeme steuerpolitische Vorhaben sind in dieser Wahlperiode nicht mehr gefragt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Für Sie zählt nur noch Wahlkampf, und deshalb geht es ans Geschenkeverteilen. Dieser Verdacht wird auch noch durch das Steuergeschenk an die Landwirte – Stichwort „Mehrgefahrenversicherung“ – gestärkt. Es kann sich nur um ein Geschenk handeln; denn wenn man die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates liest, dann sieht man, dass die Bundesregierung darauf hinweist, dass diese Ausweitung abzulehnen ist, da es sich um eine neue Subvention handelt, die erstens nicht mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung vereinbar sei und zweitens neue Begehrlichkeiten wecke. Nun denn, wie dem auch sein mag, ob Unfähigkeit der Bundesregierung oder Geschenke vor der Bundestagswahl: Beides ist für Sie peinlich. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Aber den Klima-wandel wollen Sie nicht verleugnen?) Es ist aber nicht nur peinlich. Darüber hinaus entsteht auch ein Schaden für das parlamentarische System, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach was!) wenn 37 Änderungsanträge nicht vollständig beraten werden können, weil sie erst, wie zur Umsatzsteuerneuregelung für den Kunsthandel, wenige Stunden oder, wie zur Versicherungsteuer bei Elementarschäden, sogar nur wenige Sekunden – jawohl: Sekunden! – vor der -abschließenden Beratung in den Finanzausschuss eingebracht werden. Sie wissen, dass das peinlich ist. Nicht umsonst haben Sie die Debatten im Ausschuss nach Möglichkeit verkürzen wollen und für die nicht ganz unwichtigen Themen Jahressteuergesetz 2013 und Verkehrsteueränderungs-gesetz nur eine gemeinsame Plenardebatte von gerade einmal 30 Minuten angesetzt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: So lang?) Sie hoffen wohl insgeheim, dass so niemand merkt, dass Sie beispielsweise davor zurückgeschreckt sind, europarechtskonforme Regelungen für die Umsatzbesteuerung von Bildungsleistungen zu schaffen. Tja, und beim Kunsthandel haben Sie uns auch noch Ihre Arbeit machen lassen; denn ohne unseren Entschließungsantrag und unseren Hinweis darauf, dass das Vertragsverletzungsverfahren der EU bei Ihrer Untätigkeit fortgesetzt wird, wären Sie davon überrascht worden, und Deutschland hätte eine empfindliche Strafe erhalten. Warum das alles? Nur weil Sie schon im Wahlkampfmodus sind. Dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, werden Sie noch ein knappes Jahr arbeiten müssen. Aber keine Sorge, danach entlasten wir Sie und übernehmen gerne Ihre Regierungsgeschäfte. Danke. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor wir zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Jahressteuer-gesetzes 2013 kommen, weise ich darauf hin, dass mir dazu eine Reihe von schriftlichen Erklärungen zur -Abstimmung von einer weiter wachsenden Zahl von Kolleginnen und Kollegen vorliegt, die wir alle dem Protokoll beifügen.5 Der Kollege Volker Beck hat um das Wort für eine mündliche Erklärung zur Abstimmung gebeten. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) – Auch das bewegt sich völlig im Rahmen unserer Geschäftsordnung. – Dafür darf ich um Aufmerksamkeit bitten. Anschließend treten wir in die Abstimmung ein. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen erklären, warum ich und auch andere Grüne, die eigentlich keine Fans des Ehegattensplittings sind, sagen: Ja, wir wollen eine Gleichstellung für Eingetragene Lebenspartnerschaften im jetzigen Einkommensteuerrecht. Dort findet sich nun einmal das Ehe-gattensplitting. Deshalb heißt es für uns: Übertragung des Ehegattensplittings auf Eingetragene Lebenspartnerschaften, solange es existiert. Ich bin da ganz bei Philipp Rösler, der sagt: Gerade bei der Einkommensteuer ist der jetzige Rechtszustand verfassungsrechtlich bedenklich: Lebenspartner haben alle Unterhalts- und Einstandspflichten, aber keine Anerkennung bei der Steuer. Da hat er recht. Das muss sich ändern. Dafür bietet die heutige Entscheidung die Gelegenheit. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Bundesverfassungsgericht hat uns nun in vier Entscheidungen, bei der Hinterbliebenenversorgung und bei zwei steuerrechtlichen Entscheidungen, auf den Weg gegeben, dass der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe keine Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung zwischen Eingetragener Partnerschaft und Ehe darstellt. Es hat ferner ausgeführt – ich zitiere –: Ein Grund für die Unterscheidung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft kann nicht … darin gesehen werden, dass typischerweise bei Eheleuten … aufgrund von Kindererziehung ein anderer Versorgungsbedarf bestünde als bei Lebenspartnern … Nicht in jeder Ehe – – so das Bundesverfassungsgericht – gibt es Kinder. Es ist auch nicht jede Ehe auf Kinder ausgerichtet. Ebenso wenig kann unterstellt werden, dass in Ehen eine Rollenverteilung besteht, bei der einer der beiden Ehegatten deutlich weniger berufsorientiert wäre. Das Bundesverfassungsgericht sagt auch: Die Rechtsfolgen gründen im Wesentlichen auf der Unterhaltspflicht. – Das ist auch bei allen einkommensteuerrechtlichen Privilegierungen so, wie bei der Grunderwerbsteuer und wie beim Erbschaftsteuerrecht, was das Hohe Haus als Gesetzgeber inzwischen leidvoll anerkannt hat, nachdem das Bundesverfassungsgericht es darüber belehrt hat. Wir hatten eine umfangreiche Debatte. Aus allen Fraktionen des Hohen Hauses gab es in der Sommerpause Unterstützung für die Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Steuerrecht. Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat in einem Brief an Herrn Schäuble geschrieben, eine entsprechende Gesetzesänderung könne durch das Jahressteuergesetz 2013 erreicht werden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach was!) Patrick Döring hat gesagt: Wir wollen diskriminierende Tatbestände im Steuerrecht abbauen. Dazu gehört für die FDP, dass wir jetzt schnell die Frage des Ehegattensplittings auch für eingetragene Lebenspartnerschaften im nächsten Jahressteuergesetz klären. Das war am 26. August dieses Jahres. Das nächste Jahressteuergesetz liegt heute auf dem Tisch. Herr Mücke hat gesagt, was passiert, wenn diese Regelung nicht kommt: Wenn die CSU das Ehegattensplitting für Lebenspartnerschaften blockiert, obwohl eine Gleichstellung im Koalitionsvertrag vereinbart ist, werden FDP-Abgeordnete dem Betreuungsgeld nicht zustimmen, obwohl auch das im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist. Da bin ich einmal gespannt. Gleichstellung, gleiche Rechte, Respekt vor allen Bürgerinnen und Bürgern sind kein Thema für Koali-tionsschacher. Das ist ein verfassungsrechtliches Gebot. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Dann können Sie dieses verfassungsrechtliche Gebot heute umsetzen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ab dem ersten Tag der Lebenspartnerschaft muss Gleichberechtigung gelten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das erwarten die Menschen draußen im Land; zu Recht – und das gebietet die Verfassung! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat auch der Kollege Michael Kauch um die Möglichkeit gebeten, eine mündliche Erklärung abzugeben. Ich mache aber schon jetzt darauf aufmerksam: Falls noch weitere Kolleginnen und Kollegen auf einen ähnlichen Einfall kommen sollten, werde ich sie nach der namentlichen Abstimmung aufrufen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herr Kollege Kauch. Michael Kauch (FDP): Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Beck, ich möchte Ihnen erläutern, warum meiner Kenntnis nach acht Kollegen der FDP-Bundestagsfraktion diesem Antrag zustimmen und sich drei enthalten werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte Ihnen aber sehr deutlich sagen, Kollege Beck: Das, was in dieser Koalition vereinbart ist, was in dieser Koalition durchgesetzt und entschieden wird, überlassen Sie den Koalitionsfraktionen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das schon drei Jahre!) Das klären wir intern. Dafür brauchen wir Ihre Nachhilfe nicht, lieber Kollege Beck. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb gilt, meine Damen und Herren: Wer gleiche Pflichten hat, muss auch gleiche Rechte haben. Eingetragene Lebenspartner haben wechselseitig die gleichen Unterhalts- und Einstandspflichten wie Ehegatten. Deshalb sind sie auch im Steuerrecht entsprechend anzuerkennen. Ich sage Ihnen ein Beispiel. Ich lebe in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft. Wenn mein Partner seine Arbeit verlieren würde und ich einstandspflichtig bin, dann kann ich laut heute geltendem Steuerrecht etwa 8 000 Euro steuerlich geltend machen, wenn der Lebenspartner quasi auf Hartz IV angewiesen ist. Es ist aber so, dass Unterhaltspflichten über Hartz IV hinausgehen. Meine Unterhaltspflicht gegenüber meinem Lebenspartner entspricht der Höhe des Lebensstandards in der Partnerschaft. Das ist genauso wie bei den vielen Kolleginnen und Kollegen, die verheiratet sind. Deshalb ist es aus meiner Sicht eine Frage der politischen Fairness, aber auch eine Frage der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung, an dieser Stelle endlich das zu tun, was im Übrigen das Verfassungsgericht angemahnt hat. In seiner Entscheidung zur Erbschaftsteuer aus dem Jahr 2010 stellt das Bundesverfassungsgericht fest: Geht jedoch die Förderung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, rechtfertigt die bloße Verweisung auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung nicht … Welches Schutzgebot wird denn an dieser Stelle normiert? Normiert ist hier, dass Unterhalts- und Einstandspflichten in einer Ehe – und aus unserer Sicht eben auch in einer Lebenspartnerschaft – sich widerspiegeln müssen in der steuerlichen Leistungsfähigkeit dieser Partner. Das ist aber kein Instrument, um Kinder zu fördern. Kollegin Reiche hat im Sommer eine solche Argumentation verfolgt. Diese ist aus meiner Sicht aber verfehlt; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) denn das Ehegattensplitting kommt auch den Kolleginnen und Kollegen hier im Haus sowie den Bürgerinnen und Bürgern im Land zugute, die – gewollt oder ungewollt – keine Kinder haben. Umgekehrt zeugt das folgende Beispiel von einer besonders fragwürdigen Art von Familienpolitik: Mit mir befreundete lesbische eingetragene Lebenspartner, die zwei Kinder in ihrer Beziehung aufziehen, können sich nicht dazu entscheiden, dass eine der Partnerinnen zu Hause bleibt, weil es finanziell keine Entsprechung im Steuerrecht gibt und sie deshalb wie Fremde besteuert werden. Wenn man der Auffassung ist, dass es Wahlfreiheit für die Betreuung von Kindern geben muss, dann muss man sich fragen, ob das die richtigen Anreizstrukturen sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, deshalb ist das für uns eine grundsätzliche Frage, eine Frage von Bürger- und Menschenrechten. Deshalb werden wir hier – wohl wissend, dass der große Teil unserer Fraktion sich nachvollziehbarerweise an den Koalitionsvertrag und die darin festgelegten nicht wechselnden Mehrheiten halten wird – anders stimmen als die Mehrheit unserer Fraktion. Wir würden uns freuen, wenn alle Kolleginnen und Kollegen, die sich auf den Koalitionsvertrag berufen, diesen dann auch in allen seinen Teilen ernst nehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 17/11190 und 17/11220, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/10000 und 17/10604 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen vier Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Über zwei Änderungsanträge werden wir namentlich abstimmen. Wir kommen zunächst zu den namentlichen Abstimmungen. Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 17/11193, über den wir auf Verlangen der Fraktion der SPD namentlich abstimmen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Abgeordneter im Saal anwesend, der seine Stimmkarte für die erste namentliche Abstimmung zum Jahressteuergesetz nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die erste namentliche Abstimmung.6 Wir kommen nun zu dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11196, über den wir auf Verlangen derselben Fraktion namentlich abstimmen. Ich bitte, die Urnen auszuwechseln und mir zu signalisieren, ob es losgehen kann. – Das sieht jetzt ganz so aus. Dann eröffne ich die namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ist mein Eindruck richtig, dass nun alle Anwesenden ihre Stimmkarte abgegeben haben? Es kennt auch keiner einen, der eigentlich hätte hier sein müssen und seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das ist beruhigend. Dann schließe ich auch die zweite namentliche Abstimmung.7 Wir kommen nun zur Abstimmung über zwei weitere Änderungsanträge. Zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/11194. Wer möchte für diesen Änderungsantrag stimmen? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/11195 auf. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung, weil wir die Schlussabstimmung natürlich erst in Kenntnis der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen über die Änderungsanträge durchführen können, und melde mich nach Vorliegen der Ergebnisse wieder zu Wort. Die Sitzung ist unterbrochen. (Unterbrechung von 20.05 bis 20.10 Uhr) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich habe zwei gute Nachrichten: Die erste Auszählung ist erfolgt – und auch die zweite. (Beifall der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zunächst gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion in der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Jahressteuergesetz 2013 bekannt: abgegebene Stimmen 550. Mit Ja haben gestimmt 244, mit Nein haben 306 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Enthaltungen gab es keine. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 550; davon ja: 244 nein: 306 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Da?delen Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Birgitt Bender Agnes Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Jerzy Montag Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Nun gebe ich zum Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Es hat wiederum 550 abgegebene Stimmen gegeben. Diesem Antrag haben 253 Kolleginnen und Kollegen zugestimmt. Mit Nein haben 288 gestimmt. 9 haben sich der Stimme enthalten. Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 550; davon ja: 253 nein: 288 enthalten: 9 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Sylvia Canel Michael Kauch Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Oliver Luksic Patrick Meinhardt Jan Mücke Dr. Peter Röhlinger Marina Schuster DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Da?delen Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Birgitt Bender Agnes Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Jerzy Montag Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Roderich Kiesewetter Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabriele Molitor Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Enthalten CDU/CSU Dr. Stefan Kaufmann Jürgen Klimke Dr. Jan-Marco Luczak Elisabeth Winkelmeier-Becker FDP Christine Aschenberg-Dugnus Lars Lindemann Dr. Birgit Reinemund Manfred Todtenhausen Dr. Daniel Volk Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. Das macht einen guten Eindruck. – Wer stimmt dagegen? – Möchte sich jemand enthalten? – Damit ist der Gesetzentwurf mehrheitlich angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11197. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Tagesordnungspunkt 15 b. Hier geht es um die Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Verkehrsteueränderungsgesetzes. Der -Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 17/11183 und 17/11219, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/10039 und 17/10424 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt diesem Änderungsantrag auf Drucksache 17/11198 zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der Gesetzentwurf ist mit erkennbar ausreichender Mehrheit angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neue Chancen für Menschen mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt – Drucksache 17/9974 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Juratovic für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir hier über Integration debattieren, sind das oft eher abstrakte Debatten, wie zum Beispiel zum Jubiläum des Anwerbeabkommens mit der Türkei. Genauso oft reden wir über Integration im Zusammenhang mit Sprache und Bildung. Integration ist jedoch viel mehr. Wir müssen konkret werden und sagen, was Integration tatsächlich bedeutet. Integration fängt immer mit einem Zugehörigkeitsgefühl an. Man muss ganz konkret erleben, dass man dazugehört und dass man in der Gesellschaft akzeptiert, respektiert und gebraucht wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Daher ist Integration immer etwas, was von beiden Seiten geleistet werden muss: von denen, die zu uns kommen, aber auch von der Aufnahmegesellschaft. Aus meiner Zeit am Fließband weiß ich, wie wichtig der Arbeitsplatz ist, damit Integration gelingt. Wir haben mit Kollegen aus mehr als 50 Nationen zusammengearbeitet. Viele von meinen Kollegen haben am Fließband Deutsch gelernt. Durch unsere gemeinsamen Aufgaben und unsere gemeinsamen Ziele haben wir uns als Team gefühlt. Wir haben uns mit unserem Betrieb identifiziert und hatten ein Zugehörigkeitsgefühl. Unser Ziel muss sein, dass sich alle Menschen in unserem Land – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – mit unserem Land und seiner Vielfalt identifizieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aus meiner persönlichen Erfahrung weiß ich, dass wir eine gute und funktionierende Integration in den Arbeitsmarkt brauchen, um Integration in der gesamten Gesellschaft erfolgreich gestalten zu können. Vor diesem Hintergrund beraten wir heute einen Antrag der SPD-Fraktion zu neuen Chancen für Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt. Denn leider hat die Integration auf dem Arbeitsmarkt nicht überall so erfolgreich geklappt wie bei mir im Betrieb. Das beweisen zahlreiche Statistiken und Studien. Seit Jahren ist die Arbeitslosigkeit unter Ausländern, also Menschen ohne deutschen Pass, doppelt so hoch wie von Deutschen. Im Jahr 2008 hatten 37,5 Prozent der 25- bis 34-Jährigen mit Migrationshintergrund keinen beruflichen Abschluss. Bei den jungen Menschen ohne Migrationshintergrund waren das „nur“ 10,8 Prozent. Jugendliche mit Migrationshintergrund haben bei gleichen Qualifikationen geringere Chancen auf einen Ausbildungsplatz als deutschstämmige Jugendliche. In der Weiterbildung werden weniger Menschen mit Migrationshintergrund berücksichtigt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt mehrere Gründe, warum wir daran etwas ändern müssen. Erstens. Natürlich muss jeder Einzelne, der hier bei uns lebt, eine Chance auf Integration haben. Dazu gehört vor allem die Integration auf dem Arbeitsmarkt. Das ist auch eine entscheidende Frage der Würde jedes Einzelnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn niemand will auf staatliche Almosen angewiesen sein. Zweitens. Für unseren Staat ist es aus ganz rationalen Gründen wichtig, dass möglichst alle Menschen in den Arbeitsmarkt integriert sind. Es gibt eine Studie, die die Kosten der Nichtintegration berechnet hat. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat dazu die fehlenden Einnahmen durch Steuern und Abgaben sowie die höheren Ausgaben der sozialen Sicherungssysteme berechnet. Diese Studie zeigt: Es lohnt sich auch finanziell, sich für die Integration in den Arbeitsmarkt einzusetzen; denn dadurch kann der Staat später eine ganze Menge Geld sparen. Drittens. Für unsere Wirtschaft ist es wichtig, dass Menschen mit Migrationshintergrund auf unserem Arbeitsmarkt aktiv sind. Wir diskutieren hier seit langem über die Fachkräfteentwicklung in unserem Land. Wir alle wissen, dass wir nur dann genügend Fachkräfte haben, wenn wir alle Menschen in unserem Land in den Arbeitsmarkt integrieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unsere Wirtschaft kann es sich nicht leisten, hier eine große Gruppe an Menschen auszuschließen. Deshalb zähle ich darauf, bei der Integration in den Arbeitsmarkt auch tatkräftige Unterstützung aus der Wirtschaft zu bekommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gespräch vor allem mit Jugendlichen, die einen ausländisch klingenden Namen haben, erfahre ich immer wieder von Diskriminierungen. Die Uni Konstanz hat in einer Studie nachgewiesen, dass Menschen mit ausländisch klingendem Namen bei Bewerbungen diskriminiert werden. Deswegen ist es eine zentrale Forderung in unserem Antrag, Diskriminierungen abzubauen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein entscheidender Punkt dafür sind anonyme Bewerbungen. Wenn die Personalabteilung am Anfang ausschließlich die Qualifikation begutachtet, sortiert sie nicht bewusst oder unbewusst die Menschen mit ausländisch klingendem Namen aus. In einem Modellprojekt hat sich gezeigt, dass anonyme Bewerbungen denjenigen Menschen nutzen, die derzeit am Arbeitsmarkt nicht so viele Chancen haben, vor allem ältere Arbeitnehmer und Menschen mit Migrationshintergrund. Vom Ergebnis des Modellprojekts waren auch die Arbeitgeber selbst überrascht. Sie haben zugegeben, dass unterschwellig Diskriminierung stattfand, die durch anonyme Bewerbungen verhindert wird. Diese Studie sollte uns Ansporn genug sein, bundesweit anonyme Bewerbungen einzuführen. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Arbeitsmarktpolitik stärker darauf ausrichten, dass Menschen mit Migrationshintergrund von den Maßnahmen erreicht werden. Bei der Arbeitsförderung muss die Förderung von Menschen mit Migrationshintergrund zum Schwerpunkt werden. Wir brauchen ein Arbeitsmarktprogramm „Perspektive MigraPlus“ ähnlich der „Perspektive 50plus“. Mir persönlich ist es besonders wichtig, auch das Schicksal derjenigen zu betonen, die in Deutschland nur mit Duldung leben. Dahinter stehen viele persönliche Schicksale, die Menschen in ihren Heimatländern durchgemacht haben. Hier in Deutschland wird ihnen zu lange der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen eine gesetzliche Klarstellung, dass Geduldete mit Arbeitserlaubnis von den Agenturen für Arbeit und Jobcentern beraten werden müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nur einige der Forderungen, die in unserem Antrag enthalten sind. Wir haben sorgfältig und durchdacht aufgelistet, welche Änderungen wir brauchen, damit Menschen mit Migrationshintergrund mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Leider herrscht vonseiten der Bundesregierung ziemlicher Stillstand, was konkrete Maßnahmen angeht. Es reicht nicht aus, nur anlässlich von Migrationsgipfeln schöne Worte zu finden; vielmehr müssen wir endlich konkret handeln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Integration ist ein gegenseitiger Prozess, ein Geben und ein Nehmen. Zu Recht erwarten wir von den Migranten, dass sie sich bemühen und uns etwas geben. Aber gerade wir von der Politik müssen auch etwas geben, nämlich reale Chancen auf unserem Arbeitsmarkt. Schließlich sind all die Menschen, von denen ich hier spreche, Steuerzahler, wenn auch oft ohne Stimmrecht bei Wahlen. Wir müssen Integration leben und sie im Alltag und im Arbeitsmarkt umsetzen. Dazu brauchen wir die Maßnahmen aus unserem SPD-Antrag. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ulrich Lange ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ulrich Lange (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der SPD, lieber Kollege Juratovic, beinhaltet einen großen Strauß von vielen Maßnahmen, die wir an diversen und unterschiedlichsten Stellen hier bereits diskutiert haben, letztmalig im Mai zu dem Thema „Chancen für Fachkräfte“. Ich gebe Ihnen aber durchaus recht, dass das Thema „Migration in der Arbeitswelt“ ebenfalls eine solche Debatte wie die heutige rechtfertigt. Aber wir wissen um diese Problematik. Man sieht auch in dem Nationalen Aktionsplan Integration, den die Bundesregierung Ende Januar 2012 vorgestellt hat, dass wir uns bewusst und konsequent dieser Aufgabe annehmen und sie als Kernaufgabe verstehen. Zweifellos ist es richtig, dass insbesondere jugendliche Ausländerinnen und Ausländer eine deutlich höhere Arbeitslosigkeit als Deutsche haben. Ich bin aber, lieber Kollege, mit einer Aussage nicht ganz einverstanden, und das sage ich hier auch sehr deutlich: Dies ist nicht in erster Linie eine Frage des Passes. Das möchte ich hier schon angemerkt haben. (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einbürgerung erleichtert den Zugang zum Arbeitsmarkt!) – Die Einbürgerung erleichtert ihn; aber es ist nicht eine Frage des Passes an sich. Das wollte ich schon richtiggestellt haben. (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Teufelskreis: Ohne Job keine Staatsangehörigkeit, ohne Staatsangehörigkeit keinen Job!) Es ist vielmehr – das erlaube ich mir hier schon auch zu sagen, lieber Kollege – auch eine Frage der Sprachbeherrschung, der Möglichkeit des Zugangs zu Bildung und auch der Eltern, die die Kinder dann an die Sprache und an die Bildung heranführen müssen. Ich glaube, dass dies der Schwerpunkt unserer Aufgabe sein sollte. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung strategische Ziele formuliert. Ein Ziel ist natürlich, die Qualifizierung durch interkulturelle und migrationsspezifische Qualifizierung des Beratungspersonals zu erhöhen, die betriebliche Integration zu verbessern und die von mir bereits angesprochene Fachkräftebasis zu sichern. Mit einer Vielzahl von Programmen und Maßnahmen – ich glaube, hier haben wir in den letzten Monaten und Jahren gehandelt – sind wir arbeitsmarktpolitisch aktiv geworden. Das Ministerium für Arbeit und Soziales hat seit Mitte 2011 durch das Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung“ gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Bundesagentur für Arbeit eine bundesweite sichtbare Struktur regionaler Netzwerke aufbauen können. Das sind sicherlich wichtige und entscheidende Schritte. Das IQ will Handlungsansätze entwickeln; es will helfen, Abschlüsse anzuerkennen und die Verfahrenssituation transparent darzustellen. Auch heute agieren viele Bundesinstitutionen schon sehr realitätsnah und sehr eng an der Problematik. Ich nenne das Beispiel Berlin mit dem „Tag der Migration“. Hier sind auch wieder das Jobcenter, die Ausländerbehörde und viele andere zusammen auf einer Plattform, um Erfahrungen auszutauschen und Möglichkeiten auszuloten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Herbst 2011 ein Fachkräftekonzept beschlossen und dort auch eine Bedeutungsreihenfolge festgelegt, nämlich heimisches Potenzial vor Zuwanderung. Hier gehören, lieber Kollege Juratovic, die Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Land zum heimischen Potenzial, das wir auf jeden Fall stärker und noch besser schöpfen und ausnutzen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU – Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bundesregierung setzt sich weder für das eine noch für das andere ein!) Sie sehen also an einigen Beispielen, die ich hier aufgezeigt habe, dass wir uns der Problematik annehmen, dass wir die Problematik erkannt haben und dass wir unter Federführung unseres Ministeriums und unserer Ministerin Ursula von der Leyen gute Schritte vorangekommen sind. Ich kann nur appellieren: Unterstützen Sie uns gemeinsam auf diesem Weg, damit wir die Potenziale heben und damit wir die Arbeitswelt zugunsten der Menschen mit Migrationshintergrund offener machen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Da?delen ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Da?delen (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Lange, ich muss doch schon sehr bitten. Sie haben gesagt, es ist nicht nur der Pass. Nein, es geht um die Situation, dass allein der Name bereits ausreicht. Der Kollege führt in dem vorgelegten Antrag ja aus, dass es eine Studie der Institute zur Zukunft der Arbeit gibt, die belegt, dass Menschen mit Migrationshintergrund, die einen türkischen Namen aufweisen, bei Bewerbungsverfahren allein aufgrund des Namens trotz gleicher oder sogar besserer Qualifikation als Menschen ohne Migrationshintergrund deutlich weniger zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden. Deshalb bitte ich Sie: Sehen Sie endlich die Realität in Deutschland! Es gibt Diskriminierung. Diese Diskriminierung ist auch strukturell, und deshalb muss sie auch beendet werden. Deshalb appelliere ich an Sie. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich begrüße insoweit für meine Fraktion den Antrag, stellt er doch schon auf die Verbesserung der Situation für Menschen mit Migrationshintergrund ab. Wenn man die letzten Jahre im Deutschen Bundestag Revue passieren lässt, muss man sich fragen, warum Sie von der SPD jetzt eigentlich das fordern, was Sie unter Rot-Grün oder auch Schwarz-Rot, das heißt in sage und schreibe elf Regierungsjahren, immer wieder verhindert haben. Warum haben Sie das damals nicht gemacht? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es geht um Maßnahmen, die schon seit Jahren von uns gefordert werden: Schaffung eines Zugang zum Arbeitsmarkt, Einführung eines anonymisierten Bewerbungsverfahrens, Anerkennung von Berufsabschlüssen, die im Herkunftsland erworben worden sind. Noch vor ein paar Jahren, als Sie an der Regierung waren, haben Sie unsere Anträge abgelehnt, in denen die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse gefordert wurde. Ich finde es -daher nicht besonders seriös, diese Anträge jetzt zu -kopieren und vorzulegen. (Anette Kramme [SPD]: Wie viele Anträge von Ihnen gab es denn zum Arbeitsmarkt und zur Migration? Ich kann mich daran nicht erinnern!) Ich finde, ein Rückblick schadet nicht. Der Kollege Juratovic sagt, Menschen mit Migrationshintergrund brauchten reale Chancen am Arbeitsmarkt. Schauen wir uns doch die Situation dieser Menschen an. Meine Damen und Herren, ihre Situation ist unerträglich. Ich weiß das sehr genau, weil ich mit diesen Menschen aufgewachsen bin; ich bin ein Mensch mit Migrationshintergrund und erfahre es tagtäglich, wenn die Menschen zu mir kommen und sich über ihre Situation beschweren. Man muss in diesem Zusammenhang auch über Hartz IV und die Agenda 2010 sprechen. (Beifall bei der LINKEN) Hartz IV war und ist das größte Enteignungs- und -Dequalifizierungsprojekt in diesem Land, gerade im Hinblick auf Menschen mit Migrationshintergrund. Zu einer möglichen Revision findet sich in Ihrem Antrag selbstverständlich nichts. Ursache und Wirkung sind klar: Jahre-, nein jahrzehntelang sind Menschen mit -Migrationshintergrund im Bildungs- und Ausbildungsbereich dequalifiziert worden. Sie wurden von Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen ausgegrenzt und auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Ich fordere Sie auf, allein deshalb noch einmal über die Hartz-IV--Gesetzgebung nachzudenken. Denken Sie vielleicht nur fünf Minuten darüber nach, anstatt sich hier aufzuregen. Es ist natürlich so, dass Hartz IV die Menschen bedroht und sie enteignet. Das betrifft insbesondere Migrantinnen und Migranten, weil sie überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Sie sind auch von einer Gesetzgebung im Niedriglohnbereich überproportional betroffen, die Leiharbeit im heutigen Ausmaß erst möglich gemacht hat. Da tragen Sie Mitverantwortung. Deshalb appelliere ich an Sie: Denken Sie darüber nach, anstatt in nassforscher Steinbrück-Manier auch noch Hartz IV und die Agenda 2010 zu bejubeln. (Beifall bei der LINKEN – Anette Kramme [SPD]: Das ist so billig!) – Nein, das ist nicht billig; das ist die Wahrheit. Wenn Sie ein Stück weit Glaubwürdigkeit gewinnen wollen, auch bei Menschen mit Migrationshintergrund, dann sollten Sie sich hier nicht über jene beschweren, die über die unerträgliche Wirklichkeit in diesem Land berichten, sondern dann sollten Sie einmal nur fünf Minuten diesen Menschen zuhören und zur Kenntnis nehmen, was sie fordern. Präsident Dr. Norbert Lammert: Diese fünf Minuten haben wir nicht mehr. Sevim Da?delen (DIE LINKE): Diese Menschen fordern ein Verbot der Leiharbeit, -einen gesetzlichen Mindestlohn und die Zurücknahme von Hartz IV. Darüber sollten Sie sich einmal Gedanken machen. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die FDP-Fraktion ist der Kollege Johannes Vogel der nächste Redner. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Juratovic! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten! Ihr Antrag zeigt, dass wir uns gemeinsam um das Thema „Zuwanderung und Integration“ bemühen. Ich glaube, wir alle sind uns im Ziel einig. Weil Deutschland ein Einwanderungsland ist und übrigens eine jahrhundertelange Erfolgsgeschichte der Einwanderung vorzuweisen hat, ist es richtig, dass wir diesen Weg weitergehen. Dazu gehört es, sich Gedanken zu machen, wie wir die Integration verbessern können. Dazu gehört aber auch, klar zu sagen, dass wir zusätzliche Einwanderung in Deutschland wollen, und dazu gehört, ein klares Signal zu setzen. Wir wollen -weiterhin ein Einwanderungsland sein. Wir wollen an unseren Grenzen kein Schild „Warnung vor dem bissigen Hund“ aufstellen. Wir wollen vielmehr einen roten Teppich ausrollen, (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Das sieht man ja gerade an Ihrem Innenminister!) gerade weil wir vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels im Wettbewerb um die klugen Köpfe noch besser werden müssen; wir müssen sie nach Deutschland holen. Zu diesem Ziel bekennen wir uns in der Koalition ganz eindeutig. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Koalition“?) Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass wir die Zuwanderungsregeln gerade vereinfacht haben. Frau Kollegin Da?delen, Sie haben das gerade in Zweifel gezogen. Wir haben diesen Sommer die Zuwanderungshürden massiv gesenkt. So haben wir zum Beispiel mit breiter Zustimmung dieses Hauses – es gab auch Zustimmung vonseiten der SPD-Fraktion; darüber habe ich mich sehr gefreut – ein Visum zur Arbeitsuche eingeführt und damit endlich für einen Paradigmenwechsel im Bereich Zuwanderung gesorgt. Ich glaube, dazu bekennen wir uns alle. Auch auf die Frage, wie wir eine bessere Integration der Menschen mit Migrationshintergrund, die bereits hier leben, gewährleisten können, gibt das Gesetz zur Anerkennung im Ausland erworbener Berufs-abschlüsse, das wir in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben, eine Antwort. Es gibt eine Dreimonatsfrist, innerhalb der ein solches Verfahren durch-geführt werden muss. Wir haben weiterhin festgelegt, dass es ein einheitliches Verfahren gibt. All das zeigt, dass wir uns den Herausforderungen stellen. Lieber Kollege Juratovic, die Anerkennung von -Berufsabschlüssen halte ich übrigens für die zentrale -Herausforderung, vor der wir stehen, wenn es um die bessere Integration von Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt geht. Sie sehen: Über das Ziel sind wir uns einig, aber an den zentralen Stellschrauben drehen wir bereits. Dieser Aufgabe stellen wir uns als Koalition sehr erfolgreich. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Sevim Da?delen [DIE LINKE]) Es gab eine Diskussion darüber, ob Deutschland die Ausstrahlung hat, ein Einwanderungsland zu sein. Ich würde mich freuen, wenn wir die Opposition – das ist insbesondere an die Adresse der Sozialdemokraten gerichtet – bei der Verfolgung dieses Ziels an unserer Seite hätten. Lieber Kollege Juratovic, ich weiß, dass Sie sich schon lange mit diesem Thema beschäftigen und absolut glaubwürdig sind. Ich habe mich im Zuge der Diskussion über die Öffnung des Arbeitsmarktes für Bürger der neuen EU-Mitgliedstaaten im Mai 2011 teilweise schon gewundert, dass ich auch aus den Reihen Ihrer Fraktion Töne gehört habe, (Sebastian Blumenthal [FDP]: Ganz schlimme Töne!) die – ich will es einmal zurückhaltend formulieren – mir nicht den Eindruck vermittelt haben, dass Sie uns dabei vorangebracht haben, ein Klima zu schaffen, das geeignet ist, den neuen Mitbürgern zu vermitteln, dass sie -unsere Gesellschaft bereichern. Dabei macht Vielfalt -unsere Gesellschaft reicher, gerade auf dem Arbeitsmarkt. Damals wurde laut das alte Lied gesungen: Moment! Wir öffnen unseren Arbeitsmarkt. Da könnten ja neue Mitbürger aus anderen Mitgliedstaaten der EU kommen. Das ist eine Bedrohung. Das macht auf dem Arbeitsmarkt alles schlechter. – Ich freue mich, dass wir das jetzt von den Sozialdemokraten nicht mehr hören. Aber zur Wahrheit gehört, festzuhalten, dass wir in dieser -Legislaturperiode leider solche Töne aus Ihrer Fraktion gehört haben. Ich finde es gut, dass das jetzt offenbar ein Ende hat. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich konkret werden und über die zentralen Stellschrauben sprechen. Ich habe eben ausgeführt, welcher Punkte wir uns mit zwei wegweisenden Gesetzen sehr erfolgreich angenommen haben. Die Kollegin Da?delen hat eben kritisiert, dass Sie Dinge fordern, die Sie, als Sie selber in Regierungsverantwortung waren, nicht umgesetzt haben. Politik braucht zwar Symbole, aber an ein oder zwei Stellen empfinde ich Ihren Antrag, zumindest was den ersten Anschein angeht, als Symbolpolitik. Diese brauchen wir in aller Regel nicht. Ich gebe Ihnen dazu Beispiele. Sie fordern den Rechtsanspruch auf Nachholen eines Schulabschlusses. Dabei gibt es den schon, und zwar im Dritten Sozialgesetzbuch. (Anette Kramme [SPD]: Aber nicht eines -jeden Schulabschlusses, sondern eines Hauptschulabschlusses!) Sie fordern weiterhin, die berufliche Deutschförderung durch die Bundesagentur für Arbeit zu stärken. Schauen Sie sich an, wie die konkreten Hinweise für die einzelnen Vermittlerinnen und Vermittler in der Arbeitsagentur und in den Jobcentern lauten. Daran wird deutlich, dass auf die Beseitigung von sprachlichen Defiziten explizit Wert gelegt und auf die Fördermöglichkeiten im Zusammenhang mit dem Erlernen der Sprache hingewiesen wird. Das findet also bereits im Rahmen der Bundesagentur für Arbeit statt. (Josip Juratovic [SPD]: Es geht um Qualifizierung und Sprache!) Auch in Bezug auf die Qualifizierung ist festzustellen, dass wir gerade durch die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente die Möglichkeiten zur Qualifizierung massiv ausgeweitet haben. Kollege Zimmer, der mit mir für dieses Gesetzgebungsverfahren aufseiten der Koalition zuständig war, nickt. Wir haben für einen -Paradigmenwechsel gesorgt, damit noch mehr im -Bereich Qualifikation möglich wird. (Anette Kramme [SPD]: Sie fangen nicht selber das Lachen an?) – Frau Kollegin Kramme, ich habe diesen Sommer in meinem Wahlkreis zum Beispiel einen jungen Mann -getroffen, der jetzt die Möglichkeit einer beruflichen Weiterqualifikation bekommen hat. (Anette Kramme [SPD]: Wow!) Vor April 2011 wäre er durch das Raster gefallen, er hätte gar nicht die Möglichkeit gehabt, sich zu qualifizieren. Die Möglichkeit, dass alle Mitarbeiter in kleinen und mittleren Unternehmen jetzt gefördert werden, haben nicht Sie geschaffen, sondern wir haben sie eröffnet. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich ein letztes Beispiel für Ihre Symbolpolitik anführen. Sie fordern, dass die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung der BA ihren Schwerpunkt nicht nur auf Akademiker legen sollte. Auch das findet schon statt. Es werden nicht nur Akademiker angeworben; vielmehr werden jene Menschen angeworben, die derzeit auf dem Arbeitsmarkt benötigt werden, aktuell zum Beispiel im Pflegebereich. So lassen sich mehrere Beispiele dafür finden, dass Sie in Ihrem Antrag Dinge fordern, die in der Realität bereits umgesetzt werden. Ich finde: Eine solche Symbolpolitik hat das Thema nicht verdient. Vielleicht können wir darüber bei der Beratung des Antrags im Ausschuss vertieft diskutieren und uns dann auch fragen, ob wir diesen Antrag wirklich brauchen, um hinsichtlich der besseren Integration von Menschen mit Migrationshintergrund voranzukommen. (Josip Juratovic [SPD]: Den brauchen wir dringend!) Ich habe daran aus den genannten Gründen meine Zweifel. Dass wir uns über das Ziel einig sind, will ich ausdrücklich begrüßen. Ich freue mich, wenn wir mit Ihnen, den Oppositionsfraktionen, weitere Schritte in diese Richtung gehen können. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Kilic ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beteiligung am Arbeitsleben hat eine zentrale Bedeutung für die soziale Teilhabe; denn am Arbeitsplatz knüpft man Kontakte und erfährt Wertschätzung. So findet Integration im Alltag statt. Jedoch werden Menschen mit Migrationshintergrund am -Arbeitsmarkt in hohem Maße diskriminiert. Zu diesem Ergebnis kommen gleich mehrere wissenschaftliche -Studien, unter anderem eine des Bundesinstituts für -Berufsbildung. In dem Bericht wird dargelegt, dass -Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft in Deutschland leider weit verbreitet sind. Von einer Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt sind nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund betroffen. Frauen und ältere Menschen haben es ähnlich schwer. Am schwersten haben es Menschen, bei denen diese Faktoren auf-einandertreffen. Ich bekomme zahlreiche E-Mails von verzweifelten arbeitsuchenden Migranten. Zuletzt hat mich ein Hochschulabsolvent mit hervorragendem Abschluss kontaktiert. Er hat schon über hundert Bewerbungen verschickt, jedoch keine einzige Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhalten. Seine Ex-Kommilitonen mit schlechterem Abschluss, aber deutschem Namen sind dagegen mit Jobs versorgt. Ein Blick in den öffentlichen Dienst offenbart das Ausmaß dieser Diskriminierung. Dort -erwartet Sie die größte Parallelgesellschaft in Deutschland. Kaum Angestellte mit ausländisch klingenden -Namen sind dort anzutreffen. Dabei müssen gerade staatliche Stellen mit gutem Beispiel vorangehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Neben den Diskriminierungen gibt es drei weitere Hauptgründe für die schlechte Lage der Migranten am Arbeitsmarkt: erstens Chancenungleichheit im Bildungssystem; zweitens hohe Hürden bei der Einbürgerung und eine unzureichende Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis; drittens die noch immer mangelnde Anerkennung von ausländischen Abschlüssen. Das sollte auch der Bundesregierung klar sein. Sie reagiert jedoch zu zögerlich. Sie muss die Grundvoraussetzungen dafür schaffen, dass auf dem Arbeitsmarkt alle gleich behandelt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Anonyme Bewerbungen können präventiv gegen -Diskriminierungen wirken. Das beweist auch ein Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Durch anonyme Bewerbungen wird der Fokus auf die Qualifikation der Bewerber gelenkt. Deshalb erwarte ich von der Bundesregierung ein stärkeres Engagement auf diesem Gebiet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die staatlichen Einrichtungen sollten mit einer neuen Einstellungspolitik ein Vorbild für den privaten Sektor sein. Sie sollen folgende zwei Eigenschaften als Pluspunkte werten: erstens interkulturelle Kompetenz und zweitens zusätzliche Muttersprachen. Diese Fähigkeiten verdienen eine positive Berücksichtigung bei der Einstellungspolitik. Einen besonderen Handlungsbedarf sehe ich bei der Arbeitsverwaltung. Die Jobvermittler müssen interkulturell geschult und die Arbeitsagenturen mit der Migrationsberatung vernetzt werden. Da haben wir noch großen Nachholbedarf – leider. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der SPD-Antrag enthält konstruktive Vorschläge zur Weiterentwicklung bestehender Ansätze. Im Kern lese ich ihn jedoch nicht als Grundsatzkritik am schwarz--gelben Regierungshandeln. Deshalb nehmen wir den SPD-Antrag als Verbesserungsansatz wahr. Um den Missstand endlich zu beenden, soll die -Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen und entsprechende Initiativen starten. Ich fordere von ihr vor allem ein systematisches Engagement gegen Diskriminierungen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Uwe Schummer (CDU/CSU): Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Die duale Ausbildung in Deutschland hat an sich schon eine sehr starke Integrationskraft. Das Lernen in der Praxis für die Praxis sorgt dafür, dass Menschen frühzeitig eine Chance haben, nach der Ausbildung in einen Beruf einzusteigen und so ihr Leben zu bestreiten und ihre Familie zu ernähren. Wir haben in Deutschland auch aufgrund der dualen Ausbildung eine Jugendarbeitslosigkeit – dies bezieht sich auf junge Menschen bis 25 Jahre – von nur 7,9 Prozent. In der Europäischen Union liegt die Jugendarbeitslosigkeit im Schnitt bei 22,4 Prozent, in Griechenland und Spanien liegt sie über 50 Prozent. Das heißt, dort, wo es viele Arbeitsplätze gibt, wo es Ausbildungsplätze gibt, gelingt auch Integration besser. In diesem Bereich hat die christlich-liberale Koalition einen wesentlichen Meilenstein gesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn hat 2010 in einer Schülerbefragung herausgefunden, dass 78 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine duale Ausbildung wollen. Eine Erhebung in 2011 hatte ergeben – auch das müssen wir zur Kenntnis nehmen –, dass 38 Prozent der 25- bis 34-Jährigen mit Migrationshintergrund keinen beruflichen Abschluss hatten. Das sind gescheiterte Biografien. Diese gibt es, unabhängig davon, wer gerade an der Regierung ist. Wir müssen gemeinsam Konzepte entwickeln, die langfristig und dauerhaft eine zweite oder sogar dritte Chance zur Integration ermöglichen. Entscheidend ist: Gut hilft, wer früh hilft. Ein wichtiges Programm betrifft die Stärkung der Sprachkompetenz, nämlich die Offensive „Frühe Chancen“ des Familienministeriums. Im Rahmen dieses Programms werden 400 Millionen Euro in 4 000 Kitas in Schwerpunktbereichen investiert, damit Halbtagskräfte, die sich um eine gezielte Sprachförderung der Kinder in der Kita kümmern, mit 25 000 Euro im Jahr finanziert werden können. So haben diese Kinder später in der Schule bessere Chancen, und sie können einen Abschluss machen. Ein ganz wichtiger Erfolg der Bundesregierung ist der Abbau der Zahl der Altbewerber. Altbewerber sind die Menschen, die zwölf Jahre nach Beendigung der Schulzeit noch keinen Ausbildungsplatz haben. Vor einigen Jahren gab es noch 380 000 Altbewerber. Nach dem aktuellen Berufsbildungsbericht liegt die Zahl der Altbewerber derzeit bei 175 000. Das heißt, der Berg der Altbewerber wurde abgebaut; ihre Zahl wurde um circa 200 000 reduziert. Auch hier ist ein Stück weit eine zweite Chance ermöglicht worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Spannend ist die Initiative der christlich-liberalen Koalition – diese gab es auch schon in der Großen Koalition –, in deren Rahmen in Moscheen über Ausbildungsmöglichkeiten informiert wird. Wir gehen natürlich auch dorthin, wo es bestimmte Problemkreise gibt. Wir binden auch die Imame ein. In meiner Heimatstadt Willich am Niederrhein gibt es eine Vereinbarung der Stadt mit der Moschee bzw. den Imamen, dass auf Deutsch gepredigt wird und dass nach dem Freitagsgebet Informationsveranstaltungen stattfinden, auf denen die Bedeutung der dualen Ausbildung für Jungen und für Mädchen dargestellt wird. Dort wird auch konkret geholfen, wenn Hilfe beim Einstieg in die Erwerbstätigkeit notwendig ist. Dieses Miteinander und Füreinander in den Moscheen ist eine ganz wichtige Aktion, die wir mitfinanzieren und mit unterstützen. Dabei wird Menschen konkret geholfen, nicht mit Phrasen und mit großen Ideologien, sondern mit sehr konkreten Aktivitäten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Entscheidend für eine erfolgreiche Berufsbiografie ist eine frühzeitige und erweiterte Berufsorientierung. Über das Konzept der Bildungsketten haben wir mit dafür gesorgt, dass ab dem siebten Schuljahr, also drei Jahre vor der Entlassung aus der allgemeinbildenden Schule, eine Potenzialanalyse in den Schulen stattfindet. Man kann später in überbetrieblichen Werkstätten verschiedene Berufsfamilien kennenlernen, zum Beispiel Arbeiten mit Holz und Metall, Hauswirtschaft, Gartenbau und Gesundheitswesen. Man kann herausfinden, wo die eigenen Potenziale liegen, die man später bei der Berufstätigkeit einbringen kann. Nach einem Profiling können konkrete betriebliche Praktika in dem ausgewählten Berufsfeld organisiert werden. Da, wo nach wie vor besonderer Hilfebedarf besteht und wo die Eltern ein Stück weit überfordert sind, finanzieren wir auch aus Bundesmitteln bis zu 3 000 Berufseinstiegsbegleiter, die 30 000 jungen Menschen eine zusätzliche Hilfe bieten, ihnen nicht nur in der Schule und bei der Bewerbung zur Seite stehen, sondern auch noch im ersten Ausbildungsjahr. Das ist konkrete menschliche Hilfe, mit der wir Menschen den Einstieg in die Erwerbstätigkeit erleichtern können. Der Antrag der SPD ist in einigen Punkten spannend, aber zum Teil veraltet. Kollege Vogel hat geschildert, dass viele Anliegen, um die es geht, von der Regierung bzw. von der christlich-liberalen Koalition längst umgesetzt worden sind. Ein Beispiel ist das Gesetz für die Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen. Wir hatten gestern ein Gespräch mit den Kammern, in dem uns mitgeteilt wurde, dass allein über die IHK schon mehr als 1 400 entsprechende Anträge bearbeitet worden sind. Im Handwerk gibt es weitere Aktivitäten. Ein Problem haben wir allerdings bei diesem Gesetz, das am 1. April dieses Jahres in Kraft getreten ist: Die Länder ziehen nicht in dem Maße mit, wie es sein müsste. In vielen Fällen geht es um Hochschulabsolventen, aber die Hochschule ist Ländersache. Es gibt ein Land, in dem, seitdem die Bundesregierung das Anerkennungsgesetz auf den Weg gebracht hat, noch überhaupt nichts passiert ist, nämlich Baden-Württemberg. Da wäre meine Bitte, Herr Kilic, den Ministerpräsidenten, der ja von den Grünen gestellt wird, sozusagen zum Laufen zu bringen, damit endlich auch in diesem Bereich Anerkennung stattfinden kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Bei aller Kritik, bei allem, was wir noch leisten müssen, möchte ich sagen: Die OECD hat 2009 festgestellt, dass es arbeitswillige Einwanderer in Deutschland leichter haben als in den meisten anderen Industriestaaten, und hat darauf verwiesen, dass jeder fünfte Firmengründer in Deutschland ausländische Wurzeln hat. Das ist Potenzial, das wir weiter schöpfen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 17/9974 an die in der Tagesordnung -aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-tionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts – Drucksache 17/10774 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksachen 17/11180, 17/11217 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Mathias Middelberg Lothar Binding (Heidelberg) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11189 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider (Erfurt) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Richard Pitterle, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verlustverrechnung einschränken – Steuereinnahmen sicherstellen – Drucksachen 17/5525, 17/11180 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Mathias Middelberg Lothar Binding (Heidelberg) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch für diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Das ist offensichtlich einvernehmlich und damit so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Mathias Middelberg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist sehr schade, dass sich die Opposition nicht dazu durchringen konnte, diesem guten Gesetz zuzustimmen. (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Ich finde, es ist wirklich ein gelungenes Gesetz. Es besteht aus drei Teilen: Reisekostenrecht, Organschaft, Verlustrücktrag. Erster Punkt. Gerade bei den Reisekosten kann man zu Vereinfachungen kommen. Die Dinge, die wir im Reisekostenrecht erreicht haben, machen dieses Gesetz zu einem der wichtigsten Steuervereinfachungsgesetze dieser Legislaturperiode. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Hier wurden dramatische Vereinfachungen für die Bürger erreicht. Deswegen ist es sehr bedauerlich, dass sich die Opposition nicht durchringen will, diesem Gesetz zuzustimmen. Wir machen im Reisekostenrecht einige wichtige Schritte. Bisher sind Verpflegungsmehraufwendungen in drei Stufen abzurechnen; da kommt es auf Mindestabwesenheitszeiten und Ähnliches an. Das wird in Zukunft sehr viel einfacher, weil wir bei Verpflegungsmehraufwendungen nur noch zwei Stufen haben werden. Das erleichtert sowohl die Angabe von Reisekosten als auch die Prüfung von Reisekostenabrechnungen. In Zukunft wird auch nicht mehr darüber gestritten werden, welche der verschiedenen Tätigkeitsstätten eines Arbeitnehmers die Haupttätigkeitsstätte darstellt. Stattdessen wird einfach eine Tätigkeitsstätte zur regelmäßigen Tätigkeitsstätte erklärt. Darüber finden dann keine weiteren Streitigkeiten und Auseinandersetzungen mehr statt. Es muss auch nicht 27-mal geprüft werden. Es ist also eine klare Regelung, die man eigentlich nur begrüßen kann. Auch bei der doppelten Haushaltsführung kommen wir zu deutlichen Verbesserungen. Da gab es bisher einen riesigen Verwaltungsaufwand, weil Einzelbelege beigebracht werden mussten. Vergleichsmieten, Durchschnittsmieten und Ähnliches mehr mussten ermittelt werden. Hier kommen wir zur Ansetzung von Pauschbeträgen. Demnächst können im Rahmen der doppelten Haushaltsführung für Wohnung und Unterkunftskosten bis zu 1 000 Euro angesetzt werden. Das ist eine deutliche Vereinfachung und Verbesserung des gesamten Verfahrens. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage es noch einmal: Durch diese Regelungen werden 35 Millionen Menschen von unnützer Bürokratie, von unnützem Aufwand entlastet. Neben denjenigen, die diese Reisekostenabrechnungen zu erstellen haben, gibt es aber auch diejenigen, die diesen Kram prüfen müssen. Das ist aus meiner Sicht, wie gesagt, eines der wichtigsten Vereinfachungsgesetze dieser Legislaturperiode. Zweiter Punkt: Organschaft. Wenn man das Stichwort hört, könnte man denken, dass es irgendetwas mit Unterleibsproblemen zu tun hat. Es geht aber nicht darum, sondern es geht um verbundene Unternehmen, die miteinander sogenannte Organschaftsverträge abschließen, also beispielsweise um eine Mutter- und eine Tochtergesellschaft in einem Konzern, die einen sogenannten Ergebnisabführungsvertrag abschließen. Da hat es in der Vergangenheit immer wieder große Probleme mit der Rechtsprechung gegeben, die diese Verträge kassiert hat, weil irgendwelche kleinen formalen Fehler in den Verträgen enthalten waren oder weil es kleine Fehler bei der Abwicklung dieser Verträge gegeben hat. Diese Regelung haben wir jetzt deutlich vereinfacht. Die Organschaft ist jetzt sehr viel rechtssicherer, als sie früher war. Das war das Petitum aus dem Bereich der Wirtschaft. Es ist in zunehmendem Maße auch für immer mehr kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland wichtig, gerade auch für die, die dieses Land innovativ vorantreiben und international verwoben sind, dass sie sich fest darauf verlassen können, dass ihre Unternehmensverträge, die Verbundverträge, wirklich rechtssicher sind und einer Prüfung standhalten. Deswegen sage ich: Ich finde, auch das ist ein ganz gewaltiger Fortschritt für den Wirtschaftsstandort Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dritter Punkt: der Verlustrücktrag. Damit erfüllen wir eine Konvergenzforderung aus dem deutsch-französischen Grünbuch für Unternehmensbesteuerung. Im Übrigen schaffen wir mehr Liquidität für den Mittelstand. Eines aber ist mir besonders wichtig – das möchte ich mit einer allgemeinen Bemerkung verbinden, weil wir ja auch noch über den Antrag der Linken diskutieren wollen –: Die Verlustverrechnung in Deutschland einzuschränken, hielte ich für einen ganz schweren Fehler; denn wir müssen daran denken, dass unser Unternehmenssteuerrecht international wettbewerbsfähig sein muss. Wir können uns hier keine völlig anderen Regeln erlauben als in anderen Ländern, und in anderen europäischen Ländern sind Unternehmensverluste natürlich mit Gewinnen verrechenbar. Alles andere wäre auch völlig schwachsinnig und würde nicht dem Grundsatz der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit entsprechen. Wenn man zum Beispiel ein Auto bauen will, muss man dieses Auto erst einmal entwickeln. Man muss Pläne und Zeichnungen machen und Forschung betreiben. Man muss einen Prototyp bauen und damit arbeiten. Das heißt, man hat über drei, vier und noch mehr Jahre erst einmal einen großen Entwicklungsaufwand. Man sammelt Verluste. Die Verluste in diesen Jahren muss man später mit Gewinnen verrechnen können. Deswegen sind Verlustvortrag und Verlustrücktrag in einem vernünftigen Unternehmenssteuerrecht eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wir meinen, dass das Steuerrecht in Deutschland mit den drei Punkten, die ich genannt habe, weiter optimiert wird. Wir werden, was das Unternehmenssteuerrecht angeht, noch stabiler und noch wettbewerbsfähiger. Mit den Änderungen bei den Reisekosten tun wir ganz viel für die normalen Menschen in diesem Land, die beruflich auf Reisen sind, ob als Handwerker, als Monteure, als Kurierfahrer oder in allen möglichen Varianten von Dienstfahrten. Das, finde ich, ist ein ganz gewichtiger Beitrag. Wie gesagt, ich bedaure, dass Sie dem Ihre Zustimmung verweigern wollen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will in einer freien Form des Zitats den Kollegen Middelberg zitieren: Es ist sehr schade, dass sich die Regierungskoalition nicht hat durchringen können, auf einen richtig gravierenden Fehler in diesem Gesetzentwurf zu verzichten. – Das ist ungefähr so, als wenn der Kellner einen schönen Orangensaft bringt und kurz bevor er den Gast erreicht noch ein Tropfen Arsen hineinkommt. Man würde ihn nicht trinken. So ist es uns jetzt auch ergangen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Wir wollen Sie nicht vergiften!) Das ist auch ein wenig der Hektik geschuldet, die wir erleben. Ich will es Ihnen ehrlich sagen: Wir finden fast den gesamten Gesetzentwurf sehr gut, und wir hatten uns vorgenommen, zuzustimmen. Leider ist aber zwei Tage vor der Abschlussberatung im Finanzausschuss etwas passiert, weswegen wir nicht zustimmen können. Ich finde, man kann ruhig noch einmal sagen, wie tolerant die Opposition im Verfahren war: Wir haben uns auf wirklich viele Fachgespräche statt Anhörungen eingelassen, wir sind sogar bereit gewesen, die Ausschussprotokolle selbst mitzuschreiben, um den enormen Zeitdruck abbauen zu können, (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das hat ja nicht funktioniert!) und wir haben die Verkürzung der Fachdebatte mitgetragen. – Zur Vorsitzenden, weil sie gerade einen Zwischenruf gemacht hat: Sie musste sogar während der Ausschusssitzung eine Pressekonferenz durchführen, weil sie sonst zeitlich nicht dazu gekommen wäre. Also musste sie sich da vertreten lassen. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das ist ja -albern!) Sie sehen: Es gab einen extremen Zeitdruck. Die SPD unterstützt übrigens viele Regelungen in diesem Gesetzentwurf. Ich will jetzt einige vielleicht langweilige Kleinigkeiten erwähnen: Die Änderung im steuerlichen Reisekostenrecht, speziell die Einführung der zweistufigen Staffelung beim Verpflegungsmehraufwand, tragen wir zum Beispiel mit. Das ist eine wichtige Vereinfachung für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und die Verwaltung. Das ist eine wirklich gute Sache. Deshalb ist es so schade, dass Sie diesen kleinen großen Abschlussfehler gemacht haben. Zur Verpflegungspauschale von 12 bzw. 24 Euro. Ich weiß, jeder, der das jetzt hört, denkt: Von welchen Kleinigkeiten erzählt er da? Für die, die das betrifft, ist das aber eine ganz wichtige Sache und eine große Vereinfachung. Die Arbeitnehmer, die eine eintägige auswärtige berufliche Tätigkeit über Nacht ausüben und zum Beispiel mehr als 8 Stunden vom Wohnort entfernt sind, können jetzt 12 Euro abrechnen. Auch die Ersetzung des Begriffs „regelmäßige Arbeitsstätte“ durch „erste Tätigkeitsstätte“ ist sehr gut und sachgerecht und hilft künftig den Arbeitnehmern, sich im Fahrkostenrecht sehr gut zurechtzufinden. Sie können ihre Fahrtkosten jetzt komplett über die erste Tätigkeitsstätte abrechnen. Das ist ein sehr großer Vorteil, den es bisher nicht gab. Allerdings gibt es auch einen Wermutstropfen, nämlich die Einstufung von Bildungseinrichtungen, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zu einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht werden. Das ist nämlich plötzlich auch die erste Tätigkeitsstätte. Das bedeutet: Wenn ich vom Jobcenter zu einer Bildungsmaßnahme geschickt werde, die zum Beispiel weit weg liegt, dann kann ich meine Fahrkosten nicht so geltend machen, wie es sich eigentlich gehören würde. Das heißt, hier gibt es eine Restriktion für die Schwächsten, die ausgerechnet in einer Lebensphase, in der es ihnen schlecht geht, ein Problem bekommen. Wir glauben, hinsichtlich der Entfernungspauschale hätte man an dieser Stelle großzügiger sein können. Vielleicht kann sich die Koalition ja noch durchringen, unseren diesbezüglichen Antrag zu vollzeitigen Bildungsmaßnahmen mitzutragen, um damit weiterhin einen unbegrenzten Reisekostenabzug zu ermöglichen. (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Das ist doch mit drin!) – Macht ihr das mit? (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Wenn wir es untergesetzlich darstellen, ist es doch gut!) – Na ja, ihr sagt, ihr wollt es untergesetzlich regeln. Es war in der Debatte aber nicht ganz klar, ob und wie das erreicht werden soll. Zu dem, was wir nicht mitmachen: Das hat etwas damit zu tun, dass wir gelernt haben – und das stimmt –, dass Verluste im Unternehmensteuerrecht sinnvollerweise immer mit Gewinnen zu verrechnen sein sollen. Allerdings werden Verluste grenzüberschreitend, weltweit und auf der Zeitachse durch Rück- und Vortrag sehr stark zur Gestaltung genutzt. Durch diese Möglichkeit auf der Zeit- und auf der räumlichen Achse kommt es zu sehr vielen Gestaltungen. Deshalb halten wir die Verdoppelung des Verlustrücktrags für keine sinnvolle Maßnahme. Jetzt komme ich zu der wichtigsten Sache, die wir unterstützen, nämlich zur Korrektur bezogen auf die Möglichkeiten, bilanzielle Fehler später noch zu korrigieren, ohne dass die Organschaftsverhältnisse geschädigt werden. Bisher war es so: Wenn in einem Ergebnisabführungsvertrag ein Komma falsch gesetzt worden ist und das irgendwann festgestellt wurde, dann war die gesamte organschaftliche Regelung zunichte gemacht. Das wird jetzt korrigiert. Das halten wir für eine sehr gute Sache. Ich habe eben einige Punkte genannt, die prima sind. Jetzt komme ich zu dem einen Punkt, der kritisch ist. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Arsen!) – Zu dem Tropfen Arsen. Zwei Tage vor der Abschlussberatung haben Sie einen Änderungsantrag eingebracht. Er betrifft die Organträger – Sie haben schon erklärt, was das ist – und die Organgesellschaften mit Sitz in der EU oder im europäischen Wirtschaftsraum. Nun passiert Folgendes: Ein Unternehmen, dessen Sitz und Geschäftsleitung räumlich getrennt sind – der Sitz ist in einem und die Geschäftsleitung in einem anderen Land –, macht einen Verlust geltend. Die von Ihnen vorgesehene Regelung erlaubt es, diesen einen Verlust sowohl in dem einen als auch in dem anderen Land geltend zu machen. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Lädt ein!) Diese Logik ist natürlich hochgefährlich, weil die doppelte Verlustverrechnung im grenzüberschreitenden Fall deutlich macht, dass hier viele Gestaltungsmöglichkeiten gegeben sind. Da haben wir als Finanzpolitiker die Aufgabe, die Einnahmeseite des Staates sicherzustellen, zu stärken, Steuersubstrat im Lande zu halten, damit die Haushälter die Chance haben, entsprechende Ausgaben zu tätigen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ich will auch sagen, warum uns diese Regelung besonders ärgert. Es gibt nämlich die Idee, die Besteuerungsbefugnisse auf die Mitgliedstaaten aufzuteilen. Herr Wissing hat etwas abgewehrt. Wir können in zwei Jahren einmal evaluieren, was uns dieser kleine Antrag, dieser große Fehler gekostet hat. Das ist für den Fiskus tatsächlich ein großer Nachteil. Ich glaube, dass man mit diesem Sachverhalt so nicht umgehen kann. Es ist doch auch nicht logisch, zu sagen: Ich darf einen Verlust doppelt geltend machen. Wenn kein besserer Vorschlag vorläge, dann könnte man sagen: Gut, gewisse Fehler müssen nun einmal gemacht werden. Aber es gibt die Möglichkeit, die Befugnisse auf die verschiedenen Staaten aufzuteilen. Damit hätte man eine faire Verlustteilung, eine faire Anrechnung auf den Gewinn. Das wäre korrekt. Warum Sie sich dieser Möglichkeit berauben und diese falsche Konsequenz aus diesem Urteil, bezogen auf Philips Electronics, ziehen, können wir nicht verstehen; denn Sie wissen genau, dass der EuGH auf die einzelnen Fisci grundsätzlich keine Rücksicht nimmt. Wenn das so ist, dann haben wir immer ein fiskalisches Problem. Hier hätte man die Chance gehabt, die Unsicherheit im Rechtsraum zu belassen und die Sicherheit beim Fiskus zu suchen. Sie aber haben es umgekehrt gemacht: Sie haben den Fiskus in die Unsicherheit gebracht und die rechtliche Seite in Sicherheit. Das heißt aber, wir haben an dieser Stelle riesige Verluste, die in einem anderen Fall überhaupt nicht gegeben wären. Deshalb halten wir dieses Gesetz für gut, aber wegen dieses Tropfens Arsen leider für nicht zustimmungsfähig. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Volker Wissing (FDP): Herr Präsident, ich danke Ihnen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihre Argumente, lieber Herr Kollege Binding, warum Sie diesem Gesetz nicht zustimmen können, konnte man nicht ganz nachvollziehen. Das lag wahrscheinlich daran, dass Sie sich lange überlegt haben: Wie kann man die Ablehnung eines so guten Gesetzes begründen? (Beifall bei der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das stimmt überhaupt nicht! Das wissen Sie auch!) Es ist Ihnen wirklich nicht gelungen, das hier überzeugend vorzutragen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: In der Psychologie heißt das Projektion!) Ich muss ehrlich sagen: Sie müssen am Ende den Menschen erklären, was Sie hier machen. Es ist nicht meine Aufgabe, Ihren Wählern zu erklären, was Sie hier machen. Aber ich frage mich ernsthaft, ob eine sozialdemokratische Partei hier eine steuerliche Verbesserung nach der anderen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit an den Haaren herbeigezogenen Begründungen ablehnen kann, (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Richtig! So ist das! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Da haben wir überall zugestimmt!) lieber Herr Kollege Binding. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manuel Höferlin [FDP]: Das wahre Gesicht der Sozialdemokraten! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie wissen wahrscheinlich, dass ich recht habe!) Es liegt wieder eine Studie der OECD vor, dass in Deutschland die Belastungen für untere und mittlere Einkommen durch die kalte Progression massiv gestiegen sind. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Was hat das mit der Unternehmensbesteuerung zu tun?) Wir haben ein Steuergesetz zur Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier im Deutschen Bundestag eingebracht – die SPD war dagegen. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Machen Sie den Tarif anders, richtig! Linear Progressiv! Dann wird es ordentlich!) Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Problem, dass sie im Bereich der Reisekosten, der Arbeitsstätte und der doppelten Haushaltsführung erhebliche Bürokratielasten zu tragen haben. Da sind sehr streitanfällige Begriffe im Gesetz. Das nervt die Menschen. Davon sind Kraftfahrer betroffen. Sie sind über dieses Steuerrecht genervt. Sie haben einen harten Job. Sie tun wirklich alles, was sie können und erbringen enorme Leistungen für diese Gesellschaft. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das tragen wir auch mit!) Sie wollen von diesem Steuerrecht nicht unnötig gegängelt werden. Jetzt legen wir Ihnen etwas vor, was diesen Menschen ihr Leben vereinfacht und eine leichte Entlastungswirkung mit sich bringt – immerhin bewirken diese Regelungen eine Entlastung von 200 Millionen Euro –, weil wir nicht wollen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Kosten tragen. Jetzt sagt die Sozialdemokratie: Nein, aus parteitaktischen oder sonstigen Gründen, mit an den Haaren herbeigezogenen Argumenten, knallen wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wieder einmal einen vor den Latz. – Das ist doch keine soziale Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Der Versuch, Ihnen das zu erklären, ist offensichtlich gescheitert!) Deswegen fragt man sich doch ernsthaft: Was haben Ihnen denn die Menschen in Deutschland getan, die morgens früh aufstehen und hart arbeiten? Warum müssen diese Menschen denn durch die kalte Progression abkassiert werden? (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die müssen die FDP ertragen!) Warum müssen diese Menschen denn mit Steuerbürokratie gegängelt werden? Wissen Sie überhaupt noch, wie es draußen im Leben zugeht? Haben Sie einmal mit einem Kraftfahrer gesprochen? Haben Sie einmal mit den Leuten gesprochen, die genervt sind, weil sie dem Finanzamt Stunden und Minuten nachweisen müssen? (Manfred Zöllmer [SPD]: Sie wissen das aber!) Wissen Sie, was diese Erleichterungen, die dieses Gesetz mit sich bringt, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Außendienst bedeuten? Warum zeigen Sie als Sozialdemokraten diesen Menschen die kalte Schulter? Das hätten wir heute gern einmal von Ihnen gehört. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Haben Sie mir auch zugehört?) Das ist das größte Steuervereinfachungsgesetz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser Legislaturperiode. Selbst die Deutsche Steuer-Gewerkschaft hat gesagt, (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Selbst die SPD!) dass dieser Gesetzentwurf ein sehr guter Gesetzentwurf ist. – Ach, die SPD. Sie werden doch nicht daran gemessen, was Sie draußen faseln. Sie werden doch daran gemessen, wie Sie hier abstimmen. Sie verweigern den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein faireres und gerechteres Reisekostenrecht. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nein, das machen wir nicht!) Das ist sozialdemokratische Realpolitik. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: So funktioniert Politik nicht! So funktioniert Demagogie, aber nicht Politik! – Zuruf von der FDP: Das kommt alles ins Protokoll!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzentwurf ist in enger Abstimmung mit den Betroffenen zustande gekommen. Die Bundesregierung hat das hervorragend vorbereitet. Der Herr Staatssekretär Koschyk hat sich genauso wie Bundesfinanzminister Schäuble darum bemüht. Die Koalition hat gesagt: Hier sind Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen, und für uns steht von vornherein fest: Dieses Gesetz soll eine echte Entlastung für die Betroffenen, für die Arbeitnehmer, aber nicht für die Finanzverwaltung sein. Im Vordergrund standen die Menschen, die hart arbeiten. Das ist uns auch gelungen. Wir haben in der Anhörung keine kritische Stimme gehört, die sich gegen diesen Gesetzentwurf gewandt hat. Wir haben kein einziges vernünftiges Argument gegen diesen Gesetzentwurf gehört. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: War in der Anhörung Ihr Antrag schon drin? – Bernd Scheelen [SPD]: Wenn Sie erst hinterher Arsen zuschütten, können die Sachverständigen nichts dazu sagen!) Die Menschen haben gesagt: So ein Zustandekommen ist vorbildlich. Mit uns reden, unsere wirklichen Probleme ernst nehmen, all das steht in diesem Gesetzentwurf drin. Wir haben uns gegen eine knallharte Gegenfinanzierung in schwierigen Zeiten ausgesprochen und wollen es den Menschen einfacher machen, ohne sie dafür bezahlen zu lassen. Das ist das, was wir hier zustande gebracht haben. (Bernd Scheelen [SPD]: 3 Prozent kriegen Sie zustande!) Wenn Sie die Sorgen der Menschen wirklich ernst nehmen würden, dann würden Sie Ihre parteitaktischen Interessen hintanstellen und nicht alles verhindern und nicht zu allem Nein sagen. Deswegen glaube ich, dass die Menschen mit diesem Gesetz sehr gut zurechtkommen werden. Ich glaube, dass das ein hervorragendes Gesetz ist. Wir haben künftig eine klare Regelung, was die Arbeitsstätte angeht. Es wird nicht mehr auf komplizierte streitanfällige Begriffe ankommen, sondern auf das, was im Arbeitsvertrag steht. Wir werden einfache Regeln für die doppelte Haushaltsführung haben. Es wird nicht mehr auf die ortsübliche Vergleichsmiete ankommen, sondern es wird einfach auf die tatsächliche Miete ankommen, gedeckelt auf 1 000 Euro. Einfacher kann Steuerrecht gar nicht mehr sein. Dann sagen Sie Nein. Das können Sie den Menschen in Deutschland nicht ernsthaft antun wollen, was Sie hier vortragen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch etwas zu dem unternehmensteuerrechtlichen Teil sagen. Wir haben in diesem Gesetzentwurf eine Lösung für die Frage der Organschaft vorgesehen. Das Problem mit dem Gewinnabführungsvertrag wird ebenfalls gelöst. Das ist ein drängendes Problem für die deutsche Wirtschaft. Wir hätten uns auch vorstellen können, einen größeren Schritt hin zur Gruppenbesteuerung zu machen. Dazu gab es keine große Unterstützung vonseiten der Wirtschaft. Wir haben aber gesagt: Das, was notwendig ist und was kurzfristig gemacht werden kann und was wirklich hilft in diesem Bereich, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, das machen wir. Ich kann auch nicht verstehen, dass Sie den Verlustrücktrag, der eine spürbare Liquiditätsverbesserung für kleine und mittlere Unternehmen, also für den Mittelstand, mit sich bringen wird, ausgerechnet hier im Deutschen Bundestag kritisieren. Wir reden die ganze Zeit von Wachstum. Jetzt schaffen wir mehr Liquidität für kleine und mittlere Unternehmen. Das ist eine Chance für Investitionen, für Arbeitsplätze und für Wachstum. Wer sagt Nein dazu? Die Sozialdemokratie. (Bernd Scheelen [SPD]: Haben Sie nicht zugehört, oder was? ) Sie kann man für Wachstumspolitik, Arbeitsmarktpolitik und Steuerpolitik einfach nur vergessen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das war noch mehr Arsen, als ich ursprünglich dachte!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin Dr. Barbara Höll. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Danke, Herr Präsident. – Herr Wissing, die Speerspitze der Arbeiterbewegung? (Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Was Sie hier abgeliefert haben, ist einfach plump. Herr Wissing, Sie können das als Koalition und Regierung, aber Sie haben ganz bewusst eine gute gesetzliche Regelung, das Reisekostenrecht, einfach mit dem Bereich Unternehmensteuern zusammengepackt, was erst einmal überhaupt nichts miteinander zu tun hat. Wer möchte, kann sehr wohl im Protokoll des Finanzausschusses nachlesen – das spiegelt sich dann auch in dem Bericht wider –, dass die Opposition den Änderungen im Reisekostenrecht zugestimmt hat. (Zuruf von der FDP: Aha!) – Ja, das haben Sie ordentlich vorbereitet. Das war auch in der Anhörung so zu hören. Da haben wir tatsächlich eine Steuervereinfachung erreicht. Rechtlich unbestimmte Begriffe wurden konkretisiert. Das ist schon angesprochen worden. Das geht voll in Ordnung. Aber wenn Sie jetzt sagen: „Es war alles prima bei der Anhörung“, dann stimmt das nicht. (Otto Fricke [FDP]: Bis jetzt war es fair!) Da frage ich mich wieder, Herr Wissing: Machen Sie dort die Ohren zu? Oder wie war das im weiteren Verlauf, wenn unangenehme Fragen kamen? (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Man wundert sich da, ja!) Der zweite große Bereich, den Sie in dem Gesetzentwurf behandeln, ist die Unternehmensbesteuerung. Dabei geht es um zwei Dinge. Zum einen haben Sie die Voraussetzungen zur Bildung einer ertragsteuerlichen Organschaft abgesenkt, obwohl wir alle wissen, dass prinzipiell gerade die Organschaften oftmals gebildet werden, um Steuergestaltungsmodelle zu nutzen. Zum anderen haben Sie die Verdoppelung der Höchstbeträge beim Verlustrücktrag vorgesehen. Wenn Sie das als Förderung der kleinen und mittelständischen Betriebe bezeichnen, (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Der Arbeitnehmer vor allem!) dann möchte ich noch einmal die Zahlen nennen. Es geht um eine Summe von 500 000 Euro, die jetzt auf 1 Million Euro erhöht wird. Für die kleinen und mittelständischen Betriebe bei mir in Leipzig gilt: Wenn einer da-runterfällt, ist das wahrscheinlich schon viel. (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Dann kennen Sie den industriellen Mittelstand aber überhaupt nicht, Frau Höll! Dann haben Sie keine Ahnung vom industriellen Mittelstand!) Das ist wirklich keine breite Förderung der KMU, im Gegenteil. Ich habe dazu Kleine Anfragen im Bundestag gestellt, die das Finanzministerium beantwortet hat. Laut OECD-Zahlen gibt es in keinem anderen Staat in Europa eine solch große Anhäufung von Verlustrückträgen wie in Deutschland. Wenn die alle auf einmal geltend gemacht würden, dann hätten wir aber Riesenprobleme. Das ist eine Zeitbombe, insbesondere für die Kommunen. Dagegen hätten Sie etwas tun müssen. Das hätten Sie anpacken müssen. Nein, Sie machen das nicht. Das ist also mehr als nur ein Tropfen Arsen. Das ist für mich ein weiterer Grund, warum man dem Gesetzentwurf insgesamt nicht zustimmen kann. Das hat nichts mit steuerlicher Gerechtigkeit zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme noch einmal zu dem bereits angesprochenen Punkt, wie Sie das EuGH-Urteil zu der Frage aufgenommen haben, wie Unternehmen, die in mehreren Staaten agieren, mit ihren Verlusten umgehen müssen. (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Der Punkt ist doch von keinem Sachverständigen bemängelt worden!) Es stellt doch niemand, auch wir nicht, in Abrede, dass man Gewinne und Verluste verrechnen können muss. Aber wenn Sie jetzt zur Steuergestaltung förmlich einladen (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Das ist doch völliger Quatsch!) und sagen: „Bitte schön, jetzt öffnen wir euch das Tor; ihr könnt jetzt eure Verluste nehmen, erst in Land A und in Land B nochmals“, (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Da stehen Sie aber ziemlich alleine mit Ihrer Meinung!) dann wären doch einige mit dem Klammerbeutel gepudert, (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das scheint mir bei Ihnen passiert zu sein mit dem Klammerbeutel!) wenn sie das nicht als Möglichkeit nutzen und ihre wirtschaftliche Tätigkeit dann vielleicht auch entsprechend ausdehnen. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das sagen die Sachverständigen aber ganz anders! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das lag bei der Anhörung überhaupt noch nicht vor!) Eine solche Umsetzung geht überhaupt nicht. Statt an dieser Stelle etwas mit der heißen Nadel zu machen, hätten wir uns Zeit nehmen und ordentlich beraten müssen, damit etwas herauskommt, was nicht zu weiteren Steuerausfällen führen kann, sondern einerseits der Rechtslage Rechnung trägt, andererseits aber dem Gemeinwesen nicht schadet. Etwas Gutes mit zu verpacken und uns dann zu sagen, dass wir jetzt mit dem guten Reisekostenrecht die große Kröte im Unternehmensteuerrecht schlucken müssen, ist ein plumper Versuch. Damit werden Sie nicht durchkommen. Diesen Gesetzentwurf kann man nur insgesamt ablehnen, und das wird die Linke tun. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Thomas Gambke vom Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir wollen als Grüne, dass Reformen in der Unternehmensbesteuerung drei Ziele verfolgen: nachhaltig, gerecht, europäisch. Deutschland ist ein attraktiver Wirtschaftsstandort – keine Frage. Die Besteuerung von Unternehmen ist mit rund 30 Prozent im weltweiten Vergleich durchaus wettbewerbsfähig. Aber nicht nur deshalb, sondern auch wegen der Haushaltskonsolidierung sehen wir als Grüne keinen Spielraum für Reformen im Unternehmensteuerbereich, die zu Einnahmeminderungen führen. Erfüllt das Gesetz diese Kriterien „nachhaltig, gerecht, europäisch“? Leider erfüllt es sie nicht in jedem Punkt; denn erstens haben Sie drängende Baustellen im Bereich der Unternehmensteuern – es ist ein Gesetz auch zur Unternehmensbesteuerung – gar nicht erst angepackt, (Zuruf von der CDU/CSU: Zum Beispiel?) und zweitens führt das Gesetz zu Mindereinnahmen von 300 Millionen Euro im Jahr. Das ist einfach nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber kommen wir erstens dazu, was dem Gesetz fehlt. Da fehlt zum Beispiel eine Lösung zur Besteuerung von Streubesitzdividenden. Sie kennen das Urteil des EuGH. Die Verschleppung dieses Problems kann richtig teuer werden. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Das werden wir schon lösen! Keine Sorge!) – Ja, das werden Sie lösen. Aber warum lösen Sie es nicht jetzt? Rechtssicherheit ist nicht gegeben, aber Planbarkeit ist eine sehr wichtige Größe bei Unternehmensentscheidungen, bei Entscheidungen über langfristige Investitionen. Hören Sie, was im Moment die Wagniskapitalgeber sagen und was die Gründerszene sagt! Da ist man stark verunsichert. Ich meine, da hätten Sie handeln müssen, und zwar jetzt; denn es ist wichtig, dass man handelt, weil Planungssicherheit für Unternehmen eine Grundvoraussetzung für das Investieren ist. Da versündigen Sie sich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Volker Wissing [FDP]: Was ist denn Ihr Vorschlag dazu?) – Wir haben einen Vorschlag, aber darüber rede ich jetzt nicht. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Volker Wissing [FDP]: Wunderbar! Das Thema ist doch so wichtig, Herr Gambke! – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Nur Mut! – Gegenruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Jetzt reden wir über euren Vorschlag!) Zweitens. Steuerausfälle wären gar nicht nötig. Sie haben im Februar einen 12-Punkte-Plan vorgelegt. Wo ist der verschwunden? Im Nirwana! Da waren ganz sinnvolle Maßnahmen vorgesehen. Da waren enthalten Vorschläge zur Verhinderung von weißen Einkünften. Da gab es die Beschränkung der sogenannten Heuschrecken. Sie haben die Wertpapierleihe beschränken wollen. Zu nennen ist auch die Monetarisierung von Verlusten. Warum haben Sie das nicht umgesetzt? Es ist Arbeitsverweigerung, wenn Sie die Punkte, die Sie selbst nennen, einfach vom Tisch nehmen und so tun, als wenn sie gar nicht da gewesen wären. Das ist nicht in Ordnung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Richtig: Beim Reisekostenrecht sind wichtige Ziele erfüllt, etwa die Verminderung von Verwaltungsaufwand. Es ist Rechtssicherheit gegeben; auch das ist richtig. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Na also!) Deshalb begrüßen wir diese Reform, aber (Dr. Volker Wissing [FDP]: Müssen leider dagegen stimmen!) es bleibt die Frage offen: Warum haben Sie vorher nicht einmal mit den Oppositionsfraktionen geredet? (Dr. Volker Wissing [FDP]: Berichterstattergespräch!) Wir haben es im Berichterstattergespräch gehört. Warum haben Sie nicht einmal geredet (Dr. Volker Wissing [FDP]: Haben wir doch!) und eine Abstimmung zwischen Bund und Ländern gesucht, um eine aufkommensneutrale Lösung anzustreben? Sie haben eine Lösung angestrebt, die einfach für Sie ist, aber die eine Einnahmeminderung um fast 300 Millionen Euro bedeutet. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Sind Sie jetzt für oder gegen die Vereinfachung beim Reisekostenrecht?) – Warten Sie es doch ab! (Zuruf von der LINKEN: Teilen Sie doch das Gesetz!) Thema Organschaft. Wir begrüßen die Reform beim Gewinnabführungsvertrag. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Deswegen wollen Sie dagegen stimmen, oder?) Sie wissen genauso wie ich, dass das eine Sache ist, die überfällig war. Wir haben das vor einem Jahr gefordert. Ich persönlich bin sehr froh, dass Sie sich mit Ihrer modernen Gruppenbesteuerung nicht durchgesetzt haben. Sie wissen, warum. Das hätte zu massiven Steuerausfällen geführt, und das wäre nicht in Ordnung gewesen. Wir als Politiker sollten das Thema Unternehmensbesteuerung nicht nur fiskalpolitisch sehen. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Aha! – Dr. Volker Wissing [FDP]: Das sagt ein Grüner!) Das bringt mich zu der Frage: Wie müssen denn zukünftige Organschaftsregelungen aussehen, auch im Sinne von europäischen Lösungen? Da gebe ich Ihnen einmal zu bedenken, dass es nicht immer gut ist, nur in Richtung Konzerne zu denken; es ist auch einmal an kleine und mittlere Unternehmen zu denken. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Deswegen haben wir den doppelten Verlustrücktrag auch noch drin!) Ein modernes Gruppenbesteuerungssystem muss auch kleinen und mittleren Unternehmen helfen. Denken Sie an die sogenannten Hidden Champions! Das sind die kleinen Unternehmen, die irgendwann einmal so weit sind, dass sie unsere Wirtschaft wesentlich stützen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Kleine Unternehmen sind Champions? Die haben 1 000, die haben 2 000 Leute!) – Ja, ich verbessere mich, Herr Flosbach. Es gibt kleine und mittlere Unternehmen, und aus denen entstehen die Hidden Champions, und die wollen wir stützen. Deshalb wollen wir eine Organschaft, die diesen Bedingungen wirklich Rechnung trägt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Sie bitte zum Schluss. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zusammenfassend heißt das: Wir Grüne können trotz einiger Übereinstimmungen in den Zielen diesem -Gesetzentwurf insgesamt nicht zustimmen. Wir werden uns enthalten. Wir können Steuerausfälle in Höhe von 300 Millionen Euro einfach nicht akzeptieren. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt das Wort der Kollege Dr. h. c. Hans Michelbach von der CDU/CSU-Fraktion. Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein zentrales Ziel unserer Politik ist die Sicherung unseres Wirtschaftsstandorts Deutschland. Dazu gehören die Wettbewerbsfähigkeit und neue Arbeitsplätze. Dazu gehören Spitzentechnologie und Industriepolitik. Dazu gehören Bürokratieabbau und Vereinfachung mit einer unternehmensfreundlichen Steuerpolitik. Das ist unser Ziel. Wir haben schon in vielen Schritten Erfolge. Da wir auch in Europa am besten dastehen, können wir mit Stolz feststellen: Diese Ziele werden durch unsere Politik erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zweifellos ist die Steuerpolitik weiterhin die größte Herausforderung für die Binnenkonjunktur. Deshalb haben wir das Gesetz, über das wir jetzt abstimmen, eingebracht und damit eine weitere wichtige Zielsetzung aus unserem Koalitionsvertrag umgesetzt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll das Unternehmensteuerrecht durch zielgenaue Maßnahmen verbessert, vereinfacht und rechtssicherer ausgestaltet werden. Auch sollen durchaus Entlastungen vorgenommen werden; denn wir haben in diesem Bereich einen sehr starken Aufwuchs an Steuermehreinnahmen. Das muss man einmal feststellen. Wir wissen, dass unsere Politik bei der Opposition natürlich nicht auf Gegenliebe stößt. Sie wollen die Betriebe, insbesondere die mittelständische Wirtschaft, verstärkt weiter abkassieren. Das ist Ihr Thema. Herr Gabriel möchte das französische Vorbild kopieren. Zusätzlich 22 Milliarden Euro Belastung der Mittelschicht in Deutschland ist das Ziel der SPD. Das ist die Tatsache, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Grünen haben gesagt, Sie hätten zwar zugestimmt, aber es sei keine Aufkommensneutralität vorhanden. Wer in einem Steuergesetz Aufkommensneutralität anstrebt, wird letzten Endes keine Strukturveränderungen durchführen können, weil dabei immer wieder eine Entlastung stattfindet. Die Entbürokratisierung bei den Reisekosten steht selbstverständlich mit den Unternehmen in Verbindung; denn wir und auch die deutsche Wirtschaft wollen motivierte und vor allem mobile Arbeitnehmer. Deswegen ist es ganz wichtig, dass unsere Arbeitnehmer vereinfachte Reisekostenabrechnungen machen können. Das ist das Ziel, und das wird erfüllt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Dieser Teil ist auch gut!) Der zweite Punkt, nämlich die Verbesserung beim Verlustrücktrag, dient insbesondere dem Mittelstand. Wenn dieser von 500 000 Euro auf 1 Million Euro nahezu verdoppelt wird, dann profitieren insbesondere die leistungsfähigen mittelständischen Betriebe. Hier wird Liquidität geschaffen. Wir wollen möglichst wenig Substanzbesteuerung, möglichst wenig Substanz aus den Firmen herausnehmen. Dies dient dem Betrieb. Das System der Verlustnutzung ist betriebssichernd und entspricht grundsätzlich internationalen Standards. Wir wollen, dass möglichst keine Verluste anfallen. Aber in den Konjunkturzyklen ist es nun einmal so: Zur Erhaltung der Substanz in den Unternehmen gehört der Liquiditätsausgleich. Man muss immer wieder mit Konjunktureinbrüchen rechnen. Wir wollen die Betriebe erhalten. Jeder Betrieb, der wegfällt, kann nicht so schnell wieder errichtet und erneuert werden. Deswegen ist der Erhalt der Arbeitsplätze, der Erhalt der Betriebe ein wesentlicher Faktor für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung. Das geht insbesondere mit einem Verlustrücktrag. Deswegen ist das, was wir heute angehen, wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die verbundenen Unternehmen bekommen mit diesem Gesetz mehr Sicherheit. Wir haben in dem Bereich der Organbesteuerung wachsende Unsicherheit zu verzeichnen. Es ist doch für eine mittelständische Unternehmung zweifellos eine wesentliche Frage, ob bei Investitionen oder Expansionen ins Ausland Unsicherheit herrscht oder nicht. Deswegen ist es ganz entscheidend, dass wir Unsicherheit abbauen und den Betrieben gerade bei der Besteuerung Rechtssicherheit verschaffen. Das ist unser Ansatz. Wir haben genau das richtige Rezept, um den Betrieben zu helfen. Ich bin natürlich sehr enttäuscht, (Zurufe von der SPD: Oh! Oh!) dass Sie trotz meiner unerschütterlichen Argumentation nach wie vor Ihre Zustimmung verweigern. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das haben Sie sogar verstärkt!) – Herr Kollege Binding, die Krokodilstränen, die hier geflossen sind, sollten letzten Endes Ihre Zustimmungsverweigerung etwas verschönern. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Machen Sie die Probe aufs Exempel! Nehmt den Teil raus! Dann stimmen wir zu!) Ich kann nur sagen: Die Blockadepolitik von Rot-Grün in der Steuerpolitik wird Ihnen noch auf die Füße fallen. Davon bin ich fest überzeugt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Leute werden es Ihnen verübeln, dass Sie letzten Endes die Geringverdiener und die Mittelschicht durch Ihre Blockade unserer Reform, die zu einer Abmilderung der Auswirkung der kalten Progression, der heimlichen Steuererhöhungen, führen soll, nicht entlasten. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Darüber werden wir später noch reden! Das ist eine Chimäre!) Deswegen ist es ganz klar: Wenn Sie von der SPD die Blockade in der Steuerpolitik aufrechterhalten, werden Sie Schiffbruch erleiden. Das gebe ich Ihnen schriftlich; denn Steuerpolitik ist Gesellschaftspolitik, und die Menschen merken, wer sie entlastet und wer sie belastet. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wir wollen das schriftlich!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 17/11180 und 17/11217, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/10774 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge sich erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Verlustverrechnung einschränken – Steuereinnahmen sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 17/11180 und 17/11217, den Antrag der Fraktion Die Linke auf -Drucksache 17/5525 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Gohlke, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Hochschulzugang bundesgesetzlich regeln – Recht auf freien Zugang zum Master sichern – Drucksache 17/10861 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.8 Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/10861 an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr – Drucksache 17/9694 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/11182 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Patrick Sensburg Christoph Strässer Jörg van Essen Jens Petermann Jerzy Montag Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es -Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Patrick Sensburg von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was uns überfraktionell eint, ist die Tatsache, dass wir hinter unseren Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz stehen, dass wir ihnen Rückhalt geben und dass wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages unsere Parlamentsarmee stützen, wenn sie die schweren Aufgaben im Ausland wahrnimmt. -Deshalb ist es gut, dass wir heute über diesen Tagesordnungspunkt debattieren. Wir debattieren über den Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr. Wir konzentrieren die Zuständigkeiten für Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz; denn es kommt immer wieder vor, dass unsere Soldatinnen und Soldaten bei Auslandseinsätzen von der Waffe Gebrauch machen müssen. Dann wird gegebenenfalls gegen sie ermittelt. Das ist auch richtig so. Denken Sie an folgende Situation: Eine Patrouille muss sich mit Waffengewalt verteidigen. Danach wird es Untersuchungen geben. Wir wollen, dass sich diese Untersuchungen bei einem Gericht und einer Staatsanwaltschaft konzentrieren. Nach dem bisherigen Grundsatz finden Ermittlungen und Untersuchungen am Ort der Stationierung statt. Wenn man weiß, dass unsere Soldaten im Auslandseinsatz aus vielen Standorten kommen, dann weiß man auch, dass das zu vielen Gerichtsständen führen kann. Das wollen wir mit diesem Gesetz ändern. Im Rahmen des aktuellen ISAF-Kontingents leisten zurzeit Soldaten aus 14 Bundesländern ihren Dienst. Sie kommen aus 104 verschiedenen Standorten. Wird beispielsweise gegen Soldaten im Rahmen eines Einsatzes – im Rahmen eines Operational Mentoring and Liaison Teams, den sogenannten OMLTs – ermittelt, weil sie sich verteidigt haben, dann müssten im Grunde die Gerichte in Hamburg, in Düsseldorf, in Frankfurt oder in München entscheiden, je nachdem, aus welchem Standort die Soldaten kommen. Das wollen wir mit dem Gesetz beheben. Bei Inlandsstraftaten liegt eine ganz andere Situation vor; hier ergibt sich die Zuständigkeit nach dem Tatort. Bei den Soldaten jedoch, die wir in den Auslandseinsatz schicken, müssen wir dafür sorgen, dass dieser Situation auch Rechnung getragen wird. Das schafft der vorliegende Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Denken Sie beispielsweise an die Situation vom -Dezember 2009. 300 Bundeswehrsoldaten waren gemeinsam mit 300 Angehörigen afghanischer Streitkräfte in Gefechte verwickelt. Es gab zwei verletzte deutsche Soldaten, auch getötete Taliban. Nach der jetzigen Regelung hätte es dazu kommen können, dass Staatsanwaltschaften an 104 verschiedenen Landgerichten ermittelt hätten. Das führt zu einer unklaren Situation für unsere Soldaten. Deswegen haben wir diesen Gesetzentwurf vorgelegt, der hoffentlich Ihre Unterstützung finden wird. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf keinen Fall!) Zurzeit leisten jährlich rund 23 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst in elf Einsätzen und Missionen in Europa, in Asien und in Afrika. Wenn man sich den Turnus der verschiedenen Einsatzkontingente anschaut, dann erkennt man, dass sogar noch mehr als 23 000 deutsche Soldaten betroffen sind, die an unterschiedlichen Gerichtsstandorten Verfahren ausgesetzt sein könnten. Wir orientieren uns nicht mehr wie bisher am Ort der Stationierung der Soldaten. Diese Sichtweise hat in den letzten Jahren im Grunde immer mehr an Aktualität verloren, weil unsere deutschen Soldaten immer häufiger in Auslandseinsätzen ihren Dienst leisten. Wir orientieren uns an einer Konzentration der Kompetenzen. Das ist in der heutigen Zeit auch richtig so. Meine Damen und Herren, im Ergebnis schaffen wir damit Klarheit bezüglich der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft. Wir schaffen auch Klarheit bezüglich der -Zuständigkeit des Gerichts. Außerdem beheben wir die Unklarheit bei der Bewertung der unterschiedlichen Lebenssachverhalte. Es war nämlich ein großes Problem, dass verschiedene Gerichte den gleichen Lebenssachverhalt unterschiedlich bewerten konnten. Dieses Problem lösen wir, indem wir die Sachkompetenzen konzentrieren. Dies ist richtig; das schulden wir unseren Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aufgrund unserer Verantwortung gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten haben wir in den letzten drei Jahren maßgebliche Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht. Ich erinnere dabei an die Einsatzbetreuungskommunikation, die wir für unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz deutlich verbessert haben. Ich erinnere an das Einsatzversorgungsgesetz, das die Situation unserer Soldatinnen und Soldaten verbessert hat. Denken Sie nur an die Weiterverwendung bei Wehrdienstbeschädigung ab 30 Prozent; denken Sie daran, dass wir dies auch auf Zivilpersonal ausgedehnt haben. Denken Sie als weiteres Beispiel an die Hinterbliebenenversorgung für unsere Soldatinnen und Soldaten, die wir deutlich verbessert haben. Wir kümmern uns um unsere Soldatinnen und Soldaten. Das zeigt auch der vorliegende Gesetzentwurf. Wir sorgen für rechtliche Klarheit. Wenn unsere Soldatinnen und Soldaten im Ausland sind, wenn sie in Gefechte verwickelt werden, wenn gegen sie ermittelt wird, dann wollen wir Klarheit bei der Zuständigkeit der Gerichte und der Staatsanwaltschaften. Wir wollen die Sachkompetenzen bündeln. Das erreichen wir mit diesem Gesetz. Mit § 11 a StPO schaffen wir einen Gerichtsstand bei dem für die Stadt Kempten zuständigen Gericht. Damit ist klar, wer zuständig ist. Wir konzentrieren hier die Befassung mit allen Straftaten, die von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz begangen werden. Dies ist im Kern richtig, weil wir eine Vielzahl von Voraussetzungen berücksichtigen müssen, die bei der Ermittlung gegen Soldatinnen und Soldaten eine Rolle spielen, die aber grundsätzlich bei Gerichten so nicht bekannt sind. So verfahren wir schon bei den Staatsanwaltschaften. Wir haben Spezialzuständigkeiten für Schwerpunktstaatsanwaltschaften beispielsweise in der Wirtschaftskriminalität, in der Korruptionsbekämpfung, bei der Drogenkriminalität, im Dopingbereich und bei der Internetkriminalität. In Bezug auf diese Bereiche haben wir bereits Sachkompetenzen konzentriert. Deswegen ist es folgerichtig, für den jetzt in Rede stehenden Bereich Sachkompetenzen bei Staatsanwaltschaften zu konzentrieren – wir haben damit bisher gute Erfahrungen gemacht –, aber auch bei Gerichten; denn die bei einer Staatsanwaltschaft konzentrierten Sachkompetenzen sollten dann nicht wieder auf viele Gerichte verteilt werden. Denken Sie einmal daran, wie viele Rahmenbedingungen bei der Bewertung eines Sachverhalts bei -Auslandseinsätzen zu berücksichtigen sind. Da sind die Rules of Engagement, die konkrete Befehlslage und viele andere Rahmenbedingungen, die für den Auslandseinsatz eine Rolle spielen, zu berücksichtigen. Die dafür notwendigen Kompetenzen sind im Zweifel nicht bei jedem Amts- und Landgericht vorhanden; da muss man sich erst einarbeiten. Das hat die Konzentration bei Gerichten, wo sie stattgefunden hat, schon gezeigt. Wir wollen eine kompetente Beurteilung der Sachverhalte durch die Gerichte. Deswegen ist eine Konzentration bei einem Gericht folgerichtig. Für den Freistaat Bayern hatten wir bereits die Konzentration in Kempten. Deswegen haben wir uns für diesen Standort entschieden, um die Voraussetzungen für funktionsfähige, sachkompetente und schnelle Untersuchungen, aber auch für ebensolche Ermittlungs- und Gerichtsverfahren an diesem Gericht zu schaffen. Ein – wie teilweise behauptet – Verstoß gegen Art. 101 unseres Grundgesetzes, wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, ist hierin nicht zu sehen. Wir haben hier kein Ausnahme-gericht, wie es manchmal behauptet wird, sondern wir konzentrieren Kompetenzen. Es handelt sich um eine Sondergerichtsbarkeit; das ist richtig. Sie ist zulässig und ist schon in vielen Bereichen geschaffen worden. Denken Sie an ärztliche Berufungsgerichte, Schifffahrtsgerichte, Richterdienstgerichte und Flurbereinigungs-gerichte. Angesichts dessen ist doch die Behauptung abwegig, wir würden für unsere Soldatinnen und Soldaten hier eine verfassungswidrige Gerichtskompetenz schaffen. Im Gegenteil: Wir schaffen etwas Folgerichtiges. Das sind wir unseren Soldatinnen und Soldaten auch schuldig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gerade vor dem Hintergrund unserer Vergangenheit müssen wir mit dem Thema „Militär und Justiz“ meines Erachtens sehr sorgfältig umgehen. Deswegen schaffen wir mit dem Gesetz keine Militärjustiz. Wir wollen nicht, dass Soldaten über Soldaten entscheiden. Meines Erachtens gebietet es sowohl der Respekt vor der freien Justiz als auch der Respekt vor den Soldaten, hier genau zu sein, Begrifflichkeiten nicht zu verwischen. Wir richten Gerichte ein, die unabhängig sind. Wir haben Kompetenzen bei einem Gericht konzentriert und eben keine Militärjustiz geschaffen. Wir sind in diesem Gesetzentwurf der historischen Bedeutung gerecht geworden, indem wir Kompetenzen konzentrieren, aber keine Militärjustiz schaffen und keine Ausnahmegerichte errichten. Wir erreichen an dieser Stelle für unsere Soldatinnen und Soldaten Sicherheit. Wir bündeln Fachkompetenzen. In absehbarer Zeit werden wir nach mehreren Verfahren erleben, dass sich diese Fachkompetenz in der Praxis auswirken wird. Wir haben ausreichend viele Verfahren; dies ist von Ihnen, Herr Kollege, nachgefragt worden. Die Antwort lautet, dass es in den letzten Jahren 167 Verfahren gab; im letzten Jahr 2011 hatten wir, glaube ich, 27 Verfahren. (Christoph Strässer [SPD]: Aber nicht nach § 11 a!) Das ist nicht zu wenig, das ist deutlich ausreichend, um hier eine Konzentration der Kompetenzen zu schaffen. Dies sollten wir auch machen. Wir sollten hoffen, dass wir nicht mehr Fälle haben, sondern uns um die wenigen Fälle sorgen, die wir zurzeit haben. Wir sollten uns auch die Chance gönnen, hier durch die Bündelung von Fachkompetenzen unseren Soldatinnen und Soldaten gerecht zu werden. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort der Kollege Christoph Strässer von der SPD-Fraktion. Christoph Strässer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Sensburg, Sie haben schon einige Punkte angesprochen, die nach meiner Meinung sehr einfach zu widerlegen sind. Wir stimmen an einer Stelle überein – das ist aber, glaube ich, keine besondere Erkenntnis –, nämlich darin, dass die Soldatinnen und Soldaten, die für uns im Auslandseinsatz sind, ein faires, ein transparentes und ein schnelles Verfahren zu erwarten haben, wenn sie dann in der Situation sind, dass sie einen gesetzlichen Richter bekommen, und dass ihre Tatbestände ordentlich geregelt werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist mein Eindruck nach den Diskussionen, die wir auch mit Sachverständigen hatten. Wir sind – das habe ich auch im Rechtsausschuss gesagt – in diese Diskussion relativ offen hineingegangen, mit einer Offenheit, die auch Lösungen ermöglicht hätte, die aber mit diesem Gesetz nicht geschaffen werden. Ich will dies an den drei oder vier zentralen Punkten, die Sie aufgeführt haben, begründen. Zum einen sagen Sie, eine Zentralisierung der Strafverfolgung von vermeintlichen oder tatsächlichen Straftaten von Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz an einem Standort führe zu Transparenz und Übersichtlichkeit des Gerichtsverfassungsrechts und des Strafprozessrechts. Genau das Gegenteil ist der Fall. Es bliebe – das haben die Sachverständigen sehr deutlich gesagt – genau bei der Zahl, die Sie genannt haben, nämlich bei über 100 Fällen, wenn man den neuen § 11 a anwenden würde. Ich kann die Zahlen, die Sie genannt haben, jetzt nicht verifizieren. Der größte Teil davon würde jedenfalls nicht unter den Tatbestand des § 11 a StPO fallen, sondern er würde weiterhin bei den Tatortstaatsanwaltschaften und -gerichten verfolgt werden; denn es handelt sich um sogenannte Delikte kleinerer und mittlerer Kriminalität. Die Zuständigkeiten dafür verblieben nach Ihrem eigenen Gesetzentwurf am Standort der Stationierung der Soldatinnen und Soldaten. (Karin Evers-Meyer [SPD]: Ganz genau!) Sie würden also nicht nur keine Klarheit schaffen, sondern durch die Schaffung eines neuen Tatbestandes eine weitere Verunsicherung herbeiführen, und das hilft im Grunde genommen niemandem. Schon deshalb kann man diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was die Staatsanwaltschaften angeht, ist darauf hinzuweisen, dass Straftaten, die im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen mit Einsatzbezug begangen werden und beispielsweise unter das Völkerstrafrecht fallen, selbstverständlich wie bisher in der Zuständigkeit der Generalbundesanwaltschaft bleiben. Das heißt, Sie haben auch an dieser Stelle keine Erleichterung, sondern es kommt zu einer noch größeren Unübersichtlichkeit der Zuständigkeitsregeln. Wir haben drei Zuständigkeiten, und das kann doch nicht ernsthaft zu einer Konzentration führen, wie Sie sie vorhaben. Das ist, glaube ich, der völlig falsche Weg. Deshalb können wir an dieser Stelle auch nicht mitmachen. Ein weiterer Punkt ist die Spezialisierung. Wenn es so ist – ich unterstelle, dass die Sachverständigen uns das durchaus richtig dargelegt haben –, dass die Fälle, die nach § 11 a an einer zentralen Staatsanwaltschaft und bei einem zentralen Gericht angeklagt würden, eine minimale Zahl darstellen, nämlich in den letzten Jahren weniger als 20, dann erklären Sie mir bitte einmal, wie da eine Spezialisierung und Spezialkenntnisse entstehen sollen. Das ist einfach eine falsche Einschätzung. Sie werden mit dieser Fallkonzentration keine Spezialzuständigkeiten begründen können. Bei allem, was Sie genannt haben – Drogenkriminalität, Wirtschaftskriminalität –, geht es um Falldelikte. Da ist es in der Tat richtig, dass es Schwerpunktstaatsanwaltschaften gibt, und zwar nicht nur eine in einem einzigen Bundesland für die gesamte Republik. Sie haben nicht begründet, warum das ausgerechnet hier erforderlich sein soll. Ich glaube, die Spezialisierung berührt nur einen kleinen Teil des Problems. Eines sind Sie nicht angegangen: Ich bin sicher, dass Staatsanwälte sehr gut in der Lage sind, zum Beispiel das Wehrdisziplinarrecht oder die -Rules of Engagement zu verstehen und anzuwenden; dafür sind sie ausgebildet. Wir Juristen wissen: Wir können fast alles, auch das. Uns ist aber immer wieder deutlich vor Augen geführt worden, dass die Probleme bei der Sachverhaltsermittlung darin bestehen – das ist ein Kernproblem –, dass es keine Ermittlungstätigkeiten deutscher Staatsanwältinnen und Staatsanwälte oder Richterinnen und Richter im Ausland gibt, also dort, wo die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind. Ich hätte mir gewünscht, dass man in einem solchen Gesetzentwurf zumindest ein Interesse daran hätte erkennen lassen, eine Debatte mit den Partnerinnen und Partnern in den Ländern, in denen unsere Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz sind, zu führen und im Völkerrecht Regelungen zu verankern, die es ermöglichen, Ermittlungen vor Ort durchzuführen. Denn das hätte eine wirkliche Erleichterung der Ermittlungstätigkeit zur Folge, im Gegensatz zu dem, was Sie hier vorschlagen. Elf Fälle in drei Jahren werden nicht zu einer Konzentration und einer Zuständigkeitsregelung führen, die die Kompetenzen deutlich stärken. Davon müssen wir ausgehen, und deshalb gehen wir den Weg an dieser Stelle nicht mit. Der letzte Punkt ist für mich der krauseste: die fehlende Begründung für den Standort Kempten. Ich habe überlegt, ob es damit zu tun hat, dass ich selbst 1967 bei der Ausbildungskompanie 13/8 in Kempten meine Grundausbildung absolviert habe. Aber die Fußstapfen, die ich dort hinterlassen habe, reichen wohl nicht aus, um zu begründen, dass dort jetzt eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft errichtet wird. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist denn die sachliche Begründung für den Standort Kempten? Eine solche Begründung ist erforderlich, wenn eine Zuständigkeit für das ganze Bundesgebiet geschaffen werden soll. Wir hatten Ansätze, die Sinn gemacht hätten. Es gab Überlegungen, ein Wehrstrafjustizzentrum in der Nähe des Bundesgerichtshofs in Leipzig oder in der Nähe der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zu etablieren. Wenn man es tatsächlich an einem Standort konzentrieren wollte, der für die Soldatinnen und Soldaten sinnvoll ist: Warum dann in Gottes -Namen nicht in Potsdam, wo das Einsatzführungskommando der Bundeswehr alle Auslandseinsätze plant und führt? (Beifall bei der SPD) Das hätte irgendwie noch Sinn gemacht; aber der Standort Kempten kann aus meiner Sicht – außer mit einer Wahlkampfhilfe für wen auch immer dort unten – definitiv nicht begründet werden. Ich glaube, es gibt ausreichend Gründe, nicht zu versuchen, die Verfahren an einem Standort zu konzentrieren; die Argumente dafür reichen nicht aus. Jenseits dieses Aspekts würde ich gerne eine Debatte über eine Militärstrafgerichtsbarkeit führen; vor dem Hintergrund unserer Vergangenheit sollten wir ganz vorsichtig und sensibel darüber diskutieren. Ich glaube, mit dem Gesetz, dessen Entwurf Sie vorgelegt haben, wird keines der von Ihnen angegebenen Ziele erreicht. Deshalb können wir ihm in der Gesamtheit nicht zustimmen. Ich habe gesagt: Wir sind mit einer skeptischen Offenheit in dieses Verfahren hineingegangen. Übrig geblieben ist eine offene Skepsis, und sie ist so groß, dass eine Zustimmung der SPD zu diesem Gesetzentwurf nicht denkbar ist. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Stephan Thomae das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Stephan Thomae (FDP): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Strässer, Sie haben gerade eben die Frage gestellt, für wen da Wahlkampfhilfe betrieben werden solle. Sie hätten mit einem einfachen Blick in den Kürschner feststellen können, dass mein Wahlkreis das Oberallgäu ist und somit Kempten zu meinem Wahlkreis gehört. Ich hoffe aber, dass Sie mich jetzt nicht als befangen ablehnen werden. Ich spreche heute zu diesem Thema, das für mich besonders angenehm ist, weil ich den Wahlkreis Oberallgäu hier im Deutschen Bundestag vertrete. Die Justizbehörden in meiner Heimatstadt Kempten im Allgäu sollen in Zukunft über Straftaten entscheiden, die von Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz begangen worden sind. Die Wahl dieses Standortes bestätigt nicht nur die hervorragende Arbeit der Kemptener Justizbehörden; sie bedeutet auch einen Imagegewinn für die Stadt Kempten. Darüber freue ich mich natürlich sehr, und das ist auch völlig legitim. Soldaten im Auslandseinsatz befinden sich in einer Sondersituation; das müssen wir als Gesetzgeber anerkennen. Ich habe mir selber vor etwa zwei Jahren bei einem Truppenbesuch in Afghanistan ein Bild davon machen können, unter welch schwierigen Bedingungen die Soldatinnen und Soldaten leben und arbeiten. In Afghanistan befinden sie sich in einer ständigen Gefahren-situation. Sie halten sich ständig im Lager auf, weil sie es kaum verlassen können. Sie sind mit Tod und Verletzungen von Kameraden konfrontiert und sind monatelang von Partnern, Kindern und Familie getrennt. Das -alles sind natürlich keine Entschuldigungen für die Begehung von Straftaten. Natürlich müssen für diese Straftaten genau die gleichen rechtlichen Maßstäbe gelten wie für andere Straftaten. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass sich die zuständigen Staatsanwälte und Gerichte mit den Rahmenbedingungen der Soldaten im Auslandseinsatz befassen, und das tun die Gerichte in Kempten bereits. (Christoph Strässer [SPD]: Auch die anderen!) Herr Kollege Strässer, die Kemptener Justiz ist bereits für Soldaten zuständig, die von bayerischen Standorten aus in den Auslandseinsatz entsandt werden und Straftaten begehen. Wir haben also in Kempten – wo Sie genauso wie ich einen Teil Ihres Wehrdienstes geleistet -haben – mehrjährige Erfahrung mit der Behandlung solcher Straftaten. Diese Kompetenz soll – so sieht es der Gesetzentwurf von Schwarz-Gelb vor – für alle deutsche Soldaten in Auslandseinsätzen genutzt werden. Das heißt, in Zukunft müssen sich alle deutschen Soldaten, die straffällig werden, für bestimmte Straftaten vor Kemptener Gerichten verantworten. Durch diese Erweiterung der Zuständigkeiten können wir bereits vorhandenes Wissen und vorhandene Ressourcen optimal nutzen. Deshalb halte ich es für die richtige Entscheidung, dass dieser Gerichtsstand nach Kempten kommt. Nicht nur die Erfahrungen der Kemptener Justiz sprechen für diese Entscheidung; da stimme ich meinem Vorredner Patrick Sensburg absolut zu. Vielmehr führt eine klare Aufgabenverteilung der Gerichte dazu, dass Straftaten schneller aufgeklärt werden. Gerade wegen der schwierigen Bedingungen bei Auslandseinsätzen müssen Verzögerungen bei der Strafverfolgung in Zukunft verhindert werden; denn solche Verzögerungen bedeuten für die Betroffenen eine zusätzliche Belastung, aber auch für die Geschädigten, die ebenfalls eine schnelle Behandlung der Fälle wollen. Auf die Idee, eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft zu errichten, sind übrigens nicht nur wir gekommen. Schon 2010 haben die Justizminister der Länder auf einer Justizministerkonferenz die Forderung erhoben, dass eine zentrale Zuständigkeit aufseiten der Gerichte und Staatsanwaltschaften geschaffen werden soll, um eine effiziente und zügige Bearbeitung der Ermittlungs- und Strafverfahren zu gewährleisten. Diesem Wunsch der Länder kommen wir mit unserem Gesetzentwurf nun nach. Ich räume offen ein – ich schäme mich deswegen auch nicht –, dass ich Kempten ins Spiel gebracht (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und mich dafür eingesetzt habe. Die Gründe habe ich bereits genannt: Wir in Bayern besitzen dort bereits die nötige Kompetenz. Es ist richtig, dass auch Leipzig im Gespräch war. Aber die Justizbehörden im Freistaat Sachsen haben das abgelehnt. Deswegen mussten wir auf die Suche gehen, um herauszufinden, wo sonst eine solche Kompetenz gebündelt werden kann. Kempten bot sich an, weil wir in Bayern bereits eine solche Kompetenz besitzen. Ich halte es für sehr wichtig, noch einmal zu betonen, dass es sich nicht um die Einführung eines Sondergerichts handelt. Es geht darum, Zuständigkeiten und Kompetenzen sinnvoll zu bündeln. Wir haben das bereits in vielen anderen Bereichen getan – es ist schon erwähnt worden –: bei organisierter Kriminalität sowie bei Wirtschafts- oder Computerstraftaten. Es geht also darum, für bestimmte Straftaten die Kompetenzen zu bündeln. Es wird kein Sonderrecht und keine Sondergerichte geben. Es gilt das ganz normale Strafrecht, es ermitteln ganz normale zivile Staatsanwälte, und es entscheiden ganz normale Richter am Amts- und Landgericht. Für Kempten ist diese Aufgabe eine gute Wahl. Ich wünsche den Kemptener Justizbehörden alles Gute für die Ausübung der neuen Aufgabe. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der von der Regierung vorgelegte Gesetzentwurf wird nicht gebraucht. Wegen des Eingriffs in Länderkompetenzen ist er verfassungsrechtlich problematisch. Damit wird auch das eigentliche Problem nicht beseitigt: Wie können strafrechtliche Ermittlungen bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr durch-geführt werden? Außerdem wird die Justiz in eine nicht angemessene, ja, gefährliche Nähe zum Militär gerückt. Es geht hier nicht um Militärjustiz – das behaupte ich nicht –; aber es geht um eine Konstruktion, die nicht trägt und die gefährlich ist. Deshalb lehnen wir den vorliegenden Gesetzentwurf entschieden ab. (Beifall bei der LINKEN) Seit Jahren beschwören die Betreiber dieses Gesetzesvorhabens eine Regelungslücke, einen Regelungsbedarf bei der Verfolgung und Prüfung möglicher Straftaten im Rahmen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Sie haben keine triftigen Gründe nennen können. Das hat auch die Anhörung des Rechtsausschusses gezeigt. Weder gab es ein Kompetenzwirrwarr bei den Länderstaatsanwaltschaften, noch waren die Verfahren unzumutbar lang. Nehmen wir Ihr Lieblingsbeispiel, den Checkpoint-Fall im August 2008, bei dem wegen des Verdachts auf Totschlag gegen einen Soldaten ermittelt wurde. Er hatte an einem Checkpoint in Afghanistan Zivilisten erschossen. Ja, das Verfahren hat länger gedauert. Das lag aber nicht an inkompetenten Staatsanwälten und Richtern, die sich im Völkerstrafrecht nicht auskennen. Es lag daran, dass es nicht möglich bzw. nicht vorgesehen ist, adäquate Ermittlungsverfahren vor Ort, in Afghanistan, durchzuführen. Deshalb hat man, auch im Interesse des Angeklagten, den Tathergang in Deutschland aufwendig rekonstruiert. Ich finde, es liegt gerade im Interesse der Soldatinnen und Soldaten, dass gründlich und objektiv ermittelt wird. In diesem Fall führte das zur Einstellung des Verfahrens. Das kann man nicht als Beleg dafür nehmen, dass man eine neue Regelung braucht. Nach Lage der Dinge würde dieser Fall ohnehin nicht bei der Staatsanwaltschaft Kempten landen, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: So ist das!) wie im Gesetz vorgesehen, sondern bei der Generalbundesanwaltschaft. Das unterschlagen Sie hier ständig. Das folgt aus den Grundsätzen, die die Generalbundesanwältin 2010 in der Sache „Oberst Klein/Bombenangriff bei Kunduz“ aufgestellt hat. Vereinfacht gesagt: Wenn es um Völkerstrafrecht und bewaffnete Konflikte geht, ist die Generalbundesanwaltschaft am Zuge und nicht Kempten. Und was soll in Kempten bleiben? Bagatelledelikte ohne direkten Einsatzbezug, also Diebstahl, Beleidigungen, Verkehrsunfälle? Dafür braucht man weder ein ganz besonderes Know-how noch eine Spezialisierung. Dann bleiben noch die Ermittlungsverfahren, in denen es um Eingriffe in Rechte Dritter geht bei Einsätzen, die unterhalb der Schwelle des bewaffneten Konflikts liegen; Beispiel: Bosnien nach dem Friedensschluss von Dayton. Sicherlich, auch hier gibt es Einsatzregeln, die man kennen muss, die auch ein Staatsanwalt kennen muss. Im Wesentlichen geht es aber darum – wie in Deutschland –, ob der Einsatz von Schusswaffen in einer konkreten Situation notwendig und legitim war. Dafür brauchen wir keinen Sondergerichtsstand. Das können auch die Staatsanwaltschaften der Länder erledigen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Warum wird dieser Gesetzentwurf dennoch vorgelegt? Ein solches Gesetz wird, wie gesagt, nicht gebraucht. Vorgetragen wurde, man brauche Richter und Staatsanwälte, die mit dem Soldatischen vertraut sind, die sich besonders gut in militärische Entscheidungssituationen einfühlen können. Worauf das hinausläuft, ist klar: auf eine Handvoll Staatsanwälte in Kempten, die in stetigem engem Austausch mit der Bundeswehr stehen. Sie sollen ermitteln und niemand sonst. Dadurch entsteht eine strukturelle Nähe, die nicht angemessen, ja, gefährlich ist; denn auch Juristen sind nicht immun gegen organisationssoziologische und organisationspsychologische Prozesse. Wir sollten nicht so tun, bitte sehr, als ob Staatsanwälte und Richter übernatürliche Wesen seien, (Otto Fricke [FDP]: Und wie ist das dann beim BGH?) denen Korpsgeist völlig fremd ist. So ist das. (Beifall bei der LINKEN) Den Angehörigen von Streitkräften würde mit diesem Gesetz eine juristische Sonderstellung im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen gewährt werden. Versuche, die in diese Richtung zielen, hat es seit den 50er-Jahren immer wieder gegeben. Sie sind mit Blick auf die deutsche Geschichte abgewiesen worden. Es sollte dabei bleiben. Richtig ist: Soldatinnen und Soldaten haben einen Anspruch auf solide, unvoreingenommene, kompetente Klärung der gegen sie erhobenen Vorwürfe. Dazu würde dieses Gesetz aber nicht beitragen. Es geht auch – dazu haben Sie leider nichts gesagt, lieber Kollege Sensburg – um Gerechtigkeit gegenüber den Opfern von Gewalttaten. Hier darf keine Schieflage entstehen. Aus genau diesem Grund lehnen wir den Gesetzentwurf ab. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort die Kollegin Katja Keul von Bündnis 90/Die Grünen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann Sie beruhigen: Ich komme nicht aus Kempten. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich habe noch eine weitere gute Nachricht – die guten Nachrichten zuerst –: Den zweiten Teil des Gesetzentwurfs zur Stärkung der Rechtssicherheit und der Opferrechte im Strafverfahren tragen wir mit. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Sehr gut!) Es ist sinnvoll, dass Menschen, die im Ausland Opfer einer Straftat geworden sind, künftig bei ihrer Staatsanwaltschaft zu Hause Anzeige erstatten können. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Sehr gut!) Jetzt kommt die schlechte Nachricht. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: War gut bis jetzt!) Die Einführung einer Bundeswehrsonderjustiz in Kempten ist nicht nur nutzlos, sondern auch schädlich. Das will ich Ihnen im Folgenden an fünf Punkten aufzeigen. Erstens geht es Ihnen nach der Gesetzesbegründung um die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften. Sie ändern hier aber die Zuständigkeit des Gerichtes. Die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften auf Landesebene wäre schon jetzt ohne Weiteres möglich gewesen. Dafür bedarf es keiner Sonderjustiz in Kempten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Haben wir sogar auch!) Schon jetzt hat das Bundesland Bayern alle Verfahren gegen Soldaten wegen Auslandstaten in Kempten gebündelt. Einen Aufwuchs von Kompetenz durch viele vergleichbare Verfahren gibt es dort allerdings nicht, da die Zahl der Fälle viel zu gering ist. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Doch! Gibt es!) Zweitens knüpfen Sie für die Zuständigkeit des Gerichts am falschen Kriterium an. Ihr Anknüpfungspunkt ist nicht eine bestimmte Rechtsmaterie, sondern die Zugehörigkeit des Verdächtigen zu einer besonderen Personengruppe. Der Vergleich zur Wirtschaftskriminalität hinkt deswegen gewaltig. Wir haben in Deutschland aus guten Gründen keine besondere Strafgerichtsbarkeit für bestimmte Berufsstände mehr. Das ist gut so, und das soll so bleiben; denn vor Gericht sind alle Bürger gleich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens wird das eigentliche Problem nicht gelöst. Das ist nicht die Spezialisierung des Gerichts, sondern die schwierige Ermittlungsarbeit am Tatort. Die Ermittlungsbehörden des Staates, in dem die Straftat begangen worden ist, sind meistens durch Immunitätsabkommen bei der Verfolgung gehemmt. Auch der Feldjäger vor Ort ist kein Ersatz für die Kripo. Er hat weder eine entsprechende Ausbildung noch die nötigen Befugnisse, und er ist außerdem selbst Angehöriger der Truppe. Er kann vor Ort keine Beweismittel beschlagnahmen oder Zeugen zum Verhör laden. Das erschwert die Beweisführung vor deutschen Gerichten. Sachverhalte müssen nachgespielt werden, und wichtige Zeugen sind nicht greifbar. Das macht die Verfahren kompliziert und unbefriedigend. Daran ändert sich aber auch in Kempten gar nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viertens steht außer Frage, dass Ermittlungsverfahren für Betroffene immer eine Belastung sind. Das gilt auch, aber nicht nur, für Bundeswehrsoldaten. Die Behauptung, die Verfahrensdauer sei in diesen Fällen besonders lang, lässt sich statistisch nicht halten. In der Regel dauern die Verfahren nicht länger als in ähnlich gelagerten Fällen im Inland. Trotz dieser Belastung für die Betroffenen darf die Justiz also keine Sondergerichte oder Schnellverfahren für einzelne Gruppen einführen. Die Unabhängigkeit der Justiz ist ein hohes Gut; das sollten wir nicht so einfach aufgeben. Fünftens wird die neue Zuständigkeit kaum einen sinnvollen Anwendungsbereich finden. Alltagskriminalität von Diebstahl bis Beleidigung im Ausland kann nach wie vor am Wohnort des Beschuldigten verhandelt werden, und das sollte auch so bleiben. Hier wird also eine überflüssige Gerichtstandalternative geschaffen. Fälle mit Bezug zum Völkerstrafgesetzbuch, bei denen es um mögliche Kriegsverbrechen geht, werden dagegen ohnehin von der Bundesanwaltschaft angeklagt. Das bezieht sich auf alle Straftaten, die im Krieg begangen werden. Bezogen auf die Bundeswehr heißt das konkret: Afghanistan. Dort geht man seit dem Tod von 100 Zivilisten in 2009 richtigerweise von einem bewaffneten Konflikt aus. Damit ist für weitere Verdachtsfälle grundsätzlich die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts und damit der Oberlandesgerichte gegeben. Wer sich mit dem umfangreichen Bericht des Kunduz-Untersuchungsausschusses befasst, wird auch hier feststellen, dass in erster Linie die Sachverhaltsermittlung vor Ort das Problem war und nicht die Rechtsfindung. Fazit. Sie erwecken mit Ihrer Gesetzesänderung den Eindruck, ein Richter oder eine Richterin, der oder die sich mit der Bundeswehr nicht auskennt, könne keinen komplizierten militärischen Sachverhalt rechtlich würdigen. Ein wenig mehr Vertrauen in die deutsche Justiz hätte ich Ihnen schon zugetraut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Unsere Richterinnen und Richter sind als Volljuristen dazu ausgebildet, Fälle, die das Leben schreibt, in ihrer ganzen Vielfalt unter einem Tatbestand zu subsumieren. Dabei brauchen sie keinen Führerschein, um einen Verkehrsunfall zu beurteilen, und sie müssen nicht verheiratet sein, um Familienrecht zu sprechen. Die Perspektive von außen schützt auch stets vor zu großer Nähe und fördert eine objektive Urteilsfindung. Mit Ihrem Gesetzentwurf ist niemandem gedient, schon gar nicht den betroffenen Soldatinnen und Soldaten. Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11182, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/9694 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b sowie den Zusatzpunkt 7 auf: 16 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequenzen aus dem nationalen Bildungsbericht ziehen – Bildungsblockaden aufbrechen und mehr Teilhabe ermöglichen – Drucksache 17/11074 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Markus Kurth, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zusammen lernen – Recht auf inklusive Bildung bundesweit umsetzen – Drucksache 17/11163 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Dr. Ilja Seifert, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gemeinsam lernen – Inklusion in der Bildung endlich umsetzen – Drucksache 17/11143 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu nehmen. Gibt es Widerstand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.9 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11074, 17/11163 und 17/11143 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2063 (2012) vom 31. Juli 2012 – Drucksache 17/11036 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache wiederum eine halbe Stunde vorgesehen. Trifft das auf Ihr Einverständnis? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Bundesaußenminister, Dr. Guido Westerwelle, das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Der Darfur-Konflikt ist eine der furchtbarsten Katastrophen des letzten Jahrzehntes. Auch wenn sich die Medien im Augenblick vielleicht weniger damit befassen, so müssen wir uns doch ernsthaft und auch nachhaltig mit dieser Lage auseinandersetzen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen fanden zwischen 2003 und 2008 in diesem Konflikt 300 000 Menschen den Tod. 2,5 Millionen Menschen waren Opfer von Flucht und Vertreibung. Der Konflikt hat den Sudan weiter destabilisiert, und er hat sich zeitweise auch auf die Nachbarländer, Tschad und die Zentralafrikanische Republik, ausgeweitet. UNAMID – das Mandat, dessen Verlängerung wir heute beantragen und vorschlagen – wird von den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union gemeinsam geführt. Unser Engagement ist gewissermaßen ein unterstützendes Engagement. Deutschland beteiligt sich an UNAMID derzeit mit zehn Soldaten, die im UNAMID-Hauptquartier eingesetzt sind. Außerdem leisten derzeit vier deutsche Polizisten Dienst im Rahmen dieser Mission. Ich selbst konnte mir vergangenes Jahr ein Bild von den äußerst herausfordernden Bedingungen vor Ort machen. Deswegen möchte ich mir erlauben, zu sagen – ich bin sicher, das kann ich im Namen des ganzen Hauses tun –: Für den wichtigen Dienst, den unsere Soldaten und Polizisten dort in einem wirklich sehr schwierigen, auch persönlich sehr fordernden Umfeld leisten, gebührt ihnen unser Respekt und unser Dank. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) UNAMID – das wissen wir alle – bleibt eine schwierige Mission. Ich möchte weder die Anfangsschwierigkeiten verschweigen noch die Probleme, die mit der Mission verbunden sind, kleinreden. UNAMID ist immer noch mit diesen Problemen konfrontiert. Die humanitäre Lage bleibt ausgesprochen schwierig: 1,7 Millionen Menschen sind auf Nothilfe angewiesen. Deutschland hat allein in 2012 humanitäre Hilfe in Höhe von 4,2 Millionen Euro geleistet. Die Sicherheitslage bleibt angespannt. Immer wieder flammen Kämpfe auf zwischen Rebellen und Truppen der sudanesischen Regierung, aber auch zwischen den Rebellengruppen selbst. Die Zusammenarbeit mit Khartoum bleibt schwierig. Visa- und Bewegungsfreiheit für das UNAMID-Personal werden eingeschränkt. Das kann nicht ignoriert werden. Sie wissen, dass es in Khartoum in den letzten Wochen und Monaten auch noch ganz andere Themen gegeben hat, auf die ich heute allerdings nicht eingehen will. Aber das ist gewissermaßen auch der politische Rahmen, in dem wir diese Mission betreiben und die Debatte heute führen. Natürlich bleibt die politische Lage problematisch. Eine Lösung des Darfur-Konflikts steht noch aus, auch weil das im vergangenen Jahr ausgehandelte Friedensdokument von Doha noch immer nicht von allen anerkannt, geschweige denn umgesetzt wird. Die Umsetzung dieses Friedensdokuments geht zwar voran, aber aus unserer Sicht zu langsam. Durch UNAMID konnte der Darfur-Konflikt wenigstens eingedämmt werden. Die Gewalt ist zurückgegangen. Flüchtlinge kehren zurück, und die Menschen in Darfur haben jetzt ein Mitspracherecht, zum Beispiel in der regionalen Verwaltung. Das klingt in unseren Ohren, wenn wir das hier debattieren, nicht nach viel. Wenn man dort gewesen ist und mit den Menschen gesprochen hat, dann weiß man aber, wie wertvoll diese Verbesserungen sind und wie viel das alles auch für die Menschen bedeutet. Auf diesen ersten Erfolgen – von mehr kann man nicht reden – wollen wir weiter aufbauen. UNAMID bleibt also als stabilisierendes Element für Darfur unverzichtbar. Mit UNAMID können wir die humanitäre Versorgung der Menschen weiter unterstützen. Mit UNAMID können wir den Schutz der Bevölkerung weiter organisieren. Mit UNAMID können wir die Sicherheitslage in Darfur weiter verbessern. Nur mit UNAMID können wir die politische Arbeit für ein Ende der Krise weiter flankieren. Das ist der Grund, warum die Bundesregierung an der Mission festhält. Wir wollen natürlich weiter daran arbeiten, die Umsetzung des Mandats zu verbessern. Aber das Mandat an sich ist aus unserer Sicht sinnvoll. Es sollte vom Deutschen Bundestag auch verlängert werden. Die Mission verfügt über ein robustes Mandat nach Kap. VII der UN-Charta. Das ist aus unserer Sicht auch nötig; denn auch wenn es unsere Landsleute glücklicherweise nicht getroffen hat – UNAMID selbst ist immer wieder das Ziel von Angriffen gewesen. Seit Beginn haben 118 Angehörige der Mission ihr Leben verloren. Allein in diesem Monat kamen fünf UNAMID-Soldaten, vier nigerianische Soldaten und ein südafrikanischer Soldat, durch Angriffe ums Leben. Wir verurteilen gemeinsam diese Gewalt auf das Schärfste. Mit unserem Beitrag zu UNAMID stärken wir afrikanische Peacekeeping-Fähigkeiten. Wir unterstützen die Afrikanische Union darin, ihre Verantwortung für die Sicherheit in Afrika wahrzunehmen. Zu unseren militärischen und polizeilichen Beiträgen kommt der finanzielle Beitrag, den Deutschland zur Mission leistet. Allein in diesem Jahr waren das 120 Millionen US-Dollar. Die Bundesregierung fördert Projekte zur Unterstützung der Arbeit von UNAMID. Dazu gehören die Ausbildung afrikanischer Soldaten und Polizisten am Kofi Annan Training Centre ebenso wie die Unterstützung des Mediationsteams von Afrikanischer Union und Vereinten Nationen. Für die Bundesregierung möchte ich bei der Einbringung dieses Mandates die inhaltlich unveränderte Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dieser Hybridoperation in Darfur beantragen. Im letzten Jahr wurde das Mandat für die deutsche Beteiligung an UNAMID in großer Geschlossenheit von vier Fraktionen des Deutschen Bundestages getragen. Bei allen Schwierigkeiten hat UNAMID auch in diesem Jahr, so meinen wir, Geschlossenheit und Unterstützung verdient. Erst recht haben unsere Landsleute, die in Darfur ihren schwierigen Dienst tun, die starke Rückendeckung dieses Hohen Hauses verdient. Im Namen der Bundesregierung bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Mandat. Ich füge hinzu: Ich glaube, eine große Geschlossenheit wäre eine gute und wichtige Unterstützung des Mandates, aber vor allem auch der Frauen und Männer, die in diesem Augenblick in der Region, im Land sind und die eine wirklich aufopferungsvolle Arbeit leisten. Wer einmal dort gewesen ist, der weiß, unter welchen Umständen die Arbeit dort geleistet wird. Erlauben Sie mir, jenseits des Politischen, diesen Zusatz: Das nötigt wirklich jedem viel Respekt ab. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD spricht jetzt der Kollege Christoph Strässer. (Beifall bei der SPD) Christoph Strässer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem Respekt, Herr Außenminister, den Sie denjenigen erweisen, die vor Ort im Einsatz sind, den Soldatinnen und Soldaten, den Polizistinnen und Polizisten, aber auch den zivilen Helferinnen und Helfern, schließe ich mich ausdrücklich an. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich würde mir wünschen, meine Damen und Herren, dass sich dieser Respekt demnächst auch darin ausdrückt, dass Debatten über so wichtige Fragen wie diese hier zu anderen Zeiten geführt werden als jetzt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir alle diskutieren über dieses Thema, über Darfur, seit sehr vielen Jahren. Das UNAMID-Mandat existiert seit genau fünf Jahren. Zuvor, seit 2004, gab es bereits eine andere Mission, AMIS. Sie ist bis 2007 aktiv gewesen. Wir wissen, die Zahlen sind erschreckend: 300 000 Tote und mehr als 2 Millionen Flüchtlinge. Das Schlimme an dieser ganzen Situation ist, dass ein großer Teil der 2,5 Millionen Flüchtlinge seit fünf, sechs, sieben, acht Jahren in Flüchtlingscamps ausharren muss, in Camps, die eine Dimension angenommen haben, für die sie nicht gedacht waren. In einem Camp, das ich selber mehrfach besucht habe, Abu Shok in der Nähe von al-Faschir, und das vom Deutschen Roten Kreuz für 15 000 Flüchtlinge konzipiert wurde, leben mittlerweile mehr als 50 000 Flüchtlinge. Ich habe die Uhrzeit, zu der diese Debatte stattfindet, auch deshalb erwähnt, weil ich den Eindruck habe, dass Darfur mehr und mehr zu einem vergessenen Konflikt wird und mehr und mehr aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit verschwindet. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich finde, die Menschen, um die es hier geht, haben das nicht verdient. Deshalb sollten wir uns auch weiterhin sehr engagiert in dieses Thema einmischen und sehen, dass wir hier in absehbarer Zeit vernünftige Lösungen zustande bringen. (Michael Brand [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Sie haben es angesprochen: Die Situation ist in den letzten Wochen und Monaten nicht einfacher geworden. Die Vereinten Nationen sagen zwar, es habe in den letzten Jahren, also bis zu Beginn des Jahres 2012, Verbesserungen der Sicherheitssituation und auch Verbesserungen der Versorgungssituation gegeben; aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, dass die Gewalt in diesem Jahr, 2012, wieder – ich sage es ganz deutlich – mit voller Brutalität zuschlägt. Es gab gerade in den letzten Tagen und Monaten wieder Attentate auf Flüchtlingslager und Blauhelmsoldaten. In diesem Oktober sind 17 Blauhelmsoldaten bei einer hinterhältigen Attacke getötet worden. Sie waren im Einsatz, um einen Angriff auf ein Flüchtlingslager aufzuklären, und sind dabei ums Leben gekommen. Ich glaube, dass man das zur Kenntnis nehmen muss und dass all dies bei unseren Entscheidungsfindungen eine ganz wichtige Rolle spielen muss. Ich frage mich – ich erwarte hier eine breite Diskussion –, ob das, was UNAMID und andere in Darfur in den letzten Jahren erreicht haben, wirklich ausreichend ist. Ich sage es ganz offen und deutlich: Ich habe den Eindruck – ich glaube, das müssen wir uns selbstkritisch eingestehen –, dass das nicht so ist. Ich denke nicht, dass wir sagen können: Im Moment ist UNAMID eine Erfolgsgeschichte. – Dergleichen zeichnet sich aus meiner Sicht leider Gottes auch nicht ab. Wir haben gestern im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe eine Anhörung über UN-mandatierte Friedensmissionen durchgeführt. Dabei wurde auch die Frage gestellt, ob es eigentlich Kriterien dafür gibt, wann eine UN-mandatierte Mission erfolgreich ist und welche Evaluierungsmöglichkeiten es hierfür gibt. Das Ganze ist sehr schwierig, auch international. Alle Sachverständigen haben gesagt: UNAMID ist eines der Mandate, die man, jedenfalls gegenwärtig, nicht als erfolgreich ansehen kann. – Deshalb müssen wir uns über eine ausführliche, ehrliche und offene Evaluation dessen, was in den letzten Jahren dort passiert ist, Gedanken machen. (Michael Brand [CDU/CSU]: Das stimmt!) Ich glaube, dass wir diese Diskussion auch mit Blick auf unsere Verantwortung für diejenigen brauchen, die dort aktiv sind. Ich sage noch einmal: Die Zahl unserer Einsatzkräfte vor Ort – zehn Soldatinnen und Soldaten und vier Polizisten – ist sehr klein. Man könnte diese Zahl ja eigentlich vernachlässigen. Meine Güte, warum reden wir über so etwas? Ich sage aber auch: Diese Personen zeigen dort einen hervorragenden Einsatz, und das mit einer Ausrüstung, mit der sie oftmals nicht in der Lage sind, die Funknetze zu bedienen, sodass sie sich ihre eigenen Funkgeräte kaufen müssen, um dort miteinander zu kommunizieren. Wenn wir diesen Einsatz ernst nehmen, dann müssen die Leute, die dorthin geschickt werden, bitte schön auch so ausgestattet werden, dass sie ihren Job machen können. Das tun wir im Moment nicht. Daran muss gearbeitet werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nicht dass ich hier falsch verstanden werde: Die Arbeit, die diese 14 Menschen gegenwärtig leisten, ist wirklich aller Ehren wert. Sie brauchen unsere Unterstützung. Ich glaube, jenseits aller Diskussionen, Probleme und Differenzen, die wir haben, sollten wir in diesem Hohen Hause klar erkennen: Das sind diejenigen, die für uns viele gute Erfahrungen sammeln und eine gute Arbeit leisten. Wir sollten sie an dieser Stelle re-spektieren und unterstützen. Ich will aber auch sagen, dass wir sehr massiv darüber nachdenken, wie lange ein solches Mandat hier in diesem Hohen Hause immer wieder unverändert – ich sage das jetzt einmal etwas flapsig, obwohl das nicht angemessen ist – durchgewunken werden kann. Ich habe es angedeutet: Die Erfolgsbilanz lässt zu wünschen übrig. Die Befriedung der Region gelingt nur sehr rudimentär. Auch die Bemühungen um die Friedensabkommen – Sie haben das angesprochen –, für die die Implementierung durch UNAMID ebenfalls erfolgen soll, gehen nur sehr langsam voran. Das Darfur Peace Agreement von 2006 ist im Wesentlichen Makulatur. Eine einzige Rebellenorganisation hat sich dieser Vereinbarung angeschlossen. Auch die Vereinbarungen aus dem letzten Jahr in Doha harren einer Umsetzung. Ich habe ein wenig Hoffnung: Gestern wurde vom UNAMID-Einsatzkommando mitgeteilt, dass auch die JEM, die größte Rebellengruppe in Darfur, in Verhandlungen mit der Regierung in Khartoum steht, um diesem Friedensabkommen möglicherweise beizutreten. Das wäre fast schon ein Quantensprung in der Entwicklung in Darfur. Ich möchte auch darauf hinweisen – das ist vielleicht der politische Grund, warum auch wir weiterhin zu diesem Mandat stehen und ihm zustimmen werden –, dass die jetzige Beendigung dieses Mandats für die Stabilität in der Region fatale Signale aussenden würde. Denn Darfur ist – das haben auch Sie gesagt – nicht der einzige Konfliktherd in dieser Gegend. Es gibt dort viele Konfliktherde. Ein Konflikt, den wir gleich noch hier im Hohen Hause besprechen werden, ist das Verhältnis von Sudan zu Südsudan. Auch dieser Konflikt ist noch nicht gelöst. Trotz der Selbstständigkeit des Südsudans, an die viele Hoffnungen geknüpft worden sind, geht dieser Konflikt weiter. Eine ähnliche Situation haben wir – auch das ist nicht weit weg – in Somalia. Da gibt es mittlerweile das eine oder andere Element der Stabilisierung, auch über das Mandat von AMISOM. Es gibt da Erkenntnisse und Entwicklungen, die Mut machen. Ich bin ganz sicher: Wenn wir jetzt sagen würden: „Wir zeigen, dass UNAMID gescheitert ist, und stimmen dem Mandat nicht weiter zu“, dann würden wir auch an andere Mandate in dieser Region genau das falsche Signal senden. Damit würden wir auch das Versagen der Vereinten Nationen und der AU dokumentieren. Ich glaube, das kann nicht im Sinne derjenigen sein, die Friedensmissionen der Vereinten Nationen grundsätzlich für richtig halten. In diesem Sinne ist es richtig und sinnvoll, dem Mandat auch in diesem Jahr zuzustimmen. Aber, Herr Außenminister, der Deutsche Bundestag wird von Ihnen, von der Bundesregierung und von der internationalen Gemeinschaft, aber auch von der Europäischen Union erwarten, dass man dafür sorgt, dass eine Evaluierung stattfindet, dass man die Mängel klar benennt, um sie abzustellen. Nur dann, glaube ich, wird auch in den nächsten Jahren eine breite Zustimmung hier im Deutschen Bundestag zu einem solchen Mandat erfolgen. In diesem Jahr werden wir dem Mandat zustimmen. Ich hoffe, dass die Soldatinnen und Soldaten weiter ihren Job gut machen werden und dass dies dem Frieden und den Menschenrechten in dieser Region dient. Danke schön. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Strässer, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, dass Mandatsdiskussionen, auch wenn sich eine Übereinstimmung abzeichnet, nicht zu dieser Stunde stattfinden sollten. Es ist nicht Aufgabe der Regierung, die Tagesordnung des Parlaments zusammenzustellen. Aber, ehrlich gesagt, wünsche ich mir, dass ein solcher Tagesordnungspunkt heute zum letzten Mal so spät – das hatten wir schon einmal beklagt – behandelt wird. Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass der Auftrag von UNAMID Unterstützungs- und Überwachungsaufgaben beinhaltet, die Gewährleistung von Sicherheit und Bewegungsfreiheit für humanitäre Hilfe sowie die Sicherung und den Schutz der Zivilbevölkerung in Darfur. Der Außenminister und auch Sie, Herr Strässer, haben davon gesprochen, dass dieser Einsatz nicht ungefährlich ist. Erst in der letzten Woche gab es einen Anschlag auf einen UNAMID-Konvoi. Die Sicherheitslage bleibt insgesamt angespannt und instabil. Diese Mission hat deswegen auch nach unserer Auffassung eine unverzichtbare stabilisierende Funktion. Viele Vertriebene lehnen eine Rückkehr in ihre Heimatregionen ab. Wir müssen aber alles daransetzen, dass Bedingungen geschaffen werden, die eine Rückkehr dieser Menschen ermöglichen. So lange diese Flüchtlingslager jedoch noch bestehen, müssen sie auch weiterhin dringend geschützt werden. Durch verstärkte Patrouillentätigkeit und Präsenz leistet UNAMID seinen Beitrag zur Verbesserung der humanitären Lage vor Ort. Ja, es gibt gewisse Verbesserungen; Sie haben das angesprochen. Es gibt gewisse Kontakte zwischen der Regierung und der Rebellenorganisation. Es gibt auch eine Annäherung von Sudan und Südsudan nach den Vereinbarungen vom 27. September 2012 in Addis Abeba. Ob sie aber dauerhaft zu einer Verbesserung der Lage in Darfur führen, ist noch unklar. Die Vereinten Nationen haben mit ihrer Resolution vom 31. Juli das Mandat nicht nur um ein Jahr verlängert, sondern auch zahlenmäßig verringert. Insoweit gibt es schon ein bisschen Bewegung, nämlich eine Absenkung der Mandatsobergrenze um rund 6 000 auf rund 21 000, allerdings einschließlich der Polizisten. Von den circa 21 000 sind also etwa 16 200 Soldaten. Wir begrüßen diese Umgliederung. Dadurch wird die Reaktionsfähigkeit und Flexibilität der Mission verbessert. Auswirkungen auf unser Engagement sind damit nicht verbunden. Wir glauben, dass wir mit den derzeit eingesetzten zehn Soldaten im Hauptquartier in al-Faschir an verantwortlicher Stelle diese Mission in einem angemessenen Umfang unterstützen. Liebe Kollegen, die deutsche Beteiligung an -UNAMID ist ein wichtiges Zeichen. Wir dürfen Darfur nicht vergessen. Schutz und Sicherung der Zivilbevölkerung stehen weiterhin im Zentrum unseres Engagements. Mit unserem Beitrag unterstützen wir zudem die afrikanischen Peacekeeping-Fähigkeiten. Das alles – darauf haben dankenswerterweise Herr Westerwelle und Herr Strässer hingewiesen – leisten unsere Soldaten, bzw. sie leisten einen Beitrag dazu. Dafür danke ich ihnen aufrichtig. Sie verdienen unseren Respekt, unsere Wertschätzung und eine breite parlamentarische Zustimmung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Buchholz von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie von der Bundesregierung streuen der Öffentlichkeit ein weiteres Mal Sand in die Augen. Sie sagen, der Bundeswehreinsatz in Darfur im Rahmen von UNAMID solle die Umsetzung des Doha-Friedensabkommens fördern. Solange aber die wichtigsten bewaffneten Gruppen – unter ihnen die JEM und die LRA – dieses Abkommen gar nicht unterzeichnet haben, bleibt auch dieses Friedensabkommen zum Scheitern verurteilt, wie auch die zahlreichen Friedensabkommen zuvor. Hören Sie also endlich auf mit dieser Schönfärberei. (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: So jung und so verbohrt!) Dann sagen Sie, UNAMID solle die Zivilbevölkerung schützen. Sie unterschlagen aber, dass UNAMID zu weiten Teilen Darfurs überhaupt keinen Zugang hat. Über die Bewegungsfreiheit von UNAMID entscheidet nämlich nicht UNAMID, sondern die Regierung in Khartoum. UNAMID ist damit vom Goodwill und von den Interessen der sudanesischen Regierung abhängig. Das hat dazu geführt, dass die Bevölkerung UNAMID nicht als Schutz durch eine neutrale Mission erlebt, sondern als parteiische Militärtruppe am Gängelband der Zentralregierung in Khartoum. Den Menschen in Darfur wird suggeriert: Wir sind hier zu eurem Schutz. – Doch -UNAMID kann die Menschen nicht schützen. Tagtäglich kommt es zu Gewalt gegen Flüchtlinge, ohne dass UNAMID etwas daran ändert. Ich sage, eine wirkliche Verbesserung der Sicherheitslage kann nur auf der Grundlage einer politischen Lösung und durch Entwicklung erreicht werden, und dabei hat Militär nichts verloren. (Beifall bei der LINKEN) Der Sudan ist seit der Abtrennung des Südsudan in eine schwere ökonomische Krise geraten. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind massiv angestiegen. Während im Südsudan der drohende Staatsbankrott durch internationale Hilfsgelder in Milliardenhöhe zumindest ein ganz klein bisschen abgemildert werden kann trotz aller Probleme, die das mit sich bringt, trifft die Krise die Menschen im Norden mit voller Härte. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wie wollen Sie die lösen?) Bis heute verweigert die Bundesregierung die Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit. Daran ändert auch die Not- und Übergangshilfe nichts. Sie hatten versprochen, wenn der Norden das Ergebnis des -Referendums und die Unabhängigkeit des Südens respektiert, werde die Bundesregierung die Entwicklungszusammenarbeit mit dem Norden neu beginnen. Dieses Versprechen haben Sie gebrochen. (Joachim Spatz [FDP]: So ein Quatsch!) Für einen sinnlosen Militäreinsatz wie UNAMID ist aber scheinbar immer genug Geld da. UNAMID ist der teuerste aller UN-Militäreinsätze. UNAMID kostet immer noch 1,5 Milliarden Dollar pro Jahr. Doch Maß-nahmen zum friedlichen Aufbau des Landes werden verweigert. Meine Damen und Herren, das ist nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN) Solange es keinen nachhaltigen Frieden zwischen Nord- und Südsudan gibt, wird es auch keinen Frieden in Darfur geben; denn beide führen dort einen Stellvertreterkrieg und rüsten gegenseitig Milizen auf. Dass in diesem Konflikt die Bundesregierung wie der gesamte Westen einseitig die Regierung im Südsudan unterstützt, facht die Flammen weiter an. (Michael Brand [CDU/CSU]: Wäre ich besser schlafen gegangen!) Deshalb kann UNAMID auch keinen Frieden bringen. Es gibt aber einen Funken Hoffnung im Sudan. Diese Hoffnung besteht nicht in einem Militäreinsatz. Sie speist sich aus dem Widerstand gegen die soziale Katas-trophe und die politische Unterdrückung, die es auch im Sudan gibt. Darauf setzen wir. Deswegen werden wir UNAMID ein weiteres Mal ablehnen. (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Nicht deshalb, sondern: Es lebe die Ideologie! – Joachim Spatz [FDP]: Deswegen lehnen wir Sie ab!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort der Kollege Omid Nouripour von Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute die Verlängerung des seit Ende 2007 bestehenden Einsatzes der AU/UN-Hybrid-Mission UNAMID, basierend auf der Resolution 1769 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Seit über neun Jahren gibt es einen Bürgerkrieg, der 2 Millionen Menschen die Heimat und über 300 000 Menschen das Leben gekostet hat. Hauptbetroffene sind Frauen und Kinder. Aber es geht auch um Nomadenstämme, die ihre Lebensgrundlage verloren haben. Das Erste, was ich nicht verstanden habe, Frau Kollegin Buchholz, ist: Was ist Ihr Konzept? (Marina Schuster [FDP]: Die haben keins! – Weiterer Zuruf von der FDP: Wo sollen die eins herhaben?) Wir reden über 20 000 Soldatinnen und Soldaten und Polizisten, und die Hauptlast dabei trägt die Afrikanische Union. Das darf man nicht vergessen. (Michael Brand [CDU/CSU]: Das hat sie auch verschwiegen!) Zehn deutsche Soldaten sind im Stab von UNAMID, um dort unterstützend tätig zu sein. Wir haben erleben müssen – die Zahl ist genannt worden –: 118 Soldaten sind bereits getötet worden. Am 17. Oktober gab es wieder einen Anschlag. Ein Soldat wurde getötet; drei wurden verletzt. Am 2. Oktober wurden vier Soldaten getötet und acht verletzt. Gerade bei solch einem Einsatz in einer derart extremen Situation ist es völlig richtig, den Soldaten und ihren Familien zu danken. Ich möchte um Erlaubnis bitten, dass ich nicht nur den deutschen Soldaten danke, sondern allen Soldaten, auch denen der Afrikanischen Union, die vor Ort einen unglaublich harten Job machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Meine Damen und Herren, die Situation ist sehr fragil. Es gibt einige neue Entwicklungen, die Grund zur Sorge geben. Wenn man daran denkt, wie die Zentralregierung im Sudan in der Vergangenheit auf äußeren Druck reagiert hat und auch wie sie jetzt reagiert, nachdem vorgestern in der Nähe der Hauptstadt des Sudan eine Waffenfabrik explodiert ist – das ist auch für Darfur relevant –, dann stellt sich die zentrale Frage: Wohin führt das? Es steht zu befürchten, dass die Zentralregierung in den nächsten Wochen und Monaten nicht kooperativer mit uns zusammenarbeiten wird. Das ist auch deswegen relevant, weil in den letzten Wochen die Bewegungsfreiheit wieder massiv eingeschränkt worden ist. Damit komme ich zu meiner zweiten Frage an Sie, Frau Kollegin Buchholz: Ich habe nicht verstanden, warum die Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch die Zentralregierung dazu führt, dass die Menschen in Darfur denken, UNAMID wäre eine Unterdrückungs- bzw. Besatzungsmacht. Das ist mir nicht klar geworden. Dabei ist es, um beim Thema zu bleiben, von zentraler Bedeutung, dort jetzt einzuwirken, wo es geht, damit die Menschen in Darfur nicht wieder einmal Opfer von Dingen werden, die die Zentralregierung in Khartoum tatsächlich antreiben. Es ist zu Recht gesagt worden, dass es wenig Leben im Doha-Prozess gibt. Es gibt viele große Gruppierungen der Rebellen, die nicht dabei sind. Aber es gibt auch ganz kleine Hoffnungspunkte, die ich noch erwähnen möchte. Es ist begrüßenswert, dass die Zentralregierung erstmals wirklich etwas tut, um die Kindersoldaten zu entwaffnen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Darüber kann man sich nur freuen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP) Es ist gut, dass es den Doha-Prozess gibt, und es ist gut – das hat der Kollege Strässer vorhin gesagt –, dass es eine weitere Gruppe gibt, die vielleicht nicht die wichtigste ist, aber die nun bereit ist, mitzuwirken und an Verhandlungen teilzunehmen. Diese kleinen Hoffnungen werden kurzfristig nichts bringen. Es ist tatsächlich sehr frustrierend, Jahr für Jahr zu sehen, dass wir nicht vorankommen. Aber diese kleinen Punkte, die nicht vergessen werden dürfen, würde es nicht geben, wenn es UNAMID nicht gäbe. Deshalb ist dieser Einsatz so wichtig, und deshalb werden wir zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Philipp Mißfelder von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mich in weiten Teilen eigentlich nur dem anschließen, was Kollege Nouripour gesagt hat. Ich fand es beruhigend, dass über die Situation in Darfur hier im Hause ein breiter Konsens besteht und sie auch ernst genommen wird. In diese Richtung haben sich ja fast alle Redner geäußert. Frau Buchholz, Ihre Ausführungen möchte ich – wie so häufig bei solchen Themen – einfach nicht weiter kommentieren. Sie haben uns heute Gott sei Dank Ihren sonstigen Reigen von antiamerikanischen Verschwörungstheorien erspart. Aber nichtsdestotrotz war das, was Sie gesagt haben, einfach nicht sachgerecht. Vor dem Hintergrund mein Kompliment an Herrn Nouripour für seine Rede! Ich glaube, dass vieles von dem, was er gesagt hat, das widerspiegelt, was unsere Fraktion mit Blick auf diesen Einsatz denkt. Der Prozess der Unabhängigkeit Südsudans ist eine große Herausforderung gewesen. Das haben wir und das hat insbesondere Minister Westerwelle politisch sehr stark begleitet. Wo wir konnten, haben wir versucht, diesen Prozess politisch zu unterstützen. Der Sudan steht dennoch nach wie vor vor einer großen Zerreißprobe. Besonders der Wegfall der Einnahmen aus der Erdölförderung gefährdet die wirtschaftliche Stabilität. Hinzu kommt die Gefährdung der politischen Stabilität. Unkontrolliert hereinströmende Waffenlieferungen aus Libyen beispielsweise erschweren die Lage massiv. Die Rebellenbewegungen stellen einerseits für die Regierung in Khartoum eine reale Bedrohung dar. Andererseits sind deshalb inzwischen mindestens 2 Millionen Menschen von humanitärer Hilfe abhängig. Die humanitäre Lage in der Region bleibt katastrophal; das ist schon von Herrn Strässer eindrucksvoll geschildert worden. Die Zahl der Binnenvertriebenen liegt bei rund 1,9 Millionen, sodass es wirklich kein eng begrenzter regionaler Konflikt ist, sondern tatsächlich eine humanitäre Katas-trophe, die man im Blick haben muss. Die Zahl der Toten ist von Minister Westerwelle schon genannt worden. Dem Ernst der Lage wird es natürlich nicht gerecht, dass wir um diese Uhrzeit hier diskutieren. Die Lage dort gehört einfach bei uns politisch mehr in den Fokus. Wenn wir uns das Elend, das im Westsudan an der Grenze zum Tschad herrscht, vor Augen führen, erschließt sich die Notwendigkeit der Verbesserung der humanitären Lage in dieser Region. Gerade hierzu leistet die Bundeswehr einen wichtigen Beitrag. Deshalb werbe ich seitens unserer Fraktion für eine breite Zustimmung zur Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Darfur. Ich fordere auch diejenigen, die sich damit schwertun, auf, sich einen Ruck zu geben, sodass der gesamte Deutsche Bundestag das Zeichen setzt, dass er hinter diesem Mandat steht. Gemäß dem Antrag der Bundesregierung, den wir hier beraten, sollen bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr an UNAMID beteiligt werden. Die neun deutschen Soldaten, die im Hauptquartier von UNAMID ihren Dienst tun, leisten hervorragende Arbeit. Ihnen ist schon gedankt worden. Dem Dank schließe ich mich an dieser Stelle an. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) UNAMID bleibt nach wie vor ein stabilisierendes Element und ist auch ein wichtiger Beitrag, um zu zeigen, dass sich die Weltgemeinschaft der Verbesserung der Sicherheitslage und der Verbesserung der humanitären Situation annimmt. Das erspart uns allerdings nicht, gleichzeitig die politischen Bemühungen zu verstärken, damit die Krise sich nicht weiter zuspitzt, sondern tatsächlich ein politischer Ansatz gefunden wird, der zu mehr Frieden und zu mehr Sicherheit führt. Zur Wahrheit gehört aber auch: Eine politische Lösung des Darfur-Konflikts steht weiterhin aus und ist in weiter Ferne. Nicht alle Rebellengruppen nahmen an den Friedensverhandlungen in Doha teil. Sie verweigern zum Teil bis heute die Unterschrift zum Abkommen zwischen der sudanesischen Regierung und der Rebellenbewegung. Wie gefährlich die Lage ist, zeigte jüngst – Minister Westerwelle hat es schon gesagt – der Tod von vier nigerianischen Soldaten. Das sind unsere Partner, die dort noch mehr Verantwortung übernehmen als wir mit der Bundeswehr. Unser Mitgefühl gilt deshalb all denjenigen, die dort Soldaten verlieren. Der Tod dieser Soldaten zeigt, wie gefährlich die Mission insgesamt ist. Mitte Oktober starb ein weiterer UNO-Soldat in einem Hinterhalt. Damit steigt die Zahl der getöteten UNAMID-Soldaten und -Mitarbeiter innerhalb von fünf Jahren auf 43. Das ist also keine Kleinigkeit, über die wir dort reden. Nach Schätzungen sind im Darfur-Konflikt seit 2003 insgesamt 300 000 Menschen umgekommen. Trotzdem nimmt die Weltöffentlichkeit nur partiell Anteil. Deshalb, glaube ich, ist es richtig, unser Mandat hier auf eine möglichst breite Unterstützung zu gründen und dem Ganzen über diese Entscheidung hinaus politisch größeres Gewicht zu verleihen. Wir müssen dafür sorgen, dass afrikanische Themen insgesamt eine größere Rolle spielen und wir uns in den Ausschüssen wesentlich mehr -damit beschäftigen. Dort, wo wir dies getan haben, insbesondere in den letzten Wochen, ist das häufig überparteilich und mit sehr großer Sachkunde und sehr großem Engagement geschehen. Ich glaube, dass der Darfur-Konflikt für uns nach wie vor ein Beispiel sein sollte, dass wir uns mit solchen Fragen in den Ausschüssen, aber auch in unserer sonstigen Arbeit stärker auseinandersetzen. So können wir deutlich machen, dass über das Militärische hinaus politische Lösungen im Mittelpunkt stehen und dass die westliche Welt und insbesondere Deutschland mit seiner starken Rolle in Europa bereit sind, sich daran zu beteiligen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11036 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Süd-sudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolutionen 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und 2057 (2012) vom 5. Juli 2012 – Drucksache 17/11037 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache wiederum eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort als erstem Redner wiederum dem Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Debatte eben schon angesprochen worden, aber es ist, so glaube ich, interessant, sich das noch einmal vor Augen zu führen: Erst vor gut einem Jahr, nämlich am 9. Juli 2011, wurde Südsudan ein unabhängiger Staat, und zwar – das möchte ich noch einmal in Richtung der Linken sagen – durch eine demokratische Volksabstimmung. Wir haben in der internationalen Gemeinschaft hart dafür gearbeitet, dass diese Volksabstimmung stattfinden konnte und dass sie auch von allen Beteiligten respektiert wurde. Dass das Volkes Wille gewesen ist, mag dem einen oder anderen aus ideologischen Gründen nicht gefallen. (Zuruf von der FDP: Das können die Linken nicht verstehen!) Aber dass dieser Wille des Volkes politisch umgesetzt werden konnte, auch durch die Entscheidung der Vereinten Nationen – wir selbst waren Präsident im Sicherheitsrat, als die Aufnahme erfolgt ist –, ist etwas, was man bei all dem, was zweifelsohne sehr kritikwürdig ist, auch einmal anerkennen sollte. Das war ein Erfolg der Menschen in Südsudan und auch ein Erfolg der internationalen Diplomatie. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Alles ist sehr schnelllebig. Man vergisst immer alles, was gelingt, und hat nur immer das im Kopf, was nicht gelingt. Aber das sollte man sich auch ein Jahr später noch einmal vor Augen führen. Seitdem befindet sich Südsudan auf dem Weg hin zu einer eigenen stabilen Staatlichkeit. Jeder, der dort gewesen ist – viele von Ihnen waren dort und kennen das –, weiß auch, dass nicht zu erwarten war, dass das ohne Probleme und ohne Rückschläge geschehen würde. Für jeden, der einmal dort gewesen ist und von Staatlichkeit spricht, der Staatlichkeit dort selbst erlebt hat, für den ist es wohl etwas komisch, das Wort „Staatlichkeit“ dort vor dem Hintergrund unserer europäischen Empfindungen und Wahrnehmungen zu verwenden. Uns ist aber nicht nur die schwierige Ausgangslage des jungen Staates bewusst, sondern wir halten es auch für richtig, die Entwicklung entsprechend voranzubringen. Die Lage im Sudan bzw. Südsudan war während der Mandatslaufzeit sowohl durch innerstaatliche als auch durch zwischenstaatliche bewaffnete Auseinandersetzungen und eine Verschlechterung der ökonomischen Situation in beiden Staaten gekennzeichnet. Leidtragende sind die Menschen vor Ort. Niemand ignoriert die soziale Lage der Menschen vor Ort. Wir hören immer wieder von vielen Toten. Manches hat einen politischen Hintergrund, vieles auch nicht, das darf nicht unterschlagen werden. Aber wir tun unser Bestes: Wir haben die humanitäre Hilfe für Sudan und Südsudan im Sommer um 5 Millionen Euro auf jetzt 10,5 Millionen Euro erhöht. Wir erinnern uns: Durch intensive Bemühungen der internationalen Gemeinschaft und der Präsenz der Vereinten Nationen vor Ort konnte Mitte des Jahres verhindert werden, dass sich die Konflikte zu einem größeren zwischenstaatlichen Konflikt ausweiteten. Es gibt die Probleme noch. Das ist auch in der vorherigen Debatte angesprochen worden. Das kann man nicht ignorieren. Wenn man aber sieht, wo wir vor anderthalb Jahren waren und vor welcher Gefährdung wir vor anderthalb Jahren standen, dann, denke ich, sollte man auch anerkennen, was sich vernünftig entwickelt hat. Die Probleme sind nicht weg. Das kann niemand in dieser Situation erwarten. Ich glaube aber, es sind durchaus Fortschritte zu sehen. Wir haben natürlich unsererseits die Konfliktparteien aufgefordert, ihre Streitigkeiten im Interesse der Menschen beizulegen. Die Bundesregierung begrüßt daher, dass die Einigung von Addis Abeba vom 27. September möglich wurde. Diese Einigung bietet die Chance auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Sudan und Südsudan, auch wenn wesentliche Fragen offenbleiben. Ich will das noch einmal unterstreichen. Niemand in diesem Hause ignoriert ja die Probleme. Jeder weiß, dass noch viele Jahre harter Arbeit nicht nur vor den beiden Staaten, sondern auch vor der internationalen Staatengemeinschaft liegen werden. Der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission im Südsudan UNMISS – UNMISS mit zwei S wegen des Südens – kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat durch seine Resolution 2057 vom 5. Juli dieses Jahres die völkerrechtliche Grundlage nach Kapitel VII der UN-Charta um ein weiteres Jahr verlängert. Deutschland hat sich an der Mission UNMISS von Anfang an beteiligt. Derzeit sind 16 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Südsudan eingesetzt. Deutsche Offiziere tragen an wichtigen Entscheidungspositionen zum Erfolg dieser Mission bei. Dafür möchte ich abermals auch den dort eingesetzten Frauen und Männern, sei es in Uniform, sei es aber auch ohne Uniform als zivile Helfer, ausdrücklich danken. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, für die Bundesregierung beantrage ich die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan. Das Mandat wird inhaltlich unverändert fortgeschrieben. Es bleibt bei denselben Aufgaben, bei demselben Einsatzgebiet und bei derselben Personalobergrenze von 50 Soldatinnen und Soldaten. Ich weise erneut darauf hin: -UNMISS hat ein robustes Mandat, das heißt, die Kräfte der Mission sind autorisiert, zum Eigenschutz, zur Gewährleistung der Sicherheit der humanitären Helfer und zum Schutz der Zivilbevölkerung gegebenenfalls Gewalt anzuwenden. Kernaufgabe von UNMISS bleibt die Unterstützung der Regierung bei der Friedenskonsolidierung, beim Staatsaufbau und bei der Schaffung der Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung. Die Mission unterstützt zudem die Gewährleistung von Sicherheit, die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit und die Stärkung des Sicherheits- und Justizsektors. Hierzu tragen neben den deutschen Soldaten auch die deutschen Polizeibeamten bei, von denen derzeit sechs vor Ort eingesetzt sind. Auch ihnen gebührt unser Dank und unser Respekt für ihre wertvolle Arbeit unter höchst herausfordernden Umständen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, natürlich nimmt das Sudan-Konzept der Bundesregierung – das ist jedem hier klar; das will ich nur von der vorherigen Debatte aufgreifen – bewusst Südsudan und Sudan gleichermaßen in den Blick. Das ist gar keine Frage. Ganz im Sinne unseres Ansatzes der vernetzten Sicherheit greifen dabei viele Elemente ineinander: Nothilfe, Entwicklungshilfe und Hilfe beim Aufbau von staatlichen Strukturen. Wir fördern aber auch zusätzliche Projekte zur Unterstützung der Arbeit von UNMISS. Wir helfen bei Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von Soldaten und Milizionären. Wir fördern juristische und polizeiliche Ausbildung und unterstützen den Verfassungsprozess. All dies trägt dazu bei, das Fundament zu festigen, auf dem der junge Staat Südsudan aufgebaut ist. Ich weiß, dass einige von Ihnen in der letzten Woche die Gelegenheit gehabt haben, mit der Leiterin der Mission und Sondergesandten des UN-Generalsekretärs für Südsudan, Hilde Johnson, bei ihrem Besuch in Berlin zu sprechen. Sie werden auch von ihr erfahren haben, dass der Beitrag Deutschlands sehr geschätzt wird. Ich hoffe, dass das, was bei der letzten Debatte möglich war, dass nämlich vier Fraktionen geschlossen für das Mandat gestimmt haben, auch dieses Mal wieder gelingen wird, und diesen Eindruck habe ich trotz all der Schwierigkeiten, die man nicht ignorieren kann. Das weiß hier auch jeder, da muss man ganz realistisch he-rangehen. Dieses Mandat ist sinnvoll. Wir sollten unseren Beitrag leisten. Das mehrt nicht nur die Chancen vor Ort, sondern auch international das Ansehen unseres Landes. Deswegen bitte ich um eine breite Unterstützung durch das Hohe Haus. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul. (Beifall bei der SPD) Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen dem Antrag der Bundesregierung zur fortgesetzten Beteiligung an der UN-Friedensmission im Südsudan, UNMISS, zu; denn die vor einem Jahr mit dem Mandat erteilten Aufgaben bestehen unvermindert fort. Es geht um den Aufbau eines funktionierenden demokratischen und pluralistischen Staatswesens. Vor allen Dingen geht es um den Schutz der Zivilbevölkerung. Über den deutschen Beitrag im Hinblick auf die Anzahl der beteiligten Soldatinnen und Soldaten ist schon geredet worden. Ich möchte an dieser Stelle der UN-Sonderbeauftragten für Südsudan, Hilde Johnson, ganz herzlich danken; denn sie leistet unter äußerst schwierigen Bedingungen eine hervorragende Arbeit. Sie hat vielen von uns in der letzten Woche für Gespräche zur Verfügung gestanden. Ich wünsche ihr viel Erfolg für die Arbeit, die sie dort im Auftrag der Vereinten Nationen leistet. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist gut, dass nach den massiven Auseinandersetzungen der letzten Zeit Ende September 2012 in Addis Abeba eine Übereinkunft zwischen Südsudan und Sudan zustande gekommen ist. Inhalt dieser Übereinkunft sind die Wiederaufnahme der Ölförderungen, die im Februar 2012 vom Südsudan gekappt bzw. gestoppt worden sind, und die Einigung auf eine demilitarisierte Zone entlang der gemeinsamen Grenze, einschließlich eines Verfahrens der gemeinsamen Grenzüberwachung. Diese Grenzüberwachung ist ein Fortschritt, weil beide Seiten, Sudan und Südsudan, beteiligt sind. Es wäre zu wünschen gewesen, dass hier UNMISS eine Rolle hätte spielen können. Das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr werden noch auszubildende internationale Beobachter vor Ort sein, die sich an diesem Joint Border Verification and Monitoring Mechanism beteiligen. Die Auswirkungen – wer mit den Beteiligten gesprochen hat, kann das noch einmal bestätigen – des Stopps der Ölförderung waren und sind katastrophal. Wenn jetzt die Ölförderung wieder aufgenommen wird, wird erst im Februar nächsten Jahres daraus Geld in den Haushalt des neuen Staates fließen. Dabei machen die Erdöleinnahmen etwa 98 Prozent des südsudanesischen Staatshaushalts aus. Von dem geringeren finanziellen Spielraum sind jedoch vor allen Dingen die Armen betroffen. Die Bevölkerung aber wartet auf die Unabhängigkeitsdividende, auf die Dividende, die sich mit dem Frieden ergeben sollte. Ich sehe den Prozess immer auch unter einem optimistischen Aspekt, aber man muss fairerweise sagen, dass sich nach der Euphorie der Unabhängigkeit doch Ernüchterung und Sorge breitgemacht haben. Der junge Staat wird noch für lange Zeit auf die internationale Unterstützung angewiesen sein. Hinter dem fortdauernden Konflikt steht auf der Seite des Südsudans offensichtlich auch eine Gruppe von Militärs der SPLA-Nord, die die Gelegenheit zum Sturz im Norden nutzen will. Im Nordsudan gibt es eine massive Gruppe von Radikalislamisten, die den gesamten Sudan wieder „islamisieren“ wollen. Das sind übrigens diejenigen, die auch die deutsche Botschaft attackiert und zerstört haben. Es ist völlig unerträglich, dass die Regierung Baschir den Schutz dieser Botschaft nicht sichern konnte oder wollte. Wir fordern Sie auf, sicherzustellen, dass diese Regierung ihren internationalen Verpflichtungen, nämlich dem Schutz der Botschaften, auch gerecht wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die südsudanesische Regierung ist aufgerufen, endlich den Aufbau einer unabhängigen Justiz und die Reform der Sicherheitsorgane voranzubringen. Der Bürgerkrieg ist zu Ende, und damit muss auch das durch diesen Bürgerkrieg geprägte Denken der Sicherheitsorgane und der Regierung zu Ende sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist die wichtigste Voraussetzung, damit die richtigen Investitionen getätigt werden. Denn man muss sich angucken: Im Jahr 2011 – – (Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse übernimmt den Vorsitz) – Ach, Herr Präsident, hallo! Ich dachte es mir doch; so laut habe ich Herrn Solms noch nie erlebt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Entschuldigung; ich bitte um Nachsicht. Ich wollte Folgendes sagen: Die Schwerpunkte der Investitionen sahen 2011 wie folgt aus: 10 Prozent der Investitionen flossen in Infrastruktur, 7 Prozent in Bildung, 4 Prozent in Gesundheit, aber 38 Prozent flossen Militär- und Sicherheitsapparat zu. Das ist unakzeptabel. Auch deshalb muss sich die internationale Gemeinschaft stärker beteiligen, nicht nur bei UNMISS, sondern eben auch hinsichtlich der anderen Fragen; denn noch ist die Regelung über die Zuordnung der umstrittenen Region Abyei ungeklärt. Dazu gibt es jetzt den Auftrag der Afrikanischen Union, dass sich beide Seiten innerhalb der nächsten sechs Wochen einigen sollen, ebenso wie über einen Teil der Demarkierung der noch nicht beschlossenen fünf weiteren Grenzregionen. Hier muss neben der Afrikanischen Union auch die internationale Gemeinschaft ihre Aufgaben wahrnehmen. Es ist gut, dass es auch ein Abkommen bzw. eine Vereinbarung zur humanitären Hilfe für die Menschen gibt, die in Südkordofan und am Blauen Nil besonders betroffen waren. Dazu gibt es jetzt ein Abkommen; aber bevor die Hilfe ankommt, dauert es noch einige Zeit. Zur Rolle von UNMISS. Angesichts dieser Phase, die wir hier jetzt noch einmal vor Augen haben, angesichts fortgesetzter massiver Konflikte hatte es UNMISS schwer, die Aufgaben zu erfüllen. Aber man versucht, die Zivilbevölkerung zu schützen und die Lösung der Kapazitätsprobleme der Sicherheitskräfte voranzubringen. UNMISS hat dazu beigetragen, dass ein Versöhnungsabkommen zwischen den ethnischen Gruppen von der Regierung verhandelt wurde. Aber UNMISS – das ist auch wahr – kann nicht überall im Südsudan vertreten sein. 7 900 Soldaten sind autorisiert, aber 5 600 Soldaten sind real vor Ort. Es fehlen Hubschrauber. Auch das, so war zu hören, wäre eine wichtige Anforderung an die Bundesrepublik Deutschland; denn in vielen Fällen sind die Sicherheitsorgane natürlich auch diejenigen, die gegenüber der Bevölkerung eine gewisse Bedrohung ausüben und Menschenrechtsverletzungen begehen. Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Betrachtung der Rolle Khartoums, also des Nordsudan. Die Staatsfinanzen – darauf ist vorhin hingewiesen worden – sind durch die Auseinandersetzungen um die Öleinnahmen drastisch eingebrochen. Proteste, die sich gegen die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik, gegen Korruption und Vetternwirtschaft richten, lassen sich zwar nicht mit den Massenbewegungen wie etwa in Tunesien oder Ägypten vergleichen. Das Regime reagiert aber dennoch mit äußerster Härte und lässt selbst die friedlichsten Konflikte brutal niederschlagen. Das Regime Baschir hat immer noch nicht verstanden, dass es massive Anstrengungen unternehmen muss, die realen Lebenschancen von Menschen in allen Regionen und eben nicht nur im Zentrum zu verbessern und vor allen Dingen Chancen auf mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen. Jenseits der Problematik UNMISS muss die politische Unterstützung, muss die Arbeit der Europäischen Union, der UN und der Afrikanischen Union tatsächlich an den noch ungelösten Fragen ansetzen. Denn wir wollen, dass der 193. Staat – er ist vor gut einem Jahr unabhängig geworden – eine Chance hat, sich zu entwickeln, und damit die Chance hat, die Leistungen für seine Bürgerinnen und Bürger zu erbringen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Minister Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, der Südsudan ist vor 15 Monaten unabhängig geworden. Das war ein großer Erfolg. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass 20 Jahre Bürgerkrieg die Vorgeschichte sind. Deswegen kann man natürlich schnelle Ergebnisse nicht erwarten. Es gibt gute und schlechte Entwicklungen. Frau Wieczorek-Zeul hat auf eine gute Entwicklung hingewiesen: Die Wiederaufnahme der Erdölförderung ist eine wichtige Voraussetzung für dauerhafte Stabilität in der Region. Es gibt natürlich viele Gründe für Sorge. Das betrifft den Status der umstrittenen Region Abyei und eine Einigung über die umstrittenen Teile der Grenze zwischen Südsudan und Sudan. Nach wie vor ist die Lage des Südsudan nach innen und außen äußerst fragil. Die wirtschaftliche Situation bleibt unbefriedigend. Es gibt weiterhin humanitäre Notlagen. Es herrscht keine Sicherheit im Land. Regionale Warlords treiben ihr Unwesen. Der Sicherheitssektor muss von Grund auf aufgebaut werden. Der Prozess hat begonnen; aber es bleibt viel zu tun. Vor diesem komplexen Hintergrund kommt der Friedensmission UNMISS eine wichtige Rolle zu. Ich begrüße es, dass der Sicherheitsrat die Friedensmission um weitere zwölf Monate verlängert hat. Wir sollten das Gleiche tun. Nach einem so zerstörerischen Konflikt können die Wunden nicht so schnell verheilen. Wir haben den Südsudan bisher begleitet, und wir sollten dies auch weiterhin tun. Die Verantwortung für den Aufbau dieses jungen Staates trägt die Regierung in Juba. Wir wissen aber auch: Ohne internationale Unterstützung wird die Regierung es nicht schaffen. Die verantwortlich handelnden Personen an der Spitze des Südsudan haben keine Erfahrung in effizienter Verwaltungsarbeit, keine Erfahrung im politischen Interessensausgleich, keine Erfahrung in Haushaltsführung und keine Erfahrung in demokratischer Kontrolle von Sicherheitsorganen. Die internationale Gemeinschaft und die Regierung in Juba sollten sich deshalb weiter auf unsere Unterstützung verlassen können. Die bisherige Mandatsobergrenze für die Beteiligung deutscher bewaffneter Streitkräfte liegt bei 50 Soldaten. Daran wollen wir festhalten. Diese Grenze gibt uns auch genügend Flexibilität. Zurzeit sind wir mit rund 16 Offizieren dort. Wir haben zwei Schwerpunkte: Informationsgewinnung und Aufbau der Sicherheitskräfte. Im UNMISS-Hauptquartier stellen Soldaten der Bundeswehr den Leiter Nachrichtengewinnung und Aufklärung, den Leiter Ausbildung und den stellvertretenden Leiter der militärischen Verbindungsorganisation – allesamt Positionen von zentraler Bedeutung für den Gesamterfolg der Mission. Unsere Soldaten vor Ort sind an den wichtigen militärischen Entscheidungen beteiligt, und das soll auch so bleiben. Sie tragen dazu bei, dass allmählich leistungsfähige staatliche Institutionen entstehen können und der Prozess der Friedenskonsolidierung vorangeht. Unsere Soldaten leisten im Auftrag der Vereinten Nationen und im Interesse Deutschlands einen wichtigen Beitrag zum Wohle des Südsudan. Einige – Herr Nouripour und andere – haben beim vorigen Tagesordnungspunkt darauf hingewiesen, dass die Stabilität im Herzen Afrikas in unserem Interesse liegt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen sagen wir Ja zu der weiteren Unterstützung. Herr Westerwelle und ich bitten das Parlament um breite Zustimmung für diesen Einsatz. Unser Dank und Respekt gilt unseren Soldaten, den Polizisten und allen, die für UNMISS Dienst tun. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Christine Buchholz für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung behauptet, der Bundeswehreinsatz im Südsudan schütze die Bevölkerung. Er zeige – ich zitiere Ihre Antragsbegründung – eine „glaubhafte Perspektive zur Verbesserung der Lebensbedingungen“ auf. (Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist ja die gleiche Rede wie eben! Redewechsel!) Ich halte beides für falsch. Herr Westerwelle, Sie sagen, UNMISS habe die Ausweitung des zwischenstaatlichen Konfliktes zwischen Nord und Süd verhindert. Sie sollten lesen, was UNMISS selbst sagt: Wir haben kein Mandat, um Zivilisten im Grenzkonflikt zwischen Nord- und Südsudan zu schützen. Wer im Bundestag etwas anders suggeriert, täuscht die Bevölkerung. (Beifall bei der LINKEN – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie täuschen!) In Wirklichkeit geht es bei dem Bundeswehreinsatz im Rahmen von UNMISS ausschließlich um die einseitige Unterstützung des Südsudan, und das haben wir von Anfang an kritisiert. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Pfui!) Mit dieser einseitigen Unterstützung haben Sie letztendlich die südsudanesische Regierung zu dem Angriff und zur Besetzung der Ölfelder des Nordens im April dieses Jahres ermutigt. Und ich frage: Was muss die südsudanesische Regierung noch tun, damit Sie die Politik der einseitigen Unterstützung endlich aufgeben? (Joachim Spatz [FDP]: Die Sudanesen selber haben das Mandat gewollt!) Sie sagen, im Bundesstaat Jonglei sei es der südsudanesischen Regierung mit Unterstützung von UNMISS gelungen, „ein Versöhnungsabkommen zwischen den ethnischen Gruppen … zu verhandeln“. Ich sage Ihnen: Uns alle beunruhigen die Nachrichten über ethnisch aufgeladene Konflikte im Südsudan. Aber das Versöhnungsabkommen, von dem Sie sprechen, wurde nie nachhaltig umgesetzt. Ende September ist in Jonglei eine neue bewaffnete Revolte der Murle ausgebrochen. Sie ist die Reaktion auf das Vorgehen der Regierungstruppen der SPLA gegen diese ethnische Minderheit. Die SPLA – ich zitiere Human Rights Watch – tötet, vergewaltigt, schlägt und foltert. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie sind eine Schande für dieses Parlament!) Die Situation in Jonglei zeigt nur eines: dass UNMISS keinen Frieden im Südsudan implementieren kann. (Beifall bei der LINKEN) Sie sprechen davon, dass die Einrichtung eines Frühwarnsystems wichtig ist, damit die Bevölkerung rechtzeitig vor Angriffen fliehen kann. Ja, ein Frühwarnsystem ist wichtig; aber meines Erachtens braucht es dazu keine bewaffneten Soldaten und keine Kapitel-VII-Mission. Ein Frühwarnsystem ist auch mit zivilen Mitteln zu leisten. Hören Sie endlich auf, Ressourcen einseitig in militärische Kapazitäten zu stecken. (Beifall bei der LINKEN) Was ist das überhaupt für ein Staat, den Sie mit Hilfe von UNMISS aufbauen? Jüngst kam heraus: 75 hohe Funktionsträger des neuen Staates Südsudan haben Gelder in Höhe von 4 Milliarden US-Dollar veruntreut – 4 Milliarden US-Dollar! Gleichzeitig ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung unterernährt. Und nun begrüßt UNMISS in ihrem Jahresbericht ein Austeritätsprogramm der neuen Regierung, das massive Einsparungen vorsieht. Das ist ein Armutszeugnis. (Beifall bei der LINKEN) Die Inflation beträgt bei einigen Grundnahrungsmitteln 300 Prozent. Aufgrund der massiven Präsenz der UNO kosten einfache Wohnhäuser in Juba inzwischen um die 2 000 US-Dollar Monatsmiete. Das, meine Damen und Herren, schafft nicht die „glaubhafte Perspektive zur Verbesserung der Lebensbedingungen“, von der die Bundesregierung in ihrem Antrag spricht. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wieder keine Antwort! Nur Genöle!) Der Sudan braucht eine wirkliche wirtschaftliche und soziale Perspektive. Lesen Sie unseren Entschließungsantrag aus dem letzten Jahr. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Um Gottes willen! – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Herr Präsident, so hören sich Täter an!) Darin sind wichtige Antworten genannt. Ich sage Ihnen: Die Bundeswehr hat im Südsudan nichts zu suchen, nichts im Norden, nichts in Somalia, nichts in Mali und auch sonst nirgendwo. Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie wird Täterin! Sie macht sich zur Mittäterin! – Karin Strenz [CDU/CSU]: Ist sie schon längst! Ohne Hirn!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Ob der am 9. Juli letzten Jahres aus der Taufe gehobene neue Staat Südsudan ein lebensfähiger Staat wird oder ob es am Ende nicht doch die Geburtsstunde eines sogenannten gescheiterten Staates war, das wissen wir heute nicht; das muss die Geschichte erst noch zeigen. Aber die Situation ist sehr fragil. Liebe Frau Kollegin Buchholz, liebe Kollegen von der Linken, gerade wenn man ein Scheitern verhindern will, ist es von zentraler Bedeutung, dass die Friedensmission UNMISS im Lande ist. Sie ist übrigens auf ausdrücklichen Wunsch der Südsudanesen und der Afrikanischen Union im Lande; die Nordsudanesen wollten auf ihrer Seite keine Friedenstruppen. Das ist nicht am Süden und nicht an der internationalen Gemeinschaft gescheitert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Brand [CDU/CSU]: So ist es! Gott sei Dank sprechen Sie es aus!) Ich habe hier ein schönes Zitat. Frau Buchholz, Sie können nachher die Frage beantworten, von wem es stammt. (Michael Brand [CDU/CSU], an die Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE] gewandt: Sie hören ja gar nicht zu! Zuhören, Frau Buchholz! Erst hetzen und dann nicht zuhören!) Das Zitat lautet: Was UNMISS betrifft, so wird behauptet, dass allein die Präsenz der Soldatinnen und Soldaten … in der Fläche zur Beruhigung der Gewaltkonflikte beitrage. … Dafür spricht in der Tat Einiges. Das ist ein Zitat von Ihrem Kollegen Paul Schäfer. Es stammt aus seinem letzten Reisebericht. (Marina Schuster [FDP]: Ja! – Joachim Spatz [FDP]: Der hat Ahnung!) Das hat auch die Leiterin der UNMISS, Frau Johnson, erzählt; die Kollegin Wieczorek-Zeul hat es eben erwähnt. Die Kollegin Johnson hat von dem Konflikt in Jonglei berichtet, der enorm eskalierte und bei dem der Frieden zwischen Nord- und Südsudan wirklich auf Messers Schneide stand. Davon hat heute auch der Chef des DPKO gesprochen. Es ist ein Verdienst von UNMISS, dass dieser Konflikt zunächst beruhigt werden konnte. Auch hierzu schreibt der Kollege Schäfer – Hört! Hört! –: Damit – dass UNMISS die Zivilbevölkerung rechtzeitig gewarnt hat und ihrem Auftrag, die Zivilbevölkerung zu schützen, gerecht wurde – wurden hunderte, wahrscheinlich sogar tausende Menschenleben gerettet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP – Michael Brand [CDU/CSU]: Frau Buchholz geht es nicht um Menschenleben, sondern um Ideologie und Hetzerei!) Sie sollten den Leuten zuhören, die im Lande waren und deshalb über die Situation vor Ort berichten können. Natürlich ist UNMISS kein Garant dafür, dass es im Südsudan Frieden gibt, aber es ist eine Conditio sine qua non, eine Bedingung dafür, dass das Land überhaupt eine Chance hat, sich zu stabilisieren. Deshalb müssen wir heute der Verlängerung dieses Mandats zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Michael Brand [CDU/CSU]: Danke für die Differenzierung!) Für mich steht fest, dass wir die historische Chance haben, generell ein neues Kapitel in den Beziehungen zu Afrika aufzuschlagen, es sozusagen einmal richtig zu machen, und zwar zusammen mit unseren afrikanischen Partnern. Ich hoffe, dass wir diese Chance nicht verspielen. Ich will an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass es zurzeit einige Entwicklungen gibt, die in die falsche Richtung gehen. Wir haben das gemeinsam in zwei interfraktionellen Anträgen sehr deutlich gemacht. Damit meine ich vor allem die sogenannten Post-CPA Issues, also noch offene Fragen aus dem alten Friedensvertrag, etwa: Man hat sich jetzt zwar auf die Wiederaufnahme von Öllieferungen geeinigt, aber es fehlt immer noch ein umfassendes Wirtschaftsaufbauprogramm mit klaren sozialen Standards. Herr de Maizière, es ist keineswegs so, dass die Wiederaufnahme der Öllieferungen eine Garantie ist. Wir kennen viele Länder, in denen das eher Fluch als Segen ist. Deshalb ist es fraglich, ob der Südsudan tatsächlich davon profitieren kann. Auch die Buffer Zone ist sehr wichtig. Es ist aber völlig unklar, wer sie überwachen wird. In Bezug auf die Entwaffnung der SPLM-Nord ist noch gar nichts passiert, und es wird so lange nichts passieren, bis nicht etwas in den strittigen Regionen Abyei, Nuba-Berge und Blue Nile passiert ist. Ich möchte die grassierende Korruption erwähnen; auch das muss man hier zur Sprache bringen. In erster Linie ist natürlich die südsudanesische Regierung dafür verantwortlich, aber auch wir haben Fehler gemacht. Man hat zugelassen, dass die Petrodollars ins Land kamen, ohne dass es irgendwelche Institutionen gab, die das hätten kontrollieren können und müssen, ohne dass es irgendwelche Banken gab. Das war zumindest fahrlässig. Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir als Deutscher Bundestag könnten der UN 50 Soldaten der Bundeswehr – das ist die Höchstgrenze – zur Verfügung stellen. Es ist wichtig, dass wir diesen Beitrag leisten, das heißt, dass wir diese Soldaten der UN wirklich zur Verfügung zu stellen. Frau Johnson hat auch klargemacht: UNMISS befindet sich erst am Anfang. Deutschland als eine Nation, die die UN unterstützt, könnte und müsste hier eigentlich noch mehr leisten. Ich hoffe, dass die Bundesregierung das in Zukunft tut. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Letzter Redner in der heutigen Debatte ist Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion. Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Frau Müller, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mit deutlichen Worten zumindest die Würde dieser Debatte wiederhergestellt haben; denn das, was wir vorhin erlebt haben, das kann man wirklich nur als groben Unfug bezeichnen. (Joachim Spatz [FDP]: Richtig! – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist eine ganz große Koalition!) Die Ursachen des Konflikts komplett zu ignorieren, Frau Buchholz, und dann die Mittel, die wir anwenden können – natürlich können wir darüber diskutieren, ob man vielleicht zu spät eingegriffen hat, ob man nicht vielleicht mehr hätte tun können und ob das, was wir jetzt machen, ausreicht –, als die Gründe für die dortige Situation darzustellen, das halte ich nun wirklich für falsch. Was Sie eben gemacht haben, war unredlich und in der Sache nicht richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Beide Mandate, die wir gerade beraten, sind gute Beispiele für unsere wertegeleitete Außenpolitik. (Widerspruch bei der LINKEN) UNMISS führt dazu, dass wir die Bewegungsfreiheit der Helfer vor Ort gewährleisten können. Das ist ein ganz vitaler, humanitärer Beitrag. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das passt sehr gut zu den zivilen Maßnahmen, die wir im Großen und Ganzen ergreifen. Ich habe vorhin in meiner Rede zu dem anderen Mandat bereits zur politischen Aufgabe und den daraus resultierenden Herausforderungen ausgeführt: Damit der Südsudan nicht von Anfang an zu einem Failed State wird, müssen wir politisch mehr tun. Ich glaube, dass wir die Hoffnung nicht aufgeben sollten. Es ist zum Beispiel eine gute Nachricht, dass das Parlament in Khartoum am 17. Oktober 2012 bei nur zwei Gegenstimmen den Kooperationsvertrag beschlossen hat. Frau Wieczorek-Zeul hat es ja gesagt: Nicht alles geht so schnell, wie wir das haben wollen; aber es ist doch trotzdem bemerkenswert, dass man es schafft, eine Pufferzone einzurichten, und dass man es schafft, den Streit über die Verteilung der Ölvorkommen beizulegen. Damit hat man die Grundlagen für ein funktionierendes Staatswesen gelegt. Die Ölförderung kann wieder beginnen. Damit kann wieder Geld ins Land kommen und etwas Wohlstand entstehen. Damit kann überhaupt erst wieder von einem funktionierenden wirtschaftlichen Gefüge die Rede sein. Das war in den letzten neun Monaten überhaupt nicht der Fall, weil jegliche ökonomische Grundlage weggebrochen ist, da kein Erdöl gefördert werden konnte. Gerade die Beilegung dieses Streits ist ein politisch wichtiges Signal, das wir mit den Möglichkeiten, die wir haben, politisch unterstützen sollten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN) – Hier hat doch kein Redner behauptet, in keiner der beiden Debatten – das habe ich auch von keinem anderen Redner jemals gehört, wenn wir hier über Mandate diskutiert haben –, dass wir glauben, dass ein Konflikt irgendwo auf der Welt militärisch gelöst wird. Konflikte werden immer nur politisch gelöst. Manchmal ist es aber notwendig, militärische Optionen nicht auszuschließen, weil man sich überhaupt erst durch militärische Optionen den für politische Lösungen notwendigen Spielraum verschaffen kann. Hier sagt kein Redner, überhaupt niemand, Militär sei eine Lösung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der LINKEN) Aber Sie brauchen mitunter Militär, um Humanität durchsetzen zu können. Die Herausforderungen sind klar: Das Staatsgebiet ist kaum erschlossen. Es mangelt überall an Infrastruktur. Die Zentralregierung – auch Minister de Maizière hat es gesagt – ist nicht in der Lage, die einfachsten administrativen Aufgaben auszuführen. Aufgrund der andauernden Konflikte konnten Fragen, die die Grundfesten eines Staates betreffen, zum Beispiel Fragen des Budgets, gar nicht erst angegangen werden. Etwa 50 Prozent des offiziellen südsudanesischen Haushalts flossen im Jahr 2011 in den Militäretat und den Etat der Polizei. Das heißt, dass sich ein Staat, der hinsichtlich der Infrastruktur eigentlich erst aufgebaut werden müsste, zumindest vor dem Hintergrund unseres Staatsverständnisses, in erster Linie um die Bewältigung von Konflikten kümmert. Deshalb ist es notwendig, dass von außen geholfen wird. Das tun wir mit diesem Mandat, und deshalb halten wir dieses Mandat nach wie vor für richtig. Wir betten es ein in unsere gesamtpolitische Konzeption, um den Menschen dort die Hoffnung zu geben, dass dieser Staat kein Failed State wird, sondern eine gute Zukunft hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich möchte für dieses Mandat werben. Das wird unsere Fraktion weiterhin tun. Zum Abschluss möchte ich Ihnen, liebe Soldatinnen und Soldaten – Sie sind stellvertretend hier, wurden aber noch gar nicht begrüßt, obwohl Sie zu so später Stunde anwesend sind –, herzlich danken für die Aufgaben, die Sie übernehmen, und für die Pflicht, die Sie für unser Land tun. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist doch peinlich! – Gegenruf des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist schlimm, so ein Zuruf! Ätzend! Das ist eine Beleidigung von Bundeswehrsoldaten, was Sie tun, Herr Gehrcke! So ein Rotzlöffel!) – Herr Gehrcke, Sie finden das vielleicht peinlich. Es gab auch einmal Zeiten, da haben Sie NVA-Soldaten begrüßt. Das kann man alles über Sie nachlesen. – Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen, liebe Soldatinnen und Soldaten: Ich finde es gut, dass Sie sich zu dieser Uhrzeit anschauen, wie wir diese Frage beraten. Hier ist nicht alles Licht; bei diesen Diskussionen gibt es auch viel Schatten. Ich finde es wichtig, dass Sie wissen, dass wir mit großer Ernsthaftigkeit den politischen Rahmen für Ihren Einsatz setzen, damit wir politische Lösungen finden können; (Zuruf von der LINKEN – Gegenruf des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]: Schämen Sie sich da drüben!) denn das, was Sie leisten, liebe Soldatinnen und Soldaten, ist von sehr großem Wert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Zurufe von der LINKEN) – Jetzt beruhigen Sie sich einmal; denn ich möchte noch eine persönliche Anmerkung im Namen meiner Fraktion machen. Ich möchte von dieser Stelle aus – ich glaube, im Namen aller –, dem lieben Ernst-Reinhard Beck, dem es diese Woche gesundheitlich gar nicht gut ging, alles Gute wünschen. Unsere Gedanken sind auch am heutigen Abend bei ihm. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11037 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Nun folgen eine ganze Reihe von Abstimmungen, von Entscheidungen ohne Debatte. Ich bitte Sie um Ihre freundliche Aufmerksamkeit. Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrags der Abgeordneten Johannes Pflug, Dr. Rolf Mützenich, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine kohärente Gesamtstrategie für Pakistan – Für eine aktive Einbindungsdiplomatie, Stärkung der demokratischen Kräfte und eine verlässliche Entwicklungszusammenarbeit – Drucksache 17/11033 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.10 Es wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11033 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann haben wir die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Drucksache 17/10750 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – Drucksache 17/11176 – Berichterstattung: Abgeordneter Josip Juratovic Auch hier ist vereinbart, die Reden zu Protokoll zu geben. – Sie sind damit einverstanden.11 Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11176, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10750 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf so zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen wollen, bitte ich, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 21: Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen-Claudio Lemme, Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Betroffenen Frauen nach dem Anti-D-Hilfe-gesetz zu mehr Verfahrenssicherheit und Transparenz verhelfen – Drucksache 17/10645 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Karin Maag (CDU/CSU): Eines will ich gleich an den Anfang stellen: Im Ergebnis teile ich das Ziel des Antrages, die Entschädigung der betroffenen Frauen so gut wie möglich sicherzustellen. Ich bin mit den Antragstellern der Ansicht, dass die Umsetzung in einigen Ländern sehr zu wünschen übrig lässt. Allerdings ist das BMG mit den Ländern im Gespräch, und ich will hier nicht diejenigen an den Pranger stellen, die sich kümmern. Ausschließlich deshalb können wir dem Antrag nicht folgen. Ich fasse nochmals kurz zusammen: Bei dem Gesetz über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte Personen, kurz: Anti-D-Hilfegesetz, geht es um die Hilfe für Frauen, die zur Immunprophylaxe zwischen dem 2. August 1978 und dem 14. März 1979 in der ehemaligen DDR geimpft wurden. Die Impfung war damals bei bestimmten Gesundheitsrisiken nach der Schwangerschaft vorgesehen. Sie diente dazu, bei Rhesusfaktor-Unverträglichkeiten nach Geburten Schäden bei den Kindern zu verhindern. Innerhalb des genannten guten halben Jahres wurden 6 773 Frauen mit Anti-D-Immunglobulinen behandelt. Weil ein Teil der Impfchargen im Institut für Blutspende- und Transfusionswesen in Halle schuldhaft mit Hepatitis-C-Viren verseucht worden war, wurden rund 4 700 Personen, Stand heute, also die behandelten Frauen, etliche Kinder und weitere Kontaktpersonen aus deren familiärem Umfeld, kontaminiert. Nach dem aktuellen Stand sind 2 615 Personen als Schadensfälle nach dem Anti-D-Hilfegesetz anerkannt. Den Opfern gehört auch heute unser Bedauern und Mitgefühl. Und wir sollten dabei auch nicht vergessen, dass diese Frauen letztlich zweimal geschädigt wurden: Zum einen durch die kriminellen Machenschaften im Institut in Halle. Arzt und Apotheker wurden damals auch verurteilt. Zum anderen durch die Einordnung lediglich als Impfschaden. Denn zu DDR-Zeiten durfte es schlicht keinen Arzneimittelskandal geben. Also hat man die Frauen wie bei Impfschäden entschädigt und ihnen damit den Anspruch auf eine höhere Rente, eben nicht nur nach den Sätzen des Bundesversorgungsgesetzes, ebenso versagt wie die Ermöglichung einer Zahlung von Schmerzensgeld. Denn mit der Einordnung als Impfschaden sind die Frauen nach der deutschen Einheit auch in unser Rechtssystem übernommen worden. Um die humanitäre und soziale Lage dieser infizierten Frauen und Kinder zu verbessern, hat der Bundestag im Jahr 2000 nach vielen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern ein eigenständiges Gesetz, eben das Anti-D-Hilfegesetz, AntiDHG, beschlossen. Ein eigenständiges Gesetz auch wegen der Parallelen zum Gesetz über die Errichtung eines Hilfswerkes für behinderte Kinder und dem HIV-Hilfegesetz. Meine Fraktion hat bereits im März 2004 die Frage nach der Rechtsqualität der Entschädigungszahlungen gestellt. Die damalige Bundesregierung stellte ausdrücklich und eindeutig klar, dass es sich bei den Regelungen im Anti-D-Hilfegesetz nicht um einen Bestandteil des sozialen Entschädigungsrechtes handelt, sondern dass es sich um eine eigene Rechtsgrundlage handelt. Zugunsten der Opfer, um die höhere Rente zu ermög-lichen und um überhaupt Einmalzahlungen gewähren zu können, ist damals aber ausdrücklich der Weg über Schadenersatzleistungen und nicht über die Entschädigung eingeschlagen worden. Laufende Geldleistungen erhalten ab einem Grad der Behinderung von 30 Prozent heute 906 Personen. Anspruch auf medizinische Behandlung haben alle anerkannten Personen. 2 615 der im Raum stehenden Schadensfälle, rund zwei Drittel, sind anerkannt. Übrigens ist es aufgrund dieser guten medizinischen Versorgung, Gott sei Dank, in weniger Fällen als erwartet zu Verschlimmerungen und Folgeerkrankungen gekommen. Zudem wurde in den letzten Jahren die medikamentöse Therapie der chronischen Hepatitis C stetig verbessert. Durch die Entwicklung und kassenärztliche Zulassung, durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, der sogenannten Proteaseinhibitoren, Telepravir und Boceprevir, zur Therapie der Hepatitis C stehen hochpotente neue Medikamente mit dem „Schlüssel-Schloss-Prinzip“ zur Behandlung zur Verfügung. So haben sich die sogenannten Heilungsraten gemäß der vorgestellten Studien auf der 43. Versorgungsmedizinischen Fortbildungstagung 2012 für Versorgungsärzte der Länder für erfolglos vorbehandelte Patienten, auf 30 Prozent, und Betroffene mit einem Rückfall, auf 79 Prozent bis 83 Prozent, deutlich verbessert. Nach Aussage der Referenten ist mit einer weiteren Verbesserung der Therapiemöglichkeiten in den kommenden Jahren zu rechnen. Zuständig für das Anti-D-Hilfegesetz ist federführend das Bundesministerium für Gesundheit, BMG, und mitberatend für versorgungsmedizinische Fragen das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, BMAS, die Durchführung allerdings obliegt den Ländern. Das Anti-D-Hilfegesetz wird von den Ländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als Auftragsverwaltung im Sinne von Art. 104 a Abs.3 GG ausgeführt. An den Kosten sind auch die übrigen Länder nach einem Kostenschlüssel beteiligt. Zur Ausübung der Bundesaufsicht lädt das BMG regelmäßig alle Akteure ein und stellt vor allem auch die einheitliche Durchführung sicher. Mit dem Oppositionsantrag wird nun gefordert, dass die Versorgungsmedizin-Verordnung geprüft und auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen konkretisiert wird. Die Folgeerkrankungen, die sich im Rahmen dieser Behandlung ereignet haben, sind in der Versorgungsmedizin-Verordnung zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen. Auch soll darauf hingewirkt werden, dass der Austausch der betroffenen Bundes-länder verbessert wird. Dem Ausschuss für Gesundheit und dem Ausschuss für Arbeit und Soziales soll in sechsmonatigen Abständen ein Bericht über die Evaluation des Anti-D-Hilfegesetzes im Rahmen von Bund-Länder-Konsultationen vorgelegt werden, um die Bedarfe zeitnah zu erfassen und auf sie einwirken zu können. Im Ergebnis teile ich das Ziel des Antrages, die Entschädigung der betroffenen Frauen so gut wie möglich sicherzustellen. Ziel ist es, einen einheitlichen Verwaltungsvollzug unter sachgerechter Anwendung der Versorgungsmedizin-Verordnung zu erreichen. Dazu fand, anders als im Antrag dargestellt, die letzte Bund-Länder-Besprechung am 27. September 2012 im BMG unter Beteiligung des BMAS statt, im Rahmen derer offenbar der Verwaltungsvollzug mit den Ländern ausführlich erörtert wurde. Es wurde – so die Information – festgestellt, dass -extrahepatische Manifestationen seit 2001 gemäß der Versorgungsmedizin-Verordnung zu berücksichtigen und zwingend Bestandteil der Begutachtung sind. Grundsätzlich sind bei der versorgungsärztlichen Begutachtung die Leitlinien der Fachgesellschaften zu beachten, hier S3-Leitlinie zur chronischen Hepatitis C. Diese geben den aktuellen evidenzbasierten wissenschaftlichen Stand in dem jeweiligen Fachgebiet wieder, den die Gutachter zu berücksichtigen haben. Das von der Vielzahl der Geschädigten benannte Problem der angeblich missverständlichen Formulierung der Versorgungsmedizin-Verordnung, die zu ihrer fehlerhaften Anwendung führt, und zwar sowohl bei der Bewertung des histologischen Leberbefundes als auch bei der Gesamtbewertung der Hepatitis-C-Virusinfektion und ihrer Schädigungsfolgen wurde, so wurde ich informiert, angesprochen. Bei dem Treffen ist man daher zu dem Ergebnis gekommen, dass nun im Verlauf der begonnenen grundsätzlichen Gesamtüberarbeitung der Versorgungsmedizin-Verordnung auch die Begutachtungsgrundsätze zur chronischen Hepatitis durch eine Expertengruppe auf ihre weitere Gültigkeit überprüft werden. Allerdings gilt ja bereits der Grundsatz, dass bei der versorgungsärztlichen Begutachtung die Leitlinien der Fachgesellschaften zu beachten sind. Ein Termin hierfür steht allerdings noch nicht fest. Ein Protokoll liegt zu der Besprechung noch nicht vor. Ich gehe aber davon aus, dass wir auf einem guten Weg sind. Uns allen ist es schließlich ein Anliegen, den Frauen zu helfen. Steffen-Claudio Lemme (SPD): „Nur eine Spritze!“, so der Titel der Dokumentation, die sich mit dem größten Medizinskandal der DDR befasst, ausgestrahlt im Oktober 2012 im RBB und MDR. Mit großem medialen Aufsehen und begleitenden Veranstaltungen ist der Eklat um die kontaminierten Antikörperpräparate im Rahmen einer Anti-D-Immunglobulin-Behandlung in den Jahren 1978 und 1979 nun wieder verstärkt in den Blick der Öffentlichkeit geraten. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben schon vor mehr als zehn Jahren für die Unterstützung und Entschädigung der Betroffenen gesorgt. Nur eine Spritze, die das Leben von den Betroffenen und deren Familien radikal verändert hat – und das bis heute. Lassen Sie mich noch einmal kurz die Geschichte der Tragödie aufzeigen: Zwischen dem 2. August 1978 und dem 14. März 1979 wurden circa 4 700 Frauen mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert. Die damals in der DDR vorgeschriebene Behandlung von Frauen mit negativem Rhesusfaktor sollte bei Geburten eine Schädigung des Nachwuchses verhindern. Doch für die betroffenen Frauen kam alles ganz anders. Der große Skandal rührt daher, dass die Infektionen nicht etwa durch einen mangelnden Grad wissenschaftlicher Kontrollierbarkeit der Präparate verursacht wurden, sondern dass die Verabreichungen mit dem Wissen um die Folgen einer Hepatitis-C-Infektion – und damit vorsätzlich – geschehen sind. Wie gesagt, die gesundheitlichen und lebensweltlichen Folgen sind immens. Denn Hepatitis-C-Viren verursachen eine Form der Leberentzündung, die im schlimmsten Fall einen chronischen Verlauf bis hin zum Tod durch Leberversagen nehmen kann. Folglich müssen die Betroffenen bis zum Ende ihres Lebens mit der Krankheit ausharren. Ein tiefer Einschnitt für die Frauen, deren Familien und Lebenspläne! Für mich persönlich sind die Auswirkungen nur schwer nachzuempfinden und letztlich zu begreifen! Besonders belastend ist dabei beispielsweise die stete Gefahr der Übertragung der Krankheit etwa auf den Partner, die Partnerin oder Familienangehörige. All jene Herausforderungen machen es notwendig, dass wir den Betroffenen weiterhin zur Seite stehen. Eine Entschädigungsregelung hat die damalige Bundesregierung aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Anti-D-Hilfegesetz, AntiDHG, geschaffen, um diesen Frauen ein Mindestmaß an Unterstützung erfahren zu lassen. Meine Fraktion hat sich nun erneut der Nöte der Betroffenen angenommen. In unserem Antrag „Betroffenen Frauen nach dem Anti-D-Hilfegesetz zu mehr Verfahrenssicherheit und Transparenz verhelfen“ wollen wir mögliche nachgelagerte Probleme bei der Begutachtung der Betroffenen beseitigen und mehr Transparenz schaffen. Im Folgenden möchte ich kurz darauf eingehen. Mehrfach wurde in der Öffentlichkeit die Uneinheitlichkeit der Anwendung des Anti-D-Hilfegesetzes in den Ländern bezweifelt. Meine Fraktion hat in der Kleinen Anfrage „Dokumentation des Anti-D-Hilfegesetzes und vorangegangener Gesetze“ auf Drucksache 17/9071 von der Bundesregierung statistisches Material zur Bewilligungspraxis abgefordert. Die Zahlen in der Antwort der Bundesregierung auf Drucksache 17/9277 konnte die Spekulationen jedoch nicht erhärten. Um das Vertrauen der Betroffenen in Bund und Ländern zu stärken, muss in Zukunft für eine transparente Dokumentation der Bewilligungspraxis Sorge getragen werden. Daher fordern wir die Bundesregierung erneut auf, weiterhin jeden Zweifel an einer einheitlichen Anwendung des AntiDHG auszuräumen, den Austausch mit den Bundesländern weiter zu verbessern und in Zukunft die Zahlen der Betroffenenstatistik im Interesse größtmöglicher Transparenz der Öffentlichkeit regelmäßig zur Verfügung zu stellen. Weiterhin wird der Vorwurf erhoben, dass aufgrund der Fülle unterschiedlicher Schädigungen die Begutachtungen des Gesamtzustandes der Betroffenen unzureichend erscheinen. Denn das gesamte Erkrankungsbild durch die und infolge der Hepatitis-C-Infektion erstreckt sich sowohl auf die Leber selbst, manifestiert sich aber auch außerhalb des Organs. Eine umfassende Bewertung könne gegenwärtig so nicht erbracht werden. In diesem Zusammenhang wurde die Aktualität der Versorgungsmedizin-Verordnung oder auch die Fachkompetenz der Gutachterinnen und Gutachter in Abrede gestellt. Zur Sprache kam diese Kritik in Beratungen mit Sachverständigen, den Betroffenen, der Sozialgerichtsbarkeit und Einzelexpertinnen und Experten im Vorfeld, während und nach der Anhörung des Ausschusses für Gesundheit vom 28. September 2011. Daher erheben wir die Forderung nach dringender Prüfung der Notwendigkeit einer Überarbeitung der Versorgungsmedizin-Verordnung durch die medizinischen Sachverständigen des Bundesarbeitsministeriums. Denn es ist zu vermuten, dass die jetzige Ausgestaltung der Versorgungsmedizin-Verordnung Gefahren einer unzureichenden Berücksichtigung sogenannter extrahepatischer Manifestationen sowie eines missverständlichen Gebrauchs birgt. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, BMAS, muss daher zeitnah prüfen, ob und wie die Versorgungsmedizin-Verordnung überarbeitet und konkretisiert werden muss. Kernpunkt des Prüfauftrags sollte die Frage der Notwendigkeit einer zwingenden Berücksichtigung und expliziten Erwähnung extrahepatischer Manifestationen in der Verordnung sein. Letztlich muss der Deutsche Bundestag zeitnah über die Einschätzungen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin beim Bundesarbeitsministerium unterrichtet werden. Die Begutachtung der Betroffenen setzt darüber hinaus eine besondere Fachkompetenz für Hepatitis-C-Infektionen sowie den Umgang mit der VersMedV voraus. Dies kann nach einhelliger Meinung von Expertinnen und Experten sachgerecht nur durch ausgewiesene Fachärztinnen und Fachärzte für Leberkrankheiten, sogenannten Hepatologen, geleistet werden. Nur von ihnen ist zu erwarten, dass sie die hinreichende Spezialkenntnis im Hinblick auf eine Begutachtung einer Hepatitis-C-Infektion und ihrer Vielzahl von Folgeerkrankungen haben. Um unzureichende Begutachtungen möglichst zu vermeiden, müssen alle Gutachterinnen und Gutachter durch das BMAS erneut auf die Besonderheiten der Begutachtung hingewiesen werden. Hier ist auf die 2001 erfolgten Präzisierungen durch das damalige Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hinzuweisen, die den Stellenwert extrahepatischer Manifestationen unterstreichen. Demnach lautet unsere Forderung, im Einvernehmen mit den Ländern dafür zu sorgen, dass alle ärztlichen Gutachterinnen und Gutachter nochmals gesondert mit allen in der Vergangenheit erarbeiteten Spezifikationen für eine Begutachtung und den gegebenenfalls novellierten Kriterien einer Beurteilung von HCV-Infektionen und ihrer Folgeerkrankungen hinreichend vertraut gemacht wurden. Ein besonderes Augenmerk unseres Antrags liegt auch auf der Transparenz und dem Berichtswesen der Vergangenheit. Im Zuge dessen fordern wir, dem Ausschuss für Gesundheit und dem Ausschuss für Arbeit und Soziales in einer Sechsmonatsfrist einen chronologischen Bericht über die Evaluierung des Anti-D-Hilfegesetzes im Rahmen der Bund-Länder-Konsultationen vorzulegen. Es war und ist offenkundig erklärtes Ziel der Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages sowie aller Bundesregierungen seit Inkrafttreten des Anti-D-Hilfegesetzes, die betroffenen Frauen in ihrem nunmehr über 30 Jahre währenden Leidenskampf zu unterstützen und ihnen im Rahmen des Anti-D-Hilfegesetzes zu ihrem Recht zu verhelfen. Mit den hier vorgestellten Maßnahmen werden wir hier – hoffentlich erneut gemeinsam – einen wichtigen Beitrag leisten. Dr. Erwin Lotter (FDP): Zum wiederholten Male befasst sich der Bundestag mit Einzelheiten der Umsetzung des Anti-D-Hilfegesetzes, diesmal auf der Basis eines SPD-Antrags. Dieser ist, wie so oft bei den Sozialdemokraten, gut gemeint, aber nicht gut gemacht, und unterliegt einer Reihe von Missverständnissen, ohne die es diesen Antrag überhaupt nicht hätte geben können. Es ist zwischen den Parteien vollkommen unstreitig, dass den 1978 und 1979 in der damaligen DDR vorsätzlich mit dem Hepatitis-C-Virus infizierten Frauen umfassende und transparente Hilfe zuteilwerden muss. Demgemäß wurde das Anti-D-Hilfegesetz als eigenständige Entschädigungsregelung eingeführt, welche den Betroffenen höhere Renten als im Sozialen Entschädigungsrecht üblich zuweist. Der SPD-Antrag ist offensichtlich aus einigen Aussagen in der Sachverständigenanhörung vom September 2011 hervorgegangen, welche wiederum von der Fraktion Die Linke initiiert wurde; diese hatte eine voll-ständige Beweislastumkehr hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Schädigungsfolgen und der Hepatitis-C-Virusinfektion gefordert. Dieser Vorschlag wird von der SPD nicht aufgegriffen. Die derzeit gültige, im Anti-D-Hilfegesetz festgelegte Beweiserleichterung, nach der Behörden und Sozialgerichte den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären haben, wird allgemein als ausreichend ange-sehen. Der SPD-Antrag erwähnt selbst, dass die betroffenen Frauen hinsichtlich Zielsetzung, Umfang und Reichweite des Gesetzes mit der Situation generell zufrieden sind. Allerdings gebe es Zweifel an einer einheitlichen Anwendung des Gesetzes in den betroffenen Bundesländern. Diese sollen nach dem Willen der SPD ausgeräumt werden. Dabei übersieht der Antrag, dass es mit den Länderreferentenbesprechungen zum Anti-D-Hilfegesetz bereits ein funktionierendes Instrument zur Kontrolle der einheitlichen Anwendung gibt. Das Bundesgesundheitsministerium führt hierüber die Aufsicht und lädt regelmäßig zu Gesprächen mit den Ländern ein. Dabei werden Erfahrungen ausgetauscht und evaluiert. Außerdem wird die einheitliche Durchführung des Gesetzes sichergestellt, indem Darstellungen zu möglicherweise ungleichen Behandlungsweisen in den Ländern immer wieder aufgegriffen werden. In den letzten beiden Runden konnten Anhaltspunkte für Versäumnisse und Bearbeitungsmängel nicht festgestellt werden. Insoweit geht der SPD-Vorschlag, den Austausch mit den Bundesländern zu verbessern, ins Leere, weil er redundant ist. Ein Vorschlag, mit dem sich die Sozialdemokraten hervortun möchten, der aber die schon bewährte Praxis ignoriert. Des Weiteren unterstellt der Antrag, die Begutachtung der Leiden sei unzureichend. Dabei bezieht er sich insbesondere auf extrahepatische Manifestationen, also Schädigungen außerhalb der Leber, die auch nach dem Ausheilen der Infektion weiter vorliegen können. Um hier die Feststellung eines kausalen Zusammenhangs zu verbessern, solle die Versorgungsmedizin-Verordnung geändert werden. Auch dieser Vorschlag ist jedoch vollkommen unnötig. Diese Manifestationen sind bereits jetzt in der aktuellen Version der Verordnung zusätzlich zu bewerten. Die SPD-Forderung, die Verordnung zu konkretisieren und extrahepatische Maßnahmen zwingend zu berücksichtigen, übersieht eine simple medizinische Tatsache: Zahlreiche Störungen wie zum Beispiel eine Depression können verschiedene Ursachen haben; die extrahepatische Manifestation einer Hepatitis-C-Infektion ist nur eine dieser Möglichkeiten. Pauschalierungen sind hier fehl am Platze. Nur die individuelle Einzelfallbegutachtung kann hier in medizinisch sinnvoller Weise weiterhelfen. Ohnehin erfolgt zurzeit eine Gesamtüberarbeitung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Eine Reihe von Expertengruppen haben ihre Arbeit bereits aufgenommen. In diesem Rahmen werden auch die Versorgungsmedizinischen Grundsätze für chronische Hepatitiden auf ihre weitere Gültigkeit hin überprüft und gegebenenfalls optimiert. Auch hier also wieder das gleiche Phänomen: Der Antrag missdeutet die Realität um des Effektes willen. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch unterstreichen, dass Betroffene, die an der Kausalität der Begutachtung, der Kausalität zwischen festgestellten Gesundheitsstörungen und einer Gabe des kontaminierten Serums, Zweifel haben, jederzeit die Möglichkeit haben, gegen die Entscheidungen der Verwaltungsbehörde Rechtsmittel einzulegen oder ein Verfahren vor den Sozialgerichten anzustrengen. Schließlich fordert die SPD, dass alle ärztlichen Gutachterinnen und Gutachter mit den Spezifikationen für eine Begutachtung hinreichend vertraut gemacht werden. Die Zweifel an der Kompetenz der Gutachter scheinen aus Klagen einzelner Geschädigter in der genannten Anhörung über deren Auswahl hervorgegangen zu sein. Natürlich hat sich die SPD diese Einzelmeinungen gerne zu eigen gemacht. Denn dies passt ins Bild, das die Sozialdemokraten in ihren Anträgen der letzten Jahre von Ärzteschaft und medizinischen Gutachtern zeichneten: wenn schon nicht potenziell korrupt und dem Patientenwohl abgewandt, dann wenigstens inkompetent. Es besteht kein erkennbarer Anlass, daran zu zweifeln, dass die in diesen Fällen angesprochenen Gutachter ausgewiesene Fachleute sind und über die notwendigen Spezialkenntnisse verfügen. Als i-Tüpfelchen beantragt die SPD nun auch noch chronologische Berichte in Sechsmonatsfristen und weitere Unterrichtungen des Deutschen Bundestages über die Überarbeitung der Versorgungsmedizin-Verordnung. Letzteres mag noch angehen, aber die erste Forderung macht wieder deutlich, dass das schönste Hobby der Sozialdemokratie im gesundheitspolitischen Bereich die Aufblähung der Bürokratie und der Ruf nach noch viel mehr Dokumentationen ist und bleibt. Zu Recht führt der Antrag aus, dass es erklärtes Ziel der Mehrheit der Abgeordneten ist, die vom DDR-Unrecht betroffenen Frauen in ihrem nunmehr über 30 Jahre währenden Leidenskampf zu unterstützen. Leider ist der vorliegende Antrag bei der Begleitung dieses Kampfes nicht zielführend, überflüssig und reine Spiegelfechterei. Die Liberalen werden ihn daher nicht unterstützen. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Zunächst einmal möchte ich mich bei der SPD bedanken, dass auch sie an diesem Thema dranbleibt und sich für Verbesserungen bei der Entschädigungspraxis der Frauen mit Hepatitis C aufgrund der Anti-D-Prophylaxe einsetzt. Das Bemühen ist erkennbar und lobenswert, und vielleicht ist der Antrag nur durch eine Art vorauseilende Selbstbeschränkung so blutarm, um ihn mehrheitsfähig zu machen. Sie sehen: Meine Hoffnung ist, dass dieser Antrag ein vorweggenommener Kompromiss sein soll. Stellt er allerdings die Forderungen der SPD in Reinkultur dar, dann hätte ich deutlich mehr erhofft. Mir schwebte eigentlich eine fraktionsübergreifende Initiative vor, für deren Vorbereitung ich unter anderem den wissenschaftlichen Dienst um eine Auskunft über die Einflussnahme auf die Versorgungsmedizin-Verordnung gebeten habe. Mir geht es um konkrete Verbesserungen für diese Frauen. Dazu sollten sich alle Fraktionen auf konkrete Schritte einigen, damit endlich etwas auf den Weg kommt. Dafür ist es immer noch nicht zu spät. Und vielleicht können wir gemeinsam mehr erreichen als das, was uns nun als Antrag vorliegt. Vielleicht wäre aber auch eine Einigung zwischen den Fraktionen ähnlich ausgefallen wie dieser Antrag. Ich wäre enttäuscht gewesen, aber ich hätte es als Kompromiss mitgetragen, so wie meine Fraktion das Anliegen dieses Antrages mitträgt und ihn trotz seiner Schwächen wohlwollend betrachtet. Lassen Sie mich darlegen, warum ich von diesem Antrag enttäuscht bin. Dieser Antrag bleibt sehr vage. Er bekundet zumindest teilweise, dass die Probleme wahr- und ernst-genommen werden. Aber im Grunde bleibt er dabei stehen, die Bundesregierung aufzufordern, sich gegenüber dem Beirat für die Versorgungsmedizin-Verordnung einzusetzen, sich gegenüber den Ländern einzusetzen, Berichte vorzulegen etc.; er bleibt jegliche greifbare oder gesetzliche Verbesserung für die betroffenen Frauen schuldig. Dabei erinnern Sie zum Beispiel selbst in Ihrer Feststellung daran, dass es längst einen Entschließungsantrag gab, der die Bundesregierung aufforderte, für die einheitliche Umsetzung des Anti-D-Gesetzes in den Ländern zu sorgen. Hätte dies etwas genützt, bräuchten wir den hier vorliegenden Antrag nicht. Dies zeigt doch, dass solche Aufforderungen nicht ausreichen. Die Linke fordert deutlich klarere und weitreichendere Verbesserungen für die Betroffenen der Anti-D-Prophylaxe: Erstens. Die Anrechnung der Renten auf Sozialleistungen muss unterbleiben. Hier geht es um Entschädigungsleistungen. Warum sollte jemand mit Anspruch auf Sozialleistungen geringer entschädigt werden als jemand ohne solche Ansprüche? Zweitens. Die Forderung, die Gutachter zu schulen, nimmt sich für mich etwas weltfremd aus. Die Sachverständigen haben deutlich gemacht, dass die Beurteilung der Folgeschäden allein durch entsprechende Spezialisten erfolgen muss. Ich denke, eine Schulung macht aus einem Allgemeinarzt noch keinen Hepatologen. Die Linke fordert daher, dass die Begutachtung allein durch Fachärzte, wie Hepatologen und eventuell Internisten, vorgenommen wird. Drittens. Es muss dringend eine Anerkennung der Folgen der Therapien stattfinden. Während die Versorgungsmedizin-Verordnung lediglich und, wie wir alle wissen, unzureichend auf die Folgen der Hepatitis eingeht, leiden die Frauen auch an den Folgen der Therapien. Die negativen Folgen der Therapien sind aber ebenso Folge der Anti-D-Prophylaxe wie die Hepatitis selbst. Viertens. Den Frauen, die 30 Jahre an den Folgen dieser Anti-D-Prophylaxe physisch und psychisch gelitten haben, sollte man die Möglichkeit zu Verschlechterungsanträgen geben, aber die Leistungen bei Verbesserungen der Erkrankung nicht niedriger festsetzen, entsprechend § 62 Absatz 3 BVG. Den Frauen würde damit endlich erspart, dauernd erneut ihre Ansprüche nachweisen zu müssen. Fünftens. Die Versorgungsmedizin-Verordnung muss an die neuesten wissenschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Es liegt eine S3-Leitlinie zur Hepatitis C vor. Dies hat Eingang in die Versorgungsmedizin-Verordnung zu finden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann zudem nach § 1 BVG eine Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkennen, wenn die Anerkennung nicht erfolgt, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Meines Erachtens ist das BMAS hier in der Pflicht, zu handeln. Sechstens. Zuletzt muss ich auf die Forderung in unserem Gesetzentwurf zu sprechen kommen. Wir haben diesen Entwurf nicht weiterverfolgt, weil klar ersichtlich ist, dass er keine Mehrheiten im Parlament finden wird. Trotzdem bleibt das Ziel unseres Gesetzentwurfs berechtigt. Diesen Frauen wurde großes Unrecht angetan; sie wurden mit verseuchtem Blut behandelt. Letztlich sollten sie für alle Symptome, die nicht nur wahrscheinlich, sondern allein geeignet sind, durch eine Hepatitis C entstanden zu sein, eine Entschädigung erhalten. Die Frauen sollten nur ihre Symptome nachweisen müssen, und die zuständigen Stellen der Landesregierungen müssen nachweisen, dass diese Symptome nicht durch eine Hepatitis C entstanden sein können. Solange dies nicht erfolgt, erhalten die Frauen entsprechend ihrer Schädigungen ihre Rente. Wir erleben eine gnadenlose Verzögerungstaktik seitens der zuständigen Ämter und Gerichte. Die Justiz und der Amtsschimmel der Länder brauchen teilweise Jahrzehnte, um Entscheidungen zu treffen. Die Frauen können das nicht beschleunigen – die Landesregierungen sehr wohl. Warum soll die Zeit gegen die geschädigten Frauen laufen? Einige Frauen haben erst nach mehr als zehn Jahren Gerichtsverhandlungen ihre Ansprüche durchsetzen können. Dies muss beendet werden. Alles in allem hätte dieser Antrag das eher klägliche Ergebnis eines Kompromisses sein können. Leider bleibt er weit hinter dem zurück, was getan werden müsste. Ich würde mich freuen, wenn durch eine fraktionsübergreifende Initiative, die ich gerne anstoßen möchte, mehr herauskäme. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Verseuchung von Blutprodukten mit Hepatitis-C-Viren hat uns in diesem Hause bereits mehrfach beschäftigt. Dies betraf nicht nur die Frauen, die in der DDR zwischen 1978 und 1979 durch eine verunreinigte Charge von Anti-D-Immunglobulinen infiziert wurden. Es betraf auch jene an Hämophilie Erkrankten, die sich in den 80er-Jahren mit Hepatitis C infizierten, weil sie verunreinigte Blutprodukte erhalten hatten, obwohl den staatlichen Behörden die Risiken bereits hinlänglich bekannt waren. Für die Frauen aus der ehemaligen DDR gibt es mit dem sogenannten Anti-D-Hilfegesetz immerhin eine -gesetzliche Entschädigungsregelung. Infizierte Frauen erhalten eine Entschädigung als Einmalzahlung oder monatliche Rente, wenn eine Folgeerkrankung der HCV-Infektion mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 10 Prozent bzw. 30 Prozent vorliegt. So weit die gesetzliche Regelung. In der Praxis kommt es jedoch häufig zu Problemen. Das wurde zuletzt in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses im September des vergangenen Jahres deutlich. Dies betrifft vor allem die Frage, ob die gesundheitliche Schädigung in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Infektion steht, insbesondere dann, wenn die Viruslast nach der Therapie unter der Nachweisgrenze liegt. Diese Ursächlichkeit nachzuweisen, obliegt derzeit den betroffenen Frauen. Wir wissen heute, dass eine Reihe unterschiedlicher Krankheitssymptome und Schädigungen durchaus auch – aber nicht nur – auf eine -Infektion mit Hepatitis C zurückzuführen sein kann. Dazu zählen neben den Leberentzündungen mit Fibrosen auch Leberkrebs, Zuckerkrankheit, Lungen- und Gelenkerkrankungen und neuropsychiatrische Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen. Der von der Linken im vergangenen Jahr vorgetragene Vorschlag einer Beweislastumkehr war deshalb aus meiner Sicht vor diesem Hintergrund nicht zielführend. Er hat aber zumindest die Möglichkeit eröffnet, das Thema im Gesundheitsausschuss vertieft zu behandeln. In der Anhörung des Gesundheitsausschusses wurde sehr klar, dass das Problem sehr komplex ist und den Gutachterinnen und Gutachtern manchmal leider die Empathie oder die Fachkenntnisse fehlen, sich sachgerecht mit der Symptomatik der infizierten Patientinnen zu beschäftigen. Der vorliegende Antrag der SPD spiegelt diese -Komplexität wider. Er zeigt auch, dass es den einen das Problem umfassend lösenden Ansatz nicht gibt und auch nicht geben kann. Von den Vorschlägen des vorliegenden Antrags möchte ich dennoch einen näher beleuchten. Es wird -beantragt, eine Überarbeitung der Versorgungsmedizin-Verordnung zu prüfen. Das kann man sicher noch deutlicher formulieren, aber im Kern ist das ein guter Vorschlag. Dazu gab es ja in der Anhörung schon Stellungnahmen, die eine Ergänzung dieser Verordnung empfohlen haben. Konkret wurde beispielsweise von der BAG-Selbsthilfe vorgetragen, unter anderem die sogenannten gutachterlichen Anhaltspunkte zu ändern und sie stärker an die neuesten Behandlungsleitlinien der medizin-wissenschaftlichen Fachgesellschaften anzupassen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um die gutachterliche Praxis besser mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu verknüpfen. Und es würde darüber hinaus auch dazu beitragen, die gutachterliche Praxis ein Stück weit zu vereinheitlichen. Ich habe vor einigen Jahren in Mecklenburg--Vorpommern als Arzt selbst im Rahmen einer ständigen Arbeitsgruppe an der Begutachtung solcher Fälle mitgewirkt. Sowohl ich als auch die Kolleginnen und Kollegen, die daran beteiligt waren, haben es sich bei diesen Entscheidungen nicht einfach gemacht. Und wir haben versucht, den Frauen auch in den Fällen gerecht zu werden, wo nur eine eher unspezifische Symptomatik wie die schon beschriebenen Depressionen oder Müdigkeitssymptome vorgelegen hat. Vor diesem Hintergrund unterstützen wir diesen -Antrag und sind gespannt auf die Beratungen im -Ausschuss. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/10645 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann haben wir die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch – Drucksache 17/10146 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – Drucksache 17/11184 – Berichterstattung: Abgeordnete Maria Michalk Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu nehmen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.12 Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11184, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/10146 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir selbstverständlich zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag auf Drucksache 17/11226? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Linken abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP, Grünen gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der SPD angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit den gleichen Stimmenverhältnissen wie zuvor angenommen. Tagesordnungspunkt 23: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Lebenssituation der durch Contergan geschädigten Menschen mit einem Dritten Conter-ganstiftungsänderungsgesetz und weiteren Maßnahmen spürbar verbessern – Drucksache 17/11041 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Die Lebenssituation contergangeschädigter Menschen hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Die Opfer des Conterganskandals aus den 60er- Jahren sind heute im Durchschnitt 50 Jahre alt. Sie haben heute ganz andere Bedarfe als noch vor 20 oder 30 Jahren. Dem müssen und dem wollen wir auch Rechnung tragen. In der vergangenen Legislaturperiode ist es zu einem grundsätzlichen Umdenken in der Politik gekommen, was die Lebenssituation dieser Menschen anbetrifft. Das ist eine positive Entwicklung im Sinne der Betroffenen. Mit der zweiten Änderung des Conterganstiftungsgesetzes 2008 war aber bereits klar, dass der Weg noch lange nicht zu Ende ist. In einem gemeinsamen Antrag haben CDU/CSU, SPD und FDP beschlossen, insbesondere die akuten Bedarfe der Contergangeschädigten in einer Längsschnittstudie wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Dieses Forschungsvorhaben war auch deshalb so wichtig, weil wir sehen wollten, wie sich die -Erfordernisse dieser Männer und Frauen im Alltag verändert haben, wo spezielle Bedarfe sind, wo Versorgungsdefizite. Die Zwischenergebnisse des Gerontologischen Instituts Heidelberg liegen uns seit Juli dieses Jahres vor. Sie zeigen, wie dramatisch sich die Lebensqualität in Folge von Spätschäden verschlechtert hat. Die Fehlbelastungen des Bewegungsapparates, der Zähne, Gelenke, Muskulatur haben dazu geführt, dass in vielen Fällen die Ausübung des Berufes nur eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich ist. Und die Anzahl derer, die davon betroffen ist, wächst zunehmend. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Assistenzbedarf von Contergangeschädigten, der häufig von Familienangehörigen geleistet wird. Oft geht der Assistenz- und Pflegebedarf mit zunehmendem Alter über die gesetzlichen Leistungen hinaus, und die Betroffenen und ihre Familien müssen zuzahlen. Das Ausmaß der Spät- und Folgeschäden der vorgeburtlichen Schädigungen durch das Mittel Contergan drängt also zum Handeln. Darüber sind sich alle Fraktionen einig. Das Erste und Zweite Conterganstiftungsgesetz konnte nur ein erster Schritt sein, der aber einige Verbesserungen gebracht hat. Ich erinnere gern an die wichtigsten Punkte im Einzelnen: Die Conterganrenten wurden zum 1. Juli 2008 verdoppelt, die Renten wurden dynamisiert; deshalb gab es weitere Erhöhungen im Juli 2009, im Juli 2011 und auch im Juli 2012. Conterganrenten werden nicht auf andere Sozialleistungen angerechnet. Seit 2009 erhalten die Opfer jährliche Sonderzahlungen je nach Schweregrad ihrer Beeinträchtigung. Die Ausschlussfrist zur Geltendmachung von Leistungen wurde aufgehoben. Die Sach- und Personalkosten werden seit 2008 vollständig aus dem Bundeshaushalt getragen, sodass das Stiftungsvermögen der Conterganstiftung den Opfern voll zugutekommen kann. Der Stiftungszweck ist verändert worden, sodass ausschließlich Projekte finanziert werden, die die Contergangeschädigten unterstützen. Die Zusammensetzung des Stiftungsrates wurde verändert. Zwei Posten im Stiftungsrat werden von Vertretern aus Betroffenenverbänden besetzt. 2011 wurden Gleichgewichtsstörungen neu in die medizinische Punktetabelle aufgenommen. Die Fraktionen haben Parkerleichterungen beschlossen. Die Fraktion Die Linke hat in ihrem heutigen Antrag die historische Entwicklung des Conterganskandals sowie die Lebenssituation der Opfer korrekt dargestellt, aber die Forderungen sind aus unserer Sicht nicht zielführend. Die Linksfraktion weckt hier Hoffnungen bei den Betroffenen, die die Wirklichkeit nicht treffen. Das halten wir nicht für seriös. Wir wollen eine gemeinsame Lösung finden, die auf einem Beschluss über möglichst alle Fraktionen hinweg basiert. Die breite Einigung in der letzten Legislaturperiode war ein gutes Zeichen, und wir werden alles daran setzen, bei den jetzt notwendigen Beratungen wieder mit einer starken Stimme zu sprechen. Deshalb werden wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem heutigen Antrag der Linksfraktion nicht zustimmen. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie werden zwar endgültig Ende dieses Jahres vorliegen, aber die vorliegenden Handlungsempfehlungen bestätigen uns jetzt schon, dass die Lebensqualität infolge der Schädigung durch Contergan mit zunehmendem Alter abnimmt und die Assistenzbedarfe immer größer werden. Die Ergebnisse haben insbesondere gezeigt, dass die zusätzlichen finanziellen Ausgaben für medizinische und therapeutische Versorgung für die Betroffenen belastend sind. Hier sehen wir Nachholbedarf, und wir freuen uns, dass die Bundesregierung bereits angekündigt hat, uns zu unterstützen. Deshalb müssen in einem ersten Schritt Ergänzungen im Gesundheitsbereich kommen. Es ist ein großes Ärgernis, dass bestehende Verordnungsmöglichkeiten von Heil- und Hilfsmitteln nicht im Sinne der Contergangeschädigten ausgeschöpft werden. Sowohl die Conterganstiftung als auch die Ministerien drängen seit langem darauf, den Heilmittelkatalog so zu ändern, dass bestimmte Rehabilitationsmaßnahmen durch die gesetzlichen Krankenkassen abgedeckt sind. Die Ergebnisse können uns nicht zufriedenstellen. In einem zweiten Schritt wollen wir als Koalition uns mit den anderen Fraktionen auf einen gemeinsamen Weg verständigen, weitere Schritte zur Verbesserung der Lebenssituation der Geschädigten vorzunehmen. Ich will aber betonen, dass die Betroffenen uns in vielen Gesprächen sehr deutlich gemacht haben, dass die Zeit drängt; deshalb müssen wir jetzt schnell, zielgerichtet und sachgerecht helfen. Es ist politischer Konsens, eine Änderung noch in dieser Legislaturperiode durchzusetzen. Die zuständigen Ministerien stehen bereits im intensiven Kontakt, und wir werden als Fraktionen diese Arbeit intensiv unterstützen und weiter forcieren. Es muss eine schnelle und sachgerechte Lösung gefunden werden. Dabei gibt es verschiedene Modelle, die uns die Möglichkeit geben, unbürokratisch zu helfen. Das wird jetzt geprüft. Mit den Betroffenen selbst und den Verbänden stehen wir als Parlamentarier in engem Kontakt. Insbesondere sind hier auch meine Kollegin Maria Michalk, die Behindertenbeauftragte unserer Fraktion, sowie Hubert Hüppe, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, sehr engagiert. Viele von ihnen haben bereits die Gelegenheit genutzt, im Rahmen der Ausschusssitzungen, aber auch außerhalb mit uns zu sprechen und uns auf ihre sich schnell verändernde Situation aufmerksam zu machen. Das ist wichtig, um zu einem positiven Ergebnis in den Beratungen zu kommen. Ich bin optimistisch; dass uns das im Sinne der Betroffenen gelingt. Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Ende der 50er-Jahre bis Anfang der 60er-Jahre kamen weltweit über 10 000 Kinder mit zum Teil schwersten Fehlbildungen der äußeren Gliedmaßen sowie Schädigungen der inneren Organe zur Welt. Ursache war die Einnahme eines thalidomidhaltigen Medikaments – ein Schlafmittel, in Deutschland unter dem Namen Contergan bekannt – durch schwangere Frauen. Heute leben in Deutschland noch etwa 2 700 Menschen mit Conterganschädigungen. Ende 1961 erfolgte der Verkaufsstopp des Arzneimittels in Deutschland. Die Pharmafirma Grünenthal GmbH wurde von vielen Eltern betroffener Kinder verklagt. 1971 zahlte das Unternehmen im Rahmen eines Vergleichs eine Entschädigungssumme von 100 Millionen D-Mark in den deutschen Conterganfonds ein. Mit diesem Vergleich wurde die Haftungsverpflichtung der Firma Grünenthal GmbH abschließend geklärt. Für die Opfer wurde im Oktober 1972 die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ als öffentlich-rechtliche Stiftung gegründet, die 2005 mit dem Conterganstiftungsgesetz ihren heutigen Namen erhielt. Mit Inkrafttreten des Gesetzes über die Gründung der Stiftung 1972 übernahm die Bundesrepublik Deutschland die finanzielle Gesamtverantwortung für die Conterganrenten in der Bundesrepublik Deutschland. Die contergangeschädigten Menschen haben sich in bewundernswerter Weise ihren Platz im Berufs- und Privatleben mit großem eigenen Engagement und Selbst-bewusstsein erkämpft. Ihrer Haltung und ihrer Lebensleistung gebühren unsere hohe Anerkennung und unser größter Respekt. Sie haben sehr unspektakulär und von der Öffentlichkeit relativ unbemerkt ihr Leben gemeistert. Die überwiegende Mehrheit der Geschädigten war und ist trotz der Behinderung erwerbstätig. Der Öffentlichkeit ist nicht wirklich bewusst, wie schwer ihr tägliches Leben ist und zunehmend wird. Schmerzhafte Spät- und Folgeschäden schränken die Lebensqualität der Betroffenen erheblich ein. Jahrzehntelange Fehlbelastungen von Wirbelsäule, Gelenken und Muskulatur bringen diese Spät- und Folgeschäden mit sich. Die Lebenssituation der Betroffenen ist heute, nach 50 Jahren, zunehmend durch diese sehr schmerzhaften Auswirkungen ihrer Behinderung geprägt; ihre Lebensqualität ist zusätzlich erheblich eingeschränkt. Oft drohen Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung. Das belastet die Menschen, die sich unter größten Mühen jahrzehntelang Unabhängigkeit erkämpft und behauptet haben, sehr. Für diese neuen Herausforderungen mussten Lösungen gefunden werden. In der vergangenen 16. Legislaturperiode haben wir fraktionsübergreifend bereits viel erreicht. Der Bundestag fasste drei Beschlüsse zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Conterganschädigungen: Mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes haben wir zum 1. Juli 2008 die Conterganrenten verdoppelt. Der Höchstsatz lag damit 2008 bei 1 090 Euro statt wie vorher bei 545 Euro. Außerdem haben wir geregelt, dass die Conterganrenten nicht auf andere Zahlungen, wie zum Beispiel Erwerbsminderungsrenten, SGB-II-Zahlungen oder Sozialgeld, angerechnet werden. Seit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes am 30. Juni 2009 werden die Conterganrenten zudem automatisch an die gesetzlichen Renten angepasst. Dank dieser Dynamisierung liegt die Höchstrente derzeit bei 1 152 Euro. Die monatliche Durchschnittsrente beträgt 982 Euro. Wir haben die Ausschlussfrist, das heißt die Frist, zu der sich Betroffene spätestens bei der Conterganstiftung melden müssen, um Ansprüche geltend zu machen, abgeschafft und damit eine zentrale Forderung der Betroffenenverbände erfüllt. Mit dem Gesetz wurde der Weg freigemacht für die Auszahlung weiterer 100 Millionen Euro über 25 Jahre (50 Millionen Euro freiwillig zur Verfügung gestellte Mittel der Firma Grünenthal und 50 Millionen Euro aus dem Kapitalstock der Conterganstiftung). So erhalten Menschen mit Conterganschädigungen seither, gestaffelt nach Schwere der Behinderung, zusätzlich zu den monatlichen Conterganrenten jährliche Sonderzahlungen. Durchschnittlich betragen diese Sonderzahlungen derzeit 2 206 Euro. Der Stiftungszweck der Conterganstiftung wurde dahin gehend geändert, dass nur noch Menschen mit Conterganschädigungen gefördert werden statt wie bisher auch Menschen mit anderen Behinderungen. Außerdem wurden die Strukturen der Stiftung gestrafft. Viele Forderungen unseres fraktionsübergreifenden Antrags „Angemessene und zukunftsorientierte Unterstützung der Contergan-Geschädigten sicherstellen“ vom 3. Dezember 2008 wurden im Zweiten Änderungsgesetz aufgenommen. Darüber hinaus hatten wir erforderliche Maßnahmen in Bezug auf Folge- und Spätschäden, Erleichterungen bei der Gewährung von Leistungen, die Sicherstellung qualifizierten ärztlichen und anderen Fachpersonals sowie ein geeignetes Beratungs- und Informationsangebot gefordert. Eine zentrale Forderung unseres Antrags war, einen Forschungsauftrag in Form einer partizipativ angelegten Längsschnittstudie zur -Lebenssituation von Menschen mit Conterganschädigungen im Hinblick auf Spät- und Folgeschäden zu vergeben. Mit der Erstellung dieser Studie wurde das Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg beauftragt. Am 27. Juni 2012 wurden das Zwischenergebnis und daraus folgend die Ableitung erster Handlungsempfehlungen der Studie mit dem Titel „Wiederholt durchzuführende Befragungen zu Problemen, speziellen Bedarfen und Versorgungsdefiziten“ im Familienausschuss vorgestellt. Der Zwischenbericht zeigt deutlich Handlungsbedarf und gibt bereits erste Empfehlungen. So sind die Folgeschäden wohl noch gravierender als bisher vermutet. Auch bei der medizinischen Versorgung muss nachgebessert werden. Wir warten nun auf die Vorlage des Abschlussberichts und erörtern dann in einer öffentlichen Anhörung mit Betroffenen, was wir tun können. Nach Vorlage des Abschlussberichts der Studie – voraus-sichtlich Ende dieses Jahres – werden wir eine öffent-liche Anhörung durchführen, zu der wir alle Verbände und Betroffene einladen werden. Inhalt wird der Umsetzungsstand der beiden Änderungsgesetze zum Conter-ganstiftungsgesetz und des Antrags sowie der Handlungsempfehlungen der Studie sein. Im Anschluss werden wir die Anhörung auswerten und Schlussfolgerungen für das parlamentarische Handeln ziehen. Dieses Vorgehen war im Familienausschuss so besprochen und gutgeheißen worden. Es ist sehr schade, dass die Fraktion der Linken mit dem vorliegenden Antrag unser gemeinsames, fraktionsübergreifendes Vor-gehen aufkündigt und die Arbeit mit den zum Teil völlig unrealistischen Forderungen unnötig erschwert. Weitere Verbesserungen für Menschen mit Conterganschädigungen zu erreichen, ist unser aller Ziel. Dieses Thema ist zur parteipolitischen Profilierung gänzlich ungeeignet. Die große Mehrheit des Deutschen Bundestages wird sich davon nicht beirren lassen, an dem vereinbarten Vorgehen festhalten und mit aller gebotenen Sorgfalt und Gründlichkeit an weiteren Verbesserungen für die Lebenssituation der betroffenen Menschen arbeiten und diese zügig – noch in dieser Legislaturperiode – umsetzen. Nicole Bracht-Bendt (FDP): Die Politik der letzten Jahrzehnte im Bereich Contergan ist von Versäumnissen geprägt. Die Verärgerung und der verständliche Frust bei den Betroffenen über die Politik sind enorm. Trotzdem sollten wir auch einen -Moment innehalten und das seit 2008 im Sinne der -Conterganopfer – mit der überwiegenden Mehrheit des Hauses – Erreichte betrachten. Diese im Kern von CDU/CSU, SPD und FDP getragenen Entscheidungen waren bereits ein großer Schritt, die Lebenssituation der Betroffenen zu verbessern. Dabei ist sich die FDP stets bewusst, dass alle Leistungen den enormen Schaden für die Gesundheit sowie die seelische Belastung der Betroffenen nicht ausgleichen können. Am 22. Januar 2009 hat der Deutsche Bundestag -einem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP zur Sicherstellung einer angemessenen und zukunftsorientierten Unterstützung der contergangeschädigten Menschen zugestimmt (Bundestagsdrucksache 16/11223). Die Forderungen der FDP gingen über diesen gemeinsam mit der damaligen Großen Koalition beschlossenen Antrag hinaus. Die FDP wollte sowohl die Dynamisierung der -Conterganrenten als auch die Streichung des Fristausschlusses. Beides wurde mit der Verabschiedung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes umgesetzt. Anders als der Antrag der Linken suggeriert, war die Lebenssituation der Contergangeschädigten den -Antragstellern aus CDU/CSU, SPD und FDP sehr wohl bekannt, was zu den deutlichen Verbesserungen für die Betroffenen – verglichen mit der Situation vor dem 1. Juli 2008 – führte. Um die Lebenssituation der -Contergangeschädigten in finanzieller Hinsicht zu verbessern, wurden die Conterganrenten zum 1. Juli 2008 verdoppelt. Zusätzlich zu den Renten aus der Conterganstiftung stehen den Contergangeschädigten die Ansprüche auf Leistungen aus den Sozialversicherungen wie Kranken-, Renten- oder Pflegeversicherung bzw. die Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozial-gesetzbuch, SGB XII, anrechnungsfrei zu. Außerdem wird die von der Grünenthal GmbH eingebrachte Spende von 50 Millionen Euro in die Conterganstiftung zusammen mit 50 Millionen, die aus der Kapitalisierung des Stiftungsvermögens stammen werden, genutzt, um eine jährliche Sonderzahlung für den besonderen Bedarf der contergangeschädigten Personen auszuschütten. Vor der Verdoppelung der Conterganrenten zum 1. Juli 2008 erfolgte die letzte Rentenerhöhung für Conterganopfer zum 1. Juli 2004. Diese Zeiträume waren unbefriedigend, da die Inflation die Rentenerhöhung aushöhlte. Den Dynamisierungsfaktor der Altersbezüge auf die Conterganrenten zu übertragen, war ein naheliegender und unbürokratischer Weg der Dynamisierung und der damit einhergehenden Rentenerhöhung. Die FDP trat gleichzeitig dafür ein, die Rentenhöhe in geeigneten Zeiträumen grundlegend zu überprüfen, da mit fortschreitendem Alter der Contergangeschädigten auch der Hilfebedarf weiter zunimmt. Als Zeitraum für eine solche regelmäßige Überprüfung hatten wir fünf Jahre angeregt, also bis 2013. Die FDP steht zu diesem Wort und tritt weiterhin für eine solche grundlegende Neujustierung der Rente noch vor dem Ende der laufenden Legislaturperiode ein. Um die Hilfen für die Betroffenen möglichst pass-genau zu entwickeln, wurde vom zuständigen Familienministerium die Erarbeitung einer Studie des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg in Auftrag gegeben. Die Studie widmet sich wissenschaftlich den speziellen Bedarfen sowie den Versorgungsdefiziten contergangeschädigter Menschen. Eine Studie, deren Erstellung von der Linken übrigens abgelehnt wurde. Inzwischen liegen erste Zwischenergebnisse vor, die auch bereits von Professor Kruse am 27. Juni 2012 im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages vorgestellt wurden. Mehrmals ist die Fraktion Die Linke drauf hingewiesen -worden, dass dieser Bericht des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg ein zusammenfassender Bericht über die ersten Untersuchungsergebnisse und die daraus erarbeiteten ersten Handlungsempfehlungen war. Der Zwischenbericht hat daher vorläufigen -Charakter. Der endgültige Abschlussbericht wird zum Jahresende 2012 vorliegen. Die Bundesregierung prüft zurzeit die Empfehlungen und wird nach der Vorlage des Endberichts entscheiden, welche konkreten Maßnahmen zu ergreifen sind. Gemeinsam mit CDU/CSU und SPD haben die Liberalen Anfang 2009 in dem bereits mehrfach erwähnten Antrag formuliert: „Die Contergangeschädigten leiden heute an schmerzhaften Spätfolgen, die durch jahrelange Fehlbelastung von Wirbelsäule, Gelenken, -Muskulatur, aber auch durch die Überbeanspruchung der Zähne entstanden sind. Die körperlichen Beeinträchtigungen und Schmerzzustände haben darüber -hinaus erhebliche negative psychische Belastungen zur Folge. Bei Berufstätigen führt das häufig zur Früh-verrentung mit erheblichen Einbußen für die Altersversorgung und die gesellschaftliche Teilhabe. Erschwerend für die persönliche Situation der Conterganopfer kommt hinzu, dass mit ihrem Älterwerden auch ihre -Familienangehörigen älter werden, auf deren Hilfe und Unterstützung sie angewiesen sind. Mit zunehmendem Alter der Betroffenen sind sie daher immer stärker auf außerhäusliche Hilfe angewiesen.“ Diese Situation ist weiterhin gegeben. Ich, aber auch die gesamte FDP sehen die Politik in der Verantwortung und wollen weitere Hilfestellungen für die Betroffenen noch vor Abschluss dieser Legislatur erreichen. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Täterschutz statt Opferunterstützung – das ist die -Bilanz von 55 Jahren Conterganskandal und 40 Jahren Conterganstiftung. Schuldig ist nicht nur die Firma- -Grünenthal und deren Besitzer, die Familie Wirtz, sondern auch die Politik und die bundesdeutsche Justiz. Ein schwerwiegender Vorwurf? Ich meine ja und möchte ihn – auch im Namen vieler contergangeschädigter Menschen und ihrer Angehöriger – hier bekräftigen. Was hat die Herstellerin des Schlafmittels Contergan, die Firma Grünenthal GmbH, und deren Eigentümer, die Milliardärsfamilie Wirtz, nach dem Conterganskandal, der Zehntausende Opfer im In- und Ausland forderte, getan? Sie hat – mithilfe von Politik und Justiz – mit Druck auf die Eltern der contergangeschädigten Kinder alles getan, um einer gerechten Verurteilung zu entgehen. Das Ergebnis: Vor 40 Jahren, am 31. Oktober 1972, nahm die Conterganstiftung – sie hieß bis 19. Oktober 2005 Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ – ihre Tätigkeit auf. Nachdem die Firma Grünenthal 100 Millionen D-Mark, rund 51 Millionen Euro, an die Conterganopfer zahlte, welche in die Stiftung überführt wurden, erließ der deutsche Staat faktisch ein Enteignungsgesetz (siehe § 23 Abs. 1 des Gesetzes über die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“). Aber damit enteignete er nicht die Täter – Grünenthal –, sondern die Opfer. Sämtliche Ansprüche der Contergankinder gegen die Schädigungsfirma Grünenthal, ihre Eigentümer und Angestellten wurden per Bundesgesetz zum Erlöschen gebracht. Seither liegt die finanzielle Gesamtverantwortung für die Contergangeschädigten bei der Bundesrepublik Deutschland. Und in den nachfolgenden 40 Jahren? Eine Entschuldigung bei den Opfern und ihren Angehörigen steht bis heute aus. Die Rede vom Vorsitzenden des Grünenthal-Konzerns, Dr. Harald F. Stock, anlässlich der Einweihung des Contergandenkmals am 31. August 2012 in Stolberg, in der er sagte: „Im Namen Grünenthals mit seinen Gesellschafterinnen und Gesellschaftern und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, heute anlässlich dieser Stunde des Gedenkens unser großes Bedauern über die Folgen von Contergan und unser tiefes Mitgefühl für die Betroffenen, ihre Mütter und ihre Familien zum Ausdruck zu bringen. Wir sehen sowohl die körperlichen Beschwernisse als auch die emotionale Belastung, die die Betroffenen selbst, ihre Familien und besonders ihre Mütter aufgrund von Contergan erleiden mussten und auch heute täglich ertragen … Darüber hinaus bitten wir um Entschuldigung, dass wir fast 50 Jahre lang nicht den Weg zu Ihnen von Mensch zu Mensch gefunden haben. Stattdessen haben wir geschwiegen, und das tut uns sehr leid“, war keine Entschuldigung in der Sache, zumal Grünenthal nicht nur geschwiegen hat.“ Der Druck auf ihre Opfer ging weiter. Hochbezahlte Rechtsanwälte überzogen protestierende Contergan-opfer mit Klagen, und auch der Film „Eine einzige Ta-blette“ konnte erst nach erbittertem Rechtsstreit 2007 in der ARD gesendet werden. Anstatt sich mit den erzielten Unternehmensgewinnen und dem vorhandenen Vermögen angemessen an der Entschädigung der Opfer zu beteiligen, legt Grünenthal nun noch einen eigenen, völlig intransparenten Hilfsfonds auf, bei dem jetzt die Opfer um Hilfe betteln dürfen. Hier werden – die unzureichende Versorgung der Menschen mit Conterganschäden und ihrer Angehörigen durch den Staat und die dafür zuständige Stiftung ausnutzend – die Betroffenen zusätzlich gedemütigt, es wird Ungleichheit geschaffen und Missgunst geschürt. Und die Bundesregierung? Sie schweigt und lässt Grünenthal gewähren. Das ist, so meine ich, skandalös. Die Linke fordert, dass die Firma Grünenthal bzw. die Familie Wirtz endlich zur Entschädigung herangezogen wird. Denkbar ist zum Beispiel die Einzahlung von 30 Prozent des Jahresgewinns der Unternehmen der Familie Wirtz an die Conterganstiftung sowie die Einzahlung von Erlösen aus Unternehmensveräußerungen bis zur Höhe der durch den Bund seit 1972 geleisteten Zahlungen. Auch eine offizielle Entschuldigung durch Bundestag, Bundesregierung und Justiz gegenüber den Contergangeschädigten, ihren Eltern und weiteren Angehörigen steht bis heute aus. Deswegen schlägt die Linke vor, dass der Deutsche Bundestag endlich alle contergangeschädigten Menschen und ihre Angehörigen für das ihnen angetane Unrecht und Leid um Entschuldigung bittet. Aus der Übernahme der Gesamtverantwortung durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich – das hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt – ein Anspruch der geschädigten Personen und ihrer Angehörigen nach dem Sozialen Entschädigungsrecht. Diesem Recht wird bisher nur unzureichend entsprochen, unter anderem mit dem „Argument“, sie hätten ja keine „Sonderopfer für den Staat“ erbracht. Katastrophal ist die derzeitige Lebenssituation der Conterganopfer und ihrer Angehörigen. Bereits in der Beschlussempfehlung des Bundestages vom 20. Januar 2009 (Drucksache 16/11625) hieß es: „Heute leiden die Betroffenen zunehmend an schmerzhaften Spätfolgen durch die jahrelange Fehlbelastung von Wirbelsäule, Gelenken und Muskulatur und auch eine Überbeanspruchung der Zähne. Hinzu kommen psychische Belastungen und berufliche Beeinträchtigungen.“ Die Lebenssituation der Betroffenen ist also seit mindestens vier Jahren bekannt. Und sie hat sich seitdem weiter verschärft. Das ist mit der Studie des Gerontologischen Instituts der Universität Heidelberg inzwischen auch wissenschaftlich belegt. Eine Ursache für die katastrophale Situation ist, dass das Behindertenrecht in Gänze nicht auf Selbstbestimmung, umfassende Teilhabe, freie Persönlichkeitsentfaltung und ein Leben in Würde ausgerichtet ist, obwohl das Grundgesetz, das Bundesgleichstellungsgesetz, das Sozialgesetzbuch IX und vor allem die seit dem 26. März 2009 in Deutschland geltende UN-Behindertenrechtskonvention dies gesetzlich garantieren müssten. Je nachdem wann und in welchem Zusammenhang man seine Behinderung erwarb, werden gesundheitliche Versorgung, soziale Absicherung, Kompensationen in der Kinder- und Jugendzeit während der Erwerbstätigkeit und im Alter eher willkürlich „gewährt“. Die zweite Ursache ist, dass die Bundesregierung und die dafür vor 40 Jahren extra geschaffene Conterganstiftung ihre Pflichten nicht erfüllen. Die bisher gezahlten „Conterganrenten“ und weitere finanzielle Leistungen reichten nicht, um das Leben einigermaßen erträglich zu gestalten und bestehende Nachteile zu kompensieren. Finanzielle Nachteile – zum Beispiel Verdienstausfälle – für die Betroffenen und ihre Angehörigen kamen zu den direkten Schädigungen in Folge von Contergan hinzu. „Schmerzensgeld“ wurde bisher nicht gezahlt. Es mangelt auch an Beratung und Hilfe zur Selbsthilfe. Alles, was die Bundesregierung und die in ihrem Auftrag handelnde Stiftung in den letzten 40 Jahren tat, war die mehr schlechte als rechte Erfüllung von gesetzlichen Pflichten. Eigene Initiativen zur Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen? Fehlanzeige! Alles, was in den letzen Jahren an positiven Veränderungen erreicht wurde, war mühsamer Kampf der Betroffenen. Inzwischen wird wenigstens kein Stiftungsgeld mehr in Projekte gesteckt, die mit den Conterganopfern nichts zu tun haben. Inzwischen sitzen wenigstens zwei von den Betroffenen selbst gewählte Vertreter im Stiftungsrat. Aber noch sind Menschen mit Conterganschäden und ihre Interessenvertretungen in den Gremien der Conterganstiftung unterrepräsentiert. Die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung haben die Mehrheit im Stiftungsrat und Stiftungsvorstand und üben die Rechtsaufsicht/Kontrolle über die Stiftung aus. Das Ministerium kontrolliert sich selbst und „mauert“, wo es nur kann, wenn es um Transparenz und Mitbestimmung der Betroffenen geht. Dass es auch anders geht, beweist die Arbeit von zahlreichen anderen Stiftungen mit Bundesbeteiligung (siehe auch Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken zu Stiftungen des Bundes, Drucksache 17/10227). Die Linke fordert deswegen: Die Stiftung muss (mehrheitlich) in die Hände und Füße der Conterganopfer, und die Vertreter des Bundes sollten vom Bundestag gewählt werden. Die im vorliegenden Antrag vorgeschlagenen Änderungen im Conterganstiftungsgesetz sowie die weiteren Maßnahmen hat sich die Linke nicht am Schreibtisch ausgedacht. Sie sind das Ergebnis umfassender Diskussionen mit den Betroffenen und ihren Organisationen; sie finden sich wieder in den Empfehlungen der Universität Heidelberg, die im Auftrag des Bundestages und der Conterganstiftung eine umfassende Studie zur Lebenssituation der Conterganopfer erstellte; sie basieren auf detaillierten Analysen und seriösen Berechnungen der Betroffenen. Ich verweise hier auf die Stellungnahme von Udo Herterich im Gespräch mit dem Familienausschuss des Bundestages am 17. Oktober 2012. Die wesentlichsten Vorschläge bzw. Forderungen möchte ich hier noch einmal nennen: Erstens sind Conterganrenten und Kapitalentschädigungen, die nach § 12 Abs. 2 des Conterganstiftunsgesetzes beantragt wurden bzw. werden, rückwirkend zu zahlen; denn die Schädigung durch Contergan gibt es bei allen nicht mit Antragstellung, sondern seit der Geburt. Zweitens werden die monatlichen Entschädigungsleistungen rückwirkend zum 1. Januar 2012 um 300 Prozent erhöht. Drittens sind behinderungsbedingte Nachteilsausgleiche sowie Kosten für bedarfsgerechte Assistenz- und Pflegeleistungen sowie Umbaumaßnahmen in der Wohnung und am Pkw durch zusätzliche einkommens- und vermögensunabhängige Leistungen aus der Conterganstiftung zu erstatten, solange diese nicht durch die Leistungen aus den Sozialgesetzen kompensiert werden. Maßstab ist dabei das Soziale Entschädigungsrecht. Viertens müssen Folgeschäden im Sinne der ersten Handlungsempfehlung der Universität Heidelberg anerkannt werden. Die „medizinische Punktetabelle“ zur Bewertung der Körperschäden ist entsprechend zu überarbeiten und auf maximal 200 Punkte zu erweitern. Fünftens ist ein Schmerzensgeld, abgestuft nach dem aktuellen Punktesystem, ausgehend von 1 Million Euro = 100 Schadenspunkte, zu zahlen. Ich meine, der Antrag der Linken ist eine gute Grundlage, um in der geplanten öffentlichen Anhörung des Familienausschusses im Januar 2013 nicht nur den Antrag und den Bericht über die Studie der Universität Heidelberg zu beraten, sondern auch über einen gemeinsamen Gesetzentwurf für ein Drittes Conterganstiftungsänderungsgesetz. Abschließend noch ein letzter Gedanke. Auch wenn die Lebenssituation der Betroffenen vor allem den Blick bzw. Aktivitäten nach vorn verlangen, brauchen wir eine angemessene Aufarbeitung der Geschichte. Die bisherigen Weigerungen der Bundesregierung und der Conterganstiftung sind nicht länger hinnehmbar. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, einen Forschungsauftrag zur Geschichte und Herkunft des in Contergan verwendeten Wirkstoffes sowie zur Geschichte des Conterganskandals unter aktiver Einbeziehung bzw. Mitwirkung der Betroffenen auszulösen. Das sind wir den noch lebenden und vor allem den vielen bereits verstorbenen Conterganopfern sowie ihren Müttern, Vätern und weiteren Angehörigen schuldig. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Firma Grünenthal produzierte und vertrieb Ende der 50er-Jahre insgesamt 22 thalidomidhaltige Medikamente, darunter das als ungiftig beworbene Contergan. Innerhalb weniger Jahre machten diese Medikamente insgesamt 50 Prozent des Gesamtumsatzes des Unternehmens aus. Obwohl es bereits in dieser Zeit eine politische und fachliche Diskussion über schädigende Auswirkungen von Medikamenten bei Einnahme während der Schwangerschaft gab, hatte der Staat zu Beginn der Debatte um mögliche schädliche Auswirkungen von Contergan in diesem Zusammenhang keine Interven-tionsbefugnis. Erst durch öffentlichen Druck konnte Grünenthal dazu gezwungen werden, das Medikament vom Markt zu nehmen. Der Conterganskandal hat unsere Gesellschaft verändert. Er hatte, wenn auch zeitlich verzögert, erst in den 70er-Jahren Konsequenzen für das Arzneimittelrecht. Die Vorgaben zur Arzneimittelsicherheit wurden verbessert. Während Grünenthal erhebliche Gewinne machte, wurde und wird den Geschädigten in mehrfacher Hinsicht Unrecht getan: Zeit ihres Lebens wurden sie von medizinischer Forschung objektiviert, sie wurden als „Missgeburten“ bezeichnet und wahrgenommen. Für den Verlust an Lebensqualität, den sie erleben, sind sie bis heute nicht angemessen entschädigt worden. Sie müssen bis heute mit Krankenkassen um die Finanzierung ihrer Heil- und Hilfsmittel kämpfen. Mit zuneh-menden Alter nehmen auch ihre Schmerzen zu, während gleichzeitig soziale Unterstützungsnetzwerke, etwa durch den Tod der Eltern, wegbrechen. Als wir hier das letzte Mal über die Situation Contergangeschädigter gesprochen haben, war uns klar, dass die Zahlungen, die sie zur Deckung ihrer Bedarfe erhalten, nicht ausreichend sind. Im Wissen um die unangemessene Versorgungssituation der Betroffenen wurden damals unter anderem die sogenannten Contergan-renten verdoppelt. Die Forderung der Grünen-Fraktion, im Rahmen einer Studie die Bedarfe genau zu ermitteln, damit auf dieser Grundlage über weitere Verbesserungen entschieden werden kann, wurde von der damaligen Bundesregierung aufgegriffen und eine Studie an der Universität Heidelberg in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse, die uns aus dieser Studie vorliegen, sind zwar erst vorläufig, dafür aber um so deutlicher: Ungedeckte Bedarfe belasten Contergangeschädigte in einem Ausmaß, das fast nicht vorstellbar ist, wenn man nicht täglich damit lebt. Fast 85 Prozent der Befragten leiden an Schmerzen, ihre Bedarfe an Medikamenten, Hilfsmitteln, rehabilitativen Maßnahmen und physika-lischer Therapie sind in großen Teilen nicht gedeckt. Nur wenige sind finanziell in der Lage, sie in Eigenleistung zu finanzieren. Der Bedarf an Assistenz im Alltag wird zunehmen, er ist bereits jetzt nicht ausreichend gedeckt. Ein bemerkenswerter Teil der Geschädigten kann aufgrund der Schädigung und mangelnder Versorgung nicht mehr arbeiten, entsprechend bestehen Verdienstausfälle. Für uns kann das nur eins bedeuten: Wir müssen handeln, und zwar jetzt! Die Betroffenen werden immer älter, ihre Schmerzen nehmen zu. Ihre Bedarfe werden steigen. Deswegen müssen wir jetzt den Schadensausgleich verbessern und regelmäßig überprüfen. Es wurde bereits diskutiert, inwiefern die Versorgung der Contergangeschädigten über das System der Sozialversicherungen geleistet werden kann. Ich habe schon von den Kämpfen gesprochen, die sich die Geschädigten mit den Krankenkassen immer wieder liefern müssen. Die Kassen weigern sich hartnäckig, Kosten für nötige Heil- und Hilfsmittel zu übernehmen. Zahnimplantate werden nicht gezahlt, selbst wenn Geschädigte sich aufgrund verkürzter Arme Prothesen nicht selbstständig einsetzen können. Das ist nicht das einzige Beispiel, es gibt zahlreiche. Auch die explizite Aufforderung des Ministeriums an die Krankenversicherungen, im Falle Contergangeschädigter unbürokratisch zu agieren, konnte daran nichts ändern. Auch wenn nachvollziehbar ist, dass die Kassen Leistungen zum Ausgleich der Folgen einer Schädigung nicht aus Versicherungsbeiträgen finanzieren möchten, hätte ich mir angesichts der Situation Contergangeschädigter eine konstruktivere Zusammenarbeit und weniger Rücksichtslosigkeit gewünscht. Für uns ist die Konsequenz aus diesen Erfahrungen allerdings eindeutig: Wir müssen die Finanzierung anders absichern als über die gesetzliche Krankenversicherung. Die Frage, wie man grundsätzlich damit umgeht, dass Krankenkassen scheinbar unbeeindruckt von politischen Entscheidungen ihre eigenen Ziele verfolgen, ist eine, die wir dringend angehen müssen, aber nicht im Rahmen der Entschädigung von Conterganopfern regeln können. Ich habe es schon gesagt: Wir müssen schnell handeln. Aus meiner Sicht ist es bereits jetzt möglich, auf der Grundlage der Ergebnisse der Heidelberger Studie die Conterganrenten zu erhöhen. Selbst wenn bisher keine detaillierten Zahlen vorliegen: Sollte bei der Berechnung eine Unschärfe zugunsten der Betroffenen entstehen, so ist das vor dem Hintergrund der vergangenen Jahre ohne Frage hinnehmbar. Die Bundesrepublik Deutschland steht in der Haftungsnachfolge der Firma Grünenthal. Die Finanzierung von notwendiger Assistenz und von Hilfen im Alltag, von Pflege, von rehabilitativen und therapeutischen Maßnahmen, von Umbaumaßnahmen zur Steigerung der Barrierefreiheit im Wohnbereich und die Finanzierung eines Kraftfahrzeugs über die „Rente“ ist systematisch gerechtfertigt. Das sollte uns nicht davon abhalten, weiterhin auf Grünenthal einzuwirken, sich an der Finanzierung zu beteiligen. Dass die Firma moralisch in der Pflicht steht, ist wohl schwerlich zu widerlegen. Natürlich ist eine Nachbefragung durch die Universität Heidelberg zur Ermittlung der tatsächlichen Verluste, die den Betroffenen durch die Conterganschädigung entstanden sind, weiterhin geboten. Ich halte es weiterhin für nötig, auch nach der jetzt durchzuführenden Erhöhung der Renten weiter darüber zu sprechen, in welcher Höhe den Geschädigten eine finanzielle Kompensation für den Verlust an Lebensqualität geleistet werden kann. Wie hoch eine solche zusätzliche Zahlung ausfallen sollte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ich bin der Überzeugung, dass wir darüber mit Blick auf die Entschädigungszahlungen, die Opfer von Medikamentenskandalen heute bekommen, weiter diskutieren müssen. Abschließend möchte ich mich bei allen Betroffenen bedanken, die uns noch immer konstruktiv darin unterstützen, die Situation zu verbessern. Ich kann Ihren Ärger darüber, wie lange nichts oder zu wenig getan wurde, verstehen: Er ist gerechtfertigt – genau wie das Ende der Geduld. Es ist nun Aufgabe dieses Parlaments, zügig einen Beschluss zu fassen, der Ihnen ein Leben in Würde ermöglicht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11041 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann haben wir das so beschlossen. Tagesordnungspunkt 30: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister und zur Änderung anderer Gesetze – Drucksachen 17/10749, 17/10962 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – Drucksache 17/11185 – Berichterstattung: Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11188 – Berichterstattung: Abgeordnete Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Bettina Hagedorn Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Im Jahr 2008 wurde in Deutschland das sogenannte Schornsteinfegermonopol abgeschafft. Man wollte damit europäischen Vorgaben entsprechen. Bis dato hatte jeweils ein Bezirksschornsteinfegermeister für einen der rund 8 000 Kehrbezirke in Deutschland das alleinige Überwachungs- und Kehrrecht. Nach Ablauf einer Übergangszeit sind die Bezirksschornsteinfegermeister ab dem 1. Januar 2013 anderen Handwerksberufen gleichgestellt. Das neue Berufsrecht der Schornsteinfeger hat mittel- bis langfristig Auswirkungen auf die gesetzliche Zusatzversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister. Bislang war ihre Alterssicherung durch eine sich über das gesamte Arbeitsleben erstreckende Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung und im Zusatzversorgungssystem der Versorgungsanstalt der deutschen Bezirksschornsteinfegermeister -sichergestellt. Die Beibehaltung der bisherigen Pflichtversicherung wird jedoch durch die Gleichstellung der Bezirksschornsteinfegermeister mit den übrigen Handwerksberufen aus praktischen und rechtlichen Gründen höchst problematisch. Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Altersvorsorge bevollmächtigter Bezirksschornsteinfeger, das wir heute im Deutschen Bundestag beschließen, regeln wir die Altersversorgung der Schornsteinfeger in verlässlicher Weise neu. Damit zeigen wir durch konkretes Handeln: Das deutsche Handwerk – auch das Schornsteinfegerhandwerk – kann sich auf die Koalition von CDU/CSU und FDP verlassen. Grundsätzlich gilt für die Zukunft: Die Handwerkerregelung in der deutschen Rentenversicherung greift auch für Schornsteinfeger. Es ist unstrittig, dass mit der folgerichtig einhergehenden Schließung des umlagefinanzierten Versorgungswerks der Bezirksschornsteinfegermeister Ende 2012 das Altersversorgungssystem überdacht und angepasst werden muss. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stellen wir sicher, dass die bisher geleisteten Beiträge an das Versorgungswerk nicht verloren gehen, sondern in der neuen Pflichtversicherung gutgeschrieben werden. Die bisherigen Renten der circa 6 500 Rentenempfänger werden fortgezahlt, und die bis zum Stichtag erworbenen Anwartschaften der circa 7 700 Bezirksschornsteinfegermeister sollen weitgehend erhalten bleiben. Der Gesetzentwurf sieht ferner vor, dass nach dem 31. Dezember 2012 keine neuen Anwartschaften in dem System mehr erworben und keine neuen Beträge mehr erhoben werden. Im parlamentarischen Verfahren sind einige zunächst anvisierte Regelungen überdacht und zugunsten der Schornsteinfeger entsprechend geändert worden. Ich bin froh, dass wir in Abstimmung mit dem Berufsstand der Schornsteinfeger eine gute Lösung gefunden haben. Lassen Sie mich dies an zwei Neuregelungen verdeutlichen: So haben wir dem Umstand, dass Jungmeister erst in den letzten fünf Jahren vor Schließung des Zusatzversorgungswerks dessen Pflichtmitglieder geworden sind, Rechnung getragen. Ihnen drohte eine Versorgungslücke. Wegen der allgemein geltenden fünfjährigen Wartezeit hätten sie noch keinen Anspruch auf Ruhegeld gehabt, obwohl sie Beitragszahlungen geleistet haben. Es wäre höchst ungerecht gewesen, würden ihre Anwartschaften mit der Schließung des Zusatzversorgungssystems verloren gehen – zumal die Jungmeister aufgrund des Systems zu den Beitragszahlungen verpflichtet waren. Zwar bleibt die Fünf-Jahres-Frist auch künftig bestehen – und da keine neuen Anwartschaften in diesem System aufgebaut werden können, kann sie im Einzelfall nicht mehr erfüllt werden –, doch haben wir eine Klausel geschaffen, mit der die Anwartschaften für Ruhegeld, Witwen-, Witwer- und Waisengeld aufrechterhalten werden können. Wie bei der freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung sollen entsprechende Beiträge in die Zusatzversorgung nachgezahlt werden können. Bis 30. Juni 2013 müssen dabei die Beiträge von 605 Euro für jeden fehlenden Monat, im Beitrittsgebiet 532 Euro, entrichtet werden. Wichtig war uns insbesondere auch die Neuregelung des Ruhegelds der Bezirksschornsteinfegermeister bei Berufsunfähigkeit. Wer berufsunfähig wird, muss sich darauf verlassen können, durch seine entrichteten Beiträge im vereinbarten Umfang abgesichert zu sein. Der Gesetzentwurf sah den Bestand dieses Vertrauensschutzes zunächst ausschließlich für Bezirksschornsteinfegermeister vor, die zum Stichtag 1. Januar 2013  50 Jahre oder älter sind. Diese Regelung hätte jedoch zu kurz gegriffen. Sie hat nicht berücksichtigt, dass es für viele Bezirksschornsteinfeger unter 50 Jahren gar nicht mehr möglich sein kann, überhaupt oder unter angemessenen Bedingungen eine adäquate Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Auch jene Versicherten, die jahrelang Beiträge für ihren Berufsunfähigkeitsschutz eingezahlt haben, würden nicht berücksichtigt werden. Im parlamentarischen Verfahren haben wir auch hier Verbesserungen erlangen können und den Kreis der Versorgungsberechtigten erweitert. So wird der Vertrauensschutz der Berufsunfähigkeitsversicherung auf alle 40jährigen und älteren betroffenen Bezirksschornsteinfeger ausgedehnt. Diese Altersgrenze von 40 Jahren ist keinesfalls willkürlich gesetzt, sondern ergibt sich zum einen aus einem Vergleich mit dem parallelen Systemwechsel in der gesetzlichen Rentenversicherung 2000/2001. Hier hatte der Gesetzgeber bei der Reform der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für über 40-jährige Personen eine Vertrauensschutzregelung geschaffen. Zum anderen ist es für unter 40-jährige Personen durchaus machbar, zu angemessenen Bedingungen eine adäquate Versicherung für den Fall der Berufsunfähigkeit abzuschließen. Zusammenfassend kann festgestellt werden: Es ist gelungen, eine wirklich zufriedenstellende Lösung für die Altersvorsorge der Schornsteinfegermeister zu finden. Und wir haben die Anliegen des Berufsstandes in gelungener Weise aufgegriffen und im Gesetz verankert. Kurzum: Heute ist ein guter Tag für das deutsche Handwerk. Max Straubinger (CDU/CSU): Im Jahr 2008 wurde das deutsche Schornsteinfegermonopol wegen Europarechtswidrigkeit abgeschafft. Nach einer Übergangszeit, die noch bis Ende dieses Jahres andauert, unterliegen die Bezirksschornsteinfegermeister weitgehend dem freien Wettbewerb und sind damit anderen Handwerksberufen gleichgestellt. Vor diesem Hintergrund war es erforderlich, dass die bisherige spezifische Alterssicherung der Bezirksschornsteinfegermeister an die neuen Gegebenheiten angepasst wird. Nach einem über Jahre geführten intensiven Diskussionsprozess konnte im Spätsommer 2012 endlich eine Einigung auf ein konkretes Neuordnungskonzept erzielt werden. Diese Einigung darf als Erfolg gewertet werden – auch und gerade für den Berufsstand. Dieser hat jetzt nach Jahren der Ungewissheit endlich Planungs-sicher-heit. Was sind die zentralen Regelungen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung? Die Bezirksschornsteinfegermeister werden künftig in der gesetzlichen Rentenversicherung sonstigen selbstständigen Handwerkern gleichgestellt; sie erhalten also eine Befreiungsmöglichkeit in Bezug auf die Versicherungspflicht nach 18 Pflichtbeitragsjahren. Das umlage-finanzierte Zusatzversorgungssystem wird Ende 2012 geschlossen. Die bisherigen Zusatzrenten werden fortgezahlt. Die bis zum Stichtag erworbenen Anwartschaften bleiben erhalten. Die Leistungen werden künftig wie in der gesetzlichen Rentenversicherung dynamisiert. Zur Finanzierung der Leistungen wird zunächst das in der Zusatzversorgung aufgebaute Kapitalpolster in Höhe von circa 240 Millionen Euro aufgebraucht. Anschließend übernimmt der Bund die Leistungen. Alle Beteiligten sind sich einig, dass die Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister erforderlich und der Gesetzentwurf der Bundesregierung im Grunde sachgerecht ist. Auch der Berufsstand und der Bundesrat sind grundsätzlich einverstanden. Allerdings gab es noch weitergehende Forderungen. Das ist nicht überraschend und auch das gute Recht der Betroffenen. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich festhalten, dass es sich das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales nicht leicht gemacht hat. Es hat die Forderungen des Berufsstandes intensiv geprüft und langwierige Verhandlungen mit dem Bundesministerium für Finanzen geführt. Am Ende des Tages aber hatten sich die Kassenwarte durchgesetzt mit der Begründung, die Schmerzgrenze für den Bund sei erreicht, die Abwicklung des Zusatzversorgungssystems werde circa 1,6 Milliarden Euro im Barwert kosten. Dieselben Verhandlungen ums liebe Geld haben wir im Deutschen Bundestag mit den Haushaltskollegen geführt. Auch diese Gespräche waren alles andere als einfach. Es gab einen Dissens zur künftig erwarteten -Anzahl von Berufsunfähigkeitsfällen, der nicht lösbar erschien und von dem die prognostizierte Belastung des Bundes abhing. Auch hier möchte ich dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales danken, das uns bei diesen Gesprächen mit Rat und Tat zur Seite stand. Ende gut, alles gut. Letztlich haben wir uns mit den Haushaltskollegen einigen können. Die zentrale Verbesserung für die Schornsteinfeger ist der erweiterte Berufsunfähigkeitsschutz. Wir stellen sicher, dass der Berufsunfähigkeitsschutz im Zusatzversorgungssystem für die 40-jährigen und älteren Bezirksschornsteinfegermeister weiter gilt. Damit greifen wir einen ausdrücklichen Wunsch des Berufsstandes und eine entsprechende Forderung des Bundesrates auf. Der Regierungsentwurf sah Vertrauensschutz erst ab einem Alter von 50 Jahren vor. Für über 40-jährige Versicherte ist es auf dem freien Markt aber nahezu ausgeschlossen, sich zu angemessenen Konditionen privat gegen das Risiko der Berufsunfähigkeit zu versichern. Eine entsprechende Vertrauensschutzregelung gibt es zudem auch in der gesetzlichen Rentenversicherung. Vor knapp zwölf Jahren hat die rot-grüne Bundesregierung den Berufsunfähigkeitsschutz in der gesetzlichen Rentenversicherung mit Wirkung zum 1. Januar 2001 privatisiert. Vertrauensschutz gab es lediglich für Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren waren, die also zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Reform 40 Jahre alt waren. Was für die Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung gilt, muss auch für die Bezirksschornsteinfegermeister gelten. Gleiches Recht für alle. Deshalb haben wir gestern im Ausschuss für Arbeit und Soziales mit einem Änderungsantrag den erforderlichen gesetzlichen Gleichklang hergestellt. Diese Verbesserung gibt es aber nicht zum Nulltarif. Den Berufsunfähigkeitsschutz gibt es vielmehr nur, wenn die Betroffenen nicht von ihrem Befreiungsrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung Gebrauch gemacht haben und nicht später als zwei Jahre nach Aufhebung der Bestellung berufsunfähig geworden sind. Andernfalls müsste die Zusatzversorgung aufgrund der Gesamtversorgungssystematik die komplette Absicherung des Berufsunfähigkeitsschutzes übernehmen. Außerdem muss der nachlaufende Berufsunfähigkeitsschutz in einem zeitlichen Zusammenhang mit der spezifischen Tätigkeit als Bezirksschornsteinfegermeister stehen. Ansonsten stünde dieser Schutz unter Umständen auch Personen zu, die lange zuvor aus dem Beruf ausgeschieden sind. Beides aber kann niemand wollen, und beides hat auch der Berufsstand zu keinem Zeitpunkt gefordert. Mit unserem Änderungsantrag haben wir dies nunmehr gesetzlich klargestellt. Und in einem weiteren Punkt haben wir es für sinnvoll gehalten, den Schornsteinfegern entgegenzukommen. Für diejenigen, die wegen der Schließung des -Zusatzversorgungssystems noch nicht die fünfjährige Wartezeit erfüllt haben, schaffen wir die Möglichkeit, Beiträge nachzuzahlen, damit die Anwartschaften nicht verloren gehen. Auch dies haben wir gestern mit unserem Änderungsantrag sichergestellt. Beide Änderungen stoßen beim Berufsstand der Bezirksschornsteinfegermeister auf viel Wohlwollen. Das zeigt: Die christlich-liberale Koalition steht für eine Sozialpolitik mit Augenmaß. Anton Schaaf (SPD): Die im vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister ist notwendig. Mit -Ablauf des Jahres 2012 endet aus europarechtlichen Gründen das deutsche Schornsteinfegermonopol. Die an das Monopol anknüpfende Alterssicherung muss ab 2013 neu geregelt werden. Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf auch Regelungen zur Arbeitsförderung. Wir hatten uns gewünscht, dass die Bundesregierung ihren Entwurf hinsichtlich der Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister in -Bezug auf einzelne Vertrauensschutzregelungen noch einmal überprüft, zumal die entsprechenden Innungen und Verbände sowie der Bundesrat auf Probleme hingewiesen haben, die die Umstellung der Alterssicherung vor allem für Existenzgründer birgt. In Teilen sind Sie diesem Wunsch auch nachgekommen, trotzdem bleibt Ihr Änderungsantrag leider unzureichend. Während der Beratung im Ausschuss für Arbeit und Soziales hatten wir vorgeschlagen, Einzelheiten noch einmal in einem Berichterstattergespräch zu erörtern. Leider gingen weder die Koalitionsfraktionen noch die Bundesregierung auf unseren Vorschlag ein. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist daher nicht zustimmungsfähig. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich ihrer Stimme enthalten und Ihren Änderungsantrag ablehnen. Im Jahr 2008 mussten wir auf ein durch die EU--Kommission eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren reagieren. Der Entwurf eines „Gesetzes zur Neuregelung des Schornsteinfegerwesens“ sieht – nach einer Übergangszeit bis Ende 2012 – vor, das Schornsteinfegermonopol aufzuheben – die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben wird auf ein Minimum reduziert. Damit muss auch die Umstellung von einer Gesamtversorgung in der Alterssicherung zu einem beitragsäquivalenten System erfolgen. Gegenwärtig sind Bezirksschornsteinfegermeister als Handwerker in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Im Gegensatz zu allen anderen Handwerkern endet die Versicherungspflicht aber nicht nach 18 Jahren; sie sind während des gesamten Erwerbs-lebens in der Rentenversicherung pflichtversichert. -Daneben besteht für sie eine Zusatzversorgung, die aus Mitteln der Versorgungsanstalt und Beiträgen finanziert wird. Die Alterssicherung dieses Personenkreises ergibt sich also aus einer Gesamtversorgung. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung regelt nun für die Zeit nach Aufhebung des Monopols die Schließung der Zusatzversorgung. Ab nächstem Jahr unterliegen die Bezirksschornsteinfegermeister dem freien Wettbewerb und sind damit anderen Handwerksmeistern gleichgestellt. Eine zusätzliche verpflichtende Versorgung neben der gesetzlichen Rentenversicherung ist daher nicht mehr begründbar. Die Aufrechterhaltung der Zusatzversorgung erscheint auch aus finanziellen Gründen nicht sinnvoll. Zum einen geht die Zahl der Beitragszahler kontinuierlich zurück – derzeit kommen auf 6 500 Rentenempfänger 7 700 -aktive Bezirksschornsteinfegermeister –, zum anderen können die Beiträge nicht mehr aus den öffentlich--rechtlichen Kehrgebühren finanziert werden. Die rechtlichen Anpassungen erfolgen nach dem -Gesetzentwurf der Bundesregierung im Schornstein-feger-Handwerksgesetz: Die Schließung der Zusatzversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister bedeutet, dass zum Stichtag 31. Dezember 2012 keine neuen Anwartschaften mehr erworben werden können, Bestandsrenten aber weiter gezahlt werden. Zur Finanzierung der Leistungen wird das vorhandene Vermögen der -Versorgungsanstalt eingesetzt. Im Anschluss werden die Leistungen vom Bund übernommen. Die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgt nunmehr zu gleichen Bedingungen wie die der Handwerksmeister. Das heißt, die erwerbslebenslange Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung endet nach 18 Jahren. Die Übergangsvorschriften beinhalten versorgungsrechtliche und Regelungen zum Vertrauensschutz: Bestandsrenten werden weiter gezahlt; sie werden jedoch nicht mehr den Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst angepasst, sondern werden entsprechend den Steigerungen in der gesetzlichen Rentenversicherung dynamisiert. Die bis zum Stichtag erworbenen Anwartschaften der aktiven Bezirksschornsteinfegermeister werden in eine „Startgutschrift“ umgerechnet, die Basis der individuellen Rentenberechnung beim Renteneintritt ist. Zunächst sollte der Vertrauensschutz bei Berufsunfähigkeit erst ab dem 50. Lebensjahr gelten. Mit dem Änderungsantrag wird der Vertrauensschutz nun jedoch auch auf jüngere Bezirksschornsteinfegermeister ab dem 40. Lebensjahr ausgedehnt. Gezahlte Beiträge können zurückerstattet werden, soweit noch kein Versorgungsanspruch besteht bzw. die fünfjährige Wartezeit noch nicht erfüllt ist. Dies betrifft vor allem die Jüngeren, die dem Zusatzversorgungssystem erst vor kurzem beitreten mussten. Im Detail betrachtet, verlangen die vorgesehenen Übergangsregelungen unseres Erachtens aber dringend eine Nachbesserung, weil die umstandslose Übertragung von Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Zusatzversorgung deren Bedingungen nur unzureichend abbilden kann. Insofern sehen wir noch Änderungsbedarf in Bezug auf die im Gesetzentwurf vorgesehene Reduzierung der Dynamisierung der Bezüge und Kappung der Beitragsrückerstattung. Zum einen werden in Zukunft die Versorgungsbezüge nicht mehr nach den Tarifentwicklungen im öffentlichen Dienst, sondern in Höhe der jährlichen Rentenanpassung der gesetzlichen Rentenversicherung dynamisiert. Zum anderen erfolgt eine schrittweise Reduzierung in Form einer Halbierung zukünftiger Dynamisierungen um die in den Jahren seit 2009 erfolgten Erhöhungen der Versorgungsbezüge um insgesamt 5,2 Prozent. Die schrittweise Reduzierung erscheint nur schwer nachvollziehbar und ungerechtfertigt, weil die Systemumstellung erst ab 2013 tatsächlich erfolgt. Die Existenzgründer unter den Bezirksschornstein-fegermeistern sind dazu verpflichtet, in die Zusatz-versorgung einzutreten und Beiträge zu entrichten. Sie können aber womöglich wegen der Schließung der Zusatzversorgung ab 2013 die fünfjährige Wartezeit nicht mehr erfüllen. Die gezahlten Beiträge können zwar -zurückerstattet werden, nach der ab 2013 geltenden -Vorschrift des § 210 SGB VI jedoch nur zur Hälfte – analog zum Arbeitnehmeranteil. Eine Beitragsrückerstattung führt dann unter Umständen zu hohen finanziellen Verlusten. In der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates hat die Bundesregierung lediglich angekündigt, im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob neben der Beitragsrückerstattung die Möglichkeit einer Nachzahlung fehlender Beiträge in das Zusatzrentensystem eröffnet werden soll. Überraschenderweise löst Ihr Änderungsantrag nun zwar das Problem des unzureichenden Vertrauensschutzes bei Berufsunfähigkeit – die Regelung gilt nun schon ab Jahrgang 1973 und nicht erst ab Jahrgang 1963 –, die Rückerstattung von Beiträgen ist aber weiterhin unzureichend geregelt. Sie räumen zwar eine zeitlich befristete Möglichkeit für die Nachentrichtung fehlender Beiträge ein, um Anwartschaften zu erwerben, die -Bedingungen der Beitragsrückerstattung aber bleiben unverändert. Zudem sehen Sie keine Rücknahme der -ungerechtfertigten Kürzungen bei zukünftigen Dynamisierungen der Versorgungsbezüge vor. Daher sind die Nachbesserungen insgesamt ungenügend. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das traditionsreiche Handwerk der Schornsteinfeger befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch. Ab dem nächsten Jahr werden die Schornsteinfeger ihre wichtige Arbeit in einer aufgrund von Europarecht veränderten Wettbewerbsordnung auszuüben haben. Eine Wett-bewerbsordnung, die neue Chancen und ungewohnte Herausforderungen mit sich bringt. Mit Folgewirkungen auch für das berufsständische Altersversorgungssystem, das nun für die Zukunft befähigt und neu ausgerichtet werden muss. Dabei gilt es, Nachteile und Ungerechtigkeiten für die Versicherten zu vermeiden. Bis in die letzten Tage haben wir daher an Änderungen des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfes gefeilt und Anregungen des Berufsstandes diskutiert und in wichtigen Teilen übernehmen können. Die Schließung eines bewährten Systems zur Altersvorsorge und die Überführung von circa 7 700 aktiven Bezirksschornsteinfegern und circa 6 500 Rentenempfängern in ein anderes System ist alles andere als eine einfache Aufgabe. Mir scheint aber, dass es gut gelungen ist, den Interessen der Betroffenen letztendlich gerecht zu werden. Das galt schon weitgehend für den Regierungsentwurf. Das gilt aber insbesondere für die von den Koalitionsfraktionen im Ausschuss noch vorgenommenen Änderungen. Die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt die Eröffnung der Möglichkeit, fehlende Beiträge für die Zusatzversorgung nachzuzahlen, wenn die vorgesehene fünfjährige Wartezeit nicht erfüllt werden konnte. Ein Verfallen von Anwartschaften aus diesem Grund wäre schwer zu akzeptieren gewesen. Und wir unterstützen die Änderung gegenüber dem Regierungsentwurf, den Berufsunfähigkeitsschutz auf alle über 40-Jährigen auszuweiten. Das ist für diese Berufsgruppe sicher sachgerecht, und es orientiert sich an einer ähnlichen Regelung, die seinerzeit beim Wegfall der Berufsunfähigkeitsrente in der gesetzlichen Rentenver-sicherung vorgenommen wurde. Mit diesen Änderungen steht die Altersvorsorge des Schornsteinfegerhandwerks nach unserer Auffassung auch in Zukunft auf einer sicheren Basis. Das Gesetz enthält noch weitere Regelungen aus dem Bereich der Arbeitsförderung. Ausdrücklich erwähnen will ich die Verlängerung der Erprobungsphase innovativer Instrumente der Arbeitsmarktpolitik um weitere drei Jahre. Möglichst individuelle Lösungen zu ermög-lichen, ist das zentrale Anliegen unserer Arbeitsmarktpolitik. Die Herausforderungen an eine erfolgreiche -Arbeitsmarktpolitik in Zeiten annähernder Vollbeschäftigung sind nicht gering. Flexibilität und Kreativität der Entscheider vor Ort sind gefragt und werden von uns politisch gefördert. Ebenso positiv sehen wir die Regelung der Berufs-orientierungsmaßnahmen für Schüler allgemeinbildender Schulen. Konkrete Einblicke ins Berufsleben sind ein wichtiger Schritt der berufsvorbereitenden Bildung. In Zeiten des Fachkräftemangels ist es gut, schon Schüler gezielt ans Berufsleben heranzuführen und ihre Entscheidungen bereits vor Antritt einer Ausbildung zu unterstützen. Klaus Ernst (DIE LINKE): Im Jahr 2008 wurde mit dem Gesetz zur Neuregelung des Schornsteinfegerwesens das deutsche Schornstein-fegerhandwerk für den Wettbewerb geöffnet. Hintergrund war ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission. Diese hatte seinerzeit behauptet, dass das deutsche Schornsteinfegergesetz gegen die EU-Regeln der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit verstoße. Die Bundesregierung hatte damals nicht alle Möglichkeiten genutzt, die Tätigkeiten des Schornsteinfegerwesens umfassend als hoheitliche Aufgabe zu schützen, geschweige denn darauf gedrängt, das Schornsteinfegerwesen vom Geltungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie auszunehmen. Sie hat mit der Liberalisierung des Schornsteinfegerwesens billigend in Kauf genommen, dass die in einem bisher gesicherten Berufsstand rund 7 700 beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen prekären Beschäftigungsverhältnissen ausgesetzt werden. Zugleich führt die Freigabe -dieser bisher hoheitlichen Aufgabe für den Wettbewerb zu Abstrichen bei Sicherheit und Umweltschutz sowie zu Mehrkosten für die Verbraucher und Verbraucherinnen. Die Fraktion Die Linke hat deshalb seinerzeit gegen die Abschaffung des Schornsteinfegerprivilegs gestimmt. An dieser Position halten wir nach wie vor fest. Da Schornsteinfeger durch die Abschaffung des Schornsteinfegerprivilegs hinsichtlich ihrer Markt-bedingungen jetzt mit anderen selbstständigen Handwerkern gleichgestellt sind, ist die rentenrechtliche Gleichstellung folgerichtig: Auch Die Linke will alle -Berufsgruppen in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen und diese zu einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung ausbauen, um so gleiche Bedingungen für alle zu schaffen. Zugleich bin ich hocherfreut, dass es dem Bundes-arbeitsministerium gelungen ist, einen Gesetzentwurf vorzulegen, ohne auf die Beratertätigkeit der Beratungsgesellschaft McKinsey zurückgreifen zu müssen. Ich erinnere daran, dass im Mai dieses Jahres bekannt wurde, dass Ihr Ministerium, Frau von der Leyen, eine Machbarkeitsstudie zur Einbeziehung von Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung in Auftrag gegeben hatte. Kostenpunkt: stattliche 1 Million Euro. Begründet wurde der aus Steuergeldern finanzierte Privatauftrag damit, dass im Ministerium die notwendigen Kenntnisse im Detail nicht vorhanden seien. Ich bin gespannt, ob Frau von der Leyen vorhat, nach Beendigung ihrer -Ministertätigkeit im nächsten Jahr gut dotierte Vorträge bei McKinsey zu halten. Umso bemerkenswerter ist es, dass der Frau Ministerin in ihrem Hause scheinbar doch noch ein paar fähige Mitarbeiter zur Verfügung stehen, die in der Lage sind, ein Gesetz ohne millionenteure Beraterverträge zustande zu bekommen. Mit dem hier nun vorliegenden Gesetz beweisen sie zugleich, dass es möglich ist, einen Systemwechsel in der Altersvorsorge zugunsten der gesetzlichen Rentenversicherung zu organisieren. Frau Ministerin von der Leyen, ich erwarte, dass Sie jetzt endlich ein tragfähiges Konzept zur Einbeziehung aller Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung vorlegen. Wenn Sie dabei ohne millionenschwere Beraterverträge auskommen, umso besser. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte zunächst die Bundesregierung loben: Sie hat es geschafft, rechtzeitig einen Gesetzentwurf für die Neuregelung für Bezirksschornsteinfeger vorzulegen. Bis Ende des Jahres muss eine Neuregelung vorliegen. Und das wird jetzt geschafft. Ich möchte die Bundesregierung auch loben, dass sie eine Lösung innerhalb der Rentenversicherung gesucht hat. Wir begrüßen eine vollständige Eingliederung der Bezirksschornsteinfeger in die Rentenversicherung und eine Auflösung des Berufsversorgungswerkes. Ich muss jedoch hinzufügen: Die Art der Eingliederung ist überhaupt nicht zufriedenstellend. Ich bekomme immer wieder den Eindruck, dass die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen mit gespaltener Zunge sprechen. Einerseits werden bei der von der Bundesministerin für Arbeit und Soziales vorgeschlagenen Zuschussrente kontinuierliche Beitragsbiografien verlangt und zur Norm erhoben, auf der anderen Seite reißt sie neue Lücken in unsere Altersvorsorge und damit in die Rentenbiografien der Menschen. Auf der einen Seite will die Bundesregierung die bisher nicht pflichtversicherten Selbstständigen pflichtversichern, auf der anderen Seite entlässt sie bisher pflichtversicherte Selbstständige aus der Versicherungspflicht. Das ist ein Zickzackkurs und keine klare Vision und Zielvorgabe für die Weiterentwicklung unserer Alterssicherung. Worum geht es? Die Bezirksschornsteinfeger sollen in die gesetzliche Rentenversicherung eingegliedert werden. So weit, so gut. Gleichzeitig sollen jedoch die Bezirksschornsteinfeger die Möglichkeit erhalten, nach 18 Jahren mit Versicherungsbeiträgen aus der gesetzlichen Rentenversicherung auszutreten. Die Folge davon ist, dass man den Bürgerinnen und Bürgern bei Eintritt eines nicht abgesicherten Risikofalles sagen wird: Selber schuld! Was passiert denn, wenn ein Bezirksschornsteinfeger aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgetreten ist, weil er dachte, da spare ich mir doch die monatlichen Beiträge, und dann Rückenprobleme bekommt und eine Reha bräuchte? Die Rentenversicherung zahlt dann jedenfalls nicht. Was passiert denn, wenn ein Bezirksschornsteinfeger nach seinem Austritt aus der Rentenversicherung eine Erwerbsminderung erleidet? Er wird ein Sozialfall; denn auf die Erwerbsminderungsrente der gesetzlichen Rentenversicherung hat er den Anspruch verloren. Wiederholt hat diese Bundesregierung Lücken in die Altersvorsorge gerissen. Sie hat die Rentenbeiträge für Arbeitslose gestrichen. Jetzt wiederholt sie den Fehler bei der Befristung der Versicherungspflicht für Bezirksschornsteinfeger. Unsere Zielrichtung ist eine andere. Wir haben eine Vision, eine Zielrichtung für die Weiterentwicklung der Rentenversicherung: die Bürgerversicherung. Wir sind der Überzeugung, dass wir die kontinuierliche Vorsorge von allen Menschen während der Erwerbsphase brauchen, nicht nur für das Alterseinkommen, sondern auch für den Fall der Erwerbsminderung und bei Rehabedarfen. Wir sind der Überzeugung, dass eine gesetzliche Rentenversicherung, die alle einbezieht, Ausdruck einer solidarischen und inklusiven Gesellschaft ist. Wir sind der Überzeugung, dass es auch eine Frage der ökonomischen Vernunft ist, dass in der Alterssicherung alle, die sich in der gleichen wirtschaftlichen Situation befinden, gleich behandelt werden. Der heute existierende gesetzgeberische Flickenteppich, der eher willkürlich und unsystematisch bestimmte Gruppen von Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezieht und andere freistellt, ist allenfalls historisch, nicht aber systematisch zu begründen und führt zu erheblichen Problemen der rechtlichen Gleichbehandlung und zu ökonomischen Fehlanreizen. Schritte in Richtung einer Bürgerversicherung sind dringend notwendig. Nur so kann unsere Alterssicherung dem Anspruch, eine solidarische Alterssicherung zu sein, gerecht werden. Deswegen haben wir in dieser Legislaturperiode einen Antrag auf die Wiedereinführung von Mindestrentenbeiträgen für Arbeitslose gestellt. Und deswegen wollen wir die kontinuierliche Versicherung von bisher nicht pflichtversicherten Selbstständigen in der Rentenversicherung. Und deswegen werden wir den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen. Wir schlagen erste, ganz konkrete Schritte hin zu einer Bürgerversicherung vor. Die Bundesregierung hingegen reißt neue Lücken in die Versicherungsbiografien. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11185, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/10749 und 17/10962 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf so zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der SPD angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der SPD angenommen. Tagesordnungspunkt 25: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothea Steiner, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wertstoffsammlung verbessern – Mehr Ressourcen aus Abfällen zurückgewinnen – Drucksache 17/11161 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Die Reden sind auch hier, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, zu Protokoll genommen. Michael Brand (CDU/CSU): Ein Antrag zur Unzeit ist es, weil doch alle Beteiligten wissen, dass der neue Bundesumweltminister mit einem durchaus innovativen Verfahren die Öffentlichkeit und die Fachleute dazu eingeladen hatte, sich bis Ende August an einem sehr transparent gestalteten Fachaustausch im Internet zu beteiligen. Dieses Angebot von Bundesminister Altmaier wurde in hervorragender Weise angenommen. Über diese Internetkonsultation hinaus haben natürlich alle Seiten den Minister, andere Minister, das BMU, das Bundeskanzleramt, die EU, die Bundesländer und auch uns als Abgeordnete kontinuierlich mit ihren jeweiligen Vorstellungen vertraut gemacht. Wir als Abgeordnete sind seit langem und in dieser Phase besonders intensiv im Gespräch mit Beteiligten auf allen Ebenen. Der Minister selbst hat während und nach Ende der öffentlichen Konsultation mit den Koalitionsfraktionen, mit den Ländern und mit vielen Beteiligten fundierte Gespräche geführt, um in offener Weise alle Möglichkeiten für eine optimale Regelung zur Einführung eines Wertstoffgesetzes auszuloten. Wir sind also, das kann man fast „anfassen“, mitten im Konsultationsprozess für einen möglichen Kompromiss mit den Beteiligten. Wenn man das mit Händen greifen kann, dann sollten auch die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen begreifen, dass eine solche Phase nicht der optimale Zeitpunkt ist, mit einseitigen Festlegungen den Bundestag als Gesetzgeber festlegen zu wollen, und damit mögliche Kompromisse, zum Beispiel mit den im Vollzug wichtigen Bundesländern und den Kommunen wie der privaten Recyclingwirtschaft, unmöglich zu machen Solche Festlegungen sind so ungeeignet wie der Versuch einzelner selbst Berufener, die sich als Bote für die Papiere und die Interessen Dritter aufmachen. Wir werden schon auf einem geordneten Verfahren und der sorgfältigen Berücksichtigung der verschiedenen Positionen bestehen müssen. Dies ist der Weg, den Bundesumweltminister Altmaier eingeschlagen hat, und es ist genau der richtige Weg. Es wäre vielleicht verdienstvoller und effektiver für die weitere Verbesserung der Wertstofferfassung und für den Weg in eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft, wenn die Grünen mit den Parteifreunden und Parteifreundinnen in den Ländern dafür sorgen würden, dass wir uns bei der Wertstoffsammlung nicht schon wieder so lange im Kreise drehen müssen wie beim Kreislaufwirtschaftsgesetz: wir alle haben in schlechter Erinnerung, dass die dort gefundenen Kompromisse zwischen Bund, Kommunen und privater Recyclingwirtschaft von der Länderseite zerlegt wurden. Im Ergebnis haben wir in mühsamen Verhandlungen ein Gesetz erhalten, dass die vorherige Balance nicht mehr beachtet und das nun vor der EU-Kommission rechtlich angegriffen wird. Natürlich setzen wir darauf, dass dieses Gesetz europarechtlich Bestand hat; dennoch sind wir alle miteinander klug beraten, wenn wir beim Wertstoffgesetz nicht in das nächste „tote Rennen“ um Kompromisse gehen, die am Ende nicht halten, weil manche ihre gegebenen Zusagen nicht halten. In der Sache wäre in Bezug auf den Antrag viel zu kommentieren. Vieles ist sicher konsensfähig, aber einiges nicht. Ich will hier nicht in die Erörterung eintreten, ob die Wertstoffsammlung vor Ort in kommunaler, dualer oder privater Trägerschaft erfolgen soll. Auch kann die sicher notwendige Höherwertigkeit der stofflichen Verwertung und die Priorisierung der Vermeidung von Abfällen auf verschiedenen Wegen erreicht werden; hier hat der Antrag erkennbar nicht den besten Weg vorgezeichnet. Zur Konstruktion der Rückführung von Wertstoffen aus Elektro- und Elektonikschrott weist der Antrag einerseits Lücken auf und macht an anderer Stelle falsche Vorgaben. Die Zukunft der Verpackungsverordnung, so viel scheint gesichert, ist die, dass sie hoffentlich bald Vergangenheit ist. Kaum eine Verordnung hat eine solche, teils unselige Tradition, verschiedenste, umstrittene Inhalte, eine kaum gesicherte Datenbasis ganz zu schweigen von Schlupflöchern und deren Ausnutzung und von mangelndem Schutz der eigentlich zu wahrenden Ziele, wie zum Beispiel der Mehrwegquote oder der stofflichen Verwertung. Für Verbraucher, Produzenten, Recycler und auch für die politisch Verantwortlichen ist die Verpackungsverordnung wahrlich keine vergnügungssteuerpflichtige Veranstaltung. Es ist oftmals ein Hauen und Stechen, und dies oftmals hinter den Kulissen. Hier kann uns der neu aufgesetzte, transparente Prozess des Bundesumweltministers nur helfen. Wir wollen die Produktverantwortung als Element für die Verankerung des Verursacherprinzips verankert sehen, und wir wollen den Missbrauch der Verpackungsentsorgung auf den verschiedensten Ebenen beendet sehen. Wir wollen auch den Kampf um Kampfbegriffe wie „Fehlwürfe“, „Trittbrettfahrer“ und andere durch eine solide Validierung von Daten ersetzen. Wir wollen die Systemfrage ohne Scheuklappen stellen und das beste System zur Wertstofferfassung der Zukunft etablieren – hier darf es keine Denkverbote, keine Erbhöfe und auch keine Ideologie geben. Es zählt der Beitrag zur Ressourcenschonung, und es zählt das für die Umwelt effizienteste System. Welche Art von Ausschreibung von wie vielen Teilnehmern, ob mit oder ohne zentrale oder gemeinsame Stelle oder dezentraler Ausschreibung ohne oder mit kommunaler Beteiligung mit oder ohne Inhouse-Vergaben – das alles sind Fragen für eine fachliche Erörterung, die wir derzeit durchführen. Was wir nicht wollen, das ist ein falsch angelegtes Beratungsverfahren mit schlechter Analyse und falschen Ergebnissen. Deswegen lehnen wir als CDU/CSU diesen Antrag ebenso ab wie die vielen Versuche, uns vor dem Ende der Konsultationen des Bundesumweltministers schon vorprogrammieren zu wollen. Wir stehen vernünftigen Vorschlägen unvoreingenommen gegenüber. Alte Vorschläge in neuer Verpackung sind dann nicht ratsam, wenn mangelnde Transparenz nur die Eigeninteressen verdecken soll. Alle bleiben eingeladen, sich bei den laufenden Beratungen einzubringen. Bundesminister Altmaier wird zu gegebener Zeit seine Schlussfolgerungen mit den Betroffenen und innerhalb wie außerhalb der Koalition erörtern. Wir hoffen auf einen belastbaren Kompromiss zwischen Kommunen, Privatwirtschaft, Bund und Ländern. Das alles muss einem Ziel dienen: einer effizienten, ressourcenschonenden Lösung. Vorfestlegungen wie dieser Grünen-Antrag helfen da wenig: die Kompromissfähigkeit von Rot und Grün in den kommenden Wochen entscheidet mit darüber, ob wir eine solche Lösung erreichen, oder ob sie diese blockieren, zulasten der Umwelt. Wir bleiben erwartungsvoll gespannt. Gerd Bollmann (SPD): Ich begrüße, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag zur Wertstoffsammlung vorgelegt haben. Um es gleich vorweg zu sagen: Die SPD ist für eine einheitliche Wertstofferfassung. Wir sind für eine Stärkung des vorrangigen Ziels der Abfallvermeidung. Wir sind für einheitliche Regelungen für die Wertstoffsammlung und deren Anwendung auch für haus-müll-ähnliche Gewerbesammlungen. Wir sind für höhere Recyclingquoten ebenso, wie wir für zusätzliche Maßnahmen zur Stärkung des Mehrweganteils bei Getränkeverpackungen sind. Sie merken, dass wir in vielen Punkten mit den Forderungen meiner grünen Kolleginnen und Kollegen übereinstimmen. Lassen Sie mich daher einige grundsätzliche Ausführungen zu einem möglichen Wertstoffgesetz und zur Verpackungsverordnung machen. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert völlig zu Recht die zeitnahe Einführung der Wertstoffsammlung. Bereits in der letzten Novelle der Verpackungsverordnung wurde das Thema problematisiert. Wir hatten damals durchgesetzt, dass die freiwillige Einführung einer Wertstofftonne und Probeversuche möglich wurden. Außerdem wurden Gutachten über Inhalt und Ausgestaltung einer Wertstofferfassung in Auftrag gegeben. Union und FDP haben in ihrer Koalitionsvereinbarung ein Wertstoffgesetz vereinbart. Das Bundesumweltministerium hat seit Beginn der Legislaturperiode versprochen, noch in dieser Periode ein Wertstoffgesetz zur Fortentwicklung der Verpackungsverordnung vorzulegen. Bundesumweltminister Peter Altmaier hat in seinem Zehn-Punkte-Programm die Weiterentwicklung der Verpackungsverordnung zu einem Wertstoffgesetz als eines seiner Ziele für den Rest der Legislaturperiode angekündigt. Wenn alle – Union, FDP, Grüne, SPD, Linke, BMU, Wirtschafts- und Kommunalverbände, Umwelt- und Verbraucherverbände – für eine einheitliche Wertstofferfassung sind, und dies seit vielen Jahren, dann stellt sich die Frage: Warum haben wir noch kein Wertstoffgesetz? Warum gibt es keinen Gesetzentwurf des BMU? Die Antwort ist klar: Es war und ist das gleiche Problem wie beim Kreislaufwirtschaftsgesetz – die unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Regierung bezüglich der Zuständigkeit für die Hausmüllentsorgung. Teile der Regierungskoalition und Teile der privaten Entsorgungswirtschaft wollen ein Wertstoffgesetz nutzen, um die Hausmüllentsorgung weiter zu privatisieren. Die Hausmüllentsorgung, die Sammlung und Verwertung von Siedlungsabfällen, ist ein wesentlicher Bestandteil der Daseinsvorsorge. Für uns Sozialdemokraten ist eines ganz klar: Die Hausmüllentsorgung unterliegt der kommunalen Verantwortung und Zuständigkeit. Dies gilt auch für die Wertstofferfassung. Wir sind für die einheitliche Wertstofferfassung, aber in kommunaler Zuständigkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der FDP, Sie sind bereits beim Kreislaufwirtschaftsgesetz mit dem Versuch einer weiteren Privatisierung gescheitert. Akzeptieren Sie das! Inzwischen sind selbst Teile der privaten Entsorgungswirtschaft und große Teile der Union für die kommunale Zuständigkeit bei einer einheitlichen Wertstofferfassung. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, wenn Sie Ihren internen Streit über Zuständigkeiten in der Abfallwirtschaft beilegen, dann gibt es eine gute Möglichkeit, zügig ein Wertstoffgesetz zu verabschieden. Dafür ist allerdings auch ein weiteres Eingeständnis vonnöten. Immer wieder lese ich, auch im 10-Punkte-Programm von Herrn Altmaier und im Thesenpapier des BMU, die Verpackungsverordnung sei ein Erfolg. So heißt es in dem Thesenpapier – ich zitiere –: „Mit der Einbeziehung der produzierenden Wirtschaft in die Entsorgungslast zielt der Verordnungsgeber auf eine Internalisierung der Entsorgungskosten und daraus resultierende Anreize zur Verpackungsvermeidung sowie zum Einsatz verwertungsfreundlicher Verpackungen. Die Strategie war erfolgreich: so ist es seit 1991 nicht nur gelungen, die Entwicklung der Verpackungsmenge vom allgemeinen Wirtschaftswachstum zu entkoppeln.“ So weit das Thesenpapier. Ja, die Verpackungsverordnung hat Erfolge erzielt. Erstmals wurden Hersteller finanziell an der Entsorgung für ihre Produkte beteiligt. Die Getrenntsammlung im Haushalt hat sich durchgesetzt. Die Recyclingquoten sind stark angestiegen, und eine leistungsfähige Recy-clingindustrie ist entstanden. Aber schauen wir doch einmal genauer hin. In dem alten und im neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz, in der alten und neuen europäischen Abfallrahmenrichtlinie steht die Abfallvermeidung an oberster Stelle der Abfallhierarchie. Und, ist es gelungen, die Zahl der Verpackungsabfälle zu senken? Nein. Nach einem kurzen Rückgang in den 90er-Jahren stieg die Verbrauchsmenge an Verpackungsmaterialien, insbesondere bei Kunststoff. Die Gesamtmenge an Verpackungen lag 2010 um fast 400 Kilotonnen höher als 1991, Tendenz steigend. Ebenso ist die Mehrwegquote eingebrochen. Dies liegt daran, dass Abfallvermeidung als oberstes Ziel zwar im Gesetz steht, aber nicht in der Realität. Die Entsorgungswirtschaft lebt davon, dass die Menge der von ihr zu entsorgenden Abfälle wächst. Abfallvermeidung ist nicht ihr Ziel, kann es nicht sein. Auch der Anreiz für die Hersteller, die Zahl der Verkaufsverpackungen zu verringern, sinkt bei billiger werdenden Lizenzgebühren. Wenn wir es ernst meinen mit der Abfallvermeidung, dann kann eine „einfache“ Fortführung der Verpackungsverordnung mit Ausweitung des Systems auf stoffgleiche Nichtverpackungen kein zielführendes Konzept sein. Betrachten wir weiter die angeblichen Erfolge der Verpackungsverordnung. So heißt es unter anderem vonseiten der Bundesregierung: „Ausgehend von den Erfahrungen mit der Verpackungsverordnung hat sich der Wettbewerb mehrerer Anbieter von Erfassungs- und Verwertungsleistungen als effektives Mittel zur Kostensenkung und zur Etablierung effizienter Strukturen erwiesen.“ Diese Aussage des BMU – ähnliche Äußerungen gibt es von der FDP und aus der privaten Wirtschaft – ist reine Ideologie. Sie stimmt nicht mit den Fakten überein. Sicherlich, vor allem durch Lohndumping, sind Lizenzgebühren für die Hersteller gesunken. Aber ist der gesamtwirtschaftliche Aufwand „günstiger“ geworden? Es gibt mehrere Gutachten, die dies verneinen. Jüngst hat noch das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut allein die mit der Komplexität verbundenen Verwaltungskosten für alle Beteiligten auf 168 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Ein komplexer, kaum nachzuvollziehender Verwaltungsaufwand, doppelte Strukturen bei der Erfassung und langwierige Verhandlungen zwischen allen Beteiligten. Will angesichts dieser Zustände wirklich jemand von einem kostengünstigen System im volkswirtschaftlichen Sinn sprechen? Und darüber hinaus auch noch von einem effizienten System? Ein System, in dem aufgrund der Trittbrettfahrerproblematik niemand – ich betone: niemand – wirklich weiß, wie viel Verpackungen lizenziert und verwertet werden. Ein System, in dem die Angaben der lizenzierten Verpackungsmenge bei den -dualen Systemen ständig schwanken. Ein System, in dem die dualen Systeme untereinander sich Lug und Betrug vorwerfen und gegenseitig verklagen. Ein System, in dem es trotz zahlreicher Änderungen und Korrekturversuche zahlreiche Schlupflöcher gibt. Ein System, dessen Vollzug vor allem durch eine riesige Anzahl von Gerichtsverfahren gekennzeichnet ist: ÖRE gegen duale Systeme, duale Systeme untereinander, ÖRE gegen private Entsorger, private Entsorger gegen duale Systeme usw. Ja, dieses System ist effizient – für die sich mit Abfallrecht befassenden Rechtsanwaltskanzleien. Für sie ist die wettbewerbsorientierte Verpackungsverordnung eine Goldgrube. Meine Damen und Herren von Union und FDP, es reicht nicht aus, die jetzige Verpackungsverordnung auf stoffgleiche Nichtverpackungen auszudehnen und einige kleinere Veränderungen, wie die Einführung einer zentralen Stelle, vorzunehmen. Damit sind die Fehler der jetzigen Verordnung – kaum Abfallvermeidung, undurchsichtiger Vollzug, hoher bürokratischer Aufwand und geringe stoffliche Verwertung – nicht aufgehoben. Auch immer größere Teile der Privatwirtschaft stehen dem jetzigen System der Verpackungsverordnung skeptisch gegenüber. Bereits im Januar 2010 haben kom-munale Spitzenverbände, VKU und der bvse ein ge-meinsames Positionspapier vorgelegt. Darin wird eine Weiterentwicklung der Verpackungsverordnung zur Wertstofferfassung unter kommunaler Zuständigkeit bei gleichzeitigem Erhalt des Wettbewerbs aufgezeigt. Diese Vorschläge wurden in den letzten Jahren, zum Beispiel durch Berücksichtigung eines Standardkostenmodells, weiterentwickelt – allerdings nicht von der Bundesregierung. Die Vorschläge des BMU orientierten sich immer am derzeitigen Wettbewerbsmodell. Dieses sture Festhalten an einem fehlerhaften System bringt uns nicht weiter. Wir Sozialdemokraten sind nicht gegen Wettbewerb. So, wie der Wettbewerb durch die jetzige Verpackungsverordnung jedoch organisiert ist, ist er volkswirtschaftlich schädlich. Ökologische Verbesserungen, mehr Ressourcenschutz und mehr Abfallvermeidung sind damit nicht zu erreichen. Horst Meierhofer (FDP): Die Grünen zeigen mit diesem Antrag die künftige Zielstellung auf. Leider sind die Umsetzungsvorschläge zum Teil naiv – nicht nur, dass diese wirkungslos wären, sie würden die Zielerreichung noch erschweren. Wenn man den Antrag zum ersten Mal liest, gerät man in Versuchung, den sich hübsch anhörenden Vorschlägen Glauben zu schenken. Wenn man dagegen den Versuch unternimmt, die Vorschläge rechts- und umweltpolitisch nachzuvollziehen, offenbaren sich innere -Widersprüche. Und diese sind so groß, dass alle gutgemeinten Ziele des Antrags verfehlt werden würden. Die Grünen stellen für ein Wertstoffgesetz eine Vorbedingung: „Die Sammlung und Verwertung von Siedlungsabfällen ist ein wesentlicher Bestandteil der -Daseinsvorsorge und unterliegt der kommunalen Verantwortung.“ Erst daran anschließend werden weitere, vornehmlich ökologische Bedingungen aufgestellt. Mit der identischen Grundbedingung einer Vollkommunalisierung ist Rot-Grün auch beim Kreislaufwirtschaftsgesetz in die Bundesratsverhandlungen gegangen. Die Grünen haben dafür neben der beabsichtigen Schwächung der privaten Wirtschaft auch den Kollateralschaden umweltunfreundlicherer Regelungen in Kauf genommen. Offenkundig haben die Grünen aus ihren Fehlern nicht gelernt und lassen sich in ihren politischen Entscheidungen nach wie vor von einer lautstarken und polemischen Minderheit beeinflussen. Die moderateren Töne der Mehrzahl der Kommunen bleiben dabei ungehört. Eine generelle und ausnahmslose Zuweisung der Sammlung, Verwertung und Aufbereitung an die Kommunen hätte eine verheerende Wirkung für die Kreislaufwirtschaft und widerspricht selbst der kommunalen Beschlusslage. Warum? Im Unterschied zur Sammlung von Abfällen und Rohstoffen – seit jeher ein klassisches Betätigungsfeld der Kommunen – besteht im Bereich der Verwertung und Aufbereitung von Wertstoffen auf kommunaler Seite nur eine geringe Expertise. Fast die gesamte Wertschöpfungskette, die sich an die Sammlung anschließt, wird von einem breiten Mittelstand und einigen größeren Unternehmen durchgeführt. Die Fortentwicklung der eingesetzten Technologien geht zum größten Teil auf Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre zurück, in denen innovative und kreative Unternehmen Umwelttechnologien geschaffen haben, die zum Exportschlager geworden sind und die heutigen Recyclingzahlen überhaupt erst möglich machen. Wenn die Grünen jetzt auf die Idee kommen, die Vernichtungsstrategie der privaten Kreislaufwirtschaft auf die Spitze zu treiben, dann sollten sie wenigstens so ehrlich sein, den Wissens- und Technologieverlust – und damit einhergehenden ökologischen Nachteil – ehrlich und offen einzugestehen. Dass die Bedeutung der Privatwirtschaft am Recycling nicht kleingeredet werden kann, will ich Ihnen dazu anhand von einigen einfachen Zahlenbeispielen erläutern: Bevor der Verpackungsbereich 1991 privatisiert worden war, lagen die Verwertungsquoten bei circa 53,7 Prozent für Glas, 28 Prozent für Papier und Karton und 3,1 Prozent für Kunststoff. 20 Jahre später liegen diese Zahlen bei 87,2 Prozent für Glas, 85 Prozent für Papier und Karton und 90,3 Prozent für Kunststoff. Dass eine große Bedeutung der Privatwirtschaft für die Kreislaufwirtschaft besteht, soll nicht schmälern, dass auch die kommunale Leistung eine entsprechende Würdigung erfährt. Nur muss klar sein, dass gesetzliche Lösungen die Fähigkeiten und Möglichkeiten beider Seiten berücksichtigen sollten und faire und ausgewogene Rahmenbedingungen die Grundlage für eine Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft sind. Die Grünen glauben, alleine mit ökologischen Lenkungsvorgaben diesen Nachteil wettzumachen. Festlegung von Quoten, Mindestanforderung, neue Statistiken, Weiterentwicklung der Pfandregelungen usw. Nur übersehen sie dabei leider, dass mit der Grundvorgabe, Innovationen und neue Technologien wegzudrücken, alle diese Festlegungen zu bloßen Hüllen verkommen. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Wir haben bereits jetzt in den abfallrechtlichen Vorschriften ein Problem mit zu vielen unklaren – und sich teilweise widersprechenden – Vorschriften. In den Bundesländern sind die Vollzugsbehörden aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten personell meist unterbesetzt. Anstatt das Dickicht auf die maßgeblichen Vorschriften herunterzufahren und auch unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebots darauf zu achten, vollziehbare Vorschriften herzustellen, setzt der Antrag der Grünen einen falschen Schwerpunkt durch eine unausgewogene und unkoordinierte Vorschriftenflut. Das bedeutet nicht, dass jeder einzelne Vorschlag an der Sache vorbeigeht: Die Forderung nach einer deutlichen Anhebung der Recylingquoten wird von uns beispielsweise geteilt. Dies gründet darauf, dass zu viele der recyclingfähigen Mischkunststoffe in Sortieranlagen auf direktem Weg in die Verbrennung gehen und der größte Teil der Verwertungsquoten mittlerweile pro-blemlos erfüllbar ist. Wir wollen die Fortentwicklung des rechtlichen Rahmens zu einem Wertstoffgesetz. Das ist für uns keine Frage. Wir haben uns im Koalitionsvertrag dafür eingesetzt, haben gegenüber unserem Koalitionspartner immer wieder darauf gedrängt und in zahlreichen Anträgen die Festlegung auf ein Wertstoffgesetz in der Koalition beschlossen. Wir sehen vor allem die Notwendigkeit, die zweifelsfrei bestehenden Mängel an der Verpackungsverordnung zu beseitigen und die bestehenden Regelungen neu und zeitgemäß zu bündeln. Auch hat eine Wertstofftonne gegenüber der bestehenden Sammelrealität große Vorteile, und wir sehen dadurch auch vor allem die Möglichkeit, dem Bürger einfach und nachvollziehbar ein Sammelsystem zu erklären, das momentan nicht mehr zu verstehen ist. Kunststoff und Metall in die Wertstofftonne, Lebensmittel und Grünzeug in die Biotonne, Papier in die Papiertonne und der Rest in den Restmüll. Mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz haben wir die Basis für dieses Projekt geschaffen. Gerne würden wir es in dieser Legislatur abschließen. Nachdem bereits jetzt aber klar ist, dass wir ohne die Zustimmung des Bundesrats kein Gesetz werden beschließen können, sind wir auf die Kompromissbereitschaft der Opposition angewiesen. Ihr Antrag verdeutlicht, dass Sie diese Kompromissbereitschaft nicht mitbringen. Wenn Sie sich unabhängig von den Zuweisungen an Private oder Kommunen auf eine sachliche Diskussion einlassen würden, würde ich Ihrem Schaufensterantrag noch etwas abgewinnen können. Mit der von Ihnen eingenommenem Hardlinerposition werden wir aber leider nicht zusammenfinden. Sehr geehrte Damen und Herren von den Grünen, gehen Sie noch einmal in sich und überlegen Sie sich gründlich, was die Zielstellung des Wertstoffgesetzes eigentlich sein muss. Wir sind der Überzeugung, dass sich das Zitat einer Anwältin anlässlich eines Fachgesprächs mit Beteiligung aller Fraktionen in diesem Sommer nicht bestätigt. Die Dame, die regelmäßig kommunale Unternehmen zum Kreislaufwirtschaftsgesetz berät, ließ sich zu folgendem Satz hinreißen: „Die meisten kommunalen Unternehmen halten Kunststoffrecycling für Quatsch.“ Gerade den Grünen ist zu empfehlen, sich von dieser kommunalen Minderheit zu distanzieren und offen für parteiübergreifende Vorschläge zu sein, die für alle Beteiligten Wege und Möglichkeiten anhand einer sachgeleiteten Umweltpolitik eröffnen. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Oma Müller sortiert ihren Müll gründlich, da gibt es das Gefäß für alte Batterien, den gelben Sack für Verpackungen, die Tüte für Papier, den Behälter für Essensreste und den für Restmüll. Flaschen werden sortiert nach Farben eingeworfen, und alte Kleidung und Schuhe gehen zur Kleidersammlung, oder wenn die Sachen zu abgenutzt sind, dann werden sie als Putzlappen eingesetzt, um nach dieser Weiterverwendung dann im Müll zu landen. Der neue Fernseher gab schon nach knapp drei Jahren seinen Geist auf und wird vom Handwerker mitgenommen – reparieren wird teurer als ein neues Gerät. Der vorherige Fernseher hatte zehn Jahre gehalten, genau wie die erste Westkaffeemaschine nach der Wende, die zwölf Jahre gute Dienste tat. Wenn sie mit derselben Kaffeemaschine heute mehr als zwei Jahre ihre Käffchen brühen kann, hat Oma Glück. Das ärgert sie, denn es ist schlecht für die Umwelt, und man muss doch sparsam sein. Wenn Oma Müller wüsste, dass ihr mühsam getrennter Müll dann doch verbrannt wird – sie würde es nicht verstehen. Der Antrag unserer grünen Kollegen zeigt die Probleme auf und nennt erstrebenswerte Ziele für eine bessere Abfallwirtschaft. Denen kann niemand widersprechen, aber für die Linke ist das zu wenig. Mit diesem Antrag wird nicht klar, wie verhindert werden soll, dass 70 Prozent des gesammelten Kunststoffes im Ofen landet, zwar nicht in der Müllverbrennungsanlage, aber eben in den Brennkammern im Zementwerk. Die Linke schlägt vor, die Mitverbrennung von Kunststoffen zu verbieten und stattdessen die Entwicklung von Produkten aus recyceltem Kunststoff zu fördern, damit wir echtes Recycling erhalten. Statt allgemeiner Vorgaben für Langlebigkeit und Reparaturfähigkeit schlägt die Linke vor, dass die Garantiezeiten verlängert werden. Fünf Jahre Garantie für den Fernseher und alle Großgeräte, aber auch für Pkw und Möbel, drei Jahre für Elektrokleingeräte und Haushaltswaren, zwei Jahre für Kleidung. Wir meinen Garantie und nicht die Gewährleistung. Bei Gewährleistung steht der Kunde vor dem Problem, dass er Produktionsfehler beweisen muss – dies gelingt selten. Wir verlangen echte Garantie, die den Händler verpflichtet, bei Ausfall seiner Ware Reparatur, Ersatz oder Erstattung des vollen Kaufpreises zu leisten. Warum die Grünen das bürokratische duale System, bei dem von 1 000 Euro Einnahmen 600 Euro in die Verwaltung, die Lizenzierung und als Gewinne an Aktionäre fließen und Betrug die Regel ist, jetzt noch auf weitere Bereiche ausdehnen wollen, erschließt sich mir nicht. Eine bessere Erfassung von Wertstoffen gelingt für die Linke, wenn wir erstens die dualen Systeme abschaffen und zweitens die Lizenzgebühren in eine Verpackungsabgabe umwandeln. Die Verantwortung dafür liegt bei einer zentralen Stelle, diese legt je nach Aufwand für Erfassung, Wiederverwendung, Entsorgung und absoluten Ressourcenverbrauch der Verpackung die Verpackungsabgabe fest. Diese muss jeder Hersteller oder Händler entrichten. Darüber wird dann ein Erfassungs- und Verwertungssystem in Verantwortung der Kommunen finanziert. Drittens sollte ein Pfandsystem für Elektrogeräte eingeführt werden – zum Beispiel 5 Euro Pfand zahle ich beim Erwerb meines neuen Handys, und wenn ich es dann ein paar Jahre später beim kommunalen Wertstoffhof abgebe, bekomme ich die 5 Euro wieder. Eine Ausdehnung der Pfandpflicht auf alle Getränkeverpackungen unterstützt die Linke – nicht nur aus Wiederverwertungsgründen, sondern weil damit auch die Vermüllung der Landschaft reduziert wird. Ob eine Mehrwegverpackung in ihrer ökologischen Gesamtbilanz besser ist , ist nicht immer sicher. Aber mit der von der Linken bereits geforderten Verpackungsabgabe, die ja nach ökologischen Gesichtspunkten festgelegt wird, kann dann über finanzielle Anreize die umweltfreundlichere Verpackung preislich bevorzugt werden. Wenn dies die Mehrwegglasflasche ist, dann haben wir sogar noch etwas gegen die Weichmacher in Lebensmitteln erreicht. Für die Linke ist die Abfallwirtschaft Bestandteil der Verringerung des Ressourcenverbrauches und dient damit dem Umweltschutz. Ein überflüssiges Produkt ist auch bei 100 Prozent Recycling eine unnötige Umweltbelastung; da hilft die Recyclingquote nur, den Umweltschaden einzudämmen, verhindert ihn aber nicht. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, sich für so ehrgeizige Ziele der Verringerung des Rohstoffverbrauchs einzusetzen, dass zusätzliche Quoten im Abfallrecht überflüssig werden. Folgen Sie unseren Vorschlägen, dann hat Oma Müller nicht nur das Gefühl, umweltbewusst zu sein, sondern sie ist es auch, und ganz nebenbei stellen wir sicher, dass auch die Enkel von Oma Müllers Enkeln noch genügend Ressourcen und eine intakte Umwelt haben werden. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Versorgung mit Rohstoffen zählt zu den strategisch wichtigsten Themen für die deutsche Wirtschaft. Die Industrie ist bei fast allen metallischen Rohstoffen von Importen abhängig. Kein Laptop, kein Mobiltelefon und keine Solarzelle kommen ohne Metalle wie Kobalt und Platin oder Seltene Erden aus. Für eine grüne, also eine klimaneutrale und ressourceneffiziente Ökonomie, müssen wir nachhaltiger mit den Ressourcen der Erde umgehen. Wir können es täglich lesen: Der Abbau von Rohstoffen und die Bedingungen des Rohstoffhandels sind für Länder mit Rohstoffreserven oft verheerend. Die Gewinnung der Rohstoffe zerstört Natur und Landschaft, hat gravierende soziale Folgen und ist begleitet von Menschenrechtsverletzungen. Um die Abfallpolitik umweltverträglich zu betreiben, müssen mehr Wertstoffe als bisher zurückgewonnen und verwertet werden. Die Wiederverwertung von Rohstoffen schont primäre Rohstoffquellen, vermeidet Transporte über weite Strecken, verhindert die Zerstörung von Ökosystemen durch den Abbau und spart CO2 ein. -Dieses Potenzial müssen wir entwickeln. Mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz hat die Bundes-regierung den Ressourcenschutz und die Wiederverwertung von Ressourcen nicht vorangebracht. Deutschland kann seine Importabhängigkeit und seine Abhängigkeit vom Weltmarkt nur beschränken, wenn knappe Rohstoffe effizient verwendet werden, sie wiederverwendet und zum Teil durch andere Stoffe ersetzt werden. Klar ist: Wir müssen mehr Wertstoffe sammeln und sie wiederverwerten, statt sie in Abfalltonnen oder Schubladen und Schränken verrotten zu lassen. Will man echte Kreislaufwirtschaft, muss man die Rahmenbedingungen verändern. Die Recyclingwirtschaft braucht bessere Bedingungen und mehr Material, um mehr wiederzuverwerten und einen größeren Beitrag zum Schutz von Umwelt und Ressourcen zu leisten. Es kann nicht angehen, dass manche Kunststoffe nicht recycelt -werden, weil die Entsorgung über die Müllverbrennung billiger ist. Das ist eine wahre Verschwendung. Der Bundesumweltminister hat noch im Sommer in seinem Zehn-Punkte-Programm angekündigt, im zweiten Halbjahr 2012 einen Gesetzentwurf vorzulegen. -Dieser sollte die Wertstoffsammlung verbessern. Von -einem Gesetzentwurf ist weit und breit aber nichts zu -sehen. Bisher gibt es nur große Ankündigungen, Lösungen werden nicht präsentiert. Der Grünen-Antrag „Wertstoffsammlung verbes-sern – Mehr Ressourcen aus Abfällen zurückgewinnen“ formuliert die Ansätze, um die Abfallpolitik hin zu mehr Ressourcenschutz weiterzuentwickeln. Wir brauchen klare Vorgaben und Regeln für die gesamte Abfallwirtschaft. Ein Aspekt sind größere Anstrengungen bei der Abfallvermeidung. Müll, der nicht entsteht, schont Umwelt und Klima. Eine eigene Studie des Bundesumweltministeriums hat die Klimaschutzpotenziale in der Abfallwirtschaft beindruckend belegt. Der Bundesumweltminister bleibt untätig – eine echte Fehlleistung. Wir Grüne fordern die flächendeckende Einführung einer Wertstofferfassung. Notwendig sind bundesweit einheitliche Regeln, wie Wertstoffe im Hausmüll sortiert und gesammelt werden. Das bunte Nebeneinander -unterschiedlicher Sammelsysteme ist verwirrend für Verbraucherinnen und Verbraucher. Das führt nicht zum Erfolg. Wir brauchen hohe und strikte Recyclingquoten, orientiert an der jeweils besten vorangegangenen Verwertungsleistung. Können Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, uns erklären, warum die Sammel- und Verwertungsziele nur für den Hausmüll gelten sollen, aber nicht für den Gewerbe-abfall? Ich komme jetzt zu einem besonderen Aspekt, zur -Verpackungsverordnung und den Getränkeverpackungen. Ein Mehrweganteil von 80 Prozent ist das festgeschriebene Ziel der Regierung. Dieses wird seit Jahren verfehlt. Letzte Woche wurde dem Bundeskabinett mitgeteilt, dass der Anteil von Mehrwegflaschen inzwischen auf 50 Prozent gefallen ist – Tendenz weiter sinkend. Der Fehlentwicklung muss gegengesteuert werden. Wir brauchen größere Anstrengungen als bisher, um die Mehrwegquote wieder zu steigern. Ein Nebeneinander von Einweg, Mehrweg, umweltschädlichen Dosen und Ausnahmen für Fruchtsäfte machen das jetzige System intransparent und anfällig für Betrug. Wer kann noch verstehen, was ökologisch vorteilhaft ist und wie man einkaufen soll? Hier werden deutlich klarere Regeln -benötigt, zum Beispiel eine Kennzeichnungspflicht. Und für Ressourcenschutz besonders wichtig: Elek-tronikschrott. In Europa werden lediglich 40 Prozent des Elektronikschrotts recycelt, der Rest landet im Müll oder wird – häufig illegal – in die Länder des Südens -verschifft. Obwohl die europäischen Länder zu den -weltgrößten Konsumenten Seltener Erden zählen, funktioniert das Recycling von Seltenen Erden bisher kaum. Unser Augenmerk liegt auf den Sammelsystemen. Wenn mehr Elektronikschrott gesammelt wird, kann auch -effektives Recycling ermöglicht werden. Nehmen Sie unsere Vorschläge zur Kenntnis und -arbeiten Sie damit. Wenn wir alle uns dafür einsetzen, können wir noch in diesem Jahr ein Wertstoffgesetz -beschließen. Das wird der Umwelt nützen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11161 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann haben wir das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und anderer Gesetze – Drucksache 17/10961 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/11164 – Berichterstattung: Abgeordnete Andrea Wicklein Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, sind die -Reden zu Protokoll genommen. Lena Strothmann (CDU/CSU): Seit im Dezember 2010 die Evaluierung der Spielverordnung vorgelegt wurde, hat sich der Deutsche Bundestag immer wieder damit befasst. In der Spielverordnung sind die Aufstellung und Zulassung der Geldspielgeräte geregelt. Diese findet man in Gaststätten, in Spielhallen, an Flughäfen oder auch in Spielcasinos. Da das Automatenspiel leider das höchste Suchtpotenzial bietet, steht der Jugend- und Spielerschutz im Vordergrund der gesetzlichen Regelungen wie der Spielverordnung. Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Federführung bei der Spielverordnung. Im Jahr 2006 wurde sie letztmalig novelliert und zur Überprüfung dieser Schutzziele wurde 2010 vom Bundeswirtschaftsministerium eine Studie in Auftrag gegeben. Deren Ergebnisse zeigen, dass trotz der relativ engen Vorschriften und Zulassungsauflagen die illegalen und unübersichtlichen Spielabläufe bei Geldspielautomaten nicht verhindert werden konnten. Hinzu kommt, dass dies zu hohen Ausgaben der Spieler führt, was in extremen Einzelfällen sogar in vollständiger Verschuldung endete. Diese Fehlentwicklungen stehen eindeutig fest. In den Bereichen Jugendschutz, Spielerschutz und Spielsucht muss also gegengesteuert werden. Hier ist nicht nur der Verordnungsgeber BMWi gefordert, sondern auch der Gesetzgeber. Der Handlungsbedarf aufgrund der Evaluierung der Spielverordnung wird noch verstärkt durch die europäische Rechtsetzung und Rechtsprechung. Der Europäische Gerichtshof hat beispielsweise entschieden, dass ein Glücksspielmonopol des Staates nur dann zulässig ist, wenn die Spielsucht entsprechend bekämpft wird. Der wesentliche Punkt für die Legitimität eines staat-lichen Wettmonopols war in der europäischen Rechtsprechung also stets der Gesichtspunkt der Kohärenz der Maßnahmen zur Bekämpfung der Spielsucht. In Deutschland besteht nach wie vor ein Monopol des Staates. Das heißt, unsere in Deutschland getroffenen Maßnahmen gegen Spielsucht müssen schlüssig sein im Verhältnis zum Monopol. Aber auch die Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Schutzmaßnahmen wird von der EU kontrolliert. Es wird in erster Linie abgeglichen, ob die Dienstleistungsfreiheit, die gemäß der Dienstleistungsrichtlinie vereinbart ist, berührt oder gar eingeschränkt ist. Aktuell hat die EU bereits ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der Verletzung der Dienstleistungsfreiheit eingeleitet. Begründet wird das mit Benachteiligungen für bestimmte Einrichtungen. Auch hier besteht also Handlungsbedarf. Im Zusammenhang mit der Neuregelung des Glücksspielstaatsvertrages, den daraus resultierenden Regelungen zu Sportwetten in Deutschland und auch den Spielhallengesetzen wurden die europäischen Grundsätze bezüglich der Kohärenz noch einmal deutlich. Problematisch sind bei uns die verschiedenen Zuständigkeiten zwischen den Bundesländern und dem Bund. Eine gemeinsame Linie ist dennoch erkennbar, da der Jugend- und Spielerschutz gemeinsames und übergreifendes Ziel ist. Erste Erfolge der Spielhallengesetze, die von den Ländern verabschiedet werden, sind bereits messbar. Das betrifft vor allem die Dichte und Anzahl der Spielhallen. Auch bei den öffentlichen Anhörungen zu den Themen Sportwetten und Spielsucht wurde deutlich, dass alle Beteiligten einen Handlungsbedarf sehen. Das sind also nicht nur die Forschung und die Suchtberatung, sondern auch die Automatenwirtschaft, welche durchaus gesprächsbereit ist. Die Zuständigkeit des Bundes erstreckt sich auf das gewerbliche Automatenspiel, und hier kommen wir den Ergebnissen der Evaluierung nach. Um in der Spielverordnung geeignete Maßnahmen umzusetzen, sind zuvor im Gewerberecht einige Änderungen und Ermächtigungsregelungen notwendig. Folgende inhaltlich schwerwiegende Punkte stehen im Mittelpunkt der Änderung der Gewerbeordnung. Der Aufsteller von Spielgeräten muss eine grundsätzliche Zuverlässigkeit vorweisen. Diese orientiert sich an einer eventuellen kriminellen Vergangenheit, an direkten Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz und auch an Geldwäsche, die wir auf Wunsch des Bundesrates als Kriterium der Zuverlässigkeit einfügen. Die antragstellenden Gewerbetreibenden müssen auch einen Unterrichtsnachweis von der IHK erbringen. Darin wird belegt, dass der Aufsteller und – das ist uns sehr wichtig – auch das angestellte Personal die Rechtsvorschriften zum Spieler- und Jugendschutz kennen. Der Aufsteller muss außerdem über ein Sozialkonzept einer öffentlich anerkannten Institution der Suchthilfe verfügen. Damit soll gewährleist werden, dass das Personal hinreichend geschult ist, um gefährdete Spieler und Spielweisen zu erkennen und darauf angemessen -reagieren zu können. Es müssen Hinweise für Beratungs-angebote für Spieler vorhanden sein, mit deren Hilfe sie ihre Gefährdung einschätzen können, um dann letztlich Angebote der Suchtberatung in Anspruch zu nehmen. Um den Beteiligten, zum Beispiel den Industrie- und Handelskammern, genügend Zeit für die Umsetzung des Angebotes zu geben, tritt dieser Teil des Gesetzes erst etwas später in Kraft. Außerdem wird eine Ermächtigungsgrundlage für die Einführung einer Spielerkarte in der Spielverordnung geschaffen. Diese Spielerkarte ist vorerst personenungebunden, das heißt automatengebunden. Der Spieler muss beim Betreten der Spielhalle eine solche Karte beim Aufsichtspersonal erbitten und nachher zurückgeben. Maximal eine Karte wird ausgegeben, um das Bespielen mehrerer Automaten zu verhindern. Es ist kein maximaler Spieleinsatz per Karte vorgesehen. Die Einführung einer personengebundenen Karte, wie sie der Bundesrat vorschlägt, wäre sicherlich zu bevorzugen. Das ist auch unser Ziel, für das erst jedoch noch etliche datenschutzrechtliche und technische Fragen geklärt werden müssen. Ein Schnellschuss bringt uns hier nicht weiter. Daher ist die personenungebundene Karte derzeit die beste Lösung. Eine personen-gebundene Spielerkarte werden wir aber nicht aus den Augen verlieren. Wichtig ist, dass bei allen Regelungen und Verpflichtungen zur Sachkunde auch das Personal eingebunden ist. Das gilt auch für die Bußgeldandrohung bei Verstößen. Ein Punkt betrifft insbesondere die Internetcafés. Bislang müssen Einrichtungen, die nur Unterhaltungsspielgeräte ohne Gewinnmöglichkeit anbieten, die gleichen Antragsvoraussetzungen wie Spielhallen erfüllen. Die EU-Kommission hat das kritisiert und ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Da der Jugendschutz hier auch durch Filterprogramme und Alterskontrollen gewährleistet werden kann, sind die strengen Auflagen unverhältnismäßig. Daher wird bei diesem Gewerbe, eben vor allem Internetcafés, die Erlaubnispflicht gestrichen. Alles in allem sind das Elemente eines ausgewogenen Konzeptes. Sicherlich werden die Wirkungen der Maßnahmen zu beobachten sein. Außerdem werden in der Spielverordnung selbst noch weitere Verschärfungen festgelegt. Ob zukünftig beispielsweise stringenter gegen das Punktespiel vorgegangen werden muss, wird sich zeigen. Wir wollen eine ausgewogene Mischung zwischen dem Wunsch der erwachsenen Bevölkerung nach Unterhaltung, einer florierenden Wirtschaft und den Maßnahmen zur Bekämpfung der Spielsucht. Andrea Wicklein (SPD): In seinem Bericht zur Evaluierung der Novelle der Spielverordnung vom 6. Dezember 2010 hat das Bundeswirtschaftministerium eindeutig Handlungsbedarf bei der Verbesserung des Spieler- und insbesondere des Jugendschutzes festgestellt. Die zentrale Ursache für diese Expansion des gewerblichen Automatenspiels ist die Lockerung der Spielverordnung im Jahre 2006. Daher ist auch die derzeitig diskutierte Novellierung der Spielverordnung dringend notwendig. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung der Gewerbeordnung schafft den rechtlichen Rahmen dafür. Fakt ist: Zwischen den Jahren 2006 und 2012 ist die Zahl der Geldgewinnspielgeräte in Spielhallen dramatisch gestiegen: Die Anstiege reichen von 35 Prozent wie beispielsweise in Thüringen bis hin zu 150 Prozent wie in Berlin. Fakt ist: In Deutschland gibt es rund 500 000 pathologische Glücksspieler. Hinzu kommen rund 800 000 sogenannte problematische Spieler. Das macht 1,3 Millionen Menschen in Deutschland, für die das Spielen an Geldspielgeräten die Merkmale einer Sucht erfüllt. Fakt ist ebenfalls, dass laut einer Studie der Universität Bielefeld 78 Prozent der Befragten unter 18-jährigen Geldautomatenspieler den Jugendschutz umgehen und somit unbehelligt spielen konnten. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt daher ausdrücklich, dass die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf zur Änderung der Gewerbeordnung von Automatenaufstellern und dem damit befassten Personal die Vorlage eines Sozialkonzepts sowie eines Unterrichtungsnachweises fordert. Somit soll gewährleistet werden, dass dieser Personenkreis über die erforderliche Sachkunde verfügt. Es ist wichtig, der Suchtgefahr bei Spielerinnen und Spielern aktiv zu begegnen und auch präventiv entgegenzuwirken. Daher ist es nur logisch, dass der Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums neben den Punkten „Sachkunde der Aufsteller“ und „Sozialkonzept“ ausdrücklich die Vorteile einer sogenannten Spielerkarte betont. Eine Spielerkarte ist ein Identifikationsmittel, das a) die Volljährigkeit des Spielers belegt und b) durch seine Vorlage überhaupt erst den Spielbeginn am Gerät möglich machen soll. Nun hat die Bundesregierung diesen Vorschlag aufgegriffen und in dem Gesetzentwurf die Grundlage für die Einführung einer personenungebundenen Spielerkarte formuliert. So weit, so gut. Doch die Bundesregierung schränkt durch die Formulierung der personenungebundenen Spielerkarte die angestrebte Schutzfunktion maßgeblich ein. „Personenungebunden“ bedeutet in der Praxis nichts anderes, als dass nicht nachprüfbar ist, ob derjenige, der die Karte vorlegt, auch wirklich derjenige ist, auf den sie zugelassen wurde. Anders ausgedrückt: Es ist nicht belegbar, dass der Spieler, der die Karte vorlegt, volljährig ist. Hinzu kommt, dass mit einer personenungebundenen Spielerkarte mehrere Geldgewinnspielgeräte gleichzeitig bespielt werden können. Damit werden die Handlungsempfehlungen des Berichtes „Jugend- und Spielerschutz“ schlichtweg konterkariert. Der Bundesrat hat genau das in seiner Stellungnahme kritisiert und als – wie ich finde – vernünftige -Lösung vorgeschlagen, hinter dem Wort „personenungebundene“ einfach den Zusatz „oder personengebundene“ einzufügen. Das hätte zudem den Vorteil, dass eine spätere Überarbeitung der Gewerbeordnung unnötig wäre. Das wäre einmal eine effektive Vermeidung von unnötiger Bürokratie. Doch was tut die Bundesregierung? Sie lehnt diese Ergänzung ab. Dies überrascht umso mehr, als die Bundesregierung sich ausdrücklich in ihrer Begründung zum Gesetz zur Einführung einer personengebundenen Spielerkarte als mittelfristiges Projekt bekennt. Selbstverständlich müssen die datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen geprüft und entwickelt werden. Dies braucht Zeit und Sorgfalt. Da stimmen wir der Bundesregierung zu; aber dennoch sollte und könnte man den Zusatz der personengebundenen Spielerkarte schon jetzt als zukünftige Alternative mit in den Gesetzentwurf aufnehmen. Also meine konkrete Frage an Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition: Warum nehmen Sie die Formulierung nicht als Alternative in den Gesetzentwurf auf? Da, wo sie aktiv Jugend- und Spielerschutz betreiben könnten, zieren Sie sich plötzlich. Warum? Meine Fraktion hat bereits im letzten Jahr in unserem Antrag „Glücksspielsucht bekämpfen“ klar gefordert, eine personengebundene Spielerkarte einzuführen. Meine Damen und Herren von der Koalition, um es klar zu sagen, Sie bleiben weit hinter Ihren Möglichkeiten zurück und verkennen den akuten Handlungsbedarf. Und trotz einiger guter Ansätze im Gesetzentwurf wird sich daher die SPD-Bundestagsfraktion enthalten und ihm nicht zustimmen. Claudia Bögel (FDP): „Game over – Beim Glücksspiel haben Sie Automatisch Verloren!“ – diesen treffenden Titel trug eine Informationskampagne der Hamburgischen Landesstelle für Suchtfragen e. V., die über die Risiken und Folgen von Glücksspielen aufklärte. Tatsächlich verursacht ein problematisches Spielverhalten oder Glücksspielsucht ein großes persönliches Leid natürlich für die Betroffenen selbst, aber auch für ihr Umfeld. Dem müssen wir durch effektiven Jugend- und Spielerschutz entgegenwirken. Nach einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung weist insgesamt 1 Prozent der deutschen Bevölkerung – bundesweit also schätzungsweise 540 000 Betroffene – im Alter von 16 bis 65 Jahren ein problematisches oder sogar pathologisches Glücksspielverhalten auf. Sehr kritisch entwickelt sich das Spielen an Geldspielautomaten: 13 Prozent der 18- bis 20-Jährigen haben im letzten Jahr ihr Glück an Geldspielautomaten versucht. Besonders besorgniserregend ist, dass das Spielen an Geldspielgeräten auch in der Altersgruppe der 16- und 17-Jährigen, die nach dem Jugendschutzgesetz überhaupt keinen Zugang zu Glücksspielangeboten haben dürften, zunimmt. Auch der Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zur Evaluierung der Novelle der Spielverordnung vom 6. Dezember 2012 hat gezeigt, dass es Handlungsbedarf hinsichtlich der Verbesserung des Jugend- und Spielerschutzes gibt. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, besonders bei Glücksspielen mit vergleichsweise einfachem Zugang und großem Suchtpotenzial gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, die einen ausreichenden Jugend- und Spielerschutz gewährleisten und zur Verhinderung von Glücksspielsucht beizutragen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist meines Erachtens ein richtiger Schritt hin zu einem effektiven Jugend- und Spielerschutz im Hinblick auf Spielgeräte mit Gewinnmöglichkeit, sprich Glücksspielautomaten. Kernpunkt des Entwurfs ist die Einführung einer sogenannten Spielerkarte, die zukünftig vom Aufsichtspersonal der Spielhalle bzw. dem Gastwirt ausgehändigt wird. Mit ihr kann sich der Spieler an den Glücksspielautomaten in Spielhallen oder Gaststätten autorisieren und sie freischalten. Dies ermöglicht zum einen eine Alterskontrolle und verhindert somit, dass Minderjährige, die noch nicht an den Geräten spielen dürfen, keinen Zugang zu den Glücksspielautomaten erhalten. Zum anderen erschwert die Ausgabe der Spielerkarte das gleichzeitige Spielen an mehreren Geräten. Die Spielerkarte bietet einen erheblich besseren Jugend- und Spielerschutz. Ob dieser letztlich ausreichend ist, wird sich nach der Evaluation der vorliegenden Änderung zeigen. Vor diesem Hintergrund ist der vorliegende Gesetzentwurf möglicherweise nur eine „Zwischenetappe“ auf dem Weg zu einer noch effektiveren Prävention von Glücksspielsucht und vor allem einem noch umfassenderen Jugend- und Spielerschutz. Sollten die Evaluationsergebnisse später zeigen, dass die personenungebundene Spielerkarte keinen ausreichenden Jugend- und Spielerschutz gewährleistet, sind wir durchaus bereit, über die Einführung eines personengebundenen Identifikationsmittels zu reden. Dies ist jedoch ein mittelfristiges Projekt, zumal dazu zunächst noch einige technische und datenschutzrechtliche Fragen geklärt werden müssen. Wir werden uns aber dafür einsetzen, dass dies bei Bedarf schnellstmöglich geschieht. Zunächst aber schafft der vorliegende Gesetzentwurf eine Ermächtigungsgrundlage für die Regelung eines datenschutzrechtlich unproblematischen, nicht personengebundenen Identifikationsmittels in der Spielverordnung. Dadurch wird bereits jetzt ein weitergehender Jugend- und Spielerschutz ermöglicht, der den zuvor beschriebenen Entwicklungen der Zahlen zum Glücksspielverhalten in Deutschland entgegenwirkt. Angesichts der Tatsache, dass das Glücksspielverhalten besonders unter Jugendlichen zunehmend problematischer wird, war es uns sehr wichtig, möglichst schnell zu reagieren und eine vernünftige und effektive Lösung im Rahmen unserer gegenwärtigen technischen und datenschutzrechtlichen Möglichkeiten zu schaffen. Die Praxis wird zeigen, ob die ergriffenen Maßnahmen wie gewünscht greifen oder nur eine Übergangslösung sind, auf die möglicherweise eine personengebundene Spielerkarte folgt. Aber nicht nur die Einführung der Spielerkarte ist eine gute und wichtige Maßnahme, um Jugendliche, aber auch Erwachsene vor den negativen Folgen des Glücksspiels zu schützen. Lassen Sie mich an dieser Stelle auf zwei weitere Maßnahmen zum Jugend- und Spielerschutz hinweisen, die im Rahmen der Änderung der Gewerbeordnung ergriffen werden: Die Bedeutung der Sachkunde der Aufsteller über Jugend- und Spielerschutz für die Prävention von Spielsucht und ihre negativen Folgen ist entscheidend. Diesen Aspekt greift der vorliegende Gesetzentwurf dadurch auf, dass er als weitere Schutzmaßnahme für Jugend-liche und – potenziell – Spielsüchtige vorsieht, dass Spielhallenbetreiber und Gastwirte zukünftig Kenntnisse des Jugend- und Spielerschutzes nachweisen müssen, um überhaupt Spielgeräte aufstellen zu dürfen. Sollten sie gegen diese Vorgabe verstoßen, werden zukünftig signifikant höhere Strafzahlungen fällig. Das Ziel dieser Maßnahme ist, die Risiken in Bezug auf den Jugend- und Spielerschutz, die aus der mangelnden Sachkenntnis der Aufsteller resultieren, zu reduzieren. Darüber hinaus müssen die Unternehmen, die Glücksspielautomaten aufstellen, zukünftig ein Sozialkonzept vorhalten, in dem sie darlegen, wie sie den negativen Folgen des Glücksspiels an Gewinnspielgeräten vor-beugen bzw. diese beheben wollen, beispielsweise durch Hinweise auf Beratungsangebote für – potenziell – Glücksspielsüchtige oder die Schulung ihres Personals. Uns ist sehr wichtig, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort dezidiert in das Sozialkonzept einbezogen werden und somit in Sucht- und Präventions-fragen geschult sind; denn so entsteht die Möglichkeit, gefährdete Spieler noch frühzeitiger zu erkennen und entsprechend zu reagieren. In der Aufstellerbranche werden Sozialkonzepte gegenwärtig bereits auf freiwilliger Basis eingesetzt – das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich lobend erwähnen –; aber eine flächendeckende und somit effektive Verbreitung der Sozialkonzepte kann letztlich nur durch eine gesetzliche Vorgabe erreicht werden. Es freut mich sehr, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf alle Beteiligten zufriedenstellen konnten: Sowohl die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, als auch die Automatenherstellerbranche können sich mit der personenungebundenen Spielerkarte anfreunden. Auch ich bin angesichts der aufgezeigten Maßnahmen davon überzeugt, dass der vorliegende Gesetzentwurf bereits jetzt eine Grundlage für einen besseren Jugend- und Spielerschutz mit Blick auf das Glücksspiel an Gewinnspielautomaten gewährleistet. Über weitergehende Maßnahmen diskutieren wir selbstverständlich gerne, sobald wir die Ergebnisse der Klärung der noch offenen datenschutzrechtlichen, technischen sowie infrastrukturellen Fragen hinsichtlich einer personengebundenen Spielerkarte haben. Nichtsdestotrotz möchte ich an dieser Stelle noch einmal deutlich machen, dass die Politik sicherlich in der Verantwortung ist, mit gesetzlichen Regelungen für einen ausreichenden Jugend- und Spielerschutz zu sorgen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass es – wie bei jedem Spiel mit Suchtgefahr – auch beim Glücksspiel an Gewinnspielautomaten auf das richtige Maß und die Eigenverantwortung des Spielers ankommt, und somit die gesetzlichen Regelungen gar nicht mehr zum Tragen kommen müssen. Johanna Voß (DIE LINKE): Die Bundesregierung lässt sich mal wieder die Gesetze von der Wirtschaft diktieren – in diesem Fall von der Automatenwirtschaft. Anstatt die Menschen vor Spielsucht zu schützen, schützt die Bundesregierung lieber die Gewinne der Automatenwirtschaft und tut ein bisschen so, als würde sie sich auch um das Wohl der Menschen sorgen. Die von ihr hier eingebrachten Änderungen werden nichts an der Situation oder der Zahl der Spielsüchtigen ändern. Die Einführung einer sogenannten Spielerkarte ist absolut ineffektiv. Spielsüchtige -werden durch die Karte nicht vom exzessiven Spielen abgehalten, Jugendliche können die Kontrolle leicht umgehen. Dabei ist eine Ursache für das rapide Wachstum der Spielsucht, besonders bei Jugendlichen, die Entwicklung von Unterhaltungsspielautomaten zu reinen Glücksspielautomaten, die aus der 2006 beschlossenen Novellierung der Spielverordnung resultierte. Seitdem ist die Zahl der süchtigen Spieler, die sich an Suchtberatungsstellen wendeten, um 160 Prozent gestiegen. Demgegenüber hat sich der Bruttospielertrag der Automatenbetreiber in derselben Zeit fast verdoppelt. Zurzeit kämen etwa 56 Prozent der Einnahmen von Spielautomaten von Spielsüchtigen, und 40 Prozent der Leute, die spielten, seien süchtig, so Experten. Eine viel wirkungsvollere Maßnahme gegen die Spielsucht wäre zum Beispiel die vorherige Identifizierung durch den Fingerabdruck. Aber die Automatenwirtschaft hat kein Interesse daran, die Zahl der Spielsüchtigen zu verringern. Kein Wunder, wenn sie die Hälfte ihrer Einnahmen mit dieser Gruppe erzielt. Und die Bundesregierung spielt das Spiel mit. Die Probleme der Spielsucht lassen sich auf individueller Ebene – also bei den Aufstellern der Geräte, den Betreibern von Spielhallen und deren Personal – nicht lösen. Die hier über die Gewerbeordnung gestellten fachlichen Qualifikationen und Nachweise sind zwar richtig, reichen aber nicht aus. Neben der verpflichtenden Identifikation müssen die Geldspielautomaten auf 60 Sekunden pro Spiel entschleunigt werden. Der maximale Verlust pro Stunde muss gesenkt und die Höchstzahl von Automaten in gastronomischen Einrichtungen begrenzt werden. Besonders die Entschleunigung ist neben der Reduzierung der Verfügbarkeit entscheidend für die Suchtbekämpfung und -prävention und Spielerkarten oder anderen Veränderungen am Gerät vorzuziehen. Von der FDP können wir aufgrund der offensichtlich guten Beziehungen zu der Automatenlobby sowieso keine Änderungen zum Schutz vor den Suchtgefahren durch das Automatenspiel erwarten. So berichtete die ARD am 10. September 2012, dass an FDP-Tochterunternehmen vom Glücksspielautomatenhersteller Gauselmann 2,5 Millionen Euro geflossen und diese teilweise an die Partei weitergeleitet worden sind. Leider bekleckert sich die Bundesregierung auch bei den Änderungen für die Vermittlung von Finanzanlagen, die hier ebenfalls mit verhandelt wird, nicht mit Ruhm. Das ist zugegebenermaßen schwierig, denn das Gesetz zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts krankt an den falschen Voraussetzungen. Es lässt weiterhin alle Formen der Geldanlage zu, die nicht ausdrücklich verboten sind. Ein neu geschaffenes Produkt fällt so automatisch nicht unter das Gesetz. Damit ist kein Verbraucherschutz möglich! Dabei gibt es gute Vorschläge! Die Linke fordert seit langem einen Finanz-TÜV. Nur das Produkt, das den Finanz-TÜV besteht, darf in den Verkehr gebracht werden. Parallel dazu muss die Abhängigkeit von Provisionen verschwinden – und damit auch der Druck, möglichst viele Produkte mit hohen Provisionen zu verkaufen. Nur so kann sich der Verbraucher sicher sein, dass die Produkte, die er kaufen kann, auch tatsächlich in seinem Interesse sind. Die Bundesregierung verpasst mit diesem Gesetz also wieder einmal zahlreiche Chancen, Fehler aus der Vergangenheit gutzumachen. Nicht, weil sie es nicht besser wüsste. Sondern weil ihr Wirtschaft und Profite viel näher stehen als Menschen. Das wird auch in diesem Gesetzentwurf überdeutlich. Greifen Sie unsere Vorschläge auf! Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Immer mehr Menschen in Deutschland sind spielsüchtig. Fast 300 000 Menschen leiden daran. Nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten, der ICD-10, spricht man von einer Sucht bei häufigem und wiederholtem Glücksspiel, das das Leben von diesen Menschen vollkommen beherrscht. Langfristig kann Spielsucht zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und familiären Werte und Verpflichtungen führen. Dazu auch noch ein anderer Aspekt: Viele Gemeinden und Städte beklagen bereits seit längerem die zunehmende Ausbreitung von Spielhallen. Dies führt in bestimmten Stadtteilen – nicht zuletzt aufgrund negativer Begleiterscheinungen – zu einem „Trading-down“-Effekt. Die Viertel werden unattraktiv für Mieter und andere Geschäftsbetriebe und führen so zu einer negativen Entwicklung des Stadtteils insgesamt. Genug Grund also, endlich tätig zu werden und einzugreifen. Die Bundesregierung hat dem nichts Vernünftiges zu entgegnen. Das zeigt ja schon deren Ansatz bei der Spielverordnung: Viele Regelungen des Entwurfs sind aus meiner Sicht nichts als heiße Luft. Die wirklichen Probleme im Bereich der Spielautomaten werden nicht im Geringsten angegangen. Der Entwurf enthält keine wirksame Entschärfung der Geräte und keine Verminderung ihrer Suchtgefährdung. Stattdessen verhindert die Bundesregierung zukünftig, dass die Länder Vor-Ort-Kontrollen durchführen können. Das heißt de facto: Eine wichtige Möglichkeit, Spielhallen und Geldspielgeräte zu kontrollieren, entfällt. Der vorliegende Entwurf für die Gewerbeordnung soll nun ins selbe Horn stoßen: Bei dem Gesetzentwurf der Bundesregierung geht es unter anderem um den Bereich Spielhallen und Geldspielgeräte. Geldspielgeräte bringen unumstritten die meisten Spielsüchtigen hervor. Wichtigste Neuerung soll eine Karte sein, mit der sich Spieler an den Geräten anmelden sollen, die sogenannte Spielerkarte. Dem Automatenspieler wird vom Wirt oder den Mitarbeitern der Spielhalle eine Karte übergeben, mit der er sich an den Spielgeräten anmelden kann. Dadurch soll verhindert werden, dass Spielerinnen und Spieler an mehreren Geräten gleichzeitig zocken. Außerdem sollen dadurch Kinder und Jugendliche von den bunten Automaten ferngehalten werden. Soweit die Theorie. Die schwarz-gelbe Spielerkarte wird diese Ziele nämlich definitiv verfehlen. Das Bundeswirtschaftsministerium plant die Einführung einer Spielerkarte, die personenungebunden ist. Das Ministerium befindet sich damit übrigens in wohliger Einigkeit mit der Automatenindustrie. Lobbypolitik vom Feinsten! Fakt ist nämlich: Die personenungebundene Spielerkarte ist aus suchtpolitischer Sicht komplett nutzlos. Wenn die Karte nicht auf eine Person beschränkt ist, kann sie ja einfach weitergereicht werden – an Spielsüchtige, an Kinder oder Jugendliche, an wen auch immer. Genauso ist die finanzielle Begrenzung und die zeit-liche Pause der Spielerkarte viel zu leicht zu umgehen: Wenn die Karte nicht personengebunden ist, kann ein Spieler doch einfach einen anderen Namen angeben. Selbst wenn ein Kasino oder eine Spielhalle von sich aus den Zutritt verwehrt: Es ist doch ein Kinderspiel für die Spieler, sich einfach in der nächsten Halle die nächste Karte zu holen. Ich wiederhole noch einmal: Es handelt sich um Süchtige – Menschen, die um jeden Preis ihr Verlangen nach dem Spiel bedienen wollen. Eine personen-ungebundene Karte ist für die Betroffenen doch der reinste Witz. Man kann kaum glauben, dass die Bundesregierung dermaßen kurz gedacht hat. Selbst in den eigenen Reihen hält man den Vorschlag der Bundesregierung für zu kurz gegriffen. Bundesdrogenbeauftragte Mechthild Dyckmans, FDP, hält die Gesetzesvorlage lediglich für eine „Übergangslösung“. Ganz einig scheint man sich tatsächlich auch innerhalb des Kabinetts gar nicht zu sein. Das Bundesministerium für Gesundheit favorisiert nämlich die Einführung einer personengebundenen Karte. So wären Jugendschutz und Spielerschutz tatsächlich schon eher gewährleistet. Andere Länder haben bereits Erfahrungen mit einer solchen Karte gesammelt, sodass eine Einführung nach Abklärung der datenschutzrechtlichen und technischen Fragen generell durchaus möglich wäre. Ich sage es mit den Worten meines geschätzten Kollegen Harald Terpe, der es besser nicht hätte auf den Punkt bringen können: Eine personenungebundene Karte ist nichts als ein Geschenk an die Industrie. Mit Suchtbekämpfung und -prävention hat das rein gar nichts zu tun. Ich schließe mich dem Fachverband Glücksspielsucht an: Wir brauchen eine gut überdachte und vor allem wirksame Lösung mit einer personalisierten Karte. Außerdem muss die Systematik der Geräte entschärft werden, sodass Verluste begrenzt -werden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11164, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10961 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und Grünen bei Enthaltung der SPD angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Wolfgang Gunkel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht – Drucksache 17/9187 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Reden sind, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, zu Protokoll genommen. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beruht das im Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Asyl nach Art. 16 a GG auf dem Zufluchtgedanken und setzt daher grundsätzlich einen Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus. Der Betroffene muss mithin in eine erfolglose Lage gebracht werden, die grundsätzlich alle Lebensbereiche betreffen kann. Eine Verfolgung liegt allerdings erst dann vor, wenn die Beeinträchtigungen eine die Menschenwürde verletzende Intensität erreichen, es sei denn, es werden gezielt Leben, Leib oder persönliche Freiheit verletzt. Zudem begründen Nachteile, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Heimatstaat zu erleiden hat, wie Hunger, Naturkatastrophen, aber auch bei den allgemeinen Auswirkungen von Unruhen und Kriegen, keine Verfolgung. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung festgestellt. Mir ist wichtig, dies gleich zu Beginn meiner Rede noch einmal deutlich hervorzuheben, da wir seit Ende Juli 2012 einen stark erhöhten Zugang von Asylbewerbern, Kinder und Erwachsene, aus den Herkunftsländern Serbien und Mazedonien erleben. Allein im September sind beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 6 691 Asylerstanträge gestellt worden, 1 395 von serbischen Staatsangehörigen und 1 040 von mazedonischen Staatsangehörigen. Dieser Trend setzt sich im laufenden Monat fort. Bei den Antragstellern handelt es sich nach den -Erkenntnissen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu 90 Prozent um Personen mit der Volksgruppenzugehörigkeit der Roma. Sie begründen ihre Asylanträge überwiegend mit wirtschaftlichen Gründen. Folglich werden ihre Anträge zu 99 Prozent abgelehnt. Gleichzeitig haben uns in den letzten Wochen Berichte über überfüllte Aufnahmelager in mehreren Ländern erreicht. Aufgrund des starken Zustroms aus Serbien und Mazedonien sind die bisher zur Verfügung stehenden Kapazitäten bereits vielerorts außerordentlich stark angespannt. Ich wundere mich daher, dass die SPD-Fraktion sich nicht dieses drängenden Problems annimmt und stattdessen mit ihrem Gesetzentwurf sogar noch für eine weitergehende Öffnung des deutschen Asylrechts eintritt. Dies ist schlicht Realitätsverweigerung. Ich begrüße daher ausdrücklich die Initiative des Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich MdB, nach angemessenen Lösungen für eine Begrenzung des starken Zustroms von Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien zu sorgen. Offensichtlich handelt es sich bei den von mir angesprochenen Personen eben nicht um Asylberechtigte im Sinne des Art. 16 a GG, sondern um klassische Wirtschaftsflüchtlinge, die zumindest auch angelockt von der finanziellen Unterstützung nach Deutschland reisen. Selbstverständlich darf niemand in Europa hungern, aber es obliegt zunächst einmal den Regierungen in Serbien und Mazedonien, für eine entsprechende Versorgung der eigenen Bevölkerung zu sorgen. Sollte dies aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten nicht möglich sein, ist die Europäische Union mit Sicherheit kurzfristig bereit, Unterstützung vor Ort zu leisten. Dies setzt jedoch auch die Bereitschaft der jeweiligen Länder voraus, entsprechende Anträge zu stellen und die angebotenen Hilfsleistungen dann auch abzurufen. Solange dies nicht erfolgt, ist aus meiner Sicht eine Abschaffung der Visumsfreiheit für beide Länder eine logische, sich aufdrängende und auch mögliche Konsequenz. Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion lässt all dies unberücksichtigt und fordert stattdessen eine Ausweitung des Schutzes für unbegleitete Minderjährige in den bestehenden aufenthalts- und asylrechtlichen Regelungen. Er geht dabei irrig davon aus, dass die vorgeschlagenen Änderungen aufgrund der Rücknahme zuvor eingelegter Vorbehalte bei der Zeichnung der UN-Kinderrechtskonvention erforderlich seien. Im Begründungsteil des Gesetzentwurfs gesteht die SPD-Fraktion dann allerdings doch ein, dass die vorgeschlagenen Änderungen zwar nicht zwingend vorgegeben seien, „gleichwohl aber für einen sachgerechten Umgang mit den besonderen Bedürfnissen von Kindern sachlich geboten sind“, vergleiche Bundestagsdrucksache 17/9187, Seite 5. Hierdurch wird deutlich, dass es eben doch keine unmittelbare Handlungspflicht des Gesetzgebers gibt, aufgrund der Rücknahme der Vorbehalte tätig zu werden, sondern dass die UN-Kinderrechtskonvention lediglich als „Rettungsanker“ für überzogene Forderungen herhalten muss. Im Übrigen sieht auch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung keine Veränderungen aufgrund der Rücknahme der erklärten Vorbehalte durch die Bundesregierung. In seiner Entscheidung vom 10. Februar 2011 führt das Bundesverwaltungsgericht – Az. 1 B 22.10 – zur Ausstrahlungswirkung der UN-Kinderrechtskonvention auf das nationale Ausländer- und Asylrecht aus: An der Notwendigkeit einer jeweils einzelfallbezogenen Abwägung hat sich durch das nunmehr auch in Deutschland unmittelbar geltende Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989, BGBl II 1992 S. 121, – UN-Kinderrechtskonvention, KRK, – und dessen Art. 3 Abs. 1 nichts Wesentliches geändert, da schon bisher gemäß Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG das besondere Gewicht der familiären Bindungen und insbesondere das Kindeswohl minderjähriger Kinder zu berücksichtigen waren. Art. 3 Abs. 1 KRK sieht vor, dass bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu berücksichtigen ist. Weitere Oberverwaltungsgerichte, zum Beispiel OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. März 2011 – Az. 8 LB 121/08, und Verwaltungsgerichtshöfe, zum Beispiel Bayerischer VGH, Beschluss vom 8. Juli 2011 – Az. 10 ZB 10.3028, haben sich längst dieser Rechtsprechung angeschlossen. Zuvor hatte das Oberlandesgericht Karlsruhe in seiner Entscheidung vom 2. Dezember 2010 – Az. 2 UF 172/10 – bereits herausgestellt, dass Art. 22 KRK nicht unmittelbar im deutschen Recht anwendbar sei, da er auf ein vereinbartes Ziel, die „Sicherstellung angemessenen Schutzes und humanitärer Hilfe bei der Wahrnehmung von Rechten“, abstelle. Die Formulierung „Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen“ verdeutliche zudem, dass es der Handlungsfreiheit der Vertragsstaaten überlassen bleibe, welche Maßnahmen sie zur Erreichung der Ziele ergreifen würden. Auch der Zweck der UN-Kinderrechtskonvention gebiete keine andere Auslegung. Schließlich seien nur geeignete Maßnahmen gefordert. Die UN-Kinderrechtskonvention würde kein Recht enthalten, welches eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt im Asylverfahren erfordere. Aufgrund der Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention durch die Bundesregierung besteht somit kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Auch aufgrund der ebenfalls im Gesetzentwurf aufgeführten EU-Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger in nationales Recht besteht kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Die SPD-Fraktion übersieht in ihrer Darstellung, dass die EU-Richtlinie längst in nationales Recht umgesetzt worden ist. Durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 sind die Vorgaben der Richtlinie bereits nationales Recht geworden. Hierzu gehören auch die besonderen Vorgaben, die die Situation unbegleiteter Minderjähriger betreffen, wie zum Beispiel Art. 10 der Richtlinie. So wurde beispielsweise in § 58 AufenthG ein neuer Absatz aufgenommen, der festschreibt, dass sich vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers die Behörde zu vergewissern hat, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird. Zudem ist durch die Ergänzung des § 62 AufenthG die Berücksichtigung des Wohles des Kindes bei der Abschiebungshaft noch einmal gesondert hervorgehoben worden. Die Vorgaben des Art. 10 der Richtlinie wurden bereits zuvor in Deutschland durch § 42 SGB VIII umgesetzt und kamen auch bereits in der Praxis zur Anwendung. Ein weitergehender Umsetzungsbedarf besteht daher aus meiner Sicht auch bezüglich der EU-Richtlinie 2008/115/EG nicht. Abschließend kann somit festgehalten werden, dass es keine rechtliche Verpflichtung gibt, für den Gesetzgeber tätig zu werden und die bestehenden Regelungen des Aufenthaltsgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes zugunsten von unbegleiteten Minderjährigen zu verändern. Angesichts der fortlaufend steigenden Zahlen von Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien sollte es aus meiner Sicht eher Aufgabe des Gesetzgebers sein, wirksame Maßnahmen gegen den offensichtlichen Missbrauch des Grundrechts auf Asyl anzugehen. Hierzu würde ich mich auch auf Vorschläge der Oppositionsfraktionen freuen. Dies setzt aber natürlich voraus, dass man endlich akzeptiert, dass weder die EU-Grundrechtecharta noch die UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf Einreise nach Deutschland allein wegen der Minderjährigkeit gewähren. Rüdiger Veit (SPD): Zweieinhalb Jahre ist es her, dass das Kabinett am 3. Mai 2010 den Beschluss zur Rücknahme des Vorbehalts gegen die Kinderrechtskonvention fasste. Zwei Tage später kommentierte die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Plenum diesen Kabinettsbeschluss als einen „wirklich guten Tag für die Kinderrechte“. Weiter sagte sie: „... natürlich brauchen minderjährige Flüchtlinge einen ganz besonderen Schutz“ und: „Natürlich ist es richtig, im Asylverfahren nicht nur Jugendliche bis zum 16. Lebensjahr, sondern bis zum 18. Lebensjahr einen angemessenen Rechtsbeistand zur Seite zu stellen …“ Das sehen wir genauso. Allerdings hat die Bundesjustizministerin an gleicher Stelle auch gesagt, dass allein die Länder nun zu prüfen und zu überdenken hätten, wie sie das Kindeswohl stärker bei ihren Entscheidungen berücksichtigen könnten. Auf Bundesebene sei keine Notwendigkeit gegeben, gesetzgeberisch tätig zu werden. Das ist widersprüchlich: Einerseits sagte die Ministerin, es sei „natürlich“ notwendig, minderjährige Flüchtlinge ganz besonders zu schützen, andererseits wollte sie die bestehenden Gesetze nicht dahin gehend ändern, dass dieser Schutz auch gewährt wird. In meiner Rede vom 28. Oktober 2010 habe ich ausführlich aufgezeigt, wo überall dringender Handlungsbedarf im Asylverfahrensgesetz, im Aufenthaltsgesetz und im Sozialrecht gegeben ist. Diese Änderungen sind notwendig, um den besonderen Bedürfnissen von minderjährigen ausländischen Kindern gerecht zu werden. Heute stelle ich leider fest, dass die schwarz-gelbe Koalition es mit der tatsächlichen Umsetzung der Kinderrechte im Ergebnis nicht ganz so ernst meinte und es bei dem symbolischen Akt der Rücknahme der Vorbehaltserklärung belassen hat. Da wollen wir aber nicht stehen bleiben. Mit unserem heute eingebrachten Gesetzentwurf wollen wir die Rechte von Minderjährigen im Aufenthalts- und Asylverfahren tatsächlich konkret stärken. Zentraler Gedanke unserer vorgeschlagenen Gesetzesänderung ist die He-raufsetzung der Handlungsfähigkeit von minderjährigen Ausländern von bisher 16 Jahren auf 18 Jahre, also auf die allgemeine Grenze für die Volljährigkeit. Gemäß Art. 1 der Kinderrechtskonvention, KRK, ist „ein Kind jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat“. Laut Art. 22 KRK müssen die Vertragsstaaten sicherstellen, dass ein Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrt, angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte erhält, die mit der KRK oder in anderen internationalen Übereinkünften über Menschenrechte gewährt werden, und zwar unabhängig davon, ob sich das Flüchtlingskind allein oder in Begleitung seiner Eltern oder anderer Personen befindet. Bislang galt ein unbegleitetes Flüchtlingskind schon ab 16 Jahren als verfahrensfähig und damit als fähig, das Asylverfahren alleine durchzuführen. Das Asylverfahren ist ein kompliziertes Verfahren, bei dem sich persönliches Tun und Unterlassen schnell zuungunsten des Antragstellers bzw. der Antragstellerin auswirken kann, und sei es nur durch das Verstreichenlassen von Fristen. Dass Minderjährige in diesem Verfahren, in dem sie Rechte aus der Genfer Flüchtlingskonvention geltend machen, bislang auf sich allein gestellt sind, ist ein Verstoß gegen Art. 1 KRK in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 KRK. Dies ist ein Verfahren, das eben nicht sicherstellt, dass ein Flüchtlingskind Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung seiner Rechte erhält. Ein solcher Schutz kann nur gegeben sein, wenn dem Flüchtlingskind ein Vertreter zur Seite gestellt wird, der es davor bewahrt, Fehler zu machen. Hinzu kommt, dass Art. 22 Abs. 2 KRK bestimmt, dass ein unbegleitetes Flüchtlingskind den gleichen Schutz erhalten muss wie jedes andere Kind, das seine Eltern und/oder Familie verloren hat. Kindern wird, wenn sie keine gesetzlichen Vertreter haben, grundsätzlich eine Vertretung beigeordnet, die für ihre rechtlichen Interessen sorgt. Allein im Asylverfahren gilt das bislang nicht. Durch die asylrechtliche Verfahrensfähigkeit erhalten 16- und 17-jährige Asylbewerber im Asylverfahren nicht den gleichen Schutz wie sonstige Minderjährige in anderen Verfahren. Das allerdings verstößt gegen Art. 1 KRK in Verbindung mit Art. 22 Abs. 2 KRK. Die Konsequenz: § 12 Abs. 1 AsylVfG muss abgeschafft werden. Dann gelten gemäß § 12 Abs. 2 AsylVfG – der dann zu § 12 Abs. 1 AsylVfG wird – die allgemeinen Vorschriften über die Volljährigkeit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Danach hat dann das Jugendamt unverzüglich einen Vormund für das Flüchtlingskind zu bestellen, der dann auch im Asylverfahren tätig wird. Von der Aufhebung der Verfahrensfähigkeit von 16- und 17-Jährigen erhoffen wir uns auch ein Ende der -leider manchmal immer noch rechtswidrigerweise erfolgenden Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Aufnahmeeinrichtungen, § 44 AsylVfG, und Gemeinschaftsunterkünften, § 53 AsylVfG. Nach den Vorschriften des SGB muss das Jugendamt unbegleitete Minderjährige in Obhut nehmen. Ist dies geschehen, muss das Flüchtlingskind in einer Jugendhilfeeinrichtung oder in einer sonstigen geeigneten Wohnform wohnen. So soll es auch sein. Weder in Erstaufnahmeeinrichtungen noch in Gemeinschaftsunterkünften kann das Kindeswohl vorrangig berücksichtigt werden, wie es Art. 3 Abs. 1 KRK fordert. Zudem legt Art. 20 KRK fest, dass ein Kind, das aus seinem familiären Umfeld gerissen ist, Anspruch auf besonderen Schutz und Beistand des Staates hat. Die Unterbringung muss in einer „geeigneten Kinderbetreuungseinrichtung“ erfolgen. Allerdings geschieht es immer wieder, dass Jugendämter aus der asylverfahrensrechtlichen Handlungsfähigkeit schließen, dass eine Inobhutnahme nicht notwendig ist, und das Kind dann eben doch in der Erstaufnahmeeinrichtung landet. Durch die Streichung des § 12 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz kann es nicht mehr zu diesem Missverständnis kommen. Die Berücksichtigung des Kindeswohles ist schließlich der Maßstab, an dem sich Handlungen gegenüber Kindern vorrangig messen lassen müssen. So steht es in Art. 3 Abs. 1 KRK. Dies wollen wir in einem neuen Abs. 3 des § 12 AsylVfG festschreiben ebenso wie in § 1 AufenthG. Es mag zwar sein, dass das Kindeswohl auch über Art. 6 GG und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK, bei Handlungen und Entscheidungen Kindern und Familien gegenüber mit berücksichtigt wurde; Art. 3 KRK ist demgegenüber jedoch die speziellere Vorschrift. Zudem konkretisiert die KRK gerade kinderspezifische Rechte. Wie wichtig und durch die KRK geboten eine Kindern und Jugendlichen angemessene Unterbringung ist, habe ich bereits dargelegt. Im Flughafenasylverfahren erfolgt grundsätzlich eine Unterbringung auf dem Flughafengelände. Dies ist keine Flüchtlingskindern angemessene Unterbringung. Schon deswegen müssen sie aus dem Anwendungsbereich des Flughafenverfahrens herausgenommen werden, wie wir es mit unserem Gesetzentwurf vorschlagen. Außerdem ist bei unbegleiteten Kindern und Jugendlichen ein sogenanntes Clearingverfahren – bei dem im Sinne des Kindeswohls und anhand des Einzelschicksal überlegt wird, welches aufenthaltsrechtliche Ziel den Interessen des Kindes am ehesten gerecht wird – nach Einreise durchzuführen. Ein solches Verfahren kann nur in einer geeigneten Einrichtung gelingen. Damit es keinen Zweifel mehr daran geben kann, dass unbegleitete Flüchtlingskinder vom Jugendamt in Obhut zu nehmen und nicht in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen sind, muss dies schließlich ausdrücklich so ins Gesetz geschrieben werden. Daher fordern wir die Anfügung eines Satzes 3 in § 53 Abs. 1 AsylVfG, der ebendies klarstellend sagt. Wir fordern, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nicht an der Grenze zurückgeschoben werden. Das wollen wir ausdrücklich so in § 15 AufenthG, der die Zurückweisung regelt, festlegen. Zwar dürfen Flüchtlinge, die einen Asylantrag gestellt haben, gemäß § 15 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nicht zurückgewiesen werden, was natürlich auch für Flüchtlingskinder gilt. Allerdings fällt es gerade dieser Personengruppe schwer, ein Asylbegehren unmittelbar und spontan an der Grenze vorzutragen. Es bedarf auch hier eines Clearingverfahrens, was, wie bereits dargestellt, nur in einer „geeigneten Kinderbetreuungseinrichtung“, Art. 20 KRK, durchgeführt werden kann. Lassen Sie mich nun zu der sogenannten Altersfeststellung von Jugendlichen kommen. Eine solche wird immer dann notwendig, wenn Zweifel an dem Lebensalter eines jugendlichen Flüchtlings bestehen. Hier gibt es mehrere Methoden. Ausgangspunkt ist zumeist eine medizinische Untersuchung. Umstritten ist vor allem die Röntgenuntersuchung der Handwurzelknochen, bei der es zu Abweichungen von bis zu einem Jahr nach oben und nach unten kommen kann, einen gesunden, normal ernährten Jugendlichen vorausgesetzt. Leider kann dies jedoch nicht immer der Maßstab sein; Vorerkrankungen und Mangelernährung der Flüchtlingskinder können zu Abweichungen von mehreren Jahren führen. Wenn jedoch Zweifel an dem Ergebnis bestehen, muss unserer Ansicht nach das Jugendamt eingeschaltet werden. Dieses hat die notwendige Kompetenz, um das Alter des Jugendlichen herauszufinden. Und selbstverständlich muss der Jugendliche in die Maßnahmen eingewilligt haben. Um schließlich noch weiter umfassend dafür Sorge zu tragen, dass ein Flüchtlingskind nicht in einer Erstaufnahmeeinrichtung oder einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne des AslyVfG landet, schlagen wir die Einfügung eines ergänzenden Satzes in § 42 SGB VIII vor, der die Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen durch das Jugendamt regelt. Wir wollen deutlich in das Gesetz schreiben, dass die genannten Unterkünfte für volljährige Asylbewerber keine für unbegleitete Minderjährige geeigneten Wohnformen darstellen, und zwar auch dann nicht, wenn das zuständige Jugendamt Kapazitätsprobleme geltend machen sollte. Das Asyl- und Aufenthaltsrecht ist eine hochkomplizierte Materie. Kenntnisse auf diesem Rechtsgebiet sind jedoch unerlässlich für denjenigen Rechtsbeistand, der einen jugendlichen Flüchtling bei der Geltendmachung seiner Rechte unterstützen will. Bereits heute beantragen viele Jugendämter als Vormund eines minderjährigen Flüchtlings im Ausländer- und Asylrecht erfahrene Rechtsanwälte als Verfahrenspfleger, § 1909 BGB, für die Durchführung eines Verfahrens in diesen Rechtsgebieten, da ihnen selbst hier meistens die nötige Sachkunde fehlt. Wir wollen dies zur Regel machen. Und in der ganz zu Anfang meines Beitrags zitierten Rede von Frau Leutheusser-Schnarrenberger betonte ja auch die Frau Ministerin, dass Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr natürlich einen angemessenen Rechtsbeistand erhalten sollen. In unserem Gesetz schlagen wir eine diesbezügliche Änderung in § 42 SGB VIII vor. Dies sind die Änderungen im Detail. Doch fordern wir nicht nur Detailregelungen, sondern eine umfassend kinderfreundliche Einwanderungs-, Flüchtlings- und Integrationspolitik. Wir zeigen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, dass die Rücknahme des Vorbehalts Wirkungen zeigen muss, statt nur symbolisch zu wirken. Wir stehen mit umfassenden Vorschlägen zum Bleiberecht dafür ein, dass auch geduldete Kinder und Jugendliche die Chance auf einen legalen Aufenthalt bekommen. Und wir verdeutlichen mit unserer Forderung nach Abschaffung der Optionspflicht, dass es für uns keine deutschen Kinder erster und zweiter Klasse gibt. Damit setzen wir eine Politik fort, die wir bereits früher begonnen haben. Ich erinnere daran, dass meine Fraktion die Rücknahme des Vorbehalts gemeinsam mit dem damaligen Koalitionspartner schon in der 14. und 15. Wahlperiode angemahnt hat. Aus dieser Tradition heraus bitte ich Sie im Interesse und zum Wohle unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge: Stimmen Sie diesem Gesetz zu. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Situation von minderjährigen Flüchtlingen in den Blick zu nehmen, ist ein grundsätzlich ehrenwertes Anliegen. Auch einzelne Vorschläge des SPD-Gesetzentwurfs sind aus unserer Sicht diskutabel. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge müssen ihren Bedürfnissen entsprechend behandelt werden. Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge müssen ihren Schutzbedürfnissen entsprechend behandelt werden. Für uns gehört dazu auch das Recht auf Bildung. Das Kindeswohl muss im Zentrum stehen. Ob eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften hier abträglich sein kann, sollten die Länder sich überlegen. Überhaupt ist zu sagen, dass vieles bereits von den Ländern gemacht werden könnte. Da könnte die SPD selber viel von dem gestalten, was sie hier im Bundestag vorträgt – wenn sie es denn ernsthaft wollte. Warum macht die SPD den Gesetzentwurf – ausgerechnet jetzt? Sie hat elf Jahre im Bund mitregiert und nichts in diesem Bereich geschafft. Aber in der Opposition will sie allen zeigen, wo es langgeht. Ich habe den Eindruck, dass die SPD-Bundestagsfraktion sich hier nicht mit ihren Landesregierungen abgestimmt hat. Von dort würden wohl eher kritische Töne kommen. Insofern ist der Gesetzentwurf eher ein billiger, aber wenig überzeugender Anbiederungsversuch an die entsprechenden Interessengruppen. Im Unterschied zu elf Jahren SPD haben drei Jahre Regierungsbeteiligung der FDP sehr viel mehr bewirkt – gerade im Bereich des humanitären Ausländerrechts. Wir haben in den letzten drei Jahren geschafft, während die SPD in ihrer Regierungszeit versagt hat: Wir haben dafür gesorgt, dass im Rahmen des sogenannten Richtlinienumsetzungsgesetzes das Kindeswohl einen zentralen Platz im Ausländerrecht erhält. Die Koalition aus Union und FDP hat eine neue Integrationspolitik auf den Weg gebracht: Wir erschließen die Chancen der Zuwanderung für unser Land besser und stärken den Zusammenhalt unserer durch Zuwanderer bereicherten Gesellschaft. Fördern und Fordern gehören zusammen. Wir haben die Residenzpflicht für Geduldete und Asylbewerber gelockert, um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung oder Ausbildung zu erleichtern. Damit steigern wir die Chancen von jungen Migranten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und sich in unserer Gesellschaft weiter zu entwickeln. Die christlich-liberale Koalition eröffnet so Perspektiven für Menschen, die in unser Land gekommen sind. Multikultiromantik oder Desintegration durch Wegschauen helfen uns nicht weiter. Die Koalition aus FDP und CDU/CSU geht dagegen ohne Scheuklappen bestehende Defizite der Integrationspolitik an. Es gilt, die Möglichkeiten der Zuwanderung für unser Land besser zu nutzen. Mit unseren bisherigen Gesetzesinitiativen wurden in ausgewogener Weise Maßnahmen zur Förderung der Integration und zur humanitären Besserstellung von Ausländern, die in Deutschland Hilfe und Schutz suchen, ergriffen. Wir haben erstmals für minderjährige und heranwachsende geduldete Ausländer ein vom Aufenthaltsrecht der Eltern unabhängiges Bleiberecht in einem Bundesgesetz geschaffen. Die rot-grüne Koalition hatte das nicht zustande gebracht. Auch in anderen Bereichen der Zuwanderungssteuerung haben wir längst viel mehr geleistet, als die SPD in den elf Jahren ihrer letzten Regierungsbeteiligung: Wir helfen Frauen in Not. Zwangsheirat wird jetzt explizit als Straftat benannt. Wir haben auch den Opfern von Zwangsverheiratungen eine Perspektive mit einem eigenständigen Wiederkehr- bzw. Rückkehrrecht gegeben. Jetzt erhalten sie eine Chance, sich zu befreien. Dem dient auch die Verlängerung der Antragsfrist für die Aufhebung der Ehe. Die Ausländerbehörden haben wir verpflichtet, vor Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis festzustellen, ob einer Pflicht zur ordnungsgemäßen Integrationskursteilnahme nachgekommen wurde. Damit können die Integrationskurse besser fokussiert und aktive Integrationspolitik gestaltet werden. Das erhöht die Chancen für Menschen, die nach Deutschland kommen, auch in Deutschland wirklich anzukommen und sich eine Existenz aufzubauen. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP verbessert tatkräftig die Integration ausländischer Menschen in Deutschland und eröffnet ihnen Perspektiven. Wir fördern und fordern! So kommt Deutschland – und alle, die hier leben wollen – voran. Der Schlüssel für gesellschaftlichen Zusammenhalt ist erfolgreiche Integration. Wir stellen die Weichen dafür! Unter diesem Aspekt werden wir auch die jetzt vorgelegten Wünsche der SPD prüfen. Schon jetzt lässt sich aber sagen, dass ihre Wünsche, etwa Zurückweisungen an der Grenze oder das Flughafenverfahren generell auszuschließen, solcherart sind, wie sie die SPD selbst in ihrer Regierungszeit nie auch nur versucht hat. Sicherlich ist die SPD einverstanden, dass wir deshalb solche Vorschläge, denen näherzutreten sie selbst in Regierungszeiten nicht geneigt war, nicht zu unseren Hauptprioritäten bei der Diskussion um besseren Flüchtlingsschutz machen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die SPD-Fraktion legt hier heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem endlich die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen im deutschen Aufenthalts- und Asylrecht umgesetzt werden soll. Mit Unterzeichnung dieser Konvention im Jahr 1991 hatte die damalige Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern einen Vorbehalt eingelegt, mit dem sich die Bundesrepublik Deutschland eine schlechtere Behandlung von ausländischen Kindern vorbehalten hatte. Die von der Fraktion Die Linke bereits zu Beginn der Wahlperiode geforderte Rücknahme des Vorbehalts ist mittlerweile erfolgt. Die von der SPD nun vorgeschlagenen Gesetzesänderungen entsprechen weitgehend dem, was die Linke ebenfalls in ihrem Antrag im Jahr 2009 gefordert hatte (Bundestagsdrucksache 17/59). Im Zentrum der Kritik steht die Asylverfahrensmündigkeit bereits mit 16 statt mit 18 Jahren. Einige der minderjährigen Asylsuchenden werden also zumindest im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt. Das soll mit diesem Gesetzentwurf geändert werden. Der Gesetzentwurf sieht eine Reihe weiterer Verbesserungen im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen vor. So sollen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nicht mehr in Sammelunterkünften untergebracht, sondern nur noch in Obhut der Jugendämter genommen werden und entsprechend in kinder- und jugendgerechten Einrichtungen leben. Die Linke begrüßt diesen Gesetzentwurf; an einigen Stellen müsste er allerdings deutlich weiter gehen. So sollen nach dem Gesetzentwurf unbegleitete Minderjährige aus dem Flughafenasylverfahren herausgenommen werden. An dieser Stelle wäre es nicht falsch gewesen, das rechtsstaatswidrige Schnellverfahren im Flughafentransitbereich ganz zu streichen. Mindestens hätte man aber auch die Familien dort herausnehmen müssen; denn für Kinder ist eine solche Umgebung generell -ungeeignet, ob nun die Eltern dabei sind oder nicht. Ähnliches gilt bei der Abschiebungshaft. Unbegleitete Minderjährige sollen nach dem Willen der SPD nicht in Sammelunterkünften und nicht im Flughafentransit untergebracht werden. Es wäre nur konsequent gewesen, dann auch die Abschiebungshaft für Minderjährige, unbegleitet oder nicht, zu untersagen. Neben der Inobhutnahme durch die Jugendämter sollte es außerdem einen Anspruch auf eine Rechtsvertretung für unbegleitete Minderjährige geben. Wir alle wissen, dass es sich beim Asyl- und Aufenthaltsrecht in Deutschland um eine hochkomplexe Rechtsmaterie handelt. Dafür brauchen Kinder und Jugendliche entsprechende Unterstützung, die selbst von engagierten Vormündern nicht geleistet werden kann. An einem Punkt widersprechen wir dem Gesetzentwurf der SPD allerdings deutlich. Sie wollen medizinische Eingriffe zur Altersfeststellung mit Einschränkungen weiter zulassen. Dabei handelt es sich meist um eine Röntgenuntersuchung der Handwurzelknochen. Wir lehnen so etwas generell ab und fordern stattdessen, im Zweifel auf die Aussagen der Betroffenen zu vertrauen. Einen weiteren Punkt vermissen wir im Gesetzentwurf der SPD. Bei weitem nicht alle EU-Staaten haben das Niveau der Fürsorge für unbegleitete Minderjährige, das in Deutschland glücklicherweise bereits erreicht ist. Das gilt besonders für jene Staaten, die ohnehin die EU-Vorgaben zu den Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende unterlaufen. Doch wenn festgestellt wird, dass die minderjährigen Flüchtlinge bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt haben, versucht man sie ihm Rahmen der Dublin-Zuständigkeitsregeln schnell wieder dorthin loszuwerden. Dabei wird auch wenig Rücksicht darauf genommen, welche psychischen Konsequenzen eine solche Behandlung für die Kinder und Jugendlichen hat oder ob es in dem betreffenden EU-Staat überhaupt ein angemessenes System für die Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gibt. So droht jungen Flüchtlingen weiter die Abschiebung nach Italien, auch wenn sie dort auf der Straße leben müssen. Das ließe sich nur mit einem generellen Verzicht auf Überstellungen von Minderjährigen im Dublin-Verfahren verhindern. Und auch an -diesem Punkt gilt: Minderjährige im Familienverbund dürfen nicht schlechter gestellt sein als unbegleitete Minderjährige. Auch sie müssen davor geschützt werden, im europäischen Zuständigkeitsdschungel hin- und hergeschoben zu werden. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bündnis 90/Die Grünen haben sich stets für eine vorbehaltlose Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention eingesetzt und dies auch in mehreren parlamentarischen Initiativen zum Ausdruck gebracht. Nach der Rücknahme des deutschen Vorbehalts müssen nun auch die bundesrechtlichen Konsequenzen durch Gesetzes-anpassungen insbesondere im Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz gezogen werden. Die Rechtsauffassung des Bundesinnenministeriums und des Bundesjustizministeriums, aus der Rücknahme der deutschen Vorbehaltserklärung ergebe sich, insbesondere mit Blick auf das Asyl- und Aufenthaltsrecht, „kein legislativer Handlungsbedarf“, ist nicht nachzuvollziehen, da dann völlig unverständlich ist, warum die Bundesregierung seit 18 Jahren mit allen Mitteln versucht hat, die Rücknahme einer angeblich völlig folgenlosen Vorbehaltserklärung zu verhindern. Es trifft nicht zu, dass ausländischen Kindern schon heute alle sich aus der UN-Kinderrechtskonvention tatsächlich ergebenden Rechte gewährt werden. Auch wenn einzelne Regelungen der Verwaltungspraxis Spielräume bieten, ist der Gesetzgeber trotzdem selbst gefordert. Andernfalls besteht die Gefahr uneinheitlicher Standards innerhalb Deutschlands. Dies gilt insbesondere für die zentrale Frage der Handlungsfähigkeit von Minderjährigen. Der SPD-Gesetzentwurf greift diese zentrale Forderung auf und verankert erfreulicherweise im vorliegenden Gesetzentwurf das Prinzip des Kindeswohls als vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkt. Beim Flughafenasylverfahren schlägt die SPD vor, unbegleitete Minderjährige von diesem Schnellverfahren auszunehmen, das im Flughafentransit unter Bedingungen der Kasernierung durchgeführt wird. Dies begrüßen wir, wenngleich die Forderung hinter der grünen Initiative zurückbleibt, die eine vollständige Abschaffung des Flughafenverfahrens vorsieht. Eine Klarstellung sieht der SPD-Gesetzentwurf bei der Inobhutnahme von minderjährigen Flüchtlingen vor. So müsste schon heute eine Inobhutnahme flächendeckend erfolgen – also eine jugendgerechte Unterbringung, statt einer in Gemeinschaftsunterkünften mit -Erwachsenen – ebenso wie die Bestellung eines Vormundes. Da diese Vorgaben in der Praxis immer wieder unterlaufen werden, ist eine solche Klarstellung hilfreich. Andere dringend notwendige Verbesserungen für Flüchtlingskinder werden allerdings durch den Gesetzentwurf nicht gelöst: Minderjährige Asylsuchende sollten nicht länger aufgrund der EU-Zuständigkeitsverordnung Dublin II in Abschiebehaft genommen und in andere EU-Länder abgeschoben werden. Die Rückschiebung von Minderjährigen widerspricht dem Kindeswohl. Solange die Pflicht zur Wohnsitznahme in Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge nicht abgeschafft ist, sollte es zumindest für Familien mit Kindern Ausnahmen geben, um eine geschützte und kindgerechte Entwicklung der Minderjährigen zu ermöglichen. Die schwarz-gelbe Koalition muss sich nun endlich auch der Rechte von Flüchtlingskindern annehmen. Es darf nicht sein, dass die Rücknahme der Vorbehalte zur Kinderrechtskonvention folgenlos bleibt. Wer Kinderrechte ernst nimmt, muss die Rechte von Flüchtlings-kindern stärken und darf deren Situation nicht länger ignorieren. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/9187 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge dazu? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 33: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften – Drucksache 17/10746 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/11105 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ulla Jelpke Memet Kilic Auch hier sind die Reden zu Protokoll genommen. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Freizügigkeit ist ein hohes Gut innerhalb der EU. Der Gesetzgeber in Deutschland achtet dies. Trotzdem ist seitens der Kommission offenbar der Eindruck entstanden, dass wir in der Bundesrepublik die entsprechende EU-Richtlinie zur Freizügigkeit nicht angemessen -umgesetzt hätten. Mit diesem Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung abschließend beraten, wird dieser mögliche Fehler geheilt. Einer der Kernpunkte dieses Gesetzes ist, dass Lebenspartner von Unionsbürgern beim Recht auf Einreise und Aufenthalt Ehegatten gleichgestellt werden. Zweitens erreichen wir eine erhebliche Entlastung der Kommunen von Bürokratiekosten durch die Abschaffung der rein deklaratorischen und kostenfrei auszustellenden Freizügigkeitsbescheinigung für Unionsbürger. Dieses Dokument erinnert etwas an den von Reinhard Mey in einem Lied beschriebenen Antrag zur Erteilung eines Antragsformulars. Als Nachweis für den rechtmäßigen Aufenthalt reichen in der Tat Pass und Meldebescheinigung völlig aus. Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir dieses Gesetz in einer Zeit beschließen, in der der Migrationsdruck nach Deutschland wieder deutlich höher ist als noch vor zwei oder drei Jahren. Das beweisen auch die sprunghaft gestiegenen Asylbewerberzahlen. Insofern ist es nur zu begrüßen, dass Vorschriften in das Gesetz Eingang gefunden haben, die zur Bekämpfung von Scheinehen und eines Missbrauchs des Rechts auf Freizügigkeit geeignet sind. Es ist jetzt vorgesehen, dass Freizügigkeitsrechte widerrufen werden können, wenn nachträglich das Vorliegen einer Scheinehe festgestellt wird. Mein Kollege Stephan Mayer hat bereits in der ersten Lesung zu diesem Gesetz darauf hingewiesen, dass es nach Erkenntnissen der Innenministerkonferenz jährlich mindestens 1 000 Fälle von Scheinehen in Deutschland geben dürfte. Die Dunkelziffer liegt vermutlich noch höher. Typische Fallkonstellationen sind das nur formale Eingehen einer Ehe sowie die Anerkennung einer Vaterschaft ohne das Ziel, tatsächlich eine familiäre Lebensgemeinschaft zu führen. Hinzu kommen unterschiedliche Formen des Gebrauchs von verfälschten Dokumenten sowie die Täuschung über den Wohnsitz oder das -Arbeitsverhältnis, insbesondere um Einreise- und Aufenthaltsrechte für Angehörige zu erschleichen. Wenn man sich vor Augen führt, welche Konsequenzen die Einräumung des Rechts auf Freizügigkeit hat, dann kann sich die Zahl der Personen, die sich insoweit einen Aufenthalt in Deutschland erschleichen können, schnell verdoppeln und verdreifachen. Deshalb muss hier konsequent ein Riegel vorgeschoben werden. Wir haben schon zu Beginn der Legislaturperiode mit der Anhebung der Ehebestandszeit für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht von zwei auf drei Jahre einen wichtigen Schritt im Kampf gegen die Scheinehen unternommen. Jetzt folgt ein weiterer wichtiger Baustein gegen den Missbrauch unseres Aufenthaltsrechts. Und es ist schon bezeichnend, dass die Fraktion Die Linke und die Grünen diesen Kampf gegen Scheinehen nicht mitmachen und uns für diese Gesetzesinitiative kritisieren. Zu einer gelingenden Integration gehört die Aufnahmebereitschaft der einheimischen Bevölkerung. Es ist unbestreitbar, dass die Fälle von Scheinehen insgesamt zu Vor-urteilen gegenüber unseren ausländischen Mitbürgern führen. Insoweit muss es gerade im Interesse einer gelingenden Integrationspolitik sein, Scheinehen konsequent entgegenzuwirken. Der von mir angesprochene erhöhte Migrationsdruck ist auch der Hintergrund für die Frage, ob wir im Rahmen dieses Gesetzes die Einreise von weiteren Familienangehörigen zu Unionsbürgern näher regeln müssen, insbesondere wenn der Unionsbürger mit diesem Familienangehörigen im Herkunftsland in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat. Wir haben im Zuwanderungsrecht eine Härtefallklausel für diese Fälle des Familiennachzugs. Wir gehen davon aus, dass es sich dabei um eine europarechtskonforme Regelung handelt, und sehen jetzt keinen Nachbesserungsbedarf. Nicht unerwähnt lassen will ich, dass quasi im „Omnibusverfahren“ an das Gesetz eine klare gesetzliche Regelung für eine Prüfungsverordnung in Bezug auf -Abschlusstests bei Sprach- und Orientierungskursen vorgenommen wurde, die bisher nur in der Integrationskursverordnung geregelt waren und auf eine saubere gesetzliche Grundlage gestellt werden sollen. Ich nehme das zum Anlass, darauf zu verweisen, dass die verbindliche Prüfungsordnung die Qualität der Kurse weiter verbessert hat und wir einen transparenteren Einblick haben, wie erfolgreich die einzelnen Träger bei ihren Integrationskursen sind. Das ist auch für ausländische Mitbürger, die in einer Kommune mit mehreren Anbietern leben, eine wichtige Orientierungshilfe, um den möglichst besten Integrationskurs zu finden. Abschließend will ich darauf hinweisen, dass der Bundesrat eine positive Stellungnahme zu unserem -Gesetz abgegeben und keine Änderungen verlangt hat. Die Praktiker des Freizügigkeitsrechts vor Ort sehen die Sache also offenbar genauso wie wir. Auch vor diesem Hintergrund bitte ich um Zustimmung zu unserem -Gesetzentwurf. Rüdiger Veit (SPD): Wie schon in der ersten Lesung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung dargelegt, begrüßen wir die mit dem Entwurf angestrebte Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten von Unionsbürgern ebenso wie das mit dem Entwurf verfolgte Ziel, Bürokratiekosten abzubauen und das Verfahren zu vereinfachen. Die Einführung einer Missbrauchsklausel erachten wir nicht als notwendig. Sie ist in der Richtlinie 2004/38/EG nicht zwingend, sondern als Möglichkeit vorgesehen. In den Beratungen des Gesetzentwurfes wurde diese Neuregelung besonders kontrovers diskutiert. Insbesondere die Fraktion Die Linke befürchtet, dass es aufgrund der Einführung der Missbrauchsklausel zu -einer verschärften Überprüfung binationaler Ehen kommen könne, die dadurch stark belastet und einem generellen Missbrauchsverdacht ausgesetzt werden könnten. Zudem gebe es keine verlässlichen Hinweise darauf, dass es im Bereich des freizügigkeitsrechtlichen Ehegattennachzugs zu vermehrten Missbräuchen kommt. -Derartige empirische Nachweise sind auch uns nicht bekannt, und wir halten die Argumente der Fraktion Die Linke für nachvollziehbar. Allerdings kommen wir andererseits nicht umhin, die diesbezüglichen Sorgen der Bundesländer ernst zu nehmen. Nach wie vor wollen wir jedoch freizügigkeitsrechtliche Visaerleichterungen für nachziehende Ehegatten und sonstige Familienangehörige. Solche haben wir in unserem Gesetzentwurf auf Drucksache 17/8921, „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des aufenthalts- und freizügigkeitsrechtlichen Ehegattennachzugs“, vorgeschlagen. Dazu gehört die Erteilung eines Ausnahme-visums an der Grenze an Familienangehörige, die nicht Unionsbürger sind, aber einen solchen begleiten oder ihm nachziehen, wenn sie die familiäre Verbundenheit mit dem Unionsbürger ebenso nachweisen wie ihre eigene Identität. Außerdem wollen wir eine gesetzliche Klarstellung dahin gehend, dass der Besitz einer Aufenthaltskarte eines Mitgliedstaates der Europäischen Union von der Visumspflicht befreit und den Inhaber/die Inhaberin zur Inanspruchnahme der Freizügigkeitsrechte innerhalb der Europäischen Union berechtigt, und zwar unabhängig davon, ob der freizügigkeits-berechtigte Unionsbürger diesen Familienangehörigen ständig begleitet oder nicht. Die Fraktion Die Linke hat in den Beratungen zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung einen Änderungsantrag (Ausschussdrucksache 17(4)583 B) gestellt, dem wir zugestimmt haben. Darin fordert sie, dass Familienangehörigen, die nicht Verwandte auf- bzw. absteigender Linie sind, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit die Einreise erlaubt werden können muss; insbesondere, wenn ihnen vom primär aufenthaltsberechtigten Unionsbürger Unterhalt gewährt wird, aber auch in weiteren Fällen. Dieser Änderungsantrag setzt Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG um. Außerdem zieht er die Konsequenz aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, EuGH, vom 5. September 2012, wonach zwar eine Unterscheidung vorgenommen werden kann zwischen Familienangehörigen von Unionsbürgern (Verwandte in auf- und absteigender Linie) und den sonstigen Angehörigen -hinsichtlich ihrer aufenthaltsrechtlichen Behandlung, aber dass „Anträge auf Einreise … von Personen, die zu einem Unionsbürger in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis stehen, gegenüber den Anträgen anderer Drittstaatsangehöriger in gewisser Weise bevorzugt zu behandeln“ sind. Wie schon in dem Votum zur ersten Lesung des -Gesetzentwurfs stellen wir fest, das der Entwurf die eingangs erwähnten positiven Regelungen enthält, wir allerdings weitergehende Regelungen, vor allem Visum-erleichterungen für Familienangehörige, wollen. Wir werden uns daher der Stimme enthalten. Serkan Tören (FDP): Es freut mich sehr, dass sich alle Fraktionen des Hauses in der ersten Lesung zur Freizügigkeit in der Europäischen Union bekannt haben. Die Kritik an dem Gesetzesvorhaben, die von Teilen der Opposition geäußert worden ist, kann ich nicht nachvollziehen. Zuwanderung in die Europäische Union und damit auch Zuwanderung nach Deutschland bedürfen klarer Regeln, die für alle Menschen transparent und nachvollziehbar sind. Zuwanderung muss zudem gesteuert werden, damit sich Einwanderer erfolgreich in unsere Gesellschaft einfügen können. Das sind wir nicht nur unseren Bürgern schuldig, sondern auch den Einwanderern selbst. Ihnen ist nicht geholfen, wenn sie keine wirtschaftliche Perspektive in Deutschland haben. Die Linkspartei fordert Abrüstung an den Grenzen und verschweigt, dass die christlich-liberale Koalition Deutschland zu einem attraktiven Einwanderungsland gemacht hat. Mit der Bluecard ist Deutschland in die gesteuerte Zuwanderung eingestiegen. Menschen von außerhalb der EU können zu uns kommen, wenn sie über einen Hochschulabschluss verfügen und ein Einkommen von 44 800 Euro pro Jahr erzielen – für eine Tätigkeit in einem Mangelberuf reichen sogar 34 900 Euro aus. Wir schließen damit die Lücke bei Ärzten, Ingenieuren und IT-Experten, um unseren Wohlstand und unsere Lebensqualität langfristig zu sichern. Heute haben wir im Bundestag mit den Stimmen der Koalition beschlossen, dass wir künftig mit bis zu 4 Millionen Euro pro Jahr die Sprachförderung von Zuwanderern fördern. Diese Sprachförderung kommt nicht nur den Zuwanderern aus Drittstaaten zugute, sondern auch allen EU-Bürgern, die nach Deutschland kommen. Dies ist vor allem deshalb besonders wichtig, da mittlerweile jeder zweite Zuwanderer nach Deutschland aus anderen EU-Ländern stammt. Wir haben uns damit erneut zur Freizügigkeit in der EU bekannt. Wir fördern nicht nur die Freizügigkeit als theoretische Möglichkeit, sondern auch deren Umsetzung in der Praxis. Wir ermöglichen Menschen, sich in unserem Land und in unserer Wirtschaft und Gesellschaft einzubringen. Deutschland ist ein offenes Land, aber nicht grenzenlos. Zuwanderung bedarf der Steuerung. Dazu gehört auch, dass Scheinehen kein legitimes Mittel zur Erlangung eines Aufenthaltsstatus sind und dass Familiennachzug – den wir nachdrücklich befürworten – ein -vertretbares Maß umfasst. Die Akzeptanz von Einwanderung und Einwanderern in unserer Gesellschaft hängt auch davon ab, ob für alle die gleichen Regeln gelten. Das liegt auch gerade mir als Einwanderer besonders am Herzen. Sevim Da?delen (DIE LINKE): Bereits bei der ersten Lesung des vorliegenden -Gesetzentwurfs zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes habe ich erklärt, dass die Linke es selbstverständlich begrüßt, wenn künftig Lebenspartnerinnen und Lebenspartner von Unionsangehörigen mit Ehegatten aufenthaltsrechtlich gleichgestellt werden. Diese Korrektur war allerdings auch überfällig. Auch dass künftig keine sogenannten Freizügigkeitsbescheinigungen mehr beantragt werden müssen, ist im Prinzip eine Erleichterung. Jedoch erwarte ich von der Bundesregierung, dass sie die Behörden, die Öffentlichkeit und die Betroffenen über diese Änderung umfassend informiert, auch wenn diese Änderung rein rechtlich -betrachtet minimal ist, weil diese Bescheinigung schon immer nur einen deklaratorischen Wert hatte. Doch im bürokratiegeprägten bundesdeutschen Alltag ist es schon eine kleine Revolution, wenn Menschen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit über ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland keinerlei behördliche Bescheinigung mehr vorweisen müssen – bzw. nicht können. Und das ist auch das Problem: Zumindest einzelne Behördenvertreter, etwa in den Sozialämtern, aber auch Privatpersonen, wie Vermieter und Arbeitgeber, und die Betroffenen selbst werden verunsichert sein, wenn es kein Papier mehr gibt, das Unionsbürgerinnen und -bürgern bestätigt, dass sie sich hier legal aufhalten. Deshalb halte ich eine systematische und breite Bekanntmachung dieser Rechtsänderung für dringend erforderlich, damit sie sich für Unionsangehörige nicht nachteilig auswirkt. Auch soll sich damit im allgemeinen Bewusstsein festsetzen, dass EU-Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich keine Aufenthaltserlaubnis und auch keine amtliche Bescheinigung brauchen, wenn sie in Deutschland leben wollen. Die Gründe, aus denen Die Linke den Gesetzentwurf ablehnt, hatte ich ebenfalls bereits bei seiner Einbringung benannt. Sie gelten verstärkt fort, weil die Koalition im Gesetzgebungsverfahren keinerlei Änderungen mehr vorgenommen und auch unseren beiden Änderungsanträgen nicht zugestimmt hat. Dabei hätte die Koalition zumindest unserem Antrag zur Umsetzung des sogenannten Rahman-Urteils des Europäischen Gerichtshofs, EuGH, vom 5. September 2012 eigentlich zwingend zustimmen müssen. Inhaltlich geht es darum, dass ein Nachzug von entfernten Verwandten nach derzeit geltendem Recht in Deutschland nur im außergewöhnlichen Härtefall und nur nach Maßgabe des Aufenthaltsgesetzes möglich ist, § 36 Abs. 2 AufenthG. Meines Wissens nach kommt diese Regelung in der Praxis kaum zur Anwendung. Dies wird dem genannten Urteil nicht gerecht, wonach Unionsangehörige gegenüber Drittstaatsangehörigen „in gewisser Weise bevorzugt“ behandelt werden müssen – wie auch immer man eine solche Ungleichbehandlung politisch bewertet. Und weiter forderte der EuGH, dass die Einreise-bedingungen für diese Gruppe wirksam erleichtert werden müssen – die überaus hohen Hürden eines außergewöhnlichen Härtefalls entsprechen dem nicht. Dass die Bundesregierung Urteile des EuGH ignoriert, wenn diese nicht in ihr politisches Konzept passen, ist im aufenthaltsrechtlichen Kontext leider kein Einzelfall. Auch beim EWG-Türkei-Assoziationsrecht, beim Familiennachzug und bei Regeln zu EU-Binnengrenzkontrollen ist dies festzustellen, nun also auch beim Freizügigkeitsrecht. Wie ist eigentlich die Haltung der Bundesjustizministerin zu diesem inakzeptablen Umgang mit dem Europäischen Gerichtshof? Ich erinnere daran, dass die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet hat wegen unzureichender Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie, unter anderem wegen der Zuzugsbestimmungen von entfernteren Verwandten. Die Bundesregierung hatte bislang erklärt, dass sie das Urteil des EuGH zu dieser Frage abwarten wolle, um dann hieraus die Konsequenzen zu ziehen. Nun liegt dieses Urteil vor, und ich frage Sie: Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie das -nationale Recht endlich den europäischen Vorgaben -anpassen? Die Frist zur Umsetzung ist bereits im Jahr 2006 verstrichen. Unfassbar ist vor diesem Hintergrund die gestrige Antwort der Bundesregierung auf meine Frage nach der fehlenden Umsetzung des Rahman-Urteils: „Derzeit wird geprüft, inwieweit sich gegebenenfalls Rechtsänderungsbedarf aus dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Rahman ergibt.“ Da ist die Bundesregierung zwar schlauer als die CDU/CSU-Fraktion, die im Innenausschuss noch erklärt hatte, dass alles mit der EuGH-Rechtsprechung vereinbar sei. Aber wenn ein Bundesministerium auch nach sieben Wochen noch nicht dazu in der Lage ist, die notwendigen Schlüsse aus einem gerade einmal neunseitigen Urteil zu ziehen, dann ist das mehr als ein Armutszeugnis. Leider fand auch unser Änderungsantrag, auf die neue ausdrückliche Missbrauchsregelung zu verzichten, keine Mehrheit im Ausschuss. Nur die Grünen stimmten zu. Die SPD enthielt sich, weil sie den in der Gesetzesbegründung zitierten – aber nicht im geringsten belegten – Angaben der Länder folgte, wonach es angeblich „eine nicht unerhebliche Zahl von Fällen“ gebe. Dabei haben wir mehrfach darauf hingewiesen, dass es keinerlei empirische Belege für eine verbreitete oder gestiegene Missbrauchspraxis gibt. Selbst die im staatlichen Auftrag erarbeiteten Studien bestätigen dies. Die Zahl der polizeilich registrierten Verdachtsfälle von (angeblichen) „Scheinehen“ ist in den letzten zehn Jahren massiv zurückgegangen, die Zahl von bundesweit 734 entsprechenden Verdachtsfällen im Jahr 2011 lag um ein Viertel unterhalb des Vorjahreswerts. Auch das Metock-Urteil des EuGH aus dem Jahr 2008 war kein „großes Einfallstor für Rechtsmissbrauch“, wie Bundesinnenminister Schäuble auf EU-Ebene gewarnt hatte. Infolge des Urteils gab es schlicht keinen signifikanten Anstieg des Familiennachzugs. Doch zu den rechtspopulistischen Tönen von damals passt, was nun die CDU/CSU-Fraktion im Innenausschuss zu unserem Änderungsantrag erklärte: Dieser sei eine „Unterstützungsaktion für Scheinehen“. In diesem Zusammenhang möchte ich aber schon darauf hinweisen, dass sogenannte Scheinehen – andere nennen sie „Schutzehen“ – für viele wegen des restriktiven bundesdeutschen Rechts, verstärkt durch europarechtswidrige Haltung der Bundesregierung, und einer mitunter auch feindseligen Praxis in den Ausländer-behörden der einzige Weg sein kann, Menschlichkeit und Menschenrechte in der Praxis für sich in Anspruch zu nehmen. Doch unabhängig davon ist und bleibt auch jener Einwand der CDU/CSU schlicht falsch, dass in Missbrauchsfällen bislang ein Freizügigkeitsrecht entstand. Das ist völlig absurd, wie den einschlägigen Verwaltungsvorschriften zum Gesetz zu entnehmen ist. Einer besonderen Regelung hat es also keinesfalls bedurft. Wir befürchten, dass die Neuregelung von den Behörden als ein Warnsignal verstanden (werden soll) und zu einer verschärften Prüfpraxis führen wird. Die Folgen dieses staatlich gesäten Misstrauens könnten dann unzulässige Verdächtigungen, Denunziationen, Ausspähungen und Be- oder Verhinderungen des Zusammenlebens vieler binationaler Paare sein. Deshalb lehnen wir diese Verschärfung ab! Abschließend lassen Sie mich noch einmal sagen: Wenn Sie schon ein Gesetz beschließen, das das Wort „Freizügigkeit“ im Titel führt, dann stellen Sie bei dieser Gelegenheit doch endlich auch die Freizügigkeit für alle Menschen in Deutschland her – und beenden Sie die menschenrechtswidrige und diskriminierende Residenzflicht für Asylsuchende und Geduldete! Sie reden von Freizügigkeit, aber drangsalieren Flüchtlinge und schränken ihre Bewegungsfreiheit gnadenlos ein. Die Linke ist solidarisch mit den Flüchtlingen, die vor drei Wochen nach einem 600 Kilometer langen Protestmarsch aus Würzburg in Berlin eingetroffen sind und nun ihren Protest gegen die Residenzpflicht, Abschiebungen und die Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Deutschland durch ein Protestcamp am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg und durch einen gestern begonnenen Hungerstreik auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor zum Ausdruck bringen. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie enthält Licht und Schatten. Deswegen werden wir uns heute bei der -Abstimmung enthalten. Ich beginne mit den positiven Seiten des Gesetzentwurfs. Wir begrüßen, dass die Regierung Lebenspartnerinnen bzw. Lebenspartner von Unionsbürgerinnen bzw. -bürgern beim Recht auf Einreise und Aufenthalt den Ehegatten gleichstellt. Es erstaunt allerdings, dass es für eine solche Selbstverständlichkeit mehrerer Grundsatzurteile des Bundesverfassungsgerichts bedurfte. Anstatt unzählige Gesetze zu ändern, könnten wir natürlich den viel einfacheren Weg der -Öffnung der Ehe gehen. Wir stimmen auch dem Wegfall der nur deklaratorischen Freizügigkeitsbescheinigung zu. Die Minderung des Bürokratieaufwands sowie die Kosteneinsparungen sind sinnvoll. Allerdings muss sichergestellt werden, dass die Betroffenen hinreichend über die Neuregelung informiert werden und ihnen keine Nachteile im Alltag entstehen, weil sie ihr Aufenthaltsrecht nicht mehr schriftlich belegen können. Nun komme ich zu unseren Kritikpunkten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vernachlässigt eine Reihe von Rügen der Kommission und verfehlt somit sein Ziel, die Freizügigkeitsrichtlinie vollständig in deutsches Recht umzusetzen. Ich hatte erwartet, dass wir im Innenausschuss eingehend über das laufende -Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland debattieren würden. Die Regierungsfraktionen erschienen aber nicht gut vorbereitet zur Ausschusssitzung, wollten zunächst sogar ohne Debatte über den Gesetzentwurf abstimmen und gingen schließlich nicht auf die Kritikpunkte der Oppositionsfraktionen ein. Ich möchte im Folgenden auf eine Gesetzesverschärfung eingehen, die überhaupt nicht zur Umsetzung der Richtlinie notwendig war, sowie auf zwei europäische Vorgaben, die die Bundesregierung außer Acht gelassen hat. Kritisch sehen wir die neue Regelung zum Rechtsmissbrauch. Die Regelung erscheint überflüssig, weil schon heute das Freizügigkeitsrecht im Falle des Rechtsmissbrauchs gar nicht erst entsteht. Darüber -hinaus bleibt die Bundesregierung eine Begründung für die Notwendigkeit der Regelung schuldig. In der Gesetzesbegründung wird lediglich vage darauf verwiesen, dass Abfragen unter den Ländern eine nicht unerhebliche Zahl von Missbrauchsfällen ergeben hätten. Konkrete Anhaltspunkte für ein regelungsbedürftiges -missbräuchliches Verhalten der Unionsbürgerinnen und -bürger sowie ihrer Angehörigen werden nicht genannt und sind auch nicht anderweitig bekannt. Ich befürchte, dass die Regelung nur dazu führen wird, dass die Betroffenen in unzulässiger Weise stärker kontrolliert werden und dadurch – entgegen dem Ziel des Gesetzes – der Verwaltungsaufwand noch erhöht wird. Des Weiteren ist nicht zu verstehen, dass die Bundesregierung keine Ergänzungen bezüglich der Rechte von Familienangehörigen im Sinne von Art. 3 Abs. 2a der Freizügigkeitsrichtlinie vorgenommen hat. Zu diesem Personenkreis gehören pflegebedürftige Personen und solche, denen der Unionsbürger im Herkunftsland -Unterhalt gewährt hat oder die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben. Nach § 36 Abs. 2 AufenthG wird einem Großteil dieser Familienangehörigen in der Regel der Aufenthalt verwehrt. Im Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Deutschland hat die Bundesregierung immer wieder argumentiert, die Vorschrift der Richtlinie habe nur deklaratorischen Charakter und begründe keine neuen Rechte. Dieser Argumentation hat der EuGH eine klare Absage erteilt. In seiner Entscheidung vom 5. September 2012 in der Sache Rahman hat er klargestellt, dass die Mitgliedstaaten diese Personen, die zu einem Unionsbürger in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis stehen, gegenüber anderen Drittstaatsangehörigen -bevorzugt behandeln müssen. Insbesondere müssen die persönlichen Umstände, wie der Grad der Verwandtschaft und die finanzielle oder physische Abhängigkeit, eingehend untersucht werden. Aus der privilegierten Stellung der genannten Fami-lienangehörigen folgt, dass ihnen auch nach der Einreise die Rechte aus der Richtlinie zustehen, wie etwa die -Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für fünf Jahre, Gleichbehandlung, der Ausweisungsschutz und das Recht auf Zugang zur Beschäftigung. Schließlich rügt die Kommission zu Recht die in § 7 Abs. 2 FreizügigkeitsG/EU geregelte unbefristete -Wiedereinreisesperre, die nur auf Antrag beschränkt wird. Nach Maßgabe des europäischen Verhältnis-mäßigkeitsgrundsatzes muss die Wiedereinreisesperre aber von Amts wegen befristet werden. Obwohl der Gesetzentwurf positive Änderungen -enthält, können wir wegen der genannten Mängel dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Mit dem Entwurf für ein Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU legt die Bundesregierung eine ausgewogene Ergänzung zum Freizügigkeitsgesetz vor. Der Gesetzentwurf hat drei maßgebliche Ziele: Erstens. Wir schaffen eine eindeutige Rechtsgrundlage im Freizügigkeitsgesetz, um Missbrauch und Betrug – etwa durch Scheinehen – auch in Zukunft wirkungsvoll entgegentreten zu können. Zweitens. Eingetragene Lebenspartner werden Ehegatten gleichgestellt: Damit gelten für Lebenspartner von Unionsbürgern nun in vollem Umfang die Regelungen des Freizügigkeitsrechts bei Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Drittens. Mit dem Entwurf senken wir Bürokratiekosten: Durch die Abschaffung der deklaratorischen Freizügigkeitsbescheinigung für Unionsbürger entlasten wir die Kommunen von Verwaltungskosten und die Betroffenen von Bürokratieaufwand. Eine Überprüfung hat ergeben, dass einzelne Vorschriften der Europäischen Freizügigkeitsrichtlinie noch nicht vollständig in deutsches Recht umgesetzt worden sind. Das betrifft insbesondere die Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten in Bezug auf ihr Recht auf Einreise und Aufenthalt nach dem Freizügigkeitsgesetz sowie die Vorschrift der Richtlinie 2004/38/EG zur Bekämpfung von Rechtsmissbrauch und Betrug, zum Beispiel durch das Eingehen von Scheinehen. Mit der Änderung des Freizügigkeitsgesetzes gelten für Lebenspartner von Unionsbürgern nun – wie für Ehegatten auch – in vollem Umfang die Bestimmungen des Freizügigkeitsrechts zum Familiennachzug. Bislang waren auf Lebenspartner von Unionsbürgern die Regelungen des nationalen Aufenthaltsgesetzes anzuwenden. Darüber hinaus wird Art. 35 der Freizügigkeitsrichtlinie umgesetzt: Danach können die Staaten der EU die erforderlichen Maßnahmen erlassen, um das Freizügigkeitsrecht im Fall von Rechtsmissbrauch oder Betrug zu verweigern oder aufzuheben. Auch die Kommission hat die Mitgliedstaaten wiederholt aufgefordert, Art. 35 umzusetzen, um Missbrauch und Betrug zu bekämpfen. Wie eine Reihe anderer Mitgliedstaaten sieht sich auch Deutschland mit einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen von Rechtsmissbrauch und Betrug im Zusammenhang mit dem europäischen Freizügigkeitsrecht konfrontiert. Typische Fallkonstellationen sind insbesondere das Eingehen von Scheinehen oder Scheinvaterschaftsanerkennungen. Dazu kommen verschiedene Formen der Verwendung gefälschter Dokumente sowie die Vortäuschung falscher Tatsachen über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Ausübung des Freizügigkeitsrechts. Auch andere Mitgliedstaaten beobachten eine wachsende Zahl von Missbrauchsfällen und ein Ausweichen auf die sogenannte European Route, also eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechts zur Umgehung nationaler Einwanderungsvorschriften. Mit der Neuregelung im Freizügigkeitsgesetz wird eine klare Rechtsgrundlage geschaffen, um Betrug und Missbrauch im Zusammenhang mit dem europäischen Freizügigkeitsrecht auch künftig effektiv entgegentreten zu können. Die erforderliche Anpassung des Freizügigkeitsgesetzes/EU wird zugleich genutzt, um Bürokratiekosten zu verringern, indem die gebührenfrei auszustellende, rein deklaratorische Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht für Unionsbürger – die sogenannte Freizügigkeitsbescheinigung – abgeschafft wird. Damit trägt der -Gesetzentwurf der Bundesregierung zur finanziellen Entlastung der Kommunen und zur Verringerung von Bürokratieaufwand für die Betroffenen bei. Derzeit überprüft die EU-Kommission die Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und hat in diesem Zusammenhang gegen Deutschland – wie gegen eine Reihe weiterer EUMitgliedstaaten auch – ein Vertragsverletzungsverfahren wegen teilweise unzureichender Umsetzung dieser Richtlinie eingeleitet. Eines der Hauptmonita der Kommission bezog sich auf die Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten im Freizügigkeitsgesetz. Daneben hatte die Kommission einige eher technische oder sprachliche Gesetzesänderungen erbeten, die insgesamt von geringer praktischer Bedeutung sein dürften, darunter beispielsweise die genaue Typologie der Krankheiten, die eine Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Gesundheit rechtfertigen können. Diese Punkte werden mit dem nun vorliegenden -Gesetzentwurf zur Änderung des Freizügigkeitsgeset-zes/EU ausgeräumt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11105, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10746 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der SPD und der Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen. Tagesordnungspunkt 29: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Griese, Dr. Eva Högl, Michael Roth (Heringen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Nationales Reformprogramm 2012 muss soziale Ziele der Strategie „Europa 2020“ berücksichtigen – Drucksachen 17/9154, 17/9480 – Berichterstattung: Abgeordnete Lena Strothmann Auch hier sind die Reden zu Protokoll genommen. Lena Strothmann (CDU/CSU): In diesen Tagen begehen wir das 20-jährige Jubiläum des europäischen Binnenmarktes. Die Errungenschaften sind unbestritten und hoch einzuschätzen. Deutschland hat sich hervorragend darauf eingestellt und profitiert davon. Das bildet sich auch in unserer Wirtschaftskraft ab. Sie ist das Rückgrat unseres Wohlstandes. Und unser aktueller Wohlstand ist auch Grundlage für den Wohlstand und den sozialen Frieden der kommenden Generationen. Deshalb müssen wir die europäische Idee bewahren, aber auch weiterentwickeln und für Herausforderungen wappnen. Die Auswirkungen, die wir gerade bei der Schuldenkrise zu bewältigen haben, sind an Landesgrenzen nicht zu stoppen. Insbesondere wirken sie auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Deutschland steht innerhalb Europas stark dar. Wir sind die stärkste Volkswirtschaft und eine gesunde Volkswirtschaft. Unsere Wirtschaft wächst; sie sichert und schafft Arbeitsplätze. Das ist kein zufälliges Ergebnis. Bereits lange vor der Schuldenkrise haben wir in Deutschland wichtige Reformen auf den Weg gebracht. Dies sind die Strukturreformen, die viele andere Länder damals nicht durchgeführt haben. Diese Länder haben gerade heute während der Krise einen Nachholbedarf. Die Erkenntnis, dass Wachstum ein Motor zur Weiterentwicklung ist, hat sich auch in der EU-2020-Strategie durchgesetzt. Die EU hat dazu den Wachstumsbegriff definiert und festgelegt auf intelligentes Wachstum, nachhaltiges Wachstum und integratives Wachstum. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, ihre diesbezüglichen nationalen Pläne im Rahmen des Europäischen Semesters nach Brüssel zu übermitteln. Kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen sollten hierbei aufeinander abgestimmt sein. Kein planloses Durcheinander, sondern durchdachte Strategien mit schlüssigen Zeitplänen sind hier gefragt. Diese Maßnahmen müssen auch die notwendigen Strukturreformen beinhalten. Europa wacht über die Vorhaben und bewertet sie. Das hilft grundsätzlich allen Staaten, über den Tellerrand zu schauen. Das ist genauso bedeutsam wie die Notwendigkeit, dass alle Länder mitmachen und am gleichen Strang ziehen. Das ist auch eine der Lehren aus der Krise und der nicht erreichten Ziele der Lissabon-Strategie. Die Strategie Europa 2020 formuliert klare Ansprüche. Unser gemeinsames Ziel ist es, Stabilität, Wachstum und Beschäftigung zu erzeugen. Und wir sind auf einem guten Weg. Die Lage in Deutschland ist gut. Denn Deutschland erfüllt die vereinbarten Kernziele der EU. Das belegen die Zahlen und die Bewertung durch die EU. Unsere Maßnahmen, sowohl die Strukturreformen früherer Jahre als auch aktuelle wie zum Beispiel die Finanzmarktregulierungen oder die Schuldenbremse, wirken. Gerade die Schuldenbremse macht deutlich, was beste Sozialpolitik und soziale Gerechtigkeit heißt, nämlich nicht auf Kosten der nächsten Generationen zu leben. Sozialausgaben zu steigern, bedeutet nicht ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit, sondern ein Anwachsen des Schuldenbergs. In Deutschland hat die unionsgeführte Bundesregierung bereits vor Jahren etliche Reformen durchgesetzt. Diese Reformen haben die sozialen Sicherungssysteme gestärkt und zukunftsfester gemacht. Das wirkt sich jetzt aus und bildet gerade jetzt in der größten Krise eine Grundlage für unsere Stabilität. Unsere Hausaufgaben haben wir damals erfüllt. Dazu zählen die Reformen im Gesundheitswesen zur Begrenzung der Ausgaben, mehrmalige Nullrunden bei Löhnen und Renten oder auch der spätere Renteneintritt, also Rente mit 67. Es gehören auch arbeitsmarktpolitische Reformen, welche auch auf den rot-grünen Arbeitsmarktgesetzen aufbauen, dazu. Auch diese wirken positiv, aber leider distanziert sich die SPD davon. Viele unserer Maßnahmen waren und sind unpopulär. Aber sie sind Teil des jetzigen Erfolges: Die Ausgaben im Gesundheitswesen sind kontrollierbar, die aktuellen Rücklagen bei den Krankenkassen belegen das. Die Nullrunden haben Arbeitsplatzabbau verhindert. Die Rente mit 67 ist allein schon wegen des demografischen Wandels notwendig. Die Arbeitsmarktreformen haben die Arbeitslosigkeit verringert. Es wird erwartet, das auch im nächsten Jahr die Arbeitslosenzahlen unter 3 Millionen liegen werden. Auch die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich deutlich verringert. Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland ist so hoch wie nie zuvor. Insgesamt stiegen die Löhne und Gehälter im Jahr 2011 erheblich. Davon profitieren auch die Ruheständler. Zum 1. Juli sind die Renten in Westdeutschland um 2,18 Prozent und in Ostdeutschland um 2,26 Prozent -gestiegen. Das alles wäre ohne eine funktionierende Wirtschaft nicht denkbar. Die Wirtschaft brummt immer noch. Trotz der Delle ist die Lage immer noch ausgezeichnet. Vielfach sind die Auftragsbücher voll. Die Betriebe mit Weitsicht und gutem Management haben ihre Mitarbeiter gehalten oder stellen sogar neue ein. Auch das ist das Ergebnis erfolgreicher Wirtschafts- und Sozialpolitik der christlich-liberalen Koalition. Brüssel erkennt an, dass die Strukturreformen in Deutschland für den wirtschaftliche Erfolg und vor allem die Stabilität mitverantwortlich sind. Auch die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland ist die geringste in Europa. Die Ursache dafür ist zwar auch unbestritten, es mangelt aber leider an der öffentlichen Wahrnehmung. Deutschland hat ein weltweit anerkanntes Ausbildungssystem, das top ausgebildete Fachkräfte hervorbringt: unsere duale Ausbildung. Der Berufsbildungsbericht 2012 hat es im Mai bestätigt: dem dualen Ausbildungssystem wurde erneut eine hohe internationale Wettbewerbs-fähigkeit bescheinigt. Erfolgsindikator ist die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in unserem Land. Es ist gegenwärtig die niedrigste Quote in der Europäischen Union mit 7,9 Prozent im März 2012. Der EU-Durchschnitt betrug im gleichen Monat 22,6 Prozent. Die spanische Quote liegt bei 50 Prozent. Das duale System wirkt sich somit eindeutig positiv auf den Arbeitsmarkt aus. Das bestätigt nicht nur der Berufsbildungsbericht, sondern auch die Europäische Kommission. Ich zitiere: „Das gut ausgebaute System der beruflichen Bildung gilt traditionell als Garant für die Heranziehung qualifizierter Arbeitskräfte und eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit“. Das duale System erweist sich also als beste Versicherung gegen Jugendarbeitslosigkeit. Daher sind die Absichten Spaniens und anderer europäischer Staaten, das deutsche duale System als Vorbild zu prüfen, der richtige Weg. Wir bestärken und unterstützen sie darin, damit das duale System ein Exportschlager wird. Das kann uns auch dadurch gelingen, indem wir bei den anstehenden Beratungen zur Überarbeitung der Berufsqualifikationsanerkennungs-Richtlinie im europäischen Parlament darauf drängen, unser duales System zu definieren und anschließend als Grundlage für Ausbildungsordnungen zu nehmen. Reformen brauchen jedoch Zeit, bis sie wirken. Daher ist der Ruf nach anderen, scheinbar schnelleren Lösungen laut, sehr laut. Aber die Lautstärke entscheidet eben nicht über die Richtigkeit. Schuldenfinanzierte Wachstumsprogramme sind jedenfalls keine Lösung. In einer konjunkturellen Krise können sie helfen, daher waren unsere Konjunkturprogramme so erfolgreich. Bei strukturellen Krisen helfen sie schlichtweg nicht. Der Ruf nach gesetzlichen Mindestlöhnen in Deutschland ist ebenso falsch. Eine Ursache für die hohe spanische Quote bei der Jugendarbeitslosigkeit liegt auch in den dortigen Mindestlöhnen. Die Opposition fordert in ihrem Antrag Maßnahmen, die in anderen Ländern für die Krise mitverantwortlich sind. Das lehnen wir ab. Wir stehen zur Tarifautonomie in Deutschland. Das ist die bessere Lösung für den sozialen Frieden, als künstlich eine soziale Spaltung herbeizureden. Wenn wir die Wirtschaft nun mit einem allgemeinen Mindestlohn belasten, bricht gerade für viele Geringqualifizierte die letzte Möglichkeit fort, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Eine Weiterqualifizierung steht hierbei ja auf einem ganz anderen Blatt. Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt sind immer möglich, das ist keine Frage. Aber die Lage schlecht-reden und Katastrophenszenarien an die Wand malen, bringt uns nicht voran. Die Armutsgefährdung in Deutschland ist bei weitem nicht so, wie Sie es darstellen. Die Langzeitarbeitslosen werden stetig weniger, und unsere hohen Investitionen in Bildung sprechen für sich. Die sozialen Ziele der EU-2020-Strategie sind in unserer Politik nicht unterrepräsentiert. Schauen Sie sich die Kernbereiche und unsere Zielvorgaben sowie das Erreichte doch genau an. Bei der Beschäftigtenquote liegen wir im Plan, die Innovationsquote haben wir fast erreicht. Beim Klimaschutz werden wir unsere Ziele er-reichen. Aber es wäre ein Zeichen der Verantwortung, wenn die Bundesländer beispielsweise bei der energe-tischen Sanierung hier stärker mitziehen würden. Im Kernbereich Armut definieren wir anders, als Sie es gerne hätten. Wir orientieren uns an der Realität und dem vorhandenen sozialen Frieden in unserem Land, Sie hingegen am alten Klassenkampf. Im Bereich Bildung möchte ich noch einmal vehement auf die hohe Bedeutung der dualen Ausbildung hinweisen. Sie ist untrennbar mit dem Erfolg der Wirtschaft verbunden und somit für unseren Wohlstand mitverantwortlich. Deutschland steht innerhalb Europas gut da. Wir sollten alle daran arbeiten, dass es so bleibt. Kerstin Griese (SPD): Es ist wirklich sehr schade und bedauerlich, dass in diesem Hause keine Debatte über das Nationale Reformprogramm 2012 der Bundesregierung stattfindet. Eine solche Debatte wäre angemessen gewesen. Leider hatten die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung daran so wenig Interesse wie am Nationalen Reformprogramm selbst. Während die Bundesregierung andere EU-Staaten auffordert, die Vorgaben der europäischen Institutionen eins zu eins und ohne zu murren umzusetzen, bleibt sie im eigenen Land untätig. Am Dienstag dieser Woche hat das Statistische Bundesamt veröffentlicht, dass jeder Fünfte in Deutschland von -Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht ist. Darauf haben wir bereits in unserem Antrag vom März 2012 hingewiesen. Und was haben Bundesregierung und -Koalition seitdem gemacht? Nichts. Dazu fällt mir Heinrich Heine ein, ich zitiere: Sie sang das alte Entsagungslied, Das Eiapopeia vom Himmel, Womit man einlullt, wenn es greint, Das Volk, den großen Lümmel. Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, Ich kenn auch die Herren Verfasser; Ich weiß, sie tranken heimlich Wein Und predigten öffentlich Wasser. So schrieb Heinrich Heine in seinem Werk „Deutschland. Ein Wintermärchen“ im Januar 1844. Die Beschreibung Heines trifft leider auch auf die Bundesregierung zu: Sie predigt Griechenland Wasser und trinkt selbst Wein. In Deutschland steigen die Steuereinnahmen, und der Wirtschaft geht es vergleichsweise gut. Verglichen mit den Sparanstrengungen Griechenlands hätte Deutschland 300 bis 500 Milliarden Euro einsparen müssen – bei einem Bundeshaushalt 2012 in Höhe von rund 313 Milliarden Euro! Stattdessen hat die Bundesregierung einen zweiten Nachtragshaushalt für 2012 beschlossen. Wasser für Griechenland, Wein für die Bundesregierung. Auch Spanien rutscht immer tiefer in die Rezession. Und was sagt die Bundeskanzlerin dazu? In ihrer Regierungserklärung vom 18. Oktober 2012 bemerkte sie lediglich lapidar: „Wir wissen, dass den Menschen in Spanien, in Griechenland und in den anderen betroffenen Mitgliedstaaten außerordentlich viel abverlangt wird.“ Mit anderen Worten: Die Bundesregierung hat die dramatische soziale Lage in den Ländern zur Kenntnis genommen, tut aber nichts, um Abhilfe zu schaffen. Zum Beispiel hat sie immer noch keine Vorschläge vorgelegt, wie sie die immens hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpfen will. Eine Studie bezifferte in dieser Woche die Kosten der Jugendarbeitslosigkeit in der EU auf 153 Milliarden Euro jährlich. Und was macht die Bundesregierung dagegen? Nichts. Statt die gestiegenen Steuereinnahmen sinnvoll zu investieren, beabsichtigt die Bundesregierung immer noch, das Betreuungsgeld einzuführen. Sie will immer noch rund 1,3 Milliarden Euro in eine Maßnahme stecken, die bekanntermaßen dem Ziel der Strategie „Europa 2020“ zuwiderläuft, die Beschäftigungsquote der Frauen zu erhöhen. Sogar die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat in ihrer Stellungnahme festgestellt, dass das Betreuungsgeld kontraproduktiv ist. Dem ist nichts hinzuzufügen. Die langwierige Debatte um das Betreuungsgeld zeigt, was die Bundesregierung von den Empfehlungen der Europäischen Kommission hält. Denn auch die Kommission hat das Betreuungsgeld im Rahmen der länderspezifischen Empfehlungen für Deutschland kritisiert. Allerdings folgenlos. Denn während Griechenland und Co. den europäischen Vorgaben folgen sollen, ignoriert die Bundesregierung die Empfehlungen der EU-Kommission. Während Griechenland und Co. die Sparanforderungen der Troika nach Meinung der Bundesregierung eins zu eins umsetzen sollen, scheint die Bundeskanzlerin es nicht für nötig zu halten, ihre Politik anzupassen. Es geht ja nicht nur um die Verirrung des Betreuungsgeldes. Es geht auch um die mangelnden Bemühungen der Bundesregierung, Langzeitarbeitslose in Arbeit zu vermitteln. Auch hier hat die Europäische Kommission größeres Engagement gefordert. Was hat die Bundesregierung gemacht? Sie hat wichtige Fördermöglichkeiten der aktiven Arbeitsmarktpolitik gestrichen. Nächstes Beispiel: Die Bundesregierung solle das Bildungsniveau benachteiligter Bevölkerungsgruppen anheben, empfiehlt die Kommission in Brüssel. Und was hat die Bundesregierung getan, um dieses Ziel zu erreichen? Nichts. Schließlich hat die Europäische Kommission der Bundesregierung empfohlen, die „steuerlichen Fehlanreize für Zweitverdiener“, mit anderen Worten: das Ehegattensplitting, abzuschaffen. Doch die Bundesregierung bleibt untätig, obwohl sie sich im Jahre 2010 verpflichtet hat, die Ziele der Strategie „Europa 2020“ zu erreichen. Es gibt bei keinem dieser Ziele Fortschritte, weder bei dem so wichtigen Ziel, die Armut und soziale Ausgrenzung in Deutschland zu verringern, noch bei dem Ziel, das Bildungsniveau und die Beschäf-tigungsquote in Deutschland nachhaltig zu erhöhen. Unklar ist auch weiterhin, wie die Bundesregierung die Klima-ziele von „Europa 2020“ erreichen will. Seit Neuestem will die Bundesregierung die sozialpolitischen Ziele aus dem Nationalen Reformprogramm ausgliedern und parallel zum Reformprogramm einen Nationalen Sozialbericht erstellen. Ich mache mir Sorgen, dass dadurch in der Europapolitik die sozialpoli-tischen Ziele vernachlässigt werden. Deshalb bezweifle ich auch, dass der Nationale Sozialbericht, der der Europäischen Kommission längst vorliegen sollte, einen Kurswechsel beinhalten wird. Hätte die Bundesregierung Ideen, mit welchen konkreten Maßnahmen sie die Situation in den Bereichen Armutsbekämpfung, soziale Inklusion, Rente, Pflege und Gesundheit verbessern wollte, hätte sie diese Ideen bereits bis April 2012 an die Europäische Kommission senden und damit die Frist einhalten können. Es bleibt zu hoffen, dass das Nationale Reformprogramm und die damit im Zusammenhang stehenden Berichtspflichten nach der Bundestagswahl 2013 die angemessene Aufmerksamkeit hier im Hause und durch die Bundesregierung finden werden. Michael Schlecht (DIE LINKE): Die von den EU-Mitgliedstaaten zu erstellenden Nationalen Reformprogramme, NRP, sind ein Element der stärker abgestimmten Wirtschafts- und Haushaltspolitik auf EU-Ebene. Das deutsche NRP ist geprägt durch die Kontinuität der Agenda-2010-Politik, die in Deutschland zu massivem Lohndumping für die Mehrheit der -Erwerbstätigen geführt hat. Die gleichen neoliberalen Ansätze sind es, die unsere europäischen Partner in einen Teufelskreis aus staatlichen Kürzungen, wachsender Arbeitslosigkeit, sozialem Ruin, sinkender Wirtschaftsleistung und weiteren Kürzungen getrieben haben. Insofern ist es bemerkenswert, wenn die SPD in ihrem Antrag nun eine soziale Dimension für das NRP fordert, gleichwohl sich im Antrag positiv auf die Agenda 2010 und auf die Schuldenbremse bezieht. Mit dem Antrag bekennt sich die SPD also weiterhin zur Haushaltskonsolidierung als oberstem Ziel und zur Stabilisierung des -Finanzsektors. Andererseits werden keine einnahmeseitigen Verbesserungen angesprochen. Dies kommt einem Bekenntnis zu weiteren Kürzungen in den öffentlichen Haushalten gleich. Die SPD bleibt sich treu; dies wird auch an anderer Stelle deutlich. Statt sich endlich von der Rente mit 67 zu verabschieden und die Absenkung des Rentenniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung zu verhindern, wird im Antrag die Bundesregierung nebulös aufgefordert, „im Nationalen Reformprogramm 2012 Maßnahmen aufzuzeigen, mit denen die Beschäftigungsdefizite von älteren Menschen sowie derer in verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit verbessert werden können. Außerdem sollte die Bundesregierung das Problem der zunehmenden Altersarmut im Nationalen Reformprogramm berücksichtigen“. Im Antrag wird zu Recht von der Vernachlässigung der Altersarmut im NRP gesprochen, gleichzeitig aber einen Mindestlohn von 8,50 Euro gefordert. Dabei müsste auch der SPD bekannt sein, dass selbst nach Aussagen der Bundesregierung ein Mindestlohn von mindestens 10 Euro vonnöten ist, um selbstständig wenigstens das Grundsicherungsniveau im Rentenalter zu erreichen. Wieder einmal bleibt die SPD auf halbem Weg stehen. Eine andere wirtschaftliche und soziale Entwicklung, welche möglich ist, kann nicht durch ein paar soziale Feigenblätter, wie es die SPD versucht, hergestellt -werden. Schon gar nicht mit den zu klein geratenen Feigenblättern à la SPD. Das gesamte NRP müsste vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Freilich müssten hierzu auch die zugrunde liegenden Verordnungen und Leitlinien, wie die EU-Strategie 2020, der Euro-Plus-Pakt sowie die Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung, geändert werden. Eine soziale und friedliche EU ist letztlich nur durch eine Neugründung zu haben. Doch auch sofort wäre einiges zu tun; allerdings liest man hiervon nichts, weder im NRP noch im Antrag der SPD. Die deutsche Binnennachfrage muss umgehend angekurbelt werden. Zur Belebung der Binnennachfrage sind ein Zukunftsinvestitionsprogramm für den sozial-ökologischen Umbau in Höhe von 125 Milliarden jährlich sowie der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von zunächst 10 Euro dringend notwendige Schritte. Mit einer gerechten Besteuerung von Spitzenverdienern und Superreichen ist dies auch ohne Neuverschuldung zu -haben. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir diskutieren den vorliegenden Antrag heute in zweiter Lesung. Das Europäische Semester 2012 wurde mit der Annahme der länderspezifischen Empfehlungen durch den Europäischen Rat offiziell aber schon ab-geschlossen. Das Nationale Reformprogramm der Bundesregierung für 2012 ist damit mit all seinen Mängeln geschrieben, kommentiert, bewertet und verabschiedet. Es greift also zu kurz, sich über den formalen Antragsinhalt der SPD auszulassen. Die Kernkritik aber, dass die sozialen Ziele der EU-2020-Strategie in den -Reformprogrammen der Bundesregierung schlicht immer zu kurz kommen, bleibt nach wie vor richtig. Auch wir Grünen kritisieren das. Und wenn man die länderspezifischen Empfehlungen der Kommission gründlich durchliest, dann erkennt man dort auch viel Kritik. Die Bundesregierung hat also keinen Anlass zur Selbst-zufriedenheit. Das beginnt schon beim Verfahren: Kommunen, Parlamente und Sozialpartner wurden entgegen der Ankündigung eben nicht von der Bundesregierung „in enger Zusammenarbeit“ einbezogen – im Gegenteil. Sie hatten gerade einmal eine Dreitagefrist zur Rückmeldung von Anregungen. Das haben wir auch im Ausschuss heftig kritisiert. Das unzureichende Verfahren führte dann auch zu einem schlechten Reformprogramm. Die im Rahmen der Europa-2020-Strategie vereinbarten Ziele zur Armutsbekämpfung, zur Integration benachteiligter Gruppen auf dem Arbeitsmarkt und zur Reduzierung der Schul-abbrecherquote wurden eben nicht im nötigen Maße -berücksichtigt und eingearbeitet. Unsere Bewertungen in den Debatten waren dementsprechend kritisch, und das zeigt auch der vorliegende Antrag der SPD. In der Folge überrascht auch nicht die Kritik der Europäischen Kommission an der Bundesregierung und deren halbherzigen Reformbemühungen; denn ein Vergleich zeigt, dass die Empfehlungen für die Reformperiode 2012 des Europäischen Semesters weitgehend identisch sind mit denen der ersten Reformperiode. Ein ernsthafter Umgang mit den sozialen Zielen in Europa sieht anders aus. Die Kommission stellt erneut fest, „von der guten -Arbeitsmarktlage in Deutschland“ habe „nicht die gesamte Erwerbsbevölkerung gleichermaßen profitiert“. Damit bestätigt sie die Kritik der Grünen, dass bestimmte Gruppen von den vermeintlichen Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen bleiben. Die Kommission benennt auch einmal mehr die „fiskalischen Fehlanreize“, die die „Eingliederung besonders von Geringverdienern in den Arbeitsmarkt behindern“ – gemeint ist beispielsweise das Ehegattensplitting. Laut Kommission führen diese Fehlanreize – neben einer mangelnden Kinderbetreuung – zu dem geringen Frauenanteil an den Vollzeitbeschäftigten. Deutliche Worte gibt es auch zu den Minijobs auf dem deutschen Arbeitsmarkt. So wird der „weitverbreitete Rückgriff auf -Minijobs“ und die Hindernisse beim „Übergang von Minijobs zu stabileren Arbeitsverhältnissen“ kritisiert. Schließlich bescheinigt die Kommission der Bundes-regierung erneut, dass die Löhne in Deutschland nicht der Produktivitätsentwicklung entsprechen. Das bedeutet auch, dass die Binnennachfrage mangelhaft entwickelt ist. Alles zusammen zeigt – und da sehen wir uns von der Kommission bestätigt –, dass die Bundesregierung keinerlei Maßnahmen ergreift, um die wirtschaftlichen Überschüsse zu reduzieren. Mehr noch: Die Bundes-regierung ist weiterhin der Ansicht – das zeigen auch die Diskussionen im Ausschuss –, dass Überschüsse weniger schädlich seien als Defizite. Damit wird meiner -Meinung nach ein Überschussland wie Deutschland zu einem Problem für Europa. Weiter zeigt dieses wenig ambitionierte Nationale -Reformprogramm von Deutschland auch eine geringe Wertschätzung für die sozialen Ziele, die sich Europa gegeben hat. Die Bundesregierung geht schon gar nicht mit gutem Beispiel und engagierten Zielen voran. In der Folge können die EU-2020-Ziele auch EU-weit nicht -erreicht werden, zumal die Sparauflagen den Krisenstaaten keinerlei Spielraum lassen, zumindest ihre eigenen Ziele zur Armutsbekämpfung zu erreichen. Europa hat sich soziale Ziele gegeben, und diese müssen auch ernst genommen werden. Gerade in Zeiten der Euro-Krise darf dieser Anspruch nicht vernachlässigt werden – insbesondere nicht von Deutschland. Also hoffe ich auf das Europäische Semester 2013 – Deutschland bekommt damit eine weitere Chance. Die Damen und Herren der Bundesregierung können sicher sein: Ich werde sie rechtzeitig daran erinnern. Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Das deutsche Nationale Reformprogramm 2012 belegt es klar: Deutschland hat seine Verpflichtungen eingehalten. Auch die Europäische Kommission bescheinigt uns, dass wir vergleichsweise gut dastehen. Sie hatte uns für das Nationale Reformprogramm ambitionierte Vorgaben gemacht und einen sehr engen Zeitplan gesetzt. Wir haben die Länder intensiv an der Erarbeitung -beteiligt und die Stellungnahmen der Verbände und Sozialpartner berücksichtigt. Bundestag und Bundesrat hatten im Laufe des Prozesses Gelegenheit, Stellung zum Bericht zu nehmen. Die Bundesregierung hat das Nationale Reformprogramm pünktlich in Brüssel abgegeben. Ich hatte es bereits im März hier im Bundestagsplenum dargelegt: Wir haben bei der Umsetzung der -Europa-2020-Strategie konkrete, sichtbare Fortschritte gemacht und damit einen wichtigen Beitrag für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung in Europa geleistet. Dies gilt für alle fünf Kernzielbereiche der Europa-2020-Strategie: Beschäftigung, Innovationen, Klimaschutz und Energie, Bildung sowie soziale Eingliederung bzw. Verringerung der Armut. Mit ihrem Antrag, das Nationale Reformprogramm noch stärker auf soziale Ziele zu fokussieren, hinkt die SPD wieder einmal der Realität hinterher. Wir haben vor kurzem die Herbstprojektion veröffentlicht. Viele Länder Europas befinden sich in einer Rezession. Auch die aufstrebenden Schwellenländer in Asien und Amerika erleben derzeit eine konjunkturelle -Abschwächung. Wir müssen mit einer Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik auch in Deutschland rechnen. Vor diesem Hintergrund ist es genau der falsche Weg, den Faktor Arbeit zusätzlich zu belasten und damit die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt zu gefährden. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Mehrbelastungen, sondern auch um ordnungspolitisch falsche Weichenstellungen. Ich denke hier zum Beispiel an die Mindestlohndebatte. Deutschland ist Stabilitätsanker in Europa und darf – gerade in dieser Vorbildfunktion – das Verteilen nicht vor das Erwirtschaften stellen. Vielmehr sollte die wirtschaftspolitische Strategie darauf abzielen, die Wett-bewerbsfähigkeit und die Widerstandskraft der deutschen Wirtschaft weiter zu stärken. Dies ist der beste Weg, die Wohlfahrt aller Bürger zu steigern, soziale Teilhabe zu ermöglichen und die Armut zu bekämpfen. Der Antrag der SPD geht hingegen in die völlig falsche Richtung. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9480, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9154 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 35: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Erweiterung des Geltungsbereichs der Verordnung (EU) Nr. 1214/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über den gewerbsmäßigen grenzüberschreitenden Straßentransport von Euro-Bargeld zwischen Mitgliedstaaten des Euroraums – Drucksache 17/10759 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/11186 – Berichterstattung: Abgeordnete Peter Aumer Martin Gerster Wie ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Peter Aumer (CDU/CSU): Seit der Einführung unserer gemeinsamen Währung, des Euro, hat sich auch die Nachfrage nach grenzüberschreitenden Straßentransporten von Bargeld deutlich erhöht. Es ist Bestandteil unseres einheitlichen Währungsraumes, dass Bargeld frei zirkulieren kann. So lassen viele Mitglieder der Euro-Zone heute ihre Banknoten und Münzen im Ausland herstellen oder haben in Aussicht gestellt, dies in Zukunft zu tun. Aufgrund diverser Unterschiede in den nationalen Gesetzen ist es außerordentlich schwierig, Euro-Bargeld gewerbsmäßig zwischen den Euro-Staaten zu transportieren. Dies entspricht jedoch nicht dem Grundprinzip der Europäischen Union des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs. Mit dem Vorschlag für die Erweiterung des Geltungsbereichs der Verordnung (EU) Nr. 1214/2011 wird nun der Tatsache Rechnung getragen, dass die auf Art. 133 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV, gestützte Verordnung (EU) Nr. 1214/2011 nur eine Regelung für die Mitgliedstaaten des Euro-Raums geschaffen hat. Hierbei wird Art. 133 AEUV nicht als Ermächtigungsgrundlage für Regelungen gesehen, die Umstände vor der Euro-Einführung eines Mitgliedstaates tangieren. Von besonderer Bedeutung ist die Erweiterung des Geltungsbereichs der Verordnung also für Länder, die kurz vor der Euro-Einführung stehen und über keine eigene Notendruckerei oder Münzstätte im Land verfügen. Ihnen wird mit der Erweiterung ermöglicht, Euro-Bargeld gewerblich zu transportieren und zu importieren. Um dies gesetzlich zu ermöglichen, wird eine Verordnung des Rates nach Art. 352 AEUV benötigt. Die Verordnung hat also zum Ziel, diesen gewerbsmäßigen und grenzüberschreitenden Straßentransport von Euro-Bargeld zwischen den derzeitigen Mitgliedstaaten der Euro-Zone und den Mitgliedstaaten, die kurz vor der Einführung der Euro-Währung stehen, zu erleichtern. Wie bereits angesprochen, ist die Gesetzeslage auf nationaler Ebene sehr detailliert und von Land zu Land unterschiedlich. Das Ziel kann mit einer rein nationalen Gesetzgebung nicht erreicht werden und ist daher aufgrund des Umfangs und der Wirkung der Maßnahme auf Ebene der Europäischen Union zu verwirklichen. Die Verordnung entspricht damit den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Für das weitere Verfahren bedarf es nach § 8 des Integrationsverantwortungsgesetzes vom 22. September 2009, das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 1. Dezember 2009 geändert worden ist, eines Gesetzes gemäß Art. 23 Abs. 1 des Grundgesetzes, um die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union zu ermöglichen. Dieses Gesetz behandeln wir heute abschließend in der zweiten und dritten Lesung im Bundestag. Wir schaffen damit die innerstaatlichen Voraussetzungen, damit der deutsche Vertreter im Rat die Zustimmung für die Erweiterung der Verordnung erklären darf. Neben der Schaffung dieser Voraussetzung ist dem Gesetz ein weiterer Umdruck angehängt, in dem es inhaltlich vor allem um Änderungen in den Bereichen des Güterkraftverkehrsgesetzes und des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes geht. Im Folgenden möchte ich Ihnen diese gerne näher erläutern: In der Sache geht es um notwendige, zeitlich unaufschiebbare Regelungen über die nationale Behördenzuständigkeit der am 30. November 2012 in Kraft tretenden Verordnung. Durch eine Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes wird das Bundesamt für Güterverkehr, BAG, zur nationalen Lizenz-, Kontroll- und Sanktionsbehörde zur Durchführung der EU-Verordnung bestimmt. Darüber hinaus führt das BAG die vorgeschriebenen zentralen nationalen Register und übermittelt und empfängt Informationen an die und von der Kommission und anderen Mitgliedstaaten des Euro-Raums. Mit den Regelungen in Art. 1 c wird die EU-Verordnung Euro-Bargeldtransport rechtstechnisch einer Verordnung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz gleichgestellt. Hintergrund ist, dass grenzüberschreitende Straßenbargeldtransporte bereits dem Arbeitnehmer-entsendegesetz unterliegen. Laut Verordnung zum Euro-Bargeldtransport bestimmt sich mit deren Inkrafttreten die Höhe des Mindestentgelts für den gesamten Arbeitstag nach dem Recht desjenigen vom Transport betroffenen Mitgliedstaates, für den der betragsmäßig höchste Mindestentgeltsatz gilt. Ist dies nicht Deutschland, beruht der zu kontrollierende Anspruch des Arbeitnehmers nicht auf der Mindestlohnverordnung für das Bewachungsgewerbe, sondern auf der unmittelbar anzuwendenden EU-Verordnung. Mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Erweiterung des Geltungsbereichs der Verordnung (EU) Nr. 1214/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über den gewerbs-mäßigen grenzüberschreitenden Straßentransport von Euro-Bargeld zwischen Mitgliedstaaten des Euro-Raums schaffen wir zum einen die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Zustimmungserklärung des deutschen Vertreters im Rat und setzen zum anderen die nötigen Verwaltungsanweisungen um. Ich bitte Sie, dem Gesetz zuzustimmen. Martin Gerster (SPD): Der eher spröde Titel deutet es an: Der „Entwurf eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Erweiterung des Geltungsbereichs der Verordnung (EU) Nr. 1214/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über den gewerbsmäßigen grenzüberschreitenden Straßentransport von Euro-Bargeld zwischen Mitgliedstaaten des Euroraums“ ist kein Projekt, das in der politischen Debatte besondere Sprengkraft entfaltet. Dementsprechend haben sich Regierung und weite Teile der Opposition – einschließlich der SPD-Bundestagsfraktion – bereitgefunden, den mit dem Gesetz verbundenen Regelungen zuzustimmen. Bei der 2011 erlassenen EU-Verordnung, deren Geltungsbereich erweitert werden soll, geht es um den Transport von Euro-Bargeld innerhalb der Euro-Zone. Festgelegt wird beispielsweise, welche Voraussetzungen ein Unternehmen erfüllen muss, um solche Geldtransporte durchführen zu dürfen, und welche spezifischen Anforderungen für das beteiligte Personal oder die verwendete Ausrüstung gelten sollen. Nun gilt es, diese Verordnung auf Staaten zu erweitern, die den Euro als Währung einführen wollen und beispielsweise das entsprechende Bargeld aus einem anderen Staat der Euro-Zone beziehen müssen, weil sie nicht über eigene Notendruckereien und Münzstätten verfügen. Die in der Europäischen Union vereinbarten Regeln machen es notwendig, dafür in den einzelnen Mitgliedstaaten eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Erst nach Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag darf der deutsche Vertreter im Rat die Zustimmung zum Vorschlag für die vorgenannte Verordnung erklären. Darüber hinaus müssen auch mit Blick auf Deutschland kleinere Gesetzesänderungen vorgenommen werden, um der Ende November in Kraft tretenden Verordnung gerecht zu werden. So wird mit dem Gesetz das Bundesamt für Güterverkehr, BAG, zur nationalen Lizenz-, Kontroll- und Sanktionsbehörde für das Euro-Bargeld-Transportwesen. Das BAG soll Informationen an die und von der Europäischen Kommission und anderen Mitgliedstaaten des Euro-Raums übermitteln und empfangen. Da entsprechende Transporte durch bewaffnetes Personal gesichert werden, sieht die Verordnung vor, dass die Mitgliedstaaten zentrale Kontaktstellen für waffenrechtliche Anträge schaffen müssen, die im Falle der Bundesrepublik auf Ebene der Länder eingerichtet werden, da diesen die Ausführung des Waffengesetzes obliegt. Im Zusammenhang mit dem Waffenrecht wird eine weitere EU-Verordnung umgesetzt, und das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA, erhält die Zuständigkeit für die Erteilung von nunmehr erforderlichen Genehmigungen zur Ausfuhr bestimmter Feuerwaffen. Überdies wird mit dem Gesetzentwurf die zu erweiternde EU-Verordnung 1214/2011 mit einer Verordnung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG, gleichgestellt, damit der Zoll über eine Rechtsgrundlage für seine Kontroll- und Sanktionstätigkeit verfügt, wenn es um die Einhaltung der Entlohnung des Sicherheitsper-sonals geht, das grenzüberschreitende Geldtransporte durchführt. Denn nach Art. 24 der Verordnung muss sich mit deren Inkrafttreten die Höhe des dem Sicherheits-personal zustehenden Mindestentgelts für den gesamten Arbeitstag nach dem Recht desjenigen vom Transport betroffenen Mitgliedstaates richten, für den der betragsmäßig höchste einschlägige Mindestentgeltsatz gilt. Das ist im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu begrüßen. Holger Krestel (FDP): Der vorliegende Entwurf ermöglicht dem deutschen Vertreter die Zustimmung im Rat der Europäischen Union zur Verordnung des Rates über die Erweiterung des Geltungsbereichs der Verordnung (EU) Nr. 1214/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über den gewerbsmäßigen grenzüberschreitenden Straßentransport von Euro-Bargeld zwischen Mitgliedstaaten des Euro-Raums. In der Praxis bedeutet es, dass, wenn neue Länder dem Euro-Raum beitreten, aber selbst noch über keine passenden Notendruckereien und Münzprägeanstalten verfügen, die Noten und Münzen aus anderen Mitgliedsländern, welche den Euro als Währung haben, eingeführt werden können. Die Zuständigkeit für die hierfür nötigen Straßentransporte sowie die bürokratischen -Anforderungen der Verordnung werden an das Bundesamt für Güterverkehr übertragen. Es agiert dabei als -Lizenz-, Kontroll- und Sanktionsbehörde. Durch diese Regelung werden die komplexen bürokratischen Anforderungen somit in einer Behörde konzentriert und -ermöglichen eine effiziente Überwachung des grenzüberschreitenden Transports. Eine Ausnahme bildet hierbei lediglich die dem -Arbeitnehmer-Entsendegesetz unterliegende Kontrolle der Einhaltung der Entlohnung des Sicherheitspersonals. Hier obliegt es nach geltendem Recht der Zoll-verwaltung, sicherzustellen dass sich die Höhe des -Mindestlohns für den gesamten Arbeitstag nach dem Recht desjenigen vom Transport betroffenen Mitgliedstaates richtet, in dem der betragsmäßig höhere Mindestentgeltgesetz gilt. In diesem Sinne wünsche ich dem Personal zahlreiche Arbeitstage mit Fahrten über die deutsch-luxemburgische Grenze. Ein weiter Rechtsbereich, der durch die Verordnung tangiert wird, findet sich im Waffenrecht, da das bei den Transporten benötigte Sicherheitspersonal selbstverständlich bewaffnet die Grenze passieren muss. Die Mitgliedstaaten werden daher verpflichtet, eine zentrale Kontaktstelle für waffenrechtliche Anträge einzurichten, wobei es föderalen Mitgliedstaaten auch freisteht, dem auf Ebene der Gliedstaaten nachzukommen. Des Weiteren muss ein Übereinkommen der Vereinten Nationen bezüglich Herstellung, Handel und Ausfuhr von Feuerwaffen, Waffenkomponenten und Munition in nationales Recht umgesetzt werden. Hierdurch wird das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als zuständige -Instanz zur Erteilung der Ausfuhrgenehmigung bestimmt, da das Außenwirtschaftsrecht in Deutschland grundsätzlich durch diese Behörde vollzogen wird. Bisher wurden durch das Waffengesetz nur militärisch nicht erhebliche Waffen wie Flinten, also Feuerwaffen mit glattem Lauf, mit denen meistens Schrot zur Jagd verschossen wird, oder Einzellader-Feuerwaffen für Munition mit Randfeuerzündung noch nicht in das außenwirtschaftliche Kontrollregime einbezogen. Um möglichst unbürokratisch vorzugehen, eine Verwaltung aus einem Guss zu schaffen und damit auch unnötige Kosten zu vermeiden, ist es daher naheliegend, dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle auch diese Genehmigungsverfahren zu übertragen. Hierbei wird ein einheitlicher und klarer Vollzug gewährleistet. Ich bitte Sie daher, diesem – zugegebenermaßen über einige Strecken sehr technischen, aber nichtsdestotrotz notwendigen – Entwurf zuzustimmen. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Für einen reibungslosen Zahlungsverkehr sind regelmäßige Bargeldtransporte notwendig. Weil 17 Staaten den Euro als Währung haben, sind in der Euro-Zone auch häufiger grenzüberschreitende Bargeldtransporte notwendig – insbesondere weil nicht jeder Euro-Staat eine eigene Geldscheindruckerei oder Münzprägeanstalt unterhält. Die Transporte setzen hohe Sicherheitsvorkehrungen voraus. Für grenzüberschreitende Transporte ist es deswegen sinnig, gemeinsame Standards für alle Euro-Staaten zu haben. Dies ist in einer Verordnung bereits geregelt. Demnächst wollen weitere Länder den Euro einführen. Zum Zeitpunkt der Umstellung müssen die Scheine und Münzen natürlich bereits im Land sein. Deswegen soll die für die Euro-Staaten geltende Verordnung zu Euro-Bargeldtransporten auch auf die neuen Euro-Beitrittsländer ausgedehnt werden. Dieses Gesetz ermächtigt die Bundesregierung dazu, einer entsprechenden Erweiterung zuzustimmen – das ist auch schon alles. Gegen diese Erweiterung haben wir keine Einwände. Bei dieser Gelegenheit möchte ich der Bundesregierung aber eines mit auf den Weg nach Brüssel geben: Der Staat hat nicht nur das Geldmonopol, was ihn als Einzigen befugt, über die Zentralbank neue Münzen und Scheine in Umlauf zu bringen. Er hat auch das Gewaltmonopol, und zur Sicherung von Geldtransporten werden bewaffnete Sicherheitskräfte gebraucht. Zwar folgt daraus nicht zwingend, dass nur der Staat Geldtransporte organisieren kann. Allerdings gibt es gute Gründe dafür, dass öffentliche, gemeinwohlorientierte Dienstleister dies besser tun sollten als gewerbliche Unternehmen. Ein Negativbeispiel für Letzteres war das Geldtransportunternehmen Heros, welches Dumpingpreise verlangte, dafür aber über lange Jahre Gelder in großem Umfang veruntreut hat. In den letzten Jahren galt oft pauschal die Devise: Staat ist pfui, Private sind hui. So wurde auch die Bundesdruckerei, welche Banknoten und Ausweise druckt, um die Jahrtausendwende privatisiert und an einen Investor verkauft. Dummerweise ging dieser pleite, und die Bundesdruckerei musste aufgefangen werden. Inzwischen gehört sie wieder dem Staat. In vielen Staaten ist es auch heute noch selbstverständlich, dass der Staat hoheitliche Aufgaben selbst übernimmt. In Deutschland tun sich viele mit dieser Vorstellung leider sehr schwer. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zweifellos: Die Euro-Zone steckt in einer tiefen Krise. Die Toptagesnachrichten unserer Tage sind geprägt von vermeidbar tiefen Wirtschafts- und Bankenkrisen in Euro-Mitgliedstaaten, Abwendung von Staatspleiten und der Notwendigkeit tiefgreifender institutioneller Reformen zur Verhinderung des Zerfalls des gemeinsamen Währungsraums. Erst gestern hatten wir deshalb erstmals EZB-Chef Mario Draghi zu Gast in einer gemeinsamen Sitzung von Haushalts-, Finanz- und Europaausschuss. Ebenfalls gestern haben wir mit Sorge aus Spanien vernommen, das Land stecke noch tiefer in der Rezession, als bisher gedacht. Und ebenso gestern wurde bekannt, dass Griechenland mehr Zeit für die Umsetzung von Reformen und die Erreichung von Sparzielen erhalten soll. Kurzum: Spricht man zurzeit vom Euro, geht es meist um Krisenszenarien, wackelnde Banken und Schuldenberge, unter denen die Gemeinschaftswährung auseinanderzubrechen droht. Vor diesem Hintergrund ist es in gewisser Weise doch sehr erfreulich, dass wir heute einmal nicht die Krisenpolitik debattieren, wenn wir vom Euro reden. Heute geht es um sehr viel Harmloseres, nämlich den zwischenstaatlichen Straßentransport von Euro-Bargeld. Der vorliegende Gesetzentwurf will die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass Mitgliedstaaten, die den Euro einführen möchten und über keine eigenen Notendruckereien oder Münzstätten verfügen, das benötigte und außerhalb des Landes produzierte Bargeld einführen und sich hierzu gewerblicher Geldtransportunternehmen bedienen können. In der Existenz dieses Gesetzentwurfs steckt damit eine Botschaft, die wir bei der tagesaktuellen und allgegenwärtigen Krisenrhetorik zum Euro nicht vergessen dürfen: Es gibt Staaten, die den Euro einführen möchten! Denn trotz aller Probleme des Währungsraums in seiner jetzigen Verfasstheit und trotz aller berechtigten Sorgen, die uns im Zusammenhang mit der Währungsunion umtreiben, ist der Euro nach wie vor eine Erfolgsgeschichte. Warum sonst möchten Länder wie Bulgarien, Tschechien oder auch Litauen und Lettland den Euro einführen? Doch nicht, um sich neue Probleme ins Land zu holen. Doch nicht, weil die Lage tatsächlich so ausweglos ist, wie sie in manchen Tagen erscheinen mag. Sondern weil der Euro ein wichtiges Zukunftsprojekt ist und bleibt. Weil die Probleme lösbar sind, wenn die Verantwortlichen in der Politik – allen voran die deutsche Bundesregierung! – sich endlich dazu durchringen. Weil mit dem Euro eine der wichtigsten Handelsregionen der Welt geschaffen wurde, dem sich andere Länder anschließen und an dem sie teilhaben möchten. Und weil sich die beitrittswilligen Länder von der Euro-Einführung unterm Strich Vorteile versprechen, die sie ansonsten nicht realisieren könnten und die uns und unseren Unternehmen inzwischen selbstverständlich geworden sind. Diese Erkenntnis sollten wir alle in die Tages- und Krisenpolitik zum Euro mitnehmen. Zum Gesetzentwurf selbst: Wir Grüne unterstützen wie der Bundesrat die Ziele dieses Gesetzentwurfs. Länder sollten zum Euro beitreten können, wenn sie die -erforderlichen Beitrittsvoraussetzungen erfüllen, ohne über eigene Notendruckereien und Münzprägestätten verfügen zu müssen. Dem Gesetz werden wir daher zustimmen. Das etwas chaotische Verfahren der Koalition, hier in aller Eile dem Gesetzentwurf noch Veränderungen im Waffenrecht anzuhängen, fanden wir etwas seltsam. In der Sache haben wir aber auch dort keine Einwände und haben deshalb dem holprigen Verfahren, bei dem noch nach der Schlussabstimmung im Ausschuss Änderungsanträge zusätzlich eingebracht wurden, zugestimmt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11186, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10759 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der Linken von den anderen Fraktionen des Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, sich zu erheben, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen. Tagesordnungspunkt 31: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mineralölhaltige Druckfarben bei wiederverwendbarem Papier und Lebensmittelverpackungen verbieten – Drucksachen 17/7371, 17/10661 – Berichterstattung: Abgeordnete Mechthild Heil Elvira Drobinski-Weiß Dr. Erik Schweickert Karin Binder Nicole Maisch Wie ausgewiesen, sind auch hier die Reden zu Protokoll genommen worden. Mechthild Heil (CDU/CSU): Wir sprechen heute über ein wichtiges verbraucherpolitisches Thema: die mögliche Gesundheitsgefährdung durch den Übergang von Mineralöl aus Ver-packungsmaterialien auf Lebensmittel. Wie kommt dieser zustande? Erstens. Lebensmittelverpackungen werden zu Informations- und Werbezwecken bedruckt. Die verwendeten Druckfarben sind Mischungen verschiedenster chemischer Verbindungen. Diese Verbindungen können auf Lebensmittel übergehen und dann beim Verzehr von den Verbrauchern aufgenommen werden. Zweitens. Untersuchungen haben ergeben, dass Recyclingkartons hohe Mineralölanteile enthalten können, die auf Lebensmittel übergehen können. Die Mineralöle kommen aus Druckfarbenrückständen im Recyclingpapier, zum Beispiel aus dem Zeitungsdruck. Wir sind uns darüber einig, dass wir aus ökologischen Gründen -Papier recyceln wollen. Nun ist die berechtigte Frage: Inwieweit kann dies gesundheitsschädlich für die Konsumenten sein? Wir nehmen die bis jetzt gewonnenen Erkenntnisse und die Sorgen der Verbraucherinnen und Verbraucher sehr ernst. Es herrscht hier aber noch erheblicher Forschungsbedarf. Die vorgeschlagene Lösung der Linken, mineralölhaltige Druckfarben bei wiederverwendbarem Papier und Lebensmittelverpackungen zu verbieten, ist nicht durchdacht. Es nutzt dem Verbraucher jedenfalls nicht, wenn die Linke Verunsicherung sät, nur um Wählerstimmen zu ernten. Wir müssen dieses Problem mit Augenmaß angehen. Der Antrag klingt beim ersten Hören ganz sinnvoll, aber, wieder einmal, wird ein komplexes -Problem der Schlagzeile wegen vereinfacht. Die Linke fordert in ihrem Antrag unter anderem, der Zeitungsindustrie zu verbieten, mineralölhaltige Druckfarben zu verwenden. Mal ganz abgesehen davon, dass die Zeitungsindustrie große Probleme hätte, ihre Druckverfahren entsprechend umzustellen, ergäben sich viel größere Schwierigkeiten: Eine solche nationale Lösung ignoriert die Tatsache, dass Altpapierkreisläufe global verlaufen. Außerdem müssen Mineralöle in Lebensmitteln nicht ausschließlich in den Druckfarben ihren Ursprung haben. Mineralöle sind weit verbreitet und gelangen auf unterschiedlichen Wegen in Lebensmittel, beispielsweise aufgrund der Transport-, Verarbeitungs- und Lagerbedingungen von Lebensmittelrohmaterial. Wir brauchen bessere Erkenntnisse, woher Mineralöl, das auf Lebensmittel übergegangen ist, tatsächlich kommt, und welche Auswirkungen es auf den menschlichen Organismus hat. Die Bereitschaft vonseiten der Industrie, mit uns gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, ist groß. Die deutschen Wirtschaftsverbände der Papierverarbeitung beispielsweise haben ihren Mitgliedern längst empfohlen, nur mineralölfreie Druckfarben zur Bedruckung von Verpackungen aus Papier, Karton und Pappe einzusetzen. Wir wollen das Problem auf diese Weise, gemeinsam mit Wirtschaft und Forschung, lösen. Staatlicher Zwang hilft dem Verbraucher nicht immer, denn die -Lösungen müssen sinnvoll und auch umsetzbar sein. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat einen Verordnungsentwurf zur nationalen Regulierung von Druckfarben vorgelegt, der zurzeit überarbeitet wird. Es werden unter anderem Höchstmengen für den Übergang von Mineralöl aus Lebensmittelverpackungen auf Lebensmittel festgelegt. Außerdem sieht der Verordnungsentwurf eine Positivliste vor, also eine Liste mit Stoffen, die in Druckfarben bei der Herstellung von Lebensmittelbedarfs-gegenständen verwendet werden dürfen. In dieser Liste werden nur solche Stoffe aufgeführt, die vom Bundes-institut für Risikobewertung auf ihre Unbedenklichkeit geprüft wurden. Kurzfristige Lösungen, wie zum Beispiel die Verwendung von Innenverpackungen, halte ich für sinnvoll. So können Mineralölübergänge auf Lebensmittel reduziert werden. Wie notwendig und sinnvoll das ist, muss aber weiter geprüft werden. Um langfristige Lösungen finden zu können, brauchen wir belastbare Zahlen und nicht nur Theorien. Bisher beruhen die Diskussionen nämlich hauptsächlich auf Vermutungen und Interpretationen. Wir erkennen die potenziellen Risiken durch Mineralölübergänge auf Lebensmittel. Ich betone aber auch: Momentan liegen keine Erkenntnisse über eine konkrete Gefährdung der Verbraucher vor. Es besteht erheblicher Bedarf an Studien und Forschung, um die Risiken tatsächlich identifizieren zu können. Nur wenn wir die -Risiken wirklich kennen und verstehen, können wir sinnvollen Verbraucherschutz betreiben. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Seit mehr als zwanzig Jahren ist das Problem bekannt: Mineralöle, die durch den Recyclingprozess in Lebensmittelkontaktmaterialien gelangen, verdampfen während der Lagerung und belasten damit Lebensmittel – und nicht nur die Lebensmittel, die damit verpackt sind, nein, alle in diesem Raum gelagerten Lebensmittel sind potenziell gefährdet! Das Bundesinstitut für Risikoforschung beschreibt das Mineralöl als sehr komplexe Mischung aus gesättigten und aromatischen Kohlenwasserstoffen. Bekannt ist: Insbesondere die kurzkettigen gesättigten Kohlenwasserstoffe werden vom Körper leicht aufgenommen, und deren Ablagerungen können zu Organschäden führen. Bekannt ist auch, dass zu den aromatischen Kohlenwasserstoffen auch krebserregende Substanzen gehören. -Jedoch gibt es aufgrund der meist unbekannten Zu-sammensetzung der Stoffgemische leider keine wissenschaftlichen Daten zur Wirkung der Mischungen selbst – leider, aber aufgrund der Vielzahl von Mischungen nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar ist für mich, -warum Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, nicht trotzdem ernsthaft den Austausch mineralölhaltiger Druckfarben im Zeitungsdruck angehen. Im Sinne eines vorsorgenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes muss der Übergang von Mineralöl in -Lebensmittel so gering wie möglich gehalten werden. Doch leider auch in diesem Jahr bilanziert der BfR--Jahresbericht: Für die Klasse der gesättigten Kohlenwasserstoffe – für die es temporäre Grenzwerte gibt – werden diese Grenzwerte sehr oft weit überschritten. Keine Lösung nach zwanzig Jahren in Sicht? Ich möchte nicht die bisherigen Bemühungen der Industrie zur Reduzierung der Übergänge von Mineralöl aus Recyclingkartonverpackungen gering schätzen. Aber es reicht offensichtlich nicht, die Druckfarben für den Karton selbst mineralölfrei zu gestalten. Und Umverpackungen kann ich nur als Zwischenlösung akzeptieren; sie sind weder ökologisch noch ökonomisch auf lange Zeit tragbar. Wir brauchen dauerhafte Lösungen. Um Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich effektiv zu schützen, muss der Einsatz mineralölhaltiger Druckfarben sowohl bei den wiederverwendbaren -Papier- als auch bei den Kartonmaterialien so weit wie möglich gesenkt werden. Eine Positivliste für Druck-farben, die eine gesundheitliche Unbedenklichkeit -nachweisen können, unterstütze ich voll und ganz. Aber um wirklich effektiv vor Mineralölen in Lebensmittelkartonen zu schützen, müssen wir vor allem den Recyclingprozess selbst überprüfen. Wir wissen: Große Mengen Altpapier werden importiert. Wir wollen auch weiterhin Recyclingmaterial einsetzen. Aber kann während der Herstellung mehr für die Entfernung der Mineralöle getan werden? Wo können konkrete Grenzwerte für den Gehalt an Mineralölen gesetzt werden? Und welche Analysemethoden gibt es, um diesen Grenzwert zu kontrollieren? Den Grenzwert sinnvoll zu setzen, ist für mich der -Ansatzpunkt, um die Recyclingindustrie wirklich zum Umdenken zu bewegen. Dann kommt sicher auch Bewegung in die Entscheidungsfindung der Zeitungsdruckhäuser; denn mineralölfreie Zeitungsfarben sind laut Verbandsaussage machbar, aufgrund mangelnder Nachfrage jedoch aktuell am Markt nicht verfügbar. Der Antrag der Linken geht in die richtige Richtung, ist jedoch leider nicht weitgehend genug. Deswegen -enthält sich die SPD-Fraktion. Dr. Erik Schweickert (FDP): Das Problem von mineralölhaltigen Druckfarben in Lebensmittelverpackungen wird von der schwarz-gelben Bundesregierung bereits angegangen. Nachdem das Bundesinstitut für Risikobewertung eine Minimierung von Mineralölrückständen in Lebensmittelverpackungen angemahnt hat, haben wir gehandelt. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat eine Verordnung erarbeitet, welche den Anliegen der Linkspartei in weiten Teilen Rechnung trägt. Die christlich-liberale Koalition verfolgt ein Minimierungskonzept, um den Übergang von Mineralölrückständen in Lebensmitteln zu vermeiden. Zum Schutz der -Verbraucherinnen und Verbraucher vor möglichen -Gesundheitsgefahren werden Höchstmengen für den Übergang von gesättigten und aromatischen Kohlenwasserstoffen aus Lebensmittelverpackungen, die unter Verwendung von Altpapier hergestellt sind, auf Lebensmittel festgelegt. Auch enthält der Verordnungsvorschlag eine Positivliste mit Stoffen, die in Druckfarben bei der Herstellung von Lebensmittelbedarfsgegenständen verwendet werden dürfen. Die Aufnahme der Stoffe auf die Positivliste erfolgt in enger Abstimmung mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung, welches diese auf ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit überprüft. Der Antrag der Linken schießt allerdings in manchen Forderungen weit über das erreichbare Ziel hinaus. Ein grundsätzliches Verbot der Verwendung von mineralölhaltigen Druckfarben träfe vor allem die Zeitungsindustrie. Zeitungsverleger würden vor erhebliche Probleme gestellt, da sie zu einer Umstellung ihrer Drucktechnik gezwungen wären. Dabei trägt der Zeitungsverleger keine Verantwortung dafür, dass sich Zeitungen als Recyclingprodukte in Lebensmittelverpackungen wiederfinden. Hinzu kommt, dass Zeitungsdruckfarben nach europäischem Recht der REACH-Verordnung und dem Chemikaliengesetz unterliegen. Sie sind demnach nicht an das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch, LFGB, gebunden. Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen, auch Zeitungsdruckfarben dem LFGB unterwerfen zu wollen – wie die Linken dies anstreben. Das, so meine ich, ist weder zielführend noch effizient. Denn zum einen würde dies deutsche Zeitungsverleger im europäischen Wettbewerb benachteiligen. Zum anderen würde das Problem nicht gelöst, da aus dem Ausland nach wie vor Verpackungen und Altpapier mit mineralölhaltigen Druckfarben nach Deutschland gelangen würden und dementsprechend auch in der Altpapierverwertung landen würden. Angesichts dieses Recyclingkreislaufs wäre ein nationaler Alleingang keine sinnvolle Lösung des Pro-blems. Aus einem nationalen Alleingang würden stattdessen Handelshemmnisse und Wettbewerbsverzerrungen resultieren, die insbesondere für unsere deutschen Unternehmen nicht gerechtfertigt werden können. Denn, wie gezeigt, stünden diesen Wettbewerbsverzerrungen keine Verbesserungen beim Gesundheitsschutz gegenüber. Notwendig ist deshalb auf jeden Fall ein EU-einheitliches Vorgehen. Es gibt inzwischen Vorschläge, die darauf zielen, Zeitungen zukünftig separat zu recyceln, um einen Eintrag von Mineralölen in Lebensmittelverpackungen zu vermeiden. So gut dieser Vorschlag auf den ersten Blick klingt, so problematisch ist dann aber auch seine Realisierung: Denn eine Trennung von Zeitungen und anderen Papierprodukten bei der Altpapiererfassung stellte den gesamten Prozess des in Deutschland vorbildlichen Papierrecyclings infrage. Und wie eben bereits aufgezeigt, sind nicht nur Zeitungen ein Problem, sondern auch Verpackungen von importierten Produkten aus dem Ausland. Im Übrigen ist die Verpackungsindustrie in Deutschland bereits selbst dabei, auf das vorliegende Problem zu reagieren. Die Wirtschaftsverbände Papierverarbeitung, WPV, und die angeschlossenen Mitgliedsverbände haben beispielsweise eine Selbstverpflichtung erarbeitet, beim Bedrucken von Verpackungen aus Papier, Karton und Pappe nur noch mineralölfreie Druckfarben einzusetzen, die auf dem Markt verfügbar sind. Das ist ein ausgezeichneter Ansatz. Statt nach ineffizienten nationalen Alleingängen und Verboten zu rufen, lassen sich aus meiner Sicht vor allem durch technische Maßnahmen auf der Verpackungsebene die Einträge von mineralölhaltigen Druckfarben in Lebensmitteln minimieren. Beispielsweise kann durch die Verwendung von Innenverpackungen mit Barrierewirkung der Übergang von Mineralölrückständen aus Verpackungen minimiert werden. Ein Müsli kann zum Beispiel in einen Innenbeutel verpackt werden, sodass es mit der Umverpackung gar nicht mehr in Berührung kommt. Durch Vorkehrungsmaßnahmen der Lebensmittelindustrie, gepaart mit der von dieser Bundesregierung in Angriff genommenen Minimierungsstrategie, welche auch eine Positivliste von Stoffen umfassen wird, werden wir den Eintrag von mineralölhaltigen Druckfarben auf ein gesundheitlich unbedenkliches Maß reduzieren. Gleichzeitig bleiben wir mit dieser Lösung im Einklang mit geltendem EU-Recht. Der Antrag der Linken wiederum schießt weit über das Ziel hinaus. Daher lehnen wir diesen ab. Karin Binder (DIE LINKE): Mineralölrückstände haben in unserem Essen nichts zu suchen. Dennoch gelangen sie in zum Teil gesundheitsbedenklichen Mengen in die Lebensmittel. Der Grund sind hauptsächlich Druckfarbenrückstände in Verpackungen aus Altpapier. Die neuen Werbeaufdrucke auf den Lebensmittelverpackungen machen nur einen geringen Teil der Belastung aus. Die Gesundheitsgefahr steckt also im Recyclingpapier. Das Material besteht zum größten Teil aus bedrucktem Altpapier, wie beispielsweise Zeitungen. Die schädlichen Mineralölbestandteile können im Recy-clingkreislauf jedoch nur zum Teil „herausgewaschen“ werden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung kommt daher zu dem Schluss, „dass der Übergang von Mineralölen auf Lebensmittel dringend minimiert werden sollte“. Die Bundesregierung kommt ihrer Verantwortung aber nur teilweise nach. Sie sieht lediglich ein Verbot gesundheitsbedenklicher Mineralölbestandteile in den Farben für Verpackungsaufdrucke vor. Das Recyclingpapier als die eigentliche Schadstoffquelle findet bisher keine Berücksichtigung. Für die Linke stelle ich fest: Die Maßnahmen der Bundesregierung sind für einen wirksamen Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher unzureichend. Auch die Fraktion der CDU/CSU drückt sich vor der Verantwortung. Statt zu handeln, schlug sie „Studien zur Klärung des Sachverhaltes“ im Ausschuss vor. Das ist völlig überflüssig. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat bereits in zwei Expertenrunden zwölf Fachleute und Wissenschaftler befragt. Über den zwingenden Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher gibt es keinen Klärungsbedarf mehr. Ich frage nun: Hat Schwarz-Gelb die Studien schon in Auftrag gegeben, und gibt es schon Ergebnisse? Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ohne Recycling geht in der Papierindustrie heute gar nichts mehr. Die Wiederverwendung von Altpapier ist aus Gründen des Umweltschutzes und der Wirtschaftlichkeit unverzichtbar. Der Anteil von Recyclingmaterial für Verpackungen in der Lebensmittelindustrie beträgt bereits 70 Prozent. Die Linke sagt: Um den hohen Recyclinganteil in der Papierindustrie unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu sichern, muss sofort bei allen Druckerzeugnissen auf mineralölhaltige Druckfarben verzichtet werden. Das bedeutet natürlich auch, dass beim Import von Altpapier auf gesundheitsschädliche Rückstände geachtet werden muss und im Zweifelsfall bestimmte Chargen nicht in der Produktion von Lebensmittelverpackungen eingesetzt werden dürfen. Bis der Altpapierkreislauf frei von schädlichen Mineralölbestandteilen ist, sollten kartonverpackte Lebensmittel durch zusätzliche Folien im Karton geschützt werden. Zudem sollten Außenfolien, die eine Kartonver-packung mit einschließen, vermieden werden, denn sie verstärken den Übergang der Chemikalien auf die Lebensmittel. Dazu muss die Bundesregierung unverzüglich einen Verordnungsvorschlag auf den Tisch legen. Grundsätzlich ist aber die Druckfarbenindustrie als Verursacher in die Verantwortung zu nehmen: Der Einsatz von Mineralöldruckfarben muss bei allen Druckerzeugnissen untersagt werden, denn auf einen sauberen Recyclingkreislauf für Papier können wir nicht verzichten. Ohnehin ist es im Sinne der Nachhaltigkeit sinnvoll, Mineralöl durch unbedenkliche Stoffe zu ersetzen. Die Bundesregierung ist gefordert, den Verzicht auf Mineralölfarben EU-weit durchzusetzen, um den Recy-clingpapiermarkt zumindest europaweit sauberzubekommen. Die Linke fordert: Der Einsatz mineralölhaltiger Druckfarben muss bei allen wiederverwendbaren Papier- und Kartonmaterialien verboten werden; Durchsetzung einer Positivliste für unbedenkliche Druckfarben, die für Lebensmittelbedarfsgegenstände verwendet werden dürfen. Zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher sollte für Verpackungen das anerkannte ALARA-Prinzip gelten, As Low As Reasonably Achiev-able. Danach muss eine Schadstoffbelastung so niedrig sein, wie dies vernünftigerweise möglich ist. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verschiedene Forschungsprojekte haben gezeigt, dass Lebensmittel zum Teil deutlich zu hoch mit Mineralöl belastet sind. Das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, hat bereits 2009 vor der Verunreinigung von Lebensmitteln durch Verpackungen aus Recyclingpapier gewarnt. Quelle für die Verunreinigung sind nach -Studien des BfR vor allem mineralölhaltige Druck-farben, die für den Zeitungsdruck verwendet werden und sich nach dem Recycling in Lebensmittelverpackungen wiederfinden. Mineralöle enthalten gesundheitsschädliche Kohlenwasserstoffe, die sich im Körper anreichern und zu Schäden an inneren Organen oder zu Krebs führen können. Solche Mineralölreste finden sich nun in unseren Lebensmitteln – und das in viel zu hohen Mengen. In verschiedenen Lebensmitteln, die in Papier oder in Karton verpackt waren, wurden deutlich zu hohe -Gehalte an mineralölhaltigen Kohlenwasserstoffen festgestellt. Bei Studien in Deutschland und in der Schweiz wurden Überschreitungen des von einer Expertenkommission der Weltgesundheitsorganisation, WHO, auf-gestellten vorläufigen Grenzwerts von 0,6 Milligramm pro Kilogramm an -mineralölhaltigen Kohlenwasserstoffen in Lebens-mitteln um den Faktor 10 bis 100 gefunden. Dabei muss noch bedacht werden, dass der Grenzwert für einen durchschnittlichen erwachsenen Menschen gilt. Kinder haben also deutlich schneller die kritische Menge überschritten. Es müssen also schnellstmöglich gangbare Wege gefunden und umfassende Regelungen geschaffen werden, die den Verbraucher vor weiteren Schäden bewahren. Das BMELV hat dazu im letzten Jahr endlich einen Entwurf zur Änderung der Bedarfsgegenständeverordnung vorgelegt. Da die Mühlen aber hier offensichtlich sehr träge laufen, soll die Einführung der Verordnung bis 2015 hinausgezögert werden. Geregelt werden sollen dabei auch nur die Druckfarben, die direkt bei der -Herstellung von Lebensmittelbedarfsgegenständen eingesetzt werden. Die Farben, die beim Druck von Zeitungen und Zeitschriften verwendet werden, sollen nicht -reguliert werden. Doch gerade hier liegt der Knackpunkt. Denn durch die Lebensmittelverpackungen aus Recyclingpapier – allen voran Zeitungspapier – werden die darin verpackten Lebensmittel häufig verunreinigt. Die Verwendung von Recyclingpapier ist ökonomisch und ökologisch aber sinnvoll und notwendig. Alle Verpackungen aus Frischfasern herzustellen, wäre unter ökologischen Gesichtspunkten hochproblematisch. Der Weg, alle Verpackungen mit einer Plastikhülle als Innenbeutel oder einer Barrierebeschichtung auszukleiden, durch die die Lebensmittel vor ihrer eigenen -giftigen Verpackung geschützt werden sollen, ist akut notwendig, greift aber das Problem nicht an der Wurzel und führt zu weiteren ökologischen Problemen etwa bei der Mülltrennung. Darüber hinaus können nicht alle -Lebensmittel durch eine sogenannte Barriere geschützt werden. Das geht zum Beispiel nicht bei Produkten, die in ihrer Packung „atmen“ müssen, oder bei bereits offenen Packungen. Hier bemüht sich die Verpackungsbranche um Lösungen. Das finde ich gut. Gemeinsam mit allen beteiligten -Industriezweigen, also mit Druckfarbenherstellern, Zeitungsbranche, Erfassung von Altpapier, Papierherstellung, Verpackungsindustrie, Lebensmittelabfüllung, müssen ökologisch vertretbare Lösungen gefunden werden, die den rechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Konsumenten gerecht werden. Der Gesundheitsschutz muss dabei höchste Priorität haben. Wenn die Grenzwerte akut nicht ohne Innenbeutel einzuhalten sind, ist das vorübergehend hinzunehmen; das kann aber nicht die dauerhafte Lösung des Problems sein. Ich bin davon überzeugt, dass man an der Wurzel des Problems ansetzen muss, und das sind die mineralölhaltigen Druckfarben. Letztlich hilft nur und am effektivsten, mineralölhaltige Druckfarben durch gesundheitlich unbedenkliche zu ersetzen. Hier muss die Bundesregierung Vorgaben machen und auch den Einsatz von Druckfarben bei der Herstellung von Zeitungen und Werbeprospekten regulieren. Die Branche hat deutlich gemacht, dass das Ersetzen der mineralölhaltigen Druckfarben grundsätzlich möglich ist. Doch bisher fehlt der Anreiz, umzustellen. Deshalb stimmen wir dem Antrag der Linken zu und fordern die Bundesregierung auf, entsprechende Regelungen auf den Weg zu bringen – wünschenswerterweise auf EU-Ebene, aber wenn sich hier nichts tut, erst -einmal auf nationaler Ebene. Die Gesundheit der -Verbraucherinnen und Verbrauchern darf nicht länger durch stark belastetes Verpackungsmaterial gefährdet werden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10661, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7371 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und Grünen bei Enthaltung der SPD angenommen. Tagesordnungspunkte 37 a und 37 b: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes und anderer Gesetze (Unterhaltsvorschuss-entbürokratisierungsgesetz) – Drucksache 17/8802 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Rechtsausschuss b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-besserung des Vollzugs im Unterhaltsvorschussrecht – Drucksache 17/2584 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Rechtsausschuss Wie ausgewiesen, sind die Reden zu Protokoll genommen worden. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Wir behandeln heute in erster Lesung die Vorschläge von Bundesregierung und Bundesrat zu Verbesserungen und Bürokratieabbau im Unterhaltsvorschuss. Der Unterhaltsvorschuss ist ein besonderes familienpolitisches Instrument für alleinerziehende Eltern. Wenn sie wegen des Ausfalls der Unterhaltszahlungen des -anderen Elternteils nicht nur selbst für die Betreuung des Kindes sorgen, sondern auch für den ausfallenden Barunterhalt aufkommen müssen, ist der Unterhaltsvorschuss eine große Hilfe und hat armutsreduzierende Wirkung. Derzeit hat ein Kind unter zwölf Jahren, das von seinem getrennt lebenden Elternteil – in der ganz überwiegenden Anzahl sind es Väter – keinen oder keinen regelmäßigen Unterhalt erhält, Anspruch auf eine monatliche Zahlung der Unterhaltsvorschussstellen. Er beträgt für ein Kind unter sechs Jahren 133 Euro und für ein Kind unter zwölf Jahren 180 Euro und gilt für längstens 72 Monate, also sechs Jahre. Im Jahr 2009 bezogen über 480 000 Kinder diese Ersatzleistung. Wir unterstützen mit dieser Leistung die Alleinerziehenden in der schwierigen Situation eines Konflikts um den Kindes-unterhalt. Die Unterhaltschuldner werden durch die Zahlung des Unterhaltsvorschusses keineswegs entlastet. Die Unterhaltsansprüche der Kinder gehen auf das jeweilige Land über, das dann Rückgriff beim Unterhaltsverpflichteten nimmt. Zur Durchsetzung dieses Rückgriffsanspruchs und zur Erleichterung der Antragstellung hat die Bundesregierung Verbesserungsvorschläge unterbreitet, die wir in den anstehenden Beratungen noch genauer unter die Lupe nehmen werden. Ich bedaure sehr, dass die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag, die Altersgrenze auf 14 Jahre anzuheben, im Gesetzentwurf nicht aufgegriffen worden ist. Gerade aus dem Blickwinkel der Alleinerziehenden wäre uns die Anhebung der Altersgrenze ein sehr wichtiges Anliegen, denn wir wissen um die besondere Belastung der Alleinerziehenden. Leider konnten aus dem Haushalt des BMFSFJ für dieses Anliegen keine zusätzlichen finanziellen Mittel berücksichtigt werden. Die Aspekte der Entbürokratisierung, die der Ge-setzentwurf aufgreift, gehen auf die Wünsche der Länder zurück. Die Länder setzen über die Kommunen das Unterhaltsvorschussgesetz um; insbesondere für die Kommunen ist das mit einem hohen finanziellen und büro-kratischen Aufwand verbunden. Sie wünschen sich insbesondere die Erleichterung beim Rückgriff. Zu dessen Durchsetzung stehen den Unterhaltsvorschussstellen zwar Auskunfts- und Anzeigepflichten zur Seite; diese sind aus den Erfahrungen der Praxis aber oftmals nicht ausreichend. Die Rückgriffquote lag im deutschen Durchschnitt im Jahr 2008 bei lediglich 19,5 Prozent. Den Ausgaben in Höhe von circa 850 Millionen Euro standen Einnahmen in Höhe von nur circa 160 Millionen Euro gegenüber. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung schlägt hier eine Reihe von Verbesserungsmaßnahmen vor, unter anderem bessere Möglichkeiten zur gerichtlichen Durchsetzung von Rückgriffsansprüchen, neue Informationspflichten und erweiterte Auskunftspflichten für Kreditinstitute und Verwaltung sowie die Evaluierung der Auswirkungen der erweiterten Auskunftspflicht. Die Vereinfachung der Verwaltung, vor allem aber die Verbesserung des Rückgriffs sind nachvollziehbare Anliegen, die wir grundsätzlich unterstützen. Ein funktionierender Rückgriff ist auch deshalb besonders wichtig, weil er die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Anschluss an die Zahlung von Unterhaltsvorschuss gut vorbereitet und dadurch nachhaltig hilft. Hier kann zum Beispiel auch die Idee des Bundesrates, die Informationsquellen zur Durchsetzung des Rückgriffs für die Unterhaltsvorschussstellen durch die Einführung eines automatisierten Datenabgleichs und Kontenabrufs auszuweiten – wie es beim BAföG und Wohngeld bereits möglich ist –, ein guter Ansatzpunkt sein. Darüber sollten wir diskutieren. In diesem Zusammenhang muss die ursprüngliche Zielsetzung des Unterhaltsvorschusses wieder stärker in den Blick genommen werden. Ursprünglich war er als eine reine Übergangsregelung angelegt zur Hilfe in einer besonders schwierigen Situation der Alleinerziehenden und ihrer Kinder. In der Praxis ist dies zum Teil aus dem Blick geraten; mittlerweile ist der Unterhaltsvorschuss eine meist von vornherein auf den gesamten Zeitraum von sechs Jahren angelegte Ersatzleistung. Es muss wieder mehr in den Blick geraten, (zumeist) die Mutter -darin zu unterstützen, den Anspruch des Kindes gegen den (zumeist) Vater geltend zu machen. Der Unterhaltspflichtige muss wieder verstärkt in die Verantwortung genommen werden. Es gibt viel zu viele Fälle, bei denen sechs Jahre Unterhaltsvorschuss gezahlt wird, ohne dass in dieser Zeit das Verfahren für den Unterhaltsanspruch an den Vater vorbereitet wird und darüber hinaus der Mutter auch nicht die praktische Hilfe bei der Umsetzung ihres Anspruchs gegeben wird. Denn es muss weiter als Normalfall empfunden werden, dass der Unterhaltspflichtige den Unterhalt an sein Kind selbst zahlt. Es ist auch eine wichtige Botschaft für das Kind, dass die Eltern für seinen Unterhalt zahlen und nicht eine Behörde. Auf dieser Linie liegt, dass wir bei der anstehenden Reform der Verbraucherinsolvenz bei der Restschuldbefreiung auch Verbindlichkeiten aus rückständigem Unterhalt ausnehmen wollen. Wir stellen damit die vorsätzliche Nichtleistung des Unterhalts einer unerlaubten Handlung gleich. Damit unterstreichen wir, dass Unterhaltsschulden keineswegs als Kavaliersdelikt zu betrachten sind, sondern dass Unterhaltspflichtverletzungen einen Straftatbestand darstellen. Überhaupt muss das öffentliche Bewusstsein dafür gesteigert werden, dass Kindesunterhalt ein Anspruch des Kindes ist, der seine Existenz sichert und nicht verhandelbar ist. Bei einigen Vorschlägen aus dem Gesetzentwurf habe ich allerdings meine Zweifel, ob sie nicht zu unnötigen und ungerechtfertigten Verschlechterungen für die Alleinerziehenden führen könnten. Ich denke hier zum -Beispiel an die im Gesetzentwurf geplante Regelung zur Anrechnung von Leistungen an Dritte auf Unterhaltszahlungen. Demzufolge sollen Unterhaltszahlungen an Dritte, die unmittelbar dem Kind zugutekommen, zum Beispiel für Kinderbetreuung, Sportkurse, Musikunterricht, auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet werden. Es wäre dann in das Belieben des Unterhaltspflichtigen gestellt, wie er den Unterhalt zahlt. Konflikte zwischen dem betreuenden und dem unterhaltspflichtigen Elternteil sind damit vorprogrammiert. Gerade für den be-treuenden Elternteil ist es ein qualitativer Unterschied, ob Geld zur eigenverantwortlichen Verfügung erhalten wird oder faktisch nur eine Sachleistung infolge der Zahlung an Dritte. Hier sollten wir uns um eine bessere Regelung bemühen, die den Barunterhalt sichert und nicht für zusätzliches Konfliktpotenzial sorgt. Des Weiteren wünschen sich die Länder den Verzicht auf rückwirkende Auszahlung des Unterhaltsvorschusses für einen Monat. Diese beschränkte Rückwirkung soll wegfallen und der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss erst ab dem Monat der Antragstellung bestehen. Zur Begründung wird der hohe Verwaltungsaufwand aufgeführt, der gerade bei der Prüfung der Anspruchsgrundlagen für den Monat vor Antragstellung besonders hoch ist; im Gesetzentwurf ist die Rede von einer Verringerung der Belastung von 92 500 Arbeitsminuten für die Verwaltung. Auf der anderen Seite bedeutet die Streichung der Rückwirkung für den Monat vor Antragstellung in vielen Fällen den Verlust einer monatlichen Unterhaltsvorschusszahlung in der besonders schwierigen Trennungsphase der Eltern. Das müssen wir sorgsam gegeneinander abwägen; beide Seiten werden im Gesetzgebungsverfahren hierzu noch Stellung nehmen können. Aus meiner Sicht ist wichtig, dass mögliche Effizienz-gewinne im Bereich Unterhaltsvorschuss bleiben müssen. Frei werdende Gelder müssen weiter diesem Zweck zugeführt werden und zum Beispiel in die Verlängerung der Bezugsdauer fließen. Norbert Geis (CDU/CSU): Nicht selten entzieht sich der von der Mutter des Kindes getrennt lebende Vater der Verantwortung. Er kümmert sich um nichts und zahlt auch keinen Unterhalt für das Kind und schon gar nicht den Betreuungsunterhalt für die Mutter. Die Mutter muss deshalb eine Arbeit aufnehmen, um für sich und das Kind den Lebensunterhalt bestreiten zu können. So wachsen Kinder von alleinerziehenden Müttern oft unter erschwerten Bedingungen auf. Der Anteil der alleinerziehenden Elternteile nimmt zu. 17 Prozent der minderjährigen Kinder in Deutschland wohnen bei nur einem Elternteil. Für die Mütter dieser Kinder wird es immer schwieriger, Beruf und -Betreuung zu vereinbaren. Die Mutter ist auf die Unterhaltsleistung des Vaters des Kindes angewiesen. Da diese Unterstützung sehr oft ausfällt, muss der Staat entsprechend dem Unterhaltsvorschussgesetz eintreten und den vom Vater zu leistenden Unterhalt als Vorschuss zahlen. Es handelt sich dabei um den Mindestunterhalt, der sich nach § 1612 a BGB nach dem sachlichen Existenzminimum des Kindes richtet. Maximal zahlt der Staat für 72 Monate den Unterhaltsvorschuss, wenn nicht der Vater in der Zwischenzeit seine Unterhaltsverpflichtungen erfüllt. Nach diesen 72 Monaten ist das Kind auf die Sozialhilfe angewiesen. Es werden gemäß § 1612 a BGB drei Altersstufen unterschieden. Die erste Stufe reicht bis zum 6. Lebensjahr. Die zweite Stufe vom 7. bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres und die dritte Stufe für die Zeit ab dem 13. Lebensjahr. Die Mutter musste bislang, um die Unterhaltsleistungen vom Staat zu erhalten, bürokratische Hürden überwinden. Der vorliegende Gesetzentwurf verfolgt deshalb das Ziel der Entbürokratisierung des Unterhaltsvorschussgesetzes. Insbesondere wird die Antragstellung für alleinerziehende Elternteile und für die Verwaltung der Aufwand für die Leistungsgewährung vereinfacht. Außerdem wird durch die Verbesserung der Auskunftsrechte der zuständigen Stellen der Rückgriff beim Schuldner erleichtert. Dies dient auch der zukünftigen Sicherung des Unterhaltsanspruches des Kindes für -Zeiten, für die kein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss besteht. Allerdings sind die vorgesehenen Maßnahmen nicht unumstritten. Im Entwurf erfolgt eine Klarstellung, welche Unterhaltsleistungen im Sinne des UVG als Einkommen des Kindes anzusehen und deshalb von der Vorschusszahlung abzusetzen sind. Die Rechtsprechung hatte den bisherigen Wortlaut des UVG für nicht eindeutig gehalten. Die Klarstellung hat zum Ziel, dass alle Zahlungen des Vaters, die unmittelbar zum Nutzen des Kindes erfolgen, auf den Unterhalt anzurechnen sind, selbst wenn sie zum Beispiel an Dritte gezahlt werden, etwa die Kitagebühr. Wenn also der Vater Beiträge für die Betreuung in Kinder-tageseinrichtungen zahlt, wird diese Leistung von dem Anspruch nach dem UVG vorab abgezogen. Ein solcher Abzug ist jedoch für viele alleinstehende Frauen nicht hinnehmbar. Immerhin ist zu bedenken, dass der Mindestunterhalt, den das Kind gemäß § 1612 a im Rahmen des UVG erhält, vor allem dazu dient, die grundlegenden Bedürfnisse abzudecken, wie zum Beispiel Nahrung, Kleidung, Hygieneartikel, anteilige Wohn- und Heizkosten. Wenn nun aber der Vater für den Kindergartenbesuch Zahlungen leistet und diese Zahlungen nach dem UVG von der Vorschussleistung abgesetzt werden, bleibt die alleinerziehende Mutter weitgehend auf den Kosten des täglichen Bedarfs für das Kind sitzen. Die Mutter und das Kind profitieren kaum von der Zahlung des -Vaters an die Kita. Die Mutter muss aber das tatsächliche Existenzminium des Kindes dennoch sicherstellen. Es ist daher im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob diese Regelung so beibehalten werden kann. Das Gesetz verfolgt weiterhin eine Klarstellung bei zu Unrecht gezahlten Vorschussleistungen. Diese Regelung erfasst den Fall, dass zunächst aufgrund von f-alschen Angaben zu Unrecht Unterhaltsvorschussleistungen ausgezahlt wurden. Deshalb sollen diese -Monate, in denen die Unterhaltsvorschussleistungen zu Unrecht erbracht wurden, von der maximalen Leistungsdauer von 72 Monaten abgezogen werden. Der Entwurf berücksichtigt dabei nicht den Fall, dass diese zu Unrecht empfangenen Leistungen später zurückgezahlt werden. In einem solchen Fall sollte kein Abzug von der Höchstleistungsdauer erfolgen. Weiter sieht der Entwurf vor, dass bei Beantragung des Vorschusses die Rückwirkung auf den Monat vor der Antragstellung wegfallen soll. Dadurch, so der Entwurf, entfallen besondere Nachweispflichten für den Antragsteller und die Prüfpflichten für die Bewilligungs-behörde, die sich auf den Rückwirkungszeitraum beziehen. Allerdings ist nicht ganz verständlich, weshalb eine Prüfung der Voraussetzungen, die für die Zahlung des Unterhaltsvorschusses gegeben sein müssen, für den Vormonat nicht möglich sein soll und dass eine solche Prüfung unverhältnismäßigen Aufwand verursachen würde. Deshalb ist auch diese Neuregelung zu überdenken. Weiter ist eine Verbesserung der Auskunftsrechte der UV-Stellen vorgesehen. Die Erweiterung der Auskunftspflichten gegenüber den UV-Stellen ist zu begrüßen. -Dadurch werden die Rückgriffsbemühungen unterstützt. Auch wenn dies im Einzelfall zu einem geringfügigen höheren Verwaltungsaufwand führen kann, ist insgesamt mit einer Entlastung für die Behörden zu rechnen, da die Unterhaltsverpflichteten bereits durch die Androhung der Geltendmachung der Auskunftsansprüche eher zu einer freiwilligen Unterhaltszahlung bereit sind. Weiter ist vorgesehen, dass der Unterhaltsanspruch dynamisiert wird. Diese Regelung ist ebenfalls begrüßenswert. Sie führt zu einer Reduzierung von Abänderungsklagen von Unterhaltstiteln. Eine Abänderung ist nämlich nicht mehr notwendig, wenn das Kind künftig die nächst höhere Altersstufe erreicht hat und damit -einen höheren Mindestunterhalt bezieht oder die -Vorschusszahlung sich aufgrund der Dynamisierung erhöht hat. Außerdem wird die Beurkundungsbefugnis der -Jugendämter erweitert. Dadurch werden gerichtliche Verfahren vermieden, wenn der Unterhaltspflichtige den bereits auf das Land übergegangenen Unterhalts-anspruch anerkennt. Bisher war dies den Jugendämtern nicht möglich, die Anerkennung solcher Ansprüche zu beurkunden. Diese Regelung ist ebenfalls zu begrüßen. Trotz mancher Kritikpunkte ist der Entwurf alles in allem zu begrüßen. Caren Marks (SPD): Nun kommt sie doch noch, die erste Lesung des Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetzes. Es sollte ja bereits am 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten. Daraus ist nichts geworden. Aber das kann ich nicht wirklich bedauern. Bereits im Vorfeld hat es berechtigte Kritik unter anderem von Verbänden und Juristen an dem Entwurf der Bundesregierung gegeben. Bereits im Februar gab es einen offenen Brief an die Bundesministerin Schröder unter der Überschrift „Kinder von Alleinerziehenden stärken statt Unterhaltsvorschuss kürzen“. Die Bundesregierung hätte besser im Vorfeld auf die fachliche Kritik hören sollen. Diese Vorlage ist jedenfalls für die SPD-Bundestagsfraktion ohne Änderungen nicht zustimmungsfähig. Wir werden diese Woche auch noch eine Debatte über zwei Anträge der SPD-Bundestagsfraktion zum Thema Alleinerziehende haben. Diese Anträge sollten die Bundesregierung und die Regierungskoalitionen sorgfältig lesen, um sich ein Bild davon zu machen, wie und womit man Alleinerziehende und ihre Kinder besser unterstützen könnte. Erneut wird deutlich: Diese Bundesregierung hat einfach kein Gesamtkonzept – auch nicht in der Familienpolitik! Was aber plant die Bundesregierung mit diesem Gesetz? Die Antragstellung soll vereinfacht werden, den zuständigen Stellen soll der Rückgriff auf den Unterhaltsschuldner bzw. die Unterhaltsschuldnerin erleichtert werden. Der Bundesrat hält dazu in seiner Stellungnahme fest, dass er sich von der Reform eine Verein-fachung und Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens sowie eine Verminderung von Gerichtsverfahren erhofft. Er hält aber gleichzeitig fest, dass, sollten sich diese Erwartungen nicht erfüllen, weitere Reformschritte geprüft werden müssen. Weiter erinnert der Bundesrat an die Gesamtevaluation der familienpolitischen Leistungen und daran, dass damit auch der Unterhaltsvorschuss als wichtige familienpolitische Leistung untersucht wird. Warten und hoffen – sind das Grundlagen für eine sinnvolle gesetzgeberische Gestaltung? Eines muss doch wohl ganz unstrittig sein: Eine Reform des Unterhaltsvorschusses darf nicht auf Kosten der betroffenen Kinder gehen. Und daran haben wir als SPD – und nicht nur wir – begründete Zweifel. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass die Möglichkeit, den Unterhaltsvorschuss rückwirkend zu beantragen, wegfallen soll. Dies wird der realen Situation von alleinerziehenden Eltern nicht gerecht und bürdet ihnen zusätzliche Schwierigkeiten auf. Nicht nur, dass in der Trennungssituation jeder Euro zählt; in dieser Zeit hat der betreuende Elternteil auch die gesamte Situation allein zu schultern. Und wie argumentiert die Bundesregierung? „Durch den Wegfall der rückwirkenden Beantragung, § 4 UVG – neu, verringert sich der Aufwand für die Antragstellerinnen und Antragsteller um 5 Minuten je Fall, in dem bisher eine rückwirkende Beantragung erfolgt; dies ist bisher in 10 Prozent der jährlichen Neuanträge der Fall, also in 18 500 Fällen, sodass sich auf die Gesamtzahl der jährlichen Neuanträge eine Verringerung der Belastung von 92 500 Minuten ergibt.“ Diese Argumentation ist zynisch und entlarvend zugleich. Es geht dieser Regierung eben nicht um die Betroffenen und deren Situation. Verwaltungsvereinfachung im Minutentakt – wie absurd ist diese Argumentation eigentlich! Aber ein Ziel ist damit erreicht: das Sparziel. Mit dem Wegfall der rückwirkenden Beantragung werden 90 000 Euro eingespart – Geld, das die Kinder dringend benötigen. Im Koalitionsvertrag dieser Regierungskoalition wurden Verbesserungen beim Unterhaltsvorschuss angekündigt. Diese sucht man im Gesetzentwurf bisher vergebens. Zu möglichen Verbesserungen würde auch eine Erweiterung der Altersgrenze über das 12. Lebensjahr hinaus zählen. Im Koalitionsvertrag steht, dass die Altersgrenze auf 14 Jahre angehoben wird. Davon findet sich nichts im Gesetzentwurf wieder. Hier ist die schwarz-gelbe Bundesregierung wie so oft auf halber Strecke stehen geblieben. Nach einer Antwort von Staatssekretär Dr. Kues vom Dezember 2011 wären von einer Ausdehnung des Unterhaltsvorschusses auf das 14. Lebensjahr 82 000 Kinder betroffen. Die Mehrausgaben lägen bei etwa 240 Millionen Euro für Bund und Länder zusammen. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung in ihrem Antrag zu den Alleinerziehenden auf, eine Anhebung der Altersgrenze zu prüfen und das Ergebnis der Prüfung umgehend vorzulegen – vor Beginn der parlamentarischen Beratungen! Zumindest für die anstehenden Ausschussberatungen zum Gesetzentwurf bzw. zu der sicher anstehenden Anhörung sollten die Ergebnisse vorliegen. Wir werden die Bundesregierung hier nicht aus der Pflicht entlassen. Wir werden dafür sorgen, dass das Gesetz gründlich und mit der nötigen Öffentlichkeit beraten wird. Insgesamt bedarf es einer finanziellen Entlastung durch den Unterhaltsvorschuss und nicht einer Mehrbelastung für die Alleinerziehenden. Eine Entlastung wäre schon vorhanden, wenn die Hälfte des Kindergeldes beim betreuenden Elternteil verbliebe und nicht vom Unterhaltsvorschuss abgezogen würde. Denn Alleinerziehende, die keinen Unterhalt erhalten, werden damit schlechtergestellt. Diese Ungleichbehandlung zu beseitigen, wäre ein sinnvolles Unterfangen. Und so gibt es noch weitere Regelungen im Gesetzentwurf, die einer intensiven Beratung und Veränderung bedürfen. Wie heißt es so schön im Begründungsteil des Entwurfs? „Alleinerziehende Elternteile und ihre Kinder sind … besonders zu unterstützen und finanziell zu entlasten. Die Unterhaltsleistung nach dem UVG, die als Vorschuss oder als Ausfallleistung gezahlt wird, hat dabei auch armutsreduzierende Wirkung.“ Zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegen wieder einmal Welten bei dieser schwarz-gelben Bundesregierung. Sibylle Laurischk (FDP): Heute besprechen wir in erster Lesung den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur -Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes und anderer Gesetze sowie den vom Bundesrat eingebrachten -Gesetzentwurf zur Verbesserung des Vollzugs im Unterhaltsvorschussrecht. Die Unterhaltsleistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz, UVG, unterstützt alleinerziehende Elternteile vorübergehend, weil alleinerziehende Elternteile ihre Kinder in der Regel unter erschwerten Bedingungen erziehen und bei Ausfall von Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils auch im Rahmen ihrer Leistungs-fähigkeit für den von dem anderen Elternteil fehlenden Unterhalt aufkommen müssen. Bei unregelmäßigen oder ausbleibenden Unterhaltszahlungen hat das Kind eines alleinerziehenden Elternteils Anspruch auf Leistungen des Staates nach dem Unterhaltsvorschussgesetz, UVG. Unterhaltsvorschuss nach der noch geltenden Rechtslage wird bis zum Höchstalter von 12 Jahren für maximal 72 Monate gezahlt. Der Unterhaltsvorschuss ist keine Sozialleistung, sondern eine Familienleistung, die im Falle der Notlage greifen soll. Ziel ist es, in der Zeit, bis der alleinerziehende Elternteil den Unterhalt vom unterhaltspflichtigen Elternteil eintreiben kann, staatlicherseits eine Überbrückung zu bieten. Das Kind braucht Unterhalt; sein Wohl, seine Bedürfnisse müssen erfüllt werden. Im Koalitionsvertrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der FDP-Bundestagsfraktion heißt es: „Wir werden das Unterhaltsvorschussgesetz dahingehend ändern, dass der Unterhaltsvorschuss entbürokratisiert und bis zur Vollendung des vierzehnten Lebensjahres eines Kindes gewährt wird.“ Damit haben wir als Koalition unterstrichen, dass wir auch die Situation der Alleinerziehenden besonders im Blick haben und sie in dieser schwierigen Lebensphase eines Konfliktes um den Kindesunterhalt unterstützen wollen. Zugleich haben wir eine starke Erwartungshaltung geschaffen, an der eine Reform des Unterhaltsvorschussgesetzes nun politisch gemessen wird. Der Gesetzentwurf zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes und anderer Gesetze sieht unter anderem vor, dass alleinerziehende Elternteile zukünftig weniger Nachweise erbringen müssen. Den Unterhaltsvorschussstellen wird die Anspruchsprüfung und Anspruchsbewilligung erleichtert. Darüber hinaus werden Regelungen zur Klarstellung, zum Beispiel zur Anrechnung von erbrachten Unterhaltsleistungen des familienfernen Elternteiles, getroffen. Unterhaltsvorschussstellen erhalten ein höheres Maß an Klarheit zur gerichtlichen Durchsetzung der Rückgriffsansprüche. Als gesetzliche Maßnahme zur Verbesserung des Rückgriffes plant die Bundesregierung, im Rahmen der -Entbürokratisierung des Unterhaltsvorschusses die -Auskunftsmöglichkeiten der für den Vollzug des UVG -zuständigen Stellen über die Verhältnisse der familienfernen Elternteile zu erweitern. Insgesamt enthält der Gesetzentwurf einige Erleichterungen hinsichtlich des Verfahrens. Es ist auch zu begrüßen, dass der Rückgriff auf die Unterhaltsschuldner erleichtert wird. Eine spürbare materielle Verbesserung für die betroffenen Kinder und die alleinerziehenden Elternteile gibt es aber nicht. Der vorliegende Gesetzentwurf, der den Wünschen des Bundesrates entspricht, wird dem Koalitionsvertrag aber nicht vollends gerecht. Das zentrale Element, eine Ausweitung der Bezugsberechtigten von 12 auf 14 Jahre, ist nicht enthalten. Deswegen gehe ich davon aus, dass das Gesetz in dieser Form nicht verabschiedet werden kann. In jedem Fall wären substanzielle Änderungen erforderlich, die ich sowohl sachlich als auch politisch für wichtig halte. Die kostenneutrale Anhebung der Altersgrenzen bei gleichzeitiger Kürzung der Anspruchsdauer – also die Rückführung des Unterhaltsvorschusses auf seine ursprüngliche Funktion als „Übergangshilfe“ – wäre eine Möglichkeit. Die Erhöhung der Altersgrenze auf das vollendete 14. Lebensjahr würde zu Mehrkosten von circa 240 Millionen Euro führen. Diese Mehrkosten könnten gegebenenfalls durch eine Reduzierung der Höchstbezugsdauer, gegenwärtig 72 Monate, gegenfinanziert werden. Davon wäre ein Drittel vom Bund, zwei Drittel von den Bundesländern zu tragen. Die im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen würden aber auch zu Mehreinnahmen durch die Verbesserung der Rück-holquote führen. Die Umsetzung erfordert die Zustimmung des Bundesrates. Die Bundesländer haben ein -hohes Interesse an einer Entlastung ihrer Unterhaltsvorschussstellen, die gegen die Mehrkosten abgewogen werden kann. Wir müssen uns vor Augen führen, dass das Nichtbezahlen von Unterhalt kein Kavaliersdelikt ist, sondern einen Strafbestand darstellt. Zu Zeiten, in denen wir die Stärkung der Rechte von Vätern im Deutschen Bundestag diskutieren, dürfen wir deren Pflichten – meist sind die Väter unterhaltspflichtig – nicht vernachlässigen. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Der Unterhaltsvorschuss soll die finanzielle Situation von Alleinerziehenden und ihren Kindern verbessern, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht oder nicht ausreichend nachkommen kann. Der Unterhaltsvorschuss kommt damit unmittelbar den Kindern von Alleinerziehenden zugute und unterstützt alleinerziehende Elternteile vorübergehend. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es bei der Problembeschreibung, dass diesen Elternteilen deshalb diese Unterstützung so effektiv wie möglich zukommen soll und die Antragstellung deshalb zu vereinfachen sei. Das klingt erst einmal schön und verständlich. Schlimm wird es allerdings, wenn man sich den Lösungsteil anschaut. Dort steht lediglich: Entbürokratisierung der Unterhaltsleistung für Eltern und Verwaltung. Aber wie soll entbürokratisiert und vereinfacht werden? Der Gesetzentwurf sieht vor, die Möglichkeit der rückwirkenden Auszahlung für den Monat vor der Antragstellung zu streichen. Kurios wird es, wenn an-schließend festgestellt wird, dass durch den Wegfall der rückwirkenden Beantragung jeder Antragsteller 5 Minuten spart und dies in der Summe aller Antragsteller 92 500 Minuten ausmacht. Diese „gesparten“ 5 Minuten bedeuten für den antragstellenden Elternteil die Einbuße eines vollen Monatsbetrages des Unterhaltsvorschusses. Ob damit die finanzielle Situation Alleinerziehender verbessert wird, wagt die Linke begründet zu bezweifeln und lehnt deshalb diese geplante Neuregelung ab. Statt der Streichung der rückwirkenden Auszahlung sollte die Darlegungspflicht der „zumutbaren Bemühungen“ zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche gegenüber dem unterhaltspflichtigen Elternteil deutlich erleichtert werden. Das wäre wirklich eine Vereinfachung und Entbürokratisierung sowohl für die Verwaltung als auch für die Alleinerziehenden – ohne die Folge einer möglichen finanziellen Notsituation. Aber da steht ja wieder die Sorge der Bundesregierung vor einem möglichen Missbrauch der gesetzlichen Regelungen vor; denn wie anders lässt es sich sonst erklären, dass beim Unterhaltsvorschuss Geldleistungen künftig auch durch Sachleistungen ersetzt werden dürfen? Unterhalt muss aber durch direkte Zahlungen gesichert sein. Zahlungen an Dritte sind für den betreuenden Elternteil weniger verlässlich und weitaus schwerer nachprüfbar als direkte Leistungen. Zudem verlieren Alleinerziehende und ihre Kinder durch indirekte Leistungen einen Teil ihrer Entscheidungskompetenz und möglicherweise auch den bedarfsdeckenden Unterhalt. Man stelle sich einmal vor, der unterhaltsverpflichtete Elternteil holt im Rahmen seines Umgangs sein Kind ab und bringt es dann zum Sportverein, dessen Mitgliedsbeiträge er auch von seinem Einkommen, das unter dem Selbstbehalt liegt, bezahlt. Diese Beiträge kann dann das Jugendamt vom Unterhaltsvorschuss als Sachleistung abziehen, obwohl der unterhaltsberechtigte Elternteil sein Kind nicht zum Sportverein bringen würde, da das Geld dafür nicht übrig ist. Nun wird der Beitrag gleichwohl abgezogen, von Amts wegen, nur aus der Angst heraus, dass das Unterhaltsvorschussrecht missbraucht werden könnte. Nicht zuletzt hat der BGH in seinem Urteil aus dem Jahr 2007 deutlich gemacht, dass etwa Kitagebühren oder vergleichbare Aufwendungen für die Betreuung des Kindes nicht zum Barunterhalt zu rechnen sind. Und wie die Behörden derartige Leistungen letztlich überprüfen und in Abzug bringen wollen, ohne den Verwaltungs- und Bürokratieaufwand zu erhöhen, wird wohl immer das wohlgehütete Geheimnis dieser Bundesregierung sein. Ich kann nur vermuten, wie diese Regierung ständig auf die Gedanken kommt, dass Menschen Vorschriften missbrauchen. Es gibt da ein schönes Sprichwort: „Was ich selber denk und tu, das trau ich jedem anderen zu.“ Eines allerdings an diesem Gesetzentwurf ist – und das sollte auch erwähnt werden – richtig: die Koppelung des Unterhaltsvorschusses an den Mindestunterhalt nach § 1612 BGB. Allerdings wird nur ein Schritt gedacht und dann wieder einmal angehalten, ohne weiterzudenken. Bar- und Betreuungsunterhalt sind als gleichwertig anerkannt. Daher ist es notwendig, dass beim Unterhaltsvorschuss nicht länger das volle Kindergeld angerechnet wird, sondern stattdessen – wie beim „normalen“ Unterhalt – nur das halbe Kindergeld angerechnet wird und die andere Hälfte beim betreuenden Elternteil verbleibt. Hier ist wieder einmal ein Gesetzentwurf auf den berühmt-berüchtigten Weg gebracht worden, ohne den Bedürfnissen der Realität gerecht zu werden. Ich kann deshalb nur hoffen, dass dieses Gesetz durchdacht und im Interesse der Betroffenen vernünftig diesen Weg und auch das Parlament verlassen wird. Die Linke wird aktiv daran mitgestalten, um Alleinerziehenden wirklich vereinfacht und effektiv zu ihrem Anspruch zu verhelfen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als die Bundesregierung im Herbst letzten Jahres einen Gesetzentwurf zum Unterhaltsvorschuss angekündigt hat, war ich – trotz der bis dato mageren Bilanz der -Familienministerin – hoffnungsvoll, dass die Pläne aus dem schwarz-gelben Koalitionsvertrag umgesetzt würden. Dort heißt es: „Wir werden das Unterhaltsvorschussgesetz dahin gehend ändern, dass der Unterhaltsvorschuss entbürokratisiert und bis zur Vollendung des vierzehnten Lebensjahres eines Kindes gewährt wird.“ Zwei durchaus sinnvolle Vorschläge. Diese Hoffnung auf Umsetzung dieser Ankündigungen habe ich mit den Familien- und Wohlfahrtsverbänden geteilt, die seit Jahren die gesetzliche Grundlage, aber auch die Praxis des Unterhaltsvorschusses als verbesserungswürdig einstufen. Doch der Gesetzentwurf, den das Kabinett verabschiedet hat, ist eine große Enttäuschung. Entbürokratisierend werden sich die vorgeschlagenen Änderungen auch nicht auswirken. Kinder von Alleinerziehenden haben ein deutlich höheres Armutsrisiko als Kinder, deren Eltern zusammenleben. Ausbleibende Unterhaltszahlungen sind ein Grund für dieses höhere Armutsrisiko. Hier einen Ausgleich zu schaffen und die größte Not bei unterbleibenden Zahlungen zu lindern, ist Ziel des Unterhaltsvorschusses. Dass ausbleibende Unterhaltszahlungen kein Einzelfall sind, zeigen die Statistiken deutlich: Jährlich nimmt rund eine halbe Million Kinder den Unterhaltsvorschuss in Anspruch. Doch der Bedarf ist weitaus höher; denn bislang sind ältere Kinder von der Leistung ausgenommen. Kinder, die älter sind als zwölf Jahre, bekommen keinen Unterhaltsvorschuss mehr. Dabei steigt mit dem Alter der Kinder nachweislich auch deren Bedarf – in der Grundsicherung ist genau dieses Prinzip sichtbar. Doch im Fall des Unterhaltsvorschusses soll genau die gegenteilige Argumentation gelten. Absurd! Damit werden die vollen finanziellen Lasten des Aufwachsens dem alleinerziehenden Elternteil, zu rund 90 Prozent handelt es sich um Mütter, übergeholfen. Die Altersgrenze zu verschieben – wie im Koalitionsvertrag vorgesehen –, wäre absolut richtig und würde gerade Alleinerziehenden und ihren Kindern in einer schwierigen Lebenssituation tatsächlich helfen. Leider wird sich die Hoffnung wohl unter dieser Ministerin nicht erfüllen. Doch warum unternimmt die Bundesregierung nichts in diese Richtung? Weil für diese Maßnahme angeblich kein Geld da ist. Es ist absolut widersinnig, dass Schwarz-Gelb die wenigen sinnvollen Maßnahmen, die die Koalition im Koalitionsvertrag vorgesehen hat, mit der Begründung auf Eis gelegt hat, es sei kein Geld da. Gleichzeitig sollen aber für eine absurde Maßnahme wie das Betreuungsgeld mindestens 1,2 Milliarden Euro ausgegeben werden. Und in diesen 1,2 Milliarden Euro sind noch nicht einmal die Kosten der Tauschgeschenke für die Zustimmung der FDP enthalten: Praxisgebühr, Riester-Sparen, Teilauszahlung des Betreuungsgeldes. Der Unterhaltsvorschuss ist eine wichtige Familienleistung für besonders von Armut und Benachteiligung betroffene Kinder. Es ist gut und richtig, dass die staatliche Gemeinschaft hier mit einer Geldleistung einspringt. Richtig ist aber auch, dass die Verwaltung dieser Leistung aufwendig und ineffizient, die Gewährung parallel zu anderen Leistungen zum Teil widersprüchlich und die Rückholquote des Vorschusses mit rund 30 Prozent deutlich ausbaufähig ist. Die Baustellen, die zu bearbeiten sind, liegen auf der Hand. Doch statt sich den Problemen zu widmen, schafft die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf neue: Geld- und Sachleistungen werden rechtswidrig gegeneinander aufgerechnet, und die rückwirkende Antragstellung wird gestrichen. Unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung werden Kürzungen und Verschlechterungen für armutsgefährdete Kinder geplant und dabei neue Verwaltungshürden geschaffen. Das ist völlig inakzeptabel. Wenn das schwarz-gelbe Familienpolitik ist, dann bleibt im Sinne der Familien in diesem Land nur zu hoffen, dass die Ministerin wie bisher weitestgehend untätig bleibt und so zumindest keinen noch größeren Schaden anrichtet. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf den Drucksachen 17/8802 und 17/2584 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu gibt es, wie ich sehe, keine anderweitigen Vorschläge. Dann haben wir das so beschlossen. Tagesordnungspunkt 39: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend ein Mitteilungsverfahren – Drucksache 17/10916 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Rechtsausschuss Wie vereinbart, sind die Reden zu Protokoll genommen. Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Heute ist ein erfreulicher Tag für die Kinder in Deutschland und der Welt. Es ist uns allen ein Anliegen, die Rechte der Kinder und damit ihre Stellung in der Gesellschaft zu verbessern. Häufig ist es vielerorts noch immer so, dass Kinder zwar Rechte auf dem Papier haben. Leider haben sie häufig nicht die Möglichkeit, diese Rechte dann auch tatsächlich durchzusetzen. Was aber bringen uns Rechte auf dem Papier, wenn es keine effektive Instanz gibt, die dafür Sorge trägt, dass diese Rechte auch individuell durchgesetzt werden können. Mit der Ratifikation des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes in möglichst vielen Ländern in der Welt steigt der internationale Schutz der Rechte der Kinder – auch in Deutschland. Das bisherige Übereinkommen über die Rechte der Kinder sah bislang lediglich ein Berichtsprüfungsverfahren vor. Mit dem Fakultativprotokoll schließen wir diese Lücke. Denn das Fakultativprotokoll regelt ein Individualbeschwerdeverfahren, mit dem Kinder und Jugendliche Verletzungen ihrer Rechte aus der UN-Kinderrechtskonvention und den beiden ersten Fakultativprotokollen beim VN-Ausschuss für die Rechte des Kindes rügen können. Deutschland hat die Resolution für das Individualbeschwerdeverfahren gemeinsam mit sieben anderen Staaten in die Generalversammlung eingebracht. Wir tragen damit großen Anteil an der Einführung dieses Beschwerdeverfahrens. Und dies ist ein großer Erfolg für die internationale Menschenrechtspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Wir sind der Familienministerin daher sehr dankbar, dass sie sich persönlich für dieses Anliegen stark engagiert hat. Es ist sehr erfreulich, dass Deutschland einer der Vorreiter ist und international eine Vorbildfunktion übernimmt. Deshalb ist es auch ganz wichtig, dass wir das Protokoll zeitnah ratifizieren und somit international auch ein Signal senden, dass uns die Einhaltung der Kinderrechte und deren Durchsetzung sehr wichtig ist. Bisher gab es fünf völkerrechtliche Übereinkommen, die mit einem Individualbeschwerderecht ausgestattet sind: Dies ist neben dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dem Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, den Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, sowie der Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen insbesondere auch ein Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau. Dieses sechste Beschwerdeverfahren wird es Kindern künftig ermöglichen, vor dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes in Genf zu klagen, wenn ihre Rechte massiv verletzt werden und der eigene Staat nichts dagegen unternimmt. Beispiele dafür sind etwa der Einsatz von Kindersoldaten oder die Situation von sexuell ausgebeuteten Kindern auf individueller Ebene. Damit wird der Schutz der Kinder praktisch und konkret. Der zuständige Ausschuss der Vereinten Nationen kann in solchen Fällen dann Handlungsempfehlungen an das entsprechende Land aussprechen. In besonders schweren Fällen kann ein Untersuchungsverfahren eingeleitet werden. Das unterstreicht, dass die Vereinten Nationen es mit dem Kinderschutz sehr ernst meinen. Damit können die Staaten deutlich effektiver als bislang in die Pflicht genommen werden. Die Vereinten Nationen können wesentlich besser als bislang internationalen Druck ausüben, was die Einhaltung der Kinderrechtskonvention dann auch absichert. Die einzelnen Staaten kommen dadurch unter einen stärkeren Druck, den Rechten der Kinder schon auf nationaler Ebene zur Geltung zu verhelfen, um Blamagen auf internationaler Ebene zu vermeiden. Der eine oder andere Staat wird sich auch fragen müssen, ob das eigene Schutzinstrumentarium ausreichend ist, und es besteht damit zugleich die Chance, dass dies zu einer Verbesserung des Schutzniveaus durch nationale Instrumente führt. Zudem kann durch das Fakultativprotokoll besser gewährleitstet werden, dass mit dem Verstoß gegen Kinderrechte angemessen umgegangen wird. Denn das Protokoll stärkt die Zusammenarbeit der unterzeichnenden Staaten mit dem zuständigen Ausschuss, in dem Experten zusammensitzen, die besondere Sensibilität für diese Sachverhalte mitbringen.  Ein weiterer Aspekt ist wichtig: Durch die Möglichkeit der Feststellung einzelner Menschenrechtsverletzungen wird es durch die Betroffenen wesentlich einfacher, gegen den betreffenden Staat die Zuerkennung eines Anspruchs auf Wiedergutmachung durch ein internationales Gremium durchzusetzen. Dies ist gerade für die Betroffenen ein zentraler Aspekt, um eine Kompensation für erfahrenes Leid zu erhalten. Aber auch in Deutschland steigt durch das Protokoll das Schutzniveau, da Betroffenen auf internationaler Ebene eine zusätzliche Möglichkeit an die Hand gegeben wird, nach Erschöpfung unseres nationalen Rechtsweges die Durchsetzung ihrer Rechte zu erstreiten. Es ist nun wichtig, dass möglichst viele Staaten das Fakultativprotokoll ratifizieren. Deutschland geht mit einem guten Beispiel voran, und wir alle können nun hoffen, dass dies der Auftakt für eine weltweite Bewegung zur umfassenden Stärkung der Rechte der Kinder wird. In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere parlamentarische Beratung. Eckhard Pols (CDU/CSU): Recht auf Schutz vor Gewalt. Recht auf freie Meinungsäußerung. Recht auf Freizeit, Ruhe und Spiel. Besonderer Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung und gefährlicher Arbeit. Das alles sind einzigartige Rechte von Kindern, wie sie in der UN-Kinderrechtskonvention als breitangelegter völkerrechtlicher Vertrag garantiert sind. Über all diesen verbrieften Kinderrechten schwebt das Kindeswohlprinzip, das es bei allen Maßnahmen zu berücksichtigen gilt, und zwar vorrangig. Was aber nützen diese Rechte, wenn Kinder erstens ihre Rechte gar nicht kennen oder zweitens ihre Rechte zwar kennen, aber diese nicht einfordern können? Denn wie heißt es sprichwörtlich so schön: Recht haben und Recht bekommen sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Die Rechte von Kindern dürfen aber keinesfalls ausgehöhlt werden. Aus diesem Grund freue ich mich sehr, dass Deutschland als einer der Erstunterzeichnerstaaten am 28. Februar 2012 das Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zur Errichtung eines Individualbeschwerdeverfahrens für Kinder unterzeichnet hat. Danach können Kinder und Jugendliche Verletzungen ihrer Rechte aus der UN-Kinderrechtskonvention beim UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes rügen. Da mir die Rechte von Kindern durch meine Arbeit in der Kinderkommission sowie im Familienausschuss des Deutschen Bundestages besonders am Herzen liegen, habe ich unsere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder als Vertreter meiner Fraktion gern zur Unterzeichnungszeremonie nach Genf begleitet. Für mich war das eine ganz besondere persönliche Erfahrung, an diesem feierlichen Akt teilnehmen zu dürfen und damit einen weiteren wichtigen Meilenstein bei der Stärkung und Durchsetzung der Rechte von Kindern zu besiegeln. Die Einrichtung eines Individualbeschwerdeverfahrens fügt sich als weiterer Mosaikstein in die erfolgreiche Kinder- und Jugendpolitik der christlich-liberalen Koalition zur Stärkung der Kinderrechte in Deutschland ein. Als bedeutende Erfolge können wir unter anderem die Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention sowie die Verabschiedung des Bundeskinderschutzgesetzes verbuchen. Ich bin stolz darauf, dass Deutschland bei den Verhandlungen zur Einrichtung eines Individualbeschwerdeverfahrens eine konstruktive und aktive Rolle eingenommen hat und mit dem nun eingeleiteten Ratifikationsprozess das Inkrafttreten des Fakultativprotokolls vorantreiben möchte. Das Individualbeschwerdeverfahren tritt erst in Kraft, wenn es in Deutschland selbst und insgesamt in mindestens zehn Staaten ratifiziert worden ist. Mit der Ratifikation des Zusatzprotokolls setzen wir unser Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zur ak-tiven Mitwirkung an der Ausgestaltung eines Indivi-dualbeschwerdeverfahrens um, schließen wir die noch vorhandene Rechtslücke im internationalen Menschenrechtsschutzsystem, erlangen die Bestimmungen rechtliche Bindungswirkung für Deutschland und geben wir -Kindern als schutzbedürftigsten Mitgliedern der Gesellschaft ein effizientes Werkzeug zur Durchsetzung ihrer Rechte an die Hand. Die besten Kinderrechte nützen wenig, wenn sie nur auf dem Papier stehen. Als Bundestagsabgeordneter und Familienpolitiker ist es mein persönliches Anliegen, dieses neue Recht auf Individualbeschwerde in den Kindergärten, Grundschulen, weiterführenden Schulen, Behörden und Einrichtungen in meinen Landkreisen Lüchow-Dannenberg und Lüneburg und darüber hinaus bekannt zu machen. Denn nur wer ausreichend über seine Rechte informiert ist, kann diese auch ausüben. Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Die Stärkung der Kinderrechte war und ist ein besonderes Anliegen der SPD-Bundestagsfraktion und liegt mir als Kinderbeauftragter natürlich besonders am Herzen. Starke Kinderrechte müssen durchsetzbar sein. Wir haben ein Individualbeschwerderecht für Kinder lange gefordert und freuen uns ausdrücklich über die nun anstehende Ratifizierung des entsprechenden Zusatzprotokolls zur UN-Kinderrechtskonvention. Dieses Instrument ist ein Rechtsmittel zur Durchsetzung der UN-Kinderrechtskonvention, denn Betroffene könnten sich an den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes wenden, um auf die Verletzung ihrer Rechte aufmerksam zu machen. Bei anderen UN-Abkommen wie dem UN-Zivilpakt oder der UN-Frauenrechtskonvention gab es ein solches Beschwerderecht bereits. Endlich gibt es auch zur UN-Kinderrechtskonvention ein ergänzendes Beschwerdeverfahren. Die Einführung dieses Instrumentes in Deutschland ist weltweit ein wichtiges Signal für starke Kinderrechte. Ein Beschwerderecht hilft dabei, darauf hinzuwirken, dass die Vertragstaaten ihr Rechtssystem konsequenter den in der Konvention anerkannten Kinderrechten anpassen und auf deren Einhaltung achten. Recht haben alleine reicht nicht aus – Rechte müssen auch durchsetzbar sein. In einem Beschwerdeverfahren kann sich das Kind selbst oder eine Person in seinem Namen an den Ausschuss für die Rechte des Kindes wenden, der die Menschenrechtsverletzung untersucht. Auch wenn die Entscheidung des Ausschusses rechtlich nicht bindend sein wird, kann er auf Abhilfe drängen und für den Kläger gegebenenfalls eine Entschädigung fordern. Wie bei allen internationalen Beschwerdemechanismen muss vorher der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft sein. Was sich bei Erwachsenen mit einem etablierten System von Beschwerdemöglichkeiten bewährt hat, muss für Kinder erst mit Leben erfüllt werden. Auf allen Ebenen brauchen Kinder altersgerechte Möglichkeiten der Partizipation und auch der Beschwerde. So setze ich mich auf Bundesebene für einen unabhängigen Kinderbeauftragten ein. Auf kommunaler Ebene wollen wir Ombudschaftsstellen für Kinder etablieren, um den Kindern direkt da, wo sie leben, beim Vertreten ihrer Interessen beizustehen. Kinderrechte müssen stärker bekannt gemacht werden. Wer nicht um die eigenen Rechte weiß, kann sich bei einem Verstoß gegen diese Rechte auch nicht beschweren. Hier ist noch viel zu tun. Wir hätten uns eine Fortschreibung des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention gewünscht. Ich hoffe, dass die Bundesregierung die Stärkung der Kinderrechte auch auf einem anderen Gebiet voranbringt. Die Verankerung der Kinderrechte im Grund-gesetz ist im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention ebenso sinnvoll und geboten wie das Individual-beschwerdeverfahren. Bisher scheiterte die Stärkung der Kinderrechte im Grundgesetz leider am Widerstand der Union. In letzter Zeit habe ich jedoch erfreuliche Signale vernommen, und ich hoffe, dass es uns gemeinsam gelingt, unsere Verfassung im Interesse unserer Kinder zu modernisieren. Kinder sind Rechtssubjekte und sollten als solche auch im Grundgesetz genannt und behandelt werden. Wer Kinderrechte wirklich stärken will, kann sich dieser Forderung nicht verschließen. Miriam Gruß (FDP): Hinter dem sperrigen Namen dieses Gesetzentwurfs steckt nichts Geringeres als ein echter Meilenstein in der Geschichte der Kinderrechte. Als letztes von allen -Menschenrechtsabkommen bekommt die UN-Kinderrechtskonvention jetzt ihren eigenen Beschwerdemechanismus. Damit gewinnen die Kinderrechte international deutlich an Durchsetzungskraft. Deutschland ist hier ein echter Vorreiter: Am 28. Februar 2012 hat Deutschland – vertreten durch die Familienministerin Dr. Kristina Schröder – das Fakultativprotokoll als einer der ersten Staaten überhaupt gezeichnet. Wir haben es aber nicht nur früh unterzeichnet, sondern seine Entstehung auch aktiv vorangetrieben. Ohne Deutschlands Werbung für diese Angelegenheit wäre das Protokoll kaum noch im Jahr 2011 von der UN-Generalversammlung angenommen worden. Ich war im Februar 2012 bei der Unterzeichnung in Genf dabei. Dort konnte ich live erleben, wie bei den anderen Staaten noch gerungen wurde, ob man unterschreibt oder nicht. Letztendlich haben dann 20 Staaten unterzeichnet – ein Riesenerfolg auch für Deutschland und die schwarz-gelbe Regierung. Ich kämpfe seit langem für die bessere nationale und internationale Durchsetzung von Kinderrechten. Das -Individualbeschwerdeverfahren halte ich für einen ganz zentralen Baustein. Deshalb haben wir Liberale vor drei Jahren darauf bestanden, diese Forderung in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. Jetzt ist es so weit: Der Weg ist frei, das Gesetz noch in diesem Jahr zu ratifizieren. Das Kabinett hat den Entwurf gebilligt, der Bundesrat hat keine Einwände. Ich gehe fest davon aus, dass wir bei diesem Thema einen überfraktionellen Konsens auch hier im Bundestag haben. Sobald insgesamt zehn Staaten das Fakultativprotokoll ratifiziert haben, tritt es in Kraft. Je schneller wir hier also sind, desto schneller verhelfen wir den Kinderrechten zu ihrer vollen Wirkung. Was ändert sich durch das Protokoll? Kinder oder ihre Fürsprecher haben in jedem Land, das das Protokoll verabschiedet hat, die Möglichkeit, sich direkt an den Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes zu wenden, zumindest solange sie den nationalen Rechtsweg ausgeschöpft haben. In dringenden Fällen kann der Ausschuss dem betreffenden Vertragsstaat eine sofortige Überprüfung auftragen. Darüber hinaus kann er bei schwerwiegenden und systematischen Verletzungen ein Untersuchungsverfahren einleiten. Zwar sind die Empfehlungen des Ausschusses für die Nationalstaaten nicht bindend. Aber die entsprechenden Staaten werden sich nichtsdestotrotz verpflichtet fühlen, die entsprechende Kinderrechtsverletzung zu untersuchen. Die Überzeugung, dass Kinder Träger eigener Rechte sind, wird dadurch international noch einmal deutlich zunehmen. Dies wird umso mehr zutreffen, als der -Ausschuss alle zwei Jahre an die Generalversammlung berichten muss. Außerdem sind die unterzeichnenden Staaten zu deutlicher Öffentlichkeitsarbeit verpflichtet; denn die Kinder im jeweiligen Land sollen auch wissen, dass es den Ausschuss für die Rechte des Kindes gibt. Damit haben wir unsere Regierungsarbeit für Kinderrechte um einen weiteren wichtigen Erfolg erweitert. Er reiht sich ein in unsere anderen Erfolge: Wir haben die Vorbehalte gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen. Keine andere Regierung seit 1992, auch nicht Rot-Grün, hat diese Chance genutzt. Kinderlärm ist kein Grund zur Klage mehr. Wir haben dafür gesorgt, dass die Geräusche von spielenden Kindern nicht mehr mit Industrielärm gleichgesetzt werden können. Das hilft den Kindern in diesem Land ganz -konkret; denn jedes Kind hat das Recht auf Spielen. Und wir haben Deutschlands erstes Kinderschutzgesetz -verabschiedet. Es vernetzt alle Akteure im Kinder- und Jugendschutz und stärkt dadurch die Aspekte Prävention und Intervention im Kinderschutz. Auch die Institution der Familienhebammen wird massiv gefördert. Unsere Bilanz bei den Kinderrechten ist also hervorragend. Das ist auch der FDP zu verdanken; denn für Liberale stehen Kinder im Mittelpunkt der Familienpolitik. Das haben wir so angekündigt – und das haben wir in dieser Legislaturperiode auch genau so umgesetzt. Diana Golze (DIE LINKE): Dass die Bundesrepublik das nunmehr dritte Fakultativprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert, ist sehr zu begrüßen: Das darin vereinbarte Individualbeschwerderecht ist wichtig für die Stärkung der -Belange der Kinder. Die durch das Zusatzprotokoll geschaffene Möglichkeit, dass sich Kinder – nach Ausschöpfung innerstaatlicher Rechtswege – an das zuständige UN-Gremium wenden und dort beschweren können, wird von der -Linken als ein weiteres wichtiges Instrument zur Sicherung der Rechte von Kindern gesehen. Das Beschwerderecht auf Basis der UN-Kinderrechtskonvention war längst überfällig. Anders als beispielsweise bei der UN-Behindertenrechtskonvention ist es nicht gleich bei der Ratifizierung der Konvention geregelt worden. Die bloße Ratifizierung reicht allerdings nicht aus, um Kindern und Jugendlichen endlich einklagbare Rechte zu geben. Bis heute klaffen auch in der Bundes-republik die Anerkennung der Kinderrechte und ihre Umsetzung weit auseinander. Wer es mit den Kinderrechten ernst meint, gibt ihnen Grundgesetzcharakter. Die Bundesregierung hat mit ihrer Unterschrift selbst ein weiteres Argument für einen solchen Schritt geliefert. Jetzt muss sie den Unterschriften noch Taten folgen lassen. Eine weitere Verweigerung, überhaupt über die Frage der Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz zu reden, geschweige denn sie mit einem entsprechenden Gesetzentwurf zu untermauern, wird immer unverständlicher. Zumal die vollzogene Ratifizierung viele offene Fragen in Bezug auf die Auswirkung auf einfaches nationales Recht der Bundesrepublik neu aufruft bzw. diese sogar verschärft. Für die Umsetzung eines wirklichen Beschwerderechtes braucht es aber nun konkrete rechtliche Schritte und Maßnahmen, die ein solches Recht auch im Alltag der in Deutschland lebenden Kinder realisierbar machen. Denn auch dieses Beschwerdeverfahren wird den Kindern und Jugendlichen in der Bundesrepublik erst nach Ausschöpfung innerstaatlicher Rechtswege ermöglicht. Dafür brauchen wir ein flächendeckendes Netz von Beschwerdestellen, die auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen zugeschnitten sind und die den ganz besonderen Anforderungen entsprechen, die eine solche hochsensible Arbeit erfordert. Von einem solchen Netzwerk aber sind wir in Deutschland meilenweit entfernt. Wir brauchen ein solches Netzwerk eben auch, um Beratungsangebote vor Ort vorzuhalten, um Kinder über ihre Rechte zu informieren. Wir brauchen Unterstützungs-angebote, die ihnen helfen, diese Rechte auch wahrzunehmen, und eine erkennbare Aufnahme der Rechte von Kindern in die deutsche Gesetzgebung. Darüber hinaus muss aus Sicht der Linken genau aus dem Grund, dass Kinder und Jugendliche erst alle Rechtsinstanzen durchlaufen müssen, der Rechtsanspruch auf unabhängige Beratung und Hilfe auf Kinder und Jugendliche ausgeweitet werden. Ein solcher Rechtsanspruch darf nicht erst greifen, wenn sie sich in einer besonderen Notsituation befinden. Die Chance dazu hätte es bereits mit der Verabschiedung des Kinderschutzgesetzes gegeben. Dass Sie diese notwendige Grundlage auch jetzt nicht schaffen wollen, ist in dem vorgelegten Gesetz nachzu-lesen. Wenn dort steht: „Ein etwaiger Mehrbedarf bei Bund, Ländern und Kommunen ist geringfügig“, ist eindeutig klargestellt, worum es sich für die Bundesregierung bei der Unterzeichnung des Fakultativprotokolles handelt: um einen bloßen symbolischen Akt. Somit unterzeichnet ein reiches Industrieland wie Deutschland erneut ein verbindliches UN-Dokument, ohne für die notwendigen Rechtsgrundlagen gesorgt zu haben. Darum bleiben wir dabei: Eine Entscheidung zur Rechtsstellung von Kindern in unserer Gesellschaft ist längst überfällig – mit der Schaffung eines Individualbeschwerdeverfahrens wird sie jetzt zwingend notwendig. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Vereinten Nationen haben ein Individualbeschwerdeverfahren konzipiert, das für Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern die Möglichkeit vorsieht, sich wegen der Verletzung ihrer Rechte auf der Grundlage der UN-Kinderrechtskonvention mit schriftlichen Beschwerden an den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes zu wenden. Am 28. Februar 2012 haben die ersten Staaten das entsprechende Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention in Genf unterzeichnet. Ich freue mich, dass Deutschland zu den ersten Staaten gehörte, die dieses mit unterzeichnet haben. Das Individualbeschwerdeverfahren ist ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Es ist eine wirkungsvolle Ergänzung zu den regelmäßigen Berichtspflichten, den sogenannten Staatenberichten und den sogenannten Schattenberichten der Nichtregierungsorganisationen. Es ist zu begrüßen, dass Deutschland nun auch bei der noch notwendigen Ratifizierung vorangeht und damit für andere Staaten vorbildlich ist. Was aber nicht geht – und so, wie wir die Bundesregierung kennen, ist die Gefahr hierfür sehr groß –, ist, dass Schwarz-Gelb sich nun auf der Ratifizierung des Zusatzprotokolls ausruht. Wir sind hier gebrannte Kinder; denn auch die Rücknahme der Vorbehaltserklärung haben wir alle gelobt. Die Rücknahme der Vorbehaltserklärung ist aber zur reinen Symbolpolitik verkommen, weil die Bundesregierung sich weigert, echte Konsequenzen, beispielsweise in Fragen des Asyl- und Aufenthaltsrechts, zu ziehen. Deshalb will ich den Blick wieder von außen nach innen richten. Hier gibt es einige dringliche Aufgaben, die die Bundesregierung angehen muss. Wer in seinen Rechten verletzt wird, muss diese kennen, um sich beschweren zu können. Das verlangt deutliche Anstrengungen zur Bekanntmachung der Kinderrechte. Die sicherlich wichtigste Maßnahme zur Bekanntmachung und Stärkung der Kinderrechte ist eine Änderung des Grundgesetzes, damit die Rechtsträgerstellung von Kindern deutlicher herausgearbeitet und klargestellt wird. Als flankierende Maßnahme fordern wir Sie auf, den Nationalen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland“ fortzusetzen bzw. neu aufzulegen und diesen mit konkreten termingebundenen und messbaren Zielen und Vorgaben zur Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland zu versehen. Als völkerrechtlich bindende Konvention ist die UN-Kinderrechtskonvention keineswegs nur „ein wichtiger Leitfaden“ für die nationale Politik, wie die Bundes-regierung es in unserer Kleinen Anfrage zur Stärkung der Kinderrechte ausführt. Sie enthält vielmehr objektive und subjektive Rechte, deren Achtung und Umsetzung ein rechtsstaatliches Gebot sind. Zur Überprüfbarkeit, ob die Kinderrechte in Deutschland eingehalten werden und ob die Konvention auch tatsächlich umgesetzt wird, bedarf es eines verbindlichen Monitoringsystems. Es ist längstens an der Zeit, den Dialog mit -Verbänden und Organisationen aufzunehmen, um ein solches Monitoring zu etablieren. Ich würde mir wünschen, dass jährlich in zeitlicher Nähe zum Jahrestag der UN-Kinderrechtskonvention, dem 20. November, eine Generaldebatte im Bundestag zum Stand der Umsetzung von Kinderrechten stattfindet. Hier ist es an uns allen – und die Unterstützung der Bundesregierung hierfür wäre sehr hilfreich –, an geeigneter Stelle darauf hinzuwirken, dass dem 20. November und den Kinderrechten auch in der parlamentarischen Debatte der Platz eingeräumt wird, der ihnen gebührt. Die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Individualbeschwerde ist ein wichtiger Schritt. Wir sind sehr froh, dass er so schnell erfolgt. Er entbindet die Bundesregierung nicht, bei der Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland endlich Taten erkennen zu lassen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 17/10916 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine anderweitigen Vorschläge. Dann haben wir das so beschlossen. Tagesordnungspunkt 34: Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista Sager, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz als verbindliches Grundprinzip in der öffentlich finanzierten Wissenschaft verankern – Drucksache 17/11029 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, sind die -Reden zu Protokoll genommen. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Wir debattieren heute einen Antrag der Grünen zur Steigerung der Transparenz in der öffentlich finan-zierten Forschung. Im Kern soll die Bundesregierung -aufgefordert werden, gemeinsam mit Ländern, Wissenschaftsorganisationen und Hochschulen eine Umsetzungsstrategie zur Verankerung von Transparenz als umfassendem Grundprinzip im öffentlich finanzierten Wissenschaftssystem verbindlich zu verankern. Hierzu schlagen die Grünen eine Reihe von Maßnahmen vor: Die Vergabe öffentlicher Mittel soll künftig an die Bedingung geknüpft werden, in frei zugänglichen Datenbanken „das Forschungsprojekt, die Ziele und die wesentlichen Resultate … darzulegen und über den -Umfang und die Dauer der öffentlichen Förderung sowie die beteiligten Kooperationspartner Auskunft zu -geben“. Die Offenlegung vertraglicher Kooperationen zwischen öffentlich finanzierter Forschung und Dritten im Internet soll mittels gesetzlicher Regelungen erzwungen werden. Codes of Conduct sollen Forscher an Hochschulen und Forschungseinrichtungen künftig dazu verpflichten, alle öffentlich und privat finanzierten Drittmittelprojekte – einschließlich der Auftraggeber – zu veröffentlichen. Hochschulprofessoren sollen verpflichtet werden, Nebentätigkeiten sowie deren Umfang und Art zu veröffentlichen. Ich halte diese Vorschläge aus mindestens drei Erwägungen heraus für grundsätzlich verfehlt. Erstens gibt es nach unserer Auffassung keine gravierenden Fehlentwicklungen, die solch weitreichende Maßnahmen rechtfertigen würden. Zur Begründung -Ihres Antrags verweisen Sie auf „vereinzelt aufgetretene Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens im Rahmen von Kooperationsbeziehungen und bei Nebentätigkeiten von Professoren“. Nach meiner Überzeugung reichen diese vereinzelten Fehltritte jedoch nicht aus, um zusätzliche Instrumente für die gesamte deutsche Wissenschaftslandschaft zu fordern. Vielmehr vertrete ich die Auffassung, dass die Träger der öffentlich finanzierten -Forschung in Deutschland ganz überwiegend hervorragende Arbeit leisten und den Vertrauensvorschuss, den die christlich-liberale Koalition ihr seit langem einräumt, rechtfertigen. In diesem Geist haben wir erst in der letzten Sitzungswoche das Wissenschaftsfreiheitsgesetz verabschiedet. Zusätzliche Kontrollinstrumente sind mit dieser Grundüberzeugung nicht vereinbar. Dem grundsätzlichen Misstrauen der Grünen setzt die CDU/CSU Vertrauen in die Integrität unserer Wissenschaftler und in die bestehenden Kontrollmechanismen entgegen. Zur Begründung Ihres Antrags verweisen Sie weiter auf den Anspruch der Bürger, „auf nachvollziehbare Weise zu erfahren, welche Wissenschaftler welche -Forschung mit welchen Ergebnissen und mit welchen -öffentlichen Fördermitteln durchführen und welche -Kooperationspartner dabei einbezogen werden“. Diesen Ansatz halte ich für sehr einseitig und deshalb nicht statthaft. Zwar stimme ich Ihnen zu, dass Bürger ein Recht auf Informationen zur Verwendung öffentlicher Forschungsgelder haben. Andererseits sind jedoch auch Forscher und Forschungseinrichtungen, beteiligte -Unternehmen und Private ebenfalls Grundrechtsträger. Bereits heute haben wir umfangreiche Informations-vorschriften sowie Nebentätigkeitsvorschriften für Wissenschaftler. Ich erinnere aber daran, dass gerade das Personalrecht primär im Verantwortungsbereich der Bundesländer liegt. Sollte es hier Nachholbedarf geben, so muss man an konkreten Fällen Lösungsansätze erörtern. Hier findet sich jedoch im Antrag der Grünen nichts. Wir haben bereits ausreichend Instrumente zur -Kontrolle der Verwendung öffentlicher Gelder und zur Partizipation der Bevölkerung am Forschungsprozess bestehen. Sie verweisen in Ihrem Antrag zurecht auf -bereits bestehende Datenbanken wie GEPRIS der Deutschen Forschungsgemeinschaft und den Förderkatalog der Bundesregierung. Hinzu kommen parlamentarische Kontrollrechte wie der umfangreiche jährliche Bericht der Forschungseinrichtungen im Rahmen des Pakts für Forschung und Innovation. Darin legen die Forschungseinrichtungen ausführlich Rechenschaft über die Verwendung öffentlicher Gelder ab. Drittens ist für uns die Freiheit der Wissenschaft ein hohes Gut, das durch die von Ihnen vorgeschlagenen -zusätzlichen bürokratischen Hürden und neuen Verwaltungsaufgaben infrage gestellt würde. Die von Ihnen -geforderten Codes of Conduct in den Wissenschaftsorganisationen existieren bereits. Soweit die Hochschulen derartige Regelungen nicht haben, liegt dies im Zuständigkeitsbereich der Länder. Ein weiteres Problem sehe ich in der konkreten Ausgestaltung der von Ihnen geforderten Offenlegungspflichten. Insbesondere bei der Forschung in Koopera-tionsverbünden mit Unternehmen gibt es zahlreiche sensible Daten, die nicht ohne Weiteres offengelegt werden können. Auf dieses Problem weisen Sie auch zu recht hin und nennen als Beispiele „patentrelevante Informationen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie sonstige Rechte der beteiligten Akteure“. Mir ist beim Lesen Ihres Antrags jedoch nicht klar geworden, wo nach Ihrer Vorstellung künftig die Grenze zwischen dem Recht der Bürger auf Information und dem Recht der Forscher auf die Sicherheit ihrer Daten eigentlich genau verlaufen soll. Dieser Punkt wird nach meiner Auffassung nicht ausreichend problematisiert. Wir lehnen Ihren Antrag aus den dargelegten grundsätzlichen Überlegungen ab. Es gibt nach meiner Überzeugung keinerlei Entwicklungen, die solch weitreichende bürokratische Eingriffe rechtfertigen würden. Die bestehenden Instrumente zur Sicherstellung der Transparenz im Forschungsprozess reichen aus und stellen einen sinnvollen Ausgleich zwischen den Informa-tionsrechten der Bürger und der Freiheit der Forschung dar. Insbesondere aber sind weiter reichende Kontrollinstrumente mit unserem grundsätzlichen Vertrauen in die Träger der öffentlich finanzierten Forschung nicht -vereinbar. René Röspel (SPD): Wir diskutieren heute einen druckfrischen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema „Transparenz als verbindliches Grundprinzip in der öffentlich finanzierten Wissenschaft verankern“. Wir finden diesen Antrag der Grünen zunächst einmal unterstützenswert. Dies darf nicht verwundern, da sie damit nicht nur eine grundsätzliche Position der Sozialdemokratie treffen, sondern weil wir vor einiger Zeit einen ähnlichen Antrag auf den Weg und in den Bundestag eingebracht haben, der sich mit der Frage der Transparenz hinsichtlich der Kooperation von Hochschulen und Unternehmen befasst (Drucksache 17/9168). Viele der im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beschriebenen Ansätze halten wir für richtig. Es ist richtig und wichtig, dass Kooperationsbeziehungen zwischen Forschungseinrichtungen und Hochschulen mit Dritten – also meistens der Wirtschaft – transparent sind, und zwar in einer Weise, dass die interessierte Öffentlichkeit nachvollziehen kann, mit welchen Unternehmen die jeweiligen Einrichtungen zusammenarbeiten bzw. von wem sie Geld bekommen. Damit können mög-liche Interessenkonflikte transparent gemacht werden. Diese Forderung entspricht dem, was wir in unserem Antrag auf Drucksache 17/9168 bereits formuliert haben. Auch hinsichtlich der im Antrag angesprochenen Frage des wissenschaftlichen Fehlverhaltens können wir darauf hinweisen, dass die SPD-Bundestagsfraktion einen Antrag zu diesem Thema bereits im letzten Jahr auf der Drucksache 17/5758 – „Kampf gegen wissenschaftliches Fehlverhalten aufnehmen – Verantwortung des Bundes für den Ruf des Forschungsstandortes Deutschland wahrnehmen“ – in den deutschen Bundestag eingebracht hat. Das ist also auch schon abgehandelt. Wir halten weiterhin das Ziel für richtig, dass die Hochschulen und Forschungseinrichtungen in eigener Verantwortung sogenannte Codes of Conduct aufstellen, da dies nicht gesetzlich geregelt werden kann, und künftig alle öffentlichen oder privat eingeworbenen Drittmittelprojekte – einschließlich der Auftraggeber – offenlegen, zum Beispiel auf der Homepage der Institute und Einrichtungen. Gleiches sollte unbedingt auch für Publikationen gelten. Wir halten es für sehr sinnvoll, wenn in Veröffentlichungen ein Hinweis zu finden ist, wie selbige finanziert worden sind. Auch die Forderung in dem hier vorliegenden Antrag, dass es eine Datenbank geben sollte, die über das bestehende Angebot des Bundes und der Deutschen Forschungsgemeinschaft hinausgeht, wo eben Informationen über Projekte und deren Finanzierung abgerufen werden können, ist grundsätzlich sinnvoll und unterstützenswert. Allerdings finden wir, dass im Detail doch noch einige Fragen offen bleiben, die geklärt werden müssen, wo der Antrag möglicherweise auch zu früh gekommen ist. Die Grünen beziehen sich auch auf eine Empfehlung der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, die grundsätzlich richtig ist, dass Ziele, wesentliche Resultate und veröffentlichte Forschungsergebnisse und Daten in allgemeinverständlicher Form dargelegt werden sollten und auch der Umfang und die Dauer einer öffentlichen Förderung und die Koopera-tionspartner nachvollziehbar sein müssen. Dennoch taucht im Detail die Frage auf, wie detailliert und zu welchem Zeitpunkt der Arbeiten beispielsweise ein Ziel oder Forschungsergebnisse und Daten angegeben werden müssen. So stellt sich doch die Frage, ob nicht ein Kern von grundgesetzlich garantierter Wissenschaftsfreiheit und Freiheit von Forschung durch solch eine Vorgehensweise berührt oder möglicherweise beeinträchtigt ist, indem man Wissenschaftler tatsächlich dazu verpflichtet, ihre Daten gegen ihren Willen zu veröffentlichen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es -Situationen, Ergebnisse und Resultate gibt, die eine Wissenschaftlerin oder einen Wissenschaftler bewegen, nicht zu veröffentlichen. Allerdings gilt es an dieser Stelle, die jeweilige Motivlage genau zu prüfen. So muss unter allen Umständen ausgeschlossen werden, dass eine Forscherin oder ein Forscher die von ihr oder von ihm generierten Ergebnisse – etwa im Rahmen einer klinischen Studie – nur selektiv veröffentlicht, um etwa bestimmte unerwünschte Ergebnisse für die eigene Forschung oder den Finanzier derselben zu verschleiern. Dessen ungeachtet sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinsichtlich ihrer Präferenz, von einer Veröffentlichung abzusehen, in ihrer Entscheidung zu respektieren, sei es aus möglicherweise ethischen oder anderen Gründen oder vielleicht deshalb, weil die -gewonnenen Erkenntnisse sich noch in einem Stadium befinden, wo die Veröffentlichung – anders als das im Antrag der Grünen auch für Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse formuliert worden ist – nicht angebracht ist, zum Beispiel deshalb, weil sie aus wissenschaftlichen Gründen den Status oder den Zeitpunkt für eine Veröffentlichung für nicht gerechtfertigt ansehen. Wir werden in der nächsten Sitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung im Anschluss an die geplante Anhörung zum Thema „Umgang mit sicherheitsrelevanten Forschungsergebnissen“ eine Diskussion führen müssen, wo es tatsächlich darum geht, ob Ergebnisse zu Sequenzen eines hochpathogenen Erregers veröffentlicht werden sollen oder nicht. Diese Anhörung findet am 7. November 2012 statt, und ich hätte es für sinnvoll gehalten, sich erst nach dieser Anhörung ein endgültiges Meinungsbild zu schaffen und dann einen solchen Antrag wie den hier vorliegenden vorzulegen. Und ein wenig merkt man auch an der Sprache des Antrags, dass tatsächlich die bestehenden Unschärfen möglicherweise gewollt sind, weil solche wie die eben genannten Fragen noch nicht abschließend geklärt sind. Was soll zum Beispiel im Detail damit gemeint sein, wenn die Pflicht zur Veröffentlichung zurücktreten soll, wenn gesetzlich geschützte Interessen unverhältnismäßig beeinträchtigt werden? Dies bleibt nach meiner Lesart des Antrags jedenfalls unbeantwortet. Für die erste Lesung des Antrags bleibt also das Fazit: Ein Teil der Themen ist bereits behandelt durch unsere SPD-Anträge; beim anderen Teil – so sinnvoll die Forderungen auch sind – hätten wir uns gewünscht, dass man noch die Ausschussanhörung abwartet. Grundsätzlich allerdings geht der Antrag in die richtige Richtung. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Um es vorweg zu sagen, für uns Liberale ist die Freiheit von Wissenschaft und Forschung ein überaus hohes und kostbares Gut. Wir sind für die Unabhängigkeit der Wissenschaft, und wir Liberale sind für den Schutz der Wissenschaftsfreiheit. Das haben wir stets unterstrichen und nun auch mit dem sogenannten Wissenschaftsfreiheitsgesetz verankert. Den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen „Transparenz als verbindliches Grundprinzip in der öffentlich finanzierten Wissenschaft verankern“ lehnen wir aber ab; denn die in dem Antrag geforderte Unabhängigkeit der Wissenschaft ist nicht in Gefahr. In dem Antrag der Grünen steht es selbst, schwarz auf weiß. Es gibt „vereinzelt aufgetretene Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens im Rahmen von Kooperationsbeziehungen und bei Nebentätigkeiten von Professoren“. Vereinzelte Fälle! Und weiter heißt es im Antrag, dass den vereinzelten Fällen „ein ungerechtfertigtes Misstrauen gegenüber einer weitgehend integren Wissenschaft“ gegenübersteht. Ungerechtfertigtes Misstrauen! Wenn das der Anlass und die Rechtfertigung dieses Antrags ist, haben die Grünen bislang nicht verstanden, was ihre Aufgabe im Parlament ist. Dann haben die Grünen einen Antrag vorgelegt, der in sich obsolet ist. Aber was viel schlimmer ist, die Grünen haben einen Antrag formuliert und vorgelegt, der weiteres Misstrauen schürt und die Wissenschaft in ihren Kooperationsbeziehungen und in ihrer eigenverantwortlichen Verwendung von öffentlichen Geldern unter einen Generalverdacht stellt. Ein Generalverdacht, den die Grünen in ihrem Antrag mit ihrer Forderung nach mehr Transparenz noch weiter befördern. Denn was kommt bei den Bürgern und in der Gesellschaft für eine Botschaft an, wenn sich der Deutsche Bundestag fortwährend mit der Frage auseinandersetzt, wie man die Wissenschaft und Forschung von wissenschaftlichem Fehlverhalten befreien kann, das es – laut Antrag der Grünen – ja nur in wenigen Einzelfällen gibt? Der Antrag ist keine Ausnahme, sondern reiht sich ein in eine Vielzahl von Schaufensteranträgen zum angeblichen Schutze der Wissenschaft. Anträge von Grünen und Linken können mittlerweile mit demselben Wortlaut aus vorangegangenen Reden abgelehnt werden. Für uns Liberale ist die Unabhängigkeit der Wissenschaft – im Gegensatz zum Verständnis der Grünen – eine selbst auferlegte Verpflichtung eines jeden Wissenschaftlers. Es gehört zur Aufgabe des Wissenschaftlers, Verantwortung zu übernehmen und die Überparteilichkeit seiner Forschung zu sichern. Das unterstreicht auch die Resolution des Deutschen Hochschulverbandes „Zur Unparteilichkeit von Wissenschaft“. Jene Resolution, die von den Grünen ins Feld geführt wird, um staatlich verordnete Transparenz und Regeln zu fordern, sagt mit keinem einzigen Wort, dass der Staat Regeln schaffen muss. Vielmehr verpflichtet die Initiative des Deutschen Hochschulverbandes jeden Forschenden und die Wissenschaft insgesamt, aus sich heraus die Drittmittelprojekte und ihre Auftraggeber offenzulegen. Wir Liberale begrüßen deshalb jene Initiative des Deutschen Hochschulverbandes, lehnen aber die falschen Schlussfolgerungen der Grünen ab, die Offenlegung von Drittmittelprojekten und ihren Auftraggebern vorzuschreiben. Denn für uns Liberale sind autonome Hochschulen kein pauschales Schlagwort, sondern in ihrer Selbstständigkeit und Eigenverantwortung ernst zu nehmende Institutionen. Ein weiterer Kritikpunkt an dem Antrag ist die Widersprüchlichkeit in der Zielsetzung des Antrags. Dem Titel nach soll Transparenz lediglich in der öffentlich finanzierten Wissenschaft hergestellt werden. In der Begründung des Antrags aber zeigt sich bereits, dass es den Grünen auch um die privaten Drittmittelgeber geht. In den Forderungen wird deutlich, dass die Wissenschaftler ebenso dazu verpflichtet werden sollen, die privaten Auftraggeber und ihre Absichten offenzulegen. Konkret soll nach Auffassung der Grünen nicht nur die Identität des Auftraggebers, sondern auch der Förderumfang öffentlich gemacht werden; Ausnahmen müssen dann begründet werden. Wohlgemerkt, alles geht von der einleitenden Feststellung aus, dass es „vereinzeltes Fehlverhalten“ in der sonst „integren Wissenschaft“ gibt. Mit dem Antrag wird deutlich, welch Geisteskind die Grünen sind: Misstrauen gegenüber den privaten Forschungsauftraggebern besteht ebenso wie gegenüber den Wissenschaftseinrichtungen und den Forschenden. Die Grünen sind in Wahrheit nicht an der Unabhängigkeit der Wissenschaft interessiert. Das Lieblingswort der Grünen drückt es bereits aus. „Transparenz“ steht für Konformität. Durch die völlige Entkleidung des Wissenschaftlers und der Einrichtungen wird Konformitätsdruck ausgeübt. Derjenige wird an den öffentlichen Pranger gestellt, der Forschungsaufträge und Themen von Dritten annimmt, die nicht in das zivilgesellschaftliche Bild der Grünen passen. Das beste Beispiel ist die Gentechnik und Genomforschung an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen Wissenschaftler bedrängt und Forschungsprojekte eingestellt werden mussten, weil Aktivisten gegen die Forschung zur Gentechnik vorgegangen sind. Dabei war es auch egal, dass es im überwiegenden Teil der Projekte nur um die Sicherheitsforschung ging. Deutlich wird die Entmündigung des Wissenschaftlers in der letzten Forderung im Antrag von den Grünen. Dem Ansinnen nach soll die Hochschulrektorenkonferenz allgemeine Standards für die Nebentätigkeit des wissenschaftlichen Personals entwickeln. Gleich angefügt wird auch, in welche Richtung die Standards gehen sollen. So soll festgeschrieben werden, welche Art und welcher Umfang an Nebentätigkeiten gewollt sind und ab wann ein Interessenkonflikt vorliegt. Dass aber ein Interessenkonflikt eine rein subjektive, eine persönliche Entscheidung ist, widerspricht dem ganzen Ansinnen der Grünen. Wir Liberale nehmen den Wissenschaftler ernst. Transparenz muss von den Wissenschaftlern und der Wissenschaft gewollt und aus sich selbst heraus vorangetrieben werden. Der Staat kann diesen Prozess begleiten, jedoch nicht vorzeichnen. Der Antrag von Bünd-nis 90/Die Grünen wird dem Anspruch an Wissenschaftsfreiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft in keinster Weise gerecht und wird aus diesem Grund abgelehnt. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Wenn das Thema Transparenz auf der Tagesordnung steht, ist offensichtlich mehr Durchblick vonnöten. Das ist der Fall aktuell bei Nebeneinkünften von Abgeordneten, die aus meiner Sicht vollständig offengelegt werden müssen. In der Forschungspolitik brauchen wir in jedem Fall mehr Durchblick im Dschungel der öffentlichen Forschungsförderung. Jedes Bundesministerium, jedes Bundesland und jede Wissenschaftseinrichtung haben eigene Vorstellungen davon, wie sie die Öffentlichkeit über ihre geförderten oder durchgeführten Forschungsprojekte informieren. Wir Parlamentarier, zivilgesellschaftliche Interessengruppen, an den Ergebnissen interessierte Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bürgerinnen und Bürger brauchen aber einen Überblick darüber, wozu schwerpunktmäßig geforscht wird, wer das mit welchen Einflussmöglichkeiten bezahlt und wo blinde Flecken der Forschungslandschaft liegen. Es geht vor allem darum, den Durchblick bei den Interessen, die leitend für Forschungsfragen sind, zu behalten. Denn Kooperationen mit Unternehmen oder -Regierungsstellen können zwar wissenschaftlich befruchtend sein, innovative Methoden erschaffen und die Praxistauglichkeit der Projekte steigern. Gerade bei der angewandten Forschung und Entwicklung versuchen Kooperationspartner aber nicht selten, besonderen Einfluss auf Projektdesign oder Ergebnisverwertung gegenüber der Wissenschaft geltend zu machen. Immerhin stammt heute bereits ein knappes Drittel aller Drittmittel an deutschen Hochschulen von gewerblich tätigen Unternehmen oder Stiftungen. Und das schränkt nicht nur die Souveränität der Öffentlichkeit beim Umgang mit Forschungsergebnissen ein, sondern schränkt auch die Autonomie der Forschenden ein. Deshalb ist der offene Umgang mit Vorfällen so wichtig wie der nur zufällig publik gewordenen Finanzierung von Stiftungsprofessuren an Berliner Universitäten durch die Deutsche Bank, die dafür Vetorechte bei Personalbesetzung und der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen erhielt. Damit das eine Ausnahme bleibt, braucht es für Entscheidungen über Kooperationen verbindliche Kriterien einer guten Praxis, die in demokratischen Verfahren an den Einrichtungen überprüft werden. Wie ein solcher Kriterienkodex zustande kommen kann – dazu hat die Linke im Mai einen Antrag im Bundestag vorgelegt. Die Grünen schlagen heute zudem gesetzliche Regelungen für eine einheitliche Veröffentlichungspraxis der Wissenschaftseinrichtungen über ihre Projekte, Fördersummen und Projektpartner vor. Auch das unterstützen wir ausdrücklich. Ich freue mich, dass inzwischen die Presse dieses Thema regelmäßig in ihre Berichterstattung aufnimmt und dass mit dem Antrag der Grünen schon die zweite parlamentarische Initiative dazu eingereicht wird. Auch der Anfang einer akademischen Debatte ist gemacht. Im August dieses Jahres hat der Verein für Socialpolitik, die größte Vereinigung von Wirtschaftswissenschaftlern in Deutschland, einen Ethikkodex verabschiedet. Darin verpflichten sich die Mitglieder, in ihren Gutachten und Publikationen „alle in Anspruch genommenen Finanzierungsquellen, Infrastruktureinrichtungen und sonstigen externen Unterstützungen anzugeben“ sowie kenntlich zu machen, wenn diese „ nicht ohne vorherige Einwilligung Dritter veröffentlicht werden“. Eingesetzte Vertrauensleute und eine Ethikkommission sollen über die Umsetzung wachen. Ich bin optimistisch, dass weitere Fachgesellschaften diesem Beispiel folgen werden. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir treten in unserem Antrag dafür ein, dass Transparenz als Grundprinzip im öffentlich finanzierten Wissenschaftsbereich verbindlich verankert wird. Hier ist auch die Politik gefragt, im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu beizutragen, dieses Grundprinzip durchzusetzen – -davon profitieren nicht nur die Bürgerinnen und Bürger und die interessierte Öffentlichkeit. Mehr Transparenz bei der öffentlich finanzierten Forschungsförderung unterstützt auch die wissenschaftliche Arbeit, so zum Beispiel durch die verbesserte Weiternutzung von Ergebnissen, und erhöht die Sichtbarkeit und Legitimation von Wissenschaft. Im Kern geht es uns in unserem Antrag um zwei Themen: Erstens, das prinzipielle Recht der Bürgerinnen und Bürger, zu erfahren, welche Forschenden und welche Projekte mit welchen veröffentlichten Ergebnissen durch öffentliche Mittel finanziert werden. Zweitens geht es um die Transparenz, die nötig ist, um unangemessenen Einflussnahmen und Interessenkonflikten im Bereich öffentlich finanzierter Forschung vorzubeugen beziehungsweise diese überhaupt erst einer kritischen Bewertung und Beurteilung zugänglich zu machen. Ziel ist es, am Ende die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit von Wissenschaft insgesamt zu stärken. Das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf nachvollziehbare Informationen über die Verwendung öffentlicher Forschungsmittel muss nicht mehr näher begründet werden. Verbesserungswürdig ist allerdings die Umsetzung dieses Prinzips. Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat in diesem Sommer einstimmig eine Handlungsempfehlung verabschiedet, die eine für Bürgerinnen und Bürger verständliche Datenbank fordert. Wir haben die Umsetzung dieser Empfehlung bei den aktuellen Haushaltsberatungen eingefordert. Auch die Regierungskoalitionen sollten darauf achten, dass die Bundesregierung hier tätig wird. Laut der Empfehlung soll die Datenbank – ähnlich der Datenbank GEPRIS der DFG – die wesentlichen Informationen zu öffentlich geförderten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben enthalten und die Zuwendung öffentlicher Mittel für Forschungsprojekte generell an die verpflichtende Bedingung geknüpft werden, seitens der Mittelempfängerinnen und -empfänger in frei zugänglichen, möglichst zentralen sowie untereinander vernetzten Datenbanken das jeweilige Forschungsprojekt, dessen Ziele und wesentliche Resultate, einschließlich der nach dem Open-Access-Prinzip veröffentlichten Forschungsergebnisse und -daten, in allgemeinverständlicher Form darzulegen. Darüber hinaus soll über den Umfang und die Dauer der öffentlichen Förderung Auskunft gegeben werden. Hierbei sollten auch die beteiligten Kooperationspartnerinnen und -partner erwähnt werden. Die Ressortforschung ist sinnvollerweise dabei umfassend einzubeziehen. Bei unserer Forderung nach mehr Transparenz im Interesse der Glaubwürdigkeit und der Unabhängigkeit von Wissenschaft und Forschung geht es nicht um ein Misstrauen gegenüber der Wissenschaft. Es geht darum – angesichts des hohen Ansehens, das die Wissenschaft in unserer Gesellschaft genießt, eine Beschädigung der Wissenschaft durch Einzelne abzuwenden. In letzter Zeit wurden in der Öffentlichkeit verschiedene Fälle von wissenschaftlichem Fehlverhalten, zum Beispiel im Rahmen von Kooperationen und Nebentätigkeiten, sowie gravierende Verstöße gegen Transparenz und wissenschaftliche Unabhängigkeit kritisch diskutiert. Es ist im Interesse der gesamten Wissenschaft gegen solche Fälle entschieden vorzugehen, denn die Glaubwürdigkeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen lässt sich nicht von der Glaubwürdigkeit und der Inte-grität der Forschenden und ihren Einrichtungen trennen. Zweifel an der Integrität von Forschenden und ihren Einrichtungen führt berechtigterweise zu Zweifeln an der Qualität bestimmter wissenschaftlicher Ergebnisse und unterminiert das Vertrauen in Forschung und Wissenschaft jenseits der kritischen Überprüfung und Hinterfragung, der wissenschaftliche Arbeit ohnehin stets unterliegen muss. Natürlich operieren Wissenschaft und Forschung nicht im luftleeren Raum. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind sowohl auf öffentliche oder private Mittel als auch in vielfältiger Weise auf Kooperationen mit Dritten angewiesen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Diese Kooperationen sind in der Regel außerordentlich produktiv für alle Beteiligten. Sie fördern den gesamtgesellschaftlich produktiven Wissens- und Technologietransfer. Ob dabei die Unabhängigkeit von Wissenschaft und Forschung tangiert wird und ob es zu Interessenkonflikten kommt, das ist keine objektiv messbare Größe. Die Gesellschaft muss aber die Möglichkeit haben, sich davon ein Bild zu machen. Hierfür bedarf es der Transparenz über Kooperationsbeziehungen im Wissenschaftsbereich. Diese muss natürlich grundlegende Rechte wie Geschäfts- und Betriebs-geheimnisse sowie datenschutzrechtliche Regelungen berücksichtigen. Unser Ansatz zielt vor diesem Hintergrund ausschließlich auf die verbindliche Veröffentlichung wesentlicher Daten, das heißt Daten zu Laufzeit, Umfang, beteiligten Institutionen und Personen. Wer öffentliche Mittel bezieht, sollte offenlegen, mit wem er kooperiert und von wem er seine Mittel erhält. Deshalb muss die Veröffentlichung auch die Drittmittelforschung betreffen. Der genaue Gegenstand der Kooperation ist Sache der Vertragsparteien und soll dies auch bleiben. Flankiert werden soll diese Offenlegung durch die Entwicklung von – durch wissenschaftliche Akteure selbst erarbeitete – Codes of Conduct für verschiedene Kooperationsformen. Solche Codes können von vorn-herein unterstützen, dass Kooperationen auf Augenhöhe und fair stattfinden. Die verschiedenen zuständigen -Wissenschaftsorganisationen sollten entsprechende verbindliche Handlungsrahmen für Kooperationen erarbeiten und diese öffentlich kommunizieren. Die potenziellen Kooperationspartner sollten sich in Zukunft zur Einhaltung entsprechender Regeln verpflichten. Neben dem Thema Kooperationen kommt es jedoch auch darauf an, die Glaubwürdigkeit im Wissenschaftsbereich durch weitere Maßnahmen für mehr Transparenz zu stärken und zum Beispiel unberechtigte Vorwürfe zu entkräften. Hierzu zählt die Offenlegung von möglichen Interessenkonflikten bei Publikationen: Entsprechend dem Singapore Statement on Research Integrity von 2010 sollen wissenschaftliche Autorinnen und Autoren bei Publikationen verbindlich die Finanzierung bzw. Unterstützung ihrer Forschung und möglicherweise bestehende Interessenkonflikte offenlegen und diese Informationen zusammen mit der jeweiligen Publikation veröffentlichen. Einige wissenschaftliche Zeitschriften weisen hier bereits heute den richtigen Weg. Transparenzanforderungen müssen auch an die Nebentätigkeiten des hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals gestellt werden. Deshalb sollen Bund und Länder in Kooperation mit den Wissenschaftsorganisa-tionen einheitliche Regelungen mit dem Ziel erarbeiten, dass anzeigen- und genehmigungspflichtige Nebentätigkeiten von Hochschulprofessorinnen und -professoren an öffentlich geförderten Hochschulen veröffentlicht werden. Entsprechende Regelungen sollen auch für das leitende wissenschaftliche Personal an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen entwickelt werden. Nebentätigkeiten dürfen der Integrität und Glaubwürdigkeit von Wissenschaft nicht entgegenstehen. Deshalb wollen wir die Hochschulrektorenkonferenz darum bitten, allgemeine Standards für die Nebentätigkeit des hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals an öffentlich finanzierten Hochschulen zu entwickeln. Für das hauptberuflich tätige wissenschaftliche Personal an außeruniversitären Forschungseinrichtungen sollte Entsprechendes von der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen erbeten werden. Mehr Transparenz im Wissenschaftsbereich stärkt die Glaubwürdigkeit und Integrität und trägt dazu bei, dass nicht eine kleine Gruppe schwarzer Schafe am Ende ein Zerrbild in der Öffentlichkeit produzieren kann. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11029 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist das so beschlossen. Tagesordnungspunkt 41: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. November 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Drucksache 17/10753 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/11104 – Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Dr. Volker Wissing Dr. Thomas Gambke Wie ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Dem Deutschen Bundestag liegt heute ein Gesetzentwurf zur Ratifikation eines neuen Doppelbesteuerungsabkommens mit dem Fürstentum Liechtenstein vor. Grundsätzlich dienen Doppelbesteuerungsabkommen dazu, die doppelte Besteuerung in den Vertragsstaaten für Unternehmen und Privatpersonen zu vermeiden. -Damit können die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit verbessert und Investitionshemmnisse aufgrund einer doppelten Steuerlast abgebaut werden. Deutschland ist Liechtensteins wichtigster Exportmarkt. Die liechtensteinische Industrie trägt circa 40 Prozent zum gesamten Bruttosozialprodukt des -Fürstentums bei. Jeder zweite Arbeitnehmer in Liechtenstein ist ein Einpendler aus Österreich, der Schweiz oder Deutschland. Liechtensteins Unternehmen haben über 5 000 Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen – das -bekannteste unter ihnen ist sicherlich der Werkzeug-maschinenhersteller Hilti. Liechtenstein hat in den letzten Jahren in seiner -nationalen und internationalen Steuerpolitik und Steuerkooperationspolitik einen umfassenden Reformprozess eingeleitet und umgesetzt. Das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene neue liechtensteinische Steuergesetz erfüllt die europarechtlichen Standards uneingeschränkt und ist auch international kompatibel und anerkannt. Dieses kann damit als nationale Basis für den Abschluss von bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen angesehen werden. Es entspricht insbesondere den europarechtlichen Bestimmungen über das Verbot staatlicher Beihilfen, welche auch für Liechtenstein aufgrund des Abkommens zur Errichtung eines Europäischen Wirtschaftsraums, EWR-Abkommen, verbindlich sind. Die zuständige europäische Überwachungsbehörde hat die Europarechtskonformität des liechtensteinischen Steuerrechts ausdrücklich in einer entsprechenden Entscheidung bestätigt. Weiterhin hat sich das Fürstentum mit der Liechtenstein-Erklärung vom 12. März 2009 zur Umsetzung des geltenden internationalen OECD-Standards zur Transparenz und zum Informationsaustausch in Steuersachen verpflichtet. Die seither mit derzeit 25 Partnern unterzeichneten und größtenteils in Kraft getretenen Abkommen folgen vollumfänglich diesem Standard. Liechtenstein ist bestrebt, sein Netzwerk an Steuerabkommen stetig auszuweiten, hat bereits mit weiteren Partnern -Abkommen abgeschlossen und steht in Verhandlungen mit einer Reihe weiterer Staaten innerhalb und außerhalb Europas. Gleichzeitig hat sich Liechtenstein bereit -erklärt, umfassende Regelungen zur Regularisierung und zur Sicherstellung der legitimen Steueransprüche anderer Staaten in der Vergangenheit und für die -Zukunft zu entwickeln und abzuschließen. Liechtenstein erfüllt die OECD-Standards zur Steuerkooperation. Dies hat das Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes, GFTEI, in seinem Peer-Review-Verfahren bestätigt. Sie sehen also, dass Liechtenstein viel unternommen hat, und das hat es auch in dem Fachgespräch im Deutschen Bundestag glaubwürdig dargelegt. Wir sollten deshalb von den Klischees der Vergangenheit Abstand nehmen. Mit der Ausgestaltung des DBA wollen Deutschland und Liechtenstein die bestehenden Wirtschaftsbeziehungen stärken und die direkten Wirtschaftsbeziehungen zum beiderseitigen Vorteil ausbauen. Damit wird auch der Verbundenheit in einem gemeinsamen europäischen Regulierungsrahmen und der Förderung des europäischen Binnenmarktes Rechnung getragen. Liechtenstein ist aufgrund des EWR-Abkommens wie Deutschland Teil des EU-Binnenmarktes. Das DBA entspricht den Standards der OECD und trägt zugleich den Bedürfnissen und Wünschen beider Vertragsstaaten umfassend und innovativ Rechnung. In Art. 10 wurde für das Besteuerungsrecht des Quellenstaates bei Dividenden ein Nullsatz vereinbart. Im -Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Dividenden, Zinsen, Lizenzen und Veräußerungsgewinnen ist die -Reduktion des Quellensteuersatzes an bestimmte -Voraussetzungen geknüpft. So ist bei Schachteldividenden die Quellensteuerreduktion auf 0 Prozent an eine Mindestbeteiligung in Höhe von 10 Prozent und an eine Mindesthaltedauer in Höhe von zwölf Monaten gekoppelt. Dies entspricht der Regelung im Abkommen zwischen Deutschland und der Schweiz und vermeidet die unangemessene Inanspruchnahme und den Missbrauch derartiger Quellensteuerreduktionen. Nur wer an langfristigen und stetigen Investitionen interessiert ist, dem wird eine Quellensteuerfreiheit gewährt. Das Abkommen zwischen Deutschland und Liechtenstein enthält besondere Aktivitäts- und Substanz-erfordernisse zur Vermeidung von Missbrauchs-konstellationen sowie von abkommensrechtlichen Wettbewerbsnachteilen für aktiv tätige Wirtschaftsunternehmen, die sogenannte Realwirtschaftsklausel, die erstmals in dieser Form so vereinbart wurde. Hierdurch wird die Entwicklung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen, nicht aber in Form von funktions- und substanzschwachen Unternehmen, gefördert. Art. 31 des DBA schränkt die Anwendung der Abkommensvergünstigungen, insbesondere Quellensteuerreduktionen, in bestimmten Fällen ein. Grundsätzlich geht es darum, sicherzustellen, dass nur tatsächlich in einem Staat ansässige Personen die Abkommensvorteile nutzen können. Ferner sind zur Vermeidung „ungerechtfertigter Steuervorteile“ Strukturen, welche nur der liechtensteinischen Mindestertragsteuer unterliegen, nicht abkommensberechtigt, sogenannte Privatvermögensstrukturen. Der Gründung von Scheinfirmen oder anderen „Konstruktionen“ zur Erlangung von steuerrechtlichen Vorteilen wird damit ein Riegel vorgeschoben. Mit dem Abkommen zwischen Deutschland und Liechtenstein wird nicht nur der gegenseitige Austausch von Steuerinformationen nach Art. 26 OECD-Muster-abkommen vereinbart, welche im anwendbaren TIEA bereits verwirklicht ist, sondern auch Amtshilfe bei der Steuererhebung, sogenannte Beitreibung von Steuer-forderungen, vorgesehen. Diese Bestimmungen sind im aktuellen OECD-Musterabkommen enthalten, werden aber in Europa und weltweit erst in wenigen bilateralen DBA verwendet. Als weiteres, neues Element wird Amtshilfe bei der Zustellung von Steuerforderungen und Steuerbescheiden vereinbart. Demnach enthält das Abkommen zusätzlich zum existierenden TIEA eine umfassende Informationsklausel, die sämtliche Steuerarten umfasst. Nicht zuletzt ist ein verbindliches Schiedsverfahren -vorgesehen, sofern mithilfe eines Verständigungsverfahrens keine Lösung erzielt werden kann. Das Fürstentum Liechtenstein hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Handelspartner der Bundesrepublik Deutschland entwickelt. Wir möchten die wirtschaftliche Zusammenarbeit der beiden Länder stärken und verabschieden deshalb heute Doppelbesteuerungsabkommen. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Wir beraten heute in abschließender Lesung über ein Gesetz, mit dem das zwischen Liechtenstein und Deutschland ausgehandelte Abkommen über die Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen umgesetzt wird. Die SPD-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu, auch wenn einige Regelungen enthalten sind, die wir uns anders gewünscht hätten. Ich denke dabei an die Ausgestaltung der Quellenbesteuerung von Dividenden aus Schachtelbeteiligungen, an Regelungen zum steuerlichen Informationsaustausch und zur Vermeidung grenzüberschreitender Steuergestaltungen. Mit Blick auf die Vielzahl von Briefkastenfirmen und intransparenten Rechtskonstruktionen, mit denen sich Vermögen und Einkünfte am deutschen Fiskus vorbeischleusen ließen und die zum bislang schlechten Ruf Liechtensteins als Steuer- und Verdunkelungsoase beigetragen haben, ist es bedauerlich, dass die Bundesregierung in den Verhandlungen mit Liechtenstein keine Lösung für diese unversteuerten Altvermögen angestrebt hat. Die von Liechtenstein angekündigte und begrüßenswerte sogenannte Weißgeldstrategie wäre noch deutlich glaubwürdiger, wenn wir auch eine Lösung für die Erfassung und Besteuerung bislang nicht erfasster Altfälle hätten. Dabei denke ich nicht allein an Liechtenstein. Das ist wie bei der Schwarzarbeit: Zu jedem Schwarz-arbeiter gehört ein Schwarzarbeitgeber. Wollen wir da nur einer Seite die ganze Schuld geben? Wenn man sich die Art und Weise und das schlechte Ergebnis der Verhandlungen über die „Regularisierung“ bislang unversteuerter Altvermögen anschaut, die Finanz-minister Schäuble im ähnlich gelagerten Fall der Schweiz erreicht hat, habe ich wenig Hoffnung, dass wir hier in absehbarer Zeit zu einer guten Regelung mit Liechtenstein kommen. Wir werden damit wohl auch in Zukunft große Schwierigkeiten haben, Erkenntnisse über rechtswidrig nach Liechtenstein verbrachtes Vermögen, daraus entstehende Vermögenspositionen und Erträge oder über intransparente Rechtskonstruktionen ohne steuerlich identifizierbare Begünstigte zu gewinnen, bei denen der Treuhänder – Trustee – im Ausschüttungs- bzw. Fälligkeitszeitpunkt über ein „Entscheidungsrecht“ bei der Zuweisung der Erträge an Begünstigte verfügt. Wenn wir dem Abkommen mit Liechtenstein trotz dieser Mängel zustimmen, liegt dies an den Fortschritten bei der Weiterentwicklung eines internationalen Abkommensnetzes, das unsere Besteuerungsrechte gegenüber anderen Staaten wirksamer als in einem abkommens-losen Zustand abgrenzt und schützt und unsere Kenntnisse über Einkünfte deutscher Steuerpflichtiger aus diesen Staaten verbessert. Langfristig streben wir eine Änderung des OECD-Musterabkommens an, um den automatischen Informationsaustausch automatisch in allen Vereinbarungen zu implementieren und seine Akzeptanz zu erhöhen. Bislang hatten wir kein Doppelbesteuerungsabkommen mit Liechtenstein; der Vertrag beendet also einen abkommenslosen Zustand mit einem Staat, der von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, bislang auf der Liste der Steuer- und Regulierungsoasen geführt worden war. Die damit verbundene Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Liechtenstein und Deutschland und die Fortschritte bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung sind nicht denkbar ohne die Vorarbeiten von Peer Steinbrück, der sich in seiner Zeit als Bundesfinanzminister für die Umsetzung der OECD-Standards für Transparenz und effektiven Informationsaustausch in steuerlichen Angelegenheiten eingesetzt hat. Das neue Abkommen führt zu einem wirksameren Schutz unserer legitimen Besteuerungsansprüche und ermöglicht – über die Regelung im deutsch-liechtensteinischen Steuer-informationsaustauschabkommen hinaus – auch einen freiwilligen spontanen und automatischen Informationsaustausch; zumindest dies, wenn schon unsere bevorzugte Lösung eines obligatorischen Informationsaustauschs über alle Steuerarten hinweg mit der Möglichkeit zu Gruppenanfragen nicht erreichbar war. Das Abkommen übernimmt die neuen Grundsätze der Betriebsstättenbesteuerung gemäß OECD-Musterabkommen, die Betriebsstätten wie selbstständige Unternehmenseinheiten behandelt, Art. 7, und damit die formale Voraussetzung für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes für die Verrechnungspreislegung konzern-interner Transaktionen schafft. Die Quellenbesteuerung zwischengesellschaftlicher Dividenden lehnt sich an die entsprechenden Regelungen im deutsch-schweizerischen Abkommen an. Damit gilt ein Steuersatz von 0 Prozent, wenn der Nutzungsberechtigte eine Gesellschaft ist, die über einen Zeitraum von wenigstens zwölf Monaten einen Anteil von mindestens 10 Prozent an dem ausschüttenden Unternehmen hält. Die Koalitionsfraktionen verteidigen diese Lösung und verweisen auf die Schutzklauseln in Art. 31 des Abkommens, die sogenannte Aktivitäts- und Substanzerfordernisse definieren, um die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Abkommensvorteilen zu vermeiden und deutsche Besteuerungsinteressen zu wahren. Im Zusammenwirken mit der Freistellungsmethode, die eine Doppelbesteuerung vermeiden soll, unterliegen diese Einkünfte in Deutschland nicht mehr der Besteuerung. Diese Freistellung gilt allerdings nur für Einkünfte aus aktiver Tätigkeit, um eine Verlagerung von Steuersubstrat durch Verwaltungsgesellschaften ins Ausland zu vermeiden, und unter Anwendung des Progressionsvorbehalts; die in Deutschland von der Besteuerung freigestellten Einkünfte aus Liechtenstein werden dann bei der Ermittlung der steuerlichen Belastung des übrigen Einkommens fiktiv hinzugerechnet, es kommt zu einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und einer höheren durchschnittlichen Steuerbelastung der in Deutschland zu versteuernden Einkommen. Die Bundesregierung begründet ihre Verhandlungsposition der Freistellung im Allgemeinen damit, dass für Unternehmen, die Einkünfte im Ausland erzielen, die gleichen steuerlichen Rahmenbedingungen wie für ihre Konkurrenz gelten sollen. Dieses Argument hat mit Blick auf die starke internationale Wettbewerbssituation deutscher Unternehmen zwar seine Berechtigung; die SPD-Fraktion spricht sich allerdings im Grundsatz – und mit Rücksicht auf den konkreten Einzelfall – für die Anrechnungsmethode aus, um die Besteuerungsrechte des -Staates zu erhalten und keine Schlupflöcher für Gestaltungen zulasten der öffentlichen Haushalte zu öffnen. Die im Abkommen vereinbarte Switch-over-Klausel, die es Deutschland erlaubt, im Fall des Missbrauchs der Freistellungsmethode einseitig auf die Anrechnungsmethode umzuschalten, kann den strukturellen Unterschied zwischen Freistellung- und Anrechnungsmethode nicht vollständig „kompensieren“, da eine solche Entscheidung auf spezielle Fälle beschränkt ist und keine allgemeine, grundsätzliche Lösung darstellt. Es geht uns nicht um eine konfiskatorische Besteuerung von Einkünften, die aus Ausschüttungen bei verbundenen Unternehmen mit grenzüberschreitenden Beteiligungen entstehen. Angesichts der Tatsache, dass die von der Bundesregierung verhandelten Doppelbesteuerungsabkommen der letzten Zeit einen immer weiter sinkenden Steuersatz vorsehen und im aktuellen Abkommen sogar eine Nullbesteuerung vereinbart wurde, würde es sich für Deutschland mit seinem weitverzweigten Netz an Doppelbesteuerungsabkommen allerdings lohnen, über einen höheren Steuersatz nachzudenken, auch um als Vorbild für eine internationale Trendumkehrung zu dienen. Die zur Anhörung des Finanzausschusses eingela-denen Sachverständigen aus Deutschland und Liech-tenstein bewerteten das Abkommen mit Blick auf die -Unterbindung von Steuerhinterziehung und Gestaltungsmöglichkeiten, den Ausschluss der doppelten (Nicht-)Be-steuerung und die Verbesserung des Informationsaustausches zwischen Steuerverwaltungen überwiegend positiv. Gleichwohl konnten in der theoretischen Erörterung mit den Sachverständigen einige Aspekte nicht vollständig aufgeklärt werden. Ich halte es deswegen für eine gute Idee – und habe das auch bei heftigem Nicken des Parlamentarischen Staatssekretärs im Ausschuss vorgeschlagen – , das Abkommen in einigen Jahren daraufhin zu überprüfen, ob es sich in der Praxis des Steuer-vollzugs für die Steuerpflichtigen und die Steuerverwaltung bewährt haben wird und die Ziele des Abkommens erreicht wurden. Holger Krestel (FDP): Das Fürstentum Liechtenstein wird viel zu häufig – auch von Mitgliedern dieses Hauses – auf die Tätigkeit der dort ansässigen Banken und die Politik, mit der die liechtensteinische Regierung diese bis vor kurzem unterstützt hat, reduziert. Liechtenstein ist aber auch ein produzierendes und exportierendes Industrieland mit einem modernen Dienstleistungssektor. Mit seinen rund 36 500 Einwohnern würde Liechtenstein in Deutschland zwar nur als Kleinstadt gelten, es beherbergt aber mit Unternehmen wie Hilti, Thyssen-Krupp Presta, Hilcona oder der Ospelt-Gruppe zahlreiche auf dem Weltmarkt aktive und teilweise sogar führende produzierende Firmen. Mit 41 Prozent der Beschäftigten spielt das produzierende Gewerbe sogar eine deutlich wichtigere Rolle als bei uns in Deutschland, wo Sie nur 24 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Werken und Fabriken antreffen. Während mit rund 58 Prozent der Arbeitsplätze der Dienstleistungssektor den größten Jobmotor in Liechtenstein darstellt, sind davon entgegen der landläufigen Meinung nur 17 Prozent Stellen in der Finanzwirtschaft zu finden. Die Wirtschaft ist stark auf den Außenhandel konzentriert, und Deutschland bildet dabei den mit Abstand wichtigsten Abnehmermarkt. Ungefähr die Hälfte der rund 33 000 in Liechtenstein arbeitenden Personen pendelt jeden Tag in das Fürstentum. Ein Zehntel dieser Pendler kommt dabei aus Deutschland. Ganz besonders für diese Personen ist eine klare Regelung und Koordination der Besteuerung in beiden Ländern besonders wichtig. Die Wirtschaftsstruktur und ein Paradigmenwechsel der liechtensteinischen Regierung bezüglich der Versteuerung ausländischen Kapitals, welches in Liechtenstein angelegt wird, waren die Basis, auf der unsere Verhandlungen gefußt haben. Die neue Weißgeldstrategie Liechtensteins ermöglicht ein Abkommen, welches im Wesentlichen dem OECD-Musterabkommen entspricht. Nennenswerte Modifikationen entstammen ursprünglich den Abkommen mit Österreich und der Schweiz. Hierbei handelt es sich um die Gewinnabgrenzung für Betriebsstätten und den Verzicht einer Quellenbesteuerung für zwischengesellschaftliche Dividendenzahlungen, wenn die Beteiligung über 10 Prozent liegt und bereits mindestens ein Jahr andauert, so wie es schon mit der Schweiz geregelt ist. Zudem wurde nach Vorbild des Abkommens mit Österreich ein Quellenbesteuerungsrecht für die Erträge aus der Vermarktung von Persönlichkeitsrechten durch Künstler und Sportler festgeschrieben, damit das Geld auch dort versteuert wird, wo es erwirtschaftet wurde. Ich bitte Sie, die gute Zusammenarbeit mit Liechtensteins Regierung zu würdigen und diesem Abkommen zuzustimmen. Richard Pitterle (DIE LINKE): Wir behandeln heute das Doppelbesteuerungsabkommen, das die Bundesregierung mit dem Fürstentum Liechtenstein ausgehandelt hat. Viele verbinden mit dem Namen Liechtenstein eine der Steueroasen in Europa. Dies leider nicht zu Unrecht. Sie erinnern sich an den damaligen Postchef Klaus Zumwinkel und die Vorfälle im Jahr 2008? Richtig: In Liechtenstein lag das Geld – gut versteckt. Liechtenstein steht aber für mehr als ein Geschäftsmodell der Steuerhinterziehung. Liechtenstein ist ein kleines schönes Land mitten in Europa, verfügt über eine Industrie, die ihre Produkte weltweit exportiert, und hat viele kluge Menschen hervorgebracht. Mein Eindruck nach zahlreichen Gesprächen in und außerhalb von Liechtenstein mit den politisch Verantwortlichen war, dass man erkannt hat, dass das „Geschäftsmodell Steuerhinterziehung“ das Land in die Sackgasse geführt hat und man daher auch im Interesse der heimischen Industrie neue Wege gehen will, um sich nicht in Europa zu isolieren. Bei dem jetzt vorliegenden Abkommen geht es zwar nur um die Verhinderung der Doppelbesteuerung, nicht um die Nachbesteuerung von bisher unversteuerten Kapitalanlagen deutscher Steuerpflichtiger in Liechtenstein, auch nicht um die Einführung eines Verfahrens für eine Besteuerung von Kapitaleinkünften. Daher ist das vorliegende Abkommen nicht mit dem Schweizer Steuerabkommen zu vergleichen. Doch ein Abkommen über die Vermeidung der Doppelbesteuerung mit einer früheren Steueroase ist nicht unproblematisch, denn es kann den ruinösen Steuerwettbewerb zwischen den Staaten weiter anheizen. Das ist dann der Fall, wenn die Steueroase von einer direkten Steueroasenpolitik zu einer Niedrigsteuerpolitik wechselt. Das trifft auf Liechtenstein zu. Zwar hat Liechtenstein versprochen, zukünftig eine sogenannte Weißgeldstrategie zu verfolgen, also versprochen, dass seine Banken nur noch Geld von den Kunden annehmen dürfen, die zuvor schriftlich erklären, ihre Vermögenswerte korrekt versteuert zu haben. Sosehr ich die Botschaft gerne höre, die mir von den politisch Verantwortlichen aus Liechtenstein übermittelt wird, es fehlt mir doch der Glaube. Es ist die fehlende Bereitschaft zum automatischen Informationsaustausch, die ich vermisse. Für mich ist das nach der Vorgeschichte jedoch ein wesentlicher Baustein für eine Aufarbeitung und einen Neuanfang. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Sie erlaubt einem Teil der Bevölkerung, sich aus der Finanzierung der Gesellschaft zu verabschieden, und das auch noch zu einem Zeitpunkt, wo die braven Steuerbürgerinnen und -bürger für die Spekulationsverluste der Zocker einstehen müssen. Daher lehnen wir als Linke gegenwärtig das Abkommen ab. Alternativen zu diesem Abkommen liegen auf der Hand – Deutschland könnte erstens gemeinsam mit seinen europäischen Partnern auf die schnelle Verabschiedung und Umsetzung der erweiterten EU-Zinsrichtlinie hinwirken; zweitens gemeinsam mit den USA ein FATCA-ähn-liches Gesetzespaket verabschieden sowie drittens ähnlich wie Großbritannien eine Offenlegungs-einrichtung mit Liechtenstein aushandeln, um sicherzugehen, dass künftig alle Konten und Wirtschaftsstruk-turen deutscher Steuerpflichtiger in Liechtenstein dem deutschen Fiskus gemeldet werden. Wenn Sie das heute vorliegende Abkommen mit Ihrer Koalitionsmehrheit beschließen, müssen unseres Erachtens weitere Schritte folgen: nämlich – wie bereits erwähnt – die Nachbesteuerung von bisher unversteuerten Kapitalanlagen deutscher Steuerhinterzieher in Liechtenstein sowie die Einführung eines Verfahrens für eine Besteuerung von Kapitaleinkünften. Dass sich das lohnt, haben wir bei den USA gesehen: Über 98 Prozent der US-Konten in Liechtenstein waren nicht deklariert und damit Schwarzgeld. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir beraten heute abschließend über das Doppel-besteuerungsabkommen zwischen Liechtenstein und Deutschland. Letzte Woche hat sich der Finanzausschuss auf Anregung unserer Fraktion auch im Rahmen eines Fachgesprächs intensiv mit dem Abkommen befasst. Es ist das erste Mal, dass Deutschland mit Liechtenstein ein Doppelbesteuerungsabkommen abschließt. Wichtigstes Kriterium für die Beurteilung dieses -Abkommens ist für uns das Thema Transparenz. Wir begrüßen, dass sich Liechtenstein im Jahr 2009 zu einer Transparenzinitiative entschlossen hat. Wir erkennen die Bemühungen Liechtensteins an, sich von einer Steueroase mit 20 000 Briefkastenfirmen zu einem seriösen Steuerstandort zu entwickeln. Für uns ist jedoch -entscheidend, dass ein solcher Paradigmenwechsel mit vertrauensbildenden Maßnahmen vonseiten Liechtensteins begleitet wird. Wir halten es für essenziell, dass sich Liechtenstein offen zu den Transparenzzielen der EU in Form eines automatischen Informationsaustausches bekennt. Dies ist leider im Abkommen ausgeblieben – es sieht lediglich die Möglichkeit dazu vor, ohne jedoch zu verpflichten. Auch im Fachgespräch ist ein Bekenntnis des Fürstentums zum automatischen Informationsaustausch ausgeblieben. Im Gegenteil: Weitergehender Transparenz, wie sie Liechtenstein mit den USA vereinbart hat, erteilte Liechtenstein im Fach-gespräch eine Absage. Daher werden wir Grüne diesem Doppelbesteuerungsabkommen nicht zustimmen. Auch andere Elemente des Gesetzes sehen wir -kritisch: Liechtenstein ist im EU-Vergleich ein absolutes Niedrigsteuerland. Daher lehnen wir die Freistellungsmethode im Abkommen ab und plädieren hier für die -Anrechnungsmethode. Wir begrüßen jedoch das Bestreben des Bundesfinanzministeriums, zur Sicherung des deutschen Steuersubstrates eine Realwirtschaftsklausel im Doppelbesteuerungsabkommen festzuschreiben. Diese soll verhindern, dass Unternehmen, die nur eine funktions- oder substanzschwache Präsenz im Land -haben, das Abkommen mit seinen Quellensteuerermäßigungen nutzen können. Hier muss sich jedoch noch zeigen, wie wirksam mit diesem Instrument Missbrauch verhindert werden kann. Schließlich ist der Zeitpunkt das Abkommens fragwürdig. Das Abkommen enthält keine Lösung für die -unversteuerten Altvermögen deutscher Staatsbürger in Liechtenstein, und auch in einem parallelen Prozess dazu ist noch kein Ansatz gefunden worden. Dies sollte jedoch zumindest zeitgleich mit einem Doppelbesteuerungsabkommen passieren, wie dies auch zwischen Liechtenstein und Großbritannien mit der sogenannten Disclosure Facility der Fall ist. Wir werden den Weg Liechtensteins weg vom Status einer Steueroase weiter kritisch und konstruktiv begleiten. Wir hoffen, dass das Fürstentum in Zukunft deutliche Signale in Richtung Transparenz senden wird, die unser Vertrauen in den Prozess stärkt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11104, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10753 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken und Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 36: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Johannes Pflug, Karin Roth (Esslingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Myanmar auf dem Weg zur Demokratie begleiten und unterstützen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Ute Koczy, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Myanmar – Den demokratischen Wandel unterstützen – Drucksachen 17/9727, 17/9739, 17/10903 – Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Klimke Edelgard Bulmahn Patrick Kurth (Kyffhäuser) Stefan Liebich Dr. Frithjof Schmidt Wie ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Jürgen Klimke (CDU/CSU): Der Deutsche Bundestag diskutiert in diesem Jahr bereits zum vierten Mal über die vielen positiven Entwicklungsschritte des südostasiatischen Landes. Dies zeigt, dass wir derzeit in Echtzeit miterleben, wie sich ein Land mithilfe von ehemaligen Diktatoren zu einer Demokratie wandelt. Allen Unkenrufen zum Trotz geht es Monat für Monat weiter voran, und selbst in den zwei Monaten nach der letzten Debatte im Bundestag haben wir wieder beachtliche Schritte im Rahmen der Verbesserung von Menschenrechten bei Wirtschaftsreformen und in der außenpolitischen Orientierung erlebt. Beachtlich, denn diese Entwicklungen strafen gerade die Kritiker hier aus dem Bundestag Lügen, die immer noch anhaltend misstrauisch sind. Natürlich sind es die Grünen. Sie sind misstrauisch, weil eben nicht oberlehrerhafte westliche Sanktionen zur Demokratie geführt haben. Diese ewig misstrauischen Grünen müssen endlich lernen, dass die von ihnen über Jahrzehnte geforderten Sanktionen in Myanmar nachweislich nichts gebracht haben. Vertrauen Sie endlich auf die heilende Kraft der Freiheit und nicht auf ihren kleinkarierten Demokratiedirigismus als Grundpfeiler Ihrer Außenpolitik. Die Regierungsfraktionen jedenfalls unterstützen weiter die höchst erfreulichen Entwicklungen in Myanmar und halten sich nicht mit dauernden ermüdenden Ermahnungen auf. Besonders erfreulich ist derzeit für mich, wie aktiv die deutschen Stiftungen den politischen Frühling nutzen, um wieder in Myanmar umfangreich aktiv zu sein. Die Böll-Stiftung im Bereich der Kultur, die Adenauer-Stiftung im Rahmen des Demokratieaufbaus, natürlich aus guter Tradition die Ebert-Stiftung in allen politischen Bereichen und neuerdings auch stark die Freiheitsstiftung, die einen wichtigen politischen Besuch vonseiten Myanmars in letzter Zeit organisiert hat. Auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung hat eine Delegation des Industrieministeriums sowie der Handelskammer von Myanmar Deutschland besucht. Die Reise fand im Rahmen einer Kooperation der Stiftung mit dem Industrieministerium statt, durch die kleine und mittlere Unternehmen – KMU – in Myanmar gefördert werden. Ein wichtiger Beitrag, um die gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen wieder neu zu starten. Die Delegation wollte sich in Hamburg und Berlin ein Bild von Deutschlands Mittelstandsförderung machen. Wichtig, denn aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Reformen in Myanmar stehen die Menschen an einem Neuanfang mit großen Herausforderungen. Kleine und mittlere Unternehmen müssen dort zukünftig wichtige Rollen einnehmen. Sie müssen zum Aufschwung beitragen und ihn stabilisieren. Welches Land, wenn nicht Deutschland, kann in diesem Bereich weiterhelfen? Ganz besonders freut mich, dass auch im Bereich des für Myanmar wichtigen Finanzsektors die schwierigen Reformen angegangen werden. So hat Myanmar jüngst eine staatliche Bank in eine KMU-Bank umgewandelt, die bald Kredite an Kleinunternehmer vergeben soll. Daran beteiligt ist auch der Dachverband der Handelskammern in Myanmar – UMFCCI –, dessen General-sekretärin Khine Khine Nwe als Mitglied der eben benannten Delegation nach Deutschland reiste. Die Delegation traf zudem in einer erweiterten Sitzung mit dem Regionalarbeitskreis Asien der Handelskammer Hamburg und dem Ostasiatischen Verein. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Regierung und das Parlament in Myanmar mittelfristig weiter vorankommen. Hierzu hat die Unionsfraktion Ideen, die wir gemeinsam mit unseren Gesprächspartnern in Myanmar vorantreiben wollen. Vorantreiben, ohne erhobenen Zeigefinger. Wir arbeiten dafür, dass die Parteien in Myanmar vor den Wahlen von 2015 Änderungen an der Verfassung von 2008 vornehmen, durch die das Militär seine Rolle in der Politik verliert, insbesondere seine Sitze in beiden Kammern des Parlaments. Wir begrüßen weitere gegenseitige Annäherungen zwischen Präsident U Thein Sein und Daw Aung San Suu Kyi sowie den Dialog zwischen der Regierung und der Opposition. Wir freuen uns über die internationalen Bemühungen auf hoher Ebene, die darauf abzielen, Impulse für den demokratischen Wandel in Birma/Myanmar zu geben. Es ist zu begrüßen, dass die Freilassung einer beträchtlichen Anzahl politischer Gefangener und die stark verbesserte Medien- und Internetfreiheit immer weiter vorankommen. Besonders erfreulich sind auch die neuen Rechtsvorschriften zur Versammlungsfreiheit und die Berichten zufolge erkennbaren Fortschritte bei der Abschaffung der Zwangsarbeit durch gesetzliche Vorschriften. Hier wollen wir gemeinsam weiterarbeiten. Trotzdem fordern wir die Regierung Birmas/Myanmars auf, alle verbleibenden politischen Gefangenen unverzüglich und bedingungslos freizulassen und dem IKRK und internationalen Menschenrechtsgremien freien Zugang zu Gefängnissen in Birma/Myanmar zu gewähren. Es ist zudem wichtig, dass das Gesetz über die Staatsbürgerschaft von 1982 geändert wird, damit das Recht auf Staatsbürgerschaft der ethnischen Minderheit der Rohingya gebührend anerkannt wird. Wichtig sind auch Reformen im Rechtswesen, um ein wirklich unabhängiges und unparteiisches Justizsystem sicherzustellen und ein Verfahren einzurichten, mit dem in Bezug auf in der Vergangenheit begangene Menschenrechtsverletzungen Gerechtigkeit hergestellt und Rechenschaftspflicht eingefordert wird. Final würden wir uns für die nächsten Monate einen genauen Reformzeitplan der Regierung in Myanmar wünschen. Ich denke, dies ist ein wichtiger Aspekt, den die deutsche Entwicklungszusammenarbeit fördern sollte, da nur so der demokratische und wirtschaftliche Aufschwung verstetigt werden kann. Trotz der noch vielen Reformschritte bin ich weiterhin sehr positiv gestimmt und der festen Überzeugung, dass das Land in den nächsten Jahren zu einem Vorbild werden kann. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Die CSU unterstützt den Kurs der Bundesregierung, durch eine „Politik der ausgestreckten Hand“ die politische Führung Myanmars zu weiteren Reformen zu ermutigen. Außenpolitische Zurückhaltung, wie von der -Opposition gefordert, wäre der falsche Weg. Nach über 20 Jahren Militärregierung verfolgt die Regierung in Myanmar unter Präsident Thein Sein einen Reformkurs, der in den letzten Monaten dem Land viele lang ersehnte Fortschritte gebracht hat. Dass die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi im Rahmen der Nachwahlen im April dieses Jahres in das Parlament einziehen konnte, ist ein großer Sieg für die Demokratiebewegung in Myanmar, den noch vor einem Jahr keiner vorauszusagen gewagt hätte. Nach über 15 Jahren unter Hausarrest ist Frau Suu Kyi nun endlich in der Lage, als Abgeordnete aktiv die Politik -ihres Landes mitzugestalten. Mit der Wiederzulassung ihrer Partei, der National League for Democracy, NLD, der wichtigsten nationalen Oppositionskraft, ist der Grundstein für einen fairen Wettbewerb um Meinungsbildung und Wählerstimmen gelegt. Zu den weiteren Reformen gehören beispielsweise die Freilassung vieler politischer Gefangener sowie die -Abschaffung der Zensur, ebenfalls Meilensteine auf dem Weg zu einer Demokratisierung. Myanmar hat sich auf den Weg in Richtung Demokratie gemacht. Diesen gilt es nun zu unterstützen und zu verstetigen. Hierzu erachten wir den Ansatz der EU, als Zeichen der Anerkennung der bereits erzielten Fortschritte sowie als Anreiz für weitere Reformen die Sanktionen mit Ausnahme des Waffenembargos auszusetzen, als richtigen und wichtigen Schritt. War die Wirkung der EU-Sanktionen bereits unter dem Militärregime umstritten, wäre deren Beibehaltung zu diesem Zeitpunkt nicht nur das falsche politische, sondern auch das falsche wirtschaftliche Signal. Denn vor dem Hintergrund des in Myanmar in den letzten Monaten Erreichten geht es jetzt darum, diese Fortschritte zu sichern. Dazu gehört auch, wie Bundesminister Westerwelle anlässlich seines Besuchs in -Myanmar im April sagte, eine Friedensdividende für die größtenteils arme Bevölkerung. Nach den Entbehrungen der Militärdiktatur ist es jetzt wichtig, eine Zivilgesellschaft in Myanmar aufzubauen, die am politischen und wirtschaftlichen Leben teilhaben kann. Diese Entwicklung kann nach dem Aussetzen der EU-Sanktionen leichter in Gang kommen und auch seitens der Bundesregierung besser gefördert werden. Dementsprechend begrüßen wir auch die Entscheidung der Bundesregierung, unmittelbar nach der -Aussetzung der EU-Sanktionen die Entwicklungshilfe für Myanmar wieder aufzunehmen und 2012 insgesamt über 16 Millionen Euro für den Demokratisierungs-prozess in Myanmar bereitzustellen. Aung San Suu Kyi begrüßte dieses schrittweise Vorgehen der EU und der Bundesrepublik in ihrem Treffen mit Bundesminister Westerwelle im April dieses Jahres ebenfalls. Es gelte, die Reformen durch internationale Hilfe abzusichern, aber gleichzeitig den Reformprozess auch weiter voranzutreiben. Insofern kritisierte sie in ihrer Antrittsrede im Parlament die neue Verfassung dahin gehend, dass sie immer noch etliche Vorrechte für Militärs festschreibe. So müsse beispielsweise ein Viertel der Sitze an Angehörige des Militärs gehen. Natürlich wird Myanmar nach über 20 Jahren Militärherrschaft nicht von heute auf morgen zu einem -demokratischen Musterstaat. Aber die demokratischen Errungenschaften der letzten Monate zeigen, dass in diesem Land vieles in Bewegung geraten ist, was unsere Anerkennung und unsere Unterstützung verdient. Nach der Aussetzung der Sanktionen und der Aufnahme von Entwicklungshilfe herrscht nun auch ein politisches Klima, das einen Dialog mit den politischen Akteuren in Myanmar erleichtert. Im Rahmen dieses Dialogs werden wir die Umsetzung der Reformen genauestens verfolgen und wenn nötig weitere Fortschritte in Richtung Demokratie anmahnen. Erste Schritte hierzu hat die internationale Staatengemeinschaft bereits im April dieses Jahres mit Besuchen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, der EU-Außenbeauftragten sowie der Bundesminister Niebel und Westerwelle getan. Außerdem eröffnete die EU ein Delegationsbüro in Rangun. Die Wege der -Diplomatie stehen somit nach Jahrzehnten der Isolation offen. Lassen Sie mich abschließend die Hoffnung ausdrücken, dass Myanmar diese auch weiterhin beschreiten und sich der Demokratisierungsprozess in den kommenden Monaten stabilisieren wird. Edelgard Bulmahn (SPD): Myanmar hat in den vergangenen eineinhalb Jahren unter Präsident Thein Sein beachtliche Reformschritte eingeleitet. Nach 50 Jahren Militärdiktatur und weitgehender internationaler Isolation ist Myanmar dabei, in die internationale Völkergemeinschaft zurückzukehren. Ein großer Teil der politischen Gefangenen wurde freigelassen, die politische Betätigung von Parteien wie der Nationalen Liga für Demokratie wieder erlaubt. Wir haben die ersten weitgehend freien Wahlen erlebt. Die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi darf wieder öffentlich auftreten, wurde ins Parlament gewählt und führt die Opposition an. Mit den ethnischen Minderheiten wurden Verhandlungen zur Überwindung von Diskriminierung und über die Beilegung der bewaffneten Auseinandersetzungen eingeleitet. Die Beschränkungen der Pressefreiheit und der freien Meinungsäußerung wurden gelockert. Die politische Liberalisierung wurde durch Reformen des Wirtschaftssektors ergänzt. Private wirtschaftliche Betätigung wurde wieder erlaubt, die Privatisierung der staatlichen Betriebe eingeleitet, ausländische Investitionen wieder zugelassen. Das Land hat sich gegenüber ausländischen Touristen und Hilfsorganisationen wieder geöffnet. Zweifellos: Dies alles waren wichtige Reformschritte, Schritte und Maßnahmen, die viele von uns vor wenigen Monaten kaum für möglich gehalten hätten. Doch noch immer sind Menschenrechtsverstöße wie Zwangsarbeit, Zwangsumsiedlung, Folter, Vergewaltigungen oder die Rekrutierung von Kindersoldaten zu verzeichnen. Noch immer sitzen Hunderte politische Gefangene hinter Gittern. Noch immer beherrschen ethnische Konflikte ganze Regionen, und sie werden auf blutige Art und Weise ausgetragen. Noch immer verschlingt der Militärapparat den größten Teil des Staatshaushaltes. Noch immer verfügen die Militärs über eine Sperrminorität im Parlament. Noch immer ist Korruption an der Tagesordnung. Noch immer nimmt die kriminelle Schattenwirtschaft mit Drogen- und Waffenhandel und dem illegalen Export von Edelsteinen oder exotischen Tieren einen großen Raum ein. Und keine Frage: Es gibt im Land, insbesondere im Militärapparat, einflussreiche Gegner des neuen Kurses, die nicht bereit sind, auf ihre politischen wie wirtschaftlichen Privilegien zu verzichten. Wir, die EU und Deutschland, sollten deshalb alles daransetzen, dem eingeleiteten Reformprozess zum Durchbruch zu verhelfen. Es gilt einerseits, die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern, andererseits aber auch, das Land nicht wieder in die Isolation zu treiben. Wir sollten deshalb die politischen Kontakte und Beziehungen mit Myanmar auf Regierungs- und Parlamentsebene weiter ausbauen und verstärken. Wir sollten unseren Beitrag für den Aufbau und die Entwicklung einer funktionierenden Zivilgesellschaft leisten. Myanmar braucht Hilfe und Unterstützung bei dem Aufbau einer leistungsfähigen Zivilverwaltung. Es hat keine Erfahrungen mit der Etablierung und Durchsetzung rechtsstaatlicher Gesetzgebung und Verfahren. Es braucht Expertinnen und Experten, die das Land beraten und die nötigen Fachkräfte ausbilden und unterstützen. Der Dreh- und Angelpunkt aller Bemühungen um eine Demokratisierung des Landes ist die Einleitung einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung. Nur wenn sich die desolate wirtschaftliche Situation der Bevölkerung wahrnehmbar bessert, wird die Etablierung einer stabilen Demokratie gelingen. Myanmar zählt zu den ärmsten Ländern der Erde. Noch immer arbeiten mehr als zwei Drittel der Bevölkerung in der Landwirtschaft. Weitgehend als Subsistenzwirtschaft mit unzureichenden Mitteln betrieben, ist sie nicht in der Lage, das Land ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Es fehlt an Dünger, leistungsfähigem Saatgut, Maschinen und Know-how. Unter- und Mangelernährung sind weit verbreitet. Entwicklungshemmend sind auch die Besitzverhältnisse. Das Land gehört dem Staat, nicht den den Boden bebauenden Bauern und Bäuerinnen. Und schließlich ist ein Großteil der Landbevölkerung bei illegalen Geldverleihern hochverschuldet. Wir sollten deshalb das Land wieder in die staatliche Entwicklungszusammenarbeit einbeziehen und zu einer nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums beitragen. Diktatur, Isolation und Misswirtschaft haben eine desaströse Infrastruktur hinterlassen, die zugleich die bittere Armut des Landes in erschreckender Art und Weise verdeutlicht. Nur etwa ein Viertel der Bevölkerung hat Zugang zu Elektrizität, sanitäre Anlagen sind Mangelware, und nur jede fünfte Straße ist für die Nutzung bei schlechtem Wetter gebaut. Myanmar braucht dringend Investitionen, Investitionen in die Infrastruktur, in die Landwirtschaft, Investitionen im völlig daniederliegenden verarbeitenden Sektor, aber auch in Bildung und Ausbildung. Mit seinem Ressourcenreichtum, seinen großen Erdgasvorräten, Hölzern, seinem Kupfer, seinen Edelsteinen und anderen Rohstoffen sowie seinen Wasserkraftreserven, verfügt es über ein enormes wirtschaftliches Potenzial. Die Einnahmen aus diesen Rohstoffvorkommen könnten eine wertvolle Basis für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes sein. Tatsächlich sind die beträchtlichen Einnahmen aus dem Export in den vergangenen Jahrzehnten jedoch in die Ausrüstung und den Unterhalt der größten Armee Südostasiens gesteckt worden. Sie trugen zur Entwicklung von Prestigeprojekten wie den Aufbau der neuen Hauptstadt bei oder flossen in die Taschen von Oligarchen und der militärischen Führungselite. Deshalb wird es entscheidend darauf ankommen, dass die Einnahmen aus den Rohstoffexporten künftig für den Aufbau des Landes verwandt werden. Es gilt deshalb, darauf zu drängen, eine möglichst große Transparenz über die Verwendung dieser Einnahmen zu schaffen. Die Bundesregierung sollte sich daher gegenüber Myanmar nachdrücklich dafür einsetzen, dass das Land sich an internationalen Transparenzstrukturen, wie zum Beispiel der Extractive Industries Transparency Initiative, EITI, beteiligt und gleichzeitig Initiativen für eine nachhaltige Nutzung der Rohstoffeinnahmen für das -Gemeinwohl entwickelt. Die Einrichtung eines Zukunftsfonds, wie unter anderem in Ghana praktiziert, ist hier beispielhaft. Trotz neuer gesetzlicher Regelungen wie dem Verbot der Zwangsarbeit oder einem neuen Gewerkschaftsgesetz gibt es in Myanmar noch immer eine Vielzahl von Arbeitnehmerrechtsverletzungen. EU und Bundesregierung sollten deshalb auf die weitere Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Arbeit der Gewerkschaften drängen und Myanmar zur Umsetzung der ILO-Konvention, zur Durchsetzung des Verbots der Zwangsarbeit und zur Ratifizierung der ILO-Kernarbeitsnormen anhalten und das Land hierbei tatkräftig unterstützen. Hierzu zählt auch eine finanzielle Unterstützung des Ausbaus des Büros der ILO in Myanmar. Noch investieren deutsche und europäische Unternehmen sehr verhalten in Myanmar. Hier gilt es, mehr Rechtssicherheit für die Investitionen zu schaffen. Investoren, die sich langfristig engagieren wollen, müssen -sicher sein, dass diese nicht nur befristet zulässig sind und dass die erzeugten Produkte auch exportiert respektive importiert werden dürfen. Mit anderen Worten: Die derzeitige Aussetzung von Sanktionen für ein Jahr hilft hier nicht weiter. Wir werden uns entscheiden müssen, ob wir eine Doppelstrategie von Unterstützung und Einforderung von Reformen wählen oder ob wir die Durchsetzung eines Mindestmaßes zur Vorbedingung für die vollständige Aufhebung der Sanktionen machen wollen. Bei alledem sollten wir nicht außer Acht lassen, dass die Zukunft des Staates Myanmar keinesfalls gesichert ist. Bisher ist es nicht gelungen, die ethnischen Konflikte dauerhaft beizulegen. Die Aktionen der Militärs, die -Unterdrückung von Minderheitenrechten, Zwangsumsiedlungen und militärische Gewalt, haben erheblich zum offenen Ausbruch der Konflikte beigetragen. In Teilen Myanmars sind es inzwischen bewaffnete Verbände regionaler Machthaber, die die Macht ausüben und nicht die Zentralregierung. Auch in diesem Zusammenhang sollten wir unsere Unterstützung anbieten und unsere Erfahrungen mit -ziviler Konfliktbearbeitung und Mediation einbringen. Eine Instabilisierung Myanmars oder gar seine Entstaatlichung hätte schließlich aufgrund seiner strategischen Lage gravierende Auswirkungen auf den gesamten südostasiatischen Raum. Für die weitere Gestaltung unserer Politik gegenüber Myanmar liegen dem Plenum mittlerweile neben dem von meiner Fraktion eingebrachten Antrag zwei weitere Anträge vor. Bei genauerer Betrachtung gibt es meines Erachtens einen hohen Grad an Gemeinsamkeit. Es würde die Position der deutschen Politik gegenüber -Myanmar und unser Eintreten für Demokratie und Menschenrechte sicherlich stärken, wenn es uns gelänge, in den weiteren Beratungen ein gemeinsam getragenes -Votum zu erreichen. Ich bin jedenfalls zuversichtlich, dass wir dies erreichen können. Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Der Transformationsprozess in Myanmar von einer jahrzehntelang andauernden Militärdiktatur hin zu einer Demokratie ist ein ganz besonderer. Wir beobachten eine atemberaubende historische Entwicklung. Das -Bemerkenswerte daran: Es handelt sich um ein rares Beispiel dafür, dass sich eine Diktatur aus sich heraus wandelt. Auch wir Deutsche in unserer langen Diktaturgeschichte haben dies in dieser Form nie geschafft. -Myanmars Machthaber selbst haben Reformen auf den Weg gebracht. Diese Entwicklung sollte alle ermutigen, den Wandel zu unterstützen. Noch vor nicht allzu langer Zeit war Myanmar bekannt für massive Menschenrechtsverletzungen, für die Unterdrückung und Verhaftung Oppositioneller, für die gewalttätige Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie für ein restriktives Wahlgesetz. Ethnische Minderheiten wurden unterdrückt, Medien zensiert. Die Militärjunta hielt die Zügel fest in der Hand. Internationale Proteste blieben weitgehend ohne Erfolg. Umso erstaunlicher und bemerkenswerter ist es, dass sich der am 4. Februar 2011 ernannte Regierungschef Thein Sein, der selbst lange Zeit führendes Mitglied der Militärdiktatur war, so stetig um diesen Reformprozess bemüht. Auch Parlamentspräsident Shwe Mann ist eine der zentralen Triebfiguren der Transformation. Die Regierung hat bereits wichtige demokratische Reformen in die Wege geleitet: Die oppositionelle Nationale Liga für Demokratie, NDL, wurde im Januar 2012 wieder als Partei zugelassen und hat erstmals seit 1990 wieder an den Parlamentswahlen im April 2012 teilgenommen. Entgegen den Behauptungen im Antrag der Grünen waren dies im Grundsatz weitgehend freie und faire Wahlen. Diese erste Bewährungsprobe ist aus unserer Sicht bestanden worden. Außerdem wurde der Aussöhnungsprozess mit den ethnischen Minderheiten in Myanmar angestoßen und wird nach wie vor mit großen Bemühungen verfolgt. Lösungsansätze zur Bewältigung von bislang als tabu geltenden Themen wie Armut und Korruption werden entwickelt und umgesetzt. Außerdem wurden politische Gefangene freigelassen. Die Bundesregierung hat den Machthabern in Myanmar bereits früh ihre Unterstützung für diese Reformschritte signalisiert: Bundesminister Niebel reiste sehr frühzeitig nach Myanmar. Außenminister Westerwelle besuchte das Land als erster Außenminister der Bundesrepublik seit 25 Jahren. Als Zeichen unserer Wertschätzung von Myanmars Entwicklung wurden auch die meisten EU-Sanktionen ausgesetzt. Dies war die richtige Antwort auf die Demokratisierungsbemühungen. Andererseits ist es richtig, dass einige Sanktionen fortbestehen – gerade im militärischen Bereich. Sanktionen stellen ein wichtiges Instrument für den weiteren Wandel dar, da ansonsten der Druck genommen wird, der für weitere Reformen unerlässlich ist. Statt voreilig in Freunde auszubrechen, müssen wir Myanmar konstruktiv und kritisch auf seinem Weg begleiten und nachhaltig unterstützen. Denn: Bei aller Freude über die bisherigen Entwicklungen ist es wichtig, dass wir dem Reformprozess auch weiterhin mit einer gesunden Skepsis begegnen. Die Transformation Myanmars ist nicht unumkehrbar. Nach wie vor gibt es Gegner des Reformprozesses, auch innerhalb der Regierung. Auch das Militär bleibt ein Unsicherheitsfaktor und könnte versuchen, wieder den alten Weg zu gehen. Außerdem waren bestimmte Reformschritte in den vergangenen Monaten halbherzig. Ein Beispiel: Zwar wurde die Pressezensur aufgehoben und so die Presse- und Meinungsfreiheit weiter gestärkt. Dennoch bleibt die Zensurbehörde an sich weiter bestehen; regierungskritische Veröffentlichungen sind weiterhin mit Strafe bedroht. Der Regierung in Naypyidaw muss klar sein, dass wir nachhaltige Rückschritte nicht akzeptieren werden. Entscheidend für den Erfolg des Transformationsprozesses in Myanmar ist, dass auch das Volk einen direkten Nutzen aus der Öffnung des Landes ziehen kann. Die -Reformen bergen die Chance für neuen wirtschaftlichen Erfolg und damit eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen. Die Voraussetzungen dafür sind gut: Myanmar besitzt reichlich natürliche Ressourcen, vor allem Erdgas, Hartholz und Fischereiprodukte. Diese wurden in Zeiten der Militärdiktatur jedoch nicht für den eigenen Industrieaufbau genutzt. Myanmar muss seine Wirtschaft daher heute von Grund auf neu aufbauen: Dies gilt für die industrielle Produktion, das produzierende Gewerbe, den Mittelstand, aber auch den kleinen Einzelhandel. Dazu gehören auch die Stärkung der Selbstorganisation der Wirtschaft, die Aufspaltung von Monopolen sowie eine funktionierende Wett-bewerbskontrolle. Ohne diese Maßnahmen kann der wirtschaftliche Aufholprozess Myanmars nicht gelingen. Auch in dieser Hinsicht müssen wir Myanmar unterstützen und die gemeinsamen Handelsbeziehungen stärken. Geradezu haarsträubend ist vor diesem Hintergrund die Formulierung im Grünen-Antrag, die Handelsbarrieren hätten zunächst nur graduell abgebaut werden sollen. Ein „neoliberaler Duktus“ solle bei der Öffnung des Landes verhindert werden. Wer die wirtschaftliche Entwicklung Myanmars wie die Grünen in ihrem Antrag vernachlässigt, erweist den Reformbemühungen einen Bärendienst. Gefahren für den ökonomischen Aufstieg Myanmars gibt es indes nicht nur im Inneren, sondern gerade auch von außen. Myanmar darf nicht als Billiglohnland oder schlichter Rohstofflieferant gesehen werden. Wir wehren uns entschieden dagegen, dass eine so junge Demokratie, die Myanmar jetzt wahrscheinlich wird, eine Goldgräberstimmung bei anderen Staaten auslöst, die aus diesem Land in erster Linie einiges herausholen wollen. Die Öffnung Myanmars darf keine Postkolonialisierung nach sich ziehen. Vielmehr muss uns vor allem die weitere politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung ein zentrales Anliegen bleiben. Genau dies spiegelt sich im politischen Handeln der Bundesregierung. Wir unterstützen Myanmar bei seinem Transformationsprozess nachhaltig. Die wirtschaftliche Partnerschaft ist tiefgreifend. Auf parlamentarischer Ebene fördern wir den Informationsaustausch mit den neuen Abgeordneten im myanmarischen Parlament, die in einer Demokratie gerade zum ersten Mal selbst mitgestalten können. Besonders wichtig sind unsere Maßnahmen im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Durch einen Ausbau der Bildungszusammenarbeit helfen wir Myanmar dabei, seine bislang katastrophale -Bildungssituation zu verbessern. Ein wichtiger Schritt ist auch die geplante Eröffnung eines neuen Goethe--Instituts, das erste dort seit 1965. Es dient dem Kulturaustausch zwischen Myanmar und Deutschland und setzt ein positives Signal, dass die Demokratiebemühungen Myanmars unsere größte Anerkennung finden. -Außerdem wecken wir so das Interesse an Deutsch als Fremdsprache. Die Sprache ist die Basis für eine -vertrauensvolle Kooperation und ein erfolgreiches -Miteinander. Bei aller Unterstützung müssen wir aber darauf achten, Myanmar nicht mit einer überheblichen Erwartungshaltung zu überfordern. Tatsächliche Hilfe ist gefragt und nicht Besserwisserei oder westliche Arroganz. Diese Haltung liegt aber den vorliegenden Anträgen -zugrunde. Dass die Grünen die Durchsetzung von „Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards“ genau in dieser Reihenfolge fordern, spricht Bände. Der Feinstaub in Rangun gehört sicherlich zu den geringeren Problemen des Landes. Auch die SPD verfällt in ihrem Antrag ideologischen Reflexen und fordert die Förderung der „Geschlechtergleichstellung“ in Myanmar. Unsere primäre Aufgabe muss es sein, die basalen demokratischen Reformen des Landes zu unterstützen und dem Land wirtschaftlich auf die Beine zu helfen. Der Versuch, westliche Gleichheitsideologien einzuimpfen, entspringt hingegen einem überheblichen Sendungsbewusstsein und ist mit uns Liberalen nicht zu machen. Die Bundesregierung wird weiterhin den Fokus auf die grundlegenden Reformen legen. Myanmar ist auf dem richtigen Weg. Die Bundesregierung wird das Land auf diesem auch weiterhin konstruktiv und tatkräftig unterstützen. Stefan Liebich (DIE LINKE): Der Präsident Myanmars, General Thein Sein, hält erstmals eine Pressekonferenz ab und stellt sich den Fragen der in- und ausländischen Presse, die Hanns-Seidel-Stiftung eröffnete gestern ein Büro in Myanmar. General Thein Sein kann sich Aung San Suu Kyi als seine Nachfolgerin vorstellen, die südostasiatischen Franchise-Unternehmen betrachten Myanmar als einen potenziellen Markt, winken doch Steuerbefreiungen, die erst kürzlich von drei auf fünf Jahre erhöht wurden. All das sind Nachrichten der letzen zwei Wochen aus und über Myanmar. Nach der vorsichtigen Öffnung der einstigen Militärdiktatur plant die EU die Aufhebung der Sanktionen gegen Myanmar. Das finden wir richtig. Häufig treffen Import- und Exportverbote für zivile Waren die Bevölkerung und nicht die Regierenden. Die einfachen Menschen leiden unter den wirtschaftlichen Folgen, wie Arbeitslosigkeit und Armut. Selbst in den Zeiten der internationalen Sanktionen konnte sich der damalige Diktator leisten, eine Hochzeit für seine Tochter auszurichten, die mehrere Hunderttausend US-Dollar gekostet haben soll. Die Veröffentlichung des Videos im Netz führte damals – berechtigt – zu Unruhen im Land. Nun haben die Militärs die Uniform ausgezogen und einen Reformprozess in Gang gebracht. Die Opposition, zu den Wahlen 2010 noch nicht zugelassen, gewann die Nachwahlen zum Parlament des Landes im Frühjahr dieses Jahres. 43 von 44 Sitzen fielen an die Partei der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die Nationale Liga für Demokratie. Grund genug für die USA und jetzt auch für die EU, die Sanktionen, bis auf das Waffenembargo, aufzuheben. Die Abkehr Myanmars von der Diktatur und die begonnene Demokratisierung des Landes unterstützt die Linke selbstredend. Dass auch die EU-Sanktionen aufgehoben wurden, trifft ebenfalls auf unser volles Einverständnis. Dass ein Goethe-Institut in der Wirtschaftsmetropole Rangun eröffnet werden soll, begrüßen wir ebenso wie den verstärkten Wissenschaftsaustausch zum Beispiel über neue Stipendien. Aber ist nun alles auf einem guten Weg? Gerade im Antrag der SPD wurde der Finger in die Wunde gelegt. Frau Suu Kyi hat erst im Juni in Genf darauf aufmerksam gemacht, dass die Arbeitsbedingungen in Myanmar katastrophal sind. Zwangsarbeit ist an der Tagesordnung. Freie Gewerkschaften sind ein Fremdwort in einem Land, das sich gerade auf den Weg zur Demokratie macht. Der jetzt zur Ablehnung empfohlene Antrag fordert dagegen politische Initiativen der Bundesregierung, um den Prozess der demokratischen Transformation in Myanmar zu unterstützen. Dazu gehört auch aus unserer Sicht die Unterstützung der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, bei ihren Bemühungen, Myanmar zu bewegen, die ILO-Konventionen gegen Zwangsarbeit und Kinderarbeit zu unterzeichnen und um-zusetzen. Hilfreich dazu ist sicher eine Unterstützung der Bundesregierung, ein ILO-Büro in Myanmar einzurichten. Zu den Folgen einer rasch wachsenden Wirtschaft gehört im rohstoffreichen Myanmar aber auch das Umweltproblem. Bündnis 90/Die Grünen weisen zu Recht auf schmutzige Industrien hin, die als erste den Sprung in das bislang isolierte Land gefunden haben. Neben den Auswirkungen der wirtschaftlichen Öffnung des Landes gilt es aber auch, Korruption zu bekämpfen. Unser Ziel ist es, dass die Menschen im Land endlich etwas von ihren Bodenschätzen haben und sich nicht internationale Konzerne oder einige wenige Eliten die Taschen füllen. Zudem muss der nationale Friedensprozess fortgeführt – die Militärs haben im Vielvölkerstaat auch einen Krieg gegen nationale und religiöse Minderheiten geführt – und das in Myanmar immer drängender werdende Problem Aids angegangen werden. Aus unserer Sicht folgte die schlichte Aufhebung der Sanktionen keinem Konzept, außer dem Prinzip Hoffnung. Das reicht aber nicht. Aung San Suu Kyi sagte dazu: „Ich glaube nicht an Leute, die nur hoffen. Wir arbeiten für das, was wir wollen. Wir sagen immer, dass man kein Recht hat, ohne Anstrengung zu hoffen, also versuchen wir, die Situation zu erarbeiten, die notwendig für das Land ist. Und wir sind überzeugt, dass wir früher oder später an den Verhandlungstisch kommen werden.“ Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich denke, ich spreche für alle Mitglieder des Deutschen Bundestages, wenn ich sage, dass wir uns über die Öffnung von Myanmar hin zu einem Prozess der Demokratisierung und zur internationalen Gemeinschaft freuen. Das wird sicher ein langer und schwieriger Prozess sein. Wir werden ihn kritisch begleiten und ihn, so gut es geht, unterstützen. Dabei steht Myanmar nach dem bemerkenswerten Paradigmenwechsel, der mit den Wahlen 2010 begonnen hat, vor großen Herausforderungen. Schon der vom neuen Präsidenten Thein Sein ausgesprochene Anspruch einer umfassenden Transformation des Landes zeigt, dass die anstehenden Aufgaben ernst genommen werden müssen. Wichtig für uns Grüne ist, dass die ökonomische Öffnung nicht nur wachstumsgetrieben sein wird, sondern dass Wohlstand und Lebensqualität der Bevölkerung vor Ort steigen werden. Der Reformprozess muss ökologisch und sozial nachhaltig sein und demokratisch erfolgen. Mit der begonnenen Liberalisierung des Wirtschaftssektors und von Teilen der Medien hat die Militärregierung erste positive Maßnahmen zur Öffnung des Landes eingeleitet. In beiden Bereichen gibt es gleichwohl weiter Handlungsbedarf. Ähnliches gilt für den zentralen Baustein der Demokratie, die Wahlen. Während 2010 noch Wahlen stattfanden, die von großen Teilen der heutigen Opposition im Land boykottiert wurden, fanden im April 2102 Wahlen statt, bei denen es zwar immer noch zu Behinderungen der Opposition gekommen war, die aber dennoch zu einem Erfolg der größten Oppositionspartei um Aung San Suu Kyi, der Nationalliga für -Demokratie, NLD, führten. Dabei dürfen Klagen der NLD über einzelne Schikanen nicht unerwähnt bleiben. Die Nachwahlen waren aber auch deshalb ein Erfolg, weil ihnen direkte Gespräche zwischen Thein Sein und Aung San Suu Kyi vorausgingen. Politiker aus anderen Staaten, da schließe ich besonders die westlichen Demokratien ein, dürfen aber nicht den Fehler machen, die Opposition in Myanmar auf Aung San Suu Kyi und ihre Partei zu beschränken. -Unterstützung verdienen auch die vielen ethnischen Parteien des Landes, die sich oft nicht angemessen von der NLD vertreten fühlen. Der Dialog sollte auch mit diesen Parteien gesucht werden. Nur so lassen sich die ethnischen Konflikte im Land lösen. Dazu muss bei der Regierung wie bei der NLD dafür geworben werden, die ethnischen Konflikte nicht zu ignorieren und einen freien Staat für alle Volksgruppen zu schaffen. Erste Anstrengungen zur Befriedung des Landes, etwa durch Gespräche mit den Minderheiten im Norden des Landes, erkennen wir an. Beim Thema Wirtschaft ist für uns Grüne zentral, dass wir die Entwicklung Myanmars und das Wohl der Bevölkerung in den Vordergrund stellen und das Feld nicht internationalen Unternehmen überlassen, die auf Kosten von Beschäftigten und Umwelt ihre Produktivität steigern wollen. Das Land braucht ein Gesetz, das faire und ausgewogene Investitionen ermöglicht und Fehlentwicklungen verhindert. So ist zum Beispiel Land Grabbing, also die aggressive Übernahme von Land durch Oligarchen oder Konzerne, ein sehr ernstes Problem. In Kambodscha sehen wir, welche negativen Folgen die Landnahme für die einfache Bevölkerung, oft Bauern, haben kann. Hier müssen wir Strategien entwickeln und Hilfestellung geben, die diese Entwicklung in Myanmar verhindert. Zunächst fordern wir die Regierung von -Myanmar auf, bekannte Fälle von Landnahme zu untersuchen und im Sinne ihrer Bevölkerung zu lösen. Auch die Ausbeutung der Rohstoffe in Myanmar ist für uns Grüne ein zentrales Thema. Der Rohstoffreichtum von Myanmar darf nicht zu einem Fluch für das Land werden. Besonders hier können die internationale Staatengemeinschaft und die Bundesrepublik Einfluss nehmen, um eine positive Entwicklung für Myanmar und seine Bevölkerung zu ermöglichen. Wir sollten nicht Staatskonzernen aus Schwellenländern das Feld überlassen, die häufig die Ausbeutung von Rohstoffen als erstes Ziel verfolgen und die keine Rücksicht auf Umwelt und Bevölkerung nehmen. Wir können Myanmar dadurch unterstützen, dass wir weitere Wertschöpfungsstufen im Land ermöglichen und aufbauen. Dazu können beispielsweise die deutschen Außenhandelskammern beitragen. So würden vor Ort Arbeitsplätze geschaffen und die Rohstoffe könnten regional verwertet werden. Die Einhaltung von Umweltstandards ist auch hier unerlässlich. Ansonsten würde der Rohstoffabbau zwar zu einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung führen, die aber durch Umweltschäden und den Verlust an Lebensqualität kompensiert würde. Positiv zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass die Regierung von Myanmar angekündigt hat, sich an der Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirtschaft, EITI, zu beteiligen. Weitere Möglichkeiten zur Unterstützung des Reformprozesses bestehen in der Förderung der Bildung vor Ort. Die Hilfe beim Aufbau eines funktionierenden Bildungssystems ist dabei klassische Aufgabe von Entwicklungszusammenarbeit. Vor dem Hintergrund des dualen Ausbildungssystems in der Bundesrepublik können wir hier wertvolle Hinweise zu geeigneten Ausbildungsstrukturen geben. Außerdem können wir einzelne Projekte fördern, die vor Ort Schulen unterstützen oder aufbauen. Beim Thema Bildung muss auch der Austausch zwischen den Ländern angesprochen werden. Bei der Vergabe von Visa wird in der Bundesrepublik eher auf die Herkunft einer Person geachtet, weniger auf den Grund seines Aufenthaltswunsches. Es wäre begrüßenswert, wenn wir mehr Menschen eine Ausbildung hier ermöglichen könnten. So können neue Erfahrungen mit anderen demokratischen Systemen ermöglicht werden, und -erworbenes Wissen kann in Myanmar weitergegeben werden. Leider ist die Visavergabe der Bundesrepublik hier noch immer zu restriktiv. Ich möchte entschieden für eine stärkere Rolle der Bundesrepublik beim Reformprozess in Myanmar werben. Dieser wurde durch die Kabinettsumbildung im -August bestätigt. Wir sollten das an dieser Stelle würdigen und den Prozess kritisch begleiten. Wir haben eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Unterstützung der Menschen vor Ort und zur Hilfe beim Aufbau demokratischer Strukturen, die ökologische und soziale Belange berücksichtigen. Deswegen kann ich nicht verstehen, warum weder die Koalition noch die Partei Die Linke unseren Antrag oder den der SPD unterstützt. Deswegen stimmen wir gegen die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses, die eine Ablehnung unserer Anträge fordert. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 17/10903. Unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9727. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9739. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 38: Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Ingo Egloff, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Kein Port Package III auf Kosten von Arbeitsplätzen und Sicherheit – Drucksache 17/11147 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wie ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Als Abgeordneter des Wahlkreises, in dem der einzige deutsche Tiefwasserhafen liegt, danke ich meinen sozialdemokratischen Kollegen herzlich für die Gelegenheit, hier einige Missverständnisse zu beseitigen und Fakten zu nennen. Mögen auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD, davon profitieren! In den letzten Jahren hat die Europäische Kommission zwei Entwürfe von Richtlinien vorgestellt, die tief in die deutsche Hafenwirtschaft eingegriffen hätten. Mit diesen Vorhaben konnte sich die Europäische Kommission – meiner Meinung nach völlig zu Recht – nicht durchsetzen. Ziel dieser Entwürfe war es, den Wettbewerb zu steigern: einerseits den Wettbewerb zwischen den großen europäischen Häfen, andererseits aber auch den Wettbewerb innerhalb der Häfen. Mit diesen Entwürfen wollte die EU-Kommission die Effizienz erhöhen, die Preise reduzieren und so den Im- und Export verbilligen. Dies sind Ziele, denen man als Ordnungspolitiker nur zustimmen kann. Dennoch lohnte sich – wie immer im Leben – ein intensiver Blick auf das Kleingedruckte: Diese Ziele sollten durch die Ausschreibung von Leistungen und die befristete Vergabe von Konzessionen erreicht werden. Grundsätzlich sind dies sicherlich Maßnahmen, die in vielen Fällen zur Erreichung der genannten Ziele sehr geeignet sind. Fraglich ist aber, ob das, was auf anderen Gebieten gut ist, auch der Hafenwirtschaft, das heißt den Unternehmen und den Beschäftigten, und der Volkswirtschaft nützt. Wir müssen genau hinschauen, damit das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird. Auf deutscher Seite gab und gibt es breiten Konsens darüber, dass es hier keines Eingriffs der Europäischen Kommission bedarf. Dieser Konsens wird von der Bundesregierung, den Küstenländern – hier insbesondere Niedersachsen –, der Hafenwirtschaft und den Gewerkschaften getragen. Die damaligen Überlegungen der Kommission sahen vor, dass Hafengebiete, so zum Beispiel die Terminals, maximal für 46 Jahre verpachtet werden sollten. -Danach sollte dann eine neue Ausschreibung erfolgen, sodass auch Dritte die Chance erhalten sollten, unternehmerisch in Häfen aktiv zu werden, in denen sie bisher nicht vertreten waren. Diese Überlegungen sind grundsätzlich zwar recht vernünftig, bergen im konkreten Fall aber enorme Risiken: Als zentrales Glied der weltumspannenden Logistikkette müssen die deutschen Häfen immer auf dem neuesten Stand der Technik sein. Wer nicht modernisiert, verliert! Wären die damaligen Überlegungen der Kommission realisiert worden, hätte die Gefahr bestanden, dass Pächter in den letzten Jahren ihrer Pachtperiode nicht oder nicht mehr ausreichend in die Anpassung der Hafenanlagen an den Stand der Technik investiert hätten. Unsere Häfen wären daher im internationalen Wett-bewerb zurückgefallen. Dies hätte nicht nur dem Hafen-standort Deutschland, sondern unserer Volkswirtschaft insgesamt nachhaltigen Schaden zugefügt. Zweifelhaft ist aus meiner Sicht noch heute, ob diese Vorschläge zu einer Verbilligung des Güterumschlags geführt hätten. Am Ende der Pachtperiode hätte der Pächter die von ihm finanzierte Infrastruktur gratis oder zu einem moderaten Preis dem Nachfolger überlassen müssen. Diesen finanziellen Nachteil hätte ein wirtschaftlich handelndes Unternehmen natürlich über die Jahre auf die Kunden abgewälzt. Ferner überlegte die Kommission damals, den Reedern zu gestatten, ihre Schiffe selbst abzufertigen. Dies brachte damals nicht nur die Gewerkschaften auf, sondern wurde schon in der Behandlung im Europäischen Parlament gestrichen. Die damaligen Vorstöße der Kommission firmierten unter den Begriffen Port Package I und Port Package II. Vielen der Beteiligten ist heute noch der Begriff Port -Package in schlechter Erinnerung, bei einigen weckt er sogar soziale Horrorvorstellungen. Nichts liegt näher, als den eisigen Wind des Kapitalismus und der zügellosen Liberalisierung zum Antrieb eines ansonsten lahmen Oppositionsschiffs zu nutzen. Das ist auch sehr verständlich, wenn man sonst weder Argumente noch Ideen hat. Auch wenn es in Oppositionskreisen unpopulär ist, so muss doch eines klargestellt werden: Port Package III gibt es nicht und wird es auch nicht geben. Wer diesen Begriff heute noch für seine politische Arbeit nutzt, verunsichert die Menschen. Es ist aber nicht seriös, Ängste zu schüren, um im politischen Wettbewerb mithalten zu können. Worum geht es in Wahrheit? Die Kommission möchte nach wie vor Rahmenbedingungen schaffen, um das Wachstum der europäischen Seehäfen und ihrer Hafenwirtschaft zu unterstützen. Vor etwas mehr als einem Jahr hat Verkehrskommissar Kallas in Rotterdam angekündigt, im Jahr 2013 neue Vorschläge für den Hafensektor vorzulegen. Diese Vorschläge betreffen den Bürokratieabbau in den Häfen, die Verbesserung der Transparenz bei der -Finanzierung von Häfen im Interesse eines fairen Wettbewerbs, die Schaffung einer Grundstruktur für die Ausbildung der Hafenarbeiter, administrative – insbesondere zollrechtliche – Erleichterungen. Diese Punkte werden in dem Antrag der SPD entweder gar nicht angesprochen oder mit einem weiteren, den ich bisher noch nicht genannt habe, vermengt. Die Kommission möchte in Bezug auf die Erbringung von Hafendienstleistungen ein wettbewerbsorientiertes und offenes Umfeld gewährleisten. Dies soll auch für technisch-nautische Dienste, so das Seelotsenwesen, gelten. Es ist daher auch nur natürlich, dass die Überlegungen der Kommission schon im Vorfeld Lobbyisten aktivieren. Ich finde es immer sehr bedauerlich, wenn sich politische Parteien zu Handlangern einer kleinen Gruppe von Pfründeinhabern machen. Klientelparteien sind Randgruppenvertreter. Dies zeigt sich an den Umfragewerten der SPD deutlich. Bezeichnend dafür ist der Reflex der SPD, jede Veränderung mit einer Verschlechterung gleichzusetzen. In dem Antrag wird folgerichtig auch ausgeführt, dass durch die Einführung des Wettbewerbs im Lotsendienst Kostennachteile und ein Verlust an Sicherheit und Schutz für die Küstengewässer und die maritime Umwelt drohen. Dumpinglöhne und eine Verschlechterung der Arbeitsqualität gingen zulasten von Qualitätsmerkmalen wie Schnelligkeit, Zuverlässigkeit und Arbeitsqualität. Dies ist zu einfach. Gute Bezahlung allein bewirkt noch lange keine hochwertige Arbeit. Das beste Beispiel dafür ist Ihr Kanzlerkandidat. Charakteristisch ist auch, dass Sie in Ihrem Antrag zwischen dem kleinteiligen Lotswesen in Deutschland und privaten Unternehmen unterscheiden. Das sind keine Gegensätze – auch die freiberuflich tätigen Lotsen sind private Unternehmer. Das sollen sie auch bleiben. Ich selbst komme von der Küste und weiß, dass die deutschen Lotsen gute Arbeit, ja, verdammt gute Arbeit leisten. Ich weiß auch, dass sie sich der Sicherheit der Schifffahrt und dem Schutz von Mensch und Umwelt -verpflichtet sehen. Das ist so; darüber kann man nicht diskutieren. Etwas befremdend finde ich allerdings, dass in diesem Antrag – wie auch schon in der Stellungnahme des Bundesverbandes der See- und Hafenlotsen vom April – suggeriert wird, dass die Seelotsen die Mutter Theresa der Schifffahrt und der Umwelt seien. Ich denke, dass dies kein guter Tipp aus dem Buch „Lobbyismus für Anfänger“ war. Die zentrale Frage, die wir uns bei der Behandlung dieses Komplexes stellen müssen, haben sich die Kollegen von der SPD gar nicht gestellt: die Unabhängigkeit der Lotsen. Es ist klar, dass Berufe, die in einem so großen Maße wie der des Lotsen sowohl der Aufrechterhaltung der Sicherheit im Seeverkehr als auch der Sicherung desselben dienen, im Interesse der Allgemeinheit nicht weisungsgebundene Dienstleister ihrer Auftraggeber sein dürfen. Die fachliche Autorität und Unabhängigkeit des Lotsen aufgrund seiner Qualifikation muss gegenüber dem Auftraggeber, den Hafenbehörden und den Reedereien auf jeden Fall gewährleistet sein. Daran kann es keinen Zweifel geben! Wir werden in einem intensiven Diskussionsprozess herausarbeiten müssen, ob diese Unabhängigkeit tatsächlich nur durch die gegenwärtige Struktur des Lotswesens garantiert werden kann oder ob nicht auch auf diesem Gebiet andere Organisationsformen möglich sind. Sie sehen, ich stehe der Frage sehr offen gegenüber. Die Materie ist komplex. Ich denke, dass eine sachliche Diskussion erst dann zielführend ist, wenn die -Vorschläge der Kommission ausgearbeitet sind. Dann wissen wir alle, worüber wir eigentlich sprechen. Für uns ist klar, dass wir konstruktiv und kritisch bei der Gestaltung von Einzelmaßnahmen zur Verwirklichung der Pläne der Kommission mitwirken werden. Die Bundesregierung wird auf jeden Fall auch weiterhin in Zusammenarbeit mit den Küstenländern und den Betroffenen starke nationale Impulse auf europäischer Ebene setzen, damit ausgewogene, zukunftsfähige Lösungen mit dem erforderlichen Augenmaß gefunden werden. Die dem Thema gebührende intellektuelle Differenziertheit und Unabhängigkeit geht diesem Antrag, der in seiner Diktion doch sehr an die Stellungnahme des Bundesverbandes der See- und Hafenlotsen erinnert, leider völlig ab. Wäre er eine Doktorarbeit, beschäftigte er mit Sicherheit die Plagiatsjäger. Was so kurz greift, kann nur abgelehnt werden. Matthias Lietz (CDU/CSU): Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion spricht sich im Wesentlichen gegen das Port Package III aus. Gemäß der Auffassung der Sozialdemokraten würde ein Port Package III Arbeitsplätze und auch die Sicherheit der Hafenmitarbeiter wesentlich gefährden. Da es die SPD – wie üblich – mit der Angst zu tun bekommt, -sobald sie das Wort „Liberalisierung“ liest, hört oder sobald sie auch nur gemeint hätte, jemand hätte solcherlei Absichten, bittet sie nun in ihrem Antrag darum, etwas abzulehnen, von dem wir in konkreter Form noch gar nicht wissen, was darin stehen wird. Denn nachdem die Port Packages I und II in der Vergangenheit – zurecht – an dem Veto des Europaparlamen-tes scheiterten, ebbten Stimmen, die eine einheitliche Rechtsschaffung zu den Themen der Dienstleistungskonzessionen im Bereich der Hafenwirtschaft fordern, trotzdem nicht ab. Die Kommission hat sich bisweilen in -verschiedenen Workshops und Konsultationsverfahren notwendige Meinungen und Eckdaten der Betroffenen eingeholt, um die Ideen zur Liberalsierung des Marktzugangs zu verbessern. Ob dies gelungen ist, kann natürlich erst dann beurteilt werden, wenn die Maßnahmen auch vorliegen. Nachdem die EU-Kommission bereits im Jahr 2011 angekündigt hatte, ihre Vorschläge zu überarbeiten, ist nun beabsichtigt, ein Bündel von Maßnahmen im nächsten Jahr vorzustellen. Diese sollen sodann vor allem den Bürokratieabbau in Häfen, eine bessere Transparenz bei der Finanzierung sowie eine Grundstruktur zur Ausbildung von Mitarbeitern enthalten. Solange diese konkreten Vorschläge nicht vorliegen, werden wir nichts ablehnen können. Der Antrag der SPD-Fraktion ist dementsprechend vollkommen unangebracht und soll lediglich ihre Klientel beruhigen. Dabei kann ich Ihnen fest versichern, dass wir die Bedenken der Küstenländer, der Hafenmitarbeiter und des Zentralverbandes der deutschen Seehafenbetriebe sehr ernst nehmen. Ich kann Ihnen ebenso versichern, dass wir ein Port Package III ablehnen werden, wenn es im Wesentlichen so gestaltet sein sollte wie die Port -Packages I und II. Denn weder aus Sicht der Hafenwirtschaft noch aus Sicht der Bundesregierung ist eine -Regulierung des Wettbewerbes der Häfen momentan zwingend und unter allen Umständen notwendig. Einwände und Bedenken zur Konzessionsregelung müssen und werden daher auch Berücksichtigung finden. Dennoch begrüße ich den grundsätzlichen Ansatz dahin gehend, faire und transparente Wettbewerbsbedingungen in und zwischen den Häfen schaffen zu wollen. Ich stehe den für 2013 vorgesehenen Beihilfeleitlinien durch die Kommission daher von Grund auf offen gegenüber. Allerdings lehne ich jedweden Vorschlag, der dazu führt, die Dienstleistungsqualität und den Arbeitsschutz der Häfen zu verschlechtern, ab. Es ist unsere Aufgabe, uns für eine nachhaltige Hafenpolitik innerhalb der Europäischen Union einzusetzen. Daher bitte ich Sie, abzuwarten, bis die Kommission das Port Package III überhaupt vorstellt. Momentan bin ich persönlich allerdings noch nicht davon überzeugt, dass es ein Port Package III in dem Sinne überhaupt geben wird. Davon einmal abgesehen, wird die Kommission im nächsten Jahr einige Vorschläge vorlegen. Sobald uns eine konkrete Initiative vorliegt, werden wir uns konstruktiv, gewissenhaft und kritisch damit auseinandersetzen und diese zum entsprechenden Zeitpunkt beraten. Momentan sollte der Deutsche Bundestag aber nichts ablehnen, das noch nicht existiert und was wir alle noch nicht kennen. Der Antrag der SPD-Bundestagsfraktion ist daher in jedem Fall abzulehnen. Uwe Beckmeyer (SPD): Nach zwei vergeblichen Anläufen startet die Europäische Kommission jetzt – entgegen ihren bisherigen -Bekundungen – erneut eine Initiative zur Liberalisierung der Hafendienste in Europa – obwohl Port -Package I und II in den Jahren 2003 und 2006 am vereinten Widerstand von Hafenwirtschaft, Gewerkschaften und SPD kläglich gescheitert sind. Auch im dritten -Anlauf hält die Kommission an ihrem Ziel fest: Wett-bewerb, Qualität und Flexibilität fördern – und nebenbei auch noch Kosten senken. Doch mit der angekündigten Initiative wird Brüssel nur das Gegenteil erreichen: Wettbewerbsverzerrungen, Qualitätseinbußen, mangelnde Planbarkeit und erhöhte Kosten. Mit der erneuten Initiative der Generaldirektion -Mobilität und Verkehr sowie Wettbewerb sollen unter anderem der Marktzugang für die Hafenarbeit sowie die technisch-nautischen Dienste neu geregelt werden: Konzessionen für den Hafenumschlag, für Lotsendienste oder Schlepper könnten damit künftig nur noch befristet vergeben werden. Entsprechende Vorschläge sollen noch in diesem Jahr auf dem Tisch liegen. Dabei gibt es keinen Regelungsbedarf, weder im -Umschlagsbereich noch bei den Lotsendiensten. Das ist auch das Ergebnis einer Fragebogenaktion der Kommission unter Vertretern der Hafenwirtschaft. Mehr noch: Die Kommissionspläne sind schädlich, stellen sie doch einen massiven Eingriff in bewährte Strukturen dar. Die Wertschöpfung in den Seehäfen hängt ganz -wesentlich von der Ausbildung und Qualifizierung der Arbeitskräfte in der Hafenwirtschaft ab. Dazu leisten in Deutschland die Gesamthafenbetriebsvereine einen wichtigen Beitrag – moderne Personaldienstleister, die mit gut ausgebildetem Personal alle im Hafen anfallenden Tätigkeiten übernehmen, die Situation vor Ort -genau kennen und Beschäftigte je nach Bedarf qualifizieren. Noch bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts war es üblich, dass die Stauer erst beim Einlaufen eines Schiffes stunden- oder tageweise für die Arbeit im Hafen anheuerten. Die Folge: Einige Schiffe mussten warten, weil sich alle Stauer zunächst auf ein oder zwei Schiffe -konzentrierten. Diese Unsicherheit auf beiden Seiten ist längst Vergangenheit. An die Stelle der ungelernten -Hafenarbeiter sind längst Hafenfacharbeiter getreten, und der Wandel im Hafenumschlag und die Einrichtung der Hafenbetriebsvereine hat auch dazu geführt, dass die Unfallgefahren bei der Hafenarbeit – traditionell eine der unfallträchtigsten Tätigkeiten – deutlich ab-genommen haben. Diese Errungenschaften gilt es zu -bewahren. Wenn die Kommission künftig die Selbstabfertigung durch Land- und Bordpersonal der Reeder zulassen will, heißt das nichts anderes, als das Monopol von Hafen-arbeitern auf das Be- und Entladen von Schiffen ab-zuschaffen. Die Pläne der Europäischen Kommission würden dazu führen, dass die Zahl der Hafendiensteanbieter in Europa abnimmt und verstärkt Dienstleister aus Häfen außerhalb der EU in die Märkte eindringen. Die Folge: ein knallharter Verdrängungskampf durch Monopolisten, in dem die europäischen Seehäfen und vor allem die Beschäftigten der Hafenwirtschaft das Nachsehen hätten. Doch Dumpinglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen in den Häfen, die am Ende zulasten von Zuverlässigkeit, Schnelligkeit, Sicherheit und Arbeitsqualität und auf Kosten der Beschäftigten gehen, können wir uns nicht leisten. Teuer könnten am Ende auch die Kommissionspläne zur Öffnung der Lotsdienste werden. Die Einführung von Wettbewerb in diesem sensiblen Bereich würde die Lotsen dazu zwingen, ihre Aufgaben künftig allein unter kommerziellen Aspekten zu erledigen. Das kann nicht im Interesse der maritimen Sicherheit und des Meeresschutzes sein. Der Nutzen der Seelotsen lässt sich nur schwer bemessen. Klar ist jedoch: Die Kosten einer -maritimen Katastrophe wären immens. Gerade die Revierfahrt im sensiblen Küstengewässer macht die Begleitung durch gut ausgebildete, ortskundige Lotsen unverzichtbar. Sie bilden ein wichtiges Glied der Sicherheitskette in unserem Verkehrssystem. Eine Kommerzialisierung der Lotsdienste und eine -Ausschreibung und Vergabe der Dienste an private -Unternehmen würde diese Sicherheitsarchitektur infrage stellen. Sicherheit auf See darf aber nicht einem vermeintlichen Kostendruck zum Opfer fallen. Eine Politik der uneingeschränkten Privatisierung, wie sie die Kommission offenbar verfolgt, ist der falsche Weg. Für eine zukunftsgerichtete maritime Politik gibt es aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion klare Leitlinien – und daran muss sich auch die Europäische Kommission bei ihren weiteren Schritten messen lassen: Öffnung des Marktes ja, aber kein Ausverkauf des -europäischen Standorts. Wettbewerb ja, aber nur dort, wo er ökonomisch sinnvoll, sozial verträglich und sicherheitspolitisch vertretbar ist. Die Bundesregierung muss auf europäischer Ebene darauf hinwirken, dass eine entsprechende Initiative der Kommission diese Kriterien berücksichtigt – im Interesse des maritimen Standorts und der Beschäftigung in den deutschen Häfen. Torsten Staffeldt (FDP): Bereits in den letzten Jahren hat es vonseiten der -Europäischen Kommission Initiativen gegeben, ein Port Package I und II als Instrument europäischer Wettbewerbspolitik einzuführen. Schon bei diesen beiden -Versuchen gab es heftigen Widerspruch von der Bundesregierung und den Küstenländern, unabhängig von der politischen Färbung. Beide Initiativen wurden letztendlich und richtigerweise vom Europäischen Parlament gestoppt. Schon heute arbeiten die Häfen der Nordrange unter den schärfsten Wettbewerbsbedingungen der Welt. Hier gibt es aus unserer Sicht keinen zusätzlichen Handlungsbedarf. Die Kommission aber scheint bis heute an ihren Bestrebungen zur wirtschaftlichen Regulierung des Hafensektors festzuhalten. Aktuell arbeitet sie an Vorschlägen zur Hafenpolitik, die im Laufe des nächsten Jahres vorgestellt werden sollen. Es ist immer noch offen, in welcher Rechtsform diese Vorschläge kommen werden: entweder als verbindlicher Gesetzesvorschlag oder nur als Leitlinie oder Mitteilung. Wir als FDP vertreten in dieser Frage seit Jahren eine eindeutige Meinung. Wir haben Port Package I und II immer abgelehnt und wollen auch kein drittes Paket geschnürt sehen. Insbesondere lehnen wir ein verpflichtendes Ausschreibungsverfahren für Dienstleistungen des Hafenumschlags ab und wollen nicht, dass das Lotswesen als nichtkommerzielle Dienstleistung von der Kommission reguliert wird. Auch ein Bestandsschutz laufender Verträge muss gewährleistet bleiben. Für uns war in dem Zusammenhang immer wichtig, dass, wenn ein Betreiber nach Ablauf seiner neu vergebenen Lizenz im Rahmen der dann notwendigen Ausschreibung unterliegt und die Lizenz verliert, der Neubetreiber an den Altbetreiber eine Abfindung bezahlen muss. Diese muss auf den Grundsätzen der betriebswirtschaftlichen Unternehmensbewertung beruhen und unter Einschluss des Goodwill. Die Kommission sah in ihren vorherigen Anläufen hier keine Abfindung vor, und dies wäre ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewesen, mithin ein enteignungsgleicher Eingriff. Im Moment sieht es aber so aus, dass die Kommission erst einmal Informationen sammelt und den Dialog mit den Interessenvertretern sucht. Das finde ich grundsätzlich erst einmal positiv. Aber dennoch habe auch ich bei der Eröffnungsrede von Herrn Kallas anlässlich der Hafenkonferenz letzten Monat ganz genau zugehört. Seine Bemerkung, dass bei Hafendienstleitungen die mangelnde Auswahl an Anbietern für den Hafenumschlag ein Problem sei – vor allem weil oft nur ein Anbieter zur Verfügung stünde –, hat mich hellhörig gemacht. Sehr geehrte Damen und Herren der SPD, in Ihrem Antrag stehen viele richtige Sachen, die ich absolut unterstütze. Dennoch halte ich nicht viel davon, Anträge über Sachverhalte zu beraten, deren konkreten Inhalt wir heute noch gar nicht kennen. Aber auch wir werden die Entwicklungen in Brüssel im Sinne unserer deutschen Häfen ganz genau beobachten. Herbert Behrens (DIE LINKE): 50 000 Hafenarbeiter in zwölf europäischen Ländern protestieren gleichzeitig gegen die „Europäische Richtlinie über den Marktzugang für Hafendienstleistungen“ und legen ihre Arbeit nieder. Das war 2006. Am 10. und 11. Januar standen in den europäischen Häfen die Kräne still. Es war der Höhepunkt einer europaweit koordinierten Streikserie, die eine Woche später zum Scheitern des sogenannten Port Package II führte. Das Europäische Parlament lehnte die marktradikalen Pläne der Kommission mit großer Mehrheit ab. Verdi bezeichnete die geplante Richtlinie als Frontalangriff auf die Hafenarbeiter, sie gefährde die Leistungsfähigkeit der Häfen und bedrohe Tausende Hafenarbeitsplätze. Darin war unter anderem vorgesehen, dass die Seeleute künftig selbst die Ladung ihrer Schiffe löschen sollten, Lotsen-, Schlepper- und Abfertigungsdienste nur noch an zeitlich befristete Konzession gebunden werden, die europaweit ausgeschrieben werden sollten. Damit würde ein europaweiter sozialer Dumpingwettbewerb in Gang gesetzt. Bereits Anfang 2001 unternahm die Kommission hierzu einen ähnlichen Versuch, der nach den damals größten Demonstrationen in der Geschichte der europäischen Hafenarbeiter am 20. November 2003 scheiterte. Eine erneute Initiative der Kommission in diesem -Bereich halten auch Wirtschaftsverbände wie der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe, ZDS, für völlig unverständlich. Auch die Stellungnahmen der Bundes-regierung und der deutschen Küstenländer sprachen sich gegen eine Deregulierung in der Hafenwirtschaft aus. EU-Generaldirektor Matthias Ruete hat kürzlich erklärt, dass Verkehrskommissar Siim Kallas bis zum 15. November konkrete Vorschläge zur europäischen Hafenpolitik präsentieren werde, ein Port Package III aber nicht beabsichtigt sei. Falscher Alarm? Leider nicht. Auch wenn es ein Port Package III offiziell nicht geben soll, heißt das nicht, dass die EU Kommission von ihren Plänen Abstand genommen hätte im Gegenteil. Sie hat nur gelernt, dass sie mit einer dritten Neuauflage dieses Hafenpaktes erneut gegen die Wand laufen würde. Daher sollen die gleichen Ideen einfach unter anderem Namen umgesetzt werden. Eines davon ist die EU-Richtlinie für die Konzessionsvergabe. In verschiedensten Dienstleistungsbereichen, auch der öffentlichen Daseinsvorsorge, soll hier die Vergabe von Konzessionen europaweit geregelt werden, auch im Bereich der Häfen. Damit droht der Konkurrenzkampf zwischen den Hafenstädten der EU nun auch in die einzelnen Häfen getragen zu werden. Damit soll zum Beispiel erreicht werden, dass die Flächen auf den Kais in den Häfen regelmäßig öffentlich ausgeschrieben werden müssen, um mehr Konkurrenz unter den Umschlagsbetrieben zu erreichen. Die jeweils unterlegenen Terminalbetreiber müssten dann jedoch ihre dort errichteten Anlagen an die siegreichen Konkurrenten verkaufen. Ähnliche Konsequenzen würden auf Lotsen, -Schlepperbetriebe und andere Dienstleister zukommen. Derartige Regelungen würden Investitionen hemmen, Arbeitsplätze gefährden und den Seehafenstandort -Europa schwächen. Die deutschen Häfen sind bislang mit einem blauen Auge davongekommen, da deren Fläche meist via Miet- und Pachtverträge und nicht über Konzessionen vergeben werden. Die Richtlinie würde dort nicht greifen, doch dies kann jederzeit verschärft werden. In Südeuropa wird bereits gestreikt. Seit Ende letzten Monats haben Hafenarbeiter der staatlichen portugiesischen Häfen die Arbeit niedergelegt. Der Protest richtet sich gegen die umstrittenen Pläne der konservativen -Regierung unter Pedro Passos Coelho und die ihr unterstehende Hafenbehörde, die Arbeitsbedingungen in den Häfen zu liberalisieren. Die Europäischen Transportarbeiter-Föderation, ETF, warnte davor, dass der Angriff auf die Hafenarbeit in Portugal ein Vorgeschmack auf die künftigen Entwicklungen sei und einen konzertierten Versuch der EU-Kommission zur weiteren Liberalisierung des europäischen Hafensektors darstelle. Sie erklärten der Kommission am runden Tisch zu maritimen Angelegenheiten in Casablanca (Marokko), dass sie die Einführung eines Hafenpakets III durch die Hintertür nicht dulden werde. Der aktuelle Streik könne demnach noch bis Dezember andauern, wenn keine Einigung mit der Regierung gefunden wird. Für den 14. November ist ein länderübergreifender Generalstreik in Spanien und Portugal angekündigt, als Protest gegen die europäische Wirtschaftspolitik und die verhängten Sozialkürzungen. Ein Port Package III durch die Hintertür darf es nicht geben. Alle bisherigen Erfahren haben gezeigt, dass jegliche Versuche, Regelungen auf europäischer Ebene gegen die Interessen der Beschäftigten in den -Häfen durchzusetzen, auf den erbitterten Widerstand der Betroffenen treffen und scheitern. Eine Liberalisierung von Hafendienstleistungen, führt zu nichts anderem als weiterem Lohndumping. Was wir brauchen, sind verbindliche soziale Mindeststandards und verlässliche Rahmenbedingungen für die Hafenbetriebe. Wir brauchen eine intelligente Kooperation zwischen den einzelnen Hafenstandorten und keine blinde Konkurrenz um -Güterumschlagsmengen. Dafür bedarf es einer stärkeren nationalen Koordinierung, um einen zielgenauen Ausbau der Hafenhinterlandinfrastruktur zu erreichen und um die zukünftige Güterumschlagsentwicklung und Spezialisierung der Seehäfen stärker zu lenken. Die Linke fordert: keine weiteren Deregulierungen und Liberalisierungen unserer Häfen, insbesondere keine Neuregelungen von Konzessionsvergaben für -Hafenumschlag, Schlepper- und Lotsendienste sowie andere technisch-nautische Dienstleistungen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei der Diskussion um das Port Package, also Regelungen für Dienstleistungen in den Seehäfen Europas, habe ich ein Déjà-vu: In regelmäßigen Abständen versucht die EU-Kommission immer wieder, insbesondere die Wettbewerbsbehörde, mit großer Energie, den Mitgliedstaaten Gesetzespakete aufzudrücken. Bereits in den Jahren 2003 und 2006 sind die Gesetzesvorhaben der EU-Kommission bei den entscheidenden Abstimmungen im EU-Parlament gescheitert, zu Recht, wie ich finde. Jetzt prescht die SPD-Fraktion mit einem Antrag vor. Dieser kommt viel zu früh, Herr Kollege Beckmeyer von der SPD; denn wir wissen ja noch gar nicht, welche Vorschläge die EU-Kommission uns diesmal unterbreitet. Die Debatte um ein Port Package III muss deswegen zwangsläufig im Ungefähren bleiben. Wir können derzeit nur spekulieren, was uns die Kommission vorlegen wird. Daher kann ich an dieser Stelle nur hypothetische Vermutungen anstellen, nach dem Motto: Was wäre, wenn? Wir müssen abwarten, was uns die EU-Kommission vorlegt. Aber für mich gilt: Ein neues Port Package zulasten der Bedingungen der Hafenarbeiter und zulasten der Seesicherheit wird unsere Zustimmung nicht bekommen! In den bisherigen Port Packages ging es jedes Mal um vergleichbare Inhalte. Bliebe es bei den alten Vorschlägen, wären viele Bereiche in den Häfen betroffen. Zwar ist es die bekannte und auch nachvollziehbare -Absicht der EU-Kommission, einen einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen. Aber sie stellt damit alle bereits bestehenden, auch historisch gewachsenen Strukturen in den Häfen unter Vorbehalt – und dies in den meisten Fällen ohne Notwendigkeit. Nach Ansicht der EU-Kommission gibt es derzeit Oligopole in europäischen Häfen. Doch ob diese durch ein Port Package aufgebrochen werden können, ist zu bezweifeln. In den europäischen Seehäfen wurden in den vergangenen Jahrzehnten viele Investitionen getätigt. Häfen sind ein Bereich, in dem Investitionen langfristig getätigt werden müssen. Die Hafenanlagen, also die Schiffsanlegestellen und Hafenflächen zum Umschlagen, werden für eine Lebensdauer von Dekaden geschaffen. So wurden für den Bau der Infrastruktur am neuen Containerhafen JadeWeserPort in Wilhelmshaven 600 Millionen Euro investiert. Hinzu kommen private Mittel in Höhe von 350 Millionen Euro für die sogenannte Suprastruktur auf den Hafenflächen, zum Beispiel Kräne und Hafenausstattungen. Diese großen Beträge zeigen, dass Ausschreibungen für eine Dauer von acht bis zwölf Jahren, wie durch bisherige Vorschläge bereits vorgesehen, zu deutlich höheren Umschlagskosten in den Häfen führen werden. Die Investitionen müssten in deutlich kürzeren Zeiträumen refinanziert werden als bisher. Außerdem würde sich die Planungssicherheit der Hafenunternehmen deutlich reduzieren. Wer will bzw. kann dann noch Häfen in Europa betreiben? Trotz der bestehenden hohen Kosten für die Hafenbetreiber sind die Umschlagskosten pro Container im weltweiten Vergleich immer noch relativ niedrig: So kostet das „Anfassen“ eines Containers im Durchschnitt in europäischen Häfen zwischen 150 und 200 Euro, in den Häfen Asiens bzw. Nordamerikas fällt hier schon einmal das Doppelte bis Dreifache an. Die Frage, die meiner Auffassung nach direkt an ein neues Port Package geknüpft werden soll, ist: Werden durch ein neues Regelungspaket die Dienstleistungen für den Kunden wirklich besser bzw. billiger? Stichwort „Lotsen“: Meiner Auffassung nach soll es im Lotswesen keinen Kostendruck zulasten der Seesicherheit geben. Aber auch hier müssen wir die weitere Entwicklung abwarten und genau beobachten, was die Kommission vorschlägt. Begrüßenswert wären in einem neuen Port Package endlich einheitliche Regelungen für transparentere öffentliche Finanzierungsflüsse in die europäischen Häfen. Hier herrscht zwischen den Häfen der EU-Küstenländer nicht nur starke Konkurrenz, sondern auch ein starker wirtschaftlicher Druck und die Tendenz zur Verschleierung über die Verwendung öffentlicher Gelder. Um hier den Druck herauszunehmen, wären endlich Vorschläge für Transparenzleitlinien zur Finanzierung von Häfen zu begrüßen. Alle Fraktionen auf Bundes- und Länderebene haben die bisherigen Planungen zu Port Package I und II kategorisch abgelehnt. Sollte uns beim Port Package III wieder alter Wein in neuen Schläuchen aufgetischt werden, wird die Reaktion wohl genauso ausfallen. Wir werden die Entwicklungen genau beobachten und kritisch begleiten. Die Kommission hat die Vorstellung ihres neuen, dritten Vorschlags für November 2012 angekündigt. Es bleibt also zu hoffen, dass dieser sich nicht gegen die Bedingungen europäischer Hafenbetreiber und die Mitarbeiter in den Häfen richtet, sondern vor allem verstärkte Transparenz zwischen den Häfen verlangt. Ich fordere daher auch die Bundesregierung auf, sich die Regelungen eines neuen Port Package III ganz genau anzusehen und kritisch zu begleiten. Doch sind meine Erwartungen an diese Bundesregierung schon lange äußerst niedrig. Ich freue mich allerdings immer über positive Überraschungen. Warten wir ab. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11147 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Keine Einwände. Dann ist das so beschlossen. Tagesordnungspunkte 40 a und 40 b: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Anwendung der Administrativhaft und willkürliche Festnahmen durch israelische und palästinensische Sicherheitskräfte verurteilen – Drucksache 17/11166 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Gaza-Blockade beenden – Drucksache 17/11167 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Federführung strittig Auch hier sind die Reden zu Protokoll genommen. Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Die beiden uns vorliegenden Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Gegenstand unserer heutigen Beratungen sind, lassen den Schluss zu, die Bundesregierung bemühe sich nicht um Menschenrechte in dem betroffenen Gebiet. Bei allem Verständnis und aller -Akzeptanz für die Rolle der Opposition muss ich hier in aller Deutlichkeit feststellen, dass die beiden Anträge erstens zur Unzeit kommen und zweitens den Verhandlungsspielraum der Bundesregierung unnötig einengen, wenn nicht gar schwächen. Ich möchte die Kollegen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen an unseren fraktionsübergreifenden Antrag vom 30. Juni 2010 erinnern. Es war ein Beispiel für Konsensfähigkeit des Hohen Hauses. In der sehr sachlichen Diskussion und der parteiübergreifenden Einigung sind wir der Tradition deutscher Außenpolitik und unseren Grundsätzen treu geblieben, was die Ausrichtung der Politik gegenüber dem Staat Israel angeht. Wir -haben die besonderen Beziehungen zu Israel nicht in Worthülsen gekleidet, sondern die legitimen Sicherheitsinteressen Israels im Blick gehabt. In der Diskussion haben wir aber auch betont, dass hinsichtlich des Zugangs von und nach Gaza ein grundlegender Politikwechsel -Israels erforderlich ist, der umfassenden Wiederaufbau und nachhaltige wirtschaftliche Erholung bei gleich-zeitiger Wahrung der Sicherheitsinteressen Israels ermöglicht. Die aktuellen Anträge stellen diesen Konsens infrage. In der Frage der Administrativhaft haben wir eindeutige Beschlüsse im Deutschen Bundestag gefasst. Diese Beschlüsse sind nicht aufgehoben – nein, sie sind weiterhin Bestandteil des Auftrages an die Bundesregierung. Und ich weise darauf hin, dass die Bundesregierung sich zu all diesen Fragen im Austausch mit der israelischen -Regierung und der palästinensischen Behörde befindet. Es wird nachhaltig auf die Einhaltung internationaler Rechtsnormen gedrängt. Gestern haben wir den 10. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik zur Kenntnis genommen. Die Menschenrechtssituation in den palästinensischen Gebieten blieb in ihren Grundzügen durch die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen und durch die Besatzung Israels mit der einhergehenden Einschränkung der Souveränität der palästinensischen Behörde geprägt. Es sind dennoch positive Fortschritte erzielt worden: So weist der Bericht darauf hin, dass die palästinensische Behörde am 15. Januar 2011 bekanntgab, die Praxis der Anwendung der Militärgerichtsbarkeit auf Zivilisten einzustellen. Feststellen müssen wir aber auch, dass es bei diesem Prozess zu Verzögerungen kam. Der Bericht spricht auch eindeutig aus, dass die -sogenannte Administrativhaft als problematisch einzustufen sei. In Bezug auf den Gazastreifen weist der Bericht darauf hin, dass das Gebiet seit der gewaltsamen Machtübernahme der Hamas im Juni 2007 weitgehend abgeriegelt bleibt und dass die humanitäre Lage prekär sei. Schwere Menschenrechtsverletzungen unter der De-facto-Herrschaft der Hamas sind zu verzeichnen, neben massiven Einschränkungen von grundlegenden Freiheitsrechten insbesondere auch Folter und der Vollzug der Todesstrafe. Niemand in diesem Hause wird das -bestreiten und niemand – da schließe ich auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ausdrücklich mit ein – stellt sich gegen die Bemühungen der Bundesregierung, die Situation nachhaltig zu verändern. Es gibt auch bereits erste Fortschritte. Die Zahl der palästinensischen Häftlinge geht zurück. Es ist auch ein Rückgang der Anzahl palästinensischer Häftlinge in -sogenannter Administrativhaft zu verzeichnen. Im Frühjahr 2011 haben wir eine zaghafte Steigerung bei den Genehmigungen der von UNRWA beantragten Projekte für den Gazastreifen erfahren. Die Energiekrise im -Gazastreifen konnte abgemildert werden: seit April diesen Jahres werden wieder bis zu einer halben Million -Liter Treibstoff für das Kraftwerk in Gaza geliefert. Die Lieferungen erfolgen aus Israel. Auch Ägypten hatte den Grenzübergang Rafah kurzfristig für einen größeren Personenkreis geöffnet, bis die Öffnung durch einen -Anschlag im August wieder revidiert wurde. Wir bemühen uns nachdrücklich um Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung im Gazastreifen. Auch die Bundesregierung betonte auf Anfrage, dass dies Bedingung und Ausfluss der Achtung von Menschenrechten sei, zu denen universelle Werte wie die menschliche Würde gehören. In der Tradition der CDU/CSU-Außenpolitik betone ich nachdrücklich die Notwendigkeit einer Zweistaatenlösung und der Schaffung eines palästinensischen Staates. Zuletzt hat dies unser Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner Nahostreise unterstrichen. Egal wie sprachlos die beiden Seiten miteinander sind, deutsche Bemühungen sind stets auf die Wiederaufnahme direkter Verhandlungen gerichtet. Bevor jedoch die Zweistaatenlösung kommen kann, müssen die Palästinenser mit einer Stimme sprechen. Auch dort bemühen wir uns um Versöhnung. Die Bundesrepublik und die EU befinden sich zu allen geforderten Punkten in Verhandlungen. Darüber hinaus sorgen wir für humanitäre Hilfe. Wir sorgen für Unterbindung des illegalen Waffenhandels. Wir fördern seit der Berliner PALSEC-Konferenz den Aufbau rechtsstaatlicher Sicherheitskräfte und Justiz in den palästinensischen Gebieten. Wir befürworten die Öffnung der Grenzübergänge und den Wiederaufbau des Gazastreifens. Das sind alles langwierige Prozesse, und die -Bundesrepublik nimmt hier auf sämtlichen Wegen und Kanälen Einfluss auf die Geschehnisse und nimmt -Verantwortung wahr. Wir erkennen das Recht Israels an, seine Staatsbürger vor Angriffen zu schützen. Unsere Fraktion und die von uns getragene Regierung bemüht sich um Deeskalation im Konflikt. Die Europäische Union hat sich ebenfalls vielfach zur Situation in den palästinensischen Gebieten geäußert. Der Rat der Europäischen Union hat mehrfach seine tiefe Besorgnis hinsichtlich der Situation im Gazastreifen zum Ausdruck gebracht und forderte einen grundlegenden politischen Kurswechsel, der den Wiederaufbau und das wirtschaftliche Gedeihen von Gaza ermöglicht bei gleichzeitigen legitimen Sicherheitsanliegen des Staates Israel. Deswegen sind ihre Anträge abzulehnen, weil diese Forderungen bereits an die Bundesregierung herangetragen wurden und sich in der Umsetzung befinden. Die Verantwortlichen müssen sich auf dieses Haus verlassen bei solch sensiblen Themen, und wir alle sollten den Umsetzungen der Forderungen offenen Verhandlungsspielraum bieten und die Bundesregierung in diesen Fragen nicht unnötig schwächen. Christoph Strässer (SPD): Gegenstand der heutigen Debatte ist die Frage der Administrativhaft, welche von israelischen und palästinensischen Behörden angewandt wird. Administrativhaft bedeutet die Inhaftierung von Menschen aufgrund behördlicher Anordnung ohne richterlichen Beschluss und ohne die Einleitung eines förmlichen Strafverfahrens. Sie verstößt massiv gegen geltendes internationales Recht, insbesondere gegen Art. 9 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte, den Israel im Jahre 1991 ratifiziert hat. Es ist in keiner Weise hinnehmbar, dass Gefangene und ihre Anwälte in keiner Form über Beweise oder Gründe hinsichtlich des Tatvorwurfs -informiert werden. Auch die Verlängerung von Administrativhaft durch Anordnung kann nicht akzeptiert -werden und steht nicht in Einklang mit dem von Israel anerkannten internationalen Recht. Ebenso irritierend ist die Tatsache, dass Israel weiterhin Kinder und Jugendliche inhaftiert und nach Militärrecht verurteilt. Israel begründet dies damit, dass die Kinderrechtskonvention, die es ebenfalls ratifiziert hat, in den palästinensischen Gebieten nicht anwendbar sei. Damit ergeben sich für palästinensische Kinder, die mit den israelischen Sicherheitsbehörden zusammentreffen, gänzlich andere Voraussetzungen. So werden Kinder und Jugendliche vor dem Militärgericht schon mit 16 – nicht wie in Israel erst mit 18 Jahren – als Erwachsene behandelt; zudem muss nach Militärrecht erst nach acht Tagen eine richterliche Anhörung der Betroffenen erfolgen. Die Familien der Kinder und Jugendlichen leben so lange oft in Ungewissheit über den Verbleib ihrer Angehörigen. Wissen Angehörige dann über den Verbleib -ihrer Kinder, ist ein Kontakt oftmals nur eingeschränkt und in großen zeitlichen Abständen möglich. Dies ist laut UN-Kinderrechtskonvention, die auch Israel ratifiziert hat, nicht zulässig. Zugleich halte ich es für menschenrechtlich und im Sinne der Kinderrechtskonvention nicht vertretbar, dass die Kinder und Jugendlichen gemeinsam mit Erwachsenen inhaftiert werden. Kinder brauchen in besonderem Maße Privatsphäre und können keinesfalls in den gleichen Räumlichkeiten untergebracht werden wie erwachsene Gefangene. Es gilt weiterhin und nachhaltig: Israel hat das Recht, seine Bevölkerung zu schützen und Sicherheit für sein Staatsgebiet herzustellen. Gleichwohl muss dies immer unter Beachtung und Einhaltung internationalen Rechts geschehen, im Besonderen, wenn sich Israel -diesem durch Ratifizierung von Verträgen ausdrücklich angeschlossen hat. Es ist nicht akzeptabel, dass mit zweierlei Maß gemessen wird und Israel die Anwendung internationaler Abkommen für einen Teil der Betroffenen oder bestimmte geografische Einheiten selbstständig aussetzt. Ich glaube, dass mit der derzeit angewandten Praxis der Administrativhaft sowie weiterer nicht mit dem internationalen Recht in Einklang stehenden Maßnahmen ein wesentliches Hindernis für eine zukünftige friedliche Koexistenz beider Völker besteht. Insbesondere wenn man den Umgang mit Jugendlichen betrachtet, zeichnen sich langfristige Konsequenzen eines derartigen -Handelns ab. Welche Vorstellung sollen palästinensische Jugendliche von Israel und seiner Bevölkerung haben, die unter den geschilderten Bedingungen inhaftiert werden? Was werden sie zu Hause erzählen? Welches Bild haben Palästinenser von den israelischen Behörden und Institutionen, mit denen sie in hoffentlich naher Zukunft wieder in einen konstruktiven Dialog zum Friedensprozess eintreten werden? Es steht zu vermuten, dass sich mit den negativen Erfahrungen und Schilderungen der -Jugendlichen auch eine entsprechende -Haltung ihrer Familien herausbildet. Nach meiner -Einschätzung ist dies keine gute Basis für eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses, sondern spielt vielmehr den radikalen Kräften in die Hände. Diese negative Haltung und Hinwendung zu radikalen politischen Tendenzen wird auf der anderen Seite forciert durch die aktive Beteiligung palästinensischer Sicherheitskräfte an den Maßnahmen. Oftmals geschieht dies schlicht aus Rache am politischen Gegner. So werden Anhänger der Hamas in den von der Fatah dominierten Gebieten oftmals willkürlich verhaftet; umgekehrt lässt die Hamas mutmaßliche Sympathisanten der Fatah verhaften. Die Betroffenen fühlen sich von den eigenen Behörden verraten und vertrauen diesen in keiner Form. Vielmehr kommt es zu einem Machtkampf zwischen den rivalisierenden Gruppen, bei denen die Administrativhaft als probates Mittel angesehen wird – mit negativen Folgen innerhalb der palästinensischen Gebiete, aber auch -darüber hinaus. Auf Basis dieser Erfahrungen werden sie auch ihre eigenen Behörden und politischen Institutionen kaum bei den Bemühungen hinsichtlich des -Friedensprozesses unterstützen. Insofern hat die Anwendung der Administrativhaft nachhaltige Folgen in der palästinensischen Gesellschaft und wird sich langfristig auf den Friedenprozess mit Israel auswirken. Mit der Anwendung der Administrativhaft wird auf -israelischem wie palästinensischem Territorium gegen international geltendes Recht und elementare Menschenrechte verstoßen. Aber neben dem juristischen -Aspekt ergibt sich eine wesentlich weitergreifende, zukunftsbezogene Dimension. Sowohl auf eine Stabili-sierung der politischen Verhältnisse innerhalb der palästinensischen Gebiete wirkt sich diese Form der Rechtsanwendung negativ aus als auch auf einen hoffentlich in naher Zukunft wieder auflebenden Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern. Ein weiterer Debattenpunkt ist die Blockade des -Gazastreifens durch Israel. Dies beschäftigt uns in diesem Hohen Haus seit geraumer Zeit. Leider währt der Zustand, bei dem die israelische Regierung Warenimporte und -exporte blockiert und auch den Personen-verkehr erheblich behindert, seit fünf Jahren. In dieser Zeit haben sich die Bedingungen für die Menschen in Gaza erheblich verschlechtert. Und dies betrifft sowohl die wirtschaftlichen wie humanitären Lebensumstände. Unter den Blockadebedingungen können kein wirtschaftliches Wachstum und keine soziale Entwicklung stattfinden. Die Arbeit internationaler Organisationen und von Nichtregierungsorganisationen, aber auch -bilaterale Hilfe und Unterstützung zur Entwicklung des Gazastreifens sind unter den derzeitigen Bedingungen nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Dabei würden sie dringend gebraucht. Niemand bestreitet die desaströsen Bedingungen, unter denen die -Menschen im Gazastreifen leben müssen. Für eine ernsthafte Verbesserung der Lebenssituation braucht es freien Zugang zu dem Gebiet und einen freien Personenverkehr. Dies gilt im Übrigen nicht nur für den Gaza-streifen, sondern auch für die Westbank, wo der teilweise willkürliche Bau einer „Schutzmauer“ in Bereichen, die nicht dem vereinbarten Grenzverlauf – grüne Linie – entsprechen, die Menschen in ihrem Alltag einschränkt und behindert. Die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen in den abgeriegelten Gebieten ist erheblich behindert und kann teilweise nicht vollumfänglich realisiert werden. Aus humanitärer Sicht ist dies inakzeptabel. Gerade mit Blick auf die medizinische Versorgung ist dies katastrophal, da es den Menschen im Gazastreifen am Nötigsten fehlt – zugleich aber ein Ausweichen auf Krankenhäuser in der Westbank durch die verhängte Sperre des Personenverkehrs unmöglich ist. Persönlich, aus humanitärer und menschenrechtlicher Sicht empfinde ich es als furchtbar, dass selbst einfache medizinische Versorgung wie die Assistenz bei einer Geburt oder die schnellstmögliche Versorgung von Brandverletzungen nicht -möglich sind und die Menschen sich selbst überlassen bleiben. Durch die verhängte Blockade wird auch die wichtige Aufbauarbeit im Gazastreifen unterbunden. Einerseits weil die internationalen Organisationen vor Ort nicht mehr frei tätig sein können und andererseits weil es an wichtigen Materialien fehlt, um die Infrastruktur wieder aufzubauen. Der Wiederaufbau von Schulen oder medizinischen Versorgungseinrichtungen, die in den Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee zerstört wurden, kann ohne die Anlieferung von Baumaterialien nicht realisiert werden. Die Aufhebung der Blockade ist keine Frage von Politik; sie ist eine dringend gebotene Notwendigkeit, ein humanitäres Erfordernis. Gleichwohl, und dies ist bei aller Kritik ebenso wichtig zu betonen, stehen wir an der Seite Israels. So wichtig wie eine Aufhebung der Blockade ist, so wichtig ist es, die Sicherheit Israels zu garantieren. Es muss unmissverständlich klar sein, dass die Öffnung des Gaza-streifens auf keinen Fall dazu genutzt werden darf, Waffen in die Region zu transportieren und damit die Sicherheit Israels zu gefährden. Zudem muss sichergestellt werden, dass terroristische Organisationen den Gazastreifen nicht nutzen, um in den durchaus undurchsichtigen -Verhältnissen ihre gewalttätigen Aktionen zu planen und durchzuführen. Der fortdauernde Raketenbeschuss von israelischen Städten wie Sderot aus dem Gazastreifen ist menschenrechtswidrig und zu verurteilen. Die derzeitige Praxis der Abriegelung des Gazastreifens hat allerdings offenkundig nicht zu einer Beendigung dieser Angriffe geführt und ist deshalb auch mit diesem Argument nicht zu rechtfertigen. Wir werden uns an der Beratung der beiden Anträge in den Ausschüssen konstruktiv beteiligen. Dr. Rainer Stinner (FDP): Die Lage im Gazastreifen und in Israel stand in dieser Woche wieder im Fokus der Weltöffentlichkeit. Seit heute, Donnerstag, 0:00 Uhr gilt eine Waffenruhe. Das wurde zwischen Israel und der im Gazastreifen herrschenden Hamas vereinbart. Aber die Lage bleibt weiter fragil. Am Dienstagabend, nach dem Besuch des Emir von Katar, hat ein Angriff aus dem Gazastreifen auf Israel begonnen. Innerhalb von 24 Stunden schlugen mehr als 80 Raketen und Mörsergranaten auf israelischem Gebiet ein. Israel hat darauf mit Luftangriffen auf Ziele im Gazastreifen reagiert und mit einer Bodenoffensive gedroht. Jetzt gilt, wie gesagt, eine Waffenruhe, und wir hoffen alle, dass sie hält. Allerdings zeigt diese Entwicklung auch, warum Israel die Warenströme in den Gazastreifen kontrolliert. Da es immer wieder zu Angriffen aus dem Gazastreifen auf Israel kommt, muss der Waffenschmuggel in den Gazastreifen unterbunden werden. Die strengen Kontrollen und die Beschränkungen des Warenverkehrs führen allerdings zu Versorgungsschwierigkeiten im Gazastreifen, unter denen die Zivilbevölkerung leidet. Dieses Problem haben wir thematisiert und konnten auch schon Erfolge erzielen. Die israelische Regierung hat 2010 die Einfuhrbeschränkungen in den Gazastreifen gelockert. Die vorherige Positivliste von erlaubten Gütern wurde durch eine Negativliste von verbotenen Gütern ersetzt. Diese Negativliste von Gütern, die in den Gazastreifen nicht eingeführt werden dürfen, enthält Waffen, Kriegsmaterial und Dual-Use-Güter. Dieser Wechsel von einer Positivliste zu einer Negativliste hat zu einer erheblichen Verbesserung der gesamten Warenzufuhr geführt. Das bestätigt auch das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, UNRWA. Dennoch bleibt die Warenversorgung im Gazastreifen weiterhin verbesserungsbedürftig. Daher muss überprüft werden, ob wirklich alle Güter auf der Negativliste eine Gefahr für Israel darstellen. Verantwortlich für die schlechte Warenversorgung im Gazastreifen ist aber nicht allein Israel, sondern auch die Hamas, die in den Schmuggel in den Gazastreifen involviert ist und davon profitiert. Versorgungsengpässe werden genutzt, um den Hass auf Israel zu schüren, während gleichzeitig Waffen in den Gazastreifen geschmuggelt werden, mit denen Israel angegriffen wird. Unser Ziel bleibt daher die vollständige Umsetzung der Resolution 1860 des VN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 2009. Dazu gehört die Öffnung der Übergänge von und nach Gaza für Im- und Exporte, die Bekämpfung des Waffenschmuggels in den Gazastreifen, die dauerhafte Beendigung des Raketenbeschusses israelischen Territoriums und ein dauerhafter Waffenstillstand. Dafür setzen wir uns sowohl bilateral als auch multilateral ein, zum Beispiel mit den Ratsschlussfolgerungen vom 14. Mai 2012 und mit der Erklärung des Nahost-Quartetts vom 11. April 2012. Ganz konkret unterstützt die Europäische Union die Palästinensische Behörde beim Ausbau des Grenzübergangs Kerem Shalom, um eine Verbesserung beim Warenverkehr zu erreichen. Sie haben außerdem einen zweiten Antrag vorgelegt – zum Thema Administrativhaft. Ich teile Ihre Einschätzung, dass diese Praxis aus menschenrechtlicher Sicht äußerst problematisch ist. In Anbetracht der massiven Bedrohungslage und der damit verbundenen Angst in Israel kann man zwar verstehen, warum zu dieser Maßnahme gegriffen wird, aber man muss sie deswegen nicht gutheißen. Man kann von Israel erwarten, dass sich der Umgang mit Gefangenen an den menschenrechtlichen Standards orientiert, die auch in Israel gelten. Deshalb spreche ich und sprechen wir das Thema Menschenrechte bei Treffen mit israelischen und palästinensischen Vertretern offen an und finden dabei auch Gehör. Die Menschenrechtslage wird ja nicht nur von außen kritisiert. Auch in Israel selbst gibt es viele Menschen, die die Menschenrechtslage kritisch sehen. Und israelische Menschenrechtsorganisationen kritisieren offen die Haftbedingungen und die Anwendung der Administrativhaft. Eine derart offene Diskussionskultur gibt es im Gazastreifen übrigens nicht, weil die Hamas keine Kritik zulässt. Die Administrativhaft wurde auch von der Bundesregierung gegenüber israelischen und palästinensischen Vertretern bereits mehrfach thematisiert. Dabei hat die Bundesregierung stets ihre Sorge über die umfassende Anwendung der Administrativhaft zum Ausdruck gebracht. Das Thema ist auch Gegenstand des EU-Israel-Dialogs. Unter dem Eindruck von Gefangenenprotesten und internem sowie internationalem Druck hat sich Israel im Mai 2012 bereit erklärt, die Anwendung der Administrativhaft zu reduzieren. Diese Entscheidung zeigt auch bereits Wirkung. In Ihrem Antrag steht noch, dass die Zahl der palästinensischen Gefangenen in Administrativhaft bei über 300 läge. Das zeigt mir, dass Sie diesen Antrag im Mai 2012 oder früher verfasst haben müssen. Inzwischen ist die Zahl auf 184 gesunken. Die Situation hat sich also leicht verbessert. Beide Entwicklungen, die Anwendung der Administrativhaft und den Warenverkehr in den Gazastreifen, werden wir weiterhin genau beobachten. Allerdings sind beide Themen nur Einzelaspekte eines größeren Problemfeldes in Nahost. Eine wirklich nachhaltige Lösung kann nur im Rahmen eines Gesamtfriedensschlusses gefunden werden, und dazu brauchen wir Fortschritte bei den Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern. Das müssen wir auch bei unseren Beratungen in den Ausschüssen beachten. Annette Groth (DIE LINKE): In den letzten Tagen wurde der Gazastreifen wiederholt durch israelisches Militär aus der Luft beschossen, es gab mehrere Tote und viele Verletzte. Dies ist in unseren Nachrichten kaum mehr als eine kurze Notiz wert, es ist zum Alltag geworden – für uns und beinahe auch schon für die Betroffenen, die in ständiger Angst leben müssen. Die Bevölkerung des Gazastreifens wird durch die Blockadepolitik der israelischen Regierung eines menschenwürdigen Lebens beraubt. Die von Israel verhängte Land-, See- und Luftblockade des Gazastreifens ist völkerrechtswidrig und das daraus resultierende Leid der Bevölkerung von Gaza völlig unverhältnismäßig. Die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen erwähnen den sehr eindrucksvollen Bericht der Vereinten Nationen „Gaza in 2020 – A liveable place?“, nach dem der Gazastreifen im Jahre 2020 praktisch nicht mehr bewohnbar sein wird. Das Wasser wird nicht mehr trinkbar sein, wir werden dann auch jegliche Chancen verspielt haben, diese Entwicklung rückgängig zu machen. Es ist erschreckend, wie wenig sich die Weltgemeinschaft klarzumachen scheint, dass es bereits fünf nach zwölf ist! Auch ich fordere selbstverständlich und stellvertretend für die Fraktion Die Linke, die Blockade des Gazastreifens aufzuheben. Genauso fordern wir die Abschaffung der Adminis-trativhaft, sowohl durch israelische Sicherheitsbehörden als auch ihre palästinensischen Counterparts. Die menschenverachtenden Praktiken sind erschreckend. Dass Betroffene oft keine andere Möglichkeit sehen, als ihre elementarsten Rechte mithilfe von Hungerstreiks durchzusetzen und damit ihr Leben aufs Spiel setzen, spricht für sich. Insbesondere bereitet mir das Schicksal von Kindern und Jugendlichen in den Haftanstalten Sorgen. Die Menschenrechtsorganisation Addameer schätzt, dass allein 2010 allein in Jerusalem 1 200 Minderjährige verhaftet wurden. Auch wenn sie nach einigen Stunden oder Tagen wieder freigelassen werden, verursacht dies bleibende Schäden. Diese Kinder sind stark traumatisiert! Zugleich bin ich kein Freund von Teillösungen: Nehmen wir einmal an, eine erhöhte Ausfuhr von Gütern aus dem Gazastreifen und/oder der Import lebensnotwendiger Güter würden erlaubt. Die israelische Regierung würde viele der Einschränkungen für die Bevölkerung von Gaza in Kraft lassen – immer mit dem Verweis auf die eigenen Sicherheitsinteressen –, zum Beispiel die unilaterale israelische Bestimmung, dass keine Schiffe und Boote weiter als drei nautische Meilen von der Küste Gazas entfernt fischen dürfen. Den Fischern wurde der Zugang zu 85 Prozent derjenigen Seegebiete, die laut Abkommen von Oslo den Palästinensergebieten zugehörig sind, versperrt, und 3 000 Fischern mitsamt ihren Familien wurde die Lebensgrundlage entzogen. Darüber hinaus hat die israelische Regierung die fruchtbarsten 17 Prozent des Gazastreifens, welche für die Landwirtschaft von elementarer Bedeutung sind, zu „Pufferzonen“ erklärt. Wer sich in diese Gebiete oder weiter als drei nautische Meilen aufs Meer begibt, wird regelmäßig durch israelisches Militär angegriffen – -allein im Jahre 2012 gab es Hunderte solcher Angriffe mit einer Vielzahl von Toten. Die palästinensischen Kinder können noch nicht einmal in Sicherheit in die Schule gehen! Am letzten Wochenende wurde wieder ein sich in internationalen Gewässern befindliches Schiff, das Hilfsgüter für die Bevölkerung des Gazastreifens geladen hatte, durch die israelische Marine gestoppt; die Passagiere wurden unrechtmäßig festgehalten, den israelischen Aktivisten soll gar der Prozess gemacht werden. Außerdem gibt es Berichte, die Marinesoldaten hätten bei der Enterung Gewalt angewandt. Nicht vergessen hat die Welt die blutige Enterung der Mavi Marmara im Mai 2010, die mit neun Toten und vielen Verletzten -endete. Einer davon liegt bis heute im Koma. Die israelische Regierung scheint es nicht sonderlich zu stören, wenn sich ihr Image in der Welt mehr und mehr verschlechtert. Der israelische Außenminister sagte erst vor einigen Tagen, die EU solle sich um ihre eigenen Probleme kümmern, anstatt sich mit der Frage der israelischen Siedlungen zu befassen. Netanjahu will der israelischen Knesset ein Gutachten zur Abstimmung vorlegen, welches die israelischen Siedlungen in der Westbank als legal einstuft. Sowohl die EU als auch die Bundesregierung haben aber mehrfach den Siedlungsbau auf besetztem Gebiet und die Blockade des Gaza-streifens als völkerrechtswidrig bezeichnet. Kritisiert wurde auch das Festhalten von Menschen ohne Begründung – die Administrativhaft. Die Aufhebung der Gaza-Blockade ist wichtig – aber sie ist nur ein Teilaspekt. Was haben wir gewonnen, wenn die Siedlungen in Gaza zwar geräumt, in der Westbank aber gleichzeitig immer neue gebaut wurden und werden? Was, wenn allein die Möglichkeit, irgendwann in der Zukunft einen lebensfähigen palästinensischen Staat zu gründen, durch Fakten sowohl in Form von Siedlungen als auch zum Beispiel der irreparablen Verunreinigung von Trinkwasser zunichte gemacht wird? Es muss darum gehen, eine ganzheitliche Lösung für den Nahostkonflikt zu finden. Es ist zwar wichtig, an einzelnen Punkten anzusetzen, aber das reicht nicht aus! Israel muss endlich Verhandlungsbereitschaft zeigen und zu echten Kompromissen bereit sein – sowohl gegenüber den Palästinenserinnen und Palästinensern als auch den arabischen Nachbarn. Die Signale der israelischen Regierung sind nicht besonders vielversprechend, im Gegenteil. Wenn Israel sich nicht bereit zeigt, seinerseits Schritte auf dem Weg zum Frieden zu gehen und sich überhaupt erst einmal an völkerrechtliche Bestimmungen und die Respektierung der Menschenrechte zu halten, haben wir durchaus Möglichkeiten, zu handeln, ja, wir müssen es sogar tun, wollen wir unsere Glaubwürdigkeit nicht völlig verspielen. Am Dienstag hat nun leider auch das Europäische Parlament für die Annahme des ACAA-Zusatzprotokolls zum EU-Israel-Assoziierungsabkommen gestimmt. Folge ist eine eklatante Ausweitung der Handelsbeziehungen zwischen der EU und Israel. Die Parlamentarier haben damit eine wichtige Möglichkeit verspielt. Sie hätten deutlich machen müssen: Vorbedingung für eine solche Ausweitung muss die Einhaltung des in allen Assoziierungsabkommen der EU mit den Mittelmeerländern festgeschriebenen Art. 2 durch Israel sein. Dieser Artikel fordert von allen Partnern die Achtung der Menschenrechte und die Einhaltung demokratischer Grundprinzipien. Die EU-Parlamentarier haben die israelische Regierung stattdessen für ihre völkerrechtswidrige und menschenverachtende Politik belohnt. Solange die israelische Regierung Verträge nicht einhält, muss auch in Betracht gezogen werden, das bereits bestehende Assoziierungsabkommen auszusetzen. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir reden heute über zwei Anträge meiner Fraktion, die Menschenrechtsthemen in Israel und den palästinensischen Gebieten betreffen. Lassen Sie mich deshalb mit einer Bemerkung zum Verfahren beginnen. Wir haben beide Anträge federführend im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe angemeldet. Die Koalition hat dem widersprochen und wollte, dass die Anträge federführend im Auswärtigen Ausschuss aufgesetzt werden. Für uns ist das keine Kleinigkeit. Wir meinen, dass der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe als Vollausschuss dieses Bundestages ein wichtiges Gremium ist und eine Errungenschaft dieses Parlaments. Wir meinen, dass es dem zentralen politischen Thema, dem Menschenrechtsschutz, angemessen ist, dass es dafür einen Vollausschuss gibt. Seine Bedeutung droht er aber dann zu verlieren, wenn ihm keine Vorlagen mehr in Federführung zugewiesen werden. Wir haben es wiederholt erlebt, dass die Koalition sagt, dieses oder jenes Thema solle doch besser in diesem oder jenem Fachausschuss behandelt werden. Nun ist klar, dass bei den Menschenrechten als Querschnittsthema immer auch die Belange anderer Ausschüsse mit berührt werden. Aber es gibt doch zentrale menschenrechtliche Fragestellungen und Bereiche, in denen dann auch der Menschenrechtsausschuss primär zuständig sein muss. Es ist äußerst bedauerlich, dass die Koalition diese Haltung nicht teilt. Damit wertet sie einen wichtigen Bundestagsausschuss ab. Ich hoffe, dass sie für den Rest dieser Legislatur ihre Einstellung dazu überdenkt und ändert. Damit komme ich zum Inhalt unserer Anträge. Wir haben uns dem Thema Administrativhaft gewidmet, weil wir die Praxis dieser Haft für ein schwerwiegendes menschenrechtliches Problem halten – überall da, wo sie auftritt. Es gibt leider viele Länder, in denen die Administrativhaft angewendet wird. Administrativhaft bedeutet, dass den Festgenommenen ihre grundlegenden Rechte verwehrt bleiben. Sie werden eingesperrt, ohne zu wissen, warum. Sie haben meist keine Möglichkeit, mit einem Anwalt oder sogar ihren Familien Kontakt aufzunehmen. Sie schmoren unter oft entsetzlichen Bedingungen in ihren Zellen, mitunter jahrelang. Dies ist für die Betroffenen furchtbar, egal wo es passiert. Aus unserer Sicht ist es umso schlimmer, wenn die Adminis-trativhaft in einem Rechtsstaat angewendet wird; denn das eine geht mit dem anderen nicht zusammen. Israelische Sicherheitskräfte verhängen die Administrativhaft seit vielen Jahren. Die Bundesregierung muss gegenüber der israelischen Regierung klarer Stellung beziehen und diese Praxis kritisch ansprechen. Auch in den palästinensischen Gebieten werden Menschen willkürlich verhaftet. Auch dort sind die Haftbedingungen zum teil katastrophal. Es gibt hervorragende Nichtregierungsorganisationen, die sich um die Rechte der Häftlinge kümmern, wie die palästinensische Organisation Addameer oder die israelische Organisation Betselem. Es muss aber endlich ein Umdenkungsprozess in Gang kommen auf Ebene der Regierenden in Israel und in der palästinensischen Autonomiebehörde. Die Administrativhaft gehört abgeschafft. Inhaftierte müssen rechtsstaatliche Strafverfahren bekommen. Die Haftbedingungen müssen vor allem hinsichtlich der Gesundheitsversorgung verbessert werden. Unser zweiter Antrag befasst sich mit der Lage in Gaza. Ich konnte bei einem Besuch dort im Juli dieses Jahres mit der UNRWA sprechen, mit lokalen Menschenrechts-NGOs, mit jungen Bloggerinnen und Bloggern, und alle haben einstimmig erklärt, dass die Blockade des Gazastreifens durch Israel beendet werden muss. Wir haben hier gemeinsam bereits im Jahr 2010 die Aufhebung der Gaza-Blockade und eine Verbesserung der humanitären Lage in Gaza gefordert. Seitdem hat es gewisse Lockerungen gegeben; die Blockade besteht jedoch fort, und die Lockerungen reichen nicht aus, um die humanitäre, menschenrechtliche und wirtschaftliche Situation in Gaza grundlegend zu verbessern. Deshalb bitte ich Sie alle, unseren Antrag zu unterstützen und damit unsere Forderung von 2010 mit Nachdruck zu wiederholen. Sie alle werden den Bericht der Vereinten Nationen vom Ende August 2012 gelesen haben; danach wird der Gazastreifen im Jahr 2020 nicht mehr bewohnbar sein, wenn bis dahin nicht grundlegende Verbesserungen in den Bereichen Wasser- und Elektrizitätsversorgung, Gesundheit und beim Bau von Schulen unternommen werden. Wenn die Blockade aufrechterhalten wird, dann wird die urbane Ökonomie des Gazastreifens zusammenbrechen. Lassen Sie uns gemeinsam aus humanitären, aus menschenrechtlichen, aus außen- und entwicklungs- und sicherheitspolitischen Gründen ein Ende der Blockade fordern. Und noch ein letztes Wort zu einem kontrovers diskutierten Thema: dem Kontaktverbot zur Hamas. Ich habe auf meiner Reise von vielen meiner Gesprächspartner in Gaza gehört, wie schwierig die humanitäre Arbeit dort angesichts des bestehenden Kontaktverbots vieler Staaten, auch von Deutschland, zur Hamas ist. Ich rege daher unter humanitären Gesichtspunkten an, die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme zu überdenken. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht mir nicht um eine internationale Aufwertung der Hamas. Aber das Kontaktverbot erschwert die notwendige humanitäre Arbeit internationaler Organisationen wie der UNRWA in Gaza erheblich. Ich möchte deshalb anregen, zumindest eine Diskussion darüber zu führen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Tagesordnungspunkt 40 a. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11166 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen der SPD und Grünen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der CDU/CSU und FDP abstimmen, also Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen der SPD und Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 40 b. Die Vorlage auf Drucksache 17/11167 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Auch hier ist die Federführung strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen sie beim Auswärtigen Ausschuss, Bündnis 90/Die Grünen wünscht sie beim Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Grünen abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen der Grünen bei Zustimmung der sonstigen Fraktionen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP abstimmen, also Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen der Grünen mit den Stimmen der anderen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkte 42 a und 42 b: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lars Klingbeil, Martin Dörmann, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Potenziale von WLAN-Netzen nutzen und Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber schaffen – Drucksache 17/11145 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes – Störerhaftung – Drucksache 17/11137 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Rechtsausschuss (f) Federführung strittig Auch hier sind die Reden zu Protokoll genommen. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Uns liegen heute zwei Initiativen der Opposition vor, die auf den ersten Blick recht vernünftig erscheinen. Aber wie so oft im parlamentarischen Leben liegt der Teufel im Detail. Im Kern geht es beiden Initiativen um die stärkere Nutzung vorhandener WLAN-Netze für die Öffentlichkeit, die Beschränkung des Haftungsrisikos für WLAN-Betreiber und um Schutzmaßnahmen für die Betreiber von WLAN-Netzen zur Vermeidung ihrer Verantwortlichkeit bei unbefugter Nutzung durch Dritte. Zentraler Gegenstand ist die Debatte, ob die Haftungsbeschränkung für professionelle Access Provider gemäß § 8 TMG auf andere WLAN-Betreiber ausgeweitet werden soll. Was die Providerhaftung nach dem Telemediengesetz anbelangt, so sind kleine Gewerbetreibende wie Internetcafés mit kostenfreiem WLAN-Angebot bereits jetzt von der Haftung für Missbrauch durch Dritte befreit. Denn in diesen Fällen – wie auch bei sehr großen Providern mit sehr vielen Nutzern – lässt sich der Verursacher durch technische Nachweismöglichkeiten identifizieren. Der Gewerbetreibende ist natürlich verpflichtet, bei ersten Anzeichen eines Missbrauchs geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um sich seine Freistellung von der Haftung zu erhalten. Tut er dies nicht, muss auch er mit Konsequenzen rechnen. Die Forderung nach einer Gleichstellung des privaten Bereichs mit dem gewerblichen Bereich erscheint jedoch nur auf den ersten Blick folgerichtig und sinnvoll. Denn im privaten Bereich, beispielsweise wenn ein Dritter den privaten Internet-/WLAN-Zugang eines Nutzers für strafrechtlich relevante Handlungen missbraucht, kann mit technischen Mitteln nicht nachgewiesen werden, wer der eigentlich Schuldige ist. Die Tat wird dann in der Regel dem privaten Nutzer zugerechnet, auf den der Internet- bzw. WLAN-Anschluss angemeldet ist, es sei denn, er kann nachweisen, dass er die Tat nicht begangen haben kann. Vom privaten Nutzer wird daher auch eine gewisse Verantwortung für den sorgsamen Umgang mit dem Internetzugang verlangt, egal ob er fest installiert ist oder per WLAN erfolgt. Erfolgt der Zugang hingegen frei, kann auf dem WLAN-Anschluss jeder machen, was er will, ohne dass er mit etwaigen Konsequenzen rechnen muss. Strafrechtlich relevante Handlungen können nicht verfolgt werden; der oder die Täter können nicht zur Verantwortung gezogen werden. Aufgrund der laufenden und uneinheitlichen Rechtsprechung verschiedener Gerichte bearbeitet das Bundesministerium der Justiz derzeit die Frage, ob und in welcher Form der angesprochene Aspekt der Störerhaftung rechtlich geregelt werden kann, um Rechtssicherheit zu gewährleisten. Ich hoffe da auf konstruktive Ergebnisse. Neben diesen rechtlichen Aspekten wird aber das Potenzial des offenen WLAN überschätzt. Die große Mehrheit der Nutzer nutzt UMTS, 3G, als mobile Datenverbindung. Hier könnten WLAN zwar potenziell die Mobilfunknetze entlasten. Allerdings bauen die Mobilfunkunternehmen gerade den nächsten Standard des Mobilfunks LTE,4G, aus. LTE kann – noch theoretisch – Bandbreiten erreichen, welche die Leistungen der DSL-Anschlüsse, die ja auch die Grundlage für WLAN-Router bieten, übertreffen. Zusätzlich entlastet ein auf den LTE-Standard aufgerüstetes Mobilfunknetz auch den bisherigen Standard UMTS und wird auch im UMTS-Netz die Leistungen verbessern. Vermutlich wird die Notwendigkeit von WLAN-Angeboten für den öffentlichen Raum bald nachlassen. Schließlich kann jeder Betreiber eines WLAN weiterhin, auch im von den Linken angesprochenen sozialen Bereich, seinen Nutzern einen Zugangscode aushändigen und sich somit vor den möglichen Folgen von Rechtsverletzungen schützen. Bei diesem Thema sollte Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen. Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Wenn ich mir den vorliegenden Gesetzentwurf der Linken zur Änderung des Telemediengesetzes anschaue, wird mir sofort klar, wohin die Reise mal wieder gehen soll: Da gerieren sich die Genossen erneut zu Sozial-aposteln par excellence, fordern freies Internet für alle, freie I-Pads für alle, freie Rechner für alle. Ich muss schon genau in den Text hineinlesen, um zu sehen, ob es sich hier um eine Hartz-IV-Debatte handelt oder ob es um die Haftungsfrage für WLAN-Betreiber geht. Da lese ich: „Gerade für Menschen mit geringem Einkommen sind beide Zugangswege“ – gemeint sind kabel- und funkbasierte Internetanschlüsse – „jedoch nur schwer zu finanzieren. Es bedarf kaum der näheren Erörterung, warum bei einem monatlichen Regelsatz von derzeit 374 Euro zzgl. Kosten der Unterbringung 10 bis 20 Euro für einen DSL-Zugang ganz erheblich ins Gewicht fallen.“ Ich lese davon, dass „nicht hinreichend verfügbare Internetzugänge … die … Abhängigkeit der individuellen Bildungschancen vom sozialen Status der Eltern“ verschärfen, ich lese von einer „Frage der sozialen Gerechtigkeit“ und davon, dass „ein Computer zum soziokulturellen Existenzminimum gehört“. Ich jedenfalls will hier und heute keine linke Sozialdebatte à la Linke führen, sondern mich der Haftungsfrage für WLAN-Betreiber widmen. Die grundlegende Frage, die sowohl in dem SPD-Antrag als auch in dem Gesetzentwurf der Linken gestellt wird, hat im digitalen Zeitalter – auch vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung – durchaus seine Berechtigung, nämlich die Frage: Müssen private und kleingewerbliche WLAN-Anbieter wie Cafés dafür haften, wenn dritte Nutzer sich in ihrem Netz illegal verhalten, wenn solche Nutzer zum Beispiel illegal Musik oder Videos downloaden und damit gegen das Urheberrecht verstoßen? Warum sollte ein Kneipenwirt dafür belangt werden können, wenn ein Internetpirat in seinem WLAN-Netz Beute macht? Warum sollte der Kneipenwirt dafür kostenpflichtig abgemahnt werden und dafür schließlich auch noch kräftig Schadensersatz gegenüber dem geschädigten Rechteinhaber zahlen? Dass ein solcher Fall bei einem betroffenen gewerblichen WLAN-Betreiber nicht gerade ein Anreiz ist, das Netz weiterhin anzubieten, und dass infolge solcher Vorkommnisse vielleicht der öffentlich zugängliche WLAN-Ausbau in Deutschland ins Stocken geraten könnte, vermag auf den ersten Blick denkbar zu sein. Schließlich ist die flächendeckende Versorgung von Kommunen und Städten mit frei zugänglichem Internet, wie sie jetzt zum Beispiel Kabel Deutschland und die Wall AG in Berlin mit der Einrichtung von Hotspots realisieren, auch ein interessantes Geschäftsmodell für die Telekommunikationswirtschaft und macht Städte und Gemeinden für Besucher und Gäste attraktiver. Nun sieht die Lösung der hellroten und der dunkelroten Genossen zunächst relativ einfach aus: Man erweitert einfach im Telemediengesetz den in § 8 definierten Kreis von Diensteanbietern, die von der Haftungspflicht ausgeschlossen sind – das sind im Wesentlichen die Accountbetreiber –, um die WLAN-Betreiber, ob gewerb-liche oder private. Zusätzlich sollen WLAN-Betreiber von der sogenannten Störerhaftung ausgenommen werden; das heißt, geschädigte Rechteinhaber, zum Beispiel Musikverlage, sollen gegenüber dem Betreiber keinen Anspruch auf Unterlassung mehr haben. Das ist die eine Seite. Wie aber stehen dann die Rechteinhaber da, deren geistiges Eigentum dem zwar immer noch illegalen, faktisch aber beliebigen Zugriff von Nutzern schutzlos ausgeliefert wäre? Denn wo keine Haftung, da kein durchsetzbarer Schadensersatzanspruch. Diese Regelung würde bedeuten, dass Vergehen im Netz – seien sie zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Art – erstens überhaupt nicht mehr zurückverfolgt werden könnten und zweitens nicht mehr geahndet werden könnten. Nach derzeitiger Rechtslage kann wenigstens der Account des WLAN-Betreibers über dessen IP-Adresse zurückverfolgt werden, die diesem Betreiber eindeutig zuzuordnen ist. Dies ist bei den verschiedenen Nutzern, die sich mit dynamischen IP-Adressen in das WLAN-Netz einklinken, so nicht möglich. Denn sie sind nur während ihres Aufenthalts im Netz über ihre MAC-Adresse identifizierbar. Mit dieser gerätebezogenen Adresse lässt sich die Aktivität des Users nur nachweisen, während er noch im Netz ist. Man müsste ihn also noch in flagranti beim illegalen Download erwischen, um ihm ein Vergehen zum Beispiel gegen das Urheberrecht nachweisen zu können. Selbst wenn es technisch möglich wäre, die einzelnen Nutzer im Nachhinein zu identifizieren – das heißt, wann welcher Nutzer welche Aktivität im Internet vorge-nommen hat –, wäre dies aus datenschutzrechtlichen Gründen verboten. Dafür müsste der WLAN-Betreiber sozusagen auf Verdacht für alle Nutzer regelrechte Datenbanken mit Personendaten anlegen und speichern. Das Telekommunikationsgesetz untersagt jedoch – zu Recht – die Erhebung nicht erforderlicher Daten. Darauf hat auch das Landgericht München in seinem Urteil vom 12. Januar 2012 (Aktenzeichen 17 HK O 1398/11) abgestellt. In Ihrem Gesetzentwurf verteufeln Sie, geschätzte Linkskollegen, dass „Betreiber/innen von drahtlosen Netzwerken … die Mit-Nutzung ihrer Netze in aller Regel durch Verschlüsselungsverfahren unmöglich“ machen. Die Betreiber versuchten, „ihre Netze so gut als möglich abzuriegeln“. Ja, was sind das doch für böse Menschen! Gar nicht so sozial wie die guten Linken, die ja alles für alle öffnen wollen! Schlimm, so was! Ich weiß nicht, ob Sie, Frau Wawzyniak, Sie, Herr Korte, Sie, Frau Jelpke, oder Sie, Frau Pau, Ihr privates WLAN-Netz zu Hause einfach so von Ihren Nachbarn oder sonstigen Personen mitnutzen lassen wollen. Das sehe ich jedenfalls schon mal aus ökonomischen Gründen nicht ein – soll sich der Nachbar doch einen eigenen Zugang besorgen –, aber vor allem aus Sicherheits- und, ja, aus Haftungsgründen. Es ist schon heute so, dass „auch privaten Anschluss-inhabern ... aber eine Pflicht“ obliegt, „zu prüfen, ob ihr WLAN-Anschluss durch angemessene Sicherungsmaßnahmen vor der Gefahr geschützt ist, von unberechtigten Dritten zur Begehung von Urheberrechtsverletzungen missbraucht zu werden.“ Zwar muss der private Betreiber eines WLAN-Netzes seine Netzwerksicherheit nicht ständig auf dem neuesten Stand der Technik halten. „Ihre Prüfpflicht bezieht sich daher auf die Einhaltung der im Zeitpunkt der Installation des Routers für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen“. So hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 12. Mai 2010 (Aktenzeichen I ZR 121/08 – Sommer unseres Lebens) gesprochen. In diesem Verfahren ging es um einen WLAN-Betreiber, der sein WLAN nicht durch ein Passwort geschützt hatte und damit seine Prüfpflicht im gerade zitierten Sinne verletzt hatte. Der BGH hat hier angenommen, dass der Beklagte – also der WLAN-Betreiber – „nach den Rechtsgrundsätzen der sogenannten Störerhaftung auf Unterlassung und auf Erstattung der Abmahnkosten“ – das sind nach geltendem Recht maximal 100 Euro – haftet. Der BGH weiter: „Diese Haftung besteht schon nach der ersten über seinen WLAN-Anschluss begangenen Urheberrechtsverletzung. Hingegen ist der Beklagte nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Eine Haftung als Täter einer Urheberrechtsverletzung hat der Bundesgerichtshof verneint, weil nicht der Beklagte“ – also der WLAN-Betreiber – „den fraglichen Musiktitel im Internet zugänglich gemacht hat. Eine Haftung als Gehilfe bei der fremden Urheberrechtsverletzung hätte Vorsatz vorausgesetzt, an dem es im Streitfall fehlte“, so der BGH. Die Rechteinhaber zum Beispiel von Musiktiteln oder Filmen haben also gegenüber WLAN-Betreibern unter bestimmten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Unterlassung. Das ist die heißdiskutierte Störerhaftung des WLAN-Betreibers bei rechtswidrigen Handlungen Dritter. Wenn man den Rechteinhabern nach dem Willen der heute parlamentarisch vereinigten Linksfront diesen bereits eingeschränkten Rechtsanspruch nimmt, werden die WLAN-Betreiber auf Kosten der Rechteinhaber besser-gestellt. Die bleiben nämlich auf ihrem Schaden sitzen. Das kann es ja auch nicht sein. Jetzt folgert die Linke daraus: „Im Ergebnis führt insbesondere die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu, dass Funknetzwerke verschlüsselt werden und für die kostenfreie Mitnutzung nicht zur Verfügung stehen.“ Dabei gäbe es „eine Reihe guter Gründe … ihre Netze zur Mitnutzung zu öffnen“, unter anderem: „Private könnten ihre Netze insbesondere aus sozialen Motiven heraus öffnen, um insbesondere sozial benachteiligten Menschen den Zugang zum Internet zu ermöglichen.“ Wenn ich zwischen diesem Mutter-Teresa-Motiv 2.0 einerseits und den Risiken und Sicherheitsbedenken bei unverschlüsseltem WLAN-Netz andererseits abzuwägen hätte, wüsste ich schnell, dass ich mein Netz verschlüssele. Es geht bei privaten WLAN-Anbietern letztendlich auch um Verantwortung: Will ich mein Netz für alle öffnen, muss dann aber auch mit den eventuellen negativen Konsequenzen leben, oder sorge ich von vorneherein für Einschränkungen für Dritte, damit aber auch für meinen eigenen Schutz? Das muss letztlich jeder Einzelne für sich entscheiden. Ich denke, die wesentliche Problematik ist in dieser Debatte klargeworden: hier Haftungsbürde bei unverschuldet schuldigen WLAN-Betreibern, da Anspruch von Inhabern geistigen Eigentums im Netz auf Entschädigung im Missbrauchsfall. Die Entscheidung, ob und in welchem rechtlichen Rahmen wir hier tätig werden müssen, sollte nicht übers Knie gebrochen werden. Gründlichkeit geht bei solchen Haftungsfragen klar vor Schnelligkeit. Ob und wie das im Telemediengesetz geregelt werden muss, prüfen wir in nächster Zeit ausführlich. Hoppla hopp nach dem Willen von Sozialdemokraten und Sozialisten ist sicherlich die falsche Entscheidung. Wir wollen ja nicht für etwas haftbar gemacht werden, was uns und den Betroffenen früher oder später auf die Füße fallen kann, nicht wahr? Lars Klingbeil (SPD): Auf Initiative des Senates von Berlin und des Senates der Freien und Hansestadt Hamburg hat der Bundesrat am 12. Oktober 2012 die Bundesregierung einstimmig aufgefordert, zu prüfen, wie das Potenzial von öffentlichen WLAN-Netzen stärker nutzbar gemacht und wie das Haftungsrisiko für WLAN-Betreiber beschränkt werden kann, beispielsweise indem klargestellt wird, dass sich die Haftungsbeschränkung für Access Provider gemäß § 8 TMG auch auf WLAN-Betreiber erstreckt. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die Initiative der beiden Stadtstaaten und des Bundesrates und fordert die Bundesregierung auf, diese schnellstmöglich aufzugreifen und umzusetzen. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass das Potenzial von WLAN-Netzen für den Netzzugang im öffentlichen Raum aufgrund der bestehenden Haftungsrisiken brachliegt. Drahtlose lokale Netzwerke sind ein wichtiger Bestandteil der digitalen Infrastruktur, und diese können – insbesondere in Städten und Ballungsräumen, aber auch in öffentlichen Räumen – einen Zugang zum Internet eröffnen und so die öffentlichen Räume im Netz sicherstellen. Es muss endlich eine Selbstverständlichkeit werden, dass in öffentlichen Einrichtungen wie Ämtern, Bibliotheken, Universitäten oder Schulen sowie im öffentlichen Personenverkehr auch ein öffentlicher Zugang zum Netz möglich ist. Zu erkennen sind darüber hinaus auch die Potenziale von WLAN-Netzen, die ebenso brachliegen, weil Privatpersonen, Haus- und Wohngemeinschaften, Familien, Nachbarschaftsinitiativen oder auch kleinere Vereine aufgrund der derzeitigen Rechtsprechung daran gehindert sind, ihre Internetzugänge mit anderen zu teilen. Damit wird digitale Teilhabe gerade auch für sozial-schwache Schichten unnötig erschwert. Hauptgrund des Stagnierens des Ausbaus von WLAN-Zugängen ist die derzeit bestehende Rechtsunsicherheit. Die Rechtsprechung hat hohe Hürden für das Betreiben privater WLAN-Zugänge aufgestellt, die letztlich dazu führen, dass es keine oder nur sehr wenige private offene Netze gibt. Aber auch bei den gewerblichen Anbietern, etwa im Hotel- und Gaststättenbereich, stellt der Betrieb von frei und allgemein zugänglichen Funknetzen ein beträchtliches Risiko dar. Anders als bei den Access Providern ist die Frage der Haftung bei diesen gewerblichen Anbietern oftmals unklar, da es sich nicht um klassische Telekommunikationsdienstleister handelt und daher nicht abschließend geklärt ist, ob und inwieweit sie sich auf die Haftungsregelungen des Telemediengesetzes berufen können und ob und in welchem Umfang von ihnen auch unter dem Gesichtspunkt der von den Gerichten insbesondere bei Urheberrechtsverletzungen angenommenen Störerhaftung Schutzmaßnahmen verlangt werden. Vor diesem Hintergrund ist zu begrüßen, dass auch die Justizministerkonferenz auf ihrer Frühjahrskonferenz vom 13. und 14. Juni 2012 das Bundesministerium der Justiz gebeten hat, sich dieser Problematik anzunehmen und die sogenannte Störerhaftung für Inhaber von offenen WLAN-Access-Points und mobilen Internetzugängen einer Überprüfung zu unterziehen. Gleichzeitig soll mit einer entsprechenden Neuregelung „ein Beitrag gegen den Abmahnmissbrauch geleistet werden“. Die Fraktion Die Linke hat sich die Mühe gemacht und den Gesetzentwurf des Vereins Digitale Gesellschaft zur Änderung des Telemediengesetzes eingebracht. Auch dieser Vorschlag zielt in die gleiche Richtung. Die Fraktion der Grünen hat ebenfalls eine Initiative zur Haftungsbegrenzung für WLAN-Betreiber angekündigt. Wenn man sich das Abstimmungsergebnis im Bundesrat und die heute vorliegenden Initiativen anschaut, dann wäre dies doch ein bedeutendes Thema, welches die Netzpolitikerinnen und Netzpolitiker in Abstimmung mit den Wirtschafts- und Rechtspolitikerinnen und politikern aller Fraktionen vielleicht auch als interfraktionelle Initiative auf den Weg bringen könnten. Im Grunde verfolgen alle drei Initiativen das gleiche Ziel, und es ist zu begrüßen, dass wir uns offensichtlich fraktionsübergreifend einig sind, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Von daher bin ich zuversichtlich, dass wir auch gemeinsam Wege finden können, um dieses Ziel zu erreichen. Das zeigt aber eben auch, dass die Bundesregierung hier – wie in vielen anderen Bereichen der Netzpolitik – ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Mit großem Getöse werden immer wieder Gesetzgebungsvorhaben angekündigt, denen aber nie irgendwelche konkreten Initiativen folgen. Unmittelbar nach der Regierungsübernahme sollte der Dritte Korb zur Novellierung des Urheberrechtes vorgelegt werden, um das Urheberrecht weiter an die Herausforderungen der digitalen Gesellschaft anzupassen. Ergebnis: Fehlanzeige. Das Bundesjustizministerium hat mehrfach angekündigt, endlich die Initiative gegen den Abmahnmissbrauch zu ergreifen. Ergebnis: Fehlanzeige. Das Bundesinnenministerium hat angekündigt, endlich Regelungen vorzulegen, um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und den Persönlichkeitsschutz auch im Internet zu wahren. Ergebnis: Fehlanzeige. In ihrem Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien auch vereinbart, dass sie „die Regelungen zur Verantwortlichkeit im Telemediengesetz fortentwickeln“ werden und dass es auch zukünftig darum gehe, „einen fairen Ausgleich der berechtigten Interessen der Diensteanbieter, der Rechteinhaber und der Verbraucher zu gewährleisten“. Wenig überraschendes Ergebnis: Fehlanzeige. Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, hier endlich – unter Einbeziehung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages und auch der Zivilgesellschaft – tätig zu werden. Natürlich werden wir uns über den Weg und die Instrumente streiten, beispielsweise ob es ausreicht, klarzustellen, dass sich die Haftungsbeschränkung für Access Provider gemäß § 8 TMG auch auf WLAN-Betreiber erstreckt. Es geht auch um die Frage, welche Verpflichtungen sich für WLAN-Anbieter – gegebenenfalls muss man zwischen privaten und gewerblichen Anbietern differenzieren – aus dem Telekommunikationsrecht ergeben. Und natürlich stellt sich auch die Frage, wie die Rechtsverfolgungsmöglichkeiten und die Funktionsfähigkeit der Strafverfolgung gewahrt werden können und wie das mit Augenmaß gelingt. Hier hilft es aber nicht, wenn – angesichts der Tatsache, dass alle Initiativen das gleiche Ziel verfolgen und Rechtssicherheit für Betreiber herstellen wollen und das Haftungsrisiko analog begrenzen wollen – dann mit Unterstellungen gearbeitet wird, denen zufolge mit der Initiative des Bundesrates den „Nutzerinnen und Nutzern hinterhergeschnüffelt“ werden soll und „technisch sinnlose Sperrtechniken“ eingesetzt werden sollen. Aus diesem Grund fordern wir in unserem Antrag, dass darüber hinaus auch in einer für gewerbliche sowie auch für nichtkommerzielle Angebote handhabbaren Weise klargestellt werden muss, in welchen konkreten Grenzen die Betreiber offener WLAN-Zugänge Vorkehrungen zur Wahrung von Datensicherheit, Datenschutz und Kommunikationsgeheimnis zu treffen haben. Auch die Betreiber öffentlicher WLAN-Zugänge dürfen ihre Nutzer und Nutzerinnen und ihr Surf- und Kommunikationsverhalten nicht überwachen, und genauso wie wir uns – Stichwort: Warnhinweise – gegen eine solche flächendeckende Überwachung des Datenstroms zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen bei den Access Providern einsetzen, werden wir uns gegen eine solche im Bereich der Funknetze einsetzen. Maßnahmen zum Schutz geistigen Eigentums müssen verhältnismäßig sein. Sie dürfen die Bürgerinnen und Bürger nicht in ihren Grundrechten, insbesondere nicht im Recht auf informationelle Selbstbestimmung und in Bezug auf das Fernmeldegeheimnis, unverhältnismäßig beschränken. Das muss auch bei öffentlich zugänglichen Funknetzen gelten. Das bedeutet, dass es auch im Bereich der öffentlich zugänglichen WLANs kein Deep Packet Inspection, Tracking oder keine Inhaltefilterung geben kann – und geben darf. Ich hoffe, dass die Bundesregierung der Aufforderung des Bundesrates und der Justizministerkonferenz und natürlich unseres Antrages endlich folgt und eine entsprechende Gesetzesinitiative auf den Weg bringt. Ich würde es auch sehr begrüßen, wenn wir den großen Konsens des Bundesrates auch im Bundestag feststellen könnten und – falls die Bundesregierung weiterhin untätig bleibt – eine entsprechende Initiative aus der Mitte des Parlamentes auf den Weg bringen könnten. Jimmy Schulz (FDP): Es geht um die erste Beratung des von der Fraktion Die Linke eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes. WLAN-Anschlussinhaber werden neuerdings mit Klagen überzogen, oft für Rechtsverstöße, die sie gar nicht begangen haben. Schuld daran ist die sogenannte Störerhaftung, wonach die Betreiber eines WLAN auch für Rechtsverstöße Dritter zur Verantwortung gezogen werden können. Eine Exkulpierung ist nur möglich, wenn sie ihr Netz gegen „fremde Internetnutzung“ schützen oder sicherstellen, dass der eigentliche Rechtsverletzer statt ihrer verfolgt werden kann. Übersetzt bedeutet das: Betreibt jemand ein ungesichertes WLAN und werden aus diesem WLAN Rechtsverstöße begangen, kann er dafür zur Kasse gebeten werden. Und diese Verantwortlichkeit trifft ihn immer, wenn er – egal ob absichtlich oder unabsichtlich – sein Netz nicht gegen Zugriffe durch Dritte abgesichert hat. Er kann dann von Rechteinhabern kostenpflichtig aufgefordert werden, dass zukünftig aus seinem Netz eben keine Rechtsverletzungen mehr ausgehen. Die einzige Lösung für WLAN-Betreiber ist also, dass sie ihr Netz durch Verschlüsselung gegen den Zugriff Dritter sperren. Das Anliegen der Rechteinhaber, die Verletzung ihrer Rechte zu unterbinden, ist völlig verständlich und liegt in einem Rechtsstaat auch klar auf der Hand. Das Anliegen der Nutzer von WLANs, eben nicht für jeden Rechtsverstoß teilweise völlig fremder Personen zur Verantwortung gezogen zu werden, ist auch verständlich. Hier muss ein Ausgleich der Interessen möglich sein; denn wir sprechen hier nicht nur von Privatpersonen, die WLANs für ihre Familie bereitstellen, wir sprechen auch über Netze, die von Hausgemeinschaften genutzt werden, oder auch von Cafébesitzern, die als Teil ihres -Geschäftsmodells WLANs für ihre Gäste anbieten. Eines haben alle gemeinsam: Sie können kaum kontrollieren, wer sich in ihrem WLAN befindet, und werden dann später zur Kasse gebeten. Nun mag man zuerst denken, dass das vom Bundesgerichtshof eingeführte Rechtsinstitut der Störerhaftung nur eine Lücke schließt und Rechteinhabern verhilft, zu ihrem Recht zu kommen. Es ist aber anders: Es zeigt einen eklatanten Mangel im aktuellen System; denn -anonymes Surfen wird mit dieser Rechtsfigur praktisch unmöglich gemacht, wenn sich der Anschlussinhaber nicht horrenden Forderungen der Rechteinhaber gegenüber sehen möchte. All diese Probleme lösen die vorliegenden Entwürfe der Oppositionsfraktionen von SPD und Linken jedoch bei weitem nicht. Ganz im Gegenteil: Sie werfen sogar neue Fragen auf und zeigen so, dass hier nur einem schnellen Trend gefolgt werden soll, anstatt durchdachte Lösungen zu präsentieren. Die Anträge sind daher abzulehnen. Die aktuelle Rechtslage muss an die geänderten -Nutzungsgewohnheiten angepasst werden. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass anonyme Internet-nutzung noch möglich ist. Klar ist für uns auf jeden Fall: Die Verpflichtung, dass alle Nutzer des WLAN registriert werden müssen, lehnen wir ab, da dies das Ende der Anonymität im -Internet bedeuten würde und das Fernmeldegeheimnis und die Meinungsfreiheit erheblich einschränkt würden. Keiner der Anträge stellt dies zu unserer Zufriedenheit klar! Das ist es, was wir erreichen wollen. Um sich keiner echten inhaltlichen Debatte stellen zu müssen, hat sich der Antrag der SPD vorsichtshalber nur auf Allgemeinposten bezogen, ohne konkrete Vorschläge zu machen. Dass die SPD mit Netzpolitik und Bürgerrechten eh nichts am Hut hat, hat sie auch gerade wieder im gestern erfolglos abgelaufenen Mitglieder-begehren „Sozis gegen die Vorratsdatenspeicherung“ gezeigt. Es stellt sich daher die Frage, ob die SPD hier nur versucht, ihre nicht existente netzpolitische Kompetenz einmal wieder unter Beweis zu stellen, oder ob einfach nur Aktionismus gezeigt werden soll. In ihrem altruistischen Antrag hat die Linke zwar konkrete Änderungsvorschläge für das Telemedien-gesetz von der Digitalen Gesellschaft e. V. abgeschrieben, aber sie offensichtlich nicht den Pferdefuß daran gesehen; denn welche Verpflichtungen Betreiber eines WLAN nach dem Telekommunikationsgesetz und dem Telemediengesetz haben, wenn wir sie einfach unter die Privilegierung für Provider stellen, und wie diese gehandelt werden sollen, wird in dem Antrag nicht klar. Wenn ein WLAN-Betreiber – wie im Vorschlag der Linken – mit einem Diensteanbieter gleichgestellt wird, stellt sich die Frage, ob er dann auch dessen Pflichten, die sich aus § 13 TMG ergeben, übernehmen muss. Und auch im Telekommunikationsgesetz finden sich zahlreiche Speicher- und Auskunftspflichten für Diensteanbieter, denen dann auch die privaten WLAN-Betreiber unterliegen könnten. Solche Kollateralschäden können nur auftreten, wenn Vorschläge nicht zu Ende gedacht werden, und das darf uns im Sinne der Verbraucher nicht passieren! Dies alles muss geklärt werden, um sicherzustellen, dass anonymes Surfen möglich ist, das den WLAN--Betreibern aber auch nicht zu viele Pflichten auferlegt. Und so kann das Ansinnen, Internet von allen für alle zur Verfügung zu stellen, ganz schnell nach hinten losgehen. Ich plädiere daher dafür, die vorliegenden Anträge abzulehnen. Stattdessen müssen wir eine breit angelegte Debatte führen und dürfen nicht nur die Verantwortung immer wieder auf andere schieben. Schnellschüsse bringen uns hier nicht weiter! Die Opposition tut gut daran, sich mit durchdachten Vorschlägen in die Debatte einzubringen, anstatt populistische Forderungen aufzustellen. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Die SPD hat einen Antrag vorgelegt, in dem sie die Bundesregierung dazu auffordert, die in § 8 des Telemediengesetzes geregelte Haftungsfreistellung für Zugangsanbieter auch auf WLAN-Betreiber auszuweiten. Damit wiederholt sie im Großen und Ganzen das, was der Bundesrat am 12. September 2012 bereits der Bundesregierung aufgegeben hat. Wir halten nichts davon, bereits erteilte Prüfaufträge zu wiederholen. Wir sind wieder einmal einen Schritt weiter und bringen einen Gesetzentwurf ein, der die bekannten Probleme nicht prüft, sondern löst. Was ist eigentlich das Problem? Das Problem ist die sogenannte Störerhaftung. Konkret bedeutet das: Wer sein WLAN nicht oder nur unzureichend schützt und damit für jede Person in der Nähe zugänglich macht, kann zur Verantwortung gezogen werden, wenn diese Person bei der Verwendung des Internetzugangs eine Straftat begeht. Wenn ich also meiner Nachbarin mein WLAN zur Verfügung stellen möchte, weil diese sich keinen -Internetzugang leisten kann, werde ich dafür zur Verantwortung gezogen, wenn sie sich illegal Musik oder Filme aus dem Netz herunterlädt. Die Absurdität dieser Regelung muss man sich einmal vor Augen führen. Das wäre so, als wenn ich ein Restaurant betreibe und nach einer Prügelei für die an den beteiligten Personen entstandenen Schäden zur Verantwortung gezogen werden würde. Trotz dieser offenkundigen Absurdität wurde diese Regelung von der Rechtsprechung bestätigt. Das hat weitreichende Folgen. So gehen Bibliotheken, Cafés, Kommunen oder private Personen ein großes Risiko ein, wenn sie ihre WLANs bereitstellen. Im Zweifel werden sie darauf verzichten, dieses Risiko einzugehen. Gerade für Kommunen, die die Idee öffentlicher Freifunknetze unterstützen, ist dies ein zentraler Hinderungsgrund. Die Vorteile offener WLANs liegen auf der Hand. -Gewerbetreibende hätten zum Beispiel die Möglichkeit, ihren Kunden einen weiteren Service anzubieten. Vor allem aus sozialen Gesichtspunkten sind offene WLANs sinnvoll. Menschen mit geringem Einkommen, die sich keinen Internetanschluss leisten können, hätten so die Möglichkeit, das Internet kostenlos zu nutzen. Nach dem (N)ONLINER-Atlas 2012 nutzen nur 54,2 Prozent der Bevölkerung mit einem Einkommen von weniger als 1 000 Euro pro Monat das Internet, bei der Bevölkerungsgruppe mit einem Einkommen bis 2 000 Euro sind es nur 66 Prozent. Das wirkt sich besonders auf die -Bildungschancen von Kindern aus; denn Kinder ohne Internetzugang sind von online und kostenfrei verfüg-barem Wissen abgeschnitten. Offene WLANs können also einen Beitrag dazu leisten, die zunehmende digitale Spaltung der Gesellschaft zu verringern. Auf Basis eines Gesetzentwurfes, den die Digitale -Gesellschaft e. V. allen Fraktionen zur Verfügung gestellt hat, schlagen wir als Lösung vor, die im § 8 des -Telemediengesetzes geregelte Haftungsfreistellung auch auf gewerbliche und nichtgewerbliche Betreiber von WLANs auszuweiten. § 8 des Telemediengesetzes regelt, dass Internetanbieter nicht für fremde Informationen, die sie im Internet übermitteln oder zu denen sie den -Zugang zur Nutzung vermitteln, verantwortlich sind. Die Anbieter können also nicht dafür zur Verantwortung gezogen werden, wenn eine Nutzerin oder ein Nutzer mit dem von ihnen zur Verfügung gestellten Internet-anschluss eine Straftat begeht. Offensichtlich sah also auch der Gesetzgeber ein Problem darin, jemanden für Straftaten verantwortlich zu machen, die sie oder er nicht begangen hat. Bisher ist § 8 des Telemediengesetzes aber besonders auf große kommerzielle Internetanbieter zugeschnitten. Es ist nicht nachvollziehbar, -warum die Haftungsfreistellung nur für diese gelten soll, nicht aber für lokale oder private, die ein WLAN nicht kommerziell oder nur als begleitenden Service anbieten. Aus diesem Grund bezieht unser Gesetzentwurf letztere ausdrücklich mit ein. Unser Gesetzentwurf tut dabei zwei Dinge. Zum einen stellt er klar, dass auch Betreiber von WLANs als Diensteanbieter im Sinne des § 8 des Telemediengesetzes gelten und damit die dort aufgeführten Regelungen ebenfalls für sie gelten. Dabei ist egal, ob sie den Zugang absichtlich oder aufgrund unzureichender Sicherungsmaßnahmen fahrlässig anbieten. Zum anderen geht der Gesetzentwurf das bereits ausgeführte Problem der Störerhaftung an, indem er die Haftungsfreistellung auch für Ansprüche auf Unterlassung ausweitet. Bisher ist nämlich unklar, ob die Haftungsfreistellung auch -Unterlassungsansprüche ausschließt. Das sind Fälle, in denen der Anbieter eines WLAN dafür zur Verantwortung gezogen werden kann, was ein Nutzer mit dem -Zugang zum WLAN anstellt. Um hier die dringend notwendige Rechtssicherheit zu schaffen, schlagen wir vor, Unterlassungsansprüche gegen Anbieter von WLANs ausdrücklich auszuschließen. Kurz und gut: Unser Gesetzentwurf würde die dringend benötigte Rechtssicherheit für Anbieter offener WLANs schaffen. Außerdem beseitigen wir das absurde Risiko, wegen Straftaten, die andere begehen, haftbar gemacht zu werden, auch für Anbieter offener WLANs. Damit würden die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, die einen umfassenden Aufbau eines offenen WLAN--Netzes ermöglichen. Wir täten deshalb gut daran, nicht unnötig Zeit mit irgendwelchen Prüfaufträgen zu verplempern, sondern die Rechtssicherheit endlich herzustellen, am besten auf Basis unseres Gesetzentwurfes. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In seinem „Sommer unseres Lebens“-Urteil aus dem Mai 2010 vertritt der Bundesgerichtshof die Meinung, dass der Betrieb eines offenen WLAN grundsätzlich eine Gefahrenquelle (für Rechtsverletzungen durch Dritte) darstellt, und legt demjenigen, der ein WLAN in Betrieb nimmt, gewisse Pflichten zu dessen Sicherung auf, um so Rechtsverstöße zu vermeiden. Unterbleiben die geforderten Sicherungsmaßnahmen, greift die sogenannte Störerhaftung. Und weil das für die Praxis und den -Alltag der Menschen viele Probleme aufwirft, diskutieren wir seit dem Urteil die Frage, inwieweit die Privilegierung für WLAN-Betreiber aus dem Telemediengesetz Anwendung finden muss. Kritiker des Urteils verweisen darauf, dass der BGH sich nicht mit dem einschlägigen Paragrafen des TMG, § 8, beschäftigt hat. Die Ausblendung der im TMG vorgesehenen Privilegierung sei vor allem deswegen nicht nachvollziehbar, da es sich im Zuge der Bereitstellung eines WLAN lediglich um eine Durchleitung, nicht aber die Speicherung von Informationen bzw. Daten Dritter handle. Somit könne der Betreiber eines WLAN durchaus als Access Provider angesehen werden, weshalb sich der BGH zwingend mit der Vorschrift des § 8 TMG hätte beschäftigen müssen. Durch dieses Versäumnis sei ein ursprünglich weder im TMG noch in der E-Commerce-Richtlinie der EU vorgesehenes Ungleichgewicht zwischen gewerblichen und privaten Anbietern im Vergleich zu kommerziellen Internetprovidern entstanden. Man kann diesen Kritikern und dieser Argumentation nur recht geben. Das „Sommer unseres Lebens“-Urteil hat zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit bei den Betreibern öffentlicher WLAN-Netzwerke geführt. Als direkte Folge des Richterspruchs schränkten zahlreiche private Anbieter und Gewerbetreibende ihre Angebote entweder stark ein oder stellten diese komplett ein. Um es Internetcafés, Hotels, aber zum Beispiel auch der Freifunkgemeinde zu erlauben, anderen Personen auch weiterhin Zugang zu WLAN-Netzwerken anzubieten, erscheint es dringend angeraten, die durch das Urteil hervorgerufene Rechtsunsicherheit zu beheben und die ursprünglich vorgesehene Gleichbehandlung von gewerblichen und privaten Anbietern mit kommerziellen Internetprovidern wieder herzustellen. Das hat offenbar auch die Justizministerkonferenz -erkannt, die die Bundesregierung bereits im Juni dieses Jahres aufforderte, hier für Rechtsklarheit zu sorgen. Auch der Bundesrat hat sich vor kurzem dafür ausgesprochen und die Bundesregierung aufgefordert, zu -prüfen, inwiefern die geltende Gesetzeslage präzisiert werden kann, um so das Potenzial vorhandener WLAN-Netze stärker gesellschaftlich nutzbar machen zu -können. So fordert der Bundesrat die Bundesregierung ausdrücklich auf, zu prüfen, inwieweit das Haftungsrisiko für WLAN-Betreiber beschränkt werden kann, zum Beispiel indem die Haftungsbeschränkung für Access Provider gemäß § 8 TMG auf andere WLAN-Betreiber erstreckt wird. Dies wäre ein richtiger Schritt und ist ausdrücklich zu begrüßen. Gleichzeitig wird die Bundesregierung in dieser -Initiative „zwecks Erhöhung der Rechtssicherheit und unter Einbeziehung von Zumutbarkeitskriterien“ aufgefordert, „Schutzmaßnahmen, die die Betreiber von WLAN-Netzen zur Vermeidung ihrer Verantwortlichkeit für unbefugte Nutzung durch Dritte“ zu ergreifen haben, so „zu konkretisieren, dass Betreiber bei Erfüllung -dieser Anforderungen ihre WLANs ohne Haftungs- und Abmahnungsrisiken betreiben können“. Was genau -unter „technischen Maßnahmen“ oder „Zumutbarkeitskriterien“ zu verstehen ist, bleibt indes leider unklar. Sosehr wir die Intention der Initiative einer Erhöhung der Rechtssicherheit für Anbieter von WLAN-Netzwerken begrüßen, so fraglich ist, ob den Verfassern die möglichen Auswirkungen ihrer Formulierungen bei einer – ob nun bewusst oder unbewusst – falschen Auslegung im Klaren sind. Hierdurch, aber auch durch die vage -Formulierung von Prüfbitten in Richtung der Bundesregierung erscheint zumindest fraglich, ob die Initiative trotz ihrer richtigen Intention letztendlich ihr eigentliches Ziel, einen Beitrag zur Verminderung der Rechtsunsicherheit für private und gewerbliche Betreiber von WLAN-Netzen und einen verbesserten Zugang für Dritte zu leisten, tatsächlich zu ermöglichen imstande ist. Auch halten wir eine weitere Aufforderung in Richtung Bundesregierung nur für bedingt geeignet, das angestrebte Ziel auch tatsächlich zu verwirklichen; denn „aufgefordert“ wird die Bundesregierung schon lange, was sie nicht davon abgehalten hat, diese Aufforderung schlichtweg nicht umzusetzen. Der Meinung, dass es nicht schaden kann, sich in die Schlange derjenigen einzureihen, die die Bundesregierung auffordern, einen Vorschlag zur gesetzlichen Klarstellung vorzulegen und so für Rechtsklarheit zu sorgen, ist offenbar nun auch die SPD, die heute noch einmal einen entsprechenden Antrag vorgelegt hat. Wie gesagt, wir hätten uns gewünscht, dieses für einen besseren Zugang zum wichtigsten Kommunikationsraum unserer Zeit so wichtige Thema im Rahmen einer tatsächlichen Debatte auf einem attraktiven Tagesordnungsplatz zu führen. Darüber hinaus hätten wir es als zielführender erachtet, hier heute über einen ganz konkreten Vorschlag zu debattieren. Andererseits können wir das Ansinnen der SPD und ihren Versuch, die Bundesregierung mit ihrem heutigen Antrag doch noch zum Handeln zu bewegen, durchaus nachvollziehen: So hat zwar die Bundesjustizministerin im September dieses Jahres, also noch vor dem Beschluss des Bundesrats, im Rahmen des „Zukunftsforums Urheberrecht“ in Berlin angekündigt, tatsächlich das Ansinnen der Justizministerinnen und Justizminister aufzugreifen und prüfen zu wollen, welche Möglichkeiten bestehen, ein eventuell bestehendes Ungleichgewicht bei der Störerhaftung für WLAN-Betreiber auszugleichen. Geschehen ist bislang jedoch nichts. Während die schwarz-gelbe Bundesregierung ansonsten gerne einmal Referentenentwürfe vorlegt, um anschließend zuzuschauen, wie diese im monatelangen Klein-Klein zwischen den Ministerien Stück für Stück zerrieben werden, wagt man im Bereich der Störerhaftung bei WLANs scheinbar noch nicht einmal die Vorlage eines solchen ersten Entwurfs. Vor diesem Hintergrund und aufgrund des bisherigen Totalausfalls der Bundesregierung im Bereich des Urheberrechts sowie wegen der Erfahrungen bezüglich des bescheidenen Versuchs der Bundesjustizministerin, das Abmahnunwesen in Deutschland endlich einzudämmen, ist auch vor dem Hintergrund ganz erheblicher konservativer Beharrkräfte in dem Bereich insgesamt heute bereits mehr als fraglich, ob eine solche Initiative tatsächlich in dieser Legislatur noch kommt. Es steht zu befürchten, dass hier das nächste netzpolitische Projekt floppt. Statt nun nur eine weitere Aufforderung in Richtung Bundesregierung vorzulegen und sich hierbei auf die bisherigen Aufforderungen mit den beschriebenen Schwächen zu beziehen, scheint es angeraten, lieber gleich einen konkreten Gesetzesvorschlag vorzulegen, der eine solche rechtliche Klarstellung direkt vornimmt. Dies hat die Fraktion der Linken heute getan, indem sie eine entsprechende Initiative der Digitalen Gesellschaft e. V. vom Juni dieses Jahres aufgegriffen hat. Diese Initiative aus der Mitte der Zivilgesellschaft begrüßen wir ausdrücklich und finden – das sagen wir hier in aller Deutlichkeit – auch nichts Verwerfliches daran, wenn eine Fraktion des Deutschen Bundestages sich dafür entscheidet, eine solche gute Initiative zu übernehmen und heute hier einzubringen – im Gegenteil. Vielmehr begrüßen wir es, dass die Regierungsfrak-tionen durch die Vorlage eines konkreten Vorschlags dazu gebracht werden, sich mit diesem für unsere moderne Wissens- und Informationsgesellschaft so wichtigen Thema endlich auseinanderzusetzen. Die Hoffnung, dass auch die Bundesregierung die anschließenden Beratungen zum Anlass nimmt, tatsächlich noch in dieser Legislatur einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten, geben wir indes nicht auf. Dennoch behalten wir es uns vor, ebenfalls noch einen eigenen gesetzgeberischen Vorschlag einzubringen. Dieser soll eine haftungsrechtliche Gleichstellung von Bürgerinnen und Bürgern und Gewerbetreibenden, die einen Internet-Zugang via WLAN anbieten, mit kommerziellen Internetprovidern zum Gegenstand haben und das Ziel verfolgen, es privaten Nutzern, aber auch Betreibern von Cafés und Geschäften sowie Freifunkern zu ermöglichen, ihre Netze anderen Personen zur Verfügung zu stellen, ohne dabei Haftungsrisiken in Kauf nehmen zu müssen. Dieser Schritt ist überfällig und eine wichtige Voraussetzung für unseren Weg ins digitale Informationszeitalter. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11145 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann haben wir das so beschlossen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 17/11137 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Auch hier ist die Federführung wieder umstritten. Wie dramatisch! Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Rechtsausschuss. Ich lasse zuerst über den Linken-Antrag – Federführung beim Rechtsausschuss – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Vorschlag ist gegen die Stimmen der Linken von den übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der CDU/CSU und FDP – Federführung beim Wirtschaftsausschuss – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Der Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen der Linken von den übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Wir sind damit  am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 26. Oktober 2012, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen eine ruhige Nacht. (Schluss: 23.45 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 25.10.2012 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 25.10.2012 Becker, Dirk SPD 25.10.2012 Burgbacher, Ernst FDP 25.10.2012 Dörflinger, Thomas CDU/CSU 25.10.2012 Funk, Alexander CDU/CSU 25.10.2012 Gabriel, Sigmar SPD 25.10.2012 Griese, Kerstin SPD 25.10.2012 Gruß, Miriam FDP 25.10.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 25.10.2012 Dr. Hendricks, Barbara SPD 25.10.2012 Höger, Inge DIE LINKE 25.10.2012 Jarzombek, Thomas CDU/CSU 25.10.2012 von Klaeden, Eckart CDU/CSU 25.10.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 25.10.2012 Kumpf, Ute SPD 25.10.2012 von der Marwitz, Hans-Georg CDU/CSU 25.10.2012 Menzner, Dorothée DIE LINKE 25.10.2012 Nink, Manfred SPD 25.10.2012 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 25.10.2012 Remmers, Ingrid DIE LINKE 25.10.2012 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 25.10.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 25.10.2012 Schreiner, Ottmar SPD 25.10.2012 Dr. Schröder, Ole CDU/CSU 25.10.2012 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 25.10.2012* Süßmair, Alexander DIE LINKE 25.10.2012 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 25.10.2012 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 25.10.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 25.10.2012 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 25.10.2012 Ziegler, Dagmar SPD 25.10.2012 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 25.10.2012 * für die Teilnahme an der 127. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes teilgenommen haben CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Volker Kauder Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Krista Sager Manuel Sarrazin Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Arfst Wagner (Schleswig) Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung (Tagesordnungspunkt 3 a) Rita Pawelski (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zum Thema „Geringfügige Beschäftigung“ werde ich heute zustimmen. Ich gebe allerdings zu Protokoll, dass ich aus gleichstellungspolitischen Gründen das Instrument der Minijobs kritisch sehe. Die Anhebung der Grenze auf 450 Euro geht in meinen Augen in die falsche Richtung. Positiv ist dagegen die Einführung des Opt-in-Verfahrens zu beurteilen. Ich werde mich für eine grundlegende Reform der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse einsetzen. Nadine Schön (St.Wendel) (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zum Thema „Geringfügige Beschäftigung“ werde ich heute zustimmen. Ich gebe allerdings zu Protokoll, dass ich als Berichterstatterin für Gleichstellungspolitik aus gleichstellungspolitischen Gründen das Instrument der Minijobs kritisch sehe. Die Anhebung der Grenze auf 450 Euro geht somit in meinen Augen in die falsche Richtung. Positiv ist dagegen die Einführung des Opt-in-Verfahrens zu beurteilen. Darüber hinaus werde ich mich für eine grundlegende Reform der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse einsetzen. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zum Thema „Geringfügige Beschäftigung“ werde ich heute zustimmen. Ich gebe allerdings zu Protokoll, dass ich aus gleichstellungspolitischen Gründen das Instrument der Minijobs kritisch sehe. Das wesentliche Problem sehe ich vor allem in der starren Grenze, deren Überschreitung zunächst zu spürbaren finanziellen Nachteilen führt und die deshalb eine stark begrenzende Wirkung hat. Deshalb werde ich mich für eine grundlegende Reform der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse einsetzen. Die Erhöhung um 50 Euro sehe ich demgegenüber als wenig gravierend. Sie ermöglicht eine Lohnerhöhung für diejenigen Arbeitnehmer, denen dies in den letzten Jahren mit Hinweis auf diese Grenze verweigert worden ist. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Jan-Marco Luczak und Stefanie Vogelsang (beide CDU/CSU) zur -namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der die steuerliche Gleichstellung von Eingetragenen Lebenspartnerschaften insbesondere beim Ehegattensplitting erreichen will, unterstützen wir in der Sache ganz ausdrücklich und mit allem Nachdruck. Menschen in Eingetragenen Lebenspartnerschaften übernehmen dauerhaft und in gegenseitigem Vertrauen und Zuneigung Verantwortung füreinander. In diesen Beziehungen werden insofern Werte gelebt, die tragend für unser Gemeinwesen sind und die daher unsere Unterstützung verdienen. Das Institut der Lebenspartnerschaft verbindet diese Paare in gleicher Weise wie Eheleute in wechselseitigen Fürsorge- und Einstandspflichten. Wir sind der Auffassung, dass aus gleichen Pflichten auch gleiche Rechte folgen müssen. Wir sind sicher, dass auch das Bundesverfassungsgericht dies so sehen und den derzeitigen Ausschluss Eingetragener Lebenspartnerschaften vom Splittingverfahren als verfassungswidrig verwerfen wird. Wir glauben, dass der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber seinen Auftrag zu politischer Gestaltung ernst- und wahrnehmen und daher nicht die zu erwartende Entscheidung des Gerichts abwarten sollte. Gleichwohl können wir dem Antrag im Ergebnis nicht zustimmen. Nach unserer Überzeugung ist nicht der Abbau von Ungleichbehandlungen das eigentliche Ziel und der tatsächliche Anlass des Antrages. Die Antragsteller haben durch die Art und Weise der Einbringung sowie insbesondere durch die Verknüpfung des Sachantrags mit -einer namentlichen Abstimmung vielmehr zu erkennen gegeben, dass es ihnen in Wahrheit um mediale Effekthascherei und parteipolitische Vorteile anstatt um die Sache geht. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will ganz offensichtlich Druck auf diejenigen in unserer Fraktion ausüben, die sich öffentlich für eine steuerliche Gleichstellung ausgesprochen haben. Sie unternimmt wie auch an vielen anderen Stellen den Versuch, die christlich--liberale Koalition als nicht geschlossen, gar als nicht handlungsfähig darzustellen. Für dieses vor allem parteipolitisch motivierte, nicht aber dialog- und daher lösungsorientierte Manöver möchten wir uns als Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion nicht instrumentalisieren lassen. Mit vielen anderen Fraktionskollegen werden wir uns stattdessen weiter -aktiv dafür einsetzen, aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion konkrete Schritte zu entwickeln und in den parlamentarischen Abstimmungsprozess einzubringen, um die verbliebenen Ungleichbehandlungen eingetragener Lebenspartnerschaften aufzulösen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Dr. Max Stadler (beide FDP) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung; Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Wer gleiche Pflichten hat, verdient auch gleiche Rechte. Eingetragene Lebenspartner haben wechselseitig die gleichen Unterhaltspflichten wie Ehegatten. Deshalb sind Lebenspartnerschaften auch im Steuerrecht mit der Ehe gleichzustellen. Das ist nicht nur meine persönliche Auffassung, sondern auch die klare politische Haltung der FDP-Bundestagsfraktion. Es gibt gute Gründe, zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht seine bisherige Argumentation zur Ungleichbehandlung kinderloser Lebenspartner und kinderloser Ehepartner auch auf die Einkommensteuer übertragen wird. Es ist fragwürdig, wenn kinderlose Ehegatten steuerlich bessergestellt werden als eingetragene Lebenspartner mit Kindern. Vor diesem Hintergrund sollte die Politik gestalten und nicht erst die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abwarten. Wir fordern daher die CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf, ihre Blockade gegen die Umsetzung dieses Punktes des Koalitionsvertrages aufzugeben. Da es in der Koalition keine wechselnden Mehrheiten geben soll, können wir dem Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen am heutigen Tage nicht zustimmen. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Canel, Michael Kauch, Dr. h. c Jürgen Koppelin, Sebastian Körber, Oliver Luksic, Patrick Meinhardt, Jan Mücke und Marina Schuster (alle FDP) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung; Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Wer gleiche Pflichten hat, verdient auch gleiche Rechte. Eingetragene Lebenspartner haben wechselseitig die gleichen Unterhaltspflichten wie Ehegatten. Deshalb sind Lebenspartnerschaften auch im Steuerrecht mit der Ehe gleichzustellen. Das ist nicht nur unsere persönliche Auffassung, sondern auch die klare politische Haltung der FDP-Bundestagsfraktion. Die Gleichstellung ist aus unserer Sicht auch verfassungsrechtlich geboten. Aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Beamtenrecht, zur Grund-erwerbsteuer und zur Erbschaftsteuer kann man in jedem Fall ableiten, dass die Gleichstellung der Lebenspartner mit Ehegatten auch im Einkommensteuerrecht zulässig ist. Unseres Erachtens sprechen die Entscheidungen auch dafür, dass diese Gleichstellung notwendig ist. Beispielhaft sei auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur erbschaftsteuerlichen Behandlung von Lebenspartnern vom 21. Juli 2010 verwiesen. Hier heißt es, dass der Gesetzgeber zwar die Ehe steuerlich fördern könne, dabei gelte es aber Folgendes zu beachten: Geht jedoch die Förderung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, rechtfertigt die bloße Verweisung auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung nicht. Es gibt keinen Grund, zu erwarten, dass diese Argumentation hinsichtlich der Ungleichbehandlung kinderloser Lebenspartner und kinderloser Ehepartner vom Bundesverfassungsgericht nicht auch auf die Einkommensteuer übertragen werden wird. Es ist in besonderem Maße fragwürdig, wenn kinderlose Ehegatten steuerlich bessergestellt werden als eingetragene Lebenspartner mit Kindern. Vor diesem Hintergrund sollte die Politik gestalten und nicht warten, bis sie zum ausführenden Organ des Bundesverfassungsgerichts wird. Es handelt sich hier um eine gravierende Verletzung des Gleichheitsgebots des Grundgesetzes. Die steuerliche Gleichstellung der Lebenspartner ist aus unserer Sicht zudem im Koalitionsvertrag vereinbart. Daher haben wir uns entschieden, dem Änderungsantrag zuzustimmen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Aschenberg-Dugnus, Claudia Bögel, Marco Buschmann, Helga Daub, Patrick Döring, Jörg van Essen, Heiner Kamp, Dr. Erwin Lotter, Gabriele Molitor, Petra Müller (Aachen), Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Gisela Piltz, Werner Simmling, Joachim Spatz und Johannes Vogel (Lüdenscheid) (alle FDP) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung; Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Wer gleiche Pflichten hat, verdient auch gleiche Rechte. Eingetragene Lebenspartner haben wechselseitig die gleichen Unterhaltspflichten wie Ehegatten. Deshalb sind Lebenspartnerschaften auch im Steuerrecht mit der Ehe gleichzustellen. Das ist nicht nur unsere persönliche Auffassung, sondern auch die klare politische Haltung der FDP-Bundestagsfraktion. Die Gleichstellung ist aus unserer Sicht auch verfassungsrechtlich geboten. Beispielhaft sei auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur erbschaftsteuerlichen Behandlung von Lebenspartnern vom 21. Juli 2010 verwiesen. Hier heißt es, dass der Gesetzgeber zwar die Ehe steuerlich fördern könne, dabei gelte es aber Folgendes zu beachten: Geht jedoch die Förderung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, rechtfertigt die bloße Verweisung auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung nicht. Es gibt keinen Grund, zu erwarten, dass diese Argumentation hinsichtlich der Ungleichbehandlung kinderloser Lebenspartner und kinderloser Ehepartner vom Bundesverfassungsgericht nicht auch auf die Einkommensteuer übertragen werden wird. Es ist in besonderem Maße fragwürdig, wenn kinderlose Ehegatten steuerlich bessergestellt werden als eingetragene Lebenspartner mit Kindern. Vor diesem Hintergrund sollte die Politik gestalten und nicht warten, bis sie zum ausführenden Organ des Bundesverfassungsgerichts wird. Wir fordern daher die CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf, ihre Blockade gegen die Umsetzung dieses Punktes des Koalitionsvertrags aufzugeben. Da wir uns aber vertragstreu an den Koalitionsvertrag gebunden sehen, der wechselnde Mehrheiten ausschließt, können wir dem Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen am heutigen Tage nicht zustimmen. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Frank Heinrich, Anette Hübinger, Dr. Stefan Kaufmann, Nadine Schön (St. Wendel), Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden), Jens Spahn, Antje Tillmann, Kai Wegner, Marcus Weinberg (Hamburg), Sabine Weiss (Wesel I) und Dr. Matthias Zimmer (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung; Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen können wir in der -vorliegenden Form nicht zustimmen. Denn die eigentliche Absicht, die die Antragsteller mit dem Antrag zu TOP 15 und der geforderten namentlichen Abstimmung verfolgen, ist offensichtlich. Nicht der Abbau von Ungleichbehandlungen ist letztendlich tatsächlicher Anlass des Antrages, vielmehr geht es den Antragstellern um den kurzfristigen politischen und medialen Erfolg zulasten einer Lösung in der Sache. Das ist nicht unsere Art, Politik zu gestalten. Da es uns bei diesem wichtigen Thema ausschließlich um die Interessen der von der Regelung betroffenen Personen geht, werde wir uns diesem parteitaktisch motivierten Manöver nicht aussetzen und weiterhin die inhaltliche Lösung dieses Sachverhaltes vorantreiben. Dass bei der steuerlichen Gleichstellung von Eingetragenen Lebenspartnerschaften Handlungsbedarf besteht, ist nach unserem Dafürhalten offenkundig. Die Tatsache, dass in Eingetragenen Lebenspartnerschaften auf Dauer angelegte und auf gegenseitiges Vertrauen und Zuneigung begründete Beziehungen gelebt werden, verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Im Bereich des Unterhalts- oder Scheidungsrechts etwa wurden den -Lebenspartnern die gleichen finanziellen und rechtlichen Pflichten wie Ehepartnern auferlegt, ohne ihnen -allerdings auch die gleichen Rechte zu gewähren. Die Herstellung einer solchen Gleichberechtigung, insbesondere durch die Änderung entsprechender steuerrechtlicher Vorschriften, ist uns daher ein großes Anliegen. Die bisher von der christlich-liberalen Koalition beschlossenen Änderungen im Erbschaft-, Schenkung- und Grunderwerbsteuerrecht sind Beleg für den Willen und die -Bereitschaft dieser Koalition, Ungleichbehandlungen Eingetragener Lebenspartnerschaften abzubauen. Der in Rede stehende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hingegen setzt auf pure Effekthascherei; diese Art der politischen Auseinandersetzung lehnen wir ab. Wir werden uns deshalb auch künftig bei den internen Beratungen der CDU/CSU-Fraktion dafür einsetzen, dieses wichtige Thema aus Reihen der Koalition aktiv in den parlamentarischen Abstimmungsprozess einzubringen. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung; Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Christian Hirte (CDU/CSU): Dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur steuerlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften stimme ich nicht zu. Vor einer Diskussion über die steuerliche Behandlung von Ehe und Partnerschaft muss die Frage stehen, ob die Ehe etwas Besonderes ist? Für mich lautet die Antwort dabei eindeutig Ja. Im Grundgesetz ist der besondere Schutz von Ehe und Familie ausdrücklich festgeschrieben. Nicht irgendwo, sondern unumstößlich in Art. 6. Das Grundgesetz ist aus meiner Sicht kein modischer Zettelkatalog, den man ständig mit neuen Wünschen und Ideen aufladen sollte. Schon gar nicht ist es ein Füllhorn für die Begehrlichkeiten des Zeitgeschmacks. Deshalb halte ich es für richtig, die dort beschriebenen Maßgaben und ihre zugrunde liegenden ethischen Vorstellungen und moralischen Kontexte dauerhaft ernst zu nehmen. Auch nach der ständigen und gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, BVG, ist Ehe nur die „auf Dauer angelegte [...] grundsätzlich unauflösliche Lebensgemeinschaft von Mann und Frau“. An dieser Auffassung wird sich nichts ändern. Gerichtsurteile aus den Bereichen des Erbschaftsteuer-rechts, des Beamtenrechts oder auch zur Grunderwerbsteuer weisen jedoch darauf hin, dass künftig durch das Bundesverfassungsgericht eine Gleichbehandlung im Einkommensteuerrecht für gleichgeschlechtliche Partnerschaften eingefordert wird. Die Aufgabe Karlsruhes ist es aber nicht, Reparaturbetrieb für die Politik zu sein. Deshalb sollte die Politik proaktiv handeln – lieber früher als später. Dabei sollte man sich von der Intention der Verfassungsväter und -mütter leiten lassen. Danach war und ist die Kernidee der ehelichen Förderung, das Umfeld von Familien und Kindern zu fördern. Wichtiger als die Lebensweise von Erwachsenen ist dabei die Förderung von Kindern. Man muss also ein Modell finden, dass in verfassungsrechtlich zulässiger Weise künftig Ehen mit Kindern steuerlich besserstellt als Kinderlose – egal ob in Ehe, nichtehelicher oder homosexueller Partnerschaft. Bei allen Anpassungen und Änderungen muss es deshalb darum gehen, den besonderen Schutz der Ehe und die Förderung von Kindern mit neuen Erfordernissen für andere Partnerschaften zusammenbringen. Neue Regelungen müssen dem Kerngedanken des Grundgesetzes treu bleiben. Nicht überall, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, müssen auch steuerliche Schlüsse gezogen werden. Auch in Partnerschaften ohne Trauschein wird Verantwortung übernommen, auch in freundschaftlichen Wohngemeinschaften kann dies der Fall sein. Zugespitzt ausgedrückt – auch beim Bergsteigen übernehmen Menschen Verantwortung füreinander, sogar auf Leben und Tod. Ohne steuerliche Förderung. Ich halte es für falsch, einfach im Jahressteuergesetz eine Gleichstellung von Ehe und Eingetragenen Partnerschaften zu vollziehen. Stattdessen müssen wir uns Gedanken über die grundlegende Ausrichtung der steuer-lichen Förderung von Ehe und Familie machen. Deshalb halte ich es für den richtigen Weg, das Ehegattensplitting zu einem Familiensplitting weiterzuentwickeln. Dabei müssten wohl und sollten künftig Ehe und Partnerschaften von einem dann geringeren Splittingvorteil profitieren können. Darüber hinaus sollten aber die Kinder ins Splitting einbezogen werden. Vernünftigerweise müsste gleichzeitig der Freibetrag für Kinder erhöht werden. Hiervon würden vor allem auch die unverheirateten Eltern und ihre Kinder profitieren. Es würde das passieren, was Politik in jeder Sonntagsrede verlangt: Familien mit Kindern würden deutlich gestärkt. Ein solches Modell ist der kompliziertere Weg, es erfordert größere Weichenstellungen und würde die klassische Ehe mit Kindern besonders privilegieren. Mit jedem Kind würde diese Besserstellung noch deutlicher. Dies entspricht dem Ansinnen des Grundgesetzes und würde es in eine neue Form gießen. Um bei einem Steuerthema in der Finanzsprache zu enden: Kinder sind die beste Rendite für unsere Gesellschaft. Dr. Birgit Reinemund (FDP): Wer gleiche Pflichten hat, verdient auch gleiche Rechte. Eingetragene -Lebenspartner haben wechselseitig die gleichen Unterhaltspflichten wie Ehegatten. Deshalb sind Lebenspartnerschaften auch im Steuerrecht mit der Ehe gleich-zustellen. Das ist nicht nur unsere persönliche Auffassung, sondern auch die klare politische Haltung der FDP-Bundestagsfraktion. Die Gleichstellung ist aus unserer Sicht auch verfassungsrechtlich geboten. Beispielhaft sei auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur erbschaftsteuerlichen Behandlung von Lebenspartnern vom 21. Juli 2010 verwiesen. Hier heißt es, dass der Gesetzgeber zwar die Ehe steuerlich fördern könne, dabei gelte es aber, Folgendes zu beachten: Geht jedoch die Förderung der Ehe mit einer -Benachteiligung anderer Lebensformen einher, -obgleich diese nach dem geregelten Lebenssach-verhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, rechtfertigt die bloße Verweisung auf das Schutzgebot der Ehe eine -solche Differenzierung nicht. Es gibt keinen Grund, zu erwarten, dass diese Argumentation hinsichtlich der Ungleichbehandlung kinderloser Lebenspartner und kinderloser Ehepartner vom Bundesverfassungsgericht nicht auch auf die Einkommensteuer übertragen werden wird. Es ist in besonderem Maße fragwürdig, wenn kinderlose Ehegatten steuerlich bessergestellt werden als eingetragene Lebenspartner mit Kindern. Vor diesem Hintergrund sollte die Politik gestalten und nicht warten, bis sie zum ausführenden Organ des Bundesverfassungsgerichtes wird. Ich fordere daher die CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf, ihre Blockade gegen die Umsetzung des Punktes des Koalitionsvertrages aufzugeben. Ich akzeptiere, dass sich die Fraktion vertragstreu an den Koalitionsvertrag gebunden fühlt, der wechselnde Mehrheiten ausschließt. Daher werde ich mich persönlich bei dem Änderungsantrag von Bündnis 90/die Grünen am heutigen Tage enthalten. Dr. Daniel Volk (FDP): Wer gleiche Pflichten hat, verdient auch gleiche Rechte. Eingetragene Lebenspartner haben wechselseitig die gleichen Unterhaltspflichten wie Ehegatten. Deshalb sind Lebenspartnerschaften auch im Steuerrecht mit der Ehe gleichzustellen. Das ist nicht nur unsere persönliche Auffassung, sondern auch die klare politische Haltung der FDP-Bundestagsfraktion. Die Gleichstellung ist aus unserer Sicht auch verfassungsrechtlich geboten. Beispielhaft sei auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur erbschaftsteuerlichen Behandlung von Lebenspartnern vom 21. Juli 2010 verwiesen. Hier heißt es, dass der Gesetzgeber zwar die Ehe steuerlich fördern könne, dabei gelte es aber Folgendes zu beachten: Geht jedoch die Förderung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, rechtfertigt die bloße Verweisung auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung nicht. Es gibt keinen Grund, zu erwarten, dass diese Argumentation hinsichtlich der Ungleichbehandlung kinderloser Lebenspartner und kinderloser Ehepartner vom Bundesverfassungsgericht nicht auch auf die Einkommensteuer übertragen werden wird. Es ist in besonderem Maße fragwürdig, wenn kinderlose Ehegatten steuerlich bessergestellt werden als eingetragene Lebenspartner mit Kindern. Wir haben im Koalitionsvertrag aber auch vereinbart: „gleichheitswidrige Benachteiligungen im Steuerrecht abbauen und insbesondere die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung von Lebens-partnern mit Ehegatten umsetzen“. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in diesem Punkt steht noch aus. Da ich mich vertragstreu an den Koalitionsvertrag gebunden sehe, der wechselnde Mehrheiten ausschließt, kann ich dem Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen am heutigen Tage nicht zustimmen. Wir drängen aber weiter die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dazu, ihre Blockade gegen die Umsetzung dieses Punktes des Koalitionsvertrages aufzugeben. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Hans-Joachim Hacker, Gabriele Hiller-Ohm und Heinz Paula (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (Tagesordnungspunkt 15 a) Die Bundesregierung hat mit der Sonderregelung zur Absenkung des Umsatzsteuersatzes für Beherbergungsleistungen in der Hotellerie in dieser Legislaturperiode einen weiteren steuerrechtlichen Ausnahmetatbestand geschaffen. Dieses widerspricht dem erklärten Ziel der Koalition, eine Harmonisierung der Umsatzsteuertatbestände herbeizuführen. Parallel zu dem weiteren Sondertatbestand hat die Bundesregierung dagegen den bislang geltenden abgesenkten Umsatzsteuersatz für die Personenbeförderung mit Schiffen auf den allgemeinen Umsatzsteuersatz angehoben, obwohl sie für diese Branche eine generelle Lösung im Rahmen der Umsatzsteuerreform in Aussicht gestellt hatte. Trotz mehrfacher Ankündigung hat die Bundesregierung bislang nicht die Kommission zur Überprüfung und Harmonisierung der Umsatzsteuer eingesetzt. Die Bundesregierung ist verantwortlich für das Fortbestehen überholter Sonderregelungen und die damit verbundene Ungleichbehandlung von Unternehmen im Umsatzsteuerbereich. Die von der Bundesregierung vorgetragene Begründung für die Absenkung des Umsatzsteuersatzes für Beherbergungsleistungen, die sich auf den Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen deutscher Hotels bezieht, ist generell nicht stichhaltig. Es ist unlogisch zu behaupten, Hotels in Berlin hätten hinsichtlich der Umsatzsteuerbelastung Wettbewerbsnachteile gegenüber Hotels in anderen europäischen Hauptstädten oder weltweit tragen müssen. Die Auswahl von Reisen in deutsche Urlaubsdestinationen in Abhängigkeit von der Umsatzsteuer ist, wenn überhaupt, nur marginal in wenigen Grenzbereichen theoretisch von Bedeutung. Mit unserer Zustimmung zum Änderungsantrag unterstreichen wir erneut unsere Position als Tourismus-politiker, dass in Deutschland eine durchgreifende und umfassendere Form der Umsatzsteuer erfolgen muss, bei der nicht mehr zeitgemäße Privilegierungen und unbegründete Ungleichbehandlungen aufgehoben werden, jedoch Entlastungen für arbeitsintensive Bereiche im Gesamtkonzept zu prüfen sind. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Hochschulzugang bundesgesetzlich regeln – Recht auf freien Zugang zum Master sichern (Tagesordnungspunkt 14) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Wir haben uns mit einem ähnlichen Antrag bereits am 14. April 2011 in diesem Hohen Hause beschäftigt. Themenfelder sind das Bundeszulassungsgesetz, die Masterstudienplätze, die Kooperation zwischen Bund und Ländern. Der Linken-Antrag hat sich weiterentwickelt: erstens kein feudales Vokabular mehr, zweitens die Erkenntnis, dass auch die Länder Verantwortung tragen und drittens ein Ja zum Kapazitätsrecht im deutschen Hochschulrecht. Das ist ein Fortschritt! Dennoch lehnen wir den Antrag durchweg ab, bzw. Sie richten diesen an den falschen Adressaten. Zum Kooperationsgebot in Ihrem Antrag. Sie kennen die Debatten: Die Koalition hat gehandelt, die Grundgesetzänderung liegt auf dem Tisch – aber die SPD blockiert. Sie fordern hier eine weitere Säule im Hochschulpakt. Ich darf Sie erinnern – wie Ihr Antrag zeigt, erkennen Sie das auch im Ansatz –: Die primäre Zuständigkeit liegt bei den Ländern. Sie wissen, dass der Bund seit vielen Jahren in milliardenschwerem Umfang zur Ausfinanzierung von Studienplätzen in Deutschland beiträgt, obwohl dies nach der Verfassung gar nicht seine Aufgabe ist. In der ersten Programmphase des Hochschulpakts, 2007 bis 2010, haben wir 185 024 zusätzliche Studienplätze an deutschen Hochschulen mitfinanziert und rund 3,2 Milliarden Euro bereitgestellt. In der zweiten Programmphase, 2011 bis 2015, werden weitere 275 000 Studienplätze ausfinanziert. Als Reaktion auf die Aussetzung der Wehrpflicht kamen nochmals 59 500 Studienplätze hinzu. Insgesamt investiert der Bund in den Jahren 2011 bis 2015 rund 5 Milliarden Euro in den Ausbau der Studienmöglichkeiten – die Programmpauschalen nicht eingerechnet. Auch dank dieser Maßnahmen konnte 2011 ein Einschreiberekord an deutschen Hochschulen erzielt werden. Gab es 2005 noch rund 356 000 Studienanfänger, waren es 2011 bereits 516 000. Die Studierendenquote in Deutschland liegt mittlerweile bei rund 46 Prozent. Angesichts dieser Fakten ist die in Ihrem Antrag formulierte Befürchtung, ein Studium könne ein „Privileg für wenige“ werden, billige Panikmache und schlichtweg nicht mit der Realität vereinbar. Sie stellen selbst fest, dass wir eine steigende Studierneigung und einen wachsenden Anteil von Menschen mit Studienberechtigung in unserer Bildungsrepublik Deutschland haben. Ich bin ja froh, dass Sie erkennen, dass gerade die Frage der Studienanfängerzahlen eine Frage der KMK ist, also eine Länderfrage, und mit dem Bund sehr wenig zu tun hat. Ich bin froh, dass Sie sich mit dem Bekenntnis zum Kapazitätsrecht – die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts –, über welches wir uns am 14. April 2011 hier ausgetauscht haben, zum Grundsatz der Chancengleichheit bekennen. Und genau aus diesem Grunde kann Ihre erneute Forderung „Master für alle“ nur ins Leere gehen. Für die Studierenden, die die Fähigkeit haben, einen Masterabschluss nach ihrem ersten berufsqualifizierten Abschluss, nämlich dem Bachelor, zu absolvieren, haben wir ausreichende Qualifizierungsplätze. Unterscheiden Sie zukünftig zwischen konsekutiven und nichtkonsekutiven Masterstudiengängen. Selbstverständlich sind bei beiden Zulassungs- und Zugangsbeschränkungen notwendig. Leistungsprinzip und Hochschulautonomie sind Direktiven unserer Politik. Die Hochschulen werden bei der Verteilung von Masterplätzen an ihrer Hochschule auch in Zukunft auf unterschiedliche Fächerkulturen Rücksicht nehmen. Ist beispielsweise in Physik oder Chemie ein Master der Regelabschluss, sollen hier auch mehr Masterplätze bereitstehen als in anderen Studiengängen. Bedauerlich finde ich Ihr Vokabular, mit dem Sie soziale Selektivität sowie eine Verschärfung der sozialen Ausgrenzung behaupten. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Die Zahl der Studienanfänger insgesamt hat sich in den letzten Jahren faktisch verdoppelt, die Zahl der Studienanfänger aus sogenannten bildungsfernen Schichten hat sich im gleichen Zeitraum jedoch verdreifacht. Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Wir haben viele großartige Hochschulen in unserem Land. Aber unsere Hochschulen sind heute immer größeren Herausforderungen ausgesetzt: Umsetzung der Bologna-Reform, mehr Studenten und immer mehr Studienanfänger. Gleichzeitig müssen unsere Hochschulen dem internationalen Wettbewerb standhalten. Sie müssen sich in der Lehre und in der Forschung weiter und breiter profilieren. Und dabei unterstützen wir sie selbstverständlich. Mit dem Hochschulpakt 2020 haben Bund und Länder ein starkes und wichtiges Instrument geschaffen, das unseren Hochschulen bei ihren Aufgaben unter die Arme greift: 185 024 zusätzliche Studienanfänger gab es in der ersten Phase des Hochschulpaktes von 2007 bis 2010. Damit wurde das vereinbarte Ziel um das Doppelte übertroffen. Der Hochschulpakt gibt die richtige Antwort auf die steigende Studiennachfrage. In der jetzigen zweiten Phase haben wir auf die Aussetzung der Wehrpflicht und die doppelten Abiturjahrgänge reagiert und die geplante Anzahl zusätzlicher Studienplätze noch einmal nach oben korrigiert, nämlich auf bis zu 334 000. Und ebenso wichtig: Wir haben auch die finanzielle Vergütung pro zusätzlichem Studienanfänger auf 26 000 Euro angehoben. Der Bund zahlt davon 13 000 Euro. Denn wir wollen Qualität und eine exzellente Ausbildung anbieten. Dem steht die Forderung der Linken komplett entgegen: ein Studienplatz für jeden, ein Master für alle. Das kann gesellschaftlich nicht sinnvoll und auch nicht gewollt sein. Wir sind für Vielfalt, nicht für Einheitlichkeit. 421 Hochschulen haben wir in Deutschland, an denen gut 2,4 Millionen Studentinnen und Studenten derzeit studieren. Im Wintersemester 2011/2012 gab es circa 445 000 Studienanfänger gegenüber 320 000 Abiturienten. Denn es gibt in jedem Jahr nicht nur die Abiturienten, sondern natürlich auch Quereinsteiger mit studienberechtigten Abschlüssen. Tatsache ist: Wir sind mit dem Hochschulpakt 2020 auf dem richtigen Weg. Studienplätze werden nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt. Die Länder schaffen Studienplätze bedarfsgerecht. Wir wirken dem drohenden Mangel an akademischen Fachkräften entgegen und tragen somit zur Sicherung von Fortschritt und Wohlstand in Deutschland bei. Und deshalb glaube ich, dass der Hochschulpakt 2020 ein optimales bildungspolitisches Instrument ist. Lassen Sie mich zu einem anderen Aspekt kommen. Nicht jeder Abiturient ist für ein Studium geeignet. Und nicht jeder Abiturient will ein Studium beginnen. Und das ist auch gut so. Denn nicht nur ein Studium bietet Chancen und Karriere. Nein, eine Facharbeiterausbildung bietet das ebenso. Unsere Politik darf ihr Augenmerk nicht ausschließlich auf den Ausbau und die Förderung von Studienplätzen legen. Nein, wir müssen uns – in gleichem Maße – darum kümmern, das duale Ausbildungssystem weiter zu stärken und dieses auch für Abiturienten attraktiv zu halten. Der deutsche Mittelstand braucht nicht nur Akademiker. Wir brauchen mindestens ebenso viele Fachkräfte, die sich durch ein außerordentliches Maß an praktischem Know-how auszeichnen. Denn gerade der deutsche Mittelstand setzt häufig mehr auf diese Fachkräfte und weniger auf Akademiker. Diesem Bedarf müssen wir gerecht werden. Die Stärke unseres Standortes Deutsch-land wird in einem beträchtlichen Maß davon abhängig sein. Was heißt das? Wir müssen unsere Arbeit auch darauf konzentrieren, gute und anspruchsvolle Ausbildungsinhalte für Abiturienten zu schaffen, die sie auf dem späteren Arbeitsmarkt genauso qualifizieren wie einen Bachelorabsolventen. Wir wollen Studium und Ausbildung gleichermaßen fördern. Diversität braucht unsere Gesellschaft! Sie bemängeln zu Recht in Ihrem Antrag, dass zu viele Studienplätze ungenutzt bleiben. Aber wir müssen der Wahrheit auch ins Auge blicken: Während die neuen Bundesländer einen immer größeren Rückgang ihrer Studienanfängerzahlen verzeichnen, kommen die alten Länder gegen den Ansturm nicht mehr an. Wir wollen keine Verantwortung von uns schieben. Aber hier sind auch die Städte und Kommunen der neuen Bundesländer aufgefordert, für ihren Hochschulstandort zu werben. Denn wie wir alle wissen, stehen diese Hochschulen den alten Bundesländern in Lehre und Forschung in nichts nach. In diesem Zusammenhang lässt sich auch sagen: Flexibilität ist oftmals die Lösung des Problems. Angehende Studenten, aber auch Bachelorabsolventen, die den Master anstreben, sollten flexibel sein in ihrer Ortswahl. Denn diese Ortsunabhängigkeit wird später auch ein Vorteil im Berufsleben sein. Zudem: Was gibt es Schöneres, als im Studium eine neue Stadt, eine neue Region, eine andere kulturelle Umgebung kennenzulernen? Und jetzt kommen Sie bitte nicht mit dem Argument wie „Abiturienten aus sozial schwachen Familien können sich einen Wohnortwechsel ohnehin nicht leisten“. Dafür haben wir immerhin zahlreiche Möglichkeiten geschaffen; angefangen beim BAföG, über Stipendien diverser Stiftungen oder auch Studienkredite, die sehr günstig sind und nachgelagert zurückgezahlt werden können. Ihre Forderung, jeder Abiturient soll das Recht haben, ein Studium im Fach seiner Wahl wohnortnah aufzunehmen, ist doch vollkommener Unsinn. Sollten denn Ihrer Meinung nach alle Hochschulen auch jedes Fach anbieten? Oder wie wollen Sie das organisieren? Nein. Wir wollen, dass Hochschulen frei und unabhängig handeln können. Wir wollen, dass sich die Hochschulen ihr eigenes „Gesicht“ geben. Dass sie sich in bestimmten Fächern spezialisieren und profilieren können und so den Forschungsstandort Deutschland nach vorne bringen. Wir setzen auf Qualität. Um das zu unterstreichen, haben wir mit dem „Qualitätspakt Lehre“ ein weiteres Instrument geschaffen und unterstützen die Hochschulen bis 2020 zusätzlich mit 2 Milliarden Euro. Die Studienbedingungen sollen verbessert werden, ebenso die Lehrqualität. Wir setzen damit ein Zeichen für die Hochschullehre. Kommen wir zu Ihrer nächsten Forderung: „Ein Masterstudienplatz ist schon mit der Vergabe des Bachelorplatzes zu garantieren.“ Und – damit wir es richtig genießen können – dieser Masterstudienplatz soll dann auch noch 18 Monate für den Studenten freigehalten werden. Wer von Ihnen kommt eigentlich auf solche Ideen? Das ist nicht nur illusorisch, es nicht finanzierbar, nicht umsetzbar! Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie viel ein einzelner Masterstudienplatz eigentlich kostet? Die Universität Hamburg macht hierzu Angaben in der Größenordnung von 10 000 bis 25 000 Euro pro Masterplatz und Studienjahr. Es wäre doch eine Zumutung für jeden Steuerzahler, diese Kosten zu tragen – zumal wenn die Plätze später unbesetzt bleiben. Außerdem müssen Sie daran denken: Nicht jeder Bachelorabsolvent möchte einen Master machen. Genauso wie nicht jeder Abiturient studieren möchte. Aber natürlich – und das ist wichtig –: Jeder wird seine Chance bekommen, sich den Weg auszusuchen, der für ihn die besten Berufschancen ermöglicht. Unsere Aufgabe ist es, vielfältige Angebote zu machen und ein System zu schaffen, das für unsere Gesellschaft die besten Möglichkeiten bietet. Sie schreiben hier einen Antrag mit Forderungen, die nicht realisierbar sind, die nicht finanzierbar sind und die am realen Bedarf vorbeigehen. Sie sind ganz und gar lebensfremd. Ich kann nur den Kopf schütteln und wieder einmal feststellen: Liebe Linke, mit irrealen Forderungen, abwegigen Konzepten und unfinanzierbaren Vorschlägen zeigen Sie einmal mehr, dass Ihnen nicht an der Übernahme von Verantwortung in der Bundesrepublik Deutsch-land gelegen ist. Diesen Antrag kann man nur ablehnen! Swen Schulz (Spandau) (SPD): Die Fraktion Die Linke spricht in ihrem Antrag vollkommen zu Recht Missstände der Hochschulpolitik dieser Regierungskoalition an. Die Vergabeverfahren von Studienplätzen sind vollkommen unzulänglich, belasten die Studieninteressierten und führen zu tausendfach unbesetzten Studienplätzen. Gleichwohl stehen viel zu wenige Studienplätze – zunehmend auch im Masterstudium – zur Verfügung. Die Bundesregierung aber handelt nur spät und halbherzig. Aber das ist ja nichts Neues: Ministerin Schavan müssen wir immer wieder zum Jagen tragen. Langsam wird es lästig. Das fing vor Jahren bei der Föderalismusreform an. Es war die SPD-Bundestagsfraktion, die auf den letzten Drücker erstritten hat, dass Kooperationsmöglichkeiten zwischen Bund und Ländern ins Grundgesetz geschrieben werden. Das war ein echter Kampf mit den Ländern. Und Frau Schavan hat – bestenfalls – die Hände in den Schoß gelegt. Aber erst auf dieser Grundlage wurde der Hochschulpakt überhaupt möglich! Dann wurde die Wehrpflicht abgeschafft. Das hatte zur Folge, dass natürlich viele Studieninteressierte früher als geplant an die Tore der Hochschulen klopften. Wir haben sofort eine entsprechende Aufstockung des Hochschulpaktes gefordert. Was hat Frau Schavan gemacht? Nichts! Sie hat sogar noch abgestritten, dass es einen Handlungsbedarf gebe – und die Abgeordneten der Koalition haben dieses Blockadespiel noch im Bundestag und im Ausschuss mitgespielt, bis die Bundesregierung endlich unter den unbestreitbaren Sachargumenten der Ministerpräsidenten beidrehte und eine Aufstockung vornahm. Dann ist schon vor einiger Zeit deutlich geworden, dass der Hochschulpakt so erfolgreich ist, dass er gar nicht ausreicht. Dass er deutlich aufgestockt werden muss! Wir von der SPD haben darum vor genau einem Jahr einen „Hochschulpakt plus“ beantragt. Wie zu diesem Semesterbeginn waren schon vor einem Jahr die Zeitungen voll von Schlagzeilen; ich erinnere nur an die Überschriften: „Stresstest für Hochschulen“, „Universitäten sind knüppeldicke voll“, „Hörsäle sind überfüllt“, „Die Invasion“, „Unis schotten sich mit Numerus clausus ab“, Platzangst im Hörsaal“, „Flickwerk an deutschen Unis“ usw. Und die Schweiz etwa hat es satt, dass immer mehr Deutsche zu ihnen zum Studieren kommen, weil sie in Deutschland keinen Studienplatz finden. Eine verantwortungsvolle Bundesregierung macht in einer solchen Situation den Ländern ein Angebot und setzt ein klares und starkes Signal zur Ausfinanzierung der notwendigen Studienplätze in den nächsten Jahren. Was aber macht diese Bundesregierung? Immerhin: Sie haben Mittel aus der mittelfristigen Finanzplanung ins Jahr 2013 vorgezogen, damit Sie den akuten Bedarf im Hochschulpakt decken können. Das erkennen wir an. Doch das bleibt letztlich Flickschusterei. Denn nötig sind erstens die kräftige Anhebung des aktuell laufenden Hochschulpaktes II und zweitens die schnelle Vereinbarung des nächsten Hochschulpaktes III, damit die Länder, die Hochschulen und die Studierwilligen Planungs-sicherheit und Perspektiven erhalten. Denn Studienplätze, die dafür nötigen Investitionen und Personalkapazitäten lassen sich nicht von heute auf morgen schaffen. Aber Frau Schavan bewegt sich nicht. Und dafür gibt es einen ganz einfachen Grund: Sie darf nicht! Weil sie das nötige Geld dafür nicht erhält. Weil die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung zwar noch für 2013 ein kräftiges Plus bei Bildung und Forschung vorsieht. Doch ab 2014 – also nach den Bundestagswahlen – sind sogar Kürzungen im Bildungshaushalt vorgesehen. Weil sich die Regierung Merkel im Wahlkampf damit brüsten will, die Schulden zurückzufahren. Gegen dieses Ziel haben wir ja auch nichts. Aber doch nicht auf Kosten der Bildung, auf Kosten der jungen Leute, auf Kosten der Zukunft! Und so spielt die Bundesregierung schon seit Monaten auf Zeit. Da werden Daten und Erhebungen gefordert, obwohl die Dinge doch auf der Hand liegen. Was da herausgekommen ist, haben wir Ihnen schon mindestens ein Jahr zuvor vorhergesagt. Und dann ist da das aktuelle Lieblingszeitspiel der Ministerin Schavan: das Thema Verwendung der Mittel und Gegenfinanzierung durch die Länder. Natürlich muss der Bund darauf achten, dass die Länder ihre eingegangenen Verpflichtungen einhalten. Dafür muss es auch entsprechende Verfahren geben. Doch erstens darf das doch nicht zu Verzögerungen zulasten der Hochschulen gehen; das kann auch später geklärt werden. Zweitens aber haben Sie gar keine Grundlage für Ihre Verdächtigungen. Jedenfalls hat die Bundesregierung mir ganz offiziell auf eine Anfrage geantwortet, dass alle Bundesländer ihre Verpflichtungen aus dem Hochschulpakt sogar übererfüllt haben. Die Bundesregierung demaskiert das Gerede von Ministerin Schavan als Täuschungsmanöver! Und in ebendieser Antwort vom 1. März 2012 auf meine Anfrage hat die Bundesregierung übrigens auch festgestellt – ich zitiere –: „Die Bundesregierung sieht derzeit keine Notwendigkeit für weitere Verhandlungen über den Hochschulpakt.“ Das allerdings schlägt dem Fass den Boden aus. Keine Notwendigkeit? Wenn Sie wenigstens ehrlich wären und sagen würden: „Verzeihung, aber das nötige Geld wird nicht zur Verfügung gestellt.“ Doch diese Antwort ist der Hohn. Die aktuellen, auch von der Bundesregierung angeforderten Zahlen, sprechen eine ganz andere, eindeutige Sprache: Gegenüber den alten Prognosen, auf denen der Hochschulpakt basiert, müssen wir von einem Zusatzbedarf von 357 000 Studienplätzen bis 2015 und von 749 000 Studienplätzen bis 2020 ausgehen. Das sind die amtlichen Zahlen der Kultusministerkonferenz, und die haben sich bisher immer noch als zu vorsichtig herausgestellt. Und da will die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf erkennen? Sie versündigen sich an der Zukunft dieses Landes! Lassen Sie mich noch kurz die Gelegenheit nutzen, ein wenig zu unserem Konzept eines neuen Hochschulpaktes sagen. Wir wollen ihn nämlich nicht nur aufstocken – übrigens auch mit Blick auf die Masterstudienplätze –, sondern wir wollen auch eine neue, qualitative Ebene hineinbringen, indem wir einen Abschlussbonus einführen. Dahinter steht folgende Überlegung: Mit dem Hochschulpakt wird bisher die Aufnahme des Studiums, der Studienbeginn gefördert. Doch was ist mit dem weiteren Verlauf des Studiums? Die Hochschulen müssen gefördert und angereizt werden, die Lehre zu verbessern, sich während des Studiums um die erfolgreiche Lehre zu kümmern. Darum wollen wir, dass alle erfolgreichen Studienabschlüsse mit einem Bonus versehen werden. Auf diese Art und Weise können wir dem Hochschulpakt ein starkes, zweites Standbein verleihen. Es wäre noch viel Weiteres zu sagen, etwa über das Trauerspiel der Hochschulzulassung. Wir danken der Fraktion Die Linke für den Impuls, aktuell darüber zu debattieren. Das werden wir im Ausschuss und – wie ich hoffe – auch bei nächster Gelegenheit im Plenum machen. Ob das jedoch bei der Regierungskoalition zur Einsicht führt, bleibt abzuwarten. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Ganz nach dem Motto „Und täglich grüßt das Murmeltier“ tingelt die Fraktion Die Linke mit ihrer Uraltleier „Bundeshochschulgesetz“ durch den Bundestag. Welche Strategie wird da verfolgt? Was bezweckt die Linke bloß? Uns etwa mit dieser Endlosschleife einzulullen? Glaubt die Linke tatsächlich, dass sie auf diesem Wege etwas erreicht? Nein. Ganz offensichtlich ist es nicht das Ziel, die Koalitionsfraktionen in den wesentlichen hochschulpolitischen Fragestellungen zu überzeugen. Die Haltung von FDP und Union interessiert die Linke keinen Deut. Vielmehr will man sich und die dunkelrote Gefolgschaft durch das ewige Repetieren auf Spur halten. Gleichzeitig will ich den x-ten Versuch unternehmen, Ihnen die hochschulpolitischen Zusammenhänge in der Bundesrepublik Deutschland zu erklären. Dies alles in der Hoffnung, dass Sie vielleicht dieses Mal die Scheuklappen ablegen und sich Argumenten gegenüber öffnen. Um das Wichtigste vorwegzunehmen, sei zunächst auf die rechtlichen Rahmenbedingungen verwiesen, aufgrund derer der vorliegende Antrag grundsätzlich abzuleh-nen ist. Die Antragsteller fordern zwar ein Bundeshochschulzulassungsgesetz, machen in diesem Antrag aber nahezu ausnahmslos Forderungen auf, die nicht die Hochschulzulassung, sondern den Hochschulzugang betreffen. Das Grundgesetz eröffnet dem Bund hier jedoch keine Kompetenz, sondern gibt dem Bund lediglich Regelungsmöglichkeiten im Zuge der konkurrierenden Gesetzgebung, Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 Grundgesetz. Für die die Hochschulzulassung betreffenden Forderungen sehen wir indes ohnehin keinen Regelungsbedarf. Das wiederholt kritisierte dialogorientierte Zulassungsverfahren ist mit Anschubfinanzierung durch den Bund in Höhe von 15 Millionen Euro auf den Weg gebracht worden. Leider sind die technischen Voraussetzungen dafür, dass das Verfahren reibungslos läuft, bis heute nicht gegeben. Die vor allem für die Studierwilligen unzumutbaren zeit-lichen Verzögerungen ärgern uns besonders, wenngleich an dieser Stelle an die Länder appelliert werden muss, dass sie dafür Sorge zu tragen haben, dass ihre Hochschulen moderne Datenverarbeitungsprogramme vorhalten können, indem sie eine ordentliche Finanzausstattung erhalten. Eine Bundeszuständigkeit ist jedenfalls nicht gegeben, und jeder Versuch des Bundes, sich dieser Zuständigkeit zu ermächtigen, muss letztlich vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe scheitern. Gern gehe ich aber auch noch einmal auf einzelne Forderungen der Fraktion Die Linke ein, um deren fehlende Sinnhaftigkeit zu verdeutlichen und die vielen guten Gründe darzulegen, die für eine Ablehnung ihres Antrags sprechen. Was die Ausführungen zum Hochschulpakt 2020 und die Forderung einer weiteren Aufstockung betrifft, kann nicht oft genug gesagt werden, dass der Bund in den letzten Jahren und auch künftig Bemerkenswertes leistet, um die Ausfinanzierung sicherzustellen. Wir nehmen Jahr für Jahr erheblich viel Geld in die Hand, um den steigenden Bedarf an Studienplätzen zu decken. So hat der Bund in der ersten Phase statt der angestrebten 91 370 sogar 182 193 zusätzliche Studienplätze kofinanziert. Und wir haben zugesichert, dass wir auch in der zweiten Phase nachsteuern werden, sofern durch die Aussetzung der Wehrpflicht und die doppelten Abiturjahrgänge mehr Studienplätze geschaffen werden müssen, als ursprünglich geplant. Was der Bund jedoch nicht kann – und auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht darf –, ist, die Länder aus der Pflicht zu nehmen, für eine ausreichende Ausfinanzierung ihrer Hochschulen zu sorgen. Es ist ein Skandal, dass das bis vor kurzem noch rot-rot regierte Land Berlin seinen Hochschulen die Gegenfinanzierung des Hochschulpakts verweigert hat. Es ist beschämend, dass die Hochschulen der Hauptstadt den Aufwuchs an Studienplätzen alleine durch Bundesmittel bewältigen mussten. Es ist bezeichnend, dass linke Politik dazu beigetragen hat, den Wissenschaftsbereich auszubluten. Die Linke sollte sich beim Thema Unterfinanzierung der Hochschulen ganz kleinlaut geben, tragen sie doch seit Jahren zum Beispiel im von SPD und Linken regierten Brandenburg dazu bei, dass die Hochschulen des Landes die mit Abstand am schlechtesten finanzierten in ganz Deutschland sind. Hier den Bund in Verantwortung nehmen zu wollen, ist mehr als dreist. Diese Heuchelei empört mich ungemein! Wenn dann auch noch der Vorschlag unterbreitet wird, dass gerade die Länder, die durch eine sozialverträgliche Erhebung von Studienbeiträgen für eine auskömmliche Grundfinanzierung ihrer Hochschulen sorgen, künftig bei der Verteilung der Hochschulpaktmittel durch Strafgebühren benachteiligt werden sollen, wird die Absurdität der Forderungen der Antragsteller offenbart. Der kleine Umstand, dass eine solche Regelung ein ganz klarer Verstoß gegen die Verfassung wäre, interessiert die Linke nicht. Recht und Gesetz stören ja nur. Auch der geforderte Zuschlag auf die Studienplatzkosten für die Verbesserung der Lehrqualität zeugt von der hochschulpolitischen Ahnungslosigkeit der Fraktion Die Linke, zum einen, weil es einen solchen Zuschlag bereits lange gibt, zum anderen, weil der Bund mit dem Qualitätspakt für die Lehre bereits zusätzliche 2 Milliarden Euro genau für diesen Bereich zur Verfügung stellt. Die Antragsteller monieren die aus ihrer Sicht zu re-striktiven Zulassungsregeln und Zugangsvoraussetzungen wie Praktika, Eignungstests oder Motivationsschreiben, die angeblich zu sozialer Selektivität und sonstigen Problemen führen würden. Fakt ist: Wir werden den Hochschulen niemals vorschreiben, nach welchen Kriterien sie ihre Studienplätze vergeben, sondern diese im Gegenteil in ihrer diesbezüglichen Autonomie weiter stärken. Vielleicht denken die Antragsteller ja einmal darüber nach, ob nicht ebensolche Zulassungsbedingungen auch zum Wohle der Studierenden wirken könnten. Die FDP jedenfalls ist davon überzeugt, dass eine möglichst gute Auswahl der Studierenden dazu beiträgt, dass das Studium auf die Bewerber passt, ihren Studienerfolg bei gegebener Eignung und Leistung befördert – dies zeigt sich immer wieder bei den Lehramtsstudierenden – und somit auch die Zahl der Studienabbrüche verringern hilft. Wenn hingegen die Fraktion Die Linke der Meinung ist, wir müssten ganz nach DDR-Manier wieder für eine soziale Auswahl entsprechend der Arbeiter-und-Bauern-Staatsräson sorgen und mit irrwitzigen Quoten die Hochschulen und Studierwilligen gängeln und hier sozusagen eine positive Diskriminierung fordern, kann ich für meine Fraktion nur sagen, dass wir dies mit aller Macht zu verhindern wissen werden. Wir sind überzeugt, dass nur bei vorliegender Studierfähigkeit ein Studienerfolg gewährleistet werden kann. Ebenfalls eine vollkommen unsinnige Forderung ist das wie ein Mantra vorgetragene Recht auf einen Masterplatz für alle. Den Antragstellern scheint sich selbst 14 Jahre nach Unterzeichnung der Bologna-Erklärung Sinn und Wesen des Reformprozesses der Studienabschlüsse nicht erschlossen zu haben. Es ist dem heutigen System der gestuften Studienabschlüsse vollkommen wesensfremd, dass jeder Bachelorabsolvent auch einen konsekutiven Masterstudiengang besucht. Einmal davon abgesehen, dass Untersuchungen belegen, dass in der Vergangenheit nahezu jeder, der ein Masterstudium aufnehmen wollte, auch einen Studienplatz gefunden hat, ist es gar nicht Ziel der Hochschulpolitik und auch nicht Wunsch jedes Bachelorabsolventen, einen Masterabschluss anzustreben. Nach Einschätzung der KMK ist die Zahl der angebotenen Masterstudienplätze ausreichend und haben im Bachelorabschlussjahrgang 2009 immerhin 90 Prozent der Befragten angegeben, sowohl ihr Wunschfach als auch ihre Wunschhochschule bekommen zu haben. Die Antragsteller zeichnen also ganz offensichtlich ein Problemfeld auf, das es so in der Re-alität überhaupt nicht gibt. Im Übrigen sei auch an dieser Stelle erwähnt, dass es Aufgabe der Länder ist, ein ausreichendes Angebot an Studienplätzen – auch im Masterbereich – zu schaffen. Gänzlich fern jeder Realität ist dann auch die Forderung der Antragsteller, dass jeder Studienberechtigte in dem Studienfach seiner Wahl und an seiner Hochschule in Wohnortnähe Anspruch auf einen Studienplatz haben soll. Nicht nur, dass hier vollkommen außer Acht gelassen wird, dass nicht jeder Studienberechtigte überhaupt ein Studium aufnehmen möchte; hier soll nun ein Rechtsanspruch geschaffen werden, der die Hochschulen vor die unlösbare Aufgabe stellt, unabhängig von eigenen personellen und sächlichen Kapazitäten Studienplätze bereitstellen zu müssen, von denen per se schon die Mehrzahl niemals in Anspruch genommen würde. Hier wird eine Denke der Antragsteller deutlich, die von einer unvorstellbaren Realitätsferne zeugt und die jedem seriösen Hochschulpolitiker die Frage nach der Ernsthaftigkeit einer solchen Forderung aufdrängt. Abschließend lade ich die Antragsteller ganz herzlich ein, den Punkt 2. g) ihres Antrags sofort in die Tat umzusetzen. Wenn Sie fordern, das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern aufzuheben, dann fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unserem Änderungsgesetz zum Art. 91 b des Grundgesetzes zu! Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch; bisher höre ich aber vonseiten der Oppositionsfraktionen aus fadenscheinigen Gründen nur das Signal, dass man sich hier überhaupt nicht bewegen und im Gegenteil das Kooperationsverbot auf immer und ewig zementieren möchte. Nicole Gohlke (DIE LINKE): Genauso wie im letzten und wie im vorletzten Jahr diskutieren wir wieder zu Semesterbeginn das Problem der fehlenden Studienplätze. Für viele junge Menschen, die trotz Abitur in der Tasche entweder gar keinen Studienplatz oder keinen in dem Fach ihrer Wahl bekommen, ist dieser Zustand frustrierend; es verbaut unter Umständen die Zukunft, erschwert den Lebensweg. Dass die Bundesregierung das Thema lieber nicht diskutieren will, ist klar – es ist kein Ruhmesblatt für Schwarz-Gelb: Im vergangenen Jahr fehlten über 100 000 Studienplätze; von den Studienbedingungen für diejenigen, die im großen Studienplatzroulette einen Platz bekommen haben, möchte ich gar nicht sprechen. Einzige Reaktion der Regierung daraufhin: Kleinlaut korrigieren die Kulturministerkonferenz und die Bundesregierung ihre Prognosen nach oben und stellen überrascht fest, dass bis zum Jahr 2020 mit 750 000 Studienanfängerinnen und -anfängern mehr gerechnet werden muss, als bisher angenommen. 750 000 – das ist schon eine beachtliche Größe, um die man sich da verschätzt hat. Da fragt man sich, ob das nur eine Rechenschwäche ist oder nicht eher ein politisches Problem. Denn welche Konsequenzen werden aus den korrigierten Zahlen gezogen? Weder folgt eilig der bedarfsgerechte Ausbau der Hochschule, noch führt die Fehlkalkulation bei der nächsten Prognose zu mehr Realismus: Während es genau wie in den letzten Jahren wieder et-liche Prognosen gibt, die – übrigens aus allen politischen Richtungen, von der Bildungsgewerkschaft GEW bis hin zum Centrum für Hochschulentwicklung – von bis zu 500 000 Studienanfängerinnen und -anfängern in diesem Wintersemester ausgehen, zieht das Bildungsministerium eine andere Zahl, 410 000, als Berechnungsgrundlage heran und orakelt über sinkende Zahlen ab 2014. Wir haben es aber nicht nur mit den lange bekannten doppelten Abiturjahrgängen und mit der Aussetzung der Wehpflicht zu tun, sondern mit einer insgesamt gestiegenen Studierneigung, also mit dem Wunsch von immer mehr jungen Menschen, zu studieren. Und das ist auch gut so! Diese Regierung ist in der Pflicht, den Studienberechtigten einen Studienplatz und den Studierenden Bildung und Ausbildung unter guten Bedingungen zu ermöglichen. Wie sieht es heute aus: Allein an der Humboldt-Uni in Berlin kamen 33 600 Bewerbungen auf 4 200 Studienplätze. In Kassel rechnete man mit 31 000 Bewerbungen auf 3 500 Plätze. In Baden-Württemberg fehlen ab 2013 7 000 Masterplätze. Das ist die derzeitige Situation. Und ich höre Sie schon wieder entgegnen, dass sich darum die Länder kümmern sollen; die Länder müssten „ihre Hausaufgaben machen“, sagt Frau Schavan ja gerne. Dieses Wegducken ist nicht auszuhalten! Der Bund hätte Handlungsspielraum, und er hat eine Steuerungskompetenz. Die Bundesregierung müsste diese Aufgabe aber auch politisch annehmen. Die Linksfraktion fordert ein Bundeshochschulzulassungsgesetz. Damit könnte gesetzlich geregelt werden, dass jeder Studienberechtigte ein Recht auf einen Studienplatz erhält, dass Zulassungsbeschränkungen endlich überwunden und nicht – wie derzeit – ausgebaut werden und dass das Recht auf einen Masterplatz sichergestellt wird. Ich erinnere Schwarz-Gelb an die Worte ihrer Bildungsministerin: Frau Schavan hat im Juli 2009 gesagt: „Der Übergang vom Bachelor zum Master muss pro-blemlos möglich sein. Studierende sollten selbst entscheiden können, ob sie einen Master machen wollen oder nicht.“ Laut einer HIS-Umfrage wollen bis zu 76 Prozent der Bachelorabsolventinnen und -absolventen einen Master machen. Es steht aber in vielen Städten höchstens für die Hälfte ein Angebot zur Verfügung. Fast alle Angebote sind mit einem Numerus clausus oder anderen Zulassungsbeschränkungen belegt. Frau Schavan sollte nicht von Entscheidungsfreiheit reden, wenn in Wahrheit vielen jungen Menschen die Entscheidung längst abgenommen wurde, weil es nicht genug Masterplätze gibt. Schaffen Sie endlich für jeden Studierenden das Recht auf einen Masterzugang statt immer neuer Bildungshürden! Und hören Sie auf, den Bildungsföderalismus als ein Feigenblatt zu missbrauchen, um selbst nicht die Verantwortung übernehmen zu müssen! Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor wenigen Tagen hat das Wintersemester begonnen. Schon jetzt ist klar: Viele Hochschulen verzeichnen neuerliche Rekordeinschreibungen. Wir freuen uns darüber. Für diese jungen Menschen wollen wir bestmögliche Studienbedingungen, damit aus Studienanfängern keine Studienabbrecher, sondern Hochschulabsolventen werden. Deshalb wünschen wir allen Erstsemestern, sicherlich auch im Namen des ganzen Hauses, ein erfolgreiches Studium! Damit die guten Wünsche Wirklichkeit werden, müssen Bund und Länder an einem Strang ziehen und gemeinsam für den zügigen Ausbau der Hochschulen und bessere Studienbedingungen sorgen. Der Antrag der Linken gibt auf diese Herausforderung zwar keine umsetzbare Antwort. Aber immerhin sorgt er dafür, dass wir uns heute über Wege einer besseren Bund-Länder-Zusammenarbeit in der Hochschul-politik im Bundestag austauschen können. Dass die gesamtstaatliche Zusammenarbeit verbessert werden muss, zeigen die zahlreichen Baustellen, vor denen Bund, Länder und Hochschulen stehen: beispielsweise die noch immer unbefriedigende Umsetzung der Bologna-Reform, die Endlosgeschichte bei der Einführung eines Zulassungssystems und der nach wie vor bestehende Studienplatzmangel. Bei allen drei hochschulpolitischen Baustellen wird die Koalition ihrer Verantwortung als oberster Bauherr nicht gerecht. Ihre Aufgabe ist es, zusammen mit Ländern und Hochschulen dafür zu sorgen, dass genügend Studienplätze mit Qualität sowohl im Bachelor- als auch im Masterbereich bereitstehen, dass das Durcheinander bei der Studienplatzvergabe aufhört und dass der Hochschulpakt zukunftsfest und bedarfsgerecht gestaltet wird. Denn: Der erfreuliche Run auf die Hochschulen wird noch Jahre anhalten. Auf dem Gipfel des Studierendenbergs blicken alle neuen Prognosen nicht in ein Tal, -sondern auf ein studentisches Hochplateau. Der Hochschulpakt von Bund und Ländern reicht dafür nicht aus: Er ist unterfinanziert, gedeckelt und zu kurz gedacht. Das muss sich ändern! Die Bundesregierung weiß genau, dass der Pakt schon im nächsten Jahr an seine Grenze stößt. Doch anstatt Vorsorge zu treffen, hat die Regierung in ihre Finanzplanung fürs Wahljahr 2013 Gelder vorgezogen, die für 2015 und 2016 vorgesehen waren. Mit solchen Manövern erwecken Sie Misstrauen bei den Ländern und schaffen Unsicherheit bei den Hochschulen. Gehen Sie stattdessen endlich eine verlässliche Verantwortungspartnerschaft mit den Ländern ein – für gerechte Unizugänge, für eine höhere Lehrqualität und bessere Studienbedingungen. Alles andere ist unverantwortlich gegenüber der jungen Generation. Studien-berechtigte brauchen Gewissheit, dass sie tatsächlich studieren können – anstatt Opfer des Studienplatzmangels und der daraus folgenden hohen lokalen NCs zu werden. Darum geht es! Angesichts Zehntausender fehlender Studienplätze ist es grotesk, dass jedes Jahr Zehntausende Studienplätze unbesetzt bleiben, weil ein funktionierendes Zulassungsverfahren fehlt. Dieses Studienplatzparadoxon aus immer mehr und höheren Zulassungsbeschränkungen einerseits sowie unbesetzten Studienplätzen andererseits wird aber nicht per Bundeszulassungsgesetz gelöst, liebe Linksfraktion! Eine funktionierende Software gibt es nicht auf dem Verordnungsweg, sondern muss mit Nachdruck erarbeitet und sukzessive flächendeckend eingeführt werden. Offenbar wandelt die Bundesregierung auf ebenso weltfremden Pfaden nach dem Motto: Ministerin Schavan drückt auf einen Knopf, und schon funktioniert das dialogorientierte Serviceverfahren zur Hochschulzulassung. Nein, liebe Frau Ministerin, es zeigt sich seit mehreren Semestern, dass diese Vorstellung naiv und Ihr Projektmanagement grottenschlecht waren. Es ist daher dringend notwendig, jetzt alle Kräfte zu bündeln, mehr personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen, Technikprobleme schnell zu lösen und das dialogorientierte Serviceverfahren Schritt für Schritt doch noch zum Erfolg zu führen. Diese Ehrlichkeit und ein endlich durchdachtes Projektkrisenmanagement stünden der Bundesregierung gut zu Gesicht. Wir brauchen endlich eine funktionierende Hochschulsoftware für die Studienplatzvergabe, bundeseinheitliche staatsvertragliche Regeln zur Hochschulzulassung und deutlich mehr BA- und MA-Studienplätze mithilfe des Hochschulpakts. Die bloße Problemverwaltung der Bundesregierung muss aufhören. Es braucht eine Lösung, damit der Mangel an Fachkräften bekämpft und der Bildungsaufstieg gefördert wird. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Konsequenzen aus dem Nationalen Bildungsbericht ziehen – Bildungsblockaden aufbrechen und mehr Teilhabe ermöglichen – Zusammen lernen – Recht auf inklusive Bildung – bundesweit umsetzen – Gemeinsam lernen – Inklusion in der Bildung endlich umsetzen (Tagesordnungspunkt 16 a und b, Zusatztagesordnungspunkt 7) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Es ist erfreulich, dass die Grünen diese Debatte angemeldet haben. So können wir über den Nationalen Bildungsbericht sprechen, der die positiven Entwicklungen der vergangenen Jahren im deutschen Bildungssystem beschreibt. Der Bericht stellt zunächst fest, dass das Bildungsniveau in Deutschland insgesamt angestiegen ist. Der Anteil der Schulabgängerinnen und -abgänger ohne Hauptschulabschluss sank erneut, von 8 Prozent im Jahr 2006 auf 6,5 Prozent im Jahr 2010. Nie zuvor gab es weniger Schulabbrecher. Gleichzeitig erwarben immer mehr Jugendliche nachträglich höherwertige allgemeine Abschlüsse, nicht zuletzt, weil wir flexiblere Bildungswege und durchlässigere Bildungsgänge geschaffen haben. Die Zahl der Abschlüsse der Hochschulreife stieg auf 34 Prozent und die der Jugendlichen mit fachgebundener Hochschulreife auf 15 Prozent – ein Rekordhoch. Die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger erreichte dank des gemeinsam von Bund und Ländern finanzierten Hochschulpaktes die erstaunliche Quote von 46 Prozent. Dabei haben sich die Chancen auf ein Hochschulstudium für Kinder aus Arbeiterfamilien, also unabhängig vom Bildungsniveau der Eltern enorm verbessert. Der Anteil von Studierenden aus nichtakademischen Elternhäusern hat sich zwischen 1980 und 2010 mehr als verdreifacht. Auch im Bereich der beruflichen Ausbildung haben wir deutliche Verbesserungen erreicht: Mehr Jugend-liche erhielten einen Ausbildungsvertrag, und es gab mehr unbesetzte Ausbildungsstellen als unversorgte Bewerber – ein Erfolg des Nationalen Ausbildungspaktes und von speziellen Programmen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Einstiegsqualifizierung und -orientierung. Die Initiative der Bildungsketten rundet diese Aktivitäten des Bundes im Bereich der Einstiegsorientierung für angehende Auszubildende ab. Der Nationale Bildungsbericht zeigt somit, dass wir die richtige Richtung einschlagen. Wir haben die Bildungsbeteiligung erhöht, die Chance auf einen Abschluss und damit auf Teilhabe gestärkt. Er zeigt, dass sich die Maßnahmen des Bundes und die hohen Bildungsausgaben insgesamt rentieren. Wir nehmen das Ziel Bildungsrepublik ernst und setzen oberste Priorität auf Bildung. Die Forderung der Grünen jedoch, einer angeblichen Unterfinanzierung des Bildungswesens entgegenzuwirken, ist nicht nachvollziehbar und wirkt daher rein opportunistisch. Nie wurde mehr in Bildung investiert als heute. Wir haben den Etat für den Bereich Bildung und Forschung um mehr als 50 Prozent erhöht. In der Regierungsverantwortung gemeinsam mit der SPD waren den Grünen Investitionen in das Bildungssystem lediglich 6 Milliarden Euro wert, wir erreichen hingegen mittlerweile ein Budget von über 13 Milliarden Euro. Mit diesen Mitteln finanzieren wir den Bestand der Qualität und Qualitätssteigerungen im Bildungssystem und schaffen gerechtere Chancen auf Bildung. So haben wir beispielsweise die BAföG-Sätze erhöht und das Förderalter auf 35 Jahre heraufgesetzt. Insgesamt profitierten im vergangenen Jahr eine Million Jugendlicher von dieser staatlichen Unterstützungsleistung. Das waren 8,6 Prozent mehr als im Jahr 2010. Das Bildungs- und Teilhabepaket für benachteiligte Kinder ist ein weiteres Beispiel, wie die Bildungssituation für jedes einzelne Kind unabhängig von der Bildungssituation der Eltern erhöht wird. Neben den vielen positiven Veränderungen und Erfolgen beschreibt der Bericht durchaus auch bestehende Herausforderungen, die es zukünftig zu bewältigen gilt. Immer noch bleibt die Entkoppelung des individuellen Bildungserfolges von der sozialen Herkunft eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre. Gerade Kinder mit Migrationshintergrund oder aus bildungsfernen und sozial schwächeren Elternhäusern benötigen bessere Bildungs- und Aufstiegschancen. Zwar erreichen mittlerweile fast 10 Prozent der Migrantenkinder das Abitur, viele ihrer Altersgenossen jedoch leider nicht einmal den Hauptschulabschluss. Wir werden diese Kinder und Jugendlichen weiter verstärkt fördern, sodass die Schulabbrecherquote gerade in dieser Gruppe weiter sinkt. Wir setzen zu diesem Zweck mit gezielten Maßnahmen besonders früh in der Bildungsbiografie an, und wir haben aus diesem Grund die „Offensive Frühe Chancen“ gestartet, die in sozialen Brennpunktkindertagesstätten zusätzliche frühkindliche Sprachförderung anbietet. Seit 2005 hat sich viel Gutes getan – in größeren und schnelleren und vor allem wirksameren Schritten als unter Rot-Grün. Diese Kontinuität in der Qualitätssteigerung mit verbesserten individuellen Bildungsergebnissen werden wir über das Jahr 2013 hinaus kontinuierlich und intensiv fortführen. Auch das Thema Inklusion werden wir dabei nicht aus den Augen verlieren. Inklusion ist der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben und einer aktiven Teilhabe an der Gesellschaft. Wir wollen Kinder mit Behinderungen besonders fördern und ihnen Rahmenbedingungen bieten, die sich am Wohl der Kinder und Jugendlichen als oberster Priorität ausrichten. Die sonderpädagogische Förderung setzt damit hohe Anforderungen an professionelle Diagnostik und Beratung. Im Sinne einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft wollen wir, dass Eltern, Förderpädagogen und allgemeine Pädagogen gemeinsam über den Förderort des Schülers, entweder in einer Regelschule oder in einer Förderschule, entscheiden. Dieser Förderort hängt dabei von den individuellen Bedürfnissen jedes einzelnen Kindes ab. Während eine inklusive Beschulung bei bestimmten Förderschwerpunkten sinnvoll und möglich erscheint, können Förderschulen für andere Förderschwerpunkte durchaus auch weiterhin Bestand haben. Diese Förderschulen können deshalb in ein Gesamtkonzept der schulischen Inklusion einbezogen werden, wenn man diese zu speziellen Kompetenzzentren ausbaut. Bei allen Bestrebungen ist Ziel und Grundmaßstab, dass alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden können. Auch die Länder sind aufgefordert, die erforderlichen Mittel und Maßnahmen für die Umsetzung zur Verfügung zu stellen, damit dieses Ziel nicht nur Vision bleibt, sondern Realität wird. Florian Hahn (CDU/CSU): Der Nationale Bildungsbericht 2012 stellt unserer Bildungspolitik ein bemerkenswertes Zeugnis aus. In fast allen Bereichen konnten wir die Situation für die Schüler und Schülerinnen sowie für unsere Studierenden verbessern. Die Beteiligung an frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung steigt deutlich. So liegt der prozentuale Anteil der drei- bis sechsjährigen Kinder, die eine Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflege besuchen, bei 94  Prozent. Die Bildungsbeteiligung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat sich seit 2005 ebenfalls erhöht. Der Ausbau von Ganztagsschulen führt „zu Erweiterungen und Ergänzungen schulischer Angebote“. Vor allem im Feld der kulturellen und musischen Bildung tut sich einiges. In diesem Zusammenhang verweise ich auch gerne auf das neu aufgelegte Programm „Kultur macht stark“. Ab 2013 fördern wir mit zunächst 30 Millionen Euro außerschulische Angebote der kulturellen Bildung für benachteiligte Kinder und Jugendliche. Mit dieser Maßnahme unterstützen wir die Persönlichkeitsbildung und stärken ihr Selbstbewusstsein. Für die folgenden Jahre werden wir die Fördermittel auf bis zu 50 Millionen Euro erhöhen und leisten damit einen großen Beitrag zur Entwicklung unserer Jugend. Des Weiteren hat sich das „Schulabschlussniveau erhöht“. Die Zahl der Studienanfänger ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Insgesamt bescheinigt der Bildungsbericht der Arbeit unter der Federführung von Frau Schavan eine überproportionale Steigerung der Ausgaben für Bildung. Natürlich werden uns auch Problemfelder aufgezeigt, denen wir verstärkt nachgehen müssen. Der Kern des Berichts bestätigt jedoch unseren eingeschlagenen Weg. Der Antrag der Grünen zeigt nun einmal mehr, wie verzweifelt die Opposition nach möglichen Kritikpunkten an unserer Bildungspolitik suchen muss. Sie kritisieren den Bildungsbericht 2012 in Kumulus und lassen dabei die wichtigsten Ergebnisse außer Acht. Doch lassen Sie mich erst einmal die Widersprüche und Ungereimtheiten Ihres Antrags herausstellen. Die Unterstellung, dass wir „ungerechte Bildungspolitik“ und ein „unzureichendes Bildungssystem“ fördern, steht den Ergebnissen des Nationalen Bildungsberichts diametral entgegen. Diesen Fehler gestehen Sie sich im nächsten Satz ein, indem Sie uns bestätigen, dass immer mehr junge Menschen einen höheren Schul- und Hochschulabschluss erreichen. Da Sie den vorliegenden Zahlen keine weitere Beachtung schenken, werde ich an dieser Stelle gerne noch einmal auf sie eingehen. Die Zahl der Schüler mit Studienberechtigung lag im Jahr 2011 bei über 275 000, wohingegen die Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss auf knapp 50 000 gesenkt werden konnte. Besonders im Bereich der Schulabbrecher mit Migrationshintergrund können wir seit 2000 eine Reduzierung um 7,1 Prozent verzeichnen. Das sind Ergebnisse, die nie zuvor von einer Regierung erreicht wurden. Vor allem im Vergleich zu den Ergebnissen der rot-grünen Regierungsarbeit sind diese Zahlen geradezu phänomenal. Wir verzeichnen seit 2005 im Bereich Bildung und Forschung einen bemerkenswerten Fortschritt. Im weiteren Verlauf Ihres Antrags kritisieren Sie ausführlich die angebliche Vernachlässigung der Hochschulpolitik und die Unterversorgung unserer Studierenden. Lassen Sie mich dazu ein wenig weiter ausholen: Seit Beginn unserer Regierungsverantwortung hat sich die Zahl der Studienanfänger und der Studierenden gewaltig erhöht. Im Jahr 2011 begannen über 500 000 Studienanfänger ihr Erststudium. Die Studierendenzahl nahm von knapp 1,5 Millionen im Jahr 2006 auf knapp 2,4 Millionen im vorigen Jahr zu. Der Anteil der Studierenden aus Arbeiterfamilien hat sich dabei seit 1980 verdreifacht. Gleichzeitig wurden mehr als 4 500 neue -Beschäftigte und mehr als 100 000 neue Professoren eingestellt. Auch lassen wir unsere Studenten nicht im Regen stehen. Mit der kontinuierlichen Erhöhung der Höchstfördersätze des BAföGs geht eine stetige Steigerung der BAföG-Empfänger einher. Seit 2005 konnten wir die Zahl der Empfänger um 100 000 erhöhen. Im Jahr 2011 waren dies fast 1 Million und somit 8,6 Prozent mehr als 2010. Nicht nur, dass diese Zahlen an sich schon bemerkenswert sind – nein, es steigerte sich im gleichen Zeitraum auch die Zufriedenheit der Studierenden. Hier von einer Vernachlässigung der Hochschulpolitik zu reden, ist eine bodenlose Frechheit. Dass verantwortungsvolle Politik in Bildung und Forschung wesentlich ist für den Erfolg eines Landes, zeigt die Situation in Bayern. Seit Jahren und Jahrzehnten legen wir dort besonderen Wert auf die Bildung der jungen Generation und positionieren uns bei jedem Länderranking auf den Topplätzen. Wir verfolgen jedoch keine reinen Einzelinteressen, sondern möchten mit Vorbildfunktion für andere Länder vorangehen. Die Entscheidung der Kultusminister vom vergangenen Donnerstag gibt uns die Gelegenheit, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Zur Einführung einheitlicher Abiturstandards ab 2017 steht Bayern gerne als Musterbeispiel parat. Wenn es um ein zukunftsbestimmendes Gut wie die Bildung geht, darf man sich nicht mit dem Mittelmaß zufriedengeben. Wir müssen uns vielmehr an den Besten unserer Republik orientieren – das sind wir schließlich auch den Schülern der rot-grün-geführten Länder schuldig! Die bayerischen Gymnasien erzielen schon immer ausgezeichnete Leistungen. Dies gilt auch besonders für Jugendliche mit Migrationshintergrund, die in Bayern überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen. Unser besonderes Interesse und unser Wille, die Bildung und Forschung in Deutschland weiterhin zu verbessern, werden auch im Nationalen Bildungsbericht 2012 deutlich herausgestellt. Dieser vermerkt: „Durch Sonderprogramme sind die Bildungsausgaben überproportional gestiegen.“ Ihr letzter rot-grüner Haushalt von 2005 sah gerade einmal 7 Milliarden Euro für das Ministerium vor. Unser Haushalt für das kommende Jahr wird eine nie dagewesene Summe von 13,75 Milliarden Euro für Bildung und Forschung in Deutschland bereitstellen und somit 82 Prozent über Ihrem letzten liegen. Dabei ist es unser erklärtes Ziel, mindestens 10 Prozent des BIP für Bildung und Forschung auszugeben. Für das Jahr 2011 haben wir bereits eine Quote von knapp 9,8 Prozent. Wie Sie sehen können, erhöhen wir kontinuierlich die Ausgaben für unser wichtigstes Gut in der Gesellschaft, wohingegen Ihre rot-grüne Regierung das Budget für Bildung und Forschung dreimal kürzte. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, dass Ihnen unser Erfolg nicht schmeckt, lässt sich anhand Ihres widersprüchlichen Antrags erkennen. Den überwiegend positiven Ergebnissen des Bildungsreports 2012 haben Sie nichts entgegenzusetzen. Unter Schwarz-Gelb sind Bildung und Forschung auf einem Niveau -angekommen, das man bei Ihnen vergeblich suchen musste. Oliver Kaczmarek (SPD): Mit dem Nationalen Bildungsbericht 2012 ist wieder ein facettenreiches und komplexes Werk über das Bildungswesen in Deutschland vorgelegt worden, das der Bildungspolitik wertvolles Steuerungswissen liefert. Der Dank dafür gilt zuerst den an der Autorengruppe beteiligten wissenschaftlichen Einrichtungen, statistischen Ämtern und denen, die darüber hinaus Sonderauswertungen beigesteuert haben. Der Nationale Bildungsbericht hat sich als wichtiges Instrumentarium der deutschen Bildungspolitik etabliert. Nun gilt es, ihn pädagogisch und bildungspolitisch sinnvoll weiterzuentwickeln. So sollte zukünftig beispielsweise das Querschnittsthema Inklusive Bildung oder das Thema Alphabetisierung in der Berichterstattung Berücksichtigung finden. Der Bericht sollte zudem um die Möglichkeit erweitert werden, Handlungsempfehlungen an die politischen Akteure zu formulieren. Darüber hinaus müssen die Ergebnisse des Internationalen Bildungsberichts „Bildung auf einen Blick“ der OECD sowie das Monitoring der KMK und die nationalen wie internationalen Leistungsvergleiche mit den Erkenntnissen des Nationalen Bildungsberichts in Beziehung gesetzt werden. Nur so ergibt sich ein Gesamtblick auf das deutsche Bildungswesen. Der uns vorliegende Nationale Bildungsbericht 2012 beschreibt Herausforderungen für das Bildungswesen, auf die die Menschen schlüssige Antworten erwarten. Der demografische Wandel und der stetig steigende Fachkräftebedarf führen dazu, dass es gesellschaftlich und auch wirtschaftlich dringend geboten ist, dass wir jedem eine faire Chance auf gute Bildung und Ausbildung geben. Der beruflichen Bildung kommt hier eine besondere Rolle zu: Sie bildet für viele junge Menschen die Brücke in die Erwerbsarbeit. Sie muss weiter gestärkt und als gleichwertiger Bildungsweg neben dem akademischen Weg erhalten bleiben. Mit den richtigen Investitionen von Anfang an sind wir in der Lage, eine der größten Ungerechtigkeiten in unserem Land anzugehen: Schon zur Geburt sind für viele die Weichen gestellt, die Chancen ungleich verteilt. Einigen steht die Welt offen, oft unterstützt durch die Eltern. Andere gehen leer aus – das hängt allzu oft vom Bankkonto der Eltern ab. Fast 60 000 verlassen jedes Jahr die Schule ohne Abschluss. Inzwischen sind es 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, die keinen Schulabschluss haben, häufig die Kinder ärmerer Familien. Über 300 000 junge Menschen stecken in Warteschleifen und finden keinen Ausbildungsplatz. Es ist beschämend, dass heute in Deutschland immer noch wie in keiner anderen Industrienation der Geldbeutel der Eltern über den Bildungserfolg der Kinder entscheidet. Viele der Herausforderungen, die auch der Nationale Bildungsbericht beschreibt und herausstellt, werden nur gelingen, indem sich Bund, Länder und Kommunen auf die Eckpunkte einer nationalen Bildungsstrategie einigen. Wir wollen daher, dass Bund und Länder stärker zusammenarbeiten können, um unser Bildungssystem wieder modern zu machen. Die SPD hält deshalb an ihrer Forderung fest: Das Kooperationsverbot für Bildung im Grundgesetz ist nicht mehr zeitgemäß und muss abgeschafft werden. Der Berichtsschwerpunkt lag 2012 im Nationalen Bildungsbericht in der kulturellen Bildung. Der Bericht stellt fest, dass über alle Altersgrenzen hinweg ein großes Interesse an kultureller und musisch-ästhetischer Bildung besteht. Dabei ist die Vielfalt und Fülle der Angebote an kultureller Bildung besonders wertvoll. Die Angebote beschränken sich nicht nur auf formale Bildungseinrichtungen, sondern umfassen auch ein breites Spektrum an nonformalen Angeboten wie Vereine, Chöre, Kultur- und Jugendeinrichtungen. Umso wichtiger ist es, die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Einrichtungen zu stärken, um Synergien zu schaffen und ein breites Spektrum aufrechtzuerhalten. Damit die kulturelle Bildung den Raum erhält, der ihr zusteht, und für alle Kinder zugänglich ist, muss diese mehr Zeit in den Bildungseinrichtungen erhalten. Auch aus diesem Grund ist der Ausbau des Ganztagschulangebots in Deutschland eines der zentralen Projekte der nächsten Jahre. Deutschland braucht einen Masterplan Ganztagsschule, mit dem in einem ersten Schritt bis 2015 ein flächendeckendes und bedarfsgerechtes ganztägiges Angebot sichergestellt wird und mit dem in einem zweiten Schritt alle Schulen in Deutschland bis zum Jahr 2020 zu Ganztagsschulen weiterentwickelt werden. Unser Ziel ist, bis 2020 einen Rechtsanspruch auf Ganztagsschule für alle Schülerinnen und Schüler in allen Teilen des Landes zu realisieren. Zum Schluss noch einige Anmerkungen zum Thema Inklusive Bildung, zu dem heute ebenfalls zwei Anträge vorliegen. Das in der UN-Behindertenrechtskonvention verankerte Menschenrecht auf inklusive Bildung – bisher bedauerlicherweise noch nicht Bestandteil des Nationalen Bildungsberichts – gehört ohne Zweifel zu den herausragenden nationalen Aufgaben im Bildungswesen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Es bietet neue Chancen für den Blick auf Individualität und individuelle Förderung für alle Menschen im Bildungswesen. Die SPD-Fraktion hat bereits im Juni einen Antrag zum Thema Inklusive Bildung beschlossen, der in den nächsten Wochen im Plenum des Bundestages beraten werden soll. Daher an dieser Stelle nur vier kurze Anmerkungen dazu: Erstens. Inklusion ist eine Chance für die gesamte Gesellschaft. Sie bricht mit den überkommenen Prinzipien unseres Bildungswesens, insbesondere dem der Separation. Inklusiver Unterricht soll dazu führen, dass größere Lern- und Entwicklungsfortschritte erzielt werden, weil auf die Individualität der Schülerinnen und Schüler eingegangen wird. Zweitens. Inklusion ist eine Herausforderung für alle Stufen und Etappen des Bildungswesens. Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Teilhabe und Bildung. Daher muss inklusive Bildung in Kindertageseinrichtungen, Schulen, Berufsschulen und Betrieben, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen zur Normalität werden. Einstiege sind zu ermöglichen, Übergänge dürfen nicht weiter Selektionsstufen bleiben. Drittens. Um inklusive Bildung in Deutschland verantwortungsvoll umzusetzen, müssen wir die Menschen starkmachen, die mit Inklusion befasst sind. Unser derzeitiges Bildungssystem ist für die große Aufgabe der Inklusion noch nicht ausreichend vorbereitet und hat großen Nachholbedarf bei der Qualifizierung des Lehrpersonals. Wir brauchen Profis für inklusive Bildung – die Menschen in den Bildungseinrichtungen, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter müssen auf den Umgang mit heterogenen Lerngruppen vorbereitet werden. Viertens. Auf dem Weg zu einem inklusiven Bildungssystem müssen insbesondere die lokalen Netzwerke unterstützt werden. Es gilt, die verschiedenen Zuständigkeiten vor Ort besser aufeinander abzustimmen. Wir brauchen kommunale Inklusionspläne, in denen das Erreichen der staatlichen Ziele durch die Verantwortung der Akteure vor Ort und deren Kenntnisse der Probleme aus erster Hand bestimmt werden. Sie können so als Grundlage für die vernetzte Arbeit aller Beteiligten dienen. Der Nationale Bildungsbericht hat uns viele herausragende Aufgaben aufgezeigt. Wir sollten uns von diesen Herausforderungen nicht abschrecken lassen, sondern mit Mut und Tatkraft vorausgehen. Sylvia Canel (FDP): Alle reden von Inklusion und fragen sich, wie sie umzusetzen ist. Doch wie definiert sich eigentlich Inklusion? Die UNESCO definiert Inklusion im Bildungsbereich wie folgt: Inklusion im Bildungsbereich bedeutet, dass allen Menschen die gleichen Möglichkeiten offenstehen, an qualitativ hoch-wertiger Bildung teilzuhaben und ihre Potenziale zu entwickeln, unabhängig von besonderen Lernbedürfnissen, Geschlecht, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen – siehe auch Positionspapier „Für gemeinsames Lernen – Fünf Thesen für ein inklusives Schulsystem“ von Frau Gabriele Molitor, behindertenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. In dem vorliegenden Antrag „Zusammen lernen – Recht auf inklusive Bildung bundesweit umsetzen“ vermengen die Grünen die Forderung nach Inklusion auf unzulässige Weise mit der UN-Behindertenrechtskonvention. Denn das Recht auf Teilnahme von Behinderten an Bildungsangeboten im Sinne der UN-Behindertenkonvention ist in Deutschland sehr wohl gewährleistet. Die gemeinschaftliche Beschulung im Sinne der Inklusion ist weitergehend und umfänglicher. Sie geht über die UN-Behindertenrechtskonvention hinaus und verlangt nach einem ganzheitlichen Ansatz, bei dem es längst nicht ausschließlich um Behinderungen geht. Inklusion beinhaltet, dass sich Bildungseinrichtungen systematisch an den Bedürfnissen der einzelnen Schülerinnen und Schüler orientieren, diese wahren und darauf entsprechend eingehen. So gehören per Definition auch schulische Überflieger, Hochbegabte sowie handwerklich-praktisch versierte Menschen mit und ohne körperliche Beeinträchtigungen dazu – siehe Positionspapier. In dem Antrag der Grünen wird darauf jedoch nicht angemessen eingegangen; er springt zu kurz. Inklusion ist die Chance auf Teilhabe, die Begegnung auf Augenhöhe beim Lernen, im Unterricht und nicht nur der gleichberechtigte Zugang zu Schulen und Ausbildungsstätten. Sie wird eine neue Didaktik, neue Methoden und neue Lerninhalte schaffen. Die Grünen verwenden in ihrem Antrag das Argument, die vermeintlich schwächste Gruppe, die geistig und körperlich Behinderten, innerhalb der Schülerschaft schützen zu wollen. Doch genau mit diesem Argument verhindern die Grünen jegliche Möglichkeit, ein gleichberechtigtes Miteinander der Schüler zu etablieren. Auch diese Kinder können stark sein, wenn man sie lässt. Dieses gleichberechtigte Miteinander beinhaltet die Forderung, allen Schülerinnen und Schülern, unabhängig davon, ob diese eine körperliche oder geistige Einschränkung bzw. eine besondere Begabung besitzen oder nicht, die entsprechende und vor allem besondere Aufmerksamkeit zu schenken, die sie benötigen. Insbesondere Kinder mit besonderen Talenten und Stärken finden wieder keine Berücksichtigung. Und genau dieser Fehler, nämlich die Vernachlässigung vermeintlich „starker“ Schülerinnen und Schüler, kann man als Markenzeichen von grüner Bildungspolitik deklarieren. Diese Tatsache wird dadurch verdeutlicht, dass in den Bundesländern, in denen die Grünen in Verantwortung bzw. in Mitverantwortung sind, die Leistungsorientierung im Bildungssystem fehlt und folglich auch die Schülerinnen und Schüler mit geistigen und körperlichen Einschränkungen nicht ihren Fähigkeiten entsprechend gefördert werden. Ein weiteres Paradoxon wird deutlich, wenn man die Aussage der Grünen betrachtet, dass die Koalition eine Reform des Grundgesetzes verhindern wolle. Denn wenn man den Sachverhalt genauer betrachtet, so wird deutlich, dass es die Grünen selbst waren, die den Kompromissvorschlag zur Öffnung der Verfassung oder – genauer – die Möglichkeit für den Bund, mehr Einfluss zu nehmen, kategorisch ablehnten. Der Kompromissvorschlag ist auch bekannt unter dem Stichwort Änderung von Art. 91 b des Grundgesetzes. Die Grünen fordern in ihrem Antrag die Öffnung der Verfassung in Bezug auf die Schule. Die Bundesregierung wird dazu aufgefordert, eine Verfassungsänderung zur Aufhebung des Kooperationsverbotes zu erarbeiten. Dabei lassen die Grünen unerwähnt, dass der grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg bereits lauthals verkündet hat, eine solche Änderung des Grundgesetzes kategorisch abzulehnen. Gleichzeitig verweigert sich die grüne Bundestagsfraktion einer sorgsamen, schrittweisen Öffnung des Grundgesetzes über eine Änderung des Art. 91 b des Grundgesetzes – institutionelle Finanzierung von Hochschulen. Was wollen Sie denn nun? Auf Bundesebene beschließen und im Ländle ausbremsen – ähnlich wie in der Energiepolitik? Das kann es ja wohl nicht sein. Dabei wäre es gerade in der Bildungspolitik nötig, dass Bund und Land an einem gemeinsamen Strang ziehen und eine einheitliche Meinung vertreten, um so auch den Anschein der Seriosität wahren zu können. Als Bildungsexpertin kann ich auch dem anderen Antrag der Grünen zum Thema „Konsequenzen aus dem Nationalen Bildungsbericht ziehen – Bildungsblockaden aufbrechen und mehr Teilhabe ermöglichen“ nur meine Ablehnung entgegenbringen. Bemerkenswert ist, dass die Grünen in ihrem Antrag die Unterfinanzierung des Bildungssystems beklagen. Im Bildungsbericht ist jedoch von einer überproportionalen Ausgabensteigerung, nämlich von 164,6 Milliarden auf 172 Milliarden Euro, die Rede. Folglich investiert der Bund rund 30 Prozent mehr in Bildung und Forschung als die letzte rot-grüne Bundesregierung. Ferner beklagen die Grünen in ihrem Antrag die hohe Zahl der Bildungsverlierer, und wieder stimmt das nicht mit dem Bildungsbericht überein. Denn der Bildungsbericht spricht von einer erhöhten Teilnahme an Bildungsangeboten im vorschulischen Bereich – 94 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund besuchen eine Kita –, vom Ausbau der Ganztagsschule, steigender Bildungsbeteiligung bei jungen Menschen und Erwachsenen und einem starken Anstieg der Studierendenzahl. Wir wissen auch, dass sich die Situation auf dem Ausbildungsmarkt deutlich entspannt hat. Während zu rot-grünen Zeiten Ausbildungsplätze ein rares Gut waren, suchen heutzutage Ausbildungsbetriebe händeringend Azubis. Gleichzeitig hat die Bundesregierung mit den Bildungsketten ein Programm aufgelegt, das gerade gefährdete, leistungsschwache Jugendliche in die betriebliche Bildung führt. Dem wird seitens der Antragsteller das Modell DualPlus gegenübergestellt, ein Modell, welches von den entscheidenden Akteuren im Berufsbildungssystem, zum Beispiel von den Industrie- und Handelskammern und dem Handwerk, bestenfalls stirnrunzelnd zur Kenntnis genommen wird. Gute Bildung macht man nicht am grünen Tisch und schon gar nicht mit links! Zur Umsetzung der Inklusion benötigen wir mehr Eigenständigkeit in den Schulen und weniger Schulbürokratie. Schule muss individueller, selbstständiger und eigenverantwortlicher werden dürfen, und wir müssen es einrichten, dass sie die Freiheit dazu bekommt. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Wenn jemand eine Reise „all inclusive“ in einem Reisebüro bucht, dann weiß man genau, was gemeint ist. Alle Leistungen sind inbegriffen. Inklusive Bildung heißt: Alle Kinder sind gemeint, alle Kinder und Jugendlichen lernen gemeinsam. Doch wenn über inklusive Bildung geredet wird, dann ist das heute noch für viele ein Begriff, mit dem sie nichts anzufangen wissen. Manche glauben, wer über inklusive Bildung redet, treibt nur wieder eine neue bildungspolitische Sau durchs Dorf. Und manche Bildungsverwaltung sieht in der Umsetzung von Inklusion ein probates Mittel, die ohnehin knappen Mittel in der Bildung deutlich sparsamer einzusetzen. So werden Kinder mit diagnostizierten vermeintlichen Lernbehinderungen in sogenannte Regelschulen aufgenommen, und ihnen werden sage und schreibe – wie in Sachsen-Anhalt – zwei Stunden sonderpädagogische Förderung zugestanden. Dass Schulen heute bei Neubau oder Sanierung einen Zugang für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer erhalten, wird langsam zur Regel. Dass aber für die volle Wahrnehmung aller Bildungsangebote an Schulen der barrierefreie Zugang zum gesamten Schulhaus erforderlich ist, das bleibt oft noch unbeachtet. Und – noch schlimmer – die Zahl der Schulen, die auf eine solche Sanierung noch warten müssen, ist unglaublich groß. Doch die Kommunen, die in den meisten Fällen für die Sanierung von Schulen zuständig sind, sind ob der Größe der Aufgabe und der knappen öffentlichen Kassen damit überfordert. Doch die Umsetzung von Inklusion in der Bildung ist keine Sache, die man machen oder auch bleiben lassen kann, ist keine generöse Geste an Menschen mit Behinderungen, sondern sie ist eine Forderung, die auf geltendem Recht begründet ist, ein Rechtsanspruch. Inklusive Bildung, individuelle Förderung jeder und jedes Einzelnen, gleich ob mit oder ohne Behinderung und gleich, mit welcher Beeinträchtigung Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene leben, ist für alle gut; es stärkt die Stärken aller, und Nachteile werden nach Maßgabe des konkreten individuellen Bedarfs ausgeglichen. Aber dieser Rechtsanspruch, der sich aus der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ergibt, muss in der Bundesrepublik Deutschland auch in innerstaatliches Recht überführt und dann auch praktisch umgesetzt werden. Allen hier im Hause ist bewusst, dass die Bildungsbenachteiligung eines der größten Probleme bundesdeutscher Bildungswirklichkeit ist. Alle Versuche, Kinder auf noch so viele unterschiedliche Schulformen aufzuteilen, führen nachgewiesenermaßen nicht zu einer besseren Förderung. Darum ist die Umsetzung von Inklusion in der Bildung auch ein Beitrag zu mehr Chancengleichheit in der Bildungsteilnahme. Wer aber Inklusion in der Bildung umsetzen will, muss auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das erfolgreich für alle werden kann. Nicht wenige Vorbehalte gegen das gemeinsame Lernen von Kindern und Jugendlichen rühren doch daher, dass sie Sorge haben, dass Kinder eben nicht die für sie beste Bildung und Förderung erhalten. Darum müssen wir als Politikerinnen und Politiker eben auch dafür sorgen, dass die Bedingungen stimmen. Wir haben darum einen Antrag eingereicht, der sich darauf konzentriert, was in der Bundesverantwortung getan werden muss, damit Inklusion zu einem Erfolgskonzept für die Bildung in Kitas, Schulen, Hochschulen und in der Aus- und Weiterbildung werden kann. Denn erfolgreiche Bildungsteilnahme ist nun einmal der Schlüssel zu einem erfüllten Leben. Der Generalverweis auf die Zuständigkeit der Länder zieht nicht, denn hier wurde durch die Bundesregierung Recht gesetzt, und nun ist die Bundesebene auch gefordert, für die Umsetzung dieses Rechts Sorge zu tragen. Und da kann sehr viel getan werden. Nur ein paar Punkte: Wie eigentlich muss eine Schule aussehen, wie muss sie ausgestattet sein, damit sie inklusiv arbeiten kann? Welches Personal muss vorgehalten, welche Therapieangebote müssen gewährleistet werden, damit unterschiedliche Behinderungsarten angemessen begleitet werden können? Welche beruflichen Perspektiven werden jungen Menschen mit Behinderungen eröffnet, und wie wird ihnen der Weg zu einem selbstständigen Leben erleichtert? Was brauchen Studierende mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen, um ihr Studium erfolgreich abzuschließen? Wer berät die Eltern und die Betroffenen über die möglichen Hilfen? Wo sind die Rechtsansprüche geregelt, und wer trägt die Kosten? Wer bildet Lehrerinnen, Erzieherinnen entsprechend aus? Und was die Schulbauprogramme betrifft: Es kann doch nicht sein, dass Kommunen gerne auf europäische Programme zur Schulbauförderung zurückgreifen können, aber ein Bund-Länder-Programm zum inklusiven Umbau von Schulen nicht möglich sein soll. Die Grünen verweisen in ihrem Antrag wie regelmäßig auch die SPD auf die segensreichen Wirkungen von neuen Ganztagsschulprogrammen. Also, bei aller Freundschaft: Eine inklusive Gemeinschaftsschule – denn das wäre sie dann – muss selbstverständlich eine Ganztagsschule sein. Aber eine Ganztagsschule ist im Umkehrschluss per se noch keine inklusive Schule. Auch Gymnasien können Ganztagsschulen sein. Aber die wenigsten von ihnen sehen Inklusion als ihre Aufgabe an. Darum würden wir den Schwerpunkt anders setzen. Wir freuen uns aber, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen ähnlich gelagerten Antrag gestellt hat. Er ist in vielen Positionen nah bei unserem, wenn auch oft nicht so konkret. Mindestens eine Kritik habe ich allerdings: Die Orientierung der Schülerinnen und Schüler nur auf den Hauptschulabschluss halte ich für zu kurz gegriffen. Zum einen gibt es Förderschulen, die ganz selbstverständlich auch auf den Realschulabschluss ausgerichtet sind; zum anderen finden wir an Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen nicht wenige, die später über andere Förderinstrumente den Realschulabschluss erreichen. Sie auf den Hauptschulabschluss festzulegen, ist falsch. Außerdem sollten wir den Hauptschulabschluss ohnehin nicht weiter hofieren; er ist selten eine gute Basis für den Einstieg in Ausbildung und Beruf. Die beiden Anträge zur Inklusion von den Grünen und von uns, der Linken, sind aber ganz gute Illustrationen für den dritten Antrag zu diesem TOP: „Konsequenzen aus dem nationalen Bildungsbericht ziehen“. Der allerdings stellt keine neuen Forderungen, bringt auch keine neuen Erkenntnisse; er greift Dinge auf, die auch in anderen Anträgen, darunter nicht wenige von der Linken, schon ausführlicher formuliert worden sind. Dennoch mag er nützlich sein, wenn wir in absehbarer Zeit über den Fehlstart der Bundesregierung bei der geplanten Grundgesetzänderung für eine bessere Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung reden. Die ist nämlich das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Wir wollen eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz wieder festschreiben. Das macht auch die Finanzierung inklusiver Bildung deutlich leichter. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wichtigste Dokument der Bildungsforschung in Deutschland ist der Nationale Bildungsbericht. Es ist daher ein Armutszeugnis für die Koalition und die Bundesregierung, dass wir Grüne es sind, auf deren Antrag die Ergebnisse des vierten Nationalen Bildungsberichts hier im Plenum überhaupt behandelt werden. Das Bundes-kabinett hat es bisher noch nicht einmal für nötig befunden, sich mit dem Bericht zu befassen, obwohl es sich dabei um die zentrale wissenschaftliche Analyse des -gesamten Bildungssystems hierzulande handelt und er bereits seit Juni 2012 vorliegt. Offenbar hat Schwarz-Gelb nach dem vollmundigen Ausrufen einer „Bildungsrepublik“ Deutschland schnell das Interesse verloren, ebendiese zu bauen und für ihre Baupläne die exzellente Expertise der Bildungsforschung zur Grundlage zu nehmen. Das ist bedauerlich und fahrlässig gegenüber der jungen Generation. Warum Sie den Bericht am liebsten in der Schublade verstauben lassen würden, wird klar, wenn wir Ihre Politik mit den dort festgestellten Notwendigkeiten vergleichen. Es kommt Ihnen offensichtlich sehr ungelegen, dass im nationalen Bericht das geplante Betreuungsgeld kritisiert wird. Aber die Bildungsforschung hat recht: Das Betreuungsgeld würde sich als Bildungsfernhalteprämie fatal auswirken. Es konterkariert den notwen-digen quantitativen und qualitativen Ausbau der Kin-derbetreuung. Anstatt die für das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel hierfür zu nutzen, enthalten sie faktisch gerade Kindern aus bildungsfernen Familien frühkindliche Bildung und die Erfüllung des Rechtsanspruchs vor. So schaden Sie den Bildungschancen dieser Kinder aktiv und tragen dazu bei, dass sich die soziale Schere im Bildungswesen noch weiter öffnet. Kippen Sie endlich diese bildungspolitische Katastrophe! Wir fordern Sie auf, sich in Ihrer Bildungspolitik nicht länger den Erkenntnissen der Wissenschaft zu verschließen, den Bildungsbericht endlich im Kabinett zu beraten und aus den gewonnenen Erkenntnissen Konsequenzen für mehr Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit zu ziehen. Die Bundesregierung ignoriert systematisch die abgehängten und benachteiligten Kinder und Jugendlichen. Auch hier sind die Ergebnisse des Bildungsberichts eindeutig: Einerseits erwerben mehr junge Menschen höhere Schul- und Hochschulabschlüsse, andererseits ist die Zahl der Bildungsverlierer kaum rückläufig. Denken Sie nur an die 2,2 Millionen bis -34-Jährigen ohne Berufsabschluss und infolgedessen mit düstersten Jobaussichten. Nach wie vor hängt der Bildungserfolg in keinem anderen OECD-Land so sehr vom Elternhaus ab wie in Deutschland. Wann ziehen Sie daraus endlich die notwendigen Konsequenzen? Eine große Herausforderung für alle politischen Ebenen ist die Verwirklichung der Inklusion im gesamten Bildungssystem. Der von uns heute ebenfalls vorgelegte Antrag soll deshalb Anlass für intensive Beratungen und Aktivitäten sein. Es darf nämlich nicht dabei bleiben, dass die Bundesregierung die „UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung“ ratifiziert und dann wie in ihrem „Nationalen Aktionsplan“ in mutlosen Allgemeinplätzen verharrt. Auch von den Koalitionsfraktionen liegt uns noch keine Initiative vor. Es muss uns doch alle bewegen, wenn nach der gemeinsamen Kita die „Segregation“ in behinderte und nicht behinderte Kinder ausbricht. Es muss doch auch Ihnen ein -Anliegen sein, Schulen, Ausbildungsstätten und Hochschulen zu inklusiven Bildungsorten weiterzuentwickeln. Nach all der Bildungsforschung, für die sich Frau Schavan so gerne loben lässt, herrscht in Deutschland noch immer die irrwitzige Praxis vor, dass sonderpädagogische Förderung nur an speziellen sonderpädagogischen Einrichtungen stattfinden kann. Inklusion muss stattdessen zum pädagogischen und bildungspolitischen Leitbild, vor allem aber zur gelebten Realität werden. Um die mittlerweile von fast allen geteilten Ziele wie die Inklusion oder den Ausbau der Ganztagsschulen zu erreichen, müssen wir die Kräfte bündeln. Deshalb muss das Kooperationsverbot im Grundgesetz fallen. Dass die Bundesbildungsministerin heute dazu endlich mit den Ländern ins Gespräch kommt, ist sehr spät – wir -wünschen diesen Gesprächen trotzdem viel Erfolg. Wir brauchen eine Verantwortungspartnerschaft sowie eine neue Vertrauens- und Kooperationskultur zwischen Bund, Ländern und Kommunen, um tatsächlich einen gesamtstaatlichen Bildungsaufbruch für gleiche Teil-habechancen zu schaffen. Auf große Defizite macht der Bericht bei den Übergängen zwischen den Bildungsbereichen aufmerksam. Gerade bei der beruflichen Bildung herrschen in Regierung und Koalition Tatenlosigkeit und Selbstzufriedenheit. Obwohl die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen aus -demografischen Gründen zurückgeht – was Sie ja wohl kaum als Verdienst Ihrer Regierung reklamieren wollen, waren 2011 fast 300 000 Jugendliche im „Übergangssystem“ statt in Ausbildung. Zudem erhält nicht einmal die Hälfte der Hauptschulabsolventen einen Ausbildungsplatz. Diese Zahlen machen deutlich: Es fehlt ein echter Übergang von der Schule in vollqualifizierende Berufsausbildungen, wie wir es im Konzept DualPlus vorschlagen. Umgestaltet werden muss auch die Schnittstelle zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung, um die Attraktivität der beruflichen Ausbildung durch eine erhöhte Durchlässigkeit zur Hochschule zu verbessern. Die Hochschulen müssen sich nicht nur formal, sondern auch durch passende Angebote den beruflich Qualifizierten öffnen. Dem Mangel an Fachkräften und Hochqualifizierten muss zudem mit einer echten Ausbauoffensive an den Universitäten und Fachhochschulen entgegengewirkt werden. Der Hochschulpakt reicht angesichts der stark gestiegenen Zahl der Studienberechtigten aber noch nicht aus. Laut Bericht liegt der Bedarf an Studienplätzen aktuell um rund 300 000 Plätze höher, als in der -laufenden Hochschulpaktphase zwischen Bund und -Ländern vereinbart. Der Pakt darf durch die Bundesbildungsministerin nicht länger gedeckelt, sondern muss gemäß der aktuellen Prognosen umgehend aufgestockt werden. Daneben ist eine soziale Öffnung der Hochschulen unerlässlich. Dazu gehört neben der sozialen Infrastruktur eine bessere und gerechtere Studienfinanzierung. Von der Bundesregierung erwarten wir daher konkrete Vorschläge für eine BAföG-Reform, kein nutzloses und erfolgloses Deutschland-Stipendium. Bildungsgerechtigkeit geht anders. Festzuhalten bleibt: Die Bundesregierung geht notwendige Strukturreformen nicht an und zeigt sich beratungsresistent durch Ignorieren auch dieses Bildungsberichts. Dort, wo sie aus sachfremden Gründen und zur Bedienung des Starrsinns der CSU aktiv wird, wie beim -Betreuungsgeld, richtet sie bildungspolitischen Schaden an. Es wird Zeit, dass neue Mehrheiten mehr Mut beweisen und die Prioritäten zugunsten von mehr Bildungs-gerechtigkeit verschieben. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: – Eine kohärente Gesamtstrategie für Pakistan – Für eine aktive Einbindungsdiplomatie, Stärkung der demokratischen Kräfte und eine verlässliche Entwicklungszusammenarbeit (Tagesordnungspunkt 19) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Bevor ich zur eigentlichen Debatte des Antrags komme, möchte ich Folgendes festhalten: Der brutale Mordversuch der Taliban an der 14-jährigen Schülerin Malala Yousufzai Anfang Oktober, die in der Vergangenheit offensiv für bessere Bildungschancen für Mädchen geworben hat, hat auf erschütternde Weise deutlich gemacht, wie aktuell die Debatte um die politische und gesellschaftliche Entwicklung Pakistans ist. Diese Entwicklung Pakistans ist nicht nur für seine eigenen Bürgerinnen und Bürger zentral, sondern auch für die gesamte Zukunft der Region. Ich denke, dass wir uns alle darin einig sind, von hier die besten Genesungswünsche an Frau Yousufzai zu richten. Im Folgenden konkret zu Ihrem Antrag: Die im ersten Teil des Antrags angemahnte aktive Einbindungspolitik findet doch statt – sowohl durch Deutschland als auch durch wesentliche Akteure der internationalen Politik. Freilich ist das derzeit insbesondere zwischen den USA und Pakistan nicht einfach. Jedoch: Nicht nur der Besuch der pakistanischen Außenministerin Hina Rabbani Khar in Berlin am 4. September 2012, sondern insbesondere die bei dieser Gelegenheit unterzeichnete und durch Sie auch angesprochene Roadmap für den deutsch-pakistanischen strategischen Dialog sind klare Belege für diese sich intensivierende Einbindungspolitik Deutschlands. Pakistan befindet sich spätestens seit dem Beginn des Afghanistan-Engagements im Fokus der internationalen Politik und vielfältiger Einbindungsaktivitäten. Federführend waren insbesondere im sicherheitspolitischen Bereich stets die USA, aber auch Großbritannien hat sich in den zurückliegenden Jahren sehr intensiv eingebracht. Pakistan ist seither in die Ausarbeitung und Verhandlung einer politischen Lösung in Afghanistan eingebunden gewesen – genau so, wie Sie es verlangen. Deutsches und internationales Engagement zur Einbindung Pakistans treffen sich dabei nicht nur in VN und NATO, sondern insbesondere in der Internationalen Kontaktgruppe zu Afghanistan, International Contact Group, ICG. Die ICG bestätigte den deutschen Sondergesandten AFG/PAK, Botschafter Dr. Koch, bei ihrem Treffen in Abu Dhabi als ihren Vorsitzenden. Ich halte das für einen starken Beleg der anerkannten Rolle Deutschlands bei der aktiven Einbindung unterschiedlicher und wichtiger Akteure wie Pakistan in die Lösung der zentralen Herausforderung der ganzen Region. Wenn ich auch Ihren grundsätzlichen Befund nicht teilen kann, dass es keine aktive Einbindungspolitik der Bundesregierung und wesentlicher Akteure der internationalen Politik gebe, denke ich, dass die anstehende vollständige Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Behörden und der Abzug von ISAF bis 2014 große Auswirkungen auch auf Pakistan und seine internationale Einbindung haben werden. Die Natur unseres Engagements in Afghanistan wird sich grundsätzlich wandeln, und deshalb müssen wir parallel zu unseren Anstrengungen in Afghanistan auch die Einbindung Pakistans weiterentwickeln. Aus unserer Sicht stellt dafür der Versöhnungsprozess einen guten, wenn auch nicht den einzigen Ausgangspunkt dar. Für diese Weiterentwicklung sind die Äußerungen der pakistanischen Außenministerin bei ihrem Besuch in Berlin aus unserer Sicht sehr ermutigend. Pakistan erachtet demnach ein friedliches und stabiles sowie wirtschaftlich aufstrebendes Afghanistan als sein Kerninte-resse. Diese Definition bedeutet eine Abkehr von der alten Forderung nach „strategischer Tiefe“ – also Afghanistan auf Abstand zu halten – und öffnet Pakistan für neue politische Ansätze in den in der Vergangenheit nicht immer einfachen bilateralen Beziehungen. Es besteht also die konkrete Chance, Pakistan dabei zu unterstützen, von einem durch den Konflikt in Afghanistan betroffenen Akteur zu einem von Frieden und Stabilität in Afghanistan profitierenden Akteur werden zu können. Das wollen wir stützen, und deshalb ist die angesprochene Roadmap politisch auch so wichtig. Sie sollten das nicht unterschätzen. Ihre Ausführungen zur Stärkung der demokratischen Kräfte und der Zivilgesellschaft Pakistans beschreiben in Teil zwei des Antrags im Wesentlichen die Probleme, vor denen wir in diesem hochkomplexen Land stehen. Hier besteht und wird mutmaßlich auch für die kommenden Jahre großer Handlungsbedarf bestehen. Allerdings will ich Sie darauf hinweisen, dass es eben nicht nur um Maßnahmen gehen kann, die die innere Sicherheitslage ausblenden. Handlungsfähige Sicherheitskräfte sind – der eingangs erwähnte dramatische Vorfall zeigt es überdeutlich – bei der absehbaren inneren Verfassung Pakistans in Zukunft mehr als bedeutsam. Allerdings füge ich hinzu, dass deren politische Kontrolle und damit das pakistanische Parlament insgesamt gestärkt werden müssen. Jedenfalls springen Sie in Ihrer Fokus-sierung zu kurz. Die Stärkung des Parlaments sollte aber ein konkretes Anliegen von uns Abgeordneten sein. Sie führen das ja auch am Beispiel des Women´s Parliamentary Caucus selbst aus. Im März 2012 haben die Kollegin Sibylle Pfeiffer, der Kollege Bijan Djir-Sarai und ich in einem Schreiben eine gemeinsame Reise von Kolleginnen und Kollegen der Ausschüsse für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Auswärtiges und Verteidigung des Bundestages nach Islamabad angeregt, um den Austausch mit den jeweiligen Fachausschüssen zu intensivieren. Vor diesem Hintergrund frage ich mich schon, warum Sie auf dieses konkrete Angebot zur Stärkung der parlamentarischen Beziehungen nicht reagiert haben. Nicht nur die Bundesregierung ist aufgerufen, ihren Beitrag zu leisten, sondern auch wir Parlamentarier. Zu den entwicklungspolitischen Aspekten Ihres Antrages nehme ich keine Stellung, da dies meiner Kollegin Sibylle Pfeiffer als zuständiger Sprecherin unserer Fraktion obliegt. Vor diesem Hintergrund lehnen wir Ihren Antrag ab. Er enthält in seiner generellen Beschreibung viel Richtiges, springt jedoch gleichzeitig in der politischen Bewertung der laufenden Aktivitäten zu kurz und berücksichtigt diese nicht ausreichend. Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Malala Yousufzai ist ein 14-jähriges Mädchen aus Pakistan. Sie wurde berühmt für ihren Blog über die Verbrechen der terroristischen pakistanischen Taliban im Swat-Tal und für ihren Kampf für ihr Recht auf Schulbildung und dafür Musik hören zu dürfen. Die pakistanische Regierung zeichnete sie dafür mit dem ersten nationalen Friedenspreis des Landes aus. Weltbekannt wurde sie durch einen feigen Anschlag auf ihr Leben, als ihr am 9. Oktober 2012, noch im Schulbus sitzend, Attentäter der Taliban in Kopf und Hals schossen. In einem Bekennerschreiben wurde als Begründung für den Anschlag ihr Kampf für das Recht von Mädchen auf Schulbildung angeführt – dies war in den Augen der Taliban offensichtlich nur schwer zu ertragen. Es verschlägt uns allen die Sprache, wie menschenverachtend diese islamistischen Taliban sind, dass das Eintreten für dieses selbstverständliche Recht schon ausreicht, um einen Mordanschlag auf ein 14-jähriges Mädchen zu verüben. Islamistische Taliban fühlen sich durch ein 14-jähriges Mädchen schon herausgefordert – dafür findet wohl niemand mehr passende Worte. Umso mehr freut es mich und uns alle, dass Malala Yousufzai den Mordanschlag schwerverletzt überlebt hat und mittlerweile auf dem Weg der Besserung ist. Diese tragische Geschichte zeigt uns leider nur allzu deutlich, wie zerrissen das Land ist und wie schwer wir uns damit tun, es zu verstehen. Dabei wissen wir um seine Bedeutung: Pakistan wird eines Tages wohl das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt sein. Im Inneren ist es herausgefordert von islamistischen Aufständischen, die versuchen, die Kontrolle über das Land mit seinen Atomwaffen zu übernehmen. Gleichzeitig stagniert die Wirtschaftskraft, und vor dem Hintergrund einer Steuerquote von nur 9 Prozent droht nahezu permanent der Staatsbankrott. Die düstere ökonomische Perspektive geht einher mit einer fast schon traditionell angespannten sozialen Lage. Hinzu kommt, dass es auch nicht immer leicht ist, die innenpolitischen Zielsetzungen der unterschiedlichen Machtzirkel in Armee, Geheimdienst und Politik, die um Einfluss ringen, nachzuvollziehen. Das Verhältnis zu seinen Nachbarn ist für Pakistan ebenfalls nicht einfach. Die Rivalität mit Indien – unter anderem aufgrund der bis heute ungelösten Kaschmir-Frage – führte schon zu drei Kriegen zwischen den beiden Atommächten. Eine weitere Eskalation dieses Konflikts wäre in seinen Auswirkungen kaum vorstellbar. Auch das Verhältnis zu seinem Nachbarn Afghanistan ist nicht frei von Spannungen. Zu groß sind die manchmal einseitigen, mitunter aber auch wechselseitigen Einflüsse aufeinander und die Schwierigkeiten im gemeinsamen Grenzgebiet. Malakand und Waziristan sind nach wie vor Rückzugsorte und Sammelbecken für Islamisten unterschiedlichster Art, die Pakistan und Afghanistan destabilisieren. Demzufolge ist eine Befriedung sowie politische und wirtschaftliche Stabilisierung dieser Region in Zentralasien ohne Pakistan nicht möglich. Unsere Unterstützung für dieses Land und seine Menschen ist somit nicht nur ein moralisches Gebot, sondern auch in unserem ureigensten Sicherheitsinteresse. Daher gab es und gibt es viele gute und wichtige Gründe für uns, Pakistan auf unserer außen- und entwicklungspolitischen Agenda weit oben anzusiedeln. Schon seit 1961 besteht die pakistanisch-deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Damit gehört Pakistan zu den deutschen Partnerländern der ersten Stunde – mit einem bisherigen Gesamtumfang von fast 2,5 Milliarden Euro. Regionaler Schwerpunkt der Zusammenarbeit ist traditionell der Nordwesten des Landes. Deutschland ist als einer der wenigen Geber mit eigenen Umsetzungsstrukturen in der Provinz Khyber-Pakhtunkhwa präsent und gehört zu den wenigen Partnern Pakistans, die auch Maßnahmen in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan implementieren. Bei der Auswahl der Sektoren, in denen wir mit Pakis-tan kooperieren, liegen wir in meinen Augen richtig. Viele Kenner Pakistans machen vor allem die unzureichende Energieversorgung als Hemmschuh für die sta-gnierende wirtschaftliche Entwicklung des Landes verantwortlich. Und gerade dieser Sektor ist seit den 60er-Jahren einer der Schwerpunkte unserer Kooperation. Angesichts des hohen Potenzials natürlicher Energieträger in Pakistan sind seitdem über 50 Prozent unserer Entwicklungsgelder in die Nutzung der Wasserkraft investiert worden. Hier haben wir schon einiges erreichen können: Gemeinsam mit dem pakistanischen Partner führten deutsche Experten zahlreiche Machbarkeitsstudien für Wasserkraftprojekte mit einem Energiepotenzial von 3 000 Megawatt durch. Davon sind Laufwasserkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 2 000 Megawatt fertiggestellt oder in Entstehung. Im Tharparkar District in Sindh konnten bislang 3 000 Solar-Photovoltaik-Anlagen errichtet werden, wodurch 25 000 Menschen in ihren Häusern erstmals Zugang zu Elektrizität bekamen. Ein letztes Beispiel unserer Erfolgsbilanz ist das in Kooperation mit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit eingeführte Energiemanagementsystem, wodurch die Textilindustrie heute zwischen 10 und 20 Prozent ihres Energieverbrauchs, das heißt etwa 62 Millionen Kilowattstunden pro Jahr, spart. Dadurch werden die Unternehmen durchschnittlich rund 100 000 Euro pro Jahr und pro Betrieb entlastet. Als ehemalige Mittelständlerin weiß ich nur zu gut, welche positiven Auswirkungen das auf die Entwicklung eines Unternehmens hat. Trotz aller Erfolge ist die Energieversorgung gerade in ländlichen Gebieten unzureichend und die produzierte Energiemenge insgesamt nach wie vor viel zu gering. Wir werden trotz aller Schwierigkeiten auch weiterhin alles tun, um diesen Sektor zu stärken. So vereinfacht diese Kausalkette klingt, so einleuchtend ist der folgende Gedanke als Leitfaden: ohne Energie keine wirtschaftliche Entwicklung, keine Arbeitsplätze und damit keine Lebensperspektiven für die junge Bevölkerung, die damit empfänglich wird für radikale Ideen. In diesem Zusammenhang halte ich auch den Hinweis auf unser Engagement im Bildungssektor für wichtig: Trotz einzelner Fortschritte zählt das öffentliche Schulwesen Pakistans zu den am schlechtesten entwickelten weltweit. Nur etwas mehr als die Hälfte aller fünf- bis neunjährigen Jungen und Mädchen besucht die Schule. Deshalb können wir das eingangs skizzierte Engagement von Malala Yousufzai gar nicht hoch genug loben und einschätzen. Daher kann ich aber auch die Behauptung im heute debattierten Antrag, die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik gegenüber Pakistan sei halbherzig und inkonsistent, nicht nachvollziehen. Dieser Vorwurf stimmt einfach nicht. Das gilt sowohl für die Entwicklungspolitik, das gilt aber auch für die außenpolitische Einbindung Pakistans. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals so viele hochrangige Regierungskontakte stattge-funden haben wie in den letzten zwei, drei Jahren: Außenminister Westerwelle besuchte im Januar 2011 Islamabad und traf sich zu Gesprächen mit Außenminister Qureshi, Armeechef Kayani und Premierminister Gilani. Der pakistanische Premierminister Gilani besuchte Deutschland Ende 2009 und besprach sich unter anderem mit Bundeskanzlerin Merkel. Und Entwicklungsminister Niebel besuchte Pakistan im Juni 2010. Daher genießen diese Bundesregierung und Deutschland zu Recht – vor allem im Vergleich zu anderen westlichen Partnern – in Pakistan einen sehr guten Ruf und werden neben Großbritannien als wichtigster Fürsprecher in der EU gesehen. Insofern sind viele Ihrer Behauptungen und Forderungen im Antrag populistisch und falsch. Und daher lehnen wir den Antrag ab. Johannes Pflug (SPD): Pakistan ist ein Land, das vor immensen Herausforderungen steht: Sein politisches und gesellschaftliches System ist hoch instabil: Die aktuelle Regierung wird voraussichtlich – sollte sie bis zur Wahl im nächsten Frühjahr an der Macht bleiben – die erste zivil gewählte Regierung Pakistans sein, die eine volle Amtsperiode durchhielt. Die Wirtschaftslage ist schlecht, die Energieversorgung mangelhaft, die Infla-tionsrate hoch und die Steuerquote eine der niedrigsten der Welt. Vielen jungen Pakistanis fehlt jede Zukunftsperspektive. Die Sicherheitslage des Landes ist desas-trös. Seit Beginn des sogenannten Kriegs gegen den Terror sind mehrere Zehntausend Menschen in Pakistan durch Terrorattentate, Einsätze des pakistanischen Militärs und Drohnenangriffe der USA umgekommen. Auf besorgniserregende Weise nehmen religiöser Extremismus und hasserfüllter Antiamerikanismus im Land zu. Die schleichende Radikalisierung der Bevölkerung und der wachsende Einfluss von Islamisten müssen uns alarmieren. Es sind die Schicksale zweier junger Mädchen gewesen, die in den letzten Wochen dieses Problem erneut der Welt auf drastische Weise vor Augen geführt haben: Der Fall um die wohl geistig behinderte Christin Rimsha Masih, die in Untersuchungshaft saß, weil sie angeblich Seiten aus dem Koran verbrannt hatte. Dies stellt in Pakistan den Straftatbestand der Blasphemie dar. Selbst wenn die Angeklagten von Gerichten freigesprochen werden, fallen sie nicht selten einem wütenden Mob zum Opfer. Besonders betroffen sind hiervon Angehörige religiöser Minderheiten – Christen, Schiiten, Ahmadis und andere. Das zweite Mädchen, das in den letzten Wochen traurige Berühmtheit erlangte, ist die 14jährige Malala Yousufzai. Sie wurde von einem Mordkommando der pakistanischen Taliban niedergeschossen, weil sie sich für die Bildung von Mädchen einsetzte. Doch gleichzeitig haben uns diese Fälle auch gezeigt, dass es immer noch viele Menschen in Pakistan gibt, die sich Terror und Radikalismus nicht beugen wollen. Die Anklage von Rimsha und erst recht der Mordversuch an Malala haben landesweiten Protest ausgelöst. Regional eingebettet ist dieses instabile Land in eine durch Konflikte geprägte Region. Wir haben es hier mit einer Atommacht zu tun, die sich im Dauerspannungszustand mit einer zweiten Atommacht – Indien – befindet. Faktisch findet der Afghanistan-Krieg auch in der nordwestlichen Grenzregion Pakistans statt, in der die Taliban einen Rückzugsraum gefunden haben. Dabei spielt der pakistanische Staat bei der Bekämpfung des Terrorismus bestenfalls eine ambivalente Rolle. Während gegen die pakistanischen Taliban mit aller Macht vorgegangen wird, steht der pakistanische Geheimdienst gleichzeitig im Verdacht, die afghanischen Taliban zu unterstützen. Damit ist Pakistan also zugleich Teil des Problems und der Lösung: Eine Stabilisierung der Region und eine politische Lösung in Afghanistan werden nicht ohne Pakistan erreicht werden können. Offiziell hat der Abzug vom Hindukusch bereits begonnen. Deutschland, als diejenige Nation, die für den Norden Afghanistans zuständig ist, wird dabei eine entscheidende Rolle spielen müssen. Der Abzug wird zu einem nicht unerheblichen Teil über Pakistan ablaufen. Dies bietet uns die Chance, Pakistan zu beweisen, dass es als Partner und nicht lediglich als „Bauer“ im Kampf gegen den Terrorismus von Bedeutung ist. Dass Pakistan von immenser geopolitischer Bedeutung ist, das ist allen beteiligten Akteuren klar. Und dennoch: Auch wenn die Bedeutung Pakistans immer wieder hervorgehoben wird, fehlt es leider noch immer an einer kohärenten deutschen Außenpolitik für diesen Staat. Das bisherige deutsche Engagement ist nicht ausreichend! Die im September unterzeichnete Roadmap für einen deutsch-pakistanischen strategischen Dialog geht zwar einen Schritt in die richtige Richtung. Jedoch kann auch sie nicht eine kohärente ressortübergreifende Gesamtstrategie für Pakistan ersetzen. Angesichts der komplexen Situation im Land und in der Region ist eine solche Gesamtstrategie jedoch dringend nötig! Deshalb ist es so wichtig, dass die SPD dies gemeinsam mit den Grünen mit dem vorliegenden Antrag thematisiert. Pakistan muss besser als bisher international eingebunden werden. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass die Bundesregierung gut beraten wäre, Pakistan nicht primär unter strategischen Aspekten zu betrachten. Nötig ist eine aktive -Pakistan-Politik, die der Bedeutung des Landes gerecht wird und die sicherheitspolitische, wirtschaftliche, sozialpolitische und Governance-Aspekte vereinigt. Darunter verstehe ich nicht einfach die Summe von unkoordinierten Maßnahmen. Entscheidend für eine erfolgreiche Pakistan-Politik ist ein Gesamtkonzept, das Politikziele klar formuliert, Prioritäten bestimmt und diese zu einer Strategie zusammenführt. Entscheidend sind hierbei die Förderung von Rechtsstaatlichkeit, die Bekämpfung der Korruption, die Entwicklung der pakistanischen Parteien von Elitegruppen hin zu demokratischen Organisationen und eine Stärkung der Zivilregierung gegenüber dem Militär. Es gilt vor allem, Justiz, Zivilgesellschaft und demokratische Kräfte auf allen Ebenen zu unterstützen! Die unveränderte Praxis der USA, die staatliche Souveränität Pakistans zu missachten und Drohnenangriffe im Nordwesten Pakistans durchzuführen, befeuert den Antiamerikanismus im Lande. Der ehemalige Cricket-Star Imran Khan setzt im Wahlkampf mit seiner neuen Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf gekonnt und mit populistischen Mitteln auf diese Karte – und stößt damit auf große Resonanz. Hier können sich die Bundesrepublik und die Europäische Union einbringen. Neben unterschiedlichen entwicklungspolitischen Instrumenten ist unsere größte Stärke das hohe Ansehen, welches Deutschland in Pakistan genießt. Diesen Vertrauensvorschuss dürfen wir nicht durch fahrlässige Politik verspielen. Wir müssen ihn nutzen, um gemeinsam mit der Europäischen Union eine Brückenfunktion einzunehmen. Außerdem sollten regionale Integrationsprozesse – wie durch den Istanbul-Prozess angestoßen – so stark wie nur möglich gefördert werden. Pakistan könnte immens von einer Öffnung hin zu Indien von dessen Wirtschaftsaufschwung profitieren. Und auch der sogenannte Allwetter-Freund China hätte das Potenzial, eine viel wichtigere Rolle als bisher zu spielen. Schließlich kann China genauso wenig wie wir an einem instabilen Pakistan interessiert sein. Wir fordern die Bundesregierung auf: Nutzen Sie Ihre Mittel und Möglichkeiten, um Pakistan in der deutschen Außenpolitik den Stellenwert zu verschaffen, der nötig ist! Bijan Djir-Sarai (FDP): Die angeblichen Mängel in der Pakistan-Politik der Bundesregierung hat die Opposition in ihrem Antrag schon selbst widerlegt. Gerne fasse ich ihren eigenen Befund noch einmal kompakt zusammen: Die Bundesrepublik Deutschland genießt „große politische Glaubwürdigkeit und ein hohes Ansehen in Pakistan“, Pakistan habe sich „nicht ernsthaft aktiv in die Friedensbemühungen in Afghanistan eingebracht“, „Deutschland und Europa brauchen in der Entwicklungszusammenarbeit mit Pakistan weiterhin strategische Geduld“. Diese Aussagen, die sich im vorliegenden Antrag wortwörtlich finden lassen, skizzieren meines Erachtens auch schon zutreffend die deutsch-pakistanischen Beziehungen. Kurz gesagt: Wir haben uns das Ansehen durch Zuverlässigkeit und stetigen Dialog erarbeitet und haben den Willen, Pakistan vollends einzubeziehen, aber das Land ist in mancher Hinsicht ein schwieriger Partner, mit dem man Geduld haben muss. Pakistan steht schon längst auf unserer Agenda. Dazu ein paar Beispiele: Deutschland kann auf eine über 50jährige Entwicklungszusammenarbeit mit Pakistan verweisen. Die deutsche Entwicklungshilfe konzentriert sich seit Jahren auf die Förderung der Demokratie, auf Bildung, Good Governance und den Gesundheitsbereich. Im September dieses Jahres unterzeichnete Außenminister Guido Westerwelle zusammen mit seiner Amtskollegin Hina Rabbani Khar eine Roadmap für einen deutsch-pakistanischen strategischen Dialog – ein Meilenstein in den Beziehungen beider Länder. Einmal im Jahr sollen die Staatssekretäre der Außenämter zusammenkommen und die Zusammenarbeit in allen wichtigen Bereichen vertiefen. Der Istanbul-Prozess soll Pakistan politisch und wirtschaftlich enger einbinden und zur Friedensstabilität in der Region beitragen. Der vorliegende Antrag stellt diese Initiativen als nur kleine Fortschritte dar. Aber was wollen Sie? Aufmerksamkeitsheischende Schlagzeilen und eine „Beste-Freunde-Partnerschaft“ im Hauruckverfahren? Partnerschaft braucht Zeit, sie muss auf festen Füßen stehen. Das Stichwort lautet, wie Sie es ja auch selber verwenden, „strategische Geduld“. Es ist der Weg der kleinen, aber soliden Schritte, die Sie ausgerechnet aber im Antrag kritisieren. Trotz dieser Erfolge darf man nicht vergessen: Pakistan ist kein einfacher Partner, nicht in Afghanistan, nicht in Menschenrechtsfragen. Schauen wir uns die aktuellsten Meldungen aus dem Land an: das Attentat auf -Malala Yousufzai, die harsche Anwendung des umstrittenen Blasphemiegesetzes. Natürlich finden hauptsächlich negative oder schockierende Ereignisse Eingang in unsere Medien, aber die schleichende Radikalisierung weiter Teile der Bevölkerung, wie Sie es in Ihrem Antrag ganz richtig vermerkt haben, ist besorgniserregend. Die Lage der religiösen Minderheiten bleibt bedrohlich, die Situation der Frauen hat sich – wenn überhaupt – nur in den Städten leicht verbessert. Das ist zu wenig. Wir müssen Geduld haben. Dennoch muss gleichzeitig das Prinzip „do ut des“ gelten. Pakistans Engagement im Friedensprozess mit Afghanistan ist ausbaufähig. Genau darum setzt die Regierung auf eine Politik der langsamen, aber stabilen Vertiefung der Beziehungen. Wir binden Pakistan ein. Wir unterstützen die demokratisch gesinnten Kräfte im Land. Wir helfen Pakistan. Pakistan ist, wie Sie also sehen, schon lange auf unserer Agenda. Wir arbeiten an einer verstärkten Partnerschaft, die aber nun mal nicht von heute auf morgen aus dem Boden gestampft werden kann. Unser Vorteil ist, wie Sie ganz richtig bemerkt haben, das hohe Ansehen Deutschlands und die guten Erfahrungen, die man mit uns in der Entwicklungszusammenarbeit gemacht hat. Doch auch Pakistan muss sich bewegen. Denn unsere Beziehung soll eine Partnerschaft, keine Vormundschaft sein. Wir müssen geduldig sein – und wir sind geduldig. Ihr Antrag ist in dieser Hinsicht zwar gut gemeint, aber meines Erachtens überflüssig. Denn entweder werden viele Ihrer Forderungen schon von der Bundesregierung erfüllt, oder aber Sie fordern Entscheidungen, die wir als Bundesregierung nur begleiten, nicht jedoch fällen können. Ich verweise auf das Stichwort „amerikanisch-pakistanische Diplomatie“. Ich fühle mich daher in dem Weg bestätigt, den die schwarz-gelbe Regierungskoalition zu Pakistan eingeschlagen hat. Unsere Gesamtstrategie lautet: Die Kontakte mit Pakistan noch enger knüpfen, als sie ohnehin schon sind, unter vernünftigen und weitsichtigen Rahmenbedingungen. Heike Hänsel (DIE LINKE): Sie alle erinnern sich an den brutalen Angriff auf Malala Youfsafzai, eine 14jährige Schülerin, Anfang dieses Monats in Pakistan. Malala hatte sich im von den Taliban dominierten Swat-Tal für die Bildung von Mädchen und Frauen eingesetzt. Auf dem Weg zur Schule wurde dem Mädchen im Bus von Taliban-Kämpfern in den Kopf geschossen. Nach diesem aufsehenerregenden Vorfall gingen Tausende Menschen in Pakistan auf die Straße und forderten ein Ende der Taliban-Herrschaft im Norden und Süden Pa-kistans, wo seit der Machtübernahme im Jahre 2007 Mädchen von der Schulbildung ausgeschlossen sind und das Hören von Musik verboten ist. Malalas Fall hat die Weltöffentlichkeit auf die katas-trophale Situation in ihrem Land hingewiesen. Aber die Menschen haben nicht nur Angst vor den Taliban in ihrem Land. Viele Pakistanerinnen und Pakistaner in den betroffenen Gebieten haben Angst, zu Hochzeiten oder Beerdigungen zu gehen, Rettungskräfte sind unwillig, Angriffsopfern zu helfen, aus Angst, Ziel weiterer Angriffe zu werden. Grund dafür sind die Angriffe durch US-amerikanische Drohnen. Mittlerweile befinden sich mehr als 600 Drohnen der USA im Einsatz über der afghanisch-pakistanischen Grenzregion und terrorisieren die Bevölkerung dort. Allein in Pakistan wurden durch Drohnen bisher mindestens 2 500 Menschen getötet, wahrscheinlich mehr, darunter bis zu 900 Zivilisten und fast 200 Kinder. In einer aktuellen US-Studie wurde nun belegt, dass die Angriffe von Drohnen in Pakistan politisch kontraproduktiv und völkerrechtlich fragwürdig sind. Das Versprechen des gezielten Tötens sei eine Lüge, weil die Waffen längst nicht so präzise sind wie gedacht. Professor James Cavallaro, Mitarbeiter der Studie, erklärte, dass die meisten Angriffe mit bewaffneten Drohnen nicht vereinbar mit dem Völkerrecht und damit Kriegsverbrechen sind. Politisch stärken sie genau jene Kräfte, die damit angeblich bekämpft werden sollen. Viele Familien, die Opfer durch Drohnenangriffe zu beklagen haben, schicken junge Söhne zu den Taliban, um ihre Angehörigen zu rächen, oder schlichtweg aus Armut und Perspektivlosigkeit. Dieses Muster kennen wir ja bereits aus Afghanistan, und die US-Regierung hat mit der Ausweitung des Krieges auf Pakistan zur massiven Destabilisierung, zur Vertreibung Hunderttausender Menschen und zu Armut und Elend im Norden Pakistans beigetragen. Und was macht die Bundesregierung? Sie setzt ebenfalls auf Drohnen und hat bereits ein Forschungsprojekt im Haushalt mit 480 Millionen Euro vorgesehen. Der Verteidigungsminister hat Anfang August angekündigt, dass es zusätzlich ein europäisches Forschungsprojekt zu Drohnen geben soll. Wenn es noch einmal so teuer wird, dann wird 1 Milliarde Euro in Drohnen investiert, ohne dass es überhaupt eine völkerrechtliche Klarstellung gibt, wo diese eingesetzt werden dürfen. Gezieltes Töten von verdächtigen Personen ist staatlicher Mord und muss sofort beendet werden. Während Mädchen wie Malala nicht zur Schule gehen dürfen und in anderen Teilen des Landes Kinder aus Mangel an Geld dem Schulunterricht fernbleiben, hat der pakistanische Staatshaushalt für Waffen und Soldaten genügend Finanzmittel. Mehr als 20 Prozent des Haushalts werden für das Militär ausgegeben. Einer privilegierten und korrupten Militärelite steht eine unterprivilegierte und arme Bevölkerungsmehrheit gegenüber: 20 Prozent der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze, auf der Liste des Human Development Index liegt Pakistan gerade einmal auf Platz 145 von 187. Im Jahr 2010 hat Deutschland Rüstungsexporte mit einem Volumen von 97 Millionen Euro nach Pakistan genehmigt, ebenso viel wurde für Indien genehmigt. und das, obwohl beide Länder zu Konfliktregionen gehören. Wir fordern die Bundesregierung auf: Stoppen Sie die Rüstungsexporte nach Pakistan und Indien und setzen Sie sich stattdessen für eine regionale Sicherheitskonferenz der zentralasiatischen Staaten sowie ein Ende der US-geführten Kriege in der Region ein. Die aktuelle politische Situation in der ganzen Region zeigt, dass nur eine Einbeziehung aller Nachbarstaaten den Krieg in Afghanistan und Pakistan lösen kann. Der Antrag der SPD und der Grünen greift zwar verschiedene sehr wichtige Aspekte auf, wie die Stärkung der demokratischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte in Pakistan; aber Pakistan wird ausschließlich durch die sicherheitspolitische Brille betrachtet. In allererster Linie geht es in dem Antrag um Terrorismusbekämpfung. Vorschläge zur Stärkung der Zivilgesellschaft oder zu einer dezentralen Entwicklungszusammenarbeit im Energiesektor sind da eher begleitende Maßnahmen, aber nicht im Zentrum der politischen Konfliktlösung. Vor allem wird die immense Bedeutung der US-Politik in Pakistan unzureichend und falsch bewertet. Die regionale Verantwortung Pakistans fokussiert voll auf Afghanistan; Indien wird nur als nuklearer Kontrahent thematisiert, der Kaschmir-Konflikt bleibt völlig außen vor. Es ist kaum ein Geheimnis, dass Pakistan nach den Anschlägen von 9/11 den Taliban nie richtig den Rücken zugekehrt hat. Die US-Regierung hat Islamabad dabei unterstützt, den Rückzug der Taliban aus Afghanistan zu organisieren; der US-Geheimdienst ist auch heute dabei, wenn der pakistanische Geheimdienst Gespräche mit den Aufständischen führt. Die Taliban werden bekämpft und gleichzeitig strategisch gestärkt; wer darunter leidet, ist die Zivilbevölkerung. Als meine Fraktion in der letzten Wahlperiode argumentiert hat, dass eine Friedenslösung in Afghanistan nur unter Einbeziehung der umliegenden Länder möglich sei, wollte das keiner hören. Statt weiter auf Terrorismusbekämpfung und Krieg zu setzen, muss die Bundesregierung sich verstärkt auf Armutsbekämpfung konzentrieren, um die Lebens- und Entwicklungsper-spektiven für die Bevölkerung zu verbessern. Daher können wir die im Antrag geforderte Erhöhung der Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit unterstützen. Entwicklung ist dann möglich, wenn der Krieg beendet wird und die Truppen abgezogen werden. Die Linke fordert seit Jahren als einzige Fraktion im Bundestag den Abzug der Truppen aus Afghanistan. Der NATO-Krieg in Afghanistan hat die Situation vor Ort nur verschlimmert; verbrecherische Warlords wurden an die Macht gebracht. Malalai Joya ist eine Frauenrechtsaktivistin und ehemalige Abgeordnete in Afghanistan. Joya ist in einem pakistanischen Flüchtlingslager groß geworden und wird in Afghanistan und Pakistan unter den Menschen verehrt. Sie hat mehrere Mordanschläge überlebt und lebt im Untergrund. Vor einigen Jahren hatte ein Journalist die nun so schwer verletzte Kinderaktivistin Malala gefragt, die jetzt in einem britischen Krankenhaus behandelt wird, was ihr Name bedeute. Sie antwortete, der Name stamme von der afghanischen Heldin Malalai Joya. „Ich will eine soziale Aktivistin und ehrliche Politikerin sein wie sie.“ Ich hoffe, dass Malala überlebt und viele Menschen sich mit ihr auf den Weg machen, um für Veränderungen in ihrem Land zu streiten. Wir können von hier aus versuchen, diese progressiven Kräfte zu unterstützen und sie in ihrem Kampf um soziale Rechte zu stärken. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute liegt Ihnen ein gemeinsamer Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu Pakistan vor. Eigentlich war es mein Anliegen, eine gemeinsame Position hier im Parlament gegenüber Pakistan zu finden, als wir im Frühjahr einen grünen Antrag diskutierten. Doch Kollege Kiesewetter von der CDU hat dieses Ansinnen zurückgewiesen. Er warf uns Grünen mit Bezug auf unser Ziel „Einbindungsdiplomatie“ vor, dass wir letztlich keine Antwort darauf hätten, „wie man mit einem schwierigen Partner umgeht, der sich zumindest partiell schlichtweg einer Einbindung verweigert“. Mit Verlaub, Herr Kollege, das ist doch grotesk. Da kann ich Ihnen mehrere Länder nennen, für die dieses Kriterium ebenfalls gilt und mit denen wir trotzdem in Beziehungen stehen – und ich denke da nicht nur an Länder wie Kasachstan oder Usbekistan, sondern auch an Russland oder China. Die CDU teilt doch die Auffassung, dass Pakistan eine geostrategische Bedeutung hat – und wir haben gute, vernünftige Beziehungen zu diesem Land. Warum wollen Sie diese eigentlich nicht kohärenter nutzen? Gerade weil es so schwierig ist, aber auch weil Pakistan so wichtig ist, müssen wir doch mehr tun, als von hier aus die Lage zu analysieren und nur Schlechtwetterreden zu halten. Mir ist es nach meinen Erfahrungen in diesem Land wichtig, auch das „positive Pakistan“ auf die politische Agenda zu setzen. Wir erkennen die kritische Lage, und dennoch wollen wir über Pakistans entscheidende Rolle für die Region sprechen und über die Potenziale, die es zu nutzen gilt. In den letzten Wochen konnten wir etwas Bemerkenswertes in Pakistan verfolgen, auf das schon mein Kollege Pflug hingewiesen hat. Nach dem unfassbaren Attentat auf die 14 Jahre alte Malala gingen im ganzen Land Menschen auf die Straße. Sie haben gegen den Taliban-Terror demonstriert. Hier berichteten die Medien einmal nicht von fundamentalistischen und minderheitenfeindlichen Demonstrationen. Das Attentat hat die Aufmerksamkeit der pakistanischen und der Weltöffentlichkeit darauf gelenkt, dass es viele Menschen in Pakistan gibt, eine pakistanische Zivilgesellschaft, die sich für die elementarsten Grundrechte einsetzen. Der Malala-Moment zeigt: Es gibt ein Potenzial in Pakistan und eben auch eine differenzierte, aktive und starke Zivilgesellschaft – und nicht nur Taliban und Militärs. Selbst in einer abgelegenen Region wie dem Swat-Tal gibt es Menschen, Frauen wie Malala, die sich für Mädchen- und Frauenrechte einsetzen. Darauf können wir aufbauen und die Zivilgesellschaft stärker in eine Zusammenarbeit einbinden. Hier will uns der gemeinsame Antrag den Weg zeigen. Das heißt aber nicht, dass man nicht nachdenklich werden muss, wenn einer der wichtigsten Experten wie Ahmed Rashid in der Welt mit den Worten zitiert wird: „Aber wir konnten beobachten, was immer passiert in Pakistan: Die Zivilregierung überträgt die Verantwortung den Militärs, und die Armee wiederum gibt den Auftrag zurück an die Regierung mit dem Hinweis, es brauche eine politische Entscheidung, die von nationaler Zustimmung getragen sei. Aber im Parlament sitzen die religiösen Parteien, die keinem Vorgehen gegen die Taliban zustimmen werden. Am Ende passiert nichts.“ Die Bundesregierung betont gerne, dass wir strategische Geduld in der inzwischen 50-jährigen Entwicklungszusammenarbeit mit Pakistan benötigen. Dem stimmen wir uneingeschränkt zu. Aber wir gehen weiter. Wir fordern die Bundesregierung unter anderem auf, gemeinsam mit den EU-Partnern eine ressortübergreifende und kohärente Gesamtstrategie für Pakistan zu entwickeln. Der Angriff auf den Bildungswunsch eines Mädchens lenkt die Aufmerksamkeit auch auf einen weiteren Aspekt, der mir persönlich sehr am Herzen liegt. So wie jetzt auch Malala müssen unzählige Kinder und Erwachsene in Pakistan mit schrecklichen Erfahrungen durchs Leben gehen. Auf meiner Reise im September letzten Jahres besuchte ich unter anderem das Swat-Tal. Dort erläuterte mir ein wichtiger Behördenvertreter, dass aus seiner Sicht die Bevölkerung des Tals traumatisiert sei und hierfür eigentlich zuallererst eine Lösung gefunden werden muss. Auch deshalb finden Sie in unserem Antrag eine Passage mit Forderungen dazu, mit innovativen Ansätzen zur friedlichen Bewältigung der Folgen von Terrorismus und Taliban-Herrschaft beizutragen. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 26) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Die gesetzliche Unfallversicherung ist ein Thema, das sehr viele Menschen betrifft. Circa 75 Millionen Menschen in Deutschland sind aktuell gegen Arbeits-, Wege- und Schülerunfälle sowie gegen Berufskrankheiten in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Neben der Leistungsgewährung an die Versicherten nach einem Unfall bzw. nach Eintreten einer Berufskrankheit gehören auch Prävention, Arbeitssicherheit, Unfallverhütung und Gesundheitsschutz zu den Aufgaben der Unfallversicherungsträger. Träger der gesetzlichen Unfallversicherung hierzulande sind die öffentlich-rechtlichen Unfallkassen und die gewerblichen Berufsgenossenschaften. Erst im Jahr 2008 gab es eine Organisationsreform zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung. Seitdem hat sich die Zahl der gewerblichen Berufsgenossenschaften im Wege von Fusionen reduziert. Bei den Unfallkassen gibt es parallele Entwicklungen, wenn auch in geringerem Umfang. Die Reform betraf auch die Finanzierung der gesetzlichen Unfallversicherung in Deutschland. So wurde unter anderem der sogenannte Lastenausgleich zwischen den Berufsgenossenschaften neu geregelt. Denn jede Berufsgenossenschaft hat Versicherte mit unterschiedlich hohen Beiträgen und unterschiedlichen Unfalls- und Krankheitsrisiken. Entsprechend groß ist die Spannbreite beim Umfang der Leistungen an die Versicherten. Der solidarische Lastenausgleich versucht deshalb eine Balance für die Belastungen der einzelnen Berufsgenossenschaften zu finden. Allerdings wurden die Ziele der Organisationsreform nicht vollumfänglich umgesetzt. Aufgrund von zahlreichen Privatisierungen kam es in den letzten Jahren auch verstärkt zu Verschiebungen und Unstimmigkeiten im Zuständigkeitsbereich der Versicherungsträger. So ist das sogenannte Moratorium, das bereits 2005 zur Lösungs-findung beschlossen wurde, insgesamt noch zweimal verlängert worden. Nun hat der Spitzenverband der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherungsträger, die DGUV, in Erfüllung der Moratoriumslösung im Frühjahr dieses Jahres ein Konzept vorgeschlagen. Dieses Konzept haben wir in der Union aufgegriffen und so weit wie möglich ausgestaltet. Der vorliegende Gesetzentwurf regelt die Zuständigkeit der Unfallkassen und der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Dies ist bei Unternehmen der öffentlichen Hand zum Teil sehr schwierig, wenn sie beispiels-weise nicht ausschließlich öffentlich sind. Zur Abgrenzung wird auf die überwiegende Beteiligung von Ländern und Gemeinden bzw. auf deren Einfluss auf die zu versichernden Unternehmen abgestellt. Sogenannte kommunale Ausnahmebetriebe wie etwa Verkehrsunternehmen oder Gas- und Wasserwerke bleiben nach dem Gesetzentwurf dann im Zuständigkeitsbereich der Berufs-genossenschaften, wenn sie in selbstständiger Rechtsform betrieben werden, also zum Beispiel als GmbH. Dieser Entwurf bietet Rechtssicherheit und Verlässlichkeit für die Unternehmen und die Versicherungsträger. Darüber hinaus trifft dieses Gesetz eine wichtige Vorkehrung für das Meldeverfahren, wonach die Arbeitgeber Auskünfte zur Beitragsberechnung an die Berufsgenossenschaften erteilen müssen. Die Meldungen der Arbeitgeber sollen künftig in das allgemeine sozialversicherungsrechtliche Meldeverfahren integriert werden. Um diese Umstellung jedoch zu 100 Prozent vollziehen zu können, bedarf es etwas mehr Zeit, als ursprünglich vorgesehen. Daher wird die Übergangszeit bis Ende 2015 verlängert. 2016 wird das neue Meldeverfahren hinreichend erprobt sein und ein qualitativ hochwertiges Verfahren bieten. Schließlich wurde das vorliegende Gesetz noch um eine weitere bedeutsame Regelung erweitert – der Verstetigung der Insolvenzgeldumlage. Bisher mussten alle Betriebe ihre Umlagesätze zur Absicherung der Beschäftigtenlöhne für den Fall eintretender Insolvenz auf der Grundlage prozyklischer Berechnungen entrichten. Alljährlich wurde anhand der Zahl voraussichtlicher Insolvenzen für das laufende Jahr ein Umlagesatz für die Unternehmen festgelegt. Das bedeutete zwangsläufig, dass die zu entrichtenden Abgaben immer dann besonders hoch ausfielen, wenn viele Insolvenzen zu erwarten waren, also die wirtschaftliche Entwicklung nicht gerade gut verlief. In Zeiten, in denen weniger Insolvenzen prognostiziert wurden, waren die Umlagesätze entsprechend niedriger. Also immer dann, wenn man es sich hätte leisten können, musste man weniger bezahlen. Hingegen dann, wenn die finanzielle Situation etwas schlechter war, mussten die Betriebe ausgerechnet höhere Zahlungen leisten. Die Gesetzesänderung sieht nun vor, dass der Umlagesatz stets bei 0,15 Prozent des Beschäftigteneinkommens liegt. Bei schlechter Konjunkturlage werden die Unternehmen also entlastet, bei guter können sie dazu beitragen, eine Rücklage zu bilden. Diese soll übrigens zweckgebunden sein und nicht für sachfremde Maßnahmen verwendet werden. Das Insolvenzgeld wird damit in Zukunft antizyklisch ansetzen und in letzter Konsequenz für den Erhalt von Arbeitsplätzen sorgen. Wir haben damit eine arbeitnehmer- und arbeitgeberfreundliche Regelung gefunden, die zugleich dem Wirtschaftsstandort Deutschland zugutekommt. Insofern bleibt mir nur noch, Sie um Zustimmung zu diesem gelungenen Gesetz zu bitten und mich für Ihre Aufmerksamkeit zu bedanken. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Die Frage, wann ein Unternehmen der öffentlichen Hand in die Zuständigkeit einer Unfallkasse oder Berufsgenossenschaft fällt, war lange umstritten. Die Entscheidung zur befristeten Regelung zur Zuständigkeit für Unternehmen, die in eigener Rechtsform betrieben werden und an denen die Länder bzw. Gemeinden beteiligt sind, wurde seit acht Jahren mit einem Moratorium vertagt. Die Moratoriumsregelung trat am 1. Januar 2005 in Kraft und regelte zeitlich befristet die Abgrenzung der Zuständigkeit von gewerblichen Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungsträgern. 2004 war die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen den Unfallversicherungsträgern von Ländern und Gemeinden und den gewerblichen Berufsgenossenschaften neu gefasst worden, um zuvor bestehende rechtliche Unsicherheiten auszuräumen. Mit dem heute hier debattierten Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch wird dieses Moratorium ab 2013 durch eine dauerhafte Nachfolgeregelung ersetzt. Zugegebenermaßen geschieht die Ablösung später als ursprünglich geplant, aber uns war wichtig, bei der Frage der Abgrenzung der Zuständigkeit von Berufsgenossenschaften und Unfallkassen für öffentliche Unternehmen zu einer langfristigen Lösung zu kommen. Um einen möglichst dauerhaft tragfähigen Konsens zu erreichen, wurden unterschiedliche Kriterien wie Rechts-sicherheit, zielgenaue Prävention und gleiche Wettbewerbsbedingungen für konkurrierende Unternehmen genauso berücksichtigt wie die Interessen von Ländern und Gemeinden. In der gesetzlichen Unfallversicherung sind die Zuständigkeiten prinzipiell klar geregelt: Unternehmen der freien Wirtschaft sind bei einer gewerblichen Berufsgenossenschaft versichert, Gebietskörperschaften – also Bund, Länder und Kommunen – und ihre Unternehmen bei einem Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand, folglich bei der Unfallkasse oder dem Gemeindeunfallversicherungsverband, und landwirtschaftliche Betriebe beim berufsständischen Sicherungssystem der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Schwierig wurde die Frage der Zuständigkeit unter den Trägern dann, wenn es um die Verselbstständigung von landeseigenen oder kommunalen Unternehmen ging. Bei bestimmten Gemeindebetrieben, zum Beispiel bei Elektrizitäts-, Gas-, Wasserwerken und bei Verkehr, sieht das Gesetz noch die Zuständigkeit bei den Berufsgenossenschaften, sodass für die Gemeinde mehrere Unfallversicherungsträger zuständig sind. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, DGUV, der Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand, war durch das 4. SGB-IV-Änderungsgesetz beauftragt worden, innerhalb weniger Monate für eine Nachfolgeregelung zum Moratorium einen Lösungsvorschlag zu unterbreiten. Danach werden Abgrenzungskriterien präzisiert und Ausnahmeregelungen eingeschränkt. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt den Vorschlag der DGUV um. Die Umsetzung der Konsenslösung der DGUV wird Rechtssicherheit und vor allem Klarheit schaffen: Es sieht vor, wann ein Unternehmen in der Unfallversicherung als öffentliches Unternehmen behandelt wird und somit Versicherungsträger eine Unfallkasse und nicht eine Berufsgenossenschaft ist. Eine Unfallkasse ist demzufolge dann für Unternehmen zuständig, wenn die öffentliche Hand mehrheitlich an einer Kapitalgesellschaft beteiligt ist oder bei anderen Unternehmen die Majorität im Leitungsorgan hat. Unabhängig von ihrer Rechtsform sind sämtliche anderen Unternehmen entweder bei der gewerblichen oder bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung versichert. Bei unselbstständigen Betrieben der öffentlichen Hand, für die bisher eine oder mehrere Berufsgenossenschaften zuständig waren, ist künftig die jeweilige Unfallkasse zuständig. Das von der DGUV vorgelegte Konzept soll schrittweise auch für bereits bestehende Unternehmen gelten. Nachdem ich nun ausführlich auf die Nachfolgeregelung zum Moratorium eingegangen bin, möchte ich gern noch einen anderen Aspekt kurz ansprechen. Denn darüber hinaus werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Übergangszeit für die endgültige Ablösung des Lohnnachweises der Arbeitgeber durch die Integration in das allgemeine Meldeverfahren um zwei Jahre verlängert und klarstellende Regelungen zum Antragsverfahren bei der freiwilligen Versicherung getroffen. Den Wettbewerbsaspekt hat die DGUV bei ihrem Konzept allerdings noch außen vor gelassen; hierzu wird zur Problemanalyse eine längere Frist benötigt. Diesem Wunsch entsprechen wir, denn eine einfache Lösung gibt es hier nicht. Auch bei dieser Gesetzesänderung wollen wir nach dem Grundsatz „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“ handeln. Dennoch brauchen wir aber auch bei diesem wichtigen Punkt eine klare zeitliche Perspektive, weshalb der DGUV im Gesetzentwurf ein Folgeauftrag mit Frist Ende nächsten Jahres erteilt wird. Die DGUV prüft danach die Auswirkungen der Zuständigkeit der Unfallkassen auf die Belastung der öffentlichen Unternehmen durch Unfallversicherungsbeiträge im Verhältnis zu gleichartigen Unternehmen, für die die Berufsgenossenschaften zuständig sind. Stellt die DGUV wettbewerbsrelevante Unterschiede fest, wird sie Vorschläge zur Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen unterbreiten. Wie Kollege Dr. Wadephul bereits ausführlich dargestellt hat, beinhaltet der vorliegende Änderungsantrag auch die Verstetigung der Insolvenzgeldumlage. Bisher wurde der Umlagesatz jährlich entsprechend dem aktuellen Bedarf durch – zustimmungspflichtige – Rechtsverordnung festgesetzt. Nunmehr wird ein fester Umlagesatz in Höhe von 0,15 Prozent bestimmt und die Möglichkeit einer abweichenden Rechtsverordnung nur noch für besondere Fälle beibehalten. Abschließend möchte ich nicht versäumen, auszuführen, dass ein weiterer wichtiger Aspekt im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ebenfalls geregelt wird: Hierzu zählt der freiwillige Versicherungsschutz von Ehrenamtsträgern, der auch weiterhin von den Vereinen und Organisationen unbürokratisch beim Unfallversicherungsträger beantragt werden kann. In der Praxis waren Irritationen durch ein Verfahren vor dem Bundessozialgericht aufgekommen, wonach strengere Formerfor-dernisse gelten sollten. Zu guter Letzt möchte ich all denjenigen, die an der Konsenslösung beteiligt waren, von Herzen für ihren Einsatz danken. Josip Juratovic (SPD): Der vorliegende Entwurf des 2. Gesetzes zur Änderung des SGB VII ist unseres Erachtens weithin unproblematisch. Es soll dauerhaft geregelt werden, wie die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen den gewerblichen Berufsgenossenschaften und den öffentlichen Unfallversicherungsträgern im SGB VII erfolgt. Der Gesetzentwurf setzt damit ein Konzept um, das die Mitgliederversammlung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung am 24. Mai 2012 ohne Gegenstimmen beschlossen hat. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass mit dem von der Bundesregierung eingebrachten „Gesetzentwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze“, das die schwarz-gelbe Koalition mit ihrer Mehrheit am 1. Dezember 2011 im Bundestag verabschiedet hat, die Frist für die Erstellung eines entsprechenden Konzeptes von ursprünglich dem 31. Dezember 2013 auf den 31. Mai 2012 verkürzt worden ist. Dass die Gremien der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung es trotzdem geschafft haben, ein allseitig akzeptiertes Verfahren zur Abgrenzung der Zuständigkeiten fristgerecht zu entwickeln, zeigt, wie sinnvoll und funktionsfähig die Selbstverwaltung in den Sozialversicherungen ist. Wir sollten uns daran erinnern, wenn es gilt, aus dem kürzlich vorgelegten Bericht des Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen die Konsequenzen zu ziehen. Weiterhin soll die Frist für die Einführung des neuen Meldeverfahrens hinsichtlich der Meldung der Arbeitgeber an die Berufsgenossenschaften über die Entgelte der Beschäftigten bis 2016 verlängert werden. Nach Einschätzung der Bundesregierung trägt man so dem Umstand Rechnung, dass es kein sicheres Meldeverfahren gäbe, wenn das bisherige Verfahren wie im Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz geregelt 2014 außer Kraft träte. Dass eine einmal gesetzlich anvisierte Zielmarke verfehlt wurde, ist bedauerlich. Wir hoffen, dass wir mit unserer Zustimmung zu diesem Gesetz dazu beitragen können, dass sich dies nicht ein zweites Mal ereignet. Lassen Sie mich noch ein aktuelles Problem hervorheben, das die Unfallversicherung in die Aufmerksamkeit der politischen Akteure rückt. Derzeit besteht ein großes Problem für die Vereine des bezahlten Sports darin, dass sie sich aufgrund anhaltend hoher Unfallzahlen einer Steigerung der Beiträge zur Berufsgenossenschaft gegenübersehen. Ich hoffe, dass wir hier bald zu einer Lösung kommen. Miriam Gruß (FDP): Ende diesen Jahres läuft das sogenannte Moratorium in der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Der Gesetzgeber ist gefragt, Unternehmen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist, endlich eindeutig entweder den gewerblichen Berufsgenossenschaften oder den Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand zuzuordnen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird zum 1. Januar 2013 eine Lösung gefunden – und ich bin überzeugt, dass wir damit in die richtige Richtung gehen. Der Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, DGUV, war durch das vierte SGB-IV-Änderungsgesetz beauftragt worden, ein entsprechendes Konzept vorzulegen. Der Gesetzentwurf setzt diesen Vorschlag der DGUV um. Dadurch erfolgt jetzt eine klare rechtliche Zuordnung der Unternehmen mit Beteiligung der öffentlichen Hand. Diese können ihre Mitarbeiter in Zukunft dann über die Berufsgenossenschaft versichern, wenn das Unternehmen zu weniger als der Hälfte unmittelbar in staatlichem Besitz ist. Das Gleiche gilt, wenn die mittelbar überwiegende Beteiligung nicht durchgängig auf allen Ebenen besteht oder wenn die öffentliche Hand nur Einfluss in Form von Minderheitenrechten oder Sperrminoritäten hat. Der Gesetzentwurf beschränkt sich also auf die Zuständigkeitszuordnung. Daher ist klar, dass es sich hierbei nur um einen ersten Schritt handeln kann; weitere müssen folgen. Beispielsweise müssen wir das Thema der Wettbewerbsungleichheiten bei den Beitragsbelastungen dringend in einem folgenden Gesetzgebungsverfahren angehen. Dabei sollte auch die Frage der Zahl der Unfallkassen eine Rolle spielen. Es ist dem steten Bemühen und Drängen der FDP zu verdanken, dass jetzt immerhin schon einmal dem Moratorium eine eindeutige Regelung folgt und wir damit in dieser Legislaturperiode zu einer Teillösung kommen. Wir sind also bei der Unfallversicherung auf einem sehr guten Weg. Ein Wort noch zum Änderungsantrag: Er beinhaltet die Verstetigung der Insolvenzgeldumlage. Bisher wurde der Umlagesatz jährlich entsprechend dem aktuellen Bedarf durch eine zustimmungspflichtige Rechtsverordnung festgesetzt. Nunmehr wird ein fester Umlagesatz in Höhe von 0,15 Prozent bestimmt und die Möglichkeit einer abweichenden Rechtsverordnung nur noch für besondere Fälle beibehalten. Auch dieser Schritt war überfällig. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Mit dem Gesetzentwurf wird ein jahrelanger Schwebezustand beendet. Obschon die von der Bundesregierung vorgelegten gesetzlichen Änderungen des Siebten Buches Sozialgesetzbuch recht kompliziert wirken, stellen sie letztendlich doch eine tragfähige Lösung dar. Im Kern geht es im vorliegenden Gesetzentwurf um die Frage, wie die Zuständigkeiten zwischen öffentlichen Unfallversicherungsträgern und gewerblichen Berufsgenossenschaften möglichst eindeutig und damit konfliktfrei geregelt werden können. Mit der Neureglung sollen „Praktikabilität, Rechtssicherheit und die Gewährleistung einer zielgenauen und erfolgreichen Prävention“ Kriterien der Zuständigkeitszuteilung werden. Im Wesentlichen gehen die Regelungen, die der Gesetzentwurf trifft, auf ein Konzept zurück, dass der Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, DGUV, im gesetzlichen Auftrag erstellt und dem Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Verfügung gestellt hat. Der mit dem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelung, dass eine öffentliche Unfallkasse immer dann für ein Unternehmen zuständig sein soll, wenn die öffent-liche Hand mehrheitlich an einer Kapitalgesellschaft beteiligt ist oder bei anderen Unternehmen über die Mehrheit der Stimmen im Leitungsorgan verfügt, ist weder von einer im Bundestag vertretenen Fraktion noch öffentlich bekannt von anderer Seite widersprochen worden. Auch dem im Ausschuss für Arbeit und Soziales eingebrachten Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP haben alle Fraktionen zugestimmt. Warum es also zu dem vorliegenden Gesetzentwurf in dieser zweiten und dritten Beratung überhaupt noch eine Aussprache geben muss, ist nicht nachvollziehbar. Die Linke wird – wie zuvor bekannt – dem Gesetzentwurf zustimmen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorgelegte Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (BT--Drucksache 17/10750) sowie der Änderungsantrag der Koalition auf der Ausschussdrucksache 17(11)992 -finden unsere Unterstützung. Bündnis 90/Die Grünen hatten in der Vergangenheit kritisiert, dass öffentliche und erwerbswirtschaftlich betriebene Unternehmen unterschiedlich behandelt werden. Diese Unterscheidung hat nicht zuletzt zu zahlreichen Verfahren vor den Sozialgerichten geführt. Da die sogenannte Moratoriumsregelung zum 31. Dezember dieses Jahres ausläuft, war eine Nachfolgeregelung vonnöten. Das von der Mitgliederversammlung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, DGUV, verabschiedete Konzept zur Neuordnung der Zuständigkeiten -findet sich nun im vorliegenden Gesetzentwurf. Es ist zu begrüßen, dass der DGUV zudem ein Folgeauftrag zur Prüfung der Wettbewerbsfrage erteilt wird. Auch den vorgeschlagenen Regelungen zu den klarstellenden Regelungen bei Ehrenamtlichen und dem Meldeverfahren können wir zustimmen. Auch der Bundesrat hat in seiner 900. Sitzung am 21. September 2012 keine weiteren Einwände erhoben Zum Änderungsantrag. Mit dem Änderungsantrag soll die Insolvenzgeldumlage konjunkturunabhängig verstetigt werden. Zukünftig werden die Unternehmen nicht länger gerade dann mit einem höheren Umlagesatz belastet, wenn aufgrund schlechter wirtschaftlicher -Rahmenbedingungen ein erhöhter Bedarf für die Finanzierung des Insolvenzgeldes besteht. Dies ist aus wirtschaftspolitischer Sicht sinnvoll. Auch aus Sicht der Bundesagentur für Arbeit ist die Neufassung ein Fortschritt. Alles in allem können wir der im federführenden -Arbeits- und Sozialausschuss einstimmig beschlossenen Beschlussempfehlung nur zustimmen. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 28) Maria Michalk (CDU/CSU): Wir haben uns in den zurückliegenden Wochen mit einem Gesetzesantrag aus dem Bundesrat zur Änderung des SGB IX auseinandergesetzt. Ausgangspunkt ist die einvernehmliche Feststellung, dass für die Mobilität von schwerbehinderten Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr unerlässlich ist. Alle Leistungserbringer erhalten für die unentgeltliche Beförderung bzw. für die ihnen dadurch entstandenen Einnahmeverluste eine Erstattung. An diesem Verfahren sind sowohl der Bund als auch die Länder beteiligt. Wir wissen, dass dies ein kompliziertes Verrechnungsverfahren ist, verbunden mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand. Die freifahrtberechtigten Menschen haben einen Eigenbeitrag zu leisten. Sie erwerben dazu eine sogenannte Wertmarke bei ihrem Versorgungsamt. Seit 1984 hat sich der Eigenanteil nicht verändert, und das, obwohl sich der Service der Nahverkehrsbetriebe über die Jahre verbessert hat, die Angebote erweitert und vor allem die Reichweiten der Streckennetze erheblich ausgedehnt wurden. Der Bundesrat schlägt vor, die Kosten zur Beförderung von schwerbehinderten Menschen stärker an das aktuelle Preissystem anzupassen. Zudem soll künftig auch die Möglichkeit bestehen, die Kosten für die Wertmarke dynamisch anzuheben. Dies ist adäquat zu den Regelungen im SGB IX zur Ausgleichsabgabe bzw. zu den Kinderbetreuungskosten. Wir haben entschieden, diesen Vorschlag aufzunehmen. Die Eigenbeteiligung an der Wertmarke wird von derzeit 60 auf 72 Euro angehoben. Das bedeutet pro Monat eine Erhöhung von 1 Euro. Aus Sicht der Behindertenverbände ist diese Erhöhung ungerecht. Das geht aus den Stellungnahmen hervor. Wir müssen aber wissen und berücksichtigen, dass diejenigen Schwerbehinderten, die bedürftig sind und etwa Leistungen der Grundsicherung beziehen, nach wie vor von dem Betrag freigestellt bleiben. Für sie übernimmt der Steuerzahler den vollen Ausgleich. Das Solidarprinzip bleibt erhalten und wirkt weiter. Ich will hier noch einmal darauf hinweisen, dass von einer realen Preiserhöhung bereits im Vorfeld Abstand genommen wurde. Denn würde die Eigenbeteiligung in Anlehnung an die tatsächliche Verbraucherpreisentwicklung in den Bereichen Mobilität und Verkehr angepasst werden, müsste die Jahreswertmarke etwa 100 Euro kosten. Insofern ist die im heute zu beschließenden Gesetz vorgesehene Erhöhung auf 72 Euro aus unserer Sicht durchaus angemessen und zumutbar. Wir setzen darauf, dass sich alle auf ein sich stetig verbesserndes Nahverkehrsnetz verlassen können. An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die überfraktionelle Initiative zur Personenbeförderungsgesetznovelle hinweisen, auf die sich die Fraktionen von Union, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen geeinigt haben, um den ÖPNV sowie den Fernbuslinienverkehr bis zum Jahr 2022 vollständig barrierefrei zu machen. Dies nur als Hinweis darauf, dass sich in vielen Bereichen sehr viel tut, um die Teilhabechancen von Menschen mit Behinderung durch Optimierung der Mobilität zu steigern. Zurück zu den geplanten Änderungen zum SGB IX. Mit dem heutigen Gesetz wird die Regelung über die Erstattung bei einer Rückgabe der Wertmarke optimiert, um den Verwaltungsaufwand zu verringern. Einen Anspruch auf Erstattung sollen Menschen mit Behinderung nur noch für die Jahreswertmarken haben, sofern die Hälfte der Gültigkeit der Wertmarke noch nicht abgelaufen ist. Für Halbjahreswertmarken, die vor Ablauf zurückgegeben werden, können die Kosten nicht mehr zurückerstattet werden. In all diesen Punkten sind wir uns hier im Deutschen Bundestag mit dem Bundesrat einig. Aber es gibt noch einen weiteren Aspekt im Gesetzentwurf, den wir differenzierter sehen. In Zukunft sollen die Aufwendungen für eine unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen, die nach dem Bundesversorgungsgesetz anspruchsberechtigt sind, allein von den Ländern übernommen werden. Zum Ausgleich sollen die Länder ihre Abführungen aus dem Wertmarkenverkauf an den Bund entsprechend reduzieren. Diese Regelung betrifft ausschließlich die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Die Interessen schwerbehinderter Menschen sind davon nicht berührt. Für sie ändert sich dadurch nichts. Aus diesem Grund tragen wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion diesen Vorschlag mit, zumal er den Verwaltungsaufwand erheblich reduziert. Das ist vernünftig. Darüber hinaus wurde vorgeschlagen, die Lastenverteilung zwischen dem Bund und den Ländern zu verändern. Auf der Grundlage des jetzigen Rechts hat der Bund 2011 32 Prozent der Einnahmen erhalten. Der aktuelle Vorschlag der Länder basiert auf 20 Prozent. Fakt ist, dass die Aufwendungen des Bundes in den vergangenen zehn Jahren für die Anspruchsberechtigten nach dem Bundesversorgungsgesetz ständig gesunken sind. Und sie werden mit Blick auf die demografische Entwicklung weiter sinken. Deshalb ist es gerechtfertigt, für die Neufestsetzung der Lastenregelung die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre zugrunde zu legen. Der § 152 des SGB IX regelt den Erstattungsanspruch. Es wurde beantragt, von den durch diese Ausgabe der Wertmarke erzielten jährlichen Einnahmen dem Bund einen Anteil von 20 Prozent zu erstatten. Das aber entspricht nicht der tatsächlichen Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern. Der Bund hat für schwerbehinderte Menschen, die nach dem Bundesversorgungsgesetz anspruchsberechtigt sind und für die er deshalb die Kosten trägt, im Jahr 2002 13 637 710 Euro ausgegeben. Im Jahr 2011 waren es 4 581 699 Euro. Deshalb ist die Senkung der Erstattung gerechtfertigt. Die Berechnung ergibt einen Prozentsatz von 27 Prozent. Diesen werden wir heute beschließen. Das bedeutet auf der Grundlage der Zahlen aus 2011 9,2 Millionen Euro. Die mit dem Gesetz beschlossene Dynamisierung der Eigenbeteiligung muss maßvoll geschehen; denn wir haben den Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich Leistungsbereitschaft letztlich in der persönlichen Situation widerspiegeln muss. Der Vollständigkeit halber weise ich darauf hin, dass Grundsicherungs- und Sozialhilfeempfänger sowie blinde und hilflose Menschen weiterhin von der Eigenbeteiligung befreit sind. Generell möchte ich noch einmal daran erinnern, dass in Zukunft die Schwerbehindertenausweise nur noch im Scheckkartenformat ausgehändigt werden. Das soll ab 1. Januar 2013 gelten. Ich hoffe, dass die Umstellung klappt, weil sie benutzerfreundlich ist. Und wenn wir heute die optimierte Mobilität schwerbehinderter Menschen im Fokus haben, dann will ich noch einmal mit einem großen Dank an die Deutsche Bahn erwähnen, dass seit 1. September 2011 schwerbehinderte Menschen alle Züge des Nahverkehrs uneingeschränkt nutzen können. Die zuvor geltende 50-Kilometer-Beschränkung wurde seinerzeit aufgehoben. Bundesweit können Menschen mit ihrem Schwerbehindertenausweis und der dazugehörigen Wertmarke kostenlos reisen. Diese Regelung betrifft gehbehinderte, außergewöhnlich gehbehinderte, hilflose, gehörlose und blinde Menschen – Merkzeichen G, aG, H, Gl und Bl im Schwer-behindertenausweis. Das Merkzeichen B berechtigt darüber hinaus zur kostenfreien Mitnahme einer Begleitperson. Nahverkehr heißt: ÖPNV in Verkehrsverbünden in ganz Deutschland, außerhalb von Verkehrsverbünden: Omnibusse, Straßenbahnen, S-Bahnen in ganz Deutschland sowie Nahverkehrszüge der Bahn. Wer diesen Fakt und diese Verbesserung nicht als großen Erfolg würdigt, ist realitätsfremd. Die Fraktion Die Linke hat heute kurzfristig einen Änderungsantrag zum vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates eingebracht. Das war zu erwarten. Keine Überraschung ist leider auch die darin geäußerte Behauptung, dass Bund und Länder sich auf Kosten von Menschen mit Behinderung gesundsparen würden. Angesichts der enormen Haushaltsmittel, die für die Förderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung in vielen Lebensbereichen jedes Jahr aufgewendet werden, ist diese Behauptung nicht nur eine Frechheit. Sie verzerrt auch das Bild der Behindertenpolitik in Deutschland. Sie suggerieren, dass denjenigen, die gar nichts haben, noch tiefer in die Tasche gegriffen wird. Das ist schlicht und einfach falsch. Ich hatte es bereits gesagt: Besonders bedürftige Menschen mit Behinderung müssen nach wie vor keinen Eigenanteil an der Wertmarke leisten. Sie können völlig kostenneutral den gesamten ÖPNV nutzen. Unstrittig ist, dass weitere Verbesserungen hinsichtlich der Barrierefreiheit nötig sind – und das in allen Bereichen, nicht nur im Verkehr. Gleichzeitig wissen wir auch, dass wir diese Verbesserungen nicht zum Nulltarif bekommen. Dazu passt die im Änderungsantrag der Linken erwähnte Rundfunkgebührenerhöhung, die im Übrigen die Länder und nicht der Bund beschlossen haben. Auch hier sollen mit den Mehreinahmen unter anderem ein Mehr an barrierefreien Angeboten für Zuschauerinnen und Zuschauer sowie Zuhörerinnen und Zuhörer mit Behinderung geschaffen werden. Barrierefreiheit ist nicht nur eine Grundvoraussetzung zur Teilhabe, sie kostet eben auch Geld. Und wir alle gemeinsam müssen und werden für diese Kosten aufkommen. Wir Menschen haben alle sehr individuelle Bedürfnisse. Auch Menschen mit Behinderung sind sehr verschieden in ihren Bedürfnissen. So verschieden, wie die Beeinträchtigungen von Sehen und Hören sind, so verschieden ist es, was Menschen als Barrieren erfahren oder empfinden. Wir müssen es schaffen, in der Ungleichheit die Normalität zu sehen. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Haben Sie schon einmal Ihre täglichen Wege in Begleitung eines Rollstuhlfahrers oder eines blinden Menschen gemacht? Spätestens dann werden Sie erfahren, wie stark schwerbehinderte Menschen im Straßenverkehr beeinträchtigt sind. Deshalb ist es richtig, dass sie Anspruch darauf haben, im öffentlichen Personennahverkehr unentgeltlich befördert zu werden. Dies ist in den §§ 145 ff. SGB IX geregelt. Es betrifft gehbehinderte, außergewöhnlich gehbehinderte, hilflose, gehörlose und blinde Menschen, also die Merkzeichen G, aG, H, Gl und Bl im Schwerbehindertenausweis. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, wird vom Versorgungsamt geprüft. Schwerbehinderte Menschen, die freifahrtberechtigt sind, erhalten dann einen Schwerbehindertenausweis in Grün-Orange. Der hier vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Sozialgesetzbuchs IX enthält viele richtige Regelungen, aber leider auch eine für die aktive gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung nicht hinnehmbare Änderung. Die einmalige Anhebung der Eigenbeteiligung um 1 Euro pro Monat ist angemessen, denn es ist die erste Anhebung seit 1984. Darum geht es uns nicht. Seither sind auch die Leistungen für behinderte Menschen im ÖPNV deutlich verbessert worden. Auch die vorgesehenen Verwaltungsvereinfachungen sind nachvollziehbar. Problematisch ist aber, dass für die Freifahrten behinderter Menschen nunmehr jährliche automatische Anhebungen der Eigenbeteiligung erfolgen sollen – die nicht gedeckelt sind! Diese Steigerungen sollen sich nicht etwa am Leistungsvermögen der Betroffenen ausrichten – das hätte man noch nachvollziehen können –, sondern am Durchschnittsverdienst der Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung. Schwerbehinderte sind aber keine Durchschnittsverdiener. Für das Jahr 2012 hätte diese Dynamisierung gegenüber 2011 eine Erhöhung um 5 Euro bedeutet. Menschen mit Behinderung werden so in kürzester Zeit eine weitaus höhere Eigenbeteiligung als den jetzt erfolgten Euro zu leisten haben, und das ohne adäquate Steigerung der Regelsätze, Entgelte und ohne wesentliche Steigerung der Barrierefreiheit im Bahnverkehr. Das darf nicht sein. Die Einkommen von Menschen mit Behinderung sind oft unterdurchschnittlich. Prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne sind keine Seltenheit. Gründe hierfür sind insbesondere ihre deutlich schlechteren beruflichen -Teilhabechancen, mangelhafte Barrierefreiheit sowie gesundheitliche Einschränkungen. Die Anspruchs-berechtigten einer Freifahrtmarke müssen meist ihre Teilhabeleistungen durch eine – nicht überall, aber durchaus vorhandene – strukturelle Verweigerungshaltung der Sozialversicherungen und Rehabilitationsträger allein schultern oder darauf verzichten. Schon bei der Einführung dieses Gesetzentwurfs -haben wir darauf hingewiesen, und ich wiederhole es gerne noch mal: Als SPD haben wir in unserem Antrag „Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Wohnen – Voraussetzungen für Teilhabe und Gleichberechtigung“ (Drucksache 17/6295) geeignete Vorschläge zur Abstimmung gestellt. Sie wurden von dieser Koalition aus CDU/CSU und FDP abgelehnt. Wir fordern, und die UN-Behindertenrechtskonvention gibt uns Recht: Die Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr muss sich auf die gesamte Reisekette beziehen. Es muss der gesamte Weg – von der Haustür bis zum Ziel – für Mobilitätseingeschränkte -zugänglich gemacht werden. Auch Fahrgast- und Tarifinformationen müssen barrierefrei und in leichter Sprache formuliert und dargestellt werden. Forschungsvorhaben und Modellprojekte zur barrierefreien Gestaltung von Fahrplanauskünften oder zur Unterstützung mobilitätseingeschränkter Menschen bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel müssen gefördert werden. Wir wollen barrierefreien öffentlichen Personennahverkehr als Teil der Daseinsvorsorge in das Regionalisierungs-gesetz aufnehmen. Und wir wollen gemeinsam mit der Deutschen Bahn AG ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, damit alle Bahnhöfe bis 2020 barrierefrei umgebaut werden können – die Abschaffung der diskriminierenden 1 000er-Regelung inklusive. Wenn diese Vorschläge umgesetzt werden, sehe ich auch Spielraum für eine deutliche Erhöhung der Kostenbeteiligung. Die hier und heute von Ihnen vorgeschlagene Regelung beinhaltet einiges Potenzial an sozialer Ungerechtigkeit und finanzieller Überforderung der Betroffenen – ohne jede Gegenleistung. Deshalb hatten wir vorgeschlagen, die Anpassung an die jährliche Entwicklung der Sozialhilferegelsätze vorzunehmen. Damit würde man der wirtschaftlichen Situation der Betroffenen eher gerecht, und es wäre eine deutlich realistischere Kopplung an die Leistungsfähigkeit der Betroffenen, wenn man die Dynamisierung für notwendig erachtet. Aber dass sie wirklich notwendig ist, daran haben wir erhebliche Zweifel, mit uns auch Sozialverbände und Selbsthilfeverbände, die feststellen – so der Sozialverband Deutschland in seiner Stellungnahme, ich zitiere –, „dass die Dynamisierung rechtssystematisch ein Novum im Recht der Nachteilsausgleiche darstellt. Mit der Dynamisierung würde der Nachteilsausgleich nicht mehr vorrangig auf den Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile der Betroffenen, sondern zunehmend stärker auf die durchschnittliche Einkommenssituation der Bevölkerung ausgerichtet“. Betroffen hiervon sind vor allem Menschen mit Behinderung, die über ein niedriges -Einkommen verfügen, so zum Beispiel Erwerbsminderungsrentner, die in Werkstätten zusammen mit ihrer Rente und ihrem Werkstatteinkommen auf rund 800 Euro im Monat kommen. Diese Rente bekommen Werkstatt-beschäftigte nach 20 Jahren in der Werkstatt oder Menschen mit Schwerbehinderung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt meist im Niedriglohnbereich arbeiten. Für diese Menschen und ihre Familien kommt es auf jeden Euro an – das müssen wir gut verdienende Abgeordnete uns immer wieder deutlich machen. Unserem Vorschlag ist man in diesem Hause leider nicht gefolgt. Da wir bei der einen Anpassung mitgehen, aber die – ungedeckelte – Dynamisierung ablehnen, werden wir uns bei der Beschlussfassung über den -Gesetzentwurf enthalten. Gabriele Molitor (FDP): „Menschen bewegen“, „Einfach mitfahren“ und „Mehr als ein Ziel, bleiben Sie mobil“ – diese drei Slogans werben für Verkehrsleistungen der Kölner, Detmolder und Hamburger öffentlichen Nahverkehrsbetriebe. Bei diesen Verkehrsleistungen geht es darum, Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Mobilität zu garantieren. Die Sicherstellung der Benutzung von U-Bahn, Bus, Straßenbahn oder S-Bahn -gehört zu den wichtigen Aufgaben der grundgesetzlich fixierten Daseinsvorsorge. Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer mit Schwerbehinderung haben das Recht, den öffentlichen Personennahverkehr unentgeltlich zu nutzen. Voraussetzung dafür ist das Vorliegen des entsprechenden Merkzeichens im Schwerbehindertenausweis wie beispielsweise blind, gehörlos oder hilflos. Viele blinde, gehörlose, körperbehinderte und hilfebedürftige Menschen nutzen das Angebot und erlangen so mehr Selbständigkeit und Mobilität. Die Eigenbeteiligung beträgt zurzeit 60 Euro. Die schwerbehinderten Menschen erhalten dafür eine Wertmarke, die zusammen mit dem Schwerbehindertenausweis als Nachweis für die Freifahrtberechtigung gilt. Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Neunten Sozialgesetzbuchs sieht vor, diese Eigenbeteiligung von 60 auf 72 Euro jährlich zu erhöhen. Eine Anhebung von 1 Euro mehr im Monat halte ich für maßvoll und ausgewogen. Im Gegensatz zu den regulären Ticketpreisen hat sich diese Eigenbeteiligung seit 1984 nicht verändert. Die seit fast 30 Jahren unveränderte Eigenbeteiligung der freifahrtberechtigten Personen für den Erwerb der für die Fahrt notwendigen Wertmarke zu erhöhen, ist deshalb verantwortbar. Im Zuge der gestiegenen Nutzungsangebote für den Nahverkehr ist diese Anpassung zugleich nachvollziehbar. Denn das für Freifahrten zu nutzende Verkehrsnetz hat sich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt. Seit mehr als einem Jahr können freifahrtberechtigte schwerbehinderte Menschen über einen Radius von 50 Kilometern hinaus kostenlos die Nahverkehrszüge der Deutschen Bahn nutzen. Dafür werden keine zusätzlichen Tickets benötigt. Es reicht das entsprechende Beiblatt mit Wertmarke und der Schwerbehindertenausweis. Das Mitführen eines Streckenverzeichnisses, in dem der 50-Kilometer-Radius eingetragen wird, ist damit nicht mehr nötig. So können schwerbehinderte Menschen ohne großen Vorbereitungsaufwand bei der Ticketbeschaffung Zugfahren. Mit dieser Regelung wurde die Nutzung des Angebots für Menschen mit Behinderung sehr erleichtert. Über 1,4 Millionen Menschen mit Behinderung können von dieser Regelung profitieren. Dies wirkt sich auch auf das Arbeitsleben aus, da schwerbehinderten Menschen die Fahrt zu ihrem Arbeitsplatz oder ihrer Ausbildungsstätte erleichtert wird. Gerade Menschen mit Einschränkungen gewinnen durch diese persönliche Mobilität mehr Freiräume für ein eigenverantwortliches Leben. So fordert es auch die UN-Behindertenrechtskonvention. Eine Dynamisierung der Eigenbeteiligung, wie es der Gesetzentwurf vorsieht, halte ich für sinnvoll, da Anpassungen im Preissystem alle Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr betreffen. Einkommensschwache wie Grundsicherungsempfänger bleiben auch in Zukunft von jeder Eigenbeteiligung befreit. Im Interesse der schwerbehinderten Menschen halte ich eine Aufrundung auf den nächsten vollen Euro-Betrag für angemessen. Mit der Änderung des IX. Sozialgesetzbuches kommt es auch zu einer Reduzierung des Verwaltungsaufwands. Die Aufwendungen für die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen hat der Bund künftig nicht mehr zu tragen. Mit der Gesetzesänderung werden die Aufwendungen künftig von den Ländern übernommen. Im Gegenzug dazu werden die Abführungen aus dem Wertmarkenverkauf an den Bund reduziert. Nach wie vor trägt der Bund den Aufwand für die Anspruchsberechtigten nach dem Bundesversorgungsgesetz. Diese Vereinfachung der komplizierten Ausgleichsregelungen zwischen Bund und Ländern auf der einen und den Verkehrsunternehmen auf der anderen Seite ist sinnvoll. So wird der bürokratische Aufwand so gering wie möglich gehalten. Zusätzliche Belastungen für Menschen mit Behinderung müssen dabei ausgeschlossen sein. Als FDP-Bundestagsfraktion setzen wir uns für eine effiziente und bürgerfreundliche Verwaltung ein. Daher freue ich mich über weniger Verwaltungsaufwand, der auf die Gesetzesänderung folgen wird. Ich begrüße den Vorschlag des Bundesrates, den Erstattungszeitraum von Wertmarken in Zukunft auf ein halbes Jahr festzulegen. Bislang werden nicht eingesetzte Wertmarken erstattet, wenn sie noch mindestens drei Monate gültig sind. Der Vorschlag des Bundesrates, den Erstattungszeitraum in Zukunft auf ein halbes Jahr festzulegen, scheint einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den Interessen aller Beteiligten darzustellen. Die Gesetzesinitiative des Bundesrates ist dahin gehend zu begrüßen, dass sich die Zahl der Tatbestände, für die Bund oder Länder kostenerstattungspflichtig sind, verringern. Durch den Ersatz individueller Regelungen durch pauschalisierte Prozentsätze werden die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern vereinfacht. Der dadurch sinkende Verwaltungsaufwand wird Kosten einsparen und Bürokratie abbauen. Abschließend möchte ich noch auf die Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs hinweisen. In meiner Arbeit als behindertenpolitische Sprecherin spreche ich viel mit Menschen mit Schwerbehinderung. Die eigenständige Nutzung von Bus und Bahn ohne auf Hilfe und Unterstützung angewiesen zu sein, hat für den Alltag große Bedeutung. In den letzten Jahren haben sich Bahnhöfe, U-Bahnwaggons, Busse und weitere Fahrzeuge des öffentlichen Nahverkehrs in Richtung mehr Barrierefreiheit entwickelt. Die eingangs erwähnten Slogans wie „Einfach mitfahren“ treffen also vielerorts auf mobilitätseingeschränkte Menschen zu. Die Internetseiten der Verkehrsbetriebe verweisen immer öfter auf ihre barrierefreien Angebote. Natürlich ist das Verkehrsnetz noch nicht überall im Land barrierefrei nutzbar. Aber Aus- und Umbauten werden nach und nach zu Verbesserungen führen. Mehr Menschen mit Behinderung können das Verkehrsangebot nutzen und sind nicht auf den Sonderfahrdienst angewiesen. Auch das ist für mich gelebte Inklusion. Menschen mit Behinderung werden gesehen – in U-Bahn, S-Bahn, Regionalbahn und Bus. Sind mehr rollstuhlfahrerende, blinde, hilfsbedürftige oder gehörlose Fahrgäste unterwegs, so fördert das auch die Akzeptanz und baut Berührungsängste ab. Es wird deutlich, dass Behinderung zum gesellschaftlichen Leben gehört. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Still und leise, also ohne Debatte im Bundestag, sollte dieser Gesetzentwurf beschlossen werden. Das hat die Linke weder bei der ersten Lesung am 27. September noch heute zugelassen. Nun gibt es wenigstens zu Protokoll gegebene Redebeiträge der Fraktionen, und die Öffentlichkeit kann erfahren, worum es bei dieser Änderung des Neunten Sozialgesetzbuches geht. Als eine Form des Nachteilsausgleiches und zur Verbesserung der Mobilität gibt es das Recht auf – fast – unentgeltliche Beförderung für einige schwerbehinderte Menschen im öffentlichen Personennahverkehr. Dies ist im SGB IX geregelt. Der vorliegende Gesetzentwurf hat zwei Ziele: Erstens. Das Verwaltungsverfahren zwischen Bund, Ländern und Verkehrsträgern zu vereinfachen. Das müsste auch zu Kosteneinsparungen führen. Dagegen ist nichts einzuwenden, und den dazu vorgeschlagenen Änderungen stimmt die Linke – wie alle anderen Fraktionen – auch zu. Zweites Ziel ist, die Eigenbeteiligung der berechtigten Personen durch Erhöhung des Preises der Wertmarke um 20 Prozent, von 60 auf 72 Euro, zum 1. Januar 2013 und weitere Erhöhungen in den Folgejahren durch „Dynamisierung“ zu vergrößern. Die Begründungen dafür sind zum Teil absurd. Eine Begründung ist, dass sich die Nutzungsmöglichkeiten erhöht haben, insbesondere durch den seit 2012 von der Deutschen Bahn gewährten erweiterten Bewegungsradius, bisher 50 Kilometer, bei Fahrten mit Nahverkehrszügen. Diese Regelung der Deutschen Bahn – nicht der Bundesregierung – ist die bisher einzige wirkliche Verbesserung seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention am 26. März 2009 für Menschen mit Behinderungen. Und weil sich etwas verbessert, sollen es die Betroffenen gleich durch Kürzung der insgesamt viel zu geringen Nachteilsausgleiche bezahlen. Immerhin: Bund und Länder wollen damit ihre jährlichen Einnahmen auf dem Rücken der Betroffenen von rund 45 Millionen Euro auf 55 Millionen Euro erhöhen. Wird damit die angeblich kostenfreie Ausgabe der neuen Schwerbehindertenausweise – im Scheckkartenformat – gegenfinanziert? Noch absurder ist eine zweite Begründung, nachzulesen in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Drucksache 17/11184; „Durch die Erhöhung der Eigenbeteiligung ist zugleich sichergestellt, dass weder der Bund noch die Länder aufgrund dieser Änderungen mit Einnahmeverlusten zu rechnen haben.“ Wie können Verwaltungsvereinfachungen und Bürokratieabbau eigentlich zu Einnahmeverlusten führen? Für die CDU/CSU, SPD, FDP und die Grünen ist die Erhöhung der Gebühren angemessen und gerechtfertigt. Sicher: 12 Euro mehr oder weniger fallen im Portemonnaie eines Abgeordneten nicht auf, bei den betroffenen schwerbehinderten Menschen jedoch sehr. Es sind die vielen kleinen Beiträge, die hier zu Buche schlagen. Es sind die Mehrkosten infolge der Gesundheitsreformen, es sind die überproportional gestiegenen Ausgaben für Miete und Mietnebenkosten, die hohen Benzinkosten, es ist die Absenkung der Grundsicherungsleistungen durch Einführung der Regelbedarfsstufe 3, und es sind für mehr als 580 000 Menschen mit Behinderungen auch die ab 1. Januar 2013 zu zahlenden Rundfunkgebühren. Deswegen hat die Linke einen Änderungsantrag vorgelegt, mit dem die Gebühren für die Wertmarke in der bisherigen Höhe beibehalten werden soll. Sollte der Änderungsantrag keine Mehrheit finden, werden wir den Gesetzentwurf in Gänze ablehnen müssen. Bei allem Verständnis für leere öffentliche Kassen – hier soll das Geld an falscher Stelle kassiert werden. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schwerbehinderte Menschen können für 60 Euro im Jahr eine Wertmarke erwerben, die sie zur Beförderung im öffentlichen Personenverkehr berechtigt. Wir haben hier erst vor zwei Wochen über eine Erhöhung der Kosten für diese Wertmarke diskutiert. Im Ausschuss haben fast alle Fraktionen Änderungsanträge eingebracht, sodass wir heute über eine nur leicht veränderte Vorlage abstimmen. Ich möchte meinen Ausführungen insofern nicht viel mehr hinzufügen. Die Höhe der Eigenbeteiligung wird umgerechnet monatlich um 1 Euro erhöht. Die Begrenzung des Geltungsbereichs der Wertmarke wurde kürzlich aufgehoben. Wer sie erwirbt, kann nun auch weitere Distanzen im öffentlichen Verkehr zurücklegen. Zudem wurden in den letzten Jahren, bei allen noch bestehenden Mängeln, zahlreiche Barrieren im öffentlichen Personenverkehr abgebaut. Ich habe in meiner letzten Rede zu diesem Thema bereits etwas zum gesamten System der Nachteilsausgleiche für Menschen mit Behinderungen gesagt; das möchte ich hier nicht wiederholen. Ich möchte aber ausdrücklich noch einmal darauf hinweisen, dass an diesen Nachteilsausgleichen von unterschiedlichen Seiten beständig „genagt“ wird: Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Sozialhilfeträger in manchen Ländern flächendeckend Anträge auf Kindergeldabzweigung stellen, oder bei den Pflegekassen, die vor einem Jahr das anteilige Pflegegeld neu berechnet und faktisch gekürzt haben. Ich halte das Verhältnis von Kosten und Leistungen bei diesem spezifischen Nachteilsausgleich auch nach der Erhöhung für gerechtfertigt. Grundsicherungsbeziehende, blinde Menschen und Personen mit dem Merk-zeichen „h“ sind von der Eigenbeteiligung befreit. Sicher ist eine Erhöhung von Kosten nicht erfreulich, im Verhältnis ist sie aber vertretbar. Die Politik steht allerdings in der Verantwortung, Nachteilsausgleiche für Menschen mit Behinderungen nicht nur anzupassen, wenn damit höhere Einnahmen oder Einsparungen einhergehen. Im Fall der Kindergeldabzweigung hat meine Fraktion bereits einen Antrag eingebracht. Wir werden uns weiterhin dafür stark machen, behinderungsbedingte Nachteilsausgleiche so zu gestalten, dass sie behinderten Menschen ohne Anrechnung auf Einkommen und Vermögen zugutekommen. Anlagen 1Ergebnis Seite 24238 A 2Anlage 2 3Ergebnis Seite 24254 A 4Ergebnis Seite 24325 A 5Anlagen 4 bis 10 6Ergebnis Seite 24362 C 7Ergebnis Seite 24364 C 8Anlage 11 9 Anlage 12 10Anlage 13 11Anlage 14 12Anlage 15 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 201. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 201. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012 24517 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2013 4 24518 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 201. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 201. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012 24521