Plenarprotokoll 17/211 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 211. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Vizepräsidenten Dr. Hermann Otto Solms und des Staatssekretärs Harro Semmler Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Absetzung der Tagesordnungspunkte 23, 27, 46 und 48 Zusatztagesordnungspunkt 2: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 17/10754, 17/11269, 17/11705) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMWi Hubertus Heil (Peine) (SPD) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Klaus Breil (FDP) Uwe Beckmeyer (SPD) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Johanna Voß (DIE LINKE) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Franz Obermeier (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Menschenwürde von Flüchtlingen ist migrationspolitisch nicht relativierbar – Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz ziehen (Drucksache 17/11663) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Markus Kurth, Josef Philip Winkler, Fritz Kuhn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes (Drucksachen 17/1428, 17/10198) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Menschenwürdiges Existenzminimum für alle – Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen (Drucksachen 17/4424, 17/10198) d) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Da?delen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Auf Flüchtlingsproteste reagieren – Residenzpflicht abschaffen (Drucksache 17/11589) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Menschenwürdige Lebensbedingungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Geduldete sicherstellen – Asylbewerberleistungsgesetz reformieren (Drucksache 17/11674) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Mehr Bewegungsfreiheit für Asylsuchende und Geduldete (Drucksachen 17/5912, 17/11716) Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Elke Ferner (SPD) Pascal Kober (FDP) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Rüdiger Veit (SPD) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Heike Brehmer (CDU/CSU) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 51: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2012) (Drucksache 17/8989) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 16. Mai 2012 zu den Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des Vertrags von Lissabon (Drucksache 17/11367) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes (Drucksache 17/11368) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften (Drucksache 17/11469) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Entbürokratisierung des -Gemeinnützigkeitsrechts (Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz – GemEntBG) (Drucksache 17/11632) f) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltungsbedingungen für Puten verbessern (Drucksache 17/11667) g) Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Cornelia Behm, Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Havarie des Containerschiffs MSC Flaminia – Aus den Fehlern von Seeunfällen lernen (Drucksache 17/11668) Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Markus Tressel, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verkehrsträgerübergreifende Fahrgastrechte stärken (Drucksache 17/11375) b) Antrag der Abgeordneten Steffen Bilger, Peter Götz, Armin Schuster (Weil am Rhein), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Werner Simmling, Birgit Homburger, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Projektbeiratsbeschluss bei der Rheintalbahn umsetzen (Drucksache 17/11652) c) Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aktionsplan Soziale Sicherung – Ein Beitrag zur weltweiten sozialen Wende (Drucksache 17/11665) Tagesordnungspunkt 52: Antrag der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Heinz Paula, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: -Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der -Agrarstruktur und des Küstenschutzes an aktuelle Herausforderungen anpassen (Drucksache 17/11653) Zusatztagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Dem Antrag Palästinas auf erweiterten Beobachterstatus in der UNO zustimmen (Drucksache 17/11678) b) – e) Beratung der Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss): Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens (Drucksachen 17/11618,  17/11619, 17/11620, 17/11621) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 5: Wahl der Mitglieder des Beirates der Stiftung Datenschutz (Drucksache 17/11637) Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Unterschiedliche Auffassungen der Koalitionsfraktionen über ihre Pläne zur Einführung von Gutscheinen für Haushaltshilfen Caren Marks (SPD) Ingrid Fischbach (CDU/CSU) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Miriam Gruß (FDP) Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Elke Ferner (SPD) Florian Bernschneider (FDP) Stefan Schwartze (SPD) Rolf Schwanitz (SPD) Tagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Max Straubinger, Peter Götz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Claudia Bögel, Dr. Edmund Peter Geisen, Heinz-Peter Haustein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zukunft für ländliche Räume – Regionale Vielfalt sichern und ausbauen (Drucksache 17/11654) b) Antrag der Abgeordneten Willi Brase, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gutes Leben, Gute Innovationen, Gute Arbeit – Politik für ländliche Räume effektiv und effizient gestalten (Drucksache 17/11031) c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Raumordnungsbericht 2011 (Drucksache 17/8360) d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Hans-Josef Fell, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beitrag der Raumordnung zu Klimaschutz und Energiewende (Drucksachen 17/9583, 17/11672) Volker Kauder (CDU/CSU) Willi Brase (SPD) Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Claudia Bögel (FDP) Alexander Süßmair (DIE LINKE) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ingbert Liebing (CDU/CSU) Florian Pronold (SPD) Volker Kauder (CDU/CSU) Florian Pronold (SPD) Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Marlene Mortler (CDU/CSU) Florian Pronold (SPD) Marlene Mortler (CDU/CSU) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) Ulrich Kelber (SPD) Ernst Hinsken (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 7: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Gustav Herzog, Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine zukunftsfähige Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und ein modernes Wasserstraßenmanagement (Drucksachen 17/9743, 17/11592) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Heinz-Joachim Barchmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zukunftsfähigkeit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kein Personalabbau bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – Aufgaben an ökologischer Flusspolitik ausrichten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neue Netzstruktur für Wasserstraßen präzisieren und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung reformieren (Drucksachen 17/4030, 17/5548, 17/5056, 17/8330) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVBS Uwe Beckmeyer (SPD) Torsten Staffeldt (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Matthias Lietz (CDU/CSU) Gustav Herzog (SPD) Tagesordnungspunkt 6: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Drucksachen 17/10488, 17/11710) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild Rawert, Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Individuelle Gesundheitsleistungen eindämmen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Patientenrechte wirksam verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Dr. Martina Bunge, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mehr Rechte für Patientinnen und Patienten – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Ingrid Hönlinger, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechte von Patientinnen und Patienten durchsetzen (Drucksachen 17/9061, 17/11008, 17/6489, 17/6348, 17/11710) Mechthild Dyckmans (FDP) Dr. Marlies Volkmer (SPD) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) Wolfgang Zöller (CDU/CSU) Kathrin Vogler (DIE LINKE) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) Mechthild Rawert (SPD) Dr. Erwin Lotter (FDP) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Erwin Rüddel (CDU/CSU) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Energiewende sozial gestalten – Stromsperren gesetzlich untersagen (Drucksache 17/11655) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Strompreiserhöhung aussetzen – Faire Strompreise für alle (Drucksache 17/11656) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie – zu dem Antrag der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Rolf Hempelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für ein konzeptionelles Vorgehen der Bundesregierung bei der Energiewende – Masterplan Energiewende – zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kosten und Nutzen der Energiewende fair verteilen – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bezahlbare Energie sichern durch Einsparung, Erneuerbare und mehr Verbraucherrechte (Drucksachen 17/9729, 17/11004, 17/11030, 17/11719) Caren Lay (DIE LINKE) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Dirk Becker (SPD) Dr. Erik Schweickert (FDP) Caren Lay (DIE LINKE) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Erik Schweickert (FDP) Birgit Homburger (FDP) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Klaus Breil (FDP) Tagesordnungspunkt 8: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C284/09 (Drucksachen 17/11314, 17/11717) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11718) Tagesordnungspunkt 11: a) Antrag der Abgeordneten Frank Schwabe, Ulrich Kelber, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimakonferenz Doha – Kein internationaler Erfolg ohne nationale Vorreiter (Drucksache 17/11651) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Andreas Jung (Konstanz), Marie-Luise Dött, Michael Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Meierhofer, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die UN-Klimakonferenz in Doha – Globalen Klimaschutz wirksam vorantreiben (Drucksachen 17/11514, 17/11714) c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Aktionsplan Anpassung der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel (Drucksache 17/6550) Frank Schwabe (SPD) Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Michael Kauch (FDP) Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Josef Göppel (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Drucksache 17/11466) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMVg Dr. Rolf Mützenich (SPD) Michael Link, Staatsminister im AA Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Philipp Mißfelder (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Roth (Esslingen), René Röspel, Dr. Sascha Raabe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine Generation frei von Aids/HIV bis 2015 – Anstrengungen verstärken und Zusagen in der Entwicklungspolitik einhalten (Drucksachen 17/10096, 17/11711) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Krista Sager, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das -Menschenrecht auf Gesundheit umsetzen – Zugang zu Medikamenten weltweit verwirklichen (Drucksachen 17/8493, 17/9713) Karin Roth (Esslingen) (SPD) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) Niema Movassat (DIE LINKE) Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) Johannes Selle (CDU/CSU) Helga Daub (FDP) Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Drucksachen 17/10771, 17/11610) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Arnold Vaatz, Daniela Ludwig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Patrick Döring, Michael Kauch, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Schienenlärm wirksam reduzieren – Schienengüterverkehr nachhaltig gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Gustav Herzog, Uwe Beckmeyer, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für einen neuen Infrastrukturkonsens – Schutz der Menschen vor Straßen- und Schienenlärm nachdrücklich verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Gustav Herzog, Uwe Beckmeyer, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bürgerinnen und Bürger dauerhaft vom Bahnlärm entlasten – Alternative Güterverkehrsstrecke zum Mittelrheintal angehen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz vor Bahnlärm verbessern – Veraltetes Lärmprivileg „Schienenbonus“ abschaffen (Drucksachen 17/10780, 17/5461, 17/6452, 17/4652, 17/11610) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) Gustav Herzog (SPD) Michael Kauch (FDP) Sabine Leidig (DIE LINKE) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Daniela Ludwig (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Kapitalgesellschaften mit kommunaler Beteiligung (Drucksache 17/11587) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) Ingo Egloff (SPD) Marco Buschmann (FDP) Katrin Kunert (DIE LINKE) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Karin Evers-Meyer, Maria Michalk, Cornelia Behm, Serkan Tören und weiterer Abgeordneter: 20 Jahre Zeichnung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (Drucksache 17/11638) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) Karin Evers-Meyer (SPD) Torsten Staffeldt (FDP) Raju Sharma (DIE LINKE) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Maria Michalk (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Energiewende im Gebäudebestand sozial gerecht, umweltfreundlich, wirtschaftlich und zukunftsweisend umsetzen (Drucksache 17/11664) Tagesordnungspunkt 16: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (Drucksachen 17/10975, 17/11583) b) Antrag der Fraktion der SPD: Universal Periodic Review – Menschenrechtslage in Deutschland auf dem Prüfstand des UN-Menschenrechtsrates (Drucksache 17/11675) Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (Drucksache 17/11268) Tagesordnungspunkt 20: a) Antrag der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Edelgard Bulmahn, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Negativbilanz nach zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat (Drucksache 17/11576) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Deutschland im VN-Sicherheitsrat – Impulse für Frieden und Abrüstung (Drucksachen 17/4863, 17/7397) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Die internationale Schutzverantwortung weiterentwickeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutzverantwortung weiterentwickeln und wirksam umsetzen (Drucksachen 17/8808, 17/9584, 17/10902) Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Drucksache 17/11470) Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Martin Dörmann (SPD) Thomas Jarzombek (CDU/CSU) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Lars Klingbeil (SPD) Jimmy Schulz (FDP) Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig), Sebastian Edathy, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Hinschauen – Dunkelfeldforschung zum Thema Rechtsextremismus (Drucksache 17/11366) Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 21: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts (Drucksache 17/11468) b) Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Baugesetzbuch wirklich novellieren (Drucksache 17/10846) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Kirsten Lühmann, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Wohnen – Voraussetzungen für Teilhabe und Gleichberechtigung – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Barrierefreies Bauen im Baugesetzbuch verbindlich regeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Markus Kurth, Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Barrieren abbauen – Mobilität und Wohnen für alle (Drucksachen 17/6295, 17/9426, 17/9406, 17/11646) Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Angehörige der Bundespolizei – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei massiv beschränken (Drucksachen 17/4682, 17/5055, 17/11263) Günter Baumann (CDU/CSU) Wolfgang Gunkel (SPD) Gisela Piltz (FDP) Frank Tempel (DIE LINKE) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (Drucksache 17/11726) Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Steuerliche Transparenz von multinationalen Unternehmen herstellen – Country-by-Country und Project-by-Project Reporting einführen (Drucksachen 17/11075, 17/11695) Manfred Kolbe (CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Holger Krestel (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen (Drucksachen 17/11294, 17/11354, 17/11677) Josef Rief (CDU/CSU) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Alexander Süßmair (DIE LINKE) Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 28: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Anerkennung und Wiedergutmachung des Leids der „Trostfrauen“ (Drucksachen 17/8789, 17/10084) Ute Granold (CDU/CSU) Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) Pascal Kober (FDP) Annette Groth (DIE LINKE) Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 29: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Drucksachen 17/11317, 17/11699) – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Drucksachen 17/10087, 17/11699) Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Dr. Hans-Peter Bartels, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schutz vor Schiffsunfällen beim Bau der Fehmarnbelt-Querung sicherstellen (Drucksache 17/11365) Gero Storjohann (CDU/CSU) Matthias Lietz (CDU/CSU) Uwe Beckmeyer (SPD) Torsten Staffeldt (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 31: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben (Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz – MicroBilG) (Drucksachen  17/11292,  17/11353, 17/11702) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Thomas Gambke, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erleichterungen für Klein- und Kleinstkapitalgesellschaften bei der Offenlegung der Jahresabschlüsse (Drucksachen 17/11027, 17/11702) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) Ingo Egloff (SPD) Marco Buschmann (FDP) Richard Pitterle (DIE LINKE) Tagesordnungspunkt 41: Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Arbeitsbedingungen und Berufsperspektiven von Promovierenden verbessern (Drucksache 17/11044) Tankred Schipanski (CDU/CSU) Swen Schulz (Spandau) (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Tagesordnungspunkt 33: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Marcus Weinberg (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Miriam Gruß, Nicole Bracht-Bendt, Florian Bernschneider, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Tagespflegepersonen stärken – Qualifikation steigern – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Christel Humme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neuen „Krippengipfel“ einberufen – Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung voranbringen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wahlfreiheit gewährleisten, Kindertagesbetreuung ausbauen – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2010 (Zweiter Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes) – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2011 (Dritter Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes) (Drucksachen 17/9925, 17/5518, 17/9929, 17/5900, 17/9850, 17/11574) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) Caren Marks (SPD) Miriam Gruß (FDP) Diana Golze (DIE LINKE) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 34: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Helga Daub, Joachim Günther (Plauen), Harald Leibrecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: „weltwärts“ wird Gemeinschaftswerk – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding (Heidelberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: „weltwärts“ – Ein Freiwilligendienst mit Zukunft (Drucksachen 17/9027, 17/8769, 17/10061) Klaus Riegert (CDU/CSU) Dr. Bärbel Kofler (SPD) Joachim Günther (Plauen) (FDP) Heike Hänsel (DIE LINKE) Ulrich Schneider (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 35: Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ökologische Baustoffe – Klima schützen, Energie sparen und Ölabhängigkeit reduzieren (Drucksache 17/11380) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) Ulrich Lange (CDU/CSU) Michael Groß (SPD) Petra Müller (Aachen) (FDP) Heidrun Bluhm (DIE LINKE) Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 36: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neue Impulse für einen wirksamen und umfassenden Schutz der Afrikanischen Elefanten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Josef Göppel, Marie-Luise Dött, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Meierhofer, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neue Impulse für einen wirksamen und um-fassenden Schutz der Afrikanischen Elefanten (Drucksachen 17/11554, 17/10110, 17/11715) Josef Göppel (CDU/CSU) Dr. Matthias Miersch (SPD) Angelika Brunkhorst (FDP) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 37: Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD -sowie der Abgeordneten Beate Müller--Gemmeke, Uwe Kekeritz, Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeitsbedingungen von Hausangestellten verbessern – ILO-Übereinkommen Nr. 189 ratifizieren (Drucksache 17/11370) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) Max Straubinger (CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Klaus Ernst (DIE LINKE) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 38: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Altmaier, Dorothee Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Claudia Winterstein, Burkhardt Müller-Sönksen, Gabriele Molitor, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Barrierefreies Filmangebot umfassend ausweiten – Mehr Angebote für Hör- und Sehbehinderte – zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Tabea Rößner, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sofortprogramm zur Ausweitung des barrierefreien Filmangebots auflegen (Drucksachen 17/7709, 17/8355, 17/10029) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) Angelika Krüger-Leißner (SPD) Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 39: Antrag der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben), Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Taubblindheit als Behinderung eigener Art anerkennen – Merkzeichen Taubblindheit einführen (Drucksache 17/11676) Maria Michalk (CDU/CSU) Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Gabriele Molitor (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 40: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung (Drucksache 17/11126) Tagesordnungspunkt 44: Antrag der Abgeordneten Jens Petermann, Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sportförderung neu denken – Strukturen verändern (Drucksache 17/11374) Klaus Riegert (CDU/CSU) Eberhard Gienger (CDU/CSU) Martin Gerster (SPD) Joachim Günther (Plauen) (FDP) Katrin Kunert (DIE LINKE) Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 43: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Diplomatische Beziehungen zu Palästina aufwerten – zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Zwei-Staaten-Perspektive für den israelisch-palästinensischen Konflikt erhalten – Entwicklung der C-Gebiete in der Westbank fördern – Abrissverfügungen für Solaranlagen stoppen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Zwei-Staaten-Perspektive für eine friedliche Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts retten (Drucksachen 17/8375, 17/9981, 17/10640, 17/11452) Philipp Mißfelder (CDU/CSU) Günter Gloser (SPD) Dr. Rainer Stinner (FDP) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Frank Heinrich (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 4 b) Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) zur Abstimmung über den Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens (Zusatztagesordnungspunkt 5 b) Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 (Tagesordnungspunkt 8) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Dr. Daniel Volk (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: 20 Jahre Zeichnung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (Tagesordnungspunkt 14) Serkan Tören (FDP) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 – Antrag: Universal Periodic Review – Menschenrechtslage in Deutschland auf dem Prüfstand des UN-Menschenrechtsrates (Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b) Michael Frieser (CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD) Marina Schuster (FDP) Jan van Aken (DIE LINKE) Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Energiewende im Gebäudebestand sozial gerecht, umweltfreundlich, wirtschaftlich und zukunftsweisend umsetzen (Tagesordnungspunkt 17) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) Karl Holmeier (CDU/CSU) Michael Groß (SPD) Sebastian Körber (FDP) Heidrun Bluhm (DIE LINKE) Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (Tagesordnungspunkt 18) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Richard Pitterle (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Negativbilanz nach zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Deutschland im VN-Sicherheitsrat – Impulse für Frieden und Abrüstung – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Die internationale Schutzverantwortung weiterentwickeln – Schutzverantwortung weiterentwickeln und wirksam umsetzen (Tagesordnungspunkt 20 a bis c) Jürgen Klimke (CDU/CSU) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) Bijan Djir-Sarai (FDP) Heike Hänsel (DIE LINKE) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts – Antrag: Baugesetzbuch wirklich novellieren – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Wohnen – Voraussetzungen für Teilhabe und Gleichberechtigung – Barrierefreies Bauen im Baugesetzbuch verbindlich regeln – Barrieren abbauen – Mobilität und Wohnen für alle (Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c) Peter Götz (CDU/CSU) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) Hans-Joachim Hacker (SPD) Petra Müller (Aachen) (FDP) Alexander Süßmair (DIE LINKE) Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 29) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) René Röspel (SPD) Stephan Thomae (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung (Tagesordnungspunkt 40) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Norbert Geis (CDU/CSU) Dr. Edgar Franke (SPD) Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (Zusatztagesordnungspunkt 9) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Norbert Geis (CDU/CSU) Burkhard Lischka (SPD) Christian Ahrendt (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Inhaltsverzeichnis 211. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 Beginn: 10.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung. Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Vizepräsidenten Dr. Hermann Otto Solms zu seinem 72. Geburtstag gratulieren, den er vor wenigen Tagen gefeiert hat. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Solms. Im Namen des Hauses alle guten Wünsche. (Beifall) Im Übrigen feiert heute der Direktor beim Deutschen Bundestag, Staatssekretär Semmler, seinen 65. Geburtstag. (Beifall) Das ist eine schöne Gelegenheit, ihm vor dem Hohen Hause nicht nur zum Geburtstag zu gratulieren, sondern für seine langjährigen Dienste in der Bundestagsverwaltung und nun an der Spitze derselben zu danken, verbunden mit allen guten Wünschen für den bevorstehenden Ruhestand. (Beifall) Nun mache ich Sie darauf aufmerksam, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, mit Ausnahme des Antrages des Bundesministeriums der Finanzen auf der Drucksache 17/11669, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Ökonomische und verfassungsrechtliche Auswirkungen der Vermögensteuerpläne von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (siehe 210. Sitzung) ZP 2 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften – Drucksachen 17/10754, 17/11269 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/11705 – Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Menschenwürdige Lebensbedingungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Geduldete sicherstellen – Asylbewerberleistungsgesetz reformieren – Drucksache 17/11674 – b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mehr Bewegungsfreiheit für Asylsuchende und Geduldete – Drucksachen 17/5912, 17/11716 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ulla Jelpke Josef Philip Winkler ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 51 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Markus Tressel, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verkehrsträgerübergreifende Fahrgastrechte stärken – Drucksache 17/11375 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Tourismus Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen Bilger, Peter Götz, Armin Schuster (Weil am Rhein), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Werner Simmling, Birgit Homburger, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Projektbeiratsbeschluss bei der Rheintalbahn umsetzen – Drucksache 17/11652 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aktionsplan Soziale Sicherung – Ein Beitrag zur weltweiten sozialen Wende – Drucksache 17/11665 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache Ergänzung zu TOP 52 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Dem Antrag Palästinas auf erweiterten Beobachterstatus in der UNO zustimmen – Drucksache 17/11678 – b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens – Drucksache 17/11618 – c) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens – Drucksache 17/11619 – d) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens – Drucksache 17/11620 – e) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens – Drucksache 17/11621 – ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Unterschiedliche Auffassungen der Koalitionsfraktionen über ihre Pläne zur Einführung von Gutscheinen für Haushaltshilfen ZP 7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Strompreiserhöhung aussetzen – Faire Strompreise für alle – Drucksache 17/11656 – b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Rolf Hempelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für ein konzeptionelles Vorgehen der Bundesregierung bei der Energiewende – Masterplan Energiewende – zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kosten und Nutzen der Energiewende fair verteilen – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bezahlbare Energie sichern durch Einsparung, Erneuerbare und mehr Verbraucherrechte – Drucksachen 17/9729, 17/11004, 17/11030, 17/11719 – Berichterstattung: Abgeordneter Thomas Bareiß ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Krista Sager, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Menschenrecht auf Gesundheit umsetzen – Zugang zu Medikamenten weltweit verwirklichen – Drucksachen 17/8493, 17/9713 – Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Weiss (Wesel I) Karin Roth (Esslingen) Helga Daub Niema Movassat Uwe Kekeritz ZP 9 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch – Drucksache 17/11726 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit ZP 10 a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen Fortschritte beim Anpassungsprogramm für Griechenland b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland – Änderung der -Garantieschlüssel; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG) – Drucksachen 17/11647, 17/11648, 17/11469, 17/11669 – ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edgar Franke, Christine Lambrecht, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen – Drucksachen 17/3685, 17/9587 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Edgar Franke ZP 12 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Wohnungspolitische Verantwortung bei Übertragung der bundeseigenen TLG-Wohnungen sichern – Drucksachen 17/9737, 17/10717 – Berichterstattung: Abgeordneter Peter Götz Über die Aufsetzung des von mir gerade genannten Antrages werden wir morgen früh vor Eintritt in die Tagesordnung abstimmen. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Des Weiteren werden die Tagesordnungspunkte 23, 27, 42, 46 und 48 abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Sind Sie damit einverstanden? – Das sieht so aus. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften – Drucksachen 17/10754, 17/11269 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/11705 – Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Philipp Rösler, das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Montag haben wir den Netzentwicklungsplan vorgelegt. Gestern hat das Bundeskabinett eine Verordnung für mehr Versorgungs-sicherheit in Deutschland beschlossen. Und heute -diskutieren wir abschließend über das Energiewirtschaftsgesetz. Allein dies zeigt: eine gute Woche zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende in Deutschland. (Lachen bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Notstandsgesetzgebung!) Diese Umsetzung, anders als bei Rot-Grün zu ihrer Regierungszeit, ist bei dieser Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP ausdrücklich in guten Händen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wer glaubt das denn?) Wie war es denn zu Ihrer Zeit? Sie haben den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen, aber keinerlei Pläne vorgelegt zum Netzausbau, zum Ausbau der erneuerbaren Energien oder für mehr Speichertechnologien. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollen Vorschläge machen!) Kollege Altmaier hat berichtet: In seinem Ministerium, das von Rot und Grün geführt wurde, gab es nicht einen einzigen Plan zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende. Jetzt gegen das Energiewirtschaftsgesetz zu sein, ist unsolide, unglaubwürdig und unseriös. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist ein billiger Brüderle-Verschnitt da vorne!) Es geht um den Ausbau der erneuerbaren Energien, ganz konkret der Offshorewindenergie. Da muss man sich schon sehr wundern: Es stehen Milliardeninvestitionen an, die nicht nur Versorgungssicherheit durch eine neue Energieerzeugungsform, sondern auch viele Hunderte, vielleicht Tausende neue Arbeitsplätze im Norden unseres Landes schaffen, und die Grünen sind gegen dieses Gesetz. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Also halten wir doch zuerst einmal fest: Die Grünen sind gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sind gegen Offshorewindenergie. Das ist das wahre Gesicht der Grünen in der deutschen Energiepolitik. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist selbst für Sie unterkomplex, Herr Rösler!) Bei den Roten sieht es leider nicht viel besser aus. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau! Die waren auch immer dagegen!) In seinem letzten Redebeitrag hat sich der Kollege noch darüber beschwert, es würde bei der Offshorewind-energie nicht vorangehen. Jetzt liegt das Gesetz vor. Wir machen den Weg frei für ebendiese Milliardeninvestitionen, und Sie sind dagegen! Gehen Sie doch einmal zu den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen oder Niedersachsen! Gehen Sie doch einmal an die Werkstore und sagen Sie den Menschen dort, Sie seien gegen diese neue Form der Industrie, Sie seien gegen die Unternehmen, Sie seien gegen die Menschen, Sie seien gegen die Arbeitsplätze zum Beispiel in Niedersachsen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen die doch kaputt!) Ich bin sehr gespannt, ob Sie den Mut haben, hier Nein zu sagen. Aber den Menschen hier vorzumachen, Sie seien für erneuerbare Energien, (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn vermeldet?) ist unehrlich, Frau Steiner. Sie kommen auch aus Niedersachsen, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie die Menschen doch mal!) Wenigstens ist hier richtig Stimmung, wenn sie da ist. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Getroffene Hunde bellen!) Ja, der Ausbau der erneuerbaren Energien kostet Geld. Wenn man Kernkraftwerke abschalten will, braucht man Ersatzkapazitäten, konventionelle Kraftwerke – Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke –, aber eben auch Offshorewindenergie. Das wird zu bezahlen sein. Weil es viel Geld kostet, weil Investitionen notwendig sind, teilen wir die Belastungen gerecht auf: auf die Offshorewindparkbetreiber, auf die Übertragungsnetzbetreiber und auch auf die Verbraucherinnen und Verbraucher. Weil wir wissen, dass die Risiken zwar klein, aber die Kosten im Schadensfall vergleichsweise hoch sind, haben wir dafür gesorgt, dass die Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger auf 0,25 Cent je Kilowattstunde gedeckelt werden. Das ist gerade einmal 1 Prozent des aktuellen Strompreises. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ihr macht Strom teurer! Sag das doch!) Das, was im Haftungsfall die Industrie an Erstattung bekommt, wird am Ende der Förderlaufzeit genau dieser Industrie auch wieder abgezogen. Das ist ein gerechtes Verhältnis zwischen dem Investitionsnutzen und den Kosten. Wir stellen fest: Dies ist erstmals eine Regelung, die die Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher begrenzt. Aber Rot und Grün sind gegen diese Begrenzung bei den erneuerbaren Energien. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lassen die Verbraucher zahlen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur die Verbraucher sollen zahlen!) Wir wissen: Erneuerbare Energien werden nur dann wirtschaftlich werden können, wenn wir genügend Speicherkapazitäten zur Verfügung haben. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Deswegen unterstützen wir Pumpspeicherkraftwerke, weil wir Speicherkapazitäten brauchen, die auch industriell nutzbar sind. Sie sagen: Ja, wir brauchen erneuerbare Energien. Ja, wir brauchen Speicher. – Das ist alles sehr wolkig und unscharf formuliert; denn wenn es konkret wird, sind Sie wiederum dagegen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blockiert Ihre Partei in Nordrhein-Westfalen!) Wir wissen, wir brauchen beides: erneuerbare Energien und Speicher. Deswegen handeln wir und schlagen mit dem Energiewirtschaftsgesetz den richtigen Weg ein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zum Energiewirtschaftsgesetz gibt es ein Wintergesetz. Hierbei geht es ganz konkret um die Versorgungs-sicherheit in den nächsten beiden Wintern. Ja, wir wissen, das sind ordnungspolitisch und wirtschaftspolitisch durchaus streitige Maßnahmen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Planwirtschaft!) Aber in der Abwägung zwischen diesen streitigen Maßnahmen auf der einen Seite und der Versorgungssicherheit für die Menschen in Deutschland in den nächsten beiden Wintern auf der anderen Seite haben sich diese Regierung und diese Koalition völlig zu Recht für die Versorgungssicherheit der Menschen und Unternehmen in Deutschland entschieden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Warum müssen wir solche Maßnahmen auf den Weg bringen, Frau Höhn? Weil es ein Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien, das EEG, gibt, das zum Beispiel durch den Einspeisevorrang konventionelle Kraftwerke immer unwirtschaftlicher werden lässt. Deswegen muss man im Interesse der Versorgungssicherheit solche Maßnahmen ergreifen. Sowohl unsere Maßnahmen im Bereich der Offshorewindenergie als auch die Maßnahmen, die jetzt im Rahmen des Wintergesetzes notwendig werden, zeigen nur eines: Wenn wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien, bei der umweltfreundlichen Produktion, bei der Versorgungssicherheit und der Bezahlbarkeit der Energie weiter vorankommen wollen, dann brauchen wir eine grundlegende Reform des Gesetzes zur Förderung der erneuerbaren Energien. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen wir andere ranlassen, aber nicht Sie!) Wir sind in dieser Woche einen großen Schritt vorangekommen durch neue Netze, durch Versorgungssicherheit und durch dieses EnWG. (Rolf Hempelmann [SPD]: Legt doch einmal was vor!) Weitere Schritte werden folgen müssen. Ein nächster großer Schritt ist die Reform des EEG. Anders wird die Bezahlbarkeit der Energie in Deutschland nicht sicherzustellen sein. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Innovation durch Plattitüden, das ist Wirtschaftspolitik à la Rösler!) Dieses Gesetz, Frau Steiner, führt genau in die richtige Richtung – zu notwendigen Reformen für eine bessere Energieversorgung in Deutschland. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine fantastische Rede!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Rösler, die Energiewende bietet, wenn man sie richtig betreibt, in allererster Linie eine Riesenchance für das Industrieland Bundesrepublik Deutschland. Wir können, wenn wir es richtig machen, unseren Beitrag dazu leisten, dass wir auf diesem Gebiet Ausrüster der Welt sein können: mit Energieeffizienz, mit modernen Formen von Energieproduktion durch erneuerbare Energien. Wir haben in Deutschland das ingenieurwissenschaftliche Know-how dazu, wir verfügen über die notwendigen Fähigkeiten. Was wir allerdings nicht haben, ist eine Bundesregierung, die diese Chance nutzt. Deshalb gerät die Energiewende, die eine Operation am offenen Herzen unserer Industriegesellschaft ist, durch die Unfähigkeit und das Chaos in Ihrer Regierung zu einem Riesenproblem. Sie fahren gerade die Energiewende an die Wand, Herr Rösler. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Wir können Vorreiter sein, auch in Bereichen, wo wir Neuland oder wie in diesem Fall See betreten, gar keine Frage. Offshorewindenergie ist nicht nur ein zentraler Eckpfeiler einer stabilen Energieversorgung der Zukunft, sondern Offshore ist eine neue Technologie. Da gibt es erhebliche Risiken. Da ist vieles technisch noch nicht gelöst. Gleichwohl ist dieser Weg richtig. Wir bekennen uns dazu. Wir wollen, dass Stromerzeugung mittels Windkraftanlagen auf See einen wichtigen Beitrag für den Energiemix der Zukunft leistet. Offshoreanlagen erreichen eine höhere Volllaststundenzahl als andere Anlagen und sind Teil einer stabilen Energieversorgung durch Erneuerbare. Aber ich sage noch einmal: Es ist das Chaos in dieser Bundesregierung, das zu einer Situation geführt hat, die sich folgendermaßen beschreiben lässt: Noch vor ein, zwei Jahren waren immense Investitionen von großen EVUs, aber auch von Stadtwerken im Bereich Offshore geplant. Heute jedoch müssen wir erleben, dass diese Unternehmen ihr Investment Stück für Stück canceln, weil diese Bundesregierung die Aufgabe, erneuerbare Energien offshore auszubauen, schlicht und ergreifend unterschätzt hat. Sie sind dieser Aufgabe nicht gewachsen, und deswegen gehen die Investitionen jetzt den Bach herunter. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das hat Folgen für Arbeitsplätze in unserer niedersächsischen Heimat, in Norddeutschland insgesamt. Wenn man es richtig macht, bietet Offshore eine Chance für Industrialisierung an den Küsten des Nordens, für Wertschöpfungsketten beispielsweise im Schiffbau. Sie haben Planungs- und Investitionsunsicherheit geschaffen. Sie versuchen jetzt, das mühsam zu reparieren durch ein Gesetz, das neue Ungerechtigkeiten schafft. Das alles gefährdet Beschäftigung, Arbeitsplätze und eine sichere Energieversorgung in diesem Land. Herr Rösler, Sie sind der Aufgabe nicht gewachsen. Das ist genau das Problem. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann es nicht oft genug sagen!) Was machen Sie jetzt mit diesem Gesetz? Flickschusterei! Sie wälzen im Wesentlichen die Haftungsrisiken auf die Verbraucher ab. Herr Rösler, Sie sollten keine Krokodilstränen über höhere Strompreise vergießen, wie Sie es heute im Morgenmagazin getan haben, wenn Sie gleichzeitig den Verbrauchern mit diesem Gesetz höhere Strompreise bescheren. Das ist unglaubwürdig, Herr Rösler. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Verursacher! – Genau so ist es!) Eine faire Lastenteilung in der Energiewende sieht anders aus. Marktwirtschaftliche Instrumente, Herr Brüderle, sehen völlig anders aus als das, was Sie mit diesem Gesetz vorhaben. Das ist ja reine Planwirtschaft, nichts anderes. Das muss man einmal feststellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wo sind denn Ihre Vorschläge, die dafür sorgen, dass wir beim Netzanschluss – denn das ist die Hauptaufgabe – trotz aller technisch ungelösten Probleme wirklich vorankommen? Wir hatten in Deutschland eine Riesenchance, in den Jahren 2008 und 2009 beim Unbundling durch die Schaffung einer deutschen Netz AG mit öffentlicher Beteiligung, aber im Wesentlichen privatwirtschaftlich organisiert, die Feuerkraft für Investitionen in diesem Bereich zu organisieren. Damals waren es der Bundesminister Michael Glos, meine Damen und Herren von der CSU, und später Ihr famoser Herr Guttenberg, die sich einer solchen vernünftigen Lösung verweigert haben. Das Ergebnis sehen wir eben heute. Wir sehen heute, dass die Investitionen, die notwendig wären, nicht mobilisiert werden können: Investitionen in den Netzanschluss – da gibt es Probleme – und in Leitungen an Land, die benötigt werden, um Strom vom Norden in den Süden zu bringen. Lassen Sie uns doch eine Diskussion über eine deutsche Netz AG führen. Sogar Herr Homann von der -Bundesnetzagentur hält sie für eine Möglichkeit, das Problem vernünftig zu lösen; Herr Rösler, Sie haben ihn im Wesentlichen mit ins Amt gebracht, wenn ich mich recht entsinne. Lassen Sie uns darüber nachdenken, ob es nicht vernünftig wäre, das Problem der Offshoreanbindung zu nutzen, um den Nukleus einer deutschen Netz AG zu schaffen. Unser Vorschlag ist konkret. Wir wollen, dass wir uns auf diesen Weg machen. Wir könnten dann von öffentlicher Seite, über die Kreditanstalt für Wiederaufbau, einsteigen, um Haftungsrisiken abzusichern und sie nicht auf die Verbraucher abzuwälzen. Herr Rösler, das ist eine Alternative zu dem, was Sie hier vorlegen. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Herr Rösler: Sie tragen persönlich Verantwortung für das, was im Moment scheitert. Sie schaffen es nicht, mit Herrn Altmaier wirklich zu Lösungen zu kommen, sondern markieren lediglich für den Bundestagswahlkampf. Die Rede, die Sie eben gehalten haben, war ein beredter Hinweis auf Ihre Position im Wahlkampf; aber Sie werden Ihrem Amt nicht gerecht. Ein Bundeswirtschaftsminister, der eigentlich für eine sichere, saubere und bezahlbare Energieversorgung für die Wirtschaft und für die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land zuständig ist, muss mehr bieten als die Rede, die wir eben gehört haben. Ich habe heute Morgen gehört, dass Sie im Morgenmagazin einen Masterplan zur Energiewende gefordert haben. (Lachen und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Super! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bravo!) Da kann ich nur sagen: Gute Idee, Herr Minister! Wie viele Jahre haben Sie eigentlich gebraucht, um auf diese geniale Idee zu kommen? Tatsache ist: Wir brauchen eine bessere Koordinierung. Es mag sein, dass Sie die Versorgungssicherheit im nächsten Winter so garantieren müssen, wie Sie es jetzt mit Ihrem Zwangsanschaltgesetz machen. Wir sind in -einer Lage, in der die Versorgungssicherheit im Winter nicht mehr garantiert ist, weshalb Sie Zwangsmaßnahmen ergreifen müssen, die mit Marktwirtschaft nun wirklich nichts zu tun haben. Sie zwingen die Unternehmen, konventionelle Kraftwerke im Süden anzuschalten, die sich betriebswirtschaftlich nicht mehr rechnen. Das wird in den nächsten drei oder vier Wintern möglicherweise notwendig sein; vielleicht gibt es gar keine Alternativen mehr, weil Sie uns in diese Situation gebracht haben. Sie haben aber auch keine Idee, wie es danach weitergehen soll, wie ein Strommarktdesign der Zukunft aussieht, wie wir die erneuerbaren Energien vernünftig ausbauen, sie Stück für Stück in die Vermarktung überführen und sie mit Reservekapazitäten koppeln. Sie haben keinen Vorschlag vorgelegt, aus dem hervorgeht, wie ein solches Strommarktdesign aussehen könnte. Dafür hatten Sie eigentlich genug Zeit. Ich sage Ihnen, Herr Bundesminister: Für den Offshorebereich und für die Versorgungssicherheit sind Sie nicht der Experte. (Patrick Döring [FDP]: Sie sind die wandelnde abschaltbare Last!) Sie haben es in den letzten Jahren nicht geschafft, die Chancen Norddeutschlands und Deutschlands insgesamt im Bereich der erneuerbaren Energien zu nutzen. Sie schimpfen in einer Tour über die erneuerbaren Energien, anstatt sie vernünftig auszubauen und zu fördern. Sie sorgen nicht für die notwendige Planungs- und Investitionssicherheit. Sie sorgen nicht für eine sichere und bezahlbare Stromversorgung. Sie verspielen die Chancen, die für das Industrieland Deutschland in der Energiewende stecken, auch die Chancen im Export unserer Technologien. Sie schaffen keine Planungs- und Investitionssicherheit und vernichten dadurch Arbeitsplätze. Wir müssen nach der Bundestagswahl mit diesem Chaos aufräumen. Wir können Energiewende, und Sie nicht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wegen Ihnen haben wir ja das Desaster!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der Tat geht es heute um zwei zentrale energiepolitische Vorhaben beim Umbau der Energieversorgung, die wir im Übrigen im letzten Jahr mit großer Mehrheit und fraktionsübergreifend hier in diesem Hause beschlossen und auch im Bundesrat einmütig auf den Weg gebracht haben. Um was geht es konkret? Es geht zum einen um Planungssicherheit im Offshorebereich, um den Offshore-windbereich dorthin zu bringen, wo wir ihn gemäß unserer Ziele haben wollen; ich werde gleich noch darauf eingehen. Es geht zum anderen um die Übergangsphase, in der die erneuerbaren Energien aufgrund von Fixkostenvergütungen, Einspeisegarantien und anderen Regelungen eine Dimension erreicht haben, die im Winter zu der Problematik führt, dass die Erneuerbaren nicht den Beitrag leisten können, den sie leisten sollen, weil die Sonne nicht so scheint und der Wind nicht so weht, wie wir uns das wünschen. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An der Küste ist das anders, aber das wissen Sie ja nicht, Herr Pfeiffer!) – An der Küste ist es auch nicht anders; da scheint nachts auch nicht die Sonne. Das wird trotz fortschreitendem Klimawandel auch nicht anders werden. Mit dem Wind verhält es sich ähnlich; das wissen Sie genau. Wir stehen vor folgender Situation: In diesem Jahr werden über 25 Prozent des Stroms durch erneuerbare Energien erzeugt. Im Winter werden wir wieder die Situation haben, dass nicht genug installierte Kapazität zur Verfügung steht. Wir mussten deshalb im letzten Winter insbesondere in Süddeutschland auf Strom aus Österreich zurückgreifen und zeitweise Reservekraftwerke zur Stromlieferung verpflichten, um die Versorgung sicherzustellen. Lassen Sie mich auf folgenden Effekt eingehen. Der Anteil an Strom aus erneuerbaren Energien wird immer größer, aber im Spitzenlastbereich muss zusätzlich Strom aus konventioneller Energie eingesetzt werden. Wenn die konventionellen Kraftwerke aber über das Jahr so wenig zum Einsatz kommen, dann sind sie nicht mehr rentabel. Das betrifft nicht nur neu gebaute, sondern auch bestehende Kraftwerke. Im nächsten Winter werden wir zusätzlich 2,6 Gigawatt, also 2 600 Megawatt – das entspricht der Leistung von drei Kernkraftwerken –, als Reserve brauchen, um die Energieversorgung zu gewährleisten. Durch eine Übergangslösung bis 2017 – das fällt uns nicht leicht, weil es in der Tat ein Eingriff in den Markt ist – wollen wir ausreichend Reserven für den Winter sicherstellen. Für Mitte des Jahres 2014 ist eine Überprüfung vorgesehen. Des Weiteren haben wir gestern im Bundeskabinett eine Verordnung zu abschaltbaren Lasten auf den Weg gebracht. Das ist eine Möglichkeit, genug Strom zu erzeugen. Die andere Möglichkeit ist, dass man bei Spitzenlast Lasten insbesondere im industriellen Bereich vom Netz nimmt, und zwar dort, wo es möglich ist. Für die Übergangszeit ist das wichtig. Wir finden hier eine Balance, um schwierige Situationen zu überbrücken. Wir haben auch ein Problem bei den Pumpspeicherkraftwerken. Dort haben wir eine ähnliche Situation. Auf der einen Seite brauchen wir mehr Speicherkapazität, um den diskontinuierlich erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien zu speichern. Auf der anderen Seite werden Pumpspeicherkraftwerke durch den Wegfall der Mittagsspitze über das Jahr hinweg zunehmend unrentabel. Das heißt, dass sich nicht nur neue, sondern auch bestehende Pumpspeicherkraftwerke nicht mehr rechnen. Mit dem Gesetz versuchen wir Anreize zu setzen, um durch den Einsatz neuer Technik die Effizienz der bestehenden Pumpspeicherkraftwerke zu erhöhen. Das ist die eine Seite der Medaille. Offshore ist ein weiteres Thema. Ich darf daran erinnern: Wir haben uns gemeinsam das Ziel gesetzt, bis 2020 10 Gigawatt und bis 2030 25 Gigawatt durch Offshoreanlagen zu produzieren. Leider wurden bisher nur 2 Prozent davon umgesetzt. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal, warum!) Was sind die Gründe? Die Gründe liegen in der Vergangenheit. Wir können uns jetzt darüber streiten, wer dafür Verantwortung trägt oder nicht. Als das auf den Weg gebracht wurde, war Herr Gabriel Umweltminister. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie regieren schon seit drei Jahren!) Wir können jetzt sagen: Der ist schuld. – Das mache ich aber nicht. Bei einer neuen Technologie sind die Gründe vielfältig. Es gibt technische Gründe – beispielsweise bei der Gründung –, es gibt Engpässe bei den entsprechenden Spezialschiffen, die notwendig sind; es gibt nicht genug Kabel, (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verkaufen das Ganze an kapitalschwache Anbieter! Das ist es!) es gibt den Tidenhub, und es gibt logistische Herausforderungen. Das alles sorgt dafür, dass es nicht so umgesetzt werden konnte, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir haben zeitliche Verzögerungen, insbesondere beim Netzanschluss. Wir stehen vor der Situation, dass beispielsweise Windparks einsatzfähig sind, aber der Strom nicht abtransportiert werden kann. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, warum?) In den Jahren 2010 und 2011 haben wir bereits zwischen 20 Millionen und 35 Millionen Euro für produzierten Strom ausgegeben, der nie beim Verbraucher ankam. Das ist natürlich nicht Sinn der Sache. Manche sagen: Dann machen wir halt nichts; dann fährt das alles gegen die Wand. – Aber die Offshoreenergie hat großes Potenzial. Es besteht die Chance, bis 2020 8 bis 10 Prozent und bis 2050 25 bis 30 Prozent des gesamten Stroms offshore zu produzieren. Offshorewindenergie leistet auch einen Beitrag zur Systemstabilität. Die Sonne scheint eben, wie gesagt, nicht Tag und Nacht, und auch der Wind weht onshore nicht so kontinuierlich wie offshore. Daher haben wir in diesem Bereich nur eine Verfügbarkeit von 2 bis 5 Prozent. Demgegenüber haben wir offshore eine Verfügbarkeit von ungefähr 4 500 Stunden. Neueste Zahlen belegen, dass die Windparks in der Ostsee im letzten Jahr über 4 200 Volllaststunden erbracht haben. Insofern können sie einen guten Beitrag zur Systemstabilität leisten. Offshorewindenergie kann mittelfristig auch zur Senkung des Energiepreises beitragen. Jetzt, am Anfang, ist die Vergütung zwar vergleichsweise hoch. Die Vergütung im Bereich Offshorewindenergie wird aber im Gegensatz zu der Vergütung in den Bereichen Onshorewindenergie und Photovoltaik nur neun Jahre lang gezahlt. Dann läuft die Förderung aus. Das heißt, wir haben keine 20-jährige Bindung. Nach dem Ablauf von neun Jahren beträgt die Vergütung 4,5 Cent pro Kilowattstunde, was absolut wettbewerbsfähig ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Exportpotenzial ist bereits angesprochen worden. Offshorewindenergie zählt nämlich nicht zum Bereich Lowtech, sondern zum Bereich Hightech, und zwar hinsichtlich der Anlagen, der Leitungen und des sonstigen Know-hows, das damit verbunden ist. Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, die zeitlichen Verzögerungen zu berücksichtigen und die ungeklärten Haftungsfragen, die sich daraus ergeben, dass es sich hier um eine neue Technologie handelt, zu klären. Bei der Offshorewindenergie ist es nicht so wie bei der Nutzung der Windenergie an Land oder der Nutzung anderer Technologien, bei denen das Risiko auf dem Markt versicherbar ist. Wir müssen eine Lösung finden, damit die bestehenden Projekte fortgeführt und zum Erfolg geführt werden können, und gleichzeitig müssen wir für die neuen Projekte zukunftsfähige Regeln finden. Diesen Gordischen Knoten gilt es zu durchschlagen. Deswegen unterbreiten wir heute diesen Vorschlag, der einen guten Ausgleich darstellt. Damit schaffen wir einerseits Planungssicherheit für die Investoren, und andererseits wird der Verbraucher nicht über Gebühr strapaziert. Wie machen wir das? Wir definieren Fahrlässigkeit klar. Die Haftungssumme bei leichter Fahrlässigkeit soll 17,5 Millionen Euro pro Projekt betragen. Das war der große Streitpunkt: Wie hoch muss dieser Betrag sein, -damit trotzdem noch Investitionen ausgelöst werden? Wichtig ist, dass nicht nur die Umlage ausgelöst wird, sondern wirklich neue Projekte entstehen und auch private Investoren dabei sind. Auf der anderen Seite sehen wir einen Selbstbehalt von 110 Millionen Euro pro Jahr für die Netzbetreiber vor, die in diesem Bereich auf dem Markt aktiv sind. Jetzt geht es darum, einen Ausgleich zu schaffen. Wir müssen nicht nur die bestehenden Projekte umsetzen, sondern auch dafür sorgen, dass es zukünftig neue Projekte gibt. Deshalb synchronisieren wir im Offshorenetzentwicklungsplan den Ausbau der Offshorekapazitäten mit dem Kapazitäts- und Netzausbau. Damit bringen wir beides zusammen; das ist bisher unterlassen worden. Vor dieser Aufgabe stehen wir heute. Heute drücken wir den Startknopf. Ich bin gespannt, ob der Bundesrat, in dem auch Vertreter der Oppositionsparteien vertreten sind, diesen vernünftigen Weg mitgeht und ob Sie hier und heute bereit sind, diesen vernünftigen Weg mitzugehen, oder das Ganze gegen die Wand fahren lassen und damit die Arbeitsplätze und die Energieversorgung gefährden. Damit würden Sie letzten Endes das Gegenteil dessen erreichen, was Sie hier immer so schön propagieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Barbara Höll ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist der Anlass für die Debatte? Die Netzanbindung von Windparks im Meer – dazu wird meine Kollegin Johanna Voß sprechen – (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Habt ihr euch das aufgeteilt?) und die Tatsache, dass Energieversorgern verboten werden soll, Kohle- und Gaskraftwerke stillzulegen unter Zahlung einer Entschädigungsleistung. Warum? Energiekonzerne drohen momentan damit, dass sie eine Reihe von Kraftwerken stilllegen müssen, weil sie sich angeblich nicht mehr rentieren. Diese Woche berichtet Der Spiegel von einer vertraulichen Studie des Umweltministeriums von Nordrhein-Westfalen, nach der allein in diesem Bundesland die Stilllegung von 29 Kraftwerken droht, und zwar vorzeitig; denn ihre technische Lebensdauer liegt noch bei 20 bis 30 Jahren. Nun fragt sich natürlich jeder, warum das so ist. Die Mengen an Wind- und Solarstrom hätten so stark zugenommen, dass die Großhandelspreise sinken würden. Das mache den Betrieb von Kohle- und vor allem von Gaskraftwerken zunehmend unwirtschaftlich, so die Energiekonzerne. Sinkende Strompreise durch erneuerbare Energien – ich glaube, ganz viele Bürgerinnen und Bürger sind nun ein bisschen verwirrt. Vor zwei Wochen erhielten sie die Nachricht ihres Stromversorgers, dass die Strompreise wegen der Förderung der erneuerbaren Energien zum 1. Januar 2013 steigen müssen. Die Strompreise sollen um durchschnittlich 12 Prozent ansteigen. Einige Versorger verlangen mit einem Aufschlag von bis zu 20 Prozent sogar deutlich mehr. Man fragt sich wirklich: Wie passt das zusammen? Richtig, die Umlage für erneuerbare Energien steigt im nächsten Jahr um 1,7 Cent pro Kilowattstunde. Damit wird die Strompreisexplosion begründet. Diese Aussage bestimmte in den letzten Wochen die Titelseiten der Zeitungen. Nun muss man aber wissen, was nicht in den Zeitungen steht, nämlich dass die EEG-Umlage nicht nur deshalb erhöht wird, weil wir einen Zubau von Solar- und Windstromanlagen wollen, sondern weil unter anderem die Ausnahmeregelungen für Industrien stark ausgeweitet wurden. Man kann sagen, dass die Industrierabatte mindestens 1 Cent ausmachen. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! – Gegenrufe von der LINKEN) Es wird verschwiegen, dass der Zubau von erneuerbaren Energien zu sinkenden Preisen an der Strombörse führt. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: 10 Cent, Frau Kollegin!) Das ist richtig; denn Ökostrom dämpft den Preisanstieg, und zwar derzeit um 0,9 Prozent. Jedes Solardach und jedes neu angeschlossene Windrad führen tendenziell dazu, dass der Strom preiswerter wird. Aber die Energiekonzerne klagen, dass alles so schlimm sei. Die Preise an der Börse seien so niedrig, es lohne sich also nicht mehr, insbesondere Gaskraftwerke zu betreiben. Warum? Der Profit ist entscheidend und nicht die Versorgungssicherheit. Das ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Einerseits sagt die Bundesnetzagentur, es gebe genügend Kraftwerke, um die Stromversorgung im nächsten Winter sicherzustellen, andererseits ist die Drohkulisse durch die Energiekonzerne so groß, dass der Bundeswirtschaftsminister sagt: In diesem Bereich verzichte ich auf marktwirtschaftliche Mechanismen, jetzt gibt es einen Plan, ein Verbot der Stilllegung. – Dieses Stilllegungsverbot ist aber nicht umsonst. Der Staat soll dafür zahlen, dass die Energiekonzerne ihre Kraftwerke weiterbetreiben. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist der Unterschied zur Zwangsenteignung, die Sie immer wollen!) Als Finanzpolitikerin frage ich mich: Welche Stilllegungsankündigung der Energieversorger ist berechtigt? Wobei handelt es sich vor allem um eine Drohkulisse, und wann ist es so, dass die Kraftwerke tatsächlich nicht rentabel sind? (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die beklagt sich darüber, dass sie entschädigt wird! – Gegenruf der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Weiterer Gegenruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]) Dann gibt es noch die angedrohten Abschaltungen. Hier muss ich fragen: Was wäre denn Ihrer Meinung nach eine angemessene Entschädigung? – Herr Rösler, es ist schön, dass Sie versuchen, zuzuhören, während Sie von der Seite angesprochen werden. – Ich frage mich wirklich: Wollen wir heute einen Blankoscheck ausstellen? Es soll einfach verabschiedet werden, dass die Energiekonzerne eine Prämie zur Verhinderung der Stilllegung erhalten. Über die Höhe dieser Stilllegungsprämie reden aber nicht wir hier im Bundestag, sondern die Festlegung soll auf dem Verordnungsweg, also am Parlament vorbei, geschehen. Das ist ein zusätzlicher Skandal. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Quatsch!) Sie machen wieder einmal Politik am Parlament vorbei. Noch am Montag stand dieser Gesetzentwurf nicht auf der Tagesordnung des Bundestages. Er wurde erst am Dienstag auf die Tagesordnung gesetzt. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sind Sie nicht flexibel?) Am Dienstagabend erhielten die Abgeordneten des Wirtschaftsausschusses 60 Seiten mit Änderungsanträgen. Erzählen Sie mir nicht, dass Sie sich alle intensiv damit auseinandersetzen konnten. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Vorher schon!) Das glaubt Ihnen niemand. Wir von der Opposition konnten das auch nicht. (Beifall bei der LINKEN) Manche Energieversorger sagen, das Geschäft lohne sich nicht mehr, alles sei so schlimm. Schauen wir uns doch einmal an, wie es konkret aussieht: RWE hat in den ersten drei Quartalen dieses Jahres eine Gewinnsteigerung um ein Drittel auf 1,88 Milliarden Euro erzielt. Eon hat für 2013 seine Gewinnerwartung nach unten korrigiert. In diesem Jahr geht man von einem Gewinn von 4,1 bis 4,5 Milliarden Euro aus. Auch Eon schreibt im nächsten Jahr noch keine roten Zahlen. Sie verzeichnen also eine Verringerung des Profits, aber sie schreiben keine roten Zahlen, sondern machen weiterhin Profit. Es geht ihnen nur um Profitmaximierung, aber nicht um Versorgungssicherheit. Das macht doch den Grundkonflikt deutlich. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wie sollen sie denn investieren, wenn sie keinen Gewinn machen?) Der Grundkonflikt ist folgender: Den privaten Unternehmen geht es um Gewinnmaximierung und nicht um Versorgungssicherheit. Das kann nicht die Zielsetzung sein. Energieversorgung ist ein Gut, auf das wir alle angewiesen sind. Deshalb gehört sie in öffentliche Hand. Noch eines: Wenn Sie hier schon solch einen Gesetzentwurf verabschieden wollen, frage ich mich, warum Sie zu allem Überfluss wieder viele kommunale Stadtwerke benachteiligen. Diese können nicht einfach abschalten. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Heizung im Winter läuft und warmes Wasser da ist. Die Wärmeversorgung ist der Auftrag der Kommunen. Damit fallen sie nicht unter das Gesetz. Das heißt, Sie wollen hier wieder ausdrücklich die privaten Kraftwerke sponsern. Dafür machen Sie Druck und beugen sich den Drohkulissen. Wir werden uns damit nicht einverstanden erklären und lehnen das ab. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Wirtschaftsminister Rösler, der Gesetzentwurf, den Sie hier vorlegen, ist keine energiewirtschaftliche Großtat, wie Sie es hier gerade vorgetragen haben, sondern eine Bankrotterklärung. Das muss hier so einmal gesagt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn man es mit Ihnen gut meint, kann man sagen: Es ist die Beseitigung der Trümmer, die Sie verursacht haben. Aber selbst das bekommen Sie nicht hin. Sie schaffen es nicht, die eigenen Fehler an dieser Stelle zu beseitigen. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Komm!) Das zeigt sich daran, dass Sie monatelang gestritten und gezetert haben, um zu diesem Gesetzentwurf zu kommen. Frau Aigner hat sich vor Sie geschmissen, hat die verbraucherpolitische Ankündigungsministerin gemacht, und dann ist sie als Bettvorlegerin gelandet. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) – Ich merke, das Bild mit Frau Aigner und der Bettvorlegerin gefällt Ihnen. – Letztendlich sind Sie erst gestern Morgen mit dem Gesetzentwurf fertig geworden. Das zeigt, welche Qualität er hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Rainer Brüderle [FDP]: So ein Quatsch! Deutsche Sprache, schwere Sprache!) Man muss sich einmal klarmachen, was beim Thema Offshore los ist. Das, was Sie produzieren, ist Schilda live. In Deutschland, in der Nordsee werden Windparks gebaut, obwohl dort kein Netzanschluss ist, und dort, wo ein Netzanschluss ist, haben wir keine Windparks. Wer trägt die Verantwortung dafür? Das ist der Wirtschaftsminister, der für Netzausbau zuständig ist. (Ulrich Kelber [SPD]: Er trägt sie leider nicht! Er hat sie nur!) Von ihm habe ich zu diesem Thema lange nichts gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Jörg van Essen [FDP]: Das tut ja weh!) Das, was wir von Rösler im Zusammenhang mit diesem Thema gehört haben, ist: Das sollen die Unternehmen für sich regeln, das sollen sie untereinander regeln. – Das Problem ist ja nicht vom Himmel gefallen. Er hat es geschehen lassen, er hat die Dinge so laufen lassen, und jetzt ist das Chaos da. Die Zahlen zeigen, dass es nicht nur um Probleme geht, die in der Zukunft auf uns zukommen. Schon jetzt sind Schäden entstanden. Es geht um 1 Milliarde Euro, wahrscheinlich sogar 2 Milliarden Euro. Für diese Schäden tragen dieser Wirtschaftsminister und diese Bundesregierung die Verantwortung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Folgen dieser Politik kann man sich in Niedersachsen ansehen. Dort werden reihenweise Windparkprojekte abgesagt. Eine ganze Industrie droht uns verloren zu gehen. Die hochfliegenden Pläne von 10 000 Megawatt, von denen Herr Pfeiffer eben noch gesprochen hat, sind schon lange nicht mehr realisierbar. Dieses Ziel werden wir bis 2020 nicht erreichen. Sie haben aber bewirkt, dass Sie nach der PV nun die zweite Industrie im Bereich der erneuerbaren Energien kaputtmachen. Das ist das Resultat Ihrer Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollte die FDP schon immer!) Statt selber Verantwortung zu übernehmen, tun Sie das, was Sie immer tun. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wir wollen privates Kapital mobilisieren!) Sie laden die Verantwortung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ab. Sie sollen für Ihre Fehler, für die Schäden, die Sie verursacht haben und auch in Zukunft weiter verursachen werden, zahlen. 0,25 Cent pro Kilowattstunde soll jeder Privatverbraucher zahlen. Alle Verbraucher, die mehr als 100 000 Kilowattstunden verbrauchen, sind wieder größtenteils ausgenommen; so kennen wir das. Es geht nicht mehr nur um die energieintensive Industrie – da könnte man das vielleicht noch nachvollziehen –, sondern praktisch um alle Unternehmen. Jede mittlere Sparkassenfiliale ist ausgenommen. Sie laden die Probleme wieder allein bei den Privatverbrauchern, beim Kleingewerbe und beim Handwerk ab. (Patrick Döring [FDP]: Unfassbare Lüge!) Das ist Ihre Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: 730 Unternehmen sind befreit! Mehr nicht!) Das passt zu alledem, was wir bei der EEG-Umlage, bei den Netzentgelten und bei der Stromsteuer erleben: Dieser Wirtschaftsminister erteilt Befreiungen und verteilt Privilegien wie Kamellen im Kölner Karneval. Das ist die Realität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit des Abg. Rolf Hempelmann [SPD]) Meine Damen und Herren, die sinnvollste Lösung wäre, Sie würden hier die Verantwortung übernehmen, sprich: der Bund würde für die Haftung einstehen. Da könnten wir einen guten Weg gehen – der Kollege Heil hat ihn eben schon erläutert –: Wir könnten, wenn wir die Haftung für TenneT übernehmen und dem Unternehmen das Risiko abnehmen würden, die Chance nutzen, um Anteile von TenneT zu übernehmen und eine Deutsche Netz AG zu gründen. (Rainer Brüderle [FDP]: Oh! Wollen Sie etwa enteignen? Interessant!) Dies haben Sie in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart; aber Sie haben nichts gemacht. In Ihren Antworten auf Anfragen schreiben Sie, dass die Deutsche Netz AG nicht mehr kommen wird, weil die Übertragungsnetzbetreiber sie nicht wollen. An dieser Stelle hätten Sie die Chance, eine Deutsche Netz AG zu gründen, um diesen Bereich zu ordnen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie haben es versemmelt!) Es kann ja nun wirklich nicht sein – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen –, dass der wichtigste deutsche Netzbetreiber, die Firma TenneT, von der Bundesnetzagentur keine Zertifizierung bekommt. Wenn man sich anschaut, was dazu auf der Homepage der Bundesnetzagentur steht, dann erfährt man, dass der Netzbetrieb von TenneT eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Der wichtigste deutsche Netzbetreiber begeht beim Netzbetrieb eine Ordnungswidrigkeit. Das ist die Realität Ihrer Politik. So kann man eine Energiewende nicht machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wer hat es zu verantworten? Minister Rösler!) In Ihrem Gesetzentwurf geht es allerdings nicht nur um Offshore und den Anschluss an die Netze, sondern auch um das Thema, das Sie beschönigend „Winterreserve“ nennen. Wir sagen dazu: Das ist ein Kraftwerkszwangsbetrieb. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass eine christlich-liberale Koalition – so nennen Sie sich ja – in der Energiewirtschaft eine Planwirtschaft einführt, bei der Herr Honecker – Gott hab ihn selig – im Grab hüpfen würde. Das ist genau das, was Sie da gemacht haben. Das ist doch wirklich ein Armutszeugnis. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das zeigt, dass Sie beim Thema Energiewende jeden Kompass verloren haben. Herr Brüderle, Sie reden ja neuerdings immer so gerne vom Mao-Jäckchen. Ich glaube nur, Sie verschweigen uns, wer in Wirklichkeit das Mao-Jäckchen trägt. (Patrick Döring [FDP]: Ihr Thema! Da kennen Sie sich ja aus!) Das ist nämlich der Wirtschaftsminister; denn er führt in der Energiewirtschaft die Planwirtschaft ein. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ei, ei, ei! Jetzt ist aber langsam Schluss!) Das, meine Damen und Herren, ist die Realität. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich könnte mir ja noch vorstellen, dass man eine solche Lösung für ein bis zwei Jahre vorsieht. Aber Sie wollen, dass diese Lösung bis 2017 gilt. Ursprünglich hatten Sie sogar vor, sie bis 2019 zu verankern. Das ist keine kurzzeitige Lösung. Das ist eine auf Dauer angelegte Lösung. Geht es um die Frage, wie wir bei der Versorgungssicherheit marktwirtschaftliche Instrumente einsetzen, verweigern Sie sich der Debatte vollständig. Wir brauchen in diesem Land Kapazitätsmärkte, um die Versorgungssicherheit marktwirtschaftlich zu regeln. Schauen Sie einmal ins europäische Ausland: Die Briten reden über Kapazitätsmärkte, in Holland wird über Kapazitätsmärkte geredet, die EU-Kommission bereitet eine Verordnung zum Thema Kapazitätsmärkte vor. Was erleben wir? Die Bundesregierung hat zu diesem Thema wieder einmal keine Meinung. Sie verpennen auch dieses Thema. Sie versagen, wie auch bei der Energiewende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Nun noch ein Wort zur Lastabschalt-Verordnung. Sie ist im Prinzip ein richtiges Instrument. Über dieses Thema streitet man sich – das hat, wie ich habe lernen müssen, wohl schon in der Großen Koalition angefangen – seit mittlerweile vier Jahren. Jetzt legen Sie auf einmal einen Entwurf vor. Wir werden ihn uns sehr genau ansehen und prüfen, ob er ein Instrument ist, das geeignet ist, die Lasten zu verschieben. Aber eines sage ich Ihnen: Wir werden nicht dabei mitmachen, eine neue Subventionsmaschine für eine Handvoll Industriebetriebe zu schaffen. Wir werden uns Ihren Entwurf, wie gesagt, sehr genau ansehen. Für uns gilt das Prinzip: Wenn es eine Förderung und eine Entlohnung gibt, dann muss dem auch eine Leistung gegenüberstehen. Anders kann es nicht gehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte abschließend einen Punkt ansprechen, der nicht so sehr im Fokus der Debatte steht: den § 46 des Energiewirtschaftsgesetzes, in dem es um die Kommunen und um Konzessionsverträge geht. Das Ziel meiner Fraktion ist – ich weiß, dass dies auch für die Kollegen von den Sozialdemokraten ein wichtiges Thema ist –, den Kommunen zu ermöglichen, selbst zu entscheiden, was mit den Verteilnetzen vor Ort passiert und wer sie betreibt. Wir wollen hier Entscheidungsfreiheit für die Kommunen. (Zuruf von der FDP: In Baden-Württemberg nicht mehr!) Was Sie machen, haben Sie 2011 im Energiewirtschaftsgesetz schon schlecht geregelt. Sie sind leider unseren Vorschlägen nicht gefolgt, das besser zu machen. Sie haben eine völlige Rechtsunsicherheit produziert, die dazu führt, dass Kommunen heute nicht entscheiden können, weil sie in jedem Fall Angst haben müssen, sie müssten einen Prozess gegen Energiekonzerne führen. Das ist nicht in Ordnung. Das ist gegen die Kommunen gerichtet. Das ist gegen die Interessen der Energiewende. Das kann so nicht sein. Das sollten Sie ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich kann Ihnen eines sagen: Spätestens im September 2013 wird das einer der ersten Punkte sein, die wir ändern. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden § 46 des Energiewirtschaftgesetzes so gestalten, dass das eine kommunalfreundliche Regelung wird, der Sie sich die ganze Zeit verweigern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Meine Damen und Herren, zusammenfassend kann man sagen: Dieser Gesetzentwurf ist kein Beitrag zur Energiewende. Er ist untauglich, er ist Flickschusterei, um eigene Fehler und Unvermögen dieser Bundesregierung zu kaschieren. Er löst kein einziges Problem, er beantwortet keine einzige Frage der Energiewirtschaft und der Energiewende. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das nehmen Sie sofort zurück! Das stimmt nicht!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Klaus Breil für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Breil (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Was Herr Heil – wo ist er, ist er nicht mehr da? – für wünschenswert hält, ist bereits Realität. In vielen Teilen der Welt wird deutsche Erneuerbare-Energien-Technologie angewendet – bis hin zu den Antipoden, zum Beispiel in der Atacama-Wüste in Chile. Ich bin gern bereit, Ihnen nähere Auskünfte zu erteilen. Das können wir gern bilateral machen. Die Koalition beschließt heute im Wesentlichen zwei bedeutende Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz. Erstens. Wir lösen das Problem bestehender Rechtsunsicherheiten beim Ausbau der Offshorewindenergie – immerhin eine der Grundfesten bei unserem Ausstieg aus der Kernenergie und auf unserem Weg hin zu 80 Prozent Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien im Jahr 2050. Wir haben uns in unserem Energiekonzept dazu bekannt, bis 2020 rund 10 Gigawatt Stromerzeugungskapazitäten an den Küsten unseres Landes anzuschließen. Bis 2030 sollen es 25 Gigawatt werden. Bedingt durch Lieferengpässe der Industrie, die nicht vorhersehbar und nicht beeinflussbar gewesen sind, konnten Fristen nicht eingehalten werden. In der Folge wackelten mit den Finanzierungszusagen auch die Ausbauziele. Es drohte eine Situation, in der Windparks in-stalliert sind und der dort produzierte Strom aufgrund fehlender Anschlüsse nicht abtransportiert werden kann. Herr Krischer, Offshorewind ist komplizierter als -EUROSOLAR. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Wie war das mit der Wüste?) Wer hätte da noch investieren sollen? Zur Rettung der Situation wird jetzt ein Teil der ausfallenden Vergütung durch die Verbraucher getragen. Dabei bleibt das Geschäft attraktiv für Genossenschaften, Bürgerfonds, Kapitalsammelstellen wie zum Beispiel Pensionfonds, Versicherungen und Energieversorger. Eigentümer dieser Institutionen ist eine große Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern. Im Gesetzgebungsverfahren haben wir versucht, den Zeitraum der Belastung für die Verbraucher so kurz wie nötig zu halten. Ich persönlich gehe davon aus – Herr Krischer, hören Sie gut zu! –, dass diese Umlage in Höhe von 0,25 Cent pro Kilowattstunde nur für die kommenden drei, vielleicht maximal vier Jahre erhoben wird. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Davon gehen aber nur Sie aus!) Um dem gerecht zu werden, haben wir keinem der Wünsche der Branche, die die Umlage in die Höhe getrieben hätten, nachgegeben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben jetzt schon 2 Milliarden Schäden! Wie soll das denn gehen?) Es wundert mich nicht, dass ich all diese Forderungen in den Entschließungsanträgen der Opposition wiederfinde. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Planwirtschaftler!) Zum Beispiel sollen – eine Forderung der Grünen – ausgefallene Vergütungen auch dann, wenn die zentrale Anschlusskomponente noch nicht installiert ist, bereits kompensiert werden. Zum Beispiel soll – eine Forderung der Grünen – eine Vermaschung der Anschlüsse die Absicherung jedes einzelnen Windparks erhöhen, auch wenn damit jede teure Anbindungsleitung doppelt errichtet würde. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fallen aber weniger Schäden an!) Zum Beispiel soll – eine Forderung der SPD – das Stauchungsmodell im EEG verlängert werden, auch wenn dadurch die EEG-Umlage nochmals erhöht wird. (Rolf Hempelmann [SPD]: Durch Sie sind doch zwei Jahre verloren worden!) Herr Krischer, Sie fordern mehr Markt, andererseits aber auch Kapazitätsmärkte. Wie Sie diesen Widerspruch auflösen wollen, müssen Sie mir einmal erklären. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt schon das Wort „Kapazitätsmärkte“! Haben Sie das nicht verstanden?) Das darf es alles nicht geben. Die Politik muss verantwortungsvoll mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger umgehen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Rolf Hempelmann [SPD]: Genau!) Darum, Herr Heil – hören Sie gut zu! –, sind die Bürgerinnen und Bürger froh, dass wir regieren und nicht Rot-Grün. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo leben Sie denn?) Zweiter wesentlicher Punkt. Wir sorgen mit der Gesetzesänderung dafür, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dass die Strompreise teurer werden, dafür sorgen Sie!) dass in Deutschland die Lichter nicht ausgehen. Der hohe Grad der Versorgungssicherheit trägt bedeutend zu unserem Wohlgefühl bei und ist ein wichtiger Standortfaktor für die ansässigen Unternehmen. Die Verlässlichkeit der Stromversorgung ist ein wesentlicher Grund -dafür, warum sich Unternehmen trotz der hohen Strompreise weiter bevorzugt in Deutschland niederlassen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das gefährden Sie!) Es ärgert mich sehr, wenn ich in den Medien Worte wie Kraftwerkabschaltverbotgesetz lesen muss. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber richtig! Das trifft es!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Politik gibt es immer einen sauren Apfel, in den man beißen muss. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es tut Ihnen weh! Klar!) Wir haben es nämlich bis heute nicht geschafft, die erneuerbaren Energien mit steuerbaren Back-up-Kapazitäten unter einen Hut zu bringen. Ebenso wenig haben wir es schon erreicht, den Netzausbau und den Ausbau der erneuerbaren Energien aufeinander abzustimmen. Hier stehen wir noch am Anfang. (Rolf Hempelmann [SPD]: Sie haben noch gar nicht angefangen!) Die ersten Schritte sind in dieser Legislaturperiode gemacht worden. Solange wir aber kein neues Marktdesign unter Einbeziehung der fluktuierenden erneuerbaren Energien mit Systemverantwortung haben, also eine Reform des EEG, (Rolf Hempelmann [SPD]: Ihr wolltet doch etwas vorschlagen!) so lange gleicht der Schritt, den wir mit diesem Gesetz gehen, einem minimalinvasiven Eingriff. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Noch regieren Sie ja!) Die Notwendigkeit liegt auf der Hand: Selbst neuere Gaskraftwerke, deren Betrieb durch die wenigen Betriebsstunden im Jahr nicht mehr rentabel ist, waren und sind Gegenstand von Stilllegungsankündigungen. In Bayern, wo ich herkomme, haben Ankündigungen wie diese manche Politiker auf einen Schlag um Jahre altern lassen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, Sie achten bitte auf die Zeit. Klaus Breil (FDP): Der Stromausfall in München vor wenigen Tagen sitzt den Münchenern noch gut im Gedächtnis: 450 000 Bürgerinnen und Bürger ohne Strom, das zeigt die Verwundbarkeit unserer Gesellschaft. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wer regiert da?) Zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger und zum Wohle unserer Industrie mussten wir handeln. Mit dem neuen Gesetz werden Betreiber verpflichtet, die Stilllegung eines Kraftwerks mit einer Leistung von mehr als 50 Megawatt ein Jahr im Voraus anzukündigen. Wird dieses Kraftwerk als systemrelevant eingestuft, kann es durch die Bundesnetzagentur in eine Netzreserve überführt werden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Klaus Breil (FDP): Ich komme zum Schluss. – Damit laufen diese Anlagen bei regionalen Engpässen auf Anweisung des zuständigen Übertragungsnetzbetreibers. Vom Prinzip her ist das nichts Neues, es ist nur transparenter (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufhören!) und hat eine vom Deutschen Bundestag legitimierte Grundlage. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Uwe Beckmeyer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin ein wenig entsetzt über den Stand der Erkenntnis, den dieser Bundeswirtschaftsminister uns heute und in den letzten Tagen vermittelt hat. Man fragt sich eigentlich: Wo war er die ganzen letzten drei Jahre? War diese Bundesregierung in dieser Frage in den letzten drei Jahren auch nur irgendwie aktiv? Was muss eigentlich alles passieren, damit die Windkraftbranche, die Offshorebranche in Deutschland überhaupt noch eine Zukunft hat? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich komme aus einer Stadt, in der mindestens 25 Unternehmen in der Windkraftbranche tätig sind: REpower Systems, PowerBlades, Areva Wind, WeserWind, alles große Unternehmen. All diese Unternehmen haben in den letzten fünf, sechs Jahren dreistellige Millionenbeträge investiert. Die setzen darauf, dass sie in der Bundesrepublik Anlagen zur Erzeugung von Offshorewindenergie unter guten Rahmenbedingungen entwickeln, bauen und verkaufen können. Für die Rahmenbedingungen sind ausschließlich Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, in dieser Regierung zuständig. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: So ist es!) Aber wo sind diese Rahmenbedingungen? Wer hat eigentlich diese Rahmenbedingungen in den letzten Jahren nicht geschaffen? Das ist diese Bundesregierung. Wir haben inzwischen Insolvenzen von großen Unternehmen an der Küste, die dort bisher in der Windkraftbranche tätig waren. Das zarte anfängliche Anklopfen der Ministerpräsidenten ist in diesem Herbst inzwischen zu einem Sturm geworden, weil die Unternehmen dort oben an der Küste erkennen: Diese Regierung handelt nicht. Diese Regierung verschläft das Problem. Sie sind ein Planlosigkeitsminister, nichts anderes. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich darf an dieser Stelle ganz zurückgenommen sagen: Wir haben eine enorme Chance in diesem Feld. In den nächsten Jahren können locker Investitionen von mehreren Milliarden, manche reden von 75 Milliarden, getätigt werden. Aber was erleben wir? Da kündigt EnBW an, dass der dritte Windpark jetzt im November gestoppt wird, weil unsichere Rahmenbedingungen vorhanden sind. Da fragt man sich doch: Sind das eigentlich noch nicht genügend Weckrufe, damit diese Bundesregierung endlich handelt? Das Problem TenneT ist seit mindestens zwei Jahren in der Szene bekannt. Die haben zu wenig Kohle und zu wenig Investitionskraft. Jetzt kommt die Bundesnetzagentur und attestiert das, was gerade vom Kollegen der Grünen gesagt worden ist. Und was macht diese Bundesregierung? Gar nichts. Wo sind Ihre Gespräche mit -TenneT? Wo sind Ihre Initiativen, dass TenneT seine Aufgaben als Investor für die Netze auch im Offshore-bereich wahrnehmen kann? Wo sind sie? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie zur niederländischen Regierung fahren und dort erfahren, dass sie den TenneT-Leuten nicht unter die Arme greifen will, dann müssen Sie als Bundeswirtschaftsminister für Deutschland doch selbst tätig werden, um in dieser Frage endlich Klarheit zu erringen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie produzieren hier Trümmer, eine Trümmerlandschaft der Energiepolitik. Ich finde, das ist unverzeihlich; denn es gibt Tausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die hoffnungsvoll in diese Branche eingestiegen sind und die sich hier engagieren, junge Ingenieure, die darin eine Zukunft sehen. Alle Menschen dort werden zurzeit verunsichert, weil sie genau sehen, was in ihrem Betrieb los ist. Sie fahren momentan auf Volllast und wissen, dass sie Mitte nächsten Jahres aufgrund von nicht erfolgten weiteren Bestellungen in eine Unterbeschäftigung geraten. Da kann ich nur fragen: Wer trägt dafür die Verantwortung? Diese Bundesregierung schweigt zu diesem Problem. Diese Bundesregierung ist nicht einmal in der Lage, das Instrument der KfW-Förderbank so einzusetzen, dass sie auch tatsächlich helfen kann. Nein, Sie nehmen dieser Förderbank auch noch die letzten Reserven. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei diesem Punkt merkt man: Das, was Sie mit dieser Politik betreiben, passt nicht zusammen. Alle Bauteile, die ordentlich zusammengestellt werden müssen, werden von Ihnen zerstört. Die einzelnen Instrumente, die eine Regierung hat, die sie schärfen und einsetzen kann, werden von Ihnen leider nicht genutzt. Ich bin traurig darüber, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das brauchen Sie nicht!) weil die Menschen bei uns im Grunde etwas Besseres verdient haben. Sie haben die Phase des Niedergangs der deutschen Werften erlebt. Sie sehen jetzt plötzlich die Chance, eine Industrie zu etablieren, die wieder eine Perspektive bietet. Aber gleichzeitig setzt diese Bundesregierung Rahmenbedingungen, die das alles wieder infrage stellen. Sie sind in dieser Frage – ich sage einmal – kein verlässlicher Partner. Sie sind in dieser Frage von der Bevölkerung inzwischen als unzuverlässig, als nicht nach vorne gerichtet identifiziert worden. Zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik trauen Ihnen nichts mehr zu. Das ist leider Gottes eine so ernste Situation, dass man nur hoffen kann, dass die Monate bis zum September wirklich schnell vergehen, damit wir endlich einmal wieder eine ordentliche Orientierung bekommen, eine Industriepolitik, die stimmig ist, eine Politik, die nach vorne weist und die auch in der Energiefrage endlich Klarheit schafft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Themen Wirtschaftswachstum, Versorgungssicherheit und Stromkosten sind bei Ihnen ausgesprochen schlecht aufgehoben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Thomas Bareiß ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach den Rednern von Rot, Grün und ganz links außen möchte ich doch ein paar wenige Vorbemerkungen machen. Sie haben mir den Vorwurf gemacht, dass wir planwirtschaftlich vorgehen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Absolut!) Ich habe mir jetzt einmal kurz aufgeschrieben, was Sie alles in Ihren Anträgen fordern und was wir heute zu späterer Zeit auch noch diskutieren. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Okay, wir nehmen das zurück! Planunsicherheit ist das Problem!) Sie wollen Kapazitätssubventionen und eine dauerhafte Zementierung des EEG für die nächsten Jahre. Sie wollen – das haben wir heute gehört – eine staatliche Netzgesellschaft (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie im Koalitionsvertrag stehen! Steht in Ihrem Koalitionsvertrag! – Gegenruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Keine staatliche!) und dafür die Netzbetreiber anscheinend enteignen. Sie wollen eine Stromflatrate, staatliche Stromtarife und Zwangsquoten hinsichtlich der Energieeffizienz. Das, was Sie wollen, ist Planwirtschaft und Staatswirtschaft, und das wollen wir eben nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist Planlosigkeit; das merken wir schon!) Zu Beginn dieser Debatte ist es für mich wichtig, noch einmal zu sagen: Wir haben uns enorm hohe Ziele gesetzt, die Sie sich so nicht gesetzt haben. Wir wollen den Anteil der erneuerbaren Energien an der Strom-versorgung bis 2020 auf 35 Prozent und bis 2030 auf 50 Prozent erhöhen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ökohippies!) Wir wollen das mit Ziel und Maß sowie mit Markt und Wettbewerb erreichen. Von diesem Geist ist auch die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes getragen. Deshalb glaube ich auch, dass wir den richtigen Weg für die nächsten Jahre eingeschlagen haben und dass das die richtige Grundlage für den Offshorenetzausbau ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Ja gerne, natürlich. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Bareiß, Sie haben sich hier eben gegen eine deutsche Netzgesellschaft ausgesprochen. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Hat er doch gar nicht! Hat er nicht gesagt! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Zuhören!) Können Sie mir erklären, wie es möglich ist, dass im Jahre 2009 im Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb vereinbart worden ist, eine solche deutsche Netzgesellschaft anzustreben? Können Sie mir auch erklären, warum Sie jetzt, da wir Probleme mit TenneT haben, nicht die Gelegenheit ergreifen, wie 2009 vereinbart, in eine solche deutsche Netzgesellschaft einzusteigen? Was ist Ihre Alternative? Sie kritisieren das, was wir vorschlagen, haben aber keine Alternative. Sie lassen zur Lösung dieser Frage allein die Verbraucher zahlen. (Beifall der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Lieber Herr Krischer, im Gegensatz zu Ihnen respektieren wir die Eigentumsrechte. Wir haben im Koalitionsvertrag zwar gesagt, wir wollen prüfen, ob eine Netzgesellschaft möglich und sinnvoll ist – das haben wir auch getan –, aber wir können nicht in Eigentumsrechte eingreifen und sagen: Wir nehmen den Eigen-tümern die Netze weg und überführen sie in staatliche Hände. Das ist nicht unser Modell. (Zuruf der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit den Vorgaben, die wir jetzt im Energiewirtschaftsgesetz eingebaut haben, werden wir es, wie ich glaube, schaffen, die Offshorewindparks, die wir brauchen, aufzubauen; und mit dem Netzentwicklungsplan, den wir in dieser Woche gemeinsam im Beirat in der Bundesnetzagentur besprochen haben, werden wir es schaffen, ebenfalls die Netze Stück für Stück aufzubauen, die wir brauchen – und das nicht in staatlicher Hand, sondern in privatwirtschaftlicher Hand. Ich glaube, das ist der richtige Weg, und er wird langfristig auch zum Erfolg führen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Bareiß, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, dieses Mal des Kollegen Heil? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Nein, ich glaube, das Thema haben wir jetzt durch. Ich möchte jetzt nicht weiter auf die Netze eingehen, sondern zu dem eigentlichen Punkt kommen, nämlich zum Thema Offshoreausbau, und mich der Frage widmen, welche Rolle die Offshorewindparks in den nächsten Jahren spielen werden. Das ist nämlich die zentrale Frage, die wir heute diskutieren müssen. Die Offshorewindparks – ich glaube, es ist wichtig, das auch noch einmal herauszustellen, weil das vorhin teilweise falsch dargestellt worden ist – sind enorm leistungsfähig und haben das höchste Potenzial in Deutschland. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, bestreitet doch keiner!) Sie sind viermal leistungsfähiger als Photovoltaikanlagen, also die Solarenergie, und sie sind zweimal leistungsfähiger als Onshorewindräder. Das muss man doch noch einmal sagen, Herr Heil, weil es in dieser Woche im Ausschuss durchaus auch andere Stimmen gab, und zwar aus Ihrem Lager, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nicht von der SPD!) die gesagt haben: Wir brauchen diesen Ausbau der Offshorewindkraft, den sich die Koalition vorgenommen hat, nicht. – Wir brauchen ihn aber doch, weil wir auch in den nächsten Jahren leistungsfähige Stromerzeugungsanlagen brauchen und weil wir die Kostendegression in den nächsten Jahren Stück für Stück stärker angehen wollen, als wir das bisher getan haben. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie haben die Aufgabe unterschätzt! Das ist es!) Offshorewindenergie – auch das wird in der Debatte immer falsch dargestellt – ist eine relativ günstige Art der Energieerzeugung und wird in den nächsten Jahren noch günstiger werden. Wir sind schon heute, wenn man das einmal mit den Kosten für die Förderung von Solarenergie und anderen Energiearten im Rahmen des EEG vergleicht, bei 9,7 Cent je Kilowattstunde. Im Vergleich zur Onshorewindenergie mit 9,2 bzw. 9,3 Cent je Kilowattstunde sind wir fast schon wettbewerbsfähig und fast auf gleichem Niveau. Wenn man das einmal mit den Preisen für den Ausbau der Solarenergie vergleicht, die Sie, Herr Krischer, ständig zu verteidigen versuchen, stellt man fest, dass wir sogar bei der Hälfte der Kosten liegen. Ich glaube, allein das zeigt schon, dass wir im Bereich von Offshorewindenergie und im Bereich von Windenergieausbau ganz allgemein mehr tun müssen. Weil wir davon überzeugt sind, dass das die richtige Energieart ist, um zu einer Säule unserer Energieversorgung zu werden, wollen wir bis 2020 – auch das muss noch einmal gesagt werden – eine Leistung von 10 Gigawatt bei Offshorewindanlagen erreichen. Das heißt, in zehn Jahren werden 8 bis 9 Prozent unserer Stromerzeugung von Offshorewindenergieanlagen kommen. Bis 2030 wird knapp ein Viertel unserer kompletten Stromerzeugung von Windrädern in Nord- und Ostsee erzeugt werden. Das wird eine große Herausforderung werden. Um diese große Herausforderung meistern zu können, müssen wir jetzt die Rahmenbedingungen setzen, um entsprechend schnell voranzukommen. Wir stehen ja – auch das müssen wir verstehen – noch ganz am Anfang dieser Technologie. Derzeit haben wir 40 Wind-räder in Nord- und Ostsee stehen. Das heißt, wir brauchen hier relativ zügig eine richtige Rahmensetzung, damit wir hier schneller vorankommen. In den nächsten sieben Jahren müsste jeden Tag ein neues Windrad in der Nord- und Ostsee gebaut werden, damit wir überhaupt die Ziele erreichen können, die wir erreichen müssen, um unser Energiekonzept erfolgreich umzusetzen. Herr Heil, Sie haben es am Anfang Ihrer Rede richtigerweise gesagt, dass dies ein zentraler Bestandteil der Wachstums- und Wohlstandsstrategie für unseren -Industriestandort sein muss und dass die Offshoretechnologie gerade für unsere Wirtschaft ein enormes Potenzial bietet. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Machen Sie uns nicht katholisch! Kriegen Sie es hin!) – Warum machen Sie denn nicht mit, wenn Sie sagen: „Das ist gut“? (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Weil das -Unsinn ist, was Sie machen!) – Dann hören Sie einmal auf Ihre Ministerpräsidenten. Auch das ist ein Punkt: Sie müssen einmal mit Ihren -Ministerpräsidenten reden. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Herr McAllister ist nicht mein Ministerpräsident! – Gegenruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Hören Sie einmal auf das, was Herr Sellering gestern gesagt hat!) – Lesen Sie doch einmal den Brief Ihres Bremer Oberbürgermeisters, der uns geschrieben hat, dass wir diese Regelung dringend brauchen, damit es mit der Offshoretechnologie vorangeht und damit sie in den nächsten Jahren zu der Erfolgsstory wird, die wir in diesem Bereich haben wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Uwe Beckmeyer [SPD]) Insofern: Machen Sie mit! Wenn Sie sich heute verweigern und die Neuregelungen zum EWG ablehnen, gefährden Sie 15 000 Arbeitsplätze, (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist ja marxistische -Dialektik, was Sie machen!) nicht nur in Niedersachsen, sondern auch in den von -Ihnen regierten Bundesländern. Ich sage ganz bewusst als Baden-Württemberger: Ein großer Teil der Arbeitsplätze, die in den nächsten Jahren entstehen werden, -gerade aufgrund des Ausbaus der Offshorewindanlagen, wird nicht nur in den Küstenregionen entstehen, sondern vor allen Dingen auch bei den starken Anlagen- und Maschinenbauern im Süden unseres Landes, die die Technologie liefern, um diesen Ausbau zu bewerkstelligen. Ich sage noch einmal: Machen Sie mit dabei, jetzt den Rahmen für diese Technologie zu setzen, damit wir mit dieser Technologie, bei der wir am Anfang stehen, los-legen können, (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch nicht im richtigen Film! Offshore gibt es seit zehn Jahren!) indem die Risiken so verteilt werden, dass die nächsten Jahre auch entsprechend investiert wird. Das ist doch der Grund, warum wir dieses Gesetz machen, damit in den nächsten Jahren investiert wird. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es steht in der Bibel: Du sollst nicht -lügen!) Deshalb haben wir – jetzt machen wir es einmal konkret – erstens dafür gesorgt, die Netzanschlüsse besser zu koordinieren. Es wird jetzt einen Netzentwicklungsplan für Offshore an Nord- und Ostsee geben. Deshalb haben wir zweitens dafür gesorgt, dass es für beide Seiten, für den Windparkbetreiber auf der einen Seite, aber auch für die Netzbetreiber auf der anderen Seite, klare Fristen gibt, wann wer was machen muss. Das war notwendig, um hier schnell voranzukommen. Auch hier haben wir klare Regelungen geschaffen. Ein dritter Punkt. Wir haben versucht, die Risiken fair auf die unterschiedlichen Akteure zu verteilen. Es gibt in den nächsten Jahren Risiken; diese können wir nicht wegdiskutieren. Diese Risiken können nicht allein von Windparkbetreibern und Netzbetreibern übernommen werden. Der Windparkbetreiber wird seinen Teil dazu beitragen, indem er auf einen Teil seiner Vergütung verzichtet. Der Netzbetreiber wird durch einen entsprechenden Selbstbehalt im Rahmen der Haftungsregelungen in der Haftung sein und wird nach meiner Prognose in den nächsten zwei Jahren 10 bis 15 Prozent der Risiken tragen. Der Verbraucher allerdings wird – das tut auch uns weh – in den nächsten vier bis fünf Jahren einen Großteil übernehmen müssen. Dies geschieht durch eine Umlage, die aber, wie es Minister Rösler gesagt hat, auf 0,25 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt ist. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Wo ist eigentlich der Minister? – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist der Minister geblieben? Er interessiert sich nur halb!) Das ist aber wesentlich günstiger als viele andere Ausbaukosten, die auf uns in den nächsten Jahren zukommen werden. Auch hier wird der Verbraucher von uns geschützt, und wir versuchen, diese Kosten in den nächsten Jahren erträglich auf alle Schultern zu verteilen. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten lieber den Geldbeutel der Verbraucher schützen!) Wenn die Risiken beherrschbar und auch versicherbar sind, wollen wir von dieser Umlage wegkommen. Dass sich das System selbst trägt, das muss das Ziel sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es muss das Ziel sein, dass sich ein Markt bildet und sich die Kosten durch Wettbewerb selbst tragen, zum Beispiel indem sich entsprechende Kapitalgeber finden, die in die Bereiche investieren, ohne dass wir staatliche Umlagemechanismen brauchen. Nur dann macht Offshore langfristig Sinn, wenn die Technologieförderung, die wir jetzt einbauen, auch zu einem langfristig tragfähigen System führt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist doch gegen alle Überzeugungen, die Sie sonst so vertreten!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich könnte jetzt noch viel zu Maßnahmen sagen, die wir im Bereich Netzstabilität ergriffen haben. Auch hier haben wir Dinge getan, die uns nicht immer nur Freude gemacht haben, die auch durchaus Markteingriffe verlangten. Wir haben auch im Bereich der Pumpspeicherkraftwerke -etwas gemacht, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder nur halb!) was zu etwas mehr Kosten führen wird, dann aber auch dafür sorgen wird, dass Pumpspeicherkraftwerke in den nächsten Jahren weiter am Netz belassen werden. Aber all die Maßnahmen, lieber Herr Krischer, -zeigen, dass wir uns jetzt Zeit nehmen müssen, um in den nächsten Monaten gemeinsam zu überlegen, wie wir die Systeme, die wir unter Ihrer und unserer Ägide aufgebaut haben, zusammenbinden. Wir müssen also Möglichkeiten finden, wie wir das Energiewirtschaftsgesetz und das Erneuerbare-Energien-Gesetz verbinden, wie wir die fossile, die konventionelle Welt mit den erneuerbaren Energien verbinden, um daraus einen Gesamtmarkt im Wettbewerb zu machen. Denn nur so wird die Energiewende gelingen: mit mehr Markt und mehr -Wettbewerb. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für eine Märchenstunde? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie das doch und keine Planwirtschaft!) Das muss unser Ziel sein für die nächsten zwölf Monate. Deshalb: Packen wir das gemeinsam an! Dazu ist das Energiewirtschaftsgesetz ein kleiner Baustein, den wir jetzt brauchen. Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Johanna Voß für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Johanna Voß (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ergebnislose Investorensuche des Netzbetreibers TenneT hat gezeigt: Trotz der garantierten Rendite von 9,05 Prozent finden sich keine -privatwirtschaftlichen Lösungen für den Bau von Stromnetzen. Anstatt dieses Scheitern aber einzugestehen, setzt die Bundesregierung alles daran, auf Biegen und Brechen doch noch eine privatwirtschaftliche Lösung zu finden. Bei natürlichen Monopolen wie den Stromnetzen kann es aber keinen Wettbewerb geben. Diese privatwirtschaftlichen Lösungen gehen zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Das darf nicht sein! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber genau so ist es. Die kleinen Verbraucher, sie allein – nicht die Großverbraucher – dürfen noch eine Umlage zahlen: Noch einmal 0,25 Cent pro Kilowattstunde, noch einmal 10 Euro mehr pro Familie im Jahr; bei 1 Million Kilowattstunden wird die Umlage auf 0,05 Cent ge-deckelt. Immerhin, die Politik der Regierung ist konsequent. Befreiungen für die großen Unternehmen, wo man nur hinschaut: EEG, Netzentgelte, KWK-Umlage, Ökosteuer – da sind Sie wirklich konsequent. Und die Bundesregierung weitete die Befreiungen auch noch aus. 2011 mussten die Verbraucherinnen und Verbraucher -allein wegen der Netzentgeltbefreiung 229 Millionen Euro mehr bezahlen. Vor dieser Ausweitung waren es 33 Millionen Euro. Die Befreiung der Industrie von der EEG-Umlage macht nun schon 1 Cent vom Strompreis aus. Das tragen die Verbraucherinnen und Verbraucher. Konsequent, aber trotzdem falsch. Das ist die Politik der Bundesregierung. (Beifall bei der LINKEN) Zu den Entschädigungszahlungen: Im ersten Entwurf waren es noch 100 Millionen Euro Eigenbehalt für die Netzbetreiber, jetzt sind es gerade einmal 17,5 Millionen Euro. Das Lobbying der Netzbetreiber war also höchst erfolgreich. Das erhöht natürlich die Kosten für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Aber das ist ja auch wiederum nur konsequentes Handeln der Regierung. Die Bundesregierung sagt, die jetzige Lösung sei -alternativlos. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Fast alles, was wir machen, ist alternativlos!) – Hören Sie einmal auf Ihren Kommissar Günther Oettinger. Er forderte nämlich zumindest eine Teilverstaatlichung der Stromnetze, die auch – das hat Oliver Krischer schon gesagt – Bestandteil des Koalitionsvertrags war. Es ist langsam auch für die krampfhaft an Marktdogmen Festhaltenden offensichtlich: Stromnetze gehören in die öffentliche Hand. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie lassen sich nicht effizient im Wettbewerb betreiben. Handeln Sie endlich! Stattdessen versuchen Sie nun, irgendwelchen Investoren bzw. der Allianz den Einstieg in renditesichere Stromnetze so angenehm wie möglich zu machen – wiederum auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das Unternehmensrisiko wird auf die Verbraucher umgelegt; die Gewinne bleiben natürlich beim Unternehmen. Das machen wir nicht mit. (Beifall bei der LINKEN) Das eigentliche Problem ist aber die Fixierung der Bundesregierung auf die Offshoreparks. In der Anhörung zur Gesetzesänderung wurde klar, dass die Ausbauziele der Bundesregierung für die Offshoreparks nicht mehr einzuhalten sind. Und nicht nur das: Sie gehören dringend überarbeitet. Der Zubau von Onshorewindenergie im Süden hat schon zugenommen und wird noch erheblich zunehmen. Das wird bisher im Energiekonzept der Bundesregierung überhaupt nicht berücksichtigt. Solange im Netz an Land Engpässe herrschen – auf See braucht niemand Strom – und solange Abregelung droht, sind weitere Offshoreparks ohnehin nicht sinnvoll. (Beifall bei der LINKEN) Außerdem ist die Offshorewindenergie teuer. Die Baukosten sind viermal so hoch wie die Baukosten für die Onshorewindenergie. Damit ist sie nur für die großen Energiekonzerne interessant. Offshorewindparks erfordern riesige Investitionen. Die Technik ist nicht erprobt, zum Teil nicht einmal vorhanden, und von daher sehr teuer. Deshalb muss man noch abwarten. Offshorewindkraft wird auch noch mit einem höheren Satz gefördert als die Onshorewindkraft, nämlich bis zu 19 Cent pro Kilowattstunde. An Land sind es gerade einmal 9 Cent pro Kilowattstunde. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Zwölf Jahre, Frau Kollegin! Sie müssen sich das Modell angucken, damit Sie es verstehen! ) Bei der Onshorewindkraft bezahlt man die Leitung zur Anbindung an den nächsten Einspeiseknotenpunkt auch selbst. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Neun Jahre! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Neun Jahre! – Gegenruf der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch nur von Ihren eigenen Versäumnissen ablenken, Herr Pfeiffer!) Bei der Offshorewindkraft braucht man nicht für die eigene Leitung zu bezahlen. Und sie trägt massiv zum geplanten Netzausbau bei. Wir setzen stattdessen auf den Ausbau der erneuerbaren Energien, und zwar dezentral. Es geht nicht darum, den vier großen Energiekonzernen die Profite zu sichern. Die Stromversorgung gehört demokratisiert. Dazu gehört auch die Überführung der Stromnetze zurück in die öffentliche Hand. Wenn dann die dezentrale Erzeugung in naher Zukunft durch Speichertechnologien und Schwarmstrom ergänzt wird, dann minimiert das den Netzausbaubedarf ungemein. (Beifall bei der LINKEN) Solche Ansätze gibt es bei der Bundesregierung nicht. Sie macht weiter Politik zugunsten großer Unternehmen auf Kosten aller. Lernen Sie von unserem Projekt „PLAN B – für den sozialökologischen Umbau“! Mit PLAN B kommen Sie weiter. (Ulrich Kelber [SPD]: Hat nicht Greenpeace PLAN B geschrieben?) Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er erklärt uns jetzt erst einmal den Unterschied zwischen Planwirtschaft und FDP!) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Voß hat mein Weltbild wieder ein bisschen zurechtgerückt. Nachdem verzweifelt versucht wurde, es zu erschüttern und der Seite des Hauses, zu der ich gehöre, Planwirtschaft zu unterstellen, hat die Linke immerhin klar gezeigt, dass sie für Staatswirtschaft ist. Aber in einem Punkt, liebe Kollegin Voß, war Ihre Rede sehr ehrlich. Daran können sich insbesondere die Grünen ein Beispiel nehmen. Sie haben nämlich gerade gesagt, dass die Befreiungen nach dem EEG, um die in jeder energiepolitischen Debatte heftig gestritten wird, 1 Cent von den 5,227 Cent EEG-Umlage ausmachen. (Zuruf der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist ein Punkt, den Sie endlich einmal ehrlich formuliert haben. Insbesondere die Grünen tun nämlich immer so, als würden die 5,227 Cent praktisch komplett auf unsere Befreiungen zurückgehen. (Beifall der Abg. Dr. Max Lehmer [CDU/CSU] und Judith Skudelny [FDP]) Wenn man das noch weiter detailliert, lieber Herr Krischer, dann muss man sagen, dass 0,1 Cent von dem 1 Cent auf unsere zusätzliche Ausweitung zurückzuführen ist und der Rest auf eine Befreiung, die Sie damals gesetzlich geregelt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen des Abg. Rolf Hempelmann [SPD]) Außerdem möchte ich darauf verweisen, dass Sie damals bei einer EEG-Umlage von 0,2 Cent gesagt haben, dass wir eine Härtefallregelung brauchen, weil wir sonst die Industrie aus dem Land vertreiben. Wenn wir uns darüber einig sind, dass das richtig ist, dann füge ich hinzu: Es war richtig, die Härtefallregelung auszudehnen, weil wir jetzt beim 26-Fachen dieser Umlage sind, (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war in Ihrer Verantwortung! – Weiterer Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und auch, noch ein paar andere Unternehmen mit einzubeziehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) 730 Unternehmen sind von der EEG-Umlage befreit, weil sie in einem internationalen Wettbewerb stehen. (Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]) Wenn Sie sagen, der internationale Wettbewerb ist das Kriterium, dann erklären Sie bei der Gelegenheit auch, inwieweit die Straßenbahnen, der Schienenverkehr im internationalen Wettbewerb um Strom stehen. (Zurufe der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Ulrich Kelber [SPD]) Das sollten Sie einmal erklären, wenn Sie über diese Kriterien diskutieren. Sie gerieren sich jetzt an einer Stelle als Marktwirtschaftler, an der es nicht um Marktwirtschaft geht – das muss man klar sagen –, sondern darum, das zu korrigieren, was letztendlich hier seine Ursache hat. Es war Sigmar Gabriel – das meine ich nicht einmal als Vorwurf; ich möchte nur den Zusammenhang darstellen –, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie mal zum geplanten Gesetz!) der in der Großen Koalition ausgehandelt hat, dass man den Windparkprojektanten die Anschlussverantwortung abnimmt und zu den Übertragungsnetzbetreibern verlagert. (Ulrich Kelber [SPD]: Waren Sie anderer Meinung?) – Moment, ich kritisiere es nicht. Mit Blick auf das Ziel war das vielleicht richtig. Aber wir haben uns damit ein Problem eingehandelt, das ich hier gerade beschreibe. Und das lösen wir nun. Ich würde mich dann freuen, wenn die SPD, die diese Problematik mit verursacht hat, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Unsinn!) an unserer Seite stehen würde und sich dafür einsetzen würde. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Aber nicht, wenn Sie die falsche Lösung beschließen! – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie gerne so! Das ist aber falsch!) Das ist der Punkt. Sie müssen doch sagen: Jawohl, wir haben den Schnitt gemacht; statt des Projektanten ist jetzt der Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, den Anschluss bereitzustellen. Jetzt schafft die Koalition die Voraussetzungen dafür, dass der Übertragungsnetzbetreiber das ohne Insolvenzrisiko machen kann. Es kann doch nicht sein, dass wir Übertragungsnetzbetreiber zu etwas verpflichten und sie über diese Verpflichtung in die Insolvenz treiben. Es kann aber auch nicht sein, dass wir für die Beteiligten in dem Bereich einen Business Case schreiben, der für jeden aufgehen muss, nur nicht für den Verbraucher. Die Grünen haben hier heute, wie immer, große Töne gespuckt. Aber wenn man Ihren diesbezüglichen Antrag liest, (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist nämlich gut! Ein super Antrag!) stellt man fest, sie haben sich von den Übertragungsnetzbetreibern die Feder führen lassen. Dort stehen haarklein die Forderungen, die Ihnen die Übertragungsnetzbetreiber diktiert haben. An Ihrer Stelle wäre ich ganz, ganz, ganz kleinlaut. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An Ihrer Stelle wäre ich auch kleinlaut!) Zu Ihrem großartigen Vorschlag, dass nicht die Verbraucher am Schluss die von uns gedeckelte Umlage von 0,25 Cent tragen sollten, sondern der Staat, sage ich Ihnen: Das sind am Ende auch wieder die Steuerzahler. Wir alle werden es am Schluss wieder bezahlen müssen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kriegen doch einen Gegenwert!) – Ihre Rede vom Gegenwert basiert doch auf dem genialen Vorschlag, in diesem Rahmen eine kalte Enteignung zu organisieren. Das ist doch Ihre Idee. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! – Zuruf von der SPD: Quatsch! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sagen: Treibt die Übertragungsnetzbetreiber, organisiert eine kalte Enteignung und zieht die Netze an euch! (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann ist kaufen Enteignung, bitte schön?) – Kaufen? Sie sagen: Übernehmt ein Risiko! Wenn das Risiko nicht bedient wird, wofür man staatlich vielleicht sorgen kann, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist ein Angebot!) dann gehören uns die Netze wieder. Sie geben auch zu, dass Sie diese Netze haben wollen. (Ulrich Kelber [SPD]: Lesen Sie den Vorschlag doch ein einziges Mal! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie doch nicht so einen Unsinn!) Der entscheidende Unterschied zwischen dem, was Sie wollen, und dem, was in unserem Koalitionsvertrag zur deutschen Netzgesellschaft steht, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was haben Sie gemacht in der Sache?) besteht darin, dass wir eine kapitalmarktfähige Gesellschaft wollen, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja!) an der nicht der Staat die Mehrheit hält, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Staatliche Beteiligung!) sondern die Übertragungsnetze organisiert zusammenfasst. Das ist bislang am Widerstand derjenigen gescheitert, die die Netze haben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wurden doch verkauft in der Zeit!) Das steht klipp und klar in unserem Koalitionsvertrag. Sie dürfen davon ausgehen, dass ich weiß, was in unserem Koalitionsvertrag steht. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wissen auch, wann Sie verkauft haben!) Das müssen Sie mir nicht sagen. Das, was die Grünen wollen, ist etwas anderes, nämlich eine staatliche Gesellschaft; denn sonst könnten Sie einen solchen Finanzierungsvorschlag nicht machen. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich würde einmal den Antrag lesen!) Nein, meine Damen und Herren, ich entgegne Ihnen: Wir haben einen wohlüberlegten Entwurf vorgelegt, (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) aber keinen garantierten Business Case. Er war hart umkämpft, insbesondere in der Frage, wie man die Altfälle mit einbezieht. Das wurde in der Koalition hart diskutiert. Wir haben gesagt: Die Unternehmen haben auf anderer Grundlage investiert und sind ein Risiko eingegangen. Wir liefern jetzt gesetzlich eine neue Grundlage nach. Darüber muss man reden. Den Fall, dass die pleitegegangen wären, dass damit das Projekt ins Stocken gekommen wäre – Sie hätten dann natürlich plötzlich ganz anders argumentiert, sich an der Stelle wie das Fähnlein im Wind gedreht und gesagt: Da sieht man wieder mal, die wollen gar keine Energiewende, die machen alles kaputt –, mussten wir also berücksichtigen. Deshalb haben wir die Altfälle mit einbezogen, aber nicht so, wie Sie es gerne hätten. Wir haben es nicht bar jeder Haftung gemacht. Vielmehr ist einfache Fahrlässigkeit als Haftungstatbestand weiterhin gegeben, um Anreize für die Übertragungsnetzbetreiber zu schaffen, eben keine Schadensfälle zu produzieren oder diese, wenn es sie schon gibt, schnell zu beheben. Irritiert hat mich auch das – das muss ich ganz ehrlich sagen –, was hier zur Winterreserve gesagt wurde. Es ist ein untauglicher Versuch, uns hier in die Ecke der Planwirtschaft zu drängen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Ein sehr zutreffender!) Diese Winterreserve ist eine Notreserve. Sie ist unumstritten ein markiger Eingriff. Was wir in der Energiewende aber jetzt gar nicht gebrauchen könnten – das müsste doch auch in Ihrem Interesse liegen –, wäre ein Blackout. Über die Winterreserve stellen wir sicher, dass es dazu nicht kommt. Das sage ich als bayerischer Abgeordneter in vollem Bewusstsein, wen es am Ende treffen würde, nämlich Süddeutschland, wo der Strom gebraucht wird. (Ulrich Kelber [SPD]: Dann stellen Sie die doch einmal die Stromtrassen in Bayern fertig!) Aber dass Sie, Herr Krischer, nun sagen, dass man jetzt plötzlich das Umlagesystem aufgeben sollte, weg vom Umlagesystem, hin zum Bundeshaushalt, finde ich bemerkenswert. Sie waren doch bisher einer der Protagonisten des Umlagesystems des EEG. Man sollte doch seine bisherige Argumentation nicht schlagartig ins Umgekehrte drehen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht für Ihre Fehler!) insbesondere dann nicht, wenn es um den kleinen Splitter im Auge geht und nicht um den großen Balken, über den wir hier reden. Der große Balken ist die EEG-Umlage. Dazu habe ich das Nötige vorhin schon gesagt. (Zurufe der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Hier muss es uns darum gehen, das Ganze wieder in die richtige Richtung zu bringen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ist der Ruf erst ruiniert, …!) Im Übrigen: Sie sagen, wir brauchen einen Kapazitätsmarkt. Ja, lassen Sie uns darüber reden. Ich habe von Ihrer Seite allerdings noch keine Vorschläge dazu gehört. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen bildet!) Außer Subventionen fällt Ihnen nichts ein. Ich sage Ihnen, wir müssen Folgendes tun: Wir müssen in Zukunft diejenigen, die große, fluktuierend einspeisende EEG-Anlagen bauen, dazu verpflichten, Ersatzkapazitäten in einem noch zu definierenden Umfang bereitzuhalten. Das werden die Nachfrager sein. Die müssen Zertifikate an den Gaskraftwerken kaufen. Auf diese Art und Weise kriegen wir auf der einen Seite eine marktgerechte Lösung – für die waren Sie; ich bin gespannt, ob Sie auch dann noch dafür sein werden, wenn man die zwei Dinge zusammenbringt – und auf der anderen Seite eine Kombination von erneuerbaren Energien und fossilen Ersatzkapazitäten. Letztere brauchen wir, auch wenn die Grünen so tun, als ob das morgen zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien zu schaffen wäre. Wir stellen uns den Problemen, die es an der Stelle gibt. Ich würde mich freuen, wenn Sie es auch tun; Sie haben es lange genug nicht gemacht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Präsident, schlagartig. – Ihre Energiewende bestand aus der Formulierung dessen, was Sie nicht wollen, nämlich die Kernenergie, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wollen Sie denn die Kernenergie?) und dem undifferenzierten und extrem teuren Aufbau von erneuerbaren Kapazitäten. Ansonsten haben Sie dazu bisher keinen Beitrag, außer Verweigerung, geleistet. Hören Sie damit auf! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe der Abg. Rolf Hempelmann [SPD] und Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Rolf Hempelmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Rolf Hempelmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mal gelernt, Herr Nüßlein: Wer so laut schreit wie Sie, der hat eigentlich erkannt, dass er einen Fehler gemacht hat. Das ist ja dann immerhin schon mal ein Fortschritt. Das ist auch eine Basis, auf der wir uns verständigen können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Bei den Zwischenrufen! Ich habe ein wenig Herzblut eingebracht!) Sehr geehrter Herr Minister Rösler, Sie haben hier heute noch einmal das gesagt, was auch der ehemalige Bundesumweltminister Röttgen hier mehrfach behauptet hat. Aber auch bei ihm hat es nicht zur Steigerung seiner Glaubwürdigkeit beigetragen. Sie beide sagten nämlich, dass Rot-Grün mit Energiewende nichts am Hut gehabt habe, jedenfalls mit dem Systemumbau nicht begonnen habe, und dass Sie jetzt damit anfingen, die richtige Arbeit zu leisten. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Stimmt doch!) Richtig ist: Die Energiewende hat im Jahre 2000 begonnen, und zwar mit einem nie beklagten einvernehmlichen Ausstieg aus der Atomenergie, im Einvernehmen auch mit den betroffenen Unternehmen, und mit dem gleichzeitigen Aufwuchs der erneuerbaren Energien, der dank des EEG möglich wurde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Systemumbau – das heißt im Wesentlichen der Ausbau der Netze, aber sicherlich auch ein erster Ausbau von Speicherkapazitäten – und der Ausbau des Lastmanagements, also die Sicherstellung von Flexibilität mit Blick auf die Nachfrageseite, konnten damals nicht erfolgreich beginnen. Warum? Weil Ihre Vorgänger von Schwarz-Gelb damals ankündigten: Wenn wir an die Regierung kommen, dann sorgen wir für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. (Zuruf von der SPD: Genau! – Gegenruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Quatsch!) Unsere Fraktion hat in den letzten Wochen Gespräche unter anderem mit den Betreibern von Atomkraftwerken geführt. Dabei haben wir interessante Einschätzungen geliefert bekommen. In nuce: Es wäre besser gewesen – so sagen die Vertreter dieser großen Unternehmen –, man hätte nicht auf diese im Jahr 2000 hingehaltene Wurst geschaut, sondern man hätte zu dem gestanden, was man unterschrieben habe, nämlich den Atomausstieg. (Beifall bei der SPD) Es hätte im Ergebnis dazu geführt, dass diese vier Energieversorgungsunternehmen schon im Jahr 2000 damit begonnen hätten, einen konstruktiven Beitrag für eine Energiewende zu leisten, ihr Geschäftsmodell zu überprüfen, in Speicher, in Netze, in Lastmanagement zu investieren. Das ist nicht geschehen. Dafür tragen Sie und Ihre Vorgänger die Verantwortung. (Beifall bei der SPD) Dann haben Sie im Jahr 2010 etwas beschlossen, von dem Sie damals überzeugt waren und von dem viele von Ihnen auch heute noch überzeugt sind, nämlich die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke. Ein halbes Jahr später ist genau das Gegenteil passiert. Wenn ich heute mit einigen von Ihnen rede – manche sind ja bei einem Glas Bier oder einem Glas Wein ehrlich –, dann erfahre ich, dass viele von Ihnen nach wie vor der Auffassung sind, dass der Beschluss von 2010 richtig und der von 2011 falsch war. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist jetzt entschieden!) Wenn dem so ist, wenn also so wenig Überzeugung hinter der Energiewende steht, dann dürfen wir uns nicht wundern, dass Sie kein Konzept haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben kein energiepolitisches Konzept, kein Konzept zum Systemumbau. Deswegen reagieren Sie nur; Sie agieren nicht. Immer dann, wenn sich ein Problem auftut, betreiben Sie Flickschusterei. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das zeigt sich beispielhaft an dem Gesetzentwurf, den Sie uns heute vorlegen. Bei Offshore – einer Technologie, zu der wir stehen und von der wir sagen, dass wir sie brauchen – haben Sie den Karren vor die Wand gefahren. 700 Arbeitsplätze werden beispielsweise bei den Nordseewerken wegfallen. Viele Hundert Arbeitsplätze sind gefährdet, weil Unternehmen Insolvenz anmelden mussten. Das hat mit den Rahmenbedingungen zu tun, die Sie gesetzt haben und die Sie jetzt durch Flickschusterei zu ändern versuchen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, diesen Schuh müssen Sie sich schon anziehen. Wir haben ein Gespräch mit dem Bankenverband geführt. Der sagt: Was Sie in den letzten Jahren gemacht haben, führt jetzt dazu, dass Kapital für die Projekte im Offshorebereich aus Deutschland abgezogen wird und zum Beispiel an die britische Küste gelenkt wird, also dahin, wo der Staat offenbar Rahmenbedingungen setzt, die attraktiver sind als das, was Sie unternommen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt versuchen Sie, Lösungen anzubieten, bei denen wieder einmal insbesondere der Kunde zur Kasse gebeten wird. Wir haben vorgeschlagen – erinnern Sie sich einmal daran, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht –, die Basis für eine deutsche Netz AG zu schaffen. Dabei geht es nicht um Enteignung. Ihre Reaktion ist doch der Versuch, einen Vorschlag zu desavouieren, der eigentlich schon einmal Ihr eigener war. (Beifall bei der SPD) Die Union, insbesondere Ihre beiden Wirtschaftsminister in der damaligen Legislaturperiode, war nicht kraftvoll genug, diesen Vorschlag in der Großen Koalition voranzutreiben. Anschließend haben Sie diesen Vorschlag trotzdem in Ihren Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Jetzt wollen Sie das Ganze wiederum nicht umsetzen, obwohl Herr Homann von der Bundesnetzagentur am letzten Montag deutlich gemacht hat, dass eine Netz AG mindestens Plan C ist. Wenn Ihr Vorhaben scheitert, dann muss man ernsthaft darüber reden, dass der Staat über die KfW an einer solchen Netzgesellschaft sukzessive beteiligt wird. Stellen Sie sich dieser Aufgabe! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Johanna Voß [DIE LINKE]) Auch die Art und Weise, wie Sie mit Blick auf die Versorgungssicherheit im Kraftwerkspark vorgehen, ist genau die gleiche Reaktion auf Probleme, die Sie offenbar gar nicht erwartet haben. Wie Sie hier agieren, das ist schon erstaunlich. Das müssen sich die Liberalen schon anhören: Wenn es in diesem Zusammenhang um Stilllegungsverbote geht, also um einen Zwangsbetrieb, dann ist das eine Handschrift, die man gerade von den Liberalen nicht erwartet hätte. Das wird man in diesem Hause wohl sagen dürfen. (Beifall bei der SPD – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Sie dürfen alles sagen!) Es gab bei Ihnen sogar Überlegungen, den Unternehmen in die Vertragsgestaltung reinzureden: Sie wollten Gaskraftwerksbetreiber zwingen, von relativ lukrativen Verträgen mit unterbrechbarem Gasbezug Abstand zu nehmen und auf eine konstante Belieferung umzuschwenken, die nun einmal teurer ist. Die Koalitionsfraktionen haben Gott sei Dank erkannt, dass dies keine Problemlösung gewesen wäre, sondern nur eine Pro-blemverlagerung in jeweilige Nachbarregionen, weil nämlich die Transportkapazitäten im Gasnetz überhaupt nicht gereicht hätten, um alle Gaskraftwerke konstant mit Gas zu beliefern. Zumindest ist dieser Unsinn jetzt aus dem Gesetz heraus. Herr Rösler, Sie selbst haben heute Morgen gesagt: Wir brauchen einen Masterplan für die Energiewende. – Herzlichen Glückwunsch, dass Sie das jetzt, nach Jahren, feststellen. Wir haben ihn seit Jahren gefordert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Legen Sie einen solchen Masterplan dann auch vor! Schlagen Sie der Bundeskanzlerin bitte gleichzeitig vor, eine Stelle einzurichten, die die Energiewende koordiniert. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen Sie es doch selber!) Das können Sie nicht, das kann Herr Altmaier nicht; denn Sie verstehen sich als Konkurrenten. Das kann auch kein anderer Bundesminister. Das muss der Kanzleramtsminister machen, der die Koordinierung der Energiepolitik im Kanzleramt übernimmt, der die Regierung in dieser Frage zusammenhält, der mit den Bundesländern dafür sorgt, dass es eine stimmige Energiepolitik in unserem Land gibt, und der in Brüssel in Sachen Energiepolitik mit einer Stimme für Deutschland spricht (Beifall bei der SPD) und damit dafür sorgt, dass unsere und die europäische Energiepolitik zusammenpassen. Passiert dies nicht, werden nicht mehr Sie Energiepolitik machen, sondern dann macht Brüssel das für Sie. Das konnten wir in dieser Woche schon eindrücklich nachlesen. Also handeln Sie endlich! Kündigen Sie nicht nur an und reden nicht nur! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Kollege Franz Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Franz Obermeier (CDU/CSU): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner hat man die Chance, mit ein paar Unwahrheiten aufzuräumen; denn es gibt Punkte, die sich als offensichtlich völlig falsch erwiesen haben und die daher nicht zu einer redlichen Argumentation passen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Jetzt fall aber deinem Minister nicht in den Rücken!) Herr Hempelmann, Sie glauben ja wohl selbst nicht, dass im rechten Teil dieses Hohen Hauses Kollegen sitzen, die der Meinung sind, dass der Ausstiegsbeschluss, also der Beschluss zur Energiewende, vom 30. Juni vergangenen Jahres rückgängig zu machen ist. Das ist nicht der Fall, und wenn ich das sage, dann können Sie mir das auch glauben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Breil [FDP]) Kolleginnen und Kollegen, es wurde auch schon mit dem Märchen aufgeräumt, welches die Grünen hier in der vergangenen Debatte verbreitet haben. Herr Krischer, hoffentlich haben Sie jetzt verstanden, dass Ihr Argument falsch ist; denn die Befreiung der mittelständischen Unternehmen von der EEG-Umlage spielt bei der Erhöhung dieser Umlage auf 5,277 Cent je Kilowattstunde so gut wie keine Rolle. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht verstanden!) – Sie werden es auch nicht verstehen, weil Sie es nicht verstehen wollen. – (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Ihren Satz habe ich nicht verstanden!) Das, was Sie betreiben, ist Volksverdummung in Reinkultur. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Nach neuesten Berechnungen fallen nur 0,1 Cent je Kilowattstunde aufgrund der Tatsache an, dass 730 mittelständische Unternehmen, die überwiegend im internationalen Wettbewerb stehen, eine Vergünstigung erhalten – mehr nicht. Was Sie erzählen, ist einfach nicht seriös. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Es ist falsch! Eine Lüge!) Kolleginnen und Kollegen, wenn ich die ganze Debatte Revue passieren lasse, dann fällt mir Folgendes ein: Die gesamte Opposition hat am 30. Juni 2011 der Energiewende zugestimmt (Rolf Hempelmann [SPD]: Nein, dem Atomausstieg!) und stiehlt sich jetzt, wo die Folgen sichtbar werden, aus der Verantwortung gegenüber den Bürgern; die Strompreiserhöhungen und weitere negative Effekte waren damals absehbar. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie es dann vorgeschlagen? Was ist denn bei Ihnen los?) Es war doch nicht so, dass wir nicht wussten, wie sich alles entwickeln wird. Wir wussten doch, dass wir mit den Märkten größte Probleme bekommen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben mit der Marktwirtschaft Probleme! Das ist mir auch schon klar!) Wir wussten, dass die Betreiber fossiler Kraftwerke auf Basis von Gas und Kohle Probleme bekommen werden; denn wenn sie aufgrund des Ausbaus der erneuerbaren Energien nur zeitweise ihren Betrieb aufnehmen müssen, dann geraten sie in existenzielle Nöte. (Ulrich Kelber [SPD]: Trotzdem haben Sie nichts gemacht!) Das alles wussten wir, und trotzdem haben wir dem zugestimmt, weil wir der Überzeugung waren und heute noch sind, dass es – wenn auch nur unter Opfern – möglich ist, den Umstieg von der herkömmlichen Energie-erzeugung in das Zeitalter der erneuerbaren Energien zu schaffen. Wenn wir aber den Bürgerinnen und Bürgern den Eindruck vermitteln, dass die Umstellung billig wird, dann ist das falsch. Das zeigt sich jetzt an den gestiegenen Energiepreisen. Lassen Sie mich etwas Thema Bundesnetzagentur sagen. Die Probleme, die zum Beispiel TenneT hat, sind zum Teil ökonomischer Natur, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und lange bekannt!) sie sind zum Teil aber auch technischer Natur. Wenn die Lieferanten nicht liefern können, weil die Produktion der Leitungen nicht vorankommt, dann kann man das schlecht dem Betreiber anlasten. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wir müssen uns sehr genau überlegen, wie die Netzanschlüsse für die Offshorewindparks gewährleistet werden können. Nebenbei bemerkt, Herr Beckmeyer: Wir sind der Überzeugung, dass die Energiewende nur gelingen kann, wenn wir den Ausbau der Offshorewindparks so hinbekommen, wie die Kollegen der CDU/CSU das vorhin beschrieben haben. Deswegen haben wir im Gesetzentwurf für Planungssicherheit für diejenigen gesorgt, die Offshorewindparks bauen wollen. Ihnen müssen wir die Unsicherheit nehmen. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass eine Garantie über einen Zeitraum von vier oder fünf Jahren den planenden Unternehmen wenigstens mittelfristig hilft, ihre Anlagen in Betrieb nehmen zu können. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie eigentlich schon einmal am Meer?) Mit Sicherheit werden in diesem Bereich keine Arbeitsplätze wegfallen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das passiert schon! – Ulrich Kelber [SPD]: Schauen Sie aufs Papier! Sie haben den Faden verloren!) Was haben Sie uns nicht schon alles über die Gefährdung von Arbeitsplätzen erzählt! Herr Heil, lesen Sie nach, welchen Unfug Sie in Bezug auf den Photovoltaik-ausbau behauptet haben. Dabei wurde in den Zeiträumen, in denen wir die Reduzierung der Vergütungssätze vorangetrieben haben, der Bereich Photovoltaik in einem Ausmaß ausgebaut wie noch nie zuvor. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Der Ausbau hat sich deutlich verstärkt. Trotzdem kommen Sie mit Ihrem Argument von den Arbeitsplätzen. Ich sage Ihnen: Wer von der produzierenden deutschen Wirtschaft nur auf den deutschen Markt, auf die deutsche Gesetzgebung und möglicherweise auf eine rot-grüne Mehrheit setzt, der setzt auf das falsche Pferd. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah, Sie rechnen auch schon damit!) Zu einer rot-grünen Mehrheit wird es aber nicht kommen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da fallen -Arbeitsplätze in Niedersachsen weg! Jetzt schon! – Zuruf von der FDP: Zuhören!) Ich bin felsenfest davon überzeugt: Das Gesetz, das wir heute beschließen, gibt der Industrie Planungssicherheit. Dieses Gesetz steigert die Versorgungssicherheit für den deutschen Verbraucher. Herr Minister, es ist ein gutes Gesetz, und deswegen werden wir es jetzt beschließen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11705, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-sachen 17/10754 und 17/11269 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge, zunächst zum Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 17/11720. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken abgelehnt. Nun kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11721. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d sowie die Zusatzpunkte 3 a und b auf: 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Menschenwürde von Flüchtlingen ist -migrationspolitisch nicht relativierbar – Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz ziehen – Drucksache 17/11663 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Markus Kurth, Josef Philip Winkler, Fritz Kuhn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes – Drucksache 17/1428 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – Drucksache 17/10198 – Berichterstattung: Abgeordneter Markus Kurth c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Menschenwürdiges Existenzminimum für alle – Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen – Drucksachen 17/4424, 17/10198 – Berichterstattung: Abgeordneter Markus Kurth d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Da?delen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Auf Flüchtlingsproteste reagieren – Residenzpflicht abschaffen – Drucksache 17/11589 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Menschenwürdige Lebensbedingungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Geduldete sicherstellen – Asylbewerberleistungsgesetz reformieren – Drucksache 17/11674 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mehr Bewegungsfreiheit für Asylsuchende und Geduldete – Drucksachen 17/5912, 17/11716 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ulla Jelpke Josef Philip Winkler Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zu ihrem Gesetzentwurf einen Entschließungsantrag eingebracht, über den wir später namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem Sommer war es wie so oft: Initiativen der Bundesregierung finden beim Bundesverfassungsgericht meistens keine Unterstützung. Das ist gut so. Im Juli dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht in einer bahnbrechenden Entscheidung ganz klar gesagt: Auch für Asylbewerber gilt, dass das menschenwürdige Existenzminimum irgendwelchen migrationspolitischen Zielen nicht zugänglich ist. Es sagte auch: Die Menschenwürde darf migrationspolitisch nicht relativiert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das heißt: Das menschenwürdige Existenzminimum ist immer das gleiche, egal ob es sich um Deutsche, Nichtdeutsche, Flüchtlinge oder um wen auch immer handelt. Ich fand diese Entscheidung beachtlich. Ich meine, dass der Grundsatz der Nichtrelativierbarkeit der Menschenwürde auch für viele andere flüchtlingsrechtliche Fragen gelten muss. Diesem Grundgedanken trägt unser heutiger Antrag Rechnung. Ich will des Weiteren die Residenzpflicht nennen, ein in Europa einzigartiges System. Angesichts der deutschen Geschichte kann man zu einer solchen Aufenthaltsbeschränkung, die mit Blick auf Gesundheitsver-sorgung, kulturelle Feste und Religionsausübung eine Einschränkung darstellt, nur sagen: So geht man mit Flüchtlingen nicht um. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das muss man schon feststellen: In Deutschland unterliegen die Schutzsuchenden und Flüchtlinge wirklich einschneidenden Beschränkungen. Was mich dabei besonders ärgert, ist, dass Frau Merkel, die Bundeskanzlerin, immer mal wieder so tut, als sei das nicht so. Bei der Eröffnung des Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma sagte die Bundeskanzlerin – ich zitiere –: Sinti und Roma leiden heute erneut unter Ausgrenzung und Ablehnung. Nicht nur die Politik, jeder Einzelne ist aufgerufen, sich jedweder Art von Diskriminierung zu widersetzen. Folgen wir doch diesen Sätzen, und fangen wir hier und heute bei der Politik an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Bundesinnenminister war wieder ignorant. Er hat nämlich faktisch am gleichen Tag diesen Sätzen zuwidergehandelt. – (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heute ist er nicht ignorant, sondern abwesend!) Wie ich sehe, hat er es nicht nötig, heute hier zu sein – er ist ja auch „nur“ für Flüchtlinge zuständig –; das wundert uns bei diesem Bundesinnenminister kaum, oder? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dazu gehört schon ein gehöriges Maß an Chuzpe. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da sitzt der Staatssekretär!) – Ja, aber der Staatssekretär ist der Staatssekretär, und der Bundesinnenminister ist der Bundesinnenminister. So viel darf schon sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das sage ich auch, weil Herr Friedrich zeitgleich am Tag der Rede von Frau Merkel Flüchtlingen aus Serbien und Mazedonien, die zum überwiegenden Teil der Minderheit der Roma angehören, pauschal Asylmissbrauch vorgeworfen hat. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das hat er ihnen nicht vorgeworfen!) Fangen wir bei der Politik an. Ich sage Ihnen: Den Worten müssen auch Taten folgen. Man kann nicht argumentieren, das Boot sei voll, wie Herr Friedrich das tut. Man kann auch nicht behaupten, bei den Sinti und Roma handele es sich um Wirtschaftsflüchtlinge. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Doch, -natürlich!) Das ist nicht nur falsch, es ist auch verfassungswidrig, wenn er daraus ableiten will, dass die Rechte dieser Menschen, anders als das Bundesverfassungsgericht es gesagt hat, beschränkt werden sollen. Schauen wir uns doch einmal an, wie es den Menschen dort geht. Wir wissen, dass Europas Institutionen tatsächlich sagen: Wenn man wegen seiner Herkunft diskriminiert und verfolgt wird, dann ist das auch ein Asylgrund. – Der Dritte Bericht zur Visaliberalisierung der Europäischen Kommission hat erneut festgestellt, dass die Roma in der EU und auch außerhalb der EU in Serbien und Mazedonien ständigen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Meine Damen und Herren, gucken Sie sich das einmal an: Kindern und Jugendlichen wird der Zugang zu Bildung verweigert. Menschen leben in irgendwelchen Hütten, die garantiert nicht würdevoll sind und – besonders im Winter – kein gesundes Leben zulassen. Da gibt es Menschen, die von Arbeit ausgeschlossen werden. Die Diskriminierung von Roma geht in Europa so weit, dass man sagen kann: Es gibt pogromartige Ausschreitungen gegen diese Minderheit. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist glatt falsch! Wo gibt es das denn?) Wer dann noch sagt, das sei Asylmissbrauch und es seien Wirtschaftsflüchtlinge, der liegt schlicht und einfach falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich gönne Ihnen eine Reise nach Serbien und Mazedonien. Fahren Sie in östliche EU-Mitgliedstaaten. Dann erleben Sie, was Menschen dort widerfährt. Ich habe ganz normale Bürger aus diesem Land erlebt, die gesagt haben, dass ihnen die Tränen in den Augen standen, weil so etwas in Europa möglich ist. Ursache für diesen Missstand ist die Herkunft dieser Menschen. Deshalb ist eines klar: Das Asylbewerberleistungsgesetz relativiert in der Praxis die Menschenwürde. Es muss weg. Denken Sie allein daran, dass Gutscheine ausgegeben werden, mit denen Asylsuchende nur in bestimmten Läden einkaufen dürfen, wobei sie nicht einmal das Wechselgeld zurückerhalten. Denken Sie daran, dass Asylsuchende bei akuten Erkrankungen zwar eine ärztliche Notfallversorgung bekommen, aber in dem Fall, dass sie traumatisiert sind, keine entsprechende Grundversorgung erhalten. So geht man mit Menschen nicht um. Deshalb muss dieses Asylbewerberleistungsgesetz weg. Asylsuchende sind Menschen mit gleicher Würde und mit den gleichen Bedürfnissen, was das Existenz-minimum angeht. Sie sollen sich in diesem Land bewegen können. Sie sollen eines Tages auch erwerbstätig sein. Man muss ihnen eine Perspektive bieten. Wem sage ich das? Sie haben das „C“ für „christlich“ in Ihrem Parteinamen. Lassen Sie dem auch Taten folgen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Peter Tauber für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Künast, Dinge werden meistens nicht richtiger, wenn man sie pauschal formuliert und einfach so in den Raum stellt. Diesen Eindruck hatte ich bei vielen Ihrer Ausführungen, denen ich eben zuhören durfte. Ehrlich gesagt, man hat nicht immer den Eindruck, dass Sie hier Redlichkeit an den Tag legen und dass es Ihnen wirklich nur um die Flüchtlinge und um die Asylbewerber geht. Sie machen hier eine ganz schöne Show; das müssen Sie sich an dieser Stelle deutlich sagen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung misst diesem Thema allein deshalb eine hohe Bedeutung bei, weil nicht nur der Staatssekretär aus dem Innenministerium anwesend ist, sondern auch die für das Asylbewerberleistungsgesetz zuständige Ministerin. Das zeigt, dass wir das Thema sehr ernst nehmen und uns diesem Thema mit Sachlichkeit zuwenden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damit bin ich bei meinem ersten Punkt. Es ist klar: Unsere Verfassung, das Grundgesetz, gibt uns den Handlungsrahmen vor. Das Recht auf Asyl für Menschen, die aus Gründen der Herkunft, aus religiösen oder politischen Gründen verfolgt werden, hat nicht nur für uns in der Bundesrepublik historisch einen hohen Stellenwert. Diesen Stellenwert hat es auch in Europa. Es ist ein Grundrecht, das wir Menschen gemeinsam in Europa gewähren wollen, die aus den genannten Gründen unter Verfolgung leiden oder von Verfolgung bedroht sind. Ich glaube – an der Stelle haben Sie vielleicht recht –, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland erwarten, dass wir, wenn wir den Rahmen setzen, dieses Grundrecht ernst nehmen und die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Menschen, auf die diese Voraussetzungen zutreffen, in Deutschland Hilfe finden. Die Bürger erwarten aber eben auch, dass wir eine Antwort darauf geben, was wir mit Menschen machen, die sich zu Unrecht auf das Asylrecht berufen. (Elke Ferner [SPD]: Eigentlich reden wir heute über das Asylbewerberleistungsgesetz!) Deswegen muss man sich genau anschauen, wie eine Regelung aussieht, die den betroffenen Menschen auf Dauer hilft – das ist ganz wichtig –, aber die darüber hinaus eine Antwort auf diese von mir formulierte Frage gibt. Es tut ganz gut, sich einmal an den Ursprung der jetzt gültigen Regelung zurückzuerinnern. Warum gibt es das Sachleistungsprinzip? Warum gibt es die Residenzpflicht? Sie ist zum Teil bereits gelockert und wurde in manchen Bundesländern abgeschafft. Das Sachleistungsprinzip gibt es, weil wir Anfang der 90er-Jahre, als fast eine halbe Million Asylbewerber pro Jahr zu uns kamen, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wo denn?) festgestellt haben, dass das an sie ausgezahlte Geld nicht von den Flüchtlingen und Asylbewerbern selbst genutzt wurde, sondern dass sie es an diejenigen, die sie ins Land geschleppt hatten, abgeführt haben. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: So ein -Unsinn!) Es waren oft Menschen, die sich nicht auf das Asylrecht berufen konnten, weil die entsprechenden Gründe nicht vorlagen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Bodenlos!) – Sie können „Bodenlos“ dazwischenrufen, so oft Sie wollen. Reden Sie einmal mit den Kommunalpolitikern, die Anfang der 90er-Jahre dafür zuständig waren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und der LINKEN) Reden Sie einmal mit denjenigen, die sich damals in den Kommunen bemüht haben, für Asylbewerber und Flüchtlinge menschenwürdige Rahmenbedingungen zu schaffen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Reden Sie mal mit den Flüchtlingen!) Reden Sie einmal mit denjenigen, die sich in den 90er-Jahren ehrenamtlich um Flüchtlinge bemüht haben. (Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Herr Präsident, ich glaube, jemand möchte eine Zwischenfrage stellen. – Reden Sie einmal mit diesen Personen. Dann werden Sie genau das berichtet bekommen. Wie viele Menschen haben damals ehrenamtlich geholfen, weil die staatlichen Leistungen, die wir den Flüchtlingen gewährt haben, gar nicht bei ihnen ankamen, weil sie das Geld an andere abgeliefert haben? Das gehört zur Wahrheit dazu. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Was haben Sie denn getan gegen Schlepperbanden außer Diffamieren?) Jetzt so zu tun, als ob das Sachleistungsprinzip ein reines Gängelungsinstrument sei, ist falsch. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beck? Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Ja, gerne. – Vielleicht könnten Sie jetzt einmal Ihre Zwischenrufe unterlassen, damit ich die Zwischenfrage verstehen kann. Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Das war eine Anmerkung fürs Protokoll!) Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, manchmal tut es dem Deutschen Bundestag ganz gut, wenn es noch ein paar ältere Kollegen im Haus mit einem historischen Gedächtnis gibt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie haben von der Situation zu Beginn der 90er-Jahre gesprochen. Ist Ihnen bewusst, dass die großen Zugangszahlen von Flüchtlingen, die wir in der Tat Anfang der 90er-Jahre hatten, eine Folge des Zerfalls und der kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Westbalkan waren, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Rumänien! Bulgarien!) und insofern diese hohen Zugangszahlen in Deutschland eine Folge des Krieges vor der eigenen Haustür waren (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist falsch!) und nicht etwa der regelmäßig, jährlich wiederkehrende Zugang von Flüchtlingen aus aller Welt in Größenordnungen von Hunderttausenden? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Elke Ferner [SPD] – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Schwarzafrika!) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Frau Kollegin, ich bin für die Frage sehr dankbar. Auch ich habe durchaus ein gewisses historisches Wissen, das ich einbringe, weil ich in der Zeit ehrenamtlicher Kommunalpolitiker war. Ich kann mich daran erinnern, dass es in meiner Region nicht nur in den Kommunen sehr große Bemühungen gab, Flüchtlinge und Asylbewerber unterzubringen, sondern dass es auch große zentrale Sammellager gab. (Rüdiger Veit [SPD]: Überflüssigerweise!) Ich kann zumindest nicht in Abrede stellen, dass Ihre Ausführungen für einen Teil dieser Menschen zutreffen, aber eben nur für einen Teil. Ein ganz großer Teil kam aus anderen Regionen dieser Welt. Insofern stimmen Ihren Ausführungen nicht ganz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch!) – Wir können nachher gern die Zahlen nebeneinander legen und vergleichen, Frau Kollegin. – Ich kann also das nicht bestätigen, was Sie hier ausgeführt haben. Sie versuchen, damit einen bestimmten Eindruck zu erwecken. Worum geht es jetzt? Jetzt geht es darum, dass wir etwas tun, (Elke Ferner [SPD]: Was tun Sie denn?) um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts – es geht um ein Urteil aus dem Juli dieses Jahres – umzusetzen. Das Arbeits- und Sozialministerium hat sehr gute Erfahrungen damit gemacht, Regelbedarfe zu entwickeln, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechen. Sie hätten das alles unter Rot-Grün machen können; Sie haben es aber nicht gemacht. (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Sehr richtig! – Elke Ferner [SPD]: Was tun Sie denn? Was ist denn Ihr konkreter Vorschlag?) Insofern sollte man sich, wenn man mit dem Finger auf andere zeigt, immer auch fragen, wie viele Finger der eigenen Hand auf einen selbst zurückzeigen. (Elke Ferner [SPD]: Was ist denn Ihr konkreter Vorschlag?) Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Ministerin gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen eine Regelung vorlegen wird, (Elke Ferner [SPD]: Wann denn?) die den Vorgaben des Gerichts gerecht wird, sodass wir dann einen Regelsatz haben werden, der die Bedarfe der betroffenen Menschen genau abbildet (Elke Ferner [SPD]: Wann denn genau?) und der – ich glaube, das kann man schon jetzt sagen – deutlich höher sein wird als der bisherige. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Veit? Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Nein, jetzt nicht; herzlichen Dank. (Elke Ferner [SPD]: Feigling!) Es bleibt dabei: Was das Asylbewerberleistungsrecht betrifft, werden wir Ihnen eine Regelung vorlegen, (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wann denn endlich? Wie lange soll das denn noch dauern?) die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht und die Bedarfe der Menschen genau abbildet. Wir wollen ermöglichen, dass die Menschen für die Dauer ihres Asylverfahrens in Deutschland Zuflucht finden und ein Auskommen haben. Aus meiner Sicht mangelt es Ihnen in dieser Debatte an Redlichkeit. Sie erwecken nämlich permanent den Eindruck, als ginge es Asylbewerbern und Flüchtlingen in Deutschland schlechter als in den Ländern, aus denen sie zu uns gekommen sind. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber das ist doch nicht der Maßstab!) Das geht, wie ich finde, an der Wirklichkeit vollkommen vorbei. Nach wie vor gibt es unheimlich viele ehrenamtliche Initiativen, die Flüchtlinge begleiten. Die Bürgermeister und die kommunalen Verantwortlichen, die ich kenne, kümmern sich mit großer Mühe und Sorgfalt darum, die notwendigen Rahmenbedingungen in ihrer Kommune zu schaffen, dabei auch die Bevölkerung mitzunehmen und für die notwendige Sensibilität und das entsprechende Bewusstsein vor Ort zu sorgen; auch das ist, glaube ich, ein wichtiges Signal. In der Diskussion ist ja ständig die Rede davon, dass hier verschiedene politische Ebenen ineinandergreifen: Auf der einen Seite dürfen wir die Kommunen bei der Bewältigung der Herausforderungen, die mit steigenden Flüchtlingszahlen einhergehen, nicht alleine lassen, auf der anderen Seite müssen auch wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Am Ende bleibt es dabei: Wir bemühen uns, für die Menschen, die aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen zu uns kommen und um Asyl bitten, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Es gibt auf diesem Globus nicht viele Länder, die solch gute Rahmenbedingungen schaffen und mit so viel Empathie für diese Menschen einstehen wie Deutschland. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Empathie? Und das aus Ihrem Mund!) Wenn man Empathie für diese Menschen empfindet und sich um sie kümmert, gehört dazu auch, dass man auch über diejenigen redet, die sich fälschlicherweise auf das Grundrecht auf Asyl berufen und die, wenn in einem Verfahren festgestellt wurde, dass kein Asylgrund vorliegt, in ihre Heimat zurückgeführt werden. (Elke Ferner [SPD]: Wo war denn Ihre Empathie nach dem Verfassungsgerichtsurteil 2010?) Das, liebe Frau Künast, sollte man nicht als unchristlich brandmarken. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist es! – Elke Ferner [SPD]: So ist es aber! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie mal die Kirchen, was die machen!) – Da können Sie sich aufwallen und schreien, so viel Sie wollen, liebe Frau Künast; das finde ich immer hochspannend. – Ich glaube, ich als Christ brauche von jemandem, von dem ich nicht weiß, wie intensiv er sein Christsein lebt – wenn er denn überhaupt Christ ist –, (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Oh! – Au weia! – Peinlich!) an dieser Stelle keine Nachhilfe. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So ist es!) Liebe Frau Künast, diese Frage in die politische Diskussion hineinzuziehen, ist Parteipolemik und unredlich. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: -Unanständig ist das!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns heute mit den schwierigen Lebensbedingungen von mehr als 150 000 Flüchtlingen in Deutschland, und wir geben Antworten auf das vernichtende Urteil der Bundesverfassungsrichter zum bestehenden Asylbewerberleistungsgesetz. Es gibt dazu sieben Anträge und Gesetzentwürfe der Opposition. Das ist viel und zeigt, wie wichtig uns dieses Thema ist. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leider haben weder die Bundesregierung noch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, auch nur einen einzigen Buchstaben zur Lösung beigetragen. Dabei hatten Sie verdammt viel Zeit. Deutschland wartet seit fast drei Jahren auf Ihre Taten – (Elke Ferner [SPD]: Ja!) seit fast drei Jahren vergeblich. So, meine Damen und Herren, sieht die traurige Wirklichkeit aus. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Vertane Zeit!) Schon im Februar 2010 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt: Die Regelsätze der Grundsicherung sind zu niedrig und müssen transparent und nachvollziehbar neu berechnet werden. Dies betraf natürlich auch damals schon das Asylbewerberleistungsgesetz. Wir haben Sie immer wieder darauf hingewiesen. Menschen erster und zweiter Klasse darf es nach dem Karlsruher Richterspruch von 2010 bei der Sicherung des Existenzminimums in unserem Staat nicht mehr geben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, nehmen diese Verfassungswidrigkeit jedoch bis heute billigend in Kauf. Das ist für Sie und für Ihre Regierung ein beschämendes Armutszeugnis. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben es noch nicht einmal für nötig befunden, auf den zweiten Bugschuss der Verfassungsrichter zu reagieren. Im Juli dieses Jahres legten die Karlsruher Richter ihr vernichtendes Urteil über die derzeitige Existenzsicherung von Asylbewerbern in Deutschland auf den Tisch. Die Richter forderten eine sofortige Heraufsetzung der Regelsätze und eine unverzügliche Neuregelung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Doch immer noch stehen die niedrigen verfassungswidrigen Regelleistungen im Gesetz. Es ist allein dem Engagement der Bundesländer zu verdanken, dass es nicht zum offenen Verfassungsbruch kam. Die Länder haben sich als Zwischenlösung ohne bundesgesetzliche Regelung untereinander auf einheitliche neue Sätze verständigt. Sie, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, hingegen haben nichts getan und damit die Länder voll im Regen stehen lassen. Es ist schlimm, wie Sie unsere Verfassung mit Füßen treten. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sogar Ihre eigene Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Frau Böhmer, hatte das Sozialministerium zu raschem Handeln aufgefordert. Bereits im Herbst 2011 verlangte sie wegen des verfassungswidrigen Zustands des Asylbewerberleistungsgesetzes eine schnelle Reform. Geholfen hat auch das nichts. Deshalb frage ich Sie, Frau Ministerin von der Leyen: Wann werden Sie die vom Verfassungsgericht geforderte unverzügliche Neuregelung des Asylbewerberleistungsgesetzes endlich umsetzen? (Beifall bei der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Wir warten auf Antwort! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Abschaffen!) Da Sie selbst in dieser Sache offensichtlich nichts auf die Reihe bringen, haben wir Ihnen in unserem Antrag aufgeschrieben, wie ein verfassungskonformes Gesetz aussehen könnte. Die Initiative der von SPD und Grün regierten Länder zur Abschaffung der Asylbewerberleistungsgesetzes im Bundesrat (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine gute Initiative!) ist ja gerade gescheitert. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Linken und Grünen, Ihren gleichlautenden Anträgen wird es heute hier im Bundestag genauso ergehen. Wir setzen uns deshalb für eine Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes ein. Wir wollen die Lebensbedingungen der Flüchtlinge in unserem Land verbessern. Wir fordern verfassungsfeste Regelsätze. Wir wollen die Dauer des Leistungsbezugs wieder auf zwölf Monate zurückführen. Der Kreis der Leistungsberechtigten muss wieder auf die Personen beschränkt werden, für die das Asylbewerberleistungsgesetz 1993 einmal geschaffen wurde, nämlich auf Asylsuchende und Geduldete. Die Residenzpflicht muss gekippt werden. Asylsuchende sind schließlich keine Gefangenen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Na, na, na!) Es ist unmenschlich, was hier passiert. Wir wollen den Arbeitsmarktzugang erleichtern. Das diskriminierende Sachleistungsprinzip einschließlich der Gemeinschaftsunterkünfte muss beendet werden. Denn weder Essenspakete noch Gutscheine für Kleidung oder Lebensmittel sind ein würdiger Umgang mit den Hilfebedürftigen und darüber hinaus teuer. Unmenschlich ist auch die Zwangsunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Hierfür sind ja die Länder zuständig. Ich habe mir einmal die bayerische Asyldurchführungsverordnung angesehen. Da steht, dass die Unterbringung in Sammelunterkünften – ich zitiere – „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“ soll. So, meine Damen und Herren, sehen die Unterkünfte dort auch aus. Beschämend ist das. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Asylsuchende und ihre Kinder brauchen eine bessere Gesundheitsversorgung. Das gilt insbesondere für die psychologische Behandlung der oftmals traumatisierten Flüchtlinge. Die UN-Behindertenrechtskonvention muss natürlich auch für Flüchtlinge gelten, und natürlich müssen alle Kinder und Jugendlichen einen Rechtsanspruch auf das Bildungs- und Teilhabepaket erhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Forderungskatalog zeigen wir einen Weg auf, wie sich erstens die Lebensbedingungen von schutzsuchenden Menschen in unserem Land verbessern lassen, wie wir zweitens wieder zu den Buchstaben unserer Verfassung zurückkommen und wie wir drittens die Zustimmung der Länder erreichen können. Diese brauchen wir; ohne sie geht nichts. Herr Tauber, Sie haben auf die vergangenen Jahre hingewiesen. Dass sich da nichts bewegt hat, lag daran, dass Sie damals mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat alles ausgebremst haben, was man für die Flüchtlinge und für die Asylsuchenden in unserem Land positiv hätte verändern können. (Beifall bei der SPD) Das Asylbewerberleistungsgesetz muss endlich auf verfassungsfeste Füße gestellt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, tun Sie es endlich! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Hartfrid Wolff für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die hier von SPD, Linken und Grünen immer wieder vorgetragene Unterstellung, die Koalition relativiere in irgendeiner Weise die Menschenwürde, (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Was? – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN) ist schlicht eine Unverschämtheit. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Die Grünen und die SPD haben in sieben Jahren Regierungszeit selbst kein einziges Mal den Versuch unternommen, die jetzt von ihnen bemängelten angeblichen Menschenrechtsverletzungen durch deutsches Recht zu ändern. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Warum denn wohl?) Das Asylbewerberleistungsgesetz – Frau Beck, Sie wissen ganz genau, wovon ich rede – existiert seit 1993. (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: So ist es! – Elke Ferner [SPD]: Wer hat da regiert?) Was hat denn der in Ihrer Regierungszeit zuständige Bundesarbeitsminister, Herr Müntefering, unternommen? Nichts. (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: So ist es!) Wenn es den Grünen tatsächlich so um Humanität geht, muss man fragen: Was hat denn die damalige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, unternommen? Was hat Frau Künast unternommen? Nichts. Da sieht man: So wichtig war Ihnen das, worüber Sie hier und heute im Zusammenhang mit Ihrem Antrag Krokodilstränen vergießen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber ihr macht es auch nicht besser!) Fortschritte unter der Regierung von SPD und Grünen, zum Beispiel beim Arbeitsmarktzugang für Ausländer, waren nicht existent. Hier herrschte in rot-grüner Zeit Arbeitsmarktprotektionismus. Im Gegensatz dazu handelt die christlich-liberale Koalition. (Zurufe von der SPD: Oh! – Elke Ferner [SPD]: Wo denn?) Die Residenzpflicht, die der rot-rot-grüne Block zur Zeit der rot-grünen Regierung immer unangetastet gelassen hat, hat die Koalition aus Union und FDP in Hessen gerade abgeschafft. (Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]: Warum dann nicht auf Bundesebene? – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Baden-Württemberg auch!) Meine Damen und Herren, weitere Verbesserungen im Ausländer- und im Asylrecht sind immer wieder zu erwägen und auch zu prüfen. Auch hier wird es noch Veränderungen und Verbesserungen geben. (Elke Ferner [SPD]: Wovon träumen Sie denn nachts?) Dabei darf es aber nicht allein um die gefühlte gute Absicht gehen, sondern wir müssen immer auch die Folgen, die das für alle Beteiligten hat, im Blick haben. (Elke Ferner [SPD]: Aha!) In diesem Zusammenhang kann ich feststellen: Diese Regierungskoalition hat die Weichen für eine Kultur des Willkommens gestellt. (Beifall des Abg. Pascal Kober [FDP] – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wem denn? – Elke Ferner [SPD]: Weiß das Ihr Innenminister auch?) In der christlich-liberalen Koalition haben wir gemeinsam wichtige Weichenstellungen in der Zuwanderungs- und Integrationspolitik vorgenommen. (Aydan Özo?uz [SPD]: Da bin ich aber gespannt! Können Sie das mal ausführen?) Aber auch hier gilt: Fördern und Fordern gehören zusammen. Offenkundig passt das einigen aus dem Oppositionslager nicht. Aber wir haben in den vergangenen Tagen ja mehrfach gehört, wie die Oppositionsfraktionen sich einfach nur gegen das stellen, was die Koalition macht – unabhängig davon, ob die eigene Position kürzlich noch eine andere war. (Elke Ferner [SPD]: Wo denn? – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Mir kommen die Tränen!) Wir halten Wort. (Elke Ferner [SPD]: Das wäre etwas Neues!) Die christlich-liberale Koalition eröffnet Perspektiven für Menschen, die in unser Land gekommen sind. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Setzen Sie doch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts um!) Im Vergleich zu den Vorgängerregierungen schneidet diese Koalition auf diesem Politikfeld sehr gut ab. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wovon reden Sie? Reden Sie nicht über Zuwanderung, sondern über das Existenzminimum!) Wir haben die aufenthaltsrechtlichen Übermittlungspflichten öffentlicher Stellen geändert, um den Schul- und Kindergartenbesuch von Kindern zu gewährleisten. Wir haben die Residenzpflicht für Geduldete und Asylbewerber auf Bundesebene gelockert, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber nicht abgeschafft!) um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung oder Ausbildung zu erleichtern. „Bildung ermöglichen“ heißt hier das Stichwort, meine Damen und Herren. Wir haben die Stabilisierungszeit für Opfer von Menschenhandel auf drei Monate ausgedehnt – ein dringendes Petitum gerade von Opferverbänden und auch der Polizei. Wir haben es ermöglicht, dass Abschiebehäftlinge auf ihren Wunsch hin Nichtregierungsorganisationen hinzuziehen können. Zudem haben wir die Bedingungen für die Abschiebehaft signifikant verbessert. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Liebe Kollegen von den Grünen, wir haben erstmals ein eigenständiges Wiederkehr- und Rückkehrrecht für ausländische Opfer von Zwangsverheiratungen geschaffen und auch den eigenständigen Straftatbestand der Zwangsheirat eingeführt. Das ist aktiver Opferschutz und ein klarer Appell an unsere freiheitliche Werteordnung. (Beifall bei der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Bedingungen verschärft! Man muss sich noch länger -tyrannisieren lassen! Sehr christlich!) Im Gegensatz zu Rot-Grün, Frau Künast, gibt es dank dieser Koalition inzwischen eine dauerhafte bundesgesetzliche Bleiberechtsregelung. Erstmals wurde für minderjährige und heranwachsende geduldete Ausländer ein vom Aufenthaltsrecht der Eltern unabhängiges Bleiberecht in einem Bundesgesetz geschaffen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ja super!) Das nenne ich humanitäre Rechtssicherheit. Ich habe mich über die Einigung der Unionsinnenminister zu einer weiter gehenden ständigen Bleiberechtsregelung gefreut. Ich bin mir sicher, dass wir auch hier noch fruchtbare Gespräche führen werden. Wir hoffen auf die Konstruktivität der A-Länder, darauf, dass sie endlich aufhören, im Bundesrat zu blockieren, und sich bei der Bleiberechtsregelung konstruktiv einbringen. Nichts dergleichen hat seinerzeit die rot-grüne Koalition zustande gebracht. (Elke Ferner [SPD]: Warum reden Sie nicht zum Thema?) Die rot-grüne Regierung war bei diesen Themen geradezu inaktiv, obwohl sie im Grunde genommen schon damals akut waren. Frau Hiller-Ohm, das sollten Sie eigentlich wissen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hiller-Ohm? Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Frau Hiller-Ohm, Sie hatten gerade die Gelegenheit, Ihre Positionen darzustellen. Daher brauchen Sie jetzt keine Zwischenfrage zu stellen. – Dass Sie jetzt noch mehr fordern, obwohl Sie selber so inaktiv waren, wirft wirklich ein sehr schräges Bild auf Ihre damalige Regierungszeit und auch auf Ihre jetzige Lage. Die Landesregierungen mit rot-rot-grüner Beteiligung halten sich bei allen Forderungen, die Sie hier jetzt vortragen – das ist nicht wirklich überraschend –, bedeckt. Das, was Sie hier vortragen, hat keine wirkliche Rückkopplung. Die christlich-liberale Koalition hingegen tut etwas: Wir haben die Zuwanderung für Fachkräfte deutlich ra-tionaler gestaltet und die Verfahren entbürokratisiert. (Elke Ferner [SPD]: Was tun Sie denn beim Asylbewerberleistungsgesetz?) Wir werden alsbald auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz umsetzen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erzählen Sie schon seit zwei Jahren! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Wann denn?) Wir haben mit dem Bundesinnenminister schon erreicht, dass die Dauer der Asylverfahren deutlich verkürzt wird. Damit schaffen wir Klarheit für die Betroffenen. (Elke Ferner [SPD]: Was hat das jetzt mit den Leistungen zu tun?) Wir Liberalen haben uns immer dafür eingesetzt, dass jeder, der sich rechtmäßig in Deutschland aufhält, hier arbeiten und lernen kann. Je früher gearbeitet wird, je schneller gelernt werden kann, desto besser, solange keine Anreize für Asylmissbrauch geschaffen werden. (Thomas Oppermann [SPD]: Warum setzen Sie das nicht um?) Arbeit statt Stütze, liebe Kollegen von den Sozialdemokraten, also arbeiten zu dürfen, nicht zur Untätigkeit verdammt zu sein und nicht zahlungsabhängig zu sein, ist gerade für ein selbstbestimmtes Leben wichtig und kann zudem die Kostenträger entlasten. (Elke Ferner [SPD]: Lesen Sie doch mal unseren Antrag, bevor Sie hier so reden!) Diese Koalition hat gehandelt. Diese Koalition hat Deutschland mit Fördern und Fordern gerade in der Integrationspolitik vorangebracht. Deutschland verändert sich. Diese Bundesregierung gestaltet dies. Die Opposition hingegen macht nur wohlfeile Vorschläge. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kein Flüchtling kommt nach Deutschland ohne Not. Kein Flüchtling kommt aus Spaß hierher. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Flüchtlingsleben in Deutschland bedeutet Sammel-lager, die weit weg vom gesellschaftlichen Leben eingerichtet werden, keine Individualität, weil die Räume in der Regel überbelegt sind, keine Bildung, keine Arbeit und ein menschenunwürdiges Dasein mit Gutscheinen, zum Teil mit 1-Euro-Jobs oder ähnlichen Dingen. Ich meine, dass diese Schikane und diese Abschreckungs-politik gegenüber Flüchtlingen in Deutschland endlich aufhören müssen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hinsichtlich der Residenzpflicht gibt es eine Länderinitiative. Es gibt einige Bundesländer wie Brandenburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hessen und andere, die endlich dazu übergegangen sind, die Residenzpflicht wenigstens in den Ländern aufzuheben. (Beifall bei der LINKEN) Aber was heißt denn das? Wenn für Menschen in einem Land die Residenzpflicht besteht, müssen sie zur Behörde gehen und fragen, ob sie einen Verwandten in einem benachbarten Bundesland besuchen dürfen. Sie -haben einen unglaublichen Aufwand an Bürokratie usw. Selbst die Referatsleiter der Ausländerbehörden, die in der letzten Woche den Innenausschuss besucht haben, haben gesagt: Die Residenzpflicht führt vor allen Dingen zu Verwaltungsaufwand, zu Bürokratie, zur Beantwortung von Klagen usw. Sie sind der Meinung, sie gehört abgeschafft. Das sollte sich die Regierung einmal hinter die Ohren schreiben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man kann als Fazit sagen: Fachlich ist die Residenzpflicht überflüssig, politisch ist sie eine entwürdigende, diskriminierende Schikane der Schutzsuchenden. Sie gehört im Namen der Menschenwürde ersatzlos abgeschafft. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch 20 Jahre nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts gibt es in der Asylpolitik leider weitere Schikanen. Wir haben schon vom Asylbewerberleistungsgesetz gehört. Das Bundesverfassungsgericht hat im Sommer bestätigt, dass dieses Gesetz die Menschenwürde verletzt, weil es zu geringe Leistungen vorsieht. Das war für uns schon lange klar, aber die Regierung tat nichts. Frau Hiller-Ohm hat es eben schon angesprochen: Es gab eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vorlegen sollte. Auf Ihre Taten warten wir seit drei Jahren. Gestern ist uns das letzte Ergebnis mitgeteilt worden. Es lautet: Ein abschließendes Eckpunktepapier ist wieder nicht beschlossen worden. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das ist unmöglich!) Meine Damen und Herren von der Regierung, ich bin der Meinung: Das, was Sie sich hier leisten, ist eine unglaubliche Ignoranz gegenüber den Asylbewerbern und durch nichts mehr zu überbieten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Bundesinnenminister hat sogar angekündigt, gegen das Urteil des Verfassungsgerichts zu verstoßen. Das Verfassungsgericht hat gesagt: Auch migrationspolitische Erwägungen … können … kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Herr Friedrich fordert dagegen, Asylbewerbern aus vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten das Taschengeld komplett zu streichen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Pfui!) – Genau. – Dieses Geld brauchen sie aber, um ihr soziokulturelles Existenzminimum zu decken. Aus diesem perfiden Grund wollen Sie hier wieder erneut Abschreckungspolitik betreiben. Dabei nehmen Sie sogar in Kauf – und das mit Ansage –, Verfassungsbruch zu begehen. Ich kann Sie hier nur auffordern, von diesen populistischen Plänen endlich Abstand zu nehmen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und das vom Verfassungsminister! Das ist eine Schande!) Eine weitere Schikane ist zum Beispiel das Arbeitsverbot. Die EU-Kommission sagt immerhin: Asylbewerber sollen nach einem halben Jahr Aufenthalt arbeiten gehen dürfen. Auch das macht Deutschland nicht mit. Durch die Regelung eines nachrangigen Zugangs zum Arbeitsmarkt und die Residenzpflicht wird diesen Menschen praktisch keine Chance gegeben, eine Arbeit zu finden. Sie bleiben von Sozialleistungen abhängig, und das wird ihnen dann wieder vorgehalten, wenn sie ein Bleiberecht beantragen. So kann es meiner Meinung nach nicht gehen. (Beifall bei der LINKEN) Gerade bei den sogenannten Geduldeten führen die Rechtslage und die Praxis immer wieder zu regelrechten Familientragödien. Familien, die seit Jahren in Deutschland leben und sich trotz aller Widrigkeiten ein Zuhause geschaffen haben, müssen in ständiger Angst leben, mitten in der Nacht von einem Polizeiaufgebot aus den Betten gerissen und 30 Minuten später, nachdem sie ihre Sachen gepackt haben, zum Flughafen gebracht zu werden. Besonders Kinder werden durch diese Art und Weise der Abschiebepraxis traumatisiert. Ich will hier ganz deutlich sagen: Das findet nicht nur in CDU- und CSU-regierten Ländern und unter Beteiligung der FDP, sondern leider auch in SPD-regierten Ländern statt. Das ist wirklich ein Skandal! (Beifall bei der LINKEN) Deswegen fordert die Linke ein humanitäres Bleiberecht und kein bürokratisches Bleiberecht, wie wir es bislang haben. Das Verfassungsgericht hat verboten, dass die Menschenwürde zum Zweck der Flüchtlingsabschreckung unterlaufen wird. Das Regime der Schikanen und der systematischen Ausgrenzung gegenüber Flüchtlingen muss jetzt ein für alle Mal beendet werden. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, kommen wir noch einmal zu den Fakten; denn die Presse und die Bundesregierung sprechen in der Öffentlichkeit gerne sehr unsachlich über die Zahlen. Zweifellos gibt es in diesem Jahr mehr Flüchtlinge: Im Jahr 2003 sind knapp 20 000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, 2010 waren es 41 000, und 2011 waren es 45 000 Flüchtlinge. Die Zahlen steigen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Dieses Jahr werden es 70 000 sein!) Aber erstens steigen sie nicht dramatisch, Herr Grindel, und zweitens steigen die Zahlen bei den Asylanträgen insgesamt. Das hat auch etwas mit Ihrer Politik zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Dieser leichte Anstieg ist zum Großteil hausgemacht, nicht weil Flüchtlinge das Asylrecht missbrauchen, sondern weil der Westen immer mehr Fluchtgründe schafft. Die Flüchtlinge kommen zum Beispiel aus dem Balkan, aus Afghanistan, aus dem Irak. Diese Herkunftsländer der Flüchtlinge waren vom sogenannten Krieg gegen den Terror am stärksten betroffen. Ich erinnere an das Gespräch mit Flüchtlingen vorige Woche, in dem ein Flüchtling gesagt hat: Ich bin ein Produkt eurer Politik, auf unser Land fallen NATO-Bomben. – Das gilt übrigens für viele Flüchtlinge. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Deswegen kommen sie ausgerechnet nach Deutschland?) Von dort, wo Kriege geführt werden, kommen auch Flüchtlinge. Kriege sind Fluchtursachen, die Sie mit schaffen, Herr Grindel. (Beifall bei der LINKEN) Die reichen Staaten beuten die sogenannte Dritte Welt aus, halten sie in Armut und Abhängigkeit, und natürlich kommen von dort Flüchtlinge. Die ODA-Quote, der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttonationaleinkommen – wir haben es letzte Woche hier im Bundestag diskutiert –, wird nicht, wie vereinbart, auf 0,7 Prozent erhöht, sondern die Mittel sind wieder einmal gesenkt worden, und damit liegt die Quote unter 0,4 Prozent. Ihre Entwicklungspolitik ist einfach ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Also, wundern Sie sich nicht, wenn Flüchtlinge kommen. Sie, meine Damen und Herren, tragen dazu bei, Fluchtursachen zu schaffen, statt sie abzustellen. Das ist eine ewige Debatte hier im Haus; es passiert nichts. Solange Sie Panzer und Maschinenpistolen exportieren und eine entsprechende Politik betreiben – davon können wir immer wieder in den Zeitungen lesen –, haben Sie kein Recht, Flüchtlinge zu Kriminellen zu erklären. Es ist wirklich ein Skandal, dass das hier überhaupt versucht wird. (Beifall bei der LINKEN) Ganz nebenbei: Deutschland ist bei weitem nicht das Land, das am meisten Flüchtlinge aufnimmt. In Deutschland kommen auf 100 000 Einwohner 65 Flüchtlinge. In Schweden sind es schon 315 Flüchtlinge; in Malta, Zypern und Luxemburg sind es schon 450. Auch Italien und Griechenland nehmen, bezogen auf die Bevölkerung, mehr Flüchtlinge auf als Deutschland. Das heißt, wer behauptet, das Boot sei voll, redet meines Erachtens Unsinn. (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Wer behauptet das denn? Das ist doch veraltet!) Wir werden vielmehr in die Pflicht genommen werden, in Europa solidarische Hilfe zu organisieren, eine vernünftige Umverteilungspolitik zu machen, was die Flüchtlingsprobleme angeht, und vor allen Dingen die Ursachen zu bekämpfen. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zur aktuellen Debatte zum Asylmissbrauch – hierzu sind schon einige Punkte genannt worden –: Das Problem sind nicht die Asylbewerber, wie bestimmte Politiker behaupten, um damit ganz gezielt Ängste zu schüren und bestimmte Vorurteile zu bestätigen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz sagte Bundesinnenminister Friedrich: Das wird dazu führen, dass die Asylbewerber-Zahlen noch weiter steigen, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da hat er recht gehabt!) denn es wird für Wirtschaftsflüchtlinge noch attraktiver zu uns zu kommen, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da hat er auch recht!) und mit Bargeld wieder abzureisen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da hat er auch recht! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Er hat nicht recht!) Ihr Innenminister Schünemann aus Niedersachsen legte noch eins drauf: Das ist klarer Asylmissbrauch. Ganze Dörfer kommen … Ich darf Ihnen etwas verraten, was Ihnen bestimmt nicht gut gefallen wird: Mit diesen Zitaten – Sie sehen es hier auf diesem Flugblatt – warb die NPD für den 9. November zu einem Fackelmarsch gegen Asylmissbrauch und nutzte Ihre Stellungnahmen, (Zuruf von der LINKEN: Pfui!) um das rechte Potenzial zu mobilisieren. Ich kann dazu nur sagen: Kommen Sie zu einer sachlichen Debatte zurück, und hören Sie auf mit dieser puren Stimmungs-mache, die Sie seit Wochen betreiben. Sie liefern damit den Neofaschisten die Munition für rassistische Hetze. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und das vom Verfassungsminister! Unglaublich! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist doch unglaublich! Eine Frechheit!) Was sich hier anbahnt – darauf hatten schon einige hingewiesen –, ist im Grunde genommen eine Neuauflage des Szenarios von 1992. Es werden Ängste geschürt. Es wird mit Unterstellungen gearbeitet. Es wird gehetzt. Damals brannten am Ende die Wohnheime für Asylbewerber. Meine Damen und Herren, wir müssen alles tun, damit das nicht wieder geschieht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Linke sagt auch deswegen ganz klar, dass das Asylrecht reformiert werden muss. Gerade zu dem Beispiel Roma kann ich jetzt keine weiteren Ausführungen machen – Frau Beck hat es aber schon gesagt –, aber so viel: Sie sind nicht einfach Wirtschaftsflüchtlinge, wie Sie das hier darstellen wollen. Die EU, die UN, der Europarat sprechen von massiver Diskriminierung. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist Quatsch!) Ich will Sie daran erinnern, dass die Flüchtlinge, die zurzeit aus dem Balkan kommen, zur Hälfte Kinder sind – Kinder und ganze Familien! Zum Schluss möchte ich sagen, dass die Linke mit den vorliegenden Anträgen zum Asylbewerberleistungsgesetz und zur Residenzpflicht die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezogen hat. Beides gehört sofort abgeschafft! (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen die Würde der Asylsuchenden genauso schützen, wie wir die Würde aller Menschen in der Bundesrepublik schützen wollen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ja. Eine wichtige Besonderheit in unseren Anträgen ist – ansonsten werden wir allen Anträgen zustimmen –: Wir wollen auf die Wohnortzuweisung verzichten. Unserer Meinung nach ist es wichtig, für Flüchtlinge Wohnungen und keine Lager zu schaffen. Es gibt ja das Meldegesetz; sie sind erreichbar. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin! Ulla Jelpke (DIE LINKE): Es ist nicht nötig, dass wir diese Einschränkung haben. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen! Mit Ihren Anträgen fordern Sie – das haben Sie in den Reden auch deutlich gemacht – faktisch die Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes. (Beifall bei der LINKEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja! Sehr richtig!) – Da können Sie ruhig schon einmal klatschen, das passt schon. Das Klatschen wird Ihnen gleich vergehen. Zunächst ist es in dieser Diskussion erforderlich, dass man auf den Tatbestand schaut, auf Art. 16 a unseres Grundgesetzes. Darin steht, dass politisch Verfolgte Asyl genießen. Das heißt aber auch – auch das haben die Väter unseres Grundgesetzes bedacht –, dass nicht politisch Verfolgte keinen Anspruch auf Asyl haben. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Art. 1 des Grundgesetzes ist interessanter! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das haben Sie eingeführt in den 90er-Jahren, vergessen Sie das nicht! – Weiterer Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Liebe Frau Künast, in unserem Grundgesetz steht nichts von Diskriminierung. Da muss man die Kirche etwas im Dorf lassen – im wahrsten Sinne des Wortes – und sagen: Es kann auch nicht sein, wie Sie am Ende -Ihrer Rede ausgeführt haben, Frau Künast, dass die Menschen berufstätig sein oder einen Beruf erlernen sollen, weil sie ohnehin später bei uns arbeiten werden. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt!) Unser Asylrecht geht davon aus, dass die Prüfung zeitnah stattfindet – da ist sicher noch Luft drin, da kann man sicher noch manches verbessern –, dass aber diejenigen, die keinen Anspruch auf politisches Asyl haben, tatsächlich auch wieder zurückgeschickt werden müssen. (Elke Ferner [SPD]: Was ist, wenn es Abschiebehindernisse gibt?) – Ja, dass sie abgeschoben werden müssen. Frau Jelpke, wenn Sie, wie Sie ausführen, ein dauerhaftes Bleiberecht einführen wollen, würde das – auch das muss man den Leuten klar sagen – in der Konsequenz dazu führen, dass wir die Zuwanderung über das Asylrecht regeln. Das kann doch niemand ernsthaft wollen. Das ist doch nicht der richtige Ansatz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte ganz klar betonen, dass wir dem aus Art. 16 a des Grundgesetzes folgenden Grundrecht auf Asyl für Menschen, die aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen verfolgt werden, gerecht werden. Menschen, die unseren Schutz wirklich brauchen, können sich darauf verlassen, dass ihnen bei uns geholfen wird. Das war so in der Vergangenheit, und das wird auch in Zukunft so sein. Im europaweiten Vergleich steht Deutschland bei den Asylanträgen ganz vorn an erster Stelle. In den vergangenen Jahren haben wir immer mehr Asylsuchende aufgenommen. Sie wissen, dass sie sich bei uns auf den Rechtsstaat verlassen können, anders als in vielen ihrer Herkunftsländer. Das Asylbewerberleistungsgesetz stellt für die Asylsuchenden in jedem Fall ein menschenwürdiges Dasein sicher. (Zuruf der Abg. Kornelia Möller [DIE LINKE]) Der notwendige Lebensbedarf einschließlich der Unterbringung, erforderlicher medizinischer Behandlungen sowie etwaiger persönlicher Bedürfnisse wie denen von Kindern wird befriedigt. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Haben Sie schon mal mit Flüchtlingen gesprochen?) Aber das verfassungsrechtlich garantierte Asylrecht soll weder wirtschaftliche noch soziale Unterschiede ausgleichen – das kann es nicht – und somit auch keine Inanspruchnahme aus wirtschaftlichen Erwägungen fördern – auch die muss angesprochen werden –, sondern es soll umfassenden Schutz vor Verfolgung jeglicher Art bieten. Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde im Jahr 1992 von den Fraktionen CDU/CSU und FDP sowie SPD gemeinsam verabschiedet, da im besagten Jahr 95 Prozent der Asylsuchenden überhaupt nicht politisch verfolgt waren, sondern andere, häufig auch wirtschaftliche Beweggründe für den Aufenthaltswunsch in Deutschland ausschlaggebend waren. Diesem somit in vielen Fällen bestehenden Missbrauch des Asylrechts mussten und müssen wir entgegentreten. Die Zahl der Asylbewerber aus Mazedonien und Serbien beispielsweise – es wurde bereits darauf hingewiesen – steigt seit einiger Zeit sprunghaft an. Zusammenhänge mit der seit 2009 erfolgten Visaliberalisierung und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli dieses Jahres sind nicht von der Hand zu weisen, zumal die Anerkennungsquote in diesem Bereich nahe null liegt, da diese Menschen gerade nicht politisch verfolgt werden. Ich will nicht verkennen, liebe Frau Künast, dass die Lebensverhältnisse in vielen Herkunftsregionen unter hygienischen, gesundheitlichen wie auch unter beschäftigungspolitischen Aspekten schlicht nicht hinnehmbar sind. Es müssten die Probleme indes in den Herkunftsländern gelöst werden. Die Lage in den Asylbewerberunterkünften ist angespannt und stellt die Kommunen vor eine große Belastungsprobe. Diese Entwicklung gibt Anlass zur Sorge. Wir von der christlich-liberalen Koalition wollen ein zügiges und effizientes Asylverfahren gewährleisten, (Elke Ferner [SPD]: Was verstehen Sie unter „zügig“? – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Was verstehen Sie unter „christlich-liberal“? Das ist die Frage!) das zu sachgerechten Entscheidungen führt. Dies ist im Sinne der Asylsuchenden selbst und berücksichtigt gleichzeitig auch die Bereitschaft der Bevölkerung in Deutschland zur Aufnahme. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Daher sage ich ganz deutlich, dass zu einer erfolgreichen Integrationspolitik der unionsgeführten Bundesregierung als wichtige Bausteine die Residenzpflicht und das Sachleistungsprinzip gehören, was in den Verantwortungsbereich der Länder gehört. Die Residenzpflicht – das wurde bereits von einigen Vorrederinnen und Vorrednern kritisiert – ist mitnichten eine Schikane der Asylsuchenden, wie Sie es hier darzustellen versuchen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch! Sehr wohl!) Sie dient vielmehr der Beschleunigung des Asylverfahrens und entlastet zeitgleich die Kommunen. Mit der von Ihnen geforderten Aufhebung der Residenzpflicht würden Sie nicht nur die ohnehin schon angespannte Lage in den Unterkünften vor Ort in den Kommunen verschärfen, sondern auch die dringend benötigte Verkürzung des Asylverfahrens beeinträchtigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollen sie in Sammelunterkünften verschimmeln?) Im Gegenteil: Sie würden sogar die Aufnahme verlangsamen. Denn eine problemlose Erreichbarkeit ist Grundvoraussetzung für ein zügiges und effektives Verfahren. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass wir im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II von den Leistungsempfängern fordern, dass sie erreichbar sind. Nichts anderes kann daher nach meiner Meinung auch für Asylsuchende gelten. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die dürfen aber am Wochenende in die Nachbarstadt fahren!) Zudem wurde die Residenzpflicht in der Vergangenheit bereits an verschiedenen Stellen – der Kollege Wolff hat schon darauf hingewiesen –, zum Beispiel in den Bereichen Beschäftigung, Ausbildung und Schulbesuch, gelockert. Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Linken und den Grünen, Sie sollten daher bei Ihren Anträgen die Realität nicht aus den Augen verlieren und kein Szenario an die Wand malen, das überhaupt nicht existiert. Der Antrag der SPD, der eine Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vorsieht, enthält sicherlich das eine oder andere Erwägenswerte, insbesondere zu Bildung bzw. frühkindlicher Bildung und zu Sprachkursen. Das sollten wir uns genau anschauen, um zu sehen, wie wir Verbesserungen insbesondere für die bei uns lebenden Asylbewerberkinder erreichen können. Denn es soll kein Nachteil sein, wenn ein Asylbewerberkind bei uns Deutsch lernt – selbst in dem Fall, dass seine Eltern abgeschoben werden und es wieder in sein Herkunftsland zurück muss. Im Bereich Bildung bin ich also gerne gesprächs-offen, (Elke Ferner [SPD]: Das wäre ja mal sehr spannend!) im Übrigen auch bei den Gutscheinen und bei Gutscheinlösungen, die in die Zuständigkeit der Länder fallen. Auch da ist schon einiges passiert. Im Übrigen – Sie haben vorhin danach gefragt, Frau Ferner – arbeitet die Bundesregierung derzeit mit Hochdruck an einem Gesetzentwurf, (Elke Ferner [SPD]: Wenn das Hochdruck ist, dann fragt man sich, was Langsamkeit ist! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Drei Jahre!) um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, auf die Sie schwerpunktmäßig Ihren Antrag stützen, zügig umzusetzen und für den Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes eine Neuregelung zu treffen. Die Diskussion wird mit großer Aufmerksamkeit von unserer Bundesarbeitsministerin verfolgt. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Aber Sie sollen handeln!) Sie sieht den dringenden Handlungsbedarf natürlich auch, liebe Frau Ferner. Wir werden das in der von der christlich-liberalen Koalition gewohnten Zügigkeit und Gründlichkeit – auch hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit – auf den Weg bringen (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Drei Jahre sind aber eine lange Zeit!) und ein ordentliches Asylbewerberleistungsgesetz hinbekommen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Elke Ferner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Elke Ferner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Spätestens nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen im Frühjahr 2010 hätte es der Bundesregierung klar sein müssen, dass auch das Asylbewerberleistungsgesetz einer Überprüfung durch das Verfassungsgericht nicht standhalten wird. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber lesen alleine reicht nicht! Man muss auch verstehen!) Dafür, Frau von der Leyen, brauchte man keine Hell-seherin zu sein. Sie haben bisher aber nichts getan, nichts nach dem Verfassungsgerichtsurteil von 2010, nichts bis zum Verfassungsgerichtsurteil 2012 und auch danach nichts. Das Verfassungsgericht hat offenbar eine Ahnung von der Geschwindigkeit und dem – wie sagten Sie, Herr Lehrieder? – Hochdruck, mit dem diese Bundesregierung arbeitet. Denn es hat vorsorglich verfügt, dass es Übergangsregelungen gibt, und klar Recht angeordnet, weil es weiß, dass die christlich-liberale Bundesregierung es nicht so eilig hat, wenn es um die Achtung der Menschenwürde geht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ach, Frau Ferner! Das stimmt doch nicht!) Wir haben vom Verfassungsgericht eine klare Regelung vorgegeben bekommen. Alle Leistungsberechtigten, die bisher Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsrecht bekommen haben, erhalten jetzt Leistungen nach dem SGB II bzw. nach dem SGB XII. Das Verfassungsgericht hat sogar für die nicht rechtskräftigen Bescheide eine Rückwirkung zum Januar 2011 verfügt. Das ist einmalig. Frau von der Leyen, so etwas kann man nur als ordentliche Klatsche bezeichnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch die Leitsätze des Verfassungsgerichts lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die Würde des Menschen ist nicht nur unantastbar; sie ist auch nicht teilbar, weder nach Nationalitäten, weder nach Aufenthaltsstatus noch nach Dauer des Aufenthaltes. Die Höhe des menschenwürdigen Existenzminimums darf nicht evident unzureichend sein und muss realitätsgerecht in einem transparenten und sachgerechten Verfahren bestimmt werden. Da Sie damit schon bei der Festsetzung der Regelsätze nach dem SGB II Probleme hatten, frage ich mich, wie Sie ein Verfahren für nur 150 000 Leistungsberechtigte hinbekommen wollen. Da sind wir gespannt. Wichtig ist auch, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: Wenn für unterschiedliche Personengruppen unterschiedliche Methoden für die Feststellung des Bedarfs angewandt werden, muss dies sachlich begründet sein. Das Existenzniveau muss sich an den hiesigen Lebensverhältnissen orientieren und nicht an denen des Herkunftslandes. Das Verfassungsgericht sagt weiter: Das menschenwürdige Existenzminimum umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Das sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes einheitlich zu sichernde Bedarfe. Das Ob und das Wie der Festsetzung eines geringeren Bedarfs bei existenznotwendigen Leistungen für Menschen mit einem vorübergehenden Aufenthaltsrecht in Deutschland hängt allein davon ab, ob wegen eines kurzfristigen Aufenthaltes konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern und Personen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden können. Das Verfassungsgericht sagt auch ganz klar, dass diese Minderbedarfe dann nicht mehr gerechtfertigt sind, wenn der tatsächliche Aufenthalt länger dauert. Wie lange die Aufenthaltsdauer ist, wissen Sie besser als ich. Insofern braucht man diesen klaren Ansagen des Bundesverfassungsgerichtes nichts hinzuzufügen. Man fragt sich natürlich: Warum handelt diese Regierung nicht? Warum verstecken Sie sich hinter Nichtstun? Es ist wahrscheinlich wie immer, dass sich die schwarz-gelbe Koalition nicht auf eine gemeinsame Position verständigen kann. Dann ist es Ihnen auch relativ egal, ob das Grundgesetz und die Grundrechte damit mit Füßen getreten werden. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: So ist das!) Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde – Herr Lehrieder, das ist richtig – 1993 im Rahmen der Reform der Asylgesetzgebung eingeführt – auch mit unseren Stimmen; mit meiner persönlichen nicht, aber die Mehrheit meiner Fraktion hat damals zugestimmt. Allerdings ist es auch richtig, dass der von der Union und der FDP damals eingebrachte Gesetzentwurf zunächst einen unbefristeten Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehen hat und es auf unsere Intervention zunächst auf zwölf Monate begrenzt wurde. Dann haben 1997 CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der SPD-Bundestagsfraktion beschlossen, dass der Betroffenenkreis ausgeweitet wird und dass die für eine Dauer von drei Jahren eingeführte Kürzung der Sachleistungen und die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften sogar unbefristet vorgenommen werden können. 2007 – da waren wir leider auch mit dabei – ist diese Regelung auf Ihren Wunsch von 36 auf 48 Monate ausgeweitet worden. Wir haben nur deshalb mitgemacht, weil im Gegenzug Verbesserungen bei Altfallregelungen und der Erteilung von Arbeitserlaubnissen erzielt wurden. Ich bin froh, dass das Bundesverfassungsgericht die Leitplanken in diesem Jahr ganz klar beschrieben hat. Ich bin auch froh, dass es künftig nicht mehr möglich ist, die Bezugsdauer der Verfahrensdauer anzupassen und eine Sozialleistung, die das Existenzminimum absichert, nahezu 20 Jahre unangepasst zu lassen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben in unserem Antrag die Vorgaben des Verfassungsgerichtes aufgegriffen. Wir fordern die Bundesregierung auf, dass die Leistungen nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes neu ermittelt werden. Wir warten auf die Vorlagen. Wir fordern, dass Kinder bis zur Volljährigkeit aus dem reduzierten Leistungsbezug auszunehmen sind. Die Kinder können am wenigsten dazu, dass sich ihre Eltern, aus welchen Gründen auch immer, auf die Reise in ein fremdes Land gemacht haben. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist wahr!) Wir wollen, dass alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen Rechtsanspruch auf die Bedarfe von Bildung und Teilhabe bekommen. Ich finde – Herr Lehrieder hat das ja schon angedeutet, und ich hoffe, dass das auch eine Mehrheitsmeinung in Ihrer Fraktion ist –, dass zumindest für Kinder und Jugendliche das -Gebot der christlichen Nächstenliebe ausreichen sollte, um ihnen eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe zu gewähren. (Beifall bei der SPD) Wir wollen die medizinische Versorgung sicherstellen – das betrifft auch die psychologische Behandlung von durch Vergewaltigung oder durch schwere Gewalttaten traumatisierten Flüchtlingen –, und wir wollen den Kreis – Frau Kollegin Hiller-Ohm hat das eben gesagt – der Leistungsempfänger auf den ursprünglichen Kreis der-jenigen, die um Asyl nachsuchen, eingrenzen und -beschränken. Außerdem wollen wir die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften nicht mehr zur Regel, sondern zur Ausnahme machen. Schließlich wollen wir den Arbeitsmarktzugang erleichtern, weil es in der Tat besser ist, dass sich die Menschen durch ihrer Hände -Arbeit ernähren können statt durch eine soziale Trans-ferleistung. (Beifall bei der SPD) Im Übrigen, Frau von der Leyen, wollen wir auch die Bezugsdauer auf zwölf Monate begrenzen. Ich finde, es ist ziemlich peinlich, dass alle Oppositionsfraktionen eigene Vorschläge machen, während sich die Regierung mal wieder in die Büsche schlägt. Ich kann Ihnen nur zurufen: Wenn Sie nicht regieren -können, dann hören Sie einfach auf, so zu tun, als wenn Sie regieren würden. Lassen Sie es bleiben. Ab dem Herbst nächsten Jahres wird das sowieso nicht mehr der Fall sein. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Pascal Kober für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Guter Mann!) Pascal Kober (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden am heutigen Vormittag in der Kernzeitdebatte über das Asylbewerberleistungsgesetz. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch gut so!) Ich glaube, dies ist eine gute Gelegenheit, noch einmal dankbar festzustellen, dass wir alle, die wir hier sitzen, in einer Zeit leben, in der es glücklicherweise keine Gründe gibt, ins Ausland zu gehen, um Asyl zu beantragen, weil es politische Verfolgung, rassische Verfolgung oder religiöse Verfolgung in Deutschland gäbe. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Es gibt aber eine historische Verantwortung Deutschlands!) Das sollte uns alle verbinden, und dafür sollten wir dankbar sein. Das war nicht immer so in Deutschland. Ich glaube, wir sind auch dankbar für jeden Einzelnen, der aus Deutschland hat fliehen müssen und der in einem anderen Land Aufnahme gefunden hat. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deshalb ist das Asylbewerberleistungsrecht ein sensibles Thema. Es eignet sich auch nicht für pauschale Vorwürfe, vereinfachte Betrachtungen oder parteipolitische Profilierung, (Elke Ferner [SPD]: Dann lesen Sie doch mal die Zeitungen von 1993!) auch deshalb nicht, Frau Ferner, weil Sie ebenso wie wir alle – mit Ausnahme der Linken, die glücklicherweise noch nie Gestaltungsmöglichkeiten auf Bundesebene hatten – an der Gesetzgebung, so wie sie gegenwärtig vorliegt, aktiv beteiligt waren und wir alle den jetzigen Zustand zu verantworten haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Danke für die Klarstellung! – Elke Ferner [SPD]: Ich habe das Asylbewerberleistungsgesetz damals abgelehnt!) Zur Wahrheit, liebe Frau Ferner und liebe Grüne, gehört doch auch, dass es diese Bundesarbeitsministerin Frau Dr. Ursula von der Leyen war, die mit Unterstützung dieser Regierungskoalition schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aktiv auf die Länder -zugegangen ist, (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Aber es ist nichts dabei rausgekommen! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nichts auf den Weg gebracht!) um mit ihnen eine Neuordnung des Asylbewerberleistungsgesetzes auf den Weg zu bringen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Hört! Hört! So sehen Sie in den Ländern aus!) Es ist ein Ausweis von Fairness dieser Bundesarbeits-ministerin und dieser Regierungskoalition, dass wir das Gespräch mit den Ländern vorab gesucht haben; denn es ist ja beim Asylbewerberleistungsgesetz so: Der Bund beschließt, die Kommunen zahlen. Es ist ein Ausweis von Fairness, das Gespräch mit den Ländern zu suchen, um gemeinsam zu einer Regelung zu kommen. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Natürlich! Aber man muss zu Ergebnissen kommen! – Elke Ferner [SPD]: Was ist denn Ihr Vorschlag?) Mir ist nicht zu Ohren gekommen, Frau Ferner, dass -ausgerechnet die Roten und die Grünen in den Ländern, in denen sie Verantwortung tragen, versucht hätten, die Gespräche durch konstruktives Mitwirken an Geschwindigkeit zu befördern und einer Lösung zuzuführen. (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Hört! Hört!) Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, und wir als Regierungskoalition haben klargestellt, dass wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeitnah umsetzen werden. (Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD] – Aydan Özo?uz [SPD]: Was ist denn zeitnah?) Frau Ferner, der Unterschied zwischen dieser Regierungskoalition mit dieser Bundesarbeitsministerin und Vorgängerregierungen ist allerdings, dass wir die Dinge gründlich tun. (Elke Ferner [SPD]: Für die Regelsätze haben Sie über ein Jahr gebraucht!) Gerade wenn es um Verfassungsgerichtsurteile und verfassungsrelevante Fragen geht, ist es notwendig, dass man intensiv darüber berät (Elke Ferner [SPD]: Wir können ja Wetten darüber abschließen, wann Sie eine Vorlage machen!) und eine Lösung zustande bringt, die nicht wenige -Wochen oder Monate später wieder vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird. (Elke Ferner [SPD]: Ach!) Sie, liebe Frau Ferner, erinnern sich doch ganz besonders gut an die Debatte um das Arbeitslosengeld II. Auch dazu gab es ein Bundesverfassungsgerichtsurteil, und auch damals haben Sie immer auf Geschwindigkeit gedrängt. (Elke Ferner [SPD]: Und wie lange hat es gedauert, bis Sie was vorgelegt haben? Mehr als ein halbes Jahr!) Wir haben gesagt: Hierüber muss man lange und klug beraten, damit man kein Risiko eingeht und dem Willen des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird. Tatsache ist, dass bisher noch kein Gericht in Deutschland die Lösung, die wir gefunden haben, kritisiert hat. Diese Lösung wurde allerseits begrüßt. Auch das ist Zeichen einer guten Regierungspolitik – wie diese Regierungskoalition sie zu leisten in der Lage ist –, nämlich dass wir uns ausreichend Zeit nehmen, dann aber auch zu substanziellen Lösungen kommen, die Bestand haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Klar ist – wir sind dem Bundesverfassungsgericht dankbar, dass es das klargestellt hat –, dass das Asylrecht ein Grundrecht ist und nicht durch migrationspolitische Erwägungen relativiert werden darf. Das war auch nie die Absicht dieser Bundesregierung. Dem werden wir uns selbstverständlich verpflichtet fühlen. Wir werden in Kürze Regelsätze zu Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vorlegen, die trans-parent und nachvollziehbar berechnet sind und die jeder Debatte und jeder Diskussion standhalten werden. Diese Regelsätze werden hier beraten werden. Sie werden -sehen, dass das, was wir Ihnen vorlegen werden, in der Sache überzeugend sein wird. (Aydan Özo?uz [SPD]: Überzeugender wäre es gewesen, sie jetzt schon zu haben!) Wichtig ist aber auch – auch dazu bekennt sich diese Bundesregierung –, dass die Gewährung von Asyl immer nur die zweite Wahl ist, wenn Sie so wollen. -Entscheidend ist vielmehr, dass wir die Situation der Menschen in ihren Heimatländern so gut wie möglich verbessern. (Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Auch da hat diese Bundesregierung mit Außenminister Guido Westerwelle und Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel entscheidende Wegmarken gesetzt. Sie hat die Entwicklungszusammenarbeit gerade unter -Menschenrechtsgesichtspunkten neu gestaltet und neu ausgerichtet (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und -gekürzt!) und ist in einer Weise für die Menschenrechte in dieser Welt verantwortlich tätig, wie es bisher jedenfalls nicht der Fall war. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir werden im Zuge der Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes auch über den Arbeitsmarktzugang sprechen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass auf der europäischen Ebene eine Frist von neun Monaten im Grunde schon konsentiert ist. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Staatsministerin Frau Böhmer sich auch eine kürzere Frist beim Arbeitsmarktzugang vorstellen kann. Wir werden das in der Koalition diskutieren und dann eine Lösung vorschlagen, die allen Beteiligten gerecht wird. (Elke Ferner [SPD]: Viel Spaß bei Ihrem -Innenminister!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind hier auf einem guten Weg, so wie es diese Bundesregierung in allen politischen Fragen ist. (Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden diese Regierungskoalition in Ruhe und mit der notwendigen Sachlichkeit zu Ende bringen und ab September auch wieder die Regierung stellen und die gute Arbeit fortsetzen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt viel zu tun!) – Lieber Herr Trittin, dass Sie sich jetzt plötzlich zu Wort melden, zeigt doch, dass Sie nervös werden. Das freut mich. Wir machen eine gute Politik, Herr Trittin. (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie werden noch länger von der Opposition aus zuschauen. Vielen Dank. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir hier von den Rednern der Regierungsfraktionen hören, offenbart ein wirklich historisches Ausmaß von Verletzungen von Rechtstreue und von Ignoranz gegenüber dem Bundesverfassungsgericht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Dieses Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz ist von einer Klarheit, wie man sie nur selten antreffen kann. (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Das war außerordentlich gut!) Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Die Leistungen sind evident unzureichend. Es hat sofortigen Handlungsbedarf angemeldet. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig klargestellt, dass die Grundaussage unserer Verfassung: „Die Menschenwürde ist unantastbar“ für den gesamten Geltungsbereich des Grundgesetzes gilt. Das ist die entscheidende Rechtsgrundlage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Dass Sie, Herr Lehrieder, hier wiederum mit dem Asylrecht aus Art. 16 Grundgesetz als Grundsatz argumentieren, dass die Zwischenrufe von den Innenpolitikern der Union – ich habe sie gehört – einfach ignorieren, dass migrationspolitische Gründe für die Bemessung des Existenzminimums keine Grundlage sein dürfen – es ist wirklich unerhört, wie Sie mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umgehen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich sind unsere Länder tätig geworden. Die rot-grün regierten Länder haben einen Antrag zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes in den Bundesrat eingebracht. Daraus kann man Sätze zitieren, denen -eigentlich nichts hinzuzufügen ist – ein entsprechender Entschließungsantrag wird nachher zur namentlichen Abstimmung stehen –: Auch wenn sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts … in erster Linie zur Verfassungsgemäßheit der Höhe der Grundleistungssätze geäußert hat, lassen die Hinweise des Bundesverfassungsgerichts nur den Schluss zu, dass die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes überfällig ist … Vorher heißt es: Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung -außerhalb der Sozialgesetzbücher für Leistungen an Asylbewerber … besteht nicht mehr. Wir reden hier nicht nur über Asylbewerber, die Bürgerkriegsflüchtlinge sind. Wir reden über Geduldete, bei denen es handfeste Abschiebehindernisse gibt. Wir -reden über einen großen Kreis von Personen, deren Menschenwürde Sie durch das fortgesetzte Ignorieren des Verfassungsgerichtsurteils herabsetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Aydan Özo?uz [SPD]) Über eine Sache müssen wir hier noch einmal reden; ich kann Ihnen diesen wichtigen Punkt nicht ersparen: Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen, haben keinen Zugang zu unserem Gesundheitssystem. Nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen gibt es Hilfe. Konkret heißt das: keine Prävention, keine Untersuchungen; es muss schon so schlimm sein, dass ein Krankenwagen kommt. Dann erst gibt es Hilfe. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Skandal!) Überlegen Sie einmal, welche Situationen in Ihrem -Leben bei einer solchen medizinischen Versorgung ganz anders hätten ausgehen können. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist alles sehr christlich!) Vielleicht hätten dann einige gute Chancen, diese -Debatte aus dem Jenseits zu betrachten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es das gibt! Ja!) Besonders unmenschlich ist, dass die Bundesregierung die sogenannte EU-Aufnahmerichtlinie bewusst nicht umsetzt. Auch deshalb wird von physischer, -psychischer oder sexueller Gewalt Betroffenen kein Therapieanspruch garantiert; es soll ihn nur geben. Die Menschen sind also auf den guten Willen angewiesen. Knapp 20 Jahre nach Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes ist es Zeit, einen Schlussstrich zu -ziehen, Schluss zu machen mit einem Gesetz, das -Menschen ausgrenzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auch Sie von den Sozialdemokraten haben die Chance, dem Entschließungsantrag zuzustimmen, der den Text der rot-grünen Landesregierungen eins zu eins wiedergibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich kann tatsächlich nicht verstehen, warum Sie das nicht machen wollen; das ist mir wirklich unerklärlich. Wir haben uns seit Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes für eine Änderung eingesetzt. Wir standen in bestimmten Situationen, auch zu der Zeit, als wir regiert haben, gegen eine komplette gesellschaftliche Mehrheit. Wenn Sie uns vorwerfen, wir hätten während der rot-grünen Regierungszeit nichts gemacht – – (Zuruf des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]) – Herr Wolff, Sie wissen, wie die Bundesratsmehrheiten waren. Sie haben überhaupt nichts unternommen, und jetzt stellen Sie sich hier hin und machen wohlfeile Vorwürfe. Das ist unredlich und schäbig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Ich sage Ihnen: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Berücksichtigen Sie das! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion. Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das linke Lager hier im Hause fordert mit lautem Gebrüll: Das Asylbewerberleistungsgesetz muss weg. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD] – Zuruf von der LINKEN: Ja, richtig!) Das war sehr eindrucksvoll. Vielleicht ist es gut, dass es in diesem Parlament einige gibt, die sich noch daran erinnern können, wie dieses Gesetz entstanden ist, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind verfassungstreu, im Gegensatz zu Ihnen!) ungetrübt und nicht von einem etwas selektiven Wahrnehmungsvermögen geprägt wie bei Frau Marieluise Beck; sie kann sich nur noch an einen Teil erinnern. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagen Sie denn dazu, dass die Linke verfassungstreuer ist als Sie?) Ich erinnere mich deswegen sehr genau, weil ich in den 90er-Jahren für die Unterbringung von Zehntausenden Asylbewerbern in München verantwortlich war. Ich weiß noch, wie der SPD-Oberbürgermeister Kronawitter und ich beieinandersaßen und gerätselt haben: Wie schaffen wir es, dass es zu einer Grundgesetzänderung und zur Schaffung des damit zusammenhängenden Asylbewerberleistungsgesetzes kommt? (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da war ich aber nicht mit -dabei! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die Grundgesetzänderung war schon falsch!) Wir, ein vernünftiger SPD-Oberbürgermeister und ich, wir von der CSU waren uns einig. Erst als es ihm gelang, meine Damen und Herren von der SPD – Frau Ferner kann sich daran erinnern; das habe ich gerade bei ihrer Rede gemerkt –, dass Oberbürgermeister aus den Rhein-Ruhr-Städten mit ihm zusammen an einem Strang zogen und gesagt haben: „So kann es mit dem ungelösten -Problem des zehntausendfachen Asylmissbrauchs nicht weitergehen; die Republikaner sind in den Landesparlamenten erstarkt; so kann es nicht weitergehen; wir arbeiten ja den Rechtsradikalen zu“, erst als der vernünftige Teil der SPD das erkannt hat, kam es zum Asylbewerberleistungsgesetz, und das wollen Sie abschaffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und dafür haben Sie die Verfassung verletzt! – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren aber nicht die Grünen!) Ich möchte nicht das Geschäft der Rechtsradikalen betreiben. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bedanke mich bei Frau Ferner, dass sie an die Genesis dieses Gesetzes erinnert hat. Die Grünen fordern: Wer diskriminiert wird auf dieser Welt, muss nach Deutschland kommen dürfen – das hat Frau Künast hier gesagt –, und das – nach Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes – mit Anspruch auf die volle So-zialhilfe. Es wäre gut, Sie würden den Wählern mitteilen, was sie bekommen, wenn sie Grün wählen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Residenzpflicht ist von uns gesetzlich geändert und in die Obhut der Länder gelegt worden. Auch in diesem Zusammenhang ist es gut, mit der Heuchelei aufzuhören und die Dinge beim Namen zu nennen. Die Residenzpflicht ist gelockert worden. Das heißt, die Länder können mit ihren Nachbarländern Abkommen darüber schließen, dass ein Asylbewerber ins Nachbarland gehen kann. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das tun sie ja auch!) – Das tun sie auch. – Aber als Brandenburg den Antrag stellte, dass Brandenburger Asylbewerber auch nach Berlin gehen können, hat Herr Wowereit darauf mit einem schroffen Nein geantwortet. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist längst geregelt! – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Da sehen Sie es mal!) So viel zum Thema Heuchelei. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: SPD-Politik live!) Als Niedersachsen beim Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz angeklopft hat: „Dürfen unsere Asylbewerber angesichts der Lockerung der Residenzpflicht auch in die Nachbargroßstadt Hamburg kommen?“, hat Herr Scholz darauf mit einem schroffen Nein geantwortet. So viel zum Thema Heuchelei. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Da sieht man es mal! Das ist SPD!) Auch der sofortige Zugang zum Arbeitsmarkt ab dem ersten Tag, ab Ankunft in Deutschland, wird im linken Lager diskutiert. Es gibt Menschen, die sich Sorgen um unsere Arbeitslosen machen, die sich freuen, dass es nach neuesten Zahlen nur noch 2,7 Millionen sind. Aber auch das ist zu viel. Wir haben eine Schutzfunktion gegenüber unseren Arbeitslosen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Billiglöhner aus aller Herren Länder zu uns kommen, um hier zu arbeiten. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie betreiben das Geschäft der Rechten! – Anette Kramme [SPD]: Gegen Billiglöhne kann man etwas anderes machen! Mindestlohn zum Beispiel!) Die Gemeinschaftsunterkunft ist eine vernünftige Einrichtung, und zwar deswegen, weil bei einem Asylverfahren nicht klar ist, ob der Bewerber bleiben kann oder nicht. Die derzeitigen Zahlen besagen, dass 99 Prozent der Ankommenden aus Mazedonien oder Serbien nicht bleiben dürfen. Deswegen ist es wichtig, dass sie sich in der Gemeinschaftsunterkunft aufhalten, nicht untertauchen können und von der Verwaltung dort sofort angetroffen werden können, um ausgewiesen zu werden. (Elke Ferner [SPD]: Das ist lächerlich! Sie können auch aus einer Gemeinschaftsunterkunft untertauchen! Was ist denn das für ein Unsinn!) Das ist der Sinn der Gemeinschaftsunterkunft. Diese Regelung ist vernünftig. Auf das Thema Sachleistungen wird sicher noch eingegangen. Ich meine, wir sollten das Asylbewerberleistungsgesetz nicht abschaffen. Wir sollten klarmachen, dass jeder Rechtsstaat Ausländergesetze hat und zwischen Inländern und Ausländern unterscheidet. Er regelt, wer aus dem Ausland ins Land kommen darf und wer aus dem Ausland bei uns bleiben darf. Die Ausnahme von dieser Regel ist das Asylrecht; denn der zivilisierte Rechtsstaat, der die Menschenwürde achtet, sagt: Wer politisch, rassisch oder religiös verfolgt ist, der darf ausnahmsweise kommen und bleiben. Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Bulling-Schröter? Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Ja, von mir aus. Vizepräsident Eduard Oswald: Sie haben die Formulierung gehört. Das hat übersetzt ein Ja bedeutet. (Heiterkeit) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Ein lustloses Ja. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Danke schön, Herr Uhl. – Sie haben gesagt: Wir wollen unsere Jugendlichen vor den Billiglöhnern aus dem Ausland schützen. Ich habe genau zugehört, und ich kann auch bayerisch. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das hört man!) Ich glaube, wir alle wollen Jugendliche vor Billiglohn schützen; im Übrigen möchte ich auch Ältere davor schützen. Ich frage Sie daher: Wieso führen wir dann nicht gemeinsam einen Mindestlohn oder zumindest eine Mindestlohnuntergrenze ein? (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Oh Mann! – Lachen bei Abgeordneten der FDP) Sie wissen genauso gut wie ich, dass sich Menschen, die illegal bei uns arbeiten, nicht wehren können. Sie haben keine Chance. Es gibt immer mehr davon. Auch in der Oberpfalz gibt es viele Vorfälle mit ausländischen Firmen, zum Beispiel aus Ungarn, die Menschen dazu bringen, für 3,50 Euro zu arbeiten. Das ist den Behörden bekannt; sie tun aber nichts dagegen. Warum gehen Sie nicht auch gegen solche Dinge vor, wenn Sie so viel kritisieren? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Wenn ich gewusst hätte, dass Sie diese alte, etwas abgegriffene Schallplatte vom flächendeckenden Mindestlohn bringen, hätte ich die Frage natürlich nicht zugelassen. (Elke Ferner [SPD]: Oh!) Ein flächendeckender Mindestlohn ist mit Sicherheit nicht die Lösung unserer Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Im Einzelfall können Mindestlöhne sinnvoll sein. Ein flächendeckender Mindestlohn, den Sie fordern, ist aber nicht die Lösung. Im Übrigen wissen wir doch genau, wie die Dinge laufen, Frau Kollegin. – Wenn Sie bitte stehen bleiben, dann kann ich kurz auf den Irrglauben, dass der Mindestlohn das Allheilmittel ist, eingehen. – Die Wirklichkeit sieht doch ganz anders aus: Wir haben einen ständig wachsenden Schwarzarbeitsmarkt, auf dem eine Vielzahl von Menschen, die unqualifiziert oder schlecht qualifiziert sind, unangemeldet arbeitet. Da können Sie mit Ihren Mindestlohnregeln überhaupt nichts erreichen. (Anette Kramme [SPD]: Kontrolle!) Man muss vielmehr dafür sorgen, dass auf den Großbaustellen eine bessere Überwachung stattfindet. Selbst im Bereich der öffentlichen Hand wird mit Schwarzarbeitern gearbeitet. Dieses Problem müssen wir angehen, aber nicht mit Ihrem Mindestlohn; denn der würde im Grunde nur auf dem Papier existieren. Das ist nicht das Thema. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, wir sollten uns daran erinnern, dass es Zeiten gab, in denen wir nicht nur annähernd 100 000 Asylbewerber hatten – in diesem Jahr werden wir wohl annähernd so viele Asylbewerber haben –, sondern über 400 000 Asylbewerber. (Elke Ferner [SPD]: Sagen Sie das einmal Ihrem Innenminister!) Wir sollten uns daran erinnern, dass wir aus diesem Grund das Grundgesetz geändert haben. Aus diesem Grund haben wir auch dieses Gesetz geschaffen. Das Gesetz war segensreich für Deutschland, es war segensreich für den sozialen Frieden, und es hat uns von SPD, CDU/CSU und FDP den Rechtsextremismus gemeinsam bekämpfen lassen. Deshalb sollten wir daran festhalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Hans-Peter Uhl. – Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Rüdiger Veit. Bitte schön, Kollege Rüdiger Veit. (Beifall bei der SPD) Rüdiger Veit (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal will ich eine Sache klarstellen: Der Kollege Dr. Uhl hat von den vernünftigen SPD-Kommunalpolitikern gesprochen. Er meinte damit diejenigen, die für den Asylkompromiss gewesen sind. Im Sinne Ihrer Definition war ich damals ein unvernünftiger Kommunalpolitiker, (Beifall bei der LINKEN – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Nicht nur damals!) weil ich dafür Sorge getragen haben, dass sich der SPD-Landesparteitag in Baunatal gegen den Asylkompromiss ausgesprochen hat. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da gibt es mehr Beifall bei den Linken als bei den eigenen Leuten!) Zu der praktischen Seite kommen wir nachher, Herr Grindel. Man langweilt sich ja schon fast selber, wenn man Ihnen hier immer das Gleiche erzählen muss. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es wird aber nicht richtiger!) Ich habe aber gehört, dass die Pädagogik es als ganz wichtiges Element der Vertiefung ansieht, den Lernstoff zu wiederholen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Versuchen Sie es einmal!) Auch wenn ich kein Pädagoge bin, muss ich das einmal mehr tun und Ihnen zur Residenzpflicht Folgendes sagen: Am letzten Mittwoch haben wir Parlamentarier ein Gespräch mit etwa 40 Sachbearbeitern und Leitern von Ausländerbehörden geführt; das war kurz nach dem Gespräch mit den Flüchtlingen. Ihre erste Frage lautete: Wann schafft ihr endlich die Residenzpflicht ab? (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Warum sie das gefragt haben? Das haben sie uns gleich gesagt: Sie sehen es in der Praxis als unnötigen Verwaltungsaufwand an, jede Entfernung eines zur Residenzpflicht verpflichteten Ausländers aus dem Zuständigkeitsbereich ihrer Ausländerbehörde extra genehmigen zu müssen. Die Praktiker haben das abgelehnt, weil das umständlich und zu teuer ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das sehen offenbar auch einige Bundesländer so – das ist hier vielleicht noch nicht bekannt –: Von den 16 Bundesländern haben mittlerweile 10 die Residenzpflicht abgeschafft bzw. innerhalb des jeweiligen Bundeslandes gelockert. Herr Kollege Grindel, Ihnen sage ich mit besonderer Bitte um Aufmerksamkeit: Ihr Bundesland Niedersachsen, bekanntlich nicht von Rot-Grün regiert, hat diese Änderung zum 30. Januar 2012 beschlossen. Es hat gesagt: Die Betreffenden dürfen sich im gesamten Land aufhalten. – Letzte Woche Mittwoch hat sogar Hessen beschlossen – das ist eines der zehn Länder –, die Residenzpflicht von den Regierungsbezirken auf das ganze Land auszudehnen. Einige Ausführungen muss ich bei dieser Gelegenheit noch einmal richtigstellen, obwohl das, wie gesagt, langsam mühsam ist. Viele von Ihnen verwechseln die Frage der Wohnsitznahme mit der Residenzpflicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das kann man doch nicht trennen!) – Natürlich kann man das trennen, Herr Kollege Grindel. Das offenbart Ihre Sachunkenntnis. – Wenn ich Menschen eine Wohnung in einem bestimmten Bundesland, in einem bestimmten Kreis, in einer bestimmten Gemeinde zuweise, dann ist das das eine. Dort ist dann die ladungsfähige Anschrift, dorthin kann ich Bescheide zustellen. Gleichzeitig aber zu sagen: „Ihr dürft niemals diesen Landkreis oder diese kreisfreie Stadt verlassen, egal aus welchem Grund“, ist das andere. Das ist unnötig, und das ist Schikane. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will noch einige Worte zum Asylbewerberleistungsgesetz verlieren. Wir können dem Antrag der Grünen leider deshalb nicht zustimmen, weil wir eine Modifikation des Gesetzes vorschlagen, mit der aber möglich bleibt, dass die Betreffenden in den ersten sechs Wochen bis maximal drei Monaten in Gemeinschaftsunterkünften bleiben. Wir tun das nicht aus Schikane, sondern weil wir glauben, dass es für Menschen dann, wenn sie aus einem völlig anderen Kulturkreis kommen, besser ist, sich zunächst einmal unter zeitnaher und räumlich enger Beratung und Anleitung zu orientieren. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da stimmen Sie gegen Ihre eigene Landesregierung! Das verstehe ich nicht!) Im Übrigen erleichtert dies die spätere Verteilung auf normale Wohnquartiere. – Damit das klar ist: Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf. Deshalb stimmen wir Ihrem Antrag nicht zu. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sogar Hamburg ist dabei!) Herr Tauber, wir sind aber ganz klar dagegen, dass Menschen ausgebeutet werden. Gestern waren wir mit einer Delegation aus unserer Fraktion in Neukölln. Wissen Sie, was wir dort zum Thema Ausbeutung gehört -haben? Dort gibt es jemanden, der in Neukölln in erheblichem Umfang Häuser erworben hat, um sie vorzugsweise an Roma zu vermieten und einen maßlosen Profit zu erzielen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ja!) – Der Kollege Grindel sagt Ja. Vorsicht! Ich komme noch dazu, wer das war. – Der Betreffende vermietet sozusagen Matratzen für teures Geld. Zum Thema „Wahrhaftigkeit und Heuchelei“ will ich Ihnen jetzt sagen, wer das ist. Der Mann heißt Thilo Peter. Er war CDU-Verordneter in der Bezirksversammlung Charlottenburg, bis er dieses Mandat unter dem öffentlichen Druck, sich an Flüchtlingen bereichern zu wollen, niedergelegt hat. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Hört! Hört!) So viel zu den Fingern der eigenen Hand, die auf einen selbst zeigen. (Beifall bei der SPD – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn damit sagen? Dass wir alle so denken?) – Nein, Sie werden nicht alle solche Mietshäuser haben. Das macht aber deutlich, in welcher Weise das Schicksal von Flüchtlingen ausgebeutet werden kann. Herr Grindel, zum Thema Sachleistungen will ich Ihnen noch einen anderen Widerspruch vorhalten. Laut Verlautbarungen der Passauer Neuen Presse vom 23. November hat es den bayerischen Innenminister, Herrn Herrmann, umgetrieben. Er hat gesagt: Asylbewerbern Geldleistungen zu gewähren, wäre wie Benzin ins Feuer gießen. Die Abschaffung oder Modifikation des Asylbewerberleistungsgesetzes wäre politischer Wahnsinn. – Ich frage Sie: Wer hat das verfasst? Das waren doch keine Wahnsinnigen. Das ist die Koalitionsvereinbarung von FDP und CDU/CSU. (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Da steht sehr viel Gutes drin!) Da steht sinnvollerweise: Das Asylbewerberleistungsgesetz werden wir im Hinblick auf das Sachleistungsprinzip evaluieren. Das ist eine gute Idee. Machen Sie das! Sie werden zu den gleichen Ergebnissen kommen wie wir. (Beifall bei der SPD – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Wir sind schon dabei, Herr Kollege! Sie werden staunen!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf einen Gesichtspunkt muss ich aufgrund eigener Erfahrungen aus der Zeit Anfang der 90er-Jahre, als die drei großen Migrationswellen Asylbewerber, Spätaussiedler und Übersiedler aus der vormaligen DDR zu uns ins Land kamen, hinweisen: Die Unterbringung in Wohnungen und die Gewährung von Geldleistungen statt Sachleistungen, Gutscheinen und anderem Unsinn, den es da gab, ist allemal billiger. Diese persönliche Erfahrung habe ich als Landrat im Haushalt meines Kreises gemacht. Wenn aus Ihren Reihen jetzt der Wunsch kommt, man möge das beibehalten, die Gemeinschaftsunterkünfte seien gut und richtig und man bräuchte sie in Bayern zur Abschreckung vielleicht in ganz besonderem Maße, dann kann ich Ihnen nur sagen: Ich halte es nicht für verantwortbar, öffentliches Geld vermehrt und überflüssigerweise dafür einzusetzen, um Menschen zu schikanieren. Deshalb gehört dieses Gesetz modifiziert oder sogar abgeschafft. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Rüdiger Veit. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Reinhard Grindel. Bitte schön, Kollege Reinhard Grindel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Künast, Sie haben den Bundesinnenminister wegen seiner Äußerungen zum Asylmissbrauch durch Roma angegriffen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Da haben Sie recht!) und haben gesagt, das seien böse Unterstellungen. (Mechthild Rawert [SPD]: Die Bundesregierung fälscht doch auch den Armutsbericht!) Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit, und die Wirklichkeit ist, dass von den Asylbewerbern dieses Jahres, die aus Serbien zu uns gekommen sind, 95 Prozent Roma sind; bei den Bulgaren beträgt der Anteil 85 Prozent. Die Ablehnungsquote liegt bei über 99,5 Prozent. Asylmissbrauch in diesem Bereich ist Realität. Ich sage Ihnen: Die Integration in Deutschland – das muss eine der Lehren aus der Debatte sein – gerät in Gefahr, wenn wir uns durch eine ungesteuerte Zuwanderung zusätzliche Probleme im Bereich der Integration nach Deutschland holen. Dadurch werden wir auch insgesamt unserer Verantwortung gegenüber den Ausländern, die seit Jahren bei uns leben und ein Anrecht auf Integration haben, nicht gerecht. Das sage ich ganz deutlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Frau Künast, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Natürlich ist das Leben von Roma auf dem Balkan beschwerlich. Deswegen hat die EU sowohl für Rumänien und Bulgarien als auch für Serbien und Mazedonien Hilfen in Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt. Das Problem ist, dass diese Hilfen viel zu zurückhaltend in Anspruch genommen werden. Wir als Union sagen: Hilfe für die Roma und Sinti ist richtig; aber die Hilfe muss vor Ort in ihrer Heimat stattfinden. Das können wir nicht in der Bundesrepublik Deutschland leisten. Das ist der falsche Weg. Sie, Frau Kollegin Beck, haben gesagt, die Zugangszahlen der Asylbewerber 1992 beruhten auf der Situation auf dem Balkan. Das ist nicht richtig. Im Jahr 1992 – ich habe mir die Zahlen gerade noch einmal angesehen – kamen 103 000 Asylbewerber aus Rumänien und 31 500 Asylbewerber aus Bulgarien. Fast alle von ihnen waren Roma. Das viel Wichtigere ist: 1995, nur drei Jahre später, kamen 3 000 Asylbewerber aus Rumänien und 1 000 Asylbewerber aus Bulgarien zu uns, obwohl sich an der politischen Situation in diesen Ländern nichts ernsthaft geändert hatte. Die Gründe waren die hier schon angesprochene Grundgesetzänderung (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die falsche!) und ein Rückführungsabkommen mit Rumänien. Kürzere Verfahren haben geholfen. Es hatte sich vor Ort he-rumgesprochen, dass es nichts bringt, Schleppern und Schleusern Geld zu geben, weil man sich nur wenige Wochen in Deutschland aufhalten kann. Das muss die Lehre für die aktuelle Debatte sein. Mich besorgt der Zustrom von Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien. Wir brauchen kurze Verfahren. Es muss sich in der Heimat herumsprechen, dass es keinen Sinn macht, Schleppern und Schleusern das Geld in den Rachen zu werfen; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) denn man kann nicht lange in Deutschland bleiben. Das ist die richtige Reaktion. Nun will ich Ihnen eines sagen: Frau Jelpke hat hier im Zusammenhang mit der Diskussion über das Sachleistungsprinzip die Kinder angesprochen. Bei dem Thema können wir gerne einmal bleiben und uns die Frage stellen, wie es denn den Kindern aus diesen Familien, die zu uns kommen, geht. Seien wir ehrlich: Wir brauchen nur einmal in die Großstädte in unserem Land zu schauen. Dort sehen wir, wie die Kinder – das haben Journalisten recherchiert – zum Teil vollgepumpt mit Psychopharmaka ihr Dasein fristen. Das Sachleistungsprinzip wollen auch wir; denn es sichert, dass die ganze Familie versorgt wird. Die Sozialleistung, Frau Jelpke, ist nicht nur für Väter und Schleuser. Wir müssen alle, die in unserem Land sind, anständig versorgen. Das ist Menschenwürde. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das schließt gerade Kinder und Frauen mit ein; sie profitieren vom Sachleistungsprinzip. Das ist die Wahrheit. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie betreiben das Geschäft der Rechten!) Angesichts der Forderungen nach Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und der Residenzpflicht in Deutschland möchte ich auf eines aufmerksam machen: Natürlich hätte dies Konsequenzen für die Lastenverteilung. Natürlich wäre die Folge, dass die Asylbewerber in die Städte gehen, die ohnehin besonders belastet sind; der Zustrom würde nicht mehr gesteuert werden. Was nicht geht, ist, dass im Lokalteil der Zeitungen steht, dass rot-grün regierte Kommunen den Bund auffordern, jetzt etwas zu tun, um bei den Unterbringungsproblemen zu helfen und den ungesteuerten Zustrom von Asylbewerbern zu begrenzen, und im Bundesteil der Zeitungen steht, dass Rot-Grün fordert, das Asylbewerberleistungsgesetz und die Residenzpflicht abzuschaffen (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun! Das ist unredlich!) und damit die Zuwanderung noch weniger zu steuern. Diese Doppelzüngigkeit ist nicht in Ordnung, und sie kritisieren wir. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Natürlich ist es richtig: Wenn wir die Residenzpflicht nicht hätten, dann gäbe es keine Nachfragemöglichkeiten der Ausländerbehörden, dann gäbe es keine kurzen Verfahren, und dann gäbe es Probleme bei der Rückführung. Ich sage das nicht in Richtung der SPD, sondern insbesondere an Herrn Kurth und die Vertreter der Linken gerichtet: Ihnen geht es in Wahrheit um eine ungesteuerte Zuwanderung. Sie wollen eine Politik nach dem Motto: Wer politisch verfolgt ist, der darf in Deutschland bleiben, und wer nicht politisch verfolgt ist, der darf auch in Deutschland bleiben. – Das macht Integrationspolitik unmöglich, um Ihnen das einmal ins Stammbuch zu schreiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, ja! Und sonntags erzählen Sie mir was vom demografischen Wandel und von der Bedeutung der Zuwanderung!) Wir müssen das Umfeld unserer Debatte betrachten. Wir haben – darüber ist in dieser Diskussion überhaupt noch nicht gesprochen worden; Herr Veit hat dieses Thema mit dem Beispiel aus Neukölln gestreift – einen Zustrom von Roma aus Rumänien und Bulgarien zu verzeichnen. Leute kommen mit vorgefertigten Kindergeldanträgen und Anträgen auf Gewerbezulassung nach Deutschland, und sie haben einen Schlafplatz. Das ist organisierte Kriminalität, die sich in Deutschland täglich abspielt, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Was? -Unerhört!) der wir wegen der Freizügigkeit aber kaum etwas entgegensetzen können. Ich sage Ihnen: Wenn wir jetzt nichts gegen den Zustrom von Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien tun, die wegen der Visafreiheit ungesteuert zu uns kommen können, dann wird die Integrationspolitik schwierig. Dann werden wir insbesondere Schwierigkeiten haben, die Roma und diejenigen aus Rumänien und Bulgarien, die bei uns sind und auf Dauer bei uns bleiben werden, so zu integrieren – das gilt gerade für die Kinder und die Mütter –, wie es ihrem Anspruch entspricht und wie es soziale Verpflichtung in unserem Land ist. Wir müssen uns der ganzen Tragweite des Problems ein bisschen sachlicher nähern, als es insbesondere Grüne und ganz Rote hier gemacht haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie sollten aus der Kirche austreten nach der Rede!) Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die nächste Rednerin, Kollegin Heike Brehmer, verdient unsere Aufmerksamkeit. Sie ist die letzte Rednerin vor der Abstimmung. Ich bitte Sie sehr herzlich, ihr zuzuhören. – Bitte schön, Frau Kollegin Heike Brehmer. Heike Brehmer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, so steht es in Art. 16 a Abs. 1 unseres Grundgesetzes geschrieben. Lassen Sie mich deshalb gleich zu Beginn meiner Ausführungen etwas Entscheidendes deutlich machen: Das Recht auf Asyl – darüber dürften sich alle Anwesenden in unserem Hohen Haus einig sein – ist ein wesentliches Grundrecht unserer Verfassung. Menschen, die aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt werden, sollen sich in Deutschland auf das Asylrecht berufen können. Allein im Zeitraum von Januar bis Oktober 2012 wurden in Deutschland 50 344 Erstanträge auf Asyl gestellt; das sind 13 761 Anträge mehr als im Vorjahr. Das geht aus dem aktuellen Bericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hervor. Im EU-weiten Vergleich liegt Deutschland damit an der Spitze. Dem Recht auf Asyl begegnen wir mit einem hohen Maß an politischer Verantwortung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, den Grünen und den Linken, aus dem Kern Ihrer Anträge geht diese politische Verantwortung nicht hervor. Im Kern Ihrer Anträge stehen die Reformierung oder Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und die Aufhebung der Residenzpflicht für Asylsuchende und Geduldete. Wir haben hier im Deutschen Bundestag in den vergangenen Monaten bereits viele umfassende Debatten zu diesem Thema durchgeführt. Sie kritisieren das Asylbewerberleistungsgesetz bereits, seit es 1993 eingeführt wurde. Zur Wahrheit gehört, dass es zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung von 1998 bis 2005 keinerlei Initiativen zum Asylrecht gegeben hat. (Beifall der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/CSU]) In diesen sieben Jahren haben Sie das Asylbewerberleistungsgesetz unangetastet gelassen. Das sollte hier einmal gesagt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Verehrte Kollegen von den Grünen, Sie bezeichnen das Asylbewerberleistungsgesetz in Ihrem Antrag als diskriminierend. Ich möchte noch einmal betonen, dass Sie sich in der Zeit, als Sie Regierungsverantwortung trugen, nicht um die Regelsätze für die Asylbewerber und Geduldete geschert haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Mein Kollege Dr. Uhl hat bereits darauf hingewiesen – zur Erinnerung wiederhole ich es –: Das Asylbewerberleistungsgesetz ist kein überflüssiges und unverhältnismäßiges Gesetz, wie Sie es in Ihrem Antrag bezeichnen. Im Gegenteil: Das Gesetz wurde 1992 auf den Weg gebracht, zu einer Zeit, als erstmals über 400 000 Menschen einen Antrag auf Asyl stellten. 95 Prozent dieser Anträge wurden damals abgelehnt. Um einem Missbrauch des Asylrechtes vorzubeugen, einigten sich CDU/CSU, FDP und SPD gemeinsam im Dezember 1992 im damaligen Asylkompromiss auf Regelungen zum Mindestunterhalt von Asylbewerbern. Kurz darauf folgte das Asylbewerberleistungsgesetz. Dieses Gesetz war ein richtiger und wichtiger Ansatz. Nun wollen Sie die bestehenden Regelungen nicht nur ändern, sondern sich selbst übertreffen. Sie wollen das Asylbewerberleistungsgesetz aufheben und bewährte Regelungen für Asylsuchende und Geduldete abschaffen. Sie wollen sich – ganz einfach – in einem 1 000-Meter-Lauf dreimal selbst überholen. Das wurde in Ihren Redebeiträgen mehr als deutlich. Der Antrag der SPD ist wohl der am weitestgehenden ausformulierte Antrag. Darin gehen Sie auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 18. Juli 2012 ein. Sie formulieren zunächst richtigerweise: Der Gesetzgeber hat ein Einschätzungsvorrecht. Er muss aber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten Verfahren ermitteln. Die zugrunde liegenden Berechnungen muss er nachvollziehbar offenlegen. Ich kann mich noch ganz genau an die Erarbeitung der HartzIV-Regelsätze und des Bildungs- und Teilhabepaketes erinnern, als es darum ging, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes umgesetzt werden kann. Es waren damals sehr zähe und lange Verhandlungen, bei denen sich die Kollegen der Grünen – anders als die Kollegen der SPD – am Ende aus der Verantwortung gestohlen haben. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wie Sie wissen, hat das Bundesverfassungsgericht am 18. Juli 2012 ein wichtiges Urteil im Asylrecht gefällt. Die SPD hat dazu in der Begründung ihres Antrags weiter ausgeführt: Das Verfahren muss sachgerecht, realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren bemessen sein. Insbesondere muss er offenlegen, auf Grundlage welcher Zahlen er ein im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt hat und, falls er im Einzelnen von diesem Verfahren abweicht, dies rechtfertigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden das Urteil der Karlsruher Richter umsetzen und dazu einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Die Verantwortung liegt vor Ort in den einzelnen Bundesländern. Diesem Gesetz – das wurde schon gesagt – muss der Bundesrat zustimmen. Ich erinnere noch daran, dass die rot-grün geführten Bundesländer derzeit im Bundesrat die milliardenschweren Steuerentlastungen blockieren, welche unsere Bürgerinnen und Bürger um 6 Milliarden Euro entlasten würden. Sie müssen den Bürgern erklären, warum Sie das Asylbewerberleistungsgesetz im Eiltempo einbringen wollen und die steuerlichen Entlastungen für unsere Bürger blockieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin, Sie denken an die Redezeit? Bitte kommen Sie zum Schluss. Heike Brehmer (CDU/CSU): Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum Schluss kurz auf die Residenzpflicht eingehen. Vizepräsident Eduard Oswald: Zum Schluss! Heike Brehmer (CDU/CSU): Liebe Frau Künast, Sie sind in Baden-Württemberg in der Regierungsverantwortung. Dort ist die Residenzpflicht teilweise gelockert. Fangen Sie doch dort an, wo Sie Verantwortung haben! Meine Damen und Herren, wir lehnen die Anträge von den Linken, von den Grünen und von der SPD ab. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksache 17/11663, 17/11589 und 17/11674 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 17/11663 – Tagesordnungspunkt 4 a – soll federführend an den Innenausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Bevor wir zur namentlichen Abstimmung kommen, kommen wir noch zu einer anderen Abstimmung. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10198, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1428 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um Handzeichen. – Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Vorsichtshalber: Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11707. Wir stimmen über den Entschließungsantrag auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich weise darauf hin, dass zur Abstimmung auch schriftliche Erklärungen vorliegen.1 Vorne links fehlen noch Schriftführer. – Nun sind alle Plätze an den Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2 – Darf ich Sie jetzt herzlich bitten, die Plätze wieder einzunehmen? Wir setzen die Abstimmungen fort. Tagesordnungspunkt 4 c. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Menschenwürdiges Existenzminimum für alle – Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10198, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4424 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! – Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zusatzpunkt 3 b. Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Mehr Bewegungsfreiheit für Asylsuchende und Geduldete“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11716, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5912 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die Sozialdemokraten und die Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 51 a bis 51 g sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf: 51 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2012) – Drucksache 17/8989 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 16. Mai 2012 zu den Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des Vertrags von Lissabon – Drucksache 17/11367 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes – Drucksache 17/11368 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften – Drucksache 17/11469 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Finanzausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts (Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz – GemEntBG) – Drucksache 17/11632 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltungsbedingungen für Puten verbessern – Drucksache 17/11667 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Cornelia Behm, Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Havarie des Containerschiffs MSC Flaminia – Aus den Fehlern von Seeunfällen lernen – Drucksache 17/11668 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Markus Tressel, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verkehrsträgerübergreifende Fahrgastrechte stärken – Drucksache 17/11375 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Tourismus Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen Bilger, Peter Götz, Armin Schuster (Weil am Rhein), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Werner Simmling, Birgit Homburger, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Projektbeiratsbeschluss bei der Rheintalbahn umsetzen – Drucksache 17/11652 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aktionsplan Soziale Sicherung – Ein Beitrag zur weltweiten sozialen Wende – Drucksache 17/11665 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zunächst zu einer Überweisung, bei der die Federführung strittig ist. Zusatzpunkt 4 a. Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11375 zu verkehrsträgerübergreifenden Fahrgastrechten an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Federführung beim Rechtsausschuss. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also Federführung beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtwicklung, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, also Federführung beim Rechtsausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. Wir kommen nun zu den unstrittigen Überweisungen. Das sind die Tagesordnungspunkte 51 a bis 51 g sowie die Zusatzpunkte 4 b und 4 c. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann haben wir dies so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 52 sowie die Zusatzpunkte 5 a bis 5 e auf. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 52: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Heinz Paula, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes an aktuelle Herausforderungen anpassen – Drucksache 17/11653 – Wer stimmt für diesen Antrag? – Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der Antrag ist abgelehnt. Zusatzpunkt 5 a: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Dem Antrag Palästinas auf erweiterten Beobachterstatus in der UNO zustimmen – Drucksache 17/11678 – Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Der Antrag ist abgelehnt. Zusatzpunkte 5 b bis 5 e: b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens – Drucksache 17/11618 – Berichterstattung: Abgeordneter Jörg van Essen c) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens – Drucksache 17/11619 – Berichterstattung: Abgeordneter Jörg van Essen d) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens – Drucksache 17/11620 – Berichterstattung: Abgeordneter Jörg van Essen e) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens – Drucksache 17/11621 – Berichterstattung: Abgeordneter Jörg van Essen Zunächst erteile ich nach § 31 der Geschäftsordnung unserem Kollegen Dr. Diether Dehm das Wort. Bitte schön, Kollege Dr. Diether Dehm. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich werde gegen den Antrag zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen meinen Fraktionskollegen Jan van Aken und andere stimmen und mich auch weiterhin dagegen einsetzen; denn der Vorwurf, wonach das Unterzeichnen der „Castor Schottern!“-Erklärung einen Aufruf zu einer Straftat darstellt, ist juristisch unhaltbar. (Beifall bei der LINKEN) Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondern offensichtlich auch die der Staatsanwaltschaft Lüneburg, die den Unterzeichnern, unter anderem Jan van Aken, Inge Höger, Sevim Da?delen und mir, zwischenzeitlich angeboten hat, gegen Zahlung einer Spende das Ermittlungsverfahren einzustellen. Den anderen Fraktionen im Hause bietet sich hier aber offensichtlich die Möglichkeit, einen Akt von zivilem Ungehorsam durch Linke zu kriminalisieren. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nur um Gleichbehandlung!) Da sie nicht anerkennen, dass die breite Mehrheit in unserem Volk für den Atomausstieg und gegen die lebensgefährlichen AKW ist, dem nun Sie alle und auch Frau Merkel beigetreten sind, dass dieser Ausstieg ohne den zivilen Ungehorsam und den Protest gegen die strahlenden Castortransporte nie möglich gewesen wäre, (Beifall bei der LINKEN) dass die Atomenergie noch längst nicht Geschichte ist. Weil sie nicht einmal damit angefangen haben, die Geschichte dieser Proteste, zum Beispiel in Gorleben, aufrichtig zu schreiben. So besteht die Gefahr weiterhin. Den Energiekonzernen wird noch ordentlich Steuergeld zugeschustert, Euratom fördert AKW auf EU-Ebene, die Deutsche Bank, die mit 12 Prozent an Tepco, dem Betreiber des Atomkraftwerks in Fukushima beteiligt ist, kreditiert in einem westindischen Erdbebengebiet gerade eben ein neues AKW, und die Zeitbombe Asse II tickt weiter. Niedersachsen ist weiterhin ein Atomklo. Solange die Endlagerfrage ungelöst ist, werden mit jedem weiteren Castortransport Fakten geschaffen. Es sind nach wie vor Protest und ziviler Ungehorsam bitter nötig. (Beifall bei der LINKEN) Die Grünen haben im Immunitätsausschuss auch für unsere Strafverfolgung gestimmt und werden das hier jetzt auch wieder tun, mit dem wohlfeilen Argument, wir linken Abgeordneten sollten doch nicht das Privileg der Abgeordnetenimmunität ausnutzen. (Zuruf von der LINKEN: Pfui!) Wohlgemerkt: Der Vorwurf des Staatsanwalts gegen uns lautet „Gefahr für Leib und Leben“. Was bedeutet mehr Gefahr für Leib und Leben, die lebensgefährdenden Atomkonzerne oder die Fortführung der Proteste dagegen (Beifall bei der LINKEN) bzw. ein Schottern, das nicht einmal stattgefunden hat? Schottern bedeutet laut Duden übrigens „Aufhäufen von Schotter“. Die politische Immunität von Abgeordneten ist in der Parlamentsgeschichte ja gerade dafür da, dass sich Abgeordnete mehr an unbequemen politischen Wahrheiten auch gegen „die da oben“ leisten können als jemand, der in einem Abhängigkeitsverhältnis steht und vielleicht um seinen Arbeitsplatz fürchten muss. Deswegen gewährt das Europäische Parlament bei jedem Fall des Protests – bei jedem Fall des Protests! –, selbst bei der illegalen Demonstrationsanmeldung, generell Immunität. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Was? – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist der Antrag zur Änderung des Immunitätsrechts?) Ihr Mittun, liebe Grüne, im Immunitätsausschuss ist -damit immer auch ein Stück Beteiligung an Kriminalisierung und Einschüchterung der Proteste. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage es gerne noch einmal: Ihre Beteiligung im -Immunitätsausschuss daran, dass nun die Strafverfolgung gegen meine Kollegen und mich stattfinden kann, ist immer auch ein Stück Kriminalisierung und Einschüchterung der Proteste. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie noch weiter schreien, dann werde ich es noch ein drittes Mal sagen. So oder so: Mein Gewissen als Abgeordneter käme nicht zur Ruhe, wenn der Widerstand gegen die skrupellosen Atomkonzerne zur Ruhe käme. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegt noch die Erklärung unseres Kollegen Wolfgang Gehrcke nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. 3 Nun erteile ich das Wort dem Vorsitzenden des 1. Ausschusses, dem Kollegen Thomas Strobl. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Vorsitzender des Immunitätsausschusses möchte ich ein paar Punkte klarstellen. Das Immunitätsrecht hat den Zweck, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit unseres -Parlamentes als Ganzes sicherzustellen. Es ist nicht dafür da, einzelne Abgeordnete vor ihrer gerechten Strafe für begangene Straftaten zu bewahren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der LINKEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das sagen Sie einmal Heinrich Böll für seinen zivilen Ungehorsam gegen die Atomraketen!) Wir Abgeordnete sollen also durch das Immunitätsrecht, Herr Kollege Dehm, nicht besser gestellt werden als alle anderen Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das klingt wohlfeil!) Es gibt keine Privilegien eines Abgeordneten gegenüber normalen Bürgerinnen und Bürgern, wenn er Straftaten begeht, und es darf solche Privilegien auch nicht geben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das sagen die, die Sie alle mitklatschen, die Zivilen--Ungehorsams-Leute!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn eine Staatsanwaltschaft gegen Mitglieder des Hauses wegen des Verdachts einer Straftat ermitteln möchte, prüft der Immunitätsausschuss daher, ob der beim Präsidenten eingereichte Antrag nachvollziehbar und begründet ist. Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen, vorhin war es ruhig, als die Erklärung vom Kollegen Dehm abgegeben -worden ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es war auf allen Seiten ruhig. Ich glaube, es ist eine Frage der Fairness, dass auch der Vorsitzende des Ausschusses in Ruhe seine Erklärung abgeben kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Unruhe war da auch!) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Ich bedanke mich sehr, Herr Präsident. – Insbesondere prüft der Ausschuss, ob es sich um einen Akt staatsanwaltschaftlicher Willkür aus politischen Motiven -gegen einen Abgeordneten handelt, also ob ein Kollege Beschuldigter durch eine Staatsanwaltschaft deswegen wird, weil er Abgeordneter ist, und nicht, weil er sich möglicherweise einer Straftat schuldig gemacht hat. Dies hat der Ausschuss, wie immer, auch in jedem einzelnen der vorliegenden Fälle und nach dem seit -langem bewährten Verfahren getan. Diesem Verfahren haben übrigens zu Beginn der Legislaturperiode alle – ich betone: alle! – Fraktionen zugestimmt, auch Ihre Fraktion. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wenn es eine Straftat wäre, würde Lüneburg es nicht zurückziehen!) Sie können das in Anlage 6 der Geschäftsordnung nachlesen, Herr Kollege Dehm. Danach achtet der Ausschuss bei der Prüfung der Anträge vor allem darauf, dass das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in jedem einzelnen Fall frei von sachfremden Erwägungen, frei von politischen und frei von willkürlichen Motiven ist. Das hatten wir auch in diesem Fall getan. Weiter ist im Übrigen geregelt, dass der Ausschuss nicht in eine Beweiswürdigung eintritt und dass die Entscheidung über die Aufhebung oder Wiederherstellung der Immunität auch keine Feststellung von Recht oder Unrecht, von Schuld oder Unschuld bedeutet. Das ist nicht Sache des Immunitätsausschusses, sondern das ist nach unserer Verfassung aus guten Gründen den Gerichten vorbehalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich betone es noch einmal: Wir urteilen nicht darüber, weder im Ausschuss noch hier, ob sich die betroffenen Kolleginnen und Kollegen tatsächlich strafbar gemacht haben. Wir stellen lediglich fest, dass die Staatsanwaltschaft im konkreten Fall nicht willkürlich handelt, wenn sie ein Verfahren anstrebt, das auch gegen jeden Bürger und gegen jede Bürgerin so angestrengt worden wäre. Wer die Aufhebung der Immunität in diesem Fall als „Kriminalisierung“ bezeichnet, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Natürlich ist es das!) der hat unseren Rechtsstaat nicht verstanden, Herr Kollege Dehm. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Dieser Beifall ist der Abschied vom Protest! So sieht der aus!) Im konkreten Fall hat der Ausschuss die Anträge wie üblich ausführlich beraten und die Staatsanwaltschaft darüber hinaus sogar um zusätzliche Informationen zum Sachverhalt und zur rechtlichen Begründung der Anträge gebeten. Im Ergebnis bestand im Immunitätsausschuss Einigkeit bei den Fraktionen CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, dass die Bewertung des Verhaltens der betroffenen Abgeordneten als Straftat nach § 111 des Strafgesetzbuches – Öffentliche Aufforderung zu Straftaten – durch die Staatsanwaltschaft nachvollziehbar und willkürfrei begründet worden ist. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist die Willkür von Ihnen! Illegitim!) Da also keine immunitätsrechtlichen Gründe für eine Wiederherstellung der Immunität der Betroffenen vorliegen, hat der Ausschuss entschieden, dass – wie üblich – die Frage der Strafbarkeit und die Frage der Schuld oder Unschuld durch die zuständigen Gerichte zu klären ist. Dafür haben wir den Weg jetzt freigemacht. (Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Daher hat der Ausschuss – wie üblich – die Beschlussempfehlungen so vorgelegt, für die ich um Ihre Zustimmung bitte. Herr Kollege Dehm, ich muss Ihnen schon klar entgegenhalten: Die Aufforderung, Gleisanlagen der Bahn zu schottern, also das Gleisbett der Bahn auszuhöhlen, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das heißt es nicht! Es heißt „Aufhäufen von Schotter“! Schauen Sie im Duden nach!) ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat nach § 111 des Strafgesetzbuches, die in Fällen wie den hier vorliegenden mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden kann. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist -Vorverurteilung!) Insofern muss ich auch darauf hinweisen, dass im Ausschuss allgemein von allen Fraktionen – mit -Ausnahme der Fraktion Die Linke – (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) die Überzeugung herrscht, dass Kollegen, die bewusst diese Art der Aufforderung zur Begehung von Straftaten wählen, sich dann auch der strafrechtlichen Konsequenz stellen müssen und nicht über das Immunitätsrecht privilegiert werden können. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie können und dürfen nicht besser behandelt werden als andere Bürgerinnen und Bürger auch. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie werden auf der politischen Anklagebank sitzen bei dem Verfahren!) Was wäre das auch für ein Signal an die Bürgerinnen und Bürger, beispielsweise an die über 1 000 Bürgerinnen und Bürger, gegen die im Zusammenhang mit dem Castortransport durch die Staatsanwaltschaft Lüneburg ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde? (Jan van Aken [DIE LINKE]: Auch falsch! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das eine ist falsch, das andere ist falsch!) Über 1 000 Bürgerinnen und Bürger! Was wäre das für ein Signal, wenn diese Bürgerinnen und Bürger strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, der Kollege Dehm aber nicht, nur weil er ein Abgeordneter ist? Wer hätte für eine solche Vorzugsbehandlung eigentlich Verständnis? Wir würden kein Verständnis ernten, und zu Recht würden wir kein Verständnis ernten. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Warum hat die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens angeboten?) Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, bitte ich um Zustimmung für die mit großer Mehrheit im 1. Ausschuss gefassten Beschlüsse, es bei der Auf-hebung der Immunität der betroffenen Kollegen zu -belassen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Traurig!) Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die vier Beschlussempfehlungen. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und -Geschäftsordnung empfiehlt in seinen Beschlussempfehlungen, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens jeweils zu erteilen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11618? – Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11619? – Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11620? – Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11621? – Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme nun zu dem von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnis unserer namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes: abgegebene Stimmen 579. Mit Ja haben gestimmt 131, mit Nein haben gestimmt 438, Enthaltungen 10. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. So weit das Ergebnis dieser namentlichen Abstimmung. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 580; davon ja: 131 nein: 438 enthalten: 11 Ja DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Marco Bülow Ulla Burchardt Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Gabriele Groneberg Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Enthalten SPD Elvira Drobinski-Weiß Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Michael Groß Petra Hinz (Essen) Dietmar Nietan Michael Roth (Heringen) Frank Schwabe Dr. Carsten Sieling Christoph Strässer Heidemarie Wieczorek-Zeul Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 auf: Wahl der Mitglieder des Beirates der Stiftung -Datenschutz – Drucksache 17/11637 – Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/11637? – Das sind die Koalitionsfraktionen. – Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Fraktion Die Linke. Der Wahlvorschlag ist angenommen. Vielen herzlichen Dank. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 6 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Unterschiedliche Auffassungen der Koalitionsfraktionen über ihre Pläne zur Einführung von Gutscheinen für Haushaltshilfen Erste Rednerin unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Caren Marks. Bitte schön, Frau Kollegin Caren Marks. (Beifall bei der SPD) Caren Marks (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn der Vorschlag zu Gutscheinen für Putzhilfen von der Fraktionsspitze am Dienstag im wahrsten Sinne des Wortes einkassiert wurde, so bleibt Ihnen, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, nicht die Kritik an der Konzeptlosigkeit Ihrer Familienpolitik erspart. (Beifall bei der SPD) Die Diskussion der letzten Tage zeigt erneut, dass dieser Bundesregierung, in diesem Falle insbesondere der Union, der Kompass in der Familien- und der Gleichstellungspolitik komplett fehlt. (Beifall bei der SPD) Das nervige Betreuungsgeld, das einen Anreiz setzt, Kinder von öffentlich geförderten Kitas und Einrichtungen der Kindertagespflege fernzuhalten, ist kaum durch den Bundestag, da kommen Sie mit einem Vorschlag um die Ecke, der Anreize genau in die entgegengesetzte Richtung setzen soll. Wir finden: Das ist mehr als -absurd. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wie widersprüchlich Ihre Familienpolitik ist, erleben wir bei vielen Themen immer wieder. Mal kündigt die Bundesfamilienministerin an, das Elterngeld weiterentwickeln zu wollen, kürzt dann aber stattdessen munter drauflos. Mal behauptet die Bundesfrauenministerin, die sie ja auch sein sollte, Frauen mehr Chancen im Beruf und in Führungspositionen eröffnen zu wollen, steht dann aber der gesetzlichen Frauenquote entgegen und definitiv auf der Bremse. Mal gibt Frau Schröder vor, sich für den Ausbau der Krippen einzusetzen, führt dann aber ein Betreuungsgeld ein, das diesen Ausbau konterkariert. Die Koalition hat in wichtigen gesellschaftspolitischen Bereichen definitiv keinen Fahrplan. Sie sagt mal hü und mal hott und wundert sich dann, dass jeder über diese Politik nur noch den Kopf schüttelt. Dabei ist gerade für Familien Verlässlichkeit ein hohes Gut, damit Familien in diesem Land ihren Alltag und ihre Zukunft planen können. (Beifall bei der SPD) Verlässlichkeit brauchen Familien vor allem bei der sozialen Infrastruktur. Erfahrungen in den skandinavischen Ländern zeigen im Übrigen, meine Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, dass eine solche Infrastruktur eine wirklich wichtige Voraussetzung für ein gutes Aufwachsen von Kindern und für eine gelingende Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist. Ein bedarfsgerechtes Angebot an Krippenplätzen und an Ganztagsangeboten für kleinere und größere Kinder ist in unserem Land längst noch nicht vorhanden. Sowohl die EU als auch OECD mahnen immer wieder an, dass es in Deutschland einen dringenden Nachholbedarf gibt. Das in der Union nun diskutierte Gutscheinmodell für Haushaltshilfen soll offensichtlich von diesem Nachholbedarf ablenken. Oder sollten mit dem Vorschlag vielleicht schnell ein paar Wahlgeschenke an eine gutverdienende Klientel verteilt werden, die sich ohnehin schon Haushaltshilfen leisten kann? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, glauben Sie ernsthaft, diese billigen Taschenspielertricks bekommt niemand mit? Meine Kolleginnen und Kollegen von der Union, abgesehen davon, finde ich bemerkenswert, dass Sie an Gedächtnisverlust zu leiden scheinen, was die Rechtslage angeht; denn es gibt längst Steuervorteile für haushaltsnahe Dienstleistungen. Es gibt sie längst für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse und auch für Kinderbetreuungskosten. Beispielsweise gibt der Staat jährlich etwa 400 Millionen Euro dafür aus, dass Dienstleistungen wie Hausreinigung, Fensterputzen oder Bügeln steuerlich gefördert werden können. Ist Ihnen von der Koalition das alles ganz plötzlich entfallen? Oder wollen Sie mit Blick auf die Bundestagswahl den Wettbewerb „Wer fordert mehr?“ eröffnen? Viel Spaß! Meine Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns hoffentlich alle einig darüber, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes, wenn sie es wünschen, bald wieder die Chance auf den Wiedereinstieg in das Erwerbsleben haben müssen. Doch wir unterscheiden uns bereits bei der Analyse der Situation von Familien ganz deutlich; denn wir haben Mütter und Väter im Blick. (Beifall bei der SPD) Die Union dagegen hat nur Mütter und keine Väter im Blick, (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Oh! Das stimmt doch nicht!) wenn es um die Organisation des Haushalts und des Familienalltags geht. Ihr Haushaltshilfenvorschlag bezieht sich nur auf Frauen. Wir dagegen sehen nicht allein die Frauen in der Verantwortung, sich den Kopf über die Vereinbarkeitsfrage zu machen. Diese Frage geht auch Männer etwas an. Putzhilfegutscheine nur für Frauen wären schon aus diesem Grund der falsche Weg. Wir bauen bei der Familienpolitik auf Gleichberechtigung und Partnerschaftlichkeit. Das haben wir beim Ausbau der Betreuungsangebote, bei Arbeitszeitmodellen und bei der Weiterentwicklung des Elterngeldes im Blick. Uns geht es darum, dass Mütter und Väter bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Unterstützung brauchen sowie dass Frauen und Männern gleiche Chancen im Erwerbsleben einzuräumen sind. Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinweisen: Art. 3 unseres Grundgesetzes zielt darauf ab, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern. Ich hoffe sehr, dass auch diese Koalition nicht weitere Überraschungen in der Schublade hat, die genau diesem Ziel elementar zuwiderlaufen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Caren Marks. – Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Ingrid Fischbach. Bitte schön, Frau Kollegin Ingrid Fischbach. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe Germanistik studiert und glaube, zu verstehen, was ich lese. Da ich mich auf diese Aktuelle Stunde und meine Rede vorbereiten wollte, habe ich den Titel der Aktuellen Stunde mehrfach gelesen. Aber, liebe Frau Marks, mir war gar nicht klar, worüber Sie reden wollen. Ihre Rede hat zur Erhellung auch nicht beigetragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben zur Familienpolitik der Bundesregierung geredet. Darüber kann man reden. Ihre Aktuelle Stunde trägt den Titel „Unterschiedliche Auffassungen der Koalitionsfraktionen über ihre Pläne zur Einführung von Gutscheinen für Haushaltshilfen“. (Caren Marks [SPD]: Ja!) – Jetzt sagen Sie Ja. – Mich hat verwundert, dass Sie über die Pläne Bescheid wussten, aus dem Antrag zitiert haben, obwohl selbst die Regierungsfraktionen diesen Antrag nicht kennen. (Elke Ferner [SPD]: Sie haben ihn doch begrüßt!) Das ist wunderbar. (Elke Ferner [SPD]: Sie haben doch den Vorschlag gemacht!) – Ich habe ihn geschrieben. Das ist ein Unterschied. – Man muss immer überlegen: Worüber redet man, und was will man mit einer Aktuellen Stunde erreichen? Ich finde es schön, in 15 Jahren endlich einmal eine Aktuelle Stunde zu verantworten zu haben. Das ist mir bisher noch nie gelungen. Sie haben mir dazu verholfen. Das mache ich besonders gerne. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich kann Ihnen auch erklären, warum es keine einheitlichen Auffassungen geben kann. Das liegt daran, dass dieser Antrag noch gar nicht eingebracht worden ist. (Elke Ferner [SPD]: Aber die Ministerin begrüßt ihn schon mal!) Dieser Antrag stammt von einer kleinen Gruppe. Das unterscheidet uns von der SPD, Frau Ferner: Wir dürfen auch in kleineren Gruppen denken. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben in einer kleinen Gruppe darüber nachgedacht, wie man Eltern unterstützen kann. Deswegen stimmt das, was Sie, Frau Marks, sagen, nicht. Den Antrag können Sie gar nicht haben; den haben Sie auch nicht. Darin ist außerdem nicht nur von Frauen, sondern auch von Vätern die Rede. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen genauso wie andere Fraktionen, dass Eltern, die zum Beispiel längere Zeit aus dem Beruf heraus sind, die 30, 40 Jahre und älter sind und nun in den Beruf zurückkehren wollen, eine Hilfe bekommen. Dass haushaltsnahe Hilfen und haushaltsnahe Dienstleistungen gar nicht so falsch sind, haben zum Beispiel die Grünen mit einem Antrag im Landtag NRW belegt. Jetzt habe ich bei Ihrer Rede, Frau Marks, den Eindruck gewonnen, das alles sei nur eine Idee von FDP und CDU/CSU. Kennen Sie die Arbeitsgemeinschaft der Frauen der SPD Unterfranken? (Caren Marks [SPD]: Ja!) Diese haben zum Beispiel auf einem Parteitag der SPD gefordert – ich zitiere –: Haushaltsnahe Dienstleistungen, die über Wohlfahrtsverbände, Agenturen und die Kommune … angeboten werden, sollen vom Land Bayern für max. 20 Stunden im Monat gefördert werden. (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Die Forderung muss an sozial Schwache weitergegeben werden, damit die Inanspruchnahme der Dienstleistungen durch Familien, Alleinerziehende und SeniorInnen finanzierbar bis zu kostenfrei ist. (Elke Ferner [SPD]: Das ist aber etwas anderes als das, was wir in den Zeitungen von Ihnen gelesen haben!) Die Frauen sind klug, Frau Ferner. Wissen Sie, warum? (Elke Ferner [SPD]: Nein!) Weil die steuerlichen Entlastungen, von denen Ihre Kollegin Marks eben gesprochen hat, nur denjenigen zugutekommen, die viele Steuern zahlen. (Elke Ferner [SPD]: Das ist doch das, was Sie fordern!) Wir denken auch an die Familien mit kleinen und mittleren Einkommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD) Meine Damen und Herren, Sie haben doch selber – selbst Frau Ferner, deren Homepage ich hier zitieren könnte – die Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen gelobt, (Caren Marks [SPD]: Ja!) die wir in der Großen Koalition auf den Weg gebracht haben, weil sie Entlastung bringt. (Caren Marks [SPD]: Das scheinen Sie nur vergessen zu haben!) – „Wer schreit, hat noch lange nicht recht“, hat meine Mama immer gesagt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, wir reden heute in einer Aktuellen Stunde über ein Problem, das gar keines ist. Wir haben in einer kleinen Runde Ideen gehabt, haben den Finanzpolitikern schon vor einiger Zeit unsere Ideen vorgetragen und haben gemerkt, dass sie im Moment nicht finanzierbar sind. Auch darin unterscheiden wir uns von Ihnen: Wir wollen den Menschen helfen, wir wollen ihnen aber auch eine Zukunft geben. Wer nur Forderungen in zweistelliger Milliardenhöhe aufstellt, Frau Marks, ohne zu sagen, wie es finanziert werden soll, der tut den Menschen keinen Gefallen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der sorgt auch dafür, dass gerade unsere Familien, unsere Jugend, unsere Kinder keine Zukunft haben. Wir stehen dazu. (Elke Ferner [SPD]: Sie stehen offensichtlich nicht zu Ihren Vorschlägen!) Wir sind die Partei, wir sind die Regierungskoalition für Familien. Wir haben alle Familien im Blick. Wir haben die Väter und Mütter im Blick, und – das erfreut mich am meisten – wir dürfen noch frei denken (Caren Marks [SPD]: Sie dürfen auch Unsinn denken!) und unsere Ergebnisse in die Öffentlichkeit bringen. Vielleicht, Frau Marks, sollten wir einmal darüber nachdenken, ob es – den Vorschlag werde ich meiner Fraktion unterbreiten – einen Bildungsgutschein für die SPD geben kann, damit sie in Zukunft Aktuelle Stunden so tituliert, dass jeder weiß, worum es geht. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Ingrid Fischbach. – Nächster Redner für die Fraktion Die Linke ist unser Kollege Jörn Wunderlich. Bitte schön, Kollege Jörn Wunderlich. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum die SPD auf dieser Aktuellen Stunde besteht, kann auch ich nicht ganz nachvollziehen; denn aktuell ist das Thema ja nicht mehr. Ausgelöst hatte die Debatte Frau Fischbach als stellvertretende Fraktionschefin der CDU/CSU. Sie hat in einer Art Vorlaufantrag gefordert, dass monatlich bis zu 15 Stunden für die Beschäftigung einer Haushaltshilfe mit bis zu 6 Euro pro Stunde bezuschusst werden, und zwar für die Dauer von 18 Monaten. Dies war in etwa der Inhalt, wenn ich richtig informiert bin. Frau Schröder fand das ganz toll. (Elke Ferner [SPD]: Auch wenn sie den Inhalt nicht kennt, aber toll findet sie es!) Das Ganze sollte für junge Eltern gelten, die wieder in den Beruf zurückkehren. Warum nur für junge Eltern, das weiß ich nicht. Frau Schröder fand es jedenfalls ganz toll. Das kommentiere ich jetzt lieber nicht weiter, sonst flippt Frau Bär wieder aus und vergreift sich im Ton. Jedenfalls hat Frau Fischbach gesagt: Wenn wir wollen, dass insbesondere Frauen vermehrt in den Beruf zurückkehren, müssen wir sie unterstützen. Das Gutscheinmodell sei deshalb ein guter Ansatz. So hat sie es gesagt. (Elke Ferner [SPD]: Genau!) Inzwischen ist das Betreuungsgeld verabschiedet worden. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!) Zunächst sollen Frauen – denn es betrifft ja zunehmend Frauen – mit 100 Euro monatlich dazu gebracht werden, zu Hause zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern, (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Schwachsinn!) und dann sollen sie – jetzt werden noch einmal 90 Euro draufgelegt – zurück an den Arbeitsplatz gelockt werden. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist doch Schwachsinn!) Diese Denkweise hat sich auch gestern im Familienausschuss bestätigt. Dort war nur von jungen Frauen die Rede. – Herr Pols, waren Sie gestern dabei? Wenn ja, dann haben Sie nicht aufgepasst. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Granold hat es gesagt. Man fragt sich: Warum immer nur Frauen? Gibt es denn in CSU- und CDU-Familien keine Männer, die ihre Frauen im Haushalt unterstützen können? (Elke Ferner [SPD]: Nein, die gibt es nicht!) Oder helfen CDU/CSU-Männer grundsätzlich nicht im Haushalt? (Elke Ferner [SPD]: Genau!) Oder ist es bei CDU/CSU-Familien so, dass die für eine Familie überhaupt keine Männer brauchen? So etwas hat es schon einmal vor circa 2 000 Jahren gegeben. Der Bundesfinanzminister hat sich skeptisch zu dem Vorstoß geäußert. Am Montag gab es bereits harsche Kritik aus den eigenen Reihen. Da hieß es, es handele sich um eine theoretische Diskussion, geschuldet dem anstehenden Parteitag, aber nicht um reale Politik, so Patrick Döring, Generalsekretär der FDP. Rainer Brüderle nannte das Modell „nicht voll durchdacht“. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Ist es auch noch nicht!) Der Vorsitzende der Seniorenunion der CDU/CSU, Otto Wulff, warnte: Wir neigen zu Schnellschüssen, und ich würde gern erst einmal fundierte Daten darüber haben, um wie viele Frauen – wieder einmal Frauen – es hier geht und wer Hilfe benötigt. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn jetzt eigentlich sagen?) – Ihr seid euch alle uneinig. Dazu komme ich aber noch. Zuhören! Aufpassen! Was ich nicht verstehe, ist, dass sich die SPD zumindest zum Teil mit dem Modell angefreundet hat. Das kann man nachlesen. Frau Humme hat als Sprecherin des Arbeitskreises „Gleichstellung“ in der SPD gesagt, das könne ein gangbarer Weg für Geringverdiener sein. Das hat sie in der taz gesagt. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das habe ich gar nicht gefunden!) Sie hat des Weiteren gesagt, Menschen, die eine Haushaltshilfe nicht von der Steuer absetzen können, hätten nun ebenfalls eine Subvention für den Haushalt. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wo ist denn die Frau Humme?) So war ihre Argumentation. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Zitieren Sie nur andere, oder haben Sie auch eine eigene Meinung?) Also ist es toll, wenn arme Frauen – da sie keine Steuern zahlen – prekäre Beschäftigung schaffen? Immerhin hat Frau Marks die Konzeptionslosigkeit der Regierung erkannt. (Beifall bei der LINKEN – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sie haben nicht alles gelesen! Sonst wüssten Sie, dass es nicht nur um Haushaltshilfen geht!) – Frau Fischbach, bleiben Sie ruhig. Mit der Subventionierung von Haushaltshilfen für auf ihren Arbeitsplatz zurückkehrende Mütter zeigt die Bundesregierung, dass sie eben nicht bereit ist, dieses Geld für eine gute öffentliche Infrastruktur für Familien auszugeben. Statt den Kitaausbau voranzutreiben (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Die braucht die 35-Jährige nicht mehr, und auch die 40-Jährige nicht! Die brauchen keinen Kitaplatz!) oder Verbesserungen im Unterhaltsvorschuss zu ermöglichen, werden die gesellschaftlichen Probleme priva-tisiert und Minijob- und Niedriglohnsektor gefördert. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Es ist nicht zu glauben!) Ich sage Ihnen: Schlecht bezahlte Haushaltshilfen zu subventionieren, ist sozialer und familienpolitischer Schwachsinn. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Familienfreundliche Arbeitsbedingungen und gute Kitaplätze sind der Schlüssel, um Familie und Arbeitswelt erfolgreich zu kombinieren. Die Führung der Unionsfraktion hat am Dienstag letztlich das Ganze abgeschossen. „Keine Chance für die Umsetzung“, so hat es Grosse-Brömer ausgedrückt. Ich will zusammenfassen: Laut tönen, sich nicht abstimmen, Quatsch verkünden und alles anschließend wieder schnell in die Tonne kloppen – das ist gegenwärtig die Politik dieser Regierung. Im Grunde erleben wir derzeit ein Sternstündchen. Mist zu planen, ist ja nichts Neues bei der Koalition. Den Mist dann aber doch zu lassen – da hat dann vielleicht das freie Denken, das Frau Fischbach immer wieder betont, endlich einmal eingesetzt. Immerhin! (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Herr Wunderlich, Sie werden immer wunderlicher! – Zuruf von der FDP: Ich weiß nicht, was Sie zu Mittag gegessen haben!) Das ist ein Weg in die richtige Richtung. Danke. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Jörn Wunderlich. – Nächste Rednerin für die Fraktion der FDP ist unsere Kollegin Miriam Gruß. Bitte schön, Frau Kollegin Miriam Gruß. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Miriam Gruß (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Aktuelle Stunde soll nach § 106 unserer Geschäftsordnung zu einem „Thema von allgemeinem aktuellen Interesse“ stattfinden. Dass kein allgemeines aktuelles Interesse besteht, sieht man schon daran, dass ungefähr zwölf Kollegen von der SPD anwesend sind (Elke Ferner [SPD]: Bei Ihnen gerade noch weniger!) und der Bundestag insgesamt auch nicht gerade vor Interessierten überquillt. Suchen Sie sich aktuellere und geeignetere Themen für Aktuelle Stunden, die Sie beantragen; das ist jedenfalls keines, meine Damen und Herren von der SPD. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Gestern waren noch weniger im Plenum bei der Aktuellen Stunde!) Zum Inhalt kann man nur sagen: Haushaltsnahe Dienstleistungen werden schon jetzt gefördert. Wir sind uns inhaltlich eigentlich einig darüber, dass das gut und richtig so ist. Auf Seite 87 des Wahlprogramms der Grünen und auf Seite 40 des Wahlprogramms der SPD von 2009 steht die Forderung nach einer Förderung der haushaltsnahen Dienstleistungen. (Caren Marks [SPD]: Die fördern wir ja schon!) Ich habe, weil sich die Debatte hinzieht, darauf verzichtet, mein Skript mitzunehmen; aber ich kann Ihnen die Zitate bei Bedarf gerne nachreichen. Es handelt sich also um eine absurde Debatte zu einer Zeit, zu der man wirklich Besseres diskutieren könnte als das, was Sie jetzt hier angezettelt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich halte es im Zuge der Anstrengungen, die wir als Parlamentarier zur Vermeidung von Politikverdrossenheit unternehmen, für eine Zumutung, (Elke Ferner [SPD]: Dann setzen Sie sich mal ganz schnell hin!) dass Sie ständig versuchen, hier Diskussionen zu bestimmten Themen anzuzetteln und die Familienpolitik dieser Regierung schlechtzureden. (Elke Ferner [SPD]: Das haben wir doch nicht erfunden!) Wir haben hier eine Erfolgsbilanz vorzuweisen, und wir haben sie Ihnen eigentlich schon in der letzten Sitzungswoche präsentiert. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ihr habt doch keine Erfolge!) – Doch! – Wir haben die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert durch die größte Investition in Infrastruktur, die jemals eine Regierung getätigt hat. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben uns darum gekümmert, dass die Familien Zeit bekommen. Wir haben uns mit dem Bundesprogramm „Perspektive Wiedereinstieg“ auch um den Wiedereinstieg in den Beruf gekümmert; die BA und die Länder sind da übrigens auf einem guten Weg. Wir haben uns darum gekümmert, dass die Familien entlastet werden. Last, but not least – meine Kollegin Fischbach hat es schon angesprochen – bedenken wir im Gegensatz zu Ihnen bei all dem, dass wir einen Haushalt aufstellen wollen, der insgesamt generationengerecht und nachhaltig ist. (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/CSU]) Im nächsten Jahr erfahren wir die Ergebnisse der Gesamtevaluation der familienpolitischen Leistungen. Dies wird ein Anlass sein, zu schauen: Was brauchen die Familien? Es widerstrebt mir völlig, im Vorfeld Denkverbote auszusprechen; das sollte man nicht tun. Denn Familienpolitik muss diskutiert werden. Da gehören auch solche Debatten dazu; das ist richtig. Allerdings ist es wirklich Unsinn, diese Debatte in das Parlament zu tragen. Wir sollten über wichtigere Themen diskutieren. Dazu sind wir gerne bereit, aber nicht zu dem Unfug, den Sie hier angezettelt haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Miriam Gruß. – Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Kerstin Andreae. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten gestern eine Aktuelle Stunde zur Vermögensteuer. Dazu lagen Konzepte der Grünen und der SPD vor. Wenn ich mich richtig erinnere, waren da weniger Kolleginnen und Kollegen anwesend, zumindest seitens der Koalition. Wir sollten Aktuelle Stunden schon ernst nehmen und jetzt hier über eine Idee sprechen, die nun einmal zumindest im Raum steht. Es müssen andere beurteilen, ob es sich um eine Nebelkerze handelt, die schon verraucht ist. Aber die Idee der Gutscheine für Haushaltshilfen steht im Raum. Es ist gar nicht unser Problem, dass es jetzt seitens der Koalition als nicht umsetzbar, als nicht voll durchdacht oder als eine theoretische Diskussion dargestellt wird, die wohl eher dem anstehenden Parteitag der CDU geschuldet ist. Ich finde, man darf darüber nachdenken, man soll sich etwas überlegen. Das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist sehr wichtig. Das, was bleibt, ist, dass die Bundesregierung – darüber reden wir – kein Konzept und keinen nachvollziehbaren, durchdachten Plan beim Thema Familienpolitik und bei der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Erst beschließen Sie den Kitaausbau und schaffen einen Rechtsanspruch, damit mehr Mütter arbeiten gehen können. Dann haben die Regierung und die Koalition – das werden Sie sich immer und immer wieder anhören müssen, Frau Fischbach, Sie hatten da eine andere Position – gegen den erbitterten Widerstand der Fachleute das Betreuungsgeld beschlossen, das dazu führt, dass zahlreiche Mütter dann doch lieber zu Hause bleiben. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Es gibt auch Fachleute, die das anders sehen!) Und jetzt kommen Sie mit einem Vorschlag, dessen Umsetzung eine weitere Milliarde kosten würde, und wollen dafür sorgen, dass Mütter wieder arbeiten gehen. Das ist kein Plan; das ist keine geradlinige Position. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Ich würde dringend empfehlen, Konzepte, die man entwickelt, tatsächlich einmal an ein paar Punkten zu überprüfen. Zum einen besteht die große Gefahr von Mitnahmeeffekten. Das wäre bei den Gutscheinen der Fall. Mitnahmeeffekt bedeutet, dass jemand eine Leistung in Anspruch nimmt, obwohl er sich sowieso eine Haushaltshilfe genommen hätte. Er macht etwas geltend, was er sowieso schon geplant hat. Diese Mitnahmeeffekte sind in weiten Teilen teuer. Wir müssen unser Geld für andere Sachen ausgeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Es geht um haushaltsnahe Dienstleistungen!) Zum anderen müssen Sie sich überlegen – das ist ein weiteres Kriterium –, ob die Leistungen unabhängig von Einkommen und Vermögen in Anspruch genommen werden können. Wir haben nicht mehr so viel Geld, dass wir die Subventionen mit der Gießkanne verteilen können. Wir müssen uns nach der Bedürftigkeit richten. Wir müssen uns überlegen: Wer braucht es? Wo kann es zielgerichtet eingesetzt werden? Ihr Konzept greift nicht, weil die Gutscheine unabhängig von Einkommen und Vermögen in Anspruch genommen werden können. Sie müssen sich auch überlegen, was das an Bürokratie nach sich zieht. Sie haben ein Bildungs- und Teilhabepaket auf den Weg gebracht, das für Kinder aus einkommensschwachen Familien gedacht ist. Aber die Leistungen kommen bei vielen bedürftigen Kindern nicht an. Stattdessen wurde ein Verwaltungsapparat aufgebaut mit dem Ergebnis, dass ein eingesetzter Euro 30 Cent Bürokratie- und Verwaltungskosten nach sich zieht. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!) Das ist wieder ein Konzept, das unlogisch und nicht durchdacht ist und das Kriterium „bürokratiearm“ nicht erfüllt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Es geht doch um Gutscheine und nicht um Dienstleistungen!) Sie fordern ein Nachdenken ein. Ich entwickele meine Gedanken weiter und frage: Welche Kriterien müssen zugrunde gelegt werden? Wo versagen Sie im Bereich der Familienpolitik? (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist nicht das Thema der Aktuellen Stunde!) Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist der entscheidende Punkt. Wir müssen uns fragen: Wie bekommen wir es in den nächsten Jahren hin, dass sich junge Mütter und Frauen für beides entscheiden: für Familie und für den Beruf? (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Da bin ich doch bei Ihnen!) Aber die Maßnahmen, die Sie von der Koalition ergreifen, reichen nicht aus. Sie sind teilweise auf dem falschen Weg und setzen falsche Anreize wie mit dem Betreuungsgeld. Wir erkennen keine Linie. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Sie haben ein Erkenntnisproblem!) Es ist nicht zu erkennen, dass Sie sich wirklich dafür entschieden haben: Wir wollen den jungen Müttern, den jungen Eltern eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Zeit geben für ihre Kinder, Zeit für ihre Familie!) Wir wollen sie unterstützen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich zu leben. – Das können wir bei Ihnen nicht sehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wir wollen ihnen Zeit geben!) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas zur Forderung des Arbeitgeberpräsidenten Hundt sagen, die Elternzeit auf ein Jahr zu begrenzen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hat mit Haushaltshilfe nichts zu tun!) Das ist absoluter Blödsinn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Herrn Hundt muss man sagen: Die Arbeitswelt hat sich an den Familien zu orientieren, und nicht die Familien an der Arbeitswelt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In diesem Sinne: Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen herzlichen Dank, Frau Kollegin Kerstin Andreae. – Nächste Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten: unsere Kollegin Elke Ferner. Bitte schön, Frau Kollegin Elke Ferner. (Beifall bei der SPD) Elke Ferner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich habe es kaum für möglich gehalten, dass die Fernhalte- bzw. Herdprämie noch zu toppen ist, aber das scheint locker zu gehen. Jetzt kommt eine Putzprämie, zumindest wenn es nach Frau Fischbach geht. Wir dürfen gespannt sein, welche Prämien Ihnen bis zum Herbst nächsten Jahres noch einfallen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ihr Diskussionsniveau haben Sie auch getoppt!) Frau Fischbach, ich hätte mir gewünscht, dass Sie wenigstens Frau genug gewesen wären, Ihr Konzept zu erläutern, doch das haben Sie nicht getan. Sie haben nur Nebelkerzen geworfen. Noch peinlicher finde ich es, dass für Ihre Fraktion außer Ihnen niemand das Wort ergreift. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Schröder hat den Vorstoß ganz eilig unterstützt mit den Worten: Bezahlbare Hilfe im Haushalt erleichtert Familien das Leben und insbesondere Frauen nach der Elternzeit die Rückkehr in den Beruf. Außerdem können hierdurch neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in Privathaushalten entstehen. Ich frage mich, ob hier noch alle richtig ticken. Zuerst werden die Frauen mit dem Betreuungsgeld bzw. der Herdprämie von der Arbeitswelt ferngehalten, dann sollen sie mit der Putzprämie wieder in das Erwerbsleben geschickt werden. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Was haben Sie denn dagegen, dass Müttern geholfen wird, wenn sie Familie und Beruf vereinbaren wollen? Sie sind so weit weg von der Wirklichkeit!) Ich glaube, dass Sie wirklich keine Ahnung haben, was die Menschen in unserem Land bewegt; denn für die Rückkehr in den Beruf ist für junge Mütter und Väter doch nicht entscheidend, ob eine Putzhilfe subventioniert wird oder nicht. Viel entscheidender ist doch, ob es eine gute und verlässliche Kinderbetreuung gibt, ob es Unterstützung gibt, wenn ein Elternteil krank ist oder wenn das Kind krank ist, ob es familienfreundliche Arbeitszeiten gibt und ob es sich finanziell unter dem Strich, also nach Abzug aller Kosten, lohnt, arbeiten zu gehen oder nicht. Das ist doch die entscheidende Frage. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Natürlich ist auch die Frage wichtig: Kann ich mir eine Putzhilfe leisten, oder kann ich mir keine leisten? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Zuschuss von 6 Euro pro Stunde die Entscheidung beeinflusst. Für diejenigen, die wieder in den Beruf einsteigen, sind steuerliche Fragen – Steuerklasse V, Ehegattensplitting – viel entscheidender als die Frage, ob sie 6 Euro pro Stunde, maximal 90 Euro pro Monat, als Putzhilfenzuschuss bekommen. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Gucken Sie in das europäische Ausland oder nach Hessen! Das läuft sehr gut!) Ich glaube auch nicht, dass dadurch mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Man muss wissen, worüber man redet, liebe Kolleginnen und Kollegen – (Patrick Döring [FDP]: Das gilt vor allen Dingen für den Redner!) damit meine ich vor allen Dingen Frau Schröder, die heute wieder einmal nicht hier ist –: Um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis überhaupt begründen zu können, muss die Beschäftigte ab dem nächsten Jahr mehr als 450 Euro Einkommen haben. Sonst ist das Beschäftigungsverhältnis nämlich nicht sozialversicherungspflichtig. Das bedeutet, dass man bei 15 Arbeitsstunden pro Monat einen Stundenlohn von 30 Euro verdienen muss. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist ein Zuschuss!) So viel Geld dafür hat diejenige oder derjenige, die bzw. der wieder in den Beruf zurückgeht, aber nicht. Erst recht bekommt keine Haushaltshilfe einen Stundenlohn von 30 Euro. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: 30 Euro pro Stunde? Wo leben Sie denn?) Schauen wir uns einmal an, wie das ist, wenn man die Dienstleistung bei einer Firma einkauft. Dann legt man locker 25 Euro die Stunde hin, inklusive Mehrwertsteuer. Wenn es eine Subvention von 6 Euro gibt, dann sind wir bei 19 Euro. Ich glaube, diese Subvention hilft den Familien nicht wirklich weiter. Ich finde es richtig, sich über die Frage auszutauschen, wie wir diejenigen, die sich eine Haushaltshilfe nicht leisten können – ich meine nicht nur junge Eltern, sondern auch ältere Menschen, die keine steuerliche Förderung in Anspruch nehmen können –, in die Lage versetzen können, eine Haushaltshilfe zu beschäftigen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das ist sicherlich eine sehr verdienstvolle Diskussion. Eine solche Diskussion fängt man aber nicht so an, wie Sie das gemacht haben. Ich glaube, dass diesbezüglich Diskussionsbedarf besteht. Die Diskussion können Sie doch nicht mit der Frage beginnen, wie wir es schaffen können, dass junge Frauen wieder in den Beruf zurückkehren, nachdem Sie sie zuvor mit der Herdprämie aus dem Beruf herausgelockt haben. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Kennen Sie Frauen, die älter sind, außerhalb des Berufslebens stehen und nicht wieder in den Beruf zurückkommen? 30, 40 Jahre alt und keine Chance, in den Beruf zurückzukommen!) Ich will noch etwas zu der Bemerkung sagen, die Sie, Herr Kollege Wunderlich, zu Frau Humme gemacht haben. Frau Humme hat gesagt: Hinsichtlich der Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen könnte so etwas von Vorteil sein. Sie hat aber auch ausdrücklich gesagt – ich glaube, sogar im selben Interview –, dass das für die Rückkehr in die Erwerbstätigkeit überhaupt keine Rolle spielt und sie das Vorhaben nicht gut findet. – Ich wünsche von dieser Stelle aus Frau Humme nach ihrer OP gute Genesung. Letzter Punkt. Ich finde, dass diese Debatte zeigt, wie die Arbeitsteilung durch die Brille der Union aussieht: Im 21. Jahrhundert sind die Frauen immer noch zuständig für den Herd und für das Putzen und nicht für andere Dinge. Ich kann Ihnen nur entgegenhalten: Wir wollen eine partnerschaftliche Teilung der Arbeit zwischen Männern und Frauen, (Manfred Grund [CDU/CSU]: Ihr habt ja nicht einmal eine Kanzlerkandidatin!) und zwar in der Familie und im Beruf, und das auf Augenhöhe. Dafür werden wir im nächsten Jahr die Mehrheiten bekommen. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Elke Ferner. – Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Florian Bernschneider. Bitte schön, Kollege Florian Bernschneider. (Beifall bei der FDP) Florian Bernschneider (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann es sich in dieser Aktuellen Stunde sehr leicht machen, indem man sagt, dass allein der Titel Ihrer Aktuellen Stunde weit an der Realität vorbeigeht und es sich deswegen eigentlich gar nicht lohnt, darüber zu diskutieren. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Das, was Sie der Koalition unterstellen – Streit und Uneinigkeit –, gibt es eigentlich gar nicht. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Das wird deutlich, wenn man sich die Äußerungen der Fraktionen und die Äußerungen der Ministerien in den letzten Tagen anschaut. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ein Herz und eine Seele!) Diesen Streit gibt es gar nicht. Es gibt Einigkeit in der Koalition, zum Beispiel hinsichtlich des Ziels, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, weil es nichts Generationengerechteres gibt, als zukünftigen Generationen nicht ständig neue Schulden zu hinterlassen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht ihr aber sehr erfolgreich!) Es gibt Einigkeit in der Koalition über eine familienpolitische Notwendigkeit, nämlich über die Notwendigkeit, die familienpolitischen Leistungen zu evaluieren und nach dieser Evaluierung zu überprüfen, wie man sie effizienter aufeinander abstimmen kann. Über eine Frage diskutieren die Kolleginnen und Kollegen in der Union, wir in der FDP und, wie ich hoffe, auch Sie in der Opposition: Wie erreichen wir es, dass Männer und Frauen nach einer Familienphase schnellstmöglich wieder in den Beruf zurückkehren können? Das ist völlig legitim. Das ändert aber nichts daran, dass sich die Antworten an den beiden genannten Kriterien orientieren müssen, nämlich an dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts und einem effizienten System familien-politischer Leistungen. Insoweit gibt es eigentlich gar keinen Grund, länger über dieses Thema zu sprechen. Der wahre Hintergrund, warum Sie diese Aktuelle Stunde anzetteln, ist auch gar nicht dieses Thema. Der wahre Hintergrund ist, dass Sie sich darüber ärgern, dass Ihre familienpolitische Kritik an uns nicht gezündet hat. Das haben Sie in der Haushaltswoche nicht geschafft. Deswegen wollen Sie Ihr Theater in dieser Woche einfach fortsetzen. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Genau!) Das ist Ihr gutes Recht als Opposition. Das ist nicht besonders kreativ. Ihre Kritik wird in dieser Woche genauso wenig zünden wie in der Haushaltswoche. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Jeder hat natürlich eine zweite Chance verdient. Die wollen wir auch Ihnen lassen, aber ich sage Ihnen: Es ist auch das Recht der Koalitionsfraktionen, Sie an den Ansprüchen zu messen, die Sie uns hier Woche für Woche vorhalten. Gehen wir die Punkte doch einmal durch. Schauen wir uns das Thema Betreuungsgeld an, mit dem die SPD krampfhaft versucht, zu skandalisieren. Es ist nur blöd, dass die Menschen noch wissen, dass die SPD in der Großen Koalition der Verankerung des Betreuungsgeldes im SGB zugestimmt hat. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Ohne irgendeine Rechtsfolge!) Das versuchen Sie jetzt vergessen zu machen. Sie sagen den Menschen: Wenn wir jetzt die Bundestagswahl gewinnen, dann schaffen wir das Betreuungsgeld sofort ab. (Elke Ferner [SPD]: Genau!) Das ist das Versprechen einer Partei, die in Thüringen Regierungsverantwortung trägt. Dort gibt es das Betreuungsgeld. (Elke Ferner [SPD]: Das gab es schon, bevor wir dort an die Regierung kamen!) – Frau Ferner, ich frage Sie: Was haben Sie in Thüringen eigentlich gemacht, um das Betreuungsgeld abzuschaffen? (Elke Ferner [SPD]: Was haben Sie denn gemacht, obwohl Sie gegen das Betreuungsgeld sind?) Sie mit Ihren Genossen haben in Thüringen darauf gewartet, dass wir das Betreuungsgeld hier in Berlin verabschieden, damit Sie es in Thüringen endlich abschaffen können, ohne jemandem dabei wehzutun. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) In Thüringen wird die spannende Frage sein, ob Sie Ihr zweites Versprechen, das Sie hier abgeben, halten, nämlich die Einsparungen aus dem Betreuungsgeld in den Ausbau und in die Verbesserung der Qualität der Kitaplätze zu investieren. (Elke Ferner [SPD]: Darauf können Sie wetten!) Ich sage Ihnen schon jetzt: Ich glaube es Ihnen nicht. Ein Blick nach Schleswig-Holstein reicht. In Schleswig-Holstein profitieren die Kommunen von einem wichtigen Schritt, den wir als christlich-liberale Koalition gegangen sind, nämlich von der Entlastung der Kommunen durch die Übernahme der Grundsicherung im Alter. Was machen Sie in Schleswig-Holstein? (Elke Ferner [SPD]: Klittern Sie nicht die Geschichte!) Sorgen Sie dafür, dass die Kommunen diesen zusätzlichen Spielraum für den Ausbau und für die Qualitätsverbesserung von Kinderbetreuung zur Verfügung haben? Nein, Sie kürzen den Länderzuschuss. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist ja fies!) Meine Damen und Herren, wenn man die Gelegenheit hat, Spielraum für den Ausbau der Kinderbetreuung zu lassen, dann sollte man ihn auch geben. Es ist nicht das erste Mal, dass Sie auf dem Rücken der Familien Einsparungen vornehmen und trotzdem keinen ausgeglichenen Haushalt hinkriegen. Schauen wir nach Hamburg. Dort sparen Sie gerade kräftig an der Jugendsozialarbeit. Schauen wir nach Baden-Württemberg. Dort wollen Sie in den kommenden Jahren 11 600 Lehrerstellen streichen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie so einen Haushalt hinterlassen haben!) Wie passt das zu der vorsorgenden Politik von Hannelore Kraft, die 1 Euro lieber zu früh als zu spät ausgeben will? Ich sehe das – ehrlich gesagt – nicht. Das müssen Sie sich vorhalten lassen, wenn Sie uns jede Woche erklären, unsere Familienpolitik sei nicht konsistent. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten 50 Jahre CDU!) Da wir beim Thema sind: Hannelore Kraft stellt lieber 2 000 neue Beamte ein, als sich um das drängende Thema des Ausbaus der Kinderbetreuung zu kümmern. Man muss gar nicht nach Nordrhein-Westfalen gucken, ein Blick nach Berlin reicht aus. Ihr Partybär Klaus Wowereit schafft es nicht einmal, das Elterngeld, die familienpolitische Leistung des Bundes, an die Familien auszuzahlen. Die Familien warten monatelang darauf, das Geld zu erhalten, das ihnen zusteht. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: So sind Sie!) Wo auch immer man in Deutschland hinsieht: Wenn Familien sich auf Sie verlassen müssen, dann sind sie verlassen. Schauen Sie dagegen auf diese Koalition. Auf uns können sich die Familien verlassen. (Elke Ferner [SPD]: Dann sind sie verlassen!) In einem Punkt können Sie sicher sein: Diese Koalition ist sich zu 100 Prozent einig, alles dafür zu tun, dass Sie nach der Bundestagswahl keine familienpolitische Verantwortung in diesem Land tragen werden. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Sie werden gar nicht mehr hier sein!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Florian Bernschneider. – Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Stefan Schwartze. Bitte schön, Kollege Stefan Schwartze. (Beifall bei der SPD) Stefan Schwartze (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die letzte Rede hat eines bewiesen: Getroffene Hunde jaulen auf. (Beifall bei der SPD) Das Jaulen war sehr laut. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Auf Ihrer Seite!) Ich glaube, so eine Aktuelle Stunde wie heute, (Sibylle Laurischk [FDP]: Sollte man lassen!) in der von der Union nur eine einzige Rednerin bereit ist, hier nach vorn zu gehen, zeigt ganz deutlich: Die Union hat eines erkannt. Sie haben nämlich keine Linie in der Familienpolitik. Sie wissen überhaupt nicht, wo Sie hinwollen. Es gibt keinen, der erklären kann, worum es eigentlich geht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU) Für den wichtigen Rechtsanspruch auf die U3-Betreuung fehlen in Deutschland noch 220 000 Plätze. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wo denn?) Dazu sollten wir hier Vorschläge machen. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sagen Sie doch, wo!) – Ja, Sie tun definitiv viel zu wenig. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Herr Schwartze, seien Sie mal ehrlich!) Stattdessen geben Sie jetzt 2 Milliarden Euro jährlich für das Betreuungsgeld aus, eine Leistung, die nur der CSU hilft, die nur die CSU will und die niemand in diesem Land braucht. (Beifall bei der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal ehrlich, wo die meisten Plätze fehlen!) Den nächsten Coup landen Sie jetzt mit dem Thema Dienstmädchen. Es geht um Dienstmädchen für alle Gutverdienenden. Sie schlagen vor, noch einmal 1 Milliarde Euro jährlich zur Verfügung zu stellen. Geld spielt bei Ihnen keine Rolle. (Sibylle Laurischk [FDP]: Das ist reine Polemik!) Frau Fischbach, Sie als stellvertretende Fraktionsvorsitzende haben die Debatte hier begonnen mit der großen Verkündigung: Die Unionsfamilienpolitiker haben sich geeinigt. – Allein das ist eigentlich eine Nachrichtenmeldung wert. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Ach, die lesen Sie? Ich schicke sie Ihnen zu! Sie kommen in meinen Verteiler!) Sie haben sich auf ein völlig unausgegorenes Gutscheinmodell für Haushaltshilfen geeinigt. Sie haben sich so sehr geeinigt, dass man Sie hier heute allein im Regen stehen lässt. (Elke Ferner [SPD]: Peinlich! – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wir sind alle da!) Die Einzigen, die sozusagen gleich auf den Zug aufspringen, sind die Familienministerin Schröder und Frau von der Leyen. Frau Schröder findet das Vorhaben gut. Sie ist der Meinung, dass es eine gute Maßnahme ist, um dem Fachkräftemangel in diesem Land zu begegnen. Erstaunlicherweise springt auch Frau von der Leyen auf den Zug. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Gute Frau!) Sie erklärt, dass es ein prima Vorhaben ist, durch das den Menschen mehr Zeit für Familien ermöglicht wird. Es ist sehr erstaunlich, dass sich die beiden einig sind. (Elke Ferner [SPD]: Ja!) Interessanterweise verwechseln sie ihre Ressorts, aber das macht nichts. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wieso das? – Rita Pawelski [CDU/CSU]: Das ist typisch für die SPD! Sie kann nur ressortbezogen denken!) Schon heute gibt es viele Möglichkeiten für den Umgang mit haushaltsnahen Dienstleistungen. Viele davon sind steuerlich absetzbar. Bis zu 4 000 Euro können Haushalte auf diese Weise sparen. Warum Sie da eine zusätzliche Leistung einführen wollen, die im Wesentlichen Besserverdienenden zugutekommt, ist ein absolutes Rätsel. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Schmalspurblick!) Zu den 4 000 Euro Steuerersparnis gibt es dann – wenn es nach Ihrem Willen geht, Frau Fischbach – obendrauf 1 080 Euro. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das versteht er doch nicht!) Die alleinerziehende Kassiererin wird sich trotz 90-Euro-Gutschein pro Monat keine Haushaltshilfe leisten können, und die Haushaltshilfe kann sich dies erst recht nicht leisten. Die Regelung, die Sie vorschlagen, ist schlichter Unsinn. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Uns in der SPD-Bundestagsfraktion geht es darum, eine wirkliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinzubekommen. (Elke Ferner [SPD]: Genau!) Wir wollen einen flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung, wir wollen einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsbetreuungsplatz, (Rita Pawelski [CDU/CSU]: In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel!) wir wollen echte Wahlfreiheit und eine echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das hilft allen, egal wie hoch ihr Einkommen ist. Diese neue Maßnahme, die Sie vorschlagen, ist keine Antwort auf die bestehenden Probleme. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Jetzt stellen wir einen Antrag, Donald Duck soll für Sie reden! Dann glauben Sie das auch! – Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Für Sie müssten es die Panzerknacker sein!) – Das zeigt, wie ernst Sie Familienpolitik nehmen. Mit solchen intelligenten Zwischenrufen kommen wir bestimmt weiter. (Beifall bei der SPD – Caren Marks [SPD]: Schlauer können die nicht!) Wir brauchen eine Stärkung der Partnerschaft in allen Lebensbereichen. Klar ist, dass Sie mit Ihrem Vorschlag, Personal für 6 Euro pro Stunde einzustellen, definitiv auf dem falschen Weg sind. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Herr Schwartze, ist jetzt gut? Ende!) – Ja, meine Redezeit ist gleich um. Ich kann Sie da beruhigen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es tut halt weh, sich Wahrheiten anhören zu müssen. Die Proteste aus Ihrer Fraktion kamen dann sehr schnell, auch die aus dem Finanzministerium, von den Haushaltspolitikern, von der FDP und sogar von der familienpolitischen Sprecherin. Das, was Sie vorgeschlagen haben, ist nichts anderes als schwarz-gelbes Kasperletheater. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Stefan Schwartze. – Ich weise darauf hin, dass der Kollege Rolf Schwanitz jetzt unser letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist. Kollege Rolf Schwanitz hat das Wort. Bitte schön. (Beifall bei der SPD) Rolf Schwanitz (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zum Schluss als Haushälter der SPD-Fraktion für den Familienetat noch ein paar Sätze zu den haushaltspolitischen Aspekten dieses Vorschlages sagen. Es ist erst wenige Wochen her, dass die Koalition dieses unsinnige Betreuungsgeld beschlossen hat und dann mit einem Änderungsantrag die finanziellen Folgewirkungen dieser verheerenden Entscheidung auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben hat. Das, was wir da erlebt haben, war mit Blick auf den Herbst des nächsten Jahres eigentlich schon die erste Operation Wählerbetrug. (Caren Marks [SPD]: Ja!) Der Gesamtumfang des Betreuungsgeldes liegt ab 2014 – wir werden das sehen, wenn Sie nicht gestoppt werden – bei mehr als 1 Milliarde Euro pro Jahr. Jetzt wollen Sie die Putzprämie quasi hinterherschieben. Zugegeben: Wie hoch die damit verbundenen Kosten sein werden, muss erst noch genau berechnet werden. In ersten Kalkulationen, die schon zu lesen sind, ist von einem Betrag zwischen 600 und 900 Millionen Euro pro Jahr die Rede. Ich habe allerdings auch gelesen, dass sogar mit Kosten von über 1 Milliarde Euro jährlich kalkuliert wird. Es handelt sich also um eine weitere enorme Kostenbelastung, die den Familienetat natürlich nicht unberührt lassen wird. Allein die Herdprämie wird zu massiven Kürzungen im Familienetat, bei den familienpolitischen Leistungen, führen, wenn Sie nicht gestoppt werden. (Elke Ferner [SPD]: Ja, genau! – Caren Marks [SPD]: Das ist ein Skandal!) Wenn die Putzprämie mit einem Volumen von rund 1 Milliarde Euro hinzukommt, dann ist völlig klar, was die Konsequenz für den Familienetat sein wird. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wie kommen Sie denn jetzt auf 1 Milliarde Euro?) Ich sage es Ihnen schon jetzt voraus – denn ich bin fest davon überzeugt, dass Sie daran schon arbeiten –: (Elke Ferner [SPD]: Ja, klar! Das Elterngeld!) Sie werden das Elterngeld zerschlagen. (Elke Ferner [SPD]: Ja! – Caren Marks [SPD]: Genau! Zumindest in weiten Teilen!) Das Elterngeld ist nämlich die einzige Maßnahme im Familienetat, die Sie zur Gegenfinanzierung heranziehen können. Ich bin fest davon überzeugt, dass die FDP schon an einem entsprechenden Modell arbeitet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sibylle Laurischk [FDP]: Wie bitte? So ein Unsinn! Das ist doch wirklich unerhört!) Es ist wirklich perfide: Da hat sich Frau Schröder noch vor wenigen Tagen einen Showkampf mit Herrn Hundt geliefert (Elke Ferner [SPD]: Oh ja!) – unter anderem ging es um das Elterngeld; (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Herr Schwanitz, es ist Aktuelle Stunde! Sagen Sie doch auch mal etwas zum Thema der Aktuellen Stunde!) sie hat sich für den Erhalt des Elterngeldes starkgemacht –, aber hinter dem Rücken der Öffentlichkeit werden schon längst Modelle formuliert, deren finanzielle Belastungen zur Folge haben werden, dass das Elterngeld fällt. Ich halte das für unverantwortlich. (Miriam Gruß [FDP]: Das ist absurd, was Sie da erzählen! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Oh, kein Beifall? Fürs Protokoll: Kein Beifall bei der SPD!) Genauso verheerend ist, dass die geplante Putzprämie – ich sage es einmal so – das Ansehen der Familienpolitik völlig zerstört. (Elke Ferner [SPD]: Sehr wahr! Obwohl: Bei denen kann da nicht mehr viel zerstört werden!) Ich will einige Aussagen, die teilweise schon erwähnt worden sind, zitieren, da Kollegin Fischbach ja sagte, das alles sei kein Thema. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Herr Grosse-Brömer, sagte: Das, worüber hier diskutiert worden ist und was vorgeschlagen worden ist, ist kein ernsthaftes Thema. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Na und? Wir sagen eben etwas anderes! Das ist doch seine freie Meinungsäußerung!) Der Vorsitzende der Senioren-Union sagte: Wir neigen zu Schnellschüssen. – Der Kollege Barthle, Mitglied des Haushaltsausschusses, sagte: Das ist nicht umsetzungsfähig. – Der FDP-Generalsekretär, Herr Döring, will das System der Familienförderung insgesamt infrage stellen. Das ist die Situation. (Patrick Döring [FDP]: Nein! Wir wollen evaluieren!) Mit Frau Schröder als Ministerin und durch solche Vorschläge wird die Familienpolitik insgesamt zu einer Lachnummer gemacht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) – und zwar auf einer nach oben offenen Richterskala –, und die FDP packt schon die Abrissbirne aus, nach dem Motto: Was kann ich in diesem Bereich nach der Bundestagswahl als Allererstes rasieren? (Patrick Döring [FDP]: Ach was! So ein Quatsch! – Elke Ferner [SPD]: Die machen nach der Bundestagswahl gar nichts!) Mir persönlich ist es langsam egal, ob Frau Schröder aus Berechnung oder aus Unfähigkeit so handelt. Das gesamte Auftreten, das Frau Schröder und ihre Helfershelfer in der Familienpolitik an den Tag legen, wirkt allerdings wie ein Satz Treibminen: Jeder weiß, dass das Ganze explodieren wird; nur die Schadensausmaße sind noch unklar. (Elke Ferner [SPD]: Ja, genau!) Das ist die Situation. Ich kann am Ende dieser Aktuellen Stunde nur an unsere Zuschauerinnen und Zuschauer appellieren: Sie haben es im nächsten Herbst in der Hand. Stoppen Sie bei der nächsten Bundestagswahl diese Wahnsinnspolitik der Koalition! Es geht um sehr viel. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Kollege Rolf Schwanitz war der letzte Redner in unserer Aktuellen Stunde, die damit beendet ist. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Sehr gut!) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingbert Liebing, Max Straubinger, Peter Götz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Claudia Bögel, Dr. Edmund Peter Geisen, Heinz-Peter Haustein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Zukunft für ländliche Räume – Regionale Vielfalt sichern und ausbauen – Drucksache 17/11654 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Willi Brase, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gutes Leben, Gute Innovationen, Gute Arbeit – Politik für ländliche Räume effektiv und effizient gestalten – Drucksache 17/11031 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Raumordnungsbericht 2011 – Drucksache 17/8360 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Hans-Josef Fell, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beitrag der Raumordnung zu Klimaschutz und Energiewende – Drucksachen 17/9583, 17/11672 – Berichterstattung: Abgeordnete Petra Müller (Aachen) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Es sind alle damit einverstanden. Dann haben wir dies gemeinsam so beschlossen. Ich eröffne nun die Aussprache. Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU Kollege Volker Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön, Kollege Volker Kauder. (Beifall bei der CDU/CSU) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir legen heute einen Antrag zur Entwicklung der ländlichen Räume vor. Die Bundespolitik ist für die Entwicklung der ländlichen Räume nur begrenzt zuständig. Eigentlich liegt diese Aufgabe bei den Ländern und den Kommunen. Es gibt eine ganze Reihe von Förderprogrammen, mit denen Einfluss auf die Politik – die, wenn es gut läuft, ausgewogene Politik – und die Entwicklungen in der Stadt und auf dem Land genommen werden kann. Wir wollen mit unserem heutigen Antrag keinen Keil zwischen ländliche Räume und urbane Entwicklungszentren bzw. Ballungsgebiete treiben. Beide haben ihre Berechtigung und ihre Besonderheiten. Deshalb gibt es nicht nur die Koalitionsarbeitsgruppe „Ländliche Räume“ – ich war sehr froh darüber, dass wir gleich zu gemeinsamen Ergebnissen kommen konnten –, sondern auch eine Arbeitsgruppe, die sich mit den besonderen Herausforderungen der großen Städte beschäftigt. Auch darüber werden wir reden. Ein Unterschied zwischen den ländlichen Räumen und den großen Städten ist allerdings, dass die großen Städte mit ihren Sorgen eher gehört werden, weil es dort mehr Menschen gibt als in den ländlichen Räumen. Warum sind wir jetzt in besonderer Weise mit dem Thema ländlicher Raum befasst? Von der demografischen Entwicklung sind die ländlichen Räume viel stärker betroffen als die großen Ballungsgebiete. Deshalb sind besondere Antworten nötig. Für unser Land war kennzeichnend, dass wir immer gleichwertige Lebenschancen, Arbeitschancen und -Ausbildungschancen in Stadt und Land hatten, dass es eben kein Gefälle gab, das von eigentlich unbewohnbaren, unzumutbaren Gebieten bis hin zu den bevorzugten Ballungsgebieten reichte, dass wir keine Situation wie in Frankreich haben, wo eine zunehmende Entleerung ländlicher Räume stattgefunden hat; bei uns sind die ländlichen Räume vielmehr stark und bieten Lebenschancen für Generationen. Aufgrund der immer geringer werdenden Zahl junger Menschen stehen die ländlichen Räume jetzt vor besonderen Herausforderungen. Mit der demografischen Entwicklung werden wir die nächsten 30 Jahre leben müssen; denn so lange wird es auf jeden Fall so bleiben, wie es jetzt ist. Deswegen müssen wir auf die Fragen, die sich in diesem Zeitraum stellen, Antworten geben. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Dann machen Sie doch mal!) Wenn wir wollen, dass es gleichwertige Lebensverhältnisse in den ländlichen Räumen und den Ballungsgebieten gibt, müssen wir alles dafür tun, um die Lebensmöglichkeiten zu stärken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – Es ist sehr schön, dass aus den Reihen der Grünen ein zustimmendes Nicken kommt. – Ich muss aber sagen: Für die ländlichen Räume ist es nach wie vor unerlässlich, dass wir dort Straßen bauen. Das machen wir nicht zum Spaß. Die Menschen können dort nur über gut funktionierende Straßen zu den Einrichtungen kommen, die sie für ihr Leben brauchen. Wissen Sie, die Grünen sind eine typische Großstadt- und Universitätsstadtpartei. (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) Bei uns gibt es nicht in jedem Dorf eine U-Bahn. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich lade Sie gern einmal zu mir auf die Schwäbische Alb ein. Da können Sie im Winter nicht mit Ihrem Fahrrädle von einem Dorf zum anderen fahren. Da brauchen Sie etwas Anständiges. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ja, zum Beispiel eine gute Bahnverbindung!) – Ich will Ihnen jetzt einmal Folgendes sagen: (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ja, sagen Sie mal!) Auf der Schwäbischen Alb eine Bahnverbindung – hin und her –, das ist geradezu lächerlich. Machen wir uns doch nichts vor. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Einen schöneren Beweis als diesen einen Satz dafür, dass Sie keine Ahnung vom ländlichen Raum haben, gibt es gar nicht. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Überhaupt nicht!) Wir brauchen die Straßenverbindungen, und wir brauchen etwas, worum wir uns wirklich bemühen – das steht in diesem Antrag, zu dem nachher gesprochen wird –, nämlich die modernen „Straßenverbindungen“, das schnelle Internet. Wir wollen junge Menschen im ländlichen Raum halten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) – Wenn Sie einen Posten als Brüllaffe brauchen, können Sie sich nachher bei mir bewerben. Seien Sie jetzt einmal ein bisschen friedlich. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir brauchen diese schnelle Internetverbindung, damit sich junge Menschen selbstständig machen können. Der ländliche Raum lebt stark vom Mittelstand. Für viele mittelständische Unternehmen ist es in den -Ballungsgebieten zu teuer, Grund und Boden zu kaufen. Ein großer Teil des Mittelstandes besteht aus der Zulieferindustrie. Er braucht heute eine schnelle Internetverbindung, um mit dem Betrieb, den er beliefern will, zu kommunizieren. Da gibt es junge Menschen, die sich als Konstrukteure selbstständig machen und das schnelle -Internet brauchen. Da sind wir in der Koalition auf dem richtigen Weg; aber es muss noch schneller und konsequenter daran gearbeitet werden, dass dies zum Erfolg führt. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Kolleginnen und Kollegen, die an diesem Antrag erfolgreich gearbeitet haben, werden nachher noch auf die Einzelheiten eingehen. Ich will ein Thema herausstellen, bei dem wir, wie ich finde, im Verlauf der -Diskussion der nächsten Monate doch noch etwas konkreter werden müssen. Eine große Sorge der Menschen im ländlichen Raum betrifft die Gesundheitsversorgung. Gerade die älter werdenden Menschen fragen sich: Wird es noch eine entsprechende Gesundheitsversorgung geben? Deswegen müssen wir Antworten darauf geben: Wie können wir erreichen, dass auch in Zukunft Ärzte bereit sind, im ländlichen Raum eine Praxis aufzumachen? Ich will die freie Praxis nach wie vor unterstützen; aber es wird -Situationen geben, wo wir ohne Medizinische Versorgungszentren nicht weiterkommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]) Deswegen müssen wir Alternativen anbieten. Beides muss möglich sein. Wir müssen uns fragen, ob die Zahl der Mediziner, die wir ausbilden, wirklich ausreicht oder ob nicht mehr Mediziner ausgebildet werden müssen. Und wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass heute 80 Prozent der Absolventen von medizinischen Fakultäten Frauen sind, die eben andere Wünsche und Vorstellungen haben als der typische Landarzt früherer Jahre. Wir sind die Partei des ländlichen Raumes und der Großstädte. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Die Partei des ländlichen Aufräumens!) Wir werden in beiden Fällen die richtigen Antworten geben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich danke allen, die in dieser Arbeitsgruppe die -konkreten 105 Vorschläge gemacht haben. Das zeigt: Die wahre Partei des ländlichen Raumes und der Großstädte, das ist die Union (Patrick Döring [FDP]: Die Koalition!) – und die FDP, diese Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Dies war unser Kollege Volker Kauder für die Fraktion der CDU/CSU. Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Willi Brase. Bitte schön, Kollege Willi Brase. Willi Brase (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kauder, wenn das so schön wäre mit der Union in den Großstädten, dann wären die letzten Wahlergebnisse – schauen Sie sich diese einmal an – anders ausgefallen; die sprechen für sich. (Michael Brand [CDU/CSU]: Es geht um die ländlichen Räume! Falsche Rede!) Man sollte manchmal den Mund nicht zu voll nehmen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Es geht um die ländlichen Räume!) – Sie haben einen Vergleich gezogen. Ich finde es sehr gut, dass wir hier über die Entwicklung der ländlichen Räume diskutieren. Ich kann nur -sagen, dass wir in der SPD-Bundestagsfraktion sehr intensiv darüber beraten haben und heute auch einen entsprechenden Antrag vorlegen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber dünne Suppe!) – Nein, der ist besser als Ihrer; aber dazu kommen wir noch. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass ländlicher Raum nicht gleich ländlicher Raum ist. Ländlicher Raum heißt auch nicht automatisch Landwirtschaft. Auf der einen Seite haben wir ländliche Räume, die indus-triepolitisch sehr stark sind, die strukturpolitisch hervorragend dastehen, auf der anderen Seite haben wir ländliche Räume, in denen Entvölkerung und demografischer Wandel schon teilweise brutal zugeschlagen haben. Darauf müssen Antworten gegeben werden: Wie ist es mit der Daseinsvorsorge? Wie ist es mit der medizinischen Versorgung? Wie ist es mit den Möglichkeiten, Bildung für die jungen Leute zu organisieren? Wie gehen wir damit um, dass, vor allen Dingen aus bestimmten Ländern, aus bestimmten ländlichen Regionen, viele junge Frauen wegziehen, in die Metropolen ziehen? Da vermisse ich Antworten. Die gibt es auch noch nicht. Deshalb sollte man vorsichtig sein und bei aller Kritik nicht meinen, man habe das allein selig machende Konzept. (Beifall der Abg. Ulrike Gottschalck [SPD]) Wir sind der Auffassung, dass wir einen Ansatz brauchen, bei dem die Dinge im Zusammenhang betrachtet werden. Derzeit wird in Brüssel eine Debatte über die Weiterentwicklung der Gemeinsamen europäischen -Agrarpolitik geführt. Dort ist vorgeschlagen worden, die verschiedenen Fonds, die es gibt – Sozialfonds, Kohä-sionsfonds, Agrarfonds, Regionalfonds –, stärker zusammenzuführen. Wir sagen: Jawohl, dieses muss stärker miteinander verbunden werden, damit wir eine entsprechende Politik in den Regionen umsetzen können. Wir sind der Auffassung, dass auch die GAK und die GRW zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Entwicklung ländlicher Räume“ zusammengeführt werden müssen. (Beifall bei der SPD) Des Weiteren wollen wir den Menschen in den Regionen eine Perspektive geben, und zwar dadurch, dass wir Zivilgesellschaft, Politik vor Ort, Kommunalpolitik, Verbände und Institutionen zusammenbringen, damit über die regionale Entwicklung diskutiert wird und die Regionen sich fragen: Wo stehen wir? Wohin wollen wir? Wo haben wir unsere Schwerpunkte? – Dies möchten wir mit einem Regionalbudget versehen, bei dem die Regionen aber selbst entscheiden, wo ihr Weg ist, wohin sie gehen wollen und wie sie möglichst viele mitnehmen. Ich kann Ihnen aus meinem Bundesland Folgendes berichten: Wir haben so etwas Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre mithilfe eines regionalen Entwicklungskonzepts auf den Weg gebracht. Vom Bauernverband über die Gewerkschaften und Arbeitgeber bis zur -Kommunalpolitik haben alle zusammengesessen. Heute tragen wir die Frucht davon: Wir haben blühende ländliche Regionen, in denen sich die Menschen, die dort leben, zusammengetan und gesagt haben, wo es langgeht. Da wollen wir als SPD-Bundestagsfraktion hin. (Beifall bei der SPD) Es ist richtig, dass in ländlichen Regionen Infrastrukturpolitik eine wichtige Rolle spielt, dass wir eine vernünftige Finanzierung der Kommunen brauchen – ohne die geht es nicht –, dass wir eine Weiterentwicklung des Breitbandsektors brauchen und vieles mehr. Ich möchte einen Punkt ansprechen, der in der -Debatte häufig zu kurz kommt. Wir haben auch ländliche Regionen, wo es eine Veränderung in der Agrarwirtschaft gibt. Damit spreche ich die großen Schweinemastbetriebe an. Ich habe dieser Tage die wunderbare -Überschrift „Protest am Hähnchen-Highway“ gesehen. Das betrifft die Gegend um Celle und Uelzen. Wir -bekommen mit, dass sich mittlerweile sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche dagegen wehren, dass in Schlachthöfen, in Schlachtbetrieben, in Großschlachtbetrieben vor allen Dingen Werkvertragsarbeitnehmer teilweise für 3, 4 oder 5 Euro die Stunde beschäftigt sind. (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Ausbeutung! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Unverschämt!) Ich will es einmal so sagen: Das ist Dumping. Mittlerweile ist diese Region zum Dumpingland der europäischen Schlachtbranche geworden. Es ist nicht akzeptabel, dass wir zulassen, dass Menschen in Deutschland, in einem der reichsten Länder der Welt, für 3,50 Euro die Stunde arbeiten und ihnen vom Lohn auch noch Geld für Kost und Logis abgezogen wird. Es gibt noch viele -andere Beispiele mehr. Sie können das inzwischen fast wöchentlich in den Zeitungen lesen. Da vermisse ich eine Reaktion der Bundesregierung. Was tut sie da-gegen? (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Kollege Brase, Sie haben gemerkt, es kommt eine Zwischenfrage aus der Fraktion der CDU/CSU. Willi Brase (SPD): Bitte. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön, Kollege. Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Kollege Brase, Sie haben gerade für die SPD-Fraktion eine Lobhudelei für Ihre Politik in den ländlichen Räumen betrieben. Was sagen Sie denn dazu, dass Ihr Spitzenkandidat in Niedersachsen den Flächenfaktor aus dem kommunalen Finanzausgleich herausnehmen möchte? Dies würde dazu führen, dass gerade die ländlich geprägten Landkreise Mindereinnahmen von zum Teil mehr als 7 bis 8 Millionen Euro zu verkraften hätten. Wie verträgt sich das mit dem, was Sie hier in diesem Hause gerade den Koalitionsfraktionen immer vorwerfen, nämlich dass sie angeblich nicht genug für den ländlichen Raum tun würden? (Ulrich Kelber [SPD]: Wir werfen Ihnen die Kürzung in der Gemeinschaftsaufgabe schon vor! Das stimmt!) Ich glaube, hierzu sollten Sie sich einmal äußern. Wie stehen Sie dazu? Willi Brase (SPD): Ich habe den Koalitionsfraktionen nicht vorgeworfen, dass sie nichts für den ländlichen Raum tun. Ich habe nur gefragt: Was macht diese Koalition bezogen auf die unzumutbaren Zustände von Werkvertragsarbeitnehmern in der Schlachthofindustrie in Deutschland? Das habe ich massiv kritisiert. Ich werde nicht aufhören, das auch weiterhin zu kritisieren. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber die Schlachthofindustrie ist kein Problem des ländlichen Raums!) – Das ist unredlich, Herr Kauder. Wenn wir über den ländlichen Raum reden, dann reden wir auch darüber, in welchen Bereichen, in welchen Betrieben Menschen -beschäftigt sind, und dort werden sie unter unwürdigen Zuständen beschäftigt. Vizepräsident Eduard Oswald: Das war die Beantwortung der Frage des Kollegen Andreas Mattfeldt. – Jetzt gibt es eine weitere Zwischenfrage von der Fraktion der Grünen. Herr Kollege Willi Brase, gestatten Sie diese? Willi Brase (SPD): Ja, gerne. Vizepräsident Eduard Oswald: Sie ist auch gestattet. Bitte schön, Frau Kollegin. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Brase, nur eine Frage: Anfang Januar steht das Bauordnungsgesetz auf der Tagesordnung. Dann haben wir die Möglichkeit, die Massentierhaltung einzudämmen. Bringen auch Sie einen entsprechenden Vorschlag dazu ein? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!) Willi Brase (SPD): Wir haben, wenn ich das richtig im Kopf habe, einen Vorschlag in die Debatte eingebracht. Wir werden diesen Vorschlag vervollständigen und die Debatte weiter-verfolgen. Wenn Sie mit den Menschen vor Ort reden, auch in den ländlichen Regionen, wo es eine starke Landwirtschaft und auch immer mehr Einrichtungen für Massentierhaltung gibt, dann merken Sie, dass die Menschen diese Einrichtungen nicht wollen. Wenn ich sehe, was sich in Niedersachsen in den letzten Jahren teilweise entwickelt hat, dann muss ich sagen, dass das schon eine Menge ist. Die Menschen wollen ein Stück weit mitgestalten. Sie wollen wissen: Was wird dort angebaut? Wie viel haben wir schon? Müssen noch mehr Massentierbetriebe dazukommen oder nicht? Deshalb sagen wir: Wir wollen ihnen die Chance geben, mitzugestalten, und zwar sowohl über das von Ihnen angesprochene Bundesbaugesetz als auch dadurch, dass sie sich in den Regionen mit anderen zusammensetzen und überlegen, wie sie dies auf den Weg bringen können. Das halten wir für richtig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir gehen davon aus, dass wir gleichwertige Lebensverhältnisse in unserem Land insgesamt weiter voranbringen werden. Das bedeutet keine Gleichheit, sondern das ist das Erzielen und Aufrechterhalten von Mindeststandards im ländlichen Raum. Wir brauchen vernünftige Daseinsvorsorge, Infrastruktur und Erwerbsmöglichkeiten. Eines dürfen wir jedoch nicht vergessen: Die demografische Entwicklung zwingt uns in unterschiedlichen Bereichen zu unterschiedlichen Reaktionen und unterschiedlichen Verhaltensweisen in Bezug auf das, was dort politisch zu machen ist. So haben wir auf der einen Seite starke industriell geprägte ländliche Regionen, die gut nach vorne marschieren und in denen es sogar Bevölkerungszuwachs gibt. Auf der anderen Seite haben wir Regionen, aus denen immer mehr Menschen weggehen und in denen die Löhne nach unten abweichen. Dagegen wollen und müssen wir vorgehen. Deshalb freuen wir uns auf die Debatte mit Ihnen, aber wir können es Ihnen nicht ersparen: Das, was im Bereich der Schlachtbetriebe läuft, können und wollen wir als SPD nicht akzeptieren. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Claudia Bögel für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Claudia Bögel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Für mich ist Provinz nichts Negatives“ – das ist ein Zitat von Rainer Brüderle zur Eröffnung unseres Kongresses „Ländliche Räume, regionale Vielfalt – wie gestalten wir die Zukunft?“ mit über 500 Teilnehmern. Meine Heimat ist das Münsterland, und für mich gilt auch: „Provinz ist nichts Negatives“; denn ich weiß, wie lebens- und liebenswert das Landleben ist. Die ländlichen Regionen sind auf der einen Seite Lebens- und Wirtschaftsraum, auf der anderen Seite stecken ihre Potenziale in Kultur, Tradition und einer lebendigen Bürgergesellschaft. Das ist also weit mehr als das stark ideologisch geprägte Bild der grünen Auen und glück-lichen Kühe. Sie sind geprägt von mittelständischer Wirtschaftsstruktur, von den Hidden Champions, die mit ihren Unternehmen ohne viel Aufhebens zur Regiona-lität beitragen und sehr nah am Menschen sind. Dies zeichnet diese Unternehmen aus, und sie bieten Arbeitsplätze in der Region und erhalten somit soziale Strukturen. Aber gerade auch die ländlichen Regionen sind durch den demografischen Wandel, die ökonomischen Anforderungen und die ökologischen Bedingungen der Gegenwart vor große Herausforderungen gestellt. Erfreulich ist, dass viele ländliche Räume diese Probleme eigenständig bewältigen können. Sie sind attraktive Lebens- und Wirtschaftsräume mit guten Zukunftsperspektiven. Anderen Regionen hingegen fällt es sehr schwer, diese Herausforderungen zu bewältigen, vor allem strukturschwachen Gebieten mit starkem demografischem Wandel. Wir dürfen es nicht zulassen, dass aus diesen Regionen am Ende karges, verödetes Niemandsland wird. Daher dürfen wir nicht nur auf Veränderungen reagieren, nein, wir müssen sie aktiv mitgestalten. Es ist Aufgabe der Politik, dass die Attraktivität ländlicher Räume erhalten bleibt. Die schwarz-gelbe Koalition hat schon viele wichtige Punkte für die ländlichen Regionen umgesetzt. (Zurufe von der LINKEN) Wir haben das Landärztegesetz auf den Weg gebracht. Wir haben das KWK-Gesetz auf den Weg gebracht. Wir haben die landwirtschaftliche Sozialversicherung neu geregelt. Wir haben das Telekommunikationsgesetz novelliert. (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ja!) Ein Meilenstein; denn investitionsfreundliche Regelungen, ein wettbewerbsorientierter Ausbau, Hochleistungsnetze und die Funktechnik LTE sind gerade für ländliche Räume von großer Bedeutung. Damit haben wir vielen mittelständischen TK-Unternehmen gerade in der Fläche Investitionssicherheit gegeben. Dies trägt regional deutlich zur Arbeitskräftesicherung bei. Wir bleiben am Ball. Wir haben erkannt, dass noch vieles getan werden muss, damit die ländlichen Regionen nicht abgekoppelt werden. Sie sind vielfältig, individuell und von unterschiedlicher Struktur und politischer Historie geprägt. Deshalb ist es nicht eine Maßnahme, die ergriffen werden muss. Aber es gibt ein klares Ziel: Wir stärken die ländlichen Räume! Wir müssen dafür sorgen – und diese Forderung in unserem Antrag ist ein Novum –, dass zuständigkeitsübergreifend Bund, Länder, Kreise und Kommunen gemeinsam die Maßnahmen umsetzen. Als mittelstandspolitische Sprecherin meiner Fraktion freut es mich besonders, dass wir unter anderem in den Bereichen wirtschaftliche Entwicklung und Telekommunikation gute und praktikable Handlungsoptionen zusammengestellt haben. Die Breitbandversorgung ist ein wichtiger Standortfaktor, vor allem für die Wirtschaft. Es ist daher unser Ziel, eine flächendeckend gleichwertige Teilhabe von städtischen und ländlichen Regionen am schnellen Internet zu erreichen. Die digitale Spaltung müssen wir verhindern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Wirtschaftsstruktur in ländlichen Regionen Deutschlands ist vom Mittelstand geprägt. Viele Handwerksbetriebe, viele landwirtschaftliche Betriebe, oft in traditionsreichem Familienbesitz, sind dort zu Hause, viele IT-Unternehmen sind hinzugekommen. Wir wollen die Kooperation von Wirtschaft und Forschung fördern. Wir wollen ihre Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit -sicherstellen und, wenn möglich, verbessern. So setzen wir uns dafür ein, dass die GRW- und GAK-Mittel mit entsprechender Zweckbindung verstetigt werden. Das stei-gert die Innovationsfähigkeit vor allem mittelständischer Unternehmen. Meine Damen und Herren, Provinz ist nichts Negatives. Mit dem vorliegenden Antrag zeigen wir, dass uns die ländlichen Regionen am Herzen liegen, dass wir uns in unserer politischen Arbeit für starke, lebenswerte ländliche Räume und eine gleichberechtigte Entwicklung von Stadt und Land einsetzen. Wir nehmen die Probleme der ländlichen Bevölkerung ernst. Wir schwelgen nicht in ideologischen Fantasien. Wir setzen in unserem Antrag konkrete handlungsorientierte Impulse. Der Antrag der SPD hingegen ist unkonkret, verwässert, ideologisch und fantasielose Prosa. Das, was Sie hier vorgelegt haben, ist zu dünn. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Provinz ist alles andere als ein Schimpfwort. Im Gegenteil: Unser Land profiliert sich durch Regionalität, durch kommunale Selbstverwaltung, durch starke länd-liche Regionen. Diese Potenziale gilt es zu unterstützen; denn sie reflektieren positiv auch auf die Ballungszentren, die oftmals hoch verschuldet sind. Meine Damen und Herren, wir lassen unsere Zukunft nicht durch ideologische Mauern verbauen. Wir lassen unsere Zukunft nicht durch kurzfristige Denke zerstören. Unser Antrag denkt Zukunft für ländliche Räume. Wenn auch Sie so denken, müssen Sie einfach nur zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Alexander Süßmair für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt kommt er wieder auf die Eisenbahn zu sprechen! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die schwäb’sche Eisenbahne!) Alexander Süßmair (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss ganz ehrlich sagen: Als ich den Antrag der Koalition zu den ländlichen Räumen das erste Mal durchgelesen habe, habe ich mir auf gut Bayerisch gedacht: Ja, is’ denn heut scho’ Weihnachten? (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ja! Wirklich schön, nicht?) Man weiß wirklich nicht so genau, ob man jetzt lachen oder weinen soll. Sie legen in Ihrem Antrag über 100 Forderungen zum ländlichen Raum vor und wollen das Ganze in einer Sofortabstimmung durchs Parlament peitschen, anstatt uns darüber in Ruhe und in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages gemeinsam fachlich beraten zu lassen. Das finde ich keine ernsthafte parlamentarische Arbeit; das muss ich ganz ehrlich sagen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Daran sieht man vielleicht auch, was Ihnen der ländliche Raum und die Menschen, die dort leben, wirklich wert sind. Aber wahrscheinlich sind Sie getrieben von der Angst vor den anstehenden Wahlen. Bisher hatten Sie in den Debatten zum ländlichen Raum ja nicht mehr als ein paar warme Worte übrig und vertraten ansonsten die Auffassung, die Menschen und die Kommunen im ländlichen Raum sollten selbst sehen, wo sie bleiben. In Ihrem Antrag schreiben Sie nämlich zum Beispiel, dass Bund, Länder, Kommunen und nichtstaatliche Akteure in einer gemeinsamen Verantwortung stehen. – Ja, das mag schon sein. Nur, das Problem ist, dass vor allem Kommunen und nichtstaatliche Akteure ihre Verantwortung überhaupt nicht mehr wahrnehmen können, und zwar deshalb, weil die Kassen leer sind und weil die Einkommen niedrig sind. (Beifall bei der LINKEN) Das ist ein Ergebnis Ihrer Politik, aber leider auch der Politik der vergangenen Bundesregierungen von Rot-Grün und Schwarz-Rot. Dann machen Sie noch einen Vorschlag, den ich besonders eigenartig finde. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass Kommunen zur Kofinanzierung von Fördermitteln, zum Beispiel der Europäischen Union, private Gelder oder Mittel aus Bürgerfonds akquirieren sollten, um diese Kofinanzierung aufzubringen. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig! Das ist sinnvoll!) Meine Damen und Herren, ich finde es wirklich dreist, dass die Kommunen bei den Menschen auf dem Land, die sowieso schon ihre Steuern bezahlen und im Verhältnis zu den Menschen in den städtischen Zentren weniger verdienen, auch noch entsprechende Gelder eintreiben sollen. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Die würden es sogar machen! Die sind bereit dazu! Die Unternehmen möchten es machen! Thema nicht verstanden!) Sie sollten stattdessen lieber die Kriterien für Förderprogramme so umgestalten und den Bundesländern so helfen, dass sie diese Förderung auch wahrnehmen können, weil sie diese Förderung am dringendsten brauchen. (Beifall bei der LINKEN) Aber nein, was machen Sie? – Sie verpulvern lieber die Milliarden, um Zockerbanken zu helfen, statt den Menschen in den ländlichen Räumen und den Kommunen mit den leeren Kassen. (Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, so ist es! – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Die alte Leier!) – So ist es aber. Ich möchte Ihnen nicht absprechen – das gilt übrigens auch für den Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Entwicklung ländlicher Räume vom Bundesministerium von Frau Aigner –, dass die Analyse der Probleme richtig ist. Die Analyse ist bei Ihnen häufig richtig, aber die Konsequenzen, die Sie daraus ziehen, sind häufig falsch, ebenso wie die Maßnahmen, die Sie einleiten. (Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Erstaunt uns das jetzt?) Ich möchte hier einige Beispiele bringen. Erstens. Sie wollen zum Beispiel die Bundesverkehrswege ausbauen. Nun ist es meiner Meinung nach nicht so, dass wir nicht schon genügend Straßen hätten! (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das sehen wir anders!) Das Problem ist aber doch, dass es sich sowohl Bürger als auch Kommunen leisten können müssen, auf diesen Straßen etwas fahren zu lassen. Dazu kommt eben noch, dass durch die Privatisierung der Deutschen Bahn – wo ist Herr Kauder? – in den vergangenen Jahren viele Strecken im ländlichen Raum stillgelegt wurden. So schaut es doch aus. Dann ist Schluss mit der „schwäb’sche Eisebahne“. Das ist die Wahrheit, so schaut es aus im länd-lichen Raum. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Als zweiten Punkt möchte ich erwähnen, dass auch Sie Forschung und Wissenschaft im ländlichen Raum erhalten und fördern wollen. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig!) Dann muss ich Sie fragen: Warum gibt es dann immer noch das seit 1996 existierende und unter Helmut Kohl eingeführte Konzept der Zentralisierung von Ressortforschung? Das haben Sie auch nicht abgeschafft. Stattdessen haben Sie in den vergangenen Wochen bei den Haushaltsberatungen auch noch gesagt, das Bundesinstitut für Risikobewertung komme nicht nach Neuruppin in Brandenburg, also in den ländlichen Raum. Das ist doch unglaubwürdig, was Sie hier machen! (Beifall bei der LINKEN) Dritter Punkt: Sie wollen den Fahrradtourismus und das Fahrradwegenetz erweitern. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig!) Da frage ich Sie, warum Sie die Mittel dafür im Haushalt gestrichen haben. Das ist doch absurd, wenn Sie das dann hier hineinschreiben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dann geht es noch um das Ehrenamt bzw. die Förderung des Ehrenamtes. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig!) Sie wollen das Rentenrecht ändern, damit Rentnerinnen und Rentner etwas mehr dazuverdienen können, wenn sie ehrenamtlich engagiert sind. Was ist aber mit den ALG-II-Empfängern? Da wird nämlich bei ehrenamtlicher Tätigkeit das ganze Einkommen voll auf die Bezüge angerechnet. Das könnten Sie auch einmal ändern, das gilt nämlich auch für kommunale Ämter. (Beifall bei der LINKEN) Da tun Sie aber nichts. Diese Menschen haben genauso das Recht, sich ehrenamtlich zu engagieren. (Zuruf von der FDP: Das können sie doch!) Dann gibt es noch Forderungen zum Ehrenamt generell, zur freiwilligen Feuerwehr und zum Katastrophenschutz. Da könnten Sie auch einmal etwas ändern, denn ehrenamtliche Tätigkeit – auch bei der Feuerwehr – ist bei Arbeitgebern nicht so gern gesehen und teilweise sogar ein Einstellungshinderungsgrund. Da könnten Sie auch einmal aktiv werden, anstatt hier nur warme Worte zu finden. (Beifall bei der LINKEN) Eines ist wirklich dreist: Was machen Sie, nachdem Sie Ihre über 100 Forderungen aufgestellt haben? – Sie stellen das Ganze ganz unverschämt wegen der Haushaltslage sofort unter Finanzierungsvorbehalt. Man müsse die Konsolidierung berücksichtigen, den Fiskalpakt, 1 Prozent maximal für die EU. Warum stellen Sie denn keine Mittel ein, wenn Sie 100 Vorschläge machen? Sie müssen doch auch sagen, wie Sie die Vorschläge umsetzen wollen! Das ist völlig unglaubwürdig. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Wie viel darf’s denn sein?) Dann kam noch der absolute Kracher. Da könnte man fragen: Is’ denn heut scho’ Silvester? Sie haben gesagt, einer der Parlamentarischen Staatssekretäre solle Koordinator für die ländlichen Räume werden. Ist das wirklich Ihr Ernst? – In anderen Ländern beschäftigen sich ganze Ministerien mit der Entwicklung des ländlichen Raums. Aber vielleicht ist ja der Parlamentarische Staats-sekretär einer der Weihnachtswichtel, die am Nordpol die Geschenke zusammenbauen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie sind hier doch der Oberwichtel!) An der Stelle sage ich Ihnen, Herr Staatssekretär Müller und Herr Staatssekretär Bleser: Ziehen Sie sich schon einmal warm an! (Beifall bei der LINKEN) Für die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement in der Zivilgesellschaft möchten Sie eine Akademie oder eine Bundesstiftung gründen. Dazu habe ich einen guten Vorschlag an Sie. Anfang September haben die Kollegin Frau Behm und ich im Auftrag des Deutschen Bundestages als Abordnung das 12. Dorfparlament in Schweden besucht. (Zuruf von der CDU/CSU: Schade ums Geld!) Von der FDP, CDU und CSU war leider niemand dabei. Sie hätten dort vor Ort sehen können, dass uns andere Länder Lichtjahre voraus sind. Dort sind über 700 Menschen zusammengekommen, die die Interessen des ländlichen Raumes vertreten und über dessen Anliegen beraten haben. Minister haben sich die Klinke in die Hand gegeben, und die Beschlüsse, die dort gefasst werden, werden direkt in die Ministerien eingespeist. So etwas gibt es in vielen anderen europäischen Staaten. Auch in Deutschland gibt es schon Initiativgruppen, zum Beispiel in Brandenburg. Das sollten Sie unterstützen: ein Dorfparlament und eine Dorfbewegung für zivilgesellschaftliches Engagement in den ländlichen Räumen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren, es tut mir leid: Ihre Wunschliste ist für die Menschen im ländlichen Raum leider nichts wert. Es bleibt dabei: gute Arbeit, gute Löhne, eine lebenswerte Umwelt und eine öffentliche Daseinsfürsorge, die nicht unter finanziellen und fiskalischen Vorbehalten steht – dafür ist die Linke; das brauchen die Menschen im ländlichen Raum. Warme Worte reichen nicht. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Cornelia Behm für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zustimmung schwindet – nicht nur für die FDP, sondern auch für die Union, nicht nur in den Städten, sondern auch im ländlichen Raum. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da waren die Bauern seit Jahren die treuesten Parteigänger, die die schwarzen Regierungen im Sattel hielten, und nun das: Flächenländer wie Nordrhein-Westfalen, (Claudia Bögel [FDP]: Was? 20 Prozent in der Landwirtschaft! Man kann es ja mal behaupten!) Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein werden rot-grün und Baden-Württemberg gar grün-rot regiert. Das war wohl der Anstoß dafür, in der Koalition mal über eine Strategie für den ländlichen Raum nachzudenken. Dass die Ursachen für die verlorenen Wahlen in der verfehlten Politik der letzten Jahre liegen könnten, (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Drehen wir das Thema um!) wurde dabei wohl offensichtlich völlig außer Acht gelassen: verzweifelte Milchbauern, Imker, die ihren Honig nicht vermarkten können, weil Gentechnik drin ist, Mais, soweit das Auge reicht, und Schweine- und Geflügelställe im Fabrikdesign. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Uckerländische Reiterin!) Das ist nicht Schicksal. Das ist auch nicht dem erbarmungslosen internationalen Wettbewerb geschuldet. Das ist einzig und allein Folge einer völlig verfehlten Agrarpolitik und einer fehlenden Strategie für den ländlichen Raum. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Während manche Medien und große Nahrungsmittelkonzerne mit ihrer Werbung ein romantisches Bild vom Landleben malen, verlassen junge, kreative und flexible Menschen das Land und fliehen in die Städte, Gott sei Dank nicht überall; es werden aber immer mehr. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die ersten kommen schon wieder zurück!) Die Ursachen habe ich Ihnen beschrieben. Wer das Land nur als Produktionsstandort für die -Agrarindustrie statt als Lebensraum sieht, der stellt von vornherein die Weichen falsch. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Von wem reden Sie denn?) Die grüne Bundestagsfraktion will die Weichen umstellen. Anknüpfend an die rot-grüne Regierungszeit und mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre haben wir an Konzepten für den ländlichen Raum gearbeitet, die den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen: den Menschen, seinen Lebensraum und seine Lebensgrundlage. Was wir in den letzten Jahren im Detail dazu erarbeitet haben, kann man nachlesen. Ob es unser Handlungskonzept zur Stärkung der regionalen Wertschöpfung ist oder die Positionierungen zur Gesundheitsversorgung, zur sozialen und technischen Infrastruktur oder zum Tourismus in ländlichen Räumen sind: Sie funktionieren nur mit einem Politikwechsel. (Beifall der Abg. Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nicht mehr Investitionen in Beton, sondern in Köpfe, nicht mehr Alimentierung, sondern Unterstützung für Forschung und Bildung, Innovation und Kooperation, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht mehr Wachsen oder Weichen, sondern Chancen für Gründerinnen und Gründer, auch in der Landwirtschaft. Der Green New Deal soll auch auf dem Land stattfinden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist das Plattdeutsch, oder was?) Wir haben dafür Maßnahmen vorgeschlagen, und wir haben sie durchgerechnet. Wir versprechen nichts, was wir nicht halten können, wenn wir wieder regieren. Das beweisen Grüne aktuell in den Ländern, in denen sie das Ressort für den ländlichen Raum besetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach den zahlreichen Wahlschlappen in der Vergangenheit hat die Koalition nun auch erkannt, dass sie im ländlichen Raum etwas tun muss. Sie hat im März dieses Jahres eine Koalitionsarbeitsgruppe „Ländliche Räume, regionale Vielfalt“ eingesetzt. Die Kolleginnen und Kollegen haben schnell gearbeitet. Schon heute legen sie einen elfseitigen Antrag zur sofortigen Abstimmung vor. Hut ab vor so viel Selbstvertrauen! (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Wir waren im Juni mit unserem Abschlussbericht fertig!) Elf Seiten und um die 100 Maßnahmen. Wir sehen – hier stimme ich dem Kollegen Süßmair zu – durchaus einige Übereinstimmungen hinsichtlich der Analyse der Situation, auch bei den Herausforderungen und bei den Maßnahmen. Die allerdings haben bei Ihnen meist empfehlenden Charakter und stehen unter Haushaltsvorbehalt. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Richtig! Das ist das Problem!) Zu so viel Selbstvertrauen hätte auch mehr Mut gepasst. Es mangelt nicht nur an Mut, sondern auch an Ehrlichkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Interessant ist beispielsweise, dass die Kolleginnen und Kollegen der Koalition die GAK zu einem Förderinstrument für den ländlichen Raum entwickeln wollen. Unseren Antrag dazu haben sie seinerzeit abgelehnt. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Der war auch nicht so gut wie unserer! Das ist auch eine Qualitätsfrage!) Und: Was soll die Vergabe von Prüfaufträgen bewirken, wenn gehandelt werden muss? Das schnelle Internet für alle bleibt ein Traum, wenn wir uns auf diese Koalition verlassen. Breitband als Universaldienstleistung wie Post und Telefon – also die Verpflichtung der Telekommunikationsanbieter, einen Anschluss mit einer Bandbreite von vorerst 6 Mbit pro Sekunde bereitzustellen – hätte aus dem Traum Wahrheit werden lassen. (Claudia Bögel [FDP]: 90 Milliarden Euro Steuergelder hätte das verschlungen, und Arbeitsplätze hätte das gekostet, Frau Behm!) Unser Antrag hierzu – von Schwarz-Gelb abgelehnt. Heute lehnen wir ab; denn wir brauchen keine Versprechungen, sondern Politik. Politik für die Menschen im ländlichen Raum heute und für die, die dort künftig leben wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Ingbert Liebing für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ingbert Liebing (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ländlichen Räume in Deutschland stehen vor einer besonderen demografischen Herausforderung. In den nächsten 40 bis 50 Jahren wird Deutschlands Bevölkerung nicht nur älter werden, sondern auch deutlich schrumpfen. 12 bis 17 Millionen Menschen weniger in Deutschland: Das ist die Bevölkerung von ganz Nordrhein-Westfalen oder den neuen Ländern. Alle weg. Menschenleer. Diese Entwicklung findet nicht überall gleichermaßen statt. Während manche Städte, manche Metropolen noch wachsen, drohen ländliche Regionen leerzulaufen. Manche empfehlen ein einfaches Rezept. Die Starken stärken, heißt es oft genug, gerade bei den Sozialdemokraten. Man müsse die Metropolen stärken, und das helfe automatisch dem ländlichen Umland. Oder: Dem ländlichen Raum sei ohnehin nicht zu helfen. (Zurufe von der SPD) Das, meine Damen und Herren, kann nicht unsere Antwort sein. Wir haben ein anderes Ziel. Unser Ziel ist es, auch die ländlichen Regionen lebensfähig und zukunftsfähig zu halten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dabei ist das kein Gegensatz zu den Anforderungen, die die Städte an die Politik stellen. Natürlich brauchen wir auch für die Probleme der großen Städte, der Metropolen, passgerechte Antworten auf bevorstehende Veränderungen. Es kann aber auch nicht im Interesse der Städte liegen, wenn die ländlichen Räume ausbluten. Schließlich klagen wir heute schon über steigende Immobilienpreise und steigende Mietkosten in den Städten. Ungesteuerter Zuzug vom Land in die Städte würde diese Probleme in den Städten noch mehr verschärfen. Also ist es doch allemal sinnvoller, den Menschen dort Zukunft zu geben, wo sie heute leben, als sie abzuschreiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Machen!) Dafür brauchen wir eigenständige Entwicklungsstrategien für die ländlichen Räume. Dazu haben wir mit unserem Antrag und unserem Maßnahmenprogramm einen wesentlichen Beitrag geleistet. Die Entwicklung der ländlichen Räume werden wir nicht allein von der Bundesebene gestalten können. Wichtig sind die Kräfte vor Ort, die wir wecken und unterstützen wollen. Wir brauchen starke Partner vor Ort. Wir brauchen auch die Kommunen als Partner. Sie müssen zunehmend Aufgaben übernehmen, (Willi Brase [SPD]: Sie geben den Kommunen aber nicht die Finanzen!) gerade im Bereich der Daseinsversorgung, weil der Markt es allein nicht mehr regelt. In vielen Dörfern stellt sich doch heute gar nicht mehr die Frage, ob etwas privat oder kommunal angeboten werden soll. Die private Wirtschaft hat sich schon längst aus manchen Bereichen zurückgezogen. Der Kaufmann im Dorf hat schon lange dichtgemacht, und der Landarzt findet keinen Nachfolger. Aus einem als unattraktiv empfundenen Umfeld ziehen junge Familien weg in die Stadt. Die Folge: keine Kinder, keine Schulen, keine Kindergärten. Dies ist die Teufelsspirale, die wir durchbrechen wollen. Wir wollen alles tun, was möglich ist, um das Leben auf dem Lande zu stärken und attraktiv zu halten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Fangen Sie einmal an! Sie regieren seit drei Jahren!) Ein Schlüsselthema ist hierbei die Telekommunikation. Wir brauchen schnelles Internet, und zwar überall, auch im kleinen Dorf. Denn gerade dann, wenn Straßen und Schienen nicht direkt vor der Haustür liegen, kommt dem Internet, kommt der Datenautobahn eine besondere Bedeutung zu. Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bis 2018 Deutschland flächendeckend mit Breitband mit mindestens 50 MBit pro Sekunde zu versorgen. Dieses Ziel wollen auch wir erreichen. Aber dafür braucht es neue Anstrengungen. Viele regionale und kommunale Initiativen haben sich bereits auf den Weg gemacht, und die wollen wir mit zielgerichteten Förderprogrammen noch unterstützen. Ein weiteres zentrales Thema für die ländlichen Räume ist auch die Landwirtschaft, die auch heute noch die Landschaft und die Menschen prägt. Wir wollen gerade jungen Menschen Mut machen, Familienbetriebe fortzuführen. Aber die Landwirtschaft kommt heute auch unter Druck: Siedlungsbau, Verkehrsinfrastruktur, in jüngster Zeit insbesondere die Energiegewinnung auf der Fläche schaffen neue Konkurrenz zur produzierenden Landwirtschaft. Pachtpreise steigen, Eigentümer erzielen höhere Preise durch Verkauf von Ausgleichsflächen als über die Landwirtschaft. Hier wollen wir helfen, indem wir Flächenkonkurrenz abbauen, und wir wollen bei der Ausgleichsthematik mit bundeseinheitlichen Standards und Flächenaufwertung statt Flächenstilllegung der Landwirtschaft Zukunftsperspektiven sichern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die ländlichen Räume dürfen nicht zur Ausgleichsfläche für wirtschaftliche Dynamik in den Städten missbraucht werden. Die ländlichen Räume sind auch Wirtschaftsregion, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gerade die Energiewirtschaft bietet den ländlichen Räumen neue Chancen. Unsere Energiewende bedeutet dezentralere Strukturen bei der Energieerzeugung. Wenn wir das alles gut organisieren, dann bietet dies gerade den Menschen in den ländlichen Räumen neue Chancen der Wertschöpfung. In meiner Heimat in Nordfriesland haben wir das mit den Bürgerwindparks seit inzwischen mehr als 20 Jahren praktiziert. Wir haben gute Erfahrungen gesammelt; denn so bleibt Wertschöpfung in der Region, und dies steigert die Akzeptanz. Wir haben insgesamt 105 Maßnahmen in unserem Antrag aufgeführt, ein gutes kompaktes Bündel. Nun hat aber auch die SPD-Fraktion einen Antrag vorgelegt. (Florian Pronold [SPD]: Einen besseren!) Dieser Antrag zeigt jedoch, dass die SPD wenig mit den ländlichen Räumen anzufangen weiß. Das ist eine ganz dünne Suppe, die Sie da servieren, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch des Abg. Ulrich Kelber [SPD]) Wenn Ihnen zum Thema Breitband nichts anderes einfällt als ein einziger Satz, Sie aber nicht einen einzigen Vorschlag parat haben, was man denn tun kann, um den Ausbau zu forcieren, dann zeigt das nur Ihre Ideen- und Konzeptionslosigkeit. Wir als Koalition haben uns an die Arbeit gemacht und haben geliefert. Etliche Punkte sind schon im Gesetzgebungsgang über verschiedenste Gesetze. Heute hat der Deutsche Bundestag die Chance, mit dieser Debatte und mit einer klaren Beschlussfassung ein klares Bekenntnis zu den ländlichen Räumen abzulegen. Wir reden nicht nur über dieses Thema, wir handeln auch. (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau dies tun Sie nicht! – Weiterer Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Tun Sie dies auch, stimmen Sie unserem Antrag zu. Dann geben wir den Menschen gemeinsam Zukunft auf dem Lande. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Florian Pronold für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Florian Pronold (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ländliche Räume sind für viele Menschen Heimat und sind Orte der Verwurzelung. Gerade in Zeiten, in denen das Leben immer schneller wird, in denen die Menschen immer mehr dazu gezwungen werden, der Arbeit hinterherzuziehen, ist es besonders wichtig, dass man ländliche Räume stärkt, dass man diese Heimat erhält, dass man Menschen nicht dazu zwingt, von dort wegzugehen, wenn sie von dort nicht wegwollen. (Beifall bei der SPD) Wir haben in dieser Debatte ein paar Punkte über die Unterschiedlichkeit von ländlichen Räumen gehört, dass es welche gibt, die mit den Herausforderungen gut umgehen können, die gute Bedingungen haben, und dass es welche gibt, die vor wirklich großen Herausforderungen stehen. Der ländliche Raum ist eben vielschichtig. Auch die Probleme und Herausforderungen, die es dort gibt, brauchen unterschiedliche Antworten. Man muss auch aufpassen, dass man ländliche Räume nicht schlechtredet. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Ich war vor kurzem bei mir zu Hause in Niederbayern bei einem Hidden Champion, einem kleinen Unternehmer, der aus München in den ländlichen Raum gezogen ist. Er hat gesagt: Ich kann dort arbeiten, wo andere Urlaub machen. – Das ist toll, das ist schön und das macht Spaß. Das ist eine Stärke von ländlichen Räumen, die man auch -hervorheben muss. Ländliche Räume sind attraktiv und bedeuten eben nicht nur Problemfelder. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Trotzdem gibt es Herausforderungen, denen man sich zuwenden muss. Ich hatte gedacht, dass dieses Thema jetzt endlich ernst genommen würde. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Wie -kommen Sie denn auf die Idee?) Die Debatte wurde zunächst innerhalb der Kernzeit -angesetzt. Herr Kauder hat gesprochen. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Gute Rede! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Er hat aber nichts gesagt!) Es hat sich dann aber mit seinen Kollegen unterhalten und die Debatte nicht mehr weiter verfolgt. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!) – Doch, die ganze Zeit hat er geredet; ich habe ihn -beobachtet. Außerdem vermisse ich einen Minister hier. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schauen Sie doch mal auf die Regierungsbank! Da ist der zuständige Minister!) Am Anfang der Legislaturperiode, 2009, hat die CSU darüber gestritten, welcher Minister die Zuständigkeit für die ländlichen Räume erhalten solle. Ilse Aigner will ich loben; sie ist anwesend. Aber derjenige, der die Zuständigkeit für die ländlichen Räume für sich reklamiert hat, war Dr. Peter Ramsauer. Er hat sogar eine eigene Abteilung für diesen Bereich gegründet, aber er ist heute nicht hier. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da frage ich mich schon: Wo bleibt denn da die Wertigkeit für die ländlichen Räume, wenn der Minister, der für sich die Zuständigkeit am lautesten reklamiert hat, in der Debatte heute nicht einmal anwesend ist? (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Können Sie auch mal was zur Sache sagen?) Sie haben in Ihrem Antrag 105 Forderungspunkte aufgestellt. Die wenigsten davon betreffen den Bund selber. Viele sind einfach nur nette Anregungen und Ideen hinsichtlich geänderter Zuständigkeiten für Länder und Kommunen. Das ist auch schön, das kann man machen. Die spannendste Frage ist jedoch: Was haben Sie denn für die ländlichen Räume in diesen drei Jahren getan, in denen Sie die Verantwortung getragen haben? Was -waren Ihre Worte, und was sind Ihre Taten? (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Nur warme Worte!) Herr Liebing, Sie haben gerade das Thema „Breitbandausbau“ angesprochen. Das ist wirklich ein großes Problem in ländlichen Räumen. Ich habe einige Pressemitteilungen von Wirtschaftsministern dabei, die für -diesen Bereich zuständig waren – angefangen von Glos über zu Guttenberg bis hin zu den FDP-Wirtschaftsministern – und die seit 2007 jedes Jahr eine neue -Initiative für den Breitbandausbau ankündigt haben, um den ländlichen Raum mit Breitbandanschlüssen zu -versorgen. Dann stellt sich zum Schluss der Herr Brüderle hin und sagt: Die Probleme sind schon gelöst; 98,5 Prozent der Bevölkerung in den ländlichen Räumen haben doch einen Breitbandanschluss. – Ja, aber nur mit 1 Megabit pro Sekunde. Wissen Sie, wie die Realität im Bayerischen Wald ausschaut? Da bin ich schneller, wenn ich meine Daten auf eine CD brenne und sie von Haus zu Haus trage, als wenn ich versuche, sie über das Internet zu verschicken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Dann machen Sie es doch, wenn Sie so viel Zeit -haben!) Das ist die Realität in vielen ländlichen Räumen. Das liegt in Ihrer Verantwortung. Das haben Sie verpennt. Sogar der Herr Kauder hat noch 2012 erklärt: Wenn man die Stromversorgung in den ländlichen Räumen genauso angepackt hätte wie den Breitbandausbau, dann gäbe es heute Tausende von Höfen im Schwarzwald, die noch mit einer Kerze für Licht sorgen müssten, weil sie keine Stromversorgung haben. (Beifall bei der SPD) Das ist ein Zitat von Herrn Kauder, das Sie nachlesen können. Da hat er recht. Dort, wo Sie Verantwortung getragen haben für ländliche Räume, haben Sie versagt. Ein weiterer Punkt: Stärkung der Kommunen. -Nehmen Sie die Städtebauförderung. Sie haben einen Extratopf für ländliche Räume geschaffen. Das schaut zunächst gut aus. Aber wenn man sich einmal ansieht, wohin die Mittel fließen, dann erkennt man: 40 Prozent der Mittel für Städtebauförderung gehen wie bisher in ländliche Räume. Aber diese Regierung hat im Vergleich zu sozialdemokratisch geführten Bauministerien die Städtebauförderung um 120 Millionen Euro gekürzt. Das heißt: Unter dem Strich steht heute weniger Geld für ländliche Räume zur Verfügung, obwohl es jetzt einen eigenen Topf dafür gibt. Das ist Voodoo-Ökonomie, aber keine Unterstützung für ländliche Räume, die eine -solche dringend benötigen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viele Menschen wollen gerne in den ländlichen -Räumen wohnen bleiben, müssen aber leider ihren Arbeitsplätzen hinterherziehen. Was ist die Antwort des Bundesverkehrsministers, der heute nicht da ist? Seine glorreiche Idee seit über drei Jahren ist eine Pkw-Maut, die die Pendlerinnen und Pendler insbesondere in den ländlichen Räumen, die lange Wege zur Arbeit in Kauf nehmen, zusätzlich bestrafen würde. Wir müssen aber doch die Menschen unterstützen, die in der Heimat bleiben wollen und dafür lange Wege zur Arbeit auf sich nehmen. Man darf sie doch nicht noch zusätzlich bestrafen. Das ist aber Ihre Idee. (Beifall bei der SPD) Wenn wir uns mit Problemregionen beschäftigen und mit der Frage, was man gegen diese Probleme tun kann, dann ist der Dreh- und Angelpunkt die Verbesserung der Infrastruktur, zum Beispiel der Ausbau bei der Breitbandversorgung. Außerdem stellt sich die Frage, wie es mit Arbeitsplätzen aussieht. Wenn man heute Fachkräften einen Arbeitsplatz anbietet, muss man ihnen, um sie zu gewinnen, auch eine gute Kinderbetreuung bieten. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Deswegen -machen wir das auch! Keiner hat so viel für Kinderbetreuung getan wie wir!) Wenn die Kinderbetreuung nicht gut ist, dann gewinnt man auch keine Fachkräfte. Es geht also um die Kinderbetreuung, um Fachhochschulen und Universitäten. Wir müssen die Bildung wieder in die ländlichen Räume -tragen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und dürfen nicht alles in den Metropolen bündeln. Mit Ihrem Betreuungsgeld nehmen Sie aber wieder einen Anschlag auf die ländlichen Räume vor; denn damit -verschlechtern Sie die Infrastruktur in den Bereichen Bildung und Kinderbetreuung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!) Damit erweisen Sie den ländlichen Räumen wieder einen Bärendienst. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der schwarz-gelben Koalition, Sie werden im nächsten Jahr mit der Kanzlerin einen großen Kongress durchführen, um das Thema ländliche Räume gemäß seiner Wichtigkeit zu behandeln. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Nicht nur -einen!) Wenn Sie diesen Kongress so wichtig nehmen wie die heutige Debatte, dann können Sie ihn gleich absagen. (Beifall des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE]) Nehmen Sie das Thema ernst! Bieten Sie echte Lösungen an, nicht nur 105 Punkte aus dem Wolkenkuckucksheim! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Volker Kauder. Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Pronold, ich habe ja für vieles Verständnis; aber Sie müssen den Frust, den Sie wegen Ihrer SPD in -Bayern haben, nicht hier abreagieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh! – Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind so primitiv!) Kümmern Sie sich erst einmal um Ihre eigenen Sachen. Ich wollte nur eine Bemerkung zu einem total falschen Satz von Ihnen machen. Jemandem, der einen so falschen Satz in seiner Rede sagt, kann man unterstellen, dass auch der Rest nicht richtig ist. Sie haben nämlich geäußert, dass dort, wo wir für ländliche Räume Verantwortung getragen hätten, nichts passiert sei. Es ist nun einmal Fakt – das bestreiten nicht einmal die Sozis –, dass wir in Baden-Württemberg unter der CDU-geführten Landesregierung eine super Politik für ländliche Räume gemacht haben; das Gleiche gilt für Bayern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind ja auch abgewählt worden! – Weitere Zurufe von der SPD) – Hören Sie einmal zu; es wird noch besser. – Jetzt -haben Sie das große Problem, dass der stellvertretende Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der ein Sozi ist, gesagt hat, es sei für die ländlichen Räume völlig wurscht, „ob es einen Bauern mehr oder weniger“ gebe. Er hat damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Dort, wo Sozialdemokraten über die Entwicklung von ländlichen Räumen entscheiden, geht es so aus wie in Baden-Württemberg: verheerend, furchtbar. Die Sozialdemokraten im ländlichen Raum schämen sich für den stellvertretenden Ministerpräsidenten, der Mitglied der Sozialdemokraten ist. – So viel zur Verantwortung für ländliche Räume. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Pronold, wollen Sie darauf reagieren? – Bitte schön. Florian Pronold (SPD): Herr Kauder, wenn Sie anderen vorwerfen, dass sie falsch zitieren, sollten Sie selber richtig zitieren. Ich habe hier gesagt, dass Sie dort, wo Sie auf der Bundesebene für ländliche Räume Verantwortung tragen – das habe ich an mehreren Beispielen deutlich gemacht –, das Gegenteil gemacht haben: Sie haben in der Städtebauförderung die ländlichen Räume benachteiligt. Sie haben bei der Breitbandversorgung der ländlichen Räume versagt; das ist so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Überhaupt nicht!) Das gilt auch für viele andere Bereiche. Nehmen Sie die Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, also die Mittel für den ÖPNV im ländlichen Raum: Die Zuschüsse werden jetzt um die Hälfte gekürzt. Das wird in den nächsten Jahren in den ländlichen Räumen Katastrophen auslösen, und dafür tragen Sie die Verantwortung. Ich kenne mich mit den Details zu Baden-Württemberg nicht so gut aus wie Sie. Aber ich kann Sie bitten, die Kollegen von der CSU zu fragen – Herr Hinsken sitzt dort –, was Herr Seehofer mit der von ihm initiierten „Zukunftskommission Landwirtschaft“ ausgelöst hat. Er hat in diesem Zusammenhang genau das gefordert, was uns Herr Liebing fälschlicherweise vorgehalten hat; er hat nämlich gefordert, die Starken zu stärken. -Damit hat er einen Proteststurm in Niederbayern und im ganzen ländlichen Raum ausgelöst. Herr Seehofer musste extra fünf Stunden mit den Menschen dort sprechen, um die Gemüter zu beruhigen. Er hat dort einen großen Forderungskatalog entgegengenommen, aber nichts davon ist umgesetzt. Insofern gilt: Nicht reden, sondern handeln! An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Deswegen sage ich: Machen Sie doch hier kein großes Buhei, sondern sorgen Sie dort, wo Sie die Verantwortung tragen, dafür, dass wirklich etwas für die Stärkung ländlicher Räume getan wird. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Edmund Geisen für die FDP--Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Die Bedeutung der ländlichen Räume ist unschätzbar groß, und zwar viel größer als gemeinhin angenommen. Herr Pronold, Sie haben gesagt, dass Sie hier einige Minister vermissen. Ich möchte Ihnen sagen: Ich vermisse Ihren Fraktionsvorsitzenden und sogar Ihren Kanzlerkandidaten. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!) – Wenn Sie dem Thema eine entsprechende Bedeutung beimessen, dann lassen Sie mich das ebenfalls tun. Herr Pronold, ich muss Sie korrigieren: Die schwarz-gelbe Regierung hat das getan, was Sie eben zu vermissen meinten. Sie hat ein Städtebauprogramm für -Gemeinden und Kleinstädte aufgelegt, das bereits wirkt. Das wussten Sie anscheinend noch nicht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Florian Pronold [SPD]: Es wurde doch gerade davon gesprochen! Hören Sie doch einmal zu!) Es ist beispielhaft und zukunftsweisend, dass der ländliche Raum durch den vorliegenden Antrag der christlich-liberalen Koalition deutlich wie nie zuvor in den Fokus gerückt wird. Wir setzen mit diesem Antrag die Rahmenbedingungen für eine gute Zukunft. Wir -haben nicht wie andere Fraktionen schnell einen Antrag geschrieben, wie Herr Süßmair oder wer auch immer es eben erwähnte. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie -lassen besonders schnell abstimmen!) Wir haben seit dem Frühjahr 2012 in vielen Sitzungen mehr als 40 oder 50 Experten angehört. Ich weise die Unterstellung zurück, dass wir nicht sorgfältig gearbeitet hätten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Warum lassen Sie uns nicht gemeinsam darüber debattieren?) Die ländlichen Räume sind für mich die Stützpfeiler und das Rückgrat unserer Gesellschaft. (Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU]) In funktionierenden ländlichen Räumen kann man noch von einer intakten Gesellschaft sprechen. Hier übernehmen die Bürgerinnen und Bürger Verantwortung und zeigen großes ehrenamtliches Engagement. In den ländlichen Räumen, die ich gut kenne, ist das so. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kurz gesagt: Die sozialen Probleme dort sind gering, es gibt keine sozialen Brennpunkte und weniger Arbeitslose. Die Sozialbudgets werden hier am geringsten -belastet. Immerhin wohnen mehr als 50 Prozent unserer Bevölkerung in den ländlichen Räumen. Funktionierende ländliche Räume müssen attraktiv bleiben, um einer Ausdünnung der Bevölkerung entgegenzuwirken. Das heißt, die Multifunktionalität – Stichworte dazu sind: Nahrungsmittel- und Energieproduktion, Wirtschaftsfaktor, Erholungsgebiet, Klimaschutz usw. – muss erhalten bleiben. Die Landwirtschaft mit -ihren vor- und nachgelagerten Bereichen muss prosperierend bleiben und zukunftsfähig sein. Mittelstand und Tourismus sind zu erhalten und zu stärken. Die Daseinsvorsorge ist selbstverständlich attraktiv und zukunfts-fähig auszugestalten. Die Infrastruktur – Breitband, Schienen- und Straßenverkehr – muss gleichwertig mit der der Städte zukunftsgerecht ausgebaut werden. Die Nahrungsmittel- und Energieversorgung wird in Zukunft die wichtigste Anforderung an die ländlichen Räume sein. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Lassen Sie mich das als Agrarier unserer Fraktion sagen. Deshalb müssen wir besonders darauf achten, dass keine weiteren wertvollen Flächen mehr aus der Produktion genommen werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Deshalb wendet sich meine Fraktion klar gegen die -unsinnigen Greening-Beschlüsse aus Brüssel, die uns bisher vorliegen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Auch wir von der FDP-Fraktion plädieren schon lange eindeutig dafür, dass im Bundesnaturschutzgesetz das Ersatzgeld als gleichrangige Kompensationsmaßnahme für den Flächenausgleich zu verankern ist. (Ulrich Kelber [SPD]: So viel zum Thema -Artenvielfalt! – Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was meinen Sie, wie die ländlichen Räume dann aussehen?) Wir müssen vor allen Dingen darauf achten, dass die Symbiose von Land und Stadt erhalten und zukunftsfest gemacht wird. Sie wissen, wovon ich spreche: Die Städte geben dem Land etwas, das Land gibt den Städten etwas. Statt für eine stetige Vergrößerung der Ballungsgebiete zu sorgen, sollten wir aus meiner Sicht vielmehr dafür sorgen, dass die Menschen in attraktiven länd-lichen Gebieten wohnen bleiben. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das tun sie doch!) Dies dient der gebotenen Entzerrung und hat mit gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Vorteilen zu tun, auch rechnerisch. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, für diesen Hinweis. – Gestatten Sie mir noch einen Satz. Bei der Zukunftsplanung – das merken Sie heute besonders – drückt die christlich-liberale Koalition auf das Tempo. Mit dem vorliegenden Antrag „Zukunft für ländliche Räume – Regionale Vielfalt sichern und ausbauen“ – haben CDU/CSU und FDP den Grundstein gelegt. Erste Schritte zur Umsetzung sind übrigens schon gemacht worden: beim Ehrenamt, im TKG und im Baugesetzbuch. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie wollten doch nur einen Satz sagen. Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Verehrter Herr Präsident, was wir hier machen, ist Zukunftspolitik. Deswegen kam ich nicht ganz so schnell zum Schluss. (Heiterkeit) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das ist jetzt aber wirklich der letzte Satz. Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Das ist Zukunftspolitik der christlich-liberalen Koalition. Ich bin sicher, dem können alle zustimmen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bettina Herlitzius für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Liebing, Sie haben mit Ihrem Antrag und gerade mit Ihrer Rede gezeigt, dass Sie ein paar grundlegende Sachen noch nicht verstanden haben. Sie reden über Städte und über ländliche Räume. So einfach ist das aber nicht. Mit einem einfachen Schwarz-Weiß-Bild lassen sich ländliche Räume und Raumentwicklung nicht mehr beschreiben. (Claudia Bögel [FDP]: Gut zu wissen!) Wir haben Siedlungsbereiche; wir haben Ballungsbereiche. Schrumpfende und wachsende Regionen liegen oft nur ein paar Kilometer auseinander. Sie polarisieren hier beim Thema ländlicher Raum. Das, was Sie sagen, entspricht aber nicht mehr der Realität in unserem Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulrike Gottschalck [SPD]) Da Sie den Raumordnungsbericht hier angehängt haben, könnte man denken, dass Sie es verstanden haben; denn die Raumordnung ist das Instrument, mit dem Sie steuernd eingreifen können. Mit diesem Instrument können Sie versuchen, die Vorgabe des Grundgesetzes, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, umzusetzen. Sie können Raumordnungspläne für die Bereiche Energie, Mobilität und Wohnen erstellen. Das machen Sie aber nicht. Sie bleiben bei Ankündigungen stehen, auch in diesem Antrag. Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, habe ich gedacht, er kommt von der anderen Seite des Parlaments. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Nein! Damit wollen wir nichts zu tun haben! Nicht mit so einem Antrag!) – Ich habe uns alle von der Opposition damit gemeint. – Er enthält viele schöne anerkennende Worte, Sie machen aber nichts. Sie reden über die Städtebauförderung, die Sie auf hohem Niveau halten wollen. Ihr Minister kürzt die Mittel aber. Sie sagen, das Programm „Altersgerecht Umbauen“ solle verstetigt werden, der Mittelansatz solle erhöht werden, und das Programm solle auch für den Bereich der öffentlichen Gebäude Anwendung finden. Ihr Minister hat das Ganze aber schon wieder auf null gesetzt. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!) – Natürlich! Das Ganze ist in den Haushaltsdebatten auf null gesetzt worden. Erzählen Sie hier doch nicht irgendwelchen Unsinn. In Ihrem Antrag steht, dass im Bundesverkehrswegeplan auch die ländlichen Räume berücksichtigt werden. Sagen Sie das doch einmal Ihrem Minister. Der geht streng nach dem Kriterium der Wirtschaftlichkeit vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Der ist nicht da! Den können wir nicht fragen!) Entflechtungsgesetz, ÖPNV im ländlichen Raum – geben Sie Geld dazu. Erzählen Sie uns doch nicht das Gegenteil. Genau das Problem haben wir hier: Dieser Antrag enthält viele Ankündigungen. Das ist vielleicht ein Wünsch-dir-was-Wahlprogramm für Niedersachsen, aber kein -Antrag, der dem Anspruch einer Regierung entspricht, die handeln kann. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zwei Minuten Feuerwerk!) – Zwei Minuten, das reicht für Sie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Marlene Mortler für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Marlene Mortler (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An Ihre Adresse, Herr Pronold, sage ich – das gilt aber auch für meine Vorrednerin, Frau Herlitzius –: Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Bayern heute an der Spitze steht, (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Blockierer!) und zwar ohne Mithilfe der SPD. An der Spitze wollen wir auch bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich bin im ländlichen Raum geboren, dort aufgewachsen, und ich stehe zum ländlichen Raum. – Dieser Satz könnte von mir stammen, aber er stammt von unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich bin stolz, dass wir diese Debatte heute nicht nur eröffnen, sondern auch deutlich machen, dass wir die ländlichen Räume schätzen. Für uns sind sie ein wertvolles Stück Deutschland mit wunderbaren Menschen. Was sagt Kanzlerkandidat Steinbrück, der heute abwesend ist, dazu? (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Der schreibt gerade Rechnungen für seine Reden!) Ich zitiere aus der FAZ vom Sonntag. Dort wird Steinbrücks Haltung zum ländlichen Raum wie folgt wiedergegeben: Die Cleveren gingen da weg, sagt er, das seien die Frauen. Bleiben würden nur die doofen Männer. „Die Frauen sagen: Ich gehe dahin, wo die besseren Jobs sind und außerdem sind mir die hiesigen Knacker eh zu blöd.“ (Dagmar Ziegler [SPD]: Das war aus einer Studie!) Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Ich stimme damit überein, dass es nicht den ländlichen Raum gibt. Aber die Hälfte der Menschen wohnt dort. Offenbar haben Ihr Kanzlerkandidat und Sie den ländlichen Raum schon abgeschrieben. Offenbar mangelt es Ihnen auch an Respekt vor der Lebensleistung der Menschen im ländlichen Raum. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der CDU/CSU) Deshalb lautet mein dringender Rat: Schärfen Sie Ihren Blick auch für Themen jenseits der Finanzmärkte! Bevor nämlich mit Lebensmitteln an der Börse spekuliert wird – das ist sicher ein Thema, über das man reden muss –, werden sie immer noch produziert, und das passiert Gott sei Dank noch immer in der realen Welt durch unsere Bauern und Bäuerinnen. (Willi Brase [SPD]: Unter verheerenden Bedingungen für die Beschäftigten! Werkverträge und niedrige Löhne!) Dafür gebührt ihnen Respekt und Anerkennung. Wir können in unserem Leben auf vieles verzichten, aber nicht auf Essen und Trinken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb ist für mich jeden Tag Erntedank. Wir brauchen unsere Bauern als Garant für hochwertige und vielfältige Lebensmittel und als Garant für regionale Produkte, (Willi Brase [SPD]: Es gibt immer weniger Bauern!) aber auch als Garant für eine einmalige, vielfältige und gepflegte lebens- und liebenswerte Kulturlandschaft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Behm, in der Opposition kann man natürlich alles versprechen. (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe nichts versprochen! Das ist Ihr Antrag! – Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist Ihr Versprechen?) Es ist aber schon dreist, wenn Sie hier so tun, als könne man die Gemeinsame Agrarpolitik zurückdrehen. Es ist vielmehr so: Die Agrarpolitik ist die einzige vergemeinschaftete Politik in Europa. Wir wollen, dass das auch so bleibt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus den Reihen der SPD-Fraktion? Marlene Mortler (CDU/CSU): Ich will erst meine Rede beenden. (Ulrich Kelber [SPD]: Bei einer Zwischenfrage kann man ja nicht mehr ablesen!) Wir wollen konkret eine Imagekampagne pro Landwirtschaft starten. Warum? Hier reden Sie positiv über die Landwirtschaft. In den nichtöffentlichen Ausschüssen und anderswo schimpfen Sie über die Landwirte und nennen sie „Massentierhalter“ und „Umweltverschmutzer“. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Mein Gott! Das stimmt doch überhaupt nicht!) Die Schlachtbetriebe, die Sie erwähnt haben, liegen in den Ballungsräumen. (Willi Brase [SPD]: Wie bitte? Sie müssen erst einmal Geografie lernen!) Also sind hier eher die Städte gefordert als der ländliche Raum. Pro Landwirtschaft heißt für uns: Mehr Nachwuchs für landwirtschaftliche Familienbetriebe. Das heißt aber auch: Mehr Akzeptanz und Aufklärung innerhalb unserer Bevölkerung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Willi Brase [SPD]: Was ist mit Waldkraiburg?) Der Kollege Liebing hat angesprochen, dass wir in Zusammenarbeit mit den Bundesländern das sogenannte Grundstücksverkehrsgesetz anpassen müssen. Warum? Es ist aus unserer Sicht dringend erforderlich, dass das Vorkaufsrecht zugunsten aktiver Land- und Forstwirte weiter gestärkt wird und dass sie noch vor Investoren und Grundstückskäufern zum Zuge kommen. Das ist eine absolute Zukunftsfrage. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Behm? Marlene Mortler (CDU/CSU): Herr Präsident, ich will erst meine Rede beenden. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Bereiten Sie doch ein paar Antworten schriftlich vor! Dann können Sie auch Zwischenfragen zulassen!) Ich darf zum Schluss kommen. Zur Energie ist schon viel gesagt. Ich sage noch: Der ländliche Raum ist der Schauplatz der Energiewende. Uns ist der Rohstoff Holz auch deshalb wichtig, weil er einen großen Beitrag zur Biomasse und damit zur Energiewende, aber auch zur Wertschöpfung in den ländlichen Räumen leistet. Sie reden immer über Mais; das ist ein Kampfthema für Sie. Mais ist für uns die Pflanze, die die meiste Energie liefert. Mais ist ein Superfuttermittel und eine Pflanze, die am meisten CO2 speichert, nämlich mehr, als dies 1 Hektar Buchenwald könnte. In meinem Landkreis beträgt der Anteil der Waldfläche 50 Prozent. Kein Mensch käme auf die Idee, im Zusammenhang mit Wald von „Verwaldung“ zu sprechen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Marlene Mortler (CDU/CSU): Deshalb wollen wir hier als Reaktion auf den Klimawandel ein Forschungsprojekt für holzstandortgerechte Baumartenwahl auf den Weg bringen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen. Marlene Mortler (CDU/CSU): Ich weiß, Herr Präsident. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Na, dann machen Sie es doch auch. (Heiterkeit) Marlene Mortler (CDU/CSU): Ich schließe mich den Worten von Herrn Geisen an: Wenn es um die Zukunft geht, dann lassen wir uns von niemandem übertreffen. Ländliche Räume brauchen und haben Zukunft. Die besten Zukunftsaussichten haben sie mit der Politik der christlich-liberalen Koalition. Wir sorgen dafür, dass Stadt und Land im Gleichgewicht bleiben. – Herr Präsident, ich bitte vielmals um Entschuldigung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Keine Zwischenfrage zulassen und dann so überziehen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich bin mir nicht sicher, ob es so wichtig war, auch noch den letzten Satz abzulesen, und ob alle gleichermaßen davon begeistert sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Wort zu einer Kurzintervention hat Florian Pronold. Florian Pronold (SPD): Frau Mortler, ein Tipp: Wir wollten mehrere Zwischenfragen stellen, die Ihre Redezeit unheimlich verlängert hätten. (Ulrich Kelber [SPD]: Das war Vorlesezeit!) Vielleicht wäre es das nächste Mal ganz klug, die Zwischenfragen zuzulassen. Erstens. Ich will im Zusammenhang mit dem Thema Schlachthöfe auf Folgendes hinweisen: Schauen Sie sich zum Beispiel die Probleme und die Arbeitsbedingungen an, die beim Schlachthof in Waldkraiburg herrschen. Hierbei handelt es sich nicht um einen Schlachthof in einer Metropolregion. Das wollte ich Ihnen an dieser Stelle aufgrund meiner bayerischen Kenntnis sagen. Zweitens. Wenn Sie den ländlichen Raum ernst nehmen, dann würde ich Sie einmal einladen, mit mir dorthin zu gehen. Kommen Sie nach Niederbayern, kommen Sie in den Bayerischen Wald, und reden Sie dort mit Unternehmern und mit Landwirten, zum Beispiel über die Politik auf der Landesebene, die für ungleiche Lebensverhältnisse in Bayern gesorgt hat. In keinem anderen Flächenstaat in Deutschland sind die Lebensbedingungen der Menschen und die wirtschaftlichen Bedingungen so unterschiedlich wie in Bayern. Bayern geht es gut. Darüber freue ich mich. Es gibt dort viele Dinge, die positiv sind. Aber kommen Sie einmal mit zu den Menschen, und hören Sie gerade den Menschen im ländlichen Raum zu. Sie werden Ihnen sagen, wo die Probleme liegen. Das betrifft die Bereiche Kinderbetreuung, Fachhochschulstruktur und Bildung sowie Fragen des Internetzugangs, der Hausärzteversorgung usw. Sie können nicht einfach sagen, dass dort alles gut ist. Es gibt dort eine Menge Herausforderungen, auf die Sie heute keine Antwort gegeben haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin Mortler, Sie können reagieren. Marlene Mortler (CDU/CSU): Herr Kollege Pronold, mit den Menschen zu reden, das ist für mich nicht nur Daueraufgabe, sondern auch Dauerzustand. Ich bin regelmäßig im Land unterwegs, vor allem im ländlichen Raum. Seien wir ehrlich: Wir fangen ja nicht bei Adam und Eva an. Unser Ziel mit diesem Antrag heute ist, Lücken und Defizite, die es dort gibt, im positiven Sinne zu korrigieren. Noch einmal: Bayern ist und bleibt an der Spitze, wenn es um die wirtschaftliche und die Arbeitsmarktentwicklung geht. Wenn Sie sich ab und zu an dieser Landesregierung ein Beispiel nehmen, können Sie eigentlich gar nichts falsch machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion. Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Pronold, ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern. Sie können mir eines glauben: Unsere Menschen würden sich einen Entwicklungsstand der ländlichen Regionen wie in Bayern wünschen. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Ja!) Sechs Jahrzehnte zuvor war Bayern das rückständigste Agrarland in Deutschland. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Und hat massiv vom Länderfinanzausgleich profitiert! Und jetzt?) Heute ist es an der Spitze. Ihre Sorgen, Herr Pronold, möchten wir in Mecklenburg-Vorpommern wirklich einmal haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Kollege Süßmair, für die Länder und Kommunen in Deutschland ist und war in den letzten vier Jahren Weihnachten. Denn wir als CDU/CSU- und FDP-Koalition haben dafür gesorgt, (Zuruf des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE]) dass die Länder in den Jahren 2010 bis 2013 36 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen hatten bzw. haben werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 36 Milliarden Euro in vier Jahren, das gab es noch nie in der Bundesrepublik. Die Kommunen werden in diesem Zeitraum ein Mehr an Steuern von 15 Milliarden Euro haben. Zusammengerechnet sind das 51 Milliarden Euro, die durch unsere gute Politik in Länder und Kommunen transferiert werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Priesmeier? Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Sehr gerne. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Herr Kollege Rehberg, ich bewundere ja die Zahlen, die Sie genannt haben, und die Tatsache, dass Sie dafür gesorgt haben, dass so viel Liquidität in die Länder und Kommunen geflossen ist. Aber wie bewerten Sie denn die Situation in Niedersachsen – vor zehn Jahren hat man die Verbundquote im kommunalen Finanzausgleich geändert; das hat dazu geführt, dass in zehn Jahren pro Jahr ungefähr 300 Millionen Euro nicht in den kommunalen Finanzausgleich und an die Kommunen geflossen, sondern beim Land verblieben sind – und den Umstand, dass die Kassenkredite der Kommunen vom Beginn des Haushaltsjahres 2003 bis zum 30. Juni des Haushaltsjahres 2012 von 2 Milliarden Euro auf 5 Milliarden Euro gestiegen sind? Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Herr Kollege, wenn ich die Situation in meinem eigenen Heimatland, wo SPD und CDU gemeinsam regieren, betrachte, muss ich sagen: Die Finanzzuweisungen sind massiv gesunken, die Steuereinnahmen aber massiv gestiegen. Ich, der ich 15 Jahre Landespolitik gemacht habe, weise immer wieder darauf hin: Egal in welcher parteipolitischen Konstellation ein Land regiert wird, entscheidend ist, dass die Steuermehreinnahmen, die der Bund durch seine Politik generiert – die Steuerhoheit hat nämlich der Bund –, letztendlich auch bei den Kommunen ankommen. Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Ich finde, eine der wichtigsten Entscheidungen dieser Legislaturperiode war, dass wir dafür gesorgt haben, dass der Bund bei der Grundsicherung im Alter die Lasten der Kommunen übernimmt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!) Noch einmal: Der Bund übernimmt die Lasten der Kommunen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Willi Brase [SPD]: Aber nur, weil wir das gewollt haben! Weil wir den Druck gemacht haben, Herr Rehberg!) Ich kann Ihnen Bundesländer mit Regierungen jeglicher politischer Couleur nennen, in denen von den dafür vorgesehenen 4,5 Milliarden Euro nicht alles bei den Kommunen landet. Manche Länder haben klebrige Finger. (Florian Pronold [SPD]: Sich mit fremden Federn schmücken, das können Sie!) Ein weiteres Beispiel. Ich finde es gut, dass Frau Ministerin Schröder so sehr dafür gekämpft hat, dass die 580 Millionen Euro, die für den Krippenausbau zur Verfügung gestellt werden, von den Ländern verbindlich zu diesem Zweck eingesetzt werden müssen. So lässt sich verhindern, dass dieses Geld irgendwo in einem Landeshaushalt verschwindet und die Mittel für den Krippenausbau nicht bereitgestellt werden. Denn wir haben eine Absprache getroffen: Ein Drittel der Kosten des Krippenausbaus trägt der Bund, ein Drittel tragen die Länder und ein Drittel die Kommunen. Wenn Sie sich die Situation in den Ländern ansehen, können Sie feststellen, wie viel von diesem Geld letztendlich wirklich bei den Kommunen angekommen ist. Die Länder machen sich hier oft einen schlanken Fuß, Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Kelber? (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Wenn er sich denn blamieren möchte!) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Sehr gerne. Ulrich Kelber (SPD): Sie haben gerade über die Grundsicherung im Alter und die mit der getroffenen Regelung einhergehende Entlastung der Kommunen gesprochen. In der Tat wird es zu einer schönen Entlastung kommen. Meine Heimatstadt Bonn zum Beispiel (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: In der übrigens die SPD regiert!) wird dadurch um fast 20 Millionen Euro im Jahr entlastet. Meine Frage an Sie lautet: Lügen denn die deutschen Journalisten, wenn sie im Zusammenhang mit diesem Thema berichten, dass die gefundene Regelung das Ergebnis des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat war und dass die Regelung, dass der Bund die Ausgaben für die Grundsicherung im Alter übernimmt, dort von den SPD-regierten Bundesländern vorgeschlagen wurde und Ihnen abgerungen werden musste? (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Herr Seehofer ist nicht Mitglied der SPD!) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Herr Kollege Kelber, Sie sind gut, wenn es darum geht, Märchen zu erzählen und Legenden zu bilden. (Willi Brase [SPD]: Nee, nee, nee! Das sind keine Legenden!) Ich habe das ganz anders in Erinnerung. Das war eine Initiative von CDU, CSU und FDP. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gustav Herzog [SPD]: Geben Sie doch mal eine Antwort!) – Ja, klar. Das waren der Herr Kollege Kauder, die Frau Hasselfeldt und der Herr Kollege Brüderle, und das waren unsere Fraktionen. (Willi Brase [SPD]: Nee, nee, nee!) Es wäre, glaube ich, besser – ehe wir uns über Märchen und Legenden unterhalten –, wenn Sie mit dafür sorgen würden, dass auch in dem Land, aus dem Sie kommen, das Geld bei den Kommunen ankommt und die Landesregierung keine klebrigen Finger bekommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Willi Brase [SPD]: Nee, nee, nee! – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Der Kollege muss sich behandeln lassen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Hinsken. Wollen Sie sie gestatten? Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Sehr gerne. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das ist dann aber die letzte Zwischenfrage, die ich diesem Redner zumute. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Die Frage ist bestellt!) Ernst Hinsken (CDU/CSU): Verehrter Herr Kollege Rehberg, Sie haben einige Persönlichkeiten genannt, die sich speziell dafür eingesetzt haben, dass wir eine akzeptable Regelung zur Grundsicherung im Alter hinbekommen haben. Einen Namen haben Sie aber vergessen – derjenige, den ich meine, war allerdings ausschlaggebend, weil er diesen Vorschlag eingebracht hat –: den des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Oh! – Bravo!) Ich möchte Sie bitten, unseren sozialdemokratischen Freunden ins Gedächtnis zu rufen, dass sich die Bayerische Staatsregierung – das zeigt sich an dieser Maßnahme, aber auch an verschiedenen weiteren Maßnahmen – in Sachen ländlicher Raum von niemandem übertreffen lässt, (Lachen des Abg. Willi Brase [SPD]) dass verschiedene Teile Bayerns vom Armenhaus Deutschlands zu einer Spitzenregion Europas geworden sind – das gilt zum Beispiel für meinen Wahlkreis – (Willi Brase [SPD]: Ja! Weil wir euch über 30 Jahre lang hochgepusht haben! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Genau! Geholfen wurde Ihnen von den Bundesländern, die Sie heute beschimpfen!) und dass die SPD in den Teilen Bayerns, die in wirtschaftlicher Hinsicht so gut dastehen, bei Wahlen 9 bis 10 Prozent bekommt. Herr Kollege Pronold, kommen Sie einmal dorthin und erklären Sie den Leuten, dass Sie es besser machen wollen. Vielleicht bekommen Sie dann 1 oder 2 Prozentpunkte mehr; aber das bezweifle ich. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Dann sind sie wenigstens zweistellig!) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Herr Kollege Hinsken, ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich für die Sachdarstellung bedanken. Ich habe dem überhaupt nichts hinzuzufügen. Herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, gelegentlich meint der eine oder andere – die Linken, die Grünen –, es sei genug in Beton investiert. Dann kommt immer wieder das Thema: Wir brauchen keine Räume mehr zu erschließen. Ich komme aus einem Land, das 1939 von 1 Million Menschen bewohnt war. Nach Kriegsende waren es 2 Millionen, 1989, zur Wende, knapp 2 Millionen, und heute sind es 1,6 Millionen. Wenn nicht zu Beginn der 90er-Jahre Entscheidungen gefällt worden wären, bei denen die Erschließungsfunktion des Raumes eine ganz wesentliche Rolle gespielt hat, dann hätten wir erstens nicht die A 20, die Lebensader von Mecklenburg-Vorpommern, (Zuruf von der FDP: Genau!) zweitens würde keine A 14 gebaut werden, und drittens würden wir heute nicht die B 96 nach Rügen bauen. Deswegen sage ich für mein Land ganz deutlich – dies ist eines der wichtigsten Teile unseres Antrages –, dass die Erschließungsfunktion bei zukünftigen Infrastrukturplanungen eine ganz wesentliche Rolle spielen muss. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn ich den gesamten norddeutschen Raum betrachte, stelle ich fest: Viele Infrastrukturanbindungen führen durch Räume, die nicht so hoch verdichtet sind wie die in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg. Aber dies sind Anbindungen an die Seehäfen, und die Seehäfen haben nationale Bedeutung. (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!) Deswegen darf man im Zusammenhang mit Infrastruktur nicht kurzfristig oder kleinkariert diskutieren, sondern muss in größeren Dimensionen denken. (Beifall der Abg. Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns wurde immer wieder der Vorwurf gemacht, wir investierten nicht in Forschung und Bildung. Wir werden in diesen vier Jahren insgesamt 13,3 Milliarden Euro für Bildung und Forschung ausgeben. Wir haben uns 12 Milliarden Euro vorgenommen. Ich kann Ihnen Dutzende Beispiele aus Mecklenburg-Vorpommern nennen, wo gerade benachteiligte Jugendliche in Jugendschulen, in Produk-tionsschulen, bei Bildungsträgern gefördert werden. Es gibt bei jungen Menschen eine Quote von 14,4 Prozent, die ihren Schulabschluss aus unterschiedlichen Gründen nicht schaffen. Sie werden dort herangeführt. Es ist gerade für den ländlichen Raum wichtig, dieses Segment zu fördern; denn uns fehlen Arbeitskräfte. Uns fehlen im ländlichen Raum mittlerweile nicht nur Fachkräfte, sondern auch Arbeitskräfte. Der ländliche Raum wird nur dann eine Zukunft haben, wenn wir dieses Problem der demografischen Entwicklung bewältigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie mich zum Schluss ein kommunales Problem ansprechen. Ich wohne in einer Stadt, die flächenmäßig die drittgrößte in Mecklenburg-Vorpommern ist: 4 700 Einwohner, 28 Ortsteile, nur noch ein Bürgermeister; dies ist eine freiwillige Entscheidung von acht Altgemeinden Ende der 90er-Jahre. (Zuruf von der SPD: Wie viele Katzen?) Meine Erfahrung in den letzten 22 Jahren ist: Dort, wo Menschen keinen Bezug mehr zu Verantwortung haben, wo sie sich nicht zur Übernahme eines Ehrenamtes in die Pflicht genommen fühlen, brechen viele Dinge auseinander. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das, was bei uns früher der ehrenamtliche Bürgermeister gemacht hat, muss heute die Verwaltung tun. Deutschland ist seit vielen Jahrzehnten – seit 1806, Freiherr vom Stein – gerade auch vom Ehrenamt geprägt. Dies ist nicht mit Geld zu bezahlen. Deswegen sind die sozialen Strukturen im ländlichen Raum, wo der Bezug der Menschen zueinander viel stärker ausgeprägt ist als in den Städten, deutlich besser. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/11654 mit dem Titel „Zukunft für ländliche Räume – Regionale Vielfalt sichern und ausbauen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Tagesordnungspunkte 3 b und 3 c. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11031 und 17/8360 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Beitrag der Raumordnung zu Klimaschutz und Energiewende“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11672, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9583 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Linken und Grünen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Gustav Herzog, Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine zukunftsfähige Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und ein modernes Wasserstraßenmanagement – Drucksachen 17/9743, 17/11592 – Berichterstattung: Abgeordneter Matthias Lietz b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Heinz-Joachim Barchmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zukunftsfähigkeit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kein Personalabbau bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – Aufgaben an ökologischer Flusspolitik ausrichten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Neue Netzstruktur für Wasserstraßen präzisieren und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung reformieren – Drucksachen 17/4030, 17/5548, 17/5056, 17/8330 – Berichterstattung: Abgeordnete Matthias Lietz Torsten Staffeldt Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Enak Ferlemann. (Beifall des Abg. Jan Mücke [FDP]) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung hier im Deutschen Bundestag das Thema. Ich nutze diese Gelegenheit, um zuallererst den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sehr herzlich für ihre hervorragende Aufgabenerfüllung zu danken. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Mit Nord- und Ostsee sind wir Anrainer eines der am meisten befahrenen Schifffahrtsgebiete der Welt. Sehr viel Verkehr herrscht auch auf den deutschen Binnenwasserstraßen. Es läuft dort alles sehr problemlos, sehr geordnet, so wie wir uns das wünschen. Dafür tragen die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung die Verantwortung, und sie machen das sehr gut. Wir haben zu diesem Thema eine Reihe von Anträgen der Oppositionsfraktionen zu beraten. Dazu muss man feststellen, dass die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, wie wir sie vorgeschlagen haben, im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages zustimmend zur Kenntnis genommen wurde, im Haushaltsausschuss ebenso, mit der Maßgabe, die Reform umzu-setzen, die Kosten- und Leistungsrechnung schneller einzuführen und die Ämterstruktur bei der Trennung von Verkehrsämtern einerseits und Bau- und Unterhaltungsämtern andererseits noch einmal zu überprüfen. Das werden wir tun. Warum eigentlich haben wir diese Reform gemacht? (Johannes Kahrs [SPD]: Das fragen sich alle!) Seit über 20 Jahren wird über eine Reform diskutiert. Passiert ist leider nichts, (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist falsch!) außer dass viele Gutachten in Auftrag gegeben wurden und es viele Diskussionen gegeben hat. Keiner der Vorgängerverkehrsminister hatte den Mut, diese Reform anzugehen, weil sie in der Tat eine nicht ganz einfache Reform darstellt. Insofern wundere ich mich, lieber Uwe Beckmeyer, dass diejenigen, die viele Jahre Verantwortung getragen haben, diejenigen, die es nie geschafft haben, eine solche Reform ins Werk zu setzen, jetzt als die größten Kritiker auftreten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Weil die Reform schlecht gemacht ist!) Sicherlich kann man das eine oder andere kritisieren. Man kann über das eine oder andere immer diskutieren. Das ist ja keine feststehende Reform, sondern sie wird sich bis 2020 entwickeln. Und keiner von uns behauptet, dass alles, was wir gemacht haben, schon richtig ist. Aber jahrelang gar nichts gemacht zu haben, (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist falsch!) alles verschlafen zu haben und dann nur zu kritisieren, kann nicht die richtige Antwort sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Haben Sie zehn Jahre geschlafen?) – Ich bin leider noch nicht zehn Jahre in diesem Amt. Es wäre Deutschland besser bekommen, wenn es so gewesen wäre. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Aber was nicht ist, kann ja noch kommen. Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes hatte einmal 19 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Inzwischen sind es noch circa 13 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf etwa 12 500 Stellen. Dieser Abbau hat sich vollzogen, wie sich der Abbau von Stellen in der Verwaltung häufig vollzieht: relativ ungeordnet. Wo ein Kollege in den Ruhestand gegangen ist, ist er nicht ersetzt worden. So hat man nach und nach auch Kompetenzen verloren. So wurde nach und nach auch die Stärke der einzelnen Ämter geschwächt; denn wenn einige Abteilungen nur noch aus einer Person bestehen – die irgendwann Urlaub machen muss und die auch einmal krank werden darf –, dann ist das eben schwierig. Deswegen ist es angezeigt, dass wir zu einer Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung kommen. Diese Reform hat ihre Grundlage in einer neuen Netzstruktur. Das heißt, es ist, was für alle Verkehrsträger kommen wird – auch für die Schiene, auch für die Straße –, ein Kernnetz, ein Hauptnetz, ein Nebennetz und ein Netz, das wir als Bund so nicht mehr brauchen, zu definieren. Die Europäische Union hat es uns vorgemacht. Auch sie hat jetzt in ihren TEN-Leitlinien die Strukturen in ein Kernnetz und ein Grundnetz – danach folgen nationale Netze – eingeteilt. Dies ist sicherlich richtig und sinnvoll. Dies wird eine Basis für den neuen Bundesverkehrswegeplan bei allen Verkehrsträgern sein. Bei dieser Netzstruktur gibt es naturgemäß viele Diskussionen: Was kommt hinein? Was kommt nicht hinein? Mit welchen Verkehren rechnen wir? Wir haben das Ganze anhand der aktuellen Verkehrsdaten, aber auch auf der Grundlage der Prognosen bis zum Jahr 2025 versachlicht. So haben wir das Ganze in ein A-, B-, C- und D-Netz eingeteilt – allerdings nur nach der Maßgabe, was Güterverkehr und Logistik brauchen. Denn die Hauptaufgabe unseres Ressorts ist, für Güterverkehr und Logistik in diesem Land zu sorgen. Daneben gibt es die touristischen Wasserstraßen. Hierfür wird es ein gesondertes Konzept geben, weil die Tourismuswasserstraßen andere Anforderungen und Voraussetzungen haben als die Wasserstraßen, die hauptsächlich dem Güterverkehr und der Logistik zur Verfügung stehen müssen. Darauf haben wir die Verwaltungsstruktur aufgebaut. Ich glaube, es ist sinnvoll und richtig, dass wir die Ämterstruktur etwa um ein Drittel reduzieren und dass wir die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen von sieben auf eine Generaldirektion zusammenlegen. (Johannes Kahrs [SPD]: Nach Bonn verlegen!) Denn wir können mit weniger Personal wesentlich effizienter und effektiver arbeiten. In diesem Zusammenhang wird uns häufig der Vorwurf gemacht, man wäre dann zu weit von den Dingen entfernt. (Johannes Kahrs [SPD]: Genau!) Wenn Sie die Ämterstruktur stärken, dann können Sie auch eine Zentraleinheit sehr gut darstellen. Wir werden sie in Bonn haben. Auch das wird häufig kritisiert. Ich finde, dass Bonn eine sehr schöne Stadt ist. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liegt am Rhein!) Bonn war jahrelang Bundeshauptstadt und hat einen guten Job gemacht. Der überwiegende Teil meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist in dieser schönen Stadt beheimatet. Deswegen verstehe ich die Diskussion in ganz Deutschland nicht, man dürfe in Bonn keine Behörde schaffen. (Iris Gleicke [SPD]: Es gibt eine Verabredung, dass neue Bundesbehörden in den Osten müssen!) Wir finden den Standort sehr gut. Unsere Abteilung ist schon dort. Vier Wasser- und Schifffahrtsdirektionen sind im Umfeld von zwei Autostunden entfernt, sodass wir dort ohne große Verwerfungen in den einzelnen Mitarbeiterschaften sehr schnell eine Generaldirektion zusammenbekommen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, uns ist ein guter Wurf gelungen. (Johannes Kahrs [SPD]: Schlecht gemacht!) Sicherlich wird es im Laufe der Zeit noch Diskussionen geben. Aber ich glaube, dass die Reform angesichts der viel zu knappen Ressourcen, die uns vom Parlament über viele Jahre hinweg zur Verfügung gestellt wurden, sinnvoll und richtig ist. Wir haben Anlagen, die zum Teil 80, ja 100 Jahre alt sind. Wir können nur froh und dankbar sein, dass damals so gut gearbeitet wurde und die Anlagen heute noch betriebsbereit sind. Aber wenn wir sie einmal ersetzen müssen, brauchen wir eine Priorisierung für Ausbau- und Neubaumaßnahmen, weil wir nicht überall alles gleichzeitig machen können. Bevor Peter Ramsauer das Ressort übernahm, gab es eine etwas unkoordinierte Investitionsstrategie. Heute hingegen priorisieren wir und bilden mit einem ganz klaren Konzept Schwerpunkte, um mehr Verkehr von der Straße auf die Wasserstraße zu holen und diesen Verkehrsträger, der noch die größten Reserven hat, viel effizienter und besser zu nutzen. Dazu dient die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Dazu wird sie einen wesentlichen Beitrag leisten. Ich bin den Koalitionsfraktionen sehr dankbar für die kritische Begleitung, aber auch für die wohlwollende Unterstützung unserer Reform. Ich bedanke mich ausdrücklich auch bei den Grünen für das Verständnis für unsere Reform. Von der SPD bin ich noch immer enttäuscht – von den Linken habe ich nichts anderes erwartet –, wie sie auf unsere Reform reagiert. Insgesamt ist festzustellen: Die Anträge der SPD, der Linken und der Grünen müssen heute abgelehnt werden. Ich freue mich auf eine weitere konstruktive Beratung und Unterstützung und hoffe, dass wir alle zum Wohle der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung in diesem Lande gemeinsam weiter um einen guten Weg ringen werden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Uwe Beckmeyer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die Begründung des Staatssekretärs für das hört, was er hier verantwortet, dann denkt man, dass alles in Ordnung ist. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Nur Schönrednerei! Nichts ist in Ordnung!) Heute Nachmittag findet eine Sitzung statt, zu der Ihr Chef, Herr Minister Ramsauer, alle Ländervertreter eingeladen hat. Weshalb eigentlich? (Enak Ferlemann, Staatssekretär: Ich habe eingeladen!) – Ach, Sie haben eingeladen. – Es wurden alle Ländervertreter eingeladen, weil aus allen Ländern dieser Republik heftiger Widerstand und Zweifel an Ihrer Aktion der Änderung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung gekommen sind. (Iris Gleicke [SPD]: Zu Recht!) Mit Genehmigung des Präsidenten darf ich einmal vorlesen. Erstes Zitat: Mit Erstaunen und Unverständnis habe ich zur Kenntnis genommen, dass unter anderem eine zentrale Generaldirektion für Wasserstraßen und Schifffahrt in Bonn geschaffen sowie über 2 600 Stellen bei den Wasser- und Schifffahrtsverwaltungen abgebaut werden sollen. Zweites Zitat: Das Abziehen wesentlicher Entscheidungsbefugnisse aus den betroffenen Regionen führt zu einheitlichen, den örtlichen Gegebenheiten nicht mehr optimal angepassten Entscheidungen. Drittes Zitat: Eine effiziente regionale und integrierte Aufgaben-erledigung wird dadurch übermäßig erschwert und schlimmstenfalls in vielen Fällen sogar unmöglich gemacht. (Gustav Herzog [SPD]: Wir wollen wissen, wer das geschrieben hat!) Viertes Zitat: Die Reform setzt nach meiner Einschätzung zu große Erwartungen in die Privatisierung. Dabei hat ja bereits die in den letzten Jahren in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zunehmend gepflegte Vergabepraxis gezeigt, dass diese keine Einsparungen zur Folge hätte. (Matthias Lietz [CDU/CSU]: Wer sagt das? – Gustav Herzog [SPD]: Ja, genau: Wer sagt das?) – Seehofer, Ministerpräsident des Freistaates Bayern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Ministerpräsident der CDU-Landesorganisation, der anzugehören Sie, Herr Ferlemann, ja das Vergnügen haben, McAllister, hat mit seiner Koalition – daran ist die Sozialdemokratie nicht beteiligt – den Beschluss im Landtag herbeigeführt, dass die beiden Wasser- und Schifffahrtsdirektionen in Aurich und Mitte erhalten bleiben müssen. Was sagen Sie eigentlich dazu, Herr Ferlemann? (Gustav Herzog [SPD]: Er hört nicht zu!) Das scheint an dieser Bundesregierung und auch an Ihnen als CDU-Mann in Niedersachsen völlig vorbeigegangen zu sein. Eine Landesregierung fordert den Bund auf, dass diese Direktionen erhalten bleiben, aber Sie machen genau das Gegenteil. So viel zu dem „doppelten Ferlemann“, der auch hier wieder auftaucht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Verkehrsministerkonferenz hat am 4./5. Oktober 2012 in Cottbus beschlossen: Nach Auffassung der Verkehrsministerkonferenz wird die geplante organisatorische Umgestaltung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung den Anforderungen der Länder nicht gerecht. (Beifall bei der SPD) Wir erleben, dass inzwischen nicht nur aus den Bundesländern und aus den Landesregierungen, sondern auch aus der Wirtschaft zunehmend Widerstand kommt. (Zuruf von der FDP: Die SPD will ja auch nicht sparen!) Die Handelskammern im norddeutschen Raum, die ja in der IHK Nord miteinander verbunden sind, haben sich eindeutig gegen Ihre Reform – in Anführungsstrichen – ausgesprochen. Die Wirtschaftsunternehmen am Mittellandkanal – dazu gehören unter anderem auch ganz große, deren Einfluss man einfach einmal berücksichtigen muss, nämlich VW und andere – sagen: Halt, stopp, liebe Freunde, was ihr macht, ist gefährlich. Ich habe durch Zufall einen Zettel bekommen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Beckmeyer, bevor Sie zitieren: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Staffeldt? Uwe Beckmeyer (SPD): Nein, jetzt nicht. Er hat gleich Zeit; er darf ja nach mir reden. – Auf diesem Zettel steht, dass die liberale Fraktion dieses Hauses der Meinung ist, dass noch einmal klargestellt werden muss, dass nach der Vergabe- und Vertragsordnung auch langfristige Standardaufgaben vergeben werden können, und insofern die pauschale Behauptung, die derzeit noch im Entwurf steht, dass hier keine rechtlichen Vorbehalte bestehen usw., richtig ist. Genau das befürchten wir: Sie wollen auf Betreiben des liberalen Partners die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung so umstrukturieren, dass Standardaufgaben am Ende komplett vergeben werden können. Dadurch bauen Sie die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung ab. Die gesamte Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wird am Ende des Tages eine Struktur haben, mit der sie ihren regionalen Aufgabenstellungen nicht mehr gerecht werden kann. (Beifall bei der SPD) Zum nächsten Punkt. Dieser Vorgang, den Sie uns hier präsentieren, ist kein Ergebnis einer ergebnisoffenen Untersuchung gewesen. Es ist eine Bankrotterklärung Ihres Ministeriums, dass Sie sagen, die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sei nicht funktionsfähig. Weshalb ist denn das so? (Torsten Staffeldt [FDP]: Weil über Jahrzehnte nichts gemacht wurde!) Geben Sie denen doch ein paar ordentliche Vorgaben! Warum sagt dieses Ressort der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung denn nicht, wie ein solches Steuerungsdefizit aufgelöst werden kann? Geben Sie denen doch endlich parlamentarische und administrative Vorgaben! Auch das tun Sie nicht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe noch eine Dreiviertelminute Redezeit. (Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Sie sollen nicht so einen Quatsch erzählen!) Sie sagen, Sie hätten bei der Kategorisierung aktuelle Verkehrsdaten berücksichtigt. Die Daten der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung in Nord, West und Mitte sind aber zum Beispiel bei der Beurteilung der Kategorie der Mittelweser und Unterweser komplett ausgeblendet worden. Woher Sie Ihre Daten haben, weiß keiner. Die Daten des eigenen Hauses nutzen Sie bei der entsprechenden Kategorisierung jedenfalls nicht. Ich sage es einmal so: Die sträfliche Verbrämung von Interessen und gleichzeitig die Bewertung falscher Fakten haben dazu geführt, dass Sie dies hier so auf den Weg gebracht haben. Ich habe die Hoffnung, dass sich die Länder sehr genau anschauen werden, was alles in Ihrem Artikelgesetz, das irgendwann kommen muss – sonst können Sie diesen Reformprozess nicht fortsetzen –, steht. Wir als Sozialdemokraten werden genau prüfen, in welcher Form wir uns dazu einbringen werden. Diese Reform, die keine ist, werden wir jedenfalls nicht akzeptieren. Wir werden sie mit den Beschäftigten der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung in Deutschland weiterhin bekämpfen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Torsten Staffeldt für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Torsten Staffeldt (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Beckmeyer wird nach der heutigen Debatte sicherlich als Zitatekönig in die Geschichte eingehen. (Gustav Herzog [SPD]: Aber er hat recht!) Nachdem er ein Zitat nach dem anderen geliefert hat, kam mir der Gedanke: Er hätte von vornherein seine ganzen Presseartikel kopieren, lochen und uns zum Abheften geben können. Dann hätten wir es einfacher gehabt und hätten uns das alles nicht anhören müssen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte jetzt auf das Thema eingehen. Der Kollege Ferlemann hat es eben schon richtig dargestellt: Über Jahrzehnte hinweg wurden unter sozialdemokratischer Führung (Uwe Beckmeyer [SPD]: Über Jahrzehnte?) die notwendigen Schritte zur Erhaltung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung nicht vollzogen. (Johannes Kahrs [SPD]: Das glauben Sie doch nicht mal selber!) Es wurden nur Gutachten erstellt. Aber die Vorgaben des Bundesrechnungshofes wurden einfach ignoriert usw. (Gustav Herzog [SPD]: Was machen Sie?) Diese Bundesregierung und diese Koalition nehmen sich der Aufgabe an, die sozialdemokratische Verkehrsminister über Jahrzehnte haben schludern lassen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir machen das, was Sie hätten tun müssen. Das ist nicht ganz einfach, weil Sie eben über Jahrzehnte hinweg diese Aufgaben nicht in der Form angegangen sind, wie es notwendig gewesen wäre. Aus diesem Grunde brauchen wir dafür ein bisschen Zeit. Bis 2020 – darauf hat der Kollege Ferlemann schon hingewiesen – wird diese Reform, deren Zielsetzung es ist, dafür zu sorgen, dass die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zukunftsfähig und demografiefest gestaltet wird, dazu führen, dass diese Verwaltung handlungsfähig bleibt. Die Ziele, die Sie im 5. Bericht zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung und auch in anderen Berichten nachlesen können, sind folgende: Sicherung einer leistungsfähigen, effizienten und vor allen Dingen für die Steuerzahler kostengünstigen Wasser- und Schifffahrtsverwaltung und nachhaltige Absicherung der Fachkompetenz – das ist ein wesentlicher und wichtiger Punkt –, und zwar trotz Stellenabbau. Die bisherige Vorgehensweise unter sozialdemokratischer Führung in den letzten Jahrzehnten war, die Vorgaben des Stellenabbaus einfach über die natürlichen Abgänge zu realisieren. Wir machen das so, wie es vernünftig ist. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie entlassen jetzt!) Wir schauen nämlich: Wo brauchen wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Wo brauchen wir das Personal? Wie schulen wir es entsprechend? Das ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Vorgehensweise. Wir verschlanken die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, indem wir (Uwe Beckmeyer [SPD]: 2 700 Leute nach draußen schicken!) unter anderem die fünf Direktionen, die es bisher gab, in eine Generaldirektion übergehen lassen, die dafür sorgt, dass die Aufgaben konzentriert, fokussiert und effizient umgesetzt werden. Zu der Frage, wohin die Generaldirektion kommt. Bonn ist eine schöne Stadt; darauf hat auch der Kollege Ferlemann hingewiesen. Ich sage Ihnen: Die schönsten Städte der Welt fangen vorne mit B an und hören mit N auf. Das ist Berlin. Das kann auch Bingen sein. Auch Bremen, meine Heimatstadt, ist sicherlich eine von den Städten, in denen man eine Generaldirektion ansiedeln könnte. (Patrick Döring [FDP]: Bremerhaven!) – Okay, auch über Bremerhaven kann man noch reden. Aber kommen wir lieber wieder zur eigentlichen Thematik zurück. (Lachen und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mit den vorliegenden Anträgen soll verhindert werden, dass wir diese Reform zukunftsfähig gestalten. Das ist der entscheidende Punkt. Von den Sozialdemokraten und den Linken haben wir nichts anderes erwartet. Schließlich waren sie jahrelang in der Verantwortung, zwar nicht die Linken, aber die Sozialdemokraten. (Johannes Kahrs [SPD]: Haben Sie auch inhaltlich etwas zu sagen?) Dass die Sozialdemokraten, die über Jahre hinweg in der Verantwortung waren und hier nichts geschafft haben, schlecht eingestehen können, dass wir die Reform auf einen vernünftigen Weg bringen, ist klar. Insofern ist die Abwehrreaktion in den vorliegenden Anträgen nachvollziehbar. Aber, wie gesagt, die Anträge werden heute mit großer Mehrheit abgelehnt werden. Dann hat diese Debatte hoffentlich endlich ein Ende, (Iris Gleicke [SPD]: Das hat sie bestimmt nicht! – Johannes Kahrs [SPD]: Das wird leider nichts!) sodass wir diese Reform so weiterführen können, wie es notwendig ist. Die Grünen haben aus meiner Sicht eine sehr gute und interessante Position eingenommen und begleiten diesen Reformprozess konstruktiv, was ich an dieser Stelle ausdrücklich würdigen möchte. Es ist aber, wenn man die Ergebnisse der Beschlussfassungen in den einzelnen Ausschüssen betrachtet, an der einen oder anderen Stelle schon ein wenig verwunderlich, dass die Grünen unsere Anträge in fast allen Ausschüssen abgelehnt haben. Nur im Ausschuss für Arbeit und Soziales haben die Grünen diesen Anträgen zugestimmt. Insofern muss man da vielleicht in der Grünenfraktion Überzeugungsarbeit leisten und dafür sorgen, dass dort von allen Mitgliedern erkannt wird, dass es vernünftig ist, was wir in diesem Bereich machen. (Johannes Kahrs [SPD]: Mit dem Unsinn -können Sie die Grünen nicht überzeugen, da brauchen Sie schon Argumente!) Das ist übrigens auch einer der Punkte, der mir wichtig ist. Wir haben gerade über die Verkehrsministerkonferenz gesprochen. Dass sie sagt, es solle sich nichts ändern, ist nachvollziehbar. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie haben immer noch kein Argument gebracht! Keine Inhalte!) Nichtsdestotrotz ist es vielleicht auch eine Frage der Kommunikation; es ist die Frage, wie man diese Reform kommuniziert, wie man sie auch den Ländern gegenüber kommuniziert. (Johannes Kahrs [SPD]: Wenn man keine Inhalte hat, kann man auch nicht kommunizieren!) Ich kann mir vorstellen, dass das Verkehrsministerium da noch Überzeugungsarbeit zu leisten hat, die wir als Parlamentarier gerne begleiten wollen. (Johannes Kahrs [SPD]: Es hilft nichts, wenn Sie schneller reden, aber Ablesen hilft auch nicht!) Wenn Sie, Herr Beckmeyer, als Zitatekönig in die -Geschichte eingehen wollen und die IHK Nord zitieren – Sie wissen, dass ich auch Mitglied des Plenums der Handelskammer Bremen bin –, dann sollten Sie nicht nur die Teile zitieren, die Ihnen passen, sondern Sie sollten es komplett zitieren. Es steht nämlich unter anderem darin, dass die IHK die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung begrüßt, weil sie genau das macht, was Unternehmerinnen und Unternehmer auch tun: Sie stellt die Prozesse auf den Prüfstand; sie schaut, was verbessert und effizienter gemacht werden kann, und dann setzt sie das um. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das tun Sie aber nicht!) Genau das macht die Reform. Deswegen sollten Sie bei den Zitaten vorsichtig sein. Dass es in Ihren Medien anders dargestellt wird, wundert mich persönlich nicht. Zu den TEN-Leitlinien. Wir können jetzt noch auf die Flüsse eingehen und auf das, was dort gemacht werden muss. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Sagen Sie was zur Weser!) Die Priorisierung ist ein Kind, dessen Vaterschaft oder auch Mutterschaft – das sei dahingestellt – aus meiner Sicht nicht ganz klar ist. Wir haben sie, und sie ist auch sinnvoll; das ist gar keine Frage. An dem einen oder anderen Fluss werden wir sicherlich noch nachsehen müssen, ob die Priorisierung dort dem entspricht, was jetzt schon Tatsache ist. Vielleicht ist ja die Faktenlage schon eine andere als das, was durch die Prognose vorhergesagt wird. (Florian Pronold [SPD]: Auf den Heiligen Geist können Sie sich nicht rausreden in der Frage!) Aber dafür haben vor allem wir als christlich-liberale Koalition gekämpft und gearbeitet. Wir haben dafür gesorgt, dass es auch Aufstiegs- und Abstiegsregelungen für die einzelnen Flussabschnitte gibt. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Aber eben auch -Abstiege!) Aus dem Grunde bin ich zuversichtlich, dass wir zusammen mit dem Ministerium konstruktiv dafür sorgen -werden, dass die wesentlichen Aufgaben der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sowohl auf See wie auch auf den Binnenwasserstraßen, (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Vergabe-verfahren!) nämlich Schifffahrt zu ermöglichen, sie einfach und effizient zu machen, (Johannes Kahrs [SPD]: Deswegen wird das privatisiert!) in der Zukunft auch mit reduziertem Personal effizient erledigt werden. Deswegen begrüßen wir die Vorgehensweise des Ministeriums an dieser Stelle ausdrücklich und lehnen die Anträge der Opposition ab. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Uwe Beckmeyer [SPD]: Sehr inhaltsreich!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Herbert Behrens für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Begrüßen einer Aktion oder einer Aktivität wäre ja ganz sinnvoll, aber begründet sollte sie dann doch schon sein, Herr Staffeldt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir stellen heute fest: Zwei Jahre debattieren wir über den Sinn und vor allen Dingen über den Unsinn der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Ich finde, es sind zwei verlorene Jahre für die Belegschaften, die Jahr um Jahr Kolleginnen und Kollegen verlieren, weil deren Stellen nicht wiederbesetzt werden. Das sind zwei Jahre Unsicherheit auch für Unternehmen, die ganz gern wissen wollten, mit wem sie künftig zusammenarbeiten müssen. Da sind auch Unsicherheiten bei den Freizeit-kapitänen, bei den Tourismusverantwortlichen in den Kommunen, die nicht genau wissen, wie es weitergehen soll. Nur eines ist sicher für alle Beteiligten: Wer so Politik macht, macht deutlich, dass Sachverstand hier nicht gefragt ist. Meine Meinung ist: Wer so Politik macht, der wird damit scheitern. (Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Das tun sie im September!) Was hören wir von den Koalitionsfraktionen, von Herrn Staatssekretär Ferlemann, von Herrn Staffeldt? Starke Sprüche über Tatkraft und Reformwillen der -Bundesregierung. Aber das wollen die Kolleginnen und Kollegen, die dieses tagtäglich hören müssen, nicht mehr hören. Sie wollen, dass ihre Fragen und insbesondere ihre Vorschläge für eine zukunftsfähige WSV ernst genommen und registriert werden. Der Bundesverkehrsminister ist dabei, Strukturen zu zerschlagen, die in den vergangenen Jahren gewachsen sind, aufgebaut und immer wieder umgebaut worden sind. Geschäftsführung und Belegschaften waren mit dabei. Direktion oder Personalräte, egal auf welcher Seite man gestanden hat, Ämter, Betriebsteile und Personal, haben es geschafft, dass beispielsweise die eben angesprochenen 80 Jahre alten Schleusen noch funktionieren. Sie haben auch dafür gesorgt, dass neueste Technologie eingeführt worden ist und von Anfang an funktioniert hat, und sie haben dafür gesorgt, dass junge Menschen eine sehr gute Ausbildung bekommen konnten und gut auf den Arbeitsmarkt vorbereitet sind. (Beifall bei der LINKEN) Dafür haben sie Anerkennung verdient statt Bedrohung mit Versetzung oder dem Entzug von Aufgaben. Ich will den Betroffenen allerdings keine Illusionen -machen, dass ab jetzt gute Argumente stark genug sind, um den Bundesverkehrsminister überzeugen zu können. Ich glaube, was wir zuletzt vom Kollegen Staffeldt gehört haben, zeugt davon, dass das vergebene Liebesmüh ist. (Beifall bei der LINKEN – Torsten Staffeldt [FDP]: Ich fühle mich schwer getroffen!) Wir haben festgestellt: In Niedersachsen werden Hannoversch Münden, Verden, Rheine, Meppen, Uelzen, Aurich und Hannover Kompetenzen und Know-how verlieren. Sie werden zu Außenstellen, Betriebs- oder Unterhaltungsämtern und müssen ihre Aufgaben und ihr Personal mit anderen Dienststellen neu sortieren und aufteilen. Die CDU-Mitglieder vor Ort raufen sich die Haare und die CDU/FDP-Landesregierung – das wurde vorhin erwähnt – druckst zwar herum, hat sich aber zumindest davon überzeugen lassen, einen entsprechenden Beschluss zu fassen und diese Reformpläne abzulehnen. Ich habe ein Zitat mitgebracht: Eine Reform, die ohne jede Rücksicht auf die speziellen Belange der Schifffahrt und Hafenbetreiber eine Kategorisierung der Bundeswasserstraßen vornimmt und auf dieser Grundlage alle betroffenen Akteure vor vollendete Tatsachen stellt, kann nach Auffassung – hört! Hört! – der Kreis-CDU – also des CDU-Kreisverbandes Aurich – auf Dauer keinen Erfolg haben. Das sagte der dortige Kreisvorsitzende Sven Behrens. Sven Behrens hat recht: Der Verkehrsminister und die Regierungsfraktionen werden auf Dauer keinen Erfolg haben. Schon am 20. Januar, dem Wahltag in Niedersachsen, wird sich das zeigen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Linke macht Vorschläge, welche Aufgaben eine zukünftige WSV übernehmen kann. Wir wollen nicht, dass alles so bleibt, wie es ist. Das wäre dummes Zeug. Im Gegenteil: Wir wollen, dass die Kolleginnen und Kollegen vor Ort, mit denen wir auch gesprochen haben, weitermachen können mit ihren Reformvorschlägen, dass sie wirklich zukunftsfähige WSV-Arbeit machen können. Sie haben sehr gute Vorschläge vorgelegt bekommen, egal ob in Schweinfurt, Berlin oder Magdeburg. Das hört man auch in Emden oder Aurich. Die Betroffenen haben keine Angst davor, sich zu verändern. Sie nehmen diesen Veränderungsprozess auf und wollen die Reform gestalten, wenn es denn eine -Reform wäre statt eines Projekts, das ausschließlich -darin mündet, die WSV zu zerschlagen. Was jetzt vorgesehen ist – in Bonn wird eine zentrale Bürokratie aufgebaut, und es wird ein neues Organigramm erstellt, in dem die Behördenstruktur neu zusammengestellt wird –, reicht ihnen nicht aus. Das sind keine Maßnahmen, die eine moderne Wasser- und Schifffahrtsverwaltung gestalten. Sie werden nicht dazu beitragen, dass wir zu einer ökologischen Bewirtschaftung der wichtigen Schifffahrtswege kommen. Unternehmen oder ökologische Ansprüche werden mit dem, was Sie auf den Weg bringen wollen, nicht zufriedengestellt werden. Nein, der Umbau der WSV in dieser Weise bringt überhaupt nichts auf den Weg. Sie soll lediglich darauf reduziert werden, Aufträge zu vergeben. Das Stichwort „Privatisierung“ wurde genannt. Das ist schlecht für die Kompetenzen, die die WSV heute noch hat. Das ist schlecht für eine ökologische Flusspolitik. Da gehen wir nicht mit. Ich vermute, spätestens ab September 2013 werden die Karten neu gemischt. Darauf können die Kolleginnen und Kollegen vertrauen, die zurzeit mit der -Zerschlagung ihrer WSV zu tun haben. Ich freue mich darauf, diese Prozesse mit zu begleiten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Valerie Wilms für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auf Sie mit Gebrüll, Herr Beckmeyer: Ich glaube, wir sollten zu einer sachlichen Debatte finden. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! – Uwe Beckmeyer [SPD]: Das habe ich nicht gesagt!) Denn es geht immerhin um 12 000 unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Behörde des Bundes und um deren Arbeitsplätze. Das ist das Entscheidende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Beschäftigten sorgen vor allen Dingen auch dafür, dass die Wasserstraßen instand gehalten werden, damit wir sie nutzen können. Das ist die Aufgabe, die wir als Staat erledigen müssen. Das ist Daseinsvorsorge. (Beifall des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Dazu gehört auch die Zurverfügungstellung der Infrastruktur. Das ist eine der Aufgaben, die wir haben. Wir brauchen unsere Wasserstraßen für die Bewältigung von etwa 10 Prozent des gesamten Güterverkehrsaufkommens. Lassen Sie uns zu der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zurückkehren. Wir haben 12 000 nach meinem persönlichen Erleben hoch engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den einzelnen Ämtern vor Ort, in den Außenstellen, Außenbezirken und anderen Dienststellen. Ich habe das am Wochenende bei einer Veranstaltung wieder erlebt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen, dass es bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Probleme bei der Abwicklung gibt, dann nämlich, wenn wir so weitermachen wie bisher, wie es bestimmte Teile des Hauses wollen. Wir haben eine Bremse vonseiten des Haushaltsausschusses bekommen – Herr Kollege Kahrs ist anwesend –, dass wir 1,5 Prozent der Stellen einsparen müssen. (Johannes Kahrs [SPD]: Stimmt doch gar nicht! Das ist doch alles Geschichte, gnädige Frau!) – Herr Kahrs, Sie wissen es ganz genau. Dies führt dazu, dass die Stellen mit dem Rasenmäher abgebaut werden; das heißt, die Stellen derjenigen, die in Pension gehen, werden nicht wieder besetzt. Irgendwann haben wir ein System erreicht, das nicht mehr ausreichend leistungs-fähig ist. (Johannes Kahrs [SPD]: Eben!) Da bewegen wir uns so langsam an der Grenze. Wenn Sie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort reden, dann stellen Sie das auch fest. Wir brauchen also einen Reformprozess, sonst geht es immer so weiter. Wenn wir mit diesen pauschalen Kürzungen so weitermachen, dann sind wir irgendwann bei null. Dann hilft uns das gar nicht mehr. Deswegen müssen wir uns darüber klar werden, was wir langfristig für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung erreichen -wollen, damit wir die Aufgabe, Wasserstraßen zur Verfügung zu stellen, erfüllen können. Darum halten wir einen Reformprozess für zwingend erforderlich. Dazu gehört zum einen die Priorisierung. Wir haben nur begrenzte Haushaltsmittel, und die müssen wir an der Stelle einsetzen, wo es sinnvoll ist. Zum anderen – das ist ein Grundsatzproblem – müssen wir unterscheiden zwischen den hoheitlichen und den betrieblichen Aufgaben. Das wird in vorliegenden Ansätzen auch getan. Vor allen Dingen – das ist ein ganz wichtiger Punkt, den ich bei meinen Besuchen vor Ort immer wieder erlebt habe – müssen wir endlich aus dem Wildwuchs herauskommen. Wir sind weit entfernt von einer Standardisierung. Es gibt Schleusentore, die von außen zwar gleich aussehen, sich aber nicht tauschen lassen. Am Neckar sind die Schleusentore nicht tauschbar. Jede Direktion hat ihr eigenes Schleusenfernsteuerungssystem entwickelt, weil nicht direktionsübergreifend zusammengearbeitet wird. (Johannes Kahrs [SPD]: Was wollen Sie uns jetzt sagen?) Das ist ein Problem. Das Ganze müssen wir in eine -moderne Verwaltungsstruktur überführen, wie wir sie zum Beispiel aus dem kommunalen Bereich kennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP) Damit fangen wir jetzt an. Das Problem, das ich sehe – jetzt wende ich mich an die Regierung; Herr Ferlemann, Sie wissen das auch; wir haben schon oft genug darüber gesprochen –, ist: Man kann das Ganze nicht von oben, „top down“, herunterbrechen. Das Entscheidende bei einem solchen Modernisierungsprozess, den wir überall erleben – auch in den Betrieben –, ist, dass ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehme. Ich muss es ihnen erklären. Es hilft überhaupt nichts, wenn sie es von irgendwelchen Abgeordneten erfahren. Es hilft auch nichts und ist sehr schädlich, wenn sie bestimmte Entscheidungen aus der Presse erfahren. Nutzen Sie jetzt bitte die Möglichkeiten, die ein modernes Change Management – um diesen Begriff einfach in den Raum zu stellen; auch hier im altehrwürdigen Parlament – bietet! (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Regierung sollte sich eine Kommunikationsstrategie überlegen, und nicht nur wir Abgeordnete sollten in den Ämtern auftauchen; vielmehr sollten Entscheidungen auch von der Verwaltungsseite nach unten weitergegeben werden. (Florian Pronold [SPD]: Dann müssen Sie die Mitarbeiter bei der Reform mit einbeziehen!) Nehmen Sie in der Verwaltungsspitze des Ministeriums einmal den Blickwinkel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Das wäre sehr hilfreich. Lassen Sie mich zusammenfassen, was ich bei einer solchen Reform für wichtig erachte: Wir brauchen maximale Transparenz nach innen, wenn wir den Startschuss gegeben haben; das ist ja in den Ausschüssen passiert. Wir müssen das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgreifen. Wir müssen auf die Ängste der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort eingehen. (Johannes Kahrs [SPD]: Die haben mehr Angst vor der Reform!) – Herr Kollege Kahrs, es hilft nichts, wenn Sie sich echauffieren. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie müssen mal an die Mitarbeiter denken!) Wir als Politiker müssen uns Gedanken darüber machen, ob wir mit irgendwelchen neuen Aufregern in das -System hineingehen wollen. Wir sollten uns jetzt heraushalten und die Arbeitsgruppen, die eingerichtet worden sind, arbeiten lassen. Dann schauen wir uns die Lösung an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin schon fast am Schluss, Herr Präsident. – In dem Sinne würde ich gerne ernsthaft an einer modernen Aufstellung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung weiterarbeiten. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe Beckmeyer [SPD]: Das steht im Protokoll: Beifall bei CDU/CSU und FDP!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Matthias Lietz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Matthias Lietz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits im Dezember 2010 sowie im Mai 2011 stand ich hier an diesem Pult und habe über die unterschiedlichsten Anträge zur Zukunft der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung berichtet. Schon in meinen damaligen Redebeiträgen habe ich einiges zur zeitlichen Entwicklung dieser Reform berichtet, (Florian Pronold [SPD]: Dann können Sie ja Ihre Rede noch mal vorlesen!) und auch heute ist unsere Debatte so begonnen worden. Es war mir damals wie auch heute ein wichtiges Anliegen, klarzustellen, dass eine Reformierung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung bereits über Jahrzehnte hinweg aufgeschoben worden ist. In dieser Zeit hätten alle Parlamentarier tatkräftig mitarbeiten können, um tatsächlich eine Reform auf den Weg zu bringen. So kam es denn auch, dass schließlich der Haushaltsausschuss im Oktober 2010 – ich sage: mit Rückenwind des Bundesrechnungshofs – die Notbremse zog und das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aufforderte, einen Vorschlag für die Reformierung zu machen. (Gustav Herzog [SPD]: Der Bundesrechnungshof kritisiert Sie doch! – Florian Pronold [SPD]: „Rückenwind“ und „Notbremse ziehen“ sind aber ein merkwürdiges Unterfangen!) Mittelpunkt des nunmehr fünften vom Ministerium vorgelegten Berichtes hierzu ist vor allem eine Untersuchung des Netzes, der Personalstruktur und eine Aufgabenkritik der Verwaltung. Einmal abgesehen von diesen gutachterlichen Ergebnissen, die wir in diesem fünften Bericht zur Kenntnis nahmen, möchte ich nochmals darauf hinweisen, dass dieser Beschluss des Haushaltsausschusses die Reformierung einer bundeseigenen Verwaltung anstieß, in der sich seit Jahrzehnten – auch das ist heute mehrfach erwähnt worden – bis auf den planlosen Stellenabbau nichts getan hat. Vor allem mit Blick auf diesen Punkt frage ich mich, was sich die Damen und Herren der Opposition an dieser Stelle eigentlich vorstellen. Soll dies so weitergeführt werden, oder was ist Ihre Alternative zur Reform? Ich sage – und da stimme ich voll mit meiner Vorrednerin überein –: (Johannes Kahrs [SPD]: Aha!) Wir müssen doch einmal ehrlich gemeinsam Politik machen und dürfen uns nicht gegenseitig Verschulden vorwerfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich sage das auch in Richtung der Bundesländer; denn auch die Länder sind gefordert, sich am Prozess zu beteiligen. Das heißt für mich nicht nur Kritik an den Aufgaben, sondern möglicherweise auch Beteiligung an der Finanzierung. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, uns liegen in dieser verbundenen Debatte mehrere Anträge vor. Lassen Sie mich auf einige Hauptkritikpunkte eingehen. Ich beginne dabei mit der Netzkategorisierung. Das ist ein Schuh – wenn ich es einmal so ausdrücken darf –, der auch mich beim ersten Hinsehen deutlich drückte. Man hört es, ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern. Maritimwirtschaftlich gesehen haben wir sicherlich nur kleinere Häfen und vor allem Marinas, deren Erhalt mir allerdings ein großes persönliches Anliegen ist. Dennoch muss auch ich den Tatsachen ins Auge sehen, dass gerade die Flüsse in unserem Land hinsichtlich der Transportmenge und der Umschläge in keinem Vergleich zum Rhein-Main-Gebiet, der Donau oder der Mosel stehen. Aber, meine Damen und Herren – wir haben es in der Debatte zum vorherigen Tagesordnungspunkt gehört –, wenn ich über die Entwicklung der Strukturen der Räume in unserem Land aus Sicht der Raumordnung spreche, dann weiß ich: Wir werden sicherlich auch in den kommenden Jahren gerade diese Prioritäten neu setzen müssen. Die Kategorisierung, die Priorisierung der Wasserstraßen ist dennoch nicht falsch. Wenn das Geld – auch das haben wir in der letzten Haushaltsberatungswoche wieder alle deutlich erkannt – nicht ausreicht für alle Maßnahmen, für alle Wünsche, dann muss es letztendlich nach Dringlichkeit vergeben werden. (Johannes Kahrs [SPD]: Genau! Es geht alles nach Bonn!) Sinnvoll erfolgt dies zukünftig vor allem durch den Vorschlag – das lesen wir in dem fünften Bericht –, alle fünf Jahre eine erneute Bewertung vorzunehmen, damit das an sich ändernde Bedingungen angepasst werden kann. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Dann sind Ihre -Marinas platt!) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen Blick zu meinen Kollegen zur Linken werfen. Sie fordern in Ihrem Vorschlag nicht nur mehr Geld, sondern wollen die Kategorisierung auch mit mehr Renaturierung verbinden. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau!) Ich sage Ihnen: Wenn das Projekt eines Flusses, eingeteilt in die Kategorien A, B, C oder D, auch noch mit einer Renaturierung verbunden werden soll, dann wäre das für mich Stuttgart 21 auf dem Wasser. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Herr Lietz, da sollten Sie ein bisschen besser den Antrag lesen – Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie reden das Plenum hier leer! Die Leute gehen schon nach Hause!) Die Personal- und Verwaltungsstruktur ist ein weiterer Punkt. Hier möchte ich auf Folgendes hinweisen: Es ist kein Geheimnis, dass seit 1993 bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Stelleneinsparungen erfolgen. (Florian Pronold [SPD]: Sie sind der erste Redner, bei dem sich 9 Minuten wie 27 anfühlen!) Der Staatssekretär hat deutlich darauf hingewiesen, dass bereits eine Reduzierung auf etwa 12 000 Beschäftigte erfolgt ist. Ich habe mit den Verwaltungen vor Ort, vor allen Dingen an den WSV-Standorten, mit den Betreibern der -Häfen und den Binnenschiffern gesprochen. Ich kann bestätigen, dass die Menschen dort einer Reform offen gegenüberstehen (Uwe Beckmeyer [SPD]: Aber nicht dieser!) und die Mitarbeiter daran interessiert sind, das Ganze geregelt auf den Weg zu bekommen. Das sage ich auch aus eigener Erfahrung: Ich selbst habe in den letzten Jahren in meinem Land auf der kommunalen Ebene Reformen in der Verwaltung erlebt. Ich könnte mir vorstellen, dass sich der eine oder andere Betrieb in meinem Bundesland, der nach 1990 reformiert wurde, einen solchen Zeitraum, eine solche Umsetzung und eine Begleitung der Personalräte und der Gewerkschaften gewünscht hätte. (Johannes Kahrs [SPD]: Ihre Fraktion hat nicht ein einziges Mal geklatscht während Ihrer ganzen Rede! Macht Sie das nicht misstrauisch? Hört doch keiner zu!) Die Umsetzung der Reform wird schrittweise bis in das Jahr 2020 erfolgen. An dieser Stelle möchte ich noch einmal ausdrücklich erwähnen: Es ist klar vereinbart, dass es keine Kündigung und keine Versetzung gegen den Willen der Mitarbeiter geben wird. (Florian Pronold [SPD]: Schon schwierig, 9 Minuten mit nichts zu füllen!) Es wird das Möglichste versucht, um die wichtigste Ressource der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – das sind die sachkundigen Mitarbeiter – nicht auf der Strecke zu lassen. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber das Möglichste reicht nicht aus!) Ein letztes Wort zur Vergabekritik. Ich sage deutlich: Eine Privatisierung darf nicht zum Kompetenzverlust des Staates führen. Die Privatisierung staatlicher Aufgaben findet ihre Grenze in der Verantwortung für das Gemeinwohl. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie wollen privatisieren, aber nicht die Nachteile haben! Das ist schon komisch!) Das gilt auch für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Hoheitliche und sicherheitsrelevante Aufgaben werden daher auch weiterhin von der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes erledigt werden. Zur Frage der Finanzierung und der notwendigen Einstellung der Mittel in den Haushalt: Auch hier kann ich Ihnen deutlich sagen, dass allen klar ist, dass die Bundeswasserstraßen mehr finanzielle Unterstützung benötigen. (Johannes Kahrs [SPD]: Deshalb zerschlagen Sie die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung!) Das sollte für uns der Anlass sein, sich konstruktiv für diesen Punkt einzusetzen. Es ist unumgänglich, den Verkehrsetat in diesem Bereich in den nächsten Jahren zu steigern, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) aber auch eine Prioritätensetzung und eine Effizienzsteigerung in der Verwaltung zu erreichen. Vergabepolitik und Investitionen in der Binnenschifffahrt sind eindeutig zu verbessern. Der Verkehrsträger Wasserstraße verfügt über ein enormes Kapazitätspotenzial. Um den Anforderungen der nächsten Jahre gerecht zu werden, muss es endlich verlässliche Konzepte geben. Wir aus der christlich-liberalen Koalition wollen Platz für eine sichere und leistungsfähige Wasser- und Schifffahrtsverwaltung schaffen und gleichzeitig – das sei hier noch einmal versichert – die Fachkompetenz der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung erhalten. Ich appelliere an Sie: Stimmen Sie zu! Den Anträgen der Opposition werden wir eine Ablehnung erteilen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Gustav Herzog für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gustav Herzog (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Ferlemann hat ganz zu Beginn seiner Rede etwas Richtiges gesagt: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes leisten eine hervorragende Arbeit und haben unseren Dank verdient. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Aber, Herr Ferlemann, der Beitrag der Bundesregierung dazu, dass sie diese gute Arbeit leisten können, liegt im negativen Bereich: Sie leisten keine Unterstützung, sondern erschweren den Kolleginnen und Kollegen die Arbeit, die sie draußen zu leisten haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt einen Unterschied zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der WSV einerseits und der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen andererseits: Auf die WSV kann man sich verlassen, auf die rechte Seite des Hauses eben nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Seit dem „Herbst der Entscheidungen“ im Jahr 2010 leisten Sie keinen Beitrag zur Stärkung des Verkehrsträgers Wasserstraße, sondern schmeißen immer wieder Steine in den Kanal und Bäume in den Fluss, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Leben noch schwerer zu machen, als es so schon ist. Ich will das an ein paar Beispielen belegen. Ich war am Montag auf Einladung von Kommunalpolitikern, der IHK, des Vereins „Weitblick“ und einer Reihe von Betrieben in Eisenhüttenstadt. Sie haben mir gesagt: Herr Herzog, versuchen Sie doch einmal, uns zu erklären, warum die Bundesrepublik Deutschland 3 Milliarden Euro in das ostdeutsche Wasserstraßennetz investiert und bei den letzten 74 Millionen Euro, die für den Ausbau der Schleusen in Fürstenwalde und Kleinmachnow und die Hebung zweier Brücken benötigt würden, sagt: „Das Geld gibt es aber nicht mehr“, weil die entsprechenden Wasserstraßen in die Kategorie „Sonstige Wasserstraßen“ eingruppiert worden sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was das mit Wirtschaftlichkeit im volkswirtschaftlichen Sinne zu tun hat, ist mir völlig schleierhaft und war nicht zu erklären. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Uwe Beckmeyer [SPD]: Einfach unsinnige Politik!) Natürlich stellt sich die grundsätzliche Frage: Warum haben Sie mit all dem begonnen? Es ging nicht im Verkehrsausschuss, sondern im Haushaltsausschuss los, wo die FDP nun unbedingt eine große Privatisierung haben wollte, worauf das Ministerium mit der Einführung der Kategorien geantwortet hat. Murks und Murks ergibt zusammen eben nur Murks und nichts Vernünftiges. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Torsten Staffeldt [FDP]: Murks und Murks ist Sozialdemokratie!) Dann wurden wir hier im Parlament mit den Berichten 1 bis 5 konfrontiert; ein Hin und Her hatten wir zu erwarten. Ich will es am Beispiel des Wasser- und Schifffahrtsamtes Hannoversch Münden deutlich machen. Herr Kollege Staatssekretär, Sie nicken mit dem Kopf. Ja, Sie haben im April 2011 dortigen CDU-Kommunalpolitikern, auch einer Landratskandidatin, gesagt: Der Standort ist nicht gefährdet. – Ich habe dann den Staatssekretär Mücke hier im Plenum gefragt – er ist da –: Herr Staatssekretär, ist die Organisationsüberprüfung ergebnisoffen, oder gibt es Vorfestlegungen?  – Er hat mir gesagt: Die Prüfung ist natürlich ergebnisoffen. – Der eine schreibt also Briefe, und der andere erzählt hier im Parlament: Alles ist offen. – Dann stand fest, dass das Wasser- und Schifffahrtsamt zur Außenstelle wird: Standort erhalten, Amt gestrichen. Irgendwann hörten wir von Ihrem Abteilungsleiter: Die Außenstellen werden bis 2020 dichtgemacht; sie bleiben noch ein bisschen, aber dann ist irgendwann Schluss. – Meinen Sie denn, dass Sie mit einem solchen Verhalten Vertrauen bei den Beschäftigten erwecken? Nein, das Gegenteil ist der Fall: Sie verbreiten Unsicherheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will jetzt aus einem Brief, den uns Verdi vor dieser Debatte in die Hand gedrückt hat, zitieren: (Oliver Luksic [FDP]: So ein Zufall!) Die Beschäftigten der WSV haben Angst um ihre Zukunft, Angst vor weiterem Personalabbau und damit einhergehenden Schließungen von Dienststellen. Die Beschäftigten wollen sich mit ihrer Kompetenz und Erfahrung an einer nachhaltigen Reform der WSV beteiligen. Sie verhindern das mit Ihrem Hin und Her. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich ein schönes Bild bringen: Ein Wollknäuel ist im Verhältnis zu Ihrer Wasserstraßenpolitik eine gerade Linie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der FDP: Oh!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um eine Reform, von der 12 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen sind; 1 800 Millionen Euro sind auszugeben. Und hat es diese Koalition, hat es diese Regierung bisher nötig gehabt, das Parlament mit einem Antrag oder einem Gesetzentwurf zu befassen? Nein, Sie wurschteln sich mit Berichten im Haushaltsausschuss und Entschließungen dazu durch. Das ist keine Wertschätzung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Herr Abgeordneter Fischer, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. (Beifall) Ich frage mich, wie es ein gestandener Verkehrspolitiker wie Sie schafft, sich drei Jahre lang so durchzuwurschteln. Sorgen Sie doch endlich dafür, dass in Ihrem Laden vernünftige Politik gemacht wird und dass sich der Bundestag in angemessener Weise damit beschäftigt! Das werden wir spätestens dann tun, wenn der Gesetzentwurf beraten wird. Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt: Er befindet sich in der Ressortabstimmung und wird bald eingebracht. Sie wollten noch in diesem Herbst – es fängt bald an, zu schneien – (Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Es schneit schon!) einen Infrastrukturbericht über die Wasserstraßen vorlegen. Sie haben zu liefern. Machen Sie es aber bitte nicht so wie die FDP; denn sonst kommt das Päckchen nie an. Danke schön. (Beifall bei der SPD – Torsten Staffeldt [FDP]: Irren ist menschlich! Immer irren ist sozialdemokratisch!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Für eine zukunftsfähige Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und ein modernes Wasserstraßenmanagement“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11592, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9743 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der Grünen gegen die Stimmen von SPD und Linken. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 17/8330. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4030 mit dem Titel „Zukunftsfähigkeit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit dem gleichen Stimmenver-hältnis angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5548 mit dem Titel „Kein Personalabbau bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – Aufgaben an ökologischer Flusspolitik ausrichten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Zustimmung aller übrigen Fraktionen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5056 mit dem Titel „Neue Netzstruktur für Wasserstraßen präzisieren und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung reformieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung aller übrigen Fraktionen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-stabe d seiner Beschlussempfehlung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Diese Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten – Drucksache 17/10488 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – Drucksache 17/11710 – Berichterstattung: Abgeordnete Erwin Rüddel Dr. Marlies Volkmer Christine Aschenberg-Dugnus Kathrin Vogler Maria Klein-Schmeink b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild Rawert, Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Individuelle Gesundheitsleistungen eindämmen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Patientenrechte wirksam verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Dr. Martina Bunge, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mehr Rechte für Patientinnen und Patienten – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Ingrid Hönlinger, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechte von Patientinnen und Patienten durchsetzen – Drucksachen 17/9061, 17/11008, 17/6489, 17/6348, 17/11710 – Berichterstattung: Abgeordnete Erwin Rüddel Dr. Marlies Volkmer Christine Aschenberg-Dugnus Kathrin Vogler Maria Klein-Schmeink Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über einen Teil des Antrags der Fraktion der SPD zu Patientenrechten werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Mechthild Dyckmans von der FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Mechthild Dyckmans (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die christlich-liberale Koalition bringt heute ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zum Abschluss: Wir verbessern die Rechte von Patientinnen und Patienten. Mit diesem Gesetzentwurf erfüllen wir aber auch Forderungen, über die seit langem diskutiert wird und die sogar fraktionsübergreifend von allen Parteien erhoben werden. Der Opposition geht dieser Gesetzentwurf wieder einmal nicht weit genug. Sie hat eigene, weiter gehende Anträge vorgelegt. (Mechthild Rawert [SPD]: Immer schon gehabt!) Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, ich wundere mich nur, warum in den Jahren, in denen Sie die Regierungsverantwortung trugen, in diese Richtung nichts rechtlich Verbindliches geschehen ist. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In den Koalitionsvereinbarungen von 1998 und 2002 wurden zwar entsprechende Forderungen aufgestellt. Aber was ist geschehen? Zunächst haben Sie ein Sachverständigengutachten eingeholt. Dann haben Sie eine Arbeitsgruppe beauftragt. (Mechthild Rawert [SPD]: Deren Ergebnisse Sie noch nicht einmal genutzt haben! So ein Pech aber auch!) Aber haben Sie Rechtsverbindlichkeit hergestellt? – Fehlanzeige. Das gilt auch für die Zeit der Großen Koalition. Ich erinnere Sie von der SPD: Die SPD stellte sowohl die Justizministerin als auch die Gesundheitsministerin. Es gab zwar einige Verbesserungen für Patienten-vertreter auf institutioneller Ebene; aber den Forderungen nach Zusammenführung der bislang zersplitterten und undurchsichtigen Rechte der Patientinnen und Patienten in einem Gesetz, nach einer stärkeren Fehlervermeidung und nach einem Risikomanagement wurde in Ihrer Regierungszeit nicht nachgekommen. Nach elf Jahren Regierungsbeteiligung fand man diese Forderung nur in Ihrem Wahlprogramm wieder. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das ist die Wahrheit!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diese christlich-liberale Koalition erfüllt mit dem Patientenbeauftragten – Herr Zöller, herzlichen Dank für die Arbeit, die Sie bisher geleistet haben –, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guter Mann, Herr Zöller!) dem Gesundheitsminister Daniel Bahr und der Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) auch Forderungen aus Ihrem Wahlprogramm. (Mechthild Rawert [SPD]: Welche denn?) Deshalb wird es niemand verstehen, wenn Sie diesem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen. (Beifall bei der FDP) Künftig können Patientinnen und Patienten auf einen Blick sehen, welche Rechte und Pflichten sie haben. Wir haben dies im BGB, im Bürgerlichen Gesetzbuch, verankert. Da gehört es hin. Wir haben uns an den Problemen orientiert, die in der Praxis aufgetreten sind und anhand von Einzelfällen gelöst worden sind. Künftig muss der Patient aber nicht mühsam die obergerichtliche Rechtsprechung durchforsten. Nein, alle Rechte sind klar und transparent und für alle verbindlich geregelt. Das ist ein ganz wesentlicher Fortschritt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Wir haben auch die Sachverständigenanhörung ausgewertet und infolgedessen einige, wie ich meine, ganz wesentliche Änderungen vorgenommen. Dabei ist zunächst einmal festzuhalten, dass die jetzt normierte Beweislastverteilung bei Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler eine Weiterentwicklung durch die Rechtsprechung gerade nicht ausschließt. Ich komme jetzt zu den Änderungen. – Eine ganz wesentliche Änderung hat § 630 e BGB erhalten – hier geht es um die Aufklärungspflicht –: Minderjährige, die noch nicht in die Behandlung einwilligen können, und einwilligungsunfähige volljährige Patienten sollen stärker in das Behandlungsgeschehen einbezogen werden. Sie sind immer Subjekt der Behandlung und daher immer über Art und Umfang der Behandlung so zu unterrichten, dass sie entsprechend ihrem Vermögen die Behandlung verstehen können. Das ist auch Ausfluss der UN-Behindertenrechtskonvention. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Bravo!) Wir stärken auch noch einmal die Rechte von Patientinnen und Patienten auf Einsicht in ihre Patientenakte. Wurden dem Patienten in der Vergangenheit oftmals nur Auszüge der Akte zugänglich gemacht, so schreibt das Gesetz jetzt eindeutig und klar vor, dass ihm Einsicht in die vollständige Akte zu gewähren ist. Wir regeln auch, enger als in dem Regierungsentwurf, unter welchen Voraussetzungen die Einsichtnahme versagt werden darf. Wenn die Einsichtnahme versagt wird, ist das zu begründen. Das sind wesentliche Verbesserungen hinsichtlich der Rechte von Patientinnen und Patienten. Wir schaffen durch dieses Gesetz gute Voraussetzungen für Patientinnen und Patienten. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Marlies Volkmer von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Marlies Volkmer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dyckmans, ich sage es gerne noch einmal: Ohne die SPD gäbe es das Amt des Patientenbeauftragten gar nicht, und Herr Zöller könnte dieses Amt gar nicht wahrnehmen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich finde es auch nicht falsch, wenn man ein Patientenrechtegesetz machen will, dass man erst einmal eine Arbeitsgruppe einrichtet und mit den Expertinnen und Experten sowie mit den Patientenvertretern spricht, damit man weiß, was man in ein solches Gesetz schreiben muss, damit etwas Besseres herauskommt als das, was wir heute haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Gesundheitssystem orientiert sich immer noch nicht am tatsächlichen Bedarf von Patientinnen und Patienten. Patientinnen und Patienten fühlen sich häufig als Bittsteller, sei es, wenn es um einen Arzttermin oder um einen Operationstermin geht, wenn sie ihre vollständigen Unterlagen haben wollen oder wenn es um die Versorgung mit Hilfsmitteln geht, weil sie gleichberechtigt am Leben teilhaben wollen. Auch im Konfliktfall sind Patientinnen und Patienten gegenüber Ärzten, anderen Leistungserbringern und den Krankenkassen häufig die Unterlegenen. Ebenso sind die Mitwirkungsrechte von Patienten sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene nicht ausreichend. Ein modernes Patientenrechtegesetz muss an diesen Stellen ansetzen. Es genügt bei weitem nicht, das Recht, das bisher auf viele Gesetze verteilt war, in einem Gesetz zu bündeln. (Beifall des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das tun Sie aber. So ist es auch kein Wunder, dass zum Beispiel der Präsident der Bundesärztekammer, Herr Montgomery, festgestellt hat: Mit diesem Gesetz können wir Ärzte gut leben. Es ändert sich nichts. – Wenn sich für sie nichts ändert, dann ändert sich wahrscheinlich auch für Patientinnen und Patienten nichts. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das ist eine eigenwillige Auslegung!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, Sie versuchen, durch rhetorische Tricks über die Tatsache hinwegzukommen, dass sich für Patientinnen und Patienten substanziell nichts ändert. Dieser Gesetzentwurf ist wie eine schillernde Seifenblase, die zerplatzen wird. Zurück bleiben enttäuschte Patientinnen und Patienten. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das wollen wir mal sehen!) Wir haben deutlich weitergehende Vorschläge im Interesse von Patientinnen und Patienten in den Bundestag eingebracht. Ich wende mich jetzt noch einmal extra an die Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU: Sie haben sicher manchen unserer Vorschläge für durchaus sinnvoll gehalten, zum Beispiel unsere Ideen für mehr Sicherheit bei Medizinprodukten oder für die Einführung eines Härtefallfonds. Es fehlen Ihnen aber die Courage und das Durchsetzungsvermögen, solche neuen Wege zu gehen. (Beifall bei der SPD) So finden sich im Gesetz nun keinerlei Regelungen zur Verbesserung der Sicherheit bei Medizinprodukten. Hier gibt es deutliche Missstände. Das betrifft nicht nur die gegenwärtige Zulassungspraxis in Europa. Der britische Gesundheitsminister hat sich übrigens bereits dafür ausgesprochen, diese gefährliche Schwachstelle anzugehen. Von Ihnen von der Koalition hat man dazu leider nichts gehört. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Kommt alles noch!) Es ist aber auch in unserem Land dringend notwendig, etwas zu tun. Wir haben mit unserem Antrag „Mehr Sicherheit bei Medizinprodukten“ den Weg aufgezeigt. Zum Beispiel wäre ein verpflichtendes Register für alle implantierbaren Medizinprodukte wie künstliche Gelenke oder Stents für Herzkranzgefäße ganz wichtig für die Versorgungsforschung. Damit würde die Qualität der Patientenbehandlung deutlich verbessert. Erklären Sie den Patienten und den Ärzten, warum Sie hier nichts tun! (Willi Zylajew [CDU/CSU]: Das erklärt der Lauterbach!) Wo ist Ihr Änderungsantrag geblieben, der beinhaltet, dass Krankenhäuser künftig Bonusvereinbarungen mit den Chefärzten bei Erreichung ökonomischer Zielgrößen offenlegen müssen? Wir alle hören immer wieder, dass in Krankenhäusern aus rein wirtschaftlichen Gründen auch unnötige Operationen durchgeführt werden. Das ist ein unhaltbarer Zustand. (Zuruf von der FDP: Das ist eine grobschlächtige Behauptung!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, noch am Wochenende hat Ihr gesundheitspolitischer Sprecher in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung groß angekündigt, dass die Offenlegung der Bonusverträge in den Qualitätsberichten der Krankenhäuser schon beschlossene Sache sei. Sind Sie jetzt der Meinung, dass Patientinnen und Patienten nicht mehr wissen müssen, ob in dem Krankhaus, in das sie gehen, solche Bonusverträge existieren? Oder war die Krankenhauslobby erfolgreich, die gesagt hat: „Brauchen wir nicht“? Oder war es die FDP? (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ein Quatsch!) Was ist mit dem Härtefallfonds? Herr Zöller, Sie ziehen seit Jahren durch die Lande und fordern einen solchen Fonds. Die Union fordert seit dem Frühjahr eine entsprechende Stiftung. Trotzdem bekommen Sie keine Regelung hin. Sie stellen sich vor die Presse und schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Woran lag es? Lag es an der Unfähigkeit, nach drei Jahren ein Konzept zu präsentieren? Scheiterte es am Willen der FDP, auch einmal etwas für Patientinnen und Patienten zu tun? (Jens Spahn [CDU/CSU]: Haben Sie eines?) – Wir haben sehr wohl eines. Sie haben unseren Antrag anscheinend nicht gelesen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Volkmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Aschenberg-Dugnus? Dr. Marlies Volkmer (SPD): Immer gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Vielen Dank, Frau Kollegin. – Stimmen Sie mit mir überein, dass das, was in Ihrem Antrag steht, mit dem Wiener Härtefallfonds überhaupt nichts zu tun hat? Stimmen Sie mit mir überein, dass sich der Wiener Härtefallfonds ausschließlich aus Beiträgen der Patienten -finanziert? Stimmen Sie mit mir überein, dass Haftpflichtversicherungen oder Steuergelder dort überhaupt nicht vorkommen? Stimmen Sie mit mir überein, dass dieser Fonds, den Sie in Ihrem Antrag als Modell heranziehen, nur für Krankenhausaufenthalte gilt? Stimmen Sie mit mir überein, dass er eine ganz andere Zielsetzung hat, dass es da überhaupt nicht um Behandlungsfehler geht? Sie haben diesen Wiener Härtefallfonds herangezogen, aufgebläht, ad absurdum geführt und wollen ihn auf unser System übertragen, das aber ganz anders funktioniert. In unserem Schadensersatz- und Haftungssystem geht es um individuelle Verantwortung und um individuelle Haftung. (Mechthild Rawert [SPD]: Wiederholen Sie das in Ihrer Rede noch einmal?) Stimmen Sie mit mir überein, dass das Placebo, das Sie hier der Öffentlichkeit geben wollen, überhaupt nicht zu unserem System passt? Dr. Marlies Volkmer (SPD): Liebe Frau Aschenberg-Dugnus, recht herzlichen Dank für diese Frage. Dies gibt mir Gelegenheit, unser Modell eines Härtefallfonds noch deutlicher zu erläutern. Sie haben recht: Wir haben das Wiener Modell nicht eins zu eins übernommen. Warum sollten wir das tun? Uns geht es darum, dass wir bei bestimmten Härtefällen eine Entschädigung zahlen wollen. (Heinz Lanfermann [FDP]: Unbestimmten!) – Die sind nicht unbestimmt. – Das Haftungsrecht ist davon überhaupt nicht betroffen. Die individuelle Haftung eines jeden Arztes bleibt erhalten. Die Patienten sollen sogar klagen. Wenn sie mit einer Klage erfolgreich gewesen sind, zahlen sie Geld in den Fonds zurück. (Heinz Lanfermann [FDP]: Und wenn nicht?) – Wenn nicht, dann entschädigt der Fonds. (Heinz Lanfermann [FDP]: Aha!) – Ja. Das ist in dem österreichischen Fonds auch so; das wüssten Sie, wenn Sie sich damit beschäftigt hätten. – Aus diesem Grunde halten wir es für berechtigt, dass die Patientinnen und Patienten an der Finanzierung beteiligt sind. (Heinz Lanfermann [FDP]: Und wer zahlt noch?) Ebenso halten wir es für berechtigt, dass diejenigen, die einen solchen Behandlungsfehler verursachen – das sind in der Regel die Leistungserbringer –, über die Haftpflichtversicherung in diesen Fonds einzahlen. Das ist die Grundidee, und diese ist richtig. (Beifall bei der SPD – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sie widersprechen sich selbst! – Heinz Lanfermann [FDP]: Jetzt wissen wir endlich, warum es nicht funktionieren kann!) Sie haben im Grunde genommen noch einmal deutlich gemacht, dass Sie nicht willens sind, etwas zu tun. Sie hätten ja etwas vorlegen können. Sie hatten Zeit. Die CDU hat im Frühjahr über ein Stiftungsmodell diskutiert. Wo ist es denn? Es gibt nichts, worüber wir hätten diskutieren können. Etwas mehr Mühe sollten Sie sich bei Ihrer Argumentation schon geben, wenn Sie schon nicht den Mut haben, die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit ist: Sie wollen etwas im Interesse der Versicherungswirtschaft tun, und Sie wollen nichts im Interesse der Patientinnen und Patienten tun. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie haben leider die Chance verpasst, hier fraktionsübergreifend etwas zu tun und ein wirklich modernes Patientenrechtegesetz vorzulegen; das wäre nämlich möglich gewesen. Dadurch wäre von diesem Haus ein starkes Signal ausgegangen: an alle Leistungserbringer im Gesundheitssystem und an alle Patientinnen und Patienten. Dies hätte nicht nur die Rechte der Patientinnen und Patienten verbessert, sondern wäre auch im Interesse der Ärztinnen und Ärzte gewesen, deren übergroße Mehrheit ein Interesse an einer guten Versorgung der Patientinnen und Patienten hat. Chance verpasst – leider. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Wolfgang Zöller. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeden Tag lesen wir Schlagzeilen und Beschwerden: Rollstuhl erst nach sechs Monaten genehmigt. Keiner half mir beim Behandlungsfehlerverdacht. Ich darf als Arzt keinen Fehler melden, weil mir sonst arbeitsrechtliche Sanktionen drohen. Ich weiß nicht, wo steht, dass man ein Recht auf Einsicht in die Krankenakte hat. Ich erfuhr erst nach der Behandlung, dass ich etwas zuzahlen muss, weil die Kasse die Kosten nicht voll übernimmt. Man hat mich vor dem Eingriff nicht richtig aufgeklärt, und Behandlungsalternativen wurden keine benannt. – Das Patientenrechtegesetz schafft jetzt für all diese Problemfälle eine gesetzlich verbindliche Lösung. Das ist ein Mehrwert für die Patienten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So leider nicht!) Deshalb ist heute ein guter Tag. Wir legen den Grundstein für eine neue Kultur in den Praxen und den Häusern der Gesundheitsversorgung, für eine Kultur der Partnerschaft, der Transparenz und der Rechtssicherheit. Wie Sie wissen, wollen wir kein Gesetz gegen irgendjemanden, sondern ein Gesetz mit den Beteiligten, das sich an den Problemlagen der Realität orientiert, sodass praktikable Lösungen gefunden werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nach diesem Motto haben wir im Vorfeld über 300 Gespräche geführt und einen Konsens ausgelotet. Ich erinnere mich noch an Äußerungen wie: Eine Kodifizierung der bestehenden Rechte wird nie gelingen. Wir brauchen kein Gesetz; eine Broschüre reicht. Wir wollen eine totale Beweislastumkehr. (Mechthild Rawert [SPD]: Davon steht aber nichts im Gesetz!) Wir brauchen keine mündigen Patienten; wir brauchen nur mehr Geld im System. – Es ist gelungen, zwischen diesen Polen zu vermitteln und ein gutes, umsetzbares Patientenrechtegesetz vorzulegen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Viel Status quo!) Dafür möchte ich recht herzlich danken, und zwar dem Gesundheitsminister, der Justizministerin und allen Mitarbeitern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich darf an dieser Stelle auch den persönlichen Referenten ein recht herzliches Dankeschön sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Gesetz verringert das Wissensungleichgewicht zwischen Behandler und Patient, stellt niemanden an den Pranger, nimmt aber alle an unserem Gesundheitssystem Beteiligten ausgewogen in die Pflicht. Das Vertrauensverhältnis Arzt/Patient ist für uns ein sehr hohes Gut. Wenn man die Diskussion, die zurzeit geführt wird, verfolgt, könnte man den Eindruck gewinnen, als gehe es beim Patientenrechtegesetz nur um den sogenannten Härtefallfonds. Das Patientenrechtegesetz ist Gott sei Dank – Gott sei Dank! – wesentlich mehr. Von der Kollegin ist es schon angesprochen worden: Der Behandlungsvertrag wird im Bürgerlichen Gesetzbuch ausdrücklich verankert. Patienten müssen demnach verständlich und umfassend informiert werden, etwa über erforderliche Untersuchungen, Diagnosen, beabsichtigte Therapien und deren Alternativen; dies gilt im Übrigen auch für die IGeL-Leistungen. In Zukunft muss auch die Höhe zusätzlich anfallender Kosten im Voraus schriftlich fixiert werden. Die Patienten erhalten das Recht auf Einsichtnahme in ihre Patientenakte; sie können auch elektronische Abschriften ihrer Patientenakte verlangen. Nach diesem Gesetz besteht auch die Pflicht, nachträgliche Änderungen und Ergänzungen in der Dokumentation kenntlich zu machen. – Das alles sind Vorteile für die Patienten. Fehlt eine Dokumentation oder ist sie unvollständig, geht dies im Falle eines Prozesses zulasten des Behandelnden. Besteht ein Behandlungsfehlerverdacht, müssen die Kassen in Zukunft ihre Versicherten mit kostenfreien Gutachten unterstützen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: „Müssen“ nicht! Sollen!) Behandlungsfehlern möglichst vorzubeugen, hat bei uns Priorität. Das Qualitätsmanagement im stationären Bereich umfasst künftig verpflichtend auch ein Beschwerdemanagement. Es wird bei der Einführung von Fehlermeldesystemen in Kliniken finanzielle Anreize geben. Die Verpflichtung zur Veröffentlichung in den Qualitätsberichten wird flächendeckend eine neue Fehlerkultur befördern. Ein sehr hoher Nutzen für die Patienten ist: Die Wartezeit bei einer Entscheidung der Kassen zur Bewilligung von Leistungen wird auf drei Wochen begrenzt. Das heißt, wird der Antrag nicht innerhalb von drei Wochen bearbeitet, gilt er als genehmigt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Patientenbeteiligung wird weiter ausgebaut. Patientenorganisationen werden insbesondere bei der Bedarfsplanung vor Ort einbezogen, damit die Strukturen stärker an den Patientenbedürfnissen ausgerichtet werden. Eingeführt werden auch Widerrufsmöglichkeiten bei besonderen Versorgungsformen. Da unser Gesundheitssystem und die bestehenden Rechte und Pflichten sehr umfassend sind, übernehme ich gerne die im Gesetz verankerte Pflicht, dass der Patientenbeauftragte die Bürger in Zukunft verständlich über ihre Rechte informieren muss. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!) So weit nur stichpunktartig eine Aufzählung neuer, konkreter, praktischer Verbesserungen für unsere Patienten. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Nur -Vorteile!) Bei der Einbringung des Gesetzes hatte ich den Wunsch geäußert, die Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss zu stärken. Ich bin sehr froh und dankbar, dass dieser Punkt aufgenommen wurde. Durch die Fristsetzung für eine Beratung von Anträgen der Patientenvertreter wird künftig eine zügige Befassung sichergestellt. (Mechthild Rawert [SPD]: Das glauben Sie selbst nicht!) Wörtlich heißt es: Für eine Beratung genügt ein … Aufsetzen auf die Tagesordnung … nicht. Erforderlich ist eine materiell-inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Anliegen der Patientenvertretung. (Mechthild Rawert [SPD]: Die sind aber sehr unzufrieden mit Placebos!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine über 20 Jahre dauernde Diskussion ist damit nicht beendet; (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Das stimmt!) aber sie hat ein sehr gutes Ergebnis gefunden. Denn mit all diesen Regelungen, die wir getroffen haben, stärken wir die Position der Patienten auf dem Weg vom Bittsteller zum Partner im Gesundheitswesen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Auf dem Weg!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Kathrin Vogler das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Zöller, das, was Sie gerade erzählt haben, glauben Sie doch selber nicht. Sie wissen alle, was ein Placebo ist. Genau das ist leider dieses Patientenrechtegesetz, das uns die schwarz-gelbe Bundesregierung hier vorgelegt hat. (Beifall bei der LINKEN) Ein Placebo ist ein Scheinmedikament, ein Medikament ohne Wirkstoff. Leider fehlt Ihrem Patientenrechtegesetz so mancher wichtige Inhaltsstoff im Sinne der Patientinnen und Patienten, der nützlich gewesen wäre. Ja, den Krankenkassen erlegen Sie die eine oder andere neue Pflicht auf. Manches bleibt aber vage. Zum Beispiel ist die Unterstützung der Versicherten bei Behandlungsfehlern nur eine Soll-Regelung und keine Muss-Regelung. Selbst da bleiben Sie im Vagen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben das Gesetz nicht gelesen! Das sollte man machen, wenn man darüber diskutiert!) – Ja, ich habe es schon gelesen. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: -Scheinbar nicht!) Die Frankfurter Rundschau schreibt heute völlig zu Recht, das sei kein Patientenrechtegesetz, sondern ein „Ärzteschutzprogramm“, (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist eine Zeitung, die kurz vor der Insolvenz steht! Kein Wunder, dass sie so einen Unsinn erzählt!) und die Aussage, die Beweislasterleichterung führe zu einer Defensivmedizin, wie der Gesundheitsminister so gerne sagt, sei barer „Unsinn“. Das kann ich nur unterschreiben. (Beifall bei der LINKEN) Herr Zöller, wenn Sie jetzt sagen, der Gesetzentwurf sei mit den Beteiligten im Konsens ausgehandelt worden, dann schließt Ihr Konsens wohl sehr viele Patienten-organisationen aus; sie sind – das ist bei der Anhörung sehr deutlich gesagt worden – mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung überhaupt nicht zufrieden. Frau Dyckmans hat hier schon wieder einen Mythos verbreitet, und zwar den, dass Sie die Patientenrechte in einem Gesetz bündelten. Auch da Fehlanzeige: Statt dass Sie ein Patientenrechtegesetzbuch aus einem Guss vorlegen, wird jetzt am Bürgerlichen Gesetzbuch, am SGB V, an der Patientenbeteiligungsverordnung und am Krankenhausfinanzierungsgesetz herumgedoktert. Das muss einmal gesagt werden; das ist die Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN) Sie schreiben nur fest, was Richterinnen und Richter bereits im Sinne der Patientinnen und Patienten entschieden haben, (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sind schon taub!) Sie gehen kaum darüber hinaus. (Marco Buschmann [FDP]: Was?) Im Gegenteil, Sie riskieren, dass eine Weiterentwicklung durch Richterrecht nicht mehr möglich ist. Worüber reden wir hier eigentlich, (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Worüber Sie reden, frage ich mich auch!) was sind denn die wichtigsten Dinge, die fehlen? Angenommen, ein Patient bekommt einige Monate nach seiner Hüftoperation Probleme, weil sich das künstliche Hüftgelenk lockert, der Patient hat Schmerzen, kann sich nicht mehr bewegen, kann nicht mehr laufen, kann nicht arbeiten, muss neue Untersuchungen, neue Behandlungen über sich ergehen lassen, muss wieder ins Krankenhaus und vielleicht noch mehrfach operiert werden. In dieser Situation ist doch der Betroffene, der Patient, ohnehin schon belastet. Und dann muss er noch selber die Beweiskette führen. Sie besteht aus drei Elementen: erstens dass er den Schaden hat, zweitens dass es einen Behandlungsfehler gegeben hat und drittens dass dieser Behandlungsfehler ursächlich für das lockere Hüftgelenk ist. Als medizinischer Laie ist er gegenüber der Ärztin, dem Arzt oder dem Klinikkonzern mit seiner juristischen Abteilung hundertprozentig im Nachteil. Deswegen sagen wir als Linke: Ein Patientenrechtegesetz, das diesen Namen verdient, muss für die Patientinnen und Patienten bei der Beweislast deutliche Erleichterungen bringen. Das hat die Bundesregierung leider versäumt. Deswegen ist ihr Gesetzentwurf für uns nicht zustimmungsfähig. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben einen Entschädigungsfonds gefordert. Fast alle Fraktionen des Hauses haben in irgendeiner Form über einen solchen Entschädigungs- oder Härtefallfonds nachgedacht. Wir haben unterschiedliche Auffassungen darüber, wie er ausgestaltet werden könnte, sind uns aber einig im Ziel: dass Patientinnen und Patienten in so einer schwierigen Situation schnell und unbürokratisch geholfen werden muss. Das hat die FDP leider im Sinne der Ärztelobby verhindert. Sie haben gemauert und damit einen weiteren Fortschritt im Sinne der Patientinnen und Patienten verhindert. Auch deswegen können wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. (Beifall bei der LINKEN) Auch den SPD-Antrag zum Härtefallfonds halten wir für politisch unverdaulich. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? – Mechthild Rawert [SPD]: Du sollst ihn auch nicht essen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie hat sich verschluckt!) Wir unterstützen zwar Ihr Anliegen, die Diskussion über den Härtefallfonds wiederzubeleben, halten aber Ihre -Finanzierungspläne für nicht ausgegoren und nicht geeignet. Sie wollen, dass dieser Härtefallfonds unter anderem über die Zuzahlungen der Patientinnen und Patienten zum Krankenhausaufenthalt bezahlt wird. (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Mit bezahlt!) Wir sind der Auffassung: Diese Zuzahlungen sind noch unsozialer als die Praxisgebühr, die wir vor kurzem alle gemeinsam abgeschafft haben. Deswegen können wir auch Ihrem Antrag nicht zustimmen. (Beifall bei der LINKEN) Was wir allerdings gut finden und wofür ich der SPD ausdrücklich danken möchte, ist der Antrag, die sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen besser zu regulieren und einzudämmen. Wir unterstützen das. Bei den IGeL-Leistungen wird in den Arztpraxen allerlei Schindluder und Beutelschneiderei betrieben. Davor müssen wir – wir alle gemeinsam – die Patientinnen und Patienten schützen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Auch bei der Sicherheit der Medizinprodukte wollen wir etwas unternehmen. Auch dazu findet sich im Gesetzentwurf der Bundesregierung nichts wieder. Wir alle erinnern uns an den Betrug mit defekten Brustimplantaten. Vor kurzem hat eine britische Medizinzeitschrift aufgedeckt, dass die 80 Zertifizierungsstellen in Europa, die Medizinprodukte zertifizieren, doch nicht so gut arbeiten, wie man es von ihnen erwarten müsste. Diese Zeitschrift hat in mehreren Fällen herausgefunden, dass diese Zertifizierungsstellen bereit waren, Hüftprothesen, die offensichtlich unsicher waren und die Patienten-sicherheit gefährdeten, zu zertifizieren. Das ist bei privatwirtschaftlichen Einrichtungen, die im Auftrag der Industrie tätig werden und Aufträge akquirieren müssen, auch kein Wunder. Deshalb fordern wir mit unserem Entschließungs-antrag eine EU-weite zentrale Behörde zur Zertifizierung von Medizinprodukten. Denn es kann doch nicht angehen, dass Medizinprodukte, die in den Körper eingesetzt werden, unsicher sind. Dagegen müssen wir gemeinsam etwas unternehmen. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie verspielen hier leider eine große Chance. Wieder einmal hat Ihnen der Mut gefehlt, sich mit mächtigen Lobbygruppen anzulegen. Stattdessen enttäuschen Sie die Patientinnen und Patienten und ihre Selbsthilfeorganisationen. Das machen wir nicht mit. Deswegen werden wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Maria Klein-Schmeink das Wort. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Patientenbeauftragter Zöller, ich habe mit Interesse vernommen, dass Sie durchaus mit Stolz über dieses Werk geredet haben, aber durchaus auch mit einem, sagen wir einmal, gewissen verhaltenen Stolz; denn Sie wissen im Grunde genommen am besten, dass dieses Gesetz so, wie es heute verabschiedet werden wird, eine Enttäuschung bleiben wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ich glaube, das sieht er anders!) Das ist sehr deutlich. Sie haben viele Aspekte gelobt und haben durchaus noch einige Verbesserungen im Gesetzgebungsprozess eingebracht. Aber der Kern der Aufgabe, der hier zu bewältigen war, ist nicht bewältigt worden. Deshalb ist das Gesetz eine Enttäuschung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das liegt daran, dass Sie sich schon vorweg entschieden hatten, dass Sie für die Opfer von Behandlungsfehlern keine durchgreifende Regelung im Gesetzbuch schaffen werden. Das war im Koalitionsvertrag von vornherein ausgeschlossen. Das war die große Hürde und die schwere Last, die auf diesem gesamten Gesetzgebungsprozess gelegen hat. (Heinz Lanfermann [FDP]: Das steht alles im Gesetz!) Es war völlig klar: Mit der FDP ist eine Besserstellung von Patienten vor Gericht in Arzthaftungsprozessen nicht zu machen. (Heinz Lanfermann [FDP]: Frau Kollegin, das Schadenersatzrecht ist bereits im BGB geregelt!) Das war die Ausgangsvoraussetzung, mit der Sie umgehen mussten. Das heißt in der Konsequenz für die -Patienten und für die Patientenorganisationen: Es wird bei den hohen Hürden vor Gericht bleiben. Es wird bei den langen Prozesszeiten bleiben. Es wird bei den hohen Prozessrisiken bleiben. Es wird dabei bleiben, dass sehr viele ihr Recht vor dem Gesetz nicht durchsetzen können, nicht weil die Richter nicht wollen, sondern weil die Anforderungen an die Beweislast zu hoch sind. Das wird leider so bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Weil Ihnen das alles klar war, haben Sie als CDU, gerade Sie, Herr Zöller, den Vorschlag der Einrichtung eines Härtefallfonds durchaus wohlwollend aufgenommen, der von unserer Seite, von der SPD und von den Linken in die Diskussion gebracht worden ist. Sie haben den Vorschlag aufgenommen, weil Sie erkannt haben: Es gibt Leute, die auf der Strecke bleiben, die mit ihren Schäden ohne irgendeine Entschädigung, ohne irgendeine Unterstützung weiterleben müssen. Das war doch der Punkt. Dann haben Sie versucht, diesen Härtefallfonds durchzusetzen, und dann ist er wieder an der FDP gescheitert, wieder an den Gruppen wie den Haftpflichtversicherern, die genau diesen Fonds nicht haben wollten. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sie haben doch keine Ahnung!) Das ist das Problem, und daran können Sie nicht vorbeireden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Frau Aschenberg-Dugnus, Sie haben gerade sehr deutlich gemacht, dass es Ihnen letztlich nicht um den Patienten geht, (Dr. Florian Toncar [FDP]: Sie hat doch noch gar nichts gesagt!) dass es Ihnen nicht um die Opfer von Behandlungsfehlern geht, sondern dass es Ihnen um die schlichte Abwehr eines Projekts selbst der CDU gegangen ist. Das war eine ganz klare Argumentation. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das ist doch Quatsch!) Kommen wir zur nächsten Enttäuschung. Es geht auch in Ihren Papieren um Risikovermeidung. Es geht um eine neue Fehlervermeidungskultur in den Kliniken. Aber was tun Sie materiell dafür, außer den Krankenhäusern einen Anreiz zu geben? Etwas anderes haben Sie materiell nicht neu in die Gesetzgebung gebracht. Wir meinen, das ist zu wenig. Bei unserem Kenntnisstand von heute, da wir alle um die Risiken von hochkomplexen medizinischen Verfahren wissen, ist das zu wenig. Wir meinen: Hier muss nachgebessert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Kommen wir zu einem Bereich, der in der Sachverständigenanhörung auch eine große Rolle gespielt hat. Was ist mit den Menschen mit nicht ausreichenden Sprachkenntnissen? Warum sind Sie nicht bereit, den dann notwendigen Dolmetscherdienst auch kostenfrei zu stellen? Ein Arzt wird doch in die Situation kommen, eine Behandlung verweigern zu müssen, weil er sich sicher ist, dass der Patient das, was er zur Aufklärung gesagt hat, überhaupt nicht verstanden hat. Muss er tatsächlich seine Putzfrau oder irgendeine andere Person heranholen, die die Aufklärung, die ja eigentlich fachkundig vorgenommen werden muss, eventuell sicherstellen kann? Wieso sind Sie nicht bereit, hierfür eine gesetzliche Regelung zu schaffen? Das ist mir und uns nicht verständlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich komme nun zu den Menschen mit psychischen Erkrankungen und zum Bereich Zwangsbehandlung. Warum ist es nicht möglich, den guten Vorschlag aufzunehmen, eine Behandlungsvereinbarung als Pflicht für die Krankenhäuser vorzusehen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das wäre ein präventives Angebot, das die Behandlungssituation im Vorhinein entlasten würde. Warum ist es nicht möglich, den Krankenhäusern ein solches Instrument vorzuschreiben? Ich verstehe es nicht und kann es nicht nachvollziehen. Dies tun Sie nicht, obwohl wir alle wissen, dass eine schwierige Diskussion über das Thema Zwangsbehandlung vor uns liegt. Hierbei wird es um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff gehen. Alles, was wir im Vorhinein tun können, um eine solche Härte zu vermeiden, sollten wir auch tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zu den Anträgen, die hier noch im Raum stehen. Es wäre schön gewesen, wenn wir die hier im Raum vorhandene Mehrheit für einen Härtefallfonds tatsächlich hätten nutzen können, um diesen auf den Weg zu bringen. Eine Diskussion über die Ausgestaltung wäre ja noch möglich gewesen. Darüber hätten wir uns doch einigen können. Wir hätten als Ausschuss nach Österreich reisen und dort Anregungen aufnehmen und gucken können, wie das eigentlich geht. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie wollen reisen! Aha! – Dr. Florian Toncar [FDP]: Ja, reisen! – Heinz Lanfermann [FDP]: Wir arbeiten hier!) Wir hätten hier viele Dinge in Angriff nehmen können. Er war aber nicht gewollt, und das ist ausgesprochen schade. Trotz unserer Bedenken aufgrund der konkreten Ausgestaltung, die die SPD hier vorgenommen hat, werden wir diesem Antrag in der namentlichen Abstimmung zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Habt ihr das euren Rechtspolitikern schon einmal vorgelegt?) – Ja, wir haben das von verschiedenen Seiten prüfen lassen, (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das glaube ich nicht!) und Sie wissen auch, dass sich die rot-grün regierten Länder im Bundesrat ausdrücklich und ausführlich mit diesem Ansatz beschäftigt haben. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja, aber ohne Konzept!) – Nein, es gibt ein Konzept, und es gibt sogar eine finanzielle Ableitung darüber, wie viel dieser Fonds letztlich kosten würde. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja, er funktioniert aber nicht!) – Doch, er würde funktionieren; Sie wissen das auch. (Heinz Lanfermann [FDP]: Erzählen Sie es uns doch einmal!) Sie versuchen nur, sich aus dieser Situation herauszuschleichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sagen Sie doch einmal Einzelheiten! Nichts mehr als Nebelkerzen!) Wir müssen sagen: Es ist schade, dass Sie hier viele gute Möglichkeiten, die wir über alle Fraktionen hinweg zugunsten der Patienten hatten, zerschlagen haben. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Kein einziger Vorschlag!) Man sieht: Wir müssen auf andere politische Verhältnisse warten, bis ein echtes Patientenrechtegesetz mit einer wirklichen Verbesserung gerade für die, die es am deutlichsten brauchen, tatsächlich durchsetzbar ist. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Heinz Lanfermann [FDP]: So wie damals!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Klein-Schmeink, Sie haben vorhin gesagt, dass der Kollege Zöller mit Stolz von diesem Gesetzentwurf gesprochen hat. Ich sage: Ja, er kann auch stolz auf diesen Gesetzentwurf sein; denn wir erreichen hier wirklich einen großen Fortschritt für die Patienten in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Welchen?) Wir setzen damit ein Ziel der christlich-liberalen Koalition um. Wir stärken die Rechte der Patientinnen und Patienten, wir fördern die Orientierung zwischen den vielfältigen Gesetzen und unzähligen Gerichtsurteilen, und wir schaffen Transparenz. Sie haben dagegen jahrelang, ja jahrzehntelang nur geredet. Wir handeln! Ihre Kritik ist an dieser Stelle überhaupt nicht glaubwürdig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Ihr Tun auch nicht!) Man muss auch einmal sagen: Wir nehmen hier eine umfassende Kodifizierung der Patientenrechte in einem einheitlichen Rechtsrahmen vor, nämlich im Bürgerlichen Gesetzbuch. Dadurch erhält dort jeder verlässliche Informationen über die vorhandenen Rechte und Pflichten. Allein diese Transparenz, die wir hier schaffen, dass jeder Patient seine Rechte nachlesen und sich informieren kann, ist ein großer Mehrwert. Deswegen geht all das, was Sie sagen, es handele sich um eine schillernde Seifenblase, hier sei kein Wirkstoff vorhanden, sondern das Ganze sei nur ein Placebo, und es würde sich nichts ändern – das hat die Kollegin Volkmer gesagt –, mit Verlaub gesagt, an der Sache vorbei. Wir machen hier einen großen Schritt in Richtung von mehr Rechten für die Patienten in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Trippelschritte bestenfalls!) Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf vor allen Dingen das Selbstbestimmungsrecht der Patienten stärken. Wir tragen dazu bei, dass die Menschen frei und eigenverantwortlich über ihre medizinischen Behandlungen entscheiden können. Damit setzen wir auf das Leitbild des mündigen Patienten, der umfassend über seine Rechte informiert ist und weiß, in welche Behandlung er einwilligt. Das, möchte ich sagen, ist eines der Dinge, die wir in den parlamentarischen Verhandlungen noch geändert haben und die zu einem Fortschritt führen. Ich möchte mit der Einsicht in die Patientenakte anfangen. Man muss klar sagen: Nur das, was in einer -Patientenakte hinreichend dokumentiert ist, lässt sich im Nachhinein ohne Probleme nachvollziehen. Insofern soll es so sein, dass die Patientenakte alle wesentlichen Informationen über den Patienten, über seine Beschwerden und über die erfolgte Behandlung beinhaltet. Sie muss zum Wohle des Patienten und auch zur Absicherung des Behandelnden besondere Anforderungen erfüllen und bedarf des Schutzes durch den Gesetzgeber. Deswegen legen wir jetzt fest, dass die Patientenakte sorgfältig geführt werden muss, dass sie vollständig sein muss und dass vor allen Dingen nachträgliche Änderungen oder Berichtigungen nur noch dann zulässig sind, wenn nicht nur der ursprüngliche Inhalt erkennbar ist, (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Das war schon immer so!) sondern dass auch erkennbar ist, wann diese Änderungen vorgenommen worden sind. Wenn man später in einem Prozess die Behandlung nachvollziehen möchte, dann gibt es an dieser Stelle die meisten Schwierigkeiten. (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist nichts Neues!) – Diese Erkennbarkeit ist sehr wohl etwas Neues. Wenn Sie sich die Rechtsprechung genau ansehen, liebe Kollegin von der Opposition, dann werden Sie feststellen, dass wir die Folgen dieser Rechtsprechung hier klar und dezidiert festhalten, dass wir einen umfassenden Anspruch auf Einsicht verankern, der im Übrigen nicht mehr ohne Weiteres vom Arzt abgelehnt werden kann. Diese Einsichtnahme kann nur aus therapeutischen Gründen abgelehnt werden oder wenn dem erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Der Arzt muss seine Ablehnung begründen. Er kann sich nicht mehr hinter irgendwelchen Floskeln verstecken. Das wird es dem Patienten in Zukunft ermöglichen, seine Rechte zur Not vor Gericht durchzusetzen. Diese Regelung ist ein wesentlicher Fortschritt und geht weiter über das hinaus, was wir derzeit haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Blanker Hohn!) Mit diesem grundsätzlichen Anspruch auf Einsichtnahme erreichen wir erhöhte Akzeptanz und Nachvollziehbarkeit beim Patienten. Auch das führt letztlich dazu, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, das wir alle miteinander wollen, gestärkt wird. Da ich beim Vertrauensverhältnis bin, möchte ich noch etwas anderes sagen. Es wurde hier von Fehlerkultur gesprochen und davon, dass es hier keine Fortschritte gibt. Auch an dieser Stelle regeln wir im Bürgerlichen Gesetzbuch sehr klar, dass ein Arzt zukünftig Fehler eingestehen kann, ohne dass er Angst haben muss, hinterher von einem Staatsanwalt behelligt zu werden. Wir geben ihm einen Anreiz, den Fehler anzugeben, ohne dass das hinterher in einem gerichtlichen Verfahren gegen ihn verwendet werden kann. Damit ermöglichen wir es ihm, seine Fehler tatsächlich einzugestehen: zum Wohle des Patienten, sodass schnell gegen die Folgen möglicher Fehler vorgegangen werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte etwas zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts sagen, die auch Ziel und Zweck dieses Gesetzentwurfes ist. Wir sind der Auffassung, dass auch das Selbstbestimmungsrecht von Kindern und einwilligungsunfähigen Personen Beachtung verdient; das hat hier die Kollegin Dyckmans schon ausgeführt. Auch wenn diese Personen natürlich formal nicht in eine medizinische Behandlung einwilligen können – das müssen immer die Eltern oder die Betreuer machen –, sollen sie in das Behandlungsgeschehen einbezogen werden. Wir legen deswegen mit diesem Gesetzentwurf fest, dass auch Kindern und einwilligungsunfähigen Personen, die eine Art natürliche Einsichtsfähigkeit haben, entsprechend ihren Verständnismöglichkeiten und entsprechend ihrem Entwicklungsstand die wesentlichen Umstände der medizinischen Behandlung erläutert werden müssen. Wir erreichen einen wesentlichen Fortschritt für diese Patienten, weil wir an dieser Stelle ihr Selbstbestimmungsrecht achten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir haben neben der Stärkung der Rechte von Patientinnen und Patienten an vielen Stellen auch darauf geachtet, dass wir den Anforderungen in der Praxis gerecht werden. Wir haben sehr darauf geschaut, dass unsere Regelungen, etwa im Alltag von Krankenhäusern, nicht zu unnötigen Erschwernissen führen. Deswegen haben wir zum Beispiel bei der Aufklärung, die vor jedem Eingriff in verständlicher Weise erfolgen muss, damit in die medizinische Behandlung eingewilligt werden kann, festgelegt, dass diese nun auch durch eine Person durchgeführt werden kann, die aufgrund einer abgeschlossenen fachlichen Ausbildung die notwendige theoretische Befähigung zur Durchführung dieser Maßnahme hat. (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Was heißt das jetzt konkret?) Das knüpft sozusagen an den Krankenhausalltag an, wo es in aller Regel so ist, dass Assistenzärzte die Aufklärung vornehmen, die tatsächliche Operation aber durch Fach- oder Oberärzte erfolgt. (Zuruf von der SPD) Die haben aber natürlich im Krankenhausalltag nicht die Zeit, alle Patienten aufzuklären. Deswegen sagen wir an dieser Stelle: Auch Assistenzärzte, die aufgrund ihrer medizinischen Ausbildung die fachliche Kompetenz haben, sollen die Aufklärung vornehmen dürfen. Sonst würden unnötig Bürokratie und Erschwernisse im Krankenhaus geschaffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Unter dem Strich – das muss man sagen – war es ein gesetzgeberischer Drahtseilakt, den wir vornehmen mussten, weil wir die vorhandene Judikatur – das Richterrecht – kodifizieren wollten, aber wir wollten natürlich nicht verhindern, dass sich das Richterrecht auch zukünftig fortentwickeln kann. (Mechthild Rawert [SPD]: Es wird Klagen, Klagen, Klagen geben!) Deswegen haben wir bei der Formulierung der einzelnen Regelungen sehr darauf geachtet, dass wir Freiräume und Möglichkeiten lassen, dass Gerichte im Einzelfall sach- und interessengerechte Urteile fällen können. Denn das Richterrecht ist eine wesentliche Stärke unserer deutschen Rechtsordnung, und das soll in Zukunft auch so bleiben. Unter dem Strich sage ich: Es war ein Drahtseilakt, es war schwierig, wir haben es aber geschafft, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in wesentlichen Teilen zu stärken. Wir schaffen klare und transparente Regelungen. Das ist ein großer Fortschritt. Ich muss an dieser Stelle auch einen Dank an die Ministerien, das Justizministerium und das Gesundheitsministerium, aussprechen. Das waren gute Beratungen. Wir haben ein gutes Gesetz vorgelegt. Ich bitte dafür um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Mechthild Rawert das Wort. (Beifall bei der SPD) Mechthild Rawert (SPD): Herr Luczak, das war ja wohl der Versuch des Scharfschießens. Er ist allerdings gescheitert. Ihre Ausführungen zum Richterrecht haben ganz deutlich gemacht, dass das Patientenrechtegesetz eigentlich wenig klärt. Denn wenn Sie jetzt in der abschließenden Beratung schon darauf setzen, dass die Zukunft aufgrund unklarer gesetzlicher Regelungen aus Urteil an Urteil an Urteil an Urteil besteht, kann ich nur sagen: Gesetz gescheitert! (Beifall bei der SPD – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie hätten mir einmal zuhören sollen, Frau Kollegin!) Es ist das Gesetz der vertanen Chancen. Schwarz-Gelb stellt sich nicht auf die Seite der Patientinnen und Patienten, sondern es ist so – die Berliner Zeitung hat heute so getitelt, es ist vorhin auch schon zitiert worden –, dass hier ein Ärzteschutzprogramm verabschiedet wird. Nicht, dass uns hinterher wieder vorgeworfen wird, wir als Opposition seien gegen die Mediziner. Nein, dem ist nicht so. Wir sind aber gegen Regelungen, die Patienten nicht schützen und die vor allen Dinge ihre Rechte nicht stärken. (Beifall bei der SPD) Denn wir müssen eines wahrnehmen, und zwar das Leben und die Wirklichkeit des Lebens. Die Fehlerquote liegt im Promillebereich, ja. Nach seriösen Schätzungen sterben andererseits rund 17 000 Menschen im Jahr an Kunstfehlern. Darauf gibt Ihr Gesetz null Komma null Antwort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Minister Bahr, Sie selber haben es auch schon angesprochen: Sie haben von einer generellen Beweislast-umkehr gesprochen, die Sie nicht wollen. Frau Aschenberg-Dugnus wird sicherlich gleich darauf noch eingehen. Ich frage mich: Wo ist denn der Sturm der Ärzte und Ärztinnen? Ich hätte erwartet, dass sich auch die Mediziner viel stärker auf die Seite der Patienten und Patientinnen gestellt hätten, um deren Rechte zu stärken. Deswegen sage ich – auch als Antwort auf die erste Rednerin –: Dieses Gesetz zerstört Vertrauen, und dieses Vertrauen ist ein kostbares Gut. Hier haben Sie versagt. (Beifall bei der SPD) Ich komme auf einen speziellen Punkt zurück, nämlich auf die individuellen Gesundheitsleistungen. Wir -reden hier von einem Markt, der schon 2010 1,5 Milliarden Euro umfasste. Wir Sozialdemokraten hatten dies-bezüglich einen Antrag zur Eindämmung der individuellen Gesundheitsleistungen vorgelegt. Es geht nicht nur um 1,5 Milliarden Euro, sondern um 18,5 Millionen Einzelgeschäfte in Praxen. Das ist also ein Markt, den es sich genauer anzuschauen und vor allen Dingen zu regulieren lohnt. Was war am Anfang in Ihrem Patientenrechtegesetzentwurf zu IGeL-Leistungen enthalten? Null Komma null. Nichts! (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie machen ja beim Lesen Fehler!) Insofern hat unser Antrag Sie noch ganz schön auf Trab gebracht. Darüber bin ich froh, und darauf bin ich stolz, auch aus der Sicht der Opposition heraus. (Lachen der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]) Denn die individuellen Dienstleistungen, für die nach Ihren Vorstellungen in den Praxen gezahlt werden soll, berühren das, was mancher Mann meint, wenn er sagt: Man will nur mein Bestes, nämlich das Portemonnaie. Wir wollten eine Bedenkzeit und die Trennung der Leistungen insofern, dass IGeL-Leistungen nicht zusammen mit gesetzlich versicherten Leistungen verkauft werden, (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das geht doch an den Erfordernissen der Praxen völlig vorbei!) weil wir sicherstellen wollen, dass der Arzt oder die Ärztin vertrauenswürdig bleiben und nicht plötzlich als Anbieter von Selbstzahlerdienstleistungen auftreten. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ein Schwachsinn!) Der Patient oder die Patientin soll nicht plötzlich zum Kunden oder zur Kundin degradiert werden. All das beantworten Sie ausschließlich damit, dass es jetzt eine bessere Aufklärung hinsichtlich der Finanzierung dieser individuellen Gesundheitsleistungen geben soll. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ein mündiger Patient, Frau Kollegin! – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Haben Sie schon mal was vom mündigen Patienten gehört?) – Ja, ich danke Ihnen für dieses Stichwort. – Das Stichwort mündiger Patient oder mündige Patientin hat bei dem gesamten Theater, wie ich es nennen möchte, eine große Rolle gespielt, als es darum ging (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Schreien Sie doch nicht so!) – Sie können das noch besser –, dass das Wirtschaftsministerium die Schulungen für Ärzte und Ärztinnen bezahlt hat, damit auch das medizinische Fachpersonal mehr Marketingschulungen erhält. In den Antworten des Ministeriums auf meine Fragen war ständig vom mündigen Patienten und der mündigen Patientin die Rede. Aber davon, dass die einen geschult werden – sogar mit öffentlichem Geld –, damit der Patient besser ausgenommen werden kann und mehr Abzocke möglich ist, sagen Sie nichts, wenn es um Ihr Lieblingsbild des mündigen Patienten und der mündigen Patientin geht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ein Schwachsinn!) Ich glaube, ich bin eine mündige Frau. Wenn ich krank bin, geht es mir aber nicht darum, vorher noch ein medizinisches Studium in Kurzfassung abzulegen, sondern dann möchte ich geheilt werden. (Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn Sie krank sind, dann brauchen Sie auch keine IGeL-Leistungen!) Dann bin ich gerne bereit, nicht nur hilfsbedürftig zu erscheinen, sondern auch Hilfe in Anspruch zu nehmen. (Abg. Dr. Erwin Lotter [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Mit anderen Worten: Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wurde leider auch von der Verbraucherschützerin verraten, um es so zu sagen. Frau Aigner als oberste Verbraucherschützerin hat eine Studie „Untersuchungen zum Informationsangebot zu Indivi-duellen Gesundheitsleistungen“ vorgelegt. Wen wundert es, dass in dieser Studie jede Kritik und jede Annahme, die Grundlage für unseren Antrag „Individuelle Gesundheitsleistungen eindämmen“ war, bestätigt worden ist? Auch Herr Zöller fordert eigentlich eine Bedenkzeit. Was ist aus der Bedenkzeit geworden? Null Komma null. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Rawert. Mechthild Rawert (SPD): Einen Moment. (Heiterkeit bei der SPD) Die Informationen in den Arztpraxen sind nicht aussagekräftig genug und haben zu viele Defizite. Das einzig Wertvolle ist derzeit der IGeL-Monitor. Darauf verweisen wir alle. – Entschuldigung. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Erlauben Sie jetzt noch eine Nachfrage, wie man in diesem Fall sagen muss, des Kollegen Dr. Lotter von der FDP? Mechthild Rawert (SPD): Er steht ja schon. (Heiterkeit bei der SPD) Dr. Erwin Lotter (FDP): Schon die ganze Zeit . Mechthild Rawert (SPD): Wir sind ja beide nicht so hochgewachsen. Dr. Erwin Lotter (FDP): Ich bin ja so unscheinbar. Danke, dass Sie die Frage noch zulassen. – Frau Kollegin Rawert, wenn ein Patient zu mir kommt, um sich von mir behandeln zu lassen, und er mich bei der Behandlung fragt: „Herr Doktor, gegen meine Kniegelenksarthrose habe ich mal homöopathische Spritzen bekommen, die mir hervorragend geholfen haben. Könnte ich sie wieder bekommen?“ – das ist eine sogenannte IGeL-Leistung –, dann muss ich ihm sagen: Ja, das können wir machen, aber warten Sie bitte erst 24 Stunden; kommen Sie morgen um 17 Uhr wieder, dann kann ich es machen. – Dann denkt der Patient doch: Ich glaube, mein Doktor spinnt jetzt völlig. Würden Sie mir zustimmen, dass das, was Sie fordern, völlig unrealistisch ist? (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das kann man mit Ja beantworten!) Mechthild Rawert (SPD): Ich bin sehr erfreut, dass Sie als Arzt einem Patienten von heute auf morgen einen Termin um 17 Uhr anbieten. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der LINKEN) Das ist eine absolute Ausnahme und hat überhaupt nichts mit der alltäglichen Praxis zu tun. Die individuellen Gesundheitsleistungen werden in der Regel – wir reden hier nicht von sportmedizinischen oder reisemedizinischen Untersuchungen – von Ärztinnen und Ärzten angeboten. Das zeigt: Ihr Beispiel ist lebensfremd und nicht Grundlage dieser Diskussion. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Heinz Lanfermann [FDP]: Dass Sie überhaupt noch zum Arzt gehen, ist wirklich erstaunlich!) – Herr Lanfermann, auch Ihnen wünsche ich noch viele Arztbesuche und so gute Erfahrungen, wie sie Herr Lotter gemacht hat. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Aschenberg-Dugnus von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir bisher von der Opposition gehört haben, ist ein geradezu schicksalhafter Reflex. Wenn Vorschläge von der Regierung gemacht werden, müssen Sie sie kritisieren, egal ob etwas dahintersteckt oder nicht. Das ist besonders eigentümlich für die SPD, die in ihrer Regierungszeit eine kleine Broschüre zu den Patientenrechten aufgelegt hat. Zehn dünne Seiten über die Patientenrechte! Auf ihnen steht nichts Großartiges. Wenn Sie von vertanen Chancen sprechen, dann ist das lächerlich. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie haben in Ihrer Regierungszeit überhaupt nichts geleistet. Jetzt werfen Sie uns das vor? Das kann ja wohl nicht wahr sein. Liebe Frau Rawert, wenn Sie sagen, die Ärzte würden nicht an der Seite ihrer Patienten stehen, dann ist das eine Unverschämtheit. Die Ärzte stehen an der Seite -ihrer Patienten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde, Sie sollten das zurücknehmen. Welches Bild haben Sie überhaupt von den Ärzten in unserem Land? Ich empfinde das als persönliche Beleidigung. Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir endlich zu den Inhalten unseres hervorragenden Patientenrechtegesetzes. Meine Kollegin Frau Dyckmans hat schon über die Änderungen im BGB referiert. Ich möchte Ihnen aufzeigen, welche konkreten Verbesserungen das SGB V für die Patientinnen und Patienten in unserem Lande vorsieht. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Aschenberg-Dugnus, Frau Kollegin Klein-Schmeink würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Ich habe zwar noch drei Minuten, aber machen Sie mal. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Es ist mehr eine Anfangsfrage. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie waren gerade dabei, über das Verständnis der Rolle des Arztes und über das Misstrauen den Ärzten -gegenüber zu sprechen. Ich habe heute in der Presse -gelesen, dass gerade Sie und auch Minister Bahr als ein Argument gegen den Härtefallfonds angeführt haben, dass dann der Anreiz für die Ärzte entfiele, sorgfältig und fehlerfrei zu arbeiten. Welches Verständnis von ärztlicher Kunst und der ärztlichen Rolle spricht daraus? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Liebe Frau Kollegin, Sie haben wieder einmal etwas völlig missverstanden. Es geht darum, dass jemand im deutschen Schadensersatzrecht für sein individuelles Handeln individuelle Haftung übernehmen muss. Das führt dazu, dass er besonders rücksichtsvoll agiert. -Warum wir gegen den Härtefallfonds sind, ist eine ganz andere Sache. Wir haben hier noch nicht gehört, wie es rechtlich fundiert umgesetzt werden soll. Die SPD hat einen Antrag vorgelegt, der grob vom Wiener Modell ausgeht. Im Ergebnis ist es aber anders. So sollen alle – Versicherte, Steuerzahler und Patienten – zur Finanzierung herangezogen werden. Dann wird gesagt, dass es gar nicht um Behandlungsfehler, sondern nur um Härtefälle geht. Es ist überhaupt nicht geklärt, wer das entscheidet. Es ist überhaupt nicht geklärt, in welcher Zeit das geschehen soll. Es ist überhaupt nicht geklärt, ob es rechtlich angreifbar ist. Dazu hat niemand in diesem -Hohen Hause etwas vorgelegt. Wir sind ein Rechtsstaat und können nur das ins Gesetz schreiben, was auch wirklich umsetzbar ist. Solange Sie nichts Entsprechendes vorlegen, können Sie von uns nicht erwarten, dass wir für einen Härtefallfonds sind. So viel zu diesem Thema. (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, jetzt würde ich gerne den Patientinnen und Patienten erklären, welche positiven Maßnahmen wir für sie im SGB V ergriffen haben. Der erste Punkt, der mir persönlich ganz wichtig ist, ist die Bewilligung von Leistungen durch die Krankenkassen. Durch dieses Gesetz wird sie beschleunigt. Wir hören es doch tagtäglich: Die Patienten beschweren sich darüber, dass sie ewig auf eine Leistung ihrer Krankenkasse, auf die sie angewiesen sind, warten und dass sie sich selber darum kümmern müssen. Deswegen steht jetzt im -Gesetz: Wenn sich die Kasse nicht innerhalb von drei Wochen nach Antragstellung meldet, kann sich der Patient beispielsweise das nötige Mittel oder den Rollator selbst besorgen und bekommt die Kosten später erstattet. Das heißt, die Leistung ist automatisch genehmigt, wenn sich die Krankenkasse nicht rührt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, das sind ganz konkrete -Verbesserungen im Alltag der Patienten und für unsere medizinische Versorgung. Auch der zweite Punkt ist sehr wichtig. Das Gesetz sieht die Förderung einer Fehlervermeidungskultur in der medizinischen Versorgung vor. Wir verpflichten per Gesetz die Krankenhäuser zur Einführung eines -Beschwerdemanagements und zur Einführung eines Fehlermeldesystems. Das ist ganz wichtig, weil wir den Nährboden für Fehler weitgehend austrocknen wollen. (Beifall bei der FDP) Sicher, da, wo Menschen arbeiten, passieren auch Fehler. Wir können Fehler nie ausschließen. Deswegen geben wir den Betroffenen eine zusätzliche Hilfe an die Hand. In Fällen, in denen Fehler passiert sind, werden die Versicherten zukünftig auf die verpflichtende Unterstützung ihrer Krankenkasse bauen können. Das ist positiv für die Menschen in unserem Lande. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Eben wurde über IGeL gesprochen; dazu möchte ich noch etwas sagen. Im Gegensatz zu Frau Rawert halte ich IGeL nicht per se für schlecht. Man darf sie nicht als reine Umsatzsteigerungsinstrumente der Ärzte abtun. Ich finde, das wird dem überhaupt nicht gerecht und ist absolut unredlich. Was man machen kann – da bin ich wieder beim mündigen Patienten, Frau Rawert –, ist Folgendes: Wir müssen den Patienten bestmöglich aufklären. Dann kann er auf der Grundlage der ihm gegebenen Auskünfte seine Entscheidung treffen. Er wird darüber informiert, was für ihn sinnvoll ist und was es kostet. Dann kann er sich ausführlich darüber Gedanken -machen. Zum Beispiel die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die unabhängigen Patientenberatungen und die Kassen haben auf ihren Internetseiten Informationen über IGeL. Alle verweisen auf den IGeL-Monitor. Es gibt genügend Informationsmöglichkeiten für die Patienten. Natürlich kann der IGeL-Monitor auch kritisch betrachtet werden, Frau Rawert. So werden manche Maßnahmen als nicht nützlich bewertet, obwohl das nach meiner Meinung nicht der Fall ist. Zum Beispiel wird die professionelle Zahnreinigung als nicht nützlich bewertet. Das ist natürlich völlig fragwürdig. (Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) – Das steht im IGeL-Monitor als IGeL. Meine Damen und Herren, die von Ihnen geforderte Regelung zur Bedenkzeit, um sich für eine IGeL zu entscheiden, ist doch völlig unpraktikabel und unsinnig. Wenn ein Patient eine Leistung nicht will, muss er sie ja nicht in Anspruch nehmen. Aber als Regelfall eine 24-stündige Bedenkzeit vorzuschreiben, ist doch völlig patientenfeindlich und praxisfern. Das ist doch gegen die Patienten. Das können Sie doch nicht ernsthaft wollen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Doch!) Meine Damen und Herren, in unserem Gesetz stehen der Patient und die Verbesserung seines ganz konkreten Alltags im Mittelpunkt. Das erreichen wir. Das, was in Ihrer kleinen, dünnen Broschüre skizziert war, (Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) haben wir jetzt in einem sehr guten Patientenrechte-gesetz zusammengefasst. Ich glaube, die Patientinnen und Patienten werden merken, dass das viel mehr wert ist als diese kleine Broschüre. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt das Wort der Kollege Erwin Rüddel von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Erwin Rüddel (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und -Herren! Unsere erfolgreiche Gesundheitspolitik der vergangenen drei Jahre (Lachen bei der SPD) wird heute mit einem Gesetz abgerundet, das die Rechte der Patientinnen und Patienten stärkt und übersichtlich zusammenfasst. Dabei haben wir sehr sorgfältig darauf geachtet, dass das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht beschädigt wird. Mit dem Patientenrechtegesetz verankern wir das Arzt-Patienten-Verhältnis erstmals im Bürgerlichen Gesetzbuch. Durch das Gesetz sind Betroffene künftig nicht mehr davon abhängig, ob der jeweilige Richter in einem möglichen Prozess sattelfest und mit der gesamten bisherigen Rechtsprechung vertraut ist. Schon alleine diese Tatsache bedeutet einen entscheidenden Fortschritt; denn der künftig im Bürgerlichen Gesetzbuch normierte Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient garantiert klare Regeln bei möglichen Verstößen. Zusätzlich werden die Informations-, Aufklärungs- und Dokumentationspflichten für die Ärzte klar geregelt. Das bringt mehr Sicherheit für die Patienten und stärkt deren Position. Im Falle eines Behandlungsfehlers werden Verfahren und Schuldfeststellung dadurch erheblich erleichtert. Bei Rechtsstreitigkeiten ist die Patientenakte das wichtigste Dokument. Wir regeln, dass Patienten in ihre Akte Einsicht nehmen und Kopien anfertigen -können. Das darf nur in begründeten Ausnahmefällen untersagt werden. Bei groben Behandlungsfehlern muss der behandelnde Arzt darlegen, dass er alles richtig gemacht hat, und nicht der Patient nachweisen, dass der Arzt einen Fehler begangen hat. Die Krankenkassen werden ihre Mitglieder künftig bei Verdacht auf Behandlungsfehler unterstützen, um eventuelle Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Ferner wird den Kassen bei der Genehmigung beantragter Leistungen künftig eine kurze Frist gesetzt. Entscheiden sie nicht innerhalb dieser Frist, gilt ein Antrag automatisch als genehmigt. Diese Regelung haben wir im Sinne der Patienten nochmals präzisiert und verschärft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Eine generelle Beweislastumkehr lehnen wir ab. Der Arzt soll zuerst an seinen Patienten denken und nicht an seine Rechtsschutzversicherung. (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Der denkt an sein Portemonnaie!) Besonders bedeutend ist eine ausreichende Berufshaftpflicht für Ärzte. Wir schaffen klare Regelungen in der Musterberufsordnung. Wichtig ist aber eine regel-mäßige Überprüfung der Versicherung. Hier sind die ärztlichen Zulassungsbehörden und die Bundesländer aufgefordert, zeitnah Regelungen zu treffen, die dies ermöglichen. Stark ausgebaut wird das Beschwerdemanagement in den Krankenhäusern. Gleiches gilt für das Risiko-management und die Fehlerberichtskultur – Stichwort „zielführendes Fehlermanagement ohne gleichzeitiges Schuldeingeständnis“. Wer einen Fehler meldet, soll -dadurch keine Konsequenzen fürchten müssen. Das Ziel ist, aus Fehlern zu lernen. Außerdem stärken wir die Stellung der Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss durch die Pflicht zur zeitnahen Beratung ihrer Anträge. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für die individuellen Gesundheitsleistungen werden klare Vorschriften beschlossen. Damit ist zweifelsfrei -sichergestellt, dass die Patientinnen und Patienten ihre Entscheidung für oder gegen eine individuelle Gesundheitsleistung ohne Druck und Zwang treffen können (Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt nun gar nicht!) und wirkungsvoll vor unnötigen Maßnahmen geschützt werden. Eine Reihe von Vorschlägen aus der Opposition haben wir im Ausschuss ablehnen müssen, wie ich meine: aus gutem Grund. Denn wir wären sonst unweigerlich an einen Punkt gekommen, wo aus Verrechtlichung eine Überreglementierung geworden wäre, mit möglicherweise fatalen Folgen für das Vertrauensverhältnis -zwischen Patient und Arzt, (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das glauben Sie doch selbst nicht!) ganz abgesehen davon, dass ein deutlich höherer Verwaltungsaufwand mit einem erheblichen Zeitverlust und damit zwangsläufig mit einer Einschränkung der eigentlichen Patientenversorgung einhergegangen wäre. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Noch ein Wort zum Thema Härtefallfonds. Auch wenn man sich eine Stiftungslösung vorstellen kann, um in Härtefällen zeitnah und unbürokratisch Unterstützung zu leisten, ohne die Schuldfrage in den Vordergrund zu stellen, vertrauen wir auf die verschärfte Überprüfung der Berufshaftpflicht. Die Zukunft wird zeigen, ob und inwieweit weiterer Handlungsbedarf für den Gesetz-geber besteht. Meine Fraktion wird dies in jedem Fall sehr genau im Auge behalten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Meine Damen und Herren, das Gesetz stellt insgesamt einen Wendepunkt für unser Gesundheitswesen dar. Die Patientinnen und Patienten werden ihre Rechte künftig besser kennen und besser durchsetzen. Das bedeutet für die Versicherten mehr Qualität, mehr Transparenz, mehr Sicherheit und damit mehr Souveränität gegenüber -Ärzten, Kliniken und Krankenkassen. Wir halten unser Versprechen und machen die Patientinnen und Patienten zu Partnern auf Augenhöhe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Mir ist es ein Bedürfnis, abschließend unserem Kollegen Wolfgang Zöller zu danken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Als Patientenbeauftragter der Bundesregierung hat er sich seit Jahren in unzähligen Gesprächen mit allen Beteiligten für dieses wichtige Gesetz engagiert. Dass wir dieses Vorhaben, an dem frühere Bundesregierungen gescheitert sind, nunmehr unter Dach und Fach haben, ist nicht zuletzt ihm, seiner Arbeit und seinem ganz persönlichen Einsatz zu verdanken. Vielen Dank, lieber Wolfgang. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 17/11710, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10488 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Linken bei Enthaltung der -Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11722. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Linken und der Grünen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben dem Antrag der Linken zugestimmt!) – Das habe ich auch gesagt. (Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ich kann Sie nicht verstehen. Entschuldigung. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir Sie auch nicht!) – Ich habe gesagt, dass die Koalitionsfraktionen und die SPD-Fraktion gegen die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgestimmt haben. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wir haben auch abgelehnt!) – Dann wiederhole ich die Abstimmung. Ich bitte, aufzupassen, weil ich kaum noch Überblick habe. Sonst muss ich Sie bitten, wieder Platz zu nehmen. Ich hoffe, dass es auch so gehen wird. Es geht um den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11722. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Genauso habe ich es vorhin festgestellt, aber ich bestätige es jetzt noch einmal. Dann ist das so protokolliert. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 17/11710 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9061 mit dem Titel „Individuelle Gesundheitsleistungen eindämmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die -Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11008 mit dem Titel „Patientenrechte wirksam verbessern“. Die Fraktion der SPD hat beantragt, dass über Ziffer II Nrn. 2 bis 4 des Antrags einerseits und über den übrigen Antrag andererseits getrennt abgestimmt werden soll. Wir stimmen daher zunächst über Ziffer II Nrn. 2 bis 4 des Antrags auf Drucksache 17/11008 ab. Die Fraktion der SPD hat dazu namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen? – Ich eröffne die Abstimmung über Ziffer II Nrn. 2 bis 4 des Antrags. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. (Unterbrechung von 18.24 bis 18.31 Uhr) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen. Ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Antrag der SPD-Fraktion „Patientenrechte wirksam verbessern“ auf der Druck-sache 17/11008 bekannt: abgegebene Stimmen 558. Mit Ja haben gestimmt 195, mit Nein haben gestimmt 303, Enthaltungen 60. Der Antrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 558; davon ja: 195 nein: 303 enthalten: 60 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Enthalten DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Nicole Gohlke Dr. Gregor Gysi Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ulla Lötzer Thomas Lutze Cornelia Möhring Kornelia Möller Wolfgang Neškovi? Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann Wir kommen zur Abstimmung über den übrigen Teil des Antrags auf Drucksache 17/11008. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von Linken und Grünen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die -Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6489 mit dem Titel „Mehr Rechte für -Patientinnen und Patienten“. Wer stimmt für diese -Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der Linken und Enthaltung der Grünen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-stabe e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6348 mit dem Titel „Rechte von Patientinnen und Patienten durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Grünen und der Linken bei Enthaltung der SPD-Fraktion. (Unruhe – Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Beide Beschlussempfehlungen sind angenommen! – Weitere Zurufe) – Ich glaube nicht, dass das falsch aufgenommen worden ist, das war richtig. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 sowie die Zusatzpunkte 7 a und 7 b auf: 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Energiewende sozial gestalten – Stromsperren gesetzlich untersagen – Drucksache 17/11655 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Federführung strittig ZP 7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Strompreiserhöhung aussetzen – Faire Strompreise für alle – Drucksache 17/11656 – b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Rolf Hempelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für ein konzeptionelles Vorgehen der Bundesregierung bei der Energiewende – Masterplan Energiewende – zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kosten und Nutzen der Energiewende fair verteilen – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bezahlbare Energie sichern durch Einsparung, Erneuerbare und mehr Verbraucherrechte – Drucksachen 17/9729, 17/11004, 17/11030, 17/11719 – Berichterstattung: Abgeordneter Thomas Bareiß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Caren Lay von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Stellen Sie sich das einmal vor: Sie kommen heute Abend nach Hause, das Licht geht nicht an, und Sie können sich weder einen Tee noch eine warme Suppe kochen. Sie können weder fernsehen noch lesen, und Sie waschen sich und Ihre Kinder mit kaltem Wasser. Die Wäsche waschen Sie mit der Hand. Das Telefon funktioniert nicht, und an das Smartphone ist erst recht nicht zu denken. Auch das Backen für Weihnachten muss in diesem Jahr leider ausfallen. Das ist kein Film über das Leben im 19. Jahrhundert, das ist für über 300 000 Haushalte in Deutschland leider bittere Realität; denn diesen Haushalten wurde im letzten Jahr der Strom gesperrt. Ich finde das einfach unmenschlich. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass in Belgien und in Frankreich Stromsperren zumindest im Winter verboten sind. Wir als Linke finden, dass diese massenhaften Stromsperren auch in Deutschland endlich ein Ende haben müssen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Presse berichtet über bereits acht Tote, die infolge von Stromsperren ums Leben gekommen sind. Die Bundesregierung sieht tatenlos zu. Sie weigert sich sogar, eine EU-Richtlinie umzusetzen, durch die zumindest schutzbedürftige Kunden vor Stromsperren bewahrt werden sollen. Ich finde, das ist einfach unmöglich. In keinem anderen Bereich befinden sich die Anbieter in solch einer starken Stellung wie die Stromanbieter. Nach nur einer einzigen Mahnung und einer Ankündigung kann der Strom gesperrt werden, und das ohne Gerichtsbeschluss. Wir finden: So geht es einfach nicht. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen wollen wir, dass Hilfe für die Betroffenen im Mittelpunkt steht. Deswegen wollen wir die Sozial-behörden zwischenschalten. Ich komme zu einem anderen Thema, das jeden und jede von uns betrifft. Wir alle haben in den letzten -Wochen einen Brief von unserem Stromanbieter bekommen. Wieder einmal werden die Strompreise erhöht. Im Schnitt werden sie um 12 Prozent erhöht, in einigen Fällen sogar um 32 Prozent. Das ist nur der traurige Höhepunkt; denn die Strompreise sind in den letzten Jahren explodiert. Seit dem Jahr 2000 haben sie sich verdoppelt. Die Ausgaben für Strom, Heizung und Benzin belasten das Haushaltsbudget, insbesondere von Haushalten mit geringen Einkommen. Darunter leiden vor allen Dingen die Langzeitarbeitslosen. Im Hartz-IV-Regelsatz wurden gerade einmal 30 Euro für Energiekosten angesetzt. Der Durchschnittsverbrauch liegt deutlich höher. Das heißt, allein die Strompreiserhöhung frisst die Erhöhung um lächerliche 8 Euro bei Hartz IV im nächsten Jahr wieder auf. Während die einen im Dunkeln sitzen, gibt es woanders Grund für eine Festbeleuchtung. Allein drei der vier großen Energiekonzerne, Eon, RWE und EnBW, haben in sieben Jahren über 100 Milliarden Euro Gewinne eingefahren. In dieser Situation ist es ausgerechnet Bundesumweltminister Altmaier, der die Schuld für die Strompreiserhöhung allein auf die erneuerbaren Energien schiebt. Er schweigt zu den massenhaften Gewinnen der Konzerne. Auch hier sagen wir als Linke: So geht es einfach nicht. (Beifall bei der LINKEN) Schnelle Hilfe ist nötig, und sie ist auch möglich. Wir fordern, dass diese Strompreiserhöhungen ausgesetzt werden, bis die Bundesregierung endlich ein vernünftiges Konzept auf den Tisch legt. Wir haben unsere -Vorschläge eingebracht. Stoppen Sie zum Beispiel die Stromgeschenke an die Industrie. Diese betragen über 9 Milliarden Euro, für die die Verbraucherinnen und Verbraucher aufkommen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Senken Sie die Stromsteuer in dem Ausmaß, in dem die EEG-Umlage steigt. Hier könnten die Verbraucherinnen und Verbraucher endlich einmal von Ihrer Politik profitieren. (Beifall bei der LINKEN) Haben Sie den Mut, endlich einmal eine effektive staatliche Preisaufsicht einzuführen. Das wäre das beste Mittel, um an diese leistungslosen Konzerngewinne he-ranzukommen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das hatten wir schon einmal!) Strom ist kein Luxusgut, Stromversorgung ist ein Grundrecht. Niemand darf davon ausgeschlossen werden. Strom muss bezahlbar bleiben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Thomas Bareiß. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kollegin Lay, Ihre Rede und Ihr Antrag „Energiewende sozial gestalten – Stromsperren gesetzlich untersagen“ zeigen deutlich, dass Sie immer noch nicht in der Marktwirtschaft angekommen sind. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU] – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Meine Güte! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Ihr Feldzug gegen die soziale Marktwirtschaft ist fast schon unerträglich. Deshalb sage ich zu Beginn meiner Rede: Wenn jemand in unserem Land eine Leistung in Anspruch nimmt, muss er für diese Leistung auch zahlen. Wenn er das nicht tut, dann wird ihm der Anspruch auf diese Leistung versagt. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das ist ein Grundrecht!) Außerdem verhält er sich gegenüber all denjenigen, die für diese Leistung bezahlen, unsozial und unsolidarisch. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Warum -bezahlen wir denn dann die Regierung? – -Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Ein solches Verhalten entspricht nicht unserem Bild von einer sozialen Marktwirtschaft, und es entspricht auch nicht unserem Bild von richtiger und sozialer Energie-politik. Wir wollen keinen Freifahrtschein erteilen, sondern wir wollen einen Sozialstaat, der denjenigen, der sozial schwach ist, in die Lage versetzt, seine Stromrechnung zu bezahlen. Deshalb haben wir einen ausgedehnten -Sozialstaat. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Ja, so ist das!) Deshalb werden in Deutschland beispielsweise die höchsten Sozialleistungen in ganz Europa gezahlt; sie machen über 55 Prozent des Bundeshaushalts aus. Da Sie immer davon reden, dass die Besserverdienenden keinen Beitrag leisten, sage ich Ihnen: Die 10 Prozent der Steuerzahler mit dem höchsten Einkommen tragen über 55 Prozent zum gesamten Einkommensteueraufkommen bei. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber nicht der Mehrwertsteuer zum Beispiel! Das steht vielleicht so im Armutsbericht von vor vier Jahren! Aber wie ist die Situation denn heute?) Wer trotzdem behauptet, dass die Besserverdienenden in unserem Staat nichts für die Leistungsschwachen tun, der ist auf dem Holzweg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das ist eine Milchbubenrechnung!) Wir wollen den mündigen und freien Bürger. (Caren Lay [DIE LINKE]: Aha! Und deswegen soll er auf Strom verzichten?) Deshalb steht die Energiepolitik bei uns im Zentrum. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Sagen Sie das mal einer Familie mit Hartz IV! Zynisch ist das!) Wir wollen die Bürger beispielsweise dazu bringen, Strom zu sparen und sich effizienter zu verhalten, und wir wollen, dass dies belohnt wird. Deshalb kann ich nur begrüßen, dass Bundesumweltminister Peter Altmaier die Stromsparinitiative auf den Weg gebracht und durch ganz konkrete Maßnahmen verstärkt hat. Die Mittel werden um weitere 30 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre erhöht, sodass jeder Haushalt in die Lage versetzt wird, sich zu überlegen, wo er Strom einsparen, sich effizienter verhalten und damit Geld sparen kann. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Dadurch haben wir auch etwas für die Sozialpolitik getan. Durch die Teilnahme am Stromspar-Check kann jeder Haushalt mit geringfügigem Einkommen Strom und somit Geld sparen. An 80 Standorten wurden rund 200 Langzeitarbeitslose zu Energieberatern ausgebildet. Pro Haushalt investieren wir auf diesem Wege 65 Euro, sparen aber jedes Jahr pro Haushalt 86 Euro ein. Das ist ein Modell, das einerseits Langzeitarbeitslosen dabei hilft, sich zum Energiesparer ausbilden zu lassen, das andererseits aber auch Geringverdienern hilft, Strom und somit Geld zu sparen. Das ist ein Modell, das, wie ich glaube, Schule machen und in den nächsten Jahren sogar ausgebaut wird; die Mittel sollen verdoppelt werden. Das ist sinnvoll und richtig. Ich glaube, die Energiepolitik ist der richtige Ansatzpunkt, um auch die Sozialpolitik ein Stück weit mitzugestalten. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Eine weitere Maßnahme, mit der wir versuchen, dem mündigen Bürger dabei zu helfen, Strom und Energie zu sparen, ist das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das wir weiter voranbringen werden. Der Eigentümer wird für seine Anstrengungen Stück für Stück belohnt. Beim CO2-Gebäudesanierungsprogramm haben wir schon viel erreicht. (Caren Lay [DIE LINKE]: Das reicht hinten und vorne nicht!) In einem nächsten Schritt gehen wir die Mietrechts-novelle an. Wir fordern Sie von Rot-Grün auf, in den Ländern, in denen Sie Verantwortung tragen, dafür zu sorgen, dass die Möglichkeiten der steuerlichen Abschreibung in den nächsten vier Wochen endlich auf den Weg gebracht werden, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben hier einen Antrag eingebracht, und Sie haben ihm nicht zugestimmt, Herr Bareiß! Hören Sie endlich auf mit diesen Vorwürfen! Wir sind dafür, und Sie sind es nicht!) damit die Investitionsblockade aufgelöst wird, sodass wir beim Thema Energieeffizienz eine Politik aus einem Guss machen und unsere Ziele erreichen können. Eine weitere Maßnahme, mit der wir etwas für die Verbraucher tun, ist die EEG-Umlage. In den letzten -Jahren haben wir – im Gegensatz zu Ihnen – den Kostentreiber Nummer eins angepackt. Wir haben dafür -gesorgt, dass die Kosten der Photovoltaik bzw. der Solarenergie, die in den letzten Jahren massiv gestiegen sind, Stück für Stück reduziert werden. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht die Photovoltaik ist der Kostentreiber, sondern Ihre verfehlte Politik! – Abg. Karin Binder [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Bareiß, die Kollegin Binder von den Linken würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Thomas Bareiß (CDU/CSU): Nein, danke. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Keine Zwischenfrage. Thomas Bareiß (CDU/CSU): Die grünen Umweltminister haben es in sieben Jahren Rot-Grün nicht geschafft, die Kosten der Photovoltaik zu senken. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie hoch war denn die Umlage? Die lag 2005 bei unter 1 Cent! Jetzt ist sie bei 5 Cent! Sie haben sie in kürzester Zeit verfünffacht! Ein bisschen mehr Demut, Herr Bareiß!) Die Einspeisevergütung haben Sie nur um knapp 10 Prozent reduziert. Wir haben es geschafft, sie in drei Jahren um über 50 Prozent zu reduzieren. So haben wir dafür gesorgt, dass der Anteil der Solarenergie auf ein gesundes Maß zurückgeführt wurde. Für die Förderung, die Sie damals aufgebaut haben, muss ein durchschnittlicher Vier-Personen-Haushalt noch heute 100 Euro im Jahr bezahlen. Das war der falsche Weg. Deshalb haben wir dieses Thema angepackt. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür gibt es eine moderne Industrie mit vielen Arbeitsplätzen, die Sie jetzt wieder kaputt machen!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluss möchte ich sagen: Markt und Wettbewerb lohnen sich. Jeder Stromkunde sollte sich seine Stromrechnung anschauen und die Möglichkeiten des Wettbewerbs und des Marktes nutzen. Ich kann nur jeden darauf aufmerksam machen: Die Linken haben geschrieben, dass der Regelsatz für Strom bei einem Verbrauch von 1 500 Kilowattstunden bei 30,42 Euro monatlich liegt. Wenn Sie den billigsten Anbieter in Berlin nehmen, liegen Sie bei 27 Euro monatlich. Auch hier zeigt sich: Wenn man vergleicht, wenn man den Wettbewerb auf dem Markt nutzt, dann steht man auf der richtigen Seite und kann Geld sparen. Das ist der richtige Weg. Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Dirk Becker das Wort. Dirk Becker (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Lay, in der Tat ist es ein ernstes Thema. Sie haben zu Beginn Ihrer Rede sehr plastisch dargestellt, wie im Land die Realität für Familien aussieht. Umso bedauerlicher ist allerdings, dass Ihr Antrag Ihr Anliegen letztlich auf eine einzige, sehr populistische Forderung verkürzt, nämlich darauf, dass wir, der Deutsche Bundestag, doch beschließen mögen, Strompreiserhöhungen auszusetzen. Das ist eine sehr einfache, eine sehr verkürzte Antwort. Es ist der falsche Weg, den Menschen zu sagen, es liege an uns. Wir müssen den Menschen doch deutlich machen, was zum Beispiel diese Regierung gemacht hat, damit die Strompreise steigen und nicht sinken. Das deutlich zu machen, sollte unsere Aufgabe sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Bareiß, bei all dem, was Sie sich schönrechnen und schönreden – ich kann diese PV-Geschichte nicht mehr hören –: (Zuruf von der FDP: So ist es halt!) Es gibt eine Reihe von politischen Entscheidungen dieser Regierung. Ich brauche nicht einmal die Vergangenheit zu bemühen. Was Sie hier heute Morgen beschlossen haben, ist Röslers Preissteigerungsgeschenk an die Wählerinnen und Wähler. Das ist Ihre Verantwortung. (Beifall bei der SPD – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Preistreiber! – Zuruf von der FDP: Das steht in Relation zueinander!) Frau Lay, ich finde es schade, dass Sie den Eindruck erwecken, es liege an uns. Sie haben in Ihren Ausführungen durchaus richtige Ansätze signalisiert. Ich möchte eines in Richtung der Grünen sagen. Ich finde die Passage in Ihrem Antrag, wie man mit dem Thema Stromsperren umgehen muss, sehr gut. Wir unterstützen Ihren Antrag an dieser Stelle; denn er geht ins Detail, er greift die Probleme auf und setzt auf die richtigen Lösungsansätze. (Zuruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]) Aber, Kolleginnen und Kollegen, Strom bezahlbar zu machen, heißt auch, erst einmal den Verbrauch in den Griff zu bekommen. Ich kann die Sonntagsreden zu Energieeffizienz nicht mehr hören. Hier werden uns ein paar Miniprogramme schmackhaft gemacht, aber es wird völlig verdrängt, dass es diese Regierung und dieses Wirtschaftsministerium waren, die alles unternommen haben, damit wir beim Thema Energieeffizienz nicht vorankommen. Deutschland ist Bremser Nummer eins in Europa. (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]) Gerade das Thema Energieeffizienz – das weiß auch so ein ausgewiesener Wirtschaftsexperte wie Herr Nüßlein – käme nicht nur den Privathaushalten zugute, sondern auch der Wirtschaft. Darum kritisiert die Wirtschaft Sie für Ihre Politik im Bereich der Energieeffizienz. (Zuruf von der FDP: Fangen Sie mit energetischer Gebäudesanierung an!) – Dazu komme ich gleich. Das ist das Einzige, was Sie haben. (Zuruf von der FDP: Nein, wir haben noch mehr! – Weiterer Zuruf von der FDP: Die Leute hätten es gern!) Wichtig für uns ist, dass wir das Thema Energieeffizienz als Win-win-Situation zwischen den Verbrauchern und der Wirtschaft begreifen. Die Wirtschaft fordert Sie auf, mehr für die Energieeffizienz zu tun und (Zuruf von der FDP) ambitioniertere Ziele vorzusehen. Sie sagt: Wir sind stark genug, wir haben die Technologie, ihr müsst uns nur den Rahmen geben. – An der Stelle haben Sie total versagt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Durch die Politik von Herrn Rösler zieht sich ein roter Faden, angefangen beim Armutsgericht bis hin zur Energieeffizienz. Was aus seinem Haus kommt, ist einfach regierungspolitischer Murks. Damit kommt dieser Minister die Leute einfach teuer. Ich sage Ihnen nur ein paar Punkte. Wir versuchen seit längerem, Sie zu bewegen, etwas zu tun. Gebt den Leuten nicht nur eine Energieberatung, sondern über Mikrokredite und Zuschüsse auch das Geld, um in Energieeffizienz investieren zu können, habt aber auch den Mut, die Befreiung der Unternehmen von gewissen Umlagen an die Einführung von Energiemanagementsystemen zu koppeln. Das alles sind Maßnahmen, die wir schon längst hätten haben können, (Beifall bei der SPD) die unbestritten wirksam wären. Sie bremsen und blockieren. (Zuruf von der FDP: Was sagen Sie jetzt zur Förderung der Energieeffizienz?) Meine Damen und Herren, wir haben beim Thema Energieeffizienz keine allzu gute Bilanz. Daher kommen wir jetzt zum Strombereich. (Zuruf von der FDP: Sagen Sie doch etwas zur Gebäudesanierung!) Herr Bareiß hat ja versucht, deutlich zu machen, was diese Regierung alles getan habe, um den Strompreis oder die EEG-Umlage in den Griff zu bekommen. Doch man kann das durchrechnen, Kolleginnen und Kollegen, man kann sich anschauen: Wie kommen diese 5,2 Cent EEG-Umlage zustande? Warum ist denn die EEG-Umlage für das laufende Jahr eigentlich geschönt worden? Warum sind 2 Milliarden Euro nachzuholen? Warum hat es eine Ausweitung der Befreiungstatbestände gegeben? Das hat weder etwas mit internationalem Wettbewerb noch mit Arbeitsplätzen zu tun, (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Aber mit dem Mittelstand!) sondern war – das sage ich Ihnen – nur darauf angelegt, die Basis derjenigen, die die EEG-Umlage zahlen müssen, zu verkleinern. Sie wollen, dass die Leute von der Energiewende angesichts steigender Preise irgendwann die Nase voll haben. Das steckt doch bei Ihnen dahinter. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: So ein Quatsch!) Auch aus Gründen der Energieeffizienz ist es einfach widersinnig, beispielsweise die Obergrenze für die Befreiung von der EEG-Umlage von 10 Gigawatt auf 1 Gigawatt abzusenken. Die Befreiung von der EEG-Umlage hat zur Folge, dass Unternehmen heute mehr Strom verbrauchen, weil das für sie günstiger ist, als in Energie-effizienz zu investieren. Ihre Politik wirft uns um vier Jahre zurück; das ist einfach so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Klaus Breil [FDP]) – Vorsätzlich die Kosten hochtreiben? Wir müssen jetzt nicht erneut über die Haftungsfrage bei Offshorewindparks und andere Dinge reden. Sie verlagern die Kosten auf die Kleinen (Dr. Daniel Volk [FDP]: Ach was!) und halten hier Sonntagsreden, was Sie für die Menschen tun. Das glaubt Ihnen doch keiner nach dem heutigen Tag. Lesen Sie doch die Schlagzeilen der Zeitungen über das, was heute Morgen hier beschlossen wurde! Lesen werden Sie noch können. (Beifall bei der SPD – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Was ist mit Ihrem Abstimmungsverhalten im Bundesrat?) Jetzt zum Thema Gebäudesanierung. (Beifall des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP] – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie wollten zu dem Thema nicht reden! – Zuruf von der FDP: Endlich!) – Die FDP sagt: Endlich kommt er zum Thema Gebäudesanierung. – Dabei haben Sie bis heute verhindert, dass im Wärmegesetz überhaupt etwas dazu vorliegt. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Sie blockieren im Bundesrat!) Sie bremsen beim Wärmegesetz von vorne bis hinten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt zum Thema Bundesrat. Die Bundesregierung sagt: Wir geben weniger Geld aus für die Gebäudesanierung, die Hälfte sollen künftig die Länder bezahlen; wir machen das über Abschreibungen, über Steuermodelle. – Und dann wundern Sie sich, wenn die Länder sagen: Stopp! Halt an der Bahnsteigkante! Könnt ihr vielleicht vorher mit uns darüber reden? (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Nein! Wir halten an der Politikkante!) Jetzt frage ich Sie, welches Land, das von CDU bzw. CSU und FDP regiert wird, hat denn an der Stelle gesagt: „Das ist das böse Spiel der Sozis; die Roten blockieren“? Warum waren denn Ihre Ministerpräsidenten dabei, als gesagt wurde: „Stopp! So geht es nicht“? (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Das ist keine Frage der Farbenlehre, das hängt mit der Art und Weise zusammen, wie Sie an das Thema herangegangen sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das können die Länder insgesamt nicht mittragen. Es passt hier nicht in dieses Wahlkampfgetöse, das sei eine typische Aktion sozialdemokratisch regierter Länder. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: „Wahlkampfgetöse“, das passt zu Ihrer Rede, aber sonst zu nichts!) Ich will zum Thema Gebäudesanierung eines ganz klar sagen: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in Zukunft auch das Instrument der steuerlichen Abschreibung prüfen müssen. (Zurufe von der FDP: Ach! Machen!) Ich bin dabei, wenn gesagt wird, dass wir einen Instrumentenmix brauchen werden. Aber dieser Instrumentenmix heißt auch, dass die anderen Instrumente, für die Sie als Bundesregierung Verantwortung haben, ernst genommen werden. Wie ist es denn mit dem Wärmegesetz? Sie haben den Erfahrungsbericht bis heute nicht vorgelegt. Sie blockieren die Fortentwicklung des Wärmegesetzes, weil Herr Rösler, Herr Altmaier und Herr Ramsauer sich nicht einig werden. Das heißt, im Bereich der Fortentwicklung des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes ist null passiert. Sie blockieren an dieser Stelle. Auch hier steht die deutsche Wirtschaft, stehen die Unternehmen der Heizungstechnologien Gewehr bei Fuß und sagen: Wann kommt ihr endlich mit diesem Gesetz? Wir haben riesige Potenziale. – Mit modernen, ökologischen Wärmesystemen können wir die Menschen von steigenden Kosten für fossile Brennstoffe unabhängig machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) An dieser Stelle bremsen Sie die Menschen aus. Damit tragen Sie Verantwortung dafür, dass die Menschen ihre Heizkosten nicht in den Griff bekommen können. Ich danke der Fraktion der Linken, dass wir über das Thema debattieren können. Ihrem Antrag können wir, wie ich schon sagte, leider nicht folgen. Ich werbe aber für die Unterstützung des Antrags der SPD. Mein dringender Appell an diese Regierung: Nehmen Sie dieses Thema ernster, als Sie es hier eben getan haben! (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die SPD im Bundesrat, sage ich nur!) Ein bisschen Larifari – ein Salatblatt hier, ein Salatblatt da – reicht nicht, um den Menschen deutlich zu machen: Wir nehmen euch mit euren Problemen bei den Energiekosten ernst. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Professor Dr. Erik Schweickert. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Erik Schweickert (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keiner wird abstreiten, dass steigende Strompreise ein Problem sind. Natürlich wären niedrigere Strompreise besser. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, die wahren Strompreistreiber sitzen in Ihren Reihen; (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) denn die hohen Strompreise sind das Resultat einer verfehlten Energiepolitik von Rot und Grün. Die EEG-Umlage ist Ihr Werk. Die Verbraucher müssen heute die Zeche dafür bezahlen. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht so!) Deshalb bin ich der Meinung: Das EEG ist nicht zukunftsfähig. Wir müssen weg von der Überförderung der erneuerbaren Energien; denn die Energiewende darf nicht auf dem Rücken der Verbraucherinnen und Verbraucher ausgetragen werden. (Beifall bei der FDP) Frau Lay, die Antwort auf die Überförderung der erneuerbaren Energien kann aber nicht sein, auf der anderen Seite Sozialtarife für sozial schwache Verbraucher zu subventionieren (Caren Lay [DIE LINKE]: Super Idee!) oder gar Stromsperren zu unterbinden; denn es kann nicht sein, dass derjenige, der noch ordentlich bezahlt, am Ende der Dumme ist. Es kann nicht sein, dass man sich ohne Konsequenzen einen schlanken Fuß machen kann. Das trifft die Mitte unserer Gesellschaft, jene Leistungsträger, die jeden Tag ordentlich arbeiten, ordentlich zahlen und das Land voranbringen. Die Verbraucherzentrale NRW hat als Alternative zur Stromsperre einen Prepaid-Zähler ins Gespräch gebracht. Ich finde, diese Idee ist sehr überlegenswert; denn dies würde nicht nur einen Betrag zur Kosten- und Verbrauchstransparenz leisten, sondern es könnten auch die Kosten für die Sperrung und die Wiederanmeldung vermieden werden, die nicht selten deutlich höher sind als die Stromschuld an sich. Von diesem besonderen Problem einmal abgesehen: Wir wollen das System reformieren, um aus dieser Energieplanwirtschaft endlich eine effiziente und verbraucherfreundliche Energiemarktwirtschaft zu machen. (Beifall bei der FDP) Für den weiteren Zubau an erneuerbaren Energien muss dann klargestellt werden, dass sie sich am Markt beweisen müssen und dass sie den Strompreis langfristig über staatliche Dauersubventionen nicht künstlich verteuern dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Unsere Vorschläge stehen bereit. Kurzfristig schlägt Ihnen die FDP vor, die Stromsteuer in Höhe der auf die EEG-Umlage entfallenden Mehrwertsteuereinnahmen aufkommensneutral abzusenken. Das schafft dann eine schnelle Entlastung für die Verbraucher. (Ulrich Kelber [SPD]: Dann bringen Sie das doch einmal zur Abstimmung ein!) Wir Liberale gehen aber noch weiter. Wir haben im Gegensatz zu denen, die lauthals rufen, ein Alternativkonzept vorgelegt. Wir schlagen Ihnen die Umstellung auf ein Mengenmodell vor; denn wir wollen, dass Energieerzeuger, Stromhändler und Endkunden verpflichtet werden, einen festgelegten Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen bzw. zu beziehen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Schweickert, Frau Kollegin Lay würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Dr. Erik Schweickert (FDP): Selbstverständlich. Caren Lay (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege. Sie haben ja von der Energiemarktwirtschaft gesprochen. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, wie es sich mit der Energiemarktwirtschaft verträgt, dass die vier großen Energiekonzerne noch immer über 80 Prozent des Marktes monopolisieren. Wie verträgt es sich mit der Marktwirtschaft, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher für die massenhaften Industrierabatte zugunsten der energieintensiven Industrie aufkommen müssen? Wie verträgt es sich mit der Energiemarktwirtschaft, dass jetzt die Unternehmen von der Haftung – wir haben das heute Morgen im Zusammenhang mit den Offshoreanlagen beschlossen – befreit werden und die Kosten ebenfalls den Verbraucherinnen und Verbrauchern aufgebürdet werden? Wie verträgt sich all das mit Ihren Vorstellungen von einer Marktwirtschaft? (Beifall bei der LINKEN) Dr. Erik Schweickert (FDP): Frau Kollegin Lay, nach Fukushima haben wir in diesem Haus mit einer sehr breiten Mehrheit die Energiewende beschlossen. Das war gesellschaftlicher Konsens. (Ulrich Kelber [SPD]: Das war auch schon vorher gesellschaftlicher Konsens!) Diese Energiewende kann nur dann vorankommen, wenn wir auch dafür sorgen, dass zum Beispiel Strom aus Windkraft aus dem Offshorebereich, der grundlastfähiger ist als Strom aus dem Onshorebereich, in das Netz kommt. Wir sehen, dass hier Risiken vorliegen. Wenn wir wollen, dass dieser Umstieg gelingt, dann müssen wir da herangehen. Sie haben gefragt – das war Ihre zweite Frage –, wie sich das Ganze mit den Ausnahmen verhält. Darauf sage ich Ihnen ganz offen: Auch mir sind die Ausnahmen, die es gibt, zu viele. Deswegen überprüft ja gerade die Bundesnetzagentur, inwieweit man hier die Kriterien neu berechnen kann. Aber es waren doch nicht wir, die diese Ausnahmen in das EEG geschrieben haben. Der Trittin-Soli und die Ausnahmen vom Trittin-Soli wurden zu rot-grünen Zeiten beschlossen. (Beifall bei der FDP) Ich sage Ihnen: Wir müssen dafür sorgen, dass die Kunden kein unnötiges Geld ausgeben; denn wir haben den Zustand, dass durch die Anlagen im Bereich der erneuerbaren Energien zwar Strom erzeugt wird, dieser aber nie in das Netz eingespeist wird und nie bei den Kunden ankommt. Das, liebe Frau Lay, wird der Punkt sein, an dem wir ansetzen; denn dieser untragbare Zustand muss beendet werden. Dann fallen die Probleme weg, die wir hier oft genug beklagen und für die wir als christlich-liberale Regierung die Lösungen haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich 2005 in den Bundestag gekommen bin, habe ich gesagt: Ich nehme mir die Energiepreise vor und gucke mir sehr genau an, wie sich die Gewinne der großen Energiekonzerne entwickeln. Die Gewinne der großen Energiekonzerne, Herr Schweickert, sind in der Tat explodiert. 2002 erzielten die vier großen Energiekonzerne einen Gewinn von insgesamt 6 Milliarden Euro, 2010 waren es 30 Milliarden Euro. Das ist die Situation, das ist der Grund, warum die Preise gestiegen sind – nicht mehr und nicht weniger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]) Ich finde, wir mussten diesen Anstieg beenden, und es ist gut, dass wir ihn beendet haben – gerade auch durch den Ausstieg aus der Atomkraft. Herr Schweickert, Sie haben sich hier hingestellt und gesagt, das EEG sei durch uns so aufgebläht worden, dass der Strom so teuer geworden sei. Gucken Sie doch einmal hin! 2005, als die rot-grüne Regierung beendet worden ist, lag die EEG-Umlage bei unter 1 Cent pro -Kilowattstunde. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Preis mal Menge!) Heute, unter Ihrer Regierung, liegt sie bei über 5 Cent pro Kilowattstunde. Hören Sie also auf, uns für die überzogenen Kosten Ihres Wirtschaftsministers Rösler verantwortlich zu machen! Dafür sind Sie allemal selbst verantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Klaus Breil [FDP]: Kennen Sie die Wirkungszusammenhänge nicht?) Deswegen will ich auch sehr wohl etwas zu den Ausnahmen sagen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Höhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schweickert? (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Einer der Preistreiber!) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, gerne. Dr. Erik Schweickert (FDP): Frau Kollegin Höhn, vielen Dank. – Ich habe eine Frage an Sie. Sie bekommen für Ihre Wohnung hier in Berlin doch sicherlich auch eine Rechnung von Vattenfall; das ist ja hier ein großer Anbieter. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, anders als Sie bin ich nicht bei Vattenfall. Dr. Erik Schweickert (FDP): Okay. – Wenn Sie sie bekämen, könnten Sie anhand einer Auflistung erkennen, wie sich die Stromkosten aufteilen. Deswegen lautet meine Frage an Sie: Ist es richtig, dass die Ausnahmen, die Sie hier jetzt anprangern, einen marginalen Anteil von 0,x Prozent an den Stromkosten ausmachen, während im Gegensatz dazu die EEG-Umlage einer der Hauptpreistreiber ist? Stimmen Sie mir hier zu, oder stimmen Sie mir nicht zu? Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, da stimme ich Ihnen keineswegs zu. Als Rot-Grün im Jahre 2005 die Ausnahmen eingeführt hat, gab es für 250 Unternehmen Ausnahmen. Diese Zahl ist aufgebläht worden. Für nächstes Jahr haben über 2 000 Unternehmen eine Ausnahme beantragt. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Beantragungen!) Die Zahl wird von 250 auf 2 000 steigen. Das ist der Politik Ihres Wirtschaftsministers Rösler geschuldet – nicht mehr und nicht weniger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Preistreiber!) Für 50 Prozent des Wirtschaftsstroms wird mittlerweile keine EEG-Umlage mehr gezahlt, da die entsprechenden Unternehmen davon ausgenommen sind. Deshalb ist das nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Sie belasten die kleinen, mittelständischen Unternehmen, die Handwerker. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: So ist es! Schämt euch! – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Pfui!) Das ist die Politik der FDP – nicht mehr und nicht weniger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Kennen Sie den Unterschied zwischen Beantragung und Genehmigung?) – Es geht nicht um Beantragung und sonst etwas, sondern schon jetzt sind es 800 Ausnahmen, und im nächsten Jahr werden es mindestens 1 800 bis 2 000 sein. Deshalb sage ich zu den Durchleitungsgebühren für die Nutzung der Netze: Auch das, was Herr Rösler in diesem Punkt macht, ist eine absolute Unverschämtheit. In diesem Jahr gibt es für 1 400 Unternehmen eine Ausnahme, für das nächste Jahr haben weitere 1 600 Unternehmen eine Ausnahme beantragt. Ich sage: Hier erleben wir eine Klientel- und Lobbypolitik zulasten der Verbraucher. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Höhn, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, in diesem Fall von der Kollegin Homburger? Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber bitte, gerne, Frau Homburger. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragenstellen gilt nicht!) Birgit Homburger (FDP): Frau Kollegin Höhn, meine erste Frage: Stimmen Sie mir zu, dass es einen Unterschied zwischen einer Genehmigung und einer Beantragung gibt? Meine zweite Frage: Sind Sie sich sicher, dass es derzeit 800 Unternehmen sind? Ist es nicht vielmehr richtiger, dass es exakt 735 Unternehmen sind? Meine dritte Frage, Frau Kollegin Höhn: Trifft es zu, dass diese 735 Unternehmen, für die derzeit eine entsprechende Ausnahme gilt, ausschließlich auf der Grundlage eines Rechts ausgenommen sind, das Sie beschlossen haben? (Beifall bei der FDP) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, Frau Homburger, da stimme ich Ihnen nicht zu; denn das, was wir damals beschlossen haben, war etwas wesentlich anderes. Wir haben damals wirklich nur die energieintensiven Betriebe ausgenommen, indem wir einen Verbrauch von mindestens 10 Gigawattstunden und einen Anteil der Stromkosten an der Bruttowertschöpfung von mehr als 20 Prozent gefordert haben. Sie haben die Grenze von 10 Gigawattstunden dagegen auf 1 Gigawattstunde gesenkt und nur einen Anteil der Stromkosten von über 14 Prozent verlangt. Das führt genau dazu, was Herr Becker angesprochen hat. Wenn Unternehmen merken, dass sie knapp unter der 14-Prozent-Schwelle liegen, dann lassen sie die Motoren über Weihnachten wirklich wie verrückt laufen, um über diese 14 Prozent zu kommen. Dann können sie für beispielsweise 3,5 Gigawatt, die sie verbrauchen, die Ausnahmen beantragen. Das ist die Situation. Das ist der Punkt: Es geht nicht um Energieeinsparung, sondern darum, Energie zu verschwenden, um in den Genuss der Ausnahmeregelung zu kommen. Dafür sind Sie verantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Pfui! Schämt euch! – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das ist ja hanebüchen!) Was wir nicht machen können, ist, dass wir bei jeder Strompreiserhöhung hingehen und sagen: Wir werden helfen, indem wir die Erhöhung durch Subventionen gegenfinanzieren. – Der Antrag der Linken scheint auf den ersten Blick den Betroffenen zu helfen. Das wird aber nicht funktionieren. Es wird sogar zu einem Effekt führen, der dem entgegengesetzt ist, den sie erzielen wollen. In der Summe wird das dazu führen, dass die großen Energieversorger genau das, was durch Subventionen gegenfinanziert wird, in die eigene Kasse wirtschaften, sich bei den Verbrauchern aber kein positiver Effekt einstellt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben in mehreren Studien – ich freue mich, dass Sie unsere Studien so gut lesen; Sie haben ja die entsprechenden Zahlen präsentiert – nachgewiesen, dass die großen Energiekonzerne Ersparnisse aus Kostensenkungen gerne für sich behalten, aber Kostenerhöhungen immer gern an die Verbraucher weitergeben. Deshalb wird eine solche Subventionierung nicht funktionieren. Sie wird am Ende den Staat sogar überfordern; (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Genau! – Widerspruch der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) denn nach der ersten Subventionierung wird sofort die nächste Preiserhöhung kommen. Dagegen kommen Sie nicht an. Die Lösung ist einfach: „Einsparen, einsparen, einsparen“. Jede eingesparte Kilowattstunde ist besser und billiger als eine verbrauchte Kilowattstunde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb muss ich auch sagen, Herr Bareiß: Das, was Sie hier von der Bundesregierung Richtung Einsparungen gemacht haben, ist unter aller Sau. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Kinderkram!) De facto haben Sie das ganze Thema Energieeffizienz nicht angepackt. Wir müssen ja im Prinzip davon ausgehen, dass es bei den Leuten, die von den Energiekosten verstärkt betroffen sind, nicht nur um die Kosten für Strom geht, sondern auch um die Kosten für Kraftstoff und auch um die Kosten für Wärme geht. Wenn man sich all das einmal ansieht, dann kann man nur sagen: Sie haben die Energieeffizienzrichtlinie nicht richtig umgesetzt. Herr Rösler hat sie verwässert. Das ist der Punkt. Die Energieeffizienzrichtlinie ist nicht ehrgeizig umgesetzt worden. Ein anderes Thema ist die Besteuerung des CO2-Ausstoßes bei Autos. Sie sind diejenigen, die für die Spritschlucker aus Deutschland kämpfen. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ja, Baden-Württemberg!) Und bei dem Energieeffizienzfonds, den Sie ein-gerichtet haben, werden die Mittel noch nicht einmal vollständig abgerufen. 2011 standen Haushaltsmittel in Höhe von 70 Millionen Euro zur Verfügung, davon sind 3 Millionen Euro abgerufen worden. 2012 standen Haushaltsmittel in Höhe von 35 Millionen Euro zur Verfügung, davon sind nur 3 Millionen Euro abgerufen worden. Warum wurde nicht mehr abgerufen? Weil die Förderrichtlinie nicht verabschiedet worden ist. Sie wollen keine Energieeffizienz. Das ist doch der Punkt. Das geht so nicht weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch wir wollen in der Tat den Betroffenen helfen, aber nicht mit Sozialtarifen, sondern wir wollen Spar-tarife. Wir wollen immer eine Einsparkomponente dabeihaben; denn wir werden nur dann das Problem lösen, wenn wir wirklich sagen: Wir wollen einsparen. Wir wollen weg vom Öl. Wir müssen uns von den teuren Energiekosten abkoppeln. Das können wir nur dadurch, dass wir wirklich Energie einsparen. Das muss der Weg sein; denn nur er wird zum Erfolg führen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Frau Höhn, „unter aller Sau“ ist nun nicht die Formulierung, die ich hier an diesem Pult wählen würde. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich komme aus dem landwirtschaftlichen Bereich!) Aber wenn ich sie wählen würde, würde ich sie auf diese Haltet-den-Dieb-Debatte beziehen, die die Grünen hier abziehen, auf diese Feigenblattdiskussion, die Sie hier führen. Uns die Kostensteigerungen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien einfach so mir nichts, dir nichts in die Schuhe schieben zu wollen, (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch so! – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ist doch richtig! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ist doch so!) das ist, wenn Sie so wollen, unter aller Sau. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zunächst einmal komme ich zu dieser Mär, die im Zusammenhang mit der EEG-Umlage verbreitet wird: Es geht um 5,227 Cent. Von diesen 5,227 Cent geht 1 Cent auf die Befreiungen von der EEG-Umlage zurück. Von diesem 1 Cent geht 0,1 Cent zurück auf die Befreiungstatbestände, die wir zum 1. Januar dieses Jahres neu beschlossen haben. (Dirk Becker [SPD]: Das wissen wir doch!) Die übrigen 0,9 Cent beziehen sich ausschließlich auf die Rechtsgrundlage, die Sie seinerzeit unter Herrn Trittin geschaffen haben. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. Erik Schweickert [FDP]: So ist es!) So viel Anstand muss doch sein, dass man das zunächst einmal zur Kenntnis nimmt und dass man dann sagt: Jawohl, das haben wir richtig gemacht. – Im Übrigen haben das Herr Trittin und andere mehrfach so gesagt. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn? Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herzlich gerne. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Nüßlein, Sie haben zu Recht eben die richtige Zahl genannt. Die Kosten für die gesamten Ausnahmen im EEG betragen 4,4 Milliarden Euro. Das entspricht ungefähr 1 Cent. Geben Sie mir recht, dass die Aufblähung um 4 Milliarden Euro auf jetzt 4,4 Milliarden Euro Wirtschaftsminister Glos, sein Nachfolger zu Guttenberg, der Wirtschaftsminister Brüderle und sein Nachfolger Rösler verursacht haben? Ist das richtig, ja oder nein? (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Nein!) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Wenn Sie formulieren, dass wir das nicht geändert haben, was Sie seinerzeit ins Gesetz geschrieben haben, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie ja verändert!) weil es richtig war, was Sie ins Gesetz geschrieben haben, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) dann würde ich das an Ihrer Stelle nicht beklagen. Da geht es nicht um die Frage, wer verantwortlich ist. Wir sind dafür, diese Befreiungen zu machen. Dahinter stehen wir auch, mit Verlaub. Es ist doch richtig, die energieintensive Industrie in diesem Land zu befreien. (Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz) – Sie dürfen gern noch stehen bleiben, ich bin immer noch bei der Beantwortung Ihrer Frage. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie beantworten ja gar nicht mehr meine Frage!) Es ist also richtig, die energieintensive Industrie von den Kosten für die Umlage zu befreien. Wenn die Wirtschaftsminister das mittragen, ist es doppelt richtig. Das ist Aufgabe eines Wirtschaftsministers, für entsprechende Befreiungen zu sorgen. Sie geben auch zu, dass wir über diesen 1 Cent reden. Sie tun aber so, als seien die 5,227 Cent Ausnahmetatbeständen geschuldet. Das ist eben falsch. Geschuldet sind diese 5,227 Cent im Wesentlichen eben der Tatsache, dass Sie mit der Photovoltaik zu früh und zu teuer an den Markt gegangen sind. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage nicht, dass die Photovoltaik darin nichts verloren hätte, aber Sie haben es zu früh und mit 50 Cent zu teuer gemacht. Davon wieder herunterzukommen, ist das mühsame Unterfangen, dem wir uns die ganze Zeit stellen mussten. Wir mussten dafür sorgen, dass das ging – gegen Widerstände, gegen Schwierigkeiten. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Och, Sie Armer!) Wir standen auch vor der Problematik, dass – das sehen wir selbst – man nicht mittendrin einen Stopp machen kann, weil dann, wenn man alles infrage stellt, man die Branche an die Wand fahren ließe. Aber wenn Sie es nicht zu früh und zu teuer gemacht hätten, wäre die Welt in dieser Hinsicht eine ganz andere, und wir würden nicht über die – wenn Sie so wollen – 4,2 Cent reden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Fell? Das hätte den Vorteil, dass ich die Uhr wieder anhalten könnte, weil sich die Kollegin Höhn hingesetzt hatte und ich die Uhr weiterlaufen lassen musste. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herzlich gern, aber ich wundere mich, dass sich die Kollegin während der Beantwortung ihrer Frage einfach hinsetzt und sagt: Aus meiner Sicht ist die Frage jetzt beantwortet. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben meine Frage ja nicht mehr beantwortet! – Olav Gutting [CDU/CSU]: Kein Stehvermögen!) Lassen Sie mich den einen Gedanken noch formulieren, dann darf der Kollege Fell die Frage stellen. Sie haben eine Befreiung für die energieintensive Industrie bei Differenzkosten von 0,2 Cent eingeführt. Heute sind wir beim 26-fachen dessen. Und Sie lamentieren, dass wir zusätzlich noch einen kleinen, energieintensiven Teil des Mittelstands in die Ausnahmeregelung aufgenommen haben. Kollege Fell, jetzt freue ich mich auf Ihre Frage. Vizepräsidentin Petra Pau: Dann hat jetzt der Kollege Fell das Wort. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Nüßlein, Sie haben gerade behauptet, dass die Struktur des EEG, das damals unter Rot-Grün gesetzt und verabschiedet wurde und das bis heute weitergilt, die derzeitigen Preissteigerungen verursachen würde. Ist Ihnen bekannt, dass es, seitdem Rot-Grün nicht mehr an der Regierung ist, mehrfach Gesetzesnovellen gab? Unter anderem wurde beispielsweise der Umlagemechanismus 2009 verändert, was dazu geführt hat, dass der Ökostrom an der Börse aufläuft und damit die Merit Order sinkt. Indem also die Basis für die Berechnung der EEG-Umlage um 0,9 Cent gesenkt wurde, kam es zu einem Aufschlag bei der EEG-Umlage um 0,9 Cent. Dies ist nicht unter Rot-Grün gemacht worden. Ist Ihnen bekannt, dass es eine Befreiung von Eigenstromerzeugungsanlagen gegeben hat, wodurch sogar ganze Unternehmen Dreckschleudern wie Kohlekraftwerke ans Netz genommen haben? Auch solche Befreiungstatbestände haben zu einer deutlichen Erhöhung der EEG-Umlage geführt. Ist Ihnen bekannt, dass die Liquiditätsreserve auf ein Maß erhöht wurde, das nicht notwendig ist, aber wodurch die EEG-Umlage nach oben getrieben wurde? Es gibt eine große Menge zusätzlicher Folgen, die Sie seit dem Ende von Rot-Grün in Ihren verschiedenen EEG-Novellen verursacht haben. In einem Jahr ist die EEG-Umlage nun um etwa 1,7 Cent gestiegen, wobei der Zubau erneuerbarer Energien davon nur 0,5 Cent ausmacht. Die restlichen 1,2 Cent gehen auf Ihre verfehlten Novellierungen der EEG-Umlage zurück und sind damit eindeutig der Preistreiberei der schwarz-gelben Koalition geschuldet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Kollege Fell, ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie den entscheidenden Punkt, den EEG-Berechnungsmechanismus, angesprochen hätten, ohne dabei unnötigerweise Schuldzuweisungen vorzunehmen. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Ihre Novelle gewesen!) Ich bin nämlich der Überzeugung, dass der EEG--Berechnungsmechanismus überarbeitet werden muss, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin!) weil mit dem zusätzlichen Aufkommen an erneuerbaren Energien in der Tat der Druck auf die Börse wächst. Das ist der Merit Order bzw. der Tatsache geschuldet, dass wir bei Wind- und Solaranlagen keine variablen Kosten haben. Der Druck auf die Börse, der dabei entsteht, führt dann dazu, dass sich die Differenzkosten auch in -Zukunft auseinanderentwickeln, egal wie stark der Druck ist, den wir auf die Vergütungssätze ausüben. Deshalb muss in diesem Punkt in der Tat eine Überarbeitung stattfinden. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir doch schon seit Jahren! Warum haben Sie es nicht gemacht?) – Wenn Sie das wissen, ist das schön. Der entscheidende Punkt ist aber: Wir müssen es letztendlich auch machen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Dann machen Sie es auch endlich!) Das ist nicht einfach, weil sofort die Sorge entsteht, wir wollten an der Stelle tricksen. Das wollen wir nicht, sondern wir wollen letzten Endes, wie es der Kollege Fell, den ich als sehr honorig schätze, die richtigen Differenzkosten benennen. Das muss unser Anliegen sein. Es darf nicht automatische Strompreiserhöhungen durch die Versorger geben. Deshalb nehme ich diesen Ball gerne auf, spiele ihn weiter und sage: Lassen Sie uns das Thema weiter verfolgen. Mit mir kann man immer reden, meine Damen und Herren, wenn man das Thema fair angeht. Aber uns wie heute Morgen in der Offshoredebatte in die Schuhe zu schieben, wir seien erkennbar die Kostentreiber, (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist es ja! – Zurufe von der SPD) ist – darin geben Sie mir doch sicherlich recht – Quatsch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wer hat denn, mit Verlaub, seinerzeit dafür gesorgt? Das war doch Sigmar Gabriel. Ich war bei den Verhandlungen dabei. Er hat dafür gesorgt, dass wir die Verpflichtung zum Anschluss von den Projektanten weg zu den Netzbetreibern verlagert haben. Die Netzbetreiber wurden zwangsweise beauflagt, das zu tun. Jetzt können wir doch nicht einfach darauf verzichten, Risikoteilungsregelungen zu schaffen, und sie in Insolvenz gehen lassen. Ich kann mir vorstellen, was Sie dann zu dem Thema -gesagt hätten. Ein Aufschrei wäre durch die Reihen gegangen: Da sieht man es mal wieder! Die wollen die Energiewende nicht! – So einfach machen Sie es sich nämlich üblicherweise. Das ist alles komplett Nonsens. Sie wissen, dass es technisch sehr aufwendig ist, wenn man Offshorewindkraftanlagen bis zu 150 Kilometer vor der Küste errichtet – das macht übrigens niemand außer uns so –, und Geld kostet. Wenn man dafür ist, die Anlagen so weit draußen zu errichten, dann kann man doch nicht so tun, als könne man nichts für die Kosten. Das muss man auch in aller Klarheit sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was die ganze Debatte um Einsparungen beim Strom angeht, sollten Sie einen Blick in die Statistiken werfen, die die Realität zeigen. Die Einsparungen beim Strom sind minimal und vernachlässigbar. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie mal Herrn Altmaier! Er erzählt etwas anderes!) Ich bin froh, dass es uns gelingt, Wirtschaftswachstum und Anstieg beim Stromverbrauch zu entkoppeln. Das ist schon eine grandiose Leistung. In der Tat – das stimmt – liegt das große Potenzial der Energieeffizienz bei der Wärme. Ich will es nicht ständig wiederholen – Sie haben es schon oft genug gehört –, aber weil Sie offenkundig nichts tun, sage ich Ihnen: Wenn Sie etwas für die Energieeffizienz tun wollen, dann sorgen Sie dafür, dass sich die Länder an der Stelle bewegen und dass das steuerlich endlich vorankommt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Noch ein paar Sätze zu dem, was ich von der Linken gehört habe. Ich hatte schon lange gewartet, dass die Ideen kommen, was man jetzt alles tun müsste, etwa -Sozialtarife einzuführen und anderes. Jetzt kommt der Druck von unten, von der anderen Seite. Auch da führen wir eine Verteilungsdiskussion. Ich kann an Ihren Ausführungen nicht erkennen, nach welchen Kriterien Sie regeln wollen, dass die einen den Strom bezahlen und die anderen nicht. (Zurufe von der LINKEN) Vielleicht müssen diejenigen, die die Linke wählen, nicht bezahlen. Ich weiß es nicht. Erklären Sie es mir! Nach welchem Kriterium soll der eine Blödmann den Strom bezahlen, während der andere sagen darf: Das mag ich nicht; das kann ich nicht; das tue ich nicht. – Das erschließt sich mir in keinster Weise. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Zum Steuerzahler sagen Sie „Blödmann“! Nüßlein, das geht doch nicht! Halten Sie die Steuerzahler für blöd? Wer sein Geld zahlt, ist doch kein Blödmann!) – Ein Blödmann ist in dieser Geschichte der eine, der zahlt, wenn der andere nicht zahlen muss. Das bezeichne ich in meiner Sprache als Blödmann, und das ist er nur nach Ihrem System. Ich bin der Meinung, dass diejenigen, die ordnungsgemäß zahlen, die Anständigen sind. Denjenigen, die eine Mahnung mit entsprechender Androhung bekommen – so ist nämlich die Rechtslage – und nach vier Wochen immer noch nicht zahlen, klemmt man in Deutschland kurzfristig den Strom ab. Ich sage ausdrücklich „kurzfristig“, weil das relativ schnell zurückgenommen wird. Ich weiß nicht, warum Sie jetzt plötzlich Energie-versorger zu Sozialhilfeträgern deklarieren wollen. (Zurufe von der LINKEN) Das erschließt sich mir in keinster Weise. Nach unserem Verständnis ist der Sozialhilfeträger für diejenigen zuständig, die nicht zahlen können. Das ist beim Arbeits-losengeld II bzw. bei der Sozialhilfe einkalkuliert und wird mit überwiesen. Mit dem Geld kann man dann den Strom bezahlen. (Zurufe von der LINKEN) Die Energieversorger und andere sind dafür nicht verantwortlich. Ich wünschte mir, dass wir zum Thema Zahlungs-moral eine andere Einstellung entwickeln. (Zuruf der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Bei manchen Herrschaften in dieser Republik fehlt es da gewaltig – das muss man einmal sagen –, weil man es nicht sanktioniert. Die Versorger haben die Chance, dieses Verhalten zu sanktionieren, indem sie den Strom kurzfristig abschalten. Dann wird bezahlt. Das zeigt die Erfahrung. Das ist auch gut so, weil die anderen auch bezahlen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Klaus Breil das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Breil (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition versucht, uns mit ihrem Antrag weiszumachen, dass allein die Befreiung für Unternehmen Grund für die hohen Strompreise ist. (Dirk Becker [SPD]: Stimmt doch überhaupt nicht! Einmal lesen!) Auch Herr Kelber – leider ist er nicht mehr anwesend; vorhin saß er hier noch – hat das diese Woche schon wieder per Twitter in die Welt posaunt. Diese Causa Kelber möchte ich Ihnen einmal erklären. Herr Kelber vermischt – wahrscheinlich weil er es nicht besser weiß – zwei Sätze in Abs. 2 der besagten Verordnung. Der eine, der zweite Satz, räumt tatsächlich eine komplette Befreiung für solche Unternehmen von Netzentgelten ein, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen 7 000 Stunden pro Jahr Strom abnehmen und das in einem Umfang von 10 Gigawattstunden. Damit erbringen diese Unternehmen eine Dienstleistung. Sie stabilisieren das Netz durch eine bessere Vorhersehbarkeit. Durch das wiederholte Behaupten von Herrn Kelber aber, dass der Golfplatz, von dem er immer spricht, vollständig von den Netzentgelten befreit wäre, glaubt heute jeder, ein Golfplatz verbrauchte so viel Strom wie eine Aluminiumhütte. (Dirk Becker [SPD]: Quatsch! Glauben Sie vielleicht! Meine Güte!) Glauben sie mir: Das ist nicht so. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das, was Herr Kelber meinte, wovon sein Golfplatz Nutzen hatte, ist der erste Satz von Abs. 2 der Verordnung. Danach können die Unternehmen, die durch Lastmanagement bei ihrer Höchstlast Hochlastzeiten des Netzes vermeiden, individuelle Netzentgelte mit ihren Verteilnetzbetreibern aushandeln. Diese individuellen Netzentgelte variieren je nach Spannungsebene und Beitrag zur Stabilisierung zwischen 20 und 99 Prozent der veröffentlichten Netzentgelte. Herr Kelber kann jetzt argumentieren, dass sein Einwand bestehen bleibe und der Golfplatz keinem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sei. Das trifft aber auf das Amos-Comenius-Gymnasium in Bonn, den Caritasverband für die Stadt Bonn, das Seniorenheim ELIM in Bonn und die Bonner Zeitungsdruckerei auch nicht zu. Diese vier Unternehmen aus dem Wahlkreis von Herrn Kelber haben ebenso wie besagter Golfclub einen Antrag auf individuelle Netzentgelte gestellt. Ich möchte sehen, was Herr Kelber als Aufsichtsratsmitglied beim Mutterunternehmen SWB des Netzbetreibers, der diese Verträge abschließt, den Menschen vor Ort sagen wird. Sagt er wirklich: „Ihr, Schule, Kirche, Seniorenheim, Printmedien, auch wenn ihr mit euren Maßnahmen zur Stabilisierung des Netzes beitragt, bekommt keine Ermäßigung“? Wer ist denn immer für Dezentralität? Hier können auch kleinere Einrichtungen oder Betriebe ihren Beitrag zur Energiewende leisten. Demjenigen, der sagt, dass er eigentlich nur die Komplettbefreiung für Großverbraucher so unerhört findet, dem sage ich, dass die städtische Abfallverwertung in Bonn auch nicht im internationalen Wettbewerb steht. Erstaunlich! Trotzdem profitiert sie von der Regelung und damit jeder Steuerzahler der Stadt Bonn. (Dirk Becker [SPD]: Aber das ist nicht Sinn und Zweck! – Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Freuen Sie sich doch! Seien Sie nicht so doppelzüngig. Oder Herr Kelber stelle sich vor die 200 Mitarbeiter im Glaswerk Weck in Bonn-Duisdorf und erkläre ihnen, dass er deren Arbeitgeber ebenso verurteilt, wie er es mit jedem anderen Unternehmen tut, das von dieser Regelung profitiert. (Zurufe der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Becker, bitte geben Sie meine Erläuterungen speziell an Herrn Kelber weiter. Danke sehr. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dirk Becker [SPD]: Nein! Für den Mist können Sie mich nicht in Anspruch nehmen! Ist ja unter-irdisch! – Weiterer Zuruf von der SPD: -Zugabe!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11655 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke, also Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11656 mit dem Titel „Strompreiserhöhung aussetzen – Faire Strompreise für alle“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt. Zusatzpunkt 7 b: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 17/11719. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9729 mit dem Titel „Für ein konzeptionelles Vorgehen der Bundesregierung bei der Energiewende – Masterplan Energiewende“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11004 mit dem Titel „Kosten und Nutzen der Energiewende fair verteilen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des -Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11030 mit dem Titel „Bezahlbare Energie -sichern durch Einsparung, Erneuerbare und mehr Verbraucherrechte“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten -Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 – Drucksache 17/11314 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/11717 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Mathias Middelberg Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Barbara Höll Dr. Thomas Gambke – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11718 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider (Erfurt) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) Interfraktionell ist vereinbart, die Reden zu Protokoll zu nehmen.4 Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten -Gesetzentwurf zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09. Der -Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11717, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/11314 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der -Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Schwabe, Ulrich Kelber, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimakonferenz Doha – Kein internationaler Erfolg ohne nationale Vorreiter – Drucksache 17/11651 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Andreas Jung (Kon-stanz), Marie-Luise Dött, Michael Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Meierhofer, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die UN-Klimakonferenz in Doha – Globalen Klimaschutz wirksam vorantreiben – Drucksachen 17/11514, 17/11714 – Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz) Frank Schwabe Michael Kauch Dr. Hermann E. Ott c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierung Aktionsplan Anpassung der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel – Drucksache 17/6550 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Frank Schwabe für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Frank Schwabe (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen. Erste Vorbemerkung. Wir wollen einmal abwarten, was bei der Konferenz in Doha herauskommt. Was auf jeden Fall herauskommen wird, ist Kioto II, eine Verlängerung des Kioto-Abkommens. Ich will an dieser Stelle schon einmal für die Sozialdemokratie sagen: Wir werden im nächsten Jahr eine Ratifizierung vornehmen müssen. Unser Ziel ist sicherlich, dass das möglichst schnell im deutschen Parlament geschieht. Wir werden vonseiten der SPD alles tun, damit es schnell dazu kommt und damit wir ein positives internationales Signal aussenden können. Umso absurder ist es – da sind wir uns jedenfalls bei den Umweltpolitikern bestimmt einig –, dass keine Delegation des Deutschen Bundestages in Doha dabei sein wird. Es werden lediglich einzelne Abgeordnete vor Ort sein. Ich finde es schon ziemlich absurd, was ich heute dazu in der Presse lesen konnte, dass nämlich das Präsidium des Bundestages behauptet, es handele sich um eine Regierungskonferenz, bei der Parlamentarier an den Verhandlungen gar nicht teilnehmen könnten. Das ist sozusagen die Begründung dafür, dass keine Delegation des Deutschen Bundestages vor Ort ist. Ich bin es langsam wirklich leid. Wir führen jetzt seit sieben Jahren immer wieder dieselben Debatten. Wir brauchen einmal eine grundsätzliche Diskussion darüber, wann Reisen eigentlich sinnvoll sind. An dieser Stelle wäre die Reise einer Delegation garantiert sinnvoll. Die Debatten, die man in Doha führen könnte – sozusagen im Hotspot der internationalen Klimadiplomatie –, kann man sonst nirgends führen. Gerade weil dieses Parlament auch das Abkommen noch ratifizieren soll, macht es doch erst recht Sinn, dass wir mit dabei sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Zweite Vorbemerkung. Wir diskutieren hier über den Begriff der Energiewende. Wir haben unterschiedliche Interpretationen darüber, wer wann für welche Energiewende verantwortlich war. Ich will Ihnen trotzdem zusagen, dass wir in Doha gemeinsam versuchen werden, die deutsche Energiewende zu erklären. An dieser Stelle hört allerdings die Gemeinsamkeit auf, weil ich glaube, dass wir die Energiewende deutlich konsequenter und eindeutiger vertreten, als Sie es in den Reihen der schwarz-gelben Koalition tun. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Quatsch!) Am Wochenende konnte man – ich kann jetzt nicht alles zitieren, was da geschrieben wurde – in der Süddeutschen einen Kommentar von Herrn Bauchmüller lesen. Eine Zwischenüberschrift lautete: „Erderwärmung? Nicht so dringend. Erst mal die FDP retten“. An dieser Stelle möchte ich in Richtung der Freien Demokratischen Partei sagen: Dieses Maß an Verantwortungslosigkeit, mit der Sie ein so wichtiges Themas für Ihr parteipolitisches Interesse in Geiselhaft nehmen, hätte ich selbst Ihnen nicht zugetraut. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absolut!) Es ist eine absurde Situation: Wir beraten hier im Deutschen Bundestag Anträge zur Klimakonferenz in Doha. Eigentlich müssten Sie von der Koalition Herrn Altmaier den Rücken für die Reise nach Doha stärken. Ich bin mir ziemlich sicher: Wenn er die Wahl hätte zwischen den Anträgen, die auf dem Tisch liegen – dem rot-grünen Antrag und dem Antrag der Koalition –, dann würde er sich den rot-grünen Antrag aussuchen. Das ist bezeichnend für Ihre Politik. Sie stehen in der Europäischen Union für eine Blockadepolitik in allen Energiefragen und in allen Klimaschutzfragen. Sie blockieren die Energieeffizienzrichtlinie. Sie blockieren das Zustandekommen einer vernünftigen Lösung im Bereich der Teersande. Mittlerweile geht in -Europa das Wort um – zumindest bei klimapolitischen Fragen –, dass Deutschland das Land der Enthaltungen sei. Eine Vorreiterrolle, die wir alle einmal für Deutschland reklamiert haben, ist längst passé. Das hat mit Ihrer Regierung zu tun, mit der schwarz-gelben Blockadepolitik und Ihrer Unfähigkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Man könnte die Themen jetzt weiter durchgehen. Es geht hier aber um die internationale Klimapolitik. Auch beim Fracking und anderen Themen gibt es Kleinkriege zwischen dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium; es sind keinerlei Fortschritte zu verzeichnen. Ich frage mich wirklich, wie Sie es verantworten können, einen Umweltminister wie Herrn Altmaier, der sich redlich bemüht – das will ich ihm unterstellen –, nach Doha zu schicken und ihn dort sozusagen rückgratlos stehen zu lassen. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Er hat selber Rückgrat!) Es gibt einen Zehn-Punkte-Plan von Herrn Altmaier, mit dem man sich einmal im Einzelnen auseinandersetzen könnte. Vieles ist nicht eingehalten worden. Er hatte angekündigt, dass es bis Ende September eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung zu den Themen Klimaschutz und Emissionshandel gebe. Ende September ist lange vorbei. Nun stehen Entscheidungen in der Europäischen Union an, aber wir haben eine heillos zerstrittene Bundesregierung. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern – die Kanzlerin würde wahrscheinlich sagen: der kundige Thebaner weiß es; sie selbst kann es übrigens auch wissen –: Der Emissionshandel der Europäischen Union funktioniert nicht. Er kann so auch gar nicht funktionieren. Dies ist die Ursache dafür, dass Ihre dahingestolperte Energiewende vollkommen unterfinanziert ist. Er setzt keine Anreize für eine effiziente Klimapolitik in Europa. Er lässt die europäische Wirtschaft – wenigstens diese müsste Ihnen eigentlich am Herzen liegen – zurückfallen im weltweiten Wettbewerb um eine zukunftsfähige und effiziente Energieproduktion. Wirklich pervers daran ist, dass Herr Rösler mit seiner Art von Wirtschafts-, Klima- und Energiepolitik dafür sorgt, dass die Zweifel an der Funktionsfähigkeit eines marktwirtschaftlichen Instrumentariums wie des Emissionshandels generell wachsen. (Judith Skudelny [FDP]: Quatsch! Er ist der Einzige, der es verteidigt!) Der italienische Umweltminister ist mittlerweile so weit, zu sagen: Der Emissionshandel ist gescheitert. Wir brauchen eine CO2-Steuer, um in der Europäischen Union vernünftige Signale zu senden. – Das ist das Ergebnis der Politik Ihres Umweltministers. Ihr Haushalt ist unterfinanziert. Sie korrigieren ständig Ihre eigenen Ziele. Der Handelspreis für ein Emis-sionszertifikat liegt mittlerweile nur noch bei gerade einmal 6 Euro. Sie hatten einmal 17 Euro veranschlagt, dann 10 Euro, jetzt sind wir bei 6 Euro. Ihre Energiewende kann damit nicht vernünftig finanziert werden. Am Ende geht es aber nicht um Herrn Rösler und auch nicht um Herrn Altmaier, sondern es geht um die Kanzlerin. Wir können uns alle an die Bilder erinnern, wie sie mit Sigmar Gabriel im Eis war, wie sie Pirouetten auf unterschiedlichen Gipfeln gedreht hat – dies alles zu einem Zeitpunkt, als das Thema Klima ausreichend öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hat. Jetzt, zu einem Zeitpunkt, zu dem zugegebenermaßen die Öffentlichkeit nur noch bedingt hinschaut, ist ihr das Thema ziemlich egal. Ich finde, das ist eine prinzipienlose Politik. Am Ende ist die Kanzlerin dafür verantwortlich, dass Herr Altmaier als gerupftes Huhn nach Doha fahren muss. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Absurd wird es, wenn mittlerweile Unternehmen die Bundesregierung auffordern, tätig zu werden und für eine effizientere und ambitioniertere Klimapolitik in der Europäischen Union einzutreten. (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) Ich bin weit davon entfernt, dass ich hier bestimmte Energieversorger besonders loben möchte. Ich finde aber, man sollte es schon einmal erwähnen: EnBW sagt, dass es aus Sicht von EnBW wesentlich sei, das EU-Klimaziel für 2020 auf 30 Prozent anzuheben. Es gibt ein gemeinsames Papier von einer Reihe von Unternehmen, die für ein 30-Prozent-Ziel in der Europäischen Union eintreten. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem die Vorstandsvorsitzenden von EnBW, -Vattenfall Europe, Deutsche Bahn, Deutsche Telekom, Otto Group, Burda und Puma. Außerdem gibt es eine gemeinsame Position zum sogenannten Backloading. Ich will das hier nicht ausführlich erläutern; denn das ist viel zu kompliziert. (Zuruf von der CDU/CSU: Das verstehen Sie nicht!) Es ist zwar kein ausreichendes Mittel hinsichtlich des europäischen Klimaschutzes, aber immerhin eine Maßnahme, um den Preis vorübergehend zu stabilisieren. Das ist unterschrieben worden von Shell, Eon und -Alstom. Bei Ihnen allerdings verfängt das nicht. Ich muss das wirklich sagen. Herr Rösler führt sich auf wie ein kleiner beleidigter Junge, dem man jedes Argument vortragen kann, ohne dass es ihn interessiert. Es ist absurd, dass die Kanzlerin ihn nicht zur Ordnung ruft und auch keine Anstalten unternimmt, dies zu tun. Ich sage es Ihnen noch einmal: Nehmen Sie den Antrag von Rot-Grün, Herr Altmaier. Damit können Sie in Doha mit gutem Gewissen auftreten. Mit dem Antrag von Schwarz-Gelb werden Sie sich nur blamieren. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Andreas Jung für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Weltklimakonferenz in Doha hat begonnen. Wir können sagen: Es hat wieder einmal eine Weltklimakonferenz begonnen. Wir stellen ein Stück weit mit Enttäuschung und Frustration fest, dass das rasante Fortschreiten des Klimawandels einerseits nicht passt zu den kleinen Schritten andererseits, die im internationalen Klimaprozess in den vergangenen Jahren gemacht werden konnten. Für mich ist nur wichtig, dass diese Enttäuschung, diese Frustration nicht in Resignation umschlägt, sondern dass wir sie in positive Energie umwandeln und daraus den Schwung mitnehmen und sagen können: Wir wollen auch bei dieser Konferenz das Bestmögliche he-rausholen. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Darum fahren wir doch hin!) Wir wollen so große Schritte machen wie möglich. Das kommt in dem vorliegenden Antrag zum Ausdruck. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann geben Sie dem Minister doch einen ordentlichen Antrag mit!) Unterstützen wir den Bundesumweltminister Peter Altmaier in dem, was er bei dieser Konferenz erreichen will. Erstens. Das Langfristziel bleibt in allererster Linie der Abschluss eines international verbindlichen Abkommens, (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch! Das funktioniert doch nicht, Herr Jung!) bei dem alle mitmachen: die großen Emittenten, die Industriestaaten, die Schwellenländer und die Entwicklungsländer. Wir haben das letzte Jahr verstreichen lassen, ohne dass energisch genug verhandelt wurde. Jetzt muss das Signal sein: Es muss mit Priorität verhandelt werden. Es darf keine weitere Zeit verloren gehen. 2015 kommt schneller, als man denkt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zweitens geht es darum, kurzfristig dafür Sorge zu tragen, dass es nach der ersten Kioto-Periode einen geordneten Übergang gibt. Wir brauchen die zweite Verpflichtungsperiode. Sie muss acht Jahre dauern, damit bis 2020 eine Brücke geschlagen werden kann. Es muss eine Brücke sein, die durch Ambition und durch Umweltintegrität gekennzeichnet ist und nicht durch heiße Luft. Deshalb dürfen überschüssige Zertifikate aus dieser Periode nicht in die nächste Periode mitgeschleppt werden. Nur dann kann Klimaschutz mit dem notwendigen Nachdruck fortgeführt werden. Auch dafür hat der Bundesumweltminister unsere Unterstützung. Drittens geht es um das Thema Finanzen. Der Klimafonds wurde auf den Weg gebracht, aber jeder Klimafonds ist nur so gut, wie das Geld, das drin ist. Deshalb erwarten wir, dass auf der Konferenz klargemacht wird: Die Industriestaaten stehen zu ihren Zusagen. – Damit steht und fällt im Übrigen auch die Glaubwürdigkeit. Deshalb muss sichergestellt werden, dass bis 2020 100 Milliarden US-Dollar tatsächlich in dem Topf enthalten sind. Da haben Deutschland und Europa eine besondere Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Herr Ott hat gerade auf die kontrovers diskutierten Punkte hingewiesen. Die Bundesregierung hat unsere Unterstützung. Gleichzeitig haben wir die klare Erwartung an die Bundesregierung, dass die Vorreiterrolle, die Deutschland und Europa immer hatten, konsequent fortgeführt wird, und zwar mit glasklaren Positionen. Ich will zwei Aufgaben nennen. Da ist erstens die Anhebung des CO2-Zieles auf 30 Prozent in Europa. Dieses Ziel wurde immer noch nicht vereinbart. Wir, jedenfalls die Kolleginnen und Kollegen im Umweltausschuss, werben seit langer Zeit dafür. Es muss jetzt passieren. Wir haben jetzt schon 18 Prozent von 20 Prozent erreicht, das heißt, es geht um 2 Prozentpunkte in den verbleibenden acht Jahren bis 2020. Das ist nicht ehrgeizig, das ist nahezu lächerlich. Dieses Ziel würde man ohne weitere Anstrengungen beim Klimaschutz erreichen. Es muss jetzt etwas passieren. Deshalb unterstützen wir Peter Altmaier und fordern die Bundesregierung insgesamt auf, diesen Schritt zu tun. Er muss so schnell wie möglich erfolgen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Judith Skudelny [FDP]) Zweitens möchte ich den europäischen Emissionshandel ansprechen. Wir waren uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass der europäische Emissionshandel das Herzstück der Klimapolitik der Europäischen Union ist. Frank Schwabe hat es angesprochen: Dieses Herz schwächelt im Moment. Man ist von ungefähr 18 Euro pro Zertifikat ausgegangen, jetzt sind wir am unteren Ende der Leiter angekommen und liegen mittlerweile bei 8 Euro oder 6 Euro, Tendenz weiter fallend. Bei 4 Euro – und das sind die Prognosen – wäre der Emissionshandel faktisch tot. Das wäre eine Katastrophe, weil auf internationaler Ebene nicht das Signal ausgesendet würde: Wir wollen ambitionierten Klimaschutz, wir wollen unser System mit den anderen verbinden. Vielmehr wäre es ein Signal, dass der Klimaschutz möglicherweise weniger wichtig ist. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bitte Sie, Herr Jung! Sie sind an der Regierung!) Es wäre im Übrigen auch deswegen fatal, weil dadurch die notwendigen Investitionsanreize für die Wirtschaft fehlen würden, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie Herrn Rösler erklären, Herr Jung! Herr Rösler ist doch der Bremser!) um tatsächlich in den Klimaschutz zu investieren. Ein Scheitern des Emissionshandels wäre fatal, weil wir aus diesen Einnahmen unsere Energiewende finanzieren. Der Energie- und Klimafonds – mit seiner Hilfe werden die Gebäudesanierung und die Elektromobilität finanziert und wichtige Aufgaben, die für das Gelingen der Energiewende essenziell sind, umgesetzt – hat schon jetzt Federn lassen müssen. Er würde infrage gestellt werden. Deshalb brauchen wir jetzt ein klares Signal: Wir wollen an diesem Emissionshandel festhalten. Am 13. Dezember findet eine Tagung des europäischen Klima-Komitees statt. Wie sich das im Moment – noch – darstellt, müsste Deutschland sich enthalten, weil der Bundesumweltminister und der Bundeswirtschaftsminister unterschiedliche Positionen vertreten. Ich finde, die klare Botschaft muss lauten: Ein Vorreiter enthält sich nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Deshalb erwarten wir, dass Deutschland dort eine klare Position vertritt, (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Aber die richtige!) auch weil wir wissen, dass andere europäische Staaten auf uns schauen. Es wird gefragt: Wie verhält sich die Bundesrepublik Deutschland denn jetzt? Deshalb brauchen wir ein klares Signal, das zeigt, dass wir bereit sind und uns dafür einsetzen, dass ein Teil der überschüssigen Zertifikate schon jetzt herausgenommen wird. Das ist der erste, wenn auch minimale Schritt. Der zweite Schritt ist, dass diese Zertifikate tatsächlich eingestampft werden, sodass sie nicht wieder auf den Markt kommen können. Der dritte Schritt sind die strukturellen Reformen, die ein Überleben des Emissionshandels garantieren. Die Alternative – CO2-Steuer und Planwirtschaft sind vorhin schon genannt worden – wäre nicht besser. Das kann auch nicht im Interesse des Bundeswirtschaftsministers liegen. Unsere klare Botschaft lautet: Wir unterstützen Bundesumweltminister Peter Altmaier in all den Punkten, die ich genannt habe. Er vertritt eine sehr konsequente Position. Wir wünschen uns, dass die Bundesregierung sehr schnell zu einer einheitlichen Position und zu einer klaren Festlegung in diesen Fragen kommt. Das ist das, was wir brauchen, um in der Klimapolitik weiterhin als Vorreiter auftreten und wirken zu können. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier – so könnte man diese vorweihnachtliche Klimadebatte überschreiben. Die Koalition beschwört jedes Jahr im November die Vorreiterrolle Deutschlands. Die Opposition rückt das dann immer wieder gerade. Dann kommt die UN-Klimakonferenz, die natürlich zum großen Durchbruch führen soll, welcher in zwei bis fünf Jahren zu besichtigen wäre. Mitte Dezember wird dann allerorts das Scheitern bedauert. Parallel dazu steigen Jahr für Jahr die globalen Treibhausgasemissionen. 40 Prozent mehr Klimakiller werden heute in die Atmosphäre geblasen als 1990. Die Erd-erwärmung auf 2 Grad zu begrenzen, ist leider kaum noch zu schaffen. Was das an Hungertoten, Überflutungen und Sturmschäden bedeutet, das wissen inzwischen die meisten. Ich denke, nicht nur unsere Enkel, sondern vor allem die Menschen im globalen Süden werden uns irgendwann dafür verfluchen; denn nur wenige Prozent der globalen Wirtschaftsleistung hätten ausgereicht, diesen Wahnsinn, der die Erde für immer verändern wird, zu stoppen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Stattdessen werden Banken und Spekulanten gerettet, werden Reiche immer reicher und Arme immer ärmer. In der Wachstums-Enquete-Kommission des Bundestages ist weiterhin schillernder Exot, wer den profitgetriebenen Wachstumswahn auch nur infrage stellt. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was?) Und jetzt kommen Sie mir nicht mit der tollen Energiewende hierzulande und den steigenden Emissionen in China auf der anderen Seite des Globus. Denn rund 80 Prozent aller CO2-Emissionen seit der Industrialisierung gehen auf das Konto Europas und der USA. Letztere interessiert das bis heute nicht; das wissen wir ja. Vor diesem Hintergrund sollte sich die Bundesregierung vielleicht einmal die Frage stellen, ob es bislang eine gute Strategie Europas war, in den UN-Verhandlungen ständig zu pokern. (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Ob Minderungsverpflichtungen oder Klimaschutzfinanzierungen – die EU ging noch nie in Vorleistung. Es ist also kein Wunder, dass ein umfassendes Klimaschutzabkommen immer noch in den Sternen steht und Vertrauen zusehends verspielt wird. Wie ernst sollen uns denn die anderen nehmen, wenn die EU weiter an dem lächerlichen Ziel einer Minderung um 20 Prozent festhält? Schließlich sind gegenüber 1990 bereits 18 Prozent erreicht, mit meinem „geliebten“ CDM sogar über 21 Prozent. Acht Jahre lang keinen Klimaschutz betreiben zu wollen – bis 2020 sind es noch acht Jahre –, Herr Altmaier, das ist kein Verhandlungsangebot, sondern eine ganz brutale Provokation. (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Ich sage es noch einmal: Die Verschärfung des EU-Klimaschutzzieles auf 30 Prozent ist überfällig. Deutschland verhindert das, weil sich die FDP der Reform des EU-Emissionshandels verweigert; wir haben es gerade gehört. Es geht nicht um eine Reform, die die Wirtschaft – das konnten wir hören – irgendwie erdrosseln würde. Es geht schlicht um die Stilllegung überschüssiger Emissionsrechte, damit die CO2-Preise endlich aus dem Keller kommen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zudem sind die jährlichen Minderungen der Anlagen an das 30-Prozent-Ziel anzupassen. Doch genau dagegen wenden sich die Liberalen. Für Wirtschaftsminister Rösler kommt bereits die Stilllegung der 2 Milliarden überschüssigen Emissionsrechte nicht infrage. Er will das Versagen des Emissionshandels zementieren. Sie sind also mit schuld. Man muss es ganz klar sagen: Die Blockade der FDP verhindert die Erreichung des Ziels und damit den Fortschritt. Man muss sich das einmal vorstellen. Dabei ist die FDP eine Splitterpartei mit Wohlhabenden als Mitglieder, die es, wie Umfragen zeigen, seit Monaten nicht mehr schaffen würde, im Bundestag vertreten zu sein. (Lachen bei der FDP) Ich kann nur hoffen, dass die Kanzlerin endlich aufwacht und ihren Koalitionspartner in die Schranken weist. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Michael Kauch (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die internationale Klimapolitik ist hier im Parlament eine Gemeinschaftsaufgabe. Wir haben sie immer so verstanden, dass wir auf den internationalen Konferenzen gemeinsam aufgetreten sind, unabhängig davon, wer gerade in der Regierung und wer in der Opposition ist. Vor allen Dingen aber haben wir in den letzten Jahren immer Präsenz gezeigt. Deshalb halte ich diesen Beschluss des Ältestenrates weiterhin für ein absolutes Missverständnis; denn es wird nicht berücksichtigt, was auf solchen Konferenzen passiert. (Zuruf des Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD]) Wenn wir als Deutscher Bundestag eine immer stärkere Beteiligung an Entscheidungen der Europäischen Union einfordern, wenn wir selbstbewusst in der Europäischen Union auftreten, dann frage ich mich, warum das Präsidium und der Ältestenrat dieses Parlaments glauben, dass man dies auf UN-Konferenzen nicht tun muss. Die Ergebnisse dieser Konferenzen muss am Ende schließlich der Bundestag ratifizieren. Deshalb ist es eine Frage des Selbstbewusstseins dieses Parlaments, dass man offizielle Delegationen des Deutschen Bundestags und nicht einzelne Abgeordnete zu den Konferenzen entsendet. Das muss sich in diesem Parlament wieder ändern. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, was steht in Doha an? Das erste Ziel ist das Arbeitsprogramm 2015 für das Abkommen, das 2020 in Kraft treten soll. Es ist also eine Zwischenstation des Verhandlungsstranges. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ändert sich ab Herbst!) Das zweite große Ziel, das wir in Doha erreichen müssen, ist, dass Kioto II am Ende nicht allein aus der Europäischen Union, Norwegen, der Schweiz und Aus-tralien besteht; denn das wäre ein Kioto-Protokoll, das aufgrund seines beschränkten Wirkungsbereiches auf weniger als 20 Prozent der Emissionen definitiv keine Wirkung in der Welt hätte. Deshalb muss es zentrales Ziel der Bundesregierung sein, dass insbesondere die großen Volkswirtschaften Russland und die Ukraine ins Boot geholt werden. Das ist aus meiner Sicht eine zentrale Aufgabe, damit Kioto II zum Erfolg wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, das dritte Ziel ist: Die Industriestaaten müssen die Finanzierung des Klimaschutzes ernst nehmen. Hier sind wir beim Beitrag Deutschlands. Die Umweltverbände haben im Vorfeld der Konferenz im Gespräch mit den Abgeordneten des Deutschen Bundestages erfreulicherweise darauf hingewiesen, dass die klimarelevanten Ausgaben im Haushalt 2013 auch nach ihren Berechnungen gegenüber 2012 um 100 Millionen Euro gestiegen sind. Das heißt, Deutschland nimmt seine Verpflichtungen ernst. Wir machen nicht nur Zusagen, sondern wir schreiben sie auch in den Bundeshaushalt. Das hat diese Koalition geschafft und nicht die Opposition mit ihren Forderungen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb haben die Liberalen überhaupt keine Probleme, selbstbewusst in diese Konferenz zu gehen; denn die meisten dieser Mittel sind im Haushalt von Bundesminister Niebel etatisiert. Das ist ein positives Zeichen für Doha. Das zweite positive Zeichen, mit dem wir nach Doha gehen, ist die deutsche Energiewende. Nicht Prozentzahlen von Ankündigungen sind faszinierend, sondern faszinierend ist die Vision, die Deutschland in die Praxis umsetzt, nämlich von dem nuklear-fossilen Zeitalter in das regenerative Zeitalter überzugehen, und zwar ohne das Wachstum abzuwürgen. Das macht die Energiewende sexy und im internationalen Kontext zu einer Erfolgsgeschichte. Der Bundesumweltminister fährt hier einen guten Ansatz. Er hat gesagt: Wir wollen mehr Staaten mitnehmen, die im Bereich der erneuerbaren Energien vorangehen wollen. Das ist mindestens genauso wichtig wie die anderen Verhandlungsstränge in Doha. Wir müssen mehr Länder auf dem Weg der Energiewende, die wir in Deutschland begonnen haben, mitnehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Ott für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition! Herzlichen Glückwunsch, dass Sie pünktlich zum Ende des Jahres das Klimathema wiederentdeckt haben! Der Umweltminister bekannte letzte Woche, endlich habe die Klimapolitik wieder den Stellenwert, den sie lange nicht hatte. Auch Ihnen sei gratuliert, lieber Herr Altmaier, zu der Erkenntnis, dass der Klimaschutz kein Kuschelthema alljährlich zur Adventszeit sein darf. Nein, das Weltklima muss das ganze Jahr und die ganze Legislaturperiode über oberste Priorität haben. Das ist der Anspruch, der heutzutage an jede Bundesregierung gestellt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) In Ihrem Antrag mit der Überschrift „Globalen Klimaschutz wirksam vorantreiben“ ist technisch so ziemlich alles enthalten; das ist keine Frage. Das BMU hat gute Vorarbeit geleistet. Aber jenseits der Details, da, wo die politische Musik spielt, ist Ihr Antrag schönfärberisch und in den konkreten Maßnahmen absolut unzureichend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Es ist schon kaum mehr auszuhalten. Sie bezeichnen die Bundesrepublik wider besseres Wissen als treibende Kraft in den Klimaverhandlungen (Michael Kauch [FDP]: Wer ist es denn? China oder die USA?) und behaupten, Deutschland werde seine Vorreiterrolle im Klimaschutz weiterführen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Unwahrheiten werden nicht dadurch wahr, dass man sie ständig wiederholt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie es mich ungeschminkt sagen: Ihr Antrag ist eine unerträgliche klimapolitische Selbstbeweihräucherung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wenn es nach den letzten Jahren der Klimadiplomatie eine Lehre geben muss, dann die, dass es ein stupides Weiter-so nicht geben darf. Denn damit kann die globale Erwärmung nicht in Schach gehalten werden. Ihr Ziel im Antrag, es müsse wieder ein umfassendes Klimaabkommen mit allen Emittenten verabschiedet werden, zeigt: Sie befinden sich weiterhin sehenden Auges auf einem Blindflug. Wenn Sie mit aller Kraft versuchen, es wieder allen, vor allen Dingen den USA, recht zu machen, werden Sie wie schon 2009 auf dem Klimagipfel in Kopenhagen scheitern. Das darf nicht sein. So etwas darf nicht noch einmal vorkommen. Grüne und SPD schlagen deshalb in einem gemeinsamen Antrag ein wirklich modernes Klimaregime vor. An dieser Stelle vielen Dank den Kollegen von der SPD und Dank an unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei uns ist der Begriff „modernes Klimaregime“ jedoch keine bloße Worthülse wie bei Ihnen. Um die düsteren Prognosen einer um 4 Grad wärmeren Welt nicht Wirklichkeit werden zu lassen, sagen wir: kein internationaler Erfolg ohne nationale Vorreiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber wie soll Deutschland mit einem Wirtschaftsminister Rösler Vorreiter sein, der sich allen Ernstes gegen eine Verknappung der Emissionszertifikate ausspricht, was nach Aussage der EU-Kommission zu einem Zertifikatepreis von circa 4,50 Euro führen würde? Meine Damen und Herren von der Koalition, das ist nicht nur klimapolitischer, sondern auch ökonomischer Irrsinn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Nein, glaubwürdige internationale Klimapolitik fängt zu Hause an. Sie geht damit weiter, dass man sich Partner sucht, um gemeinsam voranzugehen. Wir fordern deshalb, nicht länger auf die Langsamsten zu warten. Herr Jung, Ihre Forderung von gerade eben ist absolut widersinnig. Wir dürfen nicht auf die Langsamsten warten, sondern müssen vorangehen und eine Klimapolitik der unterschiedlichen Geschwindigkeiten vorantreiben. Anders werden wir nicht vorankommen. Unsere Überzeugung ist, dass Deutschland und die EU den Kern einer solchen progressiven Allianz, eines Klimaklubs der Pioniere, bilden können. Anders werden wir den Klimawandel nicht erfolgreich bewältigen -können. Die Zeit des Schönredens vor internationalen Klimakonferenzen ist vorbei. Es ist an der Zeit, klimapolitisch zu handeln. Noch eines, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Wenn Sie sich in dieser Schicksalsfrage weiterhin von der FDP am Nasenring herumführen -lassen, werden Sie von ihr auch mit in den Abgrund gezogen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ein schöner -Gedanke!) Lassen Sie es nicht dazu kommen. Sie sind zwar nicht unbedingt für die Rettung der FDP verantwortlich. Aber Sie sind ganz unbedingt für den Schutz der Lebensgrundlagen unserer Zivilisation verantwortlich. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Josef Göppel für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Josef Göppel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich frage mich: Wie stellen wir es an, dass der Klimaschutz wieder den Stellenwert bekommt, den er verdient? Lieber Kollege Altmaier, was die Konferenz in Doha betrifft, haben Sie auf jeden Fall die Unterstützung aller Mitglieder des Umweltausschusses. An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich bei den Mitgliedern der FDP-Fraktion bedanken, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die in der gestrigen Sitzung deutlich zum Ausdruck gebracht haben, dass sie die Position des Bundesum-weltministers unterstützen. Selbstverständlich ist jetzt das Kanzleramt gefordert. (Beifall des Abg. Frank Schwabe [SPD] – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Und was sagt Rösler?) Das Kanzleramt muss in einer Streitfrage zwischen zwei Fachministerien die Richtlinien der Politik bestimmen. Das bedeutet hier eine klare Vorgabe für den Klimaschutz. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Anders geht es wirklich nicht. Es ist komisch, dass gerade der Teil der Welt, der seit 1990 deutliche CO2-Einsparungen zu verzeichnen hat, jetzt zu zaudern beginnt. Wegen der Energiewende steht Deutschland in der Welt unter Beobachtung. Viele sind davon fasziniert, manche sind skeptisch. Von 1990 bis Ende 2011 haben wir den Ausstoß von Klimagasen um 26 Prozent reduziert. Dabei muss man natürlich berücksichtigen, dass zwei Drittel davon auf den Umbau der -Industrie in Ostdeutschland und ein Drittel auf das EEG zurückzuführen sind; alles Übrige kann man fast vergessen. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!) Natürlich ist es für uns auch unter innenpolitischen -Gesichtspunkten wichtig, zu wissen, welche Faktoren wirklich zu dieser Senkung geführt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Herr Kollege Altmaier, bei einem Thema können Sie schon jetzt sehr selbstbewusst auftreten – der Kollege Kauch hat das zu Recht erwähnt –: 2012 haben wir im Bundeshaushalt einen Betrag von 1,8 Milliarden Euro für bilaterale Zusagen im Bereich des Klimaschutzes und für Einzahlungen in internationale Töpfe bereit-gestellt. In der letzten Woche wurden von uns 100 Millionen Euro zusätzlich bewilligt, wenn auch auf verschiedene Ministerien verteilt. Deutschland kann in Doha, was die finanziellen Verpflichtungen angeht, sehr glaubwürdig auftreten; ich füge hinzu: wenigstens das. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ein Zeichen für den Durchhänger des Klimaschutzes ist natürlich die Ablehnung der Delegationsreise durch den Ältestenrat. Als Obmann der CDU/CSU im Umweltausschuss sage ich: Da eine Delegationsreise von Abgeordneten zur -Klimakonferenz abgelehnt wird, erwarte ich, dass der Ältestenrat in Zukunft immer dann, wenn ein Minister irgendwohin fährt und verhandelt, aus keinem anderen Fachbereich mehr Abgeordnete mitfahren lässt. Das wäre die logische Konsequenz. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Daran zeigt sich, dass dieses Thema noch einmal überdacht werden muss. Zusammenfassend kann man sagen: Wir Deutschen können, was die Fakten angeht, gut und selbstbewusst auftreten. Es ist deshalb politisch für Deutschland und auch für die Zukunftschancen unserer Wirtschaft auf den internationalen Märkten nur schädlich, wenn derjenige, der von den anderen als Vorreiter angesehen wird, nun selber zu zaudern beginnt. Deswegen – ich sage es noch einmal – erwarten wir eine klare Festlegung des Kanzleramtes zur Rückenstärkung des Umweltministers für die nächste Woche in Doha. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11651 und 17/6550 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen damit so beschlossen. Tagesordnungspunkt 11 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-sicherheit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP mit dem Titel „Die UN-Klimakonferenz in Doha – Globalen Klimaschutz wirksam vorantreiben“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11714, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/11514 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische -Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen – Drucksache 17/11466 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Entgegen den verteilten Redelisten erteile ich jetzt dem Minister der Verteidigung, Herrn Dr. Thomas de Maizière, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatsminister Link und ich haben vereinbart, heute -innerhalb der Regierung die Rednerreihenfolge zu -tauschen. Daraus ist weiter nichts zu schließen, außer dass wir beide das vereinbart haben. (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Eine Regierung!) – So ist das. (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Es ist eine einzige wunderbare Regierung!) Allerdings ist das, was wir jetzt erörtern, kein Grund zum Spaßen. Wir denken an den 11. September. Ich glaube, es gibt wenige Daten, die wir so im Kopf haben und zu denen jeder von uns weiß, was er da gemacht hat. Dazu gehört der 9. November, dazu gehört der 11. September, dazu gehört sicherlich auch der eine oder andere private Tag. Politisch gibt es ganz wenige solcher Tage. Der 11. September gehört dazu. Die terroristischen Anschläge in Washington und New York haben unser Leben verändert, unser persönliches, aber auch die Sicherheitslage. Auch das bis dahin scheinbar ungefährdete Amerika und Europa haben gelernt, dass das Leben täglich Gefahren ausgesetzt sein kann. Einen Tag später, am 12. September 2001, und -etwas später, am 4. Oktober 2001, stellte der Nordatlantikrat fest, dass die terroristischen Angriffe auf die USA als Angriff auf alle Bündnispartner im Sinne des Art. 5 des NATO-Vertrages, als Bündnisfall, anzusehen seien. Damit wurde erstmalig der Bündnisfall festgestellt, dem auch Deutschland, damals unter Bundeskanzler Schröder, zugestimmt hat. Damit war auch die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung zu Maßnahmen der Bündnispartner gegen den Terrorismus beizutragen. Dies begründete den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf der Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des schon genannten Art. 5 des NATO-Vertrages. Dies begründet auch unser Engagement im Rahmen der Operation Active Endeavour, die wir heute diskutieren. Der Einsatz hat zum Ziel, im Mittelmeerraum zum Schutz vor möglichen terroristischen Aktivitäten beizutragen. Es geht um die Verteidigung gegen den internationalen Terrorismus. In diesem Rahmen übernimmt die Bundeswehr folgende Aufgaben: militärische Präsenz in und über See; Aufklärung, Überwachung und Lagebilderstellung in und über See; Austausch und Abgleich von Lageinformationen mit anderen Akteuren; Kontrolle des See-verkehrs und schließlich Unterstützung von NATO--Operationen in Reaktion auf mögliche terroristische -Aktivitäten im Mittelmeer. Über elf Jahre nach Erklärung des Bündnisfalls haben wir uns natürlich die Frage zu stellen – das wird sicher gleich diskutiert werden –, ob der Einsatz in seiner -derzeitigen Ausrichtung noch notwendig ist. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Im Bündnis besteht weiterhin Einigkeit darüber, dass der Angriff im Sinne des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen mit den Anschlägen des 11. September 2001 nicht abgeschlossen war. Vielmehr fand dieser Akt des Terrorismus in weiteren Anschlägen und Anschlags-versuchen – in London, Madrid und Detroit – eine Fortsetzung. Die Bedrohung dauert bis heute an. Wir gehen von einer Fortsetzung der terroristischen Gefahr aus, auch für uns. Die Operation Active Endeavour leistet einen Beitrag dazu, hier unser Lagebild zu verbessern. Sie entfaltet durch ihre abschreckende Funktion auch eine präventive Wirkung. Gerade deshalb erkennen wir weiterhin das Erfordernis einer bündnisgemeinsamen Präsenz im Mittelmeer und die Notwendigkeit einer kontinuierlichen militärischen Aufklärung und Überwachung in dieser Region. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir streben eine Fortentwicklung dieses Mandats an. Angeregt durch Deutschland wird über die Weiterentwicklung der immer stärker netzwerkgestützten Active Endeavour in der NATO diskutiert. Auch eine Diskussion über die Notwendigkeit der Beibehaltung des Bündnisfalls als Grundlage für diesen Einsatz wurde durch Deutschland initiiert. Aber wenn wir den Bündnisfall gemeinsam erklären, dann werden wir den Bündnisfall auch gemeinsam beenden – (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann?) und nicht einseitig; damit das ganz klar ist. Die NATO begegnet dem internationalen Terrorismus durch einen zunehmend netzwerkbasierten Ansatz mit einem Schwerpunkt auf Informationsgewinnung und -verarbeitung. Dieser Ansatz soll ausgebaut werden. Partner der NATO haben bereits das Angebot zur Teilnahme an Active Endeavour genutzt. Die Operation führt damit die Prinzipien der kollektiven Verteidigung unter den NATO-Mitgliedern und der kooperativen -Sicherheit mit Partnern zusammen. Dies bietet einen -Ansatz zur kooperativen Umsetzung der aktuellen maritimen Strategie der NATO. Die internationale Gemeinschaft darf in ihren umfassenden Anstrengungen zur wirksamen Beseitigung der gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen -Umstände, die das Entstehen von Terrorismus begünstigen, nicht nachlassen. Ein wichtiger Bestandteil dieser Anstrengungen bleibt weiterhin die Bereitstellung -entsprechender militärischer Fähigkeiten, auch durch Active Endeavour im Mittelmeer. Dafür gebührt unseren Soldatinnen und Soldaten und ihren internationalen Kameraden unser ausdrücklicher Dank und unsere Anerkennung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Bundesregierung beantragt eine Fortsetzung des Einsatzes unter Beibehaltung der personellen Obergrenze von derzeit 700 Soldatinnen und Soldaten bis zum 31. Dezember 2013, also um ein weiteres Jahr. Ich bitte Sie – auch im Sinne unserer Soldatinnen und Soldaten – um eine breite Unterstützung für diesen in der -Weiterentwicklung befindlichen, aber immer noch und weiterhin richtigen und notwendigen Einsatz. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Rolf Mützenich hat nun für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts einer außenpolitischen Debatte zu dieser Zeit ist es schon notwendig, auch ein paar Blicke auf einen anderen Ort zu richten. Heute wird vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen über den Antrag der Palästinensischen Autonomiebehörde für einen Beobachterstatus abgestimmt. Die Bundesregierung hat heute bekannt gegeben, dass sie sich in der Generalversammlung der Stimme enthalten wird. Herr Staatsminister Link, ich glaube, das ist das Mindeste, was Sie tun konnten, um Präsident Abbas in einer wirklich schwierigen Situation nicht weiter zu schwächen. Jede andere Entscheidung vonseiten der Bundesregierung hätte in diesem Parlament mit Unverständnis quittiert werden müssen. Eine etwas frühere Verlautbarung aus Ihrer Sicht hätte vielleicht das eine oder andere innerhalb der Europäischen Union besser ordnen können. (Beifall bei der SPD) Wir vonseiten der Sozialdemokratischen Partei hätten uns schon gewünscht, dass alle 27 Mitgliedstaaten ein gemeinsames Votum in der Vollversammlung der Vereinten Nationen abgegeben hätten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN), Da hätte ich mir schon gewünscht, dass Deutschland eine Führungsrolle übernommen hätte. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe jetzt auf das Mandat ein, zu dem der Bundesverteidigungsminister heute erneut einen Antrag auf Fortsetzung eingebracht hat. Ich glaube, wir konnten hier im Plenum spüren, wie er mit den Argumenten gerungen hat, insbesondere als es um die Begründung der Bündnissolidarität gegangen ist. Ihm war doch sehr unwohl, weil er wusste, dass auch der Bundesaußenminister in den letzten Debatten sein Unbehagen geäußert und gegenüber dem Deutschen Bundestag verlautbart hat, er würde im Bündnis für eine andere Rechtsgrundlage streiten. Das hätte zu einer deutlichen, zu einer klaren Außenpolitik gehört. Denn Sie können die Bündnissolidarität und das Vorliegen eines Bündnisfalls nicht endlos wiederholen und mit den gleichen Worten begründen – damit entkleiden Sie sozusagen das, was Art. 5 des NATO-Vertrages hergibt –, weil Bündnissolidarität etwas Besonderes ist. Sinn und Zweck ist, dies in einer besonderen Situation zu nutzen. Ich glaube, elf Jahre sind letztlich genug, um vonseiten der Bundesregierung zu einer anderen Begründung zu kommen. Bei einer selbstbewussten Außenpolitik und insbesondere angesichts der Frage, wie der Terrorismus bekämpft werden kann, hätte es letztlich einer anderen Begründung bedurft. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Bundesverteidigungsminister, im Grunde genommen haben Sie gar nichts über die Aktivitäten dieser Mission im letzten Jahr berichtet. Wer einmal aufmerksam in die Unterrichtungen des Parlaments geschaut hat, hat feststellen müssen, dass es im Berichtszeitraum nur einen Einsatz gegeben hat, nämlich im September, als die Fregatte „Bayern“ einen Rettungseinsatz durchgeführt hat. Ich finde es sehr anerkennenswert, dass auch die Bundesmarine, wie es üblich ist, in solchen Fällen aktiv wird. Aber ich glaube, Herr Bundesverteidigungsminister, das hat mit dem Mandat überhaupt nichts zu tun, sondern das hat sozusagen etwas mit dem Recht auf der hohen See zu tun. Ich meine, der Rettungseinsatz ist richtig gewesen, aber dafür hätte es dieses Mandat nicht gebraucht. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weiterhin hätten Sie dem Deutschen Bundestag berichten müssen, wieso alle paar Monate rund 600 Bundeswehrsoldaten für das Mandat benannt worden sind. Wir haben einmal überprüft, warum das der Fall war. Das war deswegen der Fall, weil Schiffe in Richtung der Mission Atalanta gefahren sind und dann im Mittelmeer für dieses Mandat umgewidmet wurden. Ich meine, ein bisschen Zielgerichtetheit wäre für dieses Mandat notwendig gewesen. Ich finde, auch Ehrlichkeit gegenüber dem Bundestag und gegenüber der Bundeswehr, der Bundesmarine, wäre angebracht gewesen. Nun zu einem weiteren Punkt, der in dieser Debatte ebenfalls Berücksichtigung finden muss. Da ist das Außenministerium gefordert; Herr Staatsminister Link, Sie werden ja gleich reden. Ich würde mich wirklich darüber freuen, wenn Sie uns etwas ausführlicher begründen könnten, warum die Umbrüche in der arabischen Welt – dies steht zu Beginn der Begründung des Antrages – dafür genutzt werden, dieses Mandat zu rechtfertigen. Ich habe die Diskussion im Deutschen Bundestag und vonseiten der Bundesregierung immer so verstanden, dass erst einmal die mutigen Menschen dort, die versuchen, ihre Regime zu stürzen und für demokratische Legitimation einzutreten, von uns unterstützt werden sollen und dass das nicht mit dem Terrorismus verwechselt werden darf. Ich glaube, das gehört zur Ehrlichkeit dieses Mandates genauso dazu. Wir wissen, das Risiko in Bürgerkriegen ist immens; aber Sie können hier in einer allgemeinen Begründung nicht die terroristische Gefahr sozusagen herbeireden. Ich glaube, dieser Hinweis in der Begründung ist falsch und wird den gesellschaftlichen Umbrüchen, der zeitgeschichtlichen Erosion, gerade in der arabischen Welt überhaupt nicht gerecht. Ich finde, das gehört nicht in ein Mandat hinein. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Bundesverteidigungsminister, Sie plädieren immer für Mandatsklarheit; wir haben das in den letzten Tagen bei der Diskussion über den Patriot-Einsatz und viele andere Dinge gehört. Ich glaube, genau bei diesem Mandat hätten wir Klarheit und Wahrheit gebraucht. Das haben Sie nicht geleistet. Sie haben das im letzten Jahr angekündigt, aber auch in diesem Jahr waren Sie dazu nicht bereit. Deswegen kann ich Ihnen vonseiten meiner Fraktion nur sagen: Einem solchen Mandat können wir nicht zustimmen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU]: Wirklich schade!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Link. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Michael Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehe zunächst auf die beiden konkreten Punkte ein, die Herr Mützenich angesprochen hat. Sie haben erwähnt, dass in der Begründung des Antrags der Bundesregierung auf das Gesamtumfeld hingewiesen wird. Die Umbrüche in der arabischen Welt sind natürlich kein kausaler Grund für diesen Einsatz. Was haben aber die Umbrüche gebracht? Sie haben natürlich einen Gewinn an Demokratie gebracht. Nehmen wir das Beispiel Libyen, wo die Wahlen erstaunlich gut verlaufen sind. Das war hinterher. Vorher war dort alles schwierig; wir wissen das. Das war ein Gewinn an Demokratie. Ich denke, wir alle sind uns einig, dass jetzt eine enorme Anzahl von Waffen aus den Beständen der -Gaddafi-Armee auf dem Markt ist, die natürlich auch von denjenigen genutzt werden, die in das Vakuum hingestoßen sind, das dort nach dem Abtritt der diktatorischen Herrschaft teilweise entstanden ist. Mit diesen Waffen sorgen sie jetzt verstärkt für Unsicherheit. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. Wir müssen sagen: Hier ist zunächst einmal nicht mehr Sicherheit erreicht worden. In Mali ist das konkret geworden, aber das gilt auch für andere Länder. Deshalb ist diese Begründung sehr sinnvoll. Wir sagen ganz ausdrücklich: Jawohl, es gehört zur Ehrlichkeit dazu – und ehrliche Mandate erteilt diese Bundesregierung –, auf diesen Zusammenhang hinzuweisen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wenn Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Auslandseinsätze geschickt werden, dann haben sie einen Anspruch auf besonders sorgfältig getroffene Entscheidungen unter Abwägung aller Risiken und Härten; das ist entscheidend. Wir alle wissen: Es gibt Mandate für Auslandseinsätze, die weitgehend unumstritten sind, und es gibt umstrittene Mandate. Dieses OAE-Mandat, das Mandat für die Operation Active Endeavour, dessen Verlängerung wir heute beantragen, ist unter allen unseren NATO-Bündnispartnern vollkommen unumstritten. Das muss man auch einmal deutlich aussprechen. OAE ist ein Überwachungseinsatz. Der Einsatz bringt bei vergleichsweise geringem Aufwand einen großen Ertrag. Durch OAE verdichten wir unser Lagebild insbesondere zum südlichen Umfeld. Die militärische Präsenz der OAE-mandatierten Schiffe im Mittelmeer entfaltet eine stark abschreckende Wirkung gegen Terroristen. Faktisch wirkt sie auch weit darüber hinaus stabilisierend. OAE ist insofern zu einem präventiven Ordnungsfaktor im Mittelmeer geworden und genießt gerade als solcher auch bei den südlichen Mittelmeeranrainern wie Marokko, Tunesien oder Algerien eine ganz hohe Akzeptanz. Insgesamt beteiligen sich gegenwärtig nicht weniger als 63 Nationen am Austausch von Lagedaten im Rahmen von OAE. Auch das ist ein wenig bekanntes Faktum. Die sicherheitspolitische Relevanz der NATO-Mission ist im Vergleich zum vergangenen Jahr ohne Zweifel gestiegen. Ich habe das mit dem Hinweis auf die Umbrüche in der arabischen Welt schon erwähnt. Die Aktivitäten von al-Qaida sind ebenfalls bereits erwähnt worden. Es besteht deshalb aus unserer Sicht weiter ganz konkret die Gefahr, dass Al-Qaida-Ableger oder lokale, der al-Qaida nahestehende Gruppen unkontrollierte Gebiete als Rückzugsräume nutzen. In Syrien und darüber hinaus hat die Krise längst auch eine regionale Dimension angenommen. Terroranschläge sind Bestandteil der bewaffneten Auseinandersetzung im syrischen Bürgerkrieg. Auch von al-Qaida anerkannte Terrorgruppierungen profitieren zunehmend von der unübersichtlichen Lage. Nicht nur unsere NATO-Partner, sondern die gesamte Völkergemeinschaft meint daher, dass der Schutz vor und die Abwehr gegen den internationalen Terrorismus weiter geführt werden muss. Der Sicherheitsrat bekräftigt dies in aktuellen Resolutionen. International herrscht Übereinstimmung: Eine defensiv ausgerichtete Mission wie OAE, die vor allem dem Schutz, der Verteidigung und der Abschreckung dient, trägt in legitimer Weise zur Bekämpfung und Verhinderung möglicher Terroraktivitäten bei. Unsere Bündnispartner – Verteidigungsminister de Maizière hat darauf hingewiesen – schätzen die Mission auch, weil es sich um eine vertrauensbildende Maßnahme im Sinne der kooperativen Sicherheit handelt. Ich möchte darauf hinweisen, dass auch wichtige Nicht-NATO-Mitgliedstaaten an der OAE bereits teilgenommen haben. Denken wir zum Beispiel an den russischen oder den ukrainischen Beitrag. Wir setzen uns – auch darauf hat Kollege de Maizière hingewiesen – schon seit längerem dafür ein, dass in der NATO eine Weiterentwicklung des Einsatzes diskutiert wird. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Thema Bündnisfall. OAE ist bislang als robustes Mandat ausgestaltet. Wir halten das für den Erfolg des Einsatzes für nicht zwingend. Aus unserer Sicht könnte und sollte OAE auf nichtexekutive Befugnisse beschränkt werden. Wir treffen mit dieser Forderung allerdings nicht auf die Zustimmung unserer NATO-Partner. Wir können das nicht einseitig ändern. Wir bleiben aber hartnäckig. Wir verzeichnen auch erste Erfolge. Bislang ist rechtliche Grundlage für diese Mission Art. 5 des NATO-Vertrages, also der erklärte Bündnisfall. Dieser Bezug kommt jetzt auf den Prüfstand. Wir nehmen damit die Forderungen, die insbesondere in dem Antrag der Fraktion der Grünen erwähnt sind, vorweg: Ja, die Bundesregierung setzt sich aktiv und engagiert in der NATO dafür ein, dass der Bündnisfall als Grundlage für den OAE-Einsatz der NATO im Mittelmeer künftig entfallen kann. Wir müssen aber erst unsere Partner dafür gewinnen. Wir können und dürfen das nicht alleine tun. Hier kann ich ebenfalls nur auf das verweisen, was der Verteidigungsminister eben ausgeführt hat: Wir rufen den Bündnisfall gemeinsam aus, und wir beenden ihn gemeinsam. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Auf das Umfeld in Verbindung mit dem heutigen Geschehen in New York ist hingewiesen worden. Ich selbst hatte die Gelegenheit, gemeinsam mit dem Außenminister und teilweise in seiner Vertretung am letzten Außenministerrat teilzunehmen. Ich möchte noch einmal ganz ausdrücklich sagen: Wir haben, gerade der Außenminister selbst, wahrlich nichts unversucht gelassen, eine gemeinsame Position in der EU herbeizuführen. (Dr. Rainer Stinner [FDP]: So ist es! Das weiß die SPD auch! Das weiß Herr Mützenich auch!) – Das wissen Sie; exakt. – Aber was tun Sie in einer Situation, wenn sich andere EU-Partner bereits lange vor der Abstimmung öffentlich eindeutig auf ein Ja festlegen, und zwar nicht nur einer, sondern zwei oder drei, und damit die Gelegenheit, dass die EU hier gemeinsam auftritt, in den Wind schlagen? Das ist in der Tat ein Problem, was nun wahrlich nicht die Bundesregierung zu vertreten hat. Wir erinnern deshalb an der geeigneten Stelle alle Partner in der EU sehr kritisch daran, dass sie durch ihre frühe, einseitige Festlegung auf ein Ja exakt das verhindern, was genau diese EU-Partner in Sonntagsreden immer anmahnen, nämlich eine gemeinsame EU-Position. Da gibt es eine bunte Schar von Staaten – Sie wissen das genau –, die sich früh eindeutig auf ein Ja festgelegt haben und dadurch diese Abstimmung, die man mit gutem Willen und mit einer koordinierten Aktion durchaus noch einmal hätte verschieben können, zur Unzeit ohne Not haben eskalieren lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung beantragt die Fortsetzung der OAE. Auch namens des Auswärtigen Amtes danke ich ausdrücklich unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst im Rahmen dieses Einsatzes. Wir beantragen die Fortsetzung dieses Einsatzes. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Paul Schäfer das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Winston Churchill hat nach 1945 auf die Frage, was denn nun aus dem Münchener Abkommen von 1938 werden solle – das war zwar schändlich, aber völkerrechtlich gültig –, geantwortet: So tun, als ob es das nicht gäbe! Vor zwei Jahren habe ich den damaligen Vorsitzenden des Militärausschusses der NATO, Herrn Di Paola, gefragt, wann und wie denn die NATO den 2001 ausgerufenen Bündnisfall beenden wolle. Er hat mich erstaunt angesehen und lapidar geantwortet, das sei für die NATO kein Thema, es habe sich schließlich um einen auf die Situation bezogenen Akt der politischen Solidarität gehandelt. Das klang nach „Schwamm drüber“ à la Churchill, wenn nicht der kleine Nachsatz gefolgt wäre: Außerdem bestünden ja doch die Gefahren des internationalen Terrorismus fort. – Manche sagen: Noch Jahrzehnte. – Der Minister hat es genauso wiederholt. Das heißt, man kann nicht zur Tagesordnung übergehen. Wir müssen die Frage stellen, worum es eigentlich heute bei der Militäroperation Enduring Freedom und dem NATO-Einsatz Active Endeavour geht. Beide beziehen ihre Legitimation aus den Anschlägen vom 11. September 2001. Der Punkt ist der: Die NATO beruft sich auf den Verteidigungsfall gegen eine angenommene globale Bedrohung und leitet daraus die grundsätzliche Legitimation für den Einsatz von militärischer Gewalt weltweit ab, präemptiv, präventiv, reaktiv – egal. Das ist keine abstrakte Theorie, das ist kein linkes Hirngespinst, das ist blutige Realität: Capture-or-Kill-Operationen in Afghanistan, Einsatz von Kampfdrohnen in Somalia, dem Jemen und Pakistan, maritime Taskforce im Indischen Ozean, deren Auftrag völlig unklar ist, Piratenjagd am Horn von Afrika oder die Jagdkommandos auf Al-Qaida-Anhänger in Nordafrika im Rahmen von OEF Trans Sahara. Enduring Freedom und Active Endeavour sind – man kann es so sagen – Instrumente zur Etablierung eines -Damoklesschwertes globaler Gewaltandrohung. Ich finde, das kann so nicht weitergehen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man beruft sich auf Art. 51 UN-Charta und Art. 5 des Nordatlantikvertrags, aber diese Einsätze in ihrer ganzen Breite haben mit Verteidigung und Bündnisfall nichts oder wenig zu tun. Der Schein der Rechtmäßigkeit soll gewahrt werden, während man sich gleichzeitig unter dem Vorzeichen dieses Antiterrorkampfes Pauschalermächtigungen für eben diese geografisch nicht begrenzten Militäreinsätze holt. Wir sagen dazu ganz eindeutig: Der Krieg gegen den Terror hat die Welt nicht sicherer gemacht, eher im Gegenteil. (Beifall bei der LINKEN – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Das ist totaler Unsinn!) Er führt zur Fixierung auf militärische Scheinlösungen und blockiert das Nachdenken über zivile Möglichkeiten, den Ursachen der Konflikte in der Welt zu Leibe zu rücken. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Gefahr für die nationale Sicherheit!) Das ist doch der Punkt. (Beifall bei der LINKEN) Wir sagen: Terror muss man entgegentreten, lieber Kollege Mißfelder, aber der sogenannte Krieg gegen den Terror muss beendet werden. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Sagen Sie das mal den Bürgern!) Die Ausrufung des Bündnisfalls, die wirklich eine Pauschalermächtigung für diese praktisch globalen Militäreinsätze ist, muss ebenfalls zurückgeholt und beerdigt werden. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Philipp Mißfelder [CDU/CSU]) Deshalb werden wir auch dem Antrag der Grünen zustimmen. Der greift eine Kernforderung auf, die wir schon lange haben. Was den hier zu verhandelnden Einsatz der Marineverbände im Mittelmeer betrifft, so war schon lange klar, dass es mit Terrorabwehr nichts zu tun hat. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Nicht regierungsfähig, die Grünen!) Es geht um eine umfassende Überwachungsmission, zu der die NATO sich selbst mandatiert hat. Der Passus im Mandat „Unterstützung spezifischer Operationen der NATO oder weiterer Partner in Reaktion auf mögliche terroristische Aktivitäten im Mittelmeer“ lässt genug Spielraum zur Stützung möglicher NATO-Operationen auch in Nordafrika. Das finde ich alles andere als harmlos. Jetzt haben Sie eine neue Begründung für die Mittelmeermission entdeckt: die islamischen Terroristen in Mali. Entschuldigung, das ist ein bisschen sehr weit weg von der afrikanischen Mittelmeerküste. Und über die maritimen Fähigkeiten von al-Qaida ist nichts bekannt. Trotzdem sagen Sie, wir werden davon irgendwie bedroht. Für wie dumm halten Sie eigentlich die deutsche Öffentlichkeit? OAE ist und bleibt eine Amtsanmaßung der NATO, der eine solche weltpolizeiliche Aufgabe nicht zukommt. (Beifall bei der LINKEN – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Das macht die UNO!) Dafür käme höchstens ein multilaterales Regime der Anrainerstaaten unter dem Dach der Vereinten Nationen infrage. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: In einer Selbstblockade!) Aber die NATO agiert im Mittelmeer frei nach dem Motto: Wir machen, was wir wollen, weil wir es können. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Die UNO ist in Syrien auch sehr „erfolgreich“!) Dieser Art von Bündnispolitik, die auch noch gefährlich werden kann, muss die Solidarität verweigert werden. Der Antrag der Bundesregierung ist abzulehnen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD] – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Totalausfall, sowohl die Rede als auch die UNO!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Katja Keul das Wort. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Alle Jahre wieder kommt das OAE-Mandat, von dem wir sonst über das Jahr wirklich nicht viel hören. Alle Jahre wieder fragen wir uns, was das eigentlich für eine bewaffnete Auseinandersetzung sein soll, für die wir 700 Soldaten mandatieren. In der letzten Woche waren tatsächlich faktisch 5 davon im Einsatz. Was sind das für terroristische Aktivitäten, die im Mittelmeerraum bekämpft werden? Informationsgewinnung ist völlig okay, Herr Minister, aber dafür brauchen wir keinen bewaffneten Einsatz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Völkerrechtliche Grundlage für das Mandat ist immer noch das Selbstverteidigungsrecht der USA elf Jahren nach den Angriffen auf das World Trade Center. Dieser Angriff im Sinne des Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen soll angeblich – der Minister hat es gesagt – bis heute andauern. Damit machen Sie sich die Auffassung unseres Bündnispartners zu eigen, die lautet, seit dem 11. September 2001 befinde man sich durchgehend und weltweit im Krieg, im sogenannten War on Terror. Vor diesem Hintergrund meint die amerikanische Regierung, weltweit bewaffnete Einsätze ohne Mandat des Sicherheitsrates durchführen zu können, inklusive der gezielten Tötung verdächtiger Personen und ihrer Angehörigen in Pakistan, im Jemen, in Somalia und überall, wo man diese vermutet. So sehr wir uns alle über den Wahlausgang in den USA gefreut haben – aber das müssen sich unsere amerikanischen Freunde einfach sagen lassen: Diese Auffassung ist keine Interpretation des Völkerrechts; es ist die Negierung des Völkerrechts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Gerade unter Freunden und Bündnispartnern muss man einmal ehrlich zueinander sein, auch wenn es schwerfällt. Wie lange soll der Bündnisfall, der am 11. September 2001 festgestellt wurde, denn eigentlich noch dauern? Niemand hat bisher darüber nachgedacht, wie ein solcher Bündnisfall wieder beendet wird. Das war zu Zeiten des Kalten Krieges vielleicht noch nachvollziehbar, da man den Bündnisfall für abschreckend genug hielt, dass er niemals eintritt. Jetzt, wo er eingetreten ist, muss er aber auch wieder beendet werden. Das kann unseres -Erachtens nur durch einen entsprechenden Beschluss der NATO geschehen. Wir haben daher einen Antrag in den Bundestag eingebracht, mit dem wir die Bundesregierung auffordern, sich im Bündnis für einen solchen Aufhebungsbeschluss einzusetzen. Diesen Antrag werden wir dann zur zweiten Lesung dieses Mandats zur Abstimmung vorlegen. Dem Mandat fehlt es aber nicht nur an völkerrechtlicher Legitimation, sondern auch an einer sinnvollen Begründung. Letzes Jahr hieß es dazu noch, die Operation Active Endeavour biete einen Ansatzpunkt zur Implementierung der aktuellen maritimen Strategie der NATO. Offensichtlich ist Ihnen inzwischen selbst aufgefallen, dass dies nicht zur Legitimierung eines bewaffneten Einsatzes geeignet ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Stattdessen werden jetzt die Lage in Syrien und die Islamisten in Mali herangezogen. Wörtlich heißt es in der Begründung: In Nordafrika sind Aktivitäten terroristischer Gruppierungen festzustellen, insbesondere der al-Qaida im Maghreb. Außerdem habe die Krise in Syrien mittlerweile eine -regionale Dimension angenommen. Diese Begründung macht es nicht besser: Wie sollen der Bürgerkrieg in Syrien und die Krise in Mali mit U-Booten im Mittelmeer bekämpft werden? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU]: Es geht doch um Aufklärung!) Weiter heißt es in der Begründung wörtlich: Die Operation Active Endeavour … entfaltet durch ihre abschreckende Funktion eine präventive -Wirkung. Das meinen Sie doch wohl nicht im Ernst. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Warum denn nicht?) Die Tatsache, dass deutsche Fregatten auf dem Weg zum Horn von Afrika auf ihrer Durchfahrt durchs Mittelmeer vorübergehend unter OAE-Mandat fahren, hat in den letzten Jahren offensichtlich wenig Abschreckung auf die terroristischen Aktivitäten von al-Qaida in der südlichen Sahara gehabt, (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Wieso? Wie würden Sie es denn machen?) wo sie erstmals ein Gebiet kontrollieren, dass doppelt so groß ist wie die Bundesrepublik. (Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU]: Das ist doch absurd!) Ohne eine sinnvolle Begründung und ohne eine -völkerrechtliche Legitimation fällt meiner Fraktion ein geschlossenes Abstimmungsverhalten endlich einmal leicht. Wir lehnen dieses Mandat ab. Wenn Sie Ihrem Außenminister bei den erforderlichen Gesprächen mit den Amerikanern den Rücken stärken wollen – dass diese Gespräche stattfinden, haben wir gerade vom Staatsminister gehört –, dann sollten Sie das vielleicht auch tun. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Minister hat zu Recht mit der Erinnerung an den 11. September begonnen. Ich möchte daran anschließen. Zwar war es nicht die Union, die den Begriff „uneingeschränkte Solidarität“ im Munde geführt hat, sondern es waren Vertreter anderer Parteien, aber nichtsdestotrotz müssen wir uns auch deshalb an diese schrecklichen Ereignisse erinnern, weil wir die Verpflichtung haben, präventiv tätig zu sein. Deshalb haben wir diesen Aspekt auch in der -Mandatsbegründung besonders betont. Man kann nicht einfach sagen: Der Bündnisfall ist erledigt. – Erstens haben wir das im Bündnis nicht alleine zu entscheiden. Es ist schließlich ein Bündnis. Herr Staatsminister Link hat deutlich dargestellt, weshalb die Situation im Bündnis nicht so simpel ist. Zweitens frage ich Sie: Woher wollen Sie wissen, dass die Bedrohungslage nicht gegeben ist? Die welt-politische Situation ist schwieriger geworden. Mali und Syrien sind erwähnt worden. Der arabische Frühling hat viel Gutes gebracht; er hat aber auch neue Herausfor-derungen, insbesondere in der Region des Mittelmeers, gebracht. Vor diesem Hintergrund schafft Präsenz -Sicherheit und verhindert sie nicht. Daher werben wir für das Mandat, was wir uns gut überlegt haben. Wie bei jedem Mandat – Herr Schäfer hat in einem Parforceritt die Mandate miteinander verknüpft – stehen wir natürlich für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land ein. Natürlich sind auch wir froh, dass es keinen Terroranschlag gegeben hat. Aber warum sind wir bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus in den letzten Jahren so erfolgreich? Gerade weil wir -aktiv sind und weil wir die Hände nicht in den Schoß -legen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die schwierige Situation in Mali wird uns in den nächsten Wochen beschäftigen. Gerade weil die Situation in politischer Hinsicht, aber auch, was die Strukturen in den einzelnen Ländern angeht, so kompliziert ist, sind die Antworten, die wir geben, kompliziert und nicht einfach. Der kleine Beitrag, den wir im Rahmen dieser Mission aktuell leisten, passt zu dem Ansatz, den wir in der Terrorismusbekämpfung insgesamt gewählt haben: Präsenz und Abschreckung – auch das sind Mittel zur Terrorbekämpfung. Für ein Land wie Deutschland, das als Exportnation ein hohes und gesteigertes Interesse an sicheren Seewegen hat, ist das ein wichtiger Aspekt. Vor diesem Hintergrund kann ich Ihre Absage an das Mandat überhaupt nicht verstehen. Ich bin sogar erstaunt, dass es der Russischen Föderation leichterfällt, bei diesem Mandat mitzumachen, (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann orientieren wir uns an Russland?) dass es der Ukraine leichtfällt, bei einem NATO-Einsatz mitzumachen, aber die Opposition hier das geschlossen für Unfug erklärt. Deshalb sage ich: Wenn ein breiter Konsens besteht, gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen, dann verstehe ich nicht, warum Sie sich aus dieser guten Koalition verabschieden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum fallen Sie Ihrem Staatsminister in den Rücken?) Gerade Sie haben den Kampf gegen den internationalen Terrorismus 2001 unter Rot-Grün, unter Schröder/Fischer angeführt, indem Sie nach Afghanistan gegangen sind. Wir sind bemüht, den Bündnisfall in Verantwortung wieder zu beenden und die Truppen abzuziehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gerade dieser Aufgabe fühlen sich die Regierungsfraktionen verpflichtet. Vielleicht sollte man sich generell – das gilt sowohl für diesen Einsatz als auch für andere; es ist von den Regierungsvertretern ja auch kritisch angesprochen worden – bei zukünftigen Einsätzen überlegen, wie man Einsätze auch wieder beenden kann. Nur, wir machen die Arbeit, die Sie nicht erledigt haben, um das ganz deutlich zu sagen. Das Werben des Auswärtigen Amtes ist in dieser Debatte zur Sprache gekommen. Meine Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass die Präsenz der internationalen Gemeinschaft, eine geschlossene Präsenz auch der NATO, -notwendig ist, um gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen. Ich glaube, auch wenn unsere Soldatinnen und Soldaten nur zu einem geringen Teil dort beteiligt sind, gebührt ihnen Dank für das, was sie geleistet haben. Unserer deutschen Marine – Vertreterinnen und Vertreter sind heute anwesend – gebührt Dank dafür, dass sie diese wichtige Aufgabe übernehmen, ob an Feiertagen, ob an Geburtstagen, oder in schwierigen Lagen: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die deutsche Marine leistet dort einen hervorragenden Einsatz. Es gehört zum Selbstverständnis einer immer erwachsener werdenden Nation wie unserer dazu, dass wir -bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, dass wir uns nicht wegducken, sondern dass wir auch im Bündnis zu unserer Verantwortung stehen und dann versuchen, politische Ansätze zu finden, um gemeinsam mit Bündnispartnern – vielleicht bei späteren und weitergehenden Einsätzen – schon am Anfang zu überlegen, wie man diese zu einem guten Ende führen kann, um nicht kopflos in Dinge hineinzugehen, aus denen man später nur schwierig herauskommt, wie wir in Afghanistan sehen. Das ist eine Lehre, die sowohl für die Regierungskoalition als auch für diejenigen gilt, die diese Einsätze angeführt haben, nämlich für Sie von der Opposition. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11466 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie Zusatzpunkt 8 auf: 13 Beratung der Beschlussempfehlung und des -Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche -Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Roth (Esslingen), René Röspel, Dr. Sascha Raabe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine Generation frei von Aids/HIV bis 2015 – Anstrengungen verstärken und Zu-sagen in der Entwicklungspolitik einhalten – Drucksachen 17/10096, 17/11711 – Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Weiss (Wesel I) Karin Roth (Esslingen) Helga Daub Niema Movassat Uwe Kekeritz ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des -Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Krista Sager, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Menschenrecht auf Gesundheit umset-zen – Zugang zu Medikamenten weltweit verwirklichen – Drucksachen 17/8493, 17/9713 – Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Weiss (Wesel I) Karin Roth (Esslingen) Helga Daub Niema Movassat Uwe Kekeritz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich würde jetzt zu gern die Aussprache eröffnen. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber?) – Gut. Dann gehe ich davon aus, dass mir der Geschäftsführer der FDP-Fraktion bis zum Ende des Tagesordnungspunktes den Beitrag der Kollegin Helga Daub zu Protokoll gibt. Das Wort hat nun die Kollegin Karin Roth für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Karin Roth (Esslingen) (SPD): Ja, Frau Präsidentin, so ist das mit der FDP: Das Ministerium ist auch nicht da. (Iris Gleicke [SPD]: Das wissen wir schon länger, dass die die Arbeit eingestellt haben! Aber sie müssen es nicht dokumentieren! Das ist eine Missachtung des Parlaments! – Zuruf von der FDP: Aber wir sind da!) Es ist ja nicht nur die Berichterstatterin. Vielmehr sind auch Herr Niebel, der Minister, und die Staatssekretärin offensichtlich nicht in der Lage, diese wichtige Diskussion hier mitzuverfolgen. Immerhin geht es um den Welt-Aids-Tag am 1. Dezember. Das ist für uns ein guter Anlass, beispielsweise auch über die parlamentarischen Aktivitäten bei uns zu diskutieren und darüber, was das Ministerium macht. Ich finde, das ist eigentlich nicht in Ordnung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber so sind wir es bei diesem Minister gewohnt. (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Na, na, na!) Lassen Sie mich nach dieser schlechten Botschaft zunächst die guten Botschaften nennen: Dank der gemeinsamen internationalen Anstrengungen in den letzten Jahren von Regierungen in den Industriestaaten und den Entwicklungsländern kann der UN-Aids-Bericht von 2012 feststellen, dass durch die Aids-Politik in den letzten Jahren, seit 2005, ein Rückgang von Todesfällen um 24 Prozent zu verzeichnen ist. Das ist wahrlich eine gute Botschaft. Immerhin mehr als 600 000 Menschen können jetzt leben; ansonsten hätten sie sterben müssen. (Beifall bei der SPD) Dies ist vor allem auch dem verbesserten Zugang zu den Medikamenten zu verdanken. Dies war auch nur möglich, weil die Weltgemeinschaft für die Initiative des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria seit 2001 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt hat. Auch Deutschland war von Anfang an dabei und hat mit seinen Beiträgen Betroffenen geholfen. An der Stelle ist auch ein Dank an den Globalen Fonds zu richten; denn immerhin 3,6 Millionen Menschen wurden mit lebensnotwendigen Aids-Medikamenten versorgt. Das ist ein gutes Beispiel für internationale Politik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt noch eine weitere gute Botschaft. Die Neu-infektionen sind weltweit auf dem niedrigsten Stand seit dem Höhepunkt der Epidemie in den 90er-Jahren. Auch das ist wichtig, dass man sieht: Man kann etwas bewirken. Immerhin – das ist leider eine Tatsache – haben sich noch immer 2,5 Millionen Menschen neu infiziert. Aber in Malawi, Botswana und Äthiopien sind die Neuinfek-tionsraten um 50 Prozent gesunken. Das ist für uns Ermutigung, um auf diesem Weg weiterzumachen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das heißt, die Präventionsmaßnahmen, die Aktionen in den Ländern zur Verteilung von Kondomen, müssen weiter unterstützt werden. Wir tun so lange, bis ein Impfstoff entwickelt ist, gut daran, diese Kampagne – übrigens auch in unserem Land mit 78 000 Infizierten – weiter fortzusetzen und nicht nachzulassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist der Welt-Aids-Tag so wichtig: Wir sollen von dieser Krankheit nicht ablenken und sollen sie nicht vergessen. Ohne die von Deutschland aus weltweit agierenden Nichtregierungsorganisationen hätten wir diese Erfolge jedoch nicht erreicht. Sie sind es, die uns immer wieder darauf hinweisen und das oftmals verschwiegene Thema HIV/Aids auf die Tagesordnung setzen. Darüber sind wir sehr froh. Sie zwingen uns dadurch auch zum Handeln, weil sie unermüdlich in der Sache kämpfen. Das ist auch gut so. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) Ich danke deshalb den ehrenamtlichen und den hauptamtlichen Akteuren dafür, dass sie mit diesen Aktionen letztlich auch an unsere Verantwortung appellieren und 34 Millionen Menschen, die HIV-infiziert sind, immer wieder zum Gegenstand von Debatten machen. Sie rütteln auf, trotz Euro-Krise und trotz Nahostkonflikt, damit wir an dieser Stelle die Menschen nicht vergessen. Ohne ein „Aktionsbündnis gegen Aids“ in Deutschland und weltweit, ohne „Ärzte ohne Grenzen“, ohne „ONE“, „World Vision“, die „Stiftung Weltbevölkerung“ und viele andere Aktionsgruppen mehr hätten wir diese Erfolge nicht erreicht. Das muss an diesem heutigen Tag auch gesagt sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Ihre Expertise und ihre Kompetenz sind für wissenschaftliche und politische Debatten unerlässlich. Im Dialog mit ihnen und der Wissenschaft erhalten wir wichtige Impulse, und unsere Strategien und Maßnahmen werden dadurch verbessert. Es ist auch kein Wunder, dass der Globale Fonds Vertreter dieser Zivilgesellschaft in das Board, also in die Entscheidungsgremien, aufgenommen hat. Wir können uns daran ein Beispiel nehmen, indem wir und auch die Entwicklungsländer die Kompetenzen dieser Zivilgesellschaft aufgreifen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu guter Letzt gibt es eine weitere gute Nachricht. Bis 2015 können wir eine aidsfreie Generation erreichen, wenn wir alle Kräfte zusammennehmen und sie bündeln. Weltweit leben 2,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren mit HIV/Aids, weil Mutter und Kind nicht behandelt wurden. Immer noch sind 58 Prozent der Infizierten Frauen; denn es gibt nicht genügend Medikamente für diese Personengruppen. Deshalb geht es darum, dass wir die guten Medikamente, die jetzt entwickelt wurden, endlich einsetzen, beginnend bei der Schwangerschaft über die Geburt bis zur Stillzeit, also für den gesamten entscheidenden Zeitraum. Anschließend sind die Kinder aidsfrei. Was für eine Chance, was für eine Möglichkeit! Wir dürfen diese Chance nicht vertun. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Bisher bekommen nur 28 Prozent der infizierten Kinder Medikamente. Das müssen wir ändern, und wir können es ändern. Lassen Sie uns, so wie 2001 international beschlossen, alles tun, um den Zugang der infizierten Schwangeren zu medizinischer Versorgung zu verbessern. Eine aidsfreie Generation ist keine Vision. Es ist möglich. Es kann Wirklichkeit werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dafür tragen wir die Verantwortung. Eine aidsfreie Generation bedeutet auch, dass wir die Menschen nicht im Stich lassen. Ohne zusätzliche finanzielle Aktivitäten ist das nicht möglich. Ich bin froh, dass meine Fraktion aus gutem Grund die Erhöhung der Mittel für den Globalen Fonds von 200 Millionen Euro auf 400 Millionen Euro jährlich vorgeschlagen und in unseren Antrag eingebracht hat. (Beifall bei der SPD) Darüber freue ich mich sehr. Damit soll gewährleistet werden, dass die drei großen Krankheiten – Malaria, Tuberkulose und Aids – bekämpft werden. Denn an diesen drei großen Krankheiten sterben die meisten Menschen. Hier hilft auch kein Kartenspielertrick vom Minister, der nicht anwesend ist. Der Minister hat vor zwei Tagen eine Presseerklärung mit der Ankündigung „1 Milliarde Euro für den Globalen Fonds“ herausgegeben. Er hat lediglich vergessen, dazuzuschreiben, dass sich diese Summe auf fünf Jahre erstreckt. Ich habe nachgeschaut: Zum Glück ist kein Journalist darauf hereingefallen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) So klug sind in der Zwischenzeit auch die Journalisten, etwas genauer hinzuschauen, wenn es um Herrn Niebel geht, der mit Niebel-Kerzen wirft. Mit Seriosität hat das nichts zu tun. Es kommt darauf an, diese Geißel der Menschheit ernst zu nehmen. Es geht immerhin um Millionen Menschen. Es geht um Kinder, die heute von dieser Krankheit betroffen sind oder es morgen sein können. Wir wissen, dass es nach wie vor die Stigmatisierung von bestimmten Gruppen gibt, insbesondere von Sex-arbeiterinnen – das sind die Frauen – und Homosexuellen. Wir müssen alles tun, damit auch bei diesen Gruppen enttabuisiert und entkriminalisiert wird. Das ist eine große Aufgabe, auch in den Entwicklungsländern. Dort gibt es noch sehr große Vorbehalte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unterstützen daher Sie unseren Antrag „Für eine Generation frei von Aids/HIV bis 2015“! Dazu brauchen wir politische und finanzielle Unterstützung. Wenn wir das schaffen, tragen wir Hoffnung in die Länder, in denen Aids-Waisen und Aids Alltag sind. Enttäuschen wir deshalb diese Hoffnungen nicht; denn sie sind das eigentlich Wichtige, das wir den Menschen in diesen Zeiten bringen können. Ich danke und hoffe, dass Sie unseren Antrag unterstützen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Liebe Kolleginnen und Kollegen, mich erreichte gerade die Nachricht, dass Frau Parlamentarische Staats-sekretärin Kopp auf dem Weg hierher war, aber erkrankt ist. Sie ist damit für diese Debatte entschuldigt. Das will ich an dieser Stelle der Vollständigkeit halber sagen. Ich denke, wir alle wünschen ihr gute Besserung. Wir setzen die Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Sabine Weiss für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das erste Mal ist mir so richtig bewusst geworden, mit welch furchtbarer Kraft und auch Endgültigkeit Aids Leben zerstört, als ich vor vielen Jahren als Rechtsanwältin einen Fall für die Aidshilfe übernommen habe. Ich habe damals die Verteidigung einer jungen aidskranken Frau übernommen, die wiederholt vor Gericht stand. In dem seinerzeitigen Verfahren ging es um den Diebstahl eines Lippenstiftes. Da die junge Frau aber schon mehrfach straffällig geworden war, drohte nun eine Haftstrafe von insgesamt anderthalb Jahren. Mein Hauptargument in der Verteidigung war, dass die Verbüßung einer nun anstehenden 18-monatigen Haftstrafe faktisch gleichzusetzen sei mit einer lebenslänglichen Haft; denn die Lebenserwartung der Frau betrug aufgrund ihrer Aids-Erkrankung keine 18 Monate mehr. Das alles ist mittlerweile deutlich mehr als 15 Jahre her. Seitdem hat sich glücklicherweise viel getan. Dank guter Therapien ist die Lebenserwartung von HIV/Aids-Patienten um Jahrzehnte gestiegen. Dank einer Medikamentenkombination kann mittlerweile sogar die Übertragung des HI-Virus von der werdenden Mutter auf das Kind verhindert werden. Dass diese lebensrettenden Medikamente nicht nur in den reichen Industrieländern zur Verfügung stehen, sondern auch den Menschen in den Entwicklungsländern, ist eine großartige Leistung. Solche Erfolge hätte vor Jahren noch kaum jemand für möglich gehalten. Auch die neuesten Zahlen der Vereinten Nationen machen Mut und Hoffnung – Frau Kollegin Roth, Sie haben es gesagt –, dass nach all den Jahren mit immer höheren Zahlen von Neuinfektionen und Todesfällen endlich ein Scheitelpunkt erreicht sein könnte. Damit rückt die Vision einer HIV-freien Generation in erreichbare Nähe. Das sind endlich zunächst einmal gute Nachrichten im Kampf gegen diese heimtückische Krankheit. Doch: Jeder Aids-Tote ist natürlich einer zu viel. Der Weg zu einer aidsfreien Generation ist noch lang und steinig; denn die Gesamtbilanz der Krankheit ist nach wie vor verheerend. Jedes Jahr infizieren sich immer noch 390 000 Neugeborene durch die Mutter mit dem Virus. Immer noch hat rund die Hälfte der Infizierten keinen Zugang zu lebensrettenden Medikamenten. Und jeden Tag infizieren sich 7 000 Menschen neu mit HIV. Es gibt also noch viel zu tun. Die schärfste und auch beste Waffe im Kampf gegen diese heimtückische Krankheit ist die Infektionsvorbeugung. Weitreichende Aufklärung über die Krankheit und Ansteckungsvermeidung sind daher essenziell auf dem Weg zu dem Ziel der Vereinten Nationen, null Neuinfektionen, null Diskriminierung und null Todesfälle durch Aids zu erreichen. Prävention ist daher ein zentraler Punkt des deutschen Engagements. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Deutschland gehört zu den größten Gebern im Kampf gegen HIV/Aids. Ein wichtiges Instrument dabei ist der Globale Fonds, dem wir viele der nun erreichten Erfolge mit zu verdanken haben. Es ist gut, dass der Globale Fonds mittlerweile seine Arbeitsweise reformiert hat. Ich bin daher froh, dass Deutschland als drittgrößter Geber den Globalen Fonds mit 200 Millionen Euro jährlich in seiner wichtigen Arbeit unterstützt. Wir setzen aber in unserer Entwicklungszusammen-arbeit nicht nur auf ein Pferd. Vielmehr engagiert sich Deutschland auch sehr erfolgreich bilateral in der HIV-/Aids-Bekämpfung. Einen großen Teil der 30 Forderungen in Ihrem Antrag, Frau Roth, erfüllt die Bundesregierung also bereits. Das kann man im Übrigen im Positionspapier des BMZ zu diesem Thema nachlesen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Letzte Woche – ich hatte das im Ausschuss schon erwähnt – hat Ihr Kanzlerkandidat an dieser Stelle erklärt, der Schuldenabbau komme nicht schnell genug voran und mit ihm hätte es keine neuen Schulden gegeben. (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Toller Hecht!) Sie fordern einmal eben mehrere Hundert Millionen Euro mehr. Woher das Geld kommen soll, dazu finde ich in Ihrem Antrag leider nichts. Noch einmal: Niemand in diesem Raum glaubt doch ernsthaft, dass der SPD-Kanzlerkandidat eine Erhöhung der Gelder für den Globalen Fonds auch nur angedacht hätte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Im Übrigen – das noch abschließend – versteht es sich von selbst, dass ein Antrag mit Anwürfen, die jeglicher Grundlage entbehren, nicht unsere Zustimmung finden kann. Behauptungen wie die, die Bundesregierung ließe im Bereich HIV/Aids ihren vollmundigen Ankündigungen keine Taten folgen, (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: 1 Milliarde!) sind schlicht und einfach falsch. Dazu gibt es nichts mehr zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutschland ist als einer der größten Geber im Kampf gegen HIV/Aids sehr erfolgreich. Deutschland wird weiter engagiert gegen diese Geißel der Menschheit kämpfen. Ihren Antrag lehnen wir aber ab. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion der Linken hat nun der Kollege Niema Movassat das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weil wir heute über das Thema HIV/Aids reden, möchte ich vorweg allen Ärztinnen und Ärzten, Fachkräften der Entwicklungszusammenarbeit, Forschern, Krankenschwestern und -pflegern, Hebammen, Nichtregierungsorganisationen, dem Globalen Fonds und allen anderen danken, die so unermüdlich dafür kämpfen, die Ausbreitung von Aids zu beenden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Es gibt Erfolge: Immer mehr Betroffene erhalten die notwendigen Medikamente. Die Zahl der Neuinfektionen geht seit Jahren zurück. – Der Kampf gegen Aids zeigt, wozu die Menschheit in der Lage ist, wenn sie sich konsequent einem Problem stellt und Maßnahmen dagegen ergreift. Dasselbe Engagement brauchten wir bei der Durchsetzung des generellen Menschenrechts auf Gesundheit und auch und vor allem im Kampf gegen Armut und Hunger. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Kampf gegen Aids ist noch nicht gewonnen. Noch immer infizieren sich jede Minute fünf Menschen mit dem HI-Virus. Insbesondere die Mutter-Kind-Übertragung, der fehlende Zugang zu Prävention, beispielsweise Kondomen, und eine fehlende Behandlung in den ärmsten Ländern der Welt gefährden das Erreichte. Der Drogengebrauch ist heute übrigens für durchschnittlich ein Drittel aller weltweiten HIV-Neuinfektionen verantwortlich, Subsahara-Afrika ausgenommen. Hierbei sagen wissenschaftliche Studien ganz klar: Je repressiver die Drogenpolitik, desto höher das Aids-Risiko. SPD, FDP und Union sollten deswegen ihre repressive Drogenpolitik endlich überdenken. Auch das wäre ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen Aids. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Karin Roth [Esslingen] [SPD] und Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nun zum vorliegenden SPD-Antrag. Wir werden ihm zustimmen. Viele ihrer Forderungen hat die Linke bereits im letzten Jahr in einem Antrag erhoben. Ich nenne einige Beispiele: Um eine bezahlbare Medikamentenversorgung auch der ärmsten Länder zu gewährleisten, brauchen wir unbedingt Generika, die preiswerte Kopie des Originals. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Forderungen nach den dafür notwendigen Flexibilitäten beim Handelsabkommen TRIPS im Bereich der Eigentumsrechte sind im vorliegenden Antrag fast deckungsgleich mit unseren. Auch unsere Forderung, die Bundesregierung solle die Produktentwicklungspartnerschaften auf die Bereiche HIV/Aids und Tuberkulose ausdehnen, haben Sie übernommen – fast wortgleich auch: Sie wollen die Vorgabe, dass nur ein Drittel der Entwicklungshilfegelder für multilaterale Instrumente, also beispielsweise Organisationen der UN, ausgegeben werden darf, aufheben. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Ich bin froh, dass wir uns inzwischen in so vielen Punkten einig sind. Aber gerade deshalb finde ich es umso unverständlicher, dass Sie von der SPD sich geweigert haben, unseren Antrag heute gemeinsam mit Ihrem zu debattieren. Man gewinnt den Eindruck, Sie wollen damit kaschieren, wie viel Sie eigentlich bei uns abgeschrieben haben. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Rainer Stinner [FDP]: Schmeißt doch eure Sachen einfach zusammen! Das wäre doch einfacher!) 2010 haben wir hier einen Antrag mit der Forderung eingebracht, die Steigerung der Entwicklungshilfequote auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens verbindlich festzulegen. Sie von der SPD haben damals dagegen gestimmt. Nun stellen Sie dieselbe Forderung in Ihrem Antrag. Ein wenig schizophren ist das schon. Dank der Koalition ist die Realisierung dieser Forderung inzwischen leider unrealistisch. Diese Bundesregierung gibt im globalen Kampf gegen HIV/Aids eine klägliche Figur ab. Auf Worte folgen wenige Taten. Ausgerechnet der deutsche Entwicklungsminister hat die Arbeit des Globalen Fonds, der einen entscheidenden Beitrag zum weltweiten Kampf gegen Aids leistet, torpediert. Zwischendurch wollte er den deutschen Beitrag sogar gänzlich streichen. In den letzten drei Jahren hat er das Geld nur mit großer Verzögerung bereitgestellt und die finanziellen Mittel um keinen Cent erhöht. Damit tappt Herr Niebel in die Falle, vor der alle Experten warnen: Allein aufgrund der bisherigen Erfolge sollte man nicht in den Anstrengungen nachlassen. Gemessen an der deutschen Wirtschaftskraft und am tatsächlichen Bedarf des Globalen Fonds wäre ein Beitrag von mindestens 400 Millionen Euro für Deutschland angemessen; doch Sie bleiben auch dieses Jahr bei nur 200 Millionen Euro. So werden wir Aids nicht endgültig besiegen. Statt warmer Worte brauchen wir mehr Taten von dieser Regierung. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Uwe Kekeritz hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt sehr oft gehört, was wir alles leisten. Frau Kollegin Weiss, es ist ja schön, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass wir der drittgrößte Geber für den Global Fund sind. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist ja auch richtig!) Wenn wir über das Thema Entwicklungszusammenarbeit diskutieren, müssen wir aber auch auf die Prozente schauen. Es ist klar, dass kleinere Länder nicht so viel leisten können. Wenn ich auf die traurigen 0,38 Prozent des Bruttoinlandsprodukts schaue, die wir zurzeit zur Verfügung stellen, wird mir bewusst, dass diese Regierung weit hinter ihrem Versprechen zurückbleibt. Die Kürzungen, die Sie jetzt durchgedrückt haben, verschlimmern diese Situation sogar noch. Ich denke, dass die Politik dieser Regierung alles andere als positiv ist. Das verstehe ich überhaupt nicht. Unsere Vorlagen im AwZ werden regelmäßig von Ihnen, den Kollegen der Koalition, gelobt und für richtig befunden. Am Schluss werden sie aber einfach abgelehnt. Kein Wunder, dass Ihre Politik solche Schwächen aufweist. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE]) Es ist aber nicht nur Ihre Weigerung, die Ideen der Opposition aufzugreifen, die eine bessere Politik im Hause Niebel verhindert. Wenn ein Minister durch seine eigenen Parteifreunde im Haushaltsausschuss kaltgestellt wird, hat er es natürlich verdammt schwer. Da nützt es ihm auch nichts, von einer „Lebenslüge“ zu sprechen. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Thema verfehlt!) – Es geht um Finanzen, Frau Kollegin Pfeiffer. – Es geht um die Lebenslüge, die er heute Morgen als solche entdeckt hat. Herr Niebel ist aber kein Opfer eines süßen Traumes, der sich jetzt plötzlich in Luft aufgelöst hat, sondern Herr Niebel hat mit der Kanzlerin dieses Haus und die Öffentlichkeit seit Jahren bewusst getäuscht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Sie haben nie daran gedacht, das 0,7-Prozent-Ziel auch tatsächlich umzusetzen. Damit hängt aber zusammen, wie viel Geld wir zur Verfügung haben oder eben nicht. Dass Minister Niebel auch noch von seinem eigenen Ausschuss gezwungen wird, der Kürzung seines Etats zuzustimmen, zeigt, welchen Stellenwert die EZ in der Koalition hat: einen ziemlich geringen. Dann kommt von der Koalition immer wieder die Geschichte vom halb vollen Glas. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist doch albern!) – Frau Pfeiffer, wenn Sie den Mut dazu haben, dann stellen Sie doch eine Zwischenfrage. (Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Aha. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Ich muss doch quasi! – Dr. Rainer Stinner [FDP]: Mutproben! Es geht um Mutproben! Mannhafte Mutprobe!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Möchten Sie die Zwischenfrage zulassen? – Bitte schön. Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Herr Kollege, es ist mir eigentlich zu albern, das immer und immer wieder zu wiederholen: (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lassen Sie es doch!) Seitdem die Bundeskanzlerin Angela Merkel heißt, haben wir den Haushalt verdoppelt. (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Aha!) Oder wollen Sie das abstreiten? (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Nein, das wollen wir nicht abstreiten. – Ich will das nur noch einmal sagen, weil ich es definitiv nicht mehr hören kann. Ich brauche auch keine Antwort, Herr Kollege. Ich stelle das nur fest, damit Sie nicht immer und immer wieder dieselben Behauptungen aufstellen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin, so geht das nicht. Sie können hier nicht Fragen stellen und dann sagen: Ich erwarte darauf keine Antwort. Eine Kurzintervention macht man am Schluss. Sie wissen genau, dass das nicht stimmt. Der Haushalt des BMZ ist nicht verdoppelt worden, das ist definitiv nicht der Fall. Wir sind jetzt bei 7 Milliarden Euro. Früher lag er demnach bei 3 Milliarden Euro? (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Genauso ist es!) Sie haben da einfach falsche Zahlen im Kopf. Das, was ich Ihnen erzähle, hängt mit den Ausgaben zusammen. Frau Kollegin Roth hat es gesagt: Das ist eine Frage der Investitionen. Die Investitionen im Bereich HIV/Aids sind die effektivsten Investitionen, die wir verzeichnen. Können Sie mir irgendeinen anderen Bereich nennen, in dem Geld produktiver investiert wird als in diesem Bereich? Darum sollten wir auch nicht darauf verzichten, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der Bereich Prävention wurde schon angesprochen. Das ist ein sehr effektiver Bereich, der nicht nur individuelle Auswirkungen hat. Eine rechtzeitige medikamentöse Behandlung reduziert zum Beispiel auch die Übertragungswahrscheinlichkeiten erheblich; das ist eine relativ neue Erkenntnis. Zur HIV-/Aids-Prävention gehören natürlich auch die Bereiche Bildung und Aufklärung. Dazu gehört auch der Bereich Frauen- und Mädchenrechte. Auch in diesem Bereich ist sehr viel geleistet worden. Meine Damen und Herren, die Anträge von SPD und Grünen belegen, dass die Gläser halb voll sind. Wir müssen jetzt zeigen, wie wir diese Gläser ganz voll machen – im Interesse der einzelnen Menschen, aber auch im Interesse der Nationen, in denen sie leben. Eine Aufstockung des Global Fund wäre fundamental wichtig. Bei so vielen Erfolgsmeldungen muss doch auch der Koalition langsam der Verdacht kommen, dass die enormen Erfolge nur multilateral zustande gekommen sind. Bilateral hätten wir diese Erfolge nie und nimmer erreichen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt Bereiche, in denen bilaterale EZ sinnvoll ist; aber Ihr verbohrter und engstirniger Kampf gegen die multilateralen Ansätze gehört einfach auf den Müllhaufen der Geschichte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Entwicklungszusammenarbeit sollte kein Kampf sein, sondern auf Kooperation, Transparenz und einer gemeinsamen Zielorientierung basieren. Nur so lässt sich der Welt-Aids-Tag würdevoll und vor allem glaubwürdig begehen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich weise gerne darauf hin, dass es bei Zwischeninterventionen möglich ist, keine Frage zu stellen. Ich bitte jetzt Johannes Selle, für die CDU/CSU das Wort zu ergreifen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Johannes Selle (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Lebenserwartung in den Entwicklungsländern liegt bis zu 30 Jahre unter der in den Industriestaaten. Jedes Jahr sterben Millionen Menschen an armutsbedingten vernachlässigten Krankheiten, deren Behandlung möglich gewesen wäre. Das ist eine traurige Realität. Weltweit sind mehr als 1 Milliarde Menschen an Malaria, HIV und Tuberkulose sowie an 15 weiteren bei uns eher unbekannten Tropenkrankheiten wie Bilharziose oder Elefantiasis erkrankt. Weltweit hungert eine gleiche Anzahl von Menschen. Dabei wird Krankheit oft zur Ursache von Armut und Armut oft zur Ursache von Krankheit. Seit der Verabschiedung der Millenniumserklärung im Jahr 2000 sind die Ausgaben für Gesundheit weltweit stark gestiegen. Die Anstrengungen waren erfolgreich, wie man an der Senkung der Zahl der HIV-Neuerkrankungen, aber auch an der gesunkenen Kindersterblichkeit sehen kann. Anstrengungen lohnen sich; es bleibt noch viel zu tun. Gesundheit ist ein wichtiger Baustein unserer Politik in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit und Forschung. In Deutschland investiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung jährlich 11 Millionen Euro in die Forschung an Universitäten und Forschungseinrichtungen, und zwar immer stärker auch in den Bereich wenig erforschter Krankheiten. Speziell für die unerforschten Krankheiten wurde das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung gegründet. Auf das Problem der vernachlässigten Krankheiten hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung auch durch die Förderung von Produktentwicklungspartnerschaften, sogenannten PDPs, reagiert. Seit 2011 werden bis 2014 jährlich 20 Millionen Euro ausgegeben. PDPs sind internationale Non-Profit-Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Impfstoffe, Medikamente und – das ist ganz wichtig – Präventionsmethoden gegen armutsassoziierte und vernachlässigte Krankheiten wie die genannten Krankheiten oder eben auch Krankheiten mit hoher Mortalität bei Kindern wie Meningitis oder Durchfall zu entwickeln, die dann kostengünstig in den Entwicklungsländern auf den Markt gebracht werden. Deutschland hat sich dazu verpflichtet, an der Eindämmung der globalen HIV-Epidemie mitzuwirken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir gehören zu den größten Gebern weltweit, und dabei machen wir keineswegs eine klägliche Figur. Die Gewährleistung eines universellen Zugangs zu Vorsorge, Behandlung und Pflege für alle Menschen ist und bleibt uns wichtig. Der Globale Fonds, der einen wichtigen Beitrag leistet, wird von uns mit 200 Millionen Euro jährlich unterstützt. Wir unterstützen ebenfalls die GAVI Alliance. Nicht unerwähnt dürfen die zusätz-lichen bilateralen Projekte bleiben. Seit 2002 unterstützt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit 47 Arbeitsplatzprogramme und -projekte, die der HIV-Prävention und dem Zugang zur Behandlung dienen. Diese Vorhaben werden überwiegend als sogenannte Public-private-Partnership-Programme in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft in 15 Ländern, vor allem im südlichen Afrika, umgesetzt. Es gibt noch viele andere positive Beispiele: die Unterstützung von staatlichen HIV-Test- und HIV-Beratungsstellen und die Unterstützung von extrem armen Haushalten in Malawi. Die von uns unterstützte Aufklärung und Bildung zum Thema HIV hat in Uganda Wirkung gezeigt. Dies ist sozusagen Bildung als sozialer Impfstoff, wie es Bundesminister Niebel einmal sagte. Einige Punkte aus den Anträgen der Oppositionsfraktionen verdienen es durchaus, verfolgt zu werden. Aber nicht zu übersehen sind die Forderungen nach mehr Geld. Im Antrag der Grünen sind es zum Beispiel 180 Millionen Euro, 80 Millionen Euro davon bei den PDPs und 100 Millionen Euro beim Globalen Fonds. Abgesehen von der im Haushalt nicht darstellbaren Erhöhung sollten wir zunächst unser Engagement evaluieren, das wir bei den PDPs eingegangen sind. Im nächsten Jahr wird der designierte neue Chef des Globalen Fonds, Mark Dybul, seine Arbeit aufnehmen. Er hat angekündigt, Misswirtschaft entschieden zu bekämpfen. Immerhin ging es dabei um 34 Millionen Dollar. Wir haben unser Engagement verstetigt. HIV/Aids gehört ausgerottet; da sind wir uns einig. Aber leider schaffen wir es nicht einmal in Deutschland, die Zahl der Neuinfektionen auf null zu senken. In diesem Jahr liegt die Zahl der Neuinfektionen bei 3 400, wie wir gestern in der Süddeutschen Zeitung lesen konnten. Insgesamt müssen wir die Anträge ablehnen. Die Diffamierung der Regierung durch die Grünen lässt erkennen, dass Sie es eigentlich auch gar nicht anders erwartet haben. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das waren nicht wir! Das müssen Sie verwechseln, Herr Kollege!) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Aus dem Protokoll in die Wirklichkeit auferstanden ist die Rede von Helga Daub für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Helga Daub (FDP): Verehrte Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Spät, aber eben nicht zu spät. – Dem Ziel, bis 2015 eine Generation frei von Aids zu haben, ist zuzustimmen. Das Ideal sollte man sich immer vor Augen halten, um schließlich praktische Schritte einzuleiten. Zu den praktischen Schritten komme ich noch. Zunächst sollten wir zur Kenntnis nehmen, dass es durchaus nennenswerte Fortschritte bei der Bekämp-fung von Aids und HIV gibt. Sie kennen sicherlich den UNAIDS-Bericht, wonach die Zahl der Todesfälle in den letzten fünf Jahren um 23 Prozent zurückgegangen ist und die Zahl der Neuinfektionen weltweit auf dem niedrigsten Stand seit dem Höhepunkt dieser Epidemie ist. Das ist die gute Nachricht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das wollte ich zur Einleitung sagen. Der Antrag der SPD enthält 30 Forderungen. Viel Richtiges ist dabei; aber manches scheint mir – Entschuldigung, dass ich das so sage – ein bisschen an den Haaren herbeigezogen. Eine kleine Kostprobe: Sie sagen, dass viele Medikamente gekühlt werden müssen, was in armen heißen Ländern schwierig ist. Deshalb sei Forschung nötig. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ja, klar! Aber andere Forschung!) Liebe Kollegin Roth, zunächst einmal: Wir werden das Problem, dass es in diesen Ländern heiß ist, nicht abstellen können. Also ist erst einmal Kühlung nötig; das ist der erste Schritt. Weitere Forschung soll das natürlich nicht ausschließen. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Aber man kann auch an solchen Medikamenten forschen, die das nicht brauchen!) Eines möchte ich ganz klar und deutlich feststellen: Der Vorwurf, Deutschland erfülle seine internationalen Verpflichtungen nicht, ist von der Hand zu weisen. (Beifall bei der FDP) Bestes Beispiel ist der Global Fund, bereits mehrfach -erwähnt. Deutschland ist drittgrößter Geber. Die von Ihnen geforderte Verdopplung der Mittel von 200 Millionen Euro auf 400 Millionen Euro per annum ist nicht nur aus finanziellen Gründen utopisch. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Na! Das könnten Sie schon schaffen!) Es fehlt auch die Absorptionsfähigkeit in den Entwicklungsländern. Sie kennen die Schwierigkeiten, die der Global Fund beispielsweise in Uganda mit der Verteilung seiner Mittel hat. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Fragen Sie doch den Globalen Fonds! Haben Sie mit dem Globalen Fonds schon mal über das Geld gesprochen?) Richtig ist: Der Eindämmung der HIV-Epidemie wird in der deutschen Entwicklungspolitik eine herausgehobene Stellung eingeräumt. Unser wichtigstes Ziel ist es, die Mutter-Kind-Übertragung zu verhindern. Aktuell unterstützt Deutschland in der bilateralen Zusammenarbeit 15 Partnerländer und zwei Regionen in Sachen Gesundheit, Familienplanung und HIV. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den Ländern des südlichen und östlichen Afrika. So unterstützen wir auch Partnerschaften zwischen afrikanischen und deutschen Krankenhäusern sowie Forschungseinrichtungen. Ganz konkret stärken wir damit nationale Gesundheitssysteme. Diesen erfolgreichen Weg wollen wir natürlich weitergehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Daher freut es mich sehr, dass wir solche Kooperationen ab dem kommenden Jahr auch auf den Bereich der Mütter- und Kindergesundheit ausdehnen werden. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Mit dem gleichen Geld?) Prävention bedeutet aber nicht nur medizinische Maßnahmen, sondern vor allem auch Aufklärung. Damit hatten wir in Deutschland große Erfolge; auch dort müssen wir das machen. Wir wollen also neue Wege beschreiten. So werden zum Beispiel subventionierte und daher für die Bevölkerung erschwingliche Kondome über den lokalen Einzelhandel vertrieben. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das ist doch ein -alter Hut!) – Ach, Frau Roth. – Wir unterstützen im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit eine Vielzahl dieser kleineren Projekte, und das mit sehr guten Ergebnissen. Die Erfahrung zeigt, dass zivilgesellschaftliche Gruppen von der Bevölkerung in Entwicklungsländern besonders gut angenommen werden. Diese Expertise von Vertretern der Zivilgesellschaft muss man einbeziehen. Das werden wir seitens der Bundesregierung und des Ministeriums auch tun. Mit der Aufklärung müssen wir uns vor allen Dingen an junge Menschen wenden, da in dieser Gruppe leider Gottes die höchste Zahl von Neuinfektionen zu verzeichnen ist. Sehr erfolgreich ist zum Beispiel eine Initiative in Mosambik, die ausgeweitet werden soll: Während des Fußballtrainings werden junge Männer spielerisch über Aids aufgeklärt; das kommt gut an. Mittlerweile soll diese Initiative auch in anderen Provinzen durchgeführt werden. Wir wollen auch finanziell neue Wege gehen. Nur ein Beispiel – im Ausschuss habe ich es schon erwähnt, Frau Roth –: Deutschland setzt sich dafür ein – ich halte das für eine großartige Idee –, dass Schuldnerländern Schulden erlassen werden, sofern die frei gewordenen Mittel in die nationalen Gesundheitssysteme fließen; ich spreche von der Debt2Health-Initiative. – Ich könnte Ihnen weitere innovative und erfolgreiche Initiativen vorstellen. Da wir im digitalen Zeitalter leben, empfehle ich Ihnen aber einen Blick auf die Homepage des BMZ. Übrigens sind viele Ihrer Forderungen in die Strategie des BMZ eingeflossen. Wir können zwar helfen, bessere Rahmenbedingungen in den Entwicklungsländern zu schaffen, und wir können die Entwicklungsländer dabei unterstützen, den Kampf gegen HIV zu führen. Aber die Entwicklungsländer müssen auch selbst einen Beitrag leisten; da können wir sie nicht ganz außen vor lassen. Jetzt komme ich zur Finanztransaktionsteuer, die, wie immer wieder gefordert, zur Finanzierung herhalten soll. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Richtig! Die FDP mag die aber nicht!) Sie wissen, Frau Roth – ich habe es schon einmal gesagt –: Das ist ein Knochen, an dem schon viele Hunde sind; will heißen: Auch andere haben schon ihre begehrlichen Blicke darauf geworfen. Diese Einnahmen würden also nicht nur dem Einzelplan 23 zufließen; das muss uns leider Gottes klar sein. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Daub, kommen Sie bitte zum Ende? Helga Daub (FDP): Ich komme zum Ende, ja. Weil Ihr Antrag ein bisschen den Charakter eines Wunschzettels an das Christkind hat, werden wir Ihren Antrag ablehnen. Danke, Frau Präsidentin. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Für eine Generation frei von Aids/HIV bis 2015 – Anstrengungen verstärken und Zusagen in der Entwicklungspolitik einhalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11711, den Antrag auf Drucksache 17/10096 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen bei Zustimmung durch die Ko-a-litionsfraktionen. SPD und Linke haben dagegen gestimmt; Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Das Menschenrecht auf Gesundheit umsetzen – Zugang zu Medikamenten weltweit verwirklichen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 17/9713, den Antrag auf Drucksache 17/8493 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt; Linke und SPD haben sich enthalten. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – Drucksache 17/10771 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) – Drucksache 17/11610 – Berichterstattung: Abgeordnete Daniela Ludwig Gustav Herzog Werner Simmling Dr. Valerie Wilms b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Arnold Vaatz, Daniela Ludwig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Patrick Döring, Michael Kauch, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Schienenlärm wirksam reduzieren – Schienengüterverkehr nachhaltig gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Gustav Herzog, Uwe Beckmeyer, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für einen neuen Infrastrukturkonsens – Schutz der Menschen vor Straßen- und Schienenlärm nachdrücklich verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Gustav Herzog, Uwe Beckmeyer, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bürgerinnen und Bürger dauerhaft vom Bahnlärm entlasten – Alternative Güterverkehrsstrecke zum Mittelrheintal angehen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutz vor Bahnlärm verbessern – Veraltetes Lärmprivileg „Schienenbonus“ abschaffen – Drucksachen 17/10780, 17/5461, 17/6452, 17/4652, 17/11610 – Berichterstattung: Abgeordnete Daniela Ludwig Gustav Herzog Werner Simmling Dr. Valerie Wilms Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Verabredet ist, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und bitte um erhöhte Aufmerksamkeit, weil der Kollege Dirk Fischer uns jetzt nicht nur mit seiner Rede beglücken wird, sondern auch dadurch, dass er seinen Geburtstag, der nur noch wenige Stunden andauert, anlässlich dieses Tagesordnungspunktes mit uns begehen wird. Ihnen herzlichen Glückwunsch und Gottes Segen! (Beifall) Wir singen nicht. – Sie reden jetzt. Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Vielen Dank, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als exportorientiertes Land braucht Deutschland ein leistungsfähiges Schienennetz, auf dem Waren und Güter bestmöglich transportiert werden können. Der Schienengüterverkehr ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Die Prognosen zeigen, dass diese Entwicklung anhalten wird. Ich sage ganz deutlich: Wir wollen noch viel mehr; (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) denn das ist gut für Wachstum, für Wettbewerbsfähigkeit und für Beschäftigung. Mehr Schienengüterverkehr bringt aber auch mehr Lärm für die Anwohner, insbesondere entlang viel befahrener Strecken mit dichter Besiedlung und engen Tälern, wie zum Beispiel im Rheintal. Dort haben wir erhebliche Probleme mit dem Schienenverkehrslärm, vor allem weil diese Lärmbelastung nachts zwischen 1 und 5 Uhr an stark befahrenen Strecken besonders hoch ist, weil dann besonders viel Güterverkehr ohne Einschränkung durch den vertakteten Personenverkehr abgewickelt wird. Das heißt, der lauteste Schienenverkehr erfolgt ausgerechnet in der Tiefschlafphase der Bevölkerung. Das ist bei einem Universalnetz nicht anders möglich, weil wir am Tage den vertakteten Personennah-, Regional- und Personenfernverkehr haben. Aber das gefährdet die Gesundheit der Menschen. Deswegen müssen wir die zunehmende Lärmbelastung durch den Schienengüterverkehr sehr ernst nehmen. Sonst dürfen wir uns nicht wundern, wenn in der Bevölkerung der Widerstand gegen Infrastrukturprojekte zunimmt. Zurzeit fließen jährlich 100 Millionen Euro in das Bundesprogramm für die freiwillige Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen. Durch das Pilotprogramm „Leiser Güterverkehr“ fördert der Bund die Ausrüstung von Güterwagen mit neuen und vor allem leiseren Bremstechnologien. Da sind im Moment die etwas teurere K-Sohle und die deutlich günstigere LL-Sohle im Angebot. Letztere hat ihre Dauerfestigkeit noch nicht hinreichend bewiesen. Deswegen sind die Anwender hier eher zurückhaltend. Wir hoffen, dass diese Bremstechnologie in wenigen Monaten voll verfügbar sein wird. Wenn alle in Deutschland eingesetzten Güterwagen so umgerüstet werden, kann damit der Lärm an der Quelle um 10 Dezibel (A) reduziert und damit der wahrgenommene -Schienenlärm faktisch halbiert werden. Das wäre eine großartige Sache. Wenn wir dann auch diese Umrüstungsverpflichtung europaweit durchsetzen, indem die Verordnung, die heute für neue und vollständig grunderneuerte Güterwagen gilt, auch für umgerüstete verpflichtend gemacht wird, werden wir nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa eine deutliche Verbesserung erleben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: So ist es!) Zum nächsten Fahrplanwechsel – am 9. Dezember – wird eine lärmabhängige Spreizung der Trassenpreise eingeführt, um den Betreibern weitere Anreize zu geben, ihre Güterwagen lärmtechnisch umzurüsten und zu -modernisieren. Mit Mitteln des Konjunkturpakets II wurde in innovative Lärmschutztechniken am Gleis investiert, wurden neue Technologien ausprobiert, damit wir auch bei den Weichen und in anderen Bereichen Verbesserungen erzielen. Bis 2014 wird die Entwicklung und Erprobung technisch und wirtschaftlich optimierter Verbundstoff-Bremssohlen für den Einsatz in Güterwagen gefördert. Da Verkehrslärm nicht an den Grenzen haltmacht, arbeiten wir auch auf EU-Ebene an Lösungen für den grenzüberschreitenden Güterverkehr. Hinzu kommt, dass eine solche Entwicklung auch in der Schweiz und in anderen Nachbarländern vonstattengeht, sodass laute Güterwagen durch verschiedene Länder nicht mehr werden fahren können. Auch deswegen ist eine Umrüstung geboten. Diese Beispiele zeigen, dass die Koalitionsfraktionen, die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion, die Belastung durch den Schienenlärm ernst nehmen und handeln. (Florian Pronold [SPD]: Auf den Sankt--Nimmerleins-Tag verschoben!) Mit der Abschaffung des Schienenbonus machen wir heute einen weiteren wichtigen Schritt für einen verbesserten Lärmschutz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Bonus von 5 Dezibel (A) bei der Berechnung der Lärmwerte für den Schienenverkehr gilt seit 1990. Diese Privilegierung des Verkehrsträgers Schiene ist wegen des verdichteten Schienenverkehrs schon längst nicht mehr sachgerecht und auch nicht mehr zeitgemäß. Das Thema ist also nicht neu, es beschäftigt uns seit Jahren. Ich muss hier deutlich sagen, dass mir manche Kritik der Opposition schon etwas merkwürdig erscheint. Denn Rot-Grün hatte schon bei der Aufstellung des letzten Bundesverkehrswegeplans, des Bundesverkehrswegeplans 2003, die Chance, den Schienenbonus abzuschaffen. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: So ist es!) Dann brauchten wir uns mit diesem Thema heute gar nicht mehr zu befassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Sie haben sich drei Jahre Zeit gelassen!) Wenn die SPD, die Grünen und nun auch der Bundesrat fordern, die Abschaffung deutlich früher – 2015 oder schon früher – wirksam werden zu lassen, dann greifen sie nach meiner Auffassung zu kurz. Ich habe das Gefühl, da offenbart sich Ihr schlechtes Gewissen; denn Sie hätten ja seinerzeit handeln können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Wie viel Geld nehmen Sie denn für mehr Lärmschutz in die Hand?) – Herr Kollege Pronold, ein früheres Inkrafttreten wäre ein Eingriff in laufende Planungen, mit dem erhebliche bereits aufgewendete Mittel zerstört würden, und durch die Wiederholung des Planungsverfahrens würde erneut viel Zeit verloren gehen. Wenn dann aufgrund der erhöhten Lärmschutzanforderungen das Nutzen-Kosten--Verhältnis auch noch unter 1 fällt, dürften diese Projekte ohne Nachbesserungschance gar nicht mehr realisiert werden können. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Frau Präsidentin. – Die Koalition hat sich für einen vernünftigen Weg entschieden: für eine logische -Abschneidegrenze. Die Neuregelung soll mit Inkrafttreten des nächsten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes mit Bedarfsplan Schiene für Neu- und Ausbauprojekte gelten. Das wird 2016 der Fall sein. Das ist vertretbar, das ist verkraftbar für die Aufgabenträger. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Ich glaube, dass wir eine gute Regelung haben. Wir sind stolz darauf, dass diese Koalition, jedenfalls beim Lärmschutz Schiene, eine hervorragende Arbeit geleistet hat. (Florian Pronold [SPD]: Sonst nicht!) Wir hoffen, dass der Bundesrat das Beratungsverfahren jetzt auch so zügig durchführt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Gustav Herzog hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gustav Herzog (SPD): Sehr geehrter Kollege Fischer, auch von meiner Seite herzliche Gratulation zum Geburtstag! Ich hätte mir aber gewünscht, dass Ihre Fraktion mit der Redezeit heute Abend nicht ganz so geizig ist. Dieses Thema allein hätte schon mehr Redezeit verlangt. So sind Sie nun einmal. Aber das ist Ihre Sache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die Zeit, zu der sich manche Menschen schon zur Ruhe legen. Die werden dann in der Nacht das eine oder andere Mal geweckt, insbesondere wenn sie im Mittelrheintal, in Bonn oder in den großen Städten des Ruhrgebietes leben, wo in der Nacht der Güterverkehr auf der Schiene durchfährt. Das treibt die Menschen um, und die ganze Politik ist gefordert. Deswegen gibt es in der letzten Zeit sehr ungewöhnliche Koalitionen. Da gab es zum Beispiel am letzten Freitag im Bundesrat sehr intensive und erfolgreiche -Bemühungen von Rheinland-Pfalz und Hessen. Rheinland-Pfalz rot-grün, Hessen schwarz-gelb. Gemeinsam organisierten sie eine Mehrheit im Bundesrat. Auch der rheinland-pfälzische Landtag hat in der letzten Wahl-periode bei absoluter Mehrheit der SPD gemeinsam mit der CDU und der FDP einstimmig einen Antrag beschlossen, den Schienenbonus abzuschaffen, den passiven Lärmschutz zu verbessern, die Wagen umzurüsten und nach einer alternativen, nach einer neuen Trasse zur Entlastung des Mittelrheintals zu suchen. Wir Sozial-demokraten haben diesen Antrag inhaltsgleich hier eingebracht. Ich bedauere, dass Sie sowohl im Ausschuss als auch wohl heute Abend im Plenum dieses klare -Votum der Rheinland-Pfälzer ablehnen. Ich glaube, es gibt ein großes gemeinsames Ziel: mehr Güter auf die Schiene. Aber wir werden das nur erreichen, wenn wir die Menschen vom Lärm entlasten und auch für mehr Akzeptanz sorgen. Deswegen ist es schade, dass es hier nicht mehr Gemeinsamkeit gibt. Die gibt es zum Beispiel deshalb nicht, weil die rechte Seite dieses Hauses drei Jahre gebraucht hat, eine Formulierung aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Sie haben unsere Anträge im Verkehrsausschuss blockiert, sodass wir sogar nach der Geschäftsordnung zum Thema debattieren mussten. Wir haben Hinweise bekommen, warum Sie sich so schwer damit tun, nämlich weil sich Herr Ramsauer öffentlich äußert, jedes Dezibel weniger Lärm koste ihn 1 Milliarde Euro, oder ihr Kanzleramtsminister Pofalla sagt: In dieser Wahlperiode wird der Schienenbonus nicht abgeschafft. – Er hat ja recht; denn nach Ihrer -Konstruktion, die Sie mit Ihrer Mehrheit heute Abend durchsetzen werden, wird der Schienenbonus erst dann abgeschafft, wenn das Bundesschienenwegeausbaugesetz nach dem Bundesverkehrswegeplan in Kraft tritt. Das ist aber erst in der übernächsten Wahlperiode der Fall. Dann nehmen Sie auch noch alle Projekte heraus, bei denen das Planfeststellungsverfahren zu diesem Zeitpunkt bereits eröffnet worden ist. Da sollten Sie den Menschen ehrlich sagen, Ihr Versprechen im Koalitionsvertrag, den Schienenbonus in dieser Wahlperiode abzuschaffen, haben Sie gebrochen. (Beifall bei der SPD) Frau Kollegin Ludwig, Sie werden nachher sicherlich sagen: Jetzt redet die böse Opposition wieder alles schlecht. – Was schlecht ist, kann man nicht schlechtreden. Sie sind nicht ambitioniert, und Sie haben auch kein gutes Handwerk an den Tag gelegt. (Beifall bei der SPD) Wir haben uns in unserer Fraktion nach intensiven Beratungen mit unseren Haushältern, aber auch mit denjenigen, die die Sache letztendlich umzusetzen haben, nämlich mit der Bahn, darauf verständigt, zu sagen: Das Lärmprivileg der Schiene soll 2015 fallen, außer bei den Maßnahmen, die im Planfeststellungsverfahren sind. Wir glauben, dass das ein durchaus vertretbarer -Kompromiss zum Schutz der Menschen sowie für mehr Planungssicherheit und Wirtschaftlichkeit ist. Der Bundesrat hat am letzten Freitag den Termin 2017 beschlossen, allerdings ohne Ausnahmen für laufende Planfeststellungsverfahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich -darauf, dass wir im Zusammenhang mit dem Eisenbahnregulierungsgesetz und den Vorschlägen des Bundes-rates hier noch einmal intensiv zur Sache reden werden. Ich will etwas zu den Anträgen sagen und freue mich darüber, dass die Koalition so aufmerksam war, vieles Gute aus rot-grüner Zeit und aus der Zeit der Großen Koalition aufzuzählen. Herr Kollege Fischer, bekennen Sie sich doch dazu, dass Sie mit uns in der Großen Koalition waren, weil wir damals auch viele gute Dinge gemacht haben. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Zum Beispiel?) Ich fange mit 1999 an. Wir waren die Ersten, die -Mittel für die Lärmsanierung an der Schiene im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt haben. Wir haben mit 50 Millionen Euro angefangen. – Für das Protokoll: Der Kollege Fischer nickt mir zu. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Ja!) 2007 haben wir die Mittel gemeinsam auf 100 Millionen Euro erhöht. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das stimmt auch!) Seitdem ist nichts mehr passiert. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Doch!) – Sie haben die Mittel nicht erhöht. Wo ist denn die -Erhöhung? Die Haushaltsberatungen sind vorbei. Es sind weiterhin 100 Millionen Euro; Sie haben es auch -erwähnt. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Es ist viel passiert, Herr Kollege!) Die Pilotprojekte „Leiser Güterverkehr“ und „Leiser Rhein“ stammen auch nicht von der rechten Seite des Hauses, sondern von sehr viel früher. Auch die -Lärmschutzpakete I und II, auf die Sie sich heute zu Recht berufen, stammen aus einer Zeit sozialdemokratischer Bundesverkehrsminister. Ich habe mich einmal auf die Suche danach gemacht, welche wegweisenden Anträge Sie früher gestellt haben. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine!) Dabei bin ich auf einen von der FDP gekommen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der einzige!) 2006 haben Sie einen schönen Antrag gestellt. Ich lese Ihnen jetzt einmal vor, wie fortschrittlich und mutig Sie waren: (Torsten Staffeldt [FDP]: Sind!) Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, … in einer Studie zu prüfen, ob die -Anwendung des sog. Schienenbonus gemäß Anlage 2 zu § 3 der 16. BImschV noch gerecht-fertigt ist. (Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!) Das war der wegweisende Antrag der FDP. Herr Kollege Fischer, wir haben im März 2007 gemeinsam einen Antrag eingebracht, in dem nichts von einer Abschaffung des Schienenbonus steht; das ist -richtig. Aber auch von Ihrer Seite ist damals nichts -gekommen. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Wir waren 2003 in der Opposition!) Wenn Sie also schon mit dem Finger auf uns zeigen, dann sollten Sie bedenken, dass drei Finger auf Sie zurückzeigen. Ich will gar nicht abstreiten, dass Sie auch etwas Neues vorgebracht haben – schön und gut. Es gibt bei der Rheintalbahn einen Projektbeirat. Hier stellen Sie eine Menge Geld zur Verfügung. Dieses Geld haben aber auch andere verdient. Es kann nicht sein, dass sich der Bundesverkehrsminister Projekte in der Region aussucht und das Geld nach Gutsherrenart verteilt. So nicht! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weil Sie die lärmabhängigen Trassenpreise angesprochen haben, will ich zum Abschluss noch aus einer Mitteilung der Bundesnetzagentur vom 7. November 2012 zitieren. Auf die Frage: „Wie bewertet die Bundesnetzagentur die große Show, die Herr Ramsauer zusammen mit Herrn Grube gefeiert hat, als sie im Juli letzten -Jahres ihr Papier unterschrieben haben?“, schreibt die Bundesnetzagentur: Die EU-Kommission stimmt der Förderrichtlinie des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung nicht zu. Das vorgesehene Modell kann daher nicht starten. Die Deutsche Bahn Netz AG plant ein Alternativmodell, das jedoch wegen höherer Systemkosten nur einen schwachen Anreiz bieten kann. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. Gustav Herzog (SPD): Dann sage ich noch: Die Inkraftsetzung, das Überarbeiten des Modells wird sowohl im Hinblick auf das Modell als auch auf die Einführung sehr eng getaktet sein. Sie sehen: Das ist schlechtes Handwerk, und das haben die Leute nicht verdient. Zu Ihnen kann man wie die DVZ vom 6. November 2012 nur sagen: „Viel gewollt, wenig erreicht.“ Schade für die Menschen, die den Lärm weiter ertragen müssen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Michael Kauch hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Kauch (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist am heutigen Abend eine gute Nachricht für die -Menschen in Deutschland, aber vor allen Dingen für die Menschen in Südbaden, im Mittelrheintal und am -Niederrhein; denn wir werden dafür sorgen, dass der Lärmschutz bei den Planungen in der Zukunft stärker -berücksichtigt wird. Das ist eine gute Nachricht und ein Erfolg dieser Koalition. (Florian Pronold [SPD]: Wann tritt das in Kraft? – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am Sankt-Nimmerleins-Tag!) Der Lärmrabatt der Bahn wird abgeschafft. Die -Menschen haben bei einem Projekt der Bahn jetzt den gleichen Anspruch auf Lärmschutz wie dann, wenn eine Autobahn gebaut wird. Es war ja wirklich ein Treppenwitz, dass bei gleicher Lärmbelastung die Menschen diskriminiert wurden, die an Bahnstrecken und eben nicht an einer Autobahn lebten. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ich möchte an dieser Stelle hervorheben: Das ist eine Parlamentsinitiative. Das zeigt, dass dieses Parlament funktioniert. (Florian Pronold [SPD]: Ab wann trifft das denn zu?) Wir warten nicht nur darauf, dass die Regierung uns Vorlagen macht. Nein, wir handeln selbst. Das ist ein selbstbewusstes Parlament. Das ist eine selbstbewusste Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Die handeln doch gar nicht!) Die Opposition nörgelt jetzt. Das muss die Opposition natürlich machen, weil sie uns den Erfolg nicht gönnt. (Gustav Herzog [SPD]: Sie kritisiert, sie nörgelt nicht!) Aber diese Koalition hat sich durchgesetzt. Was haben Sie denn gemacht? Wenn ich die SPD so reden höre, finde ich das schon erstaunlich. Ich erinnere mich nämlich daran, dass ich damals mit genau diesem Antrag bei einem SPD-Verkehrsminister vor die Wand gelaufen bin. (Oliver Luksic [FDP]: Pfui!) Sie haben alle Anträge der FDP, auch den, den Sie genannt haben und in dem noch vorsichtig von einer Überprüfung die Rede war, aber auch die, die danach kamen und in denen die Abschaffung des Schienenbonus gefordert wurde, abgelehnt, und zwar ohne Alternative. Jetzt stellen Sie sich hier hin und kritisieren uns dafür, dass wir Initiativen in dieser Richtung ergriffen haben. Sie haben nichts gemacht. Sie haben nichts erreicht. Deshalb ist das an dieser Stelle ein Erfolg dieser Koalition und der FDP. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich danke insbesondere der Kollegin Laurischk ganz herzlich, die über viele Jahre in Südbaden dafür gekämpft hat, was wir jetzt erreicht haben. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Auch vor Inkrafttreten dieses Gesetzes ist es möglich, ohne Schienenbonus zu bauen. Voraussetzung ist ein Finanzierungskonzept. Im Rheintal wird darüber verhandelt, wie hier ein Finanzierungskonzept aussehen soll. Diese Koalition wird hier im Deutschen Bundestag einen Antrag beschließen – wir haben ihn gerade eingebracht –, mit dem die Finanzierung des Projekts Rheintalbahn abgesichert werden soll. Im Übrigen ist die Abschaffung des Schienenbonus nicht das einzige Lärmschutzprojekt, das wir bereits durchgesetzt haben. Auch das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, was wir hier durchgesetzt haben, haben Sie immer abgelehnt. Wir haben bereits in der vergangenen Wahlperiode beantragt, lärmabhängige Trassenpreise einzuführen. Sie als SPD haben das abgelehnt. Wir führen marktwirtschaftliche Anreize für guten Umweltschutz ein. Das ist eben der Unterschied zwischen der Umweltpolitik der FDP und der der SPD: Sie reden, wir machen. Wir machen das mit Marktwirtschaft. Das schafft diese Koalition, das schaffen Sie nicht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich glaube, heute ist ein guter Tag für den Umweltschutz und ein guter Tag für die Verkehrspolitik in Deutschland. Vielen Dank . (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sabine Leidig hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir Linken sind der Überzeugung, dass alle Menschen in diesem Land ein Recht darauf haben, vor krank machendem Verkehrslärm geschützt zu werden. Es ist gut, dass eine Forderung der Bürgerinitiativen gegen Bahnlärm nun endlich aufgegriffen wird. Die Regierungskoalition will den sogenannten Schienenbonus abschaffen, also den Bonus, dass der Lärm auf Bahnstrecken bisher lauter sein durfte als der auf Autobahnen. Aber wir werden diesen Gesetzentwurf trotzdem ablehnen. (Sebastian Körber [FDP]: Das ist ja ein Skandal!) Dafür will ich drei Gründe nennen. Erstens. Sie stehen derartig auf der Bremse, dass man nicht einmal von Schneckentempo reden kann; der Kollege hat es gerade schon angedeutet. (Sebastian Körber [FDP]: Das ist ein Skandal!) Erst nachdem der nächste Bedarfsplan Schiene verabschiedet ist, soll die neue Regelung gelten. Das wird nicht vor 2016 der Fall sein. Realistischerweise wird vor dem Jahr 2020 keine einzige Bahnstrecke in Betrieb gehen, die leiser geplant wurde. Wir fordern, dass ab sofort keine Planung mehr ohne besseren Lärmschutz zulässig ist. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Das ist noch viel wichtiger: Sie lassen die Betroffenen völlig im Regen stehen, die an den bestehenden lauten Strecken wohnen. Da donnern immer mehr, immer schwerere, längere und lautere Güterzüge durch die Ortschaften, und zwar vor allem nachts; das haben Sie richtig gesagt. Da sind viele am Rand der Verzweiflung, weil normales Leben, weil Durchschlafen kaum noch möglich ist, weil die Häuser Risse von den Erschütterungen bekommen. Es gibt Ortschaften, die regelrecht verkümmern – selbst übrigens am Fuß der schönen Loreley –, weil viele wegziehen und immer weniger Touristen kommen. Die bestehende Rechtslage gewährt relativ anspruchsvollen Lärmschutz an Verkehrswegen nur bei Neubau oder bei erheblichem Ausbau. Dieser Umstand wird übrigens immer wieder als Druckmittel verwendet, wenn sich Anwohnerinnen und Anwohner gegen den Ausbau von Straßen und anderen Verkehrswegen wenden. Lärmschutz wird nur in Aussicht gestellt, wenn mehr Verkehr akzeptiert wird. Wir verlangen, dass alle Bürgerinnen und Bürger den gleichen Anspruch auf Lärmschutz haben. (Beifall bei der LINKEN) Konkret: In den nächsten 20 Jahren sollen alle Straßen und Schienenwege so umgestaltet werden, dass niemand mehr darunter leidet. Die 20 Prozent der lautesten Strecken müssten innerhalb der nächsten fünf Jahre lärmsaniert werden. Damit hätten zum Beispiel die Menschen im Rheintal absehbar eine Perspektive und Hoffnung auf ruhigen Schlaf. Alles andere ist eigentlich unverantwortlich. Mein dritter und letzter Punkt. Der zusätzliche Lärmschutz ist dieser Regierung keinen zusätzlichen Euro wert. Großzügig stellen Sie den Ländern frei, die Kosten dafür zu übernehmen. Natürlich begrüßen wir es, dass in Baden-Württemberg ein Programm zur Entlastung der Anwohner am Oberrhein finanziert wird. Aber für die Leute am Niederrhein sieht es zum Beispiel ganz anders aus, weil Nordrhein-Westfalen kein Geld dafür hat. Das geht nicht. Wir haben beantragt, dass der Bund das Lärmsanierungsprogramm erheblich aufstockt. Das kostet vergleichsweise wenig, wenn man es mit den Milliarden vergleicht, die für die Zockerbanken überwiesen werden. (Beifall bei der LINKEN) Für die Schienenwege brauchte man jährlich nur etwa 120 Millionen Euro. Das aber wären Investitionen in mehr Lebensqualität. Ich komme zum Schluss: Die Linke hat ein alternatives Verkehrskonzept für Niedersachsen ausgearbeitet. Das habe ich druckfrisch mitgebracht. Es ist sehr schön geworden. (Florian Pronold [SPD]: Es ist auch umsetzbar und bezahlbar?) Es heißt „Sattelfest und bahnverwachsen“. Das ist der programmatische Untertitel. Tatsächlich wollen wir viel weniger schädlichen Lkw-Straßenverkehr, und wir wollen mehr und besseren Bahnverkehr im ganzen Land, aber der muss leise sein. (Zuruf von der FDP) Im Zentrum unserer Verkehrspolitik stehen Mensch, Umwelt und Klima anstelle von Beton, Sprit und Profit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat jetzt Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste, die Sie sich noch zu später Stunde bei diesem doch gerade für die Anwohnerinnen und Anwohner von Schienenstrecken sehr wichtigen Thema hier aufhalten! Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich wirklich wundert, ist, dass wir bei Fragestellungen, bei denen wir inhaltlich nicht weit auseinanderliegen, zu keiner für die Bürger vernünftigen, tragfähigen Lösung kommen. Das erschüttert mich wirklich bei der Debatte, die wir hören. Wir sind uns alle darüber im Klaren – ich habe mich hier einmal von der Linksfraktion bis hin zur FDP-Fraktion mit Herrn Kauch umgesehen –, dass der Schienenbonus abgeschafft gehört, dass dieses Privileg einfach nicht mehr relevant ist, dass wir es nicht mehr vernünftig begründen können. Wir müssen da heran. Eigentlich war es bei der Belastung, die wir mittlerweile auf der Schiene insbesondere durch den Güterverkehr haben, falsch, was wir damals gemacht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Schienenbonus bedeutet, dass Züge 5 Dezibel lauter sein können. Das bedeutet de facto: mehr als doppelt so laut wie der entsprechende Straßenverkehr. Das wird jetzt grundsätzlich anerkannt. Dann kommt ein Gesetzentwurf – auch wenn er aus den Koalitionsfraktionen kommt, weil Ihre Regierung an der Stelle überhaupt nicht reagieren wollte – mit einer Regelung, die im Prinzip dazu führt, dass wahrscheinlich erst 2040 das letzte Neubauobjekt mit Schienenbonus gebaut ist. Denn Sie müssen sich das einmal ganz genau ansehen. Sie machen es am Bundesverkehrswegeplan fest, der sicherlich nicht vor 2017 einigermaßen fertig sein wird. Dann kommt das Schienenwegeausbaugesetz. Das braucht auch wieder eine gewisse Zeit, bis es vorliegt, und dann gilt es nur für Planungen, die danach beginnen. Sie wissen selber, wie lange eine Planfeststellung gültig ist. Dazu, wie Sie es hinbekommen können, das Projekt mit dem ersten Bagger anzufahren, hat das BMVBS entsprechende Erfahrungen. Ich erinnere nur an den berühmt-berücksichtigten blankgeputzten Spaten in Brunsbüttel. Wenn Sie das Projekt gestartet haben, dann ist gerade bei Schienenprojekten mit Bauzeiten in einer Größenordnung von 20 Jahren zu rechnen. Das dauert also ewig. Sagen Sie das den Menschen draußen vor Ort: Wir lassen Sie noch so lange allein. – Stattdessen lassen Sie sich feiern, als hätten Sie eine große Tat vollbracht. Nichts haben Sie gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wenn Sie wirklich eine große Tat für die Menschen draußen vor Ort vollbringen wollen, dann stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu, dass der Schienenbonus sofort abgeschafft wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist der eine Punkt, was Neubau und gegebenenfalls Sanierung betrifft. Dann gibt es aber noch die andere Nummer, bei der Sie uns auch wieder etwas vorgaukeln. Sie sind als Supertiger mit der Ankündigung gestartet: Wir wollen jetzt ein gespreiztes Trassenpreissystem mit marktwirtschaftlichen Konzepten. – Herr Kauch, ich stimme Ihnen durchaus zu, dass wir marktwirtschaftliche Instrumente nutzen müssen, um den leisen Schienenverkehr zu bevorzugen bzw. in Gang zu setzen. Darin sind wir absolut d’accord: Das müssen wir nicht alles über ein Regelwerk machen. Dazu gehört aber auch, dass es wirklich wirksam ist, und dafür reicht keine lächerliche Spreizung, wie sie jetzt vorgesehen ist, sondern sie muss für diejenigen, die dort mit lauten Fahrzeugen herumfahren, schmerzhaft zu spüren sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch in diesem Punkt gilt also: Sie sind als großer Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Das Einzige, das Sie mit dem Gesetzentwurf, den Sie sozusagen in Überspielung, wie Sie es genannt haben, Ihrer eigenen Regierung hinbekommen haben, ist die Unwirksamkeit. Sie machen eine reine PR-Show, ausschließlich deshalb, um noch das letzte halbe Jahr der Regierung durchzustehen. Wenn Sie für die Menschen draußen vor Ort wirklich etwas erreichen wollen, dann stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu! Dann haben Sie wirklich etwas erreicht. Das gilt auch für alle anderen Kolleginnen und Kollegen. Denn wir müssen Lärmschutz machen. Anders geht es nicht. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Werte Frau Präsidentin, ich habe es vernommen. Ich nehme jetzt den Lärmschutz wahr, auch hier am Mikrofon. (Heiterkeit) Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich hingegen gebe das Wort an Daniela Ludwig für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Bitte auch etwas mehr Lärmschutz, Frau Kollegin!) Daniela Ludwig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich habe Sie in der ersten Beratung unseres Gesetzentwurfs gefragt, wo Sie lieber wohnen würden: an einer Bahnstrecke oder an einer Autobahn? Sehr richtig und nicht überraschend kam zunächst die Antwort: Am liebsten an keinem von beiden. Der geltenden Rechtslage zufolge hätten Sie aber antworten müssen – das hat Herr Kauch auch dargestellt –: An der Autobahn wäre mir lieber, weil die Autobahn im Zweifel leiser sein muss als der Schienenverkehr. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich lasse es nicht zu, dass Sie nur aus purem Neid darüber, dass wir etwas vorwärtsbringen, und aus purer Missgunst, dass wir Dinge tun, für die Sie Jahrzehnte lang Zeit hatten, dieses kleinreden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Lachen bei der SPD) Denn klar ist: Sie hatten lange Zeit, den Schienenbonus abzuschaffen. Ich möchte ihn gar nicht als Privileg bezeichnen; er ist im Prinzip ein Dinosaurier, der eigentlich beim Lärmschutz nichts zu suchen hat. Lärm von der Schiene ist genauso unerträglich wie Lärm von der Straße oder vom Flugzeug. (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Stimmt!) Sie hatten lange genug Zeit. Wir nutzen jetzt unsere Zeit, und wir machen es so, wie wir es für logisch, vernünftig und – auch wenn bald Weihnachten ist – insbesondere für finanzierbar und dem Bundeshaushalt gegenüber für verantwortbar halten. (Florian Pronold [SPD]: Wir waren aber eine Große Koalition, oder? Haben Sie deswegen Ihren Namen geändert, weil Sie Ihre Mitgliedschaft in der Großen Koalition verschweigen wollen?) Denn wir sind nicht in der Wünsch-dir-was-Show, sondern wir müssen als verantwortungsbewusste Politiker letztlich entscheiden, was wir verantworten und finanzieren können, was auch für die Vorhabenträger in Ordnung ist und wann sie welche politischen Entscheidungen in ihre Planungen mit einbeziehen können. Ich meine, dass unser Vorschlag, der jetzt vorliegt, der richtige ist. Natürlich ist es Ihr Job, zu sagen: Es muss noch mehr gehen; es muss noch mehr Geld und noch mehr Lärmschutz geben usw. – Aber das brauche ich mir von niemandem sagen zu lassen, der elf Jahre den Verkehrs-minister gestellt hat und elf Jahre beim Schienenbonus rein gar nichts vorwärtsgebracht hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn es so leicht gewesen wäre, dann hätten Sie es längst machen können, und wir brauchten die Debatte hier nicht mehr führen. Dann hätte es schon in den letzten Jahren einen besseren Lärmschutz bei den Schienenprojekten gegeben. Die lärmabhängigen Trassenpreise und Systeme -treten selbstverständlich zum 9. Dezember, also zum Fahrplanwechsel in wenigen Tagen, in Kraft. (Lachen des Abg. Florian Pronold [SPD]) – Herr Pronold ist anscheinend nicht ausreichend informiert. Das kennen wir von ihm nicht anders. Es wird eine beihilferechtliche Überprüfung durch die EU-Kommission geben, was völlig normal ist. Es hat aber nichts damit zu tun, dass ab sofort die Anträge auf Förderung gestellt werden können. Es ist ein ambitioniertes Vorhaben; aber auch wir sind wieder diejenigen, die es anfangen. (Gustav Herzog [SPD]: Eine Preiserhöhung! Da wird doch kein Antrag gestellt!) – Hätten Sie es doch gemacht, Herr Herzog. Es ist ja nett, wie Sie sich hier aufregen. Eigentlich wünsche ich mir von Ihnen mehr Freude bei diesem guten Vorhaben, das wir endlich anpacken, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und nicht dieses ständige Genöle und Gemeckere. -Hätten Sie es besser gemacht, würde ich klatschen und sagen: Super! (Gustav Herzog [SPD]: Sie waren doch dabei vier Jahre!) Es ist das Beste für die Anwohner. Wir machen es. Wir sind mutig. Wir schreiten voran. Wir führen lärmabhängige Trassenpreise ein. Wir gestalten sie so, dass sie funktionieren. Wir lassen uns dabei auch nicht von der EU-Kommission hineinpfuschen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es wird zum 9. Dezember in Kraft treten. Ein bisschen mehr Mut! (Gustav Herzog [SPD]: Bei Ihnen braucht man Mut!) Sie sind duckmäuserisch und glauben im vorauseilenden Gehorsam, dass das nicht klappt. Wir machen es. Wir setzen es um. Der 9. Dezember ist der Stichtag. Die Förderung kann ab sofort beantragt werden. (Gustav Herzog [SPD]: Wir fragen nächstes Mal nach den Anträgen! Da wird keiner einen Antrag stellen!) Das sind die guten Nachrichten, die wir den Leuten überbringen können. Wer nur meckert, wird keinen -bleibenden Eindruck hinterlassen. Einen bleibenden -Eindruck hinterlassen wir. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundes--Immissionsschutzgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11610, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/10771 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11708 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Die SPD hat sich enthalten. Die Regierungsfraktionen haben abgelehnt. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen haben sich enthalten. Dagegen gestimmt hat niemand. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-sache 17/11709. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion. Dagegen haben Regierungsfraktionen und SPD gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 17/11610 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/10780 mit dem Titel „Schienenlärm wirksam reduzieren – Schienengüterverkehr nachhaltig gestalten“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU und FDP. Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen haben gestimmt SPD und Linke. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die -Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5461 mit dem Titel „Für einen neuen Infrastrukturkonsens – Schutz der Menschen vor Straßen- und Schienenlärm nachdrücklich verbessern“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Opposition hat dagegen gestimmt. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6452 mit dem Titel „Bürgerinnen und Bürger dauerhaft von Bahnlärm entlasten – Alternative Güterverkehrsstrecke zum -Mittelrheintal angehen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen waren dagegen. Unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung -empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4652 mit dem Titel „Schutz vor Bahnlärm verbessern – Veraltetes Lärmprivileg ‚Schienenbonus‘ abschaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dagegen haben Bündnis 90/Die Grünen und Linke gestimmt. Die SPD hat sich enthalten. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 24 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Kapitalgesellschaften mit kommunaler Beteiligung – Drucksache 17/11587 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden hierzu zu Protokoll gegeben. Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Die Fraktion Die Linke beklagt in ihrem Gesetzentwurf einen Verlust der Steuerungsfähigkeit von Kapitalgesellschaften mit kommunaler Beteiligung zulasten der kommunalen Vertretungskörperschaften. Um dem entgegenzuwirken, fordert die Fraktion Die Linke Änderungen im Gesellschaftsrecht. Der Antrag geht jedoch fehl. Der öffentlichen Hand ist es, sofern sie die maßgeblichen verfassungsrechtlichen und verwaltungsrecht-lichen Vorgaben beachtet, freigestellt, in welcher Rechts-form sie ihre Unternehmen führt, entweder in den Rechtsformen des öffentlichen Rechts oder in denen des Privatrechts. Dies entscheiden die kommunalen Gebietskörperschaften selbstständig. Setzt die auch verfassungsrechtlich unterlegte Ingerenzpflicht im konkreten Fall Schranken, die bei Rückgriff auf Gesellschaftsformen des Privatrechts nicht eingehalten werden können, ist die Konsequenz keine Veränderung des Privatrechts. Vielmehr wird die Gebietskörperschaft dann auf die ihr ohnehin zur Verfügung stehenden Rechtsformen des öffentlichen Rechts verwiesen. Der von der Fraktion Die Linke postulierte Reformbedarf im Bereich des Privatrechts besteht nicht. Der Gesetzentwurf ist deshalb abzulehnen. Ingo Egloff (SPD): Die Linken sehen Defizite bei GmbHs, vor allem aber bei Aktiengesellschaften mit kommunaler Beteiligung, weil sie befürchten, diese könnten von den kommunalen Vertretungskörperschaften nicht richtig gesteuert werden. Sie stellen fest, dass es bei den Aktiengesellschaften nur Weisungsmöglichkeiten gegenüber den kommunalen Vertretern in der Hauptversammlung gibt, nicht aber gegenüber dem Aufsichtsrat oder gegenüber dem Vorstand. Bei der GmbH könne sich die Kommune immerhin im Gesellschaftsvertrag Weisungsrechte und Zustimmungsvorbehalte gegenüber den Geschäftsführern vorbehalten. Hier muss schon insofern widersprochen werden, als es auch nach aktuellem Recht durchaus möglich ist, in der Satzung einer hundertprozentig kommunalen GmbH die Öffentlichkeit der Aufsichtsratssitzungen vorzuschreiben, aber die Gemeinden tun das nicht – ein sicheres Indiz dafür, dass sie es offenbar nicht wollen. Der Gesetzentwurf will deshalb Auskunfts- und -Weisungsrechte zugunsten der Kommunen einführen, Öffentlichkeit der Sitzungen des Aufsichtsrats vorschreiben und die Amtszeit des Aufsichtsrats mit der Wahlperiode der kommunalen Vertretungskörperschaft synchronisieren. Bei Beteiligung Privater an der Gesellschaft soll das Ausbleiben von Überschüssen oder zeitweiliger Wertverlust der Gesellschaftsanteile die Interessen der Gesellschaft dann nicht verletzen, wenn die Maßnahmen, die dazu führen, dem Zweck der Gesellschaft dienen. Wer Unternehmen mit kommunaler Beteiligung -kaputtmachen will, öffentliche Wohnungsunternehmen, Energieerzeugungs- und -versorgungunternehmen, Abfallwirtschaftsbetriebe, Krankenhäuser, Messegesellschaften und überhaupt die Rekommunalisierung in Kernbereichen der Daseinsvorsorge verhindern und behindern will, der muss solche Vorschriften in die Welt setzen. Wer privates Kapital in Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung am liebsten ganz unterbinden will, der denkt sich Regelungen aus, die den Wertverlust als im öffentlichen Interesse liegend definieren. Die Linken können sich hier mit der FDP zusammentun, die angeblich im Interesse der Transparenz öffentliche Aufsichtsratssitzungen und weitgehende öffentliche Berichtspflichten und Ähnliches mehr fordert. Am Ende wird es keinen öffentlichen Unternehmenssektor mehr geben. Mit den kommunalen Interessenverbänden oder mit dem GdW haben die Linken offenbar nicht gesprochen. Marco Buschmann (FDP): Der vorliegende Gesetzentwurf kommt im scheinbar sachlichen Gewande daher. Aber dieses Gewand kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er bloß die wirtschaftliche Enteignung aller privaten Aktionäre bezweckt, die Anteile an einem Unternehmen mit kommunaler Beteiligung halten. Die Linke möchte der öffentlichen Hand hier Sonderrechte einräumen, ungehinderte Plünderung der Unternehmenskassen und auch noch Freistellung von jedweder Haftung bzw. Verantwortung für solche Plün-derungsaktionen per Gesetz möglich machen. Sollte der Entwurf Gesetz werden, führte dies dazu, dass kein Privater mehr Aktien einer einschlägigen Gesellschaft halten oder erwerben möchte. Der Wert der Aktien wird daher massiv fallen. Die Vermögensinteressen der engagierten Privaten finden keinerlei Berücksichtigung. In meinen Augen verletzt der Entwurf daher unter anderem die Eigentumsgarantie aus Art. 14 unseres Grundgesetzes. Warum dieser harte Vorwurf zutreffend ist, möchte ich Ihnen kurz anhand Ihres Entwurfes nachweisen: Sie wollen jederzeit die Mitglieder der Leitungsorgane nach Gutdünken auswechseln und anweisen können. Das sehen §§ 2 und 5 Ihres Gesetzentwurfes vor. Eigenverantwortliche Geschäftsführung im besten Interesse der Gesellschaft brandmarken Sie. Aus Vorständen sollen Erfüllungsgehilfen werden. Sie streben an, dass die eigentliche Leitungsmacht aus dem Vorstand der Gesellschaft in die kommunalen Entscheidungsgremien wandert. Das mag man wollen. Dann muss man aber auch die Haftung für die unternehmerischen Entscheidungen übernehmen. Denn die Kommune wird hierdurch quasi zum herrschenden Unternehmen in einem fak-tischen Konzern. Schadet hier das herrschende Unternehmen dem beherrschten Unternehmen, so korrespondiert damit ein Haftungsanspruch – insbesondere dann, wenn das herrschende Unternehmen die Vermögensinteressen der beherrschten Gesellschaft und ihrer Aktionäre verletzt. Das normieren §§ 17, 317 AktG ausdrücklich. Genau diese Verantwortung, die mit jeder Leitungsmacht korrespondiert, wollen Sie aber gerade mit Ihrem § 6 ausschließen. Denn darin soll quasi per Gesetz ausgeschlossen werden, dass die tatbestandlichen Haftungsvoraussetzungen von § 317 AktG erfüllt sind, selbst dann, wenn die Kommunalpolitik sich an den Überschüssen einer Gesellschaft bedient oder bewusst verlustträchtige Maßnahmen anweist. Insbesondere der Quersubventionierung sollen hier Tür und Tor geöffnet werden. Die privaten Aktionäre, die sich sonst mithilfe des § 317 AktG wehren könnten, werden schutzlos dem Zugriff der Kommunalpolitik auf das Vermögen der Gesellschaft ausgeliefert. Ob es jemals zu Dividendenausschüttungen kommen kann, die vor dem Hintergrund privater Investition völlig legitim sind und ja den Grund für die Investition privaten Kapitals darstellen, bleibt völlig offen. Der Wert von Anteilen an einer solchen Gesellschaft tendiert – jedenfalls nach Ertragswertmethode – gegen null. Genau das nenne ich eine wirtschaftliche Enteignung der privaten Aktionäre. Daher kann ich diesem Hohen Hause nur empfehlen, den Entwurf abzulehnen. Katrin Kunert (DIE LINKE): Die Kommunen und ihre Bürgerinnen und Bürger verlieren zunehmend den Einfluss auf ihre Unternehmen. Der Umstand, dass kommunale Unternehmen mittlerweile überwiegend privatrechtlich betrieben werden, hat zur Folge, dass es immer schwieriger wird, diese Unternehmen demokratisch zu kontrollieren und unternehmerische Entscheidungsprozesse transparent zu machen. Häufig verfügen weder die Bürgerinnen und Bürger noch die kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger über ausreichende Informationen, um die Aktivitäten der kommunalen Unternehmen wirksam zu kontrollieren. Dieses Thema war in der letzten Wahlperiode schon einmal Gegenstand unserer Debatte. Seinerzeit hat sogar die FDP, die noch in der Opposition war, ein höheres Maß an Transparenz für kommunale Gesellschaften gefordert und einen entsprechenden Antrag eingebracht. Seitdem sie in der Regierung ist, verfolgt die FDP dieses Anliegen aber offensichtlich nicht weiter. Mit dem derzeit zu beobachtenden Trend zu Rekommunalisierung wird die Bedeutung kommunaler Unternehmen in Zukunft noch ansteigen. Dabei stellt sich auch politisch verstärkt die Frage, welche kommunalen Unternehmen wir in Zukunft wollen und wie wir mit den ganz unterschiedlichen derzeit bestehenden Formen kommunaler Unternehmen umgehen. Klar ist, dass öffentliches Eigentum allein nicht zwingend zu mehr Transparenz und demokratischer Kontrolle führt. Wir als Linke streiten für transparente kommunale Unternehmen, die in demokratisch legitimierte kommunalpolitische Strukturen eingebettet sind und bei denen die Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen demokratischen Einfluss auf die Unternehmenspolitik ausüben können. Diese Bedingungen ergeben sich nach unserer Auffassung bereits aus dem öffentlichen Zweck, den kommunale Unternehmen nach den einschlägigen Landesgesetzen erfüllen müssen. Betrachtet man die derzeitigen bundes- und landesrechtlichen Rahmenbedingungen für kommunale Unternehmen, stellt man fest, dass es in Bezug auf Transparenz und demokratische Kontrolle große qualitative Unterschiede gibt. Eine große Rolle spielt dabei die Frage, ob ein kommunales Unternehmen in öffentlich-rechtlicher oder in privater Rechtsform betrieben wird. Bei Regie- und Eigenbetrieben sowie bei Anstalten des öffentlichen Rechts sind mit unterschiedlichen Intensitätsgraden Einflussmöglichkeiten der kommunalen Organe gesetzlich vorgesehen, die immerhin eine gewisse demokratische Kontrolle ermöglichen. Bei kommunalen Unternehmen, die als Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung betrieben werden, vollzieht sich die unternehmerische Willensbildung in den jeweiligen Organen der Gesellschaft. Der Einfluss der demokratisch gewählten kommunalen Vertretung ist im Vergleich zu den kommunalen Unternehmen, die in öffentlich-rechtlicher Rechtsform betrieben werden, deutlich geringer. Neben diesem Mangel an Einflussmöglichkeiten besteht bei privatrechtlichen Unternehmen auch ein Mangel an Transparenz bei der unternehmerischen Entscheidungsfindung. Die demokratische Kontrolle scheitert in der Praxis daher auch an mangelnder Information der kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger über die Vorgänge in den Unternehmen und an der Verschwiegenheitspflicht. Die Bürgerinnen und Bürger erhalten erst recht keine Informationen. Auch wenn Vertreter der Kommune beispielsweise im Aufsichtsrat einer kommunalen Aktiengesellschaft sitzen, unterliegen sie in vielen Fällen einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht. Darüber hinaus besteht bei kommunalen Unternehmen, an denen Private beteiligt sind, grundsätzlich ein Interessenkonflikt zwischen dem von der Kommune in erster Linie verfolgten öffentlichen Zweck und dem privaten Interesse, einen möglichst hohen Überschuss zu erzielen. Wegen der soeben dargestellten Nachteile von privaten Rechtsformen für kommunale Unternehmen fordern die Vertreterinnen und Vertreter der Linken in den Kommunalvertretungen in der Regel, dass kommunale Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Form betrieben werden. Wir können aber nicht die Augen davor verschließen, dass eine Vielzahl der bestehenden kommunalen Unternehmen in privater Rechtsform betrieben wird und eine Umwandlung in eine öffentlich-recht-liche Form nicht immer ohne Weiteres möglich ist. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen Private an den Unternehmen beteiligt sind. Es gilt daher, auch für diesen Bereich ein Mindestmaß an Transparenz und demokratischer Kontrolle zu schaffen. Die sprichwörtliche Flucht ins Privatrecht darf nicht zu einer Flucht vor den demokratisch gewählten Gremien in den Kommunen und ihren Bürgerinnen und Bürgern werden. Abhilfe kann hierbei nur auf Bundesebene geschaffen werden. Die Kommunalverfassungen der Länder enthalten zwar bereits weiter gehende Anforderungen an die Transparenz und die demokratische Kontrollierbarkeit kommunaler Unternehmen, diese Regelungen können aber wegen dem derzeitigen Gesellschaftsrecht des Bundes nicht zur Anwendung kommen. Die Linke fordert in dem vorgelegten Gesetzentwurf die gesetzlichen Rahmenbedingungen von kommunalen Unternehmen in privater Rechtsform im Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen in drei wichtigen Fragen zu ändern: Erstens. Die demokratisch gewählten kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger werden in ihren Einflussmöglichkeiten auf die kommunalen Unternehmen gestärkt. Zweitens. Anstelle der bisher bestehenden Verschwiegenheitspflichten treten höhere Transparenz-anforderungen, um sowohl die kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger als auch die Bürgerinnen und Bürger effektiv in die Lage zu versetzen, die Aktivitäten ihrer kommunalen Unternehmen zu kontrollieren. Drittens. Bei kommunalen Unternehmen, an denen Private beteiligt sind, wird das Interesse des öffent-lichen Zwecks gegenüber dem privaten Interesse, Überschüsse zu erzielen, gestärkt. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen ist ein elementarer Bestandteil des Wirtschaftslebens in Deutschland. Die Kommunalwirtschaft steht für Stabilität, regionale Wertschöpfung und eine sichere Daseinsvorsorge. Allerdings hat der Privatisierungswille von Schwarz-Gelb oder auch der ökonomische Druck in den letzten Jahren zu einer Reihe von Ausgründungen geführt. Viele Aufgaben der Daseinsvorsorge von der Wasserversorgung bis zur Abfallbeseitigung haben die Städte und Gemeinden in den letzten Jahren in -Gesellschaften privaten Rechts überführt. Von den 1 400 Mitgliedsunternehmen im VKU sind über 50 Prozent GmbHs oder AGs. Gern werden dann die unterschiedlichen Gesellschaften unter einem Holdingdach organisiert. So werben die Potsdamer Stadtwerke mit ihrem Angebot: „Täglich greifen die Potsdamerinnen und Potsdamer auf Leistungen der Stadtwerke zurück. Beim Anschalten eines elektrischen Gerätes, beim Öffnen des Wasserhahns, beim Gang zur Mülltonne, bei der Fahrt mit Bus und Bahn, nachts auf dem Weg nach Hause oder beim gemütlichen Bahnenziehen in der Schwimmhalle oder im Freibad.“ Die Stadt Potsdam hält 100 Prozent an den Stadtwerken. Diese sind zu 100 Prozent Eigentümer der Bäderlandschaft, des Fuhrparks, der Stadtbeleuchtung GmbH und des Verkehrsbetriebs. Mehrheitsbeteiligungen haben die Stadtwerke an der Stadtreinigung und an der Energie und Wasser GmbH. Wie wirkt sich ein solcher Umbau der Kommunalverwaltung auf die Demokratie in der Gemeinde aus? Ein tragender Grundsatz der Kommunalpolitik ist die Öffentlichkeit der Sitzungen von Ausschüssen und Rat. Genau diese Möglichkeit zur Information und letztlich zur Bürgerbeteiligung ist eines der wesentlichen Instrumente zur Kontrolle der Verwaltung. Eine ähnliche öffentliche Kontrolle gibt es bei kommunalen Gesellschaften mit Verweis auf das Aktiengesetz grundsätzlich nicht. Die Öffentlichkeit fällt aus. Der Gesetzentwurf der Linksfraktion greift zu Recht diese fehlende Balance zwischen wirtschaftlicher Betriebsführung und öffentlichen Informations- und -Teilhabeansprüchen auf. Wir teilen die Sorge um den Verlust von Auskunfts- und Weisungsrechten der kommunalen Parlamente. Deshalb ist eine Auseinandersetzung mit zentralen Punkten des vorliegenden Gesetzentwurfs wichtig und richtig. Auch sind wir für öffentliche Aufsichtsratssitzungen und für die Beschränkung der Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern. Hier besteht auch aus grüner Sicht unbedingt Handlungsbedarf. Ähnlich wie bei den gesetzlichen Grenzen für kommunales Wirtschaften ist aber auch bei Vorschriften zur Sicherung von Transparenz und Weisungsbefugnissen in kommunalen Unternehmen eine Abwägung zwischen privaten und öffentlichen Interessen notwendig. Eine solche Abwägung lässt der Gesetzentwurf vermissen. Der Anwendungsbereich dieses Gesetzes ist sehr groß. Alle Unternehmen privaten Rechts, an denen Kommunen direkt oder indirekt mit mehr als 25 Prozent beteiligt sind, fallen unter die Regelungen des Gesetzentwurfes. Unter Beachtung dieses Anwendungsbereiches sind viele Vorschläge zu weitreichend. In die richtige Richtung gehen die Änderungen zur Öffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen und zur Befreiung von Verschwiegenheitspflichten der Aufsichtsräte. Die Amtszeit und die Abberufung von Aufsichtsräten an den kommunalen Wahlturnus auszurichten, greift hingegen stark in die Organisation von Unternehmen ein. Gerade bei kommunalen Minderheitsbeteiligungen ist dieser Eingriff sehr weitreichend. Auch die starke Ausweitung der kommunalen Weisungsbefugnis ist schwierig. Warum sollte nur einem Anteilseigner erlaubt sein, das Abstimmungsverhalten der eigenen Aufsichtsräte zu bestimmen? Wirklich kritisch ist § 6. Ziel der Norm ist, „dass auch unwirtschaftliche Geschäftsführungsmaßnahmen durchgeführt werden können, wenn dies für die Erreichung des mit der Gesellschaft verfolgten öffentlichen Zwecks erforderlich ist.“ Was heißt das? Hier sollten Sie in den Ausschussberatungen einmal erläutern, was das bedeuten kann. Laut Begründung des Gesetzentwurfes geht diese Norm in erster Linie „zulasten der privaten Gesellschafter“. Erreicht wird dieses Ziel durch die Aufhebung von Anfechtungsrechten und Schadenersatzforderungen der Gesellschafter. Es führt das aktuelle Recht ad absurdum. Der Schutz des Eigentums ist hoch. Vorgesehen sind weitreichende Mitbestimmungs-, insbesondere Sperrungsmöglichkeiten schon ab einem Anteil von mehr als 25 Prozent. Unter anderem können Kapitalerhöhungen, Fusionen oder Vermögensübertragungen an die öffentliche Hand verhindert werden. Der Gesetzentwurf ist nicht ausgereift und wird in den Fachausschussberatungen intensiv zu diskutieren sein. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11587 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. – Dazu gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Karin Evers-Meyer, Maria Michalk, Cornelia Behm, Serkan Tören und weiterer Abgeordneter 20 Jahre Zeichnung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen – Drucksache 17/11638 – Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Wolfgang Börnsen für die CDU/CSU--Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Leve Fru Vörsitter! Leve Liddmaten! Vör Dag un Dau kreeg ik düsse feine Breef vun een grote Persönlichkeit ut uns Land. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Nu gifft dat -Erschwernistolage!) De schreef: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ick heff mi bannig högt öwer den plattdütschen Breif mit de goden Würd un de Glückwünsch. Disse Breif hett ja een „Alleinstellungsmerkmal“, denn ward ik mi upphangen. Besten Dank ok, min leev Heer Börnsen, seggt Se ehr … Na, wer weer dat wohl? (Zuruf von der FDP: Weet nich! Sech moal! – Kirsten Lühmann [SPD]: Jürgen! – Weitere Zurufe) – Immer noch nich. Nee, de heet Joachim Gauck. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Donnerwetter! – Zurufe: Oh!) Dat har ik nich dacht. Ik heff ehm schreven to sien Wahl: Verehrter Herr Bundespräsident, leve Joachim Gauck, wenn dat todrapen deit, wat de Lüüd vertelln doon, denn hemm wi mit de Präsident een Staatskaiser an de Spitz vun uns Republik, de plattdüütsch snacken deit. Dat is groff gut! Man, fast 3 Millionen Lüüd snackt noch de Spraak, de in de Hansetiet in Nordeuropa de „Weltspraak“ weer. Hartliche Gratulation to de Wahl mit dat imposante Resultat. Wi Plattdüütschen hemm uns bannig freut. Dat gelt uk för mien Mackers in de Düütsche Bundesdag. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vör Johrestied hemm wi Plattdüütschen en Bündnis buut för de Tokunft vun den lütten Spraken. Wat Sorbisch, Freesch, Romanes, dat Dänische un uk dat Plattdüütsche angahn deit, dat sall plegt un fördert warrn. Sönnerjüsk, leve Ingwer, ok. De Spraak – un dat is mi ganz eernst –, dat is de Mensch sien Heimat. (Torsten Staffeldt [FDP]: Dat seggt wi ok!) Un ohne Grund unner de Fööt verleert so manch een de Wegwieser för sien Leben. Dat much uns gut gefallen, wenn uns nüe Präsident ok en Hand un Woort för de lütten Spraken hebben deit. Un dat hett he, uns Präsident. Schön is dat. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Deutsche Bundestag bekennt sich mit dieser -Debatte zur Sprachenvielfalt in unserem Land. Sprachen, gleich welcher Art, sind ein kultureller sowie ein gesellschaftlicher Reichtum. Das gilt für die traditionellen regionalen Sprachen und die Minderheitensprachen genauso wie für über 160 verschiedene Sprachen der Migranten und Zuwanderer. Wir wollen, dass auch Kleinsprachen geachtet, geschützt und gefördert werden. Wir wollen, dass es einen bunten, vielfältigen, möglichst blühenden Sprachen-garten in Deutschland gibt. Ausgangspunkt der heutigen Sprachendebatte ist der 20. Jahrestag der Zeichnung der Europäischen Sprachencharta, einer Art Magna Charta für die kleinen Sprachen. Dieses einzigartige Dokument kennzeichnet die -Bedeutung, aber zugleich auch die Bedrohung der Kleinsprachen auf unserem Kontinent. Waren 1992 bereits 50 Sprachen in ihrem Bestand gefährdet, sind es heute, 20 Jahre später, bereits 75. Dabei geht es um Sprachen mit einer mehrtausendjährigen Geschichte, die in unserem Land gewachsen sind: Sorbisch und Friesisch, -Niederdeutsch, Dänisch und das Romani gehören bei uns dazu. Fast alle diese Sprachminderheiten waren in ihrer Vergangenheit auch Verachtung, Verfolgung und anhaltender Diskriminierung ausgesetzt. Heute gehört Sprachtoleranz zum Selbstverständnis unserer Gesellschaft. Trotzdem klagen Angehörige von Sprachminderheiten – ob von autochthonen oder allochthonen – immer noch über einen Mangel an Respekt und Verständnis. Ich begrüße es deshalb als Sprecher unserer Initiative, dass sich der Deutsche Bundestag zum dritten Mal in 20 Jahren solidarisch an die Seite der Kleinsprachen stellt und ihnen eine Bühne zu mehr Beachtung und mehr Anerkennung bietet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zugleich stärken wir damit auch die Sprachminderheiten in aller Welt. Das gilt auch für die deutschen Sprachminderheiten, ob in Slowenien, Moldawien, -Lettland oder Kasachstan – immerhin 1,4 Millionen Deutsche leben in Sprachminderheiten außerhalb unseres Landes. Dazu gehören auch 20 000 Plattsnacker in den Vereinigten Staaten und 60 000 Plattsnacker allein in Paraguay. Auch für sie, die in unserer Sprache ihre Heimat -haben, tragen wir eine Mitverantwortung, indem wir -beispielgebend handeln. Aussprachen und Beschlüsse zum Thema „Sprache“ sind nicht nur ein Thema für uns, für die Bundesberatung. Sie sollten viel häufiger auch in den Länderparlamenten praktiziert werden; denn Sprachenförderung gehört zu deren eigentlicher hoheitlicher Aufgabe. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Sprache ist der Schlüssel zum Weltverstehen. Sprache ist die Basis für Partizipation, für Integration und für sozialen Aufstieg. Mehrsprachigkeit ist das Gebot der Stunde. Die Muttersprache gilt als Kern für kulturelle und persönliche Identität. Für viele Bürger von Minderheitensprachen ist ihre Volksgruppensprache zugleich Muttersprache. Für sie wie für uns alle gilt das Recht auf sprachliche Selbstbestimmung. Es ist ein Bürger- und ein Menschenrecht. Der Anspruch wird jedoch fragwürdig, wenn die Existenzgefährdung der Sprache zunimmt. So sagt eine aktuelle UNESCO-Analyse: Jede Woche stirbt bei uns auf der Welt eine Sprache. Noch haben wir 6 000 Sprachen; in 50 Jahren werden 2 400 Sprachen nicht mehr auf unserer Welt sein. Nordfriesisch wie Saterfriesisch gehören dazu. Das Romani der Sinti und Roma ist gefährdet. Das Sorbische ist bedroht. Auf der Roten Liste befindet sich jetzt auch die plattdeutsche Sprache. Alle diese Sprachen haben an Vitalität eingebüßt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Ich merke schon hinter mir: Die Präsidentin rührt sich bereits. Leve Präsidentin, ik werd ok zum Afschluss kommen doon. De Düütsche Bundesdag hett Masse doon för de lütten Spraken. Wi hebbt en Staatssekretär, de is dorför tostännig. Wi hebbt en egen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Un wi hebben ok en Gremium. Un ik much schon -hopen, dat wi all tosamen mehr doon för de lütten -Spraken. De hebben dat verdeent. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Karin Evers-Meyer hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. Karin Evers-Meyer (SPD): Geacht Frau Präsidentin! Leve Maten! Dat is goot 15 Johr her, dor hebbt de Platt-Snackers över 20 000 Ünnerschriften sammelt. Dat weer de eerste grote Börgerbewegung för Platt. De Ünnerschriften hebbt se in Kiel un in Hannover bi de Präsidenten vun de Landdag in Schleswig-Holsteen und Neddersassen aflevert. As Teken för de Sprakencharta. De Lüüd, de ehrn Naam op disse List sett harrn, wussen genau: Plattdüütsch is ehr Moderspraak und ganz bestimmt en egen Spraak. Un dat weer ok för se kloor: De Platt-Snackers wullen nicht mehr ankeken warrn as Döösbarthels, de nix anners köönt as appeldwatsch hoochdüütsch snacken. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nee, se wullen sik insetten för de Spraak, de as keen anner dat Leven, de Kultur un de Geschicht van dat nöördliche Drüttel vun Düütschland ehr Stempel opdrückt hett. Un se wollen wiesen: Platt hett heel veel mit Idenität to doon. Vörher hebbt se de Minschen vele Johren lang de plattdüütsche Spraak utdreven. Vun Amts wegen verbaden weer Platt nich. Man in de Scholen un in de Behörden – also bi allens, wat offiziell weer, wat de Staat weer –, dor hett dat heten: Plattdüütsch blifft buten. So hebbt sik de meisten Platt-Snackers ganz lütt föhlt – ehr Spraak weer nix weert. Ik weet noch, mien Grootöllern, de snacken ünner’nanner platt. Mien Öllern kunnen dat ok noch. Aber miene Grootöllern dröffen bloß mit mi Platt snacken. Mien Öllern snacken immer hochdüütsch mit mi, weil de Plattdüütschen ja doof weern, oder dat maal mindestens doof. Also dat weer ganz vull mit vörardeel. För düsse Lüüd weer de Sprakencharta en grote Schangs. Siet de Tiet is veel in Gang kamen. Kollege Börnsen hett dat wirklich wunnebor vertellt. Bund un Länder hebbt Plichten övernahmen. Plichten, dat se wat doot för dat Plattdüütsche. Wi kennt de Staatenberichten, wo Bund un 8 Länner rinschrievt, wat se denn nu daan hebbt for de Minderheitssprachen: bi de Bildung, Justiz, Verwaltung, Medien, Kultur und dat soziale Leven. Man mit disse Berichten is dat ja en ganz egen Saak. Man weet nee: Nu güng dat nich mehr üm de Fraag: Doot wi nix – oder dot wi gor nix. Nee, nu müss sik ja wat bewegen. Wat hebbt wi för de Spraak in de Hand nahmen, wo hebbt wi wat maakt, un wat is dorbi rutkamen? Mi dücht: Mit de Charta stüert wi den richtigen Kurs. Man ik weet ok, dat ok de Europarat to en Barg Punkten seggt: „Dat langt nich. Wenn ji de Spraak eernsthaftig Stütt un Stöhn geven wüllt, denn mööt ji mehr doon.“ (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Dat möten wie!) Ick segg: Uns Schipp maakt noch nich längst noog Fohrt. Ik will dat an en Bispeel verkloren: Siet 2008 gifft de Beopdragte för Kultur un Medien in’t Johr 50 000 Euro an dat Institut för nedderdüütsche Spraak – dat is för Projekten för de 2,5 Millionen Platt-Snackers in us Land jüst nich veel. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich möchte die Reden mit Untertiteln!) Hoochnödig is dat op jeden Fall. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man ok dat is wohr: 2011 hebbt de Länner, de Geld an dat Institut geevt – dat sünd Schleswig-Holsteen, Neddersassen, Hamborg und Bremen –, de hebbt festleggt: Wi spoort bi dat Institut 22 000 Euro in. Dat sünd 8 Perzent vun den Huusholt. Nee, Lüüd, so geiht dat nich na vörn. De Staatenbericht van der Ländersiet is ok unvollständig. De Informationen sind nicht systematisch tohoopstellt un man hett de Vertreter vun de enkelten Spraakgruppen nich na ehr Menen fraagt. Wat en groten Fehler is. De Länder müssen endlich dorför sorgen, dat de tostännigen Ministerien ene Person benöömt, de sik üm dat Flach kümmert un Informationen nach wissenschaftlichen Kriterien sammelt, damit de Staatenberichte toverlässiger ward un se miteenanner to verglieken sünd. Denn weet wi ok würklich genau, wat los is. Wat de Plattdüütschen in Neddersassen, Schleswig-Holsteen, Mecklenborg-Vorpommern, Hamborg un Bremen – ick meen also up Bundesebene – dringend bruukt, is en hauptamtlichen Stöhnpahl. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dat gifft woll den Bundesraat für Nedderdüütsch, man de arbeit blots ehrenamtlich. Mi dücht: In de Amtsstuven sitt noch jümmers to vele, för de Platt keen Bildungs- und Kultur-Opdrag is, mehr so’n beten folkloristischen Speelkraam. Dat is de eerste wichtige Punkt: Wi all, un dat sünd nich blots de Politikers in de Länner, nee, dat is ok de Düütsche Bundesdag, wi mööt mithelpen bi’t Ümdenken. Blots so kriegt wi dat hen, de Sprakencharta lebennig to gestalten un Platt för de Tokunft fit to maken. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) De twete Punkt aver is de, op den dat ünner’n Streek ankamen deit. Un dat is: Platt mutt wedder mehr lehrt warrn. De Familien schafft dat allen nich. Verene un Verbänn överall in’t Land mit vele, vele Ehrenamtlers sünd ünnerwegens in Scholen un Kinnergoorns, dat Platt wedder mehr Togo p kummt. Op lange Sicht mööt aver ganz richtige Pädagogen ran. Noch jedenfalls hett Platt sien Platz in de Bildung nich funnen. Noch schrievt de meisten Länner in den Staatenbericht för de Spraakencharta rin: En Ünnerrichtsfach Plattdüütsch – dat wüllt wi nich. Un liekers: ok hier beweegt sik wat. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Un dat is richtig so!) In Neddersassen gifft dat siet 2011 en Erlass, wo binnensteiht: To de Opgaven vun de School höört ok dat Platt-Lehren mit to. En Stück wieder sünd se in Hamborg. Dor hebbt wi siet 2010 en School-Fach Platt. Wat hier heel un deel nee is un wat ok mi Ümdenken to doon hett: Hier geiht dat um dat Lehren vun de Spraak un nicht mehr üm dat Bemöten – Sprachbegegnung hebbt wi op Hooch dor to seggt. Nee, hier geiht dat üm dat Snacken un Verstahn. Hier geiht dat üm kognitive un soziale Kompetenzen. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Junge, Junge!) Un üm regionalkulturelle Kompetenzen. Und wenn ich das hier so auf Hochdeutsch sage, dann merkt man, wie schön und einfach Platt eigentlich ist. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Man, vun de 8 Länner sünd 7 noch nich so wiet. Wi hebbt noch en langen Weg vör us. De Snackers vun Platt, Freesch, Sorbisch, Däänsch und Romaans – se all schüllt weten, dat de Düütsche Bunnsdag sik för ehr Spraken un ehr Kultur insetten deit. Dorüm segg ik: Stellt Se sik achter uns Andrag. Un stimmt Se för us Forderungen. Bavenan steiht mit Punkt 8: Mehr Platt in de Bildung. Dorför bruukt wi frische Konzepte för dat Sprakenlehren. Un de fallt nich vun’n Heven – vom Himmel fallen die nicht. Hier mööt de Länner sik tohoopsetten. Un villicht kann de Bund dat Afstimmen in de Hand nehmen. Wi bruukt en Plaan för all 8 Länner, wi bruukt en Plaan, de dorför sorgt, dat jeedeen Platt ok in’n Kinnergoorn un in de School lehren kann. Denn dat is man kloor: Een vun de besten Opgaven vun uns Volksvertreters, dat is: dat wi uns üm de Saken kümmert, de de Minschen an’t Hart liggt. Dat is nich blots de Arbeitsplatz un dat Geld in de Knipp. Dat is ok de Qualität vun dat Leven dor, wo man to Huus is, won ik mi utkenn un wo ik kloor mien Menung segg. Platt is Alldagsleven: Dor föhl ik mi wohl. Un ik denk, wi schullen hier en Bidrag leisten, dat sik de Minschen wieter in ehre Regional- un Minnerheitenspraken wohlföhlen köönt. Velen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Torsten Staffeldt hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]) Torsten Staffeldt (FDP): Moin, verehrte Frau Präsidentin! (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Moin, moin. Torsten Staffeldt (FDP): Hier kommt noch en Plattsnacker. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: So vull sünd wi nich!) Leve Maten vun den Bunnsdag, Mannslüe und Fronslüe, ik beed Se, wenn Se wat to ropen wüllt oder Fragen stellen wüllt, dat Se dat blots in Plattdüütsch maken doot. Velen Dank. Man seggt, dat de besten Plattsnackers in Sleswig-Holsteen leevt. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) De Wolfgang Börsen hat uns das nu zeigt. Dor gifft dat 24 Perzent vun de Lüüdde in Sleswig-Holsteen seggt, dat se goot Plattsnacken köönt. In Sassen-Anholt blots 4 Perzent un in Bayern keeneen. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Da seechst du det Bildungsgefälle!) Un Bremen und Mecklenborg-Vörpommern hefft enbeten wat gemeen: Dor snackt 19 Perzent Platt. Ann düsse Tallen seht se, leve Maten, dat de Spraakbruuk länger besteiht as de Muur us Düütsche deelt hett. „Die Sprache eines Volkes ist seine Seele“, schreev Johann Gottlieb Fichte. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Un Recht hett er dormit!) Un Ernst Moritz Arndt seggt: „Wer sich der Sprache seines Volkes entfremdet, entfremdet sich seines Volkes selbst.“ (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Junge, Junge!) Dat weer also heer richtig un wichtig, dat Düütschland 1992 in Straßburg as een vun de eersten Verdragslüüd de Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen ünnerschreven hett. Se is siet 1998 in Kraft. Dat Teel is, Regional oder Minderheitenspraken as en Stück europääisch Kultur zu schützen. Spraak is en geistig un kulturelle Heimat. Lengen un Bangen, Hopen, Drööm un Troer, jo ok dat Dagdääg-liche spegelt sik in de Spraak wedder. Veel kann op Plattdüütsch klor un ohn Snörkeln seggt werrn. Als Bispiel: Das ist illusorisch. – Dor ward nix vun. (Heiterkeit bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hau ab! – Maak dat du den Dreih kriggst! Und dat Beste: Keine Angst! – (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Schietinnebüx!) Schiet di man nich inne Büx! (Heiterkeit) Sprache is identitätsstiftend. In de Tiet vun de Hanse weer Nedderdüütsch de allgemene Spraak in Noorddüütschland. Se weer Hannelsspraak an de Küst vun Oost- un Noordsee. De Lüüd spreken nich blots Plattdüütsch, nee, Plattdüütsch wurr ok schreven, in de Justiz, de Verwalten, de Wirtschopp von Noordeuropa. Twüschen London, Bergen, Danzig, Riga und Nowgorod spreken de Kooplüüd un Kaptaine Platt; ok de Verdrääg hett man op Platt maakt. De Sinnspröök vun de Bremer Kooplüüd över de Hannelskamer wiest vundagen noch darop hen: „Buten un binnen, wagen un winnen“. Platt is en Tiefwurzler, miene Damen un Heren. Dat heet, de Spraak hett Blädder laten, as en Boom in’n Storm. Se hett aver ok, just so as de annern Spraken, de wi vundagen hier to hören kriegt, depe Wutteln un överleevt siet Johrhunnerten. So, nun hebb ik nich mehr ganz so veel Tiet. (Heiterkeit – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ach, hol noch mal Luft!) Da mutt ik dat mal en beten körten. – Dor gifft dat en ganze Menge an schöne Saken in Plattdüütsch. Dor gifft dat Wettbewarbe in Dütschland, över 30 utloovt Priesen för de nedderdüütsche Kultur. Dor heeb ik noch en poor Bispill dorför, aber dat laat ik mal. Allens gode Saken. Aber kennt Se Plattsounds? Dat is en Wettstriet för Muskanten un Bands ut Neddersassen un Noordütschland. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Un dat gifft noch Ina Müller!) Bands as „Fettes Brot“ un „de Fofftig Penns“ hebbt wiest, dat Plattdüütsch un moderne Musik goot tohoop passen doot. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Torfrock!) Dat is ok de Grund, worüm dat bi Plattsounds all Musikrichten gifft, vun Hip-Hop, Elektro, Rock, Indie, Metal, Punk bit Reggae. Mit Reggae hebb ik en beten Probleme mit, aber – na ja. Wi sünd Afordente, miene Damen un Heren, un wi mööt dorför sorgen, dat man solke Verdrääg as de Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen ünnerschrievt. Vele Minschen sünd freewillig dorbi, düsse Charta Leven to geven un se an’t Leven to holen. Düsse Minschen stütten und föddern dormit jeden Dag Toleranz. Se sünd de Grundlaag, dat Spraken bestahn blievt, wiel se in en Minnerheitenspraak snackt. Dorüm schüllt wi düsse Minschen nich blots an een Dag as hüüt Dank seggen, denn ehr Engagement is grootortig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wat ik noch seggen will: Kinner, de neven Düütsch noch een anner Spraak as Modderspraak lehren, hebbt dat lichter, en Frömdspraak to lehren. – Ik heff dat sehn, nich? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Fein! (Heiterkeit bei der FDP) Torsten Staffeldt (FDP): De Stütt vun de Spraak is eenzig un alleen de Opgaav vun de Länner un liggt in ehre Hannen. Sleswig Hol-steen stütt dat Plattsnacken mehr as to’n Bispill de Bremer Senat. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Torsten Staffeldt (FDP): Ik bin gleich sowiet. – Ok dat is en Grund för mi as Bremer Afordenter, Beauftrafter für die nedderdüütsche Spraak in miene Fraktion to sien. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Torsten Staffeldt (FDP): Ich bin sofort fertig. Da kommt nur noch ein Snack. Dat wi dorto mehr Geld bruukt, dat is ok kloor. In Bremen hefft wi en Spröök, de heet: Bin en lütten König giff mi nich so wenig laat mi nich so lange stohn denn ik mutt noch wietergohn Halli Halli Hallo So geiht‘t in Bremen to … Dank di. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Raju Sharma hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Raju Sharma (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das is ja man een Fest för de Tohörer un Tokiekers, wenn een so Plattdütsch schnackt as de Kollege Börnsen; un so klook! (Heiterkeit im ganzen Hause) Das Problem ist aber, dass wir so viele Sprachen haben, über die wir reden. Danske doli, und wenn ich jetzt mit Sorbisch oder mit Friesisch anfange, dann versteht sowieso keiner etwas. Ich versuche es mal auf Hochdeutsch: „Sprache ist eine Waffe“, schrieb der Pazifist Kurt Tucholsky, und das ist zweifellos richtig. Sprache kann aber auch eine Brücke und eine Grundlage für eine gelungene Verständigung sein. Sprache schafft Identität. Wenn wir unsere Sprache verlieren, geht auch ein Stück unserer Identität verloren. Das gilt ganz besonders für Minderheiten. Sie zu schützen und damit einen Beitrag zu Frieden und Völkerverständigung zu leisten, ist ein wesentliches Anliegen der Europäischen Charta für Regional- oder Minderheitensprachen, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) die vor nunmehr 20 Jahren vom Europarat zur Zeichnung aufgelegt wurde. Dass der vorliegende fraktionsübergreifende Antrag dies würdigt, ist auch aus Sicht der Linken ausdrücklich zu begrüßen. Oft ist jedoch nicht entscheidend, was man sagt, sondern das, was man nicht sagt. So richtig die Ziele sind, zu denen Deutschland sich mit der Unterzeichnung der Europäischen Sprachencharta verpflichtet hat, so unzureichend ist immer noch der Stand der Umsetzung. Manche der in den vier Kontrollberichten aufgezeigten Defizite lassen sich mit zusätzlichen Anstrengungen und mit zusätzlichem Geld beheben. Andere Probleme sind strukturell. Wenn wir hier zu entscheidenden Verbesserungen kommen wollen, müssen wir auch diese strukturellen Mängel ansprechen und bereit sein, sie grundlegend zu verändern. Ich will das an drei Beispielen deutlich machen: Erstens. Der Minderheitenbegriff muss weiter gedacht werden. Derzeit bezieht die Sprachencharta sich nur auf nationale und autochthone Minderheiten. Es gibt in Deutschland aber noch weitere Minderheiten, deren Sprache gefährdet ist, die aber noch keinen Schutz genießen. Die Überlegung, auch die Sprache anderer Gruppen mit jüngerem Migrationshintergrund zu schützen, mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen. Wenn wir aber wissen, dass in Tschechien rund 60 000 eingewanderte sogenannte Gastarbeiter aus Vietnam als nationale Minderheit geschützt werden, dann ist die Idee, sich aktiv für den Schutz und die Förderung der Sprache von über 800 000 in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden einzusetzen, ganz sicher nicht mehr so abwegig. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Keine Sprache ohne Sprecherinnen und Sprecher. Wenn – wie in der Lausitz – infolge des Braunkohleabbaus viele Menschen ihre Heimat und ihre Arbeit verlieren, ist nicht nur die Region vom Aussterben bedroht, sondern auch die sorbische Minderheit. Wenn sorbische Dörfer umgesiedelt und abgebaggert werden, werden auch die Kultur und die Sprache der Sorben zurückgedrängt. Minderheitenschutz bedeutet hier ganz konkret, dass die Wirtschaftsregion erhalten bleiben und gefördert werden muss. Mit dem geltenden Bergrecht ist das kaum möglich. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Minderheitenschutz ist auch Sache des Bundes. Viele der Verpflichtungen, die Deutschland mit der Unterzeichnung der Europäischen Sprachencharta eingegangen ist, müssen aufgrund unseres föderalen Aufbaus von den Ländern umgesetzt werden. Minderheiten und ihre Kultur sind aber eine Bereicherung für die ganze Gesellschaft. Deshalb sollte sich der Bund auch angemessen an den damit verbundenen Kosten beteiligen. Als die frühere schleswig-holsteinische Landesregierung entgegen der mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen eingegangenen Verpflichtungen die Zuschüsse für die Schulen der dänischen Minderheit massiv gekürzt hat, (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!) ist es Regierung und Opposition auf Bundesebene gelungen, durch gemeinsame Anstrengungen und viel Kreativität die gravierendsten Folgen dieser Eingriffe abzuwenden. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Siehst mol, wie düchtig de sünd!) Das war im Einzelfall gut und richtig. Anstelle von Notlösungen benötigen wir aber Regelungen, die den Bund dauerhaft in die Lage versetzen, seiner Verantwortung zum Schutz der Minderheiten gerecht zu werden. Wenn das mit der Föderalismusreform eingeführte Kooperationsverbot einem wirksamen Schutz der Minderheiten im Wege steht, so sollten wir das Kooperationsverbot beseitigen und nicht den Minderheitenschutz. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Am guten Willen der Länder sollte dies nicht scheitern. Während der Schleswig-Holsteinische Landtag als erstes Parlament mit den Stimmen aller Fraktionen einen Anspruch der Sinti und Roma auf Schutz und Förderung in der Landesverfassung verankert hat, hat der Verfassungsminister des Bundes eine Debatte über einen angeblichen Asylmissbrauch von Sinti und Roma aus Serbien und Mazedonien angestoßen. Hier kann der Kollege Friedrich von seinen Parteifreunden im Norden noch einiges lernen. (Beifall bei der LINKEN) Minderheiten sind eine Bereicherung für das ganze Land. Deshalb braucht es eine Minderheitenpolitik, die Sprachen und Traditionen von Minderheiten als Teil eines Ganzen und als Bereicherung im Zusammenleben von Menschen begreift, fördert und schützt. Die Europäische Sprachencharta hat hierzu einen wichtigen Beitrag geleistet. Dies zu würdigen, ist gut. Sie umzusetzen, wäre noch besser. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Cornelia Behm hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Jetzt kümmt Cornelia!) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bekam dieser Tage diese Karte mit dem Satz: „Nutze deine Zunge nicht nur zum Küssen!“ zugeschickt. Das ist eine witzige Aufforderung, die Sprache als Ausdruck kultureller und nationaler Identität lebendig zu halten, und zwar durch Sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Sprache zu bewahren und weiterzuentwickeln, ist jedoch nicht nur eine Angelegenheit der jeweiligen Sprachgemeinschaft, sondern auch eine Sache der Politik. Sprachenpolitik ist insbesondere dort gefragt, wo Sprache gefährdet ist und verloren zu gehen droht. Deshalb gehört eine Sprachendebatte auch ins Parlament. Mit unserer Kollegin Michalk wird eine Vertreterin der sorbischen/wendischen Minderheit aus Sachsen in dieser Debatte reden. (Beifall des Abg. Robert Hochbaum [CDU/CSU]) Im Gegensatz zum sächsischen Teil der Lausitz wird in meiner Heimat, im brandenburgischen Teil, Niedersorbisch gesprochen. Niedersorbisch wurde 2008 vom Europarat als eine der bedrohtesten Sprachen Europas eingestuft. Vor allem infolge von Sprachverboten, fehlendem Sorbischunterricht und der kohlebergbaubedingten Umsiedlung ist etwa ab 1930 ein Sprachwechsel vom Niedersorbischen zum Deutschen eingetreten. Heute sprechen nur noch die älteren sorbischen/wendischen Menschen und einige wenige Jüngere das Niedersorbische auf muttersprachlichem Niveau. Eine fami-liäre Weitergabe der Sprache ist so kaum möglich. Damit aber die Kinder aller sorbischen/wendischen Familien ihre Muttersprache erlernen können, gibt es das sprachliche Revitalisierungsprogramm WITAJ – „Witaj“ heißt Willkommen – für Kinder in Kitas und Schulen. Für die Ausbildung der Lehrkräfte aber, die auch für Volkshochschulkurse und außerschulische Angebote dringend gebraucht werden, fehlt das Geld. Hier erwarte ich vom Land Brandenburg mehr Engagement. Ein Kurs für fünf Erzieherinnen beispielsweise würde etwa 10 000 Euro kosten. Das sollte auch bei klammen Kassen zu realisieren sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch über eine andere Sprachgemeinschaft sprechen: die Sinti und Roma. Sie sind in vielen Ländern Europas beheimatet. In Deutschland leben geschätzt etwa 70 000, und das seit etwa 600 Jahren. Die Bundesrepublik Deutschland hat 1995 die auf ihrem Territorium lebenden deutschen Sinti und Roma als autochthone nationale Minderheit anerkannt. Ihre Sprache, das deutsche Romanes, hat viele regionale Dialekte. Es wird mündlich weitergegeben. Lehrbücher gibt es nicht. Für die Sprache Romanes gilt im Allgemeinen die Maxime: nur von Sinti für Sinti. Auch das hat historische Hintergründe, waren die Sinti und Roma doch in der Vergangenheit schlimmster Verfolgung ausgesetzt. Im Nationalsozialismus wurden sie ausspioniert, deportiert und in Vernichtungslagern umgebracht. Seither achten sie streng darauf, dass alle das deutsche Romanes betreffenden Angelegenheiten, also auch die Weitergabe der Sprache, nur innerhalb der Sprachgemeinschaft geregelt werden. Dennoch ist die Politik gefragt. Nach Art. 11 der Charta verpflichten sich die Vertragsparteien, sicherzustellen, dass die Interessen der Sprecher von Regional- oder Minderheitensprachen innerhalb der Gremien, die für die Gewährleistung von Freiheit und Pluralismus der Medien verantwortlich sind, vertreten oder berücksichtigt werden. Doch die Beteiligung von Sinti und Roma in Rundfunkräten und Landesmedienanstalten ist bisher nur in Rheinland-Pfalz geregelt. Eine entsprechende Initiative auf Bundesebene wurde bisher lediglich für die Deutsche Welle in Aussicht gestellt, jedoch nicht für einen bestimmten Zeitpunkt. Dabei wäre es außerordentlich wichtig, dass Sinti und Roma hier vertreten wären; denn gerade diese Minderheit leidet heute erneut unter Ausgrenzung und Ablehnung. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einen Absatz bitte noch, Frau Präsidentin. (Heiterkeit) Das stellte jüngst bei der Eröffnung des Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma auch die Kanzlerin fest. Schleswig-Holstein hat jetzt ein Zeichen für eine bessere Politik gegenüber den Sinti- und Roma-Minderheiten in ganz Europa gesetzt. Erstmals wurde der Anspruch auf Schutz und Förderung für die Sinti und Roma in einer Verfassung verankert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dem sollten die anderen deutschen Bundesländer baldmöglichst folgen. Sie sollten diesen Verfassungs-auftrag wie auch die Sprachencharta mit Leben erfüllen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Maria Michalk hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Maria Michalk (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es in meiner Muttersprache: Dobry wje?or! Das heißt: Schönen guten Abend! Die Muttersprache ist für jeden Menschen ein wertvolles Gut und von besonderer Bedeutung. Das haben wir heute schon sehr oft gehört, und man kann es nicht oft genug wiederholen; denn sie ist aus der Historie heraus kulturelle Identität. Sie ist für jeden ein tief im Inneren verwurzeltes Gefühl von Heimat. Sie ist eine feste Bindung an die eigene Sprachgemeinschaft. Gleichzeitig kommt der Mehrsprachigkeit in unserer offenen Welt mehr und mehr Bedeutung zu; ich denke, auch das müssen wir in dieser Sprachendebatte erwähnen. Damit Sie sich ein bisschen in die sorbische Sprache hineinhören können, will ich Ihnen einen kleinen Teil meiner Rede in sorbischer Sprache vortragen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Moja ma?erš?ina, moja ma?erna r?? je serbš?ina. T?e?i raz r??u tu w Zwjazkowym sejmje serbsce. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) B?chmy p?ed 100 l?tami, jako so Domowina – Zwjazk ?užiskich Serbow za?oži, po li?bje wjetši a wjetši lud. (Beifall bei der FDP) Ale p?eco zaso so naši prjedownicy wo wuwi?e serbskos?e prócowachu a d?ensa sej kóždy z nas sam wuw?domi, kajka bohatos? naša ma?erš?ina, naša serbš?ina je a kajke l?pšiny kóždemu dwur??nos? p?injese. Jako serbski lud p?eco hiš?e eksistujemy. Bohu d?ak! Wosebje wotewrjenos? našich m?odostnych k serbskej kulturje a serbskim s?owam mje we wiziji skru?i, zo tež w p?ichod?e jako ma?y lud w Europje wobsta? bud?emy. B?chmy, smy a bud?emy! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir waren, wir sind und wir werden bleiben – das ist in Zeiten, in denen der Wind dem sorbischen Volk so richtig ins Gesicht blies, sehr oft unser Motto gewesen. In der Lausitz, der Heimat der Sorben, heißt der Willkommensgruß „Witaj“; Frau Behm hat es schon gesagt. Seit 14 Jahren ist „WITAJ“ auch die Bezeichnung für ein Projekt, das den frühkindlichen Erwerb der sorbischen und deutschen Sprache forciert. „WITAJ“ legt den Grundstein für eine komplexe mehrsprachige Bildung von der Kinderkrippe bis zur Universität. „WITAJ“ ist das Eintauchen in ein sorbisches Sprachbad nach der bewährten Immersionsmethode. Sprache ist an Personen gebunden. Deshalb spricht die eine Kindergärtnerin nur Sorbisch mit den Kindern und die andere nur Deutsch mit den Kindern. Es ist bewundernswert, was sich daraus entwickelt hat; in den entsprechenden Berichten kann man das nachlesen. Daran müssen wir weiter arbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das gilt auch für die anderen Sprachen!) Ich will an die vorangegangenen Sprachendebatten in diesem Hohen Haus erinnern. Beim letzten Mal, 2009, haben wir gefordert, einen Sprachenkongress durchzuführen. Wir wissen heute, dass sich dieser Kongress mittlerweile in der Vorbereitungsphase befindet. Es ist doch interessant, zu erfahren, welche Rahmenbedingungen Minderheiten beim Erlernen ihrer Sprache vorfinden, zum Beispiel die Deutschen in Polen und die Sorben in Deutschland. Ich unterstütze das Vorhaben, einen Sprachenkongress durchzuführen, der ein wichtiger Baustein für das Haus Europa sein kann, ausdrücklich. (Beifall der Abg. Karin Evers-Meyer [SPD]) Ich will auf einen anderen Aspekt hinweisen: eigene Sprache, eigene Schriftzeichen. Die Muttersprache in Wort und Schrift in der Lausitz zu verwenden, ist kein Problem; alles ist da. Hat man es aber mit Institutionen außerhalb dieses Gebietes zu tun – das ist zum Beispiel dann notwendig, wenn es um die Eintragung in ein Vereinsregister geht –, ist das ein Problem. Die Vorsitzenden unserer Vereine tragen nämlich häufig sorbische Namen – wir definieren uns ja nicht über die Territorialautonomie, sondern über die Kulturautonomie –, und ihre Namen müssen in Sorbisch in das Vereinsregister eingetragen werden. Zurzeit geht das aber noch nicht, weil in dem Vereinsportal, das modernerweise für ganz Deutschland eingerichtet worden ist, damit jeder Vereinsvorsitzende von seinem Schreibtisch zu Hause das Vereinsregister einsehen kann, noch keine sorbischen Zeichen zur Verfügung stehen. Hier erleben wir ein Beispiel dafür, dass uns moderne Kommunikationstechnologien und Tradition immer wieder vor neue Herausforderungen stellen. Ich bitte Sie ausdrücklich, uns dabei zu unterstützen, dass wir im Rahmen des Programms RegisStar die Buchstaben bekommen, die für die osteuropäische Sprachengemeinschaft und damit auch für Sorbisch wichtig sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will auf einen Punkt hinweisen, der mir ganz wichtig ist. Ich sage es erst einmal auf Sorbisch: Wulke wjerški, bohate nazhonjenja a wjeso?a zhromadnos? l?tušeje EUROPEADY we ?užicy su Serbam znowa pokazali, kajka wulka swójba europske mje?šiny su a zo je sebjew?domje za rjanu serbsku r?? samozrozumliwa w?c. Das heißt: Die Europiade in diesem Jahr in der Lausitz, wo die Minderheiten Europas ein kleines Fußballturnier gespielt haben, hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass sich die Minderheiten untereinander begegnen, in fröhlicher Gemeinschaft ihre Kultur pflegen und ihr Selbstbewusstsein stärken, (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig! Du bist ein gutes Beispiel dafür!) das wir brauchen, um weiter zu existieren. Ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie mir zugehört haben. Wutrobny d?ak. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Unser Kollege Serkan Tören gibt seine Rede zu Protokoll.5 Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag, den Sie auf Drucksache 17/11638 finden. Noch einmal der Titel: „20 Jahre Zeichnung der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist angenommen. Enthalten hat sich überwiegend die Fraktion Die Linke, zugestimmt haben ein Abgeordneter der Fraktion Die Linke (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das war ich!) und das gesamte übrige Haus. Damit ist der Antrag angenommen. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr gut!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Energiewende im Gebäudebestand sozial gerecht, umweltfreundlich, wirtschaftlich und zukunftsweisend umsetzen – Drucksache 17/11664 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Hier wird vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. – Hierzu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.6 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11664 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 – Drucksache 17/10975 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) – Drucksache 17/11583 – Berichterstattung: Abgeordnete Michael Frieser Christoph Strässer Marina Schuster Annette Groth Volker Beck (Köln) b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Universal Periodic Review – Menschenrechtslage in Deutschland auf dem Prüfstand des UN-Menschenrechtsrates – Drucksache 17/11675 – Hier wird ebenfalls vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. – Damit sind Sie einverstanden.7 Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache17/11583, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10975 anzunehmen. Wer stimmt für diesen Gesetzentwurf und erhebt sich deswegen? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir stimmen über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11675 ab. Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist bei Zustimmung von SPD und Grünen abgelehnt. Die Linke hat sich enthalten. CDU/CSU und FDP waren dagegen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte – Drucksache 17/11268 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Finanzausschuss Auch hier wird vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. – Damit sind Sie einverstanden.8 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11268 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Edelgard Bulmahn, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Negativbilanz nach zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat – Drucksache 17/11576 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Deutschland im VN-Sicherheitsrat – Impulse für Frieden und Abrüstung – Drucksachen 17/4863, 17/7397 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Egon Jüttner Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Rainer Stinner Jan van Aken Kerstin Müller (Köln) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) – zu dem Antrag der Fraktion der SPD Die internationale Schutzverantwortung weiterentwickeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutzverantwortung weiterentwickeln und wirksam umsetzen – Drucksachen 17/8808, 17/9584, 17/10902 – Berichterstattung: Abgeordnete Roderich Kiesewetter Heidemarie Wieczorek-Zeul Marina Schuster Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller (Köln) Die Reden sollen ebenfalls zu Protokoll gegeben werden. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen.9 Die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11576 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse wird vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich komme zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Deutschland im VN-Sicherheitsrat – Impulse für Frieden und Abrüstung“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7397, den Antrag auf Drucksache 17/4863 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch CSU/CSU, FDP und Linke angenommen. Dagegen haben SPD und Grüne gestimmt. Tagesordnungspunkt 20 c. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 17/10902. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8808 mit dem Titel „Die internationale Schutzverantwortung weiterentwickeln“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und Linke. Dagegen haben SPD und Grüne gestimmt. Enthaltungen gab es keine. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9584 mit dem Titel „Schutzverantwortung weiterentwickeln und wirksam umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen, wiederum bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und Linke. SPD und Grüne haben wieder dagegen gestimmt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes – Drucksache 17/11470 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Kultur und Medien Hierzu ist es verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache und gebe für die Bundesregierung das Wort dem Kollegen Max Stadler. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein vieldiskutiertes Thema wie das Leistungsschutzrecht für Presseverleger verdient eigentlich eine Debatte, die nicht im Schutze der Dunkelheit stattfindet. (Beifall im ganzen Hause – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Andere Themen werden gar nicht debattiert!) Aber das Internet schläft nicht. Dank der modernen Kommunikationsmöglichkeiten wird sehr wohl aufmerksam verfolgt werden, wie das Parlament den Regierungsentwurf zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes bewertet. Der Entwurf ist ja schon im Vorfeld im wahrsten Sinne des Wortes verfolgt worden. Es hat eine etwas schrille Begleitmusik gegeben, insbesondere durch die gegen dieses Gesetz gerichtete Kampagne von Google. In der gestrigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung hat Heribert Prantl die richtige Antwort gegeben: Er hat Google als „Schein-Schutzengel des Internets“ bezeichnet. Er hat betont, dass man natürlich Einwände gegen dieses Gesetz haben könne, dass es aber jedenfalls nicht, wie die Gegenkampagne es suggeriere, gefährlich sei. Es ist nicht gefährlich für die Informationsfreiheit, es ist nicht gefährlich für die Kommunikationsgrundrechte, es ist nicht einmal gefährlich für den gewaltigen Geldbeutel von Google. So schreibt Heribert Prantl zutreffend. Meine Damen und Herren, bei dem bekannten Pro und Kontra gibt es in der Abwägung ein entscheidendes Argument: Das Urheberrechtsgesetz kennt schon jetzt eine Vielzahl von anderen Leistungsschutzrechten. Es ist daher im Sinne der Gleichbehandlung schwer einzusehen, warum ausgerechnet Presseverlegern ein solches Leistungsschutzrecht verweigert werden sollte. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Grundlage!) Verlage sollen künftig im Onlinebereich nicht schlechter gestellt sein als andere Werkvermittler. Nicht mehr und nicht weniger leistet unser Gesetzentwurf. Weil Frau Rößner schon so skeptisch schaut, will ich neben diesem etwas formalen Gleichbehandlungsargument auch noch das materielle Gerechtigkeitsargument in die Debatte einführen. Es gibt Geschäftsmodelle, die in besonderer Weise darauf ausgerichtet sind, für die eigene Wertschöpfung auch auf die verlegerische Leistung zuzugreifen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: So ist das!) Der Regierungsentwurf beschränkt sich genau auf diesen Aspekt. Wir schaffen nur Regelungen, die zum Schutz der Presseverleger im Internet wirklich erforderlich sind. Dementsprechend soll mit dem neuen Leistungsschutzrecht den Presseverlagen lediglich das ausschließliche Recht eingeräumt werden, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Dieses Recht können Verleger nur gegenüber Anbietern von Suchmaschinen geltend machen sowie gegenüber den Anbietern von solchen Diensten im Netz, die Inhalte entsprechend einer Suchmaschine aufbereiten. Presseverlage können also nur von diesen Anbietern künftig verlangen, Nutzungen zu unterlassen, oder sie können mit ihnen Lizenzgebühren vereinbaren. Gesetzlich zulässig und unentgeltlich bleibt die Nutzung durch andere, wie zum Beispiel die Nutzung durch Blogger, durch Unternehmen der sonstigen gewerblichen Wirtschaft, durch Verbände, Anwaltskanzleien oder private bzw. ehrenamtliche Nutzer. In seiner schlanken und ausgewogenen Fassung bildet der Gesetzentwurf sicherlich eine sehr gute Grundlage für die Debatte in den Ausschüssen. Deswegen hätten wir den Schutz der Dunkelheit für diesen Gesetzentwurf wirklich nicht gebraucht. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Tabea Rößner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war’s schon? Das war alles?) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD-Fraktion hat Martin Dörmann das Wort. (Beifall bei der SPD) Martin Dörmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD lehnt das von der Bundesregierung vorgeschlagene Leistungsschutzrecht für Presseverleger ab. Drei Jahre hat Schwarz-Gelb gebraucht, um hierzu nach vielen Volten hin und her überhaupt einen Gesetzentwurf vorzulegen. Es waren drei verlorene Jahre für die Medienpolitik. Am Ende ist ein Vorschlag herausgekommen, der völlig kontraproduktiv ist. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Denn er wird der Medienlandschaft in Deutschland nicht helfen, schafft neue Rechtsunsicherheiten und droht hilfreiche Suchmaschinenfunktionen faktisch einzuschränken. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Stimmen der Kritiker sind dementsprechend vielfältig. Namhafte Urheberrechtler warnen vor den negativen Folgen. Der IT-Branchenverband BITKOM und der BDI erwarten eine Schwächung des Innovations- und Investitionsstandorts Deutschland. Der Vorsitzende der Monopolkommission, Professor Haucap, den ich hier ausdrücklich zitieren darf, hält das Ganze gar für eine „Schnapsidee“. Selbst Junge Union und Junge Liberale fordern heute mit den anderen Jugendorganisationen politischer Parteien, den Gesetzentwurf abzulehnen, weil sie darin einen Eingriff in die Freiheit des Internets sehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuellen Beispiele der Frankfurter Rundschau und der Financial Times Deutschland haben zuletzt ein schmerzliches Schlaglicht auf die Probleme im Zeitungsmarkt geworfen. Vor diesem Hintergrund möchte ich ausdrücklich festhalten: Qualitativ hochwertige journalistische Angebote sind von entscheidender Bedeutung für die Meinungsvielfalt und unsere Demokratie. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Reden, reden, reden!) Guter Journalismus erfordert engagierte Journalisten, die von ihrer Arbeit leben können. Er erfordert zugleich Recherche, Organisation und damit Geld, das letztlich von den Presseverlegern verdient werden muss, und zwar auch im Internet. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Aha!) Es ist daher folgerichtig, dass immer mehr Verleger versuchen, Bezahlangebote im Netz zu etablieren, und dass sie bereits heute bestehende Urheberrechte an Texten schützen wollen. Guter Journalismus hat einen Wert, den es zu respektieren gilt. Es ist deshalb selbstverständlich nicht hinzunehmen, wenn einzelne Portale urheberrechtlich geschützte Zeitungsartikel ohne Zustimmung von Autoren und Verlagen selbst vermarkten und auf deren Kosten Geld damit verdienen. (Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Ich sehe, es gibt möglicherweise eine Zwischenfrage des Kollegen Jarzombek. Ich möchte die Präsidentin bitten, diese Zwischenfrage aufzurufen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das war eine gewunkene Zwischenfrage. Bitte schön. Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Herr Kollege Dörmann, ich muss Ihnen erst einmal ein Kompliment machen: Sie sind frischer als das Präsidium, was das Erkennen von Zwischenfragen betrifft. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Na, na, na! Keine Kritik an der Präsidentin!) Ich habe zwei Fragen an Sie. Die erste Frage ist: Ich würde gerne von Ihnen wissen, wo die Kollegin Dr. Hendricks ist, die als Generalbevollmächtigte der DDVG über, so glaube ich, 15 oder 20 Prozent des deutschen Zeitungsmarktes verfügt und Mitglied dieses Hauses ist. Dass sie an dieser Debatte nicht teilnimmt, finde ich – ich sage es einmal vorsichtig – bemerkenswert. Also: Wo ist die Kollegin? Die zweite Frage an Sie ist: Sie haben erklärt, Sie lehnten dieses Leistungsschutzrecht rundweg ab. Ihre Partei, die SPD, hat über die Holding DDVG eine ganze Reihe von Beteiligungen an deutschen Zeitungen. Können Sie heute eine Aussage darüber treffen, ob die Zeitungen, die der SPD gehören, Verhandlungen im Rahmen des Leistungsschutzrechtes, wenn es beschlossen wird, aufnehmen werden, um damit Erlöse von den Suchmaschinen zu erzielen? Martin Dörmann (SPD): Herr Kollege Jarzombek, es ist bezeichnend, dass Sie eigentlich nicht zum Thema reden möchten, sondern ein bisschen Ablenkungsmanöver betreiben. (Beifall bei der SPD) Bezeichnend ist auch, dass wir diese Debatte, wie der Kollege Stadler zu Recht gesagt hat, zu nachtschlafender Zeit führen müssen, weil sich die Koalition für das Ganze schon ein bisschen schämt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Total!) Ihre Frage ist eine rein hypothetische Frage, die ich natürlich gar nicht beantworten kann. Sie wissen ganz genau, dass die DDVG in der Regel ganz kleine Minderheitsbeteiligungen hat (Lachen bei der CDU/CSU) und sich aus redaktionellen Dingen heraushält. Hier werden also Äpfel mit Birnen verglichen. Ich kenne diese Diskussion auch im Zusammenhang mit bestimmten Zeitungen. (Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU] meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage) – Ich lasse gerne noch eine Nachfrage von Herrn Kollegen Jarzombek zu, der aber eigentlich nicht zur Sache reden will. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das ist schön. Aber wir machen jetzt keinen Dialog, sondern Sie fahren in Ihrer Rede fort. Martin Dörmann (SPD): Die SPD ist dafür, dass es dieses Leistungsschutzrecht überhaupt nicht gibt. Insofern stellt sich diese hypothetische Frage gar nicht. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich würde auch gern zum Leistungsschutzrecht reden!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, fahren Sie doch in Ihrer Rede fort. Martin Dörmann (SPD): Okay. – Dort, wo es heute Probleme bei der Rechtsdurchsetzung gibt, sind wir für verbesserte Möglichkeiten der Presseverleger, damit diese effektiv gegen solche illegalen Geschäftsmodelle, die ich vorhin genannt habe, vorgehen können. Das vorgeschlagene Leistungsschutzrecht löst die bestehenden Probleme aber gerade nicht, sondern schafft neue. Es geht letztlich darum, Suchmaschinen entgeltpflichtig zu machen und hierüber neue Einnahmequellen zu generieren, und zwar auch dann, wenn sie nach heutiger Rechtslage völlig legal verlinken und dabei kurze Textteile anzeigen, damit man Artikel inhaltlich zuordnen kann. Aus Sicht der SPD-Fraktion erfüllen Suchmaschinen aber eine wichtige Wegweiserfunktion im Internet, die wir erhalten wollen. Mit technischem und finanziellem Aufwand erbringen Suchmaschinen eine eigene Leistung, die für viele Internetuser hilfreich ist. Auch die Verlage wollen nicht darauf verzichten, gelistet zu werden – sie könnten das ja technisch heute schon verhindern –; denn sie wollen ja Leser auf ihre werbefinanzierten freien Angebote ziehen. Es ist deshalb niemandem wirklich vermittelbar, dass nun Suchmaschinen, die das heutige Urheberrecht nicht verletzen und den Verlegern sogar finanzielle Vorteile bringen, über ein speziell auf sie zugeschnittenes Leistungsschutzrecht ein Entgelt zahlen sollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion hat vor wenigen Wochen einen umfassenden Antrag zur Sicherung der Medienvielfalt und zu qualitativ hochwertigem Journalismus in den Bundestag eingebracht. Leider hat sich die Regierungskoalition verweigert, unsere Vorschläge aufzunehmen oder zumindest ernsthaft zu prüfen. Gibt man heute in eine Suchmaschine den Begriff „schwarz-gelbe Medienpolitik“ ein, findet man leider keinerlei Konzepte, die den Herausforderungen wirklich gerecht werden. (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Blödsinn!) Insofern ist es, denke ich, notwendig, dass wir einen Relaunch machen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Bei einer Rede selber denken, nicht googeln! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Einen wunderschönen guten Abend! – Der nächste Redner auf der Rednerliste ist der Kollege Ansgar Heveling für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir müssen die Märkte bändigen“ … Sie – gemeint sind die Bürger – haben den Eindruck, dass ihre „gefühlte Ordnung“ aus dem Lot geraten ist … Viele Staaten und Regionen der Welt werden auf Europa schauen, ob es in der Lage ist, dem liberalen Kapitalismus Angloamerikas auf der einen und dem autoritären Kapitalismus Chinas auf der anderen Seite sein Modell des demokratischen Kapitalismus in Form der sozialen Marktwirtschaft gegenüber zu stellen. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Genau!) Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, stammt nicht von mir, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das hätte mich auch gewundert!) sondern ist einem Gastbeitrag von Sigmar Gabriel im Handelsblatt vom 2. März 2012 entnommen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heveling zitiert Gabriel! Es muss sehr spät sein!) und es geht dabei um das Bändigen der Finanzmärkte. Was hat das nun mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage zu tun? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragen wir uns alle seit mehreren Minuten!) – Ich habe mir schon gedacht, dass der Kollege von Notz genau über dieses Stöckchen, das ich ihm hinhalte, jetzt springen würde. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Er braucht halt länger!) Vordergründig hat das erst einmal gar nicht viel damit zu tun, aber es lohnt sich vielleicht, Herr Kollege von Notz, auch einmal ein bisschen tiefer als nur auf die Oberfläche zu schauen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben noch zwei Minuten!) Ein Großteil dieses Hauses ist mit der Situation auf den Finanzmärkten nicht zufrieden. Kasinokapitalismus und eine von der Realwirtschaft abgekoppelte Finanzwirtschaft haben uns seit 2008 eine Dauerkrise auf unterschiedlichen politischen Spielfeldern beschert. (Lars Klingbeil [SPD]: Falsche Rede! Falscher Zeitpunkt! – Lachen des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Wucht der Ausschläge deregulierter Märkte überrollt gnadenlos die Gestaltungskraft der Staaten weltweit, vor allem aber Europas. Bis weit in bürgerliche Kreise hinein – ich schließe mich hier selbst mit ein – wird kritisch gesehen, (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dass es kaum verbindliche internationale Regeln für -Finanzmärkte gibt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lesen aus Versehen die Rede von Frau Sitte vor! Was soll die denn gleich sagen?) Zugeschrieben wird der Schwund staatlicher Gestaltungsspielräume dabei nicht zu Unrecht auch der fortschreitenden Globalisierung. Mit ihr ist das Spielfeld für Deregulierung eröffnet worden. Deutschland beweist zwar, dass es mit der sozialen Marktwirtschaft und damit mit einem feinnervigen System der Balance zwischen unterschiedlichen Rechten über eine leistungsfähige Wirtschaftsordnung verfügt – unsere wirtschaftliche Stärke zeigt das –, gleichzeitig ist die soziale Marktwirtschaft aber nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal. Der liberale Kapitalismus Angloamerikas ist international weiter in der Vorhand. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Angloamerikas“!) Insofern würden sicherlich viele den eingangs zitierten Sätzen Sigmar Gabriels zustimmen. (Martin Dörmann [SPD]: Das finde ich aber nicht! – Zuruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir als Bundesrepublik sind doch schon immer mit dem Willen zum schonenden Ausgleich der Interessen gut gefahren. Damit nun zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen einmal Argumente!) – Es ist schön, dass Sie da schon applaudieren. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind mit wenig zufrieden!) Letztlich ist die Diskussion um dieses Recht nichts anderes als ein Abziehbild der Diskussion um die Finanzmärkte. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: So ist das!) Die Interessenlagen sind an dieser Stelle durchaus vergleichbar. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber da liefern Sie nicht!) Interessant ist nur, wie verschoben die Wahrnehmung bei der Auseinandersetzung um das Recht auf geistiges Eigentum ist, insbesondere, wie ich jetzt merke, auf der linken Seite des Hauses. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das liegt an der intellektuellen Überforderung dieser Seite!) Letztlich geht es nämlich um das Gleiche. Es geht um die Frage, wie dereguliert der Wirtschaftsraum Internet – darum geht es eigentlich, trotz aller Camouflage – sein soll. Sollen hier die Regeln des liberalen Kapitalismus gelten, um in der Diktion Sigmar Gabriels zu bleiben, oder ein auf Ausgleich bedachtes System der sozialen Marktwirtschaft? Gerade nach den Erfahrungen mit den Finanzmärkten fällt es mir nicht schwer, darauf eine Antwort zu geben. Zumal das Urheberrecht in ökonomischer Hinsicht soziale Marktwirtschaft par excellence darstellt: Seine Grundlage bildet das Eigentumsrecht, das dem Urheber oder Leistungsschutzberechtigten die Freiheit ökonomischer Verwertung sichert. Gleichzeitig sind aber Schranken zugunsten der Freiheit anderer essenzieller Teil der Urheberrechtsordnung. Schon seiner Grundstruktur nach ist das Urheberrecht damit auf den Ausgleich von Rechten und von ökonomischen Interessen orientiert. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Gut -zuhören!) In diese Systematik fügt sich auch das Leistungsschutzrecht für Presseverlage ein. Es ist keine neue Erfindung. Leistungsschutzrechte gibt es bereits, seit es das Urheberrecht gibt. Wir, die christlich-liberale Koalition, haben uns lediglich entschieden, ein weiteres Leistungsschutzrecht einzuführen. Das Ziel ist dabei – so steht es schon im Koalitionsvertrag –, dass Verlage im Online-bereich nicht schlechter dastehen sollen als andere Werkvermittler. Das vorgeschlagene Leistungsschutzrecht für Presseverlage unterscheidet sich dabei massiv von anderen -bereits bestehenden, sogenannten verwandten Schutzrechten. Während andere Leistungsschutzrechte meist ein weitreichendes Ausschließlichkeitsrecht für den Rechteinhaber beinhalten, ist das vorgeschlagene Leistungsschutzrecht für Presseverlage bewusst schmal ausgestaltet. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hat große Auswirkungen!) Es differenziert – das ist dem Urheberrecht ansonsten eher fremd – zwischen privater und gewerblicher Nutzung, und es vermittelt dem Leistungsschutzberechtigten seine Rechte nur für ein Jahr. Daraus resultiert beinahe schon zwangsläufig, dass der Gesetzentwurf auch Fragen aufwirft, (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, viele Fragen!) die bei einer ebenso strengen Ausgestaltung des Leistungsschutzrechtes wie bei anderen verwandten Schutzrechten nicht auftreten würden. Diesen Fragen werden wir uns sicherlich in der Anhörung vertieft widmen können. Während sowohl die Definition des Presseerzeugnisses als auch die des Presseverlages klar konturiert sind, ist es sicherlich angezeigt, die juristische Validität von Begriffen wie „Suchmaschine“ oder „gewerbliche Anbieter“ noch einmal näher zu beleuchten. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir gespannt!) Das wird die rechtliche Regelung des Leistungsschutzrechtes indessen nicht grundsätzlich infrage stellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Leistungsschutzrecht für Presseverlage ist ein bereits im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen intensiv diskutiertes Thema. Das liegt wohl hauptsächlich daran, dass es als Chiffre für ganz andere Debatten dienen soll. Diese Debatten müssen wir auch führen; das ist gar keine Frage. Das Internet muss ohne Frage ein Freiheitsraum sein und bleiben, so wie es im Übrigen die reale Welt in unserer Bundesrepublik Gott sei Dank auch ist. Markenkern unserer Freiheit ist dabei aber, nicht ausschließlich das Recht des ökonomisch Stärkeren zu berücksichtigen, sondern einen sorgsamen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen herbeizuführen. Das sollten wir uns auch bewahren. Freiheit darf auch im Internet keine einseitige Freiheit sein. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So, jetzt für den Kapitalismus, Frau Sitte!) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Das ist nicht zu toppen, was er da geboten hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute also zu später Stunde über den Sandkastenstreit, wer wem welches Schäufelchen in der Medienwelt aus der Hand schlagen könnte. Da schreien auf der einen Seite die Verleger: „Google verdient Geld mit unseren Inhalten!“ und wollen deshalb Geld von Google. Google kläfft nun seinerseits zurück und sagt: „Die Verlage bekommen von uns ohne Ende Onlinekunden, sollen sie doch froh sein darüber, da nehmen sie ja auch Geld ein.“ Gleichzeitig tun beide Seiten so, als wären sie für Gemeinwohl, für Demokratie und Weltfrieden absolut unverzichtbar. Aber letztlich streiten sich beide Seiten nur um fette Profite. (Beifall bei der LINKEN) Nun könnte man ja sagen, das sei alles kindisches Gehabe und kindisches Gezänk, das könne man eigentlich auch ignorieren. Aber da gibt es eben sehr wohl das ungenierte einseitige Parteinehmen der Bundesregierung für Springer & Co. Und Herr Keese vom Springer-Verlag war es, der das in den letzten Jahren vorangetrieben hat. Deshalb gibt es also kurz vor Weihnachten hier schon einmal eine schöne Bescherung, einerseits für den Springer-Verlag, andererseits für das Parlament in Gestalt des Gesetzentwurfes zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Das ist, ehrlich gesagt, nicht so ganz leicht zu verstehen. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Bemühen Sie sich ein bisschen!) Warum ist das so schwer zu verstehen? Ganz einfach: Weil es heute – ach, was heißt heute? Schon seit etwa 20 Jahren! – ganz einfache, problemlose, technische Möglichkeiten gibt, mit denen die Verlage ihre Veröffentlichungen wirksam vor Suchmaschinen schützen könnten. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Alles oder nichts!) Vor allem aber – das muss ich sagen, Herr Stadler – ist das Gesetz denkbar schlampig formuliert. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dabei ist es der dritte Versuch!) Niemand weiß nämlich am Ende, wer von diesem Gesetz begünstigt oder dadurch zu Zahlungen verpflichtet wird. Niemand weiß genau, wie der Schutzgegenstand aussehen soll, was er sozusagen ist. Wir wissen aber, dass dieses Leistungsschutzgeld erfolgreich Innovationen im Netz behindern wird, und zwar immer dann, wenn es um Informationsaufbereitung oder Informationsaggregation geht. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Haben Sie auch eine Position dazu, Frau Sitte?) Die Linke hat zu den Rechtsunsicherheiten diese Woche auch eine Kleine Anfrage gestellt. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Kraftvoll!) Ich wette mit Ihnen, diese wird noch weit mehr als die bisher bekannten Mängel des Gesetzes freilegen. Es wird dann natürlich in dieser Anhörung, von der Sie gesprochen haben, spannend, ob sich das erklären und sauber beheben lässt. Am Ende werden sich, wie ich glaube, die Abmahnanwälte die Hände reiben; das tun sie wahrscheinlich schon heute angesichts des profitablen Geschäfts, das auf sie zukommt. (Beifall bei der LINKEN) Nun gibt es auch Gerüchte, dass der Gesetzestext absichtlich so schlecht geschrieben worden ist – nicht, weil es den fleißigen Bienchen im Justizministerium an Intellekt gefehlt hätte, nö, nö. Vielleicht wollten oder sollten die sich schlicht und ergreifend keine Mühe geben. (Lachen des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]) Immerhin gibt es offensichtlich kaum jemanden in der Behörde – (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Was kommt denn jetzt?) bei den Anfragen im Unterausschuss Neue Medien ist das ganz deutlich geworden –, der dieses Gesetz am Ende tatsächlich für sinnvoll hält. Das, meine Damen und Herren, sind natürlich – ich höre es schon – ganz, ganz schlimme Oppositionsspekulationen. Keine Spekulation ist beispielsweise die Stellungnahme von 16 hochangesehenen Professorinnen und Professoren gegen das geplante Leistungsschutzrecht. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das können Sie doch gar nicht beurteilen!) – Ich kann das sehr wohl beurteilen, aber Sie können ruhig weiter Ihren Jahrhunderttraum von den fetten Gewinnen träumen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es handelt sich bei dieser Gruppe um ausgewiesene Urheberrechtsexperten. Diese stellen für das geplante Leistungsschutzrecht fest – ich zitiere an dieser Stelle –, dass die Gefahr, die von ihm ausgeht, unabsehbare negative Folgen in sich birgt. Ebenfalls keine Spekulation ist, dass es selbst in den Reihen der Koalition offensichtlich eine ganze Menge Leute gibt, die das Gesetz ganz und gar nicht so toll finden. Im Gegenteil: Sie haben sich zu Wort gemeldet – schwarze wie gelbe Kritiker, klug und prominent – und in die Diskussion eingemischt. Daher bleibt mir an dieser Stelle nur, an die Bundes-regierung zu appellieren: Hören Sie einfach auf all die schlauen Menschen! Hören Sie auf die Leute, die im Internet zu diesem Thema diskutieren! Überwinden Sie vor der Wahl Ihre Angst vor der Bild-Zeitung und ziehen Sie schlicht und ergreifend dieses Leistungsschutzrecht zurück! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ist Ihre Welt einfach! Wie früher!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Tabea Rößner vom Bündnis 90/Die Grünen. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich gebe zu: Ich habe mich geirrt; denn ich habe immer gedacht, diesen Schwachsinn kriegen Sie nie durch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Schon damals, bei Abschluss des Koalitionsvertrages, habe ich mich gefragt, wie Sie das angekündigte Leistungsschutzrecht überhaupt umsetzen wollen. Drei Jahre und drei Entwürfe später merke ich: Sie wissen es immer noch nicht. Deshalb klatschen Sie uns einen halbherzigen, einen halbgaren und einen halbfertigen Gesetzentwurf hin, der von der Ausgestaltung her nicht unklarer sein könnte. Niemand – Ihre eigenen Leute übrigens auch nicht – kann mit Sicherheit sagen, wie weit der Entwurf greifen wird. Sind Links nun geschützt oder nicht? (Zuruf von der FDP: Sind sie nicht!) Das weiß niemand. Ich weiß aber eins: Es wäre katastrophal, wenn es so wäre. Denn das Internet heißt nicht aus Jux Netz, sondern weil es durch das Interagieren von Menschen, durch Kommunikation, Verweise und den Austausch von Informationen lebt. Eine Basis dafür sind natürlich Links. Die Kanzlerin hat das Leistungsschutzrecht als Antwort auf die „Anforderungen einer modernen Informa-tionsgesellschaft“ gepriesen. So wie es aussieht, kennt sie nicht einmal die Frage. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Der Informationszugang wird nämlich durch das Leistungsschutzrecht eingeschränkt. Warum? Weil Suchmaschinen und Aggregatoren deutsche Presseerzeugnisse und gewerbliche Blogs nicht mehr listen dürfen; es sei denn, sie haben eine Lizenz. Sollen etwa Google oder Rivva die Blogger alle selber abtelefonieren? Oder wie stellen Sie sich das vor? Apropos ahnungslos: Ganz groß war auch Ihr Auftritt im Medienausschuss, Herr Kollege Müller-Sönksen, als Sie für das Gesetz mit der Begründung geworben haben, dass es den Qualitätsjournalismus in unserem Land und die Pressevielfalt erhalten werde. Aber jeder, der für zwei Minuten seinen Verstand hochfährt, (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Fangen Sie mal an!) kann sehen: Sie bewirken das Gegenteil. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Da es für die Koalition jetzt vielleicht schon zu spät in der Nacht ist, übernehme ich das Denken für Sie. Eine Suchmaschine wie Google wird wohl kaum auf das kollektive Springer-Angebot verzichten wollen. Also hat Springer in Verhandlungen Oberwasser und kann für die Lizenzen gutes Geld verlangen, auch wenn der Verlag in den vergangenen zwei Jahren ohnehin schon Rekordergebnisse eingefahren hat. Das Hintertupfinger Tageblatt dagegen ist nicht so gefragt wie Bild. Denen zahlt Google sicherlich wenig, vielleicht sogar gar nichts. Ergo: Die Großen profitieren, die Kleinen verlieren, und am Ende lacht Springer. Wenn Sie das wollen, dann sagen Sie das bitte hier auch so, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Noch jemand wird durch das Gesetz verdienen: die Abmahnanwälte. Denn Leistungsschutzrecht wird Anwalts Liebling. Wissen Sie, wer das Geld dringender nötig hätte? Journalisten. Sie müssen heute nämlich Knebelverträge unterzeichnen, sofern sie überhaupt noch Arbeit haben. Aber an der einzigen Stelle, an der das Leistungsschutzrecht vielleicht etwas Gutes bewirken könnte, nämlich bei der Verbesserung der Vergütung der Urheber selbst, bleiben Sie seltsam im Vagen. Denn die Autoren hatten Sie bestimmt nicht im Sinn, als Sie an den zig Versionen des Gesetzentwurfs herumdokterten. Ich fasse zusammen: Der Gesetzentwurf ist ungenau formuliert, rückwärtsgewandt und geht am Ziel vorbei. Er sollte deshalb besser nie den Beratungsvorgang verlassen, geschweige denn zur Abstimmung kommen. Sonst erleben Sie vielleicht sogar ein peinlicheres Ergebnis, als Ihnen lieb ist. Denn die Summe der Kritiker ist groß, nicht nur auf der Oppositionsbank: Das Max-Planck-Institut, Siegfried Kauder, Vorsitzender des Rechtsausschusses, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) die JuLis und die Junge Union, Ihre Jugendorganisationen, haben zusammen mit den anderen Parteijugendorganisationen gegen das Leistungsschutzrecht aufgerufen. Das sollte Ihnen doch zu denken geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie alle werden sich bei der Abstimmung bekennen müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihre Justizministerin hat neulich auf einer Veranstaltung des BDZV – Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, Sie hatten doch die Zusammenfassung in Aussicht gestellt. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – ich komme zum Schluss – zum Leistungsschutzrecht gesagt: Aber es ist doch gut, wenn zu einem Thema auch dann debattiert wird… … Man darf doch nicht so defensiv sein und bei Themen, wo man sagt, da gibt’s auch Kritik, dann sich zurückziehen ins Schneckenhäuschen … Jetzt ist es 23.18 Uhr, und im Schneckenhäuschen hätten wir schon Platz. (Zuruf von der CDU/CSU: Was?) Würden wir bei Twitter über den Gesetzentwurf streiten, hätte ich zwei schöne Hashtags für ihn: Fail und Facepalm. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ganz starker Schluss!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Jetzt hören wir Thomas Silberhorn live für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche zwar live, aber der Umstand, dass das nicht mehr live im Fernsehen übertragen wird, führt dazu, dass ich meine Urheberrechte an dieser Rede nicht mehr über die Verwertungsgesellschaft Wort geltend machen kann. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Die streamen schon längere Zeit! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird gestreamt, Herr Kollege! Ich wäre vorsichtig!) Ich spreche aber gerne über Leistungsschutzrechte, die unserer Rechtsordnung ja nicht fremd sind. Es gibt eine ganze Reihe von Leistungsschutzrechten: für Darsteller, für Produzenten, für Sendeanstalten, für Tonträgerhersteller. Hinter diesen verwandten Schutzrechten steckt die gemeinsame Überlegung, dass kreative Leistungen von Darstellern und Produzenten, aber auch organisatorische und unternehmerische Leistungen schützenswert sind, die zwar kein neues Werk schaffen, die aber der Vermittlung von Werken dienen. Dazu wird künftig auch die verlegerische Leistung im Internet zählen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir erweitern also das Portfolio der bereits verwandten Schutzrechte um ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Darauf haben wir uns schon im Koalitionsvertrag verständigt. Unser Ziel ist, dass wir Presseerzeugnisse und ihre Verwertung im Internet besser schützen können. Der Gesetzentwurf sieht deshalb im Kern vor, dass den Presseverlagen ein ausschließliches Recht eingeräumt wird, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet zugänglich zu machen. Es soll damit schlicht sichergestellt werden, dass Verlage im Onlinebereich nicht schlechter gestellt werden als andere Werkvermittler. Es werden reine Verlinkungen weiterhin -entgeltfrei möglich sein. Das Zitierrecht des Urheberschutzes wird nicht beeinträchtigt. Die private Nutzung bleibt möglich. Die Suchfunktion einer Suchmaschine – anders als Sie, Herr Kollege Dörmann, es dargestellt haben – wird in keiner Weise berührt. Es kann weiter gesucht und gefunden werden. Das neue Leistungsschutzrecht schützt nur den Zugriff auf die verlegerische Leistung durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder sonstigen Diensten, die Inhalte entsprechend aufbereiten, wie die Newsaggregatoren. Diese Anbieter müssen künftig für die Nutzung von Presseerzeugnissen Lizenzen erwerben. Der Schutzbereich dieses Leistungsschutzrechts ist also sehr klar definiert und begrenzt. Er umfasst das Presseerzeugnis in seiner konkreten Gestaltung und Festlegung durch den Verleger. Es geht nicht um den Schutz der darin enthaltenen Texte, es geht nicht um Fotos oder Grafiken. Für die gilt weiterhin das vorhandene Urheberrechtsgesetz. Noch einmal: Nicht erfasst von diesem Leistungsschutzrecht für Presseverlage – das wird in der öffentlichen Diskussion oft ausgeklammert – sind alle anderen als die genannten gewerblichen Nutzer, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist doch nicht wahr!) also: Blogger, Verbände, ehrenamtliche Organisationen aller Art, private Nutzer, auch alle Unternehmen und sonstige gewerbliche Nutzer, (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gewerbliche Blogger schon!) die nicht zu den Suchmaschinen oder den sonstigen Diensten zählen, die Inhalte aufbereiten. All die werden durch das neue Leistungsschutzrecht nicht berührt. Wenn gerade im Bereich der gewerblichen Nutzung noch Fragen zur Abgrenzung offen sind, werden wir versuchen, sie auszuräumen. Ich will hier anmerken, dass wir gerne bereit sind, im weiteren Gesetzgebungsverfahren darauf ein besonderes Augenmerk zu richten, damit das sichergestellt wird. Präsident Dr. Norbert Lammert: Gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung des Kollegen Notz? Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Angesichts der fortgeschrittenen Zeit würde ich zwar gerne fortfahren, will aber keine Antwort schuldig bleiben. Bitte schön. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege, für die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. Ehrlich gesagt, es sind zwei. Die erste Frage ist: Sie sprachen an, dass das Vorhaben, ein solches Leistungsschutzrecht einzuführen, schon im Koalitionsvertrag stand. Es haben sich viele Leute darüber gewundert; denn das stand ja in keinem Wahlprogramm. Vielleicht können Sie das Mysterium einmal auflösen, wie der Punkt Leistungsschutzrecht in den Koalitionsvertrag kam. Eine richtige Abstimmung in Ihrer Partei hat es nach meinem Kenntnisstand nicht gegeben. Die zweite Frage ist: Sie sprachen von Bloggern, die nicht betroffen wären. Was ist der Unterschied zwischen einem nichtgewerblichen Blogger und einem gewerblichen Blogger? Ist jemand, der bloggt und ein kleines Werbebanner schaltet, um die Kosten für seine Homepage zu decken, ein gewerblicher Blogger? Ist er erfasst, ja oder nein? Das sind jedenfalls die Fragen, die sich viele Menschen stellen. (Zurufe von der FDP: Nein!) – Ihre Kollegen wissen es offensichtlich besser als Sie selbst. Vielleicht haben sie eine Antwort auf diese Fragen. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Sie haben meine Antwort noch gar nicht gehört. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß, die rufen nur herein! Sie scheinen sich zu sorgen!) – Sie sorgen sich um Ihre Fragen, aber ich will sie Ihnen gerne beantworten. Zunächst: Koalitionsverträge werden bei uns nach den Wahlen verhandelt (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auf der Grundlage der Wahlprogramme! Oder?) zwischen den Koalitionspartnern, die sich auf eine Regierungsmehrheit verständigen konnten. Diese Koali-tionsverhandlungen nehmen selbstverständlich die Wahlprogramme zur Grundlage. Wir sind aber, jedenfalls in unseren Fraktionen, immer aufgeschlossen für Erkenntnisfortschritte, für Ideen, für Kreativität, für Neues. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wessen Idee war es?) Deswegen schreiben wir in unseren Koalitionsverhandlungen nicht einfach bereits veröffentlichte Wahlprogramme ab, sondern wir führen einen offenen demokratischen Diskurs und präsentieren dann einen Vertrag, der Grundlage für unsere Arbeit ist. Ich freue mich sehr, dass es gelungen ist, die Ergebnisse dieses Koalitionsvertrages in dem Punkt Leistungsschutzrecht nach langer dreijähriger Diskussion auch in einen Gesetzentwurf zu gießen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Nun zu der Frage: Wer ist erfasst? Noch einmal: Wenn hier Abgrenzungsfragen offenbleiben, müssen wir das ganz offen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens besprechen. (Zuruf von der LINKEN: Trial and Error! Oder was machen Sie da?) Alle gewerblichen Nutzer, die nicht Internetsuchmaschinen oder andere Dienste sind, die fremde Inhalte entsprechend aufbereiten, werden von dem Leistungsschutzrecht nicht erfasst. Alle gewerbliche Nutzung ist möglich, die nicht in der Auswertung fremder Inhalte zu eigenen wirtschaftlichen Zwecken besteht. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist das denn abgegrenzt?) Ich hoffe, dass ich damit zur Klärung beitragen konnte; denn Ihre Frage macht deutlich, dass eine ganze Reihe von Unsicherheiten bestehen, die aber jeglicher Grundlage entbehren. Ich hoffe, dass wir diese Debatte dann im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens fortsetzen können. Die Rechte der Urheber werden übrigens durch dieses Leistungsschutzrecht in keiner Weise beeinträchtigt. Im Gegenteil: Die Presseverlage können ihr Leistungsschutzrecht nicht zum Nachteil des Urhebers geltend machen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch nicht geklärt! – Gegenruf des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Angemessene Beteiligung!) Im Gesetzentwurf ist klargestellt, dass der Urheber an einer Vergütung, die durch die Lizensierung des Leistungsschutzrechts generiert werden kann, angemessen zu beteiligen ist. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das?) Darüber sind sich im Übrigen die Verlegerverbände und die Journalistengewerkschaften im Grundsatz seit langem einig. (Martin Dörmann [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Darum geht doch der Streit!) Wir werden in den weiteren Beratungen auch intensiv die Vorschläge des Bundesrates prüfen, etwa die Frage, inwieweit Vergütungen für die Einräumung von Nutzungsrechten am Leistungsschutzrecht über eine Verwertungsgesellschaft eingezogen und verteilt werden können. Da wird sicherlich auch die bevorstehende Sachverständigenanhörung im kommenden Jahr Erkenntnisse beisteuern können. Meine Damen und Herren, uns ist bewusst, dass dieses neue Leistungsschutzrecht national wie international hohe Beachtung erfährt. Die hohe Aufmerksamkeit der betroffenen Unternehmen liegt vielleicht auch darin begründet, dass ein solches Leistungsschutzrecht für Presseverlage schnell Nachahmer finden kann, wenn es in Deutschland funktioniert. Die lautstarken Kritiker, die für die Freiheit im Internet Sturm laufen, mögen sich bitte auch die Frage stellen, für wen sie hier in die Schlacht ziehen. Denn Freiheit im Internet kann doch nicht bedeuten, dass sich jeder bei Leistungen, die andere erbracht haben, bedienen kann. Wenn der eine seine Marktmacht ausspielt, um Leistungen Dritter für eigene wirtschaftliche Zwecke zu nutzen, während der andere, der diese Leistung erbracht hat, in die Röhre schaut und damit die Leistung auf Dauer gar nicht mehr erbringen kann, dann hat sich hier ein Ungleichgewicht entwickelt, das so nicht mehr hingenommen werden kann. Deswegen schaffen wir ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage, das hierfür einen angemessenen Ausgleich schafft. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat der Kollege Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Lars Klingbeil (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Heveling! Unmittelbar vor der Diskussion über das Leistungsschutzrecht hat eine Kollegin in Sorbisch geredet. Ich habe diese Sprache noch nie gehört, aber ich will offen sagen: Ich habe bei dieser Rede mehr verstanden als bei Ihrem Beitrag zum Leistungsschutzrecht. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade die letzten Tage haben gezeigt, mit welcher Härte gestritten wird, wenn es darum geht, das digitale Zeitalter zu erreichen. Wir sehen, dass auf dem Weg in die digitale Gesellschaft radikale Umbrüche stattfinden, und wir sehen, dass Geschäftsmodelle infrage gestellt werden, dass sie aufgelöst werden, dass Machtordnungen infrage gestellt werden und sich neu sortieren. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wo sind denn Ihre Fraktionskollegen, Herr Klingbeil? Kommt da noch wer?) Wir sehen eine riesige Verunsicherung, wenn es um das Thema Urheberrecht geht. Sie alle kennen die Diskussionen mit Schülergruppen, die hier sind und ganz viele Fragen haben. Um das Parlament herum wird die Frage Urheberrecht groß diskutiert. ACTA war beispielhaft für die gesellschaftspolitische Dimension, die das Urheberrecht mittlerweile angenommen hat. Aber was ist die Antwort von Schwarz-Gelb auf die Herausforderungen, die es beim Urheberrecht gibt? Es ist das Leistungsschutzrecht. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist das Einzige!) Wie sieht eigentlich die netzpolitische Bilanz dieser Regierung aus? Breitbandausbau? Wir liegen hinter Rumänien. Verankerung der Netzneutralität? Fehlanzeige. Modernisierung des Datenschutzes? Fehlanzeige. Aufbruch in der Internetwirtschaft? Fehlanzeige. Die netzpolitische Bilanz dieser schwarz-gelben Regierung wird vom Leistungsschutzrecht geprägt. Ich sage Ihnen: Das ist eine traurige Bilanz. Wir von der SPD werden alles versuchen, um dieses Leistungsschutzrecht zu verhindern. (Beifall bei der SPD) Das Leistungsschutzrecht ist ein Irrsinn. Sie schaffen Unsicherheit, Sie schaffen Unklarheiten, Sie greifen in die Informations- und Kommunikationsfreiheiten ein, und Sie gefährden die Kreativität und den Innovationscharakter des Internets. Das Schlimmste aber ist: Sie sind doch selbst nicht einmal überzeugt von dem, was Sie da tun. Siegfried Kauder, der sicherlich alles andere ist als ein Kämpfer für das freie Internet, hat bei einer Veranstaltung des eco Mitte Oktober gesagt – so wird er zitiert –, das Leistungsschutzrecht sei eine „Mogelpackung“ und ein „Taschenspielertrick“. Die geschätzte Kollegin Dorothee Bär sagte in einem Interview bei iRights.info, dass – ich zitiere – „das Leistungsschutzrecht dem Standort Deutschland massiv schaden würde“. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Recht hat sie!) Weiter heißt es dort: … im Hinblick auf die bisweilen unlösbare Frage, ob jemand seinen Account beruflich oder privat nutzt, beschränkt man die User in unverhältnismäßiger Weise in ihrer Kommunikations- und Informationsfreiheit. Heute haben sich die Jugendverbände der politischen Parteien gemeinsam gegen das Leistungsschutzrecht positioniert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das waren nicht nur die Jusos und die Grüne Jugend, es waren auch die Junge Union und die Jungen Liberalen. Ich frage Sie: Warum hören Sie nicht auf die jungen Leute in Ihren Parteien? (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Warum hören Sie nicht auf die Netzpolitiker in Ihren Parteien? Warum muss das Leistungsschutzrecht hier mit allem Zwang und gegen jede Vernunft durch den Deutschen Bundestag gedrückt werden? Unabhängige Wissenschaftler am Max-Planck-Institut haben vor wenigen Tagen festgestellt: Es gibt kein Marktversagen, es gibt keine Rechtslücke, es gibt keine Notwendigkeit für ein Leistungsschutzrecht, und es gibt keine Notwendigkeit für eine Lizenzpflicht bei Snippets. Ich sage auch: Das Leistungsschutzrecht ist nicht nur unnötig, es ist auch noch schlecht gemacht. Wenn man zum Beispiel die Bezeichnung „suchmaschinenartige Dienste“ liest und dann beim Justizministerium nachforscht, was das denn bedeutet, dann erhält man auf der Homepage die Antwort: Eine juristische Einordnung konkreter Dienste bleibt den Gerichten vorbehalten. Hier sehen wir doch, dass Sie ein Gesetz auf den Weg bringen, von dem Sie nicht einmal wissen, was das konkret bedeutet. Hier wird Unsicherheit gestreut. Deswegen darf dieses Leistungsschutzrecht niemals kommen. Wenn es darum geht, den Qualitätsjournalismus zu stärken, wenn es darum geht, eine angemessene Rechtsdurchsetzung im Internet stattfinden zu lassen, wenn es um die Ermöglichung neuer Geschäftsmodelle geht, dann sind wir als SPD dabei – aber ohne Leistungsschutzrecht. Ich freue mich, dass jetzt sicherlich der Kollege Jimmy Schulz erklären wird, dass auch er nicht zustimmt. Herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Jedenfalls ist der Kollege Schulz der voraussichtlich letzte Redner des heutigen Abends, und zwar für ganze drei Minuten. Bitte schön, Sie haben das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jimmy Schulz (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße ganz besonders herzlich auch die Menschen an den Bewegtbildempfängern zu Hause oder bei Public-Viewing-Veranstaltungen. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Es gibt tatsächlich eine. Lars Klingbeil, zur Bilanz der Netzpolitik der schwarz-gelben Koalition kann ich sagen: Wir mussten ja erst einmal aufräumen mit dem Scherbenhaufen, den die SPD zu diesem Themenbereich hinterlassen hat. Wir haben das Internetsperren-Gesetz wieder aufgehoben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, toll!) Seitdem wir an der Macht sind, gibt es in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung mehr. Wir haben ELENA wieder abgeschafft, und wir haben ACTA verhindert. (Beifall bei der FDP) Kommen wir jetzt aber zum Thema. Die Digitalisierung und die globale Vernetzung haben unser Leben dramatisch verändert, möglicherweise sogar revolutioniert. Sie werden das auch noch weiter tun. Gerade im Bereich des Urheberrechts sind diese Änderungen sichtbar, war doch das Geschäftsmodell in der Vergangenheit das Bannen von Inhalten, von Contents, auf einen physikalischen Träger, den man dann verkauft, gehandelt, vermietet, weggeschmissen oder im schlimmsten Fall verbrannt hat. Dieses Geschäftsmodell ist tot. Es wird nicht mehr funktionieren. Es war ein Geschäftsmodell, das über die letzten Jahrhunderte funktioniert hat, seit Gutenberg, der das Kopieren erfunden hat. (Heiterkeit bei der FDP und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber dieses Geschäftsmodell ist tot. Deswegen diskutieren wir seit Jahren intensiv insbesondere über das Problem, das die Presseverleger haben. In die Vorschläge sind viele Verbesserungen eingeflossen. Nun hat die Bundesregierung einen neuen Entwurf vorgelegt, den wir hier zu diskutieren haben. Es ist die vornehmste Aufgabe des Parlaments, diesen Vorschlag zu diskutieren, sich mit Experten zu beraten und – falls nötig – Optimierungen und Verbesserungen vorzunehmen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dringend nötig!) Dazu habe ich vor geraumer Zeit einen neuen Vorschlag gemacht. Es gibt bereits technische Möglichkeiten, genau zu bestimmen, wer wie automatisiert auf eine Website zugreifen kann. Dieser technische Standard, die sogenannte robots.txt, kann sehr fein steuern, wer wo und wie auf etwas zugreifen kann. Dieses Modell entspricht einem wunderbaren technischen Standard, der seit ungefähr 15 Jahren existiert und auch genutzt wird. Diesem Gentleman’s Agreement fehlt jedoch ein rechtlicher Schutz. Deshalb schlage ich vor, für einen solchen rechtlichen Schutz zu sorgen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber du redest nicht mehr vom Leistungsschutzrecht!) Dieses Modell bietet den Vorteil, dass es nicht nur ausschließlich für Presseverleger gilt, sondern es würde für alle gelten können, also auch für Blogger, für jeden, der Inhalte im Internet bereitstellt. Ein weiterer Vorteil wäre, dass dies sogar dem Koalitionsvertrag entsprechen würde; denn im Koalitionsvertrag steht, dass im Online-Bereich Presseverleger nicht schlechter gestellt sein sollen als andere Werkvermittler. Meine Haltung bleibt klar: Code is Law. (Beifall bei der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Debatte, obwohl zweifellos noch manches zu sagen und ganz sicher auch noch manches nachzufragen wäre. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine wichtige Frage zu stellen wäre!) Zu Beginn hatten sich aber alle Beteiligten auf die Dauer der Debatte verständigt. Wenn dies gewünscht wird, kann ich den Nachweis führen, dass die Debatte nicht kürzer, sondern länger gedauert hat als vereinbart. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die zweite Lesung machen wir zwei Stunden!) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11470 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ist dies unstreitig? – Immerhin ist dies der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dann setzen wir die Abstimmungen fort. Ich mache von vorneherein darauf aufmerksam, dass es reichlich abzustimmen gilt. Zunächst rufe ich Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig), Sebastian Edathy, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Hinschauen – Dunkelfeldforschung zum Thema Rechtsextremismus – Drucksache 17/11366 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die dazu angemeldeten Reden werden, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, zu Protokoll genommen. Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): In Ihrem Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, beziehen Sie sich auf die Entschließung „Mordserie der Neonazi-Bande und die Arbeit der Sicherheitsbehörden“ (Bundestagsdruck-sache 17/7771) vom November des vergangenen Jahres. Diese Entschließung, die von allen Bundestagsfraktionen gefasst wurde, hat für die christlich-liberale Koalition einen besonderen Stellenwert. Er ist für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kein bloßes Lippenbekenntnis, sondern vielmehr die an uns selbst gerichtete Verpflichtung, a) die NSU-Mordserie konsequent und mit größter Sorgfalt aufzuklären und b) aus den Ergebnissen der Untersuchung die notwendigen Veränderungen zur Verbesserung unserer Sicherheitsarchitektur vorzunehmen. Neben den notwendigen Reformen der Verfassungsschutzbehörden und der Optimierung ihrer Zusammenarbeit ist die Präventionsarbeit, zum Beispiel durch die politische Bildung oder durch gesellschaftliche Projekte zur Förderung interkultureller Kompetenz, ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den Rechtsextremismus in unserem Land. Seit der Entschließung hat sich auf dem Gebiet der Bekämpfung des Rechtsextremismus vieles getan. Ich will aus dem Bereich des Bundesinnenministeriums zwei Beispiele benennen: Erstens. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Rechtsextremismus hat die christlich--liberale Koalition die Rechtsgrundlage für die Errichtung einer gemeinsamen und zentralen Rechtsextremismusverbunddatei von Polizei und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder geschaffen. Im Gegensatz zur artverwandten Antiterrordatei aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus ermöglicht das Gesetz unter engen Voraussetzungen eine Recherche zur Aufdeckung von Tatzusammenhängen. Die schreckliche NSU-Mordserie hat uns vor Augen geführt, dass eine Verbesserung des Informationsaustausches zwischen der Polizei und den Nachrichtendiensten von Bund und Ländern zwingend notwendig ist. Mit diesem Gesetz hat die Bundesregierung eine wichtige Konsequenz aus der Mordserie gezogen. Zweitens. Gleiches gilt für die Eröffnung des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums, GETZ. Ziel ist es, die Fachexpertise aller Behörden unmittelbar zu bündeln und einen lückenlosen und schnellen Informationsfluss sicherzustellen. Auch aufgrund der Erfahrungen des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums, GTAZ, und des Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus, GAR, welches nunmehr in der GETZ aufgeht, ist ein deutlicher Mehrwert, insbesondere in den Bereichen Bündelung der Phänomenexpertise, Stärkung der Analysekompetenz, Früherkennung möglicher Bedrohungen und bei der Erörterung operativer Maßnahmen, zu erwarten. Mit den benannten Beispielen zeigt sich, dass die christlich-liberale Koalition anhand der bislang gewonnenen Erkenntnisse und mit Nachdruck daran arbeitet, einen erfolgreichen Kampf gegen den Rechtsextremismus in unserem Land zu führen. Im Bereich der Präventionsarbeit und der politischen Bildungsarbeit verweise ich auf die Ausgaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BMFSFJ, das jährlich 24 Millionen Euro für Bundesprogramme im Bereich der Präventions-arbeit zur Verfügung stellt. Damit stellt diese Bundesregierung so viel Geld zur Förderung zivilen Engagements, demokratischen Verhaltens und den Einsatz für Vielfalt und Toleranz zur Verfügung wie keine Bundesregierung bisher. Es hat sich seit dem Bekanntwerden der NSU-Mordserie in unserem Land vieles getan. Die christlich-liberale Koalition wird diesen eingeschlagenen Weg kontinuierlich weiterverfolgen und sinnvoll ergänzen. In Ihrem Antrag stützen Sie sich, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, auf eine „Reportage“ der Amadeu-Antonio-Stiftung mit dem Titel „Das Kartell der Verharmloser“. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Die darin beschriebenen Vorfälle sind durch nichts zu entschuldigen. -Sollten einzelne Polizeibeamte das Vertrauen der Mitbürgerinnen und Mitbürger nachhaltig geschädigt haben oder gar ihren Pflichten nicht nachgekommen sein, so muss dieses Verhalten Konsequenzen für die betreffenden Beamten nach sich ziehen. Dies obliegt dem Föderalismusprinzip entsprechend den jeweils zuständigen Stellen. Mit aller Entschiedenheit wehre ich mich aber gegen die Formulierungen einer „systematischen Bagatellisierung“ oder einer „bundesweiten Mauer aus -Ignoranz und Verharmlosung“ im Zusammenhang mit der Aufklärung rechtsextremistischer Gewalttaten. Die überwältigende Mehrheit der deutschen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten verrichtet ihren Dienst tadellos, mit großem persönlichem Einsatz und im Sicherheitsinteresse der Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserem Land. Die in Ihrem Antrag „mitschwingende“ generelle Verurteilung des Umgangs deutscher Polizeibeamter mit Vorfällen im rechtsextremistischen Bereich weise ich mit Nachdruck zurück. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht zu den deutschen Polizeibeamten. Wir haben Vertrauen in ihre Ausbildung, in ihre Beurteilungsfähigkeit und auch in ihre interkulturellen Kompetenzen. Ihr heutiger Antrag fordert zwar einen Auftrag zur Dunkelfeldforschung, doch ist aus meiner Sicht entscheidender, dass Sie dabei ganz grundsätzlich die statistische Erfassung des Hellfeldes rechtsextremistischer Gewalt- und Propagandadelikte infrage stellen. Sie schreiben in Ihrem Antrag, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus würden als Tatmotive von den Polizeibehörden allzu oft negiert. Im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes – Politisch motivierte Kriminalität – wurden dem Bundeskriminalamt, BKA, bislang 63 Todesopfer rechter Gewalt, einschließlich der zehn Todesopfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ gemeldet, während die Amadeu-Antonio-Stiftung mittlerweile über 182 Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland seit 1990 berichtet. Wie entsteht diese Differenz? Meines Erachtens liegt dies darin begründet, dass die geltenden Statistiken deutlich trennschärfere Kriterien für die Erfassung politisch motivierter Kriminalität und Gewalt bieten. In den geltenden Statistiken ist die konkrete Tatmotivation entscheidend. Sie ist in Würdigung aller Umstände der konkreten Tat und der Einstellung des Täters zu ermitteln. Nichtstaatliche Stellen nehmen als Anhaltspunkt für das Vorliegen einer entsprechenden rechtsextremistischen Tatmotivation, dass die Täter bzw. Tatverdächtigen aus einem rechten Milieu kamen, ohne aber zu differenzieren, ob die Tat möglicherweise in Wirklichkeit allgemeinkriminell motiviert ist. Der Polizei ist es aufgrund ihres umfassenden und oftmals Dritten nicht zugänglichen Wissens zu Tätern oder Tathergang besser möglich, die tatsächliche Motivation der Tat zu erhellen. Die Differenz der Zahlen ist aus meiner Sicht also darauf zurückzuführen, dass einige nichtstaatliche Stellen die Verortung des Täters im rechten Milieu als einziges und ausschlaggebendes Kriterium für die Zuordnung einer rechtsextremen Tat verwenden. Zur Erfassung der Wirklichkeit ist es aus meiner Sicht zwingend notwendig, weitere Kriterien zur Beurteilung und Verortung einer Straftat anzulegen, um somit der Wirklichkeit einer Tat näherzukommen. Bezogen auf Ihre erste Forderung zur Dunkelfeldforschung weise ich darauf hin, dass im Rahmen des Gemeinsamen Abwehrzentrums Rechtsextremismus, jetzt GETZ, eine Überprüfung aller nicht aufgeklärten Altfälle, insbesondere Banküberfälle, Sprengstoff-anschläge und Morde, seit 1990 durchgeführt wird, die entsprechend ihrer Begehungsweise für eine Täterschaft des NSU in Betracht kommen könnten. Auch bei bisher nicht als politisch rechts motiviert eingestuften Taten wird dort derzeit geprüft, ob diesen möglicherweise eine rechtsextremistische/-terroristische Motivation zugrunde liegt. Geeignete Fälle werden dabei anhand eines Erhebungsrasters identifiziert, das sich an bestimmten -Deliktkategorien sowie opferbezogenen Indikatoren orientiert. Die Fälle werden dann im Ergebnis anhand einer dafür eingerichteten Projektdatei auf Anhaltspunkte für einen politisch rechts motivierten Hintergrund untersucht. Ich betrachte es als sinnvoll, die Ergebnisse dieser Auswertung abzuwarten und mit ihnen weiterzuarbeiten. Auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse und Materialien lassen sich die Prozesse der Zuschreibung bzw. Nichtzuschreibung zum Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität – rechts – und der dabei wirksam werdenden Faktoren näher analysieren. Auf diese Weise eröffnet sich ein Ansatz, um den Umfang des möglicherweise bislang entstandenen Dunkelfelds zu ermitteln. Darüber hinaus sei an dieser Stelle bemerkt, dass das BKA im Bereich der Dunkelfeldforschung bereits seit den 70er-Jahren aktiv ist und dazu unzählige Publikationen herausgegeben hat. Derzeit arbeitet man dort am „Barometer Sicherheit in Deutschland“. Das BKA leistet in diesem -Zusammenhang einen Beitrag zur Gewinnung eines Gesamtbildes der objektiven Bedrohung durch Kriminalität und Terrorismus sowie eine Dunkelfeldforschung im Bereich der individuell wahrgenommenen (Un-)Sicherheit von Kriminalitätsopfern. Auch wenn rechtsextremistisch motivierte Taten in dieser Studie nicht explizit untersucht werden, so sind die Aktivitäten des BKA im Bereich der Dunkelfeldforschung umfangreich. Im Kontext des Antrags sehe ich aufgrund der gegenwärtigen Arbeit des GETZ keine Veranlassung, eine Dunkelfeldforschung in Auftrag zu geben. Ihre zweite Forderung in diesem Antrag beinhaltet, „einen Forschungsauftrag zu erteilen, in dem Hindernisse und Barrieren im Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus systematisch aufgedeckt werden“ sollen. Die bestehenden Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus verfolgen das Ziel, zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus zu fördern, neue Ansätze in der präventiv-pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu erproben sowie aktive Beratungsnetzwerke als Ansprechpartner für von rechtsextremer Gewalt betroffene Gemeinden und Personen zu unterstützen. Dabei werden sie regelmäßig wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Dies beinhaltet eine Reflexion und Analyse über Hindernisse und Barrieren des Engagements ebenso wie über das -Engagement unterstützende Faktoren. Darüber hinaus ist auf die Förderung der „Arbeits- und Forschungsstelle Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“ hinzuweisen. Aufgabe der Arbeits- und Forschungsstelle ist es, den einschlägigen Forschungsstand und die Erfahrungen der pädagogischen Praxis in diesem Feld aufzubereiten, um vor diesem Hintergrund Anregungen für die Weiterentwicklung der Fachpraxis, Fachdiskussion und der aktuellen Bundesprogramme des BMFSFJ zu geben. Die vorhandenen Erfahrungen werden systematisiert und vor dem Hintergrund fachlicher Erkenntnisse analysiert, um so die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit in der Praxis zu klären und Herausforderungen für die Weiterentwicklung des Feldes zu benennen. Ein reger Austauschprozess mit den lokalen Akteuren findet überdies bereits heute statt. Die Rückkopplung der mit der Betreuung und Durchführung der Bundesprogramme beauftragten Stellen ist für dessen erfolgreiche Arbeit unabdingbar und wird bereits heute intensiv durchgeführt. Aus diesen Gründen halte ich auch Ihre zweite Forderung für entbehrlich. Ihre dritte Forderung scheint zunächst Ausdruck Ihres mangelhaften Vertrauens gegenüber den Aus- und Fortbildungsmethoden in den Polizeibehörden von Bund und Ländern zu sein. Die Entwicklung interkultureller Kompetenz ist integraler Bestandteil der polizeilichen Aus- und Fortbildung. Interkulturelle Kompetenz wird dabei in den verschiedensten Ausbildungsfächern geschult, wie beispielsweise im Staats- und Verfassungsrecht, im Eingriffsrecht, im Situations- und Kommunikationstraining oder aber der Psychologie. Verantwortlich für die Ausbildung und Fortbildung der Polizistinnen und Polizisten sind in erster Linie die Bundesländer. Ohne an dieser Stelle für alle Länder sprechen zu können, will ich einige Eckpunkte der hessischen Ausbildung skizzieren. Gleich im ersten Modul an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung werden unter den Stichworten „Gleichstellung und Diskriminierungsverbot“ sowie unter dem Stichwort „Leitbild“ interkulturelle Kompetenzen vermittelt. Im dritten Modul geht es sodann unter dem Oberthema „Polizeiliche Kommunikation und Interaktion“ um die Ausbildung der interkulturellen und sozialen Kompetenz. Noch konkreter wird es sodann in fortgeschrittenen Modulen. Dort gehören unter anderem folgende Themen zum Lehrplan: a) extremistische und terroristische Theorien erkennen können und als Grundlage politisch motivierter Gewalt verstehen; b) sozioökonomische Hintergründe für das Entstehen von Extremismus und Terrorismus kennen; c) grundlegende ethisch relevante Elemente anderer Religionen kennenlernen und d) sich mit ethischen Aspekten des Umgangs mit Angehörigen anderer Religionen und Kulturen auseinandersetzen. Wie am Beispiel Hessens aufgezeigt, bauen die -Polizeibehörden eben nicht eine Mauer der Ignoranz und Verharmlosung, sondern sind aktiv daran beteiligt, ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz zu vermitteln. Daher wehre ich mich nochmals entschieden gegen die Wortwahl in Ihrem Antrag. Die nicht zu akzeptierenden Beispiele aus der benannten Reportage erlauben es aus meiner Sicht nicht, verallgemeinernd über die Polizeibehörden in Bund und Ländern zu urteilen. Wie am Beispiel Hessens dargestellt, sehe ich keinerlei Defizite bei der Aus- und Fortbildung unserer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Bereich der interkulturellen Kompetenz. Dennoch muss es unser Bestreben sein, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen auch in diesem Bereich kontinuierlich zu optimieren und gegebenenfalls aufeinander abzustimmen. Insofern trete ich einer bundesweiten Erhebung und einem verstärkten Austausch zu den unterschiedlichen Maßnahmen zur Entwicklung interkultureller Kompetenz in Bund und Ländern positiv gegenüber. Ein solcher Überblick ermöglicht es, voneinander zu lernen und gegebenenfalls einzelne Ausbildungsstufen besser aufeinander abzustimmen. Das Thema Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft und deren Bekämpfung eignet sich keineswegs für parteipolitische Scharmützel. Es ist mir, es ist der christlich-liberalen Koalition daran gelegen, zweifelsfrei notwendige Verbesserungen im Bereich der deutschen Sicherheitsarchitektur sowie im Bereich der -präventiv-pädagogischen Arbeit kontinuierlich vorzunehmen. Wenngleich ich einem Bericht über die bundesweiten Maßnahmen zur Steigerung der interkulturellen Kompetenz in sicherheitsrelevanten Bundes- und Landesbehörden aufgeschlossen gegenübertrete und einen Mehrwert darin erkenne, so ist Ihr Antrag in der Gesamtheit abzulehnen, da Ihre erstgenannten Forderungen bereits heute Bestandteile der alltäglichen Arbeit der Sicherheitsbehörden und Bundesprogramme sind und darin zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Mehrwert zu erkennen ist. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Ein Jahr ist es nun her, dass wir vom Bestehen des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes, NSU, erfahren haben. Damals wie heute bin ich – so wie wir alle hier – zutiefst beschämt und erschüttert, dass nach den ungeheuren Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes wieder rechtsextremistische Ideologie in unserem Land eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervorbringen konnte. Gemeinsam mit allen Fraktionen haben wir im Deutschen Bundestag am 22. November 2011 daher einen Beschluss gefasst. Darin haben wir uns einen Prüf- und Handlungsauftrag gegeben. Ich zitiere: „Wir sind entschlossen … die unabdingbaren Konsequenzen für die Arbeit der Sicherheitsbehörden rasch zu ziehen. Dazu ist eine umfassende Fehleranalyse unverzichtbar. Aus Fehlern müssen die richtigen Schlüsse gezogen und umgesetzt werden.“ Und: „Wir müssen gerade jetzt alle demokratischen Gruppen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren. Wir werden prüfen, wo dem Hindernisse entgegenstehen.“ Diesen Prüf- und Handlungsauftrag nehmen wir in der SPD-Fraktion ernst. Daher diskutieren wir heute unseren SPD-Antrag: „Hinschauen – Dunkelfeldforschung zum Thema Rechtsextremismus“. Wir wollen das Dunkelfeld rechtsextremer Gewalt- und Propagandadelikte beleuchten, damit wir auch offiziell ein realitätsnahes Bild rechtsextremer Umtriebe in Deutschland haben. Hier reicht die bisherige amtliche Statistik nicht aus. Die Bundesregierung, Herr Minister Friedrich, muss endlich aktiv werden und einen Forschungsauftrag erteilen, bei dem statistisch ermittelt wird, wie viele Menschen Opfer oder Zeuge rechts-extremer Delikte geworden sind. In einem weiteren Schritt müssen die Ergebnisse einer solchen Dunkelfeldstudie mit der amtlichen Statistik politisch motivierter Straftaten abgeglichen werden. Erst dann -haben wir eine Annäherung an die tatsächliche Zahl rechtsextrem und rassistisch motivierter Straften. Und diese Annäherung ist dringend notwendig. Fakt ist: Die jetzige Datenlage rechtsextremistisch motivierter Vorfälle und Fälle von Hasskriminalität in Deutschland bildet die Realität nicht vollständig ab. Zivilgesellschaftliche Akteure zählen regelmäßig mehr rechtsextremistische Vorfälle und Fälle von Hasskriminalität als die amtliche Statistik. Während die amtliche Statistik 47 Todesopfer rechtsextremer Gewalt im Zeitraum von 1990 bis 2009 zählte, geben Opferberatungsstellen oder Journalistinnen und Journalisten für die Zeit von 1990 bis 2009 bis zu 181 Todesopfer an. Beide Zählweisen erfassen natürlich nur solche Fälle, in denen durch Zeugenbeobachtungen ein rechtsextremistischer Bezug herzustellen ist. Das Dunkelfeld ist dagegen überhaupt nicht erfasst. Diese Lücke zwischen amtlicher und zivilgesellschaftlicher Zählweise muss aufgearbeitet und aufgeklärt werden. Einige Bundesländer, beispielweise Brandenburg, haben bereits damit begonnen, Fälle auf einen rechtsextremen Hintergrund neu zu prüfen und neu zu bewerten. Das ist der richtige Weg. Der statistische Abgleich alleine aber reicht nicht aus. Die Arbeit des 2. Untersuchungsausschusses „Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund“ – der im Übrigen eine fraktionsübergreifende, hervorragende Arbeit leistet – hat mindestens diese Erkenntnis geliefert: Es gibt eine tiefe Kluft zwischen Politik und Ermittlungsbehörden, zwischen Abgeordneten und Beamten in den Sicherheitsbehörden, kurzum zwischen Legislative und Exekutive. Hier blicken wir in einen tiefen Graben. Davon können die berechtigten Sachfragen im Klein-Klein der politischen Aufarbeitung nicht ablenken. Das Vertrauen in Verfassungsschutz und Polizeibehörden ist in unserer Bevölkerung, mit und ohne Einwanderungsbiografie, tief erschüttert. Das hat mit dem Umgang einzelner Ermittlungsbehörden mit den Angehörigen und Opfern des NSU damals zu tun. Ich erinnere nur an die wiederkehrenden Aussagen unterschiedlichster Zeugen im 2. Untersuchungsausschuss, man habe ergebnisoffen ermittelt, aber keine Anhaltspunkte für einen rechtsextremen Hintergrund gehabt. Hier müssen wir ansetzen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den deutschen Polizeibehörden kommen aus der Mitte unserer Gesellschaft. Sie wollen gute Arbeit leisten. Trotzdem sind sie nicht ausgenommen, wenn es um Vorurteile und Stereotype in der Gesamtgesellschaft geht. Vorurteile können die Bewertung und Einbeziehung von Motiven und Hintergründen einer Tat beeinflussen. Allein die Bezeichnung „Soko Bosporus“ ist hierfür beispielhaft. Die Arbeit des 2. Untersuchungsausschusses hat bis heute bereits eines sehr deutlich gemacht: dass wir die Ausblendung rassistischer und rechtsextremer Tatmotive bei der Ermittlung von Straftaten strukturell in den Polizeibehörden angehen müssen. Hierfür brauchen wir eine weitere Studie, die Hindernisse und Barrieren im Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus systematisch aufdeckt und benennt. In einer solch repräsentativen Studie sollen die Erfahrungen von Engagierten, die sich mit rechtsextremer Propaganda und rechtsextremer Gewalt auseinandersetzen, transparent gemacht werden. Diese neue Perspektive kann uns helfen, die richtigen politischen Schlüsse zu ziehen und weitere Schritte zu gehen, um entschlossen Boden gutzumachen im Kampf gegen Rechtsextremismus. Schließlich fordern wir die Bundesregierung auf, einen Bericht vorzulegen, der einen bundesweiten Überblick über die Maßnahmen zur Steigerung der interkulturellen Kompetenz in sicherheitsrelevanten Bundes- und Landesbehörden gibt. Denn sie sind ein Baustein zur Sensibilisierung einer umfassenden und sachgerechten Polizeiarbeit in der deutschen Einwanderungsgesellschaft. Täglich finden in Deutschland rechte Gewalttaten statt. Oftmals werden sie gar nicht erst als solche benannt. Sie tauchen allenfalls als einfache Schlägereien in der Statistik auf. Immer ist die Rede von Einzeltätern und Einzeltaten. Das müssen wir ändern. Daher bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. Dr. Stefan Ruppert (FDP): Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir im Plenum die Große Anfrage der Linksfraktion zu den Op-ferzahlen rechtsextremer Gewalt beraten. Damals galt die Anteilnahme aller Parlamentarier den Opfern von extremistischen Gewalttaten und ihren Angehörigen. Und auch heute ist es mir wichtig, zu betonen, dass wir als Demokraten kein Opfer des Rechtsextremismus vergessen werden. Sie verdeutlichen uns auf schmerzliche Weise, dass wir jeden Tag aufs Neue für ein demokratisches, freiheitliches und tolerantes Miteinander werben und kämpfen müssen. Heute liegt uns der Antrag der SPD mit einem ähnlichen Schwerpunkt vor. Die Sozialdemokraten beklagen zum einen, dass es ein Dunkelfeld in der Statistik zum Rechtsextremismus gebe. Die journalistisch ermittelten Opferzahlen würden nicht den amtlichen Zahlen entsprechen. Zum anderen moniert die SPD in ihrem Antrag, dass es aufseiten der Polizei und Strafverfolgungsbehörden Ignoranz und Verharmlosung gegenüber dem Rechtsextremismus geben würde. Beide Argumente haben wir in der Debatte vor einem Jahr schon einmal von den Linken gehört. Damals war der Eindruck, die Gefahren des Rechtsextremismus nicht ernst genug genommen zu haben, unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Verbrechen des NSU noch frisch. Ein Jahr danach ist meine Empfindung aber, dass unsere Gesellschaft reifer und sensibler im Umgang mit dem Problem des Rechtsextremismus geworden ist. Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Entwicklung haben die Untersuchungsausschüsse und Gremien zur Aufarbeitung der NSU-Verbrechen geleistet. Deren -Arbeit ist längst noch nicht abgeschlossen. Die notwendigen politischen Schlussfolgerungen müssen noch gezogen werden. Dennoch haben sie spürbar zu einem Bewusstseinswandel beigetragen. Dieser wird auch anhand der gestiegenen öffentlichen Sensibilität für rechtsextreme Straf- und Gewalttaten deutlich. Und ich denke, auch bei Polizei und den Strafverfolgungsbehörden hat es einen Lernprozess gegeben. Ich halte es daher für falsch, den Behörden generell Ignoranz und eine Verharmlosung des Rechtsextremismus vorzuwerfen. Die Frage der statistischen Erfassung von rechts-extremen Straf- und Gewalttaten haben wir vor einem Jahr schon einmal debattiert. Zunächst bin ich den Journalisten dankbar, die uns auf die Diskrepanz zwischen offizieller und tatsächlicher Statistik beim Rechtsextremismus hingewiesen haben. Aber es ist auch richtig, dass sich das 2001 beschlossene Defini-tionssystem, auf dem die amtliche Statistik beruht, grundsätzlich bewährt hat. Es wird kontinuierlich evaluiert. Es ist jedoch entscheidend, dass das System auch konsequent angewandt wird. Da sind vor allem die Länder in der Pflicht. Denn die Bewertungshoheit für Straftaten liegt grundsätzlich bei ihnen. Das Bundeskriminalamt ist nur für die bundesweite Zusammenführung und die Analyse der von den Ländern erhobenen und gemeldeten Fälle zuständig. Insofern müssen wir für eine verbesserte Wahrnehmung des Rechtsextremismus bei den zuständigen Behörden der Länder werben. Ich bin überzeugt, dass sich dort das Bewusstsein für die richtige Einordnung von rechtsextremen Straf- und Gewalttaten in letzter Zeit geschärft hat. In den letzten Jahren hat sich die Lücke zwischen den in der Presse genannten Fallzahlen und der offiziellen Statistik wieder geschlossen. Daran sollte weiter gearbeitet werden. Vorwürfe an die Behörden, wie sie die SPD in ihrem Antrag bringt, halte ich hingegen für falsch. Zum Schluss noch ein paar Anmerkungen zu den beiden Forderungen der SPD nach staatlichen Forschungsaufträgen im Bereich des Rechtsextremismus. Als Liberaler war ich schon immer skeptisch, wenn der Staat Forschungsaufträge an die Wissenschaft erteilt hat. Für mich ist es viel wichtiger, die Freiheit der Wissenschaft durch verbesserte Rahmenbedingungen zu stärken. Im Bereich des Rechtsextremismus sehe ich diese Hindernisse aber grundsätzlich nicht. Hier werden schon seit Jahren von zahlreichen wissenschaftlichen und auch zivilgesellschaftlichen Institutionen hervorragende Studien veröffentlicht. Insofern bin ich allgemein sehr zurückhaltend, was staatliche Forschungsaufträge betrifft. Im Konkreten sehe ich bei der ersten Forderung der SPD viele Schwierigkeiten, wenn externe Personen zur Erstellung einer vergleichenden Statistik Zugriff auf sensible polizeiliche Falldaten bekommen sollen. Die zweite Forderung der SPD, die Hindernisse und Bar-rieren im Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus staatlich zu erforschen, halte ich hingegen für nicht notwendig. Gerade in letzter Zeit sind viele Studien in diesem Bereich erschienen, die von Politik und Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Warum sollte ein staatlicher Forschungsauftrag da notwendig sein? Über den dritten Punkt der SPD, einen Bericht über interkulturelle Kompetenz bei den Sicherheitsbehörden, können wir gern im Rahmen der Ausschussberatungen diskutieren. Dazu wäre aber ein ganzer Antrag mit einem falschen Duktus nicht notwendig gewesen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die generelle Stoßrichtung dieses Antrags, den angesichts der NSU-Mordserie von allen Bundestagsfraktionen gemeinsam beschlossenen Antrag vom November 2011 mit Leben zu füllen, ist richtig. Allerdings sind die konkreten Vorschläge zwar sicher gut gemeint, aber aus Sicht der Linken nicht unbedingt gut gemacht. Ausgangspunkt des Antrags ist die umstrittene Datengrundlage der rechtsextremen Straf- und Gewalttaten. Für eine realistische Einschätzung der Gefahren durch die extreme Rechte bedarf es einer realistischen Grundlage, und das heißt auch: eines realistischen Zahlenmaterials. Dass dieses vonseiten der Bundes-regierung nicht erhoben wird, beklagt die Linke seit vielen Jahren. Die vom Verfassungsschutz vorgelegten Zahlen sind, wie jeder weiß, im besten Fall eine grobe Annäherung an die Realität. Im Regelfall sind sie dagegen eine ideologisch motivierte Verschleierung der realen Verhältnisse. Nicht zuletzt den seit Jahren regelmäßigen Anfragen der Linken und davor der PDS ist es zu verdanken, dass die Bundesregierung zu bestimmten Phänomenbereichen wie antisemitischen Straftaten, Naziaufmärschen oder Rechtsrockkonzerten überhaupt Datenmaterial erhebt und zur Verfügung stellt. Die von der Regierung zur Verfügung gestellten Daten bilden jedoch nur einen Ausschnitt der tatsächlichen Gefahr von rechts ab. Sie basieren schließlich auf dem eingeschränkten und der unwissenschaftlichen Extremismustheorie verpflichteten Blick der Verfassungsschutzbehörden. Am eklatantesten ist die Differenz in der Einschätzung bei den rechtsextrem bzw. rassistisch motivierten Tötungsdelikten seit 1990. Während die Bundesregierung hier von 57 Todesopfern – unter Einschluss der NSU-Opfer – ausgeht, haben unabhängige Einrichtungen wie die Amadeu-Antonio-Stiftung oder die Zeitungen „Tagesspiegel“ und „Zeit“ zwischen 140 und 180 Todesopfer rechtsextrem oder rassistisch motivierter Gewalt gezählt. Diese Differenz ist so erheblich, dass man von einer völlig unterschiedlichen Einschätzung der tödlichen Gefahr von rechts sprechen kann. Allein die Linke hat mit zwei Großen Anfragen zu diesem Thema in dieser und der letzten Legislatur die Bundesregierung gezwungen, sich immer wieder neu mit den Zahlen zu befassen. Die SPD schlägt nun vor, die Bundesregierung solle einen Forschungsauftrag erteilen, um zu ermitteln, wie viele Menschen Opfer oder Zeugen von rechtsextremer Gewalt und Propagandadelikten geworden sind. Nun stelle ich es mir schon schwer vor, genau zu bestimmen, wer Zeuge oder Opfer von Propagandadelikten geworden ist. Was ist beispielsweise mit einem großen Hakenkreuz im U-Bahnhof, an dem täglich Tausende vorbeigehen? Und so bringt der SPD-Antrag insgesamt eine etwas naive Wissenschaftsgläubigkeit zum Ausdruck. Eine vermeintliche Objektivierung durch die Wissenschaft soll an die Stelle der Auswertung durch Praktiker aus Opferberatungen und Journalismus treten. Was aber spricht gegen die Zahlen, die von dieser Seite vorgelegt wurden? Sie sind einsehbar, und über jeden einzelnen Fall und seine Beurteilung kann öffentlich diskutiert und gestritten werden. Letztlich wird es immer um die Frage gehen, welche Kriterien für die Frage nach einer rassistischen bzw. rechtsextremen Tatmotivation angelegt werden. Eine wissenschaftliche Auftragsforschung, gar noch vonseiten einer dem ideologisch motivierten Extremismusansatz ergebenen Bundesregierung, würde Ergebnisse zutage fördern, die ganz im Sinne der Regierung sind. Es macht eben einen Unterschied, ob ein sogenannter Extremismusforscher wie Eckhard Jesse oder ein ernsthafter Sozialwissenschaftler wie Wilhelm Heitmeyer eine solche Untersuchung durchführt. Warum sollten dann aber nicht gleich diejenigen damit beauftragt werden, die in ihrer alltäglichen beruflichen und ehrenamtlichen Arbeit an der Basis mit den Fällen zu tun haben oder sich intensiv und seit vielen Jahren mit der Beobachtung der Naziszene befassen? Die Linke schlägt seit Jahren die Einrichtung einer aus Bundesmitteln -finanzierten unabhängigen Beobachtungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus vor. Eine solche Stelle wäre der Ausgangspunkt für eine realistische Einschätzung der Gefahren von rechts. Natürlich ließe sich hier auch wissenschaftliche Expertise inte-grieren – aber eben nicht als Regierungsauftrag. Auch die zweite Forderung, ein Forschungsauftrag zur Aufdeckung der Hindernisse beim Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, ist gut gemeint. Er verkennt aber, dass es bereits zahlreiche Arbeiten aus der Begleitforschung zu -„Civitas“ und anderen Bundesprogrammen gibt. Zudem wäre es auch hier angebracht, zunächst die Praktiker der Projekte selber zu hören, die Jahr für Jahr ihre Beschwerden zu den vorhandenen Hindernissen vorbringen. Der Berichtswunsch zur interkulturellen Kompetenz in den sicherheitsrelevanten Bundes- und Landesbehörden ist sinnvoll und nützlich und findet unsere Unterstützung. Alles in allem geht der SPD-Antrag zwar in die richtige Richtung, er wählt aber einen aus Sicht der Linken zu staatsfixierten Ansatz. Eine unabhängige Beobachtungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wäre der bessere Weg und würde nach unserer Überzeugung bessere Ergebnisse bringen. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir müssen rechtsextreme Gewalt ganz klar beim Namen nennen und die Opfer in jeder Hinsicht unterstützen und stärken. Das setzt voraus, dass menschenfeindliche Motivationen bei Gewalttaten erkannt werden. Die Statistik hängt stark von der politischen Sensibilität der Ermittlungsbehörden und Meldestellen ab. So kommt es, je nach Quelle, zu teilweise erheblichen statistischen Abweichungen. Die Zahl der Todesopfer extrem rechter Gewalt in Deutschland variiert nach der Zählweise. „Tagesspiegel“ und „Die Zeit“ führen an, dass seit 1990 mindestens 149 Menschen durch rechte Gewalt getötet wurden. 169 Todesopfer porträtiert die Wanderausstellung „Opfer rechter Gewalt seit 1990“. Einige dieser Schicksale bewegten die Öffentlichkeit; viele wurden kaum zur Kenntnis genommen. Es ist ein Verdienst der Ausstellung, die öffentliche Erinnerung an diese Menschen wachzurütteln und einzufordern. 182 Todesfälle rechter Gewalt dokumentiert der Opferfonds Cura der Amadeu-Antonio-Stiftung. Unverständlich wirkt angesichts solcher zivilgesellschaftlichen Erhebungen die offizielle Statistik. Nur 47 Todesopfer erkannte die Bundesregierung bis 2009 an. Im Zuge der Untersuchungen zum NSU wurde die Statistik leicht nach oben korrigiert. Im Februar 2012 galt laut Polizeilicher Kriminalstatistik immerhin als erwiesen, dass von 1990 bis 2011 durch rechtsextrem motivierte Täter 58 Menschen ihr Leben verloren. Dennoch klafft zwischen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Auflistung eine große Lücke, die auf ein bedenkliches Erkenntnisproblem der staatlichen Behörden hinweist. Dieses Erkenntnisproblem wird leider von der schwarz-gelben Koalition nicht kritisiert. Vielmehr erläutern manche Abgeordneten sogar, warum es gut sei, auf dem rechten Auge blind zu bleiben. In besonders unangenehmer Erinnerung ist mir dabei die Bundestagsrede des FDP-Kollegen Hartfrid Wolff am 1. Dezember 2011. Er bezeichnete die Statistiken aus der Zivilgesellschaft als „unseriös“ und verstieg sich zu der Behauptung, sie legten „bei ihren Bewertungen keine rechtsstaatlichen Maßstäbe zugrunde“. Das Verfahren der Bundesregierung hingegen hielt er für unantastbar, da diese nur die Straftaten als rechtsextrem zähle, die „gerichtlich als solche verurteilt wurden“. Dass dabei ein Problem auftritt, wenn weder Polizei noch Justiz ausreichend für rechtsextreme Hintergründe sensibilisiert sind, blendete er komplett aus. Seine Auslassungen gipfelten in der unverschämten Anklage: „Antifaschismusarbeit ist seit jeher Kernelement linksextremistischer Aktivität.“ Wer mit solchen Parolen den Rechtspopulisten in die Hände spielt, kann weder gute Politik zum Schutz von Opfern von menschenfeindlicher Gewalt machen noch eine realitätsgerechte Opferstatistik fördern. Hinzu kommt, dass in Statistiken nur die bekanntwerdenden Fälle zum Tragen kommen. Die vorhandene Dunkelziffer rechter Diskriminierungen und tätlicher Übergriffe wird überhaupt nicht erfasst. Dass sie existiert, steht zweifelsfrei fest. Viele Opfer wagen es nicht, Straftaten anzuzeigen. Einerseits befürchten sie, dass ihnen nicht geglaubt wird und sie mit institutionellem Rassismus oder anderen Vorurteilen konfrontiert werden könnten. Andererseits haben etliche auch Angst vor der Rache der Täter. Diese Befürchtungen sind leider nicht unberechtigt. So wurden etwa die Angehörigen der NSU-Opfer tatsächlich selbst verdächtigt, Gewalt ausgeübt zu haben, während man offenkundigen Spuren ins rechtsextreme Milieu nicht nachging. Auf diese Art tragen die betreffenden Behörden sogar eine Mitverantwortung, indem sie weitere Straftaten des NSU nicht rechtzeitig verhinderten. Auch werden Angegriffene nicht immer angemessen geschützt. Ein beschämendes aktuelles Beispiel gibt es im sächsischen Hoyerswerda. Der Fall eines dort lebenden Paares ging kürzlich durch die Medien. Die beiden hatten rechte Aufkleber in der Stadt entfernt und waren daraufhin von 15 Nazis im Treppenhaus eines Wohnblocks überfallen und bedroht worden. Die Polizei traf verzögert ein und legte dem Paar nahe, aus Sicherheitsgründen die Stadt zu verlassen. Das kommt einer Kapitulation vor Nazigewalt nahe, die sich unsere Gesellschaft nicht leisten darf. Das späte Eintreffen wurde durch einen Mangel an Polizeikräften gerechtfertigt. Tatsächlich hat es in Hoyerswerda seit 2009 eine Reduzierung von Polizeibediensteten von 136 auf 104 gegeben. Doch nicht nur eine zahlenmäßig ausreichende, sondern vor allem auch eine Polizei mit Problembewusstsein für rechte Straftaten ist vonnöten. Die Behörden müssen stärker sensibilisiert werden. Es genügt nicht, wenn das Bundesinnenministerium erklärt, man habe es bei abweichenden Opferzahlen mit einer „systemimmanenten Bewertungsbreite“ zu tun. Das Erfassungssystem zur politisch motivierten Kriminalität muss auf den Prüfstand. Derart gravierende „Ermessensspielräume“ sind bei der Bewertung von Tötungsdelikten nicht akzeptabel. Wir fordern nachvollziehbare und transparente Bewertungsmaßstäbe für politisch motivierte Kriminalität. Diese müssen dann von Polizei und Justiz konsequent angewandt werden. Vor allem aber darf die Expertise der zivilgesellschaftlichen Stellen nicht ausgeblendet oder gar als unliebsame Konkurrenz abgelehnt werden. Im kürzlich beendeten Haushaltsverfahren für 2013 wurde der Härtefonds für Gewaltopfer im Bundesjustizministerium um eine halbe Million Euro erhöht. Dies war durch gestiegene Fallzahlen notwendig. Es ist gut, dass mehr Opfer den Schritt, eine Entschädigung einzufordern, wagen. Doch so lange ein rechts-extremer Hintergrund der Tat nicht offiziell anerkannt ist, erhalten die Antragsteller aus diesem Geldtopf kein Geld. Auch deshalb muss der Blick der Behörden geschärft werden. Wir begrüßen den Antrag der SPD, die Forschung im Bereich rechter Gewalt zu vertiefen. Die Erfassung muss verbessert, die Dunkelziffer verringert werden. Dabei ist es wichtig, dieses Vorhaben in den Kontext einer gesamtgesellschaftlichen Demokratieoffensive einzubetten. Mehr interkulturelle Kompetenz und spezifische Weiterbildungen in sicherheitsrelevanten Behörden gehören ebenso dazu wie Projekte zur Stärkung von Menschen mit Migrationshintergrund und anderen potenziellen Opfern rechter Gewalt. Unverzichtbar sind ein Ausbau der Opferberatung, besonders in Westdeutschland, sowie eine finanzielle Verstetigung vorhandener Strukturen im gesamten Bundesgebiet. Allerdings setzen wir nicht, wie die SPD in ihrem Antrag, auf das „Frühwarnsystem“ Verfassungsschutz. Denn dieser hat versagt. Wir setzen da lieber auf ein zu gründendes „Institut Demokratieförderung“, wie unsere Bundestagsfraktion in dieser Woche beschlossen hat. Die schwarz-gelbe Koalition hat letzte Woche für den Haushalt 2013 die Chancen zur langfristigen Förderung von Initiativen gegen Rechtsextremismus ausgeschlagen und unsere guten Konzepte abgelehnt. Bündnis 90/Die Grünen setzten sich für ein 50Millionen-Programm gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ein, aus dem auch Opferberatungsstellen unbürokratisch Mittel erhalten, um ihre wichtige Arbeit vor Ort leisten zu können. Präsident Dr. Norbert Lammert: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11366 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ist jemand damit nicht einverstanden? – Es meldet sich niemand. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts – Drucksache 17/11468 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Baugesetzbuch wirklich novellieren – Drucksache 17/10846 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Rechtsausschuss c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Kirsten Lühmann, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Wohnen – Voraussetzungen für Teilhabe und Gleichberechtigung – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Barrierefreies Bauen im Baugesetzbuch verbindlich regeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Markus Kurth, Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Barrieren abbauen – Mobilität und Wohnen für alle – Drucksachen 17/6295, 17/9426, 17/9406, 17/11646 – Berichterstattung: Abgeordneter Volkmar Vogel (Kleinsaara) Auch zu diesem Tagesordnungspunkt werden die Reden zu Protokoll gegeben.10 Wir kommen dann zur Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11468 und 17/10846 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Die Vorlage auf Drucksache 17/10846 soll federführend vom Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung beraten werden. – Einwände gibt es keine. Dann ist das so beschlossen. Unter Tagesordnungspunkt 21 c geht es um die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 17/11646. Unter Buchstabe a empfiehlt der Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/6295 mit dem Titel „Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Wohnen – Voraussetzungen für Teilhabe und Gleichberechtigung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Enthaltung!) – Die Beschlussempfehlung ist trotzdem angenommen. Ich nehme aber den hartnäckigen Wunsch auf Festhalten der Enthaltung gerne zu Protokoll. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9426 mit dem Titel „Barrierefreies Bauen im Baugesetzbuch verbindlich regeln“. Wer möchte sich enthalten? (Heiterkeit) – Na also. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist die Beschlussempfehlung angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9406 mit dem Titel „Barrieren abbauen – Mobilität und Wohnen für alle“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wiederum ein paar Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Angehörige der Bundespolizei – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei massiv beschränken – Drucksachen 17/4682, 17/5055, 17/11263 – Berichterstattung: Abgeordnete Günter Baumann Wolfgang Gunkel Gisela Piltz Frank Tempel Dr. Konstantin von Notz Die dazu vorbereiteten Reden werden zu Protokoll genommen. Günter Baumann (CDU/CSU): In ihrem Antrag verfolgt die Fraktion Die Linke die Intention, alle Bundespolizistinnen und Bundespolizisten mit einer individuellen Kennzeichnung zu versehen. Gefordert wird ein rechtlicher Rahmen zur Einführung von Nummerncodes oder Namensschildern, anzubringen an den Uniformen der Beamten. Diesem Ansinnen trete ich entschieden entgegen. Eine Kennzeichnungspflicht für die Angehörigen der Bundespolizei hat meines Erachtens einer Stigmatisierung der Beamten zur Folge. Es wird der Eindruck vermittelt, Beamte nutzen ihre Sonderstellung, um ungesühnt Straftaten zu begehen. So zumindest argumentiert die Fraktion Die Linke in ihrem Antrag. Ich frage Sie, meine Damen und Herren der Linken: Wollen Sie wirklich die Beamten der Bundespolizei unter diesen Generalverdacht stellen? Ich weise darauf hin, dass Sie mit einer solchen Aussage nicht nur die Bundespolizei in ein schlechtes Licht rücken, sondern auch unseren Rechtsstaat. In einem Rechtsstaat werden alle Straftaten entsprechend verfolgt und untersucht – auch die Straftaten von Angehörigen der Polizei. Die Aufgabe der Bundespolizei ist es, die Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren zu schützen und die Sicherheit und Ordnung zu wahren. Dieser Aufgabe, welche oberste Priorität besitzt, widmen sich die Beamten tagtäglich und setzen sich somit fortwährend Gefahren für Leib und Leben aus. Wie sollen die Beamten dieser wichtigen und auch schwierigen Aufgabe gerecht werden, wenn sie befürchten müssen, ungerechtfertigten Vorwürfen ausgesetzt zu werden bzw. sie unter Umständen ihre eigenen Angehörigen in Gefahr bringen? Zudem liegen keine ausreichenden Erkenntnisse vor, die belegen, dass Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte der Bundespolizei nicht aufgeklärt werden konnten, weil es an einer individuellen Kennzeichnung fehlte. Sind Beamte mit individuellen Kennzeichnungen – seien es Nummerncodes oder Namensschilder – versehen, besteht die ernstzunehmende Gefahr, dass hierüber ihre Namen und die ihrer Angehörigen ermittelt werden. Somit besteht eine Gefahr sowohl für die Beamten als auch für ihre Familien. Mit der Gewichtung der Aufgabe, welcher sich die Beamten der Bundespolizei gewissenhaft widmen, erhöht sich auch die Pflicht des Staates, seine Beamten entsprechend zu schützen. Hieraus resultiert ein Anspruch der Beamten auf Schutz der Persönlichkeitsrechte, der gegenüber dem Interesse der Bürger an einer individuellen Kennzeichnung höher zu bewerten ist. Zu bedenken ist zudem, dass bei den heutigen medialen Möglichkeiten Videos und Bilder während Veranstaltungen gemacht werden, welche sich sofort im Internet wiederfinden. Wie schwer bzw. unmöglich es ist, einmal sich im Internet befindliche Bilder und Daten zu entfernen, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Mit anderen Worten: Die -Polizeibeamten, die während ihres Einsatzes zum Schutze der Bürgerinnen und Bürger gefilmt oder in irgendeiner anderen Form aufgenommen werden, sind samt ihrer Kennung anschließend für jeden einsehbar und auffindbar. Dieser Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Beamten ist nicht vertretbar oder in irgendeiner Form nachvollziehbar. Auch trete ich dem Argument entgegen, dass eine Kennzeichnungspflicht die Transparenz staatlichen Handelns unterstreicht. Ich betone erneut, dass die derzeitige Gesetzeslage der Transparenz staatlichen Handelns bereits entsprechend gerecht wird. Alles Weitere, darüber Hinausgehende ist unsinnig und greift über die Maßen in das Persönlichkeitsrecht der Beamten ein. Die Beamten müssen sich, auf Nachfrage der von staatlichen Handlungen betroffenen Personen, ausweisen. Bei geschlossenen Einsätzen kann über die taktische Kennzeichnung der Einheit und die Einsatzdokumentation die Legitimation erreicht werden. Alles in allem besteht mithin keine Notwendigkeit, den Angehörigen der Bundespolizei eine Kennzeichnungspflicht aufzuerlegen. Die Gefahren für die Beamten sind zu groß, und ein Generalverdacht in diesem Sinne widerspricht der Fürsorgepflicht des Staates für seine Beamten. Der Antrag ist abzulehnen. Weiterhin kann die CDU/CSU-Fraktion auch dem zweiten Antrag der Linken nicht zustimmen, mit welchem sie den Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei massiv beschränkten wollen, um die erhöhte Gefahr für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Menschen, die unter Einfluss von Drogen stehen, einzudämmen. Pfefferspray ist ein Mittel, das zwischen dem Schlagstock und der Schusswaffe liegt. Unbestritten ist, dass der Einsatz von den vorgenannten Mitteln zu erheblichen Verletzungen führen kann, aber nicht muss das möchte ich betonen, wohingegen Pfefferspray lediglich ein kurzzeitiges Unwohlsein bei dem Betroffenen hervorruft. Bei dem Einsatz von Mitteln zur Gefahrenabwehr ist – und das sollten Sie wissen, sehr geehrte Damen und Herren von den Linken – immer auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip abzustellen. In vielen Gefahrensituationen ist der Einsatz von Pfefferspray jenes Mittel, dessen Einsatz im Einzelfall das mildere und zugleich das effektivste ist. Gerade bei Demonstrationen mit einer größeren Anzahl an Menschen kann Pfefferspray eine eskalierte bzw. eine zu eskalieren drohende Situation am effektivsten beenden, ohne erhebliche Schäden herbeizuführen. Eine mögliche Gefahr für Menschen mit gesundheitlichen Problemen möchte ich an dieser Stelle auch nicht unbedingt abstreiten. Aber gäbe es diese Gefahr nicht auch, wenn die Beamten anstelle des Pfeffersprays die anderen Einsatzmittel nutzen würden? Es kann doch nicht Ihr Ansinnen sein, den Einsatz der anderen – aus meiner Sicht auch gefährlicheren Mittel – zu verstärken. Denn das wäre die Konsequenz, wenn sie die Möglichkeit zum Einsatz von Pfefferspray verhindern. Unter welchen Möglichkeiten sollen die Beamten denn sonst wählen, um die Ordnung und Sicherheit zu garantieren bzw. wiederherzustellen? Für einen Polizeibeamten, welcher eine Maßnahme vornehmen muss, ist es ein psychologischer Vorteil, eine Auswahl an verschiedenen Einsatzmitteln zu haben. Darüber hinaus, meine Damen und Herren von der Linken, sollten Sie mehr Vertrauen in unsere Polizeibeamten haben. Diese üben ihren Dienst mit höchster Vorsicht und gewissenhaft aus. Ich verweise auch darauf, dass die Mittel zur Gefahrenabwehr nur zum Einsatz kommen, wenn dies auch erforderlich ist. Insoweit kann es bei friedlichen Demonstrationen – und damit auch bei unbeteiligten Dritten – nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen kommen. Jeder, der die öffentliche Sicherheit und -Ordnung gefährdet, muss auch mit den Konsequenzen leben können. Unsere Bürgerinnen und Bürger sind zudem mündig genug, um sich der Konsequenzen ihres Handels bewusst zu sein. Abschließend bleibt zu sagen, dass auch dieser Antrag abzulehnen ist. Die Polizeibeamten benötigen entsprechende Mittel, um ihre Arbeit entsprechend und verhältnismäßig durchführen zu können und um die Gefahr für Leben und Leib des Bürgers zu minimieren. Den Einsatz von Pfefferspray halte ich daher für mehr als gerechtfertigt. Wir wollen Polizisten schützen und setzen hohes Vertrauen in ihre Arbeit. Mit den beiden Anträgen der Linken wird Misstrauen gegen Polizisten geschaffen und sollen Straftäter geschützt werden. Wolfgang Gunkel (SPD): Beide Anträge der Linken wurden in einer gesonderten Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages im vergangenen Jahr ausführlich diskutiert. Die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte ist auch in der SPD-Bundestagsfraktion schon länger Debattengegenstand. In einem Rechtsstaat darf es keine Gewalteskalationen durch die Polizei geben. Bei Straftaten durch Beamtinnen und Beamte sind umgehend strafrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Straftäter in der Polizei sind sowohl für die Polizei als auch für ihr Image schlecht. Dennoch verwahre ich mich gegen den eventuell aufkommenden Eindruck, jede Demonstration werde seitens der Polizei zu einem hemmungslosen Spannungsabbau genutzt. Es handelt sich hier um Einzelfälle, nicht um ein gesamtpolizeiliches Phänomen! Die Kolleginnen und Kollegen sind an vielen Wochenenden in der gesamten Republik unterwegs, in unterschiedlichsten Lagen, ob Castor, Fußballspiel oder Demonstration. Oft üben sie ihren sehr verantwortungsvollen Beruf unter schlechten Bedingungen aus. Über die Zufriedenheit der Beamtinnen und Beamten mit ihrem Beruf im Zusammenhang mit der Strohmeier-Studie haben wir auch schon ausführlich im Innenausschuss gesprochen. Der Antrag der Fraktion Die Linke pauschalisiert nach meiner Meinung an einigen Stellen zu stark. Andererseits fordert er auch Dinge, die bereits geregelt sind. Als SPD-Bundestagsfraktion werden wir uns an dieser Stelle enthalten. Grundsätzlich hat die SPD-Bundestagsfraktion nichts dagegen, eine Kennzeichnungspflicht für die Bundespolizei einzuführen. In einigen Bundesländern ist die Kennzeichnungspflicht schon Realität. Bisher werden laut einer wissenschaftlichen Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages von circa 58 Prozent der Polizeibeamten in Deutschland auf freiwilliger Basis im Einzeldienst und auf Streife Namensetiketten getragen. Das Tragen von Namensschildern – oder im Bedarfsfall einer Identifikationsnummer – ist heute in einer modernen, weltoffenen und bürgernahen Polizei ein selbstverständliches Element der Service- und Kundenorientierung, die von den Bürgerinnen und Bürgern erwartet werden kann. Zudem trägt es zur Stärkung des Vertrauens in die Polizei bei, wenn die Bürgerinnen und Bürger nicht einer anonymen Staatsmacht gegenüberstehen, sondern einer dialogbereiten und individuell verantwortlich handelnden Polizei. Es gibt aber auch gute Argumente gegen eine Kennzeichnungspflicht: So kann man sie als Ausdruck eines unberechtigten Misstrauens gegen die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten werten. Zudem birgt eine individuelle Kennzeichnung die Gefahr, dass Polizistinnen und Polizisten sowie ihre Familienangehörigen Belästigungen und Sanktionen ausgesetzt werden. Dieses Bedrohungspotenzial darf keinesfalls außer Acht gelassen werden, gerade unter der weiter oben bereits erwähnten Prämisse der hohen Anforderungen dieses Berufes. Die Fraktion Die Linke fordert in dem vorliegendem zweiten Antrag „Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei massiv beschränken“, den Einsatz von Pfefferspray gegen Menschen zu verbieten, die sich in Ansammlungen, wie einer Demonstration oder bei einem Fußballspiel, befinden. Das halte ich für übertrieben und nicht zielführend. Schließlich erlaubt auch das Gesetz über den unmittelbaren Zwang den Schusswaffengebrauch gegen eine Menschenmenge (§ 10 Abs. 2 UZwG-Bund). Und der Einsatz von Schusswaffen ist ein viel schärferes Mittel als der Einsatz von Pfefferspray und mit deutlich größerer Gefahr für Leib und Leben verbunden. Deshalb muss es auch möglich bleiben, unterhalb des Schusswaffengebrauchs über ein polizeiliches Einsatzmittel zu verfügen. Die Forderung nach einer massiven Einschränkung geht zu weit. Bedingte Einschränkungen halte ich für ausreichend. Diese sind aber in den Polizeigesetzen der Länder bereits enthalten. Ferner ist im UZwG des Bundes und der Länder der Einsatz von Zwangsmitteln detailliert geregelt und unterliegt stets dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der über allen polizeilichen Handlungen „schwebt“. Verstöße gegen diese Bestimmungen bei Einsätzen der Polizei sind natürlich zu verfolgen und müssen gegebenenfalls strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Ein Beschluss des Deutschen Bundestages mit dem hier vorgelegten Inhalt ist deshalb nicht erforderlich. Die SPD-Bundestagfraktion lehnt diesen Antrag ab. Gisela Piltz (FDP): Im letzten Jahr gab es zur Kennzeichnungspflicht für Angehörige der Bundespolizei eine Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Anscheinend hat die Linke in dieser Anhörung nicht richtig zugehört oder interessiert sich nicht für die Einschätzung der Sachverständigen. Darin sprachen sich die befragten Sachverständigen nämlich mehrheitlich gegen den Vorschlag der Linken einer solchen Kennzeichnungspflicht für Angehörige der Bundespolizei aus. Die FDP teilt die Bedenken der Sachverständigen. Wir wollen nicht, dass Polizistinnen und Polizisten sich unter Generalverdacht gestellt sehen und ihr Persönlichkeitsschutz nicht gewahrt wird. Eine namentliche Kennzeichnung könnte dazu führen, dass einzelne Beamte auf Demonstrationen und Ähnlichem von Randalierern gezielt herausgepickt und beispielsweise in Internetforen an den Pranger gestellt werden oder auf späteren Veranstaltungen gezielt angegangen werden. Auch eine nicht namentliche Kennzeichnung durch eine feste Nummer könnte eine Identifikation auf nachfolgenden Veranstaltungen ermöglichen und die Gefahr des persönlichen Ausforschens der Beamtinnen und Beamten erhöhen. Ebenso könnten sie sich verstärkt Falschanzeigen ausgesetzt sehen. Eine Kennzeichnungspflicht steht also auch im Widerspruch zu der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Schon jetzt ist es möglich, Polizistinnen und Polizisten bei Bedarf zu identifizieren: Auf Verlangen müssen diese nämlich ihren Dienstausweis vorzeigen. Auch werden Einsätze der Polizei bereits in starkem Maße gefilmt und fotografiert, wodurch eine zusätzliche Identifikation möglich ist. Klar ist: Deutschland ist ein Rechtsstaat. Recht und Gesetz gelten auch für die Polizei. Daher ist es selbstverständlich, dass Polizistinnen und Polizisten, die sich im Dienst strafbar machen, wie jeder andere auch zur Rechenschaft gezogen werden. Selbstverständlich ist es auch, dass in solchen Fällen ebenso sorgfältig ermittelt werden muss wie in anderen Fällen. Dass dies auch wirklich passiert – woran die Linke ja zu zweifeln scheint – zeigt beispielsweise die Verurteilung eines Polizisten vor wenigen Wochen wegen Körperverletzung im Amt während eines Einsatzes im Rahmen einer Demonstration gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21. Für die Linke scheint dies aber keine Selbstverständlichkeit zu sein, wie ihr Antrag zeigt. Für die FDP ist es unverständlich, warum die Linke den Eindruck erwecken will, in unserer Polizei gebe es eine generelle Vertuschungskultur. Dadurch schürt sie nur Misstrauen und Ängste innerhalb der Bevölkerung. Ebenso verhält es sich mit dem Einsatz von Pfefferspray. Die Linke erweckt in ihrem Antrag den Eindruck, als würden wir in einem Polizeistaat leben, in dem Polizistinnen und Polizisten wahllos und willkürlich die Verletzung oder gar den Tod von Menschen in Kauf nehmen würden. Der Pfeffersprayeinsatz unterliegt in jedem einzelnen Nutzungsfall einer Verhältnismäßigkeitsprüfung und wird beständig beobachtet. Daher sprachen sich in der Anhörung im Innenausschuss die Sachverständigen ausdrücklich gegen eine weitere Beschränkung der Pfefferspraynutzung aus. Zudem handelt es sich dabei um ein vergleichsweise mildes Mittel, ohne dauerhafte Schädigung in bestimmten Situationen gegen Randalierer vorzugehen. Der Antrag der Linken macht den Einsatz von Pfefferspray praktisch unmöglich. Das würde der Polizei in vielen Fällen diese Möglichkeit nehmen, unseren Rechtsstaat zu schützen und darüber hinaus auch die Gefahren für die eingesetzten Polizeikräfte erhöhen. Daher halten wir es für wichtig und richtig, dass innerhalb eines klaren Regelwerks nach Verhältnismäßigkeitsprüfung die Polizei notfalls auch mit unmittelbarem Zwang durch Einsetzung von Pfefferspray zur Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols handeln kann. Eine Nachprüfbarkeit der Maßnahme – wie es ja auch vorgeschrieben ist – ist natürlich unverzichtbar. Wir als FDP lassen die Polizistinnen und Polizisten, die sich für die Gewährleistung der Sicherheit in Deutschland regelmäßig selbst in Gefahr bringen, nicht allein, behalten dabei aber auch immer die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel und die Wahrung der Rechte der Bevölkerung im Blick. Frank Tempel (DIE LINKE): Mit der Kennzeichnungspflicht für Angehörige der Bundespolizei soll eine Rechtssicherheit sowohl für das polizeiliche Gegenüber, sprich: der Bürgerin und dem Bürger, als auch für Polizistinnen und Polizisten geschaffen werden. Die Identifizierbarkeit von Amtsträgern dient der Sachverhaltsaufklärung vor Gericht. Mögliches polizeiliches Fehlverhalten und auch Fehlanschuldigungen gegenüber Polizistinnen und Polizisten werden so besser aufklärbar. In der übergroßen Mehrheit der europäischen Länder sind vergleichbare Regelungen seit langem gang und gäbe. Es ist beachtlich, dass Staaten wie Rumänien oder die Slowakei, deren Polizeikräfte lange Zeit unter starker Kritik von EU und Bürgerrechtsgruppen standen, inzwischen fortschrittlicheren Regelungen unterliegen als die Bundespolizei. Es ist unwahrscheinlich, dass die 15 Regierungen und Parlamente der -europäischen Länder, die über eine Kennzeichnungspflicht verfügen, damit einen Generalverdacht gegen-über ihren Polizeien zum Ausdruck bringen wollten. Die ablehnende Diskussion zur Kennzeichnungspflicht hat leider stark irrationale Züge. Auch bei der anonymisierten Kennzeichnung mit Richtervorbehalt wird ein Gefährdungspotenzial für Polizistinnen und Polizisten sowie deren Familien unterstellt. Wie Kriminelle an die Namen gelangen könnten, wird gar nicht mehr hinterfragt. Die Kennzeichnung verletze angeblich die Würde. Nun besteht seit einigen Monaten eine Kennzeichnung von Einsatzkräften der Bundespolizei bis hin zur Gruppenebene. Ich habe dazu keine einzige Beschwerde vernommen. Warum das Hinzufügen einer weiteren Zahl zur persönlichen Identifizierbarkeit die Würde dann plötzlich verletzen sollte, ist unklar. Dass CDU/CSU im Innenausschuss mit solcherlei sachfernen Argumentationen aufwarten, überrascht mich nicht. Dass allerdings auch die SPD unseren Vorschlag mit einer fadenscheinigen Begründung ablehnt, hat uns schon enttäuscht. In unserem Antrag sei nicht vorgesehen, dass Polizeibeamte zum Schutz ihrer Familien die Herausgabe ihrer Adressdaten an Dritte durch die Meldeämter ohne Begründung sperren lassen können, so der Vorwurf. Das hat allerdings mit dem vorliegenden Antrag nur indirekt zu tun. Aber wenn Sie wollen, bringen wir dazu demnächst einen gemeinsamen Antrag zur Änderung des Meldegesetzes ein. Mit uns kann man reden. Stimmen Sie also zu! Nun zum Pfeffersprayantrag: Unser Antrag zur Einschränkung des Einsatzes von Pfefferspray will nicht, wie uns immer wieder unterstellt wird, den Einsatz von Pfefferspray verbieten. Aus meiner Zeit als Kriminaloberkommissar bei der Thüringer Polizei kann ich einschätzen, dass Pfefferspray zum übergroßen Teil bei Maßnahmen gegen häusliche Gewalt zum Einsatz kommt. Und natürlich ist dessen Einsatz bei körperlicher oder zahlenmäßiger Überlegenheit der Täter nach dem Versagen niederschwelliger Maßnahmen legitim. Dieses Mittel wollen wir der Polizei also keinesfalls nehmen. Wir wollen es eben nur auf die Fälle beschränken, bei denen es zur Abwehr einer Gefahr für Leib und Leben der Einsatzkräfte oder Dritter eingesetzt wird. Leider wird Pfefferspray allzu oft für die bloße Durchsetzung staatlichen Willens, etwa zur Durchsetzung von Platzverweisen, benutzt; dabei ist jeder Einsatzleiter und jede Einsatzleiterin beim Einsatz von Gewaltmitteln zu einer Angemessenheitsprüfung verpflichtet. Ein relativ niedrig stehendes Rechtsgut wie der freie Verkehrsfluss kann in der Abwägung aber auch nach jetziger Gesetzeslage nicht gegen das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit bestehen. Auch der Einsatz zur Räumung einer Wiese zur Schaffung von Baufreiheit dürfte angesichts des erheblichen Schädigungspotenzials von Pfefferspray und schon gar bei der Gefahr einer Schädigung Dritter nicht angeordnet werden. Die Realität ist eine andere, was auch oft genug in Fernsehbildern dokumentiert wird. Da hat sich im Laufe der Jahre ein sorgloser, teils verantwortungsloser Umgang entwickelt. Insofern ist -unser Antrag nur eine Konkretisierung und eine Klarstellung der heutigen Rechtslage und kein neuer juristischer Sachverhalt. Es kommt in der polizeilichen Praxis nicht nur zu unangemessenen, sondern auch zu einem zu häufigen Einsatz von Pfefferspray. Richtlinien entsprechend den Vorschriften des Schusswaffengebrauchs und eine vorgeschriebene nachträgliche rechtliche Würdigung des Pfeffersprayeinsatzes würden Einsatzkräfte sowie Einsatzleiter oder Einsatzleiterinnen sensibilisieren und so die Einsatzhäufigkeit von Pfefferspray verringern. Pfefferspray ist ein probates Mittel zur Abwehr von Gewalttätern unterhalb der Schwelle des Schusswaffeneinsatzes. Es ist aber keine Allerweltslösung für gesellschaftliche Probleme, die auf die Straße getragen werden. Bilder wie die vom völlig überzogenen Pfeffersprayeinsatz bei den friedlichen Demonstrationen zu Stuttgart 21 sollten nie wieder auf den Bildschirmen der Bundesrepublik zu sehen sein. Das war selbst vielen Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen, die das verfolgt haben – ich habe nach wie vor einen guten Kontakt zu den Kollegen, – unangenehm. Nehmen Sie unsere zwei Anträge ernst! Gehen Sie nicht leichtfertig über diese berechtigten Anliegen hinweg und stimmen Sie zu! Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Polizei übt – im Extremfall – unmittelbaren Zwang aus. Sie tut das in Deutschland in aller Regel im Einklang mit den einschlägigen gesetzlichen Regeln. Die handfeste Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols bleibt aber ein sensibler Bereich; denn wenn staatliche Organe Gewalt gegen die Bürger ausüben, ist das für den freiheitlichen Rechtsstaat immer der Extremfall. Hier wären Willkür und Fehlverhalten besonders schrecklich. Deshalb ist strengstens darauf zu achten, dass die Rechtsgrundlage immer völlig klar ist und die Anwendung unmittelbaren Zwangs immer in jedem Sinne verhältnismäßig bleibt. Gerade das ist aber bei einem heute sehr üblichen Mittel fraglich – dem Pfefferspray. Es gehört ja zur Verhältnismäßigkeit, dass man immer dasjenige Mittel wählt, das für die Zweckerfüllung geeignet ist, aber eben auch jenes, das dafür notwendig ist. Sprich: Der Zweck heiligt nicht alle Mittel, sondern nur dasjenige, das nicht übers Ziel hinausschießt. Das trifft auf das Pfefferspray – das muss man nach jahrelanger Erfahrung damit wohl sagen – nicht immer zu. Es ist eingeführt worden als die mildere Alternative, und bisher ist es das auch. Es ist milder als jede Leberwursttaktik oder die alte Praxis, mit berittenen Staffeln in Demos einzureiten und vom hohen Ross mit dem Schlagstock loszudreschen. Und es ist milder als die Chemiekeule CS-Gas. Aber es ist deswegen noch lange kein problemfreies Allzweckmittel. Wir sehen mit Sorge, dass es bei fast jeder konfliktträchtigen Demonstrationslage eingesetzt wird. Man muss schon den Eindruck haben: Das geschieht zu früh und zu viel. Denn man darf sich nicht täuschen: Pfefferspray ist aggressiv, es kann Verletzungen auslösen und – für Asthmatiker oder Allergiker – auch lebensbedrohlich wirken. Es ist zurzeit wohl das mildeste Mittel; aber es ist höchste Zeit, den Einsatz restriktiver zu handhaben und nach gesundheitlich unbedenklicheren Alternativen zu forschen. Das wäre einmal eine Art der Sicherheitsforschung, die man unterstützen kann! Pfefferspray ist ein Mittel für den Konfliktfall, und um die Vermeidung und Lösung von Konfliktfällen geht es auch beim zweiten Thema des heutigen Tages, bei der Kennzeichnung von Polizeibeamten. Die Forderung, dass jeder Polizist und jede Polizistin eindeutig identifizierbar sein muss, erheben wir schon seit langen Jahren. In manchen Bundesländern hat dieses Bemühen inzwischen auch Früchte getragen, zum Beispiel in Schleswig-Holstein. Und das sollte auch bei der Bundespolizei endlich so sein. Es geht darum, dass alle Vollzugsbeamten entweder ihren Namen oder eine eindeutige, nach dem Einsatz auch zuzuordnende Nummer gut sichtbar auf der Uniform tragen. Das erscheint uns wie eine Selbstverständlichkeit, denn im Rechtsstaat kann es nicht sein, dass die Staatsmacht gewissermaßen getarnt auftritt. Die Kennzeichnung ist kein Misstrauensvotum gegen Polizeibeamte. Es geht uns nicht darum, Beamte zu drangsalieren und sie unter Verdacht zu stellen. Es kann aber auch niemand verleugnen, dass es nach manchen Großeinsätzen Vorwürfe gibt, dass Beamte über das Ziel hinausgeschossen sind. Und es ist einfach nicht gut, wenn diese Vorwürfe allzu oft im Raum stehen bleiben, weil die betreffenden Personen nicht zu identifizieren sind. Das führt erst zum Generalverdacht bei denen, die sich falsch behandelt fühlen, gegen die sich polizeiliche Gewalt gerichtet hat. Sie müssen ihr Gegenüber benennen können, damit dann die Vorwürfe in rechtsstaatlicher Weise geklärt werden können. Es nutzt doch auch der Polizei nichts, wenn die Legende Platz greift, dass alle Beamten prügeln und sich dann gegenseitig decken. Und es würde ihr schon gar nichts helfen, einen Fall zu vertuschen, in dem tatsächlich ein Kollege das Maß verloren hat und eben in nicht angemessener Weise Gewalt ausgeübt hat. Viele Beamte fürchten Rache, wenn sie mit ihrem Namen am Revers in vorderster Front einer brodelnden Großlage stehen müssen. Das kann ich nachvollziehen; es gibt ja leider Gewalttäter jeder Couleur, die meinen, man müsste auf Internetseiten Namen und -Adressen von unliebsamen Polizeibeamten veröffentlichen, mit der Intention, gezielt gegen diese Beamten vorzugehen. Dagegen muss der Staat als Dienstherr vorsorgen. Das kann er aber tun, indem eben nicht der Name auf die Uniform gedruckt wird, sondern eine Nummer, und auch die kann von Einsatz zu Einsatz wechseln. Also zwei Fälle von sinnvoller Vorsorge: beim Pfefferspray gegen unbeabsichtigte Verletzungen, bei der Kennzeichnung gegen im Raum stehende Unterstellungen. Beides sollte man angehen, denn es sind zwei Schritte auf dem Weg zu einer bürgernäheren Polizei im Rechtsstaat. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses. Der Innenausschuss empfiehlt auf der Drucksache 17/11263 unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4682. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich der Stimme enthalten? – Bei zwei Enthaltungen ist die Beschlussempfehlung mit Mehrheit angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5055. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe Zusatzpunkt 9 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch – Drucksache 17/11726 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. – Ich sehe, dagegen hat niemand etwas einzuwenden.11 Zugleich wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf der Drucksache 17/11726 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Proteste sind nicht erkennbar. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Steuerliche Transparenz von multinationalen Unternehmen herstellen – Country-by-Country und Project-by-Project Reporting einführen – Drucksachen 17/11075, 17/11695 – Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Dr. Thomas Gambke Auch hier werden die Reden zu Protokoll genommen. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Antrag soll die Transparenz über die Steuerzahlungen von international tätigen Unternehmen hergestellt werden. Große, global agierende Konzerne wie zum Beispiel Apple, Google, Amazon haben es mittlerweile geschafft, ihre Steuerschuld so zu schmälern, dass sie mitunter nur noch die Hälfte des üblichen im Heimatland geltenden Steuersatzes zahlen. Dies ist möglich, da die finanzielle Abwicklung der Geschäfte auf Niedrigsteuerländer ausgelagert wurde. Ein deutscher Kunde des Onlinekaufhauses Amazon erhält zum Beispiel eine Rechnung der luxemburgischen Tochter. Der Gewinn aus einem in Deutschland oder anderen Land getätigten Geschäft wird dadurch nicht im Geschäftsland, sondern nur in den Niedrigsteuerländern versteuert. Durch diese Methode entgehen den europäischen Staaten nach Schätzung des EU-Kommissars Semeta bis zu 1 Billion Euro Steuereinnahmen. Um diesem Problem der legalen Steuerumgehung zu begegnen, ist es erforderlich, die Fehler nicht nur bei den Unternehmen selber zu suchen, sondern auch im europäischen Steuersystem. Denn nur durch die sehr unterschiedlichen Steuersätze und Steuergesetze in -Europa und den anderen Nationen ist solch eine Verschiebung der Gewinne möglich. Zu diesem Zweck hat sich die Bundesregierung bereits vor einigen Monaten selber auferlegt, sich auf europäischer und internationaler Ebene verstärkt in die Sache einzubringen. Denn eines ist klar: Allein durch Schaufensteranträge, wie der vorliegende von den Grünen, schaffen wir keine Harmonisierung und Lösung dieses Steuerverteilungsproblems. Insbesondere müssen deshalb die Richtlinienentwürfe der EU-Kommission zur Änderung der Transparenzrichtlinie und den Rechnungslegungsrichtlinien, welche die Einführung eines Project-by-Project- und Country-by-Country-Reporting vorsehen, unterstützt werden. Bundesfinanzminister Schäuble ist aber auch schon auf dem Weg und versucht, neben europäischen Lösungen auch gemeinsame Regelungen innerhalb der G 20 und der OECD zu finden. Die Experten des Committee on Fiscal Affairs, CFA, der OECD haben erst kürzlich ein Arbeitspapier zu den Steuervermeidungsstrategien großer internationaler Konzerne erstellt. IT-Firmen wie Google, Amazon oder Apple erzielen Milliardengewinne in Deutschland wie oben beschrieben, für die der deutsche Fiskus aber keine Steuern erhält, weil der Sitz der Onlinehändler in Niedrigsteuerländern liegt. In dem Arbeitspapier werden verschiedene Probleme – Verrechnungspreise, Finanzderivate – benannt, die von den Regierungen angegangen werden sollten. Die G-20-Staaten wollen nun auf ihrem Treffen Ende Februar 2013 in Russland darüber beraten, wie sie die Steuervermeidung der internationalen Konzerne stoppen können. Mit seinem britischen Finanzkollegen George Osborne ist Finanzminister Schäuble auch bereits in intensiven bilateralen Gesprächen, um im Rahmen des eben erwähnten G-20-Gipfels in Moskau den Staats- und Regierungschefs weitere Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Es sollen Niedrigsteuer-oasen ausgetrocknet werden und die Besteuerung in dem Land erfolgen, wo auch der Gewinn entsteht. Beide haben auch ihre volle Unterstützung für die sogenannte BEPS-Initiative zugesagt. Mit dieser Maßnahme möchte die OECD die Aushöhlung der Besteuerungsgrundlagen und die Gewinnverlagerung zwischen den Staaten eindämmen. Sie sehen also, dass das Problem nur in Absprache mit unseren internationalen Partnern gelöst werden kann – nicht in nationalen Alleingängen. Allerdings möchte ich an dieser Stelle auch betonen, dass es nicht nur zu Steuerverschiebungen von Indus-trienationen in die Karibik oder nach Asien kommt, sondern auch bereits innerhalb der Europäischen Union. Insbesondere das Großherzogtum Luxemburg hat leider noch nicht die europäischen Mindeststandards bei der Steuererhebung und bei Steuerkontrollen umgesetzt. Meiner Meinung nach kann Euro-Gruppenchef Juncker nicht nur die europäische Solidarität in der Euro-Staatsschuldenkrise fordern, sondern muss auch im eigenen Land Maßnahmen ergreifen, damit Steuereinnahmen global und europäisch agierender Konzerne auch in dem Land eingenommen werden, wo sie entstehen, und nicht verlagert werden. Das wäre wahre Solidarität und würde vielen Krisenländern in der aktuellen Liquiditätskrise zu Mehreinnahmen verhelfen. Wenn wir uns nämlich, auch unabhängig von OECD und G 20, auf eigene Standards einigen, können wir als Europäer noch geschlossener in diesen Gremien für faire Lösungen streiten. Die Bundesregierung ist nun zunächst am Zuge, um auf internationaler Ebene das beschriebene Problem anzugehen. Dieses als solches ist bereits mehr als erkannt und braucht keiner zusätzlichen Aufforderung durch das Parlament. Deshalb wird die Unionsfraktion den vorliegenden Antrag ablehnen. Vielleicht könnten sich die Grünen dafür engagieren, dass in den europäischen Ländern, in denen ihre Parteifreunde mit in der Regierung sind, die Verhandlungen für gemeinsame Lösungen schneller voranschreiten. Abschließend sei noch einmal erwähnt, dass die Besteuerung und deren Bemessungsgrundlage nicht rein national gelöst werden, sondern einer internationalen Kooperation bedürfen. Wir wollen diese in Europa, den G 7, G 20 und der OECD stärken, damit so bald wie möglich alle Gewinne, die in Deutschland erzielt werden, auch hier besteuert werden. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Wir beraten heute die Beschlussempfehlung und den Bericht des Finanzausschusses zum Antrag der Grünenfraktion „Steuerliche Transparenz von multinationalen Unternehmen herstellen – Countryby-Country und Projectby-Project Reporting einführen“. Der -Antrag fordert die Bundesregierung dazu auf, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, bei multinationalen Unternehmen mithilfe von Offenlegungspflichten auf Länderebene, Countryby-Country Reporting, und auf Projektebene, Projectby-Project Reporting, Transparenz herzustellen. In langfristiger Perspektive sollen weltweit entsprechende Standards für die Rohstoffwirtschaft etabliert werden. Die internationale Rohstoffwirtschaft hat vor kurzem eine echte „Elefantenhochzeit“ erlebt, wie die „Börsen-Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 27. November 2012 schreibt, als der Bergbaukonzern Xstrata durch den Glencore-Konzern übernommen wurde. Aus der Akquisition ging ein Unternehmen mit einem Börsenwert von etwa 70 Milliarden US-Dollar hervor, das die komplette Wertschöpfungskette von der Förderung, der Verarbeitung, dem Transport bis hin zum Verkauf zahlreicher Rohstoffe unter einem Konzerndach vereint. Das neue Unternehmen betreibt Projekte in mehr als 40 Staaten und generiert einen Umsatz von 210 Milliarden US-Dollar, unter anderem mit der Förderung von Aluminium, Kohle, Zink, Kupfer und Blei, mit dem Seetransport von Rohöl und mit dem Handel mit Weizen, Mais, Baumwolle oder Zucker. Wir beobachten – in dieser Branche, aber auch in anderen Bereichen – die Reintegration von Großunternehmen entlang der kompletten Wertschöpfungskette. Aus Zusammenschlüssen und Übernahmen entstehen riesige multinationale Konzerne, die in vielen unterschiedlichen Geschäftsfeldern und Zeitzonen, in unterschiedlichen Steuerjurisdiktionen und in sehr verschiedenen Staats- und Rechtsordnungen agieren. Global vernetzte Steuerabteilungen optimieren die gesamte Konzernstruktur und Prozessabläufe auf eine möglichst günstige Besteuerung. Konzerne haben die Möglichkeit, international zu agieren, während Staaten zunächst national begrenzt sind. Aus diesem Widerspruch entstehen für international tätige Konzerne verschiedene Möglichkeiten, die eine Neudefinition des Begriffs der Steueroasen, die durch die strukturellen Möglichkeiten eines internationalen Konzerns entstehen, notwendig machen. Nationale Steuerverwaltungen sehen sich mit dem Problem konfrontiert, dass beobachtbare, quantifizierbare Transaktionen zwischen einzelnen Unternehmen in ein konzerninternes Beziehungsgeflecht aus wechselseitigen Beteiligungen, Funktionsverlagerungen und Verrechnungspreisen abwandern und nur noch auf konsolidierter Grundlage gemäß der internationalen Vorschriften der Rechnungslegung – International Financial Reporting Standards, kurz: IFRS – auf Ebene der Konzerngesellschaften ausgewiesen werden. In welchen Ländern und mit welchen Projekten Umsätze im Einzelnen generiert werden, erfahren wir nicht. Zahlungsströme und finanzielle Transaktionen innerhalb hochintegrierter multinationaler Konzerne sind nicht transparent; die steuerrechtlichen Regelungen hingegen, die den Bezugsrahmen für die konzerninternen Transaktionen und Gestaltungen darstellen, sind – richtigerweise – transparent. Eine Bewertung von außen, ob Steuerzahlungen korrekt und vollständig sind, ob sie angemessene Steuereinnahmen für Staaten erbringen, in denen Konzerngesellschaften ansässig oder tätig sind, ob sie unseren Vorstellungen von einer gerechten Steuerlastverteilung zwischen inländischen und internationalen Unternehmen entsprechen, ist unter diesen Umständen kaum möglich. Wir sind deshalb froh, dass diese Diskrepanz zwischen den steuerlichen Möglichkeiten global agierender Konzernen und nationaler Steuerverwaltungen zunehmend als Problem für das finanzielle Fundament vieler Staaten und für die Steuergerechtigkeit im Allgemeinen erkannt wird. Es wird mittlerweile auf verschiedenen Ebenen daran gearbeitet, Transparenz in steuerlichen Angelegenheiten herzustellen. Ich denke an die Regelungen im sogenannten Dodd-Frank Act der USA von Juli 2010, und an die Vorschläge zur Änderung der Transparenz- und der Rechnungslegungsrichtlinie, die auf EU-Ebene diskutiert werden. Der Antrag spricht sich für eine Ausdehnung der Offenlegungsvorschriften auf alle Branchen in der Europäischen Union mit Ausnahmen lediglich für kleine und mittlere Unternehmen aus, für die Umsetzung der projektbezogenen Offenlegungspflichten insbesondere im Rohstoffbereich, für die Festlegung niedriger unterer Schwellenwerte bei Zahlungen, deren Überschreiten eine Pflicht zur Offenlegung begründet und für die Ausweitung des Katalogs der offenzulegenden konzerninternen Kennziffern: Produktvolumen, Verkaufszahlen und Gewinn, Lohnsumme, Zahl der Angestellten, Finanzierungskosten, Zahlungen an die Regierung. Die SPD-Fraktion unterstützt diese Überlegungen und stimmt daher dem Antrag zu. Wir arbeiten zeitgleich an einem eigenen Antrag mit dem Titel „Transparenz in Zahlungsflüssen im Rohstoffbereich und keine Nutzung von Konfliktmineralien“, an dem Wirtschafts-, Umwelt-, Verbraucherschutz- und Finanz-politiker beteiligt sind. Der Antrag der Grünen folgt dabei der gleichen Denkrichtung wie unsere Überlegungen, um größere Transparenz zu erreichen und Klarheit über das Handeln internationaler Konzerne zu erhalten. Dabei ist Transparenz allein noch keine abschließende Lösung, aber ein erster wichtiger Schritt. Holger Krestel (FDP): Die Antragsteller präsentieren hier eine in Teilen durchaus korrekte Problembenennung. Die in der Folge gebrachten Vorschläge tragen jedoch in keiner Form zur Lösung der genannten Missstände bei. Es wird die Illusion eines Zusammenhangs zwischen vorgeblich mangelnder Transparenz und Steuervermeidung geschaffen. Es geht hier nicht um windige Privatleute, die ihr Kapital klammheimlich in Nacht-und-Nebel-Aktionen über die Grenze bringen und in Steueroasen bunkern, die man nur erwischen und vor Gericht bringen müsste. Nein, hier handelt es sich um etablierte und zigfach von Wirtschaftsprüfern durchleuchtete, wasserdichte Steuervermeidungsstrategien von internationalen Großunternehmen. Alles mit Stempel und Siegel von Finanzamt und EU abgesegnet! Diese Modelle sind inzwischen so verbreitet, dass sie im Fachjargon mit kreativen Namensschöpfungen wie „Double Irish Arrangement with a Dutch Sandwich“ schon lange feststehende Begriffe sind. In diesem Fall bedeutet das auf Deutsch, dass eine irische Tochtergesellschaft mit Sitz in einer beispielsweise karibischen Steueroase Inhaber von Marken, Patenten oder Franchiselizenzen ist und für diese Lizenzgebühren über eine niederländische und eine weitere irische Tochtergesellschaft von der eigentlichen geschäftsausübenden Gesellschaft in Deutschland kassiert, sodass hier auf dem Papier kein Gewinn entsteht. Bei dieser Praxis handelt es sich zweifelsohne um einen Missstand, der gegen jeden Gerechtigkeitssinn strebt. Eine zwangsweise Offenlegung und Aufschlüsselung sämtlicher Einzelumsätze nach Ländern und Projekten jedoch – noch über die aktuellen Rechnungslegungsstandards hinaus – würde sich in der effektiven Besteuerung überhaupt nicht niederschlagen. Das von den Antragstellern beschriebene Problem und die vorgeschlagene Lösung stehen in keinerlei Zusammenhang. Um zu verstehen, wie es zu dieser Diskrepanz zwischen Problem und Lösung kommen konnte, lohnt es sich, einen Blick in den ursprünglichen EU-Entwurf zu werfen, auf den Sie sich in Ihrem Antrag berufen. Hier findet die Problematik der Steuervermeidung nämlich überhaupt keine Berücksichtigung. Es geht einzig und allein um Korruption in der Rohstoffbranche. Die Offenlegung der Zahlungsströme soll Bestechungsgelder an Regierungsmitglieder aufdecken und im besten Fall verhindern. Besonders in Entwicklungsländern mit autoritären Regimen gehört Korruption in dieser Form zum Regelfall und verhindert, dass die Bevölkerung vom Ressourcenreichtum profitieren kann. Plötzlich kann man auch wieder verstehen, was die ursprüng-liche Motivation dieser Initiative war, welche die -Bundesregierung in dieser Form bisher auch stets unterstützt hat. Das plötzliche Umsatteln auf das Steuer-thema durch die Grünen und die willkürliche Ausweitung, jetzt alle Branchen erfassen zu wollen, machen das Vorhaben jedoch zu einem bürokratischen Monster, welches seine ursprüngliche Intention um Längen verfehlt. Die großen internationalen Konzerne, die sich der genannten Steuervermeidungsstrategien bedienen, zu denen unter anderem Google, Apple, Starbucks, Micro-soft oder Pfizer zählen, sind bereits einer sehr genauen Aufsicht unterworfen, und die Gewinnverlagerungsverfahren sind auch kein Geheimnis. Wen Sie wirklich treffen, das ist der Mittelstand. Zahlreiche deutsche Unternehmen sind wegen ihres einzigartigen Know-hows international aktiv, aber nicht groß genug, um die von Ihnen geforderten Aufschlüsselungen für die interne Verwendung bereits aufgestellt zu haben. Hier entstehen unnötige zusätzliche Kosten, die die inter-nationale Wettbewerbsfähigkeit schmälern und der Konkurrenz neugierige Blicke in Betriebsgeheimnisse ermöglichen. Die Antragsteller gefährden damit leichtfertig Arbeitsplätze in Deutschland, an denen Familien, aber auch Steuereinnahmen hängen. Dieser Antrag ist nichts als ein wenig apologetische Kosmetik fürs Gewissen – ein moderner Ablassbrief ohne praktischen Nutzen, der am Ende die Falschen trifft. Sie schießen nicht nur meilenweit am Ziel vorbei; Sie schießen in eine komplett falsche Richtung. Das ist Ihnen aber egal, solange man sagen kann, man habe irgendetwas getan. Wir werden den Antrag daher ablehnen. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Mit ihrem Antrag wollen die Grünen Steuerumgehung von international agierenden Unternehmen eindämmen. Deshalb sollen diese verpflichtet werden, detaillierte länder- und projektbezogene Informationen offenzulegen und in ihren Geschäftsberichten und Jahresabschlüssen aufzuschlüsseln. Das betrifft zum Beispiel steuerrelevante Daten wie Umsatz, Gewinne, Verluste usw. Dies ist bisher nicht der Fall, da die international vereinbarten Rechnungslegungsstandards, IRFS, Konzerne nicht verpflichten, ihre Geschäftsberichte und Jahresabschlüsse detailliert aufzuschlüsseln. Somit bleiben konzerninterne Zahlungsflüsse sowohl den Finanzbehörden als auch der Öffentlichkeit verborgen. Dies lädt geradezu zur Steuergestaltung ein, Steuergestaltung mit dem Ziel, Steuerzahlungen zu minimieren – zulasten der anderen Unternehmen und der Allgemeinheit. Die Erweiterung der Offenlegungspflichten auf die Landes- und Projektebene, das heißt, das sogenannte Country-by-Country Reporting und das sogenannte Project-by-Project Reporting begrüßen wir. Der Vorschlag ist richtig und wichtig, und er sollte alle Branchen einbeziehen, selbstredend auch Banken, Telekommunikation und Baugewerbe. Durch die Offenlegung steuerrelevanter Daten, projekt- und länderbezogen, ist eine bessere Vergleichbarkeit und eine effektivere Kontrolle möglich. Das unterstützt die Linke. Gleichzeitig möchte ich aber auch feststellen, dass ich den im Antrag der Grünen versprühten Optimismus, mit mehr Transparenz sei Steuerumgehung beseitigt, nicht ganz teilen kann. Mehr Offenlegungspflichten sind richtig und wichtig, selbstverständlich für alle Branchen. Aber sie sind eben nur ein Teil der Lösung, wenn es um die Bekämpfung internationaler Steuervermeidungsstrategien geht. Es braucht vor allem regulatorisch ausgerichtete Maßnahmen, beispielsweise die Einführung einer Anzeigepflicht für aggressive Steuergestaltungsmodelle. Diese sollte alle Modelle umfassen, die zu einer Nichtbesteuerung, einem Steueraufschub oder einer Steueranrechnung bzw. Steuererstattung führen. Mehr Transparenz ist gut; jedoch stellen sich da mitunter auch Probleme ein. Denn Handelsbilanz und Steuerbilanz weichen immer mehr voneinander ab. Insofern führt mehr Transparenz bei der Handelsbilanz nicht automatisch zu mehr Transparenz bei der Besteuerung. Deren Vergleichbarkeit wird durch unterschiedliche Berechnungs- und Erfassungsgrundlagen sowie Begrifflichkeiten mindestens erschwert, wenn nicht sogar oftmals unmöglich. Um dies zu beheben, ist eine Vereinheitlichung bei den Bemessungsgrundlagen notwendig. Diese ist aber äußerst schwierig, wie an den langjährigen ergebnislosen Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich zur Unternehmensteuer gut zu sehen ist. Eine Vereinheitlichung im Sinne niedriger Steuersätze kann aber nicht das Ziel sein. Außerdem würde die Vereinheitlichung auch ein Einfallstor für die grenzüberschreitende Verlustverrechnung darstellen. So kann mehr Transparenz und Vereinheitlichung auch zu einer weiteren Verringerung der Besteuerung von transnationalen Konzernen führen. Das ist definitiv nicht in unserem Sinne. Kritisch stehen wir auch zur Forderung der Grünen nach einer umfassenden Einführung von Offenlegungspflichten für die Rohstoffwirtschaft auf globaler Ebene. Dies bedeutet einen Eingriff in die nationale Souveränität der Rohstoffländer und stellt daher eine gewisse Anmaßung dar. Eine Umsetzung von Offenlegungspflichten mag auf europäischer und OECD-Ebene angemessen sein. Auf globaler Ebene fehlt es aber an der notwendigen Gleichberechtigung der Rohstoffländer bei der Entscheidungsteilhabe. Wir sehen, Transparenz ist einer von vielen Bausteinen zur Bekämpfung von organisierter Steuerumgehung, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jedes Jahr entgehen den Mitgliedstaaten in der EU 1 000 Milliarden Euro an Steuereinnahmen durch Gestaltung und Betrug. Das sind unglaublich hohe Beträge, die den Staaten gerade in der aktuellen Schuldenkrise schmerzlich fehlen. EU-Steuerkommissar Semeta prangert dies an, und auch Bundesfinanzminister Schäuble und der britische Schatzkanzler George Osborne scheinen dieses Problem erkannt zu haben. Beide haben gemeinsam erklärt, das Thema anzugehen. Auch in der gestrigen Finanzausschusssitzung herrschte in den Fraktionen Einigkeit über die Pro-blemanalyse: Multinationalen Unternehmen wie Starbucks, Apple oder Google gelingt es, ihre Steuerbelastung auf ein paar Prozent zu drücken oder gleich gar keine Steuern zu zahlen. Gewinne werden in Steueroasen verschoben, dabei werden die Steuerlücken verschiedener Länder auch in der EU ausgenutzt. Seit Jahren kenne man das Problem, hieß es aus der Unionsfraktion. Ich bin sehr erfreut, dass sich bis auf die FDP, die zu diesem Punkt keine Aussagen getroffen hat, alle in dieser Analyse einig sind. Man könnte also erwarten, dass sich die Bundesregierung mit einigem Enthusiasmus seit Jahren auf die Suche nach Instrumenten begibt, die diese Steuergestaltung eindämmen. Doch stelle ich leider fest: Das ist nicht der Fall – im Gegenteil. Unser Antrag wurde im Finanzausschuss von Schwarz-Gelb abgelehnt, unter anderem mit der Begründung, man müsse erst einmal weitere Berichte auf G20-Ebene abwarten. Fakt ist: Nur dann, wenn Fälle von massiver Steuergestaltung zufällig bekannt werden – wie aktuell bei Starbucks –, wird in hektisch einberufenen Pressekonferenzen Empörung geäußert und „konsequentes Handeln“ angekündigt. Und dann? Dann passiert nichts! Denn es kommen eben nur Einzelfälle ans Tageslicht; eine allgemeine Übersicht fehlt. Die Steuerzahlungen von Unternehmen sind nicht veröffentlichungspflichtig. Wir wissen daher in der Regel nicht, welche Konzerne massiv Steuergestaltung betreiben und wie sie dabei vorgehen. Wenn die Nationalstaaten Regelungen beschließen, die die Steuergestaltung eindämmen sollen, werden flugs andere Steuergestaltungsmöglichkeiten ersonnen. Im Ergebnis müssen wir feststellen: Die Nationalstaaten verlieren das Haseund-Igel-Spiel mit den multinationalen Konzernen, wenn es um die -Steuerzahlungen geht. Die Geschwindigkeit von Regulierung und Ausweichreaktionen der Unternehmen sind einfach zu unterschiedlich: Unternehmen können rasch handeln und sind damit klar im Vorteil, die Na-tionalstaaten dagegen müssen eine gemeinsame Position in mühsamen Verhandlungen in der Zusammen-arbeit in internationalen Organisationen, wie zum Beispiel der OECD, erarbeiten und verabschieden. Deshalb ist Transparenz doppelt wichtig: Zum einen wird öffentlicher Druck auf Politik und Verwaltungen ausgeübt, und zum zweiten werden auch multinationale Unternehmen unter einen gesellschaftlichen Druck geraten, ihre Steuergestaltungen zumindest nicht ausufern zu lassen. Wer will schon ein Produkt kaufen bei einem Unternehmen, das sich vor einem angemessenen Beitrag zum Erhalt der Infrastruktur drückt? Auf EU-Ebene befindet sich die Entscheidung, projektbezogene Offenlegungspflichten für den Rohstoffbereich im Zusammenhang mit der Änderung der Transparenzrichtlinie und den Rechnungslegungsrichtlinien einzuführen, in der abschließenden Phase. Das Europäische Parlament setzt sich dabei stark für die Ausweitung der Offenlegungspflichten auf weitere Branchen ein. Dies unterstützen wir Grünen ausdrücklich. Leider hört man aus Brüssel, dass die Bundesregierung bei diesen Verhandlungen zum Thema Transparenz eher bremst und schon gar nicht die treibende Kraft ist, wenn es um die Ausweitung der Offenlegungspflichten auf alle Branchen geht. Ich möchte heute an die Bundesregierung, aber auch an alle Fraktionen im Deutschen Bundestag appellieren, sich dafür einzusetzen, dass das Zeitfenster genutzt wird, Country-by-Country Reporting verpflichtend für alle Branchen in der EU einzuführen. So entsteht öffentlicher Druck. So bekommen wir wichtige Informationen, um weitere Instrumente gegen Steuergestaltung einsetzen zu können. Nur so sind wir nicht mehr abhängig von zufälligen Aufdeckungen von -ausbleibenden Steuerzahlungen wie aktuell im Fall S-tarbucks. Es ist jetzt nicht die Zeit, weitere Berichte abzuwarten, sondern zu handeln. Herr Schäuble, setzen Sie sich an die Speerspitze für Transparenz und gegen Steuergestaltung. Bei den aktuellen Richtlinienverhandlungen auf EU-Ebene ist die Gelegenheit dazu. In Richtung der Wirtschaftsvertreter möchte ich ebenfalls eine Botschaft loswerden: Auch für Sie ist das Country-by-Country Reporting ein wichtiger Schritt hin zu einem offenen, transparenten Unternehmen. So können Sie zeigen, dass Sie durch Ihre Steuerzahlungen einen Beitrag für die Infrastruktur leisten. Die geforderten Informationen sind Standardinformationen, die zur effektiven Steuerung der Konzernaktivitäten konzernintern vorhanden sind. Die Offenlegung bedeutet daher lediglich marginale Mehrkosten. Jeder Mittelständler, der keine Möglichkeiten zu Steuergestaltung hat oder dies bewusst unterlässt, sollte ein Interesse an Transparenz haben. Denn an ihm bleibt sonst am Ende die Steuerlast hängen und damit die Finanzierung von Straßen und Schulen. Wir Grüne setzen uns für ein Country-by-Country Reporting auf europäischer Ebene für alle Branchen ein. Darunter verstehen wir neben den gezahlten Steuern auf Gewinne auch Lizenzgebühren, Förderabgaben, ausgeschüttete Gewinne, Lohnsumme, Zahl der Angestellten, Finanzierungskosten und Zahlungen an die Regierung. Über Einzelheiten der Berichtspflicht muss sicher geredet werden; aber es müssen schon tragfähige Zahlen sein, die eine Bewertung der Unternehmen zulassen. Natürlich ist es das mittelfristige Ziel, diese Transparenz auf globaler Ebene herzustellen. Aber Europa sollte da die eigene Marktmacht als größter Wirtschaftsraum der Welt nicht unterschätzen: Es würde ein enormer Druck auf andere Länder ausgeübt werden, in gleicher Weise zu informieren. Keiner hindert Deutschland daran, eine Vorreiterrolle für Transparenz einzunehmen. Wer de facto eine Führungsrolle in Europa spielt und – zu Recht! – auf seine wirtschaftliche Stärke stolz ist, der muss diese Führungsrolle auch dazu nutzen, Country-by-Country Reporting auf europäischer und globaler Ebene durchzusetzen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/11695, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/11075 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen – Drucksachen 17/11294, 17/11354 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) – Drucksache 17/11677 – Berichterstattung: Abgeordnete Josef Rief Dr. Wilhelm Priesmeier Rainer Erdel Dr. Kirsten Tackmann Friedrich Ostendorff Auch hierzu werden die Reden zu Protokoll genommen. Josef Rief (CDU/CSU): Ich freue mich, dass wir uns bei der Weiterentwicklung des Marktstrukturgesetzes innerhalb des Hauses weitgehend einig sind. Auch von der Opposition gab es im Ausschuss keine Gegenstimmen. Mit dem Agrarmarktstrukturgesetz setzen wir EU-Recht in deutsches Recht um. Das Marktstrukturgesetz, das seit 1969 in Kraft ist und unter anderem den Milchmarkt in Deutschland regelt, hat sich bewährt. Das europäische Milchpaket, das nunmehr von der EU mit Blick auf das Auslaufen der Milchquotenregelung 2015 beschlossen wurde, macht aber eine Anpassung des Strukturgesetzes notwendig. Gleichfalls werden die bisher 18 Durchführungsverordnungen zu nur noch einer verschlankt. Neben den Erzeugergemeinschaften können jetzt auch Branchenverbände anerkannt werden, die bisher vom Marktstrukturgesetz nicht erfasst wurden. Wir erhalten weiter die Möglichkeit zur Zulassung von Doppelmitgliedschaften. Diese Freiheit müssen wir den Erzeugergemeinschaften schon lassen, dass sie selbst bestimmen, ob sie ihren Mitgliedern eine weitere Mitgliedschaft ermöglichen. Dies wird auch weiter dafür sorgen, dass die Chancen für die Milch-erzeuger und die Gemeinschaften steigen. Für die Erzeuger wird es keinen höheren bürokratischen Aufwand geben. Durch die Zusammenführung zu nur noch einer Durchführungsverordnung ist ebenfalls mehr Übersichtlichkeit gewonnen. Die wettbewerbsrechtliche Klarstellung der Tätigkeitsbereiche von Erzeugerorganisationen und deren Vereinigungen ist zu begrüßen. In Zukunft gibt es klare Regelungen für Preisberichterstattung und Preisfeststellung. Damit ist in dem in Bewegung befindlichen Milchmarkt mehr Transparenz möglich. Dies hilft, den Wettbewerb zu verbessern. Die Sektoruntersuchung Milch hat gezeigt, dass kartellrechtliche Fragen nicht ausgeblendet werden dürfen. Wir verbessern durch das Agrarmarktstrukturgesetz die Chancen für Erzeuger und Verarbeiter, sich am Markt zu positionieren. Stärkere Bündelung ermöglicht auch eine bessere Verhandlungsposition gegenüber dem Handel. Dadurch erreichen wir ein höheres Marktgleichgewicht und auch eine bessere Positionierung der Erzeuger in der Wertschöpfungskette. Dass dies notwendig ist, das sieht jeder, der mit offenen Augen durchs Land fährt. International gibt es immer größere Nachfrage nach Milch und hochveredelten Produkten wie Käse. Die diesjährige Trockenheit in den USA führte zu hohen Schlachtzahlen bei Milchvieh. Weniger Kühe heißt weniger Milch, und das merken wir auf dem Weltmarkt durch steigende Preise. Wir müssen hier unseren Landwirten eine weitere Teilnahme ermöglichen. Auch wenn in Europa die Milchquote derzeit um 4,3 Prozent unterliefert wird und der Preis der Milchquote stark rückläufig ist, bieten wir den deutschen Erzeugern nach dem Ende der Milchquotenregelung 2015 neue Möglichkeiten, die durch Zusammenschluss noch besser ausgenutzt werden können. Das gilt auch für die anderen stark nachfragenden Regionen wie Asien, Afrika und Indien. Wenn in China ein Liter Verkaufsmilch teurer ist als in Deutschland, ergibt sich hier -Potenzial. Wir unterstützen die Milchbauern dabei, die sich öffnenden Märkte besser zu nutzen. Insgesamt treiben wir so die Weiterentwicklung vom ehemals staatlich reglementierten Milchpreis über die Milchquotenregelung zum Milchpaket voran. Das neue Agrarmarktstrukturgesetz setzt konsequent die Regelungen des EU-Milchpakets um und stärkt die Position von Erzeugern und Erzeugergemeinschaften. Es macht erstmals die Zulassung von Branchenverbänden möglich und stärkt die Transparenz auf dem Milchmarkt. Wir erhalten die Möglichkeit von Doppelmitgliedschaften und sichern damit den Zugang zu internationalen Märkten. Die neuen Möglichkeiten müssen Bauern, Molkereien und der Handel nun aber auch nutzen, um die Wertschöpfung für Milchprodukte und damit die Einkommen der hiesigen Bauern und aller Marktbeteiligten abzusichern. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Heute beraten wir in zweiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen. Mit diesem geplanten Gesetz wollen Sie zukünftig die staatliche Anerkennung für Agrarmarktorganisationen und deren Freistellung vom -Kartellrecht regeln. Damit setzen Sie endlich die -agrarmarktrechtlichen Regelungen des europäischen Milchpakets in Deutschland um. Nicht zuletzt soll dieses Gesetz die Marktstellung der Milchviehhalter verbessern – oder zumindest die Voraussetzungen dafür schaffen. Sicherlich bildet dieses Gesetz eine gute Grundlage für dieses Ziel. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass ein Gesetz allein nicht dazu beitragen wird, dass die Milchviehhalter eine bessere Marktstellung erhalten. Die Angebotsmenge muss zukünftig stärker gebündelt werden. Damit lässt sich Marktmacht aufbauen, um in den Preisverhandlungen entscheidenden Druck zu erzeugen, damit die Milchviehhalter am Ende bessere Preise erhalten. Dafür müssen die Erzeuger gut organisiert sein. Sie müssen einen hohen Marktanteil an der gesamten Milchmenge verhandeln dürfen. Bereits in der ersten Lesung bin ich auf die Kritik bezüglich der nun festgelegten Obergrenze der Bündelungsmenge eingegangen. Ich weise nochmals darauf hin, dass gemäß dem EU-Milchpaket die anerkannten Erzeugerorganisationen Verträge über die Lieferung von Rohmilch aushandeln dürfen, sofern die verhandelte Milchmenge unterhalb von 3,5 Prozent der EU-Milcherzeugung liegt und weniger als 33 Prozent der erzeugten Milchmenge des Mitgliedstaates ausmachen. Zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich jedoch nicht, welche Nachteile dies den deutschen Milchviehhaltern bringt. Noch lange nicht haben wir die maximal zulässige Menge erreicht. Selbstverständlich unterstütze ich alle Maßnahmen, damit der Bündelungsgrad weiter steigt. Darüber hinaus erwarten wir ja Fortschrittsberichte in den Jahren 2014 und 2018 für das bis zum Jahr 2020 laufende EU-Milchpaket. Nach diesen Fortschrittsberichten können wir gerne darüber sprechen, ob wir die erforderlichen Anpassungen der Obergrenze der Bündelungsmenge vornehmen. Bis dahin aber haben Wirtschaftsbeteiligte und Politik erst einmal ihre Hausaufgaben zu machen. Dafür ist jetzt viel Engagement der Rechtsbetroffenen und zum Beispiel auch die finanzielle Unterstützung des Staates erforderlich. Deshalb begrüße ich, dass auch in Zukunft die Bildung und der Betrieb von Erzeugerorganisationen national über die Gemeinschafts-aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ unterstützt wird. In den letzten Jahren haben wir Sozialdemokraten immer wieder mit eigenen Anträgen gefordert, dass die Haushaltsansätze für die Unterstützung von Erzeugergemeinschaften erhöht werden. Die Koalition hat diese Anträge regelmäßig abgeschmettert. Am Ende können sich die deutschen Michviehhalter bei dieser Bundesregierung bedanken; denn sie tut nichts dafür, dass das Machtgefälle zwischen Milcherzeugern und Milchabnehmern endlich deutlich besser ausbalanciert wird. Ohne starke Erzeugergemeinschaften werden die Milcherzeuger auch keine auskömmlichen Marktbedingungen gegenüber den privaten Molkereien durchsetzen. Statt regelmäßig anständige Preisverhandlungen in ihren Einzugsgebieten zu führen, schielen die Privaten heute nur auf die Auszahlungspreise der genossenschaftlichen Molkereien, um sich ihnen anzugleichen. Das hat mit Marktverhalten recht wenig zu tun, und das muss sich in Zukunft ändern. Eine aktuelle Studie des Instituts für Genossenschaftswesen der Berliner Humboldt-Universität zeigt, dass die europäischen Milcherzeuger im Durchschnitt ganz gut mit ihren Milchgenossenschaften fahren. Sie legt dar, dass genau dort hohe Auszahlungspreise gezahlt werden, wo der Marktanteil aller genossenschaftlich organisierten Molkereien am höchsten ist. Das macht Mut und gibt Ansporn, sich in diesem Bereich stärker zu engagieren. Der heute vorliegende Gesetzentwurf hat leider das Manko, dass die Durchführungsbestimmungen fehlen, die am Ende darüber entscheiden, wie diese Rahmenbedingungen genau ausgestaltet sind. Daher wird sich die SPD enthalten. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Anfang dieser Woche haben mehrere Tausend Milcherzeuger vor dem Europäischen Parlament in Brüssel für höhere Milchpreise protestiert. An diesem Ziel gibt es grundsätzlich nichts auszusetzen. Es ist bedauerlich und für die betroffenen Milcherzeuger teilweise existenzgefährdend, dass sie für ihr Qualitätsprodukt Milch kaum kostendeckende Preise erzielen können. Trotz gestiegener Produktionskosten ist es vielen Erzeugern und Molkereien nur bedingt gelungen, angemessene Verbraucherpreise und Erlöse durchzusetzen. In der Definition des Problems herrscht weitgehende Einigkeit; die Diskussion entzündet sich jetzt vielmehr an der Frage, mit welchen Instrumenten ein Ausweg gefunden werden kann. Nach langen Verhandlungen, Expertenrunden und Fachdiskussionen haben das Europäische Parlament, der Ministerrat und die Kommission im März das Milchpaket – Verordnung EU/261/2012 – beschlossen. Grundgedanke dieses Pakets war, dass einzelne Milcherzeuger gegenüber den Molkereien und letztlich dem Handel keine ausreichende Marktmacht besitzen. Sie sind daher nicht in der Lage, ihre eigenen Interessen, wie in einem funktionierenden Markt unabdingbar, gegenüber den Vertragspartnern durchzusetzen. Diese Verordnung ist ein wichtiger Schritt hin zu einem markt- und wettbewerbsorientierten Milchsektor. Die FDP setzt sich dafür ein, dass unsere Landwirte ihr Einkommen am Markt erwirtschaften können. Dafür benötigen sie eine gute Ausgangsbasis. Dazu zählt insbesondere, die Einkommensseite zu stärken. Nach unserer Ansicht sind Mengensteuerung und staatliche Interventionen nicht geeignet, den Erzeugern langfristig ausreichende Erlöse zu sichern. Die Milcherzeuger und Molkereien können am internationalisierten Markt für Milch und Milchprodukte auf Dauer nur bestehen, wenn sie hochwertige Produkte entwickeln, für die eine Nachfrage existiert. Milcherzeuger müssen eben-so wie Molkereien die neuen Möglichkeiten nutzen, die Wertschöpfung aus einem Liter Milch zu erhöhen. Dies geht nur über hochwertige und innovative Produkte, die beim Verbraucher im In- und Ausland gefragt sind. Unsere Nachbarn Italien und Frankreich zeigen uns, dass mit bekannten Spezialitäten und einer guten Marketingstrategie eine höhere Wertschöpfung möglich ist. Dann können auch höhere, befriedigende Milchpreise gezahlt werden. Das Milchpaket ermöglicht es Milcherzeugern erstmals, ihre Verhandlungsmacht zu stärken. Sie können sich zu Erzeugerorganisationen und Branchenverbänden zusammenschließen und ihr Milchangebot bündeln. Sie können für ihre Mitglieder Verträge aushandeln und erhalten eine stärkere Stellung in der Wert-schöpfungskette Milch. Das bringt sie ihrem Ziel näher, über die Vermarktung ihrer Rohmilch mit den Molkereien auf Augenhöhe zu verhandeln. Positiv sehen wir auch die Möglichkeiten, sich zukünftig grenzüberschreitend zu Erzeugergemeinschaften zusammenzufinden. Mit dem hier vorliegenden Gesetz zur Änderung -agrarmarktrechtlicher Bestimmungen werden die notwendigen Anpassungen für die Umsetzung des Milchpakets vorgenommen. Das bestehende Marktstruktur-gesetz aus dem Jahr 1969 wird an den neuen Rechtsrahmen angepasst, die national bewährten Regelungen werden weiterentwickelt. Aus liberaler Sicht ist dabei besonders die Rechtsvereinfachung sinnvoll, welche das Zusammenfassen der bisher 18 Durchführungsverordnungen in eine einzige bringt. Durch das Milchpaket wird die Konzentration auf Anbieterseite erleichtert und unterstützt. Dies ist sinnvoll und richtig. Dennoch muss der Wettbewerb in ausreichendem Maße gesichert sein; Monopole müssen ausgeschlossen bleiben. Kleine und mittlere Molkereiunternehmen sollen sich weiterhin am Markt behaupten können. Deshalb gibt die EU-Verordnung vor, dass die Angebotsbündelung nicht mehr als 33 Prozent des nationalen und 3,5 Prozent des europäischen Marktes umfassen darf. Dadurch, dass es keine generelle Vertragspflicht gibt, bleibt die unternehmerische Entscheidungsfreiheit des einzelnen Landwirtes gewährleistet. Dies ist ein wichtiges Element für einen funktionierenden Markt. Weiter gehende Forderungen innerhalb der EU, regulierend in den Markt einzugreifen, lehnt die FDP ab. Hierzu gehört etwa das geforderte Verbot von Doppelmitgliedschaften in Erzeugerorganisationen für ein und dasselbe Agrarerzeugnis. Erzeugergemeinschaften geben sich Satzungen, in denen auch die sogenannte Andienungspflicht geregelt wird. Sie dient dazu, dass eine Erzeugergemeinschaft von einem Landwirt eine möglichst große Menge des erzeugten Produktes erhält, um diese dann gebündelt vermarkten zu können. In fast allen derzeit bestehenden Erzeugergemeinschaften beträgt diese Andienungspflicht 100 Prozent des Agrarerzeugnisses. Es gibt aber bereits Ausnahmen für geringfügigen „Ab-Hof-Verkauf“. Ein Landwirt kann aufgrund seiner Zustimmung zur Satzung der Erzeugergemeinschaft nicht ein und dasselbe Produkt an mehrere Erzeugergemeinschaften liefern. Die Andienungspflicht sollte jedoch zukünftig in den Satzungen der Erzeugergemeinschaften flexibler gestaltet werden können. Ein Verbot von vornherein lässt später keine neuen Organisationsformen und keine Flexibilität der Landwirte zu. Der Markt kann dies selbst und ohne Vorgaben vom Gesetzgeber regeln. Auch die Festlegung von Mindestmengen, Mindestmarktwerten und Mindestanbauflächen sehen wir Liberale kritisch. Erzeugergemeinschaften brauchen eine bestimmte Größe, um sich auf dem Markt etablieren zu können; aber sie sind selbst dafür verantwortlich, tragende Strukturen aufzubauen. Hier ist ein weiterer Einsatz auf europäischer Ebene notwendig. Das neue Agrarmarktstrukturgesetz schafft die Voraussetzungen dafür, den Landwirt in seiner Position als Erzeuger zu stärken. Es verbessert seine Verhandlungsmacht gegenüber der Verarbeitungsebene und dem Handel. Wichtig ist, dass die Landwirte diese Chance nutzen. Statt nach staatlichem Dirigismus und Interventionen zu rufen, müssen sie sich zu schlagkräftigen Gemeinschaften verbinden und gemeinsam an hochwertigen und beim Verbraucher gefragten Produkten arbeiten. Sie können auch besser Möglichkeiten nutzen, den Verbraucherinnen und Verbrauchern ihre Leistungen und Produkte nahezubringen. Wir schaffen einen Rechtsrahmen, um es den unternehmerischen Landwirten zu ermöglichen, am Markt erfolgreich sein. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Mit der Verabschiedung des Gesetzes zu den agrarmarktrechtlichen Bestimmungen werden Regelungen des europäischen Milchpakets umgesetzt, die die Bildung von Erzeugerorganisation und Branchenverbänden erleichtern und damit die Marktposition der Milchbäuerinnen und Milchbauern verbessern sollen. Aber ob das mit den heute geschaffenen Rahmenbedingungen gelingen kann, bleibt fraglich. Die Milchquotenregelung wird 2015 beendet, die Globalisierung des Milchmarktes intensiviert sich, und im Molkereisektor sowie dem Lebensmitteleinzelhandel schreitet die Konzentration zu immer weniger immer größeren Unternehmen voran. Es ist deshalb kaum zu erwarten, dass sich die Stellung des bislang schwächsten Glieds in der Kette, den milcherzeugenden Betrieben, unter diesen Bedingungen wirklich verbessern lässt. Der Milchmarkt wird globaler, unübersichtlicher und unkalkulierbarer. Länder wie Neuseeland, Kanada oder Australien wollen ihre Milcherzeugung ausweiten, um zum Beispiel wachsende chinesische Importe bedienen zu können. Gleichzeitig versuchen aber gerade auch Länder wie China, massiv ihre eigene Erzeugung zu steigern. Dazu kommen unkalkulierbare Entwicklungen bei den Rohstoffpreisen oder Wechselkursen, die das Exportgeschäft und damit die stark exportorientierte Molkereiwirtschaft stören können. Die Exportorientierung bedeutet kein automatisches „Wachstumsmodell“, das allen zugutekommt und der Stabilisierung der Milcherzeugerpreise dient. Im Gegenteil, es funktioniert ausschließlich nach dem kapitalistischen Wettbewerbsmodell, das heißt, wer im Milchmarkt mit den geringsten Kosten produzieren kann, holt sich Marktanteile im Weltmarkt. Ökologische oder soziale Kriterien der Erzeugung spielen dabei keine Rolle. Und genau hier liegt das Problem in der Orientierung auf den Export. Solange es keine reelle Chance gibt, einen Welthandel zu organisieren, der neben fairen Handelsbeziehungen ökologische und soziale Mindeststandards in der Erzeugung sichert, ist die Außenorientierung das völlig falsche Modell, um strukturellen Überschüssen in der Milcherzeugung zu begegnen. Deswegen werden zur Lösung der andauernden Milchkrise das europäische Milchpaket und die damit verbundenen agrarmarktrechtlichen Regelungen nicht ausreichen. Entscheidender Faktor ist, ob es künftig wirksam möglich wird, auf die angebotene Milchmenge Einfluss zu nehmen. Hier liegt ein wichtiger Schlüssel zur Lösung des Milchmengenproblems, zumindest solange die angebotene Milch in Deutschland immer noch 125 Prozent des Verbrauchs ausmacht. Die Angebotssteuerung kann nicht durch den einzelnen Milchviehbetrieb erfolgen, sonder funktioniert per se nur durch Bündelung der Angebotsmenge und durch eine möglichst effektive Organisation auf der Erzeugerseite. Hierbei ist auch die Höhe des zulässigen Marktanteils an der insgesamt produzierten Menge, den eine Erzeugergemeinschaft auf sich vereinen darf, von elementarer Bedeutung. Wenn es den Erzeugern nicht gestattet wird, sich mindestens in einem gleich hohen Grad wie die abnehmenden Molkereien zu organisieren, können sie keinen entscheidenden Druck bei den Preisverhandlungen aufbauen. Eindrucksvoll bestätigt sich das durch eine aktuelle Studie des Instituts für Genossenschaftswesen der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Studie konnte zeigen, dass, je größer in einem Mitgliedsland der Europäischen Union der Anteil an genossenschaftlichen Molkereien ist, desto höher der Milchpreis für die Erzeuger ist. Wenn es also gelingt, genossenschaftliche Organisation auch auf die Produktion von Milch zu übertragen, wird ein nachhaltig tragendes Konzept für den Milchmarkt entstehen. Aber auch die Wünsche der Verbraucherinnen und Verbraucher nach regionaler, umweltverträglicher und tiergerechter Erzeugung müssen mit einbezogen werden. Dann haben die Menschen in der europäischen Milchwirtschaft auch eine Zukunftsperspektive, zum Wohle aller. Aber zurück zum Gesetzentwurf: In dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf fehlen die Durchführungsbestimmungen, und in diesen stecken wesentliche Elemente für die Bestimmung der Rahmenbedingungen. Daher ist eine realistische Beurteilung des Gesetzentwurfs in der vorliegenden Fassung unmöglich. Die Linke wird sich deshalb enthalten. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 3 000 Milchbauern haben diese Woche zwei Tage lang in Brüssel für bessere Preise und für Nachbesserungen am EU-Milchpaket demonstriert. Anders als Frau Aigner bei ähnlichen Protesten in Deutschland hat sich Agrarkommissar Ciolos dabei nicht lumpen lassen und hat das direkte Gespräch mit den Milchbäuerinnen und Milchbauern gesucht – und das nicht zum ersten Mal. Auch bei Anlässen in Deutschland, etwa der Agrarministerkonferenz in Lübeck 2010, ist der Kommissar auf die Milcherzeuger auf der Straße zugegangen, während Frau Aigner lieber im Hotel blieb. Auch politisch hat der Agrarkommissar den Bäuerinnen und Bauern weit mehr zu bieten als die deutsche Ministerin. So hat Ciolos diese Woche in Brüssel die Schwächen des EU-Milchpakets offen angesprochen und Schritte zu dessen Weiterentwicklung angekündigt. Auch der Bundesrat hat in seiner Gegenäußerung zu dem heute vorliegenden Gesetz Nachbesserungen beim EU-Milchpaket gefordert. Die Bundesregierung jedoch erklärt lediglich: „Die Bundesregierung weist darauf hin, dass das EU-Milchpaket erst 2012 in Kraft getreten ist und auf -Unionsebene breiter Konsens besteht, den lange ausgehandelten Kompromiss nicht umgehend wieder infrage zu stellen.“ Nachdem Frau Aigner lausig und ohne jedes Interesse an einer Verbesserung der Situation der Milcherzeuger das Milchpaket verhandelt hat, weigert sie sich jetzt, die offensichtlichen Schwächen des Pakets wenigstens nachträglich zu beheben. Warum tut Frau Aigner das? Oder besser gesagt: Warum tut sie nichts? Weil der Bauernverband es ihr verordnet hat. Denn während die Milchbauern bis nach Brüssel fahren, um für bessere Preise zu demonstrieren, fällt der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands ihnen in den Rücken, indem er zeitgleich erklärt, man befinde sich nicht im Jammertal, am Milchmarkt sei alles wunderbar. Den Vielfachfunktionären des Deutschen Bauernverbands in den Reihen der CDU/CSU sei gesagt: Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Ihr Bauernverband sich um die Milchbauern einen Dreck schert, Herr Dr. Born hat ihn diese Woche wieder einmal erbracht. Sie und Ihr DBV vertreten in dieser Auseinandersetzung eben nicht die Milchbäuerinnen und Milchbauern, sondern die andere Seite: die Interessen der Molkereien. So erklärt es sich auch, dass Sie mit dem ersten Entwurf dieses Gesetzes den Bauern Doppelmitgliedschaften in Erzeugergemeinschaften und Genossenschaftsmolkereien verbieten wollten. Damit wollten Sie nichts anderes als eine weitere Schwächung der Milcherzeuger zugunsten der Molkerei-industrie erreichen. – Zum Glück ist die Sache öffentlich geworden, und zum Glück gibt es im Bundesrat offenbar weniger Lobbyisten des Bauernverbands als in der Koalition. Aber noch ist die Kuh nicht vom Eis; denn entscheidend ist nun die Ausformulierung der Rechtsverordnung. Der heute vorliegende Gesetzentwurf besagt insgesamt ziemlich wenig, und wir als Bundestag werden damit genötigt, über ein Gesetz abzustimmen, dessen Umsetzungsdetails wir nicht kennen, auf die es aber ankommt. Wir werden uns daher enthalten. Wir werden aber auch sehr genau verfolgen, was am Ende in der Rechtsverordnung stehen wird. Denn die Milchbäuerinnen und Milchbauern brauchen keine zusätzlichen Steine im Weg, sondern endlich Marktbedingungen, die ihnen das Überleben ermöglichen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11677, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/11294 und 17/11354 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei zahlreichen Enthaltungen ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit Mehrheit angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Mit dem gleichen gerade schon vorgetragenen Abstimmungsergebnis ist der Gesetzentwurf angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Anerkennung und Wiedergutmachung des Leids der „Trostfrauen“ – Drucksachen 17/8789, 17/10084 – Berichterstattung: Abgeordnete Ute Granold Angelika Graf (Rosenheim) Pascal Kober Niema Movassat Volker Beck (Köln) Auch hierzu werden Reden zu Protokoll genommen. Ute Granold (CDU/CSU): Wir sprechen heute über den Antrag der Fraktion der SPD zur Anerkennung und Wiedergutmachung des Leids der „Trostfrauen“. Dabei sollten wir uns zunächst noch einmal verdeutlichen, worum es in dieser Diskussion geht: Der Begriff „Trostfrauen“ stellt eine verharmlosende Bezeichnung für eine brutale Form der Zwangsprostitution dar. Im Zweiten Weltkrieg wurden Hunderttausende Frauen und Mädchen von den japanischen Streitkräften zur Prostitution gezwungen. Der japanische Kaiser ließ damals für seine Soldaten „Troststationen“ – nichts anderes als Militärbordelle – einrichten. Damit begann für viele asiatische Frauen ein Martyrium. Das Leid, das den „Trostfrauen“ widerfahren ist, ist unermesslich. Hier war die Zwangsprostitution staatlich angeordnet und institutionalisiert. Der Antrag fordert die Bundesregierung dazu auf, die Vereinten Nationen in ihren Bemühungen zur umfassenden Umsetzung der Resolutionen 1325, 1820, 1888 und 1889 zu unterstützen. Japan soll zur Anerkennung der von seinem Militär während des Zweiten Weltkrieges an den „Trostfrauen“ verübten Menschenrechtsverletzungen als Kriegsverbrechen bewegt werden und sich bei den Überlebenden entschuldigen. Dazu gehört auch die Aufarbeitung der Geschehnisse. Die VN-Sonderberichterstatterin für -sexuelle Gewalt gegen Frauen bedarf dabei der besonderen Unterstützung. Historiker schätzen die Zahl der Opfer auf 200 000 bis 300 000. Die meisten Opfer stammen aus Korea und China, wo die japanischen Streitkräfte besonders wüteten. Die Opfer stammen weiterhin aus den anderen im Zweiten Weltkrieg von Japan besetzten Gebieten wie Indonesien, Malaysia, den Philippinen und Taiwan, aber auch aus den Niederlanden, Australien und Japan. Viele von ihnen berichteten, wie sie durch irreführende Arbeitsverträge in die Bordelle gelockt wurden. Andere wiederum wurden verschleppt oder entführt. Bei den Kriegsverbrecherprozessen wurde die Zwangsprostitution nicht thematisiert. Lange Zeit war das Verbrechen tabu; erst in den 1980er-Jahren brachen Betroffene ihr Schweigen. Schätzungen zufolge überlebten nur etwa 30 Prozent der verschleppten Mädchen und Frauen den Krieg. Die allermeisten von ihnen schämten sich, hatten Schuldgefühle und erzählten nicht einmal den engsten Familienangehörigen von ihren schrecklichen Erfahrungen. Es herrscht in Japan heute immer noch kein Konsens über Kriegsverbrechen und Schuld. Eine öffentliche Diskussion begann in den 1970er-Jahren. 1990 wurden die Geschehnisse erstmals im japanischen Parlament behandelt und 1993 von der japanischen Regierung offiziell anerkannt. Historiker hatten ein Jahr zuvor in Militärdokumenten Beweise dafür gefunden, dass die japanische Armee an der Zwangsrekrutierung der Frauen für die Kriegsbordelle beteiligt war. Die japanische Regierung hat sich seitdem mehrfach für die Verwicklung der Armee in diese Taten entschuldigt. In einem weiteren Bericht im August 1993 räumte sie ebenfalls Verflechtungen der japanischen Streitkräfte in dieses Netz ein. Die Beweise drängten die Regierung auch dazu, dieses Kapitel der Kriegsgeschichte 1994 in die Schulbücher aufzunehmen. Allerdings hat in den vergangenen Jahren eine Gruppe von Politikern erfolgreich -darum gekämpft, alle Hinweise auf das Verbrechen wieder aus den Büchern zu entfernen. 1996 gaben die Vereinten Nationen bekannt, dass die Handlungen der japanischen Armee in den besetzten Gebieten in den 1930er- und 1940er-Jahren als Kriegsverbrechen zu bewerten seien. Im Februar 1997 veröffentlichte der VN-Sonderberichterstatter zur Gewalt gegen Frauen einen Bericht, in dem er die japanische Regierung auf ihre Verantwortung gegenüber den damaligen Zwangsprostituierten hinwies. Die Regierung in Tokio wurde aufgefordert, die moralische und rechtliche Verantwortung für die an den Frauen verübten Menschenrechtsverletzungen zu übernehmen, sich bei ihnen offiziell zu entschuldigen, sie finanziell zu entschädigen und diejenigen vor Gericht zu stellen, die Frauen zwangsrekrutiert und misshandelt hatten. Das Leid dieser Frauen ist kaum zu beschreiben. Viele starben an den Folgen von Krankheit, Folter und Hunger oder durch Erschöpfung. Diejenigen, die diese Hölle der Zwangsbordelle überlebt haben, überstanden häufig ein Weiterleben nicht: Sie fühlten sich voller Scham und Schande und nahmen sich selbst das -Leben. Die Angehörigen der Toten und insbesondere die Überlebenden brauchen unser Mitgefühl. Die Menschenrechtsverletzungen an den „Trostfrauen“ sind allerdings mit Entschädigungszahlungen alleine in keiner Weise zu heilen. Die Aufarbeitung, die in Japan inzwischen begonnen hat, muss ohne auswärtigen Druck innerhalb der japanischen Gesellschaft erfolgen. Auf internationaler Ebene wurde sexuelle Gewalt gegen Frauen im Krieg immer wieder behandelt. Bei der VN-Menschenrechtskonferenz 1993 in Wien und der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking wurde das Thema aufgegriffen. Erst seit Juni 2008 ist allerdings die Vergewaltigung in militärischen Konflikten von den Vereinten Nationen offiziell als Kriegsverbrechen eingestuft. Doch nur selten gibt es über den massenhaften Missbrauch genaue Informationen. Systematische Vergewaltigung von Frauen in bewaffneten Konflikten ist ein Verbrechen, das in dieser Form auch heute noch hochaktuell ist; sprechen wir nur das Beispiel Ostkongo an. Weltweit wurde und wird noch das Mittel der Vergewaltigung als Kriegsmittel eingesetzt. Sexuelle Gewalt gegen Frauen nahm in den Kriegen des 20. Jahrhunderts erschreckende Ausmaße an. Dabei sollten wir nicht nur nach Asien schauen: Während des Zweiten Weltkrieges und unmittelbar danach wurden unzählige Frauen und Mädchen in Europa Opfer von systematischen Vergewaltigungen. In den 1990er-Jahren mussten wir auf dem Balkan fassungslos beobachten, dass diese Pest der Kriegsführung immer noch vorhanden ist. Afrika ist heute ein negatives Beispiel dafür, was sich auf diesem Felde abspielt. Damit trifft man die Menschen, aber auch die Seele eines jeden Volkes. Angesichts dieser Tatsachen verwundert es schon, dass sich der Antrag der SPD nur mit Japan beschäftigt. Bisher hat man sich, vor allem wenn es um Vergewaltigung und Massenvergewaltigung von Frauen -gehandelt hat, mit Afrika befasst. In dortigen bewaffneten Konflikten ist dieses Thema sehr aktuell. Es geht hierbei um ein generelles Thema und nicht um eine spezifisch japanische Angelegenheit. Mahnungen allein an Japan sind fragwürdig, solange man die Augen davor verschließt, in welchen unvorstellbaren Dimensionen auf unserem europäischen Kontinent Massenvergewaltigungen als Mittel der Politik und der Kriegsführung im 20. Jahrhundert eingesetzt worden sind. Nichts davon ist aufgearbeitet. Gegenwärtig werden wir auch mitten in Europa mit solchen Problemen konfrontiert. Wir sollten uns darüber klarwerden, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen nicht nur in Konflikten an der Peripherie Europas und in benachbarten Kontinenten anzutreffen ist. Ganz besonders nach dem Beginn des jugoslawischen Bürgerkriegs und dem Zusammenbruch des Ostblocks Anfang der 1990er-Jahre entbrannte in Europa der organisierte Menschenhandel. In der EU werden jedes Jahr schätzungsweise 200 000 Zwangsprostituierte durch Menschenhändler an Zuhälter verkauft. Rechtsstaatliche Maßnahmen dagegen verschwimmen meist im Dschungel aus Bürokratie, Korruption und Angst auf der Opferseite. Weitere Probleme für die Strafverfolgungsbehörden sind der hohe Organisa-tionsgrad und die Professionalität der Täter. Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der weiblichen Zwangsprostituierten in Europa auf 500 000. Der Sklavenhandel soll dabei einen Umsatz von 10 Milliarden US-Dollar gemacht haben. Zu fragen ist daher, weswegen der Antrag nur die Verbrechen an den „Trostfrauen“ aufgreift und aktuelle wie auch historische Entwicklungen in anderen Ländern außer Acht lässt. Die Beschränkung des Antrages auf ein konkretes historisches Verbrechen relativiert das Leid der anderen Opfer. Das kann nicht in unserem Sinne sein. Vor diesem Hintergrund ist es wenig hilfreich, Japan von außen zu einer Veränderung seiner offiziellen Regierungsposition bewegen zu wollen. Gerade wir Deutschen haben doch gezeigt, dass eine ernstgemeinte Aussöhnungs- und Aufarbeitungskultur im eigenen Land stärker zur Vergangenheitsbewältigung und zur Verständigung mit den Nachbarstaaten führt als Mahnungen aus dem Ausland. Die Forderungen des vorliegenden Antrags sind in der Sache nicht hilfreich und sind daher abzulehnen. Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Vergangenen Sonntag, am 25. November, haben wir den Internationalen Tag „Nein zu Gewalt an Frauen“ begangen. Dieser jährliche Gedenk- und Aktionstag soll auf Diskriminierung und Gewalt jeder Form gegenüber Frauen aufmerksam machen. Er soll uns daran erinnern, dass Gewalt an Frauen viele Gesichter hat und dass Gewalt vor Grenzen keinen Halt macht. Jede dritte Frau wird einmal in ihrem Leben geschlagen, vergewaltigt oder anderweitig missbraucht, so die erschreckende Erkenntnis einer Studie der UN. Wir müssen jedoch darauf achten, dass Frauen nicht nur in die Opferrolle gedrängt werden: Ihr Gestaltungspotenzial in Friedensprozessen ist wichtig, und sie sind häufig Garanten für nachhaltige positive Entwicklungsprozesse. Darauf weist die UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ zu Recht hin. Deshalb ist es Aufgabe unserer Menschenrechtspolitik, Frauen weltweit in ihren Rechten zu stärken, ihnen dadurch mehr Selbstwertgefühl zu geben und sie für die Auseinandersetzungen um ihre Stellung in der Gesellschaft fit zu machen. Unser Engagement soll dazu beitragen, dass mit mehr Bildung und eigenständiger Verantwortung auch das Selbstbewusstsein der Frauen steigt. Genauso ist es unsere Aufgabe, Frauen aktiv zu ihrem Recht zu verhelfen. Das bedeutet, auf Frauenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen und Frauen in ihren Forderungen nach Anerkennung und Wiedergutmachung zu unterstützen. Denn nichts untergräbt den Selbstbehauptungswillen und das Selbstvertrauen der Frauen, die Opfer geworden sind, so wie die Straflosigkeit und Nichtanerkennung ihres Leides. Um genau solche Frauen geht es in unserem Antrag. „Trostfrauen“ nannten die Japaner die Zwangsprostituierten, die von japanischen Soldaten und Geschäftsleuten zwischen 1937 und 1945 in der Zeit an der Front im asiatisch-pazifischen Krieg missbraucht wurden. Geschätzt 200 000 Frauen und junge Mädchen, unter ihnen viele Kinder, aus Korea, China und anderen Ländern wurden in Bordelle verschleppt. Damit die Soldaten nicht wahllos Frauen aus den Dörfern vergewaltigten, richtete das japanische Militär Tausende solcher „Troststationen“ in seinen besetzten Gebieten ein. Sie sollten den Kampfgeist der japanischen Soldaten steigern. Doch eigentlich war es sexuelle Sklaverei. „Trostfrauen“ – ein schönes, friedliches Wort für eine schrecklich grausame Sache. Dass Frauen in Kriegen vergewaltigt werden, das hat es schon immer gegeben. Doch hier wurde die Zwangsprostitution – ähnlich wie die durch die SS angeordnete Zwangsprostitution in den Konzentrationslagern im Dritten Reich – staatlich bestimmt und -institutionalisiert. Eine Pervertierung der Kriegsverbrechen! Übrigens wurde auch das Leid der KZ-Zwangsprostituierten nach dem Krieg nie anerkannt. Feldärzte untersuchten die „Trostfrauen“ regelmäßig auf Geschlechtskrankheiten – alles zum „Schutz“ der Truppe. Für die „Trostfrauen“ war es Vergewaltigung. Nach der Niederlage wurden sie wie Kriegsgegenstände in den Bordellen zurückgelassen. Nur jede vierte „Trostfrau“ überlebte das Martyrium und den Krieg. Aus Scham vor der eigenen Familie, aus Scham vor der Gesellschaft bewahrten sie ihr Geheimnis für viele Jahre, teilweise bis in den Tod, für sich. Fast fünfzig Jahre Einsamkeit! Heute sind noch etwa 100 von ihnen am Leben. Und noch immer müssen sie um Anerkennung kämpfen. Mit diesem Antrag bieten wir die Möglichkeit, den verbliebenen Frauen eine Stimme zu verleihen und ihnen dazu zu verhelfen, ihre Würde wiederzuerlangen. 1997 veröffentlichte der UN-Sonderberichterstatter zur Gewalt gegen Frauen einen Bericht, in dem er über 50 Jahre nach Kriegsende die japanische Regierung auf ihre Verantwortung gegenüber den „Trostfrauen“ hinwies. Japan wurde aufgefordert, die moralische wie rechtliche Verantwortung für die an den Frauen verübten Menschenrechtsverletzungen zu übernehmen, sich bei ihnen zu entschuldigen, sie finanziell zu entschädigen und diejenigen vor Gericht zu stellen, die diese Frauen zwangsrekrutiert und misshandelt hatten. Japans Regierung kritisierte den Bericht scharf und zeigte sich wenig einsichtig. Seit 20 Jahren kämpfen die Betroffenen nun schon um ihre Würde – seit 20 Jahren protestieren die Frauen für ihre Rehabilitierung. Über tausend Mal standen sie mittlerweile vor der japanischen Botschaft in Seoul. Aber die japanische Regierung vertritt die Meinung, dass mit dem 1965 mit Südkorea abgeschlossenen Reparationsabkommen sämtliche Ansprüche abgegolten seien. Von der Zwangsprostitution ist in dem Vertrag allerdings nirgends die Rede. Viele der Frauen, die 1992 zum ersten Mal das Schweigen brachen, sind inzwischen gestorben. Die Überlebenden sind mittlerweile alle weit über 80 Jahre alt. Doch bis heute weigert sich die japanische Regierung, die Verantwortung offiziell zu übernehmen. Es scheint, dass Japan auf eine „biologische Lösung“ des „Problems“ setzt. Daher fordern wir die Bundesregierung auf, auf Japan einzuwirken, sich offiziell bei den Opfern zu entschuldigen und die Menschenrechtsverletzungen als Kriegsverbrechen zuzugeben. Außerdem fordern wir von der Bundesregierung, die Bemühungen der UN für Geschlechtergerechtigkeit umfassend zu unterstützen und auch auf diesem Wege den Frauen zu ihrem Recht zu verhelfen. Verehrte Frau Steinbach, Sie sprachen bei der ersten Lesung gegen unseren Antrag. Sie fanden eine -Fokussierung auf Japan „unanständig“ und grenzwertig, in anderen Ländern habe es im Zweiten Weltkrieg auch Massenvergewaltigungen gegeben, und außerdem müsse man die aktuelle Lage Japans nach der Erdbebenkatastrophe bedenken. Ich denke, eine schreckliche Naturkatastrophe im Jahr 2011 kann keine Rechtfertigung für das Verschweigen von Kriegsverbrechen von vor 70 Jahren sein. Ist es nicht genau Ziel eines Antrages, zwar die ganze Welt im Blick zu haben, aber auch das Augenmerk auf eine bestimmte Menschenrechtsverletzung zu richten und diese detailliert zu betrachten, auch um dem Individuum und seiner Geschichte gerecht zu werden? Mit den von Ihnen vorgetragenen Argumenten können Sie natürlich jeden Antrag ablehnen und lächerlich machen. Sicherlich kann man auch auf andere Massenvergewaltigungen im Zweiten Weltkrieg hinweisen. Unser Antrag macht den Anfang. Wenn Sie einen Antrag zu den Massenvergewaltigungen unter Stalins Roter Armee schreiben, können Sie sich unserer Unterstützung sicher sein. Sie sollten dabei allerdings nicht vergessen, dass sich auch die französische Armee bei Stuttgart und Pforzheim brutal an Frauen vergangen hat und dass auch die deutsche Wehrmacht etwa 500 Bordelle betrieben hat, in denen Russinnen, Französinnen und Jüdinnen als Zwangsprostituierte arbeiten mussten. Ich empfehle Ihnen sehr, die Publikationen der Historikerin Dr. Birgit Beck-Heppner zu lesen. Pascal Kober (FDP): Schätzungsweise 200 000 Mädchen und Frauen wurden im Zweiten Weltkrieg in den von Japan besetzten Gebieten zur Prostitution für die Armee gezwungen, teils mit falschen Versprechungen angeworben, größtenteils aber entführt und verschleppt. In den besetzten Gebieten entstand so eines der größten historisch bekannten und systematisch aufgebauten Netzwerke von Zwangsprostitution. Das schreckliche Schicksal und Leid, das die „Trostfrauen“ erleiden mussten, ist unermesslich und unbestritten. Genauso wie die Schuldfrage. Viele von denjenigen, die die Gefangenschaft und Zwangsprostitution überlebt haben, starben später an den Folgen oder nahmen sich selbst das Leben. Die Menschenrechtsverletzungen, die hier ausgeübt wurden, sind mit Entschädigungszahlungen in keinster Weise wiedergutzumachen. Leider wurde und wird weltweit auch heute noch -sexuelle Gewalt gegen Frauen als Kriegsmittel eingesetzt. Damit werden die Opfer traumatisiert. Man trifft nicht nur die Menschen selbst, sondern auch das Volk. Dass Frauen in Kriegen vergewaltigt werden, hat es leider zu allen Zeiten gegeben und gibt es heute noch. In Japan fand jedoch noch eine besondere Form dieser Kriegsverbrechen statt, indem die Zwangsprostitution staatlich angeordnet und institutionalisiert war. In Japan begann eine Diskussion über dieses Thema in den 1970er-Jahren. In Südkorea meldeten sich ab Ende der 1980er-Jahre erstmals ehemalige Zwangsprostituierte in der Öffentlichkeit zu Wort, und 1992 begannen sie, jeden Mittwoch vor der japanischen Bot-schaft in Seoul zu protestieren. 1995 wurde der Asian Women’s Fund eingerichtet. Die Regierung betonte jedoch, Zahlungen aus diesem Fonds – 360 ehemalige Zwangsprostituierte erhielten Geld – seien für „medizinische Unterstützung und Sozialhilfe“, nicht als Entschädigung gedacht. Die Zahlung war allerdings nur von einer inoffiziellen schriftlichen Entschuldigung des Premierministers begleitet. Viele Betroffene erwarten hingegen eine direkte Entschuldigung und Entschädigung durch den Staat. Die japanische Regierung vertritt jedoch den Standpunkt, dass das Problem mit den Friedensverträgen nach dem Zweiten Weltkrieg gelöst worden sei. Die japanische Regierung hat auch nicht die Absicht, erneut Gespräche mit der Regierung in Seoul zu führen, und hält sämtliche Ansprüche mit dem Reparationsabkommen von 1965 für abgegolten. Dies ist in dem Zusammenhang zu sehen, dass es in Japan starke Kräfte gibt, die Japans Verantwortung für diese Verbrechen leugnen, wie überhaupt die Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs in Japan sich sehr von jener in der Bundesre-publik Deutschland unterscheidet. Siehe auch die Äußerung des japanischen Premierministers Abe im Jahr 2007, der sagte: „Es gibt keinen Beweis dafür, dass Zwang auf Frauen ausgeübt wurde, wie es zunächst geheißen hatte.“ Eine Behauptung, die er allerdings nach Protesten aus den ehemaligen besetzten Staaten Südostasiens zurücknahm. Massenvergewaltigungen in Kriegsgebieten auf der ganzen Welt sind noch nicht richtig aufgearbeitet. Allein Mahnungen an Japan zu stellen, ist unzureichend, weil damit alle anderen Länder, in denen genau das Gleiche geschehen ist oder geschieht, ausgeklammert werden. Die FDP-Fraktion lehnt den Antrag unter anderem auch deshalb ab, weil er sich allein auf Japan beschränkt. Das Thema ist richtig und wichtig, aber es sollte uns um das Leid aller Frauen und Mädchen gehen. Der Antrag ist nicht falsch, aber wir halten es für schwierig, angesichts der Empfindlichkeit, mit der die japanische Seite gerade auf dieses Thema reagiert, Forderungen von außen zu erheben. Wie empfindlich die japanische Regierung reagiert, zeigt ein Ereignis vom Juli dieses Jahres. Eine koreanische Zeitung berichtete unter Berufung auf eine diplomatische Quelle in Seoul, Außenministerin Hillary Clinton habe während eines Informationsgesprächs über die japanische Besetzung Koreas einen Beamten ihres Ministeriums korrigiert, als dieser bei der Behandlung des Problems von „comfort women“ gesprochen hatte. Clinton bemerkte, es sei eher zutreffend, von „enforced sex slaves“ zu sprechen. Auf diesen Zeitungsbericht hin drückte die japanische Regierung ihre Bedenken aus; der Außenminister sagte, Japan werde das US-Außenministerium um Klarstellung der Clinton zugeschriebenen Bemerkung bitten. Die Aufarbeitung muss in der japanischen Gesellschaft selbst erfolgen. Daher meine ich, dass leise Töne hier mehr bewirken können, und halte es für den besseren Weg im Umgang mit diesem Problem, in bilateralen Gesprächen auf die japanische Seite einzuwirken. Es wäre ein Thema, das man in die deutsch-japanische Parlamentariergruppe einbringen sollte. Die FDP-Fraktion ist der Ansicht, dass der Antrag gut gemeint ist, aber im Hinblick auf die oben genannten japanischen Befindlichkeiten eher kontraproduktiv wirken wird. Daher lehnen wir den Antrag ab. Annette Groth (DIE LINKE): Das skandalöse Verhalten der Mehrheit des japanischen Parlaments und der japanischen Regierung gegenüber dem Schicksal der zwangsprostituierten Mädchen und jungen Frauen, die im Zweiten Weltkrieg massenhaft von Mitgliedern der japanischen Armee vergewaltigt wurden, ist leider ein typisches Beispiel dafür, wie Staaten mit Unrecht und Verbrechen der Vergangenheit umgehen. Die Fraktion Die Linke unterstützt den Antrag der SPD und fordert die Bundesregierung auf, sich bei der japanischen Regierung dafür einzusetzen, dass die vom japanischen Militär an den „Trostfrauen“ verübten Massenvergewaltigungen als Kriegsverbrechen und sexuelle Sklaverei eingestuft werden. Ausdrücklich erwartet die Fraktion Die Linke, dass sich die Regierung von Japan bei den Überlebenden und deren Angehörigen offiziell entschuldigt. Das Verhalten der japanischen Regierung ist jedoch leider kein Einzelfall. Die Diskussion über die Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama durch die deutschen Schutztruppen und die berechtigten Forderungen der Nachkommen der Ermordeten nach einer Entschädigung werden von der deutschen Bundesregierung seit vielen Jahrzehnten abgewiesen. Und auch die Forderungen von italienischen und griechischen Gemeinden nach Entschädigung für die systematische Ermordung ihrer Bevölkerung in der Zeit des Faschismus werden von der Bundesregierung über Jahre hinweg nicht akzeptiert und gerichtlich bekämpft. Deshalb sollte bei der Debatte um die „Trostfrauen“ auch ein klarer Appell an die Bundesregierung gerichtet werden: Deutschland muss sich ebenfalls seiner kolonialen und faschistischen Vergangenheit stellen und Verantwortung für die Opfer und ihre Nachfahren übernehmen. Wir erwarten deshalb von der SPD auch ein klares Bekenntnis dazu, dass sie die Zeit ihrer Regierungsverantwortung kritisch aufarbeitet und sich für eine schnelle und unbürokratische Lösung für Opfer der Verbrechen Deutschlands einsetzt. Der Umgang der japanischen Armee mit den Frauen, die damals zwangsprostituiert wurden, ist ein Beispiel für die Entmenschlichung durch Kriege und ihre Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Für ein möglichst „problemloses Funktionieren“ der Kriegsmaschinerie wurden junge Frauen aus Korea, China, Taiwan, Burma/Myanmar, Malaysia, Vietnam, den -Philippinen, Niederländisch-Indien, Portugiesisch-Timor und Indonesien zu Prostitution gezwungen. Offizielle „Begründung“ dieser menschenverachtenden sexuellen Ausbeutung der Frauen war, dass der „Kampfgeist der japanischen Soldaten gesteigert, sie vor Geschlechtskrankheiten geschützt und Massenvergewaltigungen von Soldaten an die übrigen Frauen verhindert“ werden sollten. Dieses völkerrechtsverletzende Unrecht wurde von den Militärs und den japanischen Nachfolgeregierungen viele Jahrzehnte geleugnet und damit den Opfern zusätzliches Unrecht getan. Heute geht man davon aus, dass alleine aus Korea 200 000 Mädchen und junge Frauen in die Zwangsprostitution entführt wurden. Durch sexuelle Ausbeutung wurden die jungen Mädchen dafür missbraucht, die Soldaten für die Kriegszwecke Japans einsatzbereit zu halten. Ein Unrechtsbewusstsein bei den Militärs und den späteren japanischen Regierungen gab es nicht. Vielmehr wurde versucht, geschichtliche Tatsachen zu verdrehen. Die bewusste Verbreitung von Lügen über die betroffenen Frauen war ein Beispiel dafür, diese Verbrechen zu vertuschen. Die Zwangsprostitution war für die betroffenen Frauen traumatisch. Keine von ihnen erhielt nach dem Krieg Hilfe vom Täterstaat. Der japanische Staat verweigerte über Jahrzehnte den Angehörigen der verstorbenen Frauen eine Entschuldigung oder gar eine Entschädigung. Von den betroffenen Frauen haben nur etwa 30 Prozent ihr Martyrium überlebt. Viele begingen Selbstmord, viele wurden durch die Militärs ermordet und körperlich zerstört. Viele Frauen wurden, wenn eine Geschlechtskrankheit bei ihnen festgestellt wurde, einfach ermordet. Nach dem Krieg wurden die betroffenen Frauen stigmatisiert. Die Prostitution, in die sie gezwungen wurden, war ein gesellschaftliches Tabuthema und wurde als Schande für die betroffenen Frauen angesehen. So wurden die Frauen gezwungen, über ihre Misshandlungen zu schweigen, um in ihren Heimatländern nicht stigmatisiert zu werden. Deshalb begingen viele Frauen nach ihrer Befreiung Selbstmord, weil sie mit dieser gesellschaftlichen Stigmatisierung oder der „Schande“ nicht leben konnten. Die Fraktion Die Linke möchte den mutigen Frauen, die dieses Unrecht endlich angesprochen haben, danken, allen voran der Südkoreanerin Kim Hak Soon, die mit ihrem mutigen Einsatz diese Ungerechtigkeit öffentlich gemacht hat. Durch sie wurde eine gesellschaftliche Aufarbeitung dieses Völkerrechtsverbrechens erst möglich. Völlig inakzeptabel ist, dass bereits 14-mal im japanischen Parlament ein Antrag zur Entschuldigung und Entschädigung für die „Trostfrauen“ abgelehnt wurde. Dank gilt den Fraktionen der Kommunistischen Partei, der Demokratischen Partei, der Sozialdemokratischen Partei und den beteiligten Parteilosen, die im Jahr 2008 wieder einen solchen Antrag eingebracht hatten, der von der Mehrheit abgelehnt wurde. Es ist nicht akzeptabel, dass sich die japanische Regierung weigert, Entschädigungen für die Opfer zu leisten, und mit dem von der Wirtschaft finanzierten Asian Women’s Fund versucht, von der eigenen Verantwortung abzulenken. Auch die Vereinten Nationen haben bereits 1998 festgestellt, dass die Regierung von Japan völkerrechtlich zur Entschädigung der Opfer verpflichtet ist. Dabei drängt die Zeit, da die Frauen heute alle schon in einem sehr hohen Alter sind. Sexualisierte Gewalt im Zusammenhang mit Mili-täreinsätzen wird nach wie vor häufig verschwiegen. Hier muss die gesellschaftliche und politische Aufarbeitung deutlich vorangebracht werden. Weltweit werden die Opfer stigmatisiert, und noch immer fehlt es an einer umfassenden Sanktionierung dieser Gewalt. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, die systematische Massenvergewaltigung von Frauen durch Militärs mehr als bisher in den Fokus ihrer Menschenrechtsarbeit zu holen und sich für ein internationales Schutz- und vor allem auch Sanktionsregime einzusetzen, das den Opfern hilft und die Täter endlich wirksam bestrafen kann. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Wir kämpfen weiter darum, jeden Tag zu überstehen, um unsere zertretene Ehre wiederzuerlangen. Das kann nur durch die Öffnung aller Archive, durch eine offizielle Entschuldigung und Entschädigung entstehen.“ Mit diesen Worten hatte sich Won-Ok Gil, eine damals 83-jährige Koreanerin, im Februar 2010 an die japanische Regierung gewandt. Won-Ok Gils Brief an den japanischen Außenminister wurde damals von den 86 noch lebenden koreanischen Frauen unterzeichnet. Sie teilten Frau Gils Schicksal, ihre Verletzungen und Traumatisierungen, ihre Wut, ihre Missachtung und das erlittene Unrecht. Sie alle waren Sexsklavinnen in japanischen Bordellen im Zweiten Weltkrieg – und wurden „Trostfrauen“ genannt. Schon der Begriff „Trostfrauen“ ist eine infame Verschleierung. Aber noch viel schlimmer ist, dass bis heute vonseiten der japanischen Regierung das Rückgrat fehlt, diese Verbrechen anzuerkennen und sich angemessen dazu zu verhalten. Bis heute dauern Ignoranz, Vertuschung und Verdrängung an. Über 200 000 Mädchen und Frauen – genaue Zahlen gibt es nicht – wurden in japanischen Kriegsbordellen der Armee oder in Betrieben zur Prostitution gezwungen. Manche von ihnen wurden durch falsche Arbeitsverträge in die Bordelle gelockt, andere wurden entführt oder verschleppt. Die jüngsten von ihnen elf, zwölf Jahre alt. Ein Großteil dieser Frauen und Mädchen haben die Zwangsprostitution nicht überlebt. Vermutlich 70 Prozent der zwangsprostituierten und versklavten Frauen und Mädchen sind aufgrund der massiven sexuellen Gewalt gestorben, wurden exekutiert oder haben Selbstmord begangen. Die Überlebenden dieses Martyriums sind zurückgekehrt mit unvorstellbaren seelischen und körperlichen Leiden. Lange hat es gedauert, bis im Jahr 1991 die erste Frau, die Südkoreanerin Kim Hak Soon, öffentlich über ihre traumatischen Erlebnisse sprach. Durch ihren Mut hat sie einen wichtigen Schritt der Befreiung gemacht; ihrem Beispiel folgten mehrere Hundert Frauen. Die öffentliche Reaktion Japans jedoch war und ist beschämend und ein Schlag ins Gesicht jeder einzelnen noch lebenden Frau, die in den Kriegsbordellen zur Prostitution gezwungen wurde. Noch immer hat Japan die Empfehlungen der Vereinten Nationen nicht umgesetzt, hat weder die Opfer entschädigt noch die Verantwortlichen bestraft. Dazu fordern Sie, Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, in Ihrem Antrag auf, und dem stimmen wir zu. Denn die Zeit, um den noch lebenden Frauen zumindest ein Stück Anerkennung zu geben, rennt davon. Die politische, gesellschaftliche und juristische Aufarbeitung, die dafür notwendige Veröffentlichung der zum Teil immer noch verschlossenen Dokumente und die von den „Trostfrauen“-Verbänden eingeforderte offizielle Entschuldigung sind mehr als überfällig. Die Ablehnung des Antrags in den Ausschüssen durch die Koalitionsfraktionen finde ich beschämend. Aber sie ist konsequent in der frauenpolitischen Konzeptlosigkeit von Schwarz-Gelb. Eine Forderung im vorliegenden SPD-Antrag bezieht sich auch auf die relevanten UN-Resolutionen und fordert deren Unterstützung durch die Bundesregierung ein: Resolution 1325 zur Schlüsselrolle von Frauen bei gewalttätigen Konflikten und beim Friedensaufbau; Resolution 1820 zu sexueller Gewalt als Kriegsverbrechen und Gefahr für Frieden und Sicherheit; Resolution 1888 zur Präzisierung bisheriger Forderungen, Sonderberichterstatter und Sanktionsmöglichkeiten und Resolution 1889 zur Rolle von Frauen in friedensstabilisierenden Maßnahmen in Postkonfliktsituationen. In all diesen Bereichen zeichnet sich Schwarz-Gelb durch Drückebergerei und ein fehlendes Konzept aus. Aktuellstes Beispiel: der nationale Aktionsplan zur UN-Resolution 1325. Von uns schon lange eingefordert, von der Bundesregierung lange verschleppt. Der Entwurf des Aktionsplans liegt jetzt vor; er soll noch im Dezember vom Kabinett beschlossen werden. Mitte Oktober haben wir einen Antrag dazu im Plenum debattiert. Da traten die Widersprüche innerhalb der Koalition offen zutage. Während Sie, lieber Kollege Jüttner, die Meinung vertreten haben, dass ein nationaler Aktionsplan nicht erforderlich sei und „gegenüber dem bestehenden deutschen Engagement für die Umsetzung der Resolution 1325 keinen entscheidenden Mehrwert bedeuten“ würde, hat Kollege Djir-Sarai von der FDP berichtet, dass der nationale Aktionsplan von der Bundesregierung bereits erarbeitet würde, und betont, dass dieser deutsche Aktionsplan jetzt richtig gut werden müsse. Das ist mehr als peinlich; da haben Sie die Beliebigkeit Ihrer Argumente offenbart. Im Hinblick auf den vorliegenden Antrag zeigen wir uns solidarisch mit diesen Frauen, mit ihrem Leid, der erfahrenen Scham und Ungerechtigkeit. Frauenorganisationen weltweit versuchen, Japan dazu zu bewegen, diesen Frauen und Mädchen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und Entschädigungszahlungen zu leisten. Und erst vor zweieinhalb Wochen haben mehrere japanische NGOs die Regierung in Tokio erneut dazu aufgerufen, sich bei den ehemaligen Zwangsprostituierten zu entschuldigen und ihnen eine Entschädigung zukommen zu lassen. Das unterstützen wir. Denn das Schicksal dieser Mädchen und Frauen ist ein weiteres erschütterndes Beispiel dafür, welchen Gefahren Frauen und Mädchen in Kriegen und Konflikten von der Vergangenheit bis heute ausgesetzt sind. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10084, den Antrag der SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/8789 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist von der Koalition gegen die Stimmen der Opposition mit Mehrheit angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes – Drucksache 17/11317 – – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes – Drucksache 17/10087 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/11699 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Geis Ansgar Heveling Burkhard Lischka Stephan Thomae Halina Wawzyniak Jerzy Montag Interfraktionell wird vorgeschlagen, auch hier die Reden zu Protokoll zu nehmen.12 Wir kommen gleich zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/11699 – die Sie sicher alle zur Hand haben –, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/11317 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit wiederum mit einzelnen Enthaltungen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der gerade beschlossenen Ausschussfassung zustimmen möchte, den bitte ich, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11699, den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/10087 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Dr. Hans-Peter Bartels, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Schutz vor Schiffsunfällen beim Bau der Fehmarnbelt-Querung sicherstellen – Drucksache 17/11365 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Leider werden alle dazu vorbereiteten Reden nicht vorgetragen. Die Reden sind aber im Protokoll nachzulesen. (Torsten Staffeldt [FDP]: Wenn Sie möchten, kann ich reden! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wäre da, Herr Präsident! Aber ich verzichte! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir hätten auch einen, der reden könnte!) – Es gibt ja auch noch die Möglichkeit, durch individuelle Vorträge nach Abschluss der Sitzung einem massiven Informationsbedürfnis gerecht zu werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gero Storjohann (CDU/CSU): Der von der SPD-Fraktion vorgelegte Antrag zur Sicherstellung des Schutzes vor Schiffsunfällen beim Bau der Fehmarnbelt-Querung zeigt eines ganz deutlich: In der Bevölkerung und im Parlament überwiegt die Zustimmung zur festen Querung über den Fehmarnbelt. Wir sind inzwischen so weit in der Akzeptanz dieses großen und wichtigen Bauvorhabens, dass wir über Details beim Bau des Absenktunnels reden, nicht mehr über die Frage, ob der Tunnel gebaut werden soll oder nicht. Seitens der SPD habe ich auch nichts anderes erwartet; schließlich hat der damalige Verkehrsminister Tiefensee 2008 den Staatsvertrag zwischen Deutschland und Dänemark über den Bau einer festen Fehmarnbelt-Querung unterzeichnet. Anschließend haben Bundestag und Bundesrat dem Gesetz zum Staatsvertrag im Sommer 2009 zugestimmt, woraufhin dieser am 14. Januar 2010 in Kraft trat. Trotz der demokratischen Legitimation für den Staatsvertrag durch dieses Parlament mussten wir jedoch am 26. April dieses Jahres eine von Linken und Grünen losgetretene Debatte führen. Beide Fraktionen zielten mit ihren Anträgen auf einen Ausstieg aus dem Staatsvertrag mit dem Königreich Dänemark ab. Mir liegen zur heutigen Debatte über den Schutz vor Schiffsunfällen beim Bau der Fehmarnbelt-Querung keine Anträge der beiden besagten Fraktionen vor. Ich würde mich freuen, wenn dies als Zeichen der stillschweigenden Zustimmung zum Bau der Querung seitens der Linken und der Grünen zu deuten ist. Vielleicht hat unser Austausch von Argumenten im April ja den einen oder anderen in Ihren Reihen von der Sinnhaftigkeit des Vorhabens überzeugt. Sollte an dieser Stelle noch Nachbesserungsbedarf bestehen, dann führe ich Ihnen unsere Argumente für den Bau der festen Fehmarnbelt-Querung gern noch einmal aus. Mit der festen Querung über den Belt schaffen wir eine feste Direktverbindung zwischen Skandinavien und Kontinentaleuropa. Die wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Chancen dieses Verkehrsprojektes sind immens. Daran dürfte spätestens seit der Debatte dazu im April in diesem Hause kein Zweifel mehr bestehen. Mit dem geplanten 17,6 Kilometer langen Absenktunnel durch den Fehmarnbelt wachsen Nordeuropa und Zentraleuropa enger zusammen, und das ist ein nachvollziehbarer Wunsch unserer skandinavischen Nachbarn. Die Forderung nach einem Ausstieg aus dem Staatsvertrag zwischen Deutschland und Dänemark ist daher ein Affront gegen unsere nördlichen Nachbarn. Davon ist heute glücklicherweise nicht die Rede. Für die CDU/CSU-Fraktion möchte ich abermals bestätigen: Wir stehen uneingeschränkt zur festen Fehmarnbelt-Querung. Wir wollen den deutsch-skandinavischen Ballungsraum für Wirtschaft und Wissenschaft in der Fehmarnbelt-Region. Wir wollen die hierdurch entstehenden Arbeitsplätze für die Menschen in Schleswig-Holstein und im Großraum Hamburg während der Bauphase und nach Inbetriebnahme des Tunnels. Deshalb haben wir in der Großen Koalition den Staatsvertrag zwischen Deutschland und Dänemark über den Bau einer festen Fehmarnbelt-Querung auf den Weg gebracht. Die Vorstellung, dass man die Strecke von Kopenhagen nach Hamburg künftig mit der Bahn in nur noch drei Stunden zurücklegen kann, ist doch fantastisch. Derzeit nimmt diese Fahrt noch viereinhalb Stunden in Anspruch. Die Fahrt mit der Fähre ist derzeit noch alternativlos und dauert exklusive Wartezeiten 45 Minuten. Die Fehmarnbelt-Querung ist ein gutes Stück gelebtes Europa. Gefühlte Entfernungen werden sich verringern. Mehr kultureller Austausch wird stattfinden. Es wird auch mehr Berufspendler zwischen Deutschland und Dänemark geben. All das sind Chancen, denen wir uns nicht verschließen dürfen. Die Stärkung des nordeuropäischen Wirtschaftsraumes ist auch im Interesse künftiger Generationen, für deren Chancen wir die Weichen stellen. Mit dem Baubeginn der festen Fehmarnbelt-Querung ist wohl im Sommer 2015 zu rechnen. Einen schnelleren Beginn hätten wir begrüßt, aber die umfangreichen Detailplanungen haben die staatliche dänische Planungsgesellschaft Femern A/S zu diesem späteren Baubeginn gezwungen. Auf der anderen Seite schafft der verspätete Baubeginn Luft auf der Zeit-schiene für die rechtzeitige Fertigstellung der deutschen Hinterlandanbindung. Der späte Baubeginn schafft auch Zeit, gegebenenfalls das maritime Sicherheitssystem während der Bauphase zu optimieren, sollte es denn nötig sein. Die Sicherheit darf bei einem solchen maritimen Großbauprojekt natürlich nicht aus den Augen verloren werden. Wir werden den Antrag der SPD-Fraktion daher im zuständigen Ausschuss prüfen. Ob die Sorgen der SPD-Fraktion um die Schiffssicherheit beim Bau des Tunnels unbegründet sind oder tatsächlich Handlungsbedarf besteht, werden die Beratungen im Ausschuss zeigen. Matthias Lietz (CDU/CSU): Der vorliegende Antrag der SPD-Bundestagsfraktion spricht sich im Wesentlichen für den Schutz vor Schiffsunfällen beim Bau der Fehmarnbelt-Querung aus. Zukünftig soll uns ein Tunnel mit dem Königreich Dänemark verbinden. Nachdem insgesamt vier mögliche Querungsvarianten geprüft wurden und wir uns am Rande des Plenums ausgiebig über das Ja zu dieser Verbindung und über das Wie unterhielten, steht nun fest, dass die feste Verbindung in Form eines Tunnels gebaut werden soll. 20 Kilometer lang, 40 Meter breit und an die 10 Meter hoch, wird er sich unter der Ostsee entlangziehen. Zwei Spuren pro Fahrtrichtung sowie zwei Spuren für die Eisenbahn in die jeweilige Fahrtrichtung, aus riesigen, an Land vorgefertigten Betonelementen, die in einen Graben auf dem Grund der Ostsee hinabgelassen werden: Wenn alles wie geplant klappt, würde dies der längste Absenktunnel aller Zeiten, ein Jahrhundertbauwerk. Doch die Fehmarnbelt-Querung ist nicht unumstritten. Erst war es als gemeinsames Projekt von Deutschland und Dänemark gedacht. Ein Staatsvertrag zwischen den Dänen und Deutschland stieß vor allem in meinem Bundesland, Mecklenburg-Vorpommern, nicht nur auf Zustimmung. Mittlerweile sind es allerdings die Dänen, die das Projekt finanziell verwirklichen. Für Deutschland fallen aufgrund dessen nur die Kosten für die Anbindung zwischen Puttgarden und Lübeck an. Über die Notwendigkeit der Verbindung als solche lässt sich streiten. Doch bezogen auf den Antrag der SPD lässt sich feststellen, dass vor allem die Tunnellösung langfristig gesehen die Freundlichste für die Binnenschiffer ist. Denn eine Brücke wäre ein sehr viel größerer Unfallfaktor, als ein unterirdischer Tunnel es ist. Zusätzlich entfallen Kreuzverkehre in der Schifffahrt, was den Wasserweg langfristig entlastet. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion, nur weil wir uns nicht finanziell am Tunnel beteiligen, bedeutet dies nicht, dass deutsche Planungsbehörden außen vor sind und deutsche Vorschriften außer Kraft sind. Sowohl die Anbindungen als auch der Tunnel werden von deutscher Hand geplant und mit umgesetzt. Darüber hinaus gibt es selbstverständlich Regularien, die die Schiffe während des Baus vor Katastrophen bewahren werden. So wird ein rund um die Uhr besetztes Radarsystem den Schiffsverkehr in dieser Zeit überwachen und steuern. Deutsche und dänische Schifffahrtsbehörden planen den Einsatz eines gemeinsamen Vessel-Traffic-Service-Systems, VTS, welches den Verkehr auf See rund um die Baustelle zusätzlich absichern wird. Dies bedeutet, dass der Schiffsverkehr während der circa siebenjährigen Bauphase sehr gut abgesichert sein wird. Das System für eine derartige Überwachung und Steuerung basiert auf einer Risikoanalyse und einer Reihe von Untersuchungen und Analysen sowie vorgenommenen Schiffszählungen, die im Vorfeld des Baus durchgeführt worden sind. Das in Travemünde betriebene VTS-System wurde zudem bereits erfolgreich beim Bau der Querung über den Großen Belt und den Öresund angewandt. Es steht außer Frage, dass der tägliche Schiffsverkehr in dieser Zeit Vorrang und oberste Priorität haben muss. Die Seeleute müssen sich in der gesamten Bauphase hundertprozentig auf die Sicherungsmaßnahmen auf See verlassen können! Neben dem Radarsystem VTS werden auch Wachschiffe und spezifische Kennzeichnungen an der Baustelle eingesetzt. Auch werden die dänischen und deutschen Sicherheitsbehörden sowie die WSD Nord stetig darüber befinden, was es im Sicherheitsbereich zu verändern oder gegebenenfalls auch zu verbessern gilt. Auch der Katastrophenschutz auf beiden Seiten hat begonnen, Verfahren für eine optimale Lösung auszuarbeiten. Ich vertraue den zahlreichen Analysen und Bewertungen genauso wie der Kommunikation mit dem Nachbarland. Ich denke, dass angesichts dieser Vorkehrungen kein Schiff mutmaßlichen Gefährdungen ausgesetzt wird. Bereits vor Jahren, 2009, trafen sich die Dänen und die Deutschen, um über die Sicherheitsangelegenheiten zu beraten. Gemeinsam mit Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst, Ministerien der Länder und Vertretern des Kreises wurden Probleme und Visionen in regelmäßigen Abständen diskutiert. Daher frage ich mich ernsthaft, warum die SPD-Fraktion nun einen solchen Antrag zur Schiffssicherheit einbringt. In dem mageren Papier fordern Sie eine Sicherheitszone an der Baustelle, Ausweichrouten und zahlreiche Untersuchungen. Aber diese wichtigen Angelegenheiten wurden längst in Angriff genommen und geregelt. Aufgewacht, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion! Sie sind etwas zu spät dran. Man kann generell sogar feststellen, dass es angesichts von 30 IMO-Konventionen, über 40 EU-Richtlinien und Verordnungen und über 100 Empfehlungen der Helsinki-Kommission zum Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets, HELCOM, nicht an Vorschriften für den Schutz der Nord- und Ostsee mangelt. Diese Regelungen sind erfreulich, und Deutschland ist stetig um eine Umsetzung oder Anpassung bemüht. Schiffssicherheit ist ein Thema, das vor allem der Koalition von CDU/CSU und FDP am Herzen liegt. Manchmal glaube ich, Sie wollen uns alle beschäftigen, um sich am Ende der Legislaturperiode mit der Anzahl der eingebrachten Anträge zu brüsten. Aber dies ist keine effektive Oppositionsarbeit – so gern ich die Mitarbeiter Ihrer Büros mit Arbeit unterstützen möchte. Dieser Antrag ist überflüssig und muss daher abgelehnt werden. Uwe Beckmeyer (SPD): Mehr Fracht, größere Schiffe: Der Handel im Ostseeraum wächst stürmisch – und damit auch das Verkehrsaufkommen auf Europas größtem Binnenmeer. Bereits heute entfallen auf den Ostseeraum knapp 15 Pro-zent des Welthandels. Die Aussichten sind gut, dass diese Wirtschaftsdynamik in Zukunft weiter anhält. Eine der wichtigsten „Meeresautobahnen“ zwischen Ost und West ist der Fehmarnbelt. 35 000 Schiffe passierten allein im Jahr 2010 die knapp 19 Kilometer breite Wasserstraße zwischen der Südküste von Lolland und Fehmarn in der westlichen Ostsee. Hinzu kommen rund 38 000 Fährüberfahrten zwischen Puttgarden und Rødbyhavn. In den kommenden Jahren wird die Meerenge vollends zum Nadelöhr. Denn während der siebenjährigen Bauzeit des Absenktunnels zwischen Dänemark und Deutschland wird der Schiffsverkehr durch Bagger- und Arbeitsschiffe stark ansteigen. Der Bau der festen Querung ist nicht nur das wichtigste Infrastrukturprojekt des kommenden Jahrzehnts – der Fehmarnbelt wird in den nächsten Jahren auch zur größten Baustelle Europas werden. Baubeginn für den Tunnel ist für 2015, die Fertigstellung für 2021 geplant. Bei einem Bauvorhaben von solcher Dimension stellt sich unweigerlich die Frage der Verkehrssicherheit in einem Gebiet, das die International Maritime Organization, IMO, im Jahr 2005 als „besonders empfindliches Meeresgebiet“, PSSA, ausgewiesen hat. Die jetzt von der dänischen Regierung gewählte Bauva-riante eines Absenktunnels berücksichtigt die Sicherheit der Seeschifffahrt und zeigt die geringsten Auswirkungen auf die Umwelt. Doch es handelt sich um ein in vielerlei Hinsicht komplexes und einzigartiges Projekt. Wir als SPD fordern die Bundesregierung mit unserem Antrag daher auf, ihrer Verantwortung für dieses internationale Großprojekt gerecht zu werden. Sie muss sich für verstärkte Sicherheitsvorkehrungen in der Bauphase einsetzen, um das vom Schiffsverkehr ausgehende Gefährdungspotenzial für die Ostsee zu verringern. Der Meeres- und Küstenschutz ist für die nachhaltige Entwicklung des maritimen Wirtschaftsraums Ostsee unabdingbar. Käme es zum Worst Case, wäre nicht nur das sensible Ökosystem Ostsee gefährdet, sondern auch der Tourismus als einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in den Küstenregionen. Wenngleich die Verantwortung für den Bau der Querung gemäß Staatsvertrag bei Dänemark liegt, ist es auch an der Bundesregierung, sich gegenüber dem Partner in Kopenhagen, den Ostseeanrainern und im Rahmen der IMO für ein Höchstmaß an Sicherheit einzusetzen. Experten gehen von einer Zunahme des Schiffsverkehrs in der Ostsee um 40 Prozent allein in den nächsten drei Jahren aus. Immer stärker bestimmen die ganz großen Pötte im Fehmarnbelt das Bild. Inzwischen fahren die beiden weltweit größten Containerreedereien immer öfter mit Containerschiffen aus Asien oder Nordamerika kommend bis in die Ostsee. Ein Grund für diese Entwicklung sind die stetig wachsenden Ladungsmengen für Osteuropa, die auch den Einsatz der Megaliner bis in die Ostsee wirtschaftlich machen. Zugleich steigt der Anteil der Fahrten russischer Öltanker – die immer noch keinen Doppelhüllenstandard haben, aber heute fast die dreifache Menge Öl laden wie noch vor 15 Jahren. Bei einem solchen Verkehrsaufkommen ist eine Großbaustelle, wie sie der Absenktunnel erfordert, eine Herausforderung. Der Tunnel wird – auf einer Gesamtlänge von 17,6 Kilometern – aus Einzelelementen bestehen, die in einen ausgehobenen Graben im Meeresboden gesenkt werden. Hinzu kommen die kurzen Anschlusstunnel bei Puttgarden und Rødbyhavn, die der Landanbindung dienen und die auf künstlichen Landaufspülungen erbaut werden. Die Auswirkungen der geplanten Bauarbeiten auf die Schiffssicherheit und die Kollisionswahrscheinlichkeit müssen vorab eingehend untersucht werden. Als Maßnahmen müssen Verkehrsleitsysteme, verpflichtende Eskorten von Begleitschleppern und Lotsenpflicht angeordnet werden können, um die Sicherheit des Schiffsverkehrs zu erhöhen. Leider haben die Erfahrungen gezeigt, dass die Lotsenannahmepflicht nicht so leicht umzusetzen ist. Deutschland und Dänemark können sie nicht im Alleingang einführen, und freiwillig werden die Lotsendienste so gut wie nicht genutzt. Die Bundesregierung muss sich daher im Rahmen der IMO nachdrücklich für eine Lotsenpflicht für stark befahrene enge Gewässer wie den Fehmarnbelt oder die Kadettrinne einsetzen. Außerdem fordern wir eine festgelegte Transitroute etwa für große Tanker und Containerschiffe zum Passieren des Baustellenbereichs – insbesondere dann, wenn Schiffe mit gefährlicher Ladung unterwegs sind. Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern sollte den Bauablauf überwachen und sich eng mit dem -Baustellenmanagement der Planungsgesellschaft -Femern A/S sowie den dänischen Behörden abstimmen. Auch der Ausbau, die Weiterbildung und Ausrüstung der zuständigen Berufsfeuerwehren für seeseitige Einsätze müssen Teil der Vorsorge sein ebenso wie die Einbindung des Havariekommandos von Bund und Küstenländern. Wir müssen dringend Kurs auf mehr Sicherheit nehmen, um eine reibungslose Realisierung des Großprojekts Fehmarnbelt-Querung zu gewährleisten. Klar ist: Das ist kein einfaches Fahrwasser. Eine Lösung für den Ostseeraum erfordert ein eindeutiges Ziel und einen klaren Kompass. Aber fest steht auch: Maritime Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Und: Die ökologischen und ökonomischen Kosten für einen Schiffsunfall im Fehmarnbelt wären ungleich höher. Torsten Staffeldt (FDP): Die Ostsee ist eines der verkehrstechnisch am besten erschlossenen und dichtbefahrensten Gewässer der Welt. Sie schlägt die Brücke von Skandinavien nach Mitteleuropa und verbindet Westeuropa mit den baltischen Staaten bis hin nach Russland. Die Ostsee ist -gewerbliche Schifffahrtsstraße und Freizeit- und Er-holungsgebiet. Hier kreuzen sich Güterverkehre mit Fährverkehren und der Sportschifffahrt. All das macht die Ostsee zu einem der attraktivsten, aber auch schwierigsten Fahrtgebiete der Welt. Um Europa noch stärker zu integrieren, sind die Skandinavier – die es, wie auch die Balten, so ja gar nicht gibt, da es sich um einzelne Nationen handelt – schon seit einigen Jahren dabei, Verkehrsverbindungen, die bisher mit Fähren verbunden waren, durch Brückenbauten zu ersetzen. An Öresund und Storebaelt ist dies bereits geschehen, die Fehmarnbelt-Querung soll dem jetzt folgen. Damit soll die Querung mit einer Länge von 19 Kilometern eines der größten nordeuropäischen Infrastrukturprojekte dieser Dekade werden. Mit einer kürzeren Reisezeit von bis zu 30 Minuten zwischen Hamburg und Kopenhagen für Passagiere und die Vermeidung eines 160 Kilometer langen Umwegs für Güterzüge soll eine wettbewerbsfähige Großregion entstehen. Dies wird Vorteile für Beschäftigung und Wohlstand in der Region mit sich bringen. Europa wächst auch im Norden zusammen. Die einstmals trennende Ostsee wird zur Verbindungsstelle. Das ist großartig. Dass es durch den Bau der Querung aller Wahrscheinlichkeit nach zu gelegentlichen Beeinträchtigungen im Schiffsverkehr kommen kann, ist vorhersehbar. Aber die Tunnellösung ist langfristig gesehen die beste Realisierungsmöglichkeit mit den geringsten Folgebeeinträchtigungen. Natürlich wird alles nur Mögliche getan, um Unfälle zu vermeiden; das versteht sich von selbst. Der Tunnel hat im Übrigen noch einen weiteren Vorteil. Die Beeinträchtigung durch ein Brückenbauwerk hinsichtlich des Wasseraustauschs zwischen der sauerstoffarmen Ostsee, zum Beispiel im Gotland-Tief, und der sauerstoffreichen Nordsee wird minimiert. Das ist auch für die Pflanzen- und Tierwelt wichtig. Darum habe ich auch Probleme mit der Notwendigkeit Ihres Antrags. Zum einen steht heute noch gar nicht fest, wann genau Baubeginn sein wird. Zum anderen vertrauen wir Liberale voll und ganz auf die Kompetenzen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und der dänischen Küstenwache. Beide verfügen über ausreichend Know-how und Erfahrung, mit den Herausforderungen fertigzuwerden. Aber offensichtlich teilen Sie dieses Vertrauen in die WSV nicht, weshalb Sie sich genötigt fühlen, einen -solchen Antrag in den Bundestag einzubringen. Aus meiner Sicht handelt es sich um einen reinen Schaufensterantrag, den wirklich niemand braucht. Aber vielleicht können Sie der geneigten Öffentlichkeit im Laufe des parlamentarischen Verfahrens die Dringlichkeit dann doch noch näher bringen. Ich kann sie nicht erkennen. Herbert Behrens (DIE LINKE): Die Ostsee gehört zu den meistbefahrenen Seegebieten der Welt. Es ist sinnvoll, Initiativen zur Verbesserung der Schiffssicherheit in der Ostsee zu diskutieren. Doch dieses Thema allein auf eine Baustelle im Falle eines möglichen Baus eines Tunnels durch den Fehmarnbelt zu beschränken, wird weder dem Thema Schiffssicherheit noch dem umstrittenen Großprojekt -einer festen Fehmarnbelt-Querung gerecht. Die Linke hatte Ihnen im März dieses Jahres in einem Antrag dargelegt, wie das Projekt gestoppt werden könnte. Wir haben eine eindeutige Position. Anders in Ihrer Fraktion, Kollegin Hagedorn: In der ersten Lesung betonte Hans-Joachim Hacker für die SPD-Fraktion, dass Ihre Partei „ohne Wenn und Aber“ zu dem Staatsvertrag zum Bau der Querung stehe und er keine Grundlage sehe, mit Dänemark nachzuverhandeln. Im Kieler Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen sowie SSW wird jedoch die Bundesregierung zur Überprüfung der veränderten Bedingungen aufgefordert und ausdrücklich die Verhandlungsmöglichkeit nach Art. 22 des Staatsvertrages betont. Kurz nach -seinem Amtsantritt spricht sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig, SPD, jedoch ausdrücklich für den Bau eines Fehmarnbelt-Tunnels aus. Die Verhandlungen zum Staatsvertrag wieder aufzunehmen, halte er für „töricht“. Das Aktionsbündnis gegen eine feste Fehmarnbelt-Querung kritisierte dies zu Recht und schreibt: „SPD führt bei der festen Fehmarnbeltquerung alle hinters Licht: Grüne düpiert, Wähler getäuscht.“ Jetzt legen Sie uns einen Antrag vor, in dem Sie sich um die Schiffssicherheit während des Baus der Fehmarnbelt-Querung sorgen, ohne überhaupt auf das innerhalb ihrer Landesregierung umstrittene Großprojekt einzugehen. Das ist zu kurz gesprungen. Wer mehr Sicherheit im Fehmarnbelt haben will, der muss das auch ohne das Tunnelprojekt anstreben. Übrigens, auch wenn es vielleicht später in Berlin angekommen ist: Die dänische Regierung hat sich nicht Anfang 2012 für einen Absenktunnel anstelle einer Schrägkabelbrücke entschieden, sondern im Februar 2011. Auch die 35 000 Schiffspassagen im Fehmarnbelt sind deutlich untertrieben. Eine Zählung von 2006/2007 ergab, dass etwa 47 000 Schiffe jährlich den Fehmarnbelt passieren. Hinzu kommen jedes Jahr etwa 38 000 Fährüberfahrten zwischen Puttgarden und Rødbyhavn. Von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation, IMO, wurde auch nicht nur der Fehmarnbelt, sondern das ganze Ostseegebiet und nicht in 2005, sondern bereits im März 2004 als besonders empfindliches Meeresschutzgebiet, PSSA, ausgewiesen. Nicht nur im Fehmarnbelt sollte das „vom Schiffsverkehr ausgehende Gefährdungspotenzial für die Ostsee“ verringert werden, sondern an allen sensiblen Schifffahrtsrouten mit dichtem Verkehr. An mehreren sind bereits Verkehrstrennungsgebiete eingerichtet worden, um die Schiffe nach Fahrtrichtung zu trennen, nicht jedoch am Fehmarnbelt. Durch eine mögliche Baustelle würde die Situation noch verschärft. Wir fordern, dass sich die Bundesregierung bei der IMO dafür einsetzt, dass auch am Fehmarnbelt ein Verkehrstrennungssystem eingerichtet wird. Das elektronische System zur Überwachung des Schiffsverkehrs, VTS, muss wie bei der Flugsicherung nicht nur beraten, sondern auch Weisungsbefugnis erhalten. Verbindliche Anweisungen an die Schiffsführer würden die Sicherheit erhöhen, besonders an der Gefährdungsstelle einer schwimmenden Großbaustelle. Die bisherige Überwachung des Schiffsverkehrs sollte durch eine dezentrale Radarüberwachung ergänzt werden. Einige Forderungen in Ihrem Antrag, wie zum Beispiel der Einsatz von Verkehrssicherungsfahrzeugen während der Bauphase, sind überflüssig, weil sie bereits bestehende Praxis sind. Dies bestätigte auch die Betreibergesellschaft Femern A/S. Es reicht aber nicht aus, wenn diese nur beobachtende Funktion haben. Sie müssen ebenfalls im Notfall verbindliche Anweisungen geben können. Was jedoch fehlt, ist eine Klarstellung, wer für die Kosten der Sicherungsmaßnahmen während der Bauzeit und für die Einrichtung des notwen-digen Geräts und Personals aufkommt. Dies ist auch im Staatsvertrag nicht geregelt. Für die Linke ist klar, dass der Betreiber, der die Baustelle zu verantworten hat, auch selbstständig für alle Kosten aufkommt. Endlich eine verbindliche Lotsenpflicht entlang sensibler Schiffspassagen für große Frachter einzuführen, ist eine ebenso alte wie richtige Forderung und wird auch von uns unterstützt. Dies kann aber nur bei Zustimmung aller Anrainerstaaten von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation erlassen werden und wird auch bereits von Deutschland vertreten, ist aber bislang am Widerstand Russlands gescheitert. Laut Auskunft der Lotsen nehmen bislang leider meistens die gut ausgerüsteten Schiffe verantwortungs-bewusster Reeder die Lotsen in Anspruch, während genau die alten Frachter, die es eigentlich am nötigsten hätten, oft aus Kostengründen darauf verzichten. Wir haben Ihre Vorschläge mit Vertretern der WSV, der Lotsen und Nautiker beraten und dabei erfahren: Viele Ihrer Forderungen sind bereits gängige Praxis, während andere nicht ausreichend sind. Ihr Antrag beschränkt die dringenden Fragen zur Verbesserung der Schiffssicherheit in der Ostsee leider allein auf die besagte Baustelle, die im Falle eines möglichen Baus in frühestens drei Jahren relevant wird. Das wird der Schiffssicherheit nicht gerecht – ob mit oder ohne Baustelle für eine unsinnige feste Fehmarnbelt-Querung. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit Jahren diskutiert dieses Hohe Haus über die Sinnhaftigkeit einer festen Querung über den Fehmarnbelt – leider, muss man an dieser Stelle sagen, in einer Art und Weise, die dem Ansehen des Deutschen Bundestages nur sehr bedingt nutzen dürfte. Die Kritikerinnen und Kritiker der Querung verweisen seit langem immer wieder auf die ganz massiven ökologischen und ökonomischen Probleme und Risiken des Projekts – ohne dass die Befürworter der Querung hierauf reagieren. Nach dem Motto „Augen zu und durch“ halten sie weiter unbeirrt an den bisherigen Planungen fest, ignorieren jegliche ökonomischen und ökologischen Grunderfordernisse und lassen die Bürgerinnen und Bürger der Region mit ihren Sorgen weiter alleine. Wir erinnern uns: Bereits in der letzten Legislatur, also noch vor der Verabschiedung des Begleitgesetzes zum Staatsvertrags zwischen der Bundesrepublik und dem Königreich Dänemark, wurden die Risiken des Projekts in einer vierstündigen Anhörung des Verkehrsausschusses des Bundestages am 6. Mai 2009 ausführlich diskutiert. Obwohl schon damals auf die eklatanten Planungsmängel des Projekts und die dadurch kaum abseh-baren Risiken für das hochsensible Ökosystem der Region, aber auch die öffentliche Hand hingewiesen wurde, ignorierten CDU/CSU, SPD und FDP systematisch die immer wieder auch empirisch untermauerten Argumente der Kritiker und hielten an den Planungen unbeirrt fest. Am 18. Juni 2009 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zum Staatsvertrag über den Bau einer Festen Fehmarnbelt-Querung gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke sowie von 16 Abgeordneten aus den Fraktionen der SPD und CDU/CSU. Am 14. Juni 2010 trat der Staatsvertrag zwischen Deutschland und Dänemark schließlich in Kraft. Die eklatanten ökonomischen und ökologischen Planungsmängel, auf die sowohl meine Fraktion als auch die Fraktion Die Linke in zwei Anträgen, über die wir hier erst vor wenigen Monaten gemeinsam diskutierten, noch einmal hinwiesen, sind auch anderen nicht verborgen geblieben: Sowohl der Bundesrechnungshof als auch der Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages machen seit mehreren Jahren in verschiedenen Stellungnahmen auf die völlig unklaren Formulierungen des Staatsvertrags und die sich daraus ergebenden Risiken aufmerksam. Bereits vor Inkrafttreten des Staatsvertrags warnte der Bundesrechnungshof in einer Stellungnahme nach § 88 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung, BHO, an den Rechnungsprüfungsausschuss, einen Unterausschuss des Haushaltsausschusses des Bundestages, dass sich die bisher kalkulierten Kosten für den Ausbau der deutschen Hinterlandanbindung auf 1,7 Milliarden Euro verdoppelt hätten – ohne dass weitere Kosten wie der Ausbau des Knotenpunktes Hamburg oder der zweigleisige Ausbau des Schienenteilstücks von Lübeck bis Puttgarden überhaupt berücksichtigt wurden. Mit Hinweis hierauf hat der Bundesrechnungshof wiederholt die Bundesregierung dazu aufgefordert, aktualisierte Kostenkalkulationen vorzulegen. Genauso wenig wurden bisher die Kosten für eine bei der Realisierung einer festen Fehmarnbelt-Querung zwingend benötigten zweiten Brücke über den Fehmarnsund berücksichtigt. Gleiches gilt für die Kosten für eine immer wieder in Aussicht gestellte -Alternativtrasse der Hinterlandanbindung fernab der Ostseebäder sowie dringend benötigte Lärmschutzmaßnahmen. Addiert man alle bislang nicht berücksichtigten Kosten für die öffentlichen Haushalte, landet man schnell bei einer Summe von mehreren Milliarden Euro, wohlgemerkt für die Hinterlandanbindung einer Querung, die aller Wahrscheinlichkeit nach weit unter 10 000 Autos und unter 100 Züge am Tag nutzen würden und deren Grundlast damit unter 20 Prozent der üblichen Kapazität einer zweistreifigen Schnellstraße mit 26 000 Autos am Tag läge. Der Bundesrechnungshof hat in seiner Stellungnahme vom April 2009 folgerichtig bezüglich des Projekts vor „erheblichen Unsicherheiten für künftige Bundeshaushalte“ gewarnt. Des Weiteren kritisierte der Bundesrechnungshof zahlreiche unklare juristische Formulierungen des Vertragswerks. So enthalte der Staatsvertrag Klauseln, welche die Vertragspartner unter nur unpräzise formulierten Voraussetzungen zu Nachverhandlungen – auch über die Kostentragung – verpflichte. Obwohl die Bundesregierung als verantwortliche Vertragspartnerin immer wieder mit Hinweis auf die eklatanten Planungsmängel, die extremen Kostensteigerungen des Projekts und die in § 22 des Staatsvertrags explizit vorgesehene Möglichkeit dazu aufgefordert wurde, in Neuverhandlungen mit dem Königreich Dänemark einzutreten, hat sie diese Verpflichtung bisher ignoriert. Die Bundesregierung trägt damit die volle politische Verantwortung für dieses mit massiven Risiken verbundene Projekt. Neben den enormen ökonomischen Risiken des Projekts wurde von den Kritikerinnen und Kritikern der Querung auch immer wieder auf handfeste ökologische Gefahren einer festen Querung über den Fehmarnbelt hingewiesen – darunter auch auf die noch immer ungelöste Frage der Schiffssicherheit. Auch diese Problematik wurde im Rahmen der Anhörung im Verkehrsausschuss des Bundestages bereits am Ende der 16. Wahlperiode ausführlich diskutiert – allerdings ging man damals noch von einer Brücke als Querung aus. Heute wissen wir, dass das Projekt als Tunnel realisiert werden soll. Während ein Tunnel nach dessen Fertigstellung zweifelsfrei weniger Risiken für die Schiffssicherheit als eine Brücke mit sich bringt, ist dies während der Bauphase zweifellos nicht der Fall. Daher haben wir auch in unserem Antrag vom 25. April 2012 erneut auf die Problematik aufmerksam gemacht und die Bundesregierung aufgefordert, dies in ihre Abwägungen bezüglich der Bewertung der Sinnhaftigkeit des Projekts einzupreisen. Bereits in der Anhörung wurde durch verschiedene Sachverständige darauf aufmerksam gemacht, dass durch die Errichtung der Querung ein erhebliches Gefahrenpotenzial für das hochsensible Ökosystem der Ostsee entsteht, das Baugebiet sich direkt in mehrfach ausgewiesenen Schutzgebieten befindet und es sich beim Fehmarnbelt um eine der meistbefahrensten Wasserstraßen der Welt handelt. In diesem Zusammenhang wurde unter anderem auch darauf verwiesen, dass der Begriff „Schifffahrt“ in dem vorliegenden Staatsvertrag mit keinem Wort Erwähnung findet. Damit stellt sich die Frage – auch hierauf haben wir bereits in -unserem Antrag vom 25. April 2012 aufmerksam -gemacht –, ob dringend benötigte Sicherungsmaßnahmen in dem mit mehreren Zehntausend Schiffsbewegungen jährlich zu den am meisten befahrenen Wasserstraßen der Welt gehörenden Fehmarnbelt eigenständig und durch Kostenteilung zwischen den Vertragsstaaten finanziert werden müssen. Hierzu fehlt jede zwischenstaatliche Vereinbarung im Staatsvertrag, was auch hinsichtlich Haftungsfragen und Kostenverteilungen bei zu prognostizierenden Havarien nach Ansicht eines Sachverständigen der Anhörung „eine grobe vertragliche Fahrlässigkeit“ darstellt. Hoffentlich müssen wir niemals erleben, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, wie Sie die politische Verantwortung für die Havarie eines Öltankers in einem der sensibelsten Meeresgebiete Deutschlands übernehmen. Vor dem Hintergrund auch in dieser Hinsicht zahlreicher bislang ungeklärter Fragen begrüßen wir den heute vorgelegten Antrag der SPD, der das Thema noch einmal auf die Tagesordnung setzt und zahlreiche wichtige Forderungen für eine verbesserte Schiffs-sicherheit während der Bauphase der Fehmarnbelt-Querung enthält. Dass die Initiative es gleichzeitig verpasst, die zahlreichen anderen, vielfältigen Problemlagen, die sich aus den bisherigen eklatanten Planungsmängeln bezüglich der festen Fehmarnbelt-Querung ergeben, auch nur stichwortartig zu erwähnen, und dringend benötigte Nachbesserungen von der Bundesregierung nicht einfordert, verwundert uns sehr. Wir bedauern es ausdrücklich, dass die SPD-Fraktion mit der Vorlage dieser Initiative ihr grundsätzliches Einverständnis zu einem Verkehrsprojekt aus Zeiten des Kalten Krieges, dessen tatsächliche Sinnhaftigkeit längt widerlegt ist und dessen negativen Auswirkungen auf zahlreiche schleswig-holsteinische Gemeinden und die Insel Fehmarn ganz enorm sind, noch einmal dokumentiert. Dass es der heute hier vorliegende Antrag der SPD versäumt, zumindest mit Nachdruck Nachbesserungen bezüglich einer zweiten Fehmarnsund-Querung, einer Alternativtrasse der Hinterlandanbindung, zusätz-licher Lärmschutzmaßnahmen und der Beseitigung sonstiger durch die Querung entstehender Nadelöhre wie dem Knotenpunkt Hamburg etc. einzufordern, ist aus Sicht meiner Fraktion nur schwer verständlich und wirklich bedauerlich. Präsident Dr. Norbert Lammert: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11365 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu besteht offenkundig Einvernehmen. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben (Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz – MicroBilG) – Drucksachen 17/11292, 17/11353 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/11702 – Berichterstattung: Abgeordnete Marco Wanderwitz Ingo Egloff Marco Buschmann Jens Petermann Ingrid Hönlinger b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Thomas Gambke, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erleichterungen für Klein- und Kleinstkapitalgesellschaften bei der Offenlegung der Jahresabschlüsse – Drucksachen 17/11027, 17/11702 – Berichterstattung: Abgeordnete Marco Wanderwitz Ingo Egloff Marco Buschmann Richard Pitterle Ingrid Hönlinger Die Reden, die dazu noch verbleibende offene Fragen erläutern, finden sich im Protokoll. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Mit Erleichterungen im Bereich der Rechnungs-legungs- und Offenlegungsvorschriften für Kleinst-kapitalunternehmen treibt die christlich-liberale Bundesregierung den Bürokratieabbau voran und befreit die Wirtschaft konsequent von entbehrlichen Verwaltungslasten. Nachdem wir mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, BilMoG, 2009 Einzelkaufleute von der Pflicht zur Aufstellung von Jahresabschlüssen befreit haben, werden wir nun in Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des -Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben mit dem Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtänderungsgesetz, MicroBilG, für Entlastungen bei rund einer halben Million kleinster -Kapitalgesellschaften sorgen. Die nach derzeitiger Rechtslage strikte, weil umfassende Rechnungslegung wird von kleinsten Unter-nehmen zu Recht als Belastung empfunden. So muss beispielsweise die Vorjahresbilanz mit Anhang verpflichtend jährlich im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Künftig sollen alle Unternehmen mit geringem Geschäftsumfang und geringer Mitarbeiterzahl auf den umfangreichen Anhang zur Bilanz verzichten können. Darüber hinaus wird es künftig ausreichen, wenn Kleinstunternehmen ihre Jahresabschlüsse nurmehr an ein Register übersenden, aus dem sie nur auf -Nachfrage zur Information an Dritte herausgegeben werden. Die Bundesregierung setzt die auf ihr Drängen erreichten Vorgaben aus Brüssel nicht nur zügig um, sondern nutzt auch sämtliche Optionen, damit den Kleinstkapitalgesellschaften die auf EU-Ebene vereinbarten Erleichterungen möglichst schnell und umfangreich zugutekommen können. Da das Bilanzgeschäftsjahr vieler Unternehmen zum Ende des Jahres endet, wird ein Großteil der Kleinstkapitalunternehmen dann bereits von diesem Gesetzentwurf profitieren. Zu diesem Zeitpunkt soll die Neuregelung bereits wirken. Die schnelle Umsetzung der EU-Micro-Richtlinie 2012/6/EU ist nicht nur im Sinne des Bürokratieabbaus ein Gewinn für die Kleinstunternehmer. Sie profitieren zudem von der Rechtssicherheit. Bereits in der ersten Lesung hatten wir angekündigt, kurzfristig umsetzbare Maßnahmen zur Modernisierung des Ordnungsgeldverfahrens im Handels-gesetzbuch bei Durchsetzung der Offenlegungspflicht zu prüfen. Die aktuellen Ordnungsgelder in Höhe von bis zu 2 500 Euro, die Unternehmen drohen, die der Offenlegungspflicht nicht oder nicht fristgerecht nachkommen, sind besonders für kleinste Gesellschaften eine enorm hohe Belastung. Dieser Problematik wirken wir zwar einerseits -bereits durch die neuen Regelungen des MicroBilG entgegen. Denn mit dem Entfallen der Pflicht zur Erstellung eines Anhangs zur Bilanz fällt diese bei Kleinstunternehmen in der Vergangenheit häufige Fehlerquelle automatisch weg. Darüber hinaus bitten wir die Bundesregierung, weitergehende Maßnahmen zu treffen: Da der Umfang der Offenlegungspflichten nach dem Handelsgesetzbuch schon heute nach der Größe des Unternehmens abgestuft ist und das MicroBilG daran anknüpfend für Kleinstkapitalgesellschaften abgesenkte Offenlegungspflichten vorsieht, soll auch bei den Sanktionen wegen nichterfüllter Offenlegungspflichten entsprechend differenziert werden. Folglich sollten die Mindestordnungsgelder für Kleinstkapitalgesellschaften von 2 500 Euro auf maximal 500 Euro und für kleine Kapitalgesellschaften von 2 500 Euro auf maximal 1 000 Euro abgesenkt werden. Eine solche Regelung bedingt allerdings die Mitarbeit der Unternehmen, die entsprechende, für die Einordnung in die jeweilige Unternehmenskategorie relevante Kennzahlen freiwillig und rechtzeitig zur Verfügung stellen müssen. Eine solche Staffelung sollte Bestandteil einer grundsätzlichen Flexibilisierung des Ordnungsgeldverfahrens sein. Die Festsetzung eines Ordnungs-geldes sollte an ein Verschulden bei der Säumnis der Offenlegungspflicht geknüpft werden, dessen Kriterien gegebenenfalls festzulegen sind. Aus der Praxis ergibt sich die Notwendigkeit, den Behörden mehr Spielraum einzuräumen, damit sie auf Situationen reagieren können, in denen Unternehmen aus nachvollziehbaren Gründen nicht in der Lage waren, ihre Offenlegungspflicht rechtzeitig zu erfüllen. Nur auf diese Weise können insbesondere Fälle höherer Gewalt ausgeschlossen werden. Zudem halten wir es für sinnvoll, zur Vermeidung unbilliger Härten den Unternehmen im Falle eines unverschuldeten Fristversäumnisses auf Antrag eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einzuräumen. Ebenso müssen wir auch im Sinne der Rechtssicherheit eine Lösung dafür finden, dass die zwei Kammern des am Sitz des Bundesamtes für Justiz zuständigen Landgerichts Bonn bei Beschwerden gegen Ordnungsgeldentscheidungen des Bundesamtes teils divergierende Rechtsansichten haben. Wir haben die Bundesregierung gebeten, entsprechende Regelungen zügig bis März 2013 vorzulegen. Ingo Egloff (SPD): Die Erleichterungen sind dürftig. Sie werden auf 36 Millionen Euro beziffert; das sind pro Unternehmen 72 Euro im Jahr. Denn die Bilanzierungspflicht bleibt bestehen; die Bilanz ist auch weiterhin dem Bundesanzeiger zu übersenden, und zwar fristgerecht und ordnungsgeldbewehrt. Die neu eingeführte Hinterlegung (statt Offenlegung) der Bilanz beim Bundesanzeiger überzeugt nicht. Sie führt zu weniger Transparenz im Geschäftsverkehr und zu neuen Sonderregelungen, ohne dass dies durch eine Bürokratieentlastung für die Betroffenen aufgewogen würde. Erfreulich ist, dass in der Entschließung die Anregung des Bundesrates aufgenommen wurde, eine Begrenzung der Ordnungsgelder vorzunehmen. Nun wird von der Bundesregierung verlangt, binnen drei Monaten Vorschläge hinsichtlich Ordnungsgeldhöhe (Absenkung auf 500 Euro für Kleinstkapitalgesellschaften, 1 000 Euro für kleine Kapitalgesellschaften) und -Ordnungsgeldverfahren (Verschulden erforderlich, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ermöglichen, einheitliche Rechtsprechung gewährleisten) vorzulegen. Wir hätten uns eine tiefere Schwelle der Ordnungsgelder gewünscht, wie sie beispielsweise im -Antrag der Grünen vorgeschlagen wurde, werden dem Gesetzentwurf aber trotzdem zustimmen, weil zumindest in diesem Punkt unsere Forderungen berücksichtigt wurden. Von der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung sind wir weiterhin nicht überzeugt: Auf die Erleichterungen im Ordnungsgeldverfahren für kleine Unternehmen hätte sie auch selbst kommen können. Wir hatten im Rechtsausschuss dazu bereits vor geraumer Zeit einen mündlichen Bericht des Bundesamtes für Justiz. Im Unterschied zu Kleinstkapitalgesellschaften bleiben Genossenschaften vergleichbarer Größe weiter außen vor, obwohl wir auf diese Ungleichbehandlung bereits in der ersten Lesung hingewiesen haben. In unserem Antrag zum Genossenschaftsrecht auf Drucksache 17/9976 fordern wir auf Anregung der Genossenschaftsverbände die Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU auch für die Genossenschaften, hätten uns aber auch sehr gewünscht, dass diese Forderung Eingang in die Entschließung der Koalitionsfraktionen findet. Marco Buschmann (FDP): Unternehmer sollen sich so viel wie möglich auf ihr Geschäft konzentrieren können und nur so viel Bürokratielast tragen, wie es unbedingt nötig ist. Dieser Leitidee fühlen wir uns als FDP verpflichtet. Und diese Leitidee verwandelt der vorliegende Gesetzentwurf ein Stück weit in Rechtswirklichkeit. Das Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz, MicroBilG, sieht einige sehr praktische Erleichterungen für Kleinstkapitalgesellschaften durch den Abbau bürokratischer Belastungen im Bereich des Bilanzrechts vor. Deutschlandweit profitieren davon mehr als 500 000 Unternehmen. Dazu gehören all jene Gesellschaften, die höchstens 700 000 Euro Umsatz-erlöse, 350 000 Euro Bilanzsumme und zehn Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt aufweisen und jeweils zwei dieser drei Schwellenwerte an zwei aufeinanderfolgenden Abschlussstichtagen – also innerhalb eines Jahres – unterschreiten. Das MicroBilG erlaubt es diesen Unternehmen, bei der Aufstellung des Jahresabschlusses auf einen Anhang zu verzichten. Informationen, die aus Gründen des Gläubigerschutzes erforderlich sind, wie zum Beispiel die Haftungsverhältnisse, können künftig unkompliziert unter die Bilanz geschrieben werden. Zudem sind Ausnahmen von der Verpflichtung zum Ausweis von aktiven und passiven Rechnungsabgrenzungsposten und eine Verkürzung der Aufgliederung von Bilanz und Gewinn-und-Verlust-Rechnung möglich. Hierdurch mindern wir nicht nur den Aufwand bei der Aufstellung des Jahresabschlusses. Wir werden vermutlich auch einen Großteil der häufig sehr streitigen und zeitraubenden Ordnungsgeldverfahren nach dem Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) künftig vermeiden können. Denn von diesem Verfahren sind fast ausschließlich Gesellschaften betroffen, die in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, und in einem Großteil der Fälle geht es um die Einreichung eines korrekten Anhangs. Da diese Unternehmen künftig auf den Anhang verzichten können, wird es künftig wohl auch nicht mehr zu entsprechenden Ordnungsgeldverfahren kommen. Damit die begünstigten Gesellschaften möglichst früh in den Genuss dieser Erleichterungen kommen, wollen wir das Gesetzgebungsverfahren noch in diesem Jahr abschließen; damit profitieren die Unternehmen rechtssicher von den Vorteilen schon zum Abschlussstichtag 31. Dezember 2012. Das Gesetz ist also eine gute Sache. Es trägt dazu bei, dass sich gerade die Kleinunternehmer, die besonders unter Bürokratie leiden, wieder ein Stück mehr auf ihren Betrieb konzentrieren können. Ich werbe -daher um Ihre Unterstützung hier im Hause. Richard Pitterle (DIE LINKE): Wer seine Haftung aus seiner unternehmerischen Geschäftstätigkeit beschränken will, muss sich höheren Anforderungen an Rechenschaft und Publizität stellen. Diesen Grundsatz erfordert schon der Schutz derjenigen, die etwas von dem Unternehmen zu -bekommen haben. Daher hat der Gesetzgeber auch -höhere Pflichten für Kapitalgesellschaften formuliert. Wie ich bereits in meiner Rede am 8. November 2012 im Rahmen der ersten Lesung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf im Einzelnen ausgeführt hatte, bringen die von Ihnen vorgeschlagenen Erleichterungen nichts, sobald eine kleine Kapitalgesellschaft -einen Kredit benötigt oder eine elektronische Bilanz, E-Bilanz, für das Finanzamt erstellen muss, also ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1, § 5 oder § 5 a EStG ermittelt und das sind praktisch alle. Ein großer Schritt wäre die Aufhebung der Bilanzierungspflicht für Kleinstkapitalgesellschaften gewesen, was insbesondere den vielen „ruhenden Gesellschaften“, also nicht mehr aktiv am Wirtschaftsverkehr teilnehmenden Unternehmen wirklich geholfen hätte, doch da konnte sich die Bundesregierung auf europä-ischer Ebene wieder nicht durchsetzen. In der Gesamtbetrachtung fällt das von der Bundesregierung erreichte Ergebnis äußerst bescheiden aus – erst recht, wenn man es mit ihren ursprünglichen Zielen vergleicht. Denn die Erleichterungen und Kosteneinsparungen sind für die Wirtschaftspraxis marginal. Die Bundesregierung selbst schätzt die Einsparungen in Summe auf nur rund 20 bis 25 Millionen Euro für die gesamte Wirtschaft, also alle am Wirtschaftsleben Beteiligten. Ich hatte bei meiner Rede in der ersten Lesung bereits die Schutzfunktion betont, die mit der Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses verbunden ist, nämlich dass sich der Kaufmann einen Überblick über seinen Betrieb machen soll. Das sehen offensichtlich auch einige europäische Länder so, wie die erheblichen Widerstände bei der Verabschiedung im Europäischen Rat gezeigt hatten. Wir werden uns ihnen anschließen und daher gegen den Gesetzentwurf stimmen. Aus dem Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstützen wir die Härtefallregelungen, also die Verlängerung der Frist zur Einreichung des Jahresabschlusses und den Verzicht auf Ordnungs-gelder. Die anderen Forderungen aus dem Antrag, die Mindesthöhen bei den Ordnungsgeldern zu senken, lehnen wir dagegen ab. Zum einen müssen Kapitalgesellschaften wegen der beschränkten Haftung bestimmte Publizitätspflichten erfüllen, damit sich Gläubiger ein Bild über die finanzielle Lage machen können. Zum anderen haben kleine Kapitalgesellschaften sechs Monate nach dem Geschäftsjahr Zeit, den Jahresabschluss zu erstellen. Aus meiner langjährigen Erfahrung weiß ich, dass das reicht – wenn man das nicht immer wieder verschiebt. Wer es dann nicht schafft, den vorliegenden Jahresabschluss innerhalb von weiteren sechs Monaten, also nach insgesamt zwölf Mo-naten, elektronisch zu hinterlegen, sollte in seiner Büro-organisation etwas ändern. Mit einer Androhung von 250 Euro Ordnungsgeld motivieren Sie keinen, die von den allermeisten Kleinunternehmerinnen und Klein-unternehmern als unangenehm angesehene Pflicht zeitnah zu erfüllen. Die Entschließung von der CDU/CSU und FDP verstehe ich nicht. Warum machen Sie keinen Antrag wie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN? Warum lassen Sie sich nicht vom Ministerium, wie sonst auch, einen Änderungsantrag schreiben, wenn es Ihnen so wichtig ist, wie Sie in der Entschließung darlegen? Dann könnten wir hier heute darüber gleich abstimmen, und es könnte demnächst für die von Ihnen so umsorgten Kleinst-unternehmerinnen und Kleinstunternehmer Realität werden. Oder wollen Sie eigentlich gar nichts ändern, müssen aber etwas tun, um Ihre Lobbyisten zu befriedigen? Dabei können wir Sie nicht unterstützen, und wir werden daher diese Entschließung ablehnen. Dann hatten Sie von der Koalition noch einen Änderungsantrag eingebracht. Damit wollten Sie an das Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz einen zusätzlichen Artikel anhängen, der Regelungen zum Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch im Hinblick auf Therapieunterbringung und Sicherungsverwahrung enthielt. Erst versuchen Sie, es im Ausschuss in die Beschlussempfehlung zu schmuggeln, dann wollten Sie einen Änderungsantrag ins Plenum bringen, und nun hat die Vernunft gesiegt und uns liegt ein eigenständiger Gesetzentwurf mit Drucksache zu dem Thema vor. Es freut mich, dass nicht nur wir, sondern auch Sie inzwischen eingesehen haben, dass sich kein Zusammenhang zwischen Kleinstkapitalgesellschaften, Therapieunterbringung und Sicherungsverwahrung konstruieren lässt. Der von Ihnen dabei gewählte Weg eines Omnibusverfahrens ist darüber hinaus verfassungsrechtlich und rechtsstaatlich – Stichwort „Transparenz“ – mehr als bedenklich. Er wird auch nicht -dadurch verfassungsgemäß, weil es Rechtspolitiker der FDP jetzt in der Regierungskoalition für „normale Übung“ halten. Dabei waren es gerade diese Rechtspolitiker der FDP, die selbst noch in der letzten Wahlperiode gegen diese Vorgehensweise gestritten und rechtspolitische Prinzipien hochgehalten hatten. Ein kleiner Beleg, wie Regierungsbeteiligung korrumpierbar machen kann! Trotzdem brauchte es ja schon wieder zwei Anläufe, um Sie davon abzubringen: das Verfahren um die Regelung der Zwangsbehandlung und jetzt dieses Verfahren mit der Ergänzung des Therapieunterbringungsgesetzes. Wir warten ab und beobachten Sie, ob der Lerneffekt auf Dauer ist. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/11702, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/11292 und 17/11353 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen wollen, bitte ich, sich von ihren Plätzen zu erheben. – Diejenigen, die dagegen sind, haben jetzt Gelegenheit, sich zu erheben. – Wer sich enthalten möchte, kann das jetzt auch tun. – Die Mehrheit hat dem Gesetzentwurf zugestimmt. Er ist damit angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11702 empfiehlt der Rechtsausschuss, dazu eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch die Beschlussempfehlung angenommen. Tagesordnungspunkt 31 b. Wir setzen die Abstimmung mit den Beschlussempfehlungen des Rechtsausschusses fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/11027. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Arbeitsbedingungen und Berufsperspektiven von Promovierenden verbessern – Drucksache 17/11044 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Die Reden werden zu Protokoll genommen. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Wir debattieren heute einen Antrag der Linksfraktion zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Berufsperspektiven von Promovierenden. Ich erkenne an, dass dieses Papier eine deutliche Verbesserung gegenüber dem letzten Antrag der Linksfraktion zu dieser Thematik, Bundestagsdrucksache 17/4423, darstellt. Forderten Sie damals noch mehr Qualifikationsstellen für Promovierende, erkennen Sie heute gleich zu Beginn Ihres Antragstextes an, dass „Fördermaßnahmen wie die Exzellenzinitiative und der Pakt für Forschung und Innovation in den vergangenen Jahren Tausenden neue Möglichkeiten zur Promotion eröffnet haben“, Bundestagsdrucksache 17/11044. Diese Entwicklung ist positiv; ich begrüße sie deshalb ausdrücklich. Sie stellen in Ihrem Antrag drei Kernforderungen auf: verbesserte Standards in der Promotionsförderung, die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sowie die Verbesserung empirischer Erkenntnisse über die Promotionstätigkeit im deutschen Wissenschaftssystem. Lassen Sie mich hierzu im Einzelnen Stellung nehmen. Die Setzung von Standards in der Promotionsförderung obliegt in erster Linie den Hochschulen und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen selbst. Die Rolle des Bundes muss sich darauf beschränken, Impulse zu setzen und Veränderungen anzumahnen. Genau dies haben wir mit unserem am 24. April 2012 eingebrachten Koalitionsantrag „Exzellente Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs fortentwickeln“, Bundestagsdrucksache 17/9396, auch getan. Da wir uns beim Verfassen unseres Antrags – genau wie Sie – an der Stellungnahme des Wissenschaftsrates vom 11. November 2011 orientiert haben, sind einige Ihrer Forderungen deckungsgleich mit unseren. Beginnen wir mit den Gemeinsamkeiten. Wir befürworten genau wie Sie den Ausbau von Modellen der strukturierten Doktorandenausbildung. Auch sehen wir in der Einführung von Betreuungsvereinbarungen zwischen Doktorand und Betreuer den richtigen Weg, um die Planbarkeit des Promotionsprozesses für beide Seiten zu verbessern. Die Fortentwicklung weiterer Karrierestufen nach der Promotion ist auch nach unserer Meinung zur Schaffung von mehr Planbarkeit unabdingbar. Hier enden jedoch die Übereinstimmungen. Während Sie sich mit der Forderung nach unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen begnügen, macht unser Antrag sehr viel weiter reichende und deshalb auch mutigere Vorschläge. Wir sehen in der Schaffung einer neuen, unbefristeten Associate-Professur und der Umwidmung der bisherigen Juniorprofessuren in Assistenzprofessuren den richtigen Weg, um mehr Karriereoptionen und Planbarkeit für Nachwuchswissenschaftler zu schaffen. Die TU München hat mit ihrem neu geschaffenen TUM Faculty Tenure Track Modell unlängst exakt diesen Weg eingeschlagen. Dies bestätigt uns in der Auffassung, dass wir mit unserem -Antrag und der vorgeschlagenen Ergänzung der bisherigen Stellenstrukturen genau auf dem richtigen Weg sind. Mentoringprogramme spielen in Ihrem Antrag keine Rolle. Dabei müssen sie durch die Hochschulen dringend weiterentwickelt werden, um hervorragend ausgebildeten Fachkräften künftig einen besseren Übergang hin zu Aufgaben in Wissenschaft, Wirtschaft oder in der Verwaltung zu ermöglichen. Sollten Sie mit Ihrer Forderung nach einer deutlichen Erhöhung der Promotionsförderung von Fachhochschulabsolventen ein Promotionsrecht für Fachhochschulen ins Spiel bringen, lehnen wir dies entschieden ab. Nach unserer Überzeugung muss das Promotionsrecht auch künftig allein den Universitäten vorbehalten bleiben. Dort erfahren die Absolventen am stärksten eine wissenschaftsgetriebene Ausbildung, während Fachhochschulen in erster Linie für den nichtakademischen Arbeitsmarkt qualifizieren. Fachhochschulabsolventen sollen deshalb auch in -Zukunft nur im Rahmen einer Kooperation ihrer Fachhochschule mit einer Universität promovieren können. Kritisch sehe ich auch Ihre Forderung nach dem vollständigen Verzicht auf „qualifikationsfremde Leistungen“ bei Promotionen im Rahmen von Stipendien. Zusätzliche Arbeit am Institut ist nicht automatisch verlorene Zeit, sondern kann – so sie in geringem -Umfang anfällt – den Horizont der Stipendiaten über das eigene Forschungsprojekt hinaus erweitern. Auch Begabtenförderungswerke fördern schließlich nicht nur die klügsten Köpfe, sondern fordern von ihren -Stipendiaten im Gegenzug etwas, nämlich gesellschaftliches Engagement. Hinzu kommt, dass die Stipendiensätze an einigen Einrichtungen, wie Sie selbst ja auch anerkennen, zuletzt angehoben wurden. Kommen wir zu Ihrer zweiten Forderung, der -Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Auch hier gibt es Forderungen, die wir schon vor Ihnen erhoben haben, andere lehnen wir hingegen ab. Bei der Befristung von Beschäftigungsverhältnissen kommt es in der Tat – so hat es die Evaluation dieses Gesetzes durch das HIS gezeigt – viel zu oft zu Missbrauch und Übertreibungen. Deshalb haben wir -klargestellt: Befristungen von unter einem Jahr müssen unterbleiben, ebenso das Stellensplitting in Einheiten von weniger als einer halben Stelle. Wir fordern weiter, die Laufzeit der Arbeitsverträge grundsätzlich an die Laufzeit der Projekte zu koppeln, in denen die Nachwuchswissenschaftler beschäftigt sind. Die HRK haben wir aufgefordert, einen Leitfaden mit Vorschlägen zur Behebung dieser Defizite vorzulegen. Es ist ein ermutigendes Signal, dass sich die HRK in ihrer Entschließung vom 24. April 2012 dazu bekannt hat, dass „das Qualifikationsziel in der Befristungszeit erreichbar … sein muss“. Die sehr gut nachvollziehbare Forderung der Nachwuchswissenschaftler nach planbaren Karriereper-spektiven muss aber auch mit dem ebenfalls wichtigen Anliegen der Hochschulen nach Flexibilität bei der Ausgestaltung von Arbeitsverträgen in Einklang gebracht werden. Es reicht nicht aus, nur die Interessen der Wissenschaftler im Auge zu haben; verantwortungsvolle Politik muss vielmehr beide Seiten in den Blick nehmen. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz stellt hier einen vernünftigen Interessenausgleich her. Es ist ein wirksames Instrument, um den Hochschulen personelle Flexibilität im weitgehend nicht planbaren Wissenschaftsprozess zu ermöglichen. Dies war eines der zentralen Ergebnisse der Anhörung vom 28. März 2012. Die von Ihnen geforderte Aufhebung der Tarifsperre lehnen wir deshalb ab. Drittens fordern Sie, die empirischen Erkenntnisse über die Promotionsfähigkeit im deutschen Wissenschaftssystem deutlich zu verbessern. Auch diesen letzten Punkt haben wir in unserem Antrag bereits deutlich formuliert. Wir wollen allerdings auch, dass dieser Schritt nicht nur der Statistik, sondern auch den Promovierenden etwas bringt. Deshalb haben wir als ersten wichtigen Schritt die Einführung eines einheitlichen Doktorandenstatus vorgeschlagen. Dieser soll mit konkreten Rechten wie der Hochschulmitgliedschaft und der Nutzung der Infrastruktur der Hochschule, zum Beispiel der Bibliothek, einhergehen. Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Viele unserer Forderungspunkte haben Sie in Ihrem Antrag übernommen. Darüber freuen wir uns. Einige andere Punkte, wie die stärkere Promotionsförderung an Fachhochschulen oder den vollständigen Verzicht auf qualifikationsfremde Tätigkeiten, lehnen wir allerdings ab. Bei der Weiterentwicklung unbefristeter Beschäftigungsmöglichkeiten bietet Ihr Antrag zu wenig; konkrete Vorschläge zur Umsetzung werden nicht gemacht. Während Sie das Wissenschaftszeitvertrags-gesetz grundlegend überarbeiten wollen, sehen wir in ihm grundsätzlich einen guten Ausgleich zwischen Hochschulen und Wissenschaftlern und wollen unzulässigen Missbrauch vermeiden. Unterm Strich macht Ihr Antrag an den entscheidenden Punkten keine neuen Vorschläge und bietet insgesamt wenig Neues. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Der wissenschaftliche Nachwuchs ist das Fundament wissenschaftlicher Hochschulausbildung und eines leistungsfähigen Forschungssystems. Deutschland braucht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Lehre an den Hochschulen gestalten und damit auch Fachkräfte ausbilden, die Forschung betreiben. Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist also die Grundlage dafür, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu erhalten und zu stärken, sowohl als Entwicklungs- und Produktionsstandort als auch als attraktiver Forschungs-, Arbeits- und Lebensort. Deutschland mangelt es nicht an hochmotiviertem, engagiertem Nachwuchs. Rund 14 Prozent derjenigen, die ein Studium absolvieren, promovieren. Damit liegt Deutschland im Vergleich zu seinen Nachbarländern an der Spitze. Die Köpfe, in die investiert werden muss, sind also da. Wenn uns der wissenschaftliche Nachwuchs so wichtig ist, dann wäre es selbstverständlich, dass diese Menschen unter guten Arbeitsbedingungen, mit einer ordentlichen Bezahlung und mit einer Aussicht auf gute berufliche Perspektiven arbeiten können. Hervorragende Lehre und Forschung sind ohne gute Arbeitsbedingungen nicht zu bekommen. Aber leider sieht die Wirklichkeit anders aus. Mit der Vorlage der HIS-Studie „Wissenschaftliche Karrieren“ sowie des Evaluationsberichtes des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes liegen genügend handfeste Daten und Fakten auf dem Tisch, die leider nur allzu deutlich zeigen, in welchen prekären Beschäftigungsverhältnissen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unserem Land arbeiten müssen. Der dringende Handlungsbedarf, die Beschäftigungssituation in diesem Bereich zu verbessern, ist nicht von der Hand zu weisen. Immer mehr Leute wollen studieren – und das ist wunderbar. Aktuell liegt für das Jahr 2012 wieder ein Rekordwert von mehr als 490 000 Studienanfängerinnen und -anfängern vor. Dafür braucht es entsprechend Personal. Doch die Personalkapazität an den Hochschulen wächst nicht in der gleichen Höhe wie die Zahl der Studierenden. Der Großteil der neu entstandenen Belastungen in Lehre und Forschung wird vom wissenschaftlichen Nachwuchs aufgefangen. Während neben den Anforderungen und dem -Arbeitsaufwand die Anzahl der Beschäftigten im Wissenschaftsbereich stetig steigt, stagniert die Zahl der Professuren. Für die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bedeutet dies, dass sie nur begrenzte Aufstiegschancen und geringe Aussicht auf eine -Dauerstelle haben. Gleichzeitig verzeichnen wir einen stetig ansteigenden Trend zu befristeten Beschäftigungen in der Wissenschaft. Weniger als 10 Prozent der Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler haben eine unbefristete Stelle. Hinzu kommt, dass viele der befristeten Stellen eine Vertragslaufzeit von einem Jahr oder sogar weniger aufweisen. Viele der Beschäftigten sind 40 Jahre oder älter. Befristete Arbeitsverträge sind heutzutage auf dem gesamten Arbeitsmarkt leider zu einem Problem geworden. Im Wissenschaftsbereich ziehen sich die Unsicherheiten bezogen auf die Lebens- und Karriereplanung besonders lange hin. Wünsche nach Verlässlichkeit, Stabilität und besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf bleiben oftmals bis ins fünfte Lebensjahrzehnt unerfüllt. Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dies ist ein Problem, von dem vor allem der weibliche wissenschaftliche Nachwuchs negativ betroffen ist. Für Frauen ist es besonders schwer, Familie und Wissenschaft unter einen Hut zu bringen. Während rund die Hälfte der Studierenden und Hochschulabsolventen weiblich ist, nimmt ihr Anteil auf dem Weg über die Promotion und Habilitation hin zu einer Professur kontinuierlich ab. Wenn sich in unserer Gesellschaft Begriffe wie „Frau Dr. Kinderlos“ prägen, dann müssen wir uns Gedanken machen. Zum einen gehen uns viele wichtige, kluge Köpfe verloren, wenn viele Frauen nicht den Weg in die Wissenschaft gehen wollen. Zum anderen müssen wir gerade den weiblichen Nachwuchs dabei unterstützen, Familie und Beruf vereinbaren zu können. Wir thematisieren dieses Problem nicht, um einer speziellen Gruppe etwas Gutes zu tun, sondern weil es ein Problem für die gesamte Gesellschaft ist, wenn uns diese hochmotivierten Leute verloren gehen. Entweder sie entscheiden sich von vornherein gegen den Beruf Wissenschaftler, oder sie gehen früher oder später ins Ausland. Sie verlassen die Wissenschaft. Es ist schlecht für Deutschland, diese klugen Köpfe zu verlieren. Darum müssen wir gegensteuern. Wir brauchen „gute Arbeit“, auch in der Wissenschaft. Wir thematisieren dieses Problem heute nicht zum ersten Mal. Studien, Berichte, Evaluationen sowie -Anregungen der Sachverständigen aus öffentlichen Anhörungen liefern genug Material und lassen den dringenden Handlungsbedarf erkennen. Doch die Fraktionen CDU/CSU und FDP lassen sich lediglich herab, einen blutleeren Alibiantrag einzubringen. Wo die Bundesregierung handeln könnte, will die Koalition nichts unternehmen; aber an die Länder und Hochschulen werden großartige Forderungen gestellt. Die Bundesregierung jedoch bewegt sich gar nicht. Stattdessen ignoriert sie die Anträge der Oppositionsfraktionen und lehnt sie vielmehr der Reihe nach ab. Deshalb müssen wir dieses Thema -leider immer wieder auf die Tagesordnung setzen und unsere Forderungen erneuern, bis auch endlich die Bundesregierung aufwacht. Wir fordern eine Personaloffensive für die Hochschulen mit 2 500 Professuren bis 2020 für bessere Karrierechancen, aber auch für eine bessere Betreuung der Studierenden. Wir fordern 1 000 zusätzliche Juniorprofessuren als Alternative zur Habilitation. Wir wollen den Tenure Track stärken, um bessere Karrierewege an den Hochschulen zu schaffen. Wir brauchen mehr strukturierte Promotionsprogramme und gleichstellungspolitische Programme sowie die Einführung einer Frauenquote. Wir setzen uns ein für den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten, damit die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft verbessert wird. Wir wollen eine Erhöhung des Anteils unbefristet beschäftigten Personals an den Hochschulen. Zudem hat die Evaluation des Wissenschaftszeit-vertragsgesetzes gezeigt, dass die Erweiterung des -Sonderbefristungsrechts für Wissenschaft und Forschung 2007 richtig war. Doch es gibt auch Befunde, die kritisch hinterfragt werden müssen. Um nur einige Punkte zu nennen: Zum einen ist es sachlich nicht zu rechtfertigen, -Abweichungen von den Bestimmungen durch tarifvertragliche Vereinbarungen zu untersagen. Die Tarifsperre muss aufgehoben werden, damit Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam Regelungen über das Gesetzliche hinaus treffen können. Zum Zweiten hat die Evaluation gezeigt, dass sehr viele Arbeitsverträge in der Qualifikationsphase eine sehr kurze Laufzeit haben – oftmals sind die Verträge auf weniger als ein Jahr angelegt. Auch hier muss -gegengesteuert werden, indem insbesondere in der Postdocphase eine Mindestbefristungsdauer festgelegt werden sollte, von der nur in begründeten Fällen abgewichen werden darf. Zum Dritten wurde festgestellt, dass sehr häufig -Arbeitsverträge auf Basis von Drittmittelbewilligungen befristet werden, obwohl die Befristungsgrenzen der Qualifizierungsphasen nicht ausgeschöpft sind. Auch hier muss an den Stellschrauben gedreht werden, um dem Schutzgedanken des Sonderbefristungsrechts Rechnung zu tragen. Der Antrag der Fraktion Die Linke enthält einige wichtige, richtige Punkte, denen wir uns als SPD-Fraktion anschließen könnten. Aber schon die Überschrift lässt erkennen, dass der Antrag zu kurz greift. Sicherlich ist es richtig, die Arbeitsbedingungen und Berufsperspektiven von Promovierenden verbessern zu wollen. Doch dürfen wir in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass es auch Probleme zu lösen gilt – sowohl für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in der Postdocphase befinden, als auch für das wissenschaftsunterstützende Personal. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Der wissenschaftliche Nachwuchs ist ein Garant für den Erhalt des erfolgreichen Forschungs- und Innovationsstandortes Deutschland. Deshalb verlangt die Entscheidung eines jungen Menschen, sich der Wissenschaft in all ihren Herausforderungen und Unwägbarkeiten hinzugeben, höchste Anerkennung und Förderung durch die Gesellschaft. In der wissenschaftlichen Karriere ist die Promotionsphase für jeden Wissenschaftler, wenn auch nur über einen kurzen Zeitraum, eine überaus intensive Phase. Denn die Promotionsphase legt den Grundstein für das weitere wissenschaftliche Wirken. Die Erfahrungen, die jeder Nachwuchswissenschaftler dabei sammelt, prägen sein wissenschaftliches Engagement. Daher ist es richtig, die Bedingungen, unter denen Doktoranden arbeiten und forschen, stets einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und alles daranzusetzen, Bedingungen und Umstände immer weiter verbessern zu wollen. Der Antrag „Arbeitsbedingungen und Berufsper-spektiven von Promovierenden verbessern“ von der Linken leistet jedoch keinerlei geistreichen Beitrag zu dieser politischen Herausforderung. Der Antrag taugt eigentlich nicht einmal dazu, ihn zu debattieren. Denn die Linke bleibt mit ihren Forderungen und Zielsetzungen unkonkret. Es kommen keine Vorschläge oder Ideen, wie denn die Probleme, die man sieht, gelöst werden können. So fordert man beispielsweise die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, „die Bewerbungsphase zur Promotion – „Exposéphase“ – durch entsprechende Fördermaßnahmen besser abzusichern“. Oder sich bei den Forschungsorganisationen dafür einzusetzen „die Promotionsförderung von Fachhochschulabsolventinnen und -absolventen deutlich zu erhöhen“. Und selbst die Forderungen aus dem Antrag, die man ansatzweise diskutieren könnte, verfehlen bedauerlicherweise ihr Ziel. Denn der im Antrag von der Linken genannte Adressat, die Bundesregierung und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, sind nur ein Partner. Das Promotionsrecht selbst jedoch liegt einzig bei den Universitäten. Die gesetzlichen Vorgaben zur Verleihung akademischer Grade fallen unter das Landesrecht und die Promotionsordnung. Aus diesem Grund sind Hochschulen und Bundesländer in der Pflicht und Verantwortung, die Bedingungen für Nachwuchswissenschaftler direkt zu verbessern. Die Bundesregierung über den Umweg der außeruniversitären Forschungseinrichtungen nun zum Handeln aufzufordern, ist reichlich konstruiert. Das zeugt von blindem Aktionismus und versucht – erfolglos –, von eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken. Allein vor diesem Hintergrund erschließt sich dann auch leicht, warum die Linke so denkt und diesen Antrag gestellt hat. Ich lade deshalb jeden dazu ein, sich die Wissenschaftspolitik in Brandenburg anzuschauen. Dort, wo SPD und die Linke regieren und Wissenschaftspolitik direkt gestalten können, wird der Anspruch ihrer Politik der Wirklichkeit ihrer Politik nicht gerecht. Denn in Brandenburg habe ich bislang keine politische Initiative von der Linken gesehen, mit der man, wie in dem vorliegenden Antrag gefordert, den Promovierenden eine Vollzeitstelle als Regelfall zu-sichert. Auch ist mir nicht bekannt, dass man – wie im vorliegenden Antrag gefordert – flächendeckend Promotionsvereinbarungen eingeführt hätte. Oder dass man – wie im vorliegenden Antrag gefordert – flächendeckend objektivierte Zugangsverfahren für die Promotion eingeführt hätte. Ich könnte mit jedem Punkt aus Ihrem Forderungskatalog fortfahren und Ihnen Ihre Untätigkeit vor-halten. Stattdessen verweise ich auf das, was Sie in der Hochschulpolitik in Brandenburg getan und zu verantworten haben. Sie haben im vergangenen Jahr den Hochschulen in Brandenburg 10 Millionen Euro aus der vertraglich zugesicherten Rücklage entnommen, um Löcher im Landeshaushalt zu stopfen, obwohl die Wissenschaft laut Ihrem vollmundigen Versprechen im Koalitionsvertrag höchste Priorität genießt. Da frage ich: Wie wollen Sie also gewährleisten, dass die Nachwuchswissenschaftler unter besseren Bedingungen arbeiten und forschen können, wenn Ihr linker Finanzminister in Brandenburg den Haushalt für das Wissenschaftsressort an der kurzen Leine hält? Es gibt eine Umschreibung für Ihre Politik in Bund und Land, die es am besten trifft: politischer Opportunismus! Sie haben einen Antrag vorgelegt, der in sich obsolet ist und daher unserem Anspruch an eine verantwortungsvolle Wissenschaftspolitik nicht ansatzweise gerecht wird. Deshalb verweise ich auf unseren Antrag, den Antrag von FDP und CDU/CSU, „Exzellente Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs fortentwickeln“, den wir am 26. April 2012 in den Deutschen Bundestag eingebracht haben. In unserem Antrag verfolgen wir mit 15 konkreten Forderungen das Ziel, die Rahmenbedingungen für Nachwuchswissenschaftler an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie für alle weiteren Doktoranden stetig zu verbessern. In dem Antrag verlieren wir aber nicht aus dem Blick, dass Wissenschaftspolitik und damit auch die Problematik der Beschäftigung von Nachwuchswissenschaftlern an Hochschulen und Forschungseinrichtungen in erster Linie Ländersache ist. Diesem Umstand tragen wir sehr klar Rechnung und betonen, dass Bund und Länder gemeinsam eine Verantwortung tragen und darum bemüht sein müssen, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Eine Verantwortung aber, die von der Linken gerne unterschlagen wird. Im Antrag der Linken wird beispielsweise das 2007 eingeführte Wissenschaftszeitvertragsgesetz kritisiert. Es wird mit dem Finger auf den Bund gezeigt. Was aber unterschlagen wird, ist, dass die Länder ihrer Verantwortung häufig nicht gerecht geworden sind. Der Bund hat seine Anstrengungen bei der Finanzierung der Hochschulen erhöht, hat seit Jahren Milliarden an Euro durch die Exzellenz-initiative, den Qualitätspakt Lehre sowie den Hochschulpakt 2020 zu einer besseren Ausfinanzierung der Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland beigetragen. Gleichzeitig aber haben einige Länder, wie das rot-rot regierte Brandenburg, die Grundfinanzierung der Hochschulen zurückgefahren. Wenn die Linke also mit dem Finger auf den Bund und das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zeigt, zeigen gleichzeitig drei Finger auf die eigene verfehlte Hochschulpolitik. Wenn kritisiert wird, dass satte 84 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter an unseren Hochschulen befristet angestellt sind, davon wiederum die Hälfte mit einem auf unter ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag, dann vergisst die Linke ihren Beitrag daran einzurechnen. Den Antrag „Arbeitsbedingungen und Berufsper-spektiven von Promovierenden verbessern“ der Linken lehnen wir ab. Ich empfehle, unseren Antrag aufmerksam zu lesen. Wir haben dort eine Vielzahl von guten Vorschlägen gemacht. Unser Antrag ist ein Appell an die Länder, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen, insbesondere attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten und verlässliche Karriereperspektiven an ihren Hochschulen zu schaffen. Der Bund kann unterstützen, und wir Liberale werden diese Verantwortung immer annehmen und dieser auch gerecht werden. Schaufensteranträge wie der vorliegende bringen niemanden weiter und stehlen uns allen nur kostbare Zeit. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ – diese Redensart kann man so oder ähnlich öfter hören, wenn es um die Arbeits- und Einkommensbedingungen von Promovierenden in unserem Land geht. Ein Denkfehler in dieser Aussage besteht darin, Promovierende als in der Lehre befindlich anzusehen. Das Gegenteil stimmt: Wer promoviert, hat bereits einen überdurchschnittlichen Studienabschluss in der Tasche und sich in einem Auswahlverfahren an die Spitze vorgekämpft. Promovierende lehren, forschen und managen Wissenschaftsstrukturen. Dass hierbei immer noch von wissenschaftlichem Nachwuchs gesprochen wird, sagt mehr über die äußerst hierarchische Personalstruktur unserer Wissenschaftseinrichtungen und Hochschulen aus als über die Qualifikation der Betreffenden. Um es klar zu sagen: Die Promotion sehen wir als erste Phase einer anspruchsvollen wissenschaftlichen Berufstätigkeit. Wir reden von Höchstqualifizierten und Leistungsträgern. Nicht selten stellt die Dissertation die innovativste Schaffensphase einer wissenschaftlichen Kar-riere dar. Diese Position vertrat wohl auch ein Kollege der Unionsfraktion, allerdings unter anderen Vorzeichen. Er meinte im Ausschuss, wir redeten hier schließlich von der wissenschaftlichen Elite, die dürfe man nicht als Prekariat bezeichnen. Leider muss man dies sogar, wenn man die Arbeitsbedingungen vieler Promovierender beschreiben will. Knapp die Hälfte hat laut dem Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung, iFQ, ein monatliches Einkommen von unter 1 100 Euro, wobei auch Zuschüsse von -Familienangehörigen und Nebenjobs einfließen. Besonders schwierig ist die Situation in den Sozial- und Geisteswissenschaften, wo laut iFQ sogar ein Fünftel der befragten Promovierenden unter der Armutsgrenze lebt. Ähnlich dramatisch ist es um die berufliche Sicherheit bestellt: Die Evaluierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes brachte ans Licht, dass 57 Prozent der Verträge in der Promotionsphase an außeruniversitären Forschungseinrichtungen Laufzeiten von weniger als einem Jahr haben. An Hochschulen laufen 53 Prozent der Verträge in der ersten Qualifikationsphase weniger als ein Jahr, sogar 17 Prozent als Erstvertrag. Die Verträge der Promovierenden haben in der Regel kürzere Laufzeiten, als dies zum Verfassen der Dissertation nötig wäre. Andersgelagerte Probleme ergeben sich, wenn die Dissertation immer häufiger statt auf einer Stelle durch ein Stipendium finanziert wird. Stipendiatinnen und Stipendiaten ohne Stelle sind nicht über einen Arbeitgeber unfall-, kranken-, arbeitslosen- und rentenversichert. Sie müssen diese Vorsorge aus dem Stipendium finanzieren, das in der Regel zwischen 1 000 und 1 365 Euro plus kleinerer Zuschläge beträgt. Damit stehen Stipendiatinnen und Stipendiaten in der Regel noch schlechter da als ihre angestellten Kolleginnen und Kollegen. Kein Wunder, dass in Umfragen die meisten zwar einen Kinderwunsch bestätigen, aber eine Familiengründung in weite Ferne schieben! Es überrascht auch kaum, wenn angesichts dieser Bedingungen nach Schätzungen im Rahmen des Bundesberichtes zum wissenschaftlichen Nachwuchs zwei Drittel der Promotionen nicht zu Ende geführt werden. Diese Bedingungen nehmen viele Betroffene nicht länger widerspruchslos hin. Petitionen wie die FairPay-Initiative sind von vielen unterzeichnet worden, das Templiner Manifest und der Herrschinger Kodex der GEW inzwischen den meisten ein Begriff. Und die Initiativen zeigen erste Erfolge: Die Max-Planck--Gesellschaft hob nicht nur den Stipendiensatz an, sondern führte vor allem eine explizite Begründungspflicht ein, wenn statt einer Stelle ein Stipendium -vergeben werden soll. Die DFG hat sich bereits vor längerem entschieden, statt der üblichen halben -Stellen mindestens 65 Prozent zu finanzieren. Diese ersten guten Beispiele sind zu loben. Wir brauchen nun jedoch ein politisches Umdenken auf breiter Front, das bei der Koalition bisher nur im Wünschen und nicht im Machen besteht. Union und FDP hatten in einem Antrag erklärt, dass sie die Vertragslaufzeiten an die Promotionsphase angleichen und einen einheitlichen Doktorandenstatus einführen wollen. Allein: Das waren nur Ankündigungen. Nicht Ihr Druck, meine Damen und Herren von der Koalition, hat die Max-Planck-Gesellschaft zur eben angesprochenen Verbesserung der Situation gebracht, sondern der Protest der Promovierenden und eine Kleine Anfrage unserer Fraktion! Das belegt das entsprechende Rundschreiben der Geschäftsführung. Wir wollen, dass die 200 000 Promovierenden in unserem Land endlich die verdiente Anerkennung, gute Arbeitsbedingungen und sichere Karriereperspektiven bekommen. Dazu gehört dann auch mehr als Bezahlung und Vertragsdauer: ein transparentes und offenes Auswahlverfahren statt professoraler Rosinenpickerei und eine echte und wirksame Öffnung der Promotionsverfahren für Fachhochschulen und ihre Absolventinnen und Absolventen. Die Dissertation sollte zukünftig nicht mehr als Freizeitvergnügen gewertet, sondern als Teil der wissenschaftlichen Arbeit im Rahmen einer vollen Stelle vergütet werden. Die Betreuungsverpflichtung sollte flächendeckend in Promotionsvereinbarungen niedergelegt werden. Die Promotionsphasen sind weder „Lehrjahre“ noch „Herrenjahre“. Es ist eine Zeit engagierter Arbeit im Dienste von Forschung und Wissenschaft, die mehr Freiraum und mehr Sicherheit braucht. Unser Antrag hat Vorschläge dazu unterbreitet. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutschland hat eine außergewöhnlich hohe Promotionsquote. Dafür gibt es spezifische Gründe: In Deutschland ist die Promotionsphase nicht nur die erste Berufsstation in der Wissenschaftskarriere. Die Promotion in Deutschland ist auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als Qualitätsauszeichnung anerkannt – und zwar nicht nur in den Sonderfällen Medizin und Chemie. Dieser Doppelcharakter lässt sich nicht ohne massive Verwerfungen auflösen, und wir Grünen wollen ihn im Unterschied zur Linkspartei auch gar nicht auflösen. Wir wollen vielmehr die Vielfalt der Wege zur Promotion erhalten. Externe Promotionen neben dem Beruf oder Promotionen mit Stipendien haben genauso ihre Berechtigung wie Promotionen auf Qualifizierungsstellen. Strukturierte Angebote in Kollegs und Graduiertenschulen sind auszubauen, ohne die Möglichkeit zur klassischen Einzelpromotion einzuschränken. Entscheidend ist es, für jeden dieser Wege die Bedingungen zu verbessern. Das hilft den Promovierenden, das wird aber auch die Qualität der Promotionen weiter erhöhen. Durch die Exzellenzinitiative und die Graduiertenschulen ist die Promotionspraxis in den letzten Jahren in Bewegung gekommen. Die Universitäten übernehmen immer mehr Verantwortung für die Promotion. Von dieser Verobjektivierung können und sollen alle Promotionsverhältnisse profitieren. Das beginnt mit einem einheitlichen Gruppenstatus für Promovierende, damit endlich transparent wird, wie viele Menschen in Deutschland überhaupt promovieren und wer, wo und bei wem promoviert oder auch sein Promotionsvorhaben abbrechen muss. Ohne diesen Gruppenstatus ist auch eine effektive Interessenvertretung schlicht nicht möglich. Verobjektivierte Verfahren braucht es auch beim Zugang zur Promotion, damit er fairer wird und die Qualität gesichert wird. Promotionsmöglichkeiten sollten grundsätzlich in einem offenen und transparenten Bewerbungsverfahren vergeben werden. Das gilt für Stellen wie für Stipendien oder die Betreuung Externer. Die Chancen zum Promovieren dürfen nicht nur diejenigen haben, die ihrem Doktorvater inhaltlich und habituell am ähnlichsten sind oder schon im Studium am Rockzipfel ihrer Doktormutter hingen. Hierzu gehört auch, dass sehr gute FH-Absolventinnen und Absolventen eine faire Chance zu promovieren bekommen. Hier müssen sich die Universitäten für Kooperationen, zum Beispiel auch für kooperative Kollegs zwischen Fachhochschulen und Universitäten, öffnen. Wir wollen auch, dass es für jedes Promotionsvorhaben eine individuell zugeschnittene – beide Seiten -bindende – Promotionsvereinbarung gibt. Promotionsvereinbarungen helfen, die Promotionsphase zu strukturieren, und vergegenwärtigen den betreuenden Professorinnen und Professoren, welche Verpflichtungen sie gegenüber den Promovierenden eingehen. Promovierenden auf Qualifikationsstellen muss darüber hinaus ausreichend Zeit für die eigene Arbeit an der Promotion zur Verfügung stehen. Wir wollen, dass das im Arbeitsvertrag explizit festgehalten wird. Außerdem soll die Befristung in der Regel so terminiert werden, dass die Qualifizierungsarbeit in diesem Zeitraum auch abgeschlossen werden kann. Promovierenden ohne Qualifikationsstelle fehlt dagegen häufig die Anbindung an die Universität und den Wissenschaftsbetrieb. Wir wollen, dass auch Promovierende mit Stipendium oder im Beruf regelmäßig an Forschungskolloquien teilnehmen können, dass ihnen Qualifizierungen angeboten werden und dass sie die Gelegenheit bekommen, Lehrerfahrung zu sammeln. Reguläre Arbeitsleistungen im Labor oder in der Lehre haben dagegen bei einer Stipendienfinanzierung nichts zu suchen. Stipendiatinnen und Stipendiaten sollten aber in jedem Fall wie Studierende in der gesetzlichen Krankenversicherung einen besonderen Tarif erhalten. Auch dafür ist ein einheitlicher Status an der Uni sinnvoll. Bei allen berechtigten, sinnvollen und erforderlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Promotionsbedingungen: Die größten Probleme für den wissenschaftlichen Nachwuchs bestehen heute aus meiner Sicht nicht bei den Promotionen, sondern im Postdoc-Bereich. Das kommt im vorliegenden Antrag der Linkspartei viel zu kurz. Entscheidend ist es, den hochmotivierten und ausgezeichneten Postdocs verlässlichere, berechenbarere Anschlussperspektiven im Wissenschaftsbereich zu -geben, um tatsächlich die besten Köpfe in der Wis-senschaft zu halten. Dazu brauchen wir keine 200 000 Vollzeitpromotionsstellen, wie es die Linkspartei vorschlägt, sondern ausgewogenere Personalstrukturen – an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, vor allem aber an den Universitäten. Nötig sind genügend mehrjährige Postdoc-Stellen, Juniorprofessuren und Professuren. Nötig sind aber auch neue Personalkategorien für selbstständige Forschung und Lehre neben der Professur, damit nicht jede erfahrene Wissenschaftlerin und jeder erfahrene Wissenschaftler, die oder der den Sprung auf eine der wenigen Vollprofessuren nicht oder nicht gleich schafft, gar keine Perspektive an der Hochschule mehr hat. Denn nur mit abhängigen Forschungs- und Lehranfängerinnen und -anfängern – und genau das sind die Promivierenden – werden die gewachsenen Aufgaben der Universitäten in Forschung und Lehre, Wissens- und Technologietransfer, Weiterbildung oder Internationalisierung nicht zu bewältigen sein. Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Der wissenschaftliche Nachwuchs ist der Garant einer guten Zukunft: Viele globale Herausforderungen, etwa der Sieg über die Volkskrankheiten, die Bewäl-tigung des Klimawandels oder die Sicherung der -Welternährung, werden wir nur bewältigen, wenn gute Wissenschaftler auch in Zukunft weiter engagiert und couragiert an deren Lösung arbeiten. An dem Umgang mit unseren zukünftigen Talenten und Leistungsträgern der Gesellschaft entscheidet sich, wie unsere Hochschulen und unser Land im globalen Wettbewerb von Wissenschaft und Forschung dastehen werden. Deshalb sind eine ausgezeichnete Ausbildung, gute Arbeitsbedingungen und kalkulierbare Berufsperspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses und im Besonderen von Promovierenden für die Bundesregierung von großer Bedeutung. Die Bundesregierung kümmert sich auf vielfache Weise um die Zukunftschancen von Promovierenden im Besonderen und von Nachwuchswissenschaftlern im Allgemeinen: So schaffen wir mit der Exzellenzinitiative 5 400 neue Beschäftigungsmöglichkeiten für den Nachwuchs; 45 Graduiertenschulen sind entstanden. Auch in den großen thematischen Rahmenprogrammen, so etwa aktuell im Rahmenprogramm der Geistes- und Sozialwissenschaften, und im Gesundheitsforschungsprogramm sind Nachwuchsgruppen als wichtiges strukturbildendes Element verankert. Die Mittel für die Promotionsstudierenden in den Begabtenförderwerken haben wir von 30 auf 50 Millionen Euro jährlich angehoben. Damit stehen jedem Promovierenden monatlich 1 050 Euro zur Verfügung. Die Programme „PhD-Net“ und „International Promovieren“ sind große Erfolge. Die Mittel des DAAD und für die Alexander-von-Humboldt-Stiftung steigen im jüngst beschlossenen Haushalt 2013 erneut an. Dies ermöglicht es, dass mehr Promovierende internationale Erfahrung sammeln können. Mit dem KISSWIN-Netzwerk fördern wir den regelmäßigen Austausch und die Information Promovierender über ihre Karriereoptionen. Nicht zuletzt haben wir mit dem erstmals 2008 von Bundesministerin Annette Schavan vorgelegten „Bundesbericht zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses“ ein neues Instrument geschaffen, das die Situation und die Fördernotwendigkeiten transparent macht. Im kommenden Jahr werden wir den nächsten Bericht vorlegen. Ich glaube, diese Bilanz ist beeindruckend, und dennoch sage ich ausdrücklich: Es besteht an diversen Stellen Verbesserungsbedarf, der jedoch vielfach nicht durch den Gesetzgeber, sondern nur durch eine Veränderung der Kultur an den Hochschulen erreicht werden kann. Auch der Wissenschaftsrat konstatiert, dass es kein legislatives Defizit bei der arbeitsrechtlichen Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse von Promovenden gibt. Die Schaffung von zusätzlichen Stellen statt der Ausgestaltung als Stipendium, die Abkehr von unzumutbar kurzen Laufzeiten der Verträge, bessere pädagogische Betreuung und ebenso die Planbarkeit und Flexibilität von Karriereverläufen kann nicht gesetzlich verordnet, sondern nur durch die Hochschulen gelebt werden. Das bestehende Lehrstuhlsystem, in dem dem Lehrstuhlinhaber mehrere Assistenten unterstellt sind, reflektiert nicht mehr die Bedürfnisse einer modernen Forschungspolitik. Damit Hochschulen auch für Spitzenforscher attraktiver werden, sollte man darüber nachdenken, in Experimentalfakultäten mehr Selbstständigkeit des Nachwuchses von Anfang an zu praktizieren. Die Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen müssen Qualitätsstandards für die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Promovenden genauso wie für deren Ausbildung definieren und umsetzen. Die im Antrag geforderte Datengewinnung über Promovierende ist in der Tat erforderlich und wurde von uns bereits in Angriff genommen. Wir benötigen Daten über Promovierende auch zur Weiterentwicklung des Hochschul- und Wissenschaftssytems – und zwar hinsichtlich seiner nationalen wie auch internationalen Bedeutung. Das Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung, iFQ, stellt zu diesem Zweck am 30. November 2012 die mit Mitteln des BMBF geförderte „Machbarkeitsstudie zur Doktorandenerfassung und Qualitätssicherung von Promotionen an deutschen Hochschulen“ vor. Wir versprechen uns vergleichbare Informationen über Doktoranden von dem Beginn ihrer Promotionsphase an, um auf der Grundlage zuverlässiger Daten den notwendigen Reformprozess voranzutreiben. Zur Unterstützung der Karriereforschung von Promovierten beteiligt sich auch das Statistische Bundesamt auf Veranlassung des BMBF an einer internationalen Studie von UNESCO, OECD und Eurostat. Erste Ergebnisse für Deutschland werden im Frühjahr 2013 vorliegen. Datengewinnung über Promovierende ist nur ein Element des Engagements der Bundesregierung. Das BMBF hat vielfältige Initiativen gestartet, um Hochschulforschung zu initiieren. Seit August 2012 läuft -unsere Ausschreibung „Forschung zu den Karriere-bedingungen und Karriereentwicklungen des Wissenschaftlichen Nachwuchses“. Mithilfe der geförderten Forschungsvorhaben werden wir dieses Feld systematisch und kontinuierlich aus- und aufbauen. Hinzu kommt, dass die Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrates „Karrierewege im Wissenschaftssystem“ derzeit Empfehlungen erarbeitet, die sich auch mit den Möglichkeiten einer aktiven Personalentwicklung durch die Hochschulen und Forschungsinstitute befasst. Dabei werden Karriereperspektiven jenseits der ordentlichen Professur in den Blick genommen und wird ermittelt, wie sie sich in Forschung und Lehre, Administration und Management herausgebildet haben. Eine Erhöhung der Planstellen an unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen kann aber nur eine der Lösungen sein. Wir müssen den Promovenden auch alternative Karrierewege außerhalb der Wissenschaft aufzeigen. Die im Antrag geforderte Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes wäre kontraproduktiv: Die sogenannte Tarifsperre des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (§ 1 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG) gilt nur für den Kernbestand der Befristungsregelungen und besagt konkret, dass davon nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. Unzulässig sind damit aber nur solche Vereinbarungen der Tarifpartner, die den konkreten Befristungs-tatbeständen zuwiderlaufen. Den Tarifparteien stehen daher ausreichende Bereiche zur tariflichen Regelung zur Verfügung. So könnten sie sich selbstverständlich auf bestimmte Mindestvertragslaufzeiten verständigen und sie an Qualifikationszeiten oder der Dauer von Drittmittelförderung orientieren. Gesetzgeberische Maß-nahmen wären hier nicht zielführend. Eine notwen-digerweise allgemeine gesetzliche Regelung würde -zudem den spezifischen Verhältnissen in den unterschiedlichen Forschungsbereichen kaum Rechnung tragen können. Auf Initiative des BMBF wurde im Anschluss an die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes in der Allianz der Wissenschaftsorganisationen ein -Diskussionsprozess in Gang gesetzt, der mit der im -Dezember 2011 erfolgten klaren Positionierung der Allianz und den von der Mitgliederversammlung der Hochschulrektorenkonferenz im April dieses Jahres beschlossenen Leitlinien zu ersten Ergebnissen geführt hat. Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind sich ihrer Verantwortung für die Nachwuchsförderung, auch im Sinne von besserer Planbarkeit und Transparenz wissenschaftlicher Karrierewege, bewusst. Dieser eingeleitete Prozess muss jetzt zielgerichtet weitergeführt werden. Gesetzliche Maßnahmen, wie sie in dem Antrag gefordert werden, wären daher der falsche Weg und würden das von uns angestrebte Ziel, für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlässliche Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen, erheblich beeinträchtigen. Die Bundesregierung wird auch in Zukunft intensiv für die Interessen von Promovierenden und Nachwuchswissenschaftlern eintreten. Jedem Einzelnen von ihnen wünsche ich viel Erfolg. Denn jede Erkenntnis eines jungen Forschers bringt unser Land voran: unseren Wohlstand, unsere Gesundheit, unsere Umwelt, unsere Gesellschaft. Präsident Dr. Norbert Lammert: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11044 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Widerspruch ist nicht erkennbar. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Marcus Weinberg (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Miriam Gruß, Nicole Bracht-Bendt, Florian Bernschneider, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Tagespflegepersonen stärken – Qualifikation steigern – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Christel Humme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neuen „Krippengipfel“ einberufen – Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung voranbringen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahlfreiheit gewährleisten, Kindertagesbetreuung ausbauen – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2010 (Zweiter Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes) – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2011 (Dritter Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes) – Drucksachen 17/9925, 17/5518, 17/9929, 17/5900, 17/9850, 17/11574 – Berichterstattung: Abgeordnete Marcus Weinberg (Hamburg) Caren Marks Miriam Gruß Diana Golze Ekin Deligöz Auch zu diesem Tagesordnungspunkt werden die Reden zu Protokoll genommen. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Eine moderne Familienpolitik muss Antworten auf die Frage liefern, wie Familien Berufsalltag und Familienleben in Einklang bringen sollen. An erster Stelle steht dabei immer das Wohl der Kinder. Sie benötigen Fürsorge, Zuwendung sowie eine angemessene Betreuung und Bildung. In der Zielsetzung einer hochqualitativen Betreuung sind wir uns einig –das wurde in den zahlreichen Debatten, die wir hier geführt haben, deutlich –: Es muss uns gelingen, unseren Kindern die bestmögliche Betreuung zu bieten. Und dabei darf es keine Rolle spielen, wo die Betreuung stattfindet, ob in der Kindertagesstätte, in der Tagespflege oder zu Hause. Es ist unsere Aufgabe, Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und somit eine echte Wahlfreiheit zu ermöglichen. Auf keinen Fall dürfen wir und sollten wir dabei die eine oder andere Form der Kinderbetreuung bevorzugen oder abwerten. Insbesondere haben wir uns nach den Bedürfnissen der Eltern zu richten. Gerade immer mehr Frauen sind heutzutage erwerbstätig und steigen nach der Geburt ihres Kindes schneller wieder in den Beruf ein. Immer mehr Männer nehmen Elternzeit in Anspruch. Familien, in denen beide Elternteile Verdiener sind, sind keine Seltenheit mehr. Das Angebot an staatlich geförderter Kindertagesbetreuung wird daher immer bedeutender für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Für diejenigen Eltern, die sich für die Betreuung in einer Einrichtung entscheiden, wollen wir ausreichend hochqualitative Betreuungsplätze zur Verfügung stellen. Wie viel Gewicht wir diesem Anliegen beimessen, beweist, dass ab dem 1. August 2013 für jedes Kind ein Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz geltend gemacht werden kann. Die Verantwortung für den Krippenausbau liegt in erster Linie bei den Ländern und Kommunen. Auf dem Krippengipfel im Jahr 2007 haben wir uns jedoch darauf verständigt, dass sich der Bund an der Länderaufgabe „Ausbau der Betreuungsplätze“ beteiligt. Der Bund hält sich an diese gemachte Zusage: Er investiert 4 Milliarden Euro in den Ausbau von Kindertagesstätten, ab 2014 weitere 770 Millionen in die Betriebskosten. Darüber hinaus starten das Bundesfamilienministerium und die KfW Bankengruppe Anfang 2013 zwei neue Förderprogramme für den Ausbau von Kindertagesstätten. Für die Kommunen und die anderen Träger von Kindertagesstätten stehen dann KfW-Kredite in Höhe von insgesamt 350 Millionen Euro zur Verfügung. Zielsetzung des Ausbaus war es, bis zum Jahr 2013 eine bundesdurchschnittliche Betreuungsquote von 35 Prozent zu erreichen und 750 000 Betreuungsplätze bereitzuhalten. Allein 30 Prozent der neu zu schaffenden Plätze in der Kinderbetreuung sollen in der Tagespflege entstehen. Diese Zielmarke hat sich mittlerweile aufgrund demografischer Entwicklungen und einer anderen Bedarfssituation auf 39 Prozent und 780 000 Plätze erhöht. Der Bund erklärt sich deshalb bereit, den Ländern erneut unter die Arme zu greifen: Er stellt zusätzliche 580 Millionen Euro für Investitionen und 75 Millionen Euro für den Betrieb zur Verfügung. Aber diese Mittel müssen die Länder auch abrufen. Immer noch stehen 700 Millionen Euro der 4 Milliarden Euro Ausbaugelder zur Verfügung. Auch wenn wir nicht verkennen, dass die Länder aufgrund der Schuldenbremse sparen müssen, darf dies nicht dazu führen, dass der Ausbau der Kindertagesstätten vernachlässigt wird. In den vergangenen drei Jahren hätte viel mehr passieren können und mehr passieren müssen. Das wäre der Fall, wenn das vom Bund bereitgestellte Geld zu 100 Prozent vor Ort in der Kindertagesbetreuung ankommen würde. Was wurde mit den Geldern bisher aber erreicht? Der aktuelle Dritte Zwischenbericht zur KiföG-Evaluation zeigt, dass die Betreuungsquote im vergan-genen Jahr im Bundesdurchschnitt um 2,3 Prozent -gestiegen ist. Wir erreichen mittlerweile eine durchschnittliche Betreuungsquote von 25,4 Prozent – -vielversprechende Resultate, die bestätigen, dass die -Ausbaubemühungen grundsätzlich in die richtige Richtung gehen. Der Bericht bescheinigt jedoch auch, dass es zwischen den ost- und den westdeutschen Bundesländern noch deutliche Unterschiede bei den Ausbauquoten gibt. Regionale Differenzen bestehen darüber hinaus auch in der Bedarfsbeschreibung zwischen Stadt und Land: Hohe Bedarfe existieren beispielsweise mit jeweils 61 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt und mit 57 Prozent in Brandenburg, während in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein Betreuungsquoten zwischen 30 und 35 Prozent nachgefragt werden. Einige Länder werden demnach mehr als andere Probleme haben, den Wünschen der Eltern nach einer Kindertagesbetreuung nachzukommen. Hier muss rasch nachgebessert werden. Am Beispiel Mecklenburg-Vorpommern ist besonders bemerkenswert, dass die dortige zuständige So-zialministerin Manuela Schwesig medienwirksam den Ausbaustand in CDU-geführten Ländern kritisiert. Aber es zeigt sich, dass es sinnvoller wäre, zunächst vor der eigenen Haustür zu kehren. Mecklenburg-Vorpommern bildet das Schlusslicht aller ostdeutschen Länder, wenn es um die Diskrepanz zwischen dem Betreuungswunsch der Eltern und der tatsächlichen Ausbauquote geht. In den vergangenen Jahren ist nicht nur ausgebaut worden, es ist auch gelungen, neue Fachkräfte zu gewinnen. Die Anzahl der pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen ist um etwa ein Viertel und die Zahl der Tagespflegepersonen um mehr als 40 Prozent gestiegen – auch wenn dies Prognosen zufolge nicht ausreichen wird. Trotz vieler Initiativen in Bund und Ländern können wir noch nicht vorhersagen, ob bis dahin die ausreichende Anzahl von Tagespflegepersonen für die Kinderbetreuung zur Verfügung steht. Aber es ist nicht nur Aufgabe des Bundes allein, für eine ausreichende Zahl qualifizierter Tagespflegepersonen Sorge zu tragen. Die Länder müssen in erster Linie dazu beitragen. Wir fordern die Länder in unserem Antrag daher erneut ausdrücklich dazu auf, ihre Verpflichtungen beim Kita-ausbau einzuhalten. Der Bund handelt, auch die Länder müssen ihrer Verpflichtung nachkommen. Insbesondere sollten sie die vom Bund bereitgestellte finanzielle Unterstützung direkt vor Ort nutzen, um die Betreuungssituation weiter zu verbessern. Weitere Zukunftsaufgabe ist die Sicherstellung der Qualifizierung des Fachpersonals in Einrichtungen und in der Tagespflege. Tagesmütter und Tagesväter leisten einen sehr wichtigen Beitrag zum Ausbau, und laut dem Dritten Zwischenbericht zur KiföG-Evaluation nimmt die Zahl der Kinder, die von Tagespflegepersonen betreut werden, erfreulicherweise weiterhin zu. Neben der Bereitstellung finanzieller Mittel hat der Bund die Länder auch mit Maßnahmen zur Qualifizierung der Erzieherinnen und Erzieher unterstützt. Auf den Weg gebracht wurden die Programme „Mehr Männer in Kitas“, die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, WiFF, oder auch das Aktionsprogramm Kindertagespflege. Initiativen wie diese tragen dazu bei, dass die Qualifizierung der Fachkräfte laut nationalem Bildungsbericht von 8 auf 22 Prozent gesteigert werden konnte. Ebenso hat sich der Anteil der Tagespflegepersonen, die keinen Qualifizierungskurs absolviert haben, auf 14 Prozent und damit auf die Hälfte reduziert. Der von uns vorgelegte Antrag thematisiert die Qualifikation von Tagespflegepersonen und die zum Teil schwierigen Rahmenbedingungen für viele Tagesmütter und Tagesväter. Weil sie zum großen Teil selbstständig sind, müssen sie finanziell selbst für ihre Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Altersvorsorge aufkommen. Darüber hinaus ist eine leistungsgerechte Ausgestaltung der Vergütung für Tagespflegepersonen erforderlich. Durch die EU-Hygieneverordnung und deren Umsetzung in den Bundesländern ist unter Tagesvätern und Tagesmüttern Unsicherheit darüber entstanden, inwieweit die Eigenschaft eines Lebensmittelunternehmers erfüllt wird, aus der umfangreiche Dokumentationspflichten und Kontrollen folgen. Wir wollen die Fachkräfte in der Tagespflege stärken und sie dabei unterstützen, die eigene Qualifikation zu steigern. Wir fordern daher zunächst, die rechtlichen und finanziellen Bedingungen zu verbessern. Dies betrifft vor allem eine Förderung von Festanstellungsverhältnissen. Ein weiteres Anliegen ist eine angemessene Vergütung, die Gegenstand einer gemein-samen Initiative von Bund, Ländern und Kommunen werden soll. Die Ergebnisse der Expertise zur leistungsgerechten Vergütung von Kindertagespflegepersonen als Grundlage für zukünftige Vergütungsmodelle soll dabei hilfreich herangezogen werden. Ebenso richten wir einen Appell an die Länder, die EU-Hy-gienevorschriften für Tagesmütter und Tagesväter unbürokratisch auszulegen. Unser Antrag greift damit die wesentlichen Punkte auf und wird damit der Bedeutung der Tagespflege in der Kindertagesbetreuung gerecht. Eine breite Unterstützung durch alle Fraktionen im Hause für unseren Antrag wäre ein mehr als positives Signal. Caren Marks (SPD): Früher hieß es immer nur „the economy matters“, also: Was zählt, ist die Wirtschaft. Heute ist die Gesellschaft einen Schritt weiter. Es ist bekannt, dass Familien-, Arbeits- und Wirtschaftspolitik miteinander verzahnt und politische Maßnahmen nur dann erfolgreich sind, wenn sie ressortübergreifend abgestimmt sind. Die schwarz-gelbe Bundesregierung aber scheint das nicht begriffen zu haben. Wie sonst soll man sich erklären, dass ihre Politik komplett widersprüchlich ist? Mal betonen Sie, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, die Notwendigkeit des Krippenausbaus und einer höheren Frauenerwerbstätigkeit. Dann wieder setzen sie mit dem Betreuungsgeld sinnlose Anreize für Frauen, um daheim zu bleiben. Dann wieder überlegen sie sich – quasi als populistisches kleines Bonbon vor der Wahl – eine Haushaltshilfenprämie, die voraussichtlich vor allem denjenigen nützt, die sich ohnehin schon eine Haushaltshilfe leisten können. Was Sie sich offenbar nicht fragen, ist: Was wollen die Menschen in diesem Land? Egal ob auf dem Land oder in der Stadt, eines ist klar: Die allermeisten Eltern wünschen sich mehr und bessere Angebote der frühkindlichen Bildung und Betreuung für ihre Kinder. Sie wollen, dass ihre Kinder sicher aufgehoben sind und gefördert werden. Und sie wollen beruhigt ihrer Arbeit nachgehen können. Hier gute Rahmenbedingungen zu schaffen wäre vor allem die Aufgabe der zuständigen Bundesfamilienministerin. Es grenzt allerdings an eine Tragikomödie, wie Frau Schröder jedes Mal den Schwarzen Peter an die Länder und Kommunen abgibt, wenn es darum geht, die familienpolitischen Herausforderungen in unserem Land zu meistern. Von ihr ist dann zu hören: „Kitaausbau?“ – „Die Länder müssen sich eben mehr anstrengen!“ – „Mehr Qualität in den Betreuungseinrichtungen?“ – „Das ist Ländersache!“ – „Bessere Ausbildung sowie bessere Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher?“ Erneut lautet die Antwort Schröders: „Das müssen die Länder und Kommunen hinbekommen! “ Es bleibt die Frage, worin die Familienministerin eigentlich ihre eigene Aufgabe sieht. Es ist erschreckend, dass die Bundesregierung seit Jahren eine Antwort schuldig bleibt, wie sie mit Volldampf den quantitativen und qualitativen Ausbau voranbringen will. Das ist umso schlimmer, je näher das Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz für Kinder ab dem ersten Geburtstag rückt. Es bleiben nur noch acht Monate! Die SPD-Bundestagsfraktion hingegen hat schon lange ihre Hausaufgaben bei diesem Thema gemacht. In unserem Antrag „Neuen Krippengipfel einberufen – Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung voranbringen“, Drucksache 17/5518, zeigen wir die notwendigen Schritte auf, die gemacht werden müssen. Auch hat die SPD einen umfassenden Aktionsplan zum Kitaausbau und zur Sicherung des Rechtsanspruchs vorgelegt. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert seit Jahren, dass sich die Bundesregierung mit Ländern und Kommunen in einem Krippengipfel an einen Tisch setzt, eine neue Bedarfsanalyse erstellt und konkrete Schritte zur Forcierung des Krippenausbaus verabredet. Solche Initiativen sind zusätzlich auch auf Landesebene notwendig. Die SPD redet nicht nur, sondern handelt auch: So hat Nordrhein-Westfalen nach der Regierungsübernahme durch die SPD schnell einen Krippengipfel einberufen, nachdem die CDU-geführte Vorgängerregierung den Krippenausbau verschlafen hatte. Würde die Bundesfamilienministerin jetzt einen Krippengipfel einberufen, wäre sie schon ziemlich spät dran. Das Statistische Bundesamt hat mit Stichtag 1. März 2013 Zahlen vorgelegt, wonach bis zum August 2013 noch rund 220 000 Plätze für Kleinkinder geschaffen werden müssen. Der Betreuungsausbau muss also weiter vorankommen, insbesondere in den westdeutschen Ländern. All diese Probleme beim Kitaausbau sind nicht neu. Es ist daher unverständlich, warum sich die Bundesregierung seit Jahren unserer Forderung nach einem Krippengipfel verweigert. Die Bundesregierung hat die Dringlichkeit, hier zu handeln, völlig ignoriert. Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition, Ihr Antrag zur Verbesserung der Qualität in der Kindertagespflege kommt zu spät. Es ist bereits „fünf vor zwölf“ und plötzlich kommen sie darauf, dass Sie noch einiges zu erledigen haben. Grundsätzlich begrüßen wir alle konstruktiven Initiativen, um die Qualität auch in der Tagespflege zu verbessern. Deshalb lehnen wir diesen Antrag auch nicht ab, sondern enthalten uns. Problematisch finden wir, dass in diesem Antrag vor allem auf bestehende Maßnahmen Bezug genommen wird oder reine Prüfaufträge erteilt werden sollen. Das ist uns nicht konkret genug. Wir fordern: Der Bund soll in Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen Maßnahmen zum Ausbau und zur Qualifizierung der Tagespflege erweitern. Dabei wollen wir Tagespflege und Kitas besser vernetzen und die Übergänge gut gestalten. Klar ist aber auch: Zwischen März 2009 und März 2012 entstanden zum Beispiel in Westdeutschland lediglich 20 Prozent der neuen Betreuungsplätze bei einer Tagesmutter oder einem Tagesvater. Die Bundesregierung sollte den Fokus besonders auf die Kindertagesstätten legen; denn dort wird der weit überwiegende Teil der Kleinkinder, die sich insgesamt in der Kindertagesbetreuung befinden, betreut. Der Betreuungsausbau und die Verbesserung der Qualität in den Einrichtungen kosten Geld – Geld, das bald fehlen könnte. Die rund 2 Milliarden Euro, die das Betreuungsgeld voraussichtlich Jahr für Jahr kosten wird, gefährden den Kitaausbau noch weiter. Diese Mittel müssen dringend und dauerhaft in den forcierten Ausbau und in den Betrieb von Kitas und Tagespflege investiert werden. Rund 160 000 zusätzliche Plätze könnten damit entstehen, und deren Betrieb könnte damit finanziert werden. Das entspricht dem Großteil der Plätze, die noch geschaffen werden müssen, um den Rechtsanspruch zu erfüllen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten setzen auf Kitaausbau statt auf Fernhalteprämie. Unser auf dem SPD-Bundesparteitag Ende 2011 verabschiedetes Konzept „Familienland Deutschland“ -beinhaltet einen Stufenplan, mit dem flächendeckend Ganztagskitas und Ganztagsschulen bis 2020 in Deutschland ausgebaut werden sollen. Unsere Vorschläge sind übrigens mit einem Finanzierungskonzept unterfüttert. Es ist ein wichtiger Schritt, dass auf Druck der SPD der Bund endlich seinen Finanzierungsanteil sowohl bei den Investitionskosten als auch bei den Betriebskosten ausweitet. Natürlich sind auch die Länder in der Verantwortung, den Kommunen zügig und ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Hier sehen wir alle Ebenen in der Verantwortung. Mit dem SchwarzerPeter-Spiel der Ministerin Schröder muss endlich Schluss sein. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Bund genauso wie in Ländern und Kommunen betrachten den Kitaausbau als nationale Kraftanstrengung und nehmen ihre Verantwortung ernst. Dringend notwendig ist es zudem, dass die Bundesregierung in enger Zusammenarbeit mit Ländern, Kommunen und Trägern eine bundesweite Fachkräfteinitiative startet, um den steigenden Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern zu decken. Dabei sind die Bundesagentur für Arbeit sowie die Gewerkschaften und Berufsverbände zu beteiligen. Die Länder sind gefordert, Ausbildung, Umschulung und berufsbegleitende Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern unter Wahrung hoher Qualitätsstandards weiter zu fördern. Der wachsende Fachkräftebedarf wird nur zu decken sein, wenn die Arbeitsbedingungen im Erzieherberuf verbessert werden. Erzieherinnen und Erzieher müssen besser verdienen und brauchen bessere Aufstiegschancen, damit dieses Berufsbild für Nachwuchs attraktiver wird. Wenn wir wollen, dass die Kindertagespflege weiter qualifiziert und aufgewertet wird, brauchen wir auch in diesem Bereich eine bessere Bezahlung. In dem Antrag von CDU/CSU und FDP ist hierzu übrigens keine einzige Forderung enthalten. Wir werden nicht müde, deutlich zu machen: Ein flächendeckendes Angebot an Kinderbetreuung ist die beste Armutsprävention: Denn nur Erwerbstätigkeit verhilft Familien zu einer eigenständigen Existenzsicherung. Genauso wichtig ist: Gute Angebote der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung sind das Fundament für eine bestmögliche Förderung von Kindern und ihre Inklusion in die Gesellschaft. Der Staat muss mehr dafür tun, um den Ausbau dieser Angebote voranzubringen. Versäumnisse im Bereich der frühkindlichen Bildung können zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr aufgeholt werden. Miriam Gruß (FDP): Spätestens jetzt ist es amtlich: Diese Bundesregierung hat für den Ausbau der Kindertagesbetreuung mehr getan als jede andere Regierung zuvor. Der zweite und dritte Zwischenbericht der Bundesregierung belegen die beeindruckende Entwicklung der letzten Jahre. Unser Antrag zur Förderung der Kindertagespflege zeigt, dass wir nicht nur von Vielfalt in der Betreuung sprechen, sondern sie auch ganz konkret fördern. Im März 2011 besuchten über 517 000 Kinder im Alter unter drei Jahren eine Kindertageseinrichtung oder wurden in der Kindertagespflege betreut. Im März 2012 wurden dann sogar schon 558 000 Kinder unter drei Jahren in einer Kindertageseinrichtung oder öffentlich geförderter Kindertagespflege betreut. Es sind also in einem Jahr gut 40 000 zusätzliche Plätze geschaffen worden. Trotzdem fehlen noch immer rund 220 000 Plätze. Das zeigt, was für eine Mammutaufgabe noch vor den Ländern und Kommunen liegt. Aber die Dynamik ist gut: Allein mein Heimatland Bayern hat zwischen 2006 und 2010 die Zahl der Betreuungsplätze mehr als verdoppelt. Schleswig-Holstein hat sie sogar mehr als verdreifacht. 97 Prozent der Bundesmittel sind bereits verplant. Die schwarz-gelbe Koalition hat aber noch weitere Schritte unternommen, um die Ausbaudynamik zu steigern: Erstens haben wir den Ländern noch einmal 580,5 Millionen Euro Investitionszuschüsse und weitere Betriebskostenzuschüsse zur Verfügung gestellt, um die zusätzlich benötigten 30 000 Plätze zu finanzieren. Zweitens hat die Bundesregierung mit dem Zehn-Punkte-Programm auf die noch nicht ausreichende Dynamik beim Ausbau reagiert. Das beinhaltet ein Festanstellungsprogramm für Tagespflegepersonen, für das bis 2014 insgesamt 10 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Und es beinhaltet eine Werbekampagne für die Tagespflege, die Sie gegenwärtig in ganz Deutschland sehen können. Auch ein Programm zur Unterstützung von Betriebskitas gehört dazu. Ich freue mich, dass wir heute auch den Antrag „Tagespflegepersonen stärken – Qualifikation steigern“ verabschieden. Damit geben die Koalitionsfraktionen nicht nur ein klares Bekenntnis zur Tagespflege ab, die ein wichtiger Baustein des U3-Ausbaus ist, sondern wir machen auch ganz konkrete Vorschläge. So wollen wir ergänzend zu „Mehr Männer in Kitas“ ein Programm für die Gewinnung von Männern für die Tagespflege starten. Auch eine Initiative für faire Bezahlung von Tagesmüttern und Tagesvätern fordern wir. Aber auch bei der Kindertagespflege sind die Länder gefordert. Sie müssen ihre Spielräume nutzen, zum Beispiel bei einer unbürokratischen Auslegung und Anwendungspraxis der EU-Hygiene-Verordnung. Auch bei der Erzieherausbildung muss mehr geschehen. Uns fehlen gut qualifizierte, liebevolle Erzieherinnen und Erzieher, Tagesväter und Tagesmütter. Die kann man nicht von heute auf morgen einstellen, sondern muss sie ausbilden. Das braucht Zeit. Dem Erziehermangel muss man aber auch durch die Schaffung von mehr Vollzeitstellen begegnen. Hier sind vor allem die Kreise und Kommunen gefordert, Teilzeitstellen in Kitas in Vollzeitstellen umzuwandeln. Das würde eine erhebliche Ausweitung der Betreuungsangebote bedeuten und wäre auch der Wunsch vieler Frauen im Erzieherberuf. Wir ziehen trotz aller Bemühungen, die noch folgen müssen, eine positive Bilanz. Wir haben dieses Land umgekrempelt! Noch vor wenigen Jahren gab es vielerorts – vor allem in den alten Bundesländern – kaum Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Heute dagegen gibt es ein fast flächendeckendes Angebot – zwar sind es noch zu wenig Plätze, aber es gibt sie. Wenn die Qualität der Betreuung stimmt, dann ist diese neue Realität ein Gewinn für alle Seiten. Und genau deshalb werden wir Liberale uns auch weiterhin für die Qualität der Kindertagesbetreuung einsetzen – weil eine familienfreundliche Infrastruktur heißt, dass Qualität und Quantität in der Kinderbetreuung stimmen. Diana Golze (DIE LINKE): Kindertagesbetreuung ist ein Alltagsproblem. Noch immer kommt vielerorts ein Kitaplatz für ein unter dreijähriges Kind einem Lottogewinn gleich. Auch vier Jahre nach der Einrichtung eines Sondervermögens sind Betreuungs- und damit auch Bildungsangebote für diese Altersgruppe in nicht ausreichender Menge vorhanden. Von einem bedarfsdeckenden Angebot gar kann bei Weitem keine Rede sein. Die Gründe mögen regional unterschiedlich sein. Die Unterschiede machen sich zum einen an der Ausgangssituation fest. Während 2008 in den ostdeutschen Bundesländern bereits Betreuungsquoten über dem angestrebten Ausbauziel von 35 Prozent vorhanden waren, war der Nachholbedarf in den westlichen Ländern immens. Vor allem im ländlichen und kleinstädtischen Raum muss man wohl eher von einem Auf- als von einem Ausbau sprechen. Jenseits davon, dass man gern und trefflich darüber streiten kann, ob die Belange und Bedürfnisse der Kommunen beim Krippengipfel 2007 wirklich in notwendigem Ausmaß in die Ergebnisse mit einflossen – meine Erinnerung sagt mir hier etwas anderes. Zum anderen aber hat die damalige Bundesregierung bei der Einführung des Sondervermögens für den Ausbau der Kindertagesbetreuungsangebote das gemacht, was sie viel zu oft tut: Sie hat die Meinung der Fachwelt, was die Fragen der tatsächlich benötigten Betreuungsquote und das Fehlen qualitativer Mindeststandards betrifft, genauso ignoriert wie die Berechnungen des DJI, dass die Höhe dieses Sondervermögens bei weitem nicht ausreichen wird, um das angestrebte Ausbauziel zu erreichen. Was wir seitdem erleben, ist eine Politik des „Nicht-sehen-Wollens“ und des „Nicht-handeln-Könnens“. Man muss sich nur die Zeitleiste anschauen, die anhand der heute zu verhandelnden Vorlagen deutlich wird. Während im Antrag der SPD herausgestellt wird, dass der Deutsche Städte- und Gemeindebund noch im April 2011 auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem Familienministerium deutlich machte, dass in Sachen Ausbau „dringender Handlungsbedarf“ bestehe und sich der Ausbau „aufgrund der kommunalen Haushaltslage schwierig“ gestalte, kann man im Bericht der Bundesregierung aus dem Mai 2012 noch immer lesen, „dass ein bedarfsgerechter Ausbau bis August 2013 noch immer gelingen kann“. Im gleichen Bericht wird aufgerechnet, dass die Betreuungsquote im Zeitraum 2007 bis 2011 um 10 Prozent angehoben wurde. Wer soll einer Bundesregierung noch Glauben schenken, die sich monatelang um ein Betreuungsgeld streitet, dieses Projekt, das auf Dauer jährlich Milliarden Euro verschlingen wird, gegen den Willen der Mehrheit in der Bevölkerung durchpeitscht und gleichzeitig alle glauben machen will, dass man für Kinderbetreuung mit einer einmaligen Einlage alle offenen Probleme lösen kann? Eine realistische Politik sieht anders aus, verantwortungsvolles Regierungshandeln setzt andere Prioritäten. Auch die Mahnungen, die unter anderem immer wieder von der GEW kamen, dass man nicht nur über einen Ausbau der Plätze, sondern auch über massive Anstrengungen in der Fachkräfteausbildung diskutieren muss, verhallten ungehört. Außer – für alle Beteiligten – zweifelhaften Weiterbildungsoffensiven, die sich auf Nachfrage als Flop herausstellten, und kleinen Projektchen für soziale Brennpunkte habe ich hier nichts gehört! Stattdessen bezahlen diejenigen, die diese Unfähigkeit der Bundesregierung ausgleichen sollen, auch die Zeche. Noch immer sind Tagespflegepersonen auf sich allein gestellt, schlecht bezahlt und werden immensen privaten Risiken ausgesetzt, wenn sie zum Beispiel ihre Wohnung für die Betreuung von Kindern nutzen. Man muss also konstatieren: Es ist zu großen Teilen das Verschulden der Bundesregierung, dass in Sachen Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige viel zu wenig passiert. Ich würde mir wünschen, dass die Kanzlerin hier ein genauso machtvolles Wort spricht wie beim Betreuungsgeld. Wer das Wort „Wahlfreiheit“ im Munde führt, muss auch dafür sorgen, dass sie in beide Richtungen möglich gemacht wird, und zwar mit der gleichen Anstrengung und dem gleichen Engagement. Ich erwarte, dass den Kommunen ein Angebot unterbreitet wird, das an andere Bedingungen geknüpft ist – wie zuletzt beim Erkaufen des Ja zum Fiskalpakt geschehen. Denn Schwarze-Peter-Spiele helfen nicht weiter. Diese gehen zulasten der Kinder und der Qualität von Kinderbetreuung. Wir brauchen nicht nur einen neuen Krippengipfel – wir brauchen einen Krippenkrisengipfel! Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist eine Bankrotterklärung für die Politik der Bundesfamilienministerin, dass wir heute – nur knapp neun Monate vor dem Inkrafttreten des Rechts-anspruchs auf einen Kitaplatz für die unter Dreijährigen – wieder einmal über die fehlenden Plätze debattieren müssen. Dass der U3-Ausbau nur schleppend verläuft, ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Ich erinnere an den ersten KiföG-Bericht, erschienen im Juni 2010. Da hieß es, die Ausbaudynamik müsse sich verdoppeln – verdoppeln! –, um das Ausbauziel zu erreichen. Im Juni 2011 mussten wir im zweiten KiföG-Zwischenbericht lesen: „Um wie geplant bis 2013 eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung zu schaffen, muss diese Dynamik weiter gesteigert werden“. Und auch der dritte KiföG-Zwischenbericht attestiert: „Die Ausbauziele können nur erreicht werden, wenn die Geschwindigkeit im Ausbau deutlich zunimmt.“ Drei klare Ansagen: Da muss Ministerin Schröder gar nicht so erstaunt tun, wenn das Statistische Bundesamt Zahlen veröffentlicht, denen zufolge bundesweit immer noch 220 000 U3-Plätze fehlen. Denn was hat die Ministerin in all den Jahren angesichts des schleppend verlaufenden Kitaausbaus getan? Sie hat alle Verantwortung weit von sich gewiesen und die Schuld gebetsmühlenartig den Ländern in die Schuhe geschoben. Diese Analyse kann ich zum Teil sogar teilen. Auch ich sehe, dass es Landesregierungen gab, die keine eigenen Anstrengungen beim Kitaausbau unternommen haben und die Bundesmittel nicht an die Kommunen weitergeleitet haben. Hier spreche ich von den früheren schwarz-gelben Landesregierungen in Baden-Württemberg und NRW. Erst nach der Regierungsübernahme durch Grün-Rot bzw. Rot-Grün haben diese Länder eine unvergleichliche Aufholjagd gestartet, um den Rechtsanspruch zu realisieren. NRW hat zum Beispiel 440 Millionen Euro über die mit dem Bund vereinbarten Investitionen hinaus zur Verfügung gestellt. Hier wäre einmal Lob seitens der Bundesfamilienministerin angesagt. Über Jahre haben die Oppositionsfraktionen im Bundestag eingefordert, endlich eine solide Bedarfsanalyse zu erstellen und darauf aufbauend eine faire Finanzierungsvereinbarung zu erstellen. Passiert ist nichts. Ministerin Schröder hat den Kopf in den Sand gesteckt und billigend in Kauf genommen, dass die Kommunen im August 2013 im Regen stehen. Das späte Eingeständnis, dass 30 000 Plätze mehr benötigt werden, haben ihr auch die rot-grün und grün-rot regierten Bundesländer abgerungen. Die zusätzlichen 580 Millionen Euro haben mit Ministerin Schröder nichts zu tun. Sie sind Erfolg der rot-grünen Bundesländer im Rahmen der Fiskalpaktverhandlungen. Es ist peinlich, dass die Ministerin sich dreist mit fremden Federn schmückt. Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Qualität in den frühkindlichen Bildungseinrichtungen. Auch hier möchte ich aus den KiföG-Berichten zitieren. Im ersten mussten wir lesen, dass in einigen Bundesländern der „Personaleinsatzschlüssel in einer Größenordnung liegt, die unter fachlichen Gesichtspunkten als bedenklich einzustufen“ ist. Wortgleich stand es im zweiten KiföG-Bericht. Wir wissen also schon seit 2010, dass wir dringend pädagogisches Fachpersonal benötigen, um die Betreuungs-qualität in den Einrichtungen aufrechtzuerhalten. Ich betone: aufrechtzuerhalten! Von einer Verbesserung der Qualität wage ich bei dieser Bundesfamilienministerin gar nicht zu träumen. Dabei wäre 2010 durchaus noch Zeit gewesen, die dringend benötigten Fachkräfte auszubilden. Ein weiteres Thema muss hier noch angesprochen werden: die Kindertagespflege. Auch hier verläuft der Ausbau nur schleppend. Ein Drittel der neuen Plätze sollen hier entstehen. Aber auch in der Kindertagespflege sind wir meilenweit von dem selbstgesteckten Ziel entfernt. Das liegt unter anderem daran, dass die Bundesregierung es versäumt hat, frühzeitig eine Qualitätsoffensive in der Kindertagespflege zu starten. Nach wie vor sind die Akzeptanz und die Nachfrage der Eltern bei der Kindertagespflege nur sehr gering. Darüber kann auch der Antrag der Koalition nicht hinwegtäuschen, auch wenn hier einige gute Vorschläge formuliert sind. Solange Sie nicht bereit sind, endlich Geld in die Hand zu nehmen, sind die Vorschläge nicht mehr wert als das Papier, auf dem sie gedruckt stehen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf der Drucksache 17/11574 zu den Unterrichtungen durch die Bundesregierung über den Zweiten und Dritten Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes auf den Drucksachen 17/5900 und 17/9850. Unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis der genannten Unterrichtungen die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf der Drucksache 17/9925 mit dem Titel „Tagespflegepersonen stärken – Qualifikation steigern“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer will dagegen stimmen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/5518 mit dem Titel „Neuen ‚Krippengipfel‘ einberufen – Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung voranbringen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Diese Beschlussempfehlung ist angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9929 mit dem Titel „Wahlfreiheit gewährleisten, Kindertagesbetreuung ausbauen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 34 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Helga Daub, Joachim Günther (Plauen), Harald Leibrecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Weltwärts wird Gemeinschaftswerk – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding (Heidelberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Weltwärts – Ein Freiwilligendienst mit Zukunft – Drucksachen 17/9027, 17/8769, 17/10061 – Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Dr. Bärbel Kofler Joachim Günther (Plauen) Heike Hänsel Ute Koczy Die Reden werden zu Protokoll genommen. Klaus Riegert (CDU/CSU): Der entwicklungspolitische Freiwilligendienst „weltwärts“ umfasst gegenwärtig 6 639 anerkannte Einsatzplätze und circa 200 aktive Entsendeorganisationen. Gegenwärtig sind 3 229 Einsatzplätze besetzt. Seit Beginn des „weltwärts“-Programms im Jahre 2007 sind über 16 400 Freiwillige in 70 Länder ausgereist. 42 Prozent der Freiwilligen gehen nach Lateinamerika, 37 Prozent nach Afrika, 20 Prozent nach Asien, 2 Prozent nach Osteuropa und weniger als 1 Prozent nach Ozeanien. Die beliebtesten Länder sind Südafrika, Indien und Peru, die wichtigsten Arbeitsbereiche der Bildungssektor, die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, mit Menschen mit Behinderung, der Gesundheitssektor und der Umwelt- und Ressourcenschutz. Ein Einsatz dauert durchschnittlich zwölf Monate. 62 Prozent aller Freiwilligen sind weiblich. Das Durchschnittsalter liegt bei 20 Jahren. Allein schon diese nackten Zahlen belegen: Das Programm weckt nicht nur Interesse; es wird von jungen Menschen angenommen. Die im Oktober 2011 abgeschlossene Evaluierung bescheinigt „weltwärts“ Relevanz, Effizienz und weitgehende Effektivität im Hinblick auf die Erreichung der Ziele, insbesondere auf der Ebene der Freiwilligen. Die Empfehlung der Evaluation lautet Fortführung und weitere Schärfung des Programms: Stärkung der Arbeit mit den Rückkehrern, fachlich-pädagogische Begleitung der Freiwilligen und Einbeziehung bisher nicht erreichter Zielgruppen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, führt das Programm weiter und hat sich der Schärfung des „weltwärts“-Programms angenommen. Der von Vertretern der Zivilgesellschaft und des BMZ gemeinsam geleitete und besetzte Programmsteuerungsausschuss, PSA, hat den bisherigen Beirat abgelöst und zwei dauerhafte Arbeitskreise, AK, zum Thema Qualitätssicherung sowie Verfahren eingesetzt. Darüber hinaus können je nach Bedarf weitere Ad-hoc-Arbeitsgruppen zu Fachthemen vom PSA eingerichtet werden. Ein Katalog von Qualitätsanforderungen bildet die Grundlage der Qualitätsentwicklung und -kontrolle im Programm. Der neu eingerichtete Arbeitskreis Qualitätssicherung prüft die Programmqualität und entwickelt sie weiter. Die Entwicklungsorganisationen sind verpflichtet, sich einem Qualitätsverbund anzuschließen. Diese Verbünde sind für die Qualitätsentwicklung ihrer Mitgliedsorganisationen verantwortlich und dem BMZ und PSA gegenüber rechenschaftspflichtig. Die Qualität wird regelmäßig von externen, unabhängigen Prüfinstanzen kontrolliert, dem sogenannten „weltwärts“-TÜV, und die Freiwilligen werden durch Befragungen in das Qualitätssystem einbezogen. Die „weltwärts“-Richtlinie und der Mittelleitfaden werden entsprechend der Ergebnisse des Follow-up-Prozesses derzeit überarbeitet. Der Entwurf einer neuen „weltwärts“-Richtlinie wird Ende 2012 vorliegen. Wesentliche Änderungen betreffen Regelungen in Bezug auf Spenden, Abbrüche und Gesundheitsvorsorge der Freiwilligen. Weil „weltwärts“ vornehmlich Abiturienten und Abiturientinnen aus akademischen Haushalten erreicht, soll nun ein Konzept zur Diversifizierung von Zielgruppen im „weltwärts“-Programm, verbunden mit einer Strategie zur sozialen Inklusion, den Adressatenkreis erweitern. Wir rücken die Zielgruppen „Menschen mit laufender oder abgeschlossener Ausbildung“, „Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund“ sowie „Menschen mit Behinderung“ in einer dreijährigen Pilotphase in den Mittelpunkt. Wir wollen doch alle, dass auch Jugendlichen mit Behinderungen eine ehrenamtliche Tätigkeit in einem Entwicklungsland ermöglicht wird. Wir wissen doch: Gerade für Menschen mit Behinderungen ist der Einstieg in dieses Berufsfeld bisher nicht immer einfach. Das wollen wir ändern und mehr Jugendlichen mit Behinderungen diese einmalige Chance geben. Deshalb: Das BMZ arbeitet gezielt mit Organisationen zusammen, die einen direkten Zugang zu Menschen mit Behinderungen haben, um die Jugendlichen zu erreichen. Insgesamt sollen die in der Trägerlandschaft -vorhandenen Kompetenzen besser vernetzt werden. Erfahrene Entsendeorganisationen können so ihr -spezifisches Wissen zur Zielgruppenerreichung an andere Entsendeorganisationen besser weitergeben, beispielsweise durch spezielle Beratung/Coachingangebote, Sammlung und Weitergabe guter Praxis, Abstimmung mit Verbünden und Netzwerken, Einbindung von weiteren Akteuren innerhalb und außerhalb des Programms. Wir richten die Förderung der Rückkehrarbeit stärker an dem Bedarf der Rückkehrerinnen aus. Dazu schaffen wir keine neuen Strukturen. Vielmehr sollen die vorhandenen Entwicklungsorganisationen, Verbände und Rückkehrvereinigungen qualifiziert werden, die Freiwilligen bei der Beantragung von Fördermitteln zu beraten. Ein Konzept für einen Kleinstmaßnahmenfonds soll den Zugang zu Fördermitteln für Rückkehrende flexibilisieren und stärker an deren Bedarfen ausrichten. Schließlich wird in einer dreijährigen Pilotphase eine sogenannten Süd-Nord-Komponente, Reverse für das „weltwärts“-Programm eingeführt. In einem zunächst auf jährlich circa 100 Entsendungen begrenzten Rahmen können Vertreter und Vertreterinnen der Partnerorganisationen einen Freiwilligeneinsatz durchführen, der in Zusammenarbeit mit dem Bundesfreiwilligendienst, BFD, in Deutschland durchgeführt wird. Der BFD bietet einen rechtlich abgesicherten Rahmen, der auch die Erlangung der erforderlichen Aufenthaltsgenehmigungen ermöglicht. Sie sehen: BMZ und Zivilgesellschaft handeln und bringen „weltwärts“ weiter voran. Mit unserem Antrag unterstützen und würdigen wir diese gemeinsame Arbeit. Dies, meine Damen und Herren von der Opposition, sollte auch Sie veranlassen, unserem Antrag zuzustimmen. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Der entwicklungspolitische Freiwilligendienst „weltwärts“ hat seit Beginn seiner Arbeit im Jahr 2007 eine positive Bilanz gezeichnet. Als im Dezember letzten Jahres die Ergebnisse der Evaluierung von „weltwärts“ vorlagen, bestätigte sich, dass der Freiwilligendienst sein Ziel erreicht: Junge Menschen lernen durch tatkräftiges Handeln und bringen ihre Erfahrung aus den Einsatzländern zurück in unsere Gesellschaft. Die Freiwilligen werden in Partnerorganisationen in Entwicklungsländer integriert und lernen dort die Arbeit im Kampf gegen Hunger und Armut hautnah kennen. Eine solche Erfahrung schärft das Bewusstsein für globale Verantwortung und weltweite Solidarität sowie für Zukunftsfragen und bürgerschaftliches Engagement in Deutschland. „weltwärts“ bietet jungen Menschen, die ein großes Interesse an Freiwilligenarbeit in Entwicklungsländern haben, ein inhaltlich wertvolles und finanziell abgesichertes Programm. Gleichzeitig wird ein wirkungsvoller Beitrag zur Entwicklung in den Einsatzländern sowie zur entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in Deutschland geleistet. Bevor der „weltwärts“-Dienst eingeführt wurde, -haben kirchliche Einrichtungen und private Träger bereits Freiwillige mit hohem Engagement entsandt. Diese Freiwilligenprogramme waren allerdings wegen der begrenzten finanziellen Ressourcen der Entsender nur einem relativ kleinen Teilnehmerkreis vorbehalten. Die notwendige Kostenbeteiligung stellte für viele junge Menschen eine hohe Hürde dar. Mit „weltwärts“ gewährleisten wir jetzt, dass sich junge Leute unabhängig vom Geldbeutel ihrer Familien in Entwicklungsländern engagieren können. Der Evaluierungsbericht hat eine grundsätzlich -positive Bilanz gezogen, aber auch aufgezeigt, wo es noch Verbesserungsbedarf gibt. Dazu wurde in diesem Jahr ein Follow-up-Prozess des Entwicklungsministeriums gemeinsam mit den deutschen Entsendeorganisationen durchgeführt. Dieser Prozess steht derzeit kurz vor seinem Abschluss, und ab Januar 2013 sollen die erarbeiteten Verbesserungsvorschläge in die Tat umgesetzt werden. Die deutschen Entsendeorganisationen haben sich mit großem Einsatz in diesen Prozess eingebracht, -wofür ich sehr dankbar bin. Denn so fließen die Erfahrungen und das Fachwissen derjenigen in die Weiterentwicklung des Freiwilligendienstes ein, ohne die eine solche Freiwilligenarbeit undenkbar ist. Diese zentrale Stellung sollten die Entsendeorganisationen auch in Zukunft bei der Umsetzung von „weltwärts“ innehaben. Dafür setzte ich mich ein. Die Ergebnisse der jüngsten Trägertagung habe ich mit Interesse gelesen, und auch in Zukunft müssen Entscheidungen über „weltwärts“ in enger Zusammenarbeit mit der Zivil-gesellschaft getroffen werden. Als Ansprechpartner für die Organisationen bedarf es zugleich eines personell gut ausgestatteten Fachreferats im Ministerium. Derzeit ist die Leitungsstelle des „weltwärts“-Referats im BMZ vakant – ich hoffe auf zügige Nachbesetzung. Verschieden Themen wurden beim Follow-up bearbeitet: Die Qualitätssicherung und Verbesserung der Ressortabstimmung war Thema. Die Qualität der -Vorbereitung der jungen Menschen auf die Zeit in einem für sie kulturell neuen, fremden Umfeld muss auch zukünftig auf hohem Niveau gewährleistet werden. Dazu bedarf es vor allem ausreichender finanzieller Mittel. Einen Vorschlag für die Finanzierung der Verbesserungsvorschläge des Follow-up-Prozesses habe ich noch nicht gesehen. Im Haushalt 2013 sind für „weltwärts“ die gleichen Mittel wie seit Beginn der Evaluierung zu finden. Die werden aber zur Fortführung von „weltwärts“ auf dem jetzigen Niveau gebraucht. Ich frage mich: Wo sind die Mittel, die man zur Umsetzung der Verbesserungsvorschläge aus dem Follow-up--Prozess braucht? Daher fordern wir in unserem Antrag zu „weltwärts“ auch eine entsprechende Mittelerhöhung auf 70 Millionen Euro für das kommende Jahr. Die Zahl ist nicht einfach aus der Luft gegriffen, sondern entspricht dem Vorschlag des BMZ vom Dezember 2011. Im BMZ-Evaluierungsbericht 056 zu „weltwärts“ heißt es dort: „… Das BMZ strebt mittelfristig an … jährlich bis zu 70 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen.“ Unklar ist mir, warum weder der schwarz-gelbe -Antrag vom März 2012 zu „weltwärts“ Entsprechendes fordert, noch der Entwicklungshaushalt für 2013 eine Mittelerhöhung im „weltwärts“-Titel vorsieht. Das sieht nicht nach „anstreben“ aus. Denn neben einer Qualitätssicherung gibt es -weitere wichtige Verbesserungen, die nächstes Jahr in Angriff genommen werden sollen. „weltwärts“ wendet sich an alle jungen interessierten Menschen, auch an Haupt- und Realschüler mit ab-geschlossener Berufsausbildung. Eine zentrale Frage des Follow-up-Prozesses ist daher, wie man eine breitere Gruppe dieser jungen Menschen erreichen kann. Auch für junge Menschen, die bereits im Berufsleben stehen, soll „weltwärts“ eine Möglichkeit zur Teilnahme aufzeigen. Eine entsprechende Forderung findet sich auch in unserem SPD-Antrag zu „weltwärts“ vom -Februar dieses Jahres. Das Problem ist erkannt: Oft haben junge Menschen nach Abschluss ihrer Ausbildung Bedenken, dass sie den Berufseinstieg verpassen, wenn der Auslandsaufenthalt direkt an die Ausbildung anschließt. Hier müssen neue Formate gesucht werden, gegebenenfalls auch mit den Ausbildern gemeinsam. Besonders wichtig ist mir auch, dass die Anregung aus der Evaluation aufgegriffen wurde, eine sogenannte Reverse-Komponente für den „weltwärts“-Dienst einzurichten. Es handelt sich um eine Ergänzung des bestehenden „weltwärts“-Programms, die es den deutschen Entsendeorganisationen erlaubt, junge Freiwillige aus den Organisationen in Partnerländern einzuladen. Dazu soll es eine dreijährige Pilotphase in Zusammenarbeit mit dem Bundesfreiwilligendienst in Deutschland geben; pro Jahr werden 100 Freiwillige aus Partnerorganisationen im Ausland in die Arbeit der deutschen Organisationen integriert, die seit -langen Jahren Erfahrung in der Entwicklungsarbeit haben. Ich halte das für ein wichtiges Angebot; ein Lerndienst wie „weltwärts“ darf keine Einbahnstraße sein. Es muss Raum für eine gegenseitige Erfahrung von Lebenswirklichkeiten in Nord und Süd geben. Das Reverse-Programm eröffnet neue Chancen zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch zwischen den Partnerorganisationen in Nord und Süd und bereichert auch die Rückkehrerarbeit der deutschen Freiwilligen. Denn auch die Inlands- und Rückkehrerarbeit soll sich noch verbessern. Junge Menschen müssen im Anschluss an ihren Auslandsaufenthalt die Möglichkeit haben, von dem Erlebten auch anderen zu berichten und ihre Erfahrungen mitzuteilen. Denn auch das war und ist Sinn und Zweck von „weltwärts“. Dafür können die Möglichkeiten der Neuen Medien genutzt werden oder Veranstaltungsformate weiterentwickelt werden, sodass die Freiwilligen ein Forum für ihre Berichte und die Fortsetzung ihrer Unterstützerarbeit haben. Die uns bisher bekannten Handlungsempfehlungen des Follow-up-Prozesses weisen in die richtige Richtung. Ab Januar 2013 beginnt die Umsetzung durch das Ministerium. Ob und wie das BMZ diese Empfehlungen umsetzen wird – auch vor dem Hintergrund stagnierender Haushaltsmittel –, bleibt kritisch zu -verfolgen. Nur wenn die Empfehlungen der Evaluierung sowie wichtige Kernforderungen aus unserem Antrag ernst genommen werden, ist „weltwärts“ ein Freiwilligendienst mit Zukunft. Joachim Günther (Plauen) (FDP): Ich glaube, selten ist man sich hier im Hohen Hause so einig wie über die Sinnhaftigkeit und den bislang erreichten Erfolg des Programmes „weltwärts“. So wird im Ergebnis der im Herbst 2011 abgeschlossenen -Evaluierung dem Programm bescheinigt, dass es im Hinblick auf die Erreichung der gesetzten Ziele, insbesondere auf der Ebene der Freiwilligen, relevant, effizient und effektiv arbeitet. Zu den Empfehlungen der Weiterentwicklung des Programms werde ich mich später äußern. Zunächst einmal: Ob es sich um den Schutz des -brasilianischen Regenwaldes, Ackerbau in Vietnam, Solarenergie in Burkina Faso oder ein Heim für -Straßenkinder in Ghana handelt – die Arbeitsfelder des vom BMZ ins Leben gerufenen Freiwilligendienstes „weltwärts“ sind so vielseitig wie das Themen-spektrum der deutschen Entwicklungszusammen-arbeit. Der entwicklungspolitische Freiwilligendienst „weltwärts“ ermöglicht es jungen Menschen zwischen 18 und 28 Jahren, sich mit finanzieller Unterstützung in Entwicklungsländern zu engagieren. Die ehrenamtliche Tätigkeit kann für 6 bis 24 Monate erfolgen. Durchschnittlich liegt der Einsatz bei einem Jahr. Die jungen Leute können sowohl helfen als auch wichtige internationale Lernerfahrungen für den eigenen weiteren Lebens- und Berufsweg machen. Seit Beginn des Programms sind über 16 400 Freiwillige in 70 Länder weltweit gereist, nach Lateinamerika, Afrika, Asien und Osteuropa. Die beliebtesten Länder sind dabei Südafrika, Indien und Peru. Zusammenfassend kann man sagen: Die wichtigsten Arbeitsbereiche sind der Bildungssektor, die Arbeit mit -Kindern und Jugendlichen, mit Menschen mit Behinderung, der Gesundheitssektor und der Umwelt- und Ressourcenschutz. Das „weltwärts“-Programm umfasst gegenwärtig über 6 000 anerkannte Einsatzplätze. Die FDP begrüßt das koordinierte Vorgehen, mit dem das Bundesministerium gemeinsam mit den über 200 zivilgesellschaftlichen Trägern die Entwicklung des Gemeinschaftswerks „weltwärts“ angeht und so einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Verankerung von Entwicklungspolitik leistet. Das Programm ist ein wichtiger Impuls für zivilgesellschaftliches Engagement und globales Lernen. Verbesserungsbedarf sehen wir im Hinblick auf eine stärkere Einbindung von jungen Menschen zum Beispiel aus dem Berufsbildungsbereich. Aufgrund der -Erkenntnis der Evaluierung, dass „weltwärts“ vornehmlich Abiturienten vielfach aus akademischen Haushalten erreicht, wurde ein Konzept zur Diversifizierung von Zielgruppen im Programm erarbeitet, das auch die Einbeziehung der sozialen Komponente -beinhaltet. Ebenso soll die Rückkehrarbeit stärker am Bedarf der Rückkehrenden ausgerichtet sein. Dazu sollen keine neuen Strukturen, sondern vorhandene Institutionen wie Entsendeorganisationen, Verbände und Rückkehrvereinigungen qualifiziert werden, über Möglichkeiten des entwicklungspolitischen Engagements in ihrer Region besser zu informieren und die Freiwilligen bei der Beantragung von Fördermitteln zu beraten. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Entbürokratisierung. Hier wurde vom BMZ in Anlehnung an das Aktionsgruppenprogramm ein Konzept für einen Kleinstmaßnahmenfonds erarbeitet. Grundlage eines jeglichen Erfolges überhaupt ist die Qualität der geleisteten Arbeit und deren -Kontrolle. Der neu eingerichtete Arbeitskreis Qualitätssicherung prüft die Programmqualität und ent-wickelt sie weiter. Regelmäßig wird sie von externen, unabhängigen Prüfinstanzen, dem sogenannten „weltwärts“-TÜV, kontrolliert. Mir bleibt dabei nur viel Erfolg zu wünschen. Ich freue mich über die bisher erreichten tollen Ergebnisse. Heike Hänsel (DIE LINKE): Die Fraktion Die Linke unterstützt den Freiwilligendienst „weltwärts“, der bisher mehr als 10 000 junge Menschen entsandt hat. Im Jahr 2011 gab es eine erste Evaluierung des „weltwärts“-Programms, diesen Monat lieferte das Entwicklungsministerium -einen Kurzbericht zum Follow-up-Prozess der Evaluierung. Die neu entwickelten Qualitätsanforderungen sind zu begrüßen, denn natürlich wollen wir, dass nicht nur Quantität, sondern vor allem Qualität bei der Vor- und Nachbereitung des Aufenthalts im Ausland eine Rolle spielen. Die Bundesregierung hat leider in den Haushalten seit 2010 einen finanziellen Aufwuchs für „weltwärts“ abgelehnt, aber immer mit dem Hinweis auf die ausstehenden Ergebnisse der Evaluierung. Wie die Evaluierung, so fällt auch der aktuelle Kurzbericht sehr positiv aus. Trotzdem gibt es im vorliegenden -Antrag der Koalitionsfraktionen wieder nur schöne Worte, aber keine Mittelerhöhung. Die Mittel stagnieren weiterhin bei 30 Millionen Euro jährlich. Die Linke unterstützt deshalb ausdrücklich den Antrag der SPD. Wir haben für den Haushalt 2013 eine Aufstockung der Mittel von 30 Millionen Euro auf 60 Millionen Euro gefordert, bei den Verpflichtungsermächtigungen haben wir statt der von der Bundesregierung geplanten 26 Millionen Euro ebenfalls 60 Millionen veranschlagt. Diese Aufstockung ist wichtig, um die Weiterentwicklung des Freiwilligendienstes zu ermöglichen und sowohl den involvierten Organisationen als auch den Freiwilligen eine gewisse Planungssicherheit zu ermöglichen. Die Nachfrage nach „weltwärts“-Programmplätzen, die momentan nicht befriedigt werden kann, ist groß. Aufgrund der unsicheren Finanzierung war es in den letzten Jahren oftmals so, dass viele interessierte Jugendliche abgewiesen werden mussten, die einen solchen Dienst eigentlich gerne angetreten -hätten. Für viele junge Menschen nämlich handelt es sich oft um den ersten großen Auslandsaufenthalt in ihrem Leben. Er kann prägend wirken für die weitere -Entwicklung. Deshalb ist eine verantwortungsvolle Begleitung notwendig. Wir fordern zudem, dass die Nord-Süd-Ausrichtung des Dienstes erweitert wird, um von einem gleichberechtigten Dialog sprechen zu können. Wir wollen, dass auch junge Menschen aus den Ländern des Südens sowohl einen Freiwilligendienst hier in Deutschland antreten können als auch vor Ort in Projekten die Möglichkeit bekommen, gemeinsam mit einem Jugendlichen aus Deutschland Freiwilligen-arbeit zu verrichten. Dadurch würde nach unserer -Ansicht ein verbesserter direkter Dialog entstehen, mit der Möglichkeit des gegenseitigen Verständnisses und des Lernens voneinander. Auch wäre es wichtig, -verstärkt lokale Partner in den Ländern des Südens zu finden, die Teil sozialer Bewegungen sind und die sich vor Ort für soziale Rechte und Menschenrechte einsetzen. Hier komme ich zu unserer Kritik. Obwohl wir „weltwärts“ für ein wichtiges Instrument halten, gibt es doch einige Punkte, die einer Weiterentwicklung -bedürfen. Mit Blick auf das notwendige Eine-Welt--Bewusstsein ist ein breiter aufgestelltes Reverse-Programm überfällig. Die Bundesregierung hat allerdings bisher nur eine sehr schwache Reverse-Komponente mit nur 100 Entsendungen jährlich in einer dreijährigen Pilotphase eingerichtet. Diesen Umfang halten wir für viel zu gering. Wir fordern außerdem, dass Jugendliche aus allen sozialen Schichten, mit unterschiedlichen Schulabschlüssen und unterschiedlicher beruflicher Ausbildung erreicht werden, zum Beispiel durch gezielte Vorstellung von „weltwärts“ an allen Schulen einschließlich Berufsschulen, Jugendeinrichtungen und Ausbildungsstätten. Bisher beschränkt sich der Kreis der geförderten Jugendlichen nur auf Gymnasiasten; komplizierte Antragsverfahren und doch immer noch hohe Kosten mögen ein Grund dafür sein. Daher muss überlegt werden, ob Jugendliche, die keinen -Förderkreis zustande bekommen und für die eine -Finanzierung durch das Elternhaus nicht möglich ist, zusätzlich unterstützt werden können, damit eben nicht – wie leider bisher Praxis – der Geldbeutel der Eltern über einen solchen Freiwilligendienst im Ausland entscheidet. Ich bekomme oft Anfragen, ob ich mich einem solchen Förderkreis anschließen will. Ich verfolge in Weblogs, was junge Menschen vor Ort erleben und was sie berichten. Ich glaube, das ist für alle bereichernd, auch für uns. Dieser Freiwilligendienst kann einen konkreten Beitrag zu mehr Solidarität und weltweiter Verständigung leisten. Ulrich Schneider (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Für uns sind Freiwilligendienste eine wichtige Form bürgerschaftlichen Engagements. Der Dienst im Einsatz für eine gute Sache zeichnet sich wesentlich durch sein Bildungs- und Lernprofil sowie den Per-spektivwechsel aus. Besonders wichtig ist mir, dass die Freiwilligendienste in zivilgesellschaftlicher Ausrichtung und Organisation weiterentwickelt werden. -Entsendeorganisationen, Einsatzstellen und Freiwillige müssen in Prozesse der Profilschärfung der Freiwilligendienste als Lern- und Orientierungsdienste viel stärker eingebunden werden. Erste Schritte zur stärkeren Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen wurden im Aufbau der -Arbeitsgruppen und der Qualitätssicherung in „weltwärts“ gegangen. Wir hoffen, dass dies keine kurze -Episode bleibt und nicht zum Feigenblatt der Bundesregierung verkommt. Die negativen Erfahrungen mit der ministeriellen Gründung einer „Servicestelle für kommunales und bürgerschaftliches Engagement“ sind noch lange nicht vergessen. Ein großes Defizit gibt es in der einseitigen Fokussierung auf die Vermittlung Freiwilliger aus Deutschland in andere Länder. An fehlendem Austausch von Freiwilligen leiden alle Freiwilligendienste, ob „weltwärts“, Internationaler Jugendfreiwilligendienst, Anderer Dienst im Ausland, Kulturweit oder FSJ im Ausland. Die Koalition thematisiert in ihrem Antrag die Reverse-Programme erst gar nicht! Freiwilligendienste geben Einblicke in die vielfältigen Facetten von Gesellschaft und Zivilgesellschaft auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Kern der Freiwilligendienste ist aus meiner Sicht genau dieser Perspektivwechsel, ein Austausch, der auf Gegenseitigkeit beruhen muss. Nur so können wir auf Augenhöhe in Dialog treten mit anderen Ländern, uns austauschen und voneinander lernen. Es gibt weder Ansätze für Reverse-Programme, noch ist die Visaproblematik für Freiwillige aus Nicht-EU-Staaten tatsächlich gelöst. Aber gerade das muss unser Ziel in der weiteren Gestaltung der Freiwilligendienste sein. Seit Beginn des Programms „weltwärts“ sind die -Teilnehmerinnen und Teilnehmer fast ausschließlich Jugendliche mit Fachhochschulreife oder Hochschulreife. Bisher sind alle Versuche gescheitert, Azubis und Menschen mit anderen Bildungsabschlüssen für -Weltwärts zu gewinnen. 97 Prozent der Freiwilligen haben Abitur. Dabei qualifiziert ein Abitur doch nicht automatisch für einen Freiwilligendienst im Ausland. Gerade Menschen mit Berufsausbildung haben praktisches Wissen, welches sie vor Ort einsetzen können. Gerade deshalb müssen Freiwilligendienstplätze ausreichend finanziert sein, damit Jugendliche aus sozial schwachen Elternhäusern einen Dienst leisten können. Wir fordern, „weltwärts“ mit 5 Millionen Euro jährlich zusätzlich zu fördern. Eine Verdopplung der Mittel im „weltwärts“-Programm, wie es die SPD-Fraktion -fordert, halten wir unter Einhaltung qualitativer Standards kurzfristig nicht für möglich. Die schwarz-gelbe Koalition hat Vorschläge zur Mittelerhöhung in den Haushaltverhandlungen blockiert. Die Mittel für 2013 werden nicht erhöht. So werden gleiche Zugangschancen unmöglich gemacht. Problematisch ist auch, dass Auszubildende kein Recht zur Rückkehr in ihre Betriebe haben, wenn sie sich entscheiden, einen Freiwilligendienst zu leisten. Hier muss der Gesetzgeber Nägel mit Köpfen machen. Der Vorschlag der Koalition, Jugendliche mit beruflicher Qualifikation besser über Möglichkeiten aufzuklären und Entsendeorganisationen zu sensibilisieren, kann nur ein erster kleiner Schritt sein. Die Qualitätssicherung in den Freiwilligendiensten ist entscheidend für deren Erfolg. Die Entsendeorganisationen und Einsatzstellen tragen große Verantwortung in der fundierten Vorbereitung der Freiwilligen. Die Evaluation hat gezeigt, dass die Bereitschaft zur Perspektivübernahme und das Verständnis des Dienstes als Lerndienst steigen, je zufriedener die Freiwilligen mit dem Vorbereitungsseminar und mit der Betreuung durch Mentorinnen und Mentoren sind. Hier ist es Aufgabe des Staates, Mindeststandards zu setzen und die Qualität in Freiwilligendiensten regelmäßig zu evaluieren. Die drei Schritte Vorbereitung auf den Einsatz, Mentoring vor Ort und ausreichende Nachbereitung sind alle gleichbedeutend zentral. Die Erfahrungen der Träger und Einsatzstellen zeigen, dass das persönliche Engagement in der Phase vor Antritt eines -„weltwärts“-Freiwilligendienstes für den erfolgreichen Abschluss eines Freiwilligendienstes wichtig ist. In der Praxis greifen die Entsendeorganisationen leider oft zur Sammlung von Geldern durch Freiwillige. Spendensammeln für den eigenen Freiwilligendienst halten wir für problematisch. Hier muss stärker auf eine entindividualisierte Spendenpraxis gesetzt werden. Finanzielle Eigenleistungen dürfen auf keinen Fall zum Maßstab der Eignung für einen Freiwilligendienst im Ausland gemacht werden. Eine Pflicht zum Spendensammeln oder zur Gründung eines Unterstützerkreises darf es nicht geben, und es darf niemand aufgrund dessen von einem Dienst ausgeschlossen werden. Deshalb ist es auch so wichtig, genau zu überlegen, wie staatliche Förderung sinnvoll zur Qualitätssicherung und für faire Zugangschancen eingesetzt werden kann. Zukünftig müssen wir die unterschiedlichen Dienste, die auf unterschiedlichen Ebenen – national, europäisch, international – zusammenwirken sollen, in ein Gesamtkonzept Freiwilligendienste einbetten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf der Drucksache 17/10061. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 17/9027. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8769. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 35: Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ökologische Baustoffe – Klima schützen, Energie sparen und Ölabhängigkeit reduzieren – Drucksache 17/11380 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Die vorgesehenen Reden werden zu Protokoll genommen. Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Das Gute vorweg: Wir alle hier sind uns einig, dass der Klimaschutz ein elementarer Grundsatz unseres politischen Handelns sein muss. Klimaschutz muss sozusagen ein unverzichtbarer Baustoff unserer christlich-liberalen Politik sein. Ansonsten stimmt die Statik unseres Politikgerüstes nicht. Im Raum steht deshalb die Frage: Ist der Schutz des Klimas bereits in einem ausreichenden Maße in unserer Politik verankert, oder muss er es noch viel mehr werden? Und wenn er ausreichend verankert ist, sind unsere ergriffenen Maßnahmen zum Klimaschutz bereits ökologisch genug, oder müssen sie noch ökologischer werden? Und: Wann geht Ökologie nicht mehr Hand in Hand mit anderen Politikfeldern? Hieraus wird ersichtlich: Der Schutz des Klimas gehört zu den zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Alle Politikbereiche müssen dabei ihren Beitrag leisten – natürlich auch der Bausektor. Wird diese Verantwortung heute nicht wahrgenommen, führt dies morgen zu Umwelt- und Gesundheitsschäden, einem Verlust der biologischen Vielfalt und zu hohen wirtschaftlichen Belastungen. Deshalb achtet unsere christlich-liberale Koalition auf einen integrierten klimapolitischen Ansatz. Bei der Umsetzung unserer Maßnahmen haben wir Politiker der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion stets im Blick, dass Wettbewerbsverzerrungen vermieden und die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Sozialverträglichkeit beachtet werden. Ich behaupte, dass unsere Politik, gestaltet von einer christlich-liberalen Koalition, dies alles bereits in einem überaus weiten Maße praktiziert, ja, bereits vorbildlich umsetzt, gerade auch im Baubereich. Insbesondere der öffentliche Hochbau des Bundes nutzt innovative Technologien und den Einsatz neuer, hochwertiger und nachhaltiger Baustoffe schon jetzt zielgerichtet. Mit innovativen Technologien und Materialien saniert unsere Bundesregierung bereits jetzt vorbildlich energetisch. Genannt seien hier die Stichworte Unterschreitung der EnEV-Mindestgrenzen, der Leitfaden für nachhaltiges Bauen und das Energieeinsparprogramm Bundesliegenschaften. Des Weiteren gibt es die Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Sie ist dafür da, bestehende Defizite insbesondere im Bereich technischer, baukultureller und organisationstechnischer Innovationen aus der Welt zu schaffen – und das ist genau das, was sich der vorliegende Antrag zum Ziel setzt. Diese Forschungsinitiative beschäftigt sich mit neuen Konzepten und Proto-typen für das energiesparende Bauen, mit neuen Materialien und Techniken sowie mit Themen der Bauqualität. Sie sehen also: Bereits hier und jetzt gibt es im öffentlichen Bausektor viele verschiedene stützende Eckpfeiler, die helfen, das Klima zu schützen, Energie zu sparen und unsere Abhängigkeit von Rohstoffen zu reduzieren. Diese Vorbildfunktion des Bundes am Bau wird gewiss auch unserer ganzen Republik Rechnung tragen. Nach und nach wird diese Baukultur, werden diese Prototypen Einzug in den privaten Bausektor halten. Pilotprojekte des Bundes werden dank engagierter Ingenieure, anwendungsorientierter Architekten und umweltbewusster Bauherren Nachahmer finden. So wird es sich auch bei der Entwicklung und dem Gebrauch ökologischer Baustoffe verhalten. Diese werden nach und nach mehr Anwendung finden. Im Rückschluss heißt das auch: Unsere Politik im Bausektor wird nach und nach mehr Nachahmer finden. Und zwar nicht, weil wir sie durch gesetzliche Vorschriften zum Klimaschutz dazu zwingen, sondern weil sich die Menschen aus eigenem umweltpolitischem und nachhaltigem Gewissen heraus gerne in Gebäuden aufhalten wollen, die zu ökologisch verträglichen Konditionen auf-, um- und abgebaut werden können. Dahinter steht auch unsere Idee – und, mit Verlaub, der sehr viel sinnvollere und langfristigere Ansatz –, die Einsparung von Energie und Ressourcen nicht mehr als alleinigen Gradmesser für Wirtschaftswachstum zu betrachten. Schließlich betreiben wir, die christlich-liberale Koalition, die Stärkung von Energieeffizienzpotenzialen ja nicht in erster Linie aus -finanziellem Gewinnstreben heraus, sondern weil uns unsere Welt, unsere Umwelt und unsere Natur am Herzen liegen. Dabei spielen die Schaffung von Wissen über bereits vorhandene Klimaschutztechnologien durch Forschung und Entwicklung sowie die Weitergabe dieses Wissens eine entscheidende Rolle. Auch eine wirklich gute Nachricht dabei ist: Unser bislang gewählter Politikansatz – der Politikansatz einer Bundesregierung unter christlich-liberaler Führung – verbindet bereits jetzt ökologische Zielsetzungen mit ökonomischen Aspekten. Sie sehen also: Unsere Baupolitik basiert auf vielen und auf vielfältigen klimaschützenden, energieeinsparenden und rohstoffreduzierenden Maßnahmen. Unsere Klimapolitik ist – um im Bild zu bleiben – auch innerhalb der Bausparte statisch gut verankert. Deshalb ist dieser Antrag zwar gut gemeint, aber dennoch überflüssig. Ulrich Lange (CDU/CSU): Die Energiewende ist für diese Regierungskoalition eines der wichtigsten Vorhaben, die wir in dieser -Legislaturperiode initiiert haben. Wir werden weiterhin einen großen Beitrag leisten, um den Anstieg der globalen Temperatur um mehr als 2 Grad zu ver-meiden. Diese schwarz-gelbe Bundesregierung ist -weltweit an der Spitze der Bewegung für eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Bei allen Klimakonferenzen kämpfen die Vertreter Deutschlands für dieses Ziel an vorderster Front. Die von uns in Deutschland eingeleitete Energiewende ist ein Mammutprojekt. Umso wichtiger ist es, dass alle beteiligten Akteure gemeinsam an einem Strang ziehen, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Bund, Länder, Kommunen, Unternehmen und Bürger sind gefordert, ihren Teil zum Gelingen der Energiewende beizutragen. In ihrem Antrag geben sich auch die Grünen als Kämpfer für die Reduzierung von CO2. Dann stellt sich aber die Frage, warum diese Partei gemeinsam mit der SPD im Bundesrat unser Gesetz zur energetischen Gebäudesanierung blockiert. Sie reden zwar sonntags von der Energiewende, tun aber nichts gegen den CO2-Ausstoß. Umweltschützer und Handwerker dürften sich verwundert die Augen reiben, liegen in der energetischen Gebäudesanierung doch die größten -Energieeinspar- und Klimaschutzmöglichkeiten – und heimische Arbeitsplätze sichert sie auch. Die im Antrag aufgestellte Behauptung „Temporäres Bauen und somit leicht recyclebare Materialien werden eine immer größere Rolle spielen, das Ideal ‚Bauen für die Ewigkeit? ist überholt“ entspricht weder den anerkannten Prinzipien der Nachhaltigkeit noch den baukulturellen Grundsätzen in Deutschland. Unsere christlich-liberale Bundesregierung hat eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt und mit Indikatoren untersetzt. Der Baubereich spielt dabei eine zentrale Rolle. Beim nachhaltigen Bauen geht es – vereinfacht – darum, Gebäude so zu errichten, umzubauen und zu betreiben, dass sie wirtschaftlich, ökologisch, gesellschaftlich und städtebaulich gleichermaßen zukunftsfähig sind. Dabei setzen wir in vielen Bereichen auf nachwachsende Rohstoffe, um die Inanspruchnahme von nicht erneuerbaren Ressourcen im Bauwesen zu reduzieren. Es gibt bereits eine Vielzahl von Bauprodukten auf -Basis nachwachsender Rohstoffe, deren Verwendung sich im Bauwesen zunehmend etabliert. Der Bausektor gehört in Deutschland und weltweit zu den ressourcenintensiven Wirtschaftssektoren. Die Bauwirtschaft leistet bereits heute einen großen Beitrag zur Ressourcenschonung durch Wiederverwertung und das effiziente Recycling von Bauabfällen. Eine Recyclingquote von mehr als 90 Prozent zeigt dies sehr deutlich. Die Bundesregierung unterstützt – wo dies sinnvoll ist – im Bauwesen den Einsatz nachwachsender -Rohstoffe. Der Einsatz innovativer Bauprodukte, wie beispielsweise Dämmstoffe oder Produkte für den -Innenausbau, die in der Gesamtbewertung Vorteile -gegenüber klassischen Bauprodukten auf Basis nicht nachwachsender Rohstoffe haben, wird deswegen im Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen für Bundes-gebäude angemessen berücksichtigt. Aber auch die Bauindustrie trägt ihren Beitrag zum Umweltschutz bei. Auf freiwilliger Basis wird mit -Umweltproduktdeklarationen die Markttransparenz auch auf Ebene der Bauprodukte verbessert, um -Planern die Möglichkeit zu geben, Ressourcenaspekte bereits früh im Planungs- und Bewertungsprozess zu berücksichtigen. Die Förderprogramme der KfW zum energieeffizienten Bauen und Sanieren sind auf der Grundlage der Energieeinsparverordnung und der zugrundeliegenden Normen des DIN auf Energieeffizienz ausgerichtet und technologieneutral ausgestaltet. Da die Sanierungsförderung kostenbezogen ist, werden etwaige höhere Kosten sogenannter ökologischer Baustoffe auch durch entsprechend höhere Kredit- oder Zuschuss-beträge gefördert. Die genannten KfW-Programme werden ausgehend von der technischen Entwicklung, den Marktbedingungen und den gesellschaftlichen -Anforderungen der Energieeinsparung und des Klimaschutzes ständig weiterentwickelt. Das Ressourceneffizienzprogramm hat die deutsche Ressourcenpolitik schlüssig dargelegt. Das Programm gibt einen Überblick über vorhandene Aktivitäten, identifiziert Handlungsbedarf und beschreibt Handlungsansätze und Maßnahmen zur Steigerung der Ressourceneffizienz. Die Bundesregierung wird bei der Wahl der Instrumente auf eine auch im internationalen Maßstab wettbewerbskonforme Ausgestaltung achten, Anreizen und freiwilligen Lösungen den Vorzug vor staatlichen Regulierungen geben und dabei Kostenbelastungen der Wirtschaft, die die Ressourcennutzung verteuern, vermeiden. Das Programm setzt dabei insbesondere auf Marktanreize, auf Information, Beratung, Bildung, Forschung und Innovation sowie auf die Stärkung freiwilliger Maßnahmen und Initiativen in Wirtschaft und Gesellschaft. Michael Groß (SPD): Deutschland ist ein Industrieland und muss es bleiben. Mit einem Anteil von etwa 23 Prozent an der Gesamtwirtschaft und 5,8 Millionen Beschäftigten ist die chemische Gesamtindustrie ein wesentliches und wichtiges Standbein der deutschen Wirtschaft. Im internationalen Vergleich ist Deutschland der viertgrößte Industriestandort der Welt. Allein der Chemiepark Marl in meinem Wahlkreis stellt rund 10 000 Arbeitsplätze. Die chemische Produktion von Basischemikalien, Kunst-, Kleb- und Baustoffen beruht im Wesentlichen auf höheren Kohlenwasserstoffverbindungen und ist somit erdölbasiert. Noch immer ist die alternative Herstellung von Kohlenstoffen für die stoffliche Produktion derzeit mit sehr hohem Energieaufwand verbunden. Hier ist die angestrebte Verbesserung der CO2-Bilanz bisher noch infrage gestellt. Trotzdem oder gerade deshalb ist es wichtig – schon um Versorgungsengpässe in der Zukunft zu vermeiden und den Produktionsstandort Deutschland zu sichern –, notwendige Forschung in diesem Bereich zu stärken. Die Aufhebung der Steuerbefreiung für die stoffliche Nutzung von Erdöl, wie von Bündnis 90/Die Grünen gefordert, sollte hier als langfristige Strategie gedacht werden. Aber ein deutscher Alleingang würde den Wettbewerb im europäischen und internationalen Raum zurzeit nur verzerren. Gerade im Zuge der Energiewende und mit dem Blick auf den erhöhten Energieaufwand für alternative Herstellung von Kohlenstoffen und der ohnehin bereits oft energieintensiven Industrie ist eine weitere Verschärfung der Wettbewerbsbedingungen allein für den deutschen Markt nicht fördernd. Die Alternativen werden außerdem aufgrund der absehbaren Rohstoffverknappung von der Chemieindus-trie bereits seit geraumer Zeit intensiv erforscht. Ich besuche in regelmäßigen Abständen die „kreative Abteilung“ des Chemieparks Marl und kann Sie nur herzlich einladen, sich die hochinnovativen Ideen anzusehen. Für Bauprodukte sollte für eine konsequente CO2-Bilanz die Lebenszyklusbetrachtung von der Herstellung bis zur Entsorgung einbezogen werden. Dieses Kriterium sollte dann auch Einfluss auf die Förderprogramme zur energetischen Sanierung nehmen. So ist es durchaus wünschenswert, wenn die Energiegesamtbilanz stimmt. Die sogenannte graue Energie spielt zurzeit noch eine viel zu geringe Rolle bei der Bewertung von Bauprodukten, aber nicht nur hier. In unserer heutigen Betrachtung der Energieeffizienz und Energieeinsparung wird oft nur das fertige Gebäude gesehen. Weder die vorher zur Herstellung und zum Transport genutzte Energie noch die Entsorgung werden in die Berechnungen eingebunden, von Giftstoffen, Sondermüll, gesundheitsschädlichen Substanzen, die hier ebenso zur Disposition stehen, einmal ganz abgesehen. Ich stimme den Grünen gerne zu, wenn sie fordern, dass ökologische Baustoffe in Brandschutzkategorien gegenüber konventionellen Baustoffen nicht benachteiligt werden dürfen. So sieht die Bundesregierung laut ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion zwar Polysterol im Verbundsystem als unproblematisch und nicht brennbar an, jedoch wird die Latte für einige ökologische Baustoffe ungleich höher angesetzt. Hier sollte ein einheitliches, transparentes Prüfverfahren aufgestellt werden. Generell sollte beim Thema Baustoffe das Thema Wohnqualität und Wohngesundheit wesentlich mehr in den Vordergrund gerückt werden. Wohnen ist Leben, und unsere Wohnumwelt trägt zu unserem Wohlbefinden bei. Eine rechnerisch exzellente Wärmedämmung ist nicht alles, sondern wärmespeicherfähige Materialien im Innenbereich sind eine sinnvolle Ergänzung. So gibt es gute Kombinationen von Naturbaustoffen, deren Qualität der von konventionellen Baustoffen in nichts nachsteht. Durch die Einbeziehung von Schadstofffreiheit, Recyclingfähigkeit und Wohngesundheit schneiden sie jedoch deutlich besser ab. Aber auch ökologische Baustoffe sind im Gesamtbild zu betrachten. Es muss uns klar sein, dass auch Biomasse nicht unbegrenzt verfügbar ist, Agrarflächen nicht endlos sind und jeder nachwachsende Rohstoff auch in Konkurrenz zu der Nahrungsmittelproduktion tritt. Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen dürfen nicht schlechtergestellt werden, trotzdem bleibt ein energie- und ressourcenschonender Einsatz von Produktionsmitteln – egal ob Baustoffe oder andere Produkte – die Grundvoraussetzung für eine nachhaltige und zukunftsfähige Wirtschaft für den Standort Deutschland. Petra Müller (Aachen) (FDP): Die bürgerliche Koalition aus CDU/CSU und FDP arbeitet konsequent an der erfolgreichen Umsetzung der Energiewende und dem Erreichen der Klimaschutz-ziele der Bundesregierung. Dabei sind alle Mittel und Möglichkeiten zur Steigerung der Energieeffizienz und Absenkung von CO2-Emissionen in Betracht zu ziehen. Angesichts des hohen Anteils der Wärmeemissionen von Gebäuden an der Klimabilanz kommt dem Bauen und der Verwendung von Baustoffen dabei eine hohe Bedeutung zu. Betrachtet man das jährliche Hochbauvolumen des Bundes im Umfang von 2,6 Milliarden Euro, wird deutlich, dass es sich hier nicht nur um einen wesentlichen Konjunkturmotor von erheblichem Wirtschaftspotenzial handelt. Der öffentlichen Hand kommt zugleich eine Vorbildfunktion für die gesamte Baubranche und private Bauherren zu, die die FDP-Bundestagsfraktion zukünftig nachhaltig stärken will. Um dies zu erreichen, fordert die liberale Fraktion diesen Hohen Hauses, alle Baumaßnahmen des Bundes schrittweise vollständig hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit zu bewerten. Erst wenn Klarheit über die Energieeffizienz der verbauten Stoffe und eingesetzten technischen Verfahren herrscht, wird ein Umsteuern möglich sein. Zugleich sind die bestehenden Liegenschaften in Bezug auf die laufenden Energiekosten kritisch zu evaluieren und bei Überschreiten von 100 000 Euro pro Jahr und Liegenschaft auf deren grundsätzliche Contracting-Eignung zu prüfen. Die Energieeffizienz als Planungsgröße für Nichtwohngebäude in öffentlicher Hand ist nach Meinung der FDP-Fraktion noch unterentwickelt. Hier muss insbesondere auf europäischer Ebene darauf hingewirkt werden, dass die Sanierungsrate auf 2 Prozent erhöht wird. Eine automatisierte, verpflichtende Sanierungsquote, die insbesondere Fragen der Wirtschaftlichkeit und der Finanzkraft der öffentlichen Haushalte unberücksichtigt lässt, lehnen wir jedoch ab. All dies wird nicht umsetzbar sein ohne ein dezidiertes Wissen und validierte Daten über Energie- und Ressourceneffizienz, innovative, neue Technologien und Baustoffe, über Herstellungsmethoden und Transportlogistik einzelner Materialien oder die Nachhaltigkeit der Baukonstruktion und Bauausführung. Kürzere Transportwege von Baustoffen senken die CO2-Emissionen, bleiben jedoch unwirksam, wenn die Herstellertechnologie veraltet und besonders energie-intensiv ist. Baustoffe günstiger Energiebilanz in der Herstellung und gebäudebezogenen Anwendung bleiben trotzdem ineffizient, wenn die Lebenszyklen zu kurz sind. Der Einsatz von Faserzementen, von recyceltem Glas oder von Kunst- und Verbundstoffen kann die Energie- und Ökobilanz deutlich verbessern – viele Verfahren und Baustoffe sind aber im traditionellen Handwerk und Baugewerbe wenig bekannt und nicht langzeitig evaluiert. Deshalb ist es das Ziel liberaler Politik, den Einsatz biogener oder technologisch innovativer Baustoffe nicht nur zu fördern und voranzutreiben. Wir werden die Bauforschung und die gebäudebezogene Anwendungsforschung stärken. Es müssen darüber hinaus Konzepte zur Energie- und Ressourcenschonung sowie das Wiederverwenden von Baustoffen gezielt gefördert werden. Auch hier hat der Bund als Bauherr eine Vorbildfunktion, der er im Leitfaden Nachhaltiges Bauen gerecht wird, die in der praktischen Umsetzung jedoch ausbaufähig ist. Energieeffizientes und nachhaltiges Bauen sind nicht nur eine wesentliche Voraussetzung für unseren Erfolg in der Klimawende. Sie sind darüber hinaus ein Technologie- und Wettbewerbsvorteil unserer deutschen Bauwirtschaft. Energieeffizienz am Bau und beim Bauen zu fördern und gesetzgeberisch zu unterstützen, hilft zugleich dem Wirtschaftsstandort Deutschland und sichert uns eine exportorientierte Technologieführerschaft. Zugleich sieht es die FDP-Bundes-tagsfraktion als Stärkung unserer spezifisch deutschen Baukultur, die weltweite Anerkennung genießt aufgrund ihrer Innovationsfähigkeit bei gleichzeitiger Pflege des traditionellen Erbes. Die Ziele der energetischen Sanierung sind nach -liberalem Verständnis deshalb unbedingt mit der -Architekturqualität, der Stadtbildpflege und dem Denkmalschutz in Einklang zu bringen. Ökologie, Ökonomie und soziokulturelle Belange sind Schutzgüter und -ziele, die auch angesichts der politischen Ziele „Nachhaltigkeit“ und „energieeffizientes Bauen“ keine Widersprüche bilden dürfen. Hier bietet das liberale Modell der energetisch-dynamischen Stadtsanierung einen zukunftsfähigen Entwurf der Bau- und Stadtentwicklungspolitik von morgen. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt gewissermaßen einen Ergänzungsantrag zu dem ebenfalls heute zum Top 17 vorgelegten Antrag „Energiewende im Gebäudebereich sozial gerecht, umweltfreundlich, wirtschaftlich und zukunftsweisend umsetzen“ dar, und er steht im Kontext zu dem in der 198. Sitzung des Bundestages mit Zustimmung aller Fraktionen verabschiedeten „Gesetz zur Anpassung des Bauproduktengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften an die Verordnung (EU) Nr. 305/2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten“. Mit diesem Antrag sollen nun weitere Detailregelungen zum privilegierten Einsatz ökologischer Baustoffe eingeführt werden; die Subventionierung „herkömmlicher“, petrochemischer Kunststoffe und CO2- intensiver Baustoffe dagegen soll abgebaut werden. Dazu schlagen Bündnis 90/Die Grünen ein ganzes Maßnahmenbündel vor, mit dem eine Vielzahl von Anwendungsfällen erfasst und geregelt werden soll. Das geht zum Beispiel bis hin zur Vorgabe von „mindestens dreigliedriger Fruchtfolge, Sortimentsvielfalt, Bevorzugung von Kulturen mit geringem Nährstoffbedarf“ usw. Und an der Stelle sage ich: Stopp! Nicht, weil ich die Regelungen im Einzelnen für falsch hielte; sie mögen ja in die richtige Richtung zielen. Ich frage mich aber, wie die Akteure in der Bauwirtschaft – in der Praxis – all diese Regelungen kennen und anwenden sollen und wer am Ende deren Einhaltung überprüft, Nichteinhaltung gegebenenfalls sanktioniert usw. Ich wiederhole, was ich auch schon zum vorangegangenen Antrag gesagt habe: Die allerbesten Regelungen, Normen und Vorschriften bleiben wirkungslos, wenn sie bei denen, die sie umsetzen sollen, und bei denen, die am Ende davon betroffen sind, keine Akzeptanz finden, schon, weil niemand absehen kann, welches Aufwand-Nutzen-Verhältnis hier erzeugt wird und wer am Ende wie viel bezahlen muss. Im Gegenteil: Sie erzeugen Verdruss, Widerstand, das Bestreben, Vorschriften zu umgehen, oder zumindest neue Forderungen nach Ausnahme- und Befreiungsregelungen. Und so verkehrt sich das Gewollte und gut Gemeinte in sein Gegenteil. Wir sind – meine ich – an einem Punkt angekommen, wo es nicht mehr darum gehen kann, das eigentliche Ziel, nämlich den Klimaschutz, mit immer mehr Einzelvorschriften und Lösungsforderungen für jeden Spezialfall zu überfrachten und ihn damit am Ende möglicherweise zu diskreditieren. Vielmehr sollten wir eine Bestandsaufnahme machen (lassen), die erfasst, welche einschlägigen Gesetze, Vorschriften, Bestimmungen es zum Klimaschutz im Baubereich bereits gibt. Wir sollten prüfen (lassen), wo es Parallelregelungen gibt, wo Vorschriften sich möglicherweise widersprechen, wo sie sich konterkarieren. Wir haben uns im Parlament bei der Abstimmung zum Bauproduktengesetz darauf geeinigt, dass die Überwachung der dort fixierten Regelungen dem Deutschen Institut für Bautechnik obliegen soll. Das halte ich für vernünftig. Ich hielte es auch für einen lohnenden Auftrag an dieses Institut, eine Bestandsaufnahme auf den Weg zu bringen und in einer Synopse zusammenzufassen, die alles enthält, was an Klimaschutzregelungen in der Bauwirtschaft bereits vorhanden ist. Ergebnisoffen! Das, was uns dann vorliegt, sollten wir an den langfristigen Klimaschutzzielen messen und daraus einen Fahrplan entwickeln, wann in welchem Bereich welche Regelung greifen muss, welche vielleicht überholt und verzichtbar ist. Für die Wohnungswirtschaft sind Zielvorgaben in Etappen bis 2020 und 2050 formuliert. Auf solche Zeiträume muss sich die gesamte Wohnungswirtschaft einstellen können, weil gerade dort Investitionsentscheidungen mit langer Laufzeit getroffen werden. Im Ergebnis muss auch abgebildet sein, wann welche Kosten auf wen zukommen. Schließlich muss ja auch die Politik darauf eingestellt sein, dass Klimaschutz einen langen Atem braucht und die Kosten dafür in einem legislaturübergreifenden Finanzierungskonzept festgeschrieben werden müssen, und zwar unabhängig von politischer Coleur und unumkehrbar. Wenn wir uns verlässlich auf einen solchen Rahmen einigen können, brauchen wir nicht für jeden Spezialfall eine abschließende, dauerhaft verbindliche Regelung. Stattdessen könnten wir zu einer partei- und wahlperiodenübergreifenden politischen Rahmenvereinbarung – im Sinne eines flexiblen, lernenden Programms – kommen, die der Generationenaufgabe „Klimaschutz“ wirklich gerecht wird. Das jedenfalls ist mein Verständnis von Nachhaltigkeit. Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie wir alle wissen, spielt der Gebäudebereich für das Erreichen der Klima- und Energieeinsparziele eine zentrale Rolle. Aber mit den Klimazielen gehen auch Fragen der Versorgungssicherheit einher. Das Gros der fossilen Energierohstoffe wird aus außereuropäischen Ländern importiert, und es wird immer teurer. Deutschland lag in 2008 mit einem Erdölverbrauch von 118,1 Millionen Tonnen an sechster Stelle der zehn Länder mit dem weltweit größten Erdölverbrauch. Die deutsche Wirtschaft zahlte im Jahr 2010 allein für ihre Ölimporte 41,6 Milliarden Euro. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, den Energieverbrauch sowie die CO2-Emmissionen zu senken und die Abhängigkeit von Erdölimporten zu reduzieren, ist also die Steigerung der Ressourcen-, der Energieeffizienz und der Nachhaltigkeit im Gebäudebestand ein wichtiger Baustein. In Bezug auf die Modernisierung der Wärmeversorgung von Gebäuden sind immerhin erste Schritte eingeleitet. Alternative Baustoffe haben aber trotz des großen Substitutionspotenzials nur wenig Eingang in die Aktionsprogramme zur Gebäudesanierung gefunden, und selbst im Neubau sind sie nur die Ausnahme. Ein Großteil der in Deutschland benötigten energetischen und nichtmetallischen, mineralischen Rohstoffe wird im Land gewonnen. Bausande und -kiese sind mit einem Abbauvolumen von etwa 239 Millionen Tonnen die wichtigsten mineralischen Rohstoffe, auf die knapp ein Drittel der heimischen Rohstoffproduktion entfällt. Die Entnahme von Rohstoffen beeinflusst die Umwelt negativ, unter anderem durch Veränderungen der Landschaft, Abholzung der Vegetation für Tagebaue, Absenken der Grundwasserspiegel, die Belastung des Grundwassers mit Metallen oder durch Versauerung sowie durch das Risiko von Bergschäden. Die von Rot-Grün eingeführten Marktanreizprogramme für ökologische Baustoffe wurden von den nachfolgenden Bundesregierungen leider nicht weitergeführt. Die Absatzzahlen im Bereich der Dämmstoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe konnten durch die Marktanreizprogramme kurzfristig gesteigert werden. Die Laufzeit der Programme war zu kurz, um -wesentliche dauerhafte Preissenkungen bei den Produkten zu erreichen. Diese konnten gegenüber den Produkten aus der steuerbefreiten stofflichen Nutzung von Erdöl keine gesteigerte Konkurrenzfähigkeit entwickeln, obwohl die im Neubau und der energetischen Gebäudesanierung üblicherweise verwendeten Baustoffe hinsichtlich Energieverbrauch, CO2-Emissionen, Haltbarkeit, Schadstofffreiheit und Recycling-fähigkeit vielfach mangelhaft sind. Obwohl die konventionellen organisch-synthe-tischen Dämmstoffe über die Steuerbefreiung für die stoffliche Nutzung von Erdöl bereits einen Marktvorteil haben, sind ökologisch nachhaltige Baustoffe in der Fördersystematik der KfW mit Dämmstoffen auf petrochemischer Basis gleichgestellt. Schaut man auf die Zahlen der CO2-Gebäudesanierungsprogramme der KfW, so erkennt man: Seit 2006 wurden der Neubau und die energetische Sanierung von 2,4 Millionen Wohnungen finanziert. Über die entsprechenden Fördermittel wurden Investitionen mit einem Volumen von 74 Milliarden Euro angestoßen, circa 4,6 Millionen Tonnen CO2 eingespart und 320 000 Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert. Für die Verwendung ökologischer Baustoffe gäbe es bei Betrachtung dieser Zahlen somit ein erhebliches Potenzial. Die Bundesregierung sollte daher erwägen, die Subventionierung petrochemischer Kunststoffe und CO2-intensiver Baustoffe abzubauen und die Steuerbefreiung für die stoffliche Nutzung von Erdöl abzuschaffen. Die Steuerbefreiung für die stoffliche Nutzung von Erdöl stellt eine Marktverzerrung zugunsten umwelt- und klimaschädlicher sowie energieaufwendiger Produkte dar. Die steuerliche Gleichstellung würde einen deutlichen ökonomischen Anreiz zur Nutzung nachwachsender Rohstoffe setzten. Die Energie- und Stromsteuersubventionen für die energieintensive Herstellung von Baustoffen wie Zement und Keramik sollten nur gewährt werden, wenn die Produktion sonst nachweislich von der Verlegung ins weniger stark regulierte Ausland bedroht wäre und keine gleichwertigen Alternativbaustoffe mit besserer Umweltbilanz bereitstehen. Auch ist es überlegenswert, das Bergrecht grundlegend zu reformieren, und das auch aus weiteren Gründen, wie etwa mangelhaften Regelungen zu Transparenz und Bürgerbeteiligung. In Deutschland kann von den Ländern nach dem geltenden Bergrecht eine Förderabgabe von 10 Prozent oder mehr des Rohstoffwertes auf sogenannte bergfreie Bodenschätze erhoben werden. Allerdings ist die derzeitige Aufteilung in bergfreie und grundeigene Bodenschätze und damit die Aufteilung, für welche Bodenschätze Förderabgaben grundsätzlich zu zahlen sind und für welche nicht, willkürlich. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Ausnahmeregelungen, sodass in der Regel überhaupt keine Förderabgabe gezahlt wird. Diese Regelung ist wie weite Teile des übrigen deutschen Bergrechts nicht mehr zeitgemäß. Bis heute stehen hier völlig einseitig die Interessen der Bergbautreibenden im Vordergrund, nicht die Schonung von Ressourcen. Wir wollen das Bergrecht umfassend reformieren. Die Zahlung einer Förderabgabe muss der Regel- und nicht der Ausnahmefall in Deutschland sein. Wir wollen daher eine Förderabgabe in Höhe von mindestens 10 Prozent konsequent auch auf nicht erneuerbare Baustoffe wie Kies und Sand erheben. Dies ist gerechtfertigt, da beim Rohstoffabbau in der Regel in erheblichem Umfang Gemeingüter in Anspruch genommen werden. Jedenfalls sind die bestehenden -Förderabgaben nicht ausreichend, und die vielen Ausnahmen machen diese ineffizient. Die konsequente Erhebung einer Förderabgabe schafft Anreize für Ressourceneffizienz, gerade bei dem bisher nicht erfassten Abbau von Massenrohstoffen der Bauindustrie wie Kies, Sand und Gesteinen. Die Verpflichtung zur Zahlung wollen wir auf alle hierzulande geförderten Bodenschätze ausdehnen. Sie sollte nur in begründeten Ausnahmefällen und zeitlich eng befristet erlassen werden und weiterhin den Ländern zugutekommen. Wir wollen Unternehmen, die nachweislich besonders energieintensiv sind und in intensivem internationalem Wettbewerb stehen, weiterhin Erleichterungen bei den Energiesteuern oder bei den Umlagen für erneuerbare Energien gewähren, um eine Abwanderung von Unternehmen zu vermeiden. Allerdings müssen diese Subventionen zukünftig an den im Einzelfall nachgewiesenen Härten bemessen und an konkrete Effizienzverpflichtungen geknüpft werden, damit nicht Verschwendung und technologischer Stillstand subventioniert werden. Der Einsatz ökologischer Baustoffe sollte im Neubau und in der energetischen Sanierung stärker gefördert und daher ein Modellprogramm für ökologische Baustoffe initiiert werden. Die Standards für Baustoffe sollten um den Energieverbrauch ergänzt werden und den gesamten Lebenszyklus der Baustoffe, inklusive des Energieverbrauchs bei Herstellung, Betrieb und Entsorgung, berücksichtigen. Die Energieausweise für Gebäude müssen dringend um eine Nachhaltigkeitsbewertung mit Lebenszyklusbetrachtung der Gebäude erweitert werden. Auch dürfen ökologische Baustoffe in den Bauordnungen des Bundes und der Länder nicht länger diskriminiert werden, wie etwa bei den Brandschutzkategorien. Sehr sinnvoll wäre es, die Programme der KfW für Neubau und Sanierung stärker auf den Einsatz ökologischer Baumaterialien auszurichten. Denn viele der im Neubau und in der energetischen Gebäudesanierung herkömmlich verwendeten Baustoffe erfüllen -Anforderungen an das Nachhaltigkeitsprinzip hinsichtlich ihrer Haltbarkeit, Schadstofffreiheit und Recyclingfähigkeit nur mangelhaft. Die Grundlagenforschung im Bereich der ökologischen Baustoffe und Bauweisen, beispielweise durch ein Forschungsprogramm „Bauen mit Holz“, muss daher dringend intensiviert werden. Zum Instrumentarium einer nachhaltigen Ressourcenpolitik gehören auch Ressourcensteuern und -abgaben. Negative gesellschaftliche Umweltauswirkungen, die durch den Abbau von Rohstoffen entstehen, können durch Steuern und Abgaben internalisiert werden. Nötig ist deshalb ein Forschungsprogramm, das konkrete Möglichkeiten des Einstiegs in die Rohstoffbesteuerung aufzeigt. Die vielfältige Diskriminierung ökologischer Baustoffe in Deutschland muss endlich ein Ende haben. Präsident Dr. Norbert Lammert: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 17/11380 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) – zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Neue Impulse für einen wirksamen und umfassenden Schutz der Afrikanischen Elefanten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Josef Göppel, Marie-Luise Dött, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Meierhofer, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Neue Impulse für einen wirksamen und umfassenden Schutz der Afrikanischen Elefanten – Drucksachen 17/11554, 17/10110, 17/11715 – Berichterstattung: Abgeordnete Josef Göppel Dr. Matthias Miersch Angelika Brunkhorst Eva Bulling-Schröter Dorothea Steiner Auch hierzu werden die Reden zu Protokoll genommen. Josef Göppel (CDU/CSU): Ich freue mich besonders, dass wir heute einen interfraktionellen Antrag zum Elefantenschutz beraten und beschließen können. Der Afrikanische Elefant ist seit 1989 als „unmittelbar bedrohte Art“ – also in der höchsten Kategorie – im Washingtoner Artenschutzabkommen aufgeführt. Dieses majestätische Tier erlitt durch Verfolgung und Zerstörung seines Lebensraums einen starken Rückgang. Die Aufnahme in das Artenschutzabkommen war eine erste Reaktion darauf und hat vor allem im südlichen Afrika Früchte getragen – ich komme noch darauf zurück. In einigen Regionen Afrikas jedoch haben Wilderei und illegaler Elfenbeinhandel ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht und zu massiven Bestandseinbrüchen geführt. Ein besonders drastisches Beispiel ist die Tötung von etwa 400 Tieren Anfang dieses Jahres im Bouba-Ndjida-Nationalpark in Kamerun. Hier wie auch in anderen Bereichen sind es oft große, militärisch ausgerüstete Wildererbanden aus Nachbarstaaten, auf deren Konto diese Taten gehen. Aber auch einige afrikanische Staaten handeln illegal mit Elfenbein. Der Kauf des „weißen Goldes“ finanziert also korrupte Regime. Die meisten Kunden leben in asiatischen Ländern, in denen Elfenbein als Statussymbol und Luxusobjekt gilt. Vor allem in China und Hongkong, aber auch in Malaysia, Vietnam, Thailand und anderen Ländern hat die positive wirtschaftliche Entwicklung die Nachfrage nach Elfenbein so weit angefacht, dass 2011 ein Rekordjahr bei der Beschlagnahmung von illegalem Elfenbein war. Schätzungen zufolge werden pro Jahr rund 38 000 Elefanten gewildert; das sind etwa 10 Prozent des weltweiten Bestands. Die Tendenz ist steigend aufgrund steigender Absatzpreise. Würde sich dieser Trend fortsetzen, wäre in weiten Regionen Afrikas mit dem vollständigen Verlust dieser Art zu rechnen. Gesunde und tragfähige Elefantenpopulationen sind jedoch entscheidend für viele Ökosysteme des afrikanischen Kontinents. Der Elefant leistet einen wichtigen Beitrag zur Offenhaltung der typischen, afrikanischen Savannen. Er reduziert den Baumbewuchs und erhält so maßgeblich die Lebensgrundlage für zahlreiche weitere Arten. Von einem konsequenten Elefantenschutz profitieren also auch andere Geschöpfe. Elefanten steigern, als symbolträchtige Tiere der afrikanischen Steppe, in besonderem Maße die touristische Attraktivität vieler Regionen für Safaris und Tierbe-obachtungsreisen. Gesunde Wildtierbestände stellen also eine wesentliche wirtschaftliche Grundlage vieler afrikanischer Kommunen dar und sind somit von materieller Bedeutung für die lokale Bevölkerung. Die zunehmende Wilderei kann demnach nicht nur das Tourismusgeschäft, sondern zugleich die wirtschaftliche Stabilität der Region massiv gefährden. Auch anerkannten Projekten zur Armutsbekämpfung, die auf den Einnahmen aus dem Tourismus basieren, kann durch Wilderei die Grundlage entzogen werden. Ein erfolgreicher Schutz der Elefanten hat also positive Effekte, die weit über den Artenschutz hinausgehen. Der Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste und der KAZA-Peace-Park im südlichen Afrika sind nur zwei Beispiele der erfolgreichen deutschen Entwicklungszusammenarbeit beim Schutzgebietsmanagement, die die enge Verknüpfung eines wirksamen Natur- und Waldschutzes mit den wirtschaftlichen Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung belegen. Diese Projekte gilt es fortzusetzen und weiter auszudehnen. Die Mittel dafür stehen, auch dank deutscher Unterstützung, bereit. Ich sagte es eingangs schon: In manchen Gegenden wirkt sich das Artenschutzabkommen positiv auf die Tierbestände aus. In den Bereichen Afrikas mit stabilen Elefantenpopulationen, wie Botswana, Namibia, Zimbabwe und Südafrika, gibt es jedoch teilweise Probleme durch das Ausweichen von Elefanten aus den zu engen verbliebenen Lebensräumen in menschliche Siedlungen oder auf landwirtschaftliche Flächen. Hier müssen die Schutzgebiete erweitert oder durch Korridore vernetzt werden, sodass der Lebensraum der Elefanten vergrößert und Konflikte zwischen Menschen und Wildtieren verringert werden. Auf internationaler Ebene gilt es, die afrikanischen Staaten in ihren direkten Schutzbemühungen und die Vollzugsorgane bei deren Umsetzung zu unterstützen. Es müssen aber auch die Transit- und Abnehmerländer deutlich auf ihre Verantwortung hingewiesen werden. Und in der Bevölkerung der Zielländer muss das Bewusstsein für den Schutz der Elefanten gefördert werden, um die Nachfrage nach Elfenbein zu reduzieren. Nach einer Studie des IFAW glauben viele Chinesen, dass Stoßzähne einfach abfallen würden wie Milchzähne oder ein Hirschgeweih. Aufklärung in den Abnehmerländern ist für das Überleben der Afrikanischen Elefanten also eine wichtige Maßnahme. Wenn die Absatzmärkte kleiner werden, wird sich die Wilderei automatisch verringern. Unser gemeinsamer Antrag gibt der Bundesregierung klare Vorgaben bei internationalen Verhandlungen auf all diesen Handlungsfeldern. Dr. Matthias Miersch (SPD): Nach Angaben von Natur- und Artenschutzverbänden wird erwartet, dass in diesem Jahr weit über 30 000 Afrikanische Elefanten gewildert werden. Damit setzt sich der Trend der letzten Jahre fort, der die Elefantenbestände in Afrika massiv einbrechen lässt und alle Bemühungen, stabile Populationen zu erhalten und dauerhaft zu schützen, konterkariert. Insbesondere die ohnehin schon seltenen Waldelefanten sind stark gefährdet. Ursachen für die massive Wilderei sind die hohe Nachfrage nach Elfenbein in China und anderen -asiatischen Ländern und die hohen Gewinne, die die professionell organisierten Wilderer bei gleichzeitig geringem Risiko gefasst zu werden, machen können. Die neuen Regelungen im Rahmen der letzten CITES--Konferenz haben diese Situation eher verschlimmert als verbessert: Die Möglichkeit, kleinere Elfenbeinbestände kontrolliert abzuverkaufen, führte zu einer massiven Ausweitung des Handels. Zusätzlich erschweren korrupte Regierungen, nicht funktionierende Justiz- und Polizeistrukturen sowie Bürgerkriege den Kampf gegen die Wilderei. Aktuell leiden die betroffenen afrikanischen Staaten in der Folge unter Einnahmeaus-fällen aus dem nachhaltigen Naturtourismus. Ich begrüße, dass wir nach langen Verhandlungen einen interfraktionellen Antrag erarbeitet haben, der den deutschen und europäischen Verhandlungsführern auf der 16. Vertragsstaatenkonferenz des Washingtoner Artenschutzabkommens im März nächsten Jahres eine gute Verhandlungsgrundlage liefert. Unser Antrag hat zum Ziel, dem Afrikanischen Elefanten den größtmöglichen Schutzstatus zukommen zu lassen. Ich bin auch gerade deswegen froh, dass wir dies geschafft haben, weil zwischenzeitlich die Koalition und insbesondere die FDP die Konsenslinie verlassen hat. Sie hat die Bundesregierung aufgefordert, „sich für einen Abverkauf von Elfenbeinbeständen auszusprechen, wenn sichergestellt ist, dass es sich ausschließlich um Elfenbein aus einer lokal erforder-lichen Bestandsregulation handelt“. Die FDP ließ außer Acht, dass durch diese Regelung erst das Schlupfloch aufgemacht wurde, dass der massiven Wilderei Vorschub leistete. Darüber hinaus suggeriert der „ehemalige“ Koalitionsantrag, die Wilderei diene der Einkommenssicherung der lokalen Bevölkerung. Auch hier irrte die Koalition. Bei den Wilderern handelt es sich um gut organisierte und schwerbewaffnete Banden sowie marodierende ehemalige Soldaten. Die lokale Bevölkerung leidet vielmehr unter der Brutalität dieser Gruppen und unter dem bereits angesprochenen Fernbleiben von Touristen, die Interesse an naturnaher Erholung haben. Dankenswerterweise haben sich in der Koalition besonnene Kräfte durchgesetzt, die dafür gesorgt haben, dass dieser unsägliche Antrag, der bereits von den Koalitionsfraktionen verabschiedet und in den Deutschen Bundestag eingebracht war, zurückgezogen wurde. Zum Schluss möchte ich die Hoffnung aussprechen, dass unser Antrag dazu beitragen wird, die Afrikanischen Elefanten langfristig zu schützen. Der Afrika-nische Elefant spielt eine wichtige Rolle in Savannen- und Waldökosystemen; sein Verlust hätte weitreichende Folgen auch für die anderen dort lebenden Arten. Es geht daher nicht nur um die Rettung eines „Sympathieträgers“, sondern um den Erhalt der Biodiversität in Afrika, des nachhaltigen Tourismus und der damit verbundenen Einnahmemöglichkeiten für die lokale Bevölkerung. Angelika Brunkhorst (FDP): Die FDP-Fraktion ist zufrieden, dass wir nach einigen Verhandlungsrunden gemeinsam mit der Union, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen interfraktionellen Antrag zum Schutz der Elefanten auf den Weg gebracht haben. Seit dem Verbot des kommerziellen Elfenbeinhandels im Jahr 1989 haben sich die Elefantenpopula-tionen auf dem afrikanischen Kontinent in zwei Richtungen entwickelt. In Südafrika konnten sich die Tierbestände nach einer herben Dezimierung in den 70er- und 80er-Jahren sehr gut erholen. Die Herden haben sich hier teilweise derart gut entfalten können, dass sie auf der Suche nach weiterem Lebensraum in besiedelte Gebiete vordringen und Konflikte mit der Bevölkerung verursachen. Ganz anders sieht die Situation in Ländern Zentralafrikas aus. Hier hat die Elfenbeinwilderei in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Vor allem die starke Nachfrage aus Ostasien heizt die Wilderei nach den wertvollen Stoßzähnen weiter an. Der illegale Elfenbeinhandel ist ein lohnendes Geschäft. Militärisch aufgerüstete Banden machen Jagd auf die Großtiere und dezimieren die Elefantenpopulationen dramatisch. Die Menge des beschlagnahmten Elfenbeins erreichte im Jahr 2011 ihren bislang höchsten Stand seit dem Handelsverbot im Jahr 1989. Wir nehmen diese Entwicklung sehr ernst und fordern die Bundesregierung auf, sich stärker für den Schutz der Afrikanischen Elefanten einzusetzen. Wir wollen den betroffenen afrikanischen Ländern dabei helfen, die Lebensräume und Rückzugsgebiete der Elefanten durch gezielte Vernetzung der Schutzgebiete zu verbessern. Vor allem in Zentralafrika stehen den Elfenbeinjägern aufgrund teilweise schwacher Regierungsstrukturen und der hohen Korruptionsanfälligkeit Tür und Tor offen, und die betroffenen Länder stoßen im Umgang mit den professionell handelnden Wilderern an ihre Grenzen. Wir müssen dringendst gemeinsam mit den entsprechenden afrikanischen Staaten effektive Maßnahmen gegen die ausufernde Elefantenjagd finden. Hier können wir Hilfe und Know-how im Kompetenzaufbau der Polizei- und Zollbehörden anbieten. Parallel gilt es, gemeinsam sowohl auf internationaler Ebene als auch mit den Abnehmer- und Transitländern des Elfenbeins Lösungen im Kampf gegen den illegalen Handel zu entwickeln. Im kommenden Jahr findet die 16. CITES-Vertragsstaatenkonferenz statt. Hier wird das Elefantenthema auf der Agenda stehen. Die Ausweitung und Vernetzung der Schutzgebiete sowie Maßnahmen im Kampf gegen den illegalen Handel müssen diskutiert werden. Zur Bekämpfung des illegalen Elfenbeinhandels bedarf es sowohl einer konzertierten Aktion der Herkunftsländer als auch der Abnehmerländer. Wir fordern die Bundesregierung auf, die afrikanischen Länder aktiv im Kampf gegen Wilderei und Elfenbeinhandel zu unterstützen und vor allem im Rahmen der Verhandlungen des Washingtoner Artenschutzübereinkommens, CITES, auf einen besseren Schutz dieser einmaligen Tiere zu drängen. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): 2013 findet vom 4. bis 13. März die 16. Vertragsstaatenkonferenz zum Washingtoner Artenschutzübereinkommen – CoP16, CITES – in Bangkok statt. Dort wird unter anderem über die Zukunft des Afrikanischen Elefanten beraten. Dazu liegt bereits ein Antrag Tansanias zur Herabstufung des Afrikanischen Elefanten von Anhang I – unmittelbar bedrohte Arten, deren Handel verboten ist – auf Anhang II – geschützte Arten, deren Handel mit Einschränkungen erlaubt ist – vor. Es ist Zeit, zu handeln und den Schutz der grauen Riesen endlich konsequent voranzutreiben. 2009 wurden schätzungsweise 38 000 Elefanten in Afrika gewildert. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese Zahl sich ohne weiteres Zutun der internationalen Gemeinschaft in den nächsten Jahren ändert. Die Bundesregierung sollte sich nicht nur auf der Konferenz, sondern auch schon im Vorfeld für den verstärkten Schutz des Afrikanischen Elefanten einsetzen und diesen über die Konferenz hinaus kritisch begleiten. Ich bin froh, dass es zu einem interfraktionellen Antrag kommen konnte und so von deutscher Seite der Versuch gemacht wird, Elefanten besser zu schützen. Die Forderung zum Abverkauf von Elfenbeinbeständen und die Bemerkung zur Wilderei als Sicherung der lokalen ökonomischen Einkommensquelle sind glücklicherweise gestrichen. Traurig bin ich darüber, dass die Linke wiederum nicht in die Antragstellung einbezogen wurde. Andererseits ergibt sich daraus für uns die Chance, unsere Forderungen ohne Aufweichung und konsequent für den Schutz des Afrikanischen Elefanten in die Debatte einzubringen. Eine Herabstufung von Anhang I auf Anhang II in CITES ist nach unserer Meinung nicht nur kritisch zu prüfen, sondern generell abzulehnen; denn daraus resultiert zum Beispiel ein verstärkter Elfenbeinhandel. Derzeit sind Afrikanische Elefanten in Botswana, Namibia, Simbabwe und Südafrika in Anhang II gelistet. Zusätzlich treten wir gegen das sogenannte Culling ein, bei dem im Rahmen von Bestandsregulierungsmaßnahmen ganze Elefantenherden geschossen werden. Für die Stabilität von Elefantenpopulationen, aber auch für eine Vermeidung von Mensch-Elefant-Konflikten sind der Erhalt, die Ausweitung und die Vernetzung von arttypischen Lebensräumen zwingend erforderlich. Dabei ist die betroffene Bevölkerung von Anfang an mit einzubeziehen, um den langfristigen Erhalt der Biotope sicherzustellen. Über eine Ablehnung der Herabstufung hinaus fordern wir eine generelle Listung des Afrikanischen Elefanten in Anhang I von CITES. Da ein solches Uplisting aber lediglich das betreffende Land selbst beantragen kann, setzen wir uns -zusätzlich für ein Populationsmodell in CITES ein. Dieses Populationsmodell steht dem bisherigen Ländermodell gegenüber, nach dem es erlaubt ist, eine Population, die im einen Land nach Anhang I geschützt ist, im anderen Land verstärkt zu schießen, sofern der Afrikanische Elefant dort in Anhang II gelistet ist. Das ist absurd. Im Populationsmodell hingegen wird eine Elefantenpopulation in ihrem Gesamthabitat betrachtet und gleich bewertet. Dieses Populationsmodell würde bei Änderung in CITES natürlich auch für alle anderen dort gelisteten Populationen gelten. Schon jetzt hinkt Deutschland seinem ODA-Versprechen – ODA: Official Development Assistance – nicht nur global, sondern auch für Afrika hoffnungslos hinterher. 0,7 Prozent des Bruttoinlandseinkommens sollten für die Finanzierung der Entwicklungshilfe ausgegeben werden. Aktuell sind es 0,4 Prozent. Die Forderung, aus dem „bestehenden finanziellen Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“ Gelder für den Elefantenschutz und den Polizeiaufbau zu verwenden, ist vor diesem Hintergrund geradezu grotesk und wird von uns natürlich abgelehnt. Vielmehr sollen für den Elefantenschutz Gelder unabhängig von den Entwicklungshilfezahlungen fließen. Zusätzlich müssen die verschiedenen Kontrollmechanismen gefördert werden. Tansania beantragt für die kommende Artenschutzkonferenz eine Herabstufung seiner Elefantenbestände und den Abverkauf von über 100 Tonnen Elfenbein. Zimbabwe hat seine Ankündigung zum Glück nicht wahrgemacht. In Tansania ist in den letzten drei Jahren laut dortigen Presseartikeln der Elefantenbestand um 42 Prozent zurückgegangen. Wilderei und Elfenbeinschmuggel sind immer noch Hauptproblem. Der Zoll in Hongkong hat erst vor wenigen Wochen eine Rekordmenge an geschmuggeltem Elfenbein abgefangen: Er stellte fast vier Tonnen im Wert von 3,4 Millionen Dollar – das entspricht 2,6 Millionen Euro – sicher; die Hälfte der Ware stammte aus Tansania. Dass das Land dennoch einen solchen Antrag stellt, bekräftigt, wie klar nun die Botschaft der restlichen Welt sein muss: nein zu jeglicher weiteren Lockerung, ein Stopp jedes Elfenbeinhandels. Die Bundesregierung und die EU sollten noch vor Beginn der internationalen Artenschutzkonferenz im März 2013 Tansania dazu auffordern, diesen Antrag zurückzuziehen. Diese und die vorher erwähnten Forderungen sind Inhalt unseres Änderungsantrages, den sie ja schon im Ausschuss abgelehnt haben. Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich freue mich außerordentlich, dass wir uns in diesem Haus fraktionsübergreifend verständigt haben, den Afrikanischen Elefanten weiterhin konsequent zu schützen. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen – und namentlich Josef Göppel – dafür, dass sie ihre erste Antragsversion weiter qualifizieren konnten. Selten sind wir uns im Natur- und Artenschutz so einig wie bei der Einschätzung der Situation der Afrikanischen Elefanten. Grund dafür sind die immer neuen und immer dramatischeren Zahlen zum illegalen Elfenbeinhandel und zur grausamen Elefantenwilderei. Schätzungen internationaler Natur- und Artenschutzorganisationen zufolge sind allein im vergangenen Jahr über 2 500 Elefanten illegal getötet worden, um an ihr vermeintlich wertvolles Elfenbein zu gelangen. Dies zeigt, dass ungeachtet des hohen Schutzstatus durch das Washingtoner Artenschutzabkommen noch immer keine Bestandserholung absehbar ist. Die Rote Liste der IUCN ist Beleg für meine Aussage. Um das drohende Aussterben der Elefanten zu verhindern, wurde 1989 im Rahmen des Washingtoner Artenschutzabkommens ein weltweites Handelsverbot für Elfenbein beschlossen und werden Elefanten in den Anhang I des Abkommens aufgenommen. In der Konsequenz sank der Elfenbeinhandel vorerst schlagartig, und die Wilderei ging in vielen Ländern massiv zurück. Doch Aufweichungen des Handelsverbots durch Herabstufungen einiger afrikanischer Elefantenbestände auf Anhang II des Abkommens – was den Handel unter bestimmten Auflagen möglich machte – sowie partielle Handelserlaubnisse für Elfenbein führten seit Ende der 1990er-Jahre zu einem Wiederanstieg der Wilderei und einer wachsenden Bedrohung der Elefanten. Diese Entwicklung ging unmittelbar mit den Lockerungen des Elefantenschutzes bei CITES einher und führte zu einer vermehrten Nachfrage nach Elfenbein. Vor diesem Hintergrund wäre es verantwortungslos, den Schutzauftrag erneut herabsetzen und den Abverkauf von bestehenden Elfenbeinbeständen ermöglichen zu wollen. Dies würde nicht zu einem Rückgang des illegalen Elfenbeinhandels führen, sondern die Nachfrage weiter anheizen und die ohnehin dramatische Wilderei weiter verschlimmern. Die Dickhäuter sind nicht einfach nur sympathische Tiere, sondern sie spielen darüber hinaus eine Schlüsselrolle für die lokalen Ökosysteme. Die Schutzforderungen für diese Tiere sind wegweisend für die Schutzbemühungen zu anderen bedrohten Tierarten und Ökosystemen auf dem afrikanischen Kontinent. Mit dem gemeinsamen Antrag senden wir ein deutliches und richtiges Signal für die kommenden Verhandlungen an unsere europäischen Partner, aber vor allem auch an die internationale Vertragsstaatengemeinschaft des Artenschutzabkommens. Wir wollen keine weitere Herabsetzung des Schutzstatus und setzen uns dafür ein, dass der Vorsorgegrundsatz zentraler Baustein des zu entwickelnden Entscheidungsfindungsmechanismus bleibt. An die Adresse unserer Kolleginnen und Kollegen der Linken frage ich vor diesem Hintergrund auch, warum sie gerade die Streichung des Vorsorgegrundsatzes und die Entwicklung eines „decision making mechanism“ fordern. Dies ist eine zentrale Forderung des internationalen Artenschutzes, die wir unterstützen, da wir auf Verhandlungen setzen und überzeugen wollen. Schade ist auch, dass Sie sich erst spät in die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Elefantenschutz eingebracht haben. Das nahm uns die Möglichkeit, Ihre Forderungen konstruktiv und ausgiebig zu diskutieren und Ihnen die inhaltlichen Mängel aufzuzeigen. So hätten wir Ihre Forderung nach der Existenzsicherung für die lokale Bevölkerung diskutieren können und Ihnen belegt, dass genau diese Forderung oft als Begründung für den Abschuss lokaler Elefantenpopulationen genutzt wird. Es braucht eine Ökosystemvernetzung durch Wanderkorridore, damit übergroße regionale Populationen nicht zu einem Problem oder einer Gefahr für die lokale Bevölkerung werden. Dennoch lehnen wir Ihre Position nicht vollends ab und geben Ihnen recht, wenn Sie die Erfüllung der ODA-Quote fordern. Zwar hat die Bundesregierung das 0,7-Prozent-Versprechen nicht explizit gegenüber Afrika gegeben, wie Sie behaupten; aber die Unterstützung der Entwicklungszusammenarbeit, die geforderte Unterstützung beim Strukturaufbau gegen illegalen Elfenbeinhandel oder die Förderung von Wald- und Naturschutzprojekten kosten Geld, und hier muss die Bundesregierung liefern. Ich kann ihnen versichern, dass die Grünen in Regierungsverantwortung dazu beitragen werden, diese ODA-Zielvereinbarung schnellstmöglich umzusetzen. Ich möchte mich aber auch an die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen wenden. Bitte verstehen Sie unsere Unterstützung für diesen Antrag nicht als Ermutigung, sich nun zurückzulehnen und auf diesem Antrag auszuruhen. Der Antrag allein bringt den so wichtigen und nötigen Schutz der Afrikanischen Elefanten nicht weiter. Wir verstehen ihn vor allem auch als Aufforderung an Bundesminister Altmaier, den internationalen Arten- und Biodiversitätsschutz zu seinem persönlichen Anliegen zu machen und seine Teilnahme an der kommenden Artenschutzkonferenz in Bangkok abzusichern. Nur so wird die Bundesrepublik auf internationaler Ebene als ernstzunehmender Verhandlungspartner wahrgenommen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des zuständigen Ausschusses auf der Drucksache 17/11715. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der vorhin genannten Fraktionen auf der Drucksache 17/11554. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung mit breiter Mehrheit, wenn auch bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 17/10110 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 37: Beratung des Antrags der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Uwe Kekeritz, Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Arbeitsbedingungen von Hausangestellten verbessern – ILO-Übereinkommen Nr. 189 ratifizieren – Drucksache 17/11370 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Was in diesem ILO-Übereinkommen Nr. 189 steht, ist den Reden zu entnehmen, die zu Protokoll genommen werden. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Der vorliegende Antrag von SPD und Grünen fordert eine rasche Ratifizierung des ILO-Übereinkommens Nr. 189. Die Übereinkunft wurde von der Internationalen Arbeitskonferenz auf ihrer 100. Tagung im Juni 2011 angenommen. Einigen Kolleginnen und Kollegen ist diese Tagung noch in besonders guter Erinnerung, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bedeutung des ILO-Übereinkommens hervorgehoben hat. Es soll die Rechte von Hausangestellten stärken und sie vor Diskriminierung und Missbrauch schützen. Dazu sieht es umfangreiche Regelungen unter anderem zur -Gewährung fairer und menschenwürdiger Arbeitsbedingungen, zum Arbeitsschutz, zu Arbeitszeiten, zur sozialen Sicherheit, zur Stärkung des Rechts auf -Kollektivverhandlungen und zur Kontrolle privater -Arbeitsvermittler vor. Es hat somit vor allem große -Bedeutung für Entwicklungs- und Schwellenländer. Auch die Bundesregierung hat an der Erarbeitung des Übereinkommens mitgewirkt. Die christlich-liberale Koalition begrüßt die Ziele und Instrumente des ILO-Übereinkommens. Derzeit wird der Entwurf der Denkschrift zum ILO-Übereinkommen noch geprüft. Nach sorgfältiger -Prüfung und Ressortabstimmung werden dann noch vor der Kabinettsbefassung die Länder und die Sozialpartner um Stellungnahme gebeten. Daher ist es momentan schwierig, einen konkreten Zeitpunkt für die Ratifizierung zu nennen. Es entspricht aber geübter Praxis der Bundesrepublik Deutschland, solche Übereinkommen erst dann zu ratifizieren, wenn alle gesetzlichen Regelungen materiell umgesetzt sind – die Ratifizierung ist dann der Abschluss einer etwaig notwendigen Rechtsanpassung, nicht der Beginn. Auch wenn eine schnelle Ratifizierung des ILO-Übereinkommens wünschenswert sein mag, müssen wir uns die Frage stellen, was die Ratifizierung de facto an der Situation der Hausangestellten in Deutschland ändert. Denn: Grundsätzlich sind Beschäftigte in Privathaushalten Arbeitnehmer im Sinne des deutschen Arbeitsrechts. Auch ist Deutschland, was beispielsweise die Arbeitszeitregelungen angeht, insgesamt weiter, als es das ILO-Übereinkommen verlangt. Hinsichtlich der Entlohnung würde die Ratifizierung selbst auch keine Verbesserung für Hausangestellte bringen: Die Konvention sieht zwar die Zahlung eines Mindestlohns vor, allerdings nur dort, wo ein -solcher auch bereits existiert. Übrigens, um es deutlich zu machen: Der von Ihnen geforderte Mindestlohn von 8,50 Euro ist nicht Bestandteil des ILO-Übereinkommens. Ich bin davon überzeugt, dass sich hier mithilfe einer allgemeinen Lohnuntergrenze Lücken schließen ließen. Auch sollten wir uns über das ILO-Abkommen hinaus die geltenden Ausnahmeregelungen für Hausangestellte einmal genauer anschauen: Möglicherweise ließen sich weitere Verbesserungen beim Arbeitsschutz für Hausangestellte schaffen. Ebenso sollten wir uns genauer die unterschiedlichen Pauschalbeiträge in der Sozialversicherung von geringfügig Beschäftigten und geringfügig beschäftigten Hausangestellten ansehen. Diese haben bei Hausangestellten geringere Ansprüche in der Rente zur Folge. Doch selbst das beste Gesetz zum Schutz der Arbeitnehmer ist obsolet, wenn Arbeitgeber ihren -Meldepflichten nicht nachkommen, Stichwort: Schwarzarbeit. Daher sollten wir Probleme der Rechtsdurchsetzung sehr ernst nehmen. Dies verlangt in erster Linie sicherlich eine möglichst unbürokratische Ausgestaltung der Regelungen für die Beschäftigung in privaten Haushalten: Gesetze sollen Beschäftigungsmeldungen erleichtern und befördern; sie sollen keine Hürde darstellen. Welche Möglichkeiten wir als Gesetzgeber darüber hinaus haben, werden wir noch gemeinsam diskutieren müssen. Das ILO-Übereinkommen Nr. 189 hat vor -allem große Bedeutung für Entwicklungs- und Schwellenländer. Eine Ratifizierung Deutschlands hätte möglicherweise Signalwirkung an andere Länder. Für Hausangestellte in Deutschland sollten wir den Fokus jedoch vor allem auf folgende Punkte legen: auf die Einführung einer Lohnuntergrenze, auf die Prüfung bestehender Ausnahmeregelungen und auf das Problem der Schwarzarbeit. Max Straubinger (CDU/CSU): Die Internationale Arbeitsorganisation, ILO, hat auf ihrer 100. Internationalen Arbeitskonferenz am 16. Juni 2011 das ILO-Übereinkommen 189 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte und die Empfehlung 201 betreffend menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte angenommen. Damit hat die ILO ein grundsätzliches Problem aufgegriffen, namentlich das der Arbeit hinter verschlossenen Türen: In vielen -Ländern fehlen verbindliche Regelungen für Hausangestellte, und wo es sie gibt, werden sie nicht immer beachtet. Hausangestellte arbeiten im privaten Raum, sodass Kontrollen kaum möglich sind. Auch Gewerkschaften, die für ihre Rechte eintreten könnten, existieren praktisch nirgends. Für viele Hausangestellte gilt nach wie vor, dass ihre Arbeitsbelastung zu hoch ist und sie -unterbezahlt sowie ungeschützt sind. Die Arbeitsverhältnisse sind oft informell, und damit fehlt meist auch jegliche soziale Absicherung – von Mutterschutz bis zur Absicherung im Alter. Die ILO will die Rechte von Arbeiterinnen und -Arbeitern auch im informellen Sektor festschreiben. Ich begrüße das ausdrücklich und unterstütze das Anliegen. Die ILO will über die bloße Ermittlung von Verstößen gegen die Kernarbeitsnormen wie das Zwangsarbeitsverbot hinausgehen. Sie will Orientierung bieten bei der Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen zugunsten von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die in besonderer Weise der Unterstützung bedürfen. Die besonderen Charakteristiken von Hausarbeit stellen keinen Grund dar, Hausangestellte vom Schutz durch internationale Arbeitsnormen auszuschließen. Die Nachfrage nach haushaltsnahen Dienstleistungen hat in den letzten Jahren zugenommen. Der starke Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Frauen, die Alterung der Gesellschaften und die vielfach unzureichende Vereinbarkeit von Familie und Beruf tragen zu diesem Trend bei. Besonders in Entwicklungsländern machen Hausangestellte einen beträchtlichen Teil der Erwerbsbevölkerung aus. Die ILO schätzt ihren Anteil an allen Beschäftigten dort auf zwischen 5 und 9 Prozent, während der Anteil in den Industrieländern bei lediglich bis zu 2,5 Prozent liegt. Mit dem Übereinkommen will die ILO die Rechte der Hausangestellten stärken und sie vor Diskriminierung und Missbrauch schützen. Dazu sieht das -Übereinkommen umfangreiche Regelungen unter anderem zur Gewährung fairer und menschenwürdiger Arbeitsbedingungen, zum Arbeitsschutz, zu Arbeitszeiten, zur sozialen Sicherheit, zur Stärkung des Rechts auf Kollektivverhandlungen und zur Kontrolle privater Arbeitsvermittler vor. Überdies sollen die gewerkschaftliche Vertretung von Hausangestellten und der soziale Dialog gefördert werden. Das geplante Übereinkommen und der damit verbundene globale -Aktionsplan sollen in den Mitgliedstaaten wirksame Gesetze und Mittel zu deren Durchsetzung fördern. Diese sollen auch strafrechtliche Sanktionen gegen diejenigen beinhalten, die sich der Ausbeutung ihrer Hausangestellten schuldig machen. Die Bundesregierung hat an der Erarbeitung des Übereinkommens und der begleitenden Empfehlung konstruktiv mitgewirkt und steht den politischen Zielen der Instrumente wohlwollend gegenüber. Die Bundeskanzlerin hat an der Sitzung der Internationalen -Arbeitskonferenz am 16. Juni 2011 teilgenommen – übrigens als erste deutsche Regierungschefin überhaupt – und hat in ihrer Rede die besondere Bedeutung des Übereinkommens hervorgehoben. Derzeit befinden sich der Entwurf einer Denkschrift zum Übereinkommen und die Stellungnahme zur ergänzenden Empfehlung in der ressortinternen Prüfung. Eine abschließende Aussage hinsichtlich der -Ratifizierbarkeit lässt sich damit heute noch nicht treffen. Nach Abschluss der Ressortabstimmung – und noch vor der Kabinettsbefassung – werden die Länder sowie die Sozialpartner um Stellungnahme gebeten. Insoweit kann ein Zeitpunkt für den Abschluss des Prüfungs-verfahrens momentan noch nicht genannt werden. Die Bundesregierung setzt aber alles daran, die Prüfung so rasch wie möglich abzuschließen. Wir haben keine Nachhilfe durch die Opposition -nötig. Der gemeinsame rot-grüne Antrag hat reinen Symbolcharakter und macht deutlich: Die christlich-liberale Koalition handelt, Rot-Grün begnügt sich mit Schaufensteranträgen. Josip Juratovic (SPD): Im vergangenen Jahr war ich bei der Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf, als das ILO-Übereinkommen Nr. 189 zum Schutz der Arbeitsrechte von Hausangestellten verabschiedet wurde. Ich konnte im Saal die Aufbruchstimmung miterleben. Viele Organisationen, vor allem aus der weltweiten Frauenbewegung, hatten jahrelang für dieses Übereinkommen gekämpft. Die Freude war groß, als die Delegierten der ILO-Konferenz das Übereinkommen beschlossen. Diese Aufbruchstimmung sollte für uns Antrieb sein, das Übereinkommen ernst zu nehmen. Deswegen fordern SPD und Grüne in dem heute vorliegenden gemeinsamen Antrag, dass das Übereinkommen so schnell wie möglich ratifiziert wird. Ein juristisches Gutachten der Hans-Böckler-Stiftung belegt, dass für die Ratifizierung zunächst keine rechtlichen Veränderungen in Deutschland notwendig sind. Von daher gibt es keinen Grund, warum das Übereinkommen noch nicht ratifiziert ist. Leider scheint es derzeit so, dass die Ratifizierung durch die Bundesregierung verzögert wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, bitte setzen Sie sich dafür ein, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hier zügig vorankommt! Wir haben leider schon oft genug bei ILO-Übereinkommen miterleben müssen, dass die Ratifizierung verschleppt wurde. Erst am Montag wurde bei der Anhörung zum Seearbeitsgesetz deutlich, dass Seeleute und Reeder Bedenken haben, dass es für sie in der internationalen Schifffahrt zum Nachteil wird, dass Deutschland das ILO-Seearbeitsübereinkommen von 2006 noch immer nicht ratifiziert hat. Wir dürfen uns also nicht so viel Zeit lassen bei den Ratifizierungen der ILO-Übereinkommen, sondern müssen zügig hier in Deutschland unsere internationalen Hausaufgaben machen. Auch die Kanzlerin betonte 2011 in ihrer Rede auf der ILO-Konferenz die Bedeutung der ILO für die internationale Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Diese warmen Worte reichen aber nicht aus, sondern dieses Bekenntnis muss auch in der täglichen Arbeit der Bundesregierung deutlich werden, insbesondere bei der Ratifizierung von Übereinkommen. Die Aufbruchstimmung 2011 in Genf war so groß, weil das Übereinkommen ein Meilenstein ist, um Hausarbeit gleichzustellen mit regulärer Erwerbsarbeit. In vielen Ländern ist die Arbeit von Hausangestellten nicht als reguläre Lohnarbeit anerkannt. Wir haben erst heute hier im Plenum über Haushaltshilfen diskutiert. Es ist sehr wichtig, dass wir dabei auch immer darüber sprechen, dass die Arbeit im Haushalt auch gute Arbeit sein muss. Arbeitsbedingungen und Lohn müssen auch für Hausangestellte gut und fair sein! Das Übereinkommen ist natürlich weltweit von großer Bedeutung. Besonders in Entwicklungsländern sind meist Mädchen und junge Frauen von Arbeitsausbeutung betroffen. Oft wird kein oder nur ein sehr geringer Lohn bezahlt, die Lebensbedingungen im Haushalt sind nicht menschenwürdig, es findet manchmal sowohl psychischer als auch sexueller Missbrauch statt. Aber wir dürfen unsere Augen nicht verschließen und nur auf andere Länder zeigen. Auch in Deutschland findet Missbrauch von Hausangestellten statt. Viel Medienaufmerksamkeit haben die Fälle von mi-grantischen Hausangestellten in Diplomatenhaushalten erhalten, besonders der Fall einer indonesischen Hausangestellten, die ihren Arbeitgeber, einen Diplomaten aus Saudi-Arabien, auf Zahlung von rund 70 000 Euro Lohn und Schmerzensgeld verklagt hatte. Zunächst wurde die Klage in den ersten Instanzen abgewiesen wegen der Immunität des Diplomaten. Kurz vor der Verhandlung am Bundesarbeitsgericht teilte der Anwalt des Diplomaten mit, dass dieser nicht länger als Diplomat akkreditiert und zurück in Saudi-Arabien sei. Damit ist das Bundesarbeitsgericht nicht mehr zuständig; der Fall konnte nicht mehr verhandelt werden. Erst gestern wurde der Fall einer bolivianischen Hausangestellten bekannt, die lange Zeit keinen Lohn erhielt, überlange Arbeitszeiten hatte und kaum aus dem Haus gelassen wurde. Hier hat das Auswärtige Amt mit den Betroffenen verhandelt; es kam zu einer Nachzahlung des Lohnes. Das zeigt: Ausbeutung von Hausangestellten ist auch in Deutschland kein Einzelfall. Es muss klar sein: Menschenrechte gelten in Deutschland auch für Hausangestellte und auch in Diplomatenhaushalten. Wir müssen insbesondere für Diplomatenhaushalte Regelungen schaffen, um dem Missbrauch einen Riegel vorzuschieben. Unser Antrag schlägt dazu vor, dass die Hausangestellten sowohl bei der Einreise als auch bei der Verlängerung ihre Protokollausweise persönlich im Auswärtigen Amt abholen müssen. So werden die Hausangestellten aus der Isolation im jeweiligen Haushalt herausgeholt. Nicht nur die Beratung von Hausangestellten in Diplomatenhaushalten muss besser werden. Wir fordern daher, dass mehrsprachige Broschüren nach dem Vorbild der NGO „Ban Ying“ erstellt werden. Nicht nur die Beratung, auch die Arbeitsverträge müssen den Hausangestellten in einer Sprache vorgelegt werden, die sie verstehen. Weiter fordern wir in unserem Antrag, dass für Hausangestellte vergleichbare arbeitsschutz- und arbeitsrechtliche Regelungen gelten wie für andere Beschäftigte, dass ein allgemeinverbindlicher Branchenmindestlohn für Hausangestellte Geltung erlangt und dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn als Lohnuntergrenze eingeführt wird. Da viele Hausangestellte hier in Deutschland Migranten sind, sind zudem zwei weitere Forderungen wichtig: erstens eine Regelung zur Heimschaffung. Es gibt eine Heimschaffung für Seeleute, mit der geregelt wird, wie Seeleute nach dem Ende ihres Vertrags zurück in ihr Heimatland kommen. Eine analoge Regelung ist auch für Hausangestellte notwendig. Zweitens muss der Missbrauch durch private Arbeitsvermittler wirksam verfolgt werden. Private Arbeitsvermittlung ist problematisch, da hier oft Missbrauch geschieht mit Gebühren oder gar mit Menschenhandel. Lassen Sie uns gemeinsam dafür handeln, dass Missbrauch von Hausangestellten in Deutschland stärker bekämpft wird als bisher! Lassen Sie uns ein Zeichen setzen und das ILO-Übereinkommen Nr. 189 für die Rechte von Hausangestellten schnellstmöglich ratifizieren! Ich freue mich auf die weitere Beratung des Antrags von SPD und Grünen in den Ausschüssen. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales befindet sich derzeit mit den betroffenen Ressorts in der Abstimmung bezüglich der Ratifizierung des ILO-Übereinkommens Nr. 189. Der weitere Zeitplan steht noch nicht fest. Nach allen meinen Informationen hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales an der Erarbeitung des Übereinkommens und der begleitenden Empfehlung konstruktiv und engagiert mitgewirkt. Die Ratifizierung des Abkommens durch Deutschland wird kommen; sie ist aber nicht drängend. Das Übereinkommen tritt aufgrund der Ratifizierungen in Ländern, die möglicherweise im Bereich Arbeitsrecht und Arbeitsschutz noch größeren Handlungsbedarf als Deutschland haben, auch so in Kraft – am 5. September 2013. Dem rechtlichen Verfahren bei der ILO steht also nichts mehr im Weg. Damit wird in knapp einem Jahr diese Konvention für alle 185 Mitgliedstaaten gültig sein. Worauf die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen selbst schon in ihrem Antrag hinweisen: Die in dem ILO-Übereinkommen Nr. 189 gesetzten Standards sind in Deutschland bereits erfüllt. Die Hans-Böckler-Stiftung hat in einem Gutachten der Jura-Professorin Dr. Eva Kocher von der Europa-Universität Viadrina Folgendes festgestellt: „Insgesamt entspricht das deutsche Recht den Mindestvorgaben der Konvention. Ein Anpassungsbedarf besteht nicht.“ Die Juristin, die dieses Gutachten erstellt hat, hat übrigens im „Böckler-Impuls“, Ausgabe 12/2012, geschrieben – ich zitiere in Auszügen –: „Arbeitszeit. Im deutschen Recht unterliegen im Haushalt Beschäftigte dem allgemeinen Arbeitszeitschutz. Sie haben zum Beispiel Anspruch darauf, pro Woche mindestens 24 Stunden am Stück frei zu haben. Bereitschaftszeiten sind ebenfalls als Arbeitszeit anzusehen. Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz gelten nur für Beschäftigte, die ’in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und diese eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen’ – etwa bei der Arbeit in SOS-Kinderdörfern oder in betreuten Wohngruppen. Insgesamt ist das deutsche Recht bei diesem Thema sogar schon weiter, als es die Konvention verlangt …“ „Entlohnung. Aktuell bestehen Tarifverträge für die Hausarbeit zwischen dem Deutschen Hausfrauenbund auf Arbeitgeberseite und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Einen gesetzlichen Mindestlohn gibt es lediglich für die Pflegebranche. Pflegekräfte, die von privaten Haushalten beschäftigt werden, sind hiervon zumeist nicht erfasst. Die Konvention sieht nur vor, dass ein nationaler Mindestlohn gezahlt wird, wenn es einen gibt – ihre Ratifizierung bringt also keine Verbesserung. Immerhin begrenzt das deutsche Recht Sachleistungen des Arbeitgebers anstelle einer Entlohnung in Geld – eine weitere Anforderung der ILO-Konvention.“ „Schutz vor Missbrauch, Belästigung und Gewalt. Aufgrund der mangelnden Sichtbarkeit und fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung ihrer Tätigkeit ergeben sich für Hausangestellte über die Gleichbehandlung mit anderen Beschäftigten hinaus besondere Schutzbedürfnisse … Die Gefahr von Ausbeutung und einer mangelnden Trennung von Erwerbsarbeit und Freizeit ist groß. Wohnen sie mit im Haushalt, haben Beschäftigte aber ein Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre. Den Mindestanforderungen der Konvention genügt das deutsche Recht.“ Sie sehen also, dass eine Ratifizierung nicht notwendigerweise ganz oben auf der Prioritätenliste des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales stehen muss. Leider belassen Sie es bei Ihrem Antrag aber auch nicht allein bei der Forderung, das Übereinkommen zu ratifizieren. Wie nicht anders zu erwarten, nutzen Sie diesen Antrag, um mal wieder die Dauerbrenner Ihrer sozialpolitischen Forderungen unterzubringen. Der flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro, auf den Sie sich geeinigt haben, scheint also in Ansehung möglicher Koalitionsverhandlungen auch einfach so politisch festgelegt werden zu können – ohne Kommission, ohne Beteiligung von Wissenschaftlern oder Sozialpartnern. Das wollen Sie aber doch eigentlich. Damit wissen die Wähler in Deutschland zumindest jetzt schon genau, was bei einem Wahlsieg von Rot-Grün auf sie zukommt – eine politische Lohnfestsetzung für alle. In einem Punkt widersprechen Sie allerdings allen Ihren bisherigen Äußerungen: Sie fordern zwar die Verstärkung von Anreizen, um bisher schwarz geführte Hausarbeit zu legalisieren. Auf der anderen Seite verteufeln Sie aber alle Flexibilisierungselemente auf dem Arbeitsmarkt und haben unsere Verbesserungen bei den Minijobs – das ideale Instrument für Hausangestellte, die bei verschiedenen Arbeitgebern arbeiten!  – strikt abgelehnt. Gerade die Erleichterungen für Hausangestellte machen es doch erst attraktiv für einen Privathaushalt, der jemanden nur für wenige Stunden in der Woche oder im Monat beschäftigt, diesen bei der Minijobzentrale anzumelden und Sozialabgaben zu zahlen. Das sind bereits starke Anreize. Dass diese Anreize noch mehr kommuniziert werden können – da stimme ich gerne mit Ihnen überein. Die Beschäftigung von Schwarzarbeitern ist kein Kavaliersdelikt. Damit wir Schwarzarbeit legalisieren, müssen Sie Ihr Sperrfeuer gegen die Minijobs einstellen. Weiter gehende Anreize brauchen wir nicht. Aus diesen Gründen werden wir Ihren Antrag ablehnen. Wir sind optimistisch, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Ratifizierung des Übereinkommens mit den anderen Bundesministerien abstimmen und dann auch vornehmen wird. Klaus Ernst (DIE LINKE): „Wenn Hausangestellte wie Putzlumpen behandelt werden“ – so titelte im November 2011 die „Süddeutsche Zeitung“. Damals sorgte der Fall einer indonesischen Hausangestellten, die in der arabischen Vertretung hier in Berlin beschäftigt war, für großes Aufsehen. Der Vorwurf: unterbezahlt, misshandelt und vergewaltigt. Dass der saudische Diplomat zunächst davonkam, hatte er allein seinem Diplomatenstatus zu verdanken, der ihn schützte. Mittlerweile hat das Bundesarbeitsgericht in diesem Fall geurteilt, dass dem Diplomaten in Deutschland der Prozess gemacht werden darf. Dass es sich bei dem geschilderten Fall scheinbar um keinen Einzelfall handelt, beweist das im Juni 2011 verabschiedete Übereinkommen Nr. 189 zum Schutz der Rechte von Hausangestellten der Internationalen Arbeitskonferenz – der ILO – in Genf. Seitdem sind bereits eineinhalb Jahre ins Land -gezogen. Selbst die Kanzlerin hielt das Thema für so wichtig, dass sie es sich nicht nehmen ließ, in ihrer Rede vor den Delegierten der ILO-Mitgliedstaaten zu erklären, dass die ILO mit dem Abkommen einen -Meilenstein für faire und gerechte Beschäftigung in ganz neuen Bereichen gesetzt habe. Seit dem 7. August 2012 sind die Voraussetzungen für das Inkrafttreten des Übereinkommens geschaffen. Es war allerdings nicht die Bundesregierung, die durch die Ratifizierung für die nötige Mindestzahl an Staaten gesorgt hat, sondern es waren Uruguay und die Philippinen! Damit tritt das Übereinkommen zwölf Monate später, zum 5. September 2013, in Kraft. Mit der zügigen Ratifizierung hätte die Bundesregierung ein Beispiel für andere Staaten bei der weltweiten -Umsetzung von arbeits- und sozialrechtlichen Standards für Hausangestellte geben können. Allein sie hat es bisher versäumt. Dabei ist allein in 2,6 Millionen deutschen Haushalten mindestens eine regelmäßige Hausangestellte beschäftigt. Angemeldet sind davon allerdings lediglich 250 000. 90 Prozent aller Beschäftigungen in -Privathaushalten finden also irregulär statt. Ohne -Arbeitsvertrag, ohne Anmeldung der Beschäftigung und vor allem ohne Sozialversicherung und Steuer-abgaben. Die überwiegende Zahl der Hausangestellten in Deutschland sind Frauen, oft im Pflegebereich beschäftigt. Gerade die Anonymität in Privathaushalten führt oftmals dazu, dass Migrantinnen ohne -gesicherten Aufenthaltsstatus in haushaltsnahen Dienstleistungen landen. Sie sind somit nahezu rechtlos und müssen zudem unmenschliche Arbeits- und -Lebensbedingungen ertragen. Dem schiebt das ILO-Übereinkommen einen Riegel vor. Ein vom Deutschen Gewerkschaftsbund in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass eine Ratifizierung der ILO-Konvention auch ohne aktuelle Rechtsänderungen möglich sei. Es ist aus Sicht der Linken deshalb unverständlich, warum die Bundesregierung noch immer damit beschäftigt ist, die Umsetzung des Übereinkommens in deutsches Recht zu prüfen. Jeder Tag der Nichtratifizierung des Übereinkommens ist deshalb ein verlorener Tag für die Betroffenen. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass das Übereinkommen so schnell wie möglich dem Bundestag vorgelegt wird. Wir werden die Kanzlerin beim Wort nehmen und uns für eine rasche Ratifizierung im Interesse der betroffenen Hausangestellten in Deutschland und weltweit weiter starkmachen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In aller Regel kann ich den Einschätzungen und Forderungen von Kanzlerin Merkel nicht zustimmen. Am 14. Juni des vergangenen Jahres war ich aber bei einer Rede von Angela Merkel anwesend und mit ihr in allen wesentlichen Punkten einig. Merkel sprach auf der Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf, und ich war dort mit einer Delegation des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Sie lobte die Sozialpartnerschaft in Deutschland, die sie ansonsten gerne mal vergisst. Ganz besonders lobte sie das gerade verabschiedete Übereinkommen mit der Nr. 189 über „menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte“. Dieses Übereinkommen gelte, und ich zitiere hier die Kanzlerin, „für einen Bereich, der sich oft im Schatten der offiziellen Beschäftigung vollzieht und in dem nun aber Schritt für Schritt Standards gesetzt werden, die dem Prinzip entsprechen, dass die Würde jedes Menschen gleich ist“. Und sie hatte auch einen Wunsch – auch der ist wichtig: „Ich wünsche für die Umsetzung dieser Konvention – es wird ja eine ganze Weile dauern, ehe sie alle Länder ratifiziert haben – viel Erfolg!“ Wenn die Kanzlerin und die von ihr geführte Koalition nicht nur Wünsche äußern, sondern selbst auch zügig handeln würde, dann hätten wir den vorliegenden Antrag nicht stellen müssen. Doch knapp anderthalb Jahre nach Annahme des ILO-Übereinkommens zum Schutz der Hausangestellten liegt dem deutschen Bundestag noch kein Entwurf dazu vor, die Konvention auch umzusetzen. Mehr noch: Es gibt noch nicht einmal eine Aussage, ob die Bundesregierung denn die Ratifizierung empfiehlt oder nicht. Um der Bundesregierung in dieser wichtigen Frage zu mehr Schwung zu verhelfen, haben wir den Antrag gestellt, das Übereinkommen nun zügig umzusetzen. Wir haben das als Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen von der SPD getan. Der gemeinsame Antrag zeigt auch: Es geht uns nicht um parteipolitisches Gezänk, sondern um die Vorbildfunktion Deutschlands bei der Umsetzung seiner internationalen Verpflichtungen. Eine zeitnahe Ratifizierung in einem wichtigen Industrieland wie Deutschland könnte ein wichtiges Signal für Entwicklungs- und Schwellenländer sein; denn ratifiziert haben bisher nur Uruguay, die Philippinen und Mauritius. Das Schicksal der Hausangestellten ist keinesfalls nur eine Randproblematik. Weltweit arbeiten nach Schätzungen der ILO bis zu 100 Millionen Menschen als Hausangestellte. Die meisten von ihnen sind Frauen. Und weltweit werden ihnen häufig nicht die gleichen Rechte wie anderen Beschäftigten gewährt. Sie können sich oft nicht gewerkschaftlich organisieren. Sie sind nicht renten- und krankenversichert. Sie erhalten keinen Mutterschutz und werden zu überlangen Arbeitszeiten gezwungen. Gleichzeitig sind sie – gerade weil es sich häufig um Frauen und Migrantinnen handelt, die mit den Arbeitgebern unter einem Dach wohnen – von Missbrauch und Rechtsverletzungen bedroht. Natürlich sind in Deutschland der Arbeitsschutz und die rechtlichen Regelungen für Hausangestellte bereits auf einem sehr hohen Niveau. Realität in Deutschland ist aber auch, dass den nur rund 250 000 angemeldeten Arbeitsverhältnissen in Privathaushalten nach Schätzungen die 10- bis 16-fache Menge an informell Beschäftigten gegenübersteht. Daher fordern wir in unserem Antrag ausdrücklich auch die Schaffung von Anreizen, um die Hausangestellten aus der Illegalität zu holen. Denn gerade im Bereich der Hausangestellten, deren Arbeit sich in der Privatsphäre der Arbeitgeber abspielt, können Arbeitsbedingungen nicht überprüft werden. Deswegen schlagen wir als ergänzende Maßnahme auch eine Aufklärungskampagne über die Rechte der Beschäftigten vor. Wir wollen die Umsetzung der Rechte nicht nur formal abhaken, wie es leider oft geschieht bei der Ratifizierung internationaler Abkommen. Wir wollen die Hausangestellten, insbesondere jene mit Migrationshintergrund, auch direkt erreichen und aufklären – und zwar in einer Sprache, die sie verstehen. Gleichstellung und gleiche Rechte sind jedoch immer auch eine Frage der gerechten Entlohnung. Auch diesen Bereich sparen wir nicht aus. Die Situation der Hausangestellten in Deutschland ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von mindestens 8,50 Euro überfällig ist. Es ist nicht einzusehen, dass die gewerbliche Arbeit innerhalb von privaten Haushalten ein Bereich sein soll, der ohne allgemeinverbindliche Lohnuntergrenze auskommt. Hier sollte wie anderswo auch das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gelten. Der Tarifvertrag für die Hausarbeit zwischen dem Deutschen Hausfrauen-Bund auf Arbeitgeberseite und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten bietet hier eine gute Grundlage – aber er muss auch tatsächlich zur Anwendung kommen. Ich habe Stellen benannt, an denen Verbesserungen nötig sind. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass der Ratifizierung keine grundsätzlichen Probleme im Wege stehen. Zu diesem Schluss kommt im Übrigen auch eine umfassende Studie, die von der Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegeben wurde. In diesem Sinne werbe ich für unseren Antrag und um Beschleunigung des Ratifizierungsprozesses. Und an die Kanzlerin gerichtet sage ich: Werden Sie Ihrer Vorbildfunktion gerecht und handeln Sie im Geist Ihrer Rede von Genf, Frau Merkel! Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir kommen zur Abstimmung über den Vorschlag, die Vorlage auf Drucksache 17/11370 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Es gibt keine Einwände, es ist damit so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Altmaier, Dorothee Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Claudia Winterstein, Burkhardt Müller-Sönksen, Gabriele Molitor, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Barrierefreies Filmangebot umfassend ausweiten – Mehr Angebote für Hör- und Sehbehinderte – zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Tabea Rößner, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sofortprogramm zur Ausweitung des bar-rierefreien Filmangebots auflegen – Drucksachen 17/7709, 17/8355, 17/10029 – Berichterstattung: Abgeordnete Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Angelika Krüger-Leißner Dr. Claudia Winterstein Kathrin Senger-Schäfer Claudia Roth (Augsburg) Reden dazu gibt es, sie werden aber nicht gehalten, sondern zu Protokoll genommen. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): In unserem Land leben mehr als 9,6 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die gehandicapt sind, 11,7 Prozent der Bevölkerung. Jeder Zehnte von uns gehört dazu. Darunter befinden sich 1,2 Millionen blinde und sehbehinderte Menschen und weitaus mehr, die gehörlos sind, schwerhörig, ertaubt oder die mit einer Körper- oder Sprachbehinderung zu leben haben. Spiel- oder Dokumentarfilme konnte dieser große Teil unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger bislang nicht richtig ansehen oder anhören. Sie waren von diesem Kulturgenuss ausgeschlossen. Kaum eine Filmproduktion war bislang barrierefrei ausgestattet, und nur 1 Prozent der Leinwände verfügte über die technischen Abspielmöglichkeiten für audiodeskriptive Fassungen. Dieser Zustand schrie nach Veränderung! Barrierefreiheit bedeutet mehr als rollstuhlgerecht. Dieser Satz erhebt den Anspruch, dass Menschen trotz ihrer Beeinträchtigung beim Hören, Sehen, Sprechen oder durch Körperbehinderungen ungehinderte gesellschaftliche Teilhabe möglich wird. Davon sind wir nach wie vor weit entfernt. Gesenkte Kantensteine bei Gehwegen, behindertengerechte Toiletten, Fahrstühle, spezielle Angebote auf Sportplätzen, Bus und Bahn machen deutlich: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Aber es geht um mehr, wenn die freie gesellschaftliche Partizipation das Ziel sein soll. Um den Menschen mit Handicap gerecht zu werden, haben die UN 2006 die weltweit geltende Behindertenkonvention verabschiedet. Drei Jahre später trat sie bei uns in Kraft. Für Kunst und Kultur ist besonders der Art. 30 maßgebend. Er schreibt einen ungehinderten Zugang zu Film und Fernsehen, zu Kino und Theater vor. Eine Zielvorgabe ohne Wenn und Aber. Hindernisse für Behinderte gehören weggeräumt. Teilhabe an Film, Kino und den audiovisuellen Medien darf nicht nur Theorie sein, sondern muss Wirklichkeit werden. Bereits bei der fünften Novellierung des Filmförderungsgesetzes, FFG, 2009 unterstützten alle die Initiative von Bernd Neumann, dem Staatsminister für Kultur und Medien, der die Schaffung von Barrierefreiheit als Fördertatbestand in das Gesetz eingebracht hatte. Parlament und Regierung hofften, dass diese Kannbestimmung eine Signalwirkung für die Filmwirtschaft haben würde, mehr für Behinderte zu tun. Das Resultat nach fast vier Jahren Laufzeit des Gesetzes ist mehr als ernüchternd. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband stellte fest, dass kein einziger Auftrag einer Hörfilmproduktion auf die Gesetzesänderung zurückzuführen war. Und auch bei vielen Kinomodernisierungen – nicht bei allen – waren an Behinderten orientierte Umbauten nicht zu erkennen. Der Eingang für große Rollstühle blieb zu eng, ein Fahrstuhl wurde vergessen. Anlass genug für die Abgeordneten, im neuen Filmförderungsgesetz verbindliche Regelungen für Filme und Kinosäle zu fordern; Barrierefreiheit für die fast 10 Millionen behinderten Mitbürger. Für Seh- und Hörbehinderte ist die Miterlebnistechnik ausgereift, und die Kosten sind überschaubar. Für Blinde und Sehbehinderte bietet sich die Audiodeskription an, für hörbehinderte Menschen die Untertitelung. Die Audiodeskription eines 90-Minuten-Films kostet circa 5 000 Euro, die Untertitelung circa 1 000 Euro. Gemessen an den Produktionsbudgets vieler Kinofilme sind dies sehr kleine Summen! Es ist bei allen Akteuren ein noch größeres Problem- und Bedarfsbewusstsein notwendig. Deshalb hat die christlich-liberale Koalition vor einem Jahr ihren Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, über den wir heute abstimmen. Darin wurde eine verbindliche Regelung im FFG gefordert. Durch die Filmförderungsanstalt, FFA, geförderte Filmproduktionen müssen barrierefrei ausgestattet sein. Heute, ein Jahr nach Einbringung unseres Antrags, sind wir ein bedeutendes Stück weiter. Alle relevanten Akteure der Filmbranche, vor allem Produzenten, Verleiher, Kinobetreiber, die Videowirtschaft und die Rundfunkanstalten, sind inzwischen in starkem Maße für das Thema sensibilisiert worden. Wir haben den berühmten Stein ins Wasser geworfen, und der zieht erfreulich weite Kreise. Plötzlich fragt sich die gesamte Branche, warum sie die Barrierefreiheit nicht schon viel früher verwirklicht hat. Entsprechend der Auffassung des französischen Schriftstellers Victor Hugo, der feststellte: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Die Bundesregierung hat gemäß unserem Antrag sachgemäß und problembewusst gehandelt. In den Regierungsentwurf der Novelle des Filmförderungsgesetzes hat sie das neue Förderkriterium „Barrierefreie Ausstattung eines Films“ aufgenommen. Zu den Allgemeinen Förderungsvoraussetzungen (§ 15) zählt nun, dass „wenigstens eine Endfassung des Films in jeweils einer Version mit deutscher Audiodeskription und mit deutschen Untertiteln für Hörgeschädigte hergestellt worden ist“. Obwohl dies eine zusätzliche Förderauflage für sie ist, findet es die breite Zustimmung der Filmwirtschaft. Denn es geht um noch viel mehr für Film und Kino. Wir leben in einer alternden Gesellschaft. Allein 1,3 Millionen Menschen meiden das Kino, weil ihre Augen und Ohren schwächer geworden sind. Die verdienstvolle Initiative „Vision Kino“ geht von der zehnfachen Zahl von Menschen aus, die zwar nicht als behindert gelten, aber sich von Film und Kino ausgegrenzt fühlen, weil auf ihre Schwächen nicht eingegangen wird. Hier kann der Kinobetreiber, wenn er es denn will, mit der Digitalisierung nicht nur die Abspielqualität verbessern, sondern durch die neue Technologie individuelles Hören und Sehen in noch nie -dagewesener Form ermöglichen. Wenn die Barrierefreiheit im Kino Realität werden soll, sind Förderhilfen angemessen, denn gerade die mittelständischen Anbieter sind bereits jetzt durch die Digitalisierung finanziell gefordert. Unterstützung ist notwendig, Darlehen helfen, gehören dazu. Auch die Anhebung der Förderhöchstgrenzen auf 350 000 Euro wird der Zielsetzung Nachdruck verleihen. Beide Maßnahmen, die die Bundesregierung in die Bestimmungen zu den Förderungshilfen für Kinos aufgenommen hat (§ 56), sind als Signal zum Handeln zu verstehen. Der Beschluss des Präsidiums der FFA, bereits im Spätherbst 2012 mit dem Ausbau der Barrierefreiheit zu beginnen und nicht bis zum Inkrafttreten des FFG 2014 zu warten, ist begrüßenswert. Auch der Verwaltungsrat der FFA, das „Filmparlament“, hat beispielgebend unter Vorsitz von Eberhard Junkersdorf dem Handlungszeitplan von Vorstand Peter Dinges zugestimmt. Auch der Deutsche Filmförderfonds, DFFF, wird seine Richtlinien entsprechend zum 1. Januar 2013 anpassen. Was für den Film gilt, gilt in Zukunft verstärkt auch für das Fernsehen, besonders für die öffentlich-rechtlichen Sender. Wenn 2013 die Haushalts- und Betriebsstättenabgabe kommt, die auch von Seh- und Hörgeschädigten gezahlt werden muss, müssen auch die Fernsehsender barrierefreie Filme anbieten. Die Landesmedienanstalten haben zudem gerade ProSiebenSat.1 und die Mediengruppe RTL aufgefordert, mindestens eine Sendung pro Abend mit Untertiteln für Hörgeschädigte auszustrahlen. Eine zutreffende Forderung, die die Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion findet. Aber sie kann nur ein Anfang sein! Doch Beschlüsse alleine reichen nicht aus. Es muss zu einer verbesserten Wahrnehmung bei allen Beteiligten und in unserer Gesellschaft kommen, dass für Menschen mit Handicap eine uneingeschränkte Teilhabe auch an Kunst und Kultur möglich ist, so wie es die UN-Konvention sichergestellt wissen will. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Knapp 10 Millionen Menschen, also mehr als jeder Zehnte in unserem Land, leben mit einer Behinderung. Viele von ihnen begegnen im Alltag schwer überwindbaren Hindernissen, die ihnen die Teilhabe an den verschiedensten gesellschaftlichen Grundbedürfnissen einschließlich der kulturellen, nicht nur erschweren, sondern teils unmöglich machen. Im Juni 2010 hat die christlich-liberale Bundes-regierung ein umfassendes Maßnahmenpaket für alle Lebensbereiche in einem über 200 Vorhaben, Projekte und Aktionen beinhaltenden Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorgelegt. Darin wird der Beseitigung von Barrieren im Bereich Film ein großer Stellenwert beigemessen. In Deutschland lebt mehr als 1 Million blinde und sehbehinderte Menschen sowie weitere Millionen gehörlose, schwerhörige und ertaubte Menschen. Knapp 300 000 Menschen sind aufgrund ihrer Hörbehinderung schwerbehindert. Kunst und Kultur müssen, soweit es geht, ohne Abstriche auch für diese Menschen zugänglich sein. Auch sie wollen und sollen an dem Erlebnis Kino und Film teilhaben. Mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Film-förderungsgesetzes haben wir in Umsetzung des Maßnahmepakets eine Reihe von Fördermöglichkeiten für fast sämtliche Glieder der Produktions- und Verwertungskette von Filmen in diese Richtung geschaffen. So kann beispielsweise die Herstellung einer Endfassung mit einer für Blinde und Sehbehinderte geeigneten Audiodeskription und der für Hörgeschädigte hilfreichen Untertitelung als eines von drei notwendigen Kriterien herangezogen werden, die für den kulturellen Eigenschaftstest erfüllt sein müssen. Ebenso können Kinos nach dem Filmförderungsgesetz unterstützt werden, die im Rahmen von Modernisierungsmaßnahmen zusätzliche Plätze für Rollstuhlfahrer einrichten oder Induktionsschleifen für hörgeschädigte Menschen einbauen. Mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen zum bar-rierefreien Kino aus dem November 2011 mussten wir leider konstatieren, dass die erste Resonanz auf diese Förderangebote nicht unseren Erwartungen entsprach. Dass bislang nur ein Prozent der Leinwände bzw. Kinosäle für Audiodeskription geeignet sind und laut Aussage der Filmförderungsanstalt, FFA, die Antragszahlen für eine Förderung ebenfalls gering sind, ist schlichtweg unbefriedigend. Im Rahmen der bevorstehenden Novellierung des Filmförderungsgesetzes werden wir prüfen, ob es der fehlenden Kenntnis der Förderungsmöglichkeiten oder einem möglicherweise grundsätzlich fehlenden -Problem- und Bedarfsbewusstsein bei den jeweiligen Akteuren geschuldet ist, dass gegenwärtig etwas einer gesteigerten Verfügbarkeit deutscher Kinofilme mit Audiodeskription und erweiterter Untertitelung ent-gegensteht. An den geringen Kosten pro Film kann es schwerlich liegen. Die Audiodeskription eines 90-Minuten-Films kostet rund 5 000 Euro. Die vergleichbaren -Untertitelungskosten liegen bei rund 1 000 Euro. -Aufgrund steigender Nachfrage dürften alle am Produktions- und Verwertungsprozess Beteiligten von -ihrem zusätzlichen Aufwand profitieren und die Sorge um eine Refinanzierung beseitigen. Das Thema Barrierefreiheit wird von der christlich-liberalen Koalition auch abseits gesetzlicher Handlungen aktiv vorangetrieben, wobei über die Fraktionsgrenzen hinweg Konsens besteht, dass Verbesserungen beim barrierefreien Film im Rahmen der anstehenden Novellierung des FFG gesetzlich festzuschreiben sind. Einer gemeinsamen fraktionsübergreifenden Initiative ist es bereits zu verdanken, dass die Filmförderungsanstalt im Vorgriff auf die Novelle zum Filmfördergesetz einen Grundsatzbeschluss zur Förderung barrierefreier Filme gefasst hat. Demzufolge sollen nur noch solche Produktionen gefördert werden, die mit zusätzlichen Bildbeschreibungen für blinde und sehbehinderte Menschen sowie mit Untertitelung ausgestattet sind. Als weitere kurzfristige Maßnahme ist positiv zu -erwähnen, dass im Herbst der Deutsche Filmförderfonds, DFFF, mit dem die Bundesregierung seit fünf Jahren Kinofilmproduktionen unterstützt, von Kulturstaatsminister Bernd Neumann zum zweiten Mal um drei Jahre bis 2015 verlängert worden ist. Die entsprechend geänderten Förderrichtlinien sehen neu vor, dass die unterstützten Produktionen auch barrierefreie Fassungen zu erstellen haben. Die gut 100 Filme, die der DFFF im Jahr fördert, werden dann auch als -Hörfilme, also als Kino- oder Fernsehfilme mit zusätzlichen akustischen Bildbeschreibungen auf einem eigenen Tonkanal, zur Verfügung stehen. Für den barrierefreien Film wird aber ebenso wichtig sein, dass die Fernsehveranstalter Ihrer Verantwortung nachkommen und diesem Beispiel folgend das Angebot von Sendungen mit Audiodeskriptionen und Untertitelungen deutlich ausweiten. Mögliche gesetzliche Maßnahmen lassen sich hier allerdings nicht auf Bundesebene realisieren, da der Bund dafür keine -Gesetzgebungskompetenz hat. Mit dem heute diskutierten Antrag geht es um die konsequente Sensibilisierung für das Thema Barrierefreiheit, damit auch blinde sehbehinderte Mitbürger in unserem Land ihr Recht, an diesem unverzichtbaren Teil unserer Kultur teilzuhaben, wahrnehmen können. Angelika Krüger-Leißner (SPD): Vor einer guten Woche hat das Europäische Parlament wieder den LUX-Filmpreis vergeben, dieses Mal für einen italienischen Film über das Schicksal einer chinesischen Gastarbeiterin in Italien. Das Besondere an diesem Preis: Das EU-Parlament übernimmt beim Gewinnerfilm die Kosten für die Herstellung einer für Schwerhörige oder Sehbehinderte barrierefreien Fassung. Deren Kopien können dann in den Kinos gezeigt werden. Eine ganz tolle und wichtige Initiative, die bisher mitgeholfen hat, das mangelhafte Angebot an barrierefreien Filmen zu verbessern. Ich freue mich, dass wir, was bei uns geförderte Filme angeht, künftig weniger darauf angewiesen sein werden. Denn bei uns hat sich inzwischen einiges getan. Darauf komme ich noch zurück. Es ist nun schon das dritte Mal innerhalb von einem Jahr, dass wir an dieser Stelle über Barrierefreiheit beim Film beraten. Das zeigt, dass dieses Thema endlich ernst genommen wird. Und das war überfällig. Denn es sind sehr viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, die auf einen besonderen Zugang zum Film-erlebnis angewiesen sind. Nach Angaben der Verbände leben in Deutschland knapp 1,2 Millionen stark Hörgeschädigte bis Gehörlose und ebenso viele Sehbehinderte und Blinde. Wir haben es also mit rund 2,4 Millionen Menschen zu tun, die auf eine technische Hilfestellung angewiesen sind, um einen Film im Kino erleben zu können. Meine Fraktion hat sich im ablaufenden Jahr in ganz besonderer Weise der Aufgabe angenommen, dass auch Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben ermöglicht wird. Mit unserem Antrag „UN-Konvention jetzt umsetzen – Chancen für eine inklusive Gesellschaft nutzen“ haben wir alle Bereiche abgesteckt und den Handlungsbedarf aufgezeigt. Zudem haben wir mit einer Initiative dafür gesorgt, dass auf der Website des Bundestages kürzlich Informationen in leichter Sprache für Menschen mit Lernschwächen und Leseschwierigkeiten freigeschaltet wurden. Schließlich haben wir eine eigene Vorlage für den Kulturbereich gemacht: „Kultur für alle – Für einen gleichberechtigten Zugang von Menschen mit Behinderung zu Kultur, Information und Kommunikation“. Alle sollen ungehinderten Zugang zu den kulturellen Angeboten und den Informations- und Kommunikationskanälen haben. Leider wurde unser Antrag mit den Stimmen der -Regierungsmehrheit abgelehnt. Die Begründungen – Finanzknappheit und Bevormundung von Unternehmen – sind für mich nicht nachvollziehbar. Aber immerhin haben alle Fraktionen inzwischen begriffen, dass wir im Filmbereich an einem Strang ziehen müssen, um rasch Fortschritte zu erreichen. Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass wir im vergangenen Frühjahr im Kulturausschuss hierzu eine gemeinsame Entschließung verabredet haben, um das barrierefreie Filmangebot schnell und nachhaltig zu verbessern. Und ich habe mich gefreut, dass die Filmbranche gleich ihre Zustimmung und Unterstützung signalisiert hat. In der Richtlinienkommission der Filmförderungsanstalt, FFA, habe ich an der Umsetzung mitgewirkt. Auch bei den Förderbedingungen des Deutschen Filmförderfonds, DFFF, ist das inzwischen eingebaut. Nun wird es darum gehen, diese Bestimmungen auch im Gesetz festzuschreiben. Im Gesetzentwurf zur Novelle des Filmförderungsgesetzes, FFG, ist die Forderung des Kulturausschusses umgesetzt, dass die Herstellung von barrierefreien Fassungen als zwingende Fördervoraussetzung aufgenommen wird. Und wir werden mit der Novelle dafür sorgen, dass auch in den Kinos die technischen Voraussetzungen geschaffen werden können, damit Audiodeskription und verdeckte Untertitelung zum Einsatz kommen. Bisher gab es für solche Investitionen in den Kinos Darlehen, künftig werden solche Gelder als Zuschüsse gewährt. Ich hoffe, dass damit für die Kinos ein echter Anreiz gesetzt wird, entsprechende technische Vorkehrungen in den Vorführsälen zu treffen und notwendige Anschaffungen wie spezielle Kopfhörer und besondere Brillen für die Erkennung von Untertiteln zu machen. Damit bietet sich für die Filmtheater auch eine echte Chance, für viele Besucher ein Stück attraktiver zu werden. Damit können ganz neue Zuschauerkreise erschlossen werden. Ich hoffe, die Kinos erkennen dieses bisher ungenutzte Potenzial. Denn was nützt es, wenn künftig alle geförderten Filme mit Hörkommentaren und Untertiteln versehen werden, aber von den Kinos dann nicht gezeigt werden? Das müssen wir genau beobachten und nötigenfalls nachsteuern. Die heute vorliegenden Anträge der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der Grünen sowie unser Antrag „Kultur für alle“, der bereits abschließend beraten wurde, waren die Grundlage, auf der wir unsere gemeinsame Erklärung im Ausschuss beschlossen haben. Unsere Forderungen sind inzwischen, wie dargestellt, erfüllt. Von daher haben sich auch die Anliegen der vorliegenden Anträge im Kern erledigt. Interessanterweise ist inzwischen deutlich mehr durchgesetzt, als im Antrag der Koalitionsfraktionen nur allzu zögerlich gewünscht wurde. Alle wichtigen Punkte werden darin aufgeführt, aber eben nur als Prüfaufträge formuliert. Das bleibt zu unbestimmt. Deshalb können wir uns zu diesem Antrag nur enthalten. Hier hätte man mutiger mit mehr Verbindlichkeit herangehen können. Die rasche Umsetzung auf der Grundlage der Erklärung aller Fraktionen hat das doch eindrucksvoll gezeigt. Dem Antrag der Grünen stimmen wir zu. Die darin enthaltenen Forderungen stimmen weitgehend mit dem überein, was auch wir für sinnvoll und notwendig erachten und was inzwischen ja auch zum großen Teil umgesetzt wurde. Damit ist das Thema „Barrierefreier Film und barrierefreies Kino“ allerdings nicht erledigt. Wir müssen da weiter am Ball bleiben. Die nächste Gelegenheit bietet sich, wenn wir darangehen, unseren alten Filmbestand zu digitalisieren. Gestern haben wir im Kulturausschuss über die Sicherung und das Zugänglichmachen unseres nationalen Filmerbes beraten. Das ist eine große kulturpolitische Aufgabe. Die Digitalisierung der Vorführtechnik in den Kinos und der Zugang über das Internet erfordern es, dass der Filmbestand, fast alles nur analoge Filmrollen, nach und nach digitalisiert wird. Dabei muss nach unserer Auffassung die Barrierefreiheit natürlich gleich mitberücksichtigt werden. Das haben wir in unserem Antrag zum Filmerbe festgeschrieben. Denn mit der Digitalisierung haben wir inzwischen kostengünstige Möglichkeiten, eine weitere Tonspur einzurichten oder Untertitel einzuspielen. Wenn man das nachträglich macht, wird es nur teurer. Deshalb ist es mir ganz unverständlich, warum die Kollegen der Koalitionsfraktionen diese Maßnahme gestern als zu teuer abgelehnt haben. Warum gehen Sie an dieser Stelle wieder drei Schritte zurück? Dies halte ich für eine unverantwortliche Haltung gegenüber unseren hör- und sehbehinderten Mitmenschen. Warum sollen sie vom Zugang zu unseren Filmschätzen, die zu unserem nationalen kulturellen Erbe gehören, ausgeschlossen werden? Das können Sie nicht wirklich wollen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen. Ich appelliere eindringlich an Sie, Ihre Ablehnung im Interesse von Millionen Betroffenen noch einmal zu überdenken. Die Beratung der Anträge zum Filmerbe im kommenden Jahr hier im Plenum wird Ihnen dazu Gelegenheit geben. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Es kommt nicht oft vor, dass man bereits bei der zweiten Lesung eines Antrags Erfolge benennen kann. Dass wir seitens der Filmpolitiker fraktionsübergreifend die Erfüllung gemeinsamer Kernforderungen vermelden können, ist sogar noch seltener. Anlässlich der heute zu debattierenden Anträge zum Thema „barrierefreie Filme“ nehme ich diese seltene Gelegenheit sehr gerne wahr und möchte mich bei allen Fraktionen für die gute Zusammenarbeit im Ausschuss für Kultur und Medien hinsichtlich der gemeinsamen Erklärung bedanken. Jetzt sollten wir bei den noch offenen -Forderungen genauso eng zusammenarbeiten. Im Ausschuss für Kultur und Medien waren wir uns einig, dass es viel zu wenige Filme gibt, die auch -Menschen mit Seh- oder Hörbehinderung erleben können. In Deutschland leben 1,2 Millionen blinde und seh-behinderte Menschen und weitere Millionen schwerhörige und taube Menschen. Sie alle sind von einer Teilnahme am soziokulturellen Erlebnis Film ausgeschlossen, wenn der Film nicht auch in einer barrierefreien Fassung vorliegt. Filme sollen aber als Beitrag zur kulturellen Identifikation und zur demokratischen Teilhabe für alle Menschen erlebbar sein. Gerade deshalb werden sie mit öffentlichen Mitteln -gefördert. Vor diesem Hintergrund lagen die Kernforderungen fraktionsübergreifend auf der Hand und wurden auch in einer gemeinsamen Erklärung zusammengefasst. Für die FDP-Bundestagsfraktion begrüße ich sehr, dass diese Kernforderungen unmittelbar von Bundesregierung und Filmförderungsanstalt, FFA, umgesetzt wurden. So haben wir gemeinsam gefordert, die -Förderrichtlinien des Deutschen Filmförderfonds, DFFF, anzupassen, damit kurzfristig ein Anreiz für mehr barrierefreie Filmfassungen gesetzt wird. Diese Forderung wurde umgehend umgesetzt. Außerdem sollte eine verpflichtende Erstellung von Filmfassungen mit Audiodeskriptionen und Untertitelung in der anstehenden FFG-Novelle gesetzlich fixiert werden. Ebendies sieht der Gesetzentwurf zur FFG-Novelle in § 15 Abs. 1 Ziffer 7 vor. Um weitere Förderinstrumente zielgenau einzusetzen, haben wir einen Prüfauftrag erteilt, um den Aufwand zu ermitteln, der betrieben werden muss, um Kinos barrierefrei zum -Abspielen von Filmen mit Audiodeskription ausstatten zu können. Als kurzfristig wirksame Maßnahme soll auch die unmittelbare Bezuschussung von Maßnahmen zur Modernisierung und Verbesserung der Barrierefreiheit in Kinos in die FFG-Novelle aufgenommen werden. Bislang wurden Darlehen gewährt, sodass in diesem Zuschuss ein stärkerer Anreiz gesetzt wird. Ein besonders wichtiger Punkt blieb aber noch -offen, und ich möchte ausdrücklich auch an die Oppositionsfraktionen appellieren, diese Forderung nicht als Lippenbekenntnis stehen zu lassen, sondern ihr bei ihren Parteifreunden in den Landesparlamenten -Nachdruck zu verleihen. Wir müssen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in die Pflicht nehmen, ihre Inhalte allen Menschen zugänglich zu machen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben den Auftrag, allen Bürgerinnen und Bürgern ihr -Programmangebot zu eröffnen. Dies gilt umso mehr, als dass Menschen mit Behinderungen die Teilnahme an Informations- und Kulturangeboten verschlossen bleibt und sie deshalb auf den Rundfunk angewiesen sind. Wir fordern deshalb die Länder auf, ihre Zuständigkeit in dieser Frage ernst zu nehmen und die Rundfunkanstalten zum verstärkten Ausbau barrierefreier Angebote anzuhalten. Aus § 3 Abs. 2 des Rundfunkstaatsvertrags ergibt sich, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio über ihr bereits bestehendes Engagement hinaus entsprechend ihren finanziellen und technischen Möglichkeiten barrierefreie Angebote vermehrt aufnehmen sollen. Wenn ab dem 1. Januar 2013 auch hör- und sehbehinderte Menschen die Haushalts- und Betriebsstätten-abgabe als neue Form der GEZ-Gebühr zahlen müssen, werden umfangreich neue Schuldnerkreise erschlossen. Spätestens dann sollten finanzielle Gründe dem Ausbau nicht mehr entgegenstehen. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass nicht nur wir hier im Bundestag für mehr barrierefreie Filmangebote als Gesetzgeber einstehen, sondern dass auch die Landesgesetzgeber eine inklusive Kultur- und Medienpolitik einfordern. Nur mit gemeinsamem Engagement kann es gelingen. Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag spricht sich einhellig für die Verbesserung des barrierefreien Filmangebots aus. Ganz allgemein zeigen beide Anträge, sowohl derjenige der Koalition als auch der von Bündnis 90/Die Grünen, dass es auf dem Feld der kulturellen Teilhabe und Gleichbehandlung von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderung Handlungsbedarf gibt. Meine Fraktion hat im Ausschuss für Kultur und -Medien der Protokollerklärung zugestimmt, wonach die Filmförderungsanstalt, FFA, der Deutsche Filmförderfonds, DFFF, sowie die Rundfunkanstalten aufgefordert sind, ihre Förderrichtlinien bzw. die Produktions- und Sendemaßgaben dahin gehend auszurichten, dass das Angebot an barrierefreien Filmen ausgeweitet wird. Es herrscht hier Konsens, dass der Einsatz für die Ausstattung von Film- und Fernsehwerken mit Audiodeskription, Untertitelung und Gebärdensprache in Zukunft selbstverständlich sein muss. Dann allerdings endet für uns auch schon die Übereinstimmung; denn wenn man sich die eingebrachten Anträge genauer ansieht: Es gibt doch erhebliche Misstöne, die im Detail der Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderung nicht gerecht werden. So begrüßenswert die gestiegene Verantwortung der Koalition für das Problembewusstsein gegenüber dem barrierefreien Film ist, so enttäuschend ist die inhaltliche Ausrichtung des Antrags. Die Forderungen sind rein appellativ und beschränken sich faktisch auf Prüfempfehlungen. Anstatt Barrierefreiheit in Film und Rundfunk als gesamtstaatliche Aufgabe und als Verfassungsgebot zu begreifen, wird einerseits der Maßnahmebedarf in die Zukunft delegiert und andererseits sogar einer Refinanzierung der Investitionen in die barrierefreie Ausstattung durch Marktmechanismen das Wort geredet, wohl wissend, dass die soziale Benachteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit Hör- und Sehbehinderung bei jenen bereits per se beträchtliche finanzielle Ressourcen bindet. Durch die neue Rundfunkabgabe mit der Abschaffung des Nachteilsausgleichs wird außerdem eine behindertenungerechte Rundfunkpolitik sanktioniert, durch die eine Aufforderung zur Verpflichtung der Rundfunkanstalten, für ein verbessertes barrierefreies Rundfunkprogramm zu sorgen, als reine Heuchelei wirkt. Anreize zur deutlichen Erweiterung des barrierefreien Filmangebots können aber nach Ansicht der Fraktion Die Linke nicht ökonomischer, sondern nur politischer Natur sein. Im Gegensatz zum Koalitionsantrag finden sich im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zumindest zwei konkrete Handlungsvorschläge, nämlich das Vorhaben der Sofortprogrammfinanzierung sowie die Kriteriendefinition, die in die richtige Richtung zielen. Ob sich allerdings dadurch die grundlegenden Defizite im Bereich des barrierefreien Filmangebots nachhaltig beheben lassen, ist zu bezweifeln. Auch in diesem Antrag fehlt der Willen, Barrierefreiheit in Film und Rundfunk als gesamtstaatliche Aufgabe zu begreifen. Darüber hinaus erscheinen die angestrebte Höhe der jährlichen Mittelausschüttung als willkürlich und die Gegenfinanzierung als ungeklärt. Ebenso wie bei der Koalition sind hier gleichfalls eher diffuse Marktchancen für barrierefreie Filme erwähnt, die sich nicht mit der sozialen Stellung von Menschen mit Hör- und Sehbehinderung vertragen. Aus der Haushaltsabgabe der Rundfunkgebühren eine Erleichterung der Finanzierung des barrierefreien Programmangebots der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu erwarten, ist illusionär, da aus den Mehreinnahmen vorzugsweise vermutlich eher Strukturanpassungen und teure Rechteerwerbungen finanziert werden, wie es bereits heute gängige Praxis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist. Zum Schluss möchte ich auch noch auf das hinweisen, was mein Kollege Dr. Ilja Seifert in der ersten Lesung gesagt hat. Er betont zu Recht, dass Bundestag und Bundesregierung bei der Bereitstellung barrierefreier Angebote an Kultur und Information beispielhaft vorangehen müssen. Dies sollte auf allen gesellschaftlichen Feldern grundsätzlich zwingende Verpflichtung werden. Ein Rückgriff auf den Markt, in welcher Form auch immer, ist hier besonders fehl am Platz. Aus den genannten Gründen lehnen wir den Antrag der Koalition ab und enthalten uns bei dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als Mitglied der Jury des „Deutschen Hörfilmpreises“ konnte ich eindrucksvoll erfahren, dass es manchmal relativ einfache Mittel sind, die eine inklusive Politik ermöglichen, zum Beispiel Beschreibungen eines Filmgeschehens, die zur Tonspur des Films hin-zugestellt werden. Die auf diese Weise entstehenden Hörfilme richten sich an Menschen mit Sehbehinderungen und ermöglichen es ihnen, den Film viel besser zu verfolgen. Ähnliches gilt für Untertitelungen, die den Zugang für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen erleichtern. Die Kosten, die hierfür anfallen, sind relativ gering, nur circa 5 000 Euro für einen abendfüllenden Film. Vor diesem Hintergrund hat es mich sehr verwundert, wie klein das Angebot an barrierefreien Filmen auf dem deutschen Markt ist und wie wenig man das Millionenpublikum der Menschen mit Seh- und Hörbehinderungen beachtet. Und es geht ja nicht nur um Marktchancen, sondern um Teilhabe am Kulturleben und um Rechte, die sich nicht zuletzt aus der Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen herleiten, die ganz eindeutig auch eine inklusive Kulturpolitik fordert. Ich habe mich gefragt, wo es hier eigentlich klemmt. Im Gespräch mit dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband erfuhr ich, dass das in der letzten Novelle des Filmfördergesetzes eingeführte Förderkriterium der Barrierefreiheit offensichtlich nicht zog. Die mit der Erstellung von barrierefreien Filmen befassten Institutionen und Unternehmen konnten jedenfalls keinen Anstieg bei der Zahl von Produktionen mit Audiodeskriptionen und Untertitelungen feststellen, die auf das neue FFG-Förderkriterium zurückzuführen wären. Mit dieser Problemanzeige wandte ich mich im März 2011 mit schriftlichen Fragen an die Bundesregierung und auch an Kolleginnen und Kollegen im Kultur- und Medienausschuss. Und ich freue mich, dass im Weiteren eine ganze Reihe von Initiativen zustande kam, die das Problem thematisieren, unter anderem auch die beiden Anträge, die wir heute beraten. Besonders wichtig war eine Initiative, die wir als Filmpolitikerinnen und Filmpolitiker aller Bundestagsfraktionen gemeinsam ergriffen haben, nämlich ein Schreiben an die Filmförderanstalt des Bundes, in dem wir auf die ungenügende Situation hinweisen und um Vorschläge bitten, wie man Abhilfe schaffen kann. Die Antwort der FFA hat uns positiv überrascht. Man nahm dort sogleich eine Prüfung und Veränderung der Förderrichtlinien in Angriff mit dem Ziel, die Erstellung von Audiodeskriptionen und Untertitelungen bei den mit Bundesmitteln geförderten Filmen verbindlich zu machen. Auch für die Förderung aus dem Deutschen Filmförderfonds, DFFF, wurde Entsprechendes getan. Und was die Kostenseite anging, teilte man uns mit, dass die Finanzierung aus laufenden Mitteln erfolgen kann und keine zusätzlichen Mittel erforderlich seien. Deshalb kann ich die in unserem Antrag, Drucksache 17/8355, aufgeführte zweite Forderung, nämlich ein Sofortprogramm zur Förderung von barrierefreien Filmen aufzulegen, für erledigt erklären. Das Ziel lässt sich mit vorhandenden Bordmitteln erreichen – und das ist sehr erfreulich. Und ein weiterer positiver Punkt ist schließlich, dass im Entwurf zur jetzt anstehenden neuerlichen Novellierung des Filmfördergesetzes die Erstellung von barrierefreien Kopien auch gesetzlich fixiert werden soll, was eine weitere Forderung in unserem Antrag ist. Das würde dem Anliegen endgültig das nötige Gewicht verleihen. Wir werden zwar über einige Details noch zu reden haben, zum Beispiel über den Sinn der im Entwurf der FFG-Novelle vorgesehenen Ausnahmeregelungen bei der Erstellung von barrierefreien Fassungen, aber im Grundsatz gehen die Dinge in die richtige Richtung. Doch mit den absehbaren Verbesserungen bei der Bundesfilmförderung sollten wir uns nicht zufriedengeben. Auch im Fernsehen brauchen wir viel mehr barrierefreie Angebote. Auch die Fernsehveranstalter sollten das Angebot von Sendungen mit Audiodeskriptionen und Untertitelungen deutlich ausweiten. Hierfür werben wir nachdrücklich. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf der Drucksache 17/10029. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/7709 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8355 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Nun sind wir schon bei Tagesordnungspunkt 39: Beratung des Antrags der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben), Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Taubblindheit als Behinderung eigener Art anerkennen – Merkzeichen Taubblindheit einführen – Drucksache 17/11676 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss Die Reden werden zu Protokoll genommen. Maria Michalk (CDU/CSU): Gehörlose und blinde Menschen haben über die Jahre und mithilfe intelligenter Unterstützungsmöglichkeiten gelernt, ihren Sinnesverlust zu kompensieren und ihren Alltag weitgehend selbstständig zu meistern. Gehörlose nutzen zum Beispiel eine Lichtklingel, die ihnen den Besuch ankündigt. Sie schauen auf ein Bildtelefon, wenn sie jemanden anrufen wollen. Sie können auch für Behördengänge einen Gebärdendolmetscher beanspruchen oder zum Beispiel im Fernsehen durch Untertitel den Tatort am Sonntagabend verfolgen. Für Blinde und Sehbehinderte wurden in der Vergangenheit ebenfalls zahlreiche Hilfsmittel entwickelt, um ihnen trotz des verlorenen Augenlichts ein weitgehend unabhängiges und selbstständiges Leben zu ermöglichen. Mit einer Brailletastatur können sie den Computer bedienen und sich mit einer entsprechenden Sprachausgabe Internetseiten vorlesen lassen. Taktile Bodenleitsysteme in Kombination mit einem Blindenstock erleichtern ihnen, sich in der Öffentlichkeit weitgehend ohne fremde Hilfe zu bewegen. Wer kulturell interessiert ist, kann auf Hörbücher zurückgreifen oder mithilfe der Audiountertitelung Spielfilme verfolgen. Es gibt auch spezielle Elektrogeräte, Uhren oder Schreibgeräte, die den Alltag für Blinde und Sehbehinderte erleichtern. Ich könnte an dieser Stelle noch sehr viel mehr aufzählen, und es zeigt einmal mehr, wie differenziert und nutzerfreundlich die Hilfsmittelangebote für gehörlose und blinde Menschen geworden sind. Doch was davon können diejenigen nutzen, die nicht nur auf ein, sondern sogar auf zwei wesentliche Sinnesorgane verzichten müssen? Was gibt es für Menschen, die blind bzw. stark sehbehindert und gleichzeitig taub oder stark hörgeschädigt sind? Viele stellen sich die Welt eines taubblinden Menschen als still und dunkel vor. Für viele von ihnen trifft dies wohl zu. Doch nicht jeder der rund 6 000 Betroffenen in ganz Deutschland ist vollkommen taub und vollkommen blind. Tatsächlich ist jedoch ihre Behinderung, die von dem sogenannten Usher-Syndrom hervorgerufen wird, etwas sehr Besonderes. Sie sind in gleich mehrfacher Weise eingeschränkt, was die Kommunikation und das Fortbewegen mit und in der Umwelt angeht. Viele Taubblinde leben daher sehr zurückgezogen und abseits vom gesellschaftlichen Leben. Auch in den vertrauten vier Wänden gibt es immer wieder Herausforderungen, wie zum Beispiel gefahrlos zu prüfen, ob das Wasser kocht, ob der Besuch das Licht angelassen hat, wenn jemand an der Tür klingelt oder anruft, welche Farbe die Kleidung hat etc. Die meisten Menschen bleiben daher bei ihren Familien wohnen, solange es geht. Häufig leben sie bei ihren Eltern oder ziehen zu ihren Geschwistern. Einige leben auch in Partnerschaften mit nichtbehinderten Menschen und können sich so stärker von der Familie lösen. Selten kommt es vor, dass taubblinde Menschen allein in eigenen Wohnungen den Alltag bestreiten. Es gibt in Deutschland bisher nur wenige Einrichtungen, die taubblinden Menschen ein an ihren Bedürfnissen ausgerichtetes Umfeld bieten. Die größte Einrichtung ist das Taubblindenwerk in Hannover. Neben Heimplätzen gibt es dort auch Wohnprojekte, in denen mehrere taubblinde Menschen in Wohngemeinschaften zusammenleben. Ein Betreuer schaut regelmäßig vorbei und bietet Unterstützung, wenn es nötig ist. Immer mehr Bundesländer schaffen neue, ambulante Wohnformen für Menschen mit Behinderung. Aus meiner Sicht sind diese Angebote auch für taubblinde Menschen gut geeignet, die gerne mehr Kontakt zu anderen haben möchten und gleichzeitig so selbstständig wie möglich ihren Alltag gestalten wollen. Es müssen nur die Rahmenbedingungen stimmen, bevor ein taubblinder Mensch einziehen kann. Wie kommunizieren taubblinde Menschen mit anderen? Die Laut- und Schriftsprache kommt für Taubblinde als Verständigungsmöglichkeit nicht in Betracht. Viele von ihnen nutzen das Tastalphabet, das sogenannte Lormen. Diese Technik hat vielen Betroffenen geholfen, ein Stück aus ihrer Isolation herauszukommen. Diejenigen, die gehörlos geboren wurden und die Gebärdensprache erlernt, doch im Laufe der Jahre ihre Sehfähigkeit verloren haben, „erfühlen“ die Gebärden. Man nennt das „taktiles Gebärden“. Dabei müssen sich die Gesprächspartner zwangsläufig sehr nahekommen. Betroffene berichten, dass dazu nicht immer alle bereit sind. Auch das erschwert es, mit neuen Menschen in Kontakt zu treten. Viele nutzen daher gerne das Internet, um den Dialog und den Austausch mit anderen zu pflegen oder sich mit Informationen zu versorgen. Voraussetzung ist natürlich auch hier die entsprechende Technik. Die bisher beschriebenen Kommunikationsformen sind jedoch für Arzt- und Behördengänge, Absprachen mit Handwerkern oder dem Postboten oder beim Einkaufen im Supermarkt keine Hilfe. In diesen Situa-tionen sind Taubblinde auf die Unterstützung einer persönlichen Assistenz angewiesen, um ihre Angelegenheiten regeln zu können. Nach geltendem Recht haben sie zwar im Rahmen der Sozialhilfe Anspruch auf individuelle Teilhabeleistungen und Hilfen, etwa eine persönliche Assistenz. Doch es gibt in Deutschland derzeit nur sehr wenige ausgebildete Taubblinden-assistenten. Dies liegt sicherlich zum einen daran, dass die Zahl der Betroffenen insgesamt gering ist, und zum anderen daran, dass dieses Berufsbild noch neu ist. In vielen Behörden und auch in Pflegeheimen sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bislang nicht ausreichend mit der besonderen Situation von taubblinden Menschen vertraut. Hier ist noch deutlich mehr Kompetenz nötig, damit diesen Menschen neben den notwendigen Hilfen auch das angemessene Maß an Empathie und Sensibilität entgegengebracht wird. Entsprechende Schulungen könnten dazu beitragen, diese Lücken zu schließen. Hier sind vor allem die Bundesländer in der Verantwortung, aktiv vor Ort Fachkräfte aus- und weiterzubilden. Mit all diesen Anmerkungen will ich bekräftigen, dass uns in der Union die besondere Situation der taubblinden Menschen sehr bewusst ist. Taubblinde haben bislang in ihrem Schwerbehindertenausweis die Merkzeichen „Bl“ für blind und „Gl“ für gehörlos vermerkt. Die Betroffenen fordern, dass für sie ein eigenes Merkzeichen „Tbl“ eingeführt wird, damit ihre besonderen Einschränkungen vor allem in den Bereichen Mobilität und Kommunikation deutlich effizienter als bislang über entsprechende Nachteilsausgleiche kompensiert werden können. Darauf zielt auch der Antrag, mit dem wir uns heute befassen. Wie wir alle wissen, sahen in der Vergangenheit die Bundesländer, unabhängig von der Regierungskonstellation, keinen Handlungsbedarf für ein eigenes Merkzeichen. Grund dafür war, dass aus ihrer Sicht ein eigenes Merkzeichen nur dann sinnvoll wäre, wenn damit konkrete Rechte benannt würden, die über das, was den Betroffenen über die anerkannten Merkzeichen „Bl“ und „Gl“ an Hilfen zusteht, deutlich hinausgingen. Nunmehr hat sich die Arbeits- und Sozialministerkonferenz erneut mit dieser Frage befasst. Es ist offensichtlich, dass sich diese Behinderung nicht durch die Addition der Merkzeichen „Blind“ und „Gehörlos“ abbilden lässt. Eins und eins ergibt in diesem Fall nicht zwei. Denn die Kombination aus einer Hör- und Sehbehinderung führt zu einer völlig neuen Form der Behinderung und damit auch zu neuen Herausforderungen, auf die die Umwelt und die Betroffenen gleichermaßen eingehen müssen. Die Union setzt sich seit längerem sehr ausführlich und auf breiter Ebene mit der Frage auseinander, wie der Gesetzgeber dieser Gruppe von Menschen mit Behinderung in Zukunft noch besser gerecht werden kann. So hat sich zum Beispiel bereits im Juni 2011 die Bundesversammlung des CDA für ein eigenes Merkzeichen ausgesprochen. Auch auf europäischer Ebene fand dazu eine Meinungsbildung statt. Aktuell liegt auf dem Bundesparteitag der CDU nächste Woche in Hannover dazu ein Antrag zur Unterstützung vor, der zur Annahme empfohlen wird. Einige Krankenkassen haben für Arztbesuche bzw. ambulante und stationäre medizinische Versorgung per Satzung die Assistenz festgeschrieben. Wir sehen also: Es ist bereits viel auf unterschiedlichen Ebenen in Bewegung gekommen. Das ist auch gut so. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention die Gruppe der Taubblinden ebenfalls berücksichtigt hat. Als eine Maßnahme hat die Bundesregierung eine Studie in Auftrag gegeben, um mehr über ihre Situation und die besonderen Bedürfnisse in Erfahrung zu bringen. Die Untersuchung soll im Frühjahr 2013 vorliegen. Wenn wir auch diese Daten zur Hand haben, können wir auf einer fundierten Grundlage entscheiden. Mit ausdrücklicher Ermunterung durch das BMAS hat gestern die Sozialministerkonferenz ein einstimmiges positives Votum zur Einführung dieses neuen Merkzeichens gegeben. Fakt ist bereits heute, dass ein eigenes Merkzeichen „Tbl“ für die Betroffenen identitätsstiftend wirken und auch ihr Selbstbewusstsein deutlich stärken wird. Gleichzeitig wird auch mit großer Sicherheit Bürokratie abgebaut. Nicht von ungefähr kommt es, dass ab nächstem Jahr im Gegensatz zu allen anderen allein die Taubblinden von der Rundfunk- und Fernsehgebühr befreit bleiben. Auf diese Weise gibt es ab 2013 schon einen eigenständigen Nachteilsausgleich für taubblinde Menschen. Das steht mehr oder weniger im Gegensatz zu der Feststellung, dass es bisher in Deutschland keine konkrete, abgerundete und definierte Begriffsbestimmung von Taubblindheit gibt. Das muss sich ändern. Beispielgebend können die skandinavischen Länder sein. Wir sprechen uns ausdrücklich dafür aus, eine bundeseinheitliche Vorgehensweise einzuführen. Insofern ist der Antrag der SPD ein Baustein in der Entscheidungsfindung. Wir wollen keine Schnellschüsse, sondern bereiten eine positive Entscheidung auf fundierter Grundlage vor. Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Taubblinde Menschen sind immer noch vergessene Menschen. Bereits am 12. April 2004 hat das Europäische Parlament erklärt, Taubblindheit als Behinderung eigener Art anzuerkennen. Das Parlament fordert die Mitgliedstaaten auf, die Rechte der hör- und sehbehinderten Menschen anzuerkennen und ihnen Geltung zu verschaffen. Dies soll zum Beispiel durch das Recht auf Teilnahme am demokratischen Leben der Europäischen Union, das Recht auf Arbeit und Zugang zur Ausbildung mit entsprechenden Beleuchtungs-, Kon-trast- und Anpassungsmöglichkeiten, das Recht auf eine Gesundheits- und Sozialbetreuung, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht, das Recht auf lebenslanges Lernen, gegebenenfalls mit Eins-zu-eins-Unterstützung in Form von Kommunikator-Begleitpersonen, Dolmetschern und/oder Betreuern für Taubblinde geschehen. 2005 folgte das spanische Parlament der Aufforderung. Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten -Nationen erwähnt in Art. 24 Abs. 3 UN-BRK neben Blindheit und Gehörlosigkeit explizit die Taubblindheit und unterstreicht damit deren eigenständige Bedeutung. Dort heißt es: Die Vertragsstaaten stellen sicher, „dass … taubblinden Menschen, insbesondere Kindern, Bildung in den Sprachen und Kommunikationsformen …, die für den Einzelnen am besten geeignet sind, sowie in einem Umfeld vermittelt wird, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet.“ Die Konvention ist geltendes Recht in Deutschland; sie muss endlich umgesetzt werden. Taubblinde Menschen sind besonders von den gesellschaftlichen Barrieren betroffen, die sie von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausschließen. Bei ihnen kommen aber nicht nur die Gehörlosigkeit oder die Blindheit zusammen; die Wechselwirkung potenziert die Behinderung. Taubblinde Menschen sind zumeist vollständig auf die Unterstützung durch Familienangehörige und nahe Vertrauenspersonen angewiesen, um den Alltag überhaupt organisierbar zu machen und Grundbedürfnisse zu decken. Fallen diese Personen und die enge Bindung zu ihnen weg, führt dies nicht selten in die vollständige Isolation oder nicht selten sogar zum Suizid. Taubblinde Menschen sind für unser Hilfesystem nahezu unsichtbar, ihre genaue Zahl kennt niemand. Dies resultiert aus dem schwierigen Zugang zu den Betroffenen, der zumeist aufsuchend erfolgen muss, da sie nicht zu den Beratungsstellen finden. Die Verbände und Selbsthilfeorganisationen gehen von mindestens 6 000 Betroffenen bundesweit aus. Wodurch bestimmt sich der besondere Bedarf? Die Besonderheit der Taubblindheit wird vom Gemeinsamen Fachausschuss hörsehbehindert/taubblind beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband so beschrieben, dass bei gleichzeitigem Vorliegen einer akustischen und optischen Funktionseinschränkung ein wechselseitiger, für eine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft verwertbarer Ausgleich durch Sinnesreste nicht stattfindet und auch nicht entwickelt werden kann. Taubblinde Menschen können den Verlust eines Sinnes nicht durch den jeweils anderen ausgleichen. Das macht die Besonderheit der Behinderung aus, und deshalb muss man zunächst dafür sensibilisieren und darüber aufklären. Ohne spezielle Taubblindenhilfsmittel und eine Assistenz, die taktile Gebärden beherrscht, ist es den Betroffenen nicht möglich, sich selbstständig im öffent-lichen Raum zu bewegen. Die Sichtbarmachung der Behinderung ist ein Ziel unseres Antrags. Dazu würde die Einführung eines eigenständigen Merkzeichens enorm beitragen, auch wenn sich daraus ohne Weiteres keine Leistungen ergeben. Darüber hinaus ist es unser Anliegen, dass taubblinde Menschen den besonderen und spezifischen Bedarf nicht nur deutlich machen, sondern auch Hilfsmittel und Assistenz zu dessen Deckung erhalten können. Die SPD-Bundestagsfraktion empfiehlt daher, dass die Hilfsmittel-Richtline des Gemeinsamen Bundesausschusses und das Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung geändert werden mögen. Dies kann die Bundesregierung nicht veranlassen, sicherlich aber befördern. Ein Bekenntnis zu dieser Notwendigkeit scheint uns in jedem Fall notwendig. Dies wäre ein wichtiger Schritt, um auch Rehabilitationsträger wie die Sozialhilfe dazu zu bewegen, entsprechende Bedarfe zu berücksichtigen und entsprechend zu decken. Wichtig erscheint es uns auch, eine aufsuchende Beratung zu ermöglichen, damit die Bedarfslage erfasst werden kann und die Betroffenen systematisch an ein selbstständiges Leben herangeführt werden. Die Hürde der Beratung würde so genommen. Ebenso wichtig ist es, die Kommunikation mit taubblinden Menschen analog zur Kommunikationsassistenz für gehörlose Menschen bei Behördengängen und Arztbesuchen sicherzustellen und nicht nur anlassbezogen auszugestalten. Dafür braucht es aber eine ausreichende Zahl und Verfügbarkeit von Taubblindendolmetscherinnen und -dolmetschern, die von der Gesamtheit der Gebärdendolmetscher qualifiziert werden müssen. In Nordrhein-Westfalen werden diese Dolmetscher bereits ausgebildet. NRW wird noch in dieser Woche einen Antrag einbringen, der sich unserer Forderung anschließt. Es werden ein Beirat zur Überprüfung des Bedarfs und eine Anerkennung der taubblinden Menschen gefordert. Zu diesem Antrag gratuliere ich Hannelore Kraft. Ich bin der Ansicht, dass wir alle diese Punkte in den Ausschüssen diskutieren und am Ende zu einem Beschluss kommen sollten, der die besondere Lebenssituation von taubblinden Menschen herausstellt und zu ihrer Verbesserung substanziell beiträgt. Gabriele Molitor (FDP): Für die meisten Menschen ist ein Druck auf die -Fingerkuppe des Daumens eine bedeutungslose Berührung. Für manche Menschen ist diese Berührung die einzige Möglichkeit zu kommunizieren. Der Druck auf die Fingerkuppe des Daumens ist das A im -Lormalphabet. So können sich taubblinde Menschen verständigen. Es gibt unterschiedliche Zahlen, wie viele Menschen taub und blind sind. Schätzungen besagen, dass etwa 4 000 bis 6 000 Menschen mit Taubblindheit in Deutschland leben. Während sinnesgeschädigte Menschen den Verlust eines Sinnes durch die Nutzung eines anderen Sinnes kompensieren können, sind taubblinde Menschen auf ganz besondere Hilfe angewiesen. Zeitungsartikel und Fernsehbeiträge haben dem Thema Taubblindheit in letzter Zeit mehr Aufmerksamkeit verschafft. Betroffenenverbände und organisationen haben auf die besondere Lage von taubblinden Menschen aufmerksam gemacht. Ganz grundsätzlich ist die Vorstellung, nicht mehr sehen und nicht mehr hören zu können, mit großen Ängsten verbunden. Die Stiftung „taubblind leben“ und die Bundesarbeits-gemeinschaft der Taubblinden unterstützen mit ihren Selbsthilfegruppen, ihrem Engagement und ihrem Fachwissen taubblinde Menschen und ihre Angehörigen. Die Lebenslage taubblinder Menschen schnell und unbürokratisch zu verbessern, ist mir ein wichtiges -Anliegen. Auch im Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung wurde auf die Situation taubblinder Menschen hingewiesen. Ich habe mich mit Vertretern der Taubblinden ausgetauscht. Gerade bei der Hilfsmittelbewilligung gibt es immer wieder Schwierigkeiten mit den Rehabilitationsträgern, da Taubblindheit nicht als eigenständige Behinderungsform anerkannt wird. Aus Gesprächen mit Mitgliedern der Stiftung „taubblind leben“ weiß ich, dass oft unzureichende oder für taubblinde Menschen nutzlose Leistungen der Sozialversicherungsträger bewilligt werden. Es ist für die Betroffenen und ihre Angehörigen oft sehr aufwendig und schwierig, den Leistungsträgern den speziellen Bedarf verständlich zu machen. So zeigt zwar eine Lichtklingel gehörlosen Menschen, wenn das Telefon klingelt. Für gehörlose Menschen, die blind sind oder von Erblindung bedroht sind, ist eine Lichtklingel allerdings keine Hilfe. Blinde Menschen wiederum profitieren von einem Computer mit Sprachausgabe. Blinden Menschen, die ertaubt sind oder schwer hören, nutzt eine Sprachausgabe aber wenig. Ich denke daher, dass es sinnvoll ist, Sacharbeiter zu schulen und zu sensibilisieren. In Nordrhein--Westfalen wird überlegt, eine Handreichung für Sacharbeiter zum Thema Taubblindheit herzustellen. Ich halte es für dringend erforderlich, dass die besonderen Bedürfnisse taubblinder Menschen von den Leistungsträgern mehr berücksichtigt werden. Auch wenn es viele verschiedene Formen von Behinderungen gibt, bei denen mehrere Bereiche betroffen sind, zum Beispiel körperliche und geistige Behinderungen, erfordert die Behinderung Taubblindheit eine sehr spezifische Unterstützung. Dazu gehört zum Beispiel eine persönliche Assistenz, die mit dem taubblinden Menschen kommunizieren kann. Mit dem Lormalphabet werden Sätze in die Hand des anderen buchstabiert, so dass sich taubblinde Menschen unterhalten können. Der Antrag der SPD ist eine gute Initiative, weil er auf die Situation von taubblinden Menschen hinweist. Es ist jedoch nicht so, dass uns erst der Antrag auf dieses Thema aufmerksam gemacht hätte. Die Forderung nach einem eigenen Merkzeichen im Behindertenausweis unterstütze ich. Wir müssen gemeinsam mit den Ländern prüfen, wie diese Forderung umgesetzt werden kann. Weil wir dazu noch etwas Zeit brauchen, müssen wir den Antrag heute ablehnen. Dennoch bin ich sehr zuversichtlich, dass wir in absehbarer Zeit zu einer Lösung kommen. Um die Bedürfnisse von taubblinden Menschen noch genauer kennenzulernen, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Zusammenarbeit mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die -Belange behinderter Menschen im März 2012 ein Fachgespräch organisiert. Betroffene, Angehörige und Verbandsvertreter konnten so die Problemfelder erörtern. Eine Studie im Auftrag des nordrhein-westfälischen Sozialministeriums ist bereits angelaufen. Mit ihr soll die Lebenslage taubblinder und hörgeschädigter Menschen wissenschaftlich erfasst werden. Mit den Ergebnissen ist Mitte 2013 zu rechnen. Ich denke, dass die Ergebnisse zu der Frage, welche Maßnahmen notwendig sind, mit einbezogen werden sollten. In Deutschland existiert bereits ein Bündel an Sach- und Hilfeleistungen. Diese gilt es auch passgenau auf Menschen mit Taubblindheit auszurichten. Es ist erschütternd, wenn taubblinde Menschen in einem Heim für geistig behinderte Menschen leben oder in die Psychiatrie eingewiesen werden, weil niemand ihre Taubblindheit erkennt. Hier wünsche ich mir mehr Professionalität vor Ort: Welcher Hilfe-bedarf liegt vor, und was ist der eigentliche Wunsch des Betroffenen? Wichtig sind auch frühe Hilfen, um Familien mit taubblinden Kindern oder Menschen, die von Taubblindheit bedroht sind, zu unterstützen. Für uns Liberale ist vor allem die persönliche Assistenz ein Schlüssel zu mehr Selbstständigkeit. Personenzentrierte Hilfen wie die Hilfe einer Assistenz, die über die Fähigkeit des Lormens verfügt, ermöglichen taubblinden Menschen, ihren Alltag zu meistern. Hier sollte geklärt werden, wie im Spektrum der Möglichkeiten des persönlichen Budgets individuelle Hilfen geschaffen werden können. Wir alle sind sensibilisiert und wollen, dass sich die Situation von Menschen mit Taubblindheit verbessert. Daher begrüße ich einen Diskussionsprozess, der sich damit befasst, wie die Lebensbedingungen von taubblinden Menschen verbessert werden können. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Die drei Affen haben – laut Wikipedia – ihren Ursprung in einem japanischen Sprichwort und stehen dort für den vorbildlichen Umgang mit Schlechtem. Der Spruch „Nichts (Böses) sehen, nichts (Böses) hören, nichts (Böses) sagen“ ist Bestandteil der Lehre des buddhistischen Gottes Wadjra. Er gelangte vermutlich im 8. Jahrhundert von Indien über China nach Japan und wurde dort als „mizaru, kikazaru, iwazaru“ bekannt. Während die drei Affen in Japan eigentlich die Bedeutung „über Schlechtes weise hinwegsehen“ haben, werden sie in der westlichen Welt eher als „alles Schlechte nicht wahrhaben wollen“ interpretiert. Aufgrund dieses negativen Bedeutungswandels gelten die drei Affen daher häufig als Beispiel für mangelnde Zivilcourage. Was aber haben nun die drei Affen mit dieser Debatte zur Taubblindheit zu tun? Vor genau acht Monaten, am 29. März 2012, gab es ein Fachgespräch mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem Behindertenbeauftragten bei der Bundesregierung und taubblinden Menschen und ihren Organisationen zur Lebenssituation von taubblinden Menschen. Die Bundesregierung erhielt die Forderung zur Einführung eines Merkzeichens „TBl“ – eine Initiative der Betroffenen, die mit 14 000 Unterschriften unterstützt wurde. Immerhin, es geht um die nicht gerade einfache Lebenssituation von bundesweit circa 6 000 Menschen, die weder sehen noch hören können, und deren Angehörige. Diese Menschen haben aufgrund des Verlustes zweier Sinnesorgane riesige Probleme bei der Kommunikation, beim Zugang zu Bildung, Arbeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie sind auf qualifizierte Assistenz und spezielle Hilfsmittel angewiesen. Insofern geht es nicht nur um ein neues Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis, sondern um Anerkennung der Besonderheiten, die aus der Taubblindheit resultieren. Dies ist die Voraussetzung für wirkungsvolle Hilfen und Nachteilsausgleiche. Natürlich kann man nicht beliebig viele Merkzeichen auf dem Schwerbehindertenausweis vermerken. Das geht nicht aus Platzgründen, und vor allem sieht dann niemand mehr durch. Aber eins und eins ist nicht immer zwei. Auch nicht in der Chemie. Wenn man zwei Substanzen vermischt, entsteht manchmal eine dritte Substanz mit völlig anderen Qualitäten. Und das wirkliche Leben hat es bewiesen: Es reicht nicht, wenn die Merkzeichen für „blind“, Bl, und „gehörlos“, GL, nebeneinanderstehen. Drei Wochen nach dem Fachgespräch, am 17. April 2012, antwortete der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Brauksiepe, CDU/CSU, auf meine zwei Fragen zu den Erkenntnissen und Schlussfolgerungen aus dem Fachgespräch für die Bundesregierung. In der Antwort heißt es: „Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, BMAS, hat mit dem Fachgespräch die Erwartung verbunden, aus erster Hand zusätzliche Informationen über die Lebenssituation taubblinder Menschen zu gewinnen. Diese Erwartung hat sich erfüllt. Deutlich wurde einerseits, welche Herausforderungen Menschen zu meistern haben, die sowohl seh- als auch hörbehindert sind und die deshalb Einschränkungen bei der Nutzung des einen Sinnes nicht oder nur ansatzweise durch die Nutzung des anderen Sinnes kompensieren können. … Das BMAS hat … zugesagt, mit den … Ländern zu erörtern … ob dafür ein eigenes Merkzeichen erforderlich ist.“ (Drucksache 17/9352) Diese Antwort ließ hoffen, dass sich nicht nur die Erwartungen der Bundesregierung, sondern auch die der Betroffenen erfüllen. Aber nichts geschah. Spätestens seit Vorliegen der Antwort der Bundes-regierung auf die Kleine Anfrage der Grünen „Zur Lage hörbeeinträchtigter Menschen in Deutschland“ (Drucksache 17/10371 vom 23. Juli 2012) war klar, dass die Erwartungen der taubblinden Menschen und ihrer Angehörigen nicht (so bald) erfüllt werden. Anstatt zu handeln, wird der Schlussbericht eines vom -Sozialministerium in NRW in Auftrag gegebenen Gutachtens abgewartet. Dieser Bericht soll Mitte 2013 vorliegen. Das heißt, vor der Bundestagswahl will die Bundesregierung nichts mehr tun. Es soll eine Aufgabe für die kommende Regierung – frühestens im Jahr 2014 – bleiben. Deswegen danke ich der SPD für diesen Antrag, den die Linke unterstützen wird. Taubblinde Menschen brauchen das Merkzeichen „TBl“ jetzt. Sie brauchen eine bedarfsgerechte sowie einkommens- und vermögensunabhängige Teilhabesicherung, vor allem durch qualifizierte Assistenz – so, wie es die Linke mit ihrem Antrag für ein Teilhabesicherungsgesetz vorschlug. Sie brauchen – nicht nur in den Verwaltungen – im Umgang mit taubblinden Menschen aufgeklärte und sachkundige Partnerinnen und Partner. Und sie brauchen auch eine bedarfsgerechte Versorgung mit Hilfsmitteln. Übrigens: Das hier gezeigte Vorgehen der Bundesregierung kenne ich zur Genüge, zum Beispiel im Umgang mit den durch Contergan geschädigten Menschen. Auch hier geht es nur um ein paar Menschen mit Behinderungen, nicht um milliardenschwere Rettungspakete für Banken und deren Eigentümer. Also lässt man sich Zeit – auf dem Rücken der Betroffenen. Die Frage, wer die drei Affen sind, die „alles Schlechte – in ihren Gesetzen und ihrem Handeln – nicht wahrhaben wollen“, beantwortet sich hier von selbst. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich freue mich, dass wir heute über Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebenssituation einer Gruppe von Menschen sprechen, die gegenwärtig in ihrem Alltag besonders behindert werden. Besonders vulnerable Gruppen, also diejenigen, die stark benachteiligt werden, dürfen wir bei den vielfältigen Herausforderungen, die sich uns im Zuge der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention stellen, nicht unberücksichtigt lassen. Meine Fraktion wollte bereits im Sommer dieses Jahres von der Bundesregierung wissen, was sie zur Verbesserung der Versorgungssituation taubblinder Menschen unternimmt. Die Antwort, die wir auf unsere Kleine Anfrage erhielten, lässt darauf schließen, dass die Bundesregierung zumindest erkannt hat, dass die Sensibilisierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den zuständigen Behörden notwendig ist. Ich hoffe wirklich, dass sie dieser Erkenntnis auch Taten folgen lässt. In Hinblick auf weitere relevante Fragen – zum Beispiel die Verfügbarkeit qualifizierter Assistentinnen und Assistenten für taubblinde Menschen – zieht sich die Bundesregierung leider darauf zurück, erst die Ergebnisse von Studien abwarten zu wollen. Ich möchte mich gar nicht dagegen aussprechen, wissenschaftliche Gutachten zur Lebenssituation taubblinder Menschen zu erstellen. Um zu wissen, dass es diesem -Personenkreis unter anderem an qualifizierten Assistentinnen und Assistenten mangelt, braucht man sie allerdings nicht. In Nordrhein-Westfalen fördert die Landesregierung bereits seit 2008 die Ausbildung von Taubblindenassistenten. Da hat sich also schon einmal eine schwarz-gelbe Regierung zu einer sinnvollen Sache entschieden. Die nachfolgende rot-grüne Regierung hat die Förderung gerne fortgeführt, sie hat zudem die bundesweit erste Studie zur Lebenslage taubblinder Menschen in Auftrag gegeben. Allein in Nordrhein-Westfalen leben schätzungsweise 600 bis 800 taubblinde Menschen. Ende dieses Jahres werden 40 qualifizierte Assistentinnen und Assistenten zur Verfügung stehen. Die Situation in den anderen Bundesländern ist wesentlich schlechter. Es ist offensichtlich: Damit taubblinde Menschen gleichberechtigt teilhaben können, ist noch viel zu tun. Meine Fraktion stimmt dem Antrag der SPD daher gerne zu. Ich möchte aber auch die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung noch einmal ausdrücklich auffordern, tätig zu werden. In NRW haben wir gesehen, dass auch schwarz-gelbe Regierungen grundsätzlich in der Lage sind, Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation taubblinder Menschen zu treffen. Die Bundesregierung könnte sich daran durchaus ein Beispiel nehmen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 17/11676 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Einwände gibt es keine. Dann ist das so beschlossen. Tagesordnungspunkt 40: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung – Drucksache 17/11126 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Interfraktionell wird vorgesehen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich sehe, damit sind Sie einverstanden.13 Vorgeschlagen wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11126 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Anderweitige Vorschläge habe ich nicht. Dann können wir so verfahren. Bevor ich jetzt den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, teile ich Ihnen mit, dass sich die Fraktionen verständigt haben, den Tagesordnungspunkt 42, der jetzt eigentlich an der Reihe gewesen wäre – es handelt sich um die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP mit dem Titel „Innovationen stärken und Lust auf Technik wecken“ –, von der Tagesordnung abzusetzen. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist schade!) Dies ist auch ein Thema, das sich für eine Behandlung weit nach Mitternacht geradezu aufdrängen würde. Gleichwohl habe ich Sie zu fragen, ob Sie mit der Vereinbarung einverstanden sind, diesen Punkt abzusetzen. – Zögernd, aber erkennbar Zustimmung. (Zuruf von der LINKEN: Wir haben uns enthalten!) Der Tagesordnungspunkt ist bei hinhaltendem Widerstand der Fraktion Die Linke, deren Enthaltung zu Protokoll genommen wird, abgesetzt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 44 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Petermann, Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sportförderung neu denken – Strukturen verändern – Drucksache 17/11374 – Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Auch hierzu werden die Reden zu Protokoll genommen. Klaus Riegert (CDU/CSU): Die hinter dem Antrag stehende Idee und Initiative der Fraktion Die Linke, der Sportpolitik in Deutschland einen höheren Stellenwert beizumessen und eine ebenenübergreifende Kompetenz für den Sport zu schaffen, kann ich unterstützen. Nicht nur nach Großsportereignissen, wie den Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften, wird deutlich, wie stark beispielsweise der Spitzensport mit dem Breitensport verbunden ist. Auch hinsichtlich des Schulsports wünscht man sich einen Bedeutungszuwachs, um Kindern und Jugendlichen wichtige Normen und Werte des sozialen Miteinanders oder eines gesunden und ausgeglichenen Lebensstils mit auf den Lebensweg zu geben. Bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung in unseren Alltag und damit auch in den Sport erleben wir derzeit ein Umdenken und befinden uns in einem wichtigen gesamtgesellschaftlichen Lern- und Anpassungsprozess in der Frage, wie der Weg im Einzelnen künftig weiter beschritten werden kann. Die Bedeutung des Sports für die Inklusion in Deutschland kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Welche lebensbejahenden Wirkungen und Entwicklungschancen der -Behindertensport wie auch das gemeinsame Sporttreiben entfalten können, haben wir nicht zuletzt bei den Paralympics in London 2012 beobachten können. Es geht dabei aber nicht immer nur um den Spitzensport von Menschen mit Behinderungen, sondern auch um die lokalen Sport- und Bewegungsmöglichkeiten des Breitensports für jeden Einzelnen. Damit dies umsetzbar ist, benötigen wir in Deutschland qualifizierte Übungsleiter, Trainer, Sportlehrer und Sporttreibende, die den örtlichen Anforderungen und persönlichen -Bedürfnissen gerecht werden. Der Gesprächskreis Sport der CDU Deutschlands hat sich vor wenigen Wochen mit diesem Thema tiefer gehend befasst und dabei zusammen mit verschiedenen Experten und -Verbänden zielführende Strategien und innovative -Lösungsansätze formuliert. Der Sanierungs- und -Modernisierungsbedarf von vielen Sportstätten in Deutschland ist ebenfalls anzusprechen. Wie es nicht selten in politischen Diskussionen der Fall ist, stimmen wir bei der Feststellung der gesellschaftspolitischen Probleme und Herausforderungen überein. Ein deutlicher Unterschied zeigt sich jedoch bei den Lösungsansätzen und der Kompetenz, diese auch zu verwirklichen: Der Antrag der Fraktion Die Linke greift mit der Forderung nach einem eigenständigen Sportministerium einen alten Vorschlag der sportpolitischen Diskussion auf. Gleichwohl besteht seit langem Konsens, dass mit einer Auslagerung aus dem Bundesministerium des Innern, BMI, ein deutlicher Bedeutungsverlust des Sports einhergehen würde. Indes zeigt die Abteilung „Sport“ im Bundesministerium des Innern mit den einzelnen, gutaufgestellten Referaten, wie mit effektiven Strukturen und engagierten Mitarbeitern der Sport in Deutschland vorangebracht werden kann. Die Arbeit und das Engagement der Mitarbeiter der Abteilung „Sport“ und an der Spitze natürlich unseres Bundesinnenministers sei an dieser Stelle ausdrücklich gewürdigt. Im Blick auf eine erfolgreiche Haushaltskonsolidierung, das Prinzip von möglichst schlanken, unbürokratischen Strukturen -sowie eine starke Förderung des Sports selbst lehnen wir die Forderung bezüglich der Einrichtung eines eigenständigen Sportministeriums ab. Sosehr ich die Bedeutung des Schulsports eingangs betont habe, muss andererseits die Kritik an den -Vorschlägen der Fraktion Die Linke diesbezüglich so ausfallen: Die in dem Antrag genannten Forderungen verstoßen allesamt gegen eine Vielzahl an zuwendungsrechtlichen Bestimmungen sowie gegen die grundsätzliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Sport. Hiernach ist der Bund ausschließlich für die Förderung des Spitzensports und sind die Bundesländer für die Förderung des Breitensports zuständig. Ich will an dieser Stelle nicht die im Bildungsbereich seit langem geführte Diskussion um Kompetenzbereiche eröffnen, sondern lediglich auf diese verweisen. Dies schließt die Forderungspunkte bezüglich des Schulsports ausdrücklich ein und heißt schließlich, dass Bund und Länder sich ressort- und ebenenübergreifend künftig noch stärker gemeinsam für den Sport einsetzen. Dafür bedarf es nicht einer einseitigen Beschneidung der Kompetenzen der Bundesländer im Sport. Der Antrag „Sportförderung neu denken – Strukturen verändern“ der Fraktion Die Linke missachtet ebenso die unterschiedlichen Kompetenzen und -Zuständigkeiten hinsichtlich der Sportstätten. Bei den lokalen Sportstätten ist nicht der Bund, sondern sind die Kommunen und die Länder zuständig. Die Sportstätten des Spitzensports entsprechen weitestgehend den Anforderungen und der Art der Nutzung von behinderten Athletinnen und Athleten. Im Rahmen des Konjunkturpaketes II hat der Bund (2009/2010) sich mit circa 1 Milliarde Euro für eine Modernisierung der lokalen Sportinfrastruktur kraftvoll eingesetzt. Künftig sind hinsichtlich des Erhalts, der Sanierung und des Baus von Sportanlagen jedoch weitere wichtige Faktoren zu beachten, wie beispielsweise der demografische Übergang, die Urbanisierung oder die sich wandelnde Sportnachfrage. Auch müssen Fragen der Finanzierung und der Auslastung von Sportanlagen geklärt werden, damit Kommunen oder Sportvereine nicht an dem eigentlichen Bedarf vorbei planen und bauen. Wie gesagt, dies sind allgemeine Voraussetzungen für einen nachhaltigen und verantwortlichen Sportstättenbau in Deutschland. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich deshalb dafür eingesetzt, dass der Sportausschuss des Deutschen Bundestages sich im kommenden Jahr 2013 hiermit tiefer gehend beschäftigen wird. Der Deutsche Behindertensportverband, DBS, setzt sich bereits für diverse Qualifizierungsmaßnahmen von Trainern, Übungsleitern und Lehrkräften ein. Die Bundes-Bildungs-Konferenzen des DBS verdeutlichen dies auf übergeordneter Ebene. Trotz der beachtlichen Initiativen des DBS und des zu würdigenden Engagements der Involvierten stehen wir beim Thema Inklusion und der Qualifizierung von verschiedensten -Personenkreisen erst am Anfang eines langen Weges. Hierbei werden wir den DBS sowie seine Mitgliedsverbände kraftvoll unterstützen und begleiten sowie auf verschiedenen Ebenen uns für die Sache starkmachen. Ungeachtet der zuwendungsrechtlichen Fehler und der Missachtung von Zuständigkeiten in dem Antrag der Fraktion Die Linke sollten wir die einzelnen -Aspekte und sportfachlichen Ziele in der weiteren Diskussion im Sportausschuss aufgreifen und diskutieren. In Analogie zum Titel des Antrags sei abschließend gesagt: Um den Sport in Deutschland weiter voran-zubringen, müssen wir die Sportförderung nicht neu denken oder alle Strukturen verändern, sondern uns weiterhin für die Inhalte gemeinsam und ebenenübergreifend einsetzen. Eberhard Gienger (CDU/CSU): Ich muss offen und ehrlich zugeben, dass ich mit dem Titel des Antrags der Fraktion Die Linke grundsätzlich übereinstimmen kann, zumindest ohne den dazugehörenden Antrag. Nachdem ich den Antrag jedoch gelesen habe, war mir klar, dass der Titel wohl eher hätte lauten müssen: „Sportförderung und Föderalismus auf den Kopf stellen – planwirtschaftliche Strukturen wieder einführen.“ Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, der Titel Ihres Antrags findet Anerkennung, der Inhalt jedoch Ablehnung bei mir und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und deswegen werden wir ihn auch ablehnen, und ich werde Ihnen das auch begründen. Grundsätzlich gesagt hat Ihr Antrag mit den derzeitigen Zuständigkeiten und Realitäten der deutschen Sportpolitik absolut nichts zu tun. Als ob das noch nicht genug wäre, greifen Sie mit Ihrem Wunschzettel auch noch in die Autonomie des Sports ein. Gleich zu Beginn Ihres Antrags kritisieren Sie die Verteilung der Sportfördermittel als „intransparent und nicht nachvollziehbar“. Da wundere ich mich doch schon ein wenig; denn Sie waren doch auch im Sportausschuss dabei, als wir in den vergangenen Wochen, während der Haushaltsberatungen, die Mittel, die der Bund für den Sport jährlich veranschlagt, in mehreren Sitzungen beraten haben. Diesen Bundeshaushalt haben wir im Übrigen nicht nur im Sportausschuss, sondern in allen Ausschüssen und natürlich auch hier im Plenum des Deutschen Bundestages beraten und beschlossen. Von Intransparenz und mangelnder Nachvollziehbarkeit kann also keine Rede sein. Im gleichen Abschnitt wärmen Sie das Thema der sagenumwobenen Zielvereinbarungen des Deutschen Olympischen Sportbundes mit den einzelnen Sportfachverbänden wieder auf und behaupten, dass sich dieses System in seiner bisherigen Form nicht bewährt habe. Da frage ich mich doch: Woher wissen Sie das? Natürlich hat es in diesem Jahr viel Kritik an den erstmals in diesem Sommer veröffentlichten Zielvereinbarungen gegeben, sowohl berechtigte wie auch unberechtigte. Zwei Dinge müssen wir aber hier in aller Klarheit sagen: Zum einen fallen die Zielvereinbarungen in die Autonomie des Sports, und zum anderen kann niemand behaupten, dass sie sich nicht bewährt hätten; denn es gibt kein alternatives System der Verteilung von Fördergeldern innerhalb des Dachverbandes des Sports, dem DOSB, und seinen Mitgliedsverbänden. Kritik an den Zielvereinbarungen kann nicht kons-truktiv sein, wenn diese grundsätzlich infrage gestellt werden. Ich bin mir sicher, dass der DOSB konstruktiven Vorschlägen zu einer Verbesserung dieses Instruments immer aufgeschlossen gegenübersteht, und so sollten wir es dann auch halten. Einen konkreten Vorschlag, wie die Mittel in Zukunft verteilt werden sollen und von wem, bleiben Sie im Übrigen schuldig. Mehr als ungenaue Andeutungen kann ich in Ihrem Antrag nicht erkennen. In jedem Fall ist das System der Zielvereinbarungen dem Vorgängersystem überlegen. Es geht nur zusammen mit dem Sport und nicht einfach ohne ihn. Die Autonomie des Sports ist ein hohes Gut, und wir sollten es als Sportpolitiker schützen und nicht durch die von Ihnen aufgestellten Forderungen infrage stellen. Das nächste Thema Ihres Antrags ist dann die Bildungspolitik und das durch die Föderalismusreform ausgehandelte Kooperationsverbot für Bund und Länder. Hier kritisieren Sie sich daraus angeblich ergebende nachteilige Auswirkungen auf die Nachwuchsfindung und Nachwuchsförderung. Sie fordern daher ein einheitliches Sportförderkonzept von Bund und Ländern. Ich frage Sie: Wo kommen da die Sportvereine und Verbände vor? Ihnen obliegt die Nachwuchsförderung, aber in Ihrem Antrag steht nichts davon. Bedeutet das nun, dass Sie ein staatliches Förderprogramm haben wollen, indem der Staat die Aufgaben der Sportvereine übernimmt? Ich hoffe, dass Sie mit dieser Forderung die Autonomie des Sports nicht ebenso verletzen wollen wie bei Ihrer ersten von mir erwähnten Forderung. Den nächsten Punkt möchte ich an dieser Stelle besonders hervorheben; denn er ist meiner Meinung nach der negative Tiefpunkt Ihres Antrags. Er betrifft die Spitzensportförderung des Bundes. Hier behaupten Sie allen Ernstes, dass Athletinnen und Athleten sich „aus der Not heraus“ für eine Laufbahn bei der Bundeswehr, der Bundespolizei oder dem Zoll entscheiden müssten. Die Sportlerinnen und Sportler möchte ich sehen, die gezwungen worden sind, in eine Sportfördergruppe zu gehen, weil sie ihren Sport sonst nicht hätten ausüben können! Mir jedenfalls sind solche Sportler noch nicht begegnet. Ferner schreiben Sie, dass „gerade die Bundeswehr im Anschluss an die sportliche Karriere auch keine ausreichenden beruflichen Perspektiven“ bieten würde. Hierbei blenden Sie aus, dass es gerade die Stärke der Sportfördergruppe ist, dass die Athletinnen und Athleten immer die Möglichkeit haben, ihren regulären Dienst wieder aufzunehmen, und die Athletinnen und Athleten – insbesondere bei der Bundeswehr – während und nach ihrer Dienstzeit immer die Chance haben, sich beruflich weiterzubilden, was von der Bundeswehr finanziert wird. So stehen sie nach einem Ausscheiden aus dem Dienst eben nicht mit leeren Händen da. Ob Sie, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen der Linken, diese Tatsachen einfach ignorieren wollen oder vergessen haben, weiß ich nicht, aber unsere erfolgreichen Bemühungen zur Stärkung der dualen Karriere sollten Sie sich vielleicht noch mal ansehen, bevor Sie sie in einem solchen Antrag einfach außer Acht lassen. Nachdem ich Ihnen aufgezeigt habe, dass die von Ihnen aufgestellten Forderungen mit der sportpolitischen Realität in Deutschland wenig bis gar nichts zu tun haben, habe ich dann doch noch zumindest einen Satz gefunden, den meine Fraktion und ich mehr oder weniger mittragen können. „Der Sport von Menschen mit Behinderung ist grundsätzlich nach den gleichen Kriterien zu fördern wie der Sport von Menschen ohne Behinderung.“ Diesen Satz können wir, kann auch ich im Großen und Ganzen mittragen – jedenfalls mehr als den Rest Ihres Antrags. Bevor wir jetzt aber von zu viel Annäherung unserer Positionen sprechen, muss ich Ihnen sagen, dass wir jetzt – unter Berücksichtigung genau dieses Satzes – nochmals auf den von mir angesprochenen Tiefpunkt Ihres Antrags zu sprechen kommen. Dabei kritisieren Sie das System der Sportfördergruppen stark. Genau dieses System ist aber eine große Chance für Menschen mit Behinderungen, die im Leistungssport aktiv sind. Wir haben bei den Bundesbehörden neue Stellen geschaffen, damit hier ein Schritt zu mehr Gleichbehandlung von Menschen mit und Menschen ohne Behinderung vorangetrieben werden kann. Dieses System dann in dem gleichen Antrag so zu kritisieren, lässt Ihren Wunsch nach Gleichbehandlung aber gleichzeitig verblassen. Das sollten Sie auch im Auge behalten, wenn Sie diese Förderprogramme so sehr kritisieren. Zum Schluss Ihres Antrags finden sich dann fünf Forderungen an die Bundesregierung, von denen ich einige hier ebenfalls noch kurz aufgreifen möchte; denn unkommentiert können wir sie so nicht stehen lassen. Sie fordern die Einrichtung eines Sportministeriums und meinen, dass sich die Mittelvergabe des Bundes dann transparenter gestalten würde. Dazu möchte ich Ihnen wiederum zwei Dinge mit auf den Weg geben. Zum einen ist der Bundesinnenminister bereits verantwortlich für den Sport, und der Sport ist dadurch in einem starken Ministerium beheimatet. Der Minister, sein zuständiger Staatssekretär und alle im Ministerium für den Sport zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nehmen diese Verantwortung ernst und füllen ihre Aufgaben für den Sport sehr gut aus. Ein zusätzliches Ministerium würde – außer mehr Kosten für Bürokratie – daran nichts ändern. Zum anderen hatte ich ja bereits zu Beginn meiner Rede gesagt, dass die derzeitige Mittelvergabe des Bundes an den Sport ausreichend transparent geregelt ist. Wenn das in Ausnahmefällen nicht der Fall sein sollte, dann bin ich mir sicher, dass das zuständige Ministerium gerne für Aufklärung sorgt. Zu erinnern ist hier auch nochmals daran, dass der Bund zwar die Mittel kontrolliert, die er an den Sport übergibt, aber nicht dafür zuständig ist, wie die autonom handelnden Dachverbände des Sports die Aufteilung der ihnen zur Verfügung gestellten Mittel regeln. Das fällt in die Autonomie des Sports. Dann plädieren Sie noch für die Aufhebung des Kooperationsverbots, und zwar mit der Begründung, dass Schulwechsel erleichtert werden müssten, die einer sportlichen Karriere sonst im Wege stehen könnten. Auch wenn ich es bereits gesagt hatte, so wiederhole ich mich doch gerne; es sind die Sportvereine, die der Motor einer sportlichen Karriere sind, und nicht die viel zu seltenen Sportstunden im Schulunterricht. Daran würde auch eine Vereinheitlichung des Schulsystems nichts ändern, wofür wir im Bund im Übrigen auch gar keine Kompetenz haben. Der CDU/CSU-Bundestagsfraktion geht es um die Förderung des Spitzensports und Hilfen für die Sportvereine, wie das sich gerade in den Beratungen befindliche Gemeinnützigkeitsstärkungsgesetz beweist. Wir unterstützen dort, wo wir zuständig sind. Diese Ziele verfolgen wir kontinuierlich und fordern keine staatliche Talentfindung und Talentförderung. Es ist mir ein Anliegen, nochmals ein paar grundlegende Tatsachen dazu festzuhalten, wie die Förderung des Sports in Deutschland geregelt ist und welche Rolle insbesondere der Bund darin spielt. Den über 27 Millionen Menschen in unserem Land, die in einem Verein oder Verband eine Mitgliedschaft haben, wird ein grundrechtlich abgesicherter Freiraum gewährt. Die sich daraus ergebende Stärke des deutschen Sports liegt darin, dass er sich selbst organisiert. Er regelt seine Interessen in eigener Verantwortung und wird dabei vom Bund unterstützt. Diese Autonomie des Sports ist ein hohes Gut, und wir sollten nicht versuchen, dieses auszuhebeln. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird auch weiter an der Autonomie des Sports festhalten und diese nicht infrage stellen. Nur die bestehende vertrauensvolle und aufeinander abgestimmte Kooperation zwischen dem Dachverband des Sports, dem DOSB, und dem Bund garantiert unseren Erfolg bei der Sportförderung und auch bei Sportgroßveranstaltungen, wie Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen. Natürlich haben wir ein großes Interesse daran, dass deutsche Athletinnen und Athleten auch in Zukunft bei internationalen Sportveranstaltungen gut abschneiden. Aus diesem Grund beteiligen sich der Bund und andere an den Kosten der Vorbereitung und Entsendung der Mannschaften, aber für die Umsetzung ist der Sport eigenverantwortlich und nicht der Staat. Wir wollen, dass das auch in Zukunft so bleibt. Ihren Antrag können wir daher nicht unterstützen und werden ihn ablehnen. Wir wenden uns gegen eine vollständige Verstaatlichung des Sports. Wir sehen die Förderung des Sports in Deutschland auf einem guten Weg und werden auch in Zukunft die Weiterentwicklung dieses Konzepts zusammen mit den Fachverbänden des Sports machen und nicht ohne oder gar gegen sie. Martin Gerster (SPD): Als ich den Titel des Antrags der Linken gelesen habe, war ich sehr gespannt: „Sportförderung neu denken – Strukturen verändern“, das hört sich interessant an, und wir sind gespannt, was sich die Kolleginnen und Kollegen überlegt haben. Leider muss ich nach der Lektüre des Antrags sagen: Viel überlegt -haben Sie sich da nicht. Natürlich haben wir im föderalen System in manchen Sportarten große Probleme, da die Vereinbarkeit von Schule und Ausbildung mit Spitzensport nur über eine enge Kooperation mit den Schulen geht. Und natürlich haben Sie recht, wenn Sie schreiben, dass das Kooperationsverbot hier und da ein großes Hindernis für unsere jungen Nachwuchssportlerinnen und Nachwuchssportler ist. Aber: Sie müssen doch zunächst eine Grundlage für Ihre Forderungen schaffen. Oder, um es in Ihrer Terminologie auszudrücken: Man muss die Sportpolitik vom Kopf auf die Füße stellen. Und das fängt mit der Aufnahme von Sport ins Grundgesetz an. Denn mit der Aufnahme des Sports als Staatsziel kann der Bund seine Kompetenz im Bereich des Sports deutlich besser auf ungeschriebene Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeiten aus der Natur der Sache oder kraft Sachzusammenhangs gründen, wie es im 12. Sport-bericht der Bundesregierung zutreffend heißt. Solange wir den Sport nicht ins Grundgesetz aufnehmen, kann der Bund kaum eine der von Ihnen geforderten Aufgaben übernehmen. Insofern fehlt es Ihrem Antrag an der grundlegenden Basis für alle weiteren Forderungen, die Sie hier heute stellen. Der organisierte Sport und die SPD-Bundestagsfraktion kämpfen seit vielen Jahren dafür, dass Sport als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen wird und dadurch eine grundgesetzliche Kompetenz des Bundes für den Sport geschaffen wird. Wenn dies gelingt, könnten wir besser über die Verzahnung der Förderung von Breiten- und Nachwuchssport mit dem -Spitzensport nachdenken. Insofern bauen Sie von der Linken Ihre Forderungen auf Sand. Die Aufnahme von Sport ins Grundgesetz wäre der erste Schritt vor allen anderen. Wir werden im Sportausschuss noch hinreichend Gelegenheit haben, miteinander Ihren Antrag zu diskutieren. Daher will ich für die SPD-Fraktion nur stichwortartig unsere Bedenken skizzieren: Zunächst zu den berühmt-berüchtigten Zielvereinbarungen. Sie schreiben: „Das Instrument der Zielvereinbarungen hat sich in seiner bisherigen Form nicht bewährt.“ Genau das wissen wir ja nicht. Das ist doch das Problem an den Zielvereinbarungen. Die Präsidenten der olympischen Verbände haben zum Teil durchaus Sympathie für dieses Instrument geäußert. Und kaum jemand bestreitet, dass die Zielvereinbarungen auf jeden Fall besser geeignet sind als die vorherige Förderung nach dem Gießkannen-Prinzip. Das Problem ist nur, dass wir als Haushaltsgesetzgeber diese Zielvereinbarungen nicht kennen und uns deshalb kein Bild über die Effektivität des Instruments machen können. Insofern sind Sie mit Ihrer Schlussfolgerung etwas schnell bei der Hand – auch wenn wir uns in der Kritik einig sind. Zu Ihren etwas diffusen Forderungen zur Aufhebung des Kooperationsverbots in der Bildung und der Aufhebung der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern: Wir als SPD-Bundestagsfraktion wollen den kooperativen Bildungsföderalismus stärken und die Zusammenarbeit von Bund und Ländern zur -Verbesserung des Bildungswesens fördern, indem wir einen neuen Art. 104 c in das Grundgesetz einfügen. Damit würden dauerhafte Finanzhilfen des Bundes für Bildung ermöglicht, ohne die Bildungshoheit der -Länder einzuschränken. In Ihren Forderungen beschäftigen Sie sich in den Nrn. 2, 3 und 4 mit dem Verhältnis der Sportförderung von Bund und Ländern. Dabei ist vielleicht etwas durcheinander geraten. Im Einzelnen möchte ich hier kurz ansprechen: Unter Nr. 2 fordern Sie, das Kooperationsverbot aufzuheben, um den Schulsport einheitlich zu qualifizieren und Schulwechsel zu ermöglichen. Das geht etwas am Problem vorbei, denn nicht der Schulwechsel ist das gravierendste Problem, sondern die Vereinbarkeit von sportlicher und schulischer Ausbildung. Unter Nr. 3 fordern Sie, dass Bund und Länder die Talentsichtung in gemeinsamer Verantwortung wahrnehmen. Ich muss Ihnen sagen: Da klingeln bei mir die Ohren. Denn wir wollen keinen Staatssport haben. Für die Talentförderung und Talentsichtung sind die Sportfachverbände zuständig, und das ist auch gut so. Von Staatssport haben wir in diesem Land genug! Und schließlich fordern Sie unter Punkt 4 eine existenzsichernde Tätigkeit der hauptamtlichen Trainerinnen und Trainer. Ich glaube, Sie meinen eine existenzsichernde Bezahlung der hauptamtlichen Trainerinnen und Trainer. Das würde Sinn ergeben und deckt sich mit den Vorschlägen der SPD, zunächst den Trainer-beruf besser zu bezahlen und erst dann über Prämien nachzudenken. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, gut -gemeint ist noch nicht gut gemacht. Ihrem Antrag fehlt es an Substanz. Ich bin auf die Diskussionen im -Ausschuss gespannt. Joachim Günther (Plauen) (FDP): Der Sport und seine zahlreichen segensreichen Wirkungen liegen uns allen am Herzen. Deshalb begrüße ich auch jeden Denkanstoß, der dazu führt, dass wir diskutieren, wie wir noch mehr Menschen für Sport begeistern können. Denn meiner Meinung nach wissen diejenigen, die nichts mit Sport am Hut haben, gar nicht, was sie verpassen. Aber: Ich bin Liberaler. Die Freiheit ist für mich das höchste Gut. Daher werde ich niemanden zwingen oder durch aufwendige Indoktrination dahin gehend manipulieren, sich sportlich zu betätigen. Für Winston Churchill galt „No sports“ als erfolgreiches Rezept, um ein möglichst hohes Alter zu erreichen. Auch das muss man akzeptieren. Aus dieser Perspektive gruselt es mich – einmal mehr – bei der Lektüre Ihres Antrags, liebe Kollegen der Fraktion Die Linke. Ihnen schwebt die vollständige Erfassung aller Menschen unserer Gesellschaft unter das Diktat Ihrer kollektivistischen Zielvorstellungen vor. Sportförderung flächendeckend von der Wiege bis zur Bahre – es gibt kein Entkommen. Das kann doch keiner wollen! Um ihre Ziele zu bewerkstelligen und – das ist der Kracher! – bürokratische Hürden abzubauen, schlagen Sie als Erstes die Einrichtung eines Sportministe-riums vor. Ich wüsste nicht, wann die Einrichtung eines neuen Ministeriums jemals zu weniger Bürokratie geführt hätte. Das ist so falsch, dass man so etwas auch einmal ganz offen als Murks bezeichnen muss. Weiter geht’s mit der Aufhebung des Kooperationsverbotes. Liebe Kollegen, das gibt es aus gutem Grund. Wir wollen, dass die Länder auch weiterhin über die alleinige Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Bildung und damit im Bereich des Sports verfügen. Nur so sind wir in der komfortablen Lage, dass wir in Deutschland über eine vielfältige Bildungslandschaft verfügen und diese weiterentwickeln, statt sie durch realitätsferne, zentralstaatliche Vorgaben zu ersticken. Sollte das Kooperationsverbot je gelockert werden, dann nur, wenn sichergestellt ist, dass es beim Bildungsföderalismus bleibt. Außerdem wollen Sie auch die Aufhebung der Kompetenzteilung zwischen Bund und Ländern in allen anderen denkbaren sportlichen Fragestellungen. Ihr Antrag trägt im Titel den Slogan „Sportförderung neu denken“. – Ich frage mich: Haben Sie hier überhaupt irgendetwas durchdacht? Oder haben Sie einfach zufällig gewählte Worte aneinandergereiht? Was soll die Aufhebung der Kompetenzteilung denn konkret bewirken? Wäre damit irgendwas erreicht? Irgendetwas praktisch verbessert? Nun ja, Papier ist geduldig. Auch die Entwicklung einer flächendeckenden qualifizierten Übungsleiter- und Trainerausbildung steht auf Ihrem Wunschzettel. Wo ist da die Effizienz? Es mag einige Punkte in unserer Sportförderpraxis geben, die es zu optimieren gilt, aber die Konzentration der Sportförderung auf bestimmte Leistungszentren und Förderstützpunkte gehört mit Sicherheit nicht dazu. Schließlich wollen Sie auch darauf hinwirken, dass alle Sportstätten in Deutschland in einen barrierefreien Zustand versetzt werden. Liebe Kollegen von der Linken: Das wird doch Schritt für Schritt unternommen. Dafür brauchen wir Ihr „Hinwirken“ nun wirklich nicht. Aus all diesen Gründen lehnen wir den Antrag ab. Katrin Kunert (DIE LINKE): „Um der gesellschaftlichen Bedeutung des Sports auch politisch gerecht zu werden, braucht der Sport ein eigenes Sportministerium.“ Dies ist nicht nur eine der Forderungen unseres Antrags, der heute behandelt wird, sondern eine Forderung, die auch der ehemalige Tennisprofi Michael Stich, der unter anderem das -Turnier von Wimbledon und eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Barcelona gewann, kürzlich in einem Interview geäußert hat. Nach unserem Verständnis von Sport muss dieser in seiner Gesamtheit begriffen werden. Er umfasst Breiten-, Leistungs-, Gesundheits- und Schulsport, und alle diese Bereiche stehen in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander. Diese Wechselbeziehung muss entsprechend gewürdigt werden, damit sich die positiven Funktionen des Sports auch in der Gesellschaft auswirken können. Ein eigenständiges Sportministerium könnte dieser Aufgabe gerecht werden, indem es die sportpolitischen Querschnittsaufgaben ohne Kompetenzgerangel bündelt. Derzeit sind die Sportfördermittel in neun Einzelplänen des Haushalts verteilt. Für mich als Mitglied des Sportausschusses ist es absolut inakzeptabel, dass die Vertreterinnen und Vertreter der einzelnen Ressorts in den Haushaltsberatungen häufig keine aussagekräftigen Informationen geben können und die Zielvereinbarungen zwischen BMI und DOSB erst durch den Druck von Journalisten im Rahmen eines Gerichtsverfahrens teilweise öffentlich gemacht werden. Das Fördersystem ist auch für sportpolitisch Interessierte nur schwer zu verstehen und in seiner Gesamtheit intransparent. Das führt häufig dazu, dass die Beantragung von Sportfördermitteln mit hohen bürokratischen Hürden verbunden ist und die eine Hand nicht weiß, was die andere macht. Durch eine Konzentration der Kräfte und Fördermittel könnte das System der Sportförderung transparenter und effizienter gestaltet werden. Die Debatte um die Sportförderung in Deutschland ist nach den diesjährigen Olympischen und Paralympischen Spielen in London voll entbrannt, und es ist an der Zeit, althergebrachte Strukturen auf den Prüfstand zu stellen. Wir müssen nun unserer Verantwortung nachkommen und den Worten auch Taten folgen lassen und den Weg für notwendige Veränderungen bereiten! Sport kann in die Gesellschaft wirken. Dies kann er aber nur, wenn alle einen Zugang zum Sport haben, wenn alle ihren Fähigkeiten und Wünschen entsprechend Sport treiben können und den Menschen die große Bedeutung des Sports vermittelt wird. Die -Bevölkerung muss mitgenommen werden. Nur so kann jeder für sich erkennen, wie wichtig Bewegung und Sport für ein gesundes Leben sind. Und nur so entscheiden sich junge Talente für eine anspruchsvolle Laufbahn im Spitzensport. Wenn sich die Gesellschaft mit dem Sport identifizieren kann und ihr dessen Werte bewusst sind, wird es künftig auch leichter möglich sein, Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland auszutragen. Dafür ist es jedoch auch dringend notwendig, dass Bund, Länder und Kommunen eine umfassende Sport- und Bewegungsförderung vom frühkindlichen Alter über den Kinder-, Jugend- und Breitensport hinaus in gemeinsamer Verantwortung wahrnehmen. Es kann nicht sein, dass eine umfassende Förderung den Zwängen des föderalen Systems zum Opfer fällt und die Möglichkeit sportlicher Betätigung davon abhängig ist, in welchem Bundesland oder in welcher Kommune man lebt. An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass es zwingend erforderlich ist, die Situation der Sportstätten in Deutschland zu überprüfen. Eine -Vielzahl von ihnen ist in einem maroden Zustand und muss dringend saniert werden. Der Sanierungsstau wird immerhin auf 42 Milliarden Euro geschätzt, und diese Zahl ist bereits einige Jahre alt. Bei der Instandsetzung muss unter anderem auf Barrierefreiheit sowie die Einhaltung energetischer Standards geachtet werden. Hier steckt auch ein enormes Sparpotenzial. Ein weiterer wichtiger Pfeiler des deutschen Sportsystems ist der Nachwuchs. Es wird sehr oft das Fehlen des sportlichen Nachwuchses beklagt. Dies hat vielfältige Gründe! Zum Teil kommen viele Kinder gar nicht mehr mit den Freuden des Sports in Berührung. Der Schulsport, der für viele die erste sportliche Anlaufstelle ist, fällt häufig aus oder ist qualitativ nicht -ansprechend. Hier müssen bundesweit einheitliche Standards her, damit alle Schulkinder unter gleichen Bedingungen Sport treiben können und auch ein Schulwechsel keine Auswirkungen auf den sportlichen Weg hat. Außerdem müssen die Sportlehrerinnen und -lehrer regelmäßig weitergebildet werden, damit sie einen ansprechenden Sportunterricht durchführen können und auch in der Lage sind, sportliche Talente zu erkennen und diese an einen speziellen Sportverein weiterzuempfehlen. Ebenso muss geklärt werden, wie sichergestellt werden kann, dass Kinder und Jugend-liche mit einer Behinderung entsprechend ihrem sportlichen Talent Sport treiben können und nicht pauschal eine Sportbefreiung erhalten oder zum Schwimmen -geschickt werden. Von ebenso großer Bedeutung für die Nachwuchsgewinnung sind natürlich auch die Trainerinnen und Trainer sowie die Übungsleiterinnen und Übungs-leiter. Sie müssen umfassend aus- und weitergebildet werden, und vor allem müssen sie eine existenzsichernde und faire Vergütung für ihre Arbeit erhalten. Wenn man die Arbeit der Trainerinnen und Trainer nicht angemessen wertschätzt, muss man sich nicht wundern, wenn diese auf der Suche nach mehr -Anerkennung das Land verlassen und der Nachwuchs trainerlos zurückbleibt. Ich habe Ihnen nur einige Baustellen in der deutschen Sportlandschaft aufgezeigt. Aber glauben Sie mir, es gibt wesentlich mehr, und mit jedem Tag des Nichtstuns werden die Probleme drängender. Sicherlich, die Ergebnisse der Olympischen und insbesondere der Paralympischen Spiele können sich sehen lassen, und wir können stolz auf unsere Teams sein. Aber es gibt keinen Automatismus und keine Garantie, dass es auch in Zukunft so weitergeht. Wir haben gemeinsam gejubelt. Lassen Sie uns nun auch gemeinsam etwas für den Sport tun. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu unserem Antrag. Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lassen Sie mich mit einigen Bemerkungen zu aktuellen Fragen der Sportförderung beginnen. In der letzten Woche wurde der Bundeshaushalt 2013 verabschiedet. Er sieht eine Gesamtsportförderung von rund 250 Millionen Euro aus neun verschiedenen Bundesministerien vor. Aus unserer Sicht steckt jedoch besonders die Spitzensportförderung des Bundesinnenministeriums voller Widersprüche. Denn seit Olympia in London findet eine Debatte innerhalb des Sports um die Grundsätze der Spitzensportförderung statt. Es liegen interessante Anträge vom Deutschen Tischtennisbund (DTTB) oder auch vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) vor. Auch die Athletenvertreterinnen und -vertreter haben diskutiert. Diese Debatte ist im Sport noch nicht abgeschlossen. Jetzt müsste daher der richtige Zeitpunkt sein, dass auch wir in der Sportpolitik die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen. Aber: Schwarz-Gelb ignoriert diesen Sachverhalt komplett und handelt nach dem Motto „Unbeirrt weiter so!“. Die Regierungskoalition sattelt sogar noch drauf: 1 Million Euro mehr für die Olympiastützpunkte und 1 Million Euro mehr für die Verbandslehrgänge, obwohl es für beides in einem Nach-Olympia-Jahr keine sportfachliche Notwendigkeit gibt. Die bestehenden Probleme von fehlenden Synergieeffekten und vorhandenen Doppelstrukturen werden mit Geld zugekleistert. Stattdessen kürzen Sie bei den Trainerinnen und Trainern um 1 Million Euro, also in einem Bereich, wo die Förderung dringend gebraucht wird. Wer sich die Entwicklung der Spitzensportförderung für Verbände, Olympiastützpunkte und Leistungssportpersonal seit 2007 genauer ansieht, der muss feststellen, dass es hier eine Abkoppelung vom Erfordernis der Haushaltskonsolidierung gibt: Wir haben bei den zentralen Maßnahmen einen -Aufwuchs um über 30 Prozent gesehen. Im Jahr 2007 waren noch 72 Millionen Euro veranschlagt. Für das Jahr 2013 sind dagegen schon 95 Millionen Euro -vorgesehen. In der Sportpolitik wurde bisher bedauerlicherweise keine kritische Debatte geführt über die Notwendigkeit einer Förderung von überteuerten Sportarten wie Bob, Rodeln oder Skispringen oder auch von mitgliederschwachen Sportarten wie Eisschnelllauf. Um es klar zu sagen: Wir Grüne wenden uns nicht gegen die Ausübung dieser Sportarten. Wir erkennen die Leistungen der Sportlerinnen und Sportler durchaus an. Aber wir kritisieren die fehlende Breitensportwirkung, und daher kann aus unserer Sicht die finanzielle Förderung durch den Bund nicht so weiterlaufen wie bisher. Unser Vorschlag: Wenn der Sport diese Sportarten weiter als Aushängeschild hervorheben möchte, dann sollte er die Skischanzen von Garmisch-Partenkirchen, Oberhof und Schonach selbst finanzieren oder einen angemessenen Eigenbeitrag leisten. Gleiches gilt für die vier Bob- oder Rodelbahnen in Deutschland, also Winterberg, Königssee, Altenberg und Oberhof. Im internationalen Wettbewerb werden wir mit dieser staatlichen Gießkannenförderung nicht weiterkommen. Es ist doch nur noch eine Frage der Zeit, bis auch der Bundesrechnungshof die bestehende Vielfachförderung kritisch hinterfragen wird. Die grüne Position ist klar: Spitzensportförderung darf kein Selbstbedienungsladen von Sportfunktionären sein, die ständig eine Krise oder eine vermeintlich fehlende Wettbewerbsfähigkeit des Spitzensports in Deutschland reklamieren, um zur Finanzierung ihrer Sportart oder ihrer Region die notwendigen Steuergelder bewilligt zu bekommen. Das ist häufig Regionalmarketing, aber keine professionell gemanagte Spitzensportförderung. Wir benötigen hier mehr Transparenz und Professionalität in der Sportförderung und brauchen dringend auch eine Überprüfung der Förderkriterien. Ein Anstoß zur weiteren Debatte kann sicherlich auch das neue Baukastensystem der Stiftung Deutsche Sporthilfe leisten. Durchaus kritisch zu hinterfragen sind allerdings die vorliegenden Vorschläge der Fraktion Die Linke. Der vorgenommenen Analyse kann ich mich zwar in einigen Punkten anschließen, aber ihre daraus folgenden Vorschläge brechen mit der traditionellen Kompetenzteilung des Grundgesetzes in Fragen der Sportförderung. Auch in die verfassungsrechtlich garantierte Autonomie des Sports in Fragen von Trainerausbildung oder Talentsichtung kann vom Bund nicht so einfach eingegriffen werden, wie es sich die Fraktion Die Linke vorstellt. Wir werden sicher in den parlamentarischen Beratungen noch Möglichkeiten haben, die aufgeworfenen Fragen umfassend zu diskutieren. Präsident Dr. Norbert Lammert: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 17/11374 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 43: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Diplomatische Beziehungen zu Palästina aufwerten – zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Zwei-Staaten-Perspektive für den israelisch-palästinensischen Konflikt erhalten – Entwicklung der C-Gebiete in der Westbank fördern – Abrissverfügungen für Solaranlagen stoppen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Zwei-Staaten-Perspektive für eine friedliche Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts retten – Drucksachen 17/8375, 17/9981, 17/10640, 17/11452 – Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Hörster Dr. Rolf Mützenich Dr. Rainer Stinner Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller (Köln) Auch hierzu werden die Reden zu Protokoll genommen. Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Diesen November ist der israelisch-palästinen-sische Konflikt erneut in das Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit gerückt worden. Nachdem -radikal-islamische Gruppierungen wie Hamas und Islamischer Dschihad ihren Raketenbeschuss auf Israel intensiviert hatten, machte Israel von seinem legitimen Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch. Über 1 500 Raketen sind allein in diesem Jahr auf Israel abgefeuert worden. Die Bedrohungslage für die israelische Zivilbevölkerung hat dabei eine neue Dimension erreicht. Es war der Iran, der Raketen des Typs Fadschr-5 in den Gazastreifen geliefert hat, die über eine Reichweite von bis zu 75 Kilometern verfügen. Die Verantwortung für die Eskalation der Lage in Nahost trägt eindeutig die Hamas. Es ist ihre feind-selige Haltung gegenüber Israel, die einem dringend benötigten Friedensprozess im Wege steht. Die Hamas missbraucht die Menschen im Gazastreifen nicht nur als Schutzschilde gegenüber dem israelischen Militär; sie nimmt die dortige Bevölkerung insgesamt als Geisel einer fanatischen Terrorstrategie mit dem Ziel der Vernichtung Israels. Solange Hamas dieses Ziel verfolgt, ist ein Friedensschluss im Nahen Osten nicht in Sicht. Hamas muss sich bewegen. Das Existenzrecht des jüdischen Staates Israel muss anerkannt, die -Gewalt muss beendet und die Entwaffnung aller radikalen Kräfte im Gazastreifen muss umgehend eingeleitet werden. Wie will man eine Zwei-Staaten-Lösung verwirklichen, wenn ein Teil der Palästinenser den Staat Israel gar nicht anerkennt? Ein ebenso großes Problem ist die tiefe Spaltung der Palästinenser selbst. Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde regiert nur in der Westbank, nicht aber im Gazastreifen. Die Anliegen der Palästinenser werden nicht mit einer Stimme vertreten – im Gegenteil. Fatah und Hamas, Mahmud Abbas und Ismail Hanija, stehen einander unversöhnlich gegenüber. In diesem Kontext macht eine diplomatische Aufwertung der Palästinensischen Autonomiebehörde, vor allem auf Ebene der Vereinten Nationen, keinen Sinn. Deswegen werden die USA und eine Reihe von EU-Staaten wie Italien, die Niederlande, die Tschechische Republik und Bulgarien mit Nein stimmen. In diesem Zusammenhang sei eine -Anmerkung erlaubt: Es ist sehr bedauerlich, dass trotz aller Bemühungen der Bundesregierung innerhalb der Europäischen Union kein Konsens in dieser Frage gefunden wurde. Ein Signal europäischer Geschlossenheit wäre besser gewesen. In nahezu allen Friedensplänen, welche die inter-nationale Gemeinschaft für den israelischen-palästinensischen Konflikt erarbeitet hat, wird eines deutlich herausgestellt: Die Frage über die letztliche Form -eines palästinensischen Staates ist den Endstatus-verhandlungen vorbehalten. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Eine diplomatische Aufwertung der -Palästinenservertretungen kann erst dann erfolgen, wenn die Friedensverhandlungen zwischen beiden Seiten erfolgreich verlaufen sind. Alles andere wird Verhandlungen, die auf eine dauerhafte Zwei-Staaten-Lösung abzielen, auf unzulässige Weise vorweggreifen. Das sollte all jenen klar sein, die meinen, mit einer Aufwertung des diplomatischen Status der Palästinensischen Autonomiebehörde zur jetzigen Zeit werde ein Schritt in Richtung Frieden getan – im Gegenteil! Gerade nach den dramatischen Ereignissen der letzten -Wochen ist es zunächst wichtig, wieder Vertrauen -zwischen Israel und den Palästinensern herzustellen. Einseitige Aktionen sind vor diesem Hintergrund sehr schädlich. Eine tragfähige Friedenslösung, welche die friedliche Existenz zweier Staaten ermöglicht, muss zudem in einen viel weiteren Kontext eingebettet werden. Israel ist geradezu eingekeilt zwischen mehreren Fronten, an denen feindlich gesonnene Kräfte agieren: Im Norden, an der israelisch-libanesischen Grenze, befindet sich die hochgerüstete Hisbollah-Miliz. Im Nordosten grenzt Israel an das Syrien des Diktators Baschar al-Assad. Im Südwesten liegt der Gazastreifen, in dem Hamas und Islamischer Dschihad noch immer über ein großes Raketenarsenal verfügen. Von allen Seiten geht eine latente und nicht zu unterschätzende Gefahr für die Sicherheit Israels aus. Hinzu kommt der Iran, der offen mit der Vernichtung Israels droht und sein Atomwaffenprogramm mit Hochdruck vorantreibt. Eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts kann nicht ohne die Ein-beziehung dieser Akteure gelingen; denn sie gießen beständig Öl ins Feuer. Der Iran ist in großem Umfang an der Bewaffnung palästinensischer Terrorgruppen beteiligt. Gemeinsam mit Syrien unterstützt er die -Hisbollah, die jederzeit zu Angriffen auf Israel in der Lage ist. Beide Staaten liefern nicht nur Waffen, sondern unterminieren mit massiver antiisraelischer und antisemitischer Rhetorik jeden Versuch der Entspannung. Dabei haben sie aber nicht das Wohlergehen der -Palästinenser im Sinne. Sie brauchen Israel als Feindbild für einen ideologischen Kampf, mit dem sie ihre Macht im Innern stabilisieren wollen. Genauso wie Hamas und Islamischer Dschihad ist die Situation der Palästinenser ein willkommener Vorwand für eine -Gewaltstrategie, die jeglichen Ausblick auf eine friedliche Annäherung verdunkelt. Ägypten hat 1979 einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen, Jordanien 1994. Auch ein Frieden Israels mit Syrien und dem Iran, so unwahrscheinlich er unter heutigen Bedingungen sein mag, wird zum Teil einer umfassenden Friedenslösung im Nahen Osten gehören. So lange jedoch Baschar al-Assad und Mahmud Ahmadinedschad die Geschicke dieser Länder führen, muss die internationale Gemeinschaft durch empfindliche Sanktionen die Regime schwächen und auf einen politischen Wandel in Damaskus und Teheran hinwirken. Ägypten wird eine entscheidende Rolle auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung spielen. Staatspräsident Mursi musste in den letzten Wochen einen regelrechten Balanceakt leisten. Einerseits versuchte er, die Emo-tionen in der Bevölkerung zu kanalisieren, die sich mit den Einwohnern im Gazastreifen solidarisierten. Andererseits hat aber auch Ägypten kein Interesse daran, einen offenen Konflikt mit Israel einzugehen. Der Friedensvertrag von 1979 ist bindend. Ägypten ist als Vermittler unverzichtbar, gerade was den Dialog mit den radikalen Kräften im Gazastreifen angeht. Dieser Einfluss muss geltend gemacht werden. Zudem spielt Ägypten die entscheidende Rolle bei der Sicherung der Grenze zwischen Gazastreifen und dem Sinai, besonders bei der Unterbindung des Waffenschmuggels durch die Tunnelsysteme. Die internationale Gemeinschaft könnte bei diesem Vorhaben unterstützend zur Seite stehen. Der Erfolg der Zwei-Staaten-Lösung hängt also nicht allein von palästinensisch-israelischen Verhandlungen ab, sondern auch von der Einbeziehung der eben genannten Akteure. Die Vereinten Nationen können eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, eine Zwei-Staaten--Lösung völkerrechtlich abzusichern oder die Einhaltung eines Friedensvertrages zu überwachen. Die -Europäische Union kann ihre Beziehungen zu Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde nutzen, um beispielsweise beim Aufbau eines funktionierenden palästinensischen Staatswesens zu helfen. Nicht zuletzt werden es aber die USA sein, die als langjährige Vermittler im Nahostkonflikt eine Schlüsselposition einnehmen. Es ist begrüßenswert, dass die Obama--Administration nach den Präsidentschaftswahlen ihre diplomatischen Bemühungen im Nahen Osten wieder verstärkt hat. Das ist vor allem bei der Vereinbarung der Waffenruhe am 21. November in Kairo deutlich geworden. Die Herbeiführung der Zwei-Staaten-Lösung kann nicht durch einseitige Maßnahmen gelingen, sondern nur durch das gemeinsame Vorgehen Israels und der Palästinenser. Eine tragfähige Zwei-Staaten-Lösung braucht direkte Verhandlungen, in der beide Seiten ihre berechtigten Anliegen vorbringen können. Sie muss vor allem in einen regionalen Kontext eingebunden sein, in dem Staaten wie Syrien und der Iran und Akteure wie die Hisbollah ihre Feindseligkeit gegen -Israel endgültig beenden. Eines stimmt positiv: Nach jedem Rückschlag im israelisch-palästinensischen Aussöhnungsprozess sind auch wieder neue Verhandlungen aufgenommen worden. Gescheitert sind sie jedoch immer an einem Ausbruch neuer Gewalt. Das muss den radikalen Kräften im Gazastreifen klar sein: Ihre Gewaltstrategie hat in eine Sackgasse geführt und versperrt den Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung. Es liegt an ihnen, diesen Weg endlich freizumachen – zum Wohle des Staates Israels und der Palästinenser. Günter Gloser (SPD): Es war gut und richtig, dass die Bundesregierung Anfang des Jahres der Forderung der SPD entsprochen und die palästinensische Generaldirektion zu einer diplomatischen Mission aufgewertet hat. Der vorliegende Antrag der Linksfraktion ist somit weitestgehend gegenstandslos. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass trotz der Aufwertung die Bundesregierung immer noch davor zurückscheut, der legitimen Vertretung des palästinensischen Volkes vollen Botschaftsrang zuzugestehen. Nun haben die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas den Nahostkonflikt mit einem Paukenschlag zurück in das Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit gerückt. Während sich in der gesamten Region Umbrüche historischen Ausmaßes vollziehen, scheint sich die Hoffnung, dass diese Transformationen auch in der Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und Israelis zu einem Paradigmenwechsel führen, zerschlagen zu haben. Die Hamas wollte den Ruf der arabischen Jugend nach wirtschaftlichen Perspektiven und politischer Partizipation nicht hören und hat mit dem ständigen Raketenbeschuss Israels eine harte Reaktion der israelischen Armee provoziert. Israel hat die Chance verpasst, in dem regionalen Umbruch neue Akzente für den Frieden zu setzen, und verlässt sich nach wie vor auf seine militärische Stärke. Dass die militärische Eskalation vor dem Einsatz von israelischen Bodentruppen gestoppt und ein Waffenstillstand erreicht werden konnte, ist eine gute Nachricht für die Bevölkerung des Gazastreifens und die Menschen in Sderot, Aschkelon und Tel Aviv. Nun gilt es, so nachdrücklich wie möglich für eine dauerhafte Lösung zu werben, die für alle beteiligten Parteien akzeptabel ist. In dieser schwierigen und festgefahrenen Situation ist es so wichtig wie nie zuvor, die moderaten Kräfte zu unterstützen, die zu Verhandlungen bereit sind. Mit Präsident Abbas haben wir einen solchen Partner. Auch der jüngste Konflikt hat gezeigt, dass die Auto-nomiebehörde, bei aller Solidarität mit ihren Brüdern im Gazastreifen, eine Kraft des Dialogs ist. Diesen Partner gilt es zu stärken und zu bestärken! Dazu gehört natürlich der diplomatische Kontakt auf der höchstmöglichen Ebene. Gleichzeitig wird heute in der VN-Generalversammlung der palästinensische Antrag auf einen „Non-Member Observer State“-Status debattiert. Es ist bedauerlich, dass hierzu keine gemeinsame Position in Europa gefunden wurde. Umso wichtiger ist es da, dass die Bundesregierung Präsident Abbas und Ministerpräsident Fajjad nicht mit einer Ablehnung der Initiative weiter schwächt. Das Ziel bleibt eine faire Zwei-Staaten-Lösung, und um es zu erreichen, braucht es starke Partner auf beiden Seiten. Dr. Rainer Stinner (FDP): Genau heute vor 65 Jahren beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen den Teilungsplan für Palästina. Dieser Plan wurde von der Mehrheit der jüdischen Seite angenommen und von der Mehrheit der arabischen Seite abgelehnt. Die Folge war Krieg und ein bis heute andauernder Konflikt. Heute, am Tage der Entscheidung der Generalversammlung der Vereinten Nationen über den Antrag der Palästinenser, können wir uns die Frage stellen, ob es einen Fortschritt gegeben hat. Ich glaube aber, dass wir alle eines aus dem bisherigen Konfliktverlauf gelernt haben: Noch so gute und noch so durchdachte Pläne von außen werden nichts helfen, wenn nicht die Bevölkerung in der Region, und zwar auf beiden Seiten, mitgenommen und von den Vorteilen eines Abkommens überzeugt werden kann. Darauf müssen also alle unsere Bemühungen gerichtet sein. Nun stehen wir aber vor der konkreten Frage: Wie gehen wir mit dem palästinensischen Antrag auf einen Beobachterstatus in der Generalversammlung der Vereinten Nationen um? Ich habe nie verhehlt, dass ich grundsätzlich für dieses Ansinnen großes Verständnis habe. Als ich das gesagt habe, lag mir allerdings der konkrete Resolutionsentwurf noch nicht vor. Das ist nun der Fall. Um mit dem Positiven zu beginnen: Ich begrüße es sehr, wie deutlich sich die palästinensische Führung hier für die Zwei-Staaten-Lösung ausspricht. Es gibt aber auch einen ganz wichtigen Passus in dem Dokument, über den ich nicht hinweggehen kann, nämlich die Referenz auf eine Vollmitgliedschaft Palästinas in den Vereinten Nationen. So weit sind wir wirklich noch nicht, und daher unterstütze ich die Entscheidung der Bundesregierung. Die Entscheidung Deutschlands ist nicht isoliert zu sehen, muss vielmehr in einen europäischen Kontext gestellt werden. Ich möchte auch hier noch einmal mein großes Bedauern ausdrücken, dass es nicht zu einem gemeinsamen europäischen Abstimmungsverhalten gekommen ist. Das soll uns aber nicht den Blick dafür verstellen, dass es natürlich eine große Einigung über das gemeinsame Ziel, nämlich die Zwei-Staaten-Lösung gibt. Die Bundesregierung hat sehr intensiv daran gearbeitet, eine gemeinsame europäische Position zu finden. Ich bedauere auch, dass die Hohe Repräsentantin für die europäische Außenpolitik auch in diesem Falle nicht als aktivierender Faktor vernehmbar geworden ist. Nun debattieren wir hier auch über einen Antrag zur israelischen Siedlungspolitik. Diese Bundesregierung braucht keinerlei Nachhilfe über den kritischen Umgang mit dieser Politik. Die Äußerungen dazu sind absolut eindeutig, und die Kritik daran wird klar und deutlich, aber eben auf der Grundlage von Freundschaft und unseren besonderen Beziehungen zu Israel ausgedrückt. Deshalb sind auch alle Vorwürfe, Deutschland agiere einseitig, völlig aus der Luft gegriffen. Und wie gesucht Deutschland und der deutsche Außenminister als vermittelnder Gesprächspartner sind, das haben die letzten Wochen ganz deutlich gemacht. Wir danken Außenminister Westerwelle ausdrücklich für seine Bemühungen um eine Waffenruhe in Gaza. Und wir teilen völlig seine Auffassung, dass Deutschland in dem Konflikt eine durchaus helfende, aber eben auch nur begrenzte und unterstützende Rolle spielen kann. Die Hauptanstrengungen müssen von den Beteiligten vor Ort geleistet werden, und natürlich wird ohne die ganz wesentliche Rolle der USA nichts gehen. Ich bin optimistisch, dass Präsident Obama sich in seiner zweiten Amtszeit diesem Feld intensiv widmen wird. Unverkennbar ist die Rolle Ägyptens massiv gewachsen. Wir begrüßen die aktive positive Vermittlerrolle Ägyptens in den letzten Wochen. Daran ändert auch die „Machtübernahme“ Mursis in Ägypten gegenwärtig noch nichts. Meine Beurteilung erfolgt erst, nachdem ich die neue Verfassung Ägyptens gesehen habe und nachdem ich verstanden habe, wie sich Mursi in diese neue verfassungsmäßige Ordnung einfindet. Das alles sind schwierige, komplexe Fragen, die von der Bundesregierung ein flexibles und pragma-tisches Vorgehen verlangen. Dass die Bundesregierung dazu in der Lage ist und dass sie genau deshalb ein wichtiger Gesprächspartner ist, hat sie in der Vergangenheit bewiesen. Und ich entnehme den Debatten der letzten Woche auch, dass wir hier im Deutschen Bundestag weiterhin, trotz Differenzen in Einzelfragen, mit dieser grundsätzlichen Ausrichtung der Bundesregierung übereinstimmen. Wir wünschen ihr viel Erfolg bei diesen richtigen Bemühungen. Die heute vorliegenden Anträge liefern dazu keinen Mehrwert, und deshalb lehnen wir sie ab. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Heute hat die UNO-Generalversammlung beschlossen, dass Palästina künftig einen erweiterten Beobachterstatus erhalten soll. Das ist ein historischer Beschluss auf dem Wege zu einem eigenständigen, lebensfähigen, demokratischen Staat. Ich gratuliere Präsident Abbas und seinem Ministerpräsidenten -Fajjad und freue mich über diesen Beschluss der Vereinten Nationen. Gleichzeitig bin ich voller Ärger über das schwächliche Verhalten der Bundesregierung, die ihre UNO-Vertretung angewiesen hat, sich der Stimme zu enthalten. Der Bundesregierung fehlt es an Mut, Charakter und Rückgrat, sich positiv zum palästinensischen Antrag zu verhalten. Meine Fraktion Die Linke hatte noch heute, in letzter Minute, versucht, die Bundesregierung darauf festzulegen, in der UNO mit Ja zu stimmen. Leider hat dieses Ansinnen keine Mehrheit im Parlament gefunden. Es bleibt aber dennoch richtig. Die Entscheidung der Bundesregierung hat Deutschland in eine außenpolitische Isolierung, in eine kleine radikale Minderheit gebracht. Das Regierungsargument, dass bereits die Stimmenthaltung ein bedeutender Schritt im Unterschied zu einer Neinstimme wäre, ist nicht überzeugend. Auch nicht überzeugend ist das Argument, dass man mit dieser Entscheidung den besonderen Beziehungen zu Israel Rechnung getragen habe. Besonders Beziehungen und die Freundschaft zu Israel hätten es erfordert, alles einzusetzen, um die israelische Regierung von weiteren Schritten in die eigene Isolierung abzubringen. Freundschaft beweist sich auch darin, mit den Freunden Klartext zu reden. Auch dazu fehlt es der Bundesregierung an Mut und Rückgrat. Die Entscheidung der Bundesregierung, dem Antrag Palästinas nicht zuzustimmen, schwächt den Palästinenserpräsidenten Abbas und Ministerpräsident Fajjad. Die linksliberale römische Zeitung „La Repubblica“ kommentiert das: „Sie – die Europäer – müssen aber wissen, dass eine Stimme gegen die Palästinenser oder auch nur eine Enthaltung – mit dem unweigerlichen Beigeschmack der Feigheit – eine Niederlage für den Palästinenserpräsidenten Abbas bedeuten wird.“ Dieser Vorwurf der Feigheit bleibt zu Recht an der Außenpolitik der Bundesregierung hängen. Entgegen der amtlichen Feigheit wünschen wir uns ein Signal des Deutschen Bundestages an Israel und Palästina. Wir werden nicht müde, immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass Sicherheit für Israel und Gerechtigkeit für Palästina zusammengehören. Viele Initiativen aus dem Bundestag, so auch unser Antrag, waren ein Signal an die Friedensbewegung, an die linken Parteien und Bewegungen in Israel, dass wir sie selbstverständlich nicht gleichsetzen mit der Rechtsregierung von Benjamin Netanjahu. Wir wissen, dass in Israel viele Menschen für eine Politik der Vernunft kämpfen. Unser Antrag und viele Debatten im Bundestag sind ebenso ein Signal an die Bürgerinnen und Bürger in Palästina: Wir wollen euch bestärken in der Gewaltenlosigkeit eures Kampfes und darin, dass euer Recht auf einen eigenständigen, lebensfähigen Staat überall in der Welt Widerhall und Rückhalt findet. Ich bitte die Freundinnen und Freunde in Israel und in Palästina: Setzt uns nicht gleich mit dem Verhalten unserer Regierung! Im Wesen stimmen der Antrag der Fraktion Die Linke und die beiden Anträge von Bündnis 90/Die Grünen überein. Damit endlich positive Bewegung in die Nahostpolitik des Bundestages kommt, wäre es sinnvoll, solche Anträge inhaltlich zu bündeln und mit Charakterstärke, Mut und Rückgrat gemeinsam zu vertreten. Bitte bedenken Sie auch, dass der Tag der Abstimmung über diese Anträge nicht nur historisch ist angesichts der Entscheidung in der UN-Generalversammlung. Am 29. November 1947 entschieden die Vereinten Nationen über die Errichtung zweier Staaten in Palästina. Und im Jahre 1977 wurde dieser Tag von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag der Solidarität mit dem palästinensischen Volk erklärt. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie um ihre Zustimmung zum vorliegenden Antrag. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die jüngste militärische Konfrontation zwischen Israel und der Hamas hat den Nahostkonflikt mit einem Schlag wieder auf die internationale Tagesordnung zurückgebracht und allen vor Augen geführt, wie schnell die angespannte Lage zu einem Krieg eskalieren kann. Und der Konflikt hat die politischen Verhältnisse in Nahost etwas durcheinandergebracht. In Kairo wird zwischen Israel und der Hamas verhandelt. Das geschieht zwar nicht direkt, sondern unter ägyptischer Vermittlung, aber es geht um konkrete Vereinbarungen. Im Zusammenhang mit der am 21. November 2012 verkündeten Waffenruhe hat Israel bereits Erleichterungen der Blockade des Gazastreifens insbesondere für die Zivilbevölkerung verfügt. Sowohl für die palästinensischen Fischer und Bauern als auch für wichtige Bereiche der palästinensischen Wirtschaft gibt es wichtige Erleichterungen. Mit denjenigen palästinensischen Kräften, die Israel anerkannt haben und die explizit nach einer verhandelten Zwei-Staaten-Regelung streben, gibt es dagegen keine Verhandlungen, nicht einmal indirekte. Das hat zur Folge, dass die jüngste Eskalation in Gaza Präsident Abbas und seine Fatah noch weiter politisch geschwächt hat. Fast scheint es so, als ob gerade diejenigen moderaten palästinensischen Kräfte, die auf Kompromiss und Versöhnung setzen, die Verlierer der politischen Verschiebungen im Nahen Osten sind. Dies auch deshalb, weil Präsident Abbas gegenüber der palästinensischen Bevölkerung trotz seiner Kompromissbereitschaft keine Erfolge vorweisen kann. Der Siedlungsbau wird weiter massiv vorangetrieben, und die Infrastruktur für die in der Westbank lebenden Israelis wird gebaut. Die Stimmen, die eine Zwei-Staaten-Regelung nicht mehr für realisierbar halten, werden mehr und lauter. Nicht nur auf palästinensischer, auch auf israelischer Seite. Dort erhalten sogar diejenigen zunehmend Zuspruch, die eine Zwei-Staaten-Regelung ganz offen ablehnen. Die Ergebnisse der Wahl zur Listenaufstellung des Likud sind nur ein Beispiel dafür. Vor diesem Kontext muss die UN-Initiative von Präsident Abbas gesehen werden. Sie ist ein Versuch, die Zwei-Staaten-Perspektive zu retten sowie in die blockierten Verhandlungen eine neue Dynamik hineinzubringen. Der Text des palästinensischen Antrages belegt, dass es hier gerade nicht um eine einseitige Präjudizierung von Verhandlungen geht, sondern Verhandlungen werden direkt im Antrag gefordert. Der Antrag spricht von einem Staat Palästina auf der Grundlage der Grenzen bis 1967. Noch nie hat ein palästinensischer Text sich derart weitgehend auf die Anerkennung eines israelischen Staates festgelegt. Umso unverständlicher ist mir, dass das von Israel nicht gesehen wird: Auch Israel hat doch ein Interesse daran, dass endlich die Grenzen seines Staates festgelegt werden. Die sehr weitgehenden Formulierungen des Antrages bieten also eine große Chance auch für Israel. Sie könnten eine gute Grundlage für die dringend notwendigen Verhandlungen über künftige Grenzen zwischen dem Staat Israel und dem künftigen Staat Palästina sein. Denn neue Verhandlungen über die endgültige Festlegung der Grenzen sind im Interesse beider Konfliktparteien. Aber es müssen ernsthafte Verhandlungen sein, das heißt solche, die eine Beendigung der israelischen Besatzung und damit der Kontrolle über die Palästinenser zum Thema haben. Es müssen Verhandlungen sein, die die Schaffung eines Staates Palästina neben dem Staat Israel zur Perspektive haben. Was glaubt die Bundesregierung und was glauben alle anderen Staaten, die die palästinensische Initiative vor der UNO ablehnen, eigentlich, welche Wirkung ihr Verhalten haben wird? Sehen sie nicht die Gefahr, dass dies zu einer weiteren Schwächung von Abbas und denjenigen Kräften, die er führt, beiträgt? Wer wird künftig überhaupt noch an eine Zwei-Staaten-Regelung glauben und sie politisch verfolgen? Die Blockade eines politischen Ausweges aus der Konfrontation spiegelt sich in Umfragen in der israelischen und palästinensischen Gesellschaft wider: Es gibt Mehrheiten für eine Zwei-Staaten-Regelung. Diese scheinen aber eher theoretisch. Denn gleichzeitig sind auch jeweils Mehrheiten davon überzeugt, dass es nicht dazu kommen wird. Die Schuld wird der jeweils anderen Seite und ihren politischen Vertretungen gegeben. Die palästinensische Initiative zur Erhöhung des Status innerhalb der UN zu dem eines Nichtmitgliedstaates bietet daher eine große Chance, die gefährliche Blockade zu lockern. Vielleicht ist es sogar die letzte Chance für Verhandlungen. Israel sollte sie nutzen und sie nicht leichtfertig vom Tisch wischen. Und wir – die internationale Gemeinschaft – haben die Verantwortung, unseren Partnern dies auch klipp und klar zu sagen. Sonst stehen wir am Ende ohne Partner da, und der Nahe Osten brennt wieder. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich stelle die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 17/11452 zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8375 mit dem Titel „Diplomatische Beziehungen zu Palästina aufwerten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9981 mit dem Titel „Die Zwei-Staaten-Perspektive für den israelisch-palästinensischen Konflikt erhalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/10640 mit dem Titel „Die Zwei-Staaten-Perspektive für eine friedliche Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts retten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich enthalten? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. (Beifall) Erstaunlicherweise ist es noch vor Mitternacht, obwohl die ausgedruckte Tagesordnung die Aussicht begründete, dass wir bis 6.05 Uhr oder 6.10 Uhr hätten verhandeln können. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss verzichten können!) Das hätte gerade noch gereicht, durch den Saal zu gehen, um für den Finanzminister, der eine Regierungserklärung abgeben wird, alles herzurichten. So schließe ich die heutige Sitzung mit dem Dank an alle, die so lange ausgeharrt haben. Es gibt verlässliche Indizien, dass dies möglicherweise die bisher längste Sitzung dieser Legislaturperiode war. Ganz sicher dürfte das für die Anzahl der behandelten Tagesordnungspunkte gelten. Sie können sagen, dass Sie dabei gewesen sind. (Beifall) Schön wäre, wenn Sie auch morgen früh wieder dabei sind. Bleiben Sie dran. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, den 30. November 2012, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche eine gute Nacht. (Schluss: 23.59 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 29.11.2012 Bulmahn, Edelgard SPD 29.11.2012 Canel, Sylvia FDP 29.11.2012 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.11.2012 Fischer (Göttingen), Hartwig CDU/CSU 29.11.2012 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 29.11.2012 Hardt, Jürgen CDU/CSU 29.11.2012* Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 29.11.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 29.11.2012 Hirte, Christian CDU/CSU 29.11.2012* Humme, Christel SPD 29.11.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.11.2012 Dr. Lauterbach, Karl SPD 29.11.2012 Mast, Katja SPD 29.11.2012 Maurer, Ulrich DIE LINKE 29.11.2012 Meierhofer, Horst FDP 29.11.2012 Menzner, Dorothée DIE LINKE 29.11.2012 Nink, Manfred SPD 29.11.2012 Pieper, Cornelia FDP 29.11.2012 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 29.11.2012 Rachel, Thomas CDU/CSU 29.11.2012 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 29.11.2012 Schlecht, Michael DIE LINKE 29.11.2012 Schuster, Marina FDP 29.11.2012 Dr. Schwanholz, Martin SPD 29.11.2012 Simmling, Werner FDP 29.11.2012 Dr. Wadephul, Johann CDU/CSU 29.11.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 29.11.2012 Zypries, Brigitte SPD 29.11.2012 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung der NATO Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Frank Heinrich (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den -Entwurf eines Gesetzes zur Auf-hebung des Asyl-bewerberleistungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 4 b) Asylbewerber in Deutschland müssen rechtlich besser gestellt werden. Das Asylbewerberleistungsgesetz in seiner jetzigen Form wird weder der Lebenswirklichkeit von Flüchtlingen gerecht, wovon ich mir persönlich ein Bild bei -Begegnungen mit Asylbewerbern machen konnte, noch den grundlegenden rechtlichen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik, wie das Urteil des BVG zeigt und die Expertenberichte bestätigen. Deshalb bedarf es einer gründlichen und bedarfs-gerechten Überarbeitung des Asylbewerberleistungsgesetzes bzw. einer grundlegenden gesetzlichen Neuregelung. Hier stimme ich in der Sache dem Anliegen der Anträge zu. Die geforderte Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums wurde durch Bundesministerin von der Leyen ausdrücklich begrüßt und wird bereits umgesetzt. Eine gesetzliche Neuregelung ist im BMI -sowie im BMSFJ in Arbeit. Die hier zu beschließenden Vorschläge einer bloßen Abschaffung des Gesetzes -dagegen greifen für eine umfassende Gesetzgebung zu kurz. Zum Antrag in TOP 4 d der Fraktion der Linken noch eine grundsätzliche Bemerkung: Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit lässt eine Gesetzgebung aus aktueller und situativer Betroffenheit nicht zu. Ich begrüße die -erwähnte Demonstration der Asylbewerber und unterstütze das Anliegen, die Residenzpflicht zu überdenken. Dies muss aber einem politischen Konzept folgen und die rechtlichen Auswirkungen nach allen Seiten berücksichtigen. Ein spontaner Impuls reicht für ein belastbares Gesetzgebungsverfahren nicht aus – und genau deswegen werden die Gesetze in den zuständigen Ministerien zur Zeit überarbeitet. Persönlich werde ich mich dafür einsetzen, dass Ergebnisse zeitnah und konkret vorgelegt werden. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) zur Abstimmung über den Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens (Zusatztagesordnungspunkt 5 b) Ich habe den Anträgen auf Genehmigung der Durchführung von Strafverfahren gegen meine Kolleginnen und Kollegen Sevim Da?delen, Inge Höger, Jan van Aken und Dr. Diether Dehm nicht zugestimmt. Dazu will ich erklären: Erstens. Die Immunität von Abgeordneten gehört ebenso wie die freie und geheime Wahl, das Rede- und Stimmrecht und der Schutz der Person zu den elementaren Parlamentsrechten. Die Immunität aufzuheben, sie besteht konkret und grundsätzlich, bedarf es aus meiner Sicht drastischer Vorhaltungen. Die Genannten haben -jedoch von ihren Bürgerrechten Gebrauch gemacht. Ihre Zivilcourage verdient Schutz und Anerkennung, nicht Verfolgung. Wer die Rechte von Parlamentariern einschränkt, schränkt das Parlament ein und damit die Volkssouveränität. Deshalb habe ich den Anträgen nicht zugestimmt. Zweitens. Art und Weise wie Form und Inhalt von Protesten und Demonstrationen unterliegen einem beständigen Wandel, so wie auch die Gesellschaft sich wandelt. Gleichermaßen bleibt das Prinzip der Gewalt-losigkeit. Denken Sie zum Beispiel an das Mittel der Blockade. Diese Protestform ist mit den Blockaden in Mutlangen aufgekommen und danach an vielen anderen Orten angewandt worden. Heute ist auch diese Protestform gesellschaftlich weitgehend akzeptiert, und Verfolgungen wurden eingestellt bzw. gar nicht erst eingeleitet. Unrühmliche Ausnahme ist allerdings die Verfolgung der Naziblockierer und Naziblockiererinnen von Dresden durch die sächsische Staatsanwaltschaft. Auch das „Schottern“ findet weit mehr gesellschaftliche Akzeptanz, als den Behörden dieses Landes lieb ist. Weder die konkrete, öffentliche Aktion noch die öffentlich geäußerte Sympathie darf aus meiner Sicht verfolgt werden. Deshalb habe ich den vorliegenden Anträgen nicht zugestimmt. Drittens. Auch die Provokation, die Überzeichnung von Zuständen, ist ein zulässiges Mittel des Protestes, der Politik und Kunst. Ohne die Provokation gäbe es heute zum Beispiel keine gesellschaftliche Mehrheit für eine Energiewende. Da ich für den Ausstieg aus der Kernenergie bin, kann ich einer Verfolgung von Atomkraftgegnerinnen und -gegnern nicht zustimmen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 (Tagesordnungspunkt 8) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Mit der derzeitigen Behandlung von Streubesitzdividenden verstößt das deutsche Steuerrecht gegen europäische Rechtsprechung. Es handelt sich um eine Benachteiligung von ausländischen Kapitalgesellschaften mit Sitz im EU/EWR-Raum. Bisher wird eine Abgeltungsteuer auf Dividendenzahlungen an ausländische Unternehmen bei einer Beteiligung von unter 10 Prozent erhoben. Dabei wird eine Kapitalertragsteuer von 25 Prozent, bei Vorhandensein eines Doppelbesteuerungsabkommens von 15 Prozent, einbehalten. Auch bei inländischen Unternehmen wird die Kapitalertragsteuer erhoben; sie wird jedoch mit der Körperschaftsteuer verrechnet. So wird eine Mehrfachbesteuerung vermieden. Bei ausländischen Unternehmen hat der Kapitalertragsteuereinbehalt hingegen grundsätzlich abgeltende Wirkung. Der EuGH hat eine Korrektur dieser ungleichen Behandlung von inländischen und ausländischen Kapitalgesellschaften gefordert. Dieser Forderung tragen wir nun Rechnung. Die Ungleichheit muss beseitigt werden. Das gehört zur Steuergleichheit und Steuergerechtigkeit. Hierfür hat die Koalition einen Gesetzentwurf vorgelegt, der von einer großen Mehrheit der Sachverständigen begrüßt wurde, weil er eine korrekte, förderliche und gerechte Lösung präsentiert. Das Grundanliegen des Gesetzentwurfs ist es, die Bestimmungen zur Erstattung der Kapitalertragsteuer an die Vorgaben des EuGH anzupassen. Wir erreichen die Gleichstellung von ausländischen und inländischen Kapitalgesellschaften dadurch, dass wir die ausländischen mit der bestehenden Freistellung der inländischen gleichstellen. So beseitigen wir den europarechtswidrigen Zustand auch rückwirkend. Es ist richtig, dass dies erstens Steuermindereinahmen bedeutet und zweitens eine rückwirkende Erstattung deutscher Kapitalertragsteuer an ausländische Kapitalgesellschaften mit Sitz im EU/EWR-Raum stattfindet. Der Steuergesetzgeber kann sich nicht von willkürlichen Steuermehreinnahmewünschen leiten lassen. Steuerpolitik benötigt auch die Akzeptanz der Wirtschaft. Natürlich ist die im Gesetzentwurf vorgesehene Erstattungsregelung – wie bereits bei unseren österreichischen Nachbarn – an klare Bedingungen geknüpft: Die Erstattung auf Antrag kommt nur dann infrage, wenn die ausländische Kapitalgesellschaft nachweist, dass die deutsche Kapitalertragsteuer im Ausland weder angerechnet noch als Betriebsausgabe abgezogen worden ist. Es wird keine doppelte Entlastung geben. Wir setzen die Vorgabe des Europäischen Gerichtshofs zugunsten der Steuerpflichtigen um, ohne dass deutschen Unternehmen zusätzliche Steuerlasten auferlegt würden – im Gegensatz zu Teilen der Opposition, die neue Belastungen durch Steuererhöhungen durchsetzen will. Rot-Grün will die Gleichstellung dadurch schaffen, dass die inländische Steuerbefreiung aufgehoben wird. Sie müssen doch einsehen, dass deutsche Unternehmen bei dieser Variante erheblich belastet würden! Gerade junge Unternehmen in der Gründungsphase, Kleinanleger und vor allem auch Versicherungen wären betroffen. Junge Unternehmen wie Start-ups sind auf mehrere Investoren angewiesen. Wenn wir den Streubesitz besteuern, dann wird diese Finanzierung erschwert. Der Vorschlag des Bundesrates würde dem Wirtschaftsstandort Deutschland erheblichen Schaden zufügen. Die Steuerpflicht für Streubesitzdividenden würde zu einer systemwidrigen Mehrfachbesteuerung desselben Gewinns und damit zu drastischen Steuererhöhungen führen. Wird der Gewinn über mehrere Beteiligungsstufen ausgeschüttet, entsteht hierdurch ein Kaskadeneffekt. Das bedeutet, dass mit jeder Ebene, über die ein Gewinn innerhalb eines Unternehmens weitergereicht wird, auch die Besteuerungsstufen kulminieren. Bereits bei einer weiteren Tochterebene und damit zwei Ebenen würde die Steuerbelastung bei 64 Prozent anstatt bei der Normalsteuerlast von 49,5 Prozent liegen. Massiv und ungerechtfertigt getroffen durch den Kaskadeneffekt wären insbesondere die Verbundstrukturen der Sparkassen sowie der Volks- und Raiffeisenbanken – aufgrund der dezentralen Struktur werden Regional- und Spitzeninstitute, Dienstleister und andere Verbundunternehmen von einer Vielzahl kleinerer Institute „getragen“, die somit zwangsläufig nur Minderheitsbeteiligungen halten –, Venture-Capital- und Private-Equity-Finanzierungen, der deutsche Aktienmarkt – denn es steht zu befürchten, dass sich private und institutionelle Anleger aus Renditegründen in erheblichem Umfang zurückziehen könnten; ich denke hier auch an mögliche panische Beteiligungsverkäufe –, die betriebliche Altersvorsorge, da Pensionsverpflichtungen großer Arbeitgeber auch mit Streubesitzbeteiligungen unterlegt sind. Angesichts der gerade in der letzten Zeit geführten Debatte über eine ausreichende Alterssicherung frage ich mich, wie die Bundesländer ernsthaft über eine Aufhebung der Steuerbefreiung von Streubesitzdividenden nachdenken können. Die Einführung einer Schedulenbesteuerung, wie sie vom Bundesrat vorgeschlagen worden ist, würde die Unternehmensbesteuerung erheblich verkomplizieren, was im Widerspruch zum Koalitionsvertrag steht. Würde der Vorschlag der Bundesländermehrheit umgesetzt, könnten sich Unternehmen entschließen, ihre Hauptniederlassung aus Deutschland hinaus zu verlegen. So würden dem deutschen Haushalt zukünftige Steuereinnahmen entgehen. Die Diskriminierung von ausländischen Kapitalgesellschaften wollen Teile der Opposition also dadurch beseitigen, dass zum einen deutsche Unternehmen erheblichen Steuermehrbelastungen ausgesetzt werden und zum anderen der Wirtschaftstandort Deutschland seine Attraktivität einbüßt. Diese falsche Politik der Steuererhöhung lehnen wir entschieden ab. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gelingt es uns, einen fiskalisch vertretbaren Weg einzuschlagen. So werden wir den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs gerecht, ohne deutschen Unternehmen zusätzliche, sachlich nicht gerechtfertigte Lasten aufzubürden. Es ist der richtige Weg, um Investitionen und Unternehmen nicht aus unserem Land zu vertreiben, sondern sie hier zu halten. Dieser Grundsatz unserer Steuerpolitik dient dem Wachstum und den Arbeitsplätzen in Deutschland. Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Mit dem von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurf setzen wir Vorgaben aus dem EuGH--Urteil vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 um. Der vom EuGH beanstandete unionsrechtswidrige Zustand wird, auch mit Wirkung für die Vergangenheit, beseitigt. Die von dem EuGH-Urteil betroffenen ausländischen EU-Körperschaften werden von der Kapitalertragsteuer bei Vorliegen der Voraussetzungen entlastet. Die Vorgaben des EuGH werden punktgenau umgesetzt. Eine Erstattung erfolgt allerdings nur, soweit nachgewiesen wird, dass die deutsche Kapitalertragsteuer im -Ausland weder angerechnet noch als Betriebsausgabe abgezogen worden ist oder zukünftig steuerlich berücksichtigt werden kann. Durch die Umsetzung der Formulierungshilfe dürfte es in den Kassenjahren 2013 und 2014 zu einer Erstattung von Kapitalertragsteuer in einer Größenordnung von rund 1,5 Milliarden Euro kommen. Darin sind die Er-stattungen für die Altfälle enthalten. In den darauffolgenden Jahren wird das Volumen der jährlichen Erstattungen auf eine Größenordnung von bis zu 650 Millionen Euro pro anno geschätzt. Die Erstattungen belasten zur Hälfte den Bundeshaushalt. Die Steuerfreiheit von konzerninternen Dividenden ist keine Begünstigung von Unternehmen, sondern eine rein technische Umsetzung des Teileinkünfteverfahrens. Dieses Teileinkünfteverfahren ist mit der Unternehmensteuerreform 2008 von der Großen Koalition eingeführt worden. Danach soll die Besteuerung von Kapitalgesellschaftsgewinnen in einem ersten Schritt bei der Kapitalgesellschaft und in einem zweiten Schritt als Dividende erst bei Ausschüttung an den privaten Gesellschafter erfolgen. In Beteiligungsketten sollte sichergestellt sein, dass es bei einer Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerbelastung von zusammen 30 Prozent so lange bleibt, bis der Gewinn die Ebene der Körperschaft verlässt und an eine natürliche Person ausgeschüttet wird. Wenn Sie dieses System der Steuerfreiheit konzerninterner Dividenden aufmachen, würde das zu einer systemwidrigen Überbesteuerung führen, da Gewinne bereits vor Ausschüttung an den Gesellschafter auf der Ebene der Kapitalgesellschaft mehrfach besteuert würden. Bei Ausschüttungen über mehrere Konzernebenen kann es dabei zu erheblichen Kaskadeneffekten kommen. Bisher liegt die Gesamtbelastung bei 49,5 Prozent Steuern – 30 Prozent auf Ebene der Körperschaft und 29,5 Prozent auf der Ebene privater Gesellschafter – 25 Prozent Abgeltungsteuer plus 5,5 Prozent Soli. Bei dem Vorschlag des Bundesrates würden die Ausschüttungen konzernintern auf jeder Mutter-Tochter-Stufe immer wieder besteuert. Bei zwei Konzernebenen wären wir bei 64 Prozent Gesamtbelastung, bei drei Ebenen bei 76 Prozent und bei vier Ebenen bei 83 Prozent. Das Bundesratsmodell würde deshalb eine Welle von gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen auslösen. Die Anhörung hat gezeigt, dass vor allem im Bereich der Fondsbesteuerung die entstehenden Nachteile verheerend wären: Insbesondere in der betrieblichen Al-tersvorsorge würden die zusätzlichen Belastungen die Kapitalerträge mindern und zwangsläufig zu einer Absenkung der betrieblichen Versorgungsleistungen führen. Von deutschen Unternehmen gegebene Pensionszusagen werden häufig mittels Wertpapieranlagen gedeckt. Diese Wertpapieranlagen bestehen dabei typischerweise auch aus Aktien. Aufgrund der vorgebenden und angestrebten -Risikostreuung werden regelmäßig nur Streubesitzbeteiligungen gehalten. Diese langfristige und risikodiversifizierte Aktienanlage steigert die Rendite des zur Deckung der Pensionszusagen dienenden Wertpapierportfolios. Aufgrund der definitiven Vorbelastung wären zudem Fondsanlagen steuerbefreiter institutioneller Anleger – Kirchen, Stiftungen, steuerbefreite Pensions- und Unterstützungskassen – generell benachteiligt. Der negative Anreiz von Minderheitsbeteiligungen unterhalb von 10 Prozent würde auch Start-ups in besonderer Weise treffen. Oft werden in diesen Bereichen zur Festigung der Unternehmensbeziehungen, aber auch zur Stärkung des Eigenkapitals Beteiligungen von unter 10 Prozent eingegangen. Eine Steuerpflicht der Erträge aus diesen Beteiligungen würde ein solches Engagement deutlich unattraktiver machen. Dadurch würden erfolgreiche Start-ups in ihren Investitionen ausgebremst. Um die vom EuGH konstatierte Europarechtswidrigkeit des derzeitigen Steuerrechts zu bereinigen, muss zwar die Ungleichbehandlung zwischen einem ausländischen und einem inländischen Anteilseigner beseitigt werden. Dies darf aber nicht dadurch geschehen, dass die Inländerbesteuerung verschlechtert wird. Stattdessen muss Deutschland die Besteuerungssituation ausländischer Anteilseigner verbessern. Dies kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass Deutschland die Kapitalertragsteuer erstattet, die die ausschüttende deutsche Gesellschaft an das Finanzamt abgeführt hat. In Österreich ist dieses Modell bereits Gesetz. So sollten wir es jetzt hier bei uns installieren. Unternehmensteuerrecht steht zunehmend im internationalen Wettbewerb. Wir haben im Moment ein gutes, wettbewerbsfähiges Steuerrecht. Diesen Standortvorteil sollten wir nicht gefährden – nicht im Interesse von -Unternehmen oder irgendwelchen Managern, sondern im Interesse der Arbeitsplätze und der Steuereinnahmen, die wir damit sichern. Das Steuermodell des Bundesrates würde dem Standort Deutschland massiv schaden. Zahlreiche Unternehmen würden ihren Konzernsitz ins europäische Nachbarland verlegen. Solche Sitzverlegungen sind heute schnell gemacht. Massive Steuerausfälle -wären die Folge. Dann hätten wir wirkliche Steuerausfälle, die wir vermeiden, wenn wir den Entwurf dieser Koalition umsetzen. Deshalb sollten wir diesem Gesetzentwurf zustimmen! Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Wir beraten heute in abschließender Lesung den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Neuregelung der Besteuerung von Dividendenausschüttungen auf Unternehmens-anteile, die sich in Streubesitz befinden. Ich hätte mir gewünscht, dass wir die Beratungen zu diesem Gesetz heute noch nicht abschließen, da nach unserer Einschätzung und der Meinung vieler Sachverständiger wichtige Fragen nicht geklärt sind. Die Koalitionsfraktionen haben eine gute Gelegenheit vergeben, im Dialog mit den anderen Fraktionen und den Bundesländern zu einer Lösung zu kommen, die sowohl den Vorgaben der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs gerecht wird, als auch den fiskalischen Interessen von Bund und Ländern dient. Da die Sachlage nicht ganz einfach ist, will ich einige einleitende Bemerkungen zur Erläuterung vorausschicken. Die Besteuerung von Streubesitzdividenden muss im Zusammenhang mit dem Körperschaftsteuersystem betrachtet werden. Seit dem europarechtlich gebotenen Systemwechsel mit der Aufgabe des Vollanrechnungsverfahrens sind in- und ausländische Beteiligungserträge bei Körperschaften steuerfrei. Diese Befreiung erfolgt, da die Steuerbelastung auf der Ebene der Körperschaften endgültig verbleibt und nicht mehr mit der Steuerschuld des Anteilseigner verrechnet wird. Ohne diese Befreiung würde es bei Unternehmensverbünden zu einer Mehrfachbesteuerung kommen, wenn ein Gewinn über mehrere Stufen von einer Konzerngesellschaft zu einer anderen Konzerngesellschaft ausgeschüttet wird. Wir sprechen vom Kaskadeneffekt, der die komplette Dividende bei wiederholtem Kapitalertragsteuerabzug auf die sogenannte Schachteldividende schnell aufzehren würde. Hier sind also Verschonungen in großem Umfang – mit guter Begründung – vorgesehen. Die europäische Mutter-Tochter-Richtlinie schreibt vor, dass Schachteldividenden, die infolge einer strategischen Beteiligung einer Kapitalgesellschaft an einer anderen erzielt werden, vom Steuerabzug ausgenommen werden müssen. Außerhalb von Konzernverbünden ist eine solche Steuerbefreiung hingegen nicht gerechtfertigt. Folgerichtig ist bei sogenannten Streubesitzdividenden, die durch eine Beteiligung von unter 10 Prozent gekennzeichnet sind und deshalb in Konzernstrukturen keine Bedeutung haben, eine Besteuerung zulässig. Die „Lücke“ zwischen Streubesitzbetrachtung und Schachtelbeteiligung entsteht leider infolge der EU-Regelungen in der Mutter-Tochter-Richtlinie – damit ist uns eine andere Definition von Streubesitz oberhalb der 10 Prozent nicht möglich. Anlass für den vorliegenden Gesetzentwurf ist die Beanstandung der in Deutschland bislang geltenden Besteuerung von Streubesitzdividenden durch den Europäischen Gerichtshof. Der Kapitalertragsteuerabzug wird unabhängig von der empfangenden Körperschaft durchgeführt. Inländische Körperschaften können die einbehaltene Kapitalertragsteuer im Rahmen der Körperschaftsteuerveranlagung in voller Höhe anrechnen. Bei ausländischen Körperschaften ohne inländische Betriebsstätte hat der Kapitalertragsteuerabzug hingegen grundsätzlich definitive Wirkung. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 20. Oktober 2011 entschieden, dass die Abgeltungswirkung der Kapitalertragsteuer bei ausländischen Körperschaften eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung und einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit darstellt. Auch die mögliche Anrechnung der Kapitalertragsteuer im Empfängerland ist nach Ansicht des Gerichts nicht ausreichend, um die Diskriminierung zu heilen. Da bei Schachteldividenden an EU-Körperschaften nach der Mutter-Tochter-Richtlinie kein Kapitalertragsteuerabzug erfolgt, sind von der Problematik im Ergebnis nur Streubesitzdividenden betroffen. Bezogen auf die unterschiedliche Behandlung von inländischen und ausländischen Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften hat der Europäische Gerichtshof, EuGH, entschieden, dass hier künftig eine Gleichbehandlung bei der Steuerbelastung der Dividenden erfolgen muss. Der EuGH lässt dabei allerdings die unterschiedliche Behandlung der Gewerbesteuer unberücksichtigt. Derzeit werden zwei Wege diskutiert, wie die unzulässige Diskriminierung beseitigt werden kann: Erstens. Die CDU/CSU-FDP-Koalition schlägt in ihrer Gesetzesinitiative eine Steuerbefreiung auch für ausländische Streubesitzdividenden vor. Zweitens. Dagegen spreche ich mich – in Übereinstimmung mit dem Bundesrat – aus Gründen der Steuergerechtigkeit und auch aus fiskalischen Erwägungen für die Aufhebung der Steuerbefreiung für inländische Streubesitzdividenden aus. Einer solchen Besteuerung steht das Problem der Mehrfachbesteuerung in Konzernverbünden nicht entgegen, denn Schachteldividenden, das heißt Beteiligungen oberhalb der 10-Prozent-Schwelle, bleiben weiterhin steuerfrei. Sie entspricht vielmehr dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Außerdem würde eine Steuerbefreiung ausländischer Streubesitzdividenden zu hohen jährlichen Steuerausfällen führen. Diese Gründe haben auch andere Länder zu einer Besteuerung von Streubesitzdividenden bewogen. Dies ist zum Beispiel in Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Polen, aber auch in den USA der Fall. Die Steuerfreiheit von Streubesitzdividenden finden wir hingegen in England, Estland, Österreich oder Ungarn. Mit neuen Belastungen müssen bei diesem zweiten Vorschlag zur Beseitigung der Steuerbefreiung inlän-discher Dividendenbezieher vor allem Wagnisbeteiligungsgesellschaften rechnen. Dies gilt wohlgemerkt nur dann, wenn sie nicht schon – wie in vielen Fällen üblich – eine Beteiligung von über 10 Prozent halten oder sie über diese Grenze anheben können. Bei Wagnisbeteiligungsgesellschaften allerdings, die geringere Beteiligungen halten, sind im Ergebnis höhere Steuern zu erwarten. Für diese Fälle müssen wir überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, die wichtige Gründerszene – insbesondere in der Internetwirtschaft – zu unterstützen. Ich komme auf die Auswirkungen auf die Gründerszene später noch einmal genauer zurück. Statt nach einer europarechtskonformen Lösung für Deutschland zu suchen, die den deutschen Fiskus nicht belastet – und wir reden über eine Belastung von mehr als einer halben Milliarde Euro –, haben die Koalitionsfraktionen bzw. die Bundesregierung eilfertig einen Vorschlag vorgelegt, der darauf hinausläuft, die ausländischen Wagnisbeteiligungen von der Dividendenbesteuerung freizustellen. Unter Verzicht auf mehr als eine halbe Milliarde Steuereinnahmen wird hier also eine scheinbare Gleichbehandlung von ausländischen und inländischen Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften hergestellt – und dies nur, weil der EuGH die gewerbesteuerliche Vorbelastung außer Acht lässt. Hier wäre es Aufgabe der Regierung und der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP gewesen, intelligente Lösungen zu suchen, die auf die besonderen Verhältnisse in Deutschland Rücksicht nehmen. Dabei geht es nicht nur um die Besonderheiten rund um die Gründerszene, sondern auch um die Probleme, die sich im Zusammenhang mit kreditwirtschaftlichen Verbundgruppen ergeben. Zunächst zu den kreditwirtschaftlichen Verbundgruppen: Wollen wir den enormen Steuerausfall von über einer halben Milliarde Euro vermeiden, ist der Vorschlag des Bundesrats, die inländischen Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften ebenso zu besteuern wie die ausländischen, ein sehr guter Vorschlag. Das hätte allerdings zur Folge, dass die damit zusammenhängenden Streubesitzdividendenregelungen zu einer Doppelbesteuerung bisher im Verbund erzielter Gewinne führen würden. Somit wären kreditwirtschaftliche Verbundsysteme – ich nenne als Beispiel Sparkassen – gegenüber Konzernstrukturen benachteiligt. Dies wäre eine Ungerechtigkeit, die doch einige Fantasie erfordert, um sie zu vermeiden. Es würde sich lohnen, hier einmal nachzuschauen, wie andere Länder, die sich ebenfalls an der Entscheidung des EuGH zu orientieren haben, solche Probleme lösen. Der Blick nach Frankreich zeigt uns, dass dort spezielle Ausnahmeregelungen für kreditwirtschaftliche Verbundgruppen helfen, solche Schwierigkeiten aufzulösen. Dort gibt es etwa Befreiungen für bestimmte Strukturen, die die erforderliche Mindestbeteiligungsgrenze von 10 Prozent nicht überschreiten. Ich möchte als Beispiel die Banken Crédit Agricole, Crédit Mutuel, Banque Populaire und Caisse d’Epargne nennen. Mit diesem europarechtskonformen Ansatz könnten wir die besonderen Zusammenhänge in deutschen Verbundgruppen hinsichtlich Haftungsfragen, auch hinsichtlich von Fragen rund um den Werbeauftritt oder die Gemeinwohlorientierung, lösen. Auf diesem Weg könnten wir auch die Beteiligungen der Sparkassen an ihren Verbundunternehmen mit Blick auf die Besteuerung von Streubesitzdividenden entsprechend berücksichtigen. Eine ähnliche Aufgabe besteht im Zusammenhang mit der Gründerszene. Bedenken gegen eine Belastung von Existenzgründern sind dabei sehr ernst zu nehmen. Wollen wir den Industriestandort voranbringen, wollen wir die Innovationsdynamik beschleunigen, haben Existenzgründer im Umfeld von guter Bildung, guter Arbeit und guter Forschung eine sehr wichtige Aufgabe. Mit Blick auf die unsicheren Aussichten vieler Banken fehlt es sicher an Risikobereitschaft bei der Kreditvergabe an Existenzgründer, und wir sind froh, wenn diese Lücke von sogenannten Business Angels oder Wagniskapitalgesellschaften geschlossen wird. Andererseits sind die Business Angels nicht nur Angels; ihr erhöhtes Risiko verbinden sie natürlich mit der Erwartung gewisser Erträge, und es stellt sich die Frage, wie wir mit den mög-lichen Verlusten und Gewinnen aus diesem Engagement umgehen. Dabei ist es wesentlich, darauf zu achten, wie diese Begriffe definiert werden. Selbst in der Anhörung des Finanzausschusses wurde hier nicht sauber zwischen Business Angels und Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften getrennt. In der Anhörung mussten wir zeitweilig den Eindruck haben, als ob auch private Geldgeber von dem Thema Streubesitzdividendenbesteuerung betroffen wären. Das ist aber nicht der Fall, denn tatsächlich geht es hier nur um Beteiligungen zwischen Ge-sellschaften und damit um Dividenden, die an Körperschaften – Aktiengesellschaft, GmbHs etc. –, jedenfalls Unternehmen, ausbezahlt werden. Sorgen hinsichtlich der Auswirkungen der Aufhebung der Steuerbefreiung inländischer Streubesitzdividenden auf die Gründerszene sind somit nur teilweise begründet, da die Steuerpflicht nur für Beteiligungserträge von -Körperschaften und nicht für Privatpersonen gilt. Bei Einkommensteuerpflichtigen, die Streubesitzerträge im Betriebsvermögen erzielen – Personengesellschaften, Einzelunternehmer – und bei Veräußerungen von Anteilen im Privatvermögen, die mindestens 1 Prozent betragen, gilt das Teileinkünfteverfahren mit einer Steuerpflicht von 60 Prozent der Erträge. Soweit die sogenannten Business Angels der Einkommensteuerpflicht unterliegen, sind sie von der Neuregelung nicht betroffen. Das Drama besteht darin, dass es weder Bundesregierung noch Koalitionsfraktionen für nötig befunden haben, solche Besonderheiten der Unternehmenslandschaft in Deutschland bei gleichzeitiger Rücksichtnahme auf unsere fiskalischen Aufgaben – wir arbeiten immerhin im Finanzausschuss – zu berücksichtigen. Wie lohnend wäre es gewesen, wenigstens die naheliegendsten Fragen zu klären, bevor man einfach vorschlägt, auf eine halbe Milliarde Euro Steuereinnahmen von ausländischen Gesellschaften zu verzichten. Mit Blick auf die Prüfung alternativer Lösungen wäre etwa die Klärung, ja die Beantwortung folgender Fragen wichtig gewesen: In welchen EU-Mitgliedstaaten ergibt sich aus dem oben genannten Urteil gesetzgeberischer Handlungsbedarf, und welche Schlussfolgerungen werden in anderen Ländern gezogen, um die Europarechtskonformität herzustellen? Welche EU-Mitgliedstaaten verfügen über steuerrechtliche Regelungen, die den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs, EuGH, genügen, und wie sind diese ausgestaltet? Mit Antworten auf solche einfachen Fragen wären wir eine guten Schritt weiter. Zusammenfassend: Mit Blick auf die hohen Steuerausfälle lehnen wir Ihren Entwurf zur vollständigen Steuerfreistellung aller Dividenden auf Streubesitz ab und unterstützen die Vorschläge des Bundesrates zur Besteuerung der Streubesitzdividenden. Mit unserer Enthaltung wollen wir deutlich machen, dass wir mit Blick auf die oben beschriebenen Probleme für Beteiligungen an Verbundunternehmen und mit Blick auf die Gründerszene nicht davon ausgehen, dass mit der heutigen -Entscheidung der Regierungskoalitionen ein zukunfts-fähiges Besteuerungsmodell für Streubesitzdividenden gefunden wurde. Dr. Daniel Volk (FDP): Der Gesetzentwurf zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 klingt zwar nach einem steuertechnischen Gesetz, aber von diesem Gesetz sind viele Unternehmen und Bürger in Deutschland betroffen. Das EuGH-Urteil vom 20. Oktober 201 1 stellt die Benachteiligung ausländischer Kapitalgesellschaften mit Streubesitzbeteiligung an einer deutschen Aktiengesellschaft und damit einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit fest. Dies betrifft alle Beteiligungen unter 10 Prozent, also den sogenannten Streubesitz, und damit greift die Mutter-Tochter-Richtlinie nicht. Bisher wurden 25 Prozent Kapitalertragsteuer plus Soli – bzw. 15 Prozent beim Vorliegen eines DBA – auf Dividenden an ausländische Unternehmen einbehalten, wohingegen bei reinen Inlandssachverhalten die Abgeltungsteuer mit der Körperschaftsteuer verrechnet werden konnte. Da die ausländischen Unternehmen aufgrund ihrer Nichtveranlagung im Inland nicht möglich war, werden diese damit schlechtergestellt. Mit dem Gesetz soll die steuerliche Ungleichbehandlung von Zahlungen aus Streubesitzdividenden beseitigt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf beseitigt den unionsrechtswidrigen Zustand. CDU/CSU und FDP streben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Erstattung der -Kapitalertragsteuer für ausländische Körperschaften an, wenn keine Verrechnung im Anteilseignerstaat möglich ist. Damit wird die Steuerfreiheit der inländischen Streubesitzdividenden auch auf Tatbestände mit Auslandsbezug angewandt. Allerdings orientieren wir uns an dem österreichischen Modell, bei dem eine Steuererstattung nur auf Antrag möglich ist, wenn keine Anrechnung der Steuer im Ausland zulässig ist. Wir verhindern damit eine Steuermehrbelastung für deutsche Unternehmen und kommen unserem Versprechen nach, ohne Steuererhöhung auszukommen. Des Weiteren ist die bisherige Regelung der Steuerfreistellung sinnvoll und hat sich bewährt. Die Besteuerung der Streubesitzdividenden ist eine systemwidrige Mehrfachbesteuerung desselben Gewinns und führt bei mehreren Beteiligungsstufen zu einem Kaskadeneffekt mit einer Steuerbelastung in Höhe von 75 Prozent, da sich die Steuerlast für denselben Gewinn bei der Verschachtelung mehrerer Unternehmen immer weiter erhöht. Weiterhin käme es zu einer Doppelbesteuerung der ausschüttenden Gesellschaft und der empfangenden Gesellschaft. Dies ist mit vernünftiger Wirtschafts-, Finanz- oder Steuerpolitik nicht zu vereinbaren. Was will die Opposition? Sie will Beteiligungserträge aus Streubesitz, und zwar Dividenden und Veräußerungsgewinne, auch im Inland steuerpflichtig machen. Der Vorschlag geht genau ins Gegenteil und würde vor allem die private und betriebliche Altersversorgung – Pensionsverpflichtungen sind mit Streubesitzbeteiligungen unterlegt – treffen. Ebenso würde die Finanzierung von Start-up-Unternehmen – durch Minderheitsbeteiligungen anderer Kapitalgesellschaften – schwieriger, und es entsteht eine Benachteiligung von Aktieninvestitionen gegenüber anderen Unternehmensfinanzierungen. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Der vorliegende Gesetzentwurf behandelt eine schwer verständliche steuerliche Problematik. Es geht um die steuerliche Behandlung von Dividenden zwischen verbundenen Kapital-gesellschaften, bei denen die Mutter im Ausland und die Tochter im Inland liegt. Die bisherige steuerrechtliche Behandlung in diesen Fällen auf deutscher Seite führte zu einem Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU gegen Deutschland und mündete letztlich in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes, EuGH, vom 20. Oktober 2011. Der EuGH kritisierte die unterschiedliche steuerliche Behandlung von inländischen und ausländischen Kapitalgesellschaften. Dies verstoße gegen die Kapitalverkehrsfreiheit. Daher verlangt der EuGH auch die rückwirkende Erstattung für alle noch nicht bestandskräftig veranlagten Fälle. Da der EuGH die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit über alles stellt, bemängelt er selbstverständlich in seiner Logik zu Recht die Ungleichbehandlung von inländischen und ausländischen Kapitalgesell-schaften. Über den volkswirtschaftlichen Sinn und Nutzen solcher Konstruktionen, verschachtelte Beteiligungen von Unternehmen, lässt sich sicher streiten. Aber auch wenn man das so akzeptiert, gäbe es trotzdem drei Lösungen. Bevor ich aber zu diesen kommen, noch einmal kurz, worum es konkret geht: Es geht um die steuerliche Behandlung ausgeschütteter Dividenden. Generell gilt, dass Dividenden, die von einer Kapitalgesellschaft an eine andere ausgeschüttet werden, auf der Ebene des empfangenden Unternehmens zu 95 Prozent von der Körperschaftsteuer befreit sind, § 8 b Abs. 1 und 5 KStG. Damit soll letztlich eine Mehrfachbesteuerung durch die Körperschaftsteuer vermieden werden. Jedoch unterliegen diese Dividendenausschüttungen zwischen Kapitalgesellschaften nach § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG der Kapitalertragsteuer, allgemein nur bekannt als Abgeltungsteuer. Dies stellt für inländische Kapitalgesellschaften keine endgültige Belastung dar, auch nicht für ausländische Kapitalgesellschaften, die im Inland über eine Betriebsstätte verfügen. Steuerbelastend wirkt es nur für im Ausland ansässige Kapitalgesellschaften, die über keine inländische Betriebsstätte verfügen. Beispielsweise wenn die empfangene Kapitalgesellschaft außerhalb des EU/EWR-Raums ansässig ist oder wenn sie innerhalb der EU oder des EWR ansässig ist und ihre Beteiligung an der die Dividenden auszahlenden inländischen Tochter unter 10 Prozent liegt. Nun, welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? Der erste Lösungsvorschlag ist der der Bundesregierung, welcher das Problem übrigens lange bekannt ist. Bereits im Dezember 2011 befragten wir die Bundesregierung zu dieser Problematik. Es war seit dem Urteil ausreichend Zeit, hier aktiv zu werden. Nun soll wieder einmal alles übers Knie gebrochen werden. Nach der Bundesregierung soll für alle EU/EWR-Kapitalgesellschaften die Anrechnung und Erstattung der Abgeltungsteuer auf inländische Dividenden gewährt werden. Das kostet allein rückwirkend rund 2 Milliarden Euro und bedeutet für die kommenden Jahre eine Belastung zwischen 500 und 750 Millionen Euro. Außerdem betrifft die Regelung nur einen relativ kleinen Kreis von Unternehmen. Das ist für uns die schlechteste aller Lösungen. Denn mit dieser Regelung wird ein bereits bestehendes Steuerprivileg ausgebaut. Unserer Meinung nach gehört die heute bereits bestehende körperschaftsteuerliche Befreiung für Kapitalgesellschaften prinzipiell auf den Prüfstand, statt sie hier kritiklos auszubauen. Zwar sehen Sie im Gesetz gewisse Einschränkungen zur Gewährung der Steuerbefreiung vor, die gut gemeint sind. Jedoch werden sie in der Praxis sicher nicht wie gedacht funktionieren, da sie durch ihre Komplexität und Kompliziertheit gestaltungs- und streitanfällig sind. Das wurde auch in der Anhörung zu diesem Gesetz deutlich. Fakt ist damit: Sie ermöglichen mit diesem Gesetz neue Steuergestaltungsmodelle. Zwar unterliegen inländische Dividenden, die an private Steuerausländer fließen, grundsätzlich der Abgeltungsteuer. Zukünftig kann diese aber durch geschickte Zwischenschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft leichter umgangen werden. Sie schaffen damit weitere Umgehungsmöglichkeiten. Der zweite Vorschlag ist der des Bundesrates. Dieser will die Steuerbefreiung für Kapitalerträge aus Streubesitz bis zu einer Beteiligungshöhe von 10 Prozent generell aufheben. Dies entspräche der Regelung nahezu aller europäischen Staaten, wonach die Steuerfreiheit für Dividenden und Veräußerungsgewinne nur bei Überschreiten einer Mindestbeteiligungsquote zu gewähren ist. Diese Lösung würde bei verschachtelten Beteiligungen zu einer Mehrfachbesteuerung führen und verringert somit die Attraktivität solcher verschachtelten Beteiligungen. Die dritte Möglichkeit, die wir Ihnen vorschlagen, ist die Rückkehr zum Vollanrechnungsverfahren, das heißt, jede beteiligte Kapitalgesellschaft muss Steuern abführen. Eine Mehrfachbesteuerung wird durch Anrechnung der bereits gezahlten Steuern verhindert. Die Abschaffung der Steuerfreiheit für in- und ausländische Beteiligungserträge ist unseres Erachtens längst überfällig. Die Fraktion Die Linke lehnt den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen aus den eben genannten Gründen ab. Einige Bundesländer kündigten im Übrigen bereits ihren Widerstand gegen den Vorschlag der Bundesregierung an, sodass wahrscheinlich auch wieder der Vermittlungsausschuss angerufen werden muss; das ist bei Ihren Finanz- und Steuergesetzen ja derzeit fast die Regel. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu den Streubesitzdividenden kommt ein Gesetz daher, das uns in den nächsten beiden Jahren insgesamt 3 Milliarden Euro kosten wird und danach jährlich mindestens 600 Millionen Euro. Und dieses Geld geht an ausländische Investoren; da kann auch die notorische Steuersenkerpartei FDP nicht argumentieren, dadurch würde ja die Wirtschaft in Deutschland gestärkt. Schon aufgrund dieser Einnahmeverluste kann dieses Gesetz eigentlich nur abgelehnt werden! In der Anhörung im Finanzausschuss letzte Woche zum vorliegenden Gesetzentwurf wurden unsere Kritikpunkte noch einmal deutlich bestätigt: Der Gesetzentwurf schafft Anreize zur Steuergestaltung, die Europarechtskonformität steht auf wackligen Füßen, und es kommt zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe. Ich habe bei der Einbringung des Gesetzes die Hoffnung geäußert, dass die Bundesregierung hier noch einmal nachbessert. Der Bundesrat hat eine Alternative aufgezeigt, die sicher auch Schwächen hat, aber die letztlich nicht zu den hohen Einnahmeverlusten führen würde. Sich hier hinzustellen und den Gesetzentwurf im gleichen mangelhaften Zustand zur Abstimmung zu stellen, wie er auch vor drei Wochen eingebracht wurde, ist schlicht eine Zumutung. Und in der Anhörung haben wir ja die deutliche Kritik der Experten vernommen. Wichtigster Kritikpunkt war, dass das Gesetz neue Anreize zur Steuergestaltung bietet. Und das ist ganz einfach zu verstehen: Wenn Sie unterschiedlich hohe Steuerniveaus schaffen, wird ein Anreiz gesetzt, dorthin zu gehen, wo die Besteuerung am niedrigsten ist. Das ist die wirklich eklatante Schwäche dieses Gesetzes: Es stellt ausländische Unternehmen bei der Besteuerung von Streubesitzdividenden deutlich besser. Denn ausländische Unternehmen zahlen im Gegensatz zu inländischen keine Gewerbesteuer – das ergibt eine satte Differenz in der Steuerbelastung von 15 Prozent. Bei so einer großen Differenz ist doch die Steuergestaltung vorprogrammiert. Dazu ist ja lediglich das Umhängen der Beteiligung auf eine ausländische Holding erforderlich. Nun ist versucht worden, da Missbrauchsvorschriften einzubauen. Aber die Experten warnen: Diese Missbrauchsvorschriften könnten sich als stumpfes Schwert erweisen. Dieser Gesetzentwurf ist nicht ausgereift. Dies zeigt sich auch noch an einer weiteren Stelle. In der Anhörung gab es deutliche Hinweise von Experten, dass der vorliegende Entwurf nicht europarechtskonform sein könne. Wegen der sogenannten Drittstaatenwirkung der Kapitalverkehrsfreiheit müsse womöglich die Steuerbefreiung von Streubesitzdividenden auf europäische Drittstaaten ausgeweitet werden. Das würde dann zu weiteren Einnahmeverlusten führen. Diese Nachlässigkeit der Koalition könnte für uns noch sehr teuer werden, und das ist einfach nicht akzeptabel. Grundsätzlich hätte es bei der Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes mehr Spielraum gegeben, als uns Schwarz-Gelb hier glauben machen will. Das Urteil wurde vor über einem Jahr gefällt – in einem breiten Dialog hätte man Lösungsansätze prüfen müssen, die zumindest zu einer geringeren Belastung für die öffentlichen Haushalte geführt und nicht so klare Anreize zur Steuergestaltung gesetzt hätten. Wir Grüne haben den Vorschlag gemacht, eine Veranlagungsoption für ausländische Gesellschaften in Deutschland zu schaffen. In Deutschland würde die ausländische Gesellschaft mit ihrer Dividende dann wie ein Inländer zur Körperschaftsteuer und zur Gewerbesteuer veranlagt. Damit würde der Anreiz zur Steuergestaltung vermieden. Auch dieser Ansatz birgt Schwächen, aber ist dieser Vorschlag wirklich sorgfältig geprüft worden? Es liegt uns hier ein schwarz-gelbes Hauruck-Gesetz vor, das teuer für den Staat ist, handwerklich schlecht gemacht ist und Anreize zu mehr Steuergestaltung setzt. Wir werden das Gesetz daher ablehnen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: 20 Jahre Zeichnung der Europäischen Charta Regional- oder Minderheitensprache (Tagesordnungspunkt 14) Serkan Tören (FDP): Leve Herr Präsident, leve Froonslüüd un Mannslüüd, wi snackt hier vondoog in dit hoge Huus een miteenanner wegen de „Europäische Charta över de Reginol- oder Minnerheitensproken“. De is vör een poor Doog 20 Johr oolt worrn. Ziel vun de Charta is de Schuul un de Help vun de Regionol- un Minnerheitensproken. Dit Ziel is wichtig, sünnerlich wenn man bedinkt, dat jümmer mihr Sproken in de globalisierte Welt verloren goht. Fachlüüd goht dorvon ut, dat in de tokomen Tiet een Drüttel von de 6 000 Sproken, de vondoog noch snackt warrt, verloren goht. No 20 Johr vun de Charta is dat nu an de Tiet, eenmol Bilanz to tehn. Wie süht dat in Düütschland ut. In miene norddüütsche Heimot hebbt 1984 5,6 Millionen Minschen angeben, dat se „goot“ bit „sehr goot“ Plattdüütsch snacken künnt. Disse Tohl hett sik bit 2007 – dat is dat Johr von de letzte Erhebung – mihr as halbiert. Mit disse Halbierung is natürlich ok de Sprook ut den Alldag vun de Minschen verswunnen. In annere Regionen mit jümehr Regionol- un Minnerheitensproken warrt dat nich veel anners utsehn. Dissen Verlust vun dat Plattdüütsche mutt Inholt boden warrn. Sprook is Heimot un en Teken vun leevte Alldagskultur. Wenn wi disse leevte Alldagskultur verkümmern loot, verliert wi alltohoop wiet mihr as blots en Sprook. Dat Hochdüütsche is de Sprook, de uns Düütsche von Flensborg in’n Noorden bit no Füssen in’n Süden verbinnt. De regionolen Sproken goht in de Harten vun de Minschen un verbinnt se in jümehr Rebeet. Ik will dat mol so seggen, leve Froonslüüd un Mannslüüd, de düütsche Standardsprook is as en Antog, scheun ober en lütt beten stief. Dat Plattdüütsche is as mien leevsten Pullover: bequeem, villicht ok mol stoppt, ober kommodig. He warmt mien Hart un miene Seel un ik heff em leev un ik will em ok nich missen. Wat könnt wi dorför doon, dat de tonehmen Verlust vun de Regionol- un Minnerheitensproken nich wieder geiht? Grundsätzlich is Kultur jo Sook vun de Länner. Se sünd also in eerster Linie in de Plicht. Erfreulicherwies deit sik hier jo wat. So hebbt all de noorddüütschen Bundslänner Plattdüütsch in jümehr Lihrpläne inbuut. Wat wi ober nich vergeten dröfft, sünd de öörtlichen Verene, de dat Plattdüütsche dagdääglich pleegt. Hier warrt veel privotes Geld un ok Freetiet investiert. Disse Insatz bewiest ober ok, dat de Idee, de Regionol- un Minnerheitensproken to retten, keen dösigen Infall vun de Kulturpolitiker is. In miene Heimot, in’n Landkreis Stood, gifft dat to ’n Bispill den Fördervereen för de Plattdüütsche Sprook „De Plattdüütschen“. Disse Vereen bringt Plattdüütsch in den Alldag vun de Minschen trüch. Disse Vereen angascheert sik afsünnerlich öber den Vörsitter Heinz Mügge, Börgermeester in de Gemeen Düdenbüttel, in Bildungsprojekten för de Sprookförderung, un disse Vereen leist dormit enen wichtigen Bidrag för dat Erholen von uns kulturellet Gedächtnis. Disse kulturelle, bürgerschaftliche Insatz verdeent an disse Steed afsünnerlichen Dank. Leve Kolleginnen un Kollegen, dit is blots een Bispill dorför, dat de Börgerinnen un Börgers ehr Regionol- un Minnerheitensprook schützen un wieterhin quicklebennig holen wüllt. Geevt wi jüm de Stütten öber de Parteigrenzen hinweg. Een Verlust von de Sproken bedüüd ok enen Kulturverlust, un dat dröfft wi nich toloten. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 – Antrag: Universal Periodic Review – Menschenrechtslage in Deutschland auf dem Prüfstand des UN-Menschenrechtsrates (Tagesordnungspunkte 16 a und b) Michael Frieser (CDU/CSU): Was bereits viel zu lange währt, wird nun hoffentlich gut. In dem Gesetzentwurf zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Gerichtshofs vom 17. Juli 1998 wird nun das Verbrechen der Aggression definiert. Dies ist ein wesentlicher Schritt, damit in Zukunft die Strafandrohung durch den Internationalen Strafgerichtshof nicht nur eine leere Drohung ist. Es freut mich, dass in allen Fraktionen Einigkeit herrscht, dass es sich bei den Änderungen um einen -Meilenstein des Völkerstrafrechts handelt, den es zu unterstützen gilt. Auch wenn es sich bei der Normierung des Aggressionstatbestandes um einen Kompromiss handelt, ist dieser von herausragender Bedeutung, um den Internationalen Strafgerichtshof als permanentes internationales Gericht in die Lage zu versetzen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen zu können. Um die Tragweite der geplanten Änderungen des -Römischen Statuts zu erfassen, muss zunächst die historische Entwicklung, die zu diesen Änderungen führte, betrachtet werden: Am 30. September und 1. Oktober 1946 verkündete das Internationale Militärtribunal in Nürnberg die -Urteile gegen 22 Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges. Das Urteil von Nürnberg stellte einen -Ausgangspunkt für weitere Bemühungen der Staaten-gemeinschaft um einen internationalen Strafgerichtshof dar. Nachfolgend bekräftigte die UN-Vollversammlung ausdrücklich die Rechtsprinzipien, die in Nürnberg zur Anwendung gekommen waren, als sogenannte Nürnberger Prinzipien. Was in Nürnberg seinen Anfang nahm, wurde stetig weiterentwickelt. Bereits 1950 legte die Völkerrechtskommission der UNO sieben Prinzipien vor, die den Anspruch darauf erhoben, dass schwere Verstöße gegen die internationale Werteordnung geahndet werden. Diese Nürnberger -Prinzipien haben im Römischen Statut des Internationalen Gerichtshofs eine Weiterentwicklung erfahren. Das Statut ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der das Völkerstrafrecht kodifiziert, damit in internationalen Beziehungen keine rechtsfreien Räume verbleiben, in denen Menschen schutzlos den Gräueltaten von Kriegsverbrechern ausgesetzt sind. Jede Person, die eine Tat begeht, die nach dem Völkerrecht als Verbrechen bestimmt wurde, ist dafür verantwortlich und wird der Bestrafung zugeführt, auch wenn das nationale Recht keine Strafe für eine Tat vorsieht. Um diese Prinzipien durchzusetzen, wurde mit dem am 1. Juli 2002 in Kraft getretenen Römischen Statut der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eingerichtet. Der IStGH will die nationale Strafgerichtsbarkeit der Staaten nicht ersetzen und ist auch kein letztinstanzliches Rechtsmittelgericht, welches Verfahren der nationalen Strafgerichtsbarkeit überprüfen könnte. Der IStGH ergänzt vielmehr die innerstaatliche Gerichtsbarkeit bei der Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen, deren Vorrang im Statut vielfach verankert ist. Der Internationale Strafgerichtshof ist damit Ausdruck des gemeinsamen Wunsches der Staatengemeinschaft, für Frieden und Gerechtigkeit auch außerhalb der nationalen Grenzen einzustehen. Das erste Urteil sprach der Internationale Straf-gerichtshof am 14. März 2012 im Verfahren gegen den früheren kongolesischen Milizenführer Thomas -Lubanga, der wegen der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindersoldaten für schuldig befunden wurde. Er wurde dafür am 10. Juli 2012 zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Dieses Urteil zeigt, dass die Nürnberger Prinzipien kein theoretisches Konstrukt sind, sondern auch in die Praxis umgesetzt werden können. Doch die Entwicklung des Völkerstrafrechts ist durch die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs 2002 nicht zu einem Abschluss gekommen. Jetzt gilt es, zu beweisen, dass Deutschland aus seiner dunklen -Vergangenheit gelernt hat und seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nachkommt. Das Völkerstrafrecht muss zu einem wirksamen Instrument der Friedenssicherung aufgebaut werden. Bereits die Strafandrohung muss -Aggressoren in ihre Schranken weisen. Dazu ist die -stetige Optimierung und Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts notwendig, die mit der vorliegenden Änderung unterstützt werden muss. Obwohl bereits im ursprünglichen Statut das Verbrechen der Aggression als Straftatbestand angelegt gewesen war, hatten sich die Vertragsstaaten auf der Gründungskonferenz weder auf eine Definition des Verbrechens der Aggression einigen können noch auf die vorzusehende Rolle des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Eine Kodifikation des Tatbestands scheiterte auch an umstrittenen Fragen wie dem Umfang des Rechts auf Selbstverteidigung und die Zulässigkeit -humanitärer Intervention. Nach Art. 5 des Statuts, wie es auf der Konferenz in Rom verabschiedet wurde, besitzt der Gerichtshof die sachliche Zuständigkeit für das Verbrechen der Aggression. Da aber keine Definition der Aggression beschlossen werden konnte, bleibt die Norm eine „leere Hülle“, bis eine Definition in das Statut -eingefügt wird. Dies ist angesichts der herausragenden Bedeutung des Aggressionstatbestands, dessen Zweck es ist, die Gewaltanwendung als solche auf internationaler Ebene zu pönalisieren, ein unhaltbarer Zustand. Vom 31. Mai bis zum 11. Juni 2010 fand in Kampala die erste Konferenz zur Überprüfung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs statt, in deren -Mittelpunkt die Bemühungen um eine Einigung in Bezug auf das Verbrechen der Aggression standen. Mit den Änderungen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs werden nun eine Definition des -Verbrechens der Aggression und die Bedingungen der Ausübung der Gerichtsbarkeit in das Römische Statut eingefügt. Auch wird der Einsatz bestimmter Waffen und Geschosse, deren Verwendung in internationalen -bewaffneten Konflikten bereits ein Kriegsverbrechen darstellt, auch im nicht internationalen bewaffneten Konflikt unter Strafe gestellt. Deutschland war maßgeblich an der Ausarbeitung der in Kampala gefundenen Einigung beteiligt. Dieser -Einsatz für die Definition des Aggressionstatbestandes bedurfte nicht des Grünenantrages aus dem Mai 2010, dessen sie sich so rühmen. Dieser Antrag war weder Grund noch Unterstützung für die deutschen Anstrengungen um eine Einigung. Die Bemühungen mit anderen gleichgesinnten Staaten für einen möglichst effektiven, funktionsfähigen, unabhängigen und damit glaubwürdigen Internationalen Strafgerichtshof waren auch vor und ohne diesen Antrag deutlich sichtbar. Unter anderem ist Deutschland nach Japan der größte Beitragszahler für den IStGH und engagiert sich darüber hinaus mit freiwilligen Beiträgen für den sogenannten Opferschutzfonds und das Zeugenschutzprogramm des Gerichtshofs. Die Änderungen des Römischen Statuts sind die Früchte eines langwierigen Prozesses, in dem das Völkerstrafrecht geschaffen und weiter ausgestaltet wird. Einzelne Staaten sind in mühsamen Verhandlungen Kompromisse eingegangen, um das gemeinsame höhere Ziel voranzubringen: ein umfassendes System internationaler Strafgerichtsbarkeit, die die nationale Straf-verfolgung wirksam ergänzt. Natürlich will ich nicht verschweigen, dass noch ein langer Weg vor uns liegt. 121 von 193 Staaten haben die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs anerkannt. Wichtige Staaten sind noch nicht Vertragspartei des IStGH, darunter China, Russland, Indien, Israel und vor allem die USA. Die USA sorgen sich, dass amerikanische Staatsbürger durch das Gericht verurteilt werden könnten. Die Tatsache, dass sie dennoch fallweise Unterstützer sind, wenn auch ohne Mitglied zu sein, zeigt aber, dass auch sie die Bedeutung des Internationalen Gerichtshofs nicht verkennen. Die heutigen Änderungen sind nicht der Abschluss, aber ein bedeutender Schritt zu einer funktionierenden internationalen Strafgerichts-barkeit, der unbedingt unterstützt werden muss. Besonders die Normierung des Aggressionstatbestandes ist von herausragender Bedeutung. Nur durch diese kann eine wesentliche Lücke der völkerrechtlichen Straf-barkeit geschlossen werden. Der nun verabschiedete Tatbestand des Aggressionsverbrechens stellt einen ausgewogenen Kompromiss dar und trägt der Tatsache Rechnung, dass dieses Delikt im Vergleich zu den anderen im Römischen Statut aufgeführten Verbrechen durch die Kriminalisierung staatlicher Angriffshandlungen und als Führungsverbrechen einen besonderen Charakter hat. Die individuellen -Tathandlungen wurden fast wörtlich den Vorgaben des Statuts des Nürnberger Militärgerichtshofs zum „Verbrechen gegen den Frieden“ entnommen. Von einem Verbrechen der Aggression wird ausgegangen, wenn eine Person, die tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken, eine Angriffshandlung plant, vorbereitet oder ausführt, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt. Die Formulierung stellt klar, dass es sich um ein sogenanntes Führungsverbrechen handelt, das hohe Anforderungen an die individuelle Täterqualität stellt. Es betrifft nicht die kleinen Befehlsempfänger, sondern zieht die Täter zur Rechenschaft, die tatsächlich für den Angriff auf den Frieden verantwortlich sind. Regierungsoberhäupter dürfen nicht über dem Gesetz stehen. Eine Angriffshandlung stellt jede mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbare Anwendung von -Waffengewalt durch einen anderen Staat dar, so zum Beispiel die Invasion des Hoheitsgebiets eines Staates oder der Angriff auf dieses durch die Streitkräfte eines anderen Staates. Auch eine militärische Besetzung, die sich aus einer solchen Invasion ergibt, sowie die Bombardierung oder Beschießung des Hoheitsgebiets sind umfasst. Neben der Blockade der Häfen oder Küsten eines Staates ist auch der Einsatz von Streitkräften eines Staates, die sich mit der Zustimmung eines anderen -Staates in dessen Hoheitsgebiet befinden, unter Verstoß gegen die in der entsprechenden Einwilligung oder Vereinbarung vorgesehenen Bedingungen strafbar. Damit ist nicht jede völkerrechtswidrige staatliche Gewaltanwendung zugleich ein Aggressionsverbrechen. Rechtlich umstrittene Einsätze, die im Rahmen humanitärer Interventionen durchgeführt werden, um das Leid von -Menschen zu lindern und weitere Gewalt zu verhindern, werden so nicht erfasst. Auch Fälle von nicht hinreichender Intensität sollen gerade nicht berücksichtigt werden. Die Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression wird in den Änderungen geregelt. Der Gerichtshof kann seine Gerichtsbarkeit nur über Verbrechen der Aggression ausüben, die ein Jahr nach Ratifikation oder Annahme der Änderungen durch 30 Vertragsstaaten begangen werden. Die weitere wichtige Änderung betrifft die Straf-barkeit gewisser verbotener Waffen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten. Die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen, die Verwendung erstickender, giftiger oder gleichartiger Gase sowie aller ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffe oder Vorrichtungen, die Verwendung von Geschossen, die sich im Körper des Menschen leicht ausdehnen oder flachdrücken ist in internationalen bewaffneten Konflikten bereits strafbar. Der Zustand, dass der Einsatz von Giftgasen zwar in internationalen Konflikten bereits als Kriegsverbrechen geahndet werden kann, Machthaber aber ihr eigenes Volk mit diesen Waffen konsequenzlos angreifen können, ist unerträglich. Hier kommt es nun zu einer Angleichung, da eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen den Konfliktformen auf humanitärvölkerrechtlicher Ebene heute nicht mehr angemessen ist. Das Leiden und die Verletzungswirkung, die durch diese Waffen ausgelöst werden, sind verurteilenswert, gleich in welcher Art von Konflikt sie eingesetzt werden. Diese Änderungen liegen mir als in Nürnberg direkt gewähltem Abgeordneten besonders am Herzen. In Nürnberg entsteht ein Institut für die Durchsetzung der Nürnberger Prinzipien zum Völkerstrafrecht. Es soll als Expertenforum dazu beitragen, Frieden mit den Mitteln des Rechts zu sichern, indem es interdisziplinäre Forschung betreibt und zielgruppenspezifisches Training zu völkerstrafrechtlichen Themen sowie Menschenrechtsbildung anbietet. Ziel der Akademie ist es, die Akzeptanz des Völkerstrafrechts und der Nürnberger Prinzipien international zu fördern. Die Bundesrepublik Deutschland hat an der Ausarbeitung des Römischen Statuts aktiv mitgewirkt. Wir -müssen uns weiterhin aktiv dafür einsetzen, dass der Internationale Strafgerichtshof möglichst effektiv arbeiten kann und breite Unterstützung in der Staatengemeinschaft findet. Das Gesetz zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 ist dabei ein wichtiger und wirksamer Schritt, um Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit der -Strafbarkeit zuzuführen. Christoph Strässer (SPD): Offenheit vor allem auch im Umgang mit eigenen Fehlern und Defiziten ist ein Überlebensprinzip für jedes politische System. Deshalb sollten auch wir Deutschen sehr darum bemüht sein, Kritik aus anderen Ländern offen gegenüberzustehen und sie ernst zu nehmen – egal woher sie kommt. Dies ist nicht zuletzt der Einsicht geschuldet, dass aus der eigenen Fehlbarkeit die Notwendigkeit des Dialogs und der Kooperation folgt. Genau diese fundamentale Erkenntnis ist der Kern des UPR-Verfahrens im Menschenrechtsrat der VN, des wohl wichtigsten und positivsten Ergebnisses aus den ansonsten ja eher wenig erfolgreich verlaufenden Bemühungen um die Reform der Vereinten Nationen. Alle Staaten überprüfen ihre menschenrechtliche Praxis zuerst selbst, stellen die Ergebnisse vor und stellen sich dann der Kritik im Menschenrechtsrat – und das rich-tigerweise ohne Ausnahme und damit eben auf gleicher Augenhöhe, unabhängig von Wirtschaftskraft und/oder politischer sowie militärischer Macht. Allein das macht das UPR-Verfahren so interessant und einmalig. Alle Länder sind gleich, beraten auf gleicher Augenhöhe und stellen sich demselben Verfahren. Ein demokratisches Grundprinzip, das leider in der Struktur der UNO oft unerreichbar erscheint und doch so wichtig wäre, ein Verfahren, dass eindrucksvoll die These widerlegt, dass westliche Staaten und Kulturen das Thema Menschenrechte benutzen, um auf diesem Wege hegemoniale Strukturen auf- und auszubauen. Zur Demokratie gehört, das wissen wir spätestens seit Kant, auch die öffentliche Auseinandersetzung, die Öffentlichkeit. Deshalb hat auf unser Bestreben hin, die FDP-Fraktion zugesagt, zu beantragen, dass die heutige Debatte zum Tag der Menschenrechte an prominenter Stelle stattfinden soll, wie eigentlich immer in den letzten Jahren um den Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember. Nun gehen die Reden zu Protokoll. Es ist ein Armutszeugnis für unsere demokratische Kultur, dass es nicht gelingt, wenigstens einmal im Jahr in diesem Hause zu einer Zeit über dieses Thema zu debattieren, wo zumindest die Chance besteht, öffentlich wahrgenommen zu werden. Diese Koalition führt zwar gerne bei jeder Gelegenheit die Menschenrechte im Munde, schafft es aber noch nicht einmal, einen akzeptablen Debattenplatz zu organisieren. Das sagt eigentlich alles! Der erste Zyklus der regelmäßigen Überprüfung der Staaten auf ihre Menschenrechtslage hin, UPR, ist abgeschlossen. Mit der Vorstellung des Staatenberichts vor dem UN-Menschenrechtsrat 2009 hat Deutschland seinerzeit durch Selbstkritik zwar einige überzeugt, aber der schriftliche Bericht der Regierung wurde von vielen als „zu glatt“ eingeschätzt, weil die offene Benennung von Problembereichen, die Darstellung von Maßnahmen zur Verbesserung der Situation, der Bericht über Erfolge, aber auch selbstkritische Anmerkungen und Aussagen über Zielsetzungen fehlten. Allerdings präsentierte sich die Bundesregierung in ihren mündlichen Einlassungen im UPR sehr viel selbstkritischer. Die Regierungsver-treter gaben wiederholt zu erkennen, dass – bei dem -unbestritten hohen Standard von Rechtsstaatlichkeit in Deutschland – gleichwohl ernste menschenrechtliche Probleme zu bewältigen blieben. Der Zweite Zyklus wurde nun formal geändert, um ein besonderes Augenmerk auf die Umsetzung der akzeptierten Empfehlungen aus dem ersten Zyklus richten zu können. Das macht viel Sinn; denn nur so kann im weiteren Überprüfungszyklus aufmerksam geschaut werden, wie ein Staat in der Zwischenzeit die akzeptierten Empfehlungen in die Praxis umgesetzt hat und was darauf aufbauend in den zweiten Bericht Eingang finden sollte. Um das Voranschreiten im nationalen Follow-up auch im Menschenrechtsrat nachvollziehbar zu machen, sind die Staaten aufgerufen, nach zwei Jahren freiwillig einen schriftlichen Zwischenbericht – „mid-term report“ – zu erstellen. Deutschland hat nach seiner Überprüfung keinen solchen Zwischenbericht abgegeben. Das sollte sich ändern. Es ist, wie sich aus vielen Beispielen ersehen lässt, eine große Hilfe für das ganze Verfahren, wenn es einen staatlich initiierten Zwischenbericht gibt, der in der Mitte des Zyklus vorgelegt wird. Zwischenberichte zum UPR-Verfahren gehören inzwischen beim Rat zum guten Ton. Sie wurden vorgelegt unter anderem von Frankreich, Japan, den Niederlanden, Bahrain, Chile, Finnland, Ecuador, Kolumbien, Mauritius, Rumänien, der Ukraine. Deutschland gibt hier kein gutes Beispiel ab. Diese Forderung vieler NGOs an Deutschland halte ich für gerechtfertigt. Im Mai 2013 wird Deutschland zum zweiten Mal vom UN-Menschenrechtsrat im Rahmen des UPR-Verfahrens auf seine Menschenrechtssituation hin überprüft werden. Das Forum Menschenrechte und das Deutsche Institut für Menschenrechte haben dankenswerterweise ihre Analysen und Empfehlungen bereits abgegeben. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, die Sicht dieser Organisationen ernst zu nehmen und in ihren -Bericht einfließen zu lassen. Deshalb ist es auch zu begrüßen, dass Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte im Auswärtigen Amt, im Namen der Bundesregierung die „Zivilgesellschaft“ zum 5. Dezember zu einer Anhörung eingeladen hat – spät, aber hoffentlich nicht zu spät, um berechtigte Anliegen noch aufzunehmen. Bis zum Februar 2013 läuft die Frist für die Einreichung des Staatenberichts. Im April/Mai ist die 16. Sitzung der UPR Working Group mit der Überprüfung Deutschlands, und circa im September 2013 gibt es die Stellungnahme Deutschlands zu den Empfehlungen. Im Oktober 2013 soll schlussendlich der Bericht zur UPR-Überprüfung Deutschlands in der 17. Sitzung des Menschenrechtsrates erörtert werden. Einer der Hauptkritikpunkte an Deutschland 2009 war die fehlende Bekämpfung von Rassendiskriminierung und Fremdenfeindlichkeit. Wie die Vorfälle um die Terrorzelle NSU gezeigt haben, waren diese Empfehlungen geradezu prophetisch und wurden leider nicht ernst genug genommen. Im Gegenteil: Mittel für die nachhaltige Bekämpfung dieses braunen Sumpfs wurden gekürzt, Menschen, die sich dort engagierten, wurde unter der Überschrift „Extremismusklausel“ ein Treuebekennt-nis zu unserem Grundgesetz abverlangt – absurd gegenüber denjenigen, die mit ihrer konkreten Arbeit mehr für die Werte unserer Verfassung tun, als dies in vielen Sonntagsreden geschieht. Deshalb muss dieser Bereich im neuen Bericht explizit näher beleuchtet und intensiver bearbeitet werden. Wir sollten offen ansprechen, dass wir hier vieles verschlafen haben und es nun besser machen wollen. Ein weiterer Punkt, den Kanada und Ägypten seinerzeit angesprochen haben und der immer noch problematisch ist, sind die Rechte der Kinder in Deutschland. Zwar gab es einen wichtigen Fortschritt, weil Deutschland die Vorbehalte gegen die Kinderrechtskonvention zurückgenommen hat. Aber hinsichtlich der Kinder von Einwanderern und „Ausländern“ hat sich bisher kaum etwas verbessert. Besonders prekär ist immer noch die Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlingskinder. Sie werden immer noch zu oft routinemäßig in belastende, nicht kinderfreundliche Asylverfahren gedrängt. Häufig verbleiben die Betroffenen im Status der Duldung und leben daher in ständiger Furcht vor der Ausweisung. Auch hier sollten wir die Empfehlungen ernst nehmen und das im aktuellen Zyklus ansprechen. Viel besser noch wäre es selbstverständlich, der Kinderrechtskonvention entsprechende Gesetze zu schaffen, im Aufenthaltsrecht wie im Sozialrecht. Eine weitere wichtige Empfehlung bezog sich auf unsere selektive Bildungspolitik, die zu einer strukturellen Diskriminierung bestimmter Gruppen von Kindern im deutschen Schulsystem führt. Zumeist sind Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen betroffen. Der Menschenrechtsstandard in unserem Land ist hoch, kein Zweifel. Aber wir können und müssen besser werden, gerade auch als neu gewähltes Mitglied im Menschenrechtsrat. Diese Wahl, über die wir uns sehr freuen, ist nicht nur Erfolg, sondern auch Verpflichtung. Dies gilt auch – um einen letzten Punkt anzusprechen – für die Stellung des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Wegen Untätigkeit der Bundesregierung und eines offenkundigen Streits innerhalb der Koalition besteht die Gefahr, dass diese hochangesehene unabhängige Institution im Herbst dieses Jahres bei der Akkreditierungskonferenz ihren jetzigen A-Status verliert – und das nur, weil die Mehrheit in diesem Hause sich nicht darauf verständigen kann, durch eine gesetzliche Grundlage die Unabhängigkeit der Arbeit des Instituts sicherzustellen. Das ist ein Armutszeugnis für die deutsche Menschenrechtspolitik und ihr Ansehen weltweit. Die SPD-Fraktion jedenfalls ist bereit, auch kurzfristig gesetzgebe-rische Initiativen zu unterstützen, die den Erhalt des jetzigen Status des Instituts sichern. Zum Schluss möchte ich noch hervorheben, dass die SPD-Fraktion, wie schon in der ersten Lesung angekündigt, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu den Änderungen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 10. und 11. Juni 2010 in Kampala begrüßt. Die Ergebnisse der Konferenz von Kampala werden den Internationalen Strafgerichtshof langfristig stärken, was einerseits eine große Verantwortung und Herausforderung bedeutet, andererseits aber auch eine große Chance ist. Treten die Regelungen von Kampala 2017 wirklich in Kraft, kann jede Gewaltanwendung gegenüber einem anderen Staat vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden. Dies wäre ein großer Schritt in Richtung einer starken und effizienten Verrechtlichung der internationalen Beziehungen. Deshalb werden wir diesem Gesetz zustimmen. Marina Schuster (FDP): Am 10. Dezember begehen wir jedes Jahr den Allgemeinen Tag der Menschenrechte. Dann jährt sich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, eine Errungenschaft unserer Menschheitsgeschichte. Sie gibt uns das vor, für das wir weltweit eintreten: den Schutz und die Wahrung der Menschenrechte. Wie könnte es besser passen, dass wir heute in der zweiten und dritten Lesung die Änderung des Römischen Statuts im deutschen Recht beschließen werden? Einen Wermutstropfen gibt es dennoch: Leider findet die Debatte zu später Stunde statt. Jeder weiß, dass wir uns diese Debattenzeit nicht ausgesucht haben. Der ehemalige Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen, José Ayala Lasso, bringt das Problem der Straflosigkeit auf den Punkt: Es ist wahrscheinlicher, dass ein Mensch für die Ermordung eines einzigen Menschen verurteilt wird, als dass er für die Ermordung von 100 000 Menschen verurteilt wird. Während Verbrechen auf kleinster Ebene – und hier spreche ich noch gar nicht von Mord – meist zügig verfolgt werden können, ist es nach wie vor eine große, langwierige und schwierige Aufgabe, Völkermörder, Kriegsverbrecher und Verbrecher gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen. Mit der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs am 17. Juli 1998 in Rom setzte die internationale Gemeinschaft ein klares Zeichen, dass sie sich diesem Missstand entschieden entgegenstellen will. Sicherlich bleibt die strafrechtliche Verfolgung von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Herausforderung. Sie ist aber eben keine Utopie mehr. Die Täter grausamster Völkerrechtsverbrechen können nicht mehr auf ihre Immunität vertrauen, sondern müssen grundsätzlich davon ausgehen, dass sie sich vor einem zentralen, überparteilichen Gericht für ihr Handeln verantworten müssen. Die universelle Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ist eine bahnbrechende Errungenschaft des internationalen Menschenrechtsschutzes. Die Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen und der Kampf gegen die Straflosigkeit knüpfen an das Vermächtnis der Nürnberger und Tokioter Prozesse an. Seit den 1990er- und 2000er-Jahren führen die Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien, für Ruanda, Sierra Leone und Kambodscha diesen Leitgedanken fort. Dieser Leitgedanke hat bisher seinen Höhepunkt in der Überprüfungskonferenz von Kampala gefunden, bei der eine große Lücke im Völkerstrafrecht geschlossen wurde. Die Definition des Tatbestandes der Aggression bedeutet einen historischen Durchbruch. Ich wiederhole es gerne: Es handelt sich hier um einen Meilenstein im Kampf gegen die Straflosigkeit. Es ist dem Einsatz der deutschen Delegation in Kampala zu verdanken, dass Deutschland seine Konferenzziele erfolgreich durchsetzen konnte, auch gegen kritische Stimmen aus Frankreich und Großbritannien. Wir Liberalen haben uns dafür starkgemacht, dass diese wichtige Lücke im Völkerstrafrecht geschlossen wird. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir ein Ziel des Koalitionsvertrages Wort für Wort umgesetzt. Das ist ein großer Erfolg! Die Förderung und Wahrung der Menschenrechte ist ein ureigener liberaler Grundgedanke. Von Beginn dieser Wahlperiode an hat sich die FDP dafür eingesetzt, dass Deutschland im weltweiten Menschenrechtsschutz nicht nur gegenüber seinen internationalen Partnern eine glaubwürdige Position vertritt, sondern auch eine Vorbildrolle übernimmt. Deutschland ratifiziert als einer der ersten Staaten die Änderungen des Römischen Statuts, die in Kampala beschlossen wurden. Nun gilt es, dass bis Ende 2015 mindestens 30 Staaten das erweiterte Römische Statut ratifizieren. Nur dann treten die Änderungen auch bereits 2017 in Kraft. Liechtenstein und das Global Institute for the Prevention of Aggression leisten hier wertvolle Arbeit. Unter ihrer Federführung wurde beispielsweise ein Handbuch erstellt, das Staaten bei der Implementierung und Ratifizierung der Änderungen von Kampala unterstützt. Die Position Deutschlands im Kampf gegen die Straflosigkeit hat sich seit den Nürnberger Prozessen richtungsweisend und grundlegend gewandelt. Während die Rechtsprechung des Nürnberger Tribunals noch auf Ablehnung stieß, gestaltet Deutschland heute nicht nur die Ausformung universeller Normen aktiv mit, sondern nimmt in vielen Bereichen eine Vorreiterrolle ein. Seit Mai 2011 läuft vor dem Oberlandesgericht Stuttgart ein Prozess gegen Ignace Murwanashyaka, den ehemaligen Präsidenten der ruandischen Rebellenbewegung FDLR, und gegen seinen Stellvertreter Straton Musoni. Murwanashyaka und Musoni wird als Vorgesetzten der FDLR eine direkte Verantwortung für deren Aktivitäten und die Völkerrechtsverbrechen im Kongo vorgeworfen. Dieser Prozess in Stuttgart ist der erste seiner Art. Das Pilotverfahren wird unter dem Völkerstrafgesetzbuch geführt, welches das Römische Statut in deutsches Recht überträgt. Unter dem „Weltrechtsprinzip“ des deutschen Völkerstrafgesetzbuches engagiert sich Deutschland hier im Sinne einer komplementären Arbeitsteilung mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Der Grundsatz der Komplementarität sieht vor, dass die strafrechtliche Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen auch durch die Mitgliedstaaten des Römischen Statuts erfolgen kann. Wir können bereits heute auf eine erfolgreiche Menschenrechtsbilanz in dieser Legislaturperiode zurückblicken. Lassen Sie mich exemplarisch einige Beispiele geben: Unter dem Vorsitz Deutschlands hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Juli 2011 eine Resolution zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten verabschiedet. Die Ächtung von Angriffen auf Krankenhäuser und Schulen durch die internationale Gemeinschaft wurde damit institutionalisiert. Dieses Engagement hat Deutschland im September noch einmal gefestigt und eine zweite Resolution eingebracht, die den Schutzmechanismus und die Arbeit der VN-Sonderbeauftragten für Kinder und bewaffnete Konflikte, Leila Zerrougui, noch weiter stärkt. Ein weiteres wichtiges Thema für uns ist der Schutz des Menschenrechtes auf Wasser, für das wir uns mit verschiedenen Maßnahmen einsetzen. Die VN-Resolution „Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung“ sowie die deutsch-spanische Initiative im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen haben wir hier im Bundestag mit mehreren Anträgen flankiert. Durch meine Arbeit als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates weiß ich aus eigener Erfahrung, wie wichtig regionale Menschenrechtsschutzsysteme sind. Auf der Konferenz zur Reform des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Brighton konnte sich Deutschland erfolgreich gegen die Vorschläge Großbritanniens durchsetzen, die eine drastische Beschneidung der Kompetenzen des Gerichts bedeutet hätten. Die Ergebnisse von Brighton müssen nun schnell umgesetzt werden, damit der EGMR die Herausforderungen einer stetig wachsenden Zahl an Gesuchen bewältigen kann. Die Wahl Deutschlands in den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen bestätigt unseren Menschenrechtskurs. Sie zeigt die Anerkennung und das Vertrauen in unser menschenrechtspolitisches Engagement. Gleichzeitig ist die Wahl Ansporn und Verpflichtung. Am 5. Dezember findet die öffentliche Anhörung zum Menschenrechtsbericht der Bundesregierung statt. Nächstes Jahr im April durchläuft Deutschland die „Universal Periodic Review“ des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen. Im Vierjahresrhythmus müssen sich die Mitgliedstaaten einer Überprüfung ihrer Menschenrechtslage stellen. Die Bundesregierung bezieht hierbei die Zivilgesellschaft mit ein und diskutiert den Entwurf des Menschenrechtsberichtes, den sie in Genf vorlegen wird, im Vorfeld. Die Wahrung und Förderung der Menschenrechte ist Voraussetzung einer demokratischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung jedes Landes. Wir sind uns unserer Verantwortung im eigenen Land und für den menschenrechtlichen Fortschritt unserer Partner bewusst. Deutschland ist – und bleibt – ein wichtiger Akteur im internationalen Menschenrechtsschutz. Jan van Aken (DIE LINKE): Meine Fraktion wird dem heute vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen. Mit dem Gesetz wird das veränderte Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes ratifiziert. Konkret geht es um die Aufnahme der Aggression, also eines Angriffskrieges, in den Katalog der Verbrechen, die vom In-ternationalen Strafgerichtshof geahndet werden können. Die internationale Verankerung eines Straftatbestands der Aggression wird seit den Nürnberger Prozessen gefordert. Dass es nach langen und durchaus kontroversen Diskussionen gelungen ist, sich auf eine Definition des Aggressionsverbrechens zu einigen und damit einen Straftatbestand zu schaffen, ist ohne Zweifel ein Erfolg, allerdings, wie so oft bei Kompromissen, ein Erfolg mit bitterem Beigeschmack. So konnte nicht durchgesetzt werden, dass schon die Vorbereitung und Planung eines unter den Begriff der Aggression fallenden Angriffs ein Strafverfahren auslösen können. Ein Angriff muss bereits erfolgt sein, um vom Internationalen Strafgerichtshof – nachträglich – geahndet zu werden. Ebenfalls konnte nicht durchgesetzt werden, dass der Straftat-bestand der Aggression auch für Nichtvertragsstaaten Anwendung findet. Zu ihnen gehören unter anderem die USA, Russland und China. Ebenso schwer wiegt, dass die Abhängigkeit vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bestehen bleibt, dass der Strafgerichtshof also nicht von sich aus, unabhängig vom UN-Sicherheitsrat, tätig werden kann. Gerade mit Blick auf den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Irak ist bedauerlich, dass nur zukünftige Aggres-sionsverbrechen verfolgt werden können, also frühestens im Jahr 2017 und ein Jahr nachdem mindestens 30 Staaten die Änderungen ratifiziert haben. Nun ist es, wie es ist. Die Änderung des Römischen Statuts spiegelt den Minimalkonsens wider. Mehr war auf der Überprüfungskonferenz 2010 im ugandischen Kampala nicht zu erreichen. Aber es spricht doch gar nichts dagegen, dass Deutschland bei der nationalen Umsetzung einen Schritt weitergeht – über den heute vorliegenden Gesetzentwurf hinaus. In Art. 26 des Grundgesetzes heißt es: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Bislang wurde in der deutschen Rechtsprechung lediglich die Vorbereitung eines Angriffskrieges als strafrechtlich relevant interpretiert, geregelt in § 80 des Strafgesetzbuches. Das Grundgesetz betrachtet aber alle Handlungen, die friedenstörend sind, als verfassungswidrig. In diesem Sinne müssen die direkte und indirekte Beteiligung an der Durchführung von Angriffskriegen ebenso wie deren Planung und Vorbereitung unter Strafe gestellt werden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn ein Land, sagen wir: die USA, ein anderes Land, sagen wir: Irak, völkerrechtswidrig überfällt, dann darf Deutschland das nicht direkt oder indirekt unterstützen, sagen wir: durch BND-Agenten oder durch Überfluggenehmigungen. Wenn eine Bundesregierung, sagen wir: die rot-grüne Regierung von 2003, das unterstützt, muss sie sich strafbar machen. Die Linke will deshalb eine rechtliche Klarstellung auch im Strafgesetzbuch, also eine Präzisierung von § 80 Strafgesetzbuch. Eine entsprechende parlamentarische Initiative werden wir demnächst hier vorlegen. Es kann doch nicht sein, dass Deutschland militärisch mit Staaten kooperiert, die sich vorbehalten, Angriffskriege zu führen. Wir erwarten deshalb von Ihnen, dass Sie dafür sorgen, dass kein Land – auch nicht die USA – jemals wieder Stützpunkte in Deutschland oder deutsche Logistik für Angriffskriege nutzen kann. Wir erwarten aber auch, dass Sie den politischen Druck auf die drei ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates USA, Russland und China erhöhen, den Internationalen Strafgerichtshof endlich anzuerkennen und sich seiner Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Von Deutschland soll nie wieder Krieg ausgehen, auch nicht in Form von Waffenlieferungen, die Kriegsführung anderswo möglich machen. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Am 10. Dezember werden wir den Tag der Menschenrechte feiern. Vor 64 Jahren haben die Vereinten Nationen an diesem Tag die Menschenrechte im internationalen Recht verankert. Bis heute ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte das Wertegerüst der internationalen Gemeinschaft aller inzwischen 193 Staaten der Vereinten Nationen. Menschen streben nach einem Leben in Würde, sozialer Sicherheit und Frieden. Wie keine andere Institution verkörpern die Vereinten Nationen dieses Streben. Die Vereinten Nationen besitzen inzwischen wichtige Mittel, um weltweit die Einhaltung der Menschenrechte zu überwachen und ihre Missachtung, wo dies möglich ist, zu ahnden. Da ist natürlich zu allererst der Internationale Strafgerichtshof, den die Vereinten Nationen 2002 ins Leben gerufen haben. Es ist erfreulich, dass wir den Gesetzentwurf zur Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofes gemeinsam und hoffentlich einstimmig verabschieden werden. Die eigentliche Arbeit steht mit der Umsetzung in die nationale Rechtsordnung noch aus. Ich möchte mich heute aber noch auf ein anderes wichtiges Instrument beziehen, das den Menschenrechtsschutz weltweit zum Ziel hat: das Verfahren des Universal Periodic Review. Es ist im Gegensatz zum scharfen Schwert des Gerichts eher eine Soft Power. Das UPR-Verfahren wurde im März 2006 durch die Resolution 60/251 ins Leben gerufen. Beim Wandel von der VN-Menschenrechtskommission zum Menschenrechtsrat war es die wichtigste Weiterentwicklung; der Rat ist insgesamt ein Fortschritt gegenüber der vorherigen Kommission. Früher wurde nur eine kleine Auswahl an Staaten geprüft, heute müssen sich alle prüfen lassen. Alle Staaten sind dem Verfahren gleichermaßen unterworfen. Neben den Staaten selbst und VN-Expertenteams aus anderen Mitgliedstaaten wird auch die Zivilgesellschaft des zu prüfenden Staates in die Berichterstattung mit einbezogen. Daraus entsteht dann ein umfassender Bericht, der konkrete Maßnahmen empfiehlt, wie der Mitgliedstaat die Menschenrechte besser schützen, achten und gewährleisten kann. Daraus ergeben sich zwei Chancen: erstens, dass die zivilgesellschaftlichen Akteure in den Mitgliedstaaten besser miteinander kommunizieren, weil sie sich für den gemeinsamen Bericht vernetzen müssen; zweitens, dass die Regierungen – auch die Bundesregierung – weniger politisch voreingenommen berichten, indem sie die „Zivilgesellschaft stärker als bisher“ einbeziehen, wie dies die SPD fordert. Wir wollen, dass die Zivilgesellschaft systematisch und im Vorfeld mit einbezogen wird, sei es durch Anhörungen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages, sei es durch regelmäßige und verbindliche Konsultationen. Die größte Glaubwürdigkeit im weltweiten Bemühen um eine bessere Menschenrechtslage haben die Staaten, die sich auch um die Menschenrechte in ihrem eigenen Land kümmern. Will man Menschenrechtsverletzungen anderer Staaten kritisieren, dann muss man selbst verbindlich, gar vorbildlich sein. Wir können nicht Staaten wie den Iran oder China kritisieren, wenn wir Vorwürfe ignorieren, Deutschland messe mit zweierlei Maß – „double standards“ – und sei voreingenommen. Zweierlei Maß, das mindert den Schutz der Menschenrechte; Guantánamo hat es gezeigt. Deutschland soll bei Kritik an Missständen im Lande so viel Dialogbereitschaft und Engagement zeigen, wie wir es von anderen Ländern wünschen. Was also hat die Bundesregierung getan, nachdem Deutschland zuletzt 2009 im UPR-Verfahren untersucht wurde? Der UPR-Bericht über Deutschland setzt Schwerpunkte in der Asyl- und Integrationspolitik, beim Schutz vor Folter, beim Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus und beim Schutz vor Diskriminierung. Djibouti fordert zum Beispiel, dass Deutschland eine unabhängige Institution schafft, die Beschwerden über Polizeigewalt untersucht. Bedauerlicherweise hat die Bundesregierung diese Forderung zurückgewiesen. Die Bunderepublik hat 34 von 44 Empfehlungen des UPR-Berichtes von 2009 akzeptiert. Die SPD fordert zwar dazu auf, hinsichtlich der akzeptierten Empfehlungen detailliert die Umsetzungsschritte sowie die Erfolge und Probleme in diesem Prozess zu erläutern – das ist richtig –, ich finde aber, darüber hinaus müsste die Bundesregierung erklären, warum zehn Empfehlungen nicht umgesetzt wurden. Das Zusatzprotokoll des Paktes über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte, der WSK-Pakt, muss endlich ratifiziert werden. Das wurde bereits 2009 kritisiert. 2013 wird es immer noch bemängelt – zu Recht –, nicht nur von uns Grünen, auch vom Deutschen Institut für Menschenrechte, DIMR. Die Bundesregierung muss sämtliche Empfehlungen ernst nehmen, sonst schwächt sie das Verfahren. Andere Staaten könnten sich daran ein schlechtes Beispiel nehmen. Im schlimmsten Falle werden einzelne unilateral aus dem Staatenüberprüfungsverfahren aussteigen, wie es Israel angedroht hat. Die Folgen für die Glaubwürdigkeit des Verfahrens wären verheerend. Doch der Umgang mit den VN-Empfehlung ist symptomatisch für ein tiefergehendes Problem: das schwache Engagement Deutschlands in den VN allgemein. Wir Grüne wollen, dass Deutschland über die VN globale Verantwortung übernimmt und sich in den VN weit aktiver, engagierter und wirkungsvoller für Frieden und Menschenrechte einsetzt. Die VN sind nur so stark, wie ihre Mitgliedstaaten sie machen. Dies gilt besonders für den Schutz der Menschenrechte. Nur wenn alle 193 ihren Beitrag leisten und einige vorbildlich sind, werden wir Fortschritte machen. – Dass Deutschland in den VN-Menschenrechtsrat wiedergewählt worden ist, hat alle Mitglieder dieses Hauses gefreut. Der Bundesaußenminister sprach von einem „Vertrauensbeweis für Deutschland“. Doch für dieses Vertrauen muss sich Deutschland als würdig erweisen. Der nächste Zyklus 2013 des UPR-Überprüfungsverfahrens bietet sich dazu an. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie das Überprüfungsverfahren im Menschenrechtsrat aktiv und glaubwürdig begleitet. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Energiewende im Gebäudebestand sozial gerecht, umweltfreundlich, wirtschaftlich und zukunftsweisend umsetzen (Tagesordnungspunkt 17) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Klimaschutz, Energiewende und Effizienzsteigerung sind zentrale Punkte der politischen Agenda in den kommenden Jahren. Wir müssen die Weichen für die Energiewende so stellen, dass sowohl wirtschaftliche als auch soziale Aspekte einfließen. Die christlich-liberale Koalition fährt mit Augenmaß und wirtschaftlichem Sachverstand. Die Energiewende braucht eine breite Zustimmung in der Bevölkerung. Auch dafür arbeiten wir als christlich-liberale Koalition. Der vorliegende Antrag der Grünen lässt das entweder vermissen oder beschreibt Maßnahmen, die wir bereits umsetzen. Die Grünen wollen mit ihrer Regelungswut ideologische Forderungen zulasten von Mietern, Vermietern und Eigenheimbesitzern durchsetzen. Sie fordern mehr Transparenz und wollen an der Ausgestaltung des Energieausweises herumfuhrwerken. Dafür haben wir schon sehr gute und strenge Regeln. Schon jetzt muss der Verkäufer auf Verlangen bei einem Eigentümerwechsel den Energieausweis parat haben. Sie wollen den Energieausweis nun ab 2018 für alle Eigentümer zur Pflicht machen und koppeln dies an eine Zwangsberatung. Das ist doch nur eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Energieberater und Bürokraten. Wir haben hier bereits strikte Regeln, und die genügen. Die Grünen sollten daran denken, dass das auch jemand kontrollieren muss. Dabei fordern Sie in dem Antrag den Abbau von Kontrolldefiziten, und gleichzeitig schaffen Sie mehr Kontrollbedarf. Das zeigt doch deutlich, in welche Richtung Ihr Antrag geht: Bevormundung von Bürgern. Statt mehr Transparenz und Energieeinsparung stehen unter dem Strich komplizierte Kontrollmechanismen und mehr Bürokratie. Bündnis 90/Die Grünen fordern einen Energiesparfonds von 3 Milliarden Euro jährlich. Das klingt beim ersten Hören gut. Jedoch scheinen Sie bei den Haushaltsverhandlungen nicht dabei gewesen zu sein. Wir haben große Anstrengungen unternommen, um die Mittel, die wir bereits bereitstellen, weiterhin bereitzustellen. Wir haben die Programme für die energetische Sanierung fortgeschrieben. 1,5 Milliarden Euro aus dem Energie- und Klimafonds stehen nicht nur für 2012, sondern auch für 2013 und 2014 wieder für die CO2-Gebäudesanierung zur Verfügung. Das ist Planungssicherheit. Sie fordern mehr und mehr Geld, das Sie in einem Fonds von den kleinen Leuten einsammeln wollen. Lassen Sie es bei den Hausbesitzern, damit die in ihr Eigentum investieren können. Die von SPD und Grünen regierten Länder lehnen Sonderabschreibungen für energetische Sanierungen ab. Auch das würde vielen Privaten helfen, die energetische Sanierung voranzutreiben. Wirken Sie auf Ihre Kollegen in den Ländern ein, damit wir hier endlich zu einem positiven Ergebnis kommen. Im vorliegenden Antrag fordern die Grünen Mindestanteile für erneuerbare Energien, die gesetzlich festgelegt sind und regelmäßig angehoben werden sollen. Was sagen Sie dem Hausbesitzer, der diese Erzeugungsart nicht wirtschaftlich nutzen kann? Was sagen Sie ihm, wenn er sich das nicht leisten kann? All dies sind Fragen, die Sie in Ihrem Antrag nicht beantworten. Der Antrag der Grünen zeigt eines deutlich: Die Grünen sind nicht nah am Menschen dran. Die Grünen wollen ideologische Ziele über die Köpfe der Bürger in unserem Land hinweg umsetzen. Sie denken nicht an die sozialen Folgen. Es hilft nicht, wenn im Antrag hier und da das Wort „sozial“ eingestreut wird. Genaue Angaben zur Ausgestaltung des Marktanreizprogrammes und zur Umgestaltung des Wohngeldes zu einem Klimawohngeld machen Sie nicht. Es bleibt bei vagen Hinweisen. Eine sachliche Fundierung bleiben Sie hier schuldig. Lassen Sie mich noch auf einen Detailpunkt eingehen: Die Grünen fordern, dass ab dem Jahr 2015 neue Ölheizungen durch Erneuerbare-Energien-Anlagen ersetzt werden. Wir halten an unserem Grundsatz fest, dass die Akteure selbst die für sie geeigneten Technologien auswählen. Wir haben als CDU/CSU mit dem Energiekonzept im Herbst 2010 die Ziele klar formuliert und werden sie in der christlich-liberalen Koalition umsetzen. Wir wollen maßvoll fordern und zielgerichtet fördern. Die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes sorgt für soziale Gerechtigkeit. Technologieoffenheit in der Anwendung sorgt für Wirtschaftlichkeit. Wir wissen, dass unsere Ziele 20 Prozent weniger Primärenergie bis 2020 und 80 Prozent weniger bis 2050 sehr anspruchsvoll sind. Menschen aber mit überzogenen Maßnahmen zu verprellen und damit die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz für die Energiewende zu gefährden, ist nicht unser Weg. Wir werden die Bürger vor den überzogenen Forderungen der Grünen schützen. Ideologische Bevormundung von oben lehnen wir ab. Daher ist dieser Antrag für uns nicht tragbar. Wir lehnen ihn ab! Karl Holmeier (CDU/CSU): Ich denke, wir sind uns unter den Baupolitikern aller Fraktionen weitgehend einig, dass die energetische Modernisierung des Gebäudebestandes in der Wohnungs- und Städtebaupolitik oberste Priorität haben muss. Denn das Einsparpotenzial ist hier enorm. Der zur Debatte stehende Antrag betont insofern auch zu Recht, dass rund 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland auf das Heizen und Kühlen von Gebäuden entfällt. Dies müssen wir dringend ändern. Daher auch mein ständiger Appell: Energie, die gar nicht erst verbraucht wird, ist immer noch die beste; denn sie braucht erst gar nicht erzeugt zu werden. Wir sind uns sicherlich auch darüber einig, dass wir hier vor gewaltigen Herausforderungen stehen. Wo wir uns aber ganz offensichtlich nicht einig sind, ist der Weg, auf dem das gemeinsame Ziel einer signifikanten Steigerung der Energieeffizienz im Gebäude-bestand erreichen wollen. Der Weg, den die christlich--liberale Koalition eingeschlagen hat, ist realistisch. Der Weg, den die Grünen beschreiten wollen und den sie mit dem vorliegenden Antrag untermauern, führt hingegen in die Irre. Sie wollen eine sozial gerechte und zugleich wirtschaftliche Bestandssanierung – und dies bei einer drastischen Verschärfung der Modernisierungsstandards. Hierzu fordern sie natürlich auch wesentlich mehr Geld aus dem Bundeshaushalt, obwohl ihnen an anderer Stelle die Haushaltskonsolidierung nicht schnell genug vorankommt. Meine sehr verehrten Kollegen von den Grünen, es ist zwar bald Weihnachten; davon sollten Sie sich aber nicht irritieren lassen. Wir sind hier im Deutschen Bundestag und nicht bei „Wünsch dir was“. Daher zurück zur Realität: Aus meiner und der Sicht meiner Fraktion müssen sich die Maßnahmen zur Steigerung der Gebäudeeffizienz an drei wesentlichen Kriterien orientieren: Erstens. Sie müssen vom Bundeshaushalt finanzierbar sein, ohne die nachfolgenden Generationen zu belasten. Zweitens. Sie dürfen die Menschen nicht überfordern, das heißt die Standards dürfen nicht zu hoch sein, und es darf keinen Sanierungszwang geben. Unsere Maxime lautet: Anreiz statt Zwang! Denn wir wollen die Bürgerinnen und Bürger bei den Sanierungsmaßnahmen mitnehmen. Und drittens müssen die Maßnahmen so angelegt sein, dass die Häuslebauer, Hauseigentümer und Mieter in der Lage sind, sich die Modernisierung auch leisten zu können. Das Energiekonzept der Bundesregierung und die darauf aufbauenden Maßnahmen folgen diesem Dreiklang. Darüber hinaus entwickelt Bundesbauminister Dr. Peter Ramsauer zurzeit einen Sanierungsfahrplan für den Gebäudebestand, der sich ebenfalls an diesen Kriterien orientiert. Außerdem kommt man auch nicht umhin, die bereits auf den Weg gebrachten Maßnahmen der christlich--liberalen Koalition anzuerkennen. Was haben wir bisher erreicht? Erstens. Wir haben beschlossen, das erfolgreiche CO2-Gebäudesanierungsprogramm trotz schwieriger Haushaltslage von 2012 bis 2014 jeweils mit einem Programmvolumen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro fortzusetzen. Mit diesem Geld werden zinsverbilligte Kredite sowie Zuschüsse für die energetische Gebäudesanierung durch die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW, bereitgestellt. Die Höhe der Investitionszuschüsse der KfW wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2012 auf bis zu 20 Prozent der Investitionssumme erhöht. Auch der -Zuschuss für Einzelmaßnahmen ist von 5 Prozent auf 7,5 Prozent gestiegen. Dieses Programm ist eine klima- und wirtschaftspolitische Erfolgsgeschichte. Seit dem Jahr 2007 wurden damit über 1 400 Gebäude der sozialen und kommunalen Infrastruktur saniert. Jährlich wurden bis zu 300 000 Arbeitsplätze im Mittelstand und Handwerk gesichert. Der Förderhebel öffentlicher Mittel zu privaten Investitionen beträgt hier durchschnittlich 1 : 12. Damit ist das CO2-Programm ein echter Wirtschaftsmotor. Unser Ziel ist es daher, dieses Programm kontinuierlich weiterzuentwickeln und gegebenfalls auch den Ersatzneubau für Gebäude der sozialen und kommunalen Infrastruktur zu ergänzen. Zweitens. Darüber hinaus gibt es seit Januar ein neues KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“, für das der Bund 2012 rund 70 Millionen Euro und 2013 sogar 100 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Damit werden Maßnahmen zum Quartiersmanagement für die Steigerung der Energieeffizienz vor allem in Altquartieren gefördert. Drittens: Außerdem haben wir als christlich-liberale Koalition im Deutschen Bundestag ein Gesetz zur steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung beschlossen. Hier sind es jedoch die rot-grünen Bundesländer, die sich aus der Verantwortung stehlen. Wenn es Ihnen, liebe Kollegen von den Grünen, mit der Gebäudesanierung wirklich ernst wäre, würden Sie auch dort Flagge zeigen und dem Gesetz zustimmen. Statt-dessen zeigen Sie nur mit dem Finger auf den Bund und wollen ausschließlich ihn die Lasten für die Energiewende im Gebäudebereich tragen lassen. Verantwortungsvolle Politik und Glaubwürdigkeit sehen anders aus! Viertens. Auch im Bereich des Mietrechts fördert die christlich-liberale Koalition die energetische Gebäude-sanierung. Mit unserem Entwurf für ein Mietrechtsänderungsgesetz sorgen wir dafür, dass das Mietrecht unter Wahrung seines sozialen Charakters für energetische -Sanierungen investitionsfreundlicher wird. So sollen beispielsweise Mieter künftig für eine Zeit von drei -Monaten energetische Modernisierungsmaßnahmen dulden müssen, ohne die Miete mindern zu können. Außerdem werden wir mit dem Gesetz Contracting-Modelle im Mietwohnungsbereich ermöglichen. Insgesamt sind wir also mit unseren Maßnahmen auf einem sehr guten Weg zur Schaffung eines klimaneutralen Gebäudebestandes – und zwar ohne Zwang, ohne starre und unrealistische Zielvorgaben sowie mit Augenmaß und mit Rücksicht auf die nachfolgenden Generationen. Der Antrag der Grünen erfüllt diese Kriterien leider nicht. Er ist ein unseriöses Sammelsurium von Wunschmaßnahmen ohne Bezug zur Realität. Michael Groß (SPD): Die Schlagzeilen zum Thema Wohnen in den letzten Wochen spiegeln eindeutig die Ängste vieler Menschen wider: Aufruhr am Rhein oder drastische Mieterhöhungen in Neuperlach. Die Mieten steigen in Wachstumsregionen und zumindest die sogenannte zweite Miete in ganz Deutschland. Eine Rentnerin berichtet von zwei Mieterhöhungen in den Jahren 2008 und 2012 um jeweils 20 Prozent. Mietsteigerungen in Ballungszentren von 7 bis 10 Prozent sind keine Seltenheit, auch weil zumindest in Ballungsräumen zu wenige Wohnungen am Markt sind. Massiv steigende Stromkosten werden aktuell umgesetzt und weiterhin prognostiziert, aber auch für die Wärmeerzeugung benötigte Energie wird teurer. „Stadtluft macht arm“ war in den letzten Wochen zu lesen. Legt man die Einkommensentwicklung der letzten zehn Jahre und den „Reichtums- und Armutsbericht“ der Bundesregierung in seiner nicht zensierten Fassung zugrunde, sind inzwischen viele nicht mehr in der Lage, neben den Kosten für das Wohnen und die Mobilität große Sprünge zu machen. Circa 30 bis 50 Prozent des zur Verfügung stehenden Haushaltseinkommens müssen durchschnittlich für das Wohnen aufgebracht werden, 15 Prozent für die Mobilität bei Fahrten zur Arbeit, zur Schule oder zu Freunden und in die Vereine. Nachhaltiges politisches Handeln hat den Gleichklang von sozialen, ökonomischen und ökologischen Ziel-setzungen zur Grundlage. Gesellschaftliche Verwerfungen und ökologischer Nachholbedarf werden nicht allein über Wohnungsbaupolitik, Städtebauförderung und das Mietrecht zu korrigieren sein. Aber wir müssen soziale Trennung und Klimasegregation verhindern. Das Mietrecht ist auf keinen Fall der Hebel, um Klimaschutzziele zu erreichen. Das Mietrecht muss in seiner sozialen Funktion erhalten bleiben. Das Mietrecht ist der Ort, um eine soziale Balance zwischen Vermietern und Mietern sicherzustellen. Investoren müssen dennoch ebenso motiviert wie der Mieter vor überhöhten Mieten und Mietsteigerungen geschützt werden. Die SPD-Fraktion hat dazu einen eigenen Antrag vorgelegt. Wichtig ist, dass bei energetischen Gebäudesanierungen der Mieter Energieeinsparungen tat-sächlich feststellt und erst dann auch eine erhöhte Miete gerechtfertigt ist. Auf der Grundlage aller vorliegenden Berechnungsmodelle wird der Mieter allerdings nie so viel Heiz- und Nebenkosten einsparen können, wie ihn eine Mieter-höhung gegebenenfalls mehr belasten wird. Im Rahmen einer durchschnittlichen Mietdauer von sieben Jahren und bei durchschnittlichen Investitionskosten im durchschnittlichen Wohnungsbestand wird sich eine größere Investition für den Mieter nicht amortisieren. Eine Vollsanierung einer 60-Quadratmeter-Wohnung in einem in den 60er-Jahren gebauten Haus bedeutet eine Mietsteigerung von 2,50 Euro pro Quadratmeter und damit eine um 150 Euro höhere Miete im Monat. Dem steht eine Energiekosteneinsparung von etwa 40 Euro gegenüber. Um diese große Differenz abzufedern, sind verläss-liche und planbare Förderprogramme des Bundes erforderlich. Die Mieter müssen vor zu hohen Kosten geschützt werden. Das Wohngeld ist anzupassen und der Heizkostenzuschuss wieder einzuführen. Auch diejenigen, die über wenig Einkommen verfügen oder von Transferleistungen leben müssen, dürfen nicht in energetisch unsanierte Quartiere verdrängt und müssen für das eigene Energiesparen belohnt werden. Gleichzeitig brauchen Vermieter und Investoren Anreize, um die oft nicht wirtschaftlichen Investitionen zu tätigen und sich daran zu beteiligen, Energieeffizienz und CO2-Reduzierung voranzutreiben. Daher fordern wir das energetische Gebäudesanierungsprogramm mit 2 Milliarden Euro im Haushalt fest zu verankern – verlässlich und planbar! Eine weitere Verschärfung des Ordnungsrechts im Rahmen der Novellierung der Energieeinsparverordnung 2009 für den Bestand lehnt die SPD-Fraktion ab. Bereits jetzt sind Wohnungswirtschaft, Eigentümer und Mieter mit der Erfüllung der Anforderungen durch die bestehenden Standards im Bestand an die wirtschaftliche und finanzielle Belastungsgrenze gekommen. Vor diesem Hintergrund weise ich darauf hin, dass es auf einen ganzheitlichen, technologieoffenen und quartiersbezogenen Ansatz ankommt. Das Ziel kann nicht heißen, das letzte Quäntchen aus den Gebäuden herauspressen, um für viel Geld noch ein Minimum an CO2-Einsparung zu generieren. Es ist wesentlich sinnvoller, die effizientesten Maßnahmen mit der Versorgung durch regenerative Energien zu kombinieren. Grundsätzlich stellen sich Fragen an die Datengrundlagen und die Technologien. Die theoretisch berechneten Verbräuche für Häuser und Wohnungen vor den Sanierungen sind höher als der tatsächliche Verbrauch. Auswertungen nach der energetischen Sanierung ergaben im Gegenzug, dass der tatsächliche Verbrauch höher war als der vorher rechnerisch kalkulierte Bedarf. Es richten sich außerdem noch offene Fragen an die Baustoffe hinsichtlich des ökologischen Fußabdrucks in Bezug auf Herstellung, Transport, Recycling, Brandgefahren und Gesundheitsgefährdung. Es muss mehr Geld in die Forschung und städtebauliche Entwicklung investiert werden, damit zielsicher, effizient und effektiv saniert werden kann. In einzelnen Städten liegen Erkenntnisse vor, dass bereits durch die Optimierung vorhandener Technik und kleinerer Maßnahmen 30 Prozent Energieeinsparung zu erreichen sind. Insgesamt müssen die Kommunen im Bereich der Stadtentwicklung und im Wohnungsbau unterstützt werden, um quartiersbezogene Ansätze gemeinsam mit anderen wichtigen Akteuren vor Ort umzusetzen. Viele Städten und Gemeinden sind schon sehr weit. Sie wissen am besten über den Wohnungsbestand und die Leistungsfähigkeit der Vermieter und Mieter Bescheid. Sie müssen und können sich umsetzbare Ziele setzen. Neben der Energieeinsparung geht es aber auch um das soziale Leben, den altersgerechten Umbau, Barrierearmut und Inklusion. Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden, und Immobilien und ihr Umfeld müssen aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten umfassend entwickelt werden. Deshalb wollen wir die energetische Stadtsanierung in die Städtebauförderung integrieren und diejenigen belohnen, die sich auf einen abgestimmten, realistischen Pfad einlassen. Einen großen Beitrag zur Energieeffizienz und CO2-Reduzierung kann und muss darüber hinaus die dezentrale Energiegewinnung, -speicherung und -versorgung leisten. Wohnen ist Daseinsvorsorge. Die Menschen wollen bezahlbar wohnen und in den Städten und Gemeinden gut leben. Das ist die Aufgabe, der sich die SPD-Bundestagsfraktion stellt. Wir werden ein Leitprogramm „Soziale Stadt“ mit einer wesentlich verbesserte Mittelausstattung und einem vernünftigen ressortübergreifenden Ansatz weiterentwickeln sowie die Städtebauförderung mit mindestens 700 Millionen Euro verlässlich finanzieren und das Programm „Altersgerecht Umbauen“ wieder in den Bundeshaushalt integrieren. Die Bezuschussungskomponente für diese Maßnahmen muss hier wieder enthalten sein. Die zweckgebundene soziale Wohnraumförderung ist auf dem jetzigen Niveau zu verstetigen und als Kompensationszahlung des Bundes bis 2019 fortzuführen. Sebastian Körber (FDP): Die heutige Debatte verdanken wir einem langen Antrag der Grünen zur Energiewende im Gebäudebereich, von dem die Grünen selbst salbungsvoll im Titel behaupten, er wäre „sozial gerecht, umweltfreundlich, wirtschaftlich und zukunftsweisend“. Sie behaupten darin unter anderem: „In allen Bereichen gibt es gravierende Defizite und falsche Weichenstellungen durch die Bundesregierung“. Also, liebe Kollegen der Grünen, die einzigen Defizite befinden sich in Ihrer ideologischen Wahrnehmung und vor allem in Ihrem Gedächtnis. Die Wahrheit ist: Wir stehen heute hier, weil diese Regierung nicht wie Sie nur geredet, sondern gehandelt hat, weil Schwarz-Gelb die Energiewende eingeleitet hat und nicht Sie – und daran haben Sie bei den Grünen auch bis heute zu kämpfen. In dieser andauernden Sinnkrise ist Ihr Ansatz, um die Energiewende im Gebäudebereich „zukunftsweisend umzusetzen“, lediglich immer mehr Geld, Bürokratie und Überwachung. Das ist nicht „zukunftsweisend“, sondern selbst für grüne Verhältnisse mehr als rückschrittlich. Besonders lächerlich wird es, wenn Sie am Anfang zunächst der Bundesregierung fehlendes Handeln und fehlende Konzepte vorwerfen und dann im Zuge des Antrags seitenweise auf die zahlreichen Initiativen dieser Regierung im Gebäudebereich kleinlaut eingehen und daran rumnörgeln. Wer hat also gehandelt und auch die Energiewende im Gebäudebereich voran-getrieben? Diese schwarz-gelbe Koalition! Sie wollen sich vor den Wahlen schnell den Mantel der bürgerlichen Mitte umhängen; in Wirklichkeit täuschen Sie die Menschen: Sie sind nicht bürgerlich; Sie wollen den Einstieg in den ökologischen Überwachungsstaat – kaum ein Absatz in Ihrem Antrag ohne die Zusätze „verpflichtend“, „verbindlich“, „vorschreiben“, „Verschärfung“, „Kontrolle“, – und das lehnen wir entschieden ab. Aber der Gipfel ist: Sie betreiben die dreisteste, schlimmste Blockadepolitik im Bundesrat seit Lafontaine/Schröder in den 90er-Jahren – im Bundestag immer mehr fordern und im Bundesrat alles blockieren! Und Sie wagen es, sich hier treuherzig hinzustellen und in diesen -Antrag zu schreiben: „Hinzu kommt, dass die Verhandlungen über den Steuerbonus für energetische Gebäude-sanierungen von der Bundesregierung ausgebremst und verzögert werden.“ Das ist ja geradezu grotesk. Wem wollen Sie denn das ernsthaft erzählen? Sie wissen es natürlich selbst besser. Seit einem Jahr blockieren Sie zusammen mit der SPD, vorneweg Herr Kretschmann und Frau Kraft – die SPD-„Reserve-Kanzlerkandidatin“ der Herzen, falls Herrn Steinbrück die Luft endgültig ausgeht. Da weiß Deutschland, was ihm blüht, wenn nächstes Jahr Rot-Grün regieren sollte. Sie nehmen mit Ihrer Blockade alle Eigentümer und Hausbesitzer in Deutschland in steuerpolitische „Geiselhaft“. Ich fordere alle Hausbesitzer und Eigentümer auf, Protestschreiben und Protest-E-Mails an Rot-Grün zu schicken – insbesondere an Frau Kraft in Düsseldorf und Herrn Kretschmann in Stuttgart – dessen grüner Infrastrukturminister Hermann laut Bild gerade 200 000 Euro in Teekücheninfrastruktur investiert; das zeigt, wie „gut“ Sie mit Steuergeld umgehen können. Konzentrieren wir uns also auf die Fakten und nicht auf grüne Wunschträume: Auch in den Jahren 2013 und 2014 werden im Energie- und Klimafonds Programmmittel von jährlich 1,5 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm zur Verfügung stehen. Mit dem erfolgreichen CO2-Gebäudesanierungsprogramm unterstützt die Bundesregierung bereits die Kommunen finanziell bei der Finanzierung von energetischen Sanierungsmaßnahmen bei Gebäuden der kommunalen Infrastruktur. Zusätzlich werden mit dem von uns initiierten KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“ umfassende Maßnahmen mit Blick auf die Energieeffizienz und die Infrastruktur im Quartier angestoßen. Wir wollen so erneuerbaren Energien breitere Einsatzmöglichkeiten in innerstädtischen Altbauquartieren bieten, weitere Investorengruppen in den Sanierungsprozess einbeziehen sowie Energieeinsparung und Baukultur besser in Einklang bringen. Wieder so ein Fall: Sie lamentieren, wir würden nichts tun; ja, wer hat es denn eingeführt? Union und FDP! Übrigens: Alle Vorschläge zur Begrenzung des Mietanstiegs, die ich von Ihnen höre, gehen einseitig zulasten des Vermieters und sind ungeeignet, Mietsteigerungen zu vermeiden und bezahlbaren Wohnraum zu erhalten. Vielmehr besteht die Gefahr der Verstetigung von Wohnraumknappheiten, wenn sich die Investitionsbedingungen für den Mietwohnungsbau verschlechtern. Der beste Mieterschutz ist, für ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Wir müssen die energetische Modernisierung des Gebäudebestandes stärker vorantreiben – aber nicht mit der „Zwangskeule“, sondern nach dem Motto „Unterstützen statt überfordern“. Die steuerliche Förderung von energetischen Modernisierungsmaßnahmen im Gebäudebestand ist zwingend. Wir werden Ihnen das so lange hier vorhalten, bis Sie Ihre Blockade aufgeben. Der Gebäudebereich wird entscheidend zum Gelingen der Energiewende beitragen. Union und FDP setzen – im Gegensatz zu den Grünen – die richtigen Rahmenbedingungen durch Planungssicherheit für gewerbliche Investoren und private Haushalte. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Der verantwortungsvolle Umgang mit unserer Umwelt, dem Klima und mit den begrenzten Ressourcen der Erde ist unsere Pflicht und unsere Schuldigkeit gegenüber unseren Kindern, Enkeln und deren Kindern. Er ist zugleich eine hoch-aktuelle, dringende Tagesaufgabe, weil schon viel zu viel Zeit ungenutzt verstrichen ist und die Zeichen der „menschgemachten“ Klimakatastrophe unübersehbar ge-worden sind. Die Linke bekennt sich programmatisch zu den internationalen Klimaschutzzielen und fordert von der Bundesregierung, ihre verbalen Verpflichtungen mit aktivem politischem Handeln dauerhaft und verlässlich zu untersetzen. Wir unterstützen parlamentarische Initiativen, die die Erreichung der international vereinbarten Klimaziele fördern wollen, wie der hier vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die GRÜNEN. Wir sagen aber auch: Ohne breite Akzeptanz in der Bevölkerung, ohne soziale Gerechtigkeit sind solche parlamentarischen Aktionen nicht tragfähig und werden daher unwirksam bleiben. Der Antrag führt zwar die Worte „sozial gerecht“ im Titel, wenn man ihn sich aber genauer anschaut, scheint das doch eher ein Feigenblatt zu sein in einem Wust von technischen, ordnungsrecht-lichen Forderungen und Regelungsvorschlägen. So richtig und berechtigt die Forderungen in ihrer Zielsetzung auch sein mögen, sie werden unerfüllbar bleiben, wenn sie den Betroffenen – das sind in diesem Falle 81 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner der Bundesrepublik – von „oben“ übergestülpt werden, ohne dass die sozialen Interessen aller Beteiligten ausgewogen berücksichtigt werden. Um es konkret zu machen: In keinem anderen Bereich sind die Wohnkosten so schmerzhaft gestiegen wie bei den Kosten für Heizung, Strom und warmes Wasser. Die energiepolitische Wende ist daher schlicht auch notwendig, um den Anteil der Wohnkosten an den Haushaltseinkommen überhaupt noch schultern zu können – übrigens nicht nur der Mieterinnen und Mieter, sondern auch sehr vieler Eigenheimbesitzer, für die ihr Häuschen aus der gedachten Altersvorsorge zu einem Armutsrisiko wird. Umsonst ist die Energiewende im Gebäudebestand nicht zu haben. Das wissen und akzeptieren wir. Wir akzeptieren daher auch, dass neben dem Staat und den Wohnungseigentümern auch die Mieterinnen und Mieter, die das wirtschaftlich tragen können, an den Kosten der Klimainvestitionen zu beteiligen sind. Um es mit dem DMB auszudrücken: „Die Mehrzahl der Mieter ist nicht arm. Aber die Menschen in den unteren Einkommensgruppen sind fast ausschließlich Mieterinnen und Mieter.“ Die Folgerung aus dieser These darf aber nicht sein – wie man das gelegentlich aus der anderen Richtung der Wohnungswirtschaft hört –, dass man einen gewissen Teil unsanierten und damit angeblich preiswerten Wohnraums für diesen Bevölkerungsteil vorhalten müsse. Die Forderung, man solle nicht „preiswerten Wohnraum wegsanieren“ ist nicht nur zynisch, sie ist auch wirtschafts- und erst recht sozialpolitisch völlig inakzeptabel. In den energetisch unsanierten Gebäuden wohnen die meisten Menschen mit niedrigen Einkommen. Wenn die Heiz- und Warmwasserkosten dort aufgrund steigender Energiepreise das Niveau der Nettokaltmieten erreichen, dann sind es die Einkommensschwächsten, die die höchsten Rechnungen für eine unterlassene energetische Ertüchtigung zahlen müssen. Die energetische Wende kann nicht gelingen, wenn Menschen auf diese Weise ausgegrenzt werden oder wenn die Kosten von Modernisierungsmaßnahmen zu Armutsrisiken oder zu sozialer Spaltung in den Städten und Wohnquartieren führen. Gerade deshalb müssen alle Maßnahmen für einen konsequenten Klimaschutz sehr ernsthaft mit flankierenden sozialen Maßnahmen verbunden werden. Die energetischen Sanierungsmaßnahmen sind in dem notwendigen und rechtsverbindlich vorgegebenen Rahmen ohne massive staatliche Beteiligung völlig undenkbar. Schon deshalb müssen Fördermaßnahmen nicht allein an ihrem finanziellen Umfang bemessen werden, sondern an ihren Wirkungen. Staatliche Förderung energetischer Sanierung muss in erster Linie an den erzielten Energieeinsparungseffekten orientiert sein, nicht an den Investitionskosten. Das heißt: Besonders effiziente energetische Sanierung muss auch besonders intensiv gefördert werden. Die Forderung nach der Wirtschaftlichkeit energetischer Sanierungsmaßnahmen muss für beide Seiten, für Vermieter und Mieter, gelten. Das heißt, vorrangig solche Maßnahmen zu fördern, die die beste Kosten-Nutzen-Relation nachweisen. Warmmietenneutralität ist in der Regel nicht ohne öffentliche Förderung möglich. Das heißt: Was der Mieter bei der durch die Modernisierungsumlage steigenden Kaltmiete nicht aus Energiekostenersparnis „erwirtschaften“ kann, muss durch öffentliche Förderung aufgefangen werden. Wir unterstützen deshalb auch die – in diesem vorgelegten Antrag enthaltene – Forderung des Deutschen Mieterbundes nach Einführung eines „Klimawohngeldes“, also einer zusätzlichen Kategorie im Wohngeld, die es berücksichtigt, wenn aufgrund einer energetischen Sanierung die Miete höher ist als ohne diese Sanierungsmaßnahme. Unterm Strich: Politik kann genaue Gesetze, Verordnungen, Durchführungsbestimmungen, Regeln und Ausnahmebestimmungen erlassen. Aber bei allem gilt: Jedes mit Gesetzen, Verordnungen usw. fixierte Ziel wird nur erreicht werden, wenn ihm eine adäquate Finanzausstattung zugrunde gelegt wird. Vermieter werden ihre Investitionsentscheidungen nicht von internationalen Klimaschutzzielen abhängig machen, sondern von der zu erzielenden Rendite an ihrem konkreten Investitions-standort. Mindestens aber wollen sie nicht draufzahlen. Mieter haben nicht plötzlich mehr Einkommen zur Verfügung, weil eine neue Energieeinsparverordnung in Kraft tritt. Nur die Politik, der Staat, kein anderer Beteiligter kann diesen Interessenkonflikt wenn schon nicht auflösen, dann doch wenigstens ausgleichen. Dazu muss er aber zuallererst die soziale Dimension des Klimaschutzes im Auge haben und darf Förderung nicht nach Kassenlage, an Umfragewerten oder an Lobbyinteressen ausrichten. Wenn die finanzielle Ausstattung der Förderprogramme einschließlich des EKF sich an den selbstgesteckten Klimaschutzzielen orientiert und der Einsatz der Fördermittel sich ausschließlich am Grad der erzielten Steigerung der Energieeffizienz ausrichtet, dann kann – und das muss es auch unter Klimaschutzerfordernissen – Wohnen in Deutschland auf Dauer bezahlbar bleiben. Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutschland hat sich international verpflichtet, den Ausstoß von Klimagasen hierzulande um mindestens 40 Prozent bis 2020 und um 95 Prozent bis 2050 zu senken. Dennoch ist die Bundesregierung anscheinend in einem Winterschlaf gefangen. Ausreichende Förderung der energetischen Gebäudesanierung? Steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung? Mietrechtsnovelle? Baugesetzbuchnovelle? Soziale Wohnraumförderung? Städtebauförderung? Fehlanzeige! Zielführende Politik sieht so nicht aus. In der Summe führen die Defizite und Fehlsteuerungen bei der Gebäudesanierung dazu, dass Deutschland das EU-Einsparziel von 20 Prozent bis 2020 weit verfehlen wird. Die Bundesregierung hat nach Brüssel gemeldet, dass bis 2020 der Energieverbrauch gegenüber 2008 um lediglich 12,8 Prozent gesenkt werden könne. Damit fällt Deutschland deutlich hinter Länder wie Frankreich oder Spanien zurück. In ihrem eigenen Energiekonzept hat die Bundesregierung eine Senkung um 20 Prozent des Primärenergieverbrauchs für den gleichen Zeitraum beschlossen. Eine Gesamtstrategie für die Energiewende im Gebäude-bereich ist dringend notwendig, sollen die Klimaschutzziele erreicht, die ökonomischen Potenziale erschlossen und die Sozialverträglichkeit gesichert werden. Die Bundesregierung muss endlich eine konsistente Strategie für die sozialverträgliche Sanierung des Gebäudebestands mit dem Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestands bis 2050 entwickeln und konsequent verfolgen, wenn sie die Klimaziele erreichen will. Wir Grüne haben ein Maßnahmenpaket mit mehreren Aktionsbereichen vorgeschlagen. Im ersten Aktionsbereich ist dringend mehr Transparenz hinsichtlich des energetischen Standards von Gebäuden und Wohnungen herzustellen. Wir Grüne schlagen daher vor, die Energieausweise für Gebäude zu vereinheitlichen und auf den Bedarfsausweis zu beschränken, der den Energiebedarf des Gebäudes unabhängig vom Nutzerverhalten darstellt. Der Bedarfsausweis ist in seiner heutigen Form konzeptionell zu überarbeiten, zu erweitern und verbraucherfreundlicher und aussagekräftiger zu gestalten. Dazu sollte er auf sicheren, nachvollziehbaren und überprüfbaren Berechnungen basieren und zum Beispiel um die Angabe des Energieverbrauchs der letzten Verbrauchsabrechnungen ergänzt werden. Der Bedarfsausweis sollte verpflichtend an eine Vor-Ort-Energieberatung geknüpft sowie um einen individuellen Modernisierungsfahrplan mit konkreten Modernisierungsempfehlungen für die Eigentümer ergänzt werden. Dieser Ausweis sollte bei Immobilieninseraten, Eigentümerwechsel, EnEV-relevanten Sanierungen sowie zur Beantragung von Fördergeldern verpflichtend vorgeschrieben werden. Es sollte verbindlich vorgeschrieben werden, dass der Ausweis ab 2015 bei neuen Vermietungen und ab 2018 für alle Gebäude an Mieter ausgehändigt werden muss. Für die schrittweise Einführung des neuen Bedarfsausweises sollten entsprechend Fördermittel bereitgestellt werden, wobei diejenigen, die früh aktiv werden, besonders von der Unterstützung profitieren sollen. Wir fordern die Bundesregierung auf, die mithilfe der Bedarfsausweise ermittelten energetischen Kennzahlen unter Wahrung datenschutzrechtlicher Bestimmungen in einer Datenbank zu sammeln, um sukzessive den energetischen Zustand des Gebäudebestands zu erfassen und ein Monitoring zu ermöglichen. Diese Datenbank kann auch von Kommunen genutzt werden, etwa um Modernisierungsmaßnahmen zu planen oder ökologische Mietspiegel, die den energetischen Zustand der Gebäude enthalten, zu erstellen. Im zweiten Aktionsbereich sollten die Mindeststandards für die energetische Modernisierung angehoben werden. Der derzeit gültige Energiestandard von 90 bis 100 Kilowattstunden Energiebedarf für Wärme und Kühlung, Kilowattstunden pro Quadtratmeter und Jahr, soll bei Sanierung bis 2020 schrittweise auf 70 Kilowattstunden angehoben werden – 7-Liter-Haus. Bevor Sie jetzt wieder mit Zwangssanierung kommen: Dieser Standard muss nur eingehalten werden – wie bereits heute in EnEG und EnEV vorgesehen –, wenn überhaupt saniert wird und die Sanierung wirtschaftlich darstellbar ist. Die Umstellung auf erneuerbare Energien bei der Einhaltung der Mindeststandards sollte mit Energieeffizienzmaßnahmen gekoppelt werden. Maßnahmen der energetischen Quartierssanierung sind leichter anzuerkennen, sofern diese mit Energieeffizienzmaßnahmen am einzelnen Gebäude einhergehen. Hinsichtlich des Erhalts von Baukultur sagen wir, dass Ausnahmeregeln für denkmalgeschützte Gebäude sowie für städtebaulich oder architektonisch besonders erhaltenswerte Gebäude weiterhin vorzusehen sind. Soweit es ihre städtebauliche Bedeutung zulässt, sollen bei der Sanierung ökologische Ziele berücksichtigt werden; Ausnahmetatbestände für Bestandsgebäude, die nicht unter Denkmalschutz stehen oder als baukulturell erhaltenswerte Gebäude gelten, wollen wir auf den Prüfstand stellen. Klar ist: Die Verschärfung der EnEV-Standards ist mit der gleichzeitigen Bereitstellung ausreichender Fördermittel zu flankieren, um einen Modernisierungsstau zu vermeiden. Auch ist mittelfristig die Wirtschaftlichkeitsdefinition im Energieeinsparungsgesetz, EnEG, zu überarbeiten, sodass die Anforderungen der EU-Gebäuderichtlinie zur Berechnung kostenoptimaler Niveaus berücksichtigt werden. Im dritten Aktionsbereich ist akut die Förderung des Energiesparens und der Effizienz neu auszurichten. Wir Grünen wollen die finanzielle Ausstattung der Förderprogramme zur Gebäudemodernisierung auf 2 Milliarden Euro per anno anheben, auf diesem Niveau verstetigen und wieder in den Bundeshaushalt überführen. Die unsichere Finanzierung der CO2-Gebäudesanierungsprogramme der KfW über den Energie- und Klimafonds bringen uns nicht weiter. Weiterhin ist ein neuer Energiesparfonds mit einem Finanzvolumen von 3 Milliarden Euro jährlich aufzulegen sowie zu einer zielgerichteten und dauerhaften Effizienzinitiative auszubauen. Der Fonds soll dazu beitragen, den Strom- und Wärmeverbrauch zu senken und folgende Förderprogramme umfassen: Energieberatung und Informationen verbessern und die Erstellung von Energiebedarfsausweisen für jedes Wohngebäude fördern; energetische Modernisierung insbesondere in Wohnquartieren mit hohem Anteil einkommensschwacher und investitionsschwacher Haushalte erhöhen; Stromeffizienz besonders sparsamer strombetriebener Geräte fördern, insbesondere in einkommensschwachen Haushalten; weitere Fondsmittel sollen für die Modernisierung öffentlicher Gebäude sowie für die Einführung eines Klimawohngeldes zur Verfügung stehen, mit dem soziale Härten im Zuge der Modernisierung verhindert werden. Zusätzlich ist eine steuerliche Förderung der energetischen Modernisierung so auszugestalten, dass sie sozial gerecht ist, einen zusätzlichen Modernisierungsanreiz für selbstnutzende Eigentümerinnen und Eigentümer darstellt, den Klimazielen gerecht wird und die bestehenden CO2-Gebäude-modernisierungsprogramme der KfW sowie den grünen Energiesparfonds ergänzt. Auch sollte sich die Bundesregierung dafür einzusetzen, dass auch zukünftig aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, EFRE, die Steigerung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien im Wohnungsbestand förderfähig bleibt und die Begrenzung der Höchstsumme von 4 Prozent der nationalen EFRE-Mittel in eine Mindestsumme umgewandelt wird. Der vierte Aktionsbereich zielt darauf, endlich die Nutzung erneuerbarer Wärme voranzutreiben. Hierzu sollte die Bundesregierung das EEWärmeG über Neubauten hinaus auf den Gebäudebestand sowie auf öffentliche Gebäude ausweiten. Die gesetzliche Verpflichtung zum Einsatz erneuerbarer Energien muss entsprechend beim Neubau sowie bei Modernisierungen und Austausch bestehender Heizungsanlagen greifen. In den gesetzlichen Standard für den Einsatz erneuerbarer Energien ist ein Deckungsanteil von 20 Prozent bei Neubauten und 10 Prozent bei Bestandsbauten am jährlichen Wärmebedarf festzuschreiben. Der Standard wird entsprechend der Marktentwicklung regelmäßig angehoben. Dazu ist im Gesetz alle fünf Jahre eine Steigerung um 10 Prozent bei Neubauten und 5 Prozent bei Altbauten vorzusehen; Es sollten jene Gebäude von der gesetzlichen Pflicht befreit werden, die die jeweils gültigen Bestimmungen der Energieeinsparverordnung um mindestens 50 Prozent übererfüllen, sowie sporadisch genutzte Gebäude und Gebäude mit einer Nutzfläche von unter 50 Quadratmetern. In dem Gesetz sollte die maximale CO2-Reduktion in den Mittelpunkt gestellt werden und deshalb eine Verdrängung neuer Ölheizungen ab dem Jahr 2015 durch Erneuerbare-Energien-Anlagen als Ziel gesetzt werden. Dies ist bei der Ausgestaltung der Förderrichtlinien zu beachten. Die Erschwernisse einkommensschwacher Haushalte und investitionsschwacher Eigentümerinnen und Eigentümer sind in dem Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien, MAP, stärker zu berücksichtigen. Begleitend zum EEWärmeG sollte die Förderung der saisonalen Wärmespeicherung und des Ausbaus der Wärmenetze mit besonderem Augenmerk auf Nahwärmenetze ausgedehnt werden. Auch ist parallel zum EEWärmeG das Mietrecht so zu ergänzen, dass die Umstellung auf erneuerbare Wärme mit Maßnahmen zur Effizienzsteigerung einhergeht. Im fünften Aktionsbereich sollten die energetische Sanierung des Gebäudebestands wohnungspolitisch und mietrechtlich unterstützt sowie die soziale Entmischung in unseren Städten aufgehalten werden. Daher sollte die Bundesregierung im Rahmen der aktuellen Mietrechtsnovelle die Modernisierungsumlage auf 9 Prozent absenken und auf die energetische Modernisierung sowie den altersgerechten bzw. barrierefreien Umbau konzentrieren. Die Bundesregierung sollte zusätzlich die Aufnahme der energetischen Gebäudebeschaffenheit in die ortsübliche Vergleichsmiete stärker unterstützen. Wichtig wäre es, festzulegen, dass durch energetische Modernisierungen Primär- und Endenergie eingespart wird, damit Mieterhöhungen durch Heizkostenersparnisse refinanziert werden können. Ergänzend hierzu sollten energetische Modernisierungen gegenüber anderen Modernisierungsmaßnahmen bei den Duldungsbestimmungen privi-legiert werden. Weiterhin wäre es zielführend, das Bürgerliche Gesetzbuch, Mietrecht, Baugesetzbuch und Wirtschaftsstrafgesetzbuch entsprechend den Anträgen auf den Drucksachen 17/7983 und 17/10120 zu ändern und weiterzuentwickeln. Den Ländern ist endlich ein ernsthaftes und annehmbares Angebot zu unterbreiten, das eine Verstetigung der Finanzhilfen nach Art. 143 c des Grundgesetzes für die soziale Wohnraumförderung bis zum 31. Dezember 2019 zweckgebunden vorsieht. Sie haben den Heizkostenzuschuss im Wohngeld abgeschafft. Das wäre nur sinnvoll gewesen, wenn Sie ihn schrittweise in einen Klimazuschuss als Bestandteil des Wohngeldes weiterentwickelt hätten. Das Wohngeld ist endlich bedarfsgerecht weiterzuführen und zu einem Klimawohngeld weiterzuentwickeln. Im Rahmen des Klimawohngeldes wird ein Klimazuschuss für energetisch sanierte Wohnungen eingeführt, um einkommensschwache Haushalte zu unterstützen. Der § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes, WiStG, sollte so ausgestaltet werden, dass er auf die bezirks- und quartiersspezifischen Entwicklungen der Kommunen stärker eingeht und die Wesentlichkeitsgrenze abgrenzt. Ergänzend hierzu sind die §§ 142 und 144 – Sanierungssatzung – sowie 172 – Erhaltungssatzung – des Baugesetzbuchs, BauGB, dahin gehend zu ergänzen, dass bei der Ausweisung von Sanierungs- und Milieuschutzgebieten die Möglichkeit von Mietobergrenzen wieder zugelassen werden können. Herr Bundesbauminister, wachen Sie endlich aus Ihrem bau- und wohnungspolitischen Winterschlaf auf! Schützen Sie Mieterinnen und Mieter vor steigenden Neben- und Heizkosten sowie daraus folgender Energiearmut. Bewahren Sie Immobilienbesitzerinnen und Immobilienbesitzer vor einer langfristigen kalten Enteignung ihrer unsanierten Gebäude über steigende Energiepreise. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (Tagesordnungspunkt 18) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Das Insolvenzrecht beschäftigt uns in dieser Wahlperiode als Daueraufgabe. Nach dem ESUG, das in den vergangenen Monaten den ersten Praxistest durchlaufen hat, haben wir kürzlich die Entfristung der Regelung zum Überschuldungsbegriff beschlossen, um den Unternehmen an dieser Stelle die nötige Rechtssicherheit für die Zukunft zu geben. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte greifen wir nun ein Projekt aus dem Koalitionsvertrag auf. Eine Vereinbarung über eine schnellere Möglichkeit zur privaten Entschuldung findet sich hier, allerdings im Kapitel über die Wirtschaftspolitik. Für uns als federführende Rechtspolitiker war das zunächst einmal überraschend. Das Anliegen, Unternehmen im Fall des Scheiterns ihrer Geschäftsidee einen schnelleren Fresh Start zu ermöglichen, ist aber auch für die Rechtspolitiker sicher nachvollziehbar. Wir haben alle ein Interesse daran, dass immer wieder Menschen mit guten Geschäftsideen ein Wagnis eingehen, auch wenn ein Teil von ihnen mit dieser Geschäftsidee scheitert. Es ist gut, wenn sie die Chance erhalten, in angemessener Zeit wieder wirtschaftlich handlungsfähig zu werden und etwas Neues zu beginnen. Nun legt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor, der sich über diese ursprüngliche Intention hinaus nicht nur auf Unternehmer, sondern auf alle privaten Schuldner erstreckt. Auch das ist plausibel; denn in der Tat ist eine verfassungsmäßig haltbare Abgrenzung zwischen den einen und anderen Schuldnern sehr problematisch. Wir wissen außerdem, dass auch unter den privaten Schuldnern vielfach schicksalhafte Entwicklungen wie Arbeitslosigkeit Ursache der Überschuldung sind; oft auch Trennung und Scheidung – das möchte ich zwar nicht per se als „schicksalhaft“ bezeichnen. Es zeigt sich aber, dass die Probleme zumeist nicht in einem allzu leichtfertigen Umgang mit Geld liegen, sondern andere, oft einmalige Ursachen im Lebensverlauf haben. Oft gehen dem Antrag auf ein privates Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiung bereits Jahre voraus, in denen der Schuldner und gegebenenfalls auch seine Familie sich wegen der Schulden sehr stark einschränken müssen – mit allen Begleiterscheinungen für die Lebensgestaltung, aber auch Ausweichreaktionen in Richtung Schwarzarbeit. Es ist deshalb ein richtiger Ansatz, wenn durch eine angemessene Regelung zur Restschuldbefreiung eine Perspektive für einen Neuanfang geschaffen wird. Es gibt aber auch die andere Seite: Der Grundsatz „pacta sunt servanda“ hat ebenfalls eine hohe Bedeutung und verlangt grundsätzlich, dass eingegangene Verpflichtungen zu erfüllen sind. Beides muss gegeneinander abgewogen werden. Die Bundesregierung schlägt uns hier eine Verkürzung der Wohlverhaltensperiode auf drei Jahre vor, wenn im Insolvenzverfahren zumindest 25 Prozent der Schulden beglichen werden, auf fünf Jahre, wenn zumindest die Verfahrenskosten gedeckt werden. Die bereits vorliegenden Stellungnahmen zeigen: Das ist den einen nicht weitreichend genug, den anderen geht der damit verbundene Einschnitt in die Position der Gläubiger schon zu weit. Hier muss man gut überlegen, ob diese Hürde für alle Fälle sachgerecht ist, oder ob es weitere Möglichkeiten der Differenzierung geben sollte – etwa dort, wo auch der redliche Schuldner bei bestem Willen eine solche Quote nicht erfüllen kann oder wo auf der anderen Seite ein beschleunigtes „Freikaufen“ von leichtsinnig aufgehäuften Konsumschulden mit 25 Prozent allzu einfach erscheint. Der Ansatz, mit einer bestimmten Mindestquote einen Anreiz zu setzen, der zu einem frühzeitigen Insolvenzantrag und unter Umständen auch zu überobligatorischen Bemühungen um die Erfüllung einer solchen Quote führt, die weit über den heute durchschnittlich erzielten Quoten liegt, erscheint jedenfalls zunächst einmal plausibel, und wir werden das konstruktiv prüfen. Das Gesetzgebungsverfahren greift weitere wichtige Punkte zur Verbesserung des Restschuldverfahrens auf. Eine wichtige Stärkung der Gläubigerrechte liegt darin, dass Anträge auf Versagung der Restschuldbefreiung künftig nicht mehr nur im Schlusstermin geltend gemacht werden können. Entscheidend ist, dass sie bis dahin zumindest schriftlich vorliegen müssen; bei später bekanntwerdenden Gründen ist auch die nachträgliche Geltendmachung noch möglich. Ärgerliche Fälle, in denen auch unredliche Schuldner Restschuldbefreiung erlangen konnten, weil die Gläubiger den Aufwand der Antragstellung im Schlusstermin scheuten, sind damit für die Zukunft ausgeschlossen. Eine Stärkung der Erwerbsobliegenheiten des Schuldners im Insolvenzverfahren und seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflichten erscheinen ebenfalls gerecht und sinnvoll und stärken die Rechte der Gläubiger. Erklärtes Ziel des Gesetzentwurfs ist außerdem die Stärkung des außergerichtlichen Einigungsversuchs. Hier leisten die Schuldnerberatungsstellen oft eine sehr gute Arbeit, in der neben der Klärung der persönlichen Finanzlage auch viel Lebenshilfe geboten wird. Die Schuldnerberatungsstellen weisen allerdings darauf hin, dass das Ziel einer Stärkung der außergerichtlichen Einigung durch den Wegfall der gerichtlichen Zustimmungsersetzung aus ihrer Sicht gefährdet erscheint. Dies und die weiteren Vorschläge der sogenannten Stephan-Kommission sollten wir in den anstehenden Beratungen nochmals im Detail prüfen. Noch offen ist aus meiner Sicht die Regelung der funktionellen Zuständigkeit. Ursprünglich war im Referentenentwurf die Übertragung der Verbraucherinsolvenz auf die Rechtspfleger vorgesehen, auch als Ausgleich zur Übertragung von Zuständigkeiten auf den Richter im ESUG. Dies ist im nun vorliegenden Regierungsentwurf geändert, ohne dass uns das Ministerium dazu eine vertiefte Begründung liefert. Der Gesetzentwurf greift weitere Aspekte auf, die zusammen mit den genannten Änderungen dazu beitragen können, Gerechtigkeit und Akzeptanz des Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahrens im privaten Bereich zu verbessern. In den anstehenden Beratungen wird es unsere Aufgabe sein, für Schuldner und Gläubiger zu praktikablen Regelungen zu kommen, die einen angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen ermöglichen. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Nachdem wir im vergangenen Jahr die erste Stufe der Insolvenzrechtsreform – das Gesetz zur weiteren Erleichterung von Unternehmen – erfolgreich abgeschlossen haben, sprechen wir heute über die zweite Stufe der umfassenden Reform durch die christlich-liberale Koalition. Auch wenn der Schwerpunkt der letzten Stufe bei den Unternehmen und deren Erhalt im Falle einer Schieflage lag und der Schwerpunkt nunmehr bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern liegt, gilt es auch in diesem Gesetzgebungsverfahren, wieder einen angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu finden. Denn auch im Verbraucherinsolvenzverfahren gibt es Gläubiger, die ein berechtigtes Interesse daran haben, dass ihre ausstehenden Forderungen beglichen werden, und Schuldner, die nicht mehr alle ihre eingegangenen Verbindlichkeiten bedienen können und daher auf eine zweite Chance setzen. Das geltende Recht enthält bereits einen Weg hin zu dieser zweiten Chance, zur Restschuldbefreiung. Dieser ist allerdings nicht nur im europäischen Vergleich verhältnismäßig lang, sondern auch in vielen Fällen nicht zielführend gewesen, da die ausstehenden Forderungen aufgrund fehlender Anreize für den Schuldner nicht beglichen wurden. Der vorliegende Gesetzentwurf greift diese Fehlentwicklung auf und sieht vor, die Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens von sechs auf drei Jahre zu halbieren. Allerdings setzt dies voraus, dass die betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher einen Teil ihrer Schulden begleichen, genauer gesagt: 25 Prozent, sowie die dazugehörigen Verfahrenskosten. Gelingt es dem Schuldner nicht, die Mindestbefriedigungsquote zu erreichen, so kann er zumindest, sofern er die Verfahrenskosten begleicht, die Wohlverhaltensperiode auf fünf Jahre verkürzen. Kann der Schuldner nicht einmal diese Kosten aufbringen, bleibt es bei der derzeitigen Restschuldbefreiungsdauer von sechs Jahren. Damit wird deutlich, dass es auch in Zukunft nicht darum gehen kann, sich einen „schlanken Fuß“ zu machen. Wer eine Vielzahl von Verbindlichkeiten eingeht und diese dann nicht mehr begleichen kann, muss bereit sein, hierfür einzustehen. Ist er nicht dazu bereit, seine angehäuften Verbindlichkeiten zumindest ansatzweise abzutragen, hat er auch weiterhin die Konsequenzen hierfür zu tragen und das Restschuldbefreiungsverfahren in vollem Umfang zu durchlaufen. Schließlich ist und bleibt ein solches Verhalten kontraproduktiv für alle Beteiligten und darf durch den Gesetzgeber nicht auch noch unterstützt werden. Dies gilt es auch im weiteren parlamentarischen Verfahren nochmals deutlich herauszustellen. Das parlamentarische Verfahren sollte aus meiner Sicht aber auch dafür genutzt werden, an der einen oder anderen Stelle noch Veränderungen am Gesetzentwurf zu prüfen. Der Gesetzentwurf enthält zwar bereits einige Änderungen, die für eine höhere Effektivität bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben sorgen sollen. So soll beispielsweise zukünftig der außergerichtliche Einigungsversuch wegfallen, wenn dieser offensichtlich aussichtslos ist. Allerdings sehe ich durchaus auch noch -Potenzial für weitere Verfahrensverbesserungen. So hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 21. September 2012 angeregt, eine Länderöffnungsklausel in das Gesetz mit aufzunehmen. Die Landesregierungen sollen ermächtigt werden, das Verbraucherinsolvenzverfahren auf Rechtspfleger zu übertragen. Auch der erste Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz sah eine Übertragung der Zuständigkeit für das Verbraucherinsolvenzverfahren auf die Rechtspfleger vor. Dem Rechtspfleger obliegen im Verbraucherinsolvenz- und im Restschuldbefreiungsverfahren bereits heute umfangreiche Aufgaben. Im Laufe des Verfahrens kommt es allerdings zu Zuständigkeitswechseln zwischen dem Rechtspfleger und dem Richter. Diese könnten durch eine entsprechende Ermächtigungsnorm für die Länder behoben werden. Damit könnte man auch den unterschiedlichen personalwirtschaftlichen Belangen der einzelnen Länder Rechnung tragen. Zudem ist ausschließlich die funktionale Zuständigkeit betroffen, sodass ein mögliches Auseinanderfallen in den Ländern nicht weiter ins Gewicht fallen sollte. Auch wenn der Ausgleich widerstreitender Interessen nicht immer einfach ist, bietet der heute von der christlich-liberalen Koalition eingebrachte Gesetzentwurf hierfür bereits eine sehr gute Grundlage. Dennoch sollten wir das anstehende parlamentarische Verfahren dafür nutzen, ihn an der einen oder anderen Stelle noch zu verbessern. Sonja Steffen (SPD): Mit der Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999 haben wir auch für natürliche Personen einen Weg aus den Schulden eröffnet. Die Überschuldung der privaten Haushalte ist immer noch ein großes Problem. Mittlerweile melden jedes Jahr mehr als 100 000 Privatpersonen Insolvenz an. Die sogenannte Verbraucherinsolvenz ermöglicht es, dass per Gerichtsbeschluss alle Restschulden erlassen werden, wenn der Überschuldete sich über mindestens sechs Jahre hinweg an strenge Regeln hält. Diese Zeit bezeichnet man als „Wohlverhaltensperiode“ oder „Wohlverhaltensphase“. Der nun vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass der Schuldner die Wohlverhaltensperiode von sechs auf drei Jahre verkürzen kann. Der Neustart in eine schuldenfreie Zukunft soll also wesentlich schneller möglich sein. Allerdings nur unter einer Bedingung: Der Schuldner muss innerhalb dieser drei Jahre mindestens ein Viertel seiner Schulden abgetragen und die Verfahrens-kosten beglichen haben. Die 25-Prozent-Quote, die bei Hinzurechnung der Verfahrenskosten auf circa 30 Prozent steigen wird, ist wissenschaftlich nicht hinterlegt. In den Zeiten vor der Insolvenzordnung gab es eine sogenannte Vergleichsquote von 35 Prozent, die nur in jedem 500. Insolvenzverfahren erreicht werden konnte. Die geplante Neuregelung kann daher nur eine Erleichterung für die Fälle sein, in denen eine Erbschaft oder Hilfe aus der Verwandtschaft eintritt; denn es ist nicht davon auszugehen, dass die Zahl der Insolvenzschuldner mit Restvermögen in der Zwischenzeit gestiegen ist. Nach Einschätzung der gerichtlichen Praxis und der Schuldnerberater wird der Großteil der Schuldner auch bei Ausschöpfung aller Arbeitsmöglichkeiten und eventuell vorhandener Drittmittel nicht in der Lage sein, die von Ihnen aufgestellten Tilgungsforderungen zu erfüllen. Es ist daher zu befürchten, dass mit der 25-Prozent-Regelung eine neue Zweiklassengesellschaft der Insolvenzschuldner geschaffen wird. Es muss außerdem verhindert werden, dass durch dieses sogenannte Anreizsystem Missbrauch hervorgerufen wird, zum Beispiel durch die Zunahme von Schwarzarbeit. Es kann Ziel der Schuldner werden, rechtzeitig vor der Insolvenz die nötige Summe beiseitezuschaffen. Aber auch auf legalem Wege wird dazu eingeladen, bei knappen finanziellen Mitteln, die für die Begleichung der Quote noch reichen, vor der Insolvenz weitere Schulden zu machen, in dem Wissen, dass die Gesamtschulden durch die Insolvenz um 75 Prozent reduziert werden und bereits nach drei Jahren ein Neustart erfolgen kann. Zu Recht haben daher zum Beispiel viele Handwerksbetriebe die Sorge, dass sie zukünftig in noch größerem Umfang auf ihren Forderungen sitzen bleiben werden. Dennoch ist eine verkürzte Verfahrensdauer nicht per se abzulehnen. Der Gesetzentwurf bietet die Chance, in die Diskussion über die Verfahrenslänge einzusteigen. Hier ist zu fragen und zu untersuchen, welche Dauer für ein Leben unter dem staatlichen Zwang der Insolvenz angemessen ist, welche Anreize tatsächlich notwendig sind und wie ein vernünftiger Ausgleich zwischen den Interessen von Schuldnern und Gläubigern geschaffen werden kann. Über die Verkürzung der Restschuldbefreiung hinaus will das Bundesjustizministerium mit dieser Reform den außergerichtlichen Einigungsversuch stärken. Überraschenderweise sieht der Regierungsentwurf im Gegensatz zum Referentenentwurf hierfür vor, „das mittlerweile weitgehend bedeutungslose gerichtliche Schuldenbereinigungsplanverfahren abzuschaffen und stattdessen auch in den Verbraucherinsolvenzverfahren das bewährte Instrument des Insolvenzplans zuzulassen“. Mit diesem Vorhaben stoßen Sie nicht nur bei den Schuldnerberatern und Verbraucherschützern auf massive Kritik; auch der Bundesrat hat hier erhebliche Zweifel angemeldet. Darüber hinaus soll bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit künftig kein außergerichtlicher Einigungsversuch mehr unternommen werden müssen. Der Gesetzentwurf sieht für die aussichtslosen Fälle eine starre Definition vor: Ein Fall ist von vornherein aussichtslos, wenn die Gläubiger nur eine Befriedigungsquote von 5 Prozent oder darunter zu erwarten haben oder der Schuldner 20 oder mehr Gläubiger hat. Eine derart formale Vorgabe kann dazu führen, dass Schuldner automatisch in ein langwieriges Entschuldungsverfahren geführt werden, obwohl die Aussicht auf eine außergerichtliche Einigung bestanden hätte. Laut Aussage der Verbraucherverbände lag bisher die außergerichtliche Einigungsquote bei 15 bis 20 Prozent. Dies ist auch der professionellen und umfassenden persönlichen Beratungen durch die Schuldnerberatungen zu verdanken. Wir müssen aufpassen, dass wir bei dem Versuch, den außergerichtlichen Einigungsversuch zu stärken, nicht letztlich genau das Gegenteil erreichen und dabei Türen nicht auf-, sondern zugeschlagen werden. Insbesondere dürfen hier nicht nur die Interessen der öffentlichen Haushalte im Vordergrund stehen. Die Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen leisten mit ihren teilweise sehr begrenzten Ressourcen eine sehr wichtige und gute Arbeit. Diese zu stärken und finanziell besser abzusichern, sollte eines unserer Ziele in diesem Gesetzgebungsverfahren sein. Als letzten Punkt möchte ich begrüßen, dass im Gesetzentwurf Regelungen zum Schutz von Mitgliedern von Wohnungsgenossenschaften aufgenommen wurden. Zu dieser Problematik haben den Bundestag bereits viele Petitionen von Betroffenen erreicht. Wie die Regelung im Einzelnen ausgestaltet wird, werden wir sicher im Ausschuss noch diskutieren müssen. Aber ich denke, wir sind uns zumindest darin einig, dass der Verlust der Wohnung durch ein Verbraucherinsolvenzverfahren eine nicht zumutbare Härte darstellt. Insgesamt ist festzustellen, dass wir noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns haben. Aber ich freue mich auf die sicherlich konstruktiven Beratungen im Rechtsausschuss. Richard Pitterle (DIE LINKE): Der vorgelegte Gesetzentwurf zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte zeigt eines sehr deutlich: Dieser Bundesregierung fehlt das soziale Bewusstsein. Entsprechend Ihrem Koalitionsvertrag und der Begründung Ihres Gesetzentwurfs hatten Sie ursprünglich nur gescheiterte Selbstständige zu einer Befreiung von ihren Schulden verhelfen wollen. Nachdem Sie gemerkt hatten, dass Sie eine Beschränkung nur auf diesen Personenkreis aus Gründen der Gleichbehandlung rechtlich niemals hätten halten konnten, haben Sie den Kreis formell erweitert. Und so liest sich auch Ihr Entwurf. Der Vorschlag, Schuldner, die bereits voll erwerbstätig sind, durch Aufnahme von Zusatzjobs zu einer Erhöhung ihres Einkommens zu bewegen, geht genauso an der Lebenswirklichkeit vorbei wie die Aufforderung, die Verwandten anzupumpen. Denn dadurch verringern sich keine Schulden, nur die Gläubiger werden ausgetauscht. Auch die genannten Quoten sind unrealistisch: Wenn mindestens 25 Prozent der Schulden bezahlt sind, kann nach drei Jahren die Befreiung von den restlichen Schulden erfolgen. Zwar gibt es keine belastbaren Daten über die tatsächlich erzielten Befriedigungsquoten, doch häufig wird ein Wert von unter 10 Prozent genannt, wie die Regierung selbst schreibt. Wenn also nach sechs Jahren im Durchschnitt nur 10 Prozent aller Forderungen zurückgezahlt werden konnten, ist es nicht nachvollziehbar, wie die Bundesregierung dazu kommt, dass jemand zukünftig innerhalb von nur drei Jahren mindestens 25 Prozent zahlen können soll, um von seinen restlichen Schulden befreit zu werden. Darüber hinaus sehen wir bei dem außergerichtlichen Einigungsversuch noch erheblichen Nachbearbeitungsbedarf. Er wird durch die Streichung des noch im Referentenentwurf vorgesehenen gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens erheblich geschwächt. Denn dann könnte beispielsweise bereits eine Minderheit der Gläubiger eine außergerichtliche Einigung verhindern. Große Bedenken haben wir ferner bei der beabsichtigten erheblichen Ausdehnung der von der Restschuldbefreiung ausgenommenen Forderungen – § 302 Nr. 1 InsO. Damit würde für viele Schuldner de facto die Möglichkeit der Restschuldbefreiung aufgehoben. Beispielsweise ergehen häufig Unterhaltstitel, obwohl das betroffene Elternteil finanziell nicht leistungsfähig ist. Doch das wurde nicht geprüft. Der Titel ist aber in der Welt. Nach Jahren kann ein Schuldner aber kaum mehr belegen, dass er trotz des Unterhaltstitels finanziell leistungsunfähig gewesen war. In diesen Fällen würden sich während der Wohlverhaltensphase mangels leistbarer Unterhaltszahlungen weiter erhebliche Schulden aufbauen, sodass für den Betroffenen eine Befreiung von all seinen Schulden nicht in Sicht käme. Ähnlich wäre es bei der beabsichtigten Bevorzugung der Steuerforderungen. Damit wird wieder das Fiskusprivileg eingeführt, also der Vorrang staatlicher Ansprüche gegenüber privaten, das aus guten Gründen vor einigen Jahren gestrichen wurde. Steuerschuldnern bliebe in der Praxis kaum noch Vermögen, um die Forderungen bei ihren nichtstaatlichen Gläubigern zu befriedigen. Der Bundesregierung fehlt der Blick zu den weniger Begüterten in diesem Land. Ihr geht es nur um gescheiterte Selbstständige, die – so haben Sie es in der Gesetzesbegründung ja auch geschrieben – der Koalitionsvertrag bei der Verkürzung der Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens besonders im Blick hat. Diese Personengruppe ist häufig in der Lage, durch eine neue, oft gut bezahlte Tätigkeit in relativ kurzer Frist einen Teil ihrer Schulden zurückzuzahlen. Für sie lohnt es sich, 25 Prozent der Forderungen zu zahlen, um die restlichen 75 Prozent nach drei Jahren loszuwerden. Hier lädt die Quote zum Missbrauch ein. Davon werden besonders die Kleingläubiger wie Handwerker, Einzelhändler oder kleine Dienstleister betroffen sein, deren Forderungen nicht extra besichert sind. Damit Sie mich nicht missverstehen: Auch gescheiterte Selbstständige verdienen unseren Schutz, aber eben nicht nur sie. Bei der Restschuldbefreiung geht es um den Ausgleich der widerstreitenden Interessen: denen der Gläubiger an einer Rückzahlung möglichst vieler Forderungen und denen des Schuldners an einer möglichst schnellen Befreiung von seinen Schulden. In der Tat ist die allgemein als lang empfundene Wohlverhaltensperiode von derzeit sechs Jahren bis zur Befreiung von den restlichen Schulden zu reformieren. Doch das Ergebnis sollte für alle Schuldnerinnen und Schuldner erreichbar sein, nicht nur für die Klientel der FDP. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen ist in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gestiegen. Weit mehr als 100 000 Menschen melden pro Jahr mittlerweile in Deutschland Privatinsolvenz an. Die Gründe für eine private Insolvenz sind vielfältig. Oftmals sind sie sehr persönlich und hängen mit einer Krankheit, Arbeitslosigkeit oder einer Ehescheidung zusammen. Die Privatinsolvenz stellt die betroffenen Menschen für viele Jahre vor unüberwindbare Hindernisse. Für Menschen, die in Privatinsolvenz gehen müssen, ist schon die Suche nach einer Mietwohnung fast ein Ding der Unmöglichkeit. Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist für diese Menschen deutlich erschwert. Klar ist auch, dass sie nicht erst mit dem Antrag auf Privatinsolvenz Einschränkungen im täglichen Leben hinnehmen müssen. Der Weg bis dahin ist häufig schon für viele Jahre mit Problemen finanzieller Art gepflastert. Die Privatinsolvenz ist immer nur der letzte Schritt. Sechs Jahre lang dauert nach derzeitiger Rechtslage die sogenannte Wohlverhaltensphase. Doch auch nach Ablauf dieser sechs Jahre können Menschen, die sich in der Privatinsolvenz befinden, nicht wieder uneingeschränkt am Wirtschaftsleben teilnehmen. Weitere drei Jahre dauert es, bis der Eintrag bei der Schufa gelöscht wird. Dass Menschen so viele Jahre ihres Lebens solch weitgehenden Einschränkungen unterworfen sind, lässt sich nicht rechtfertigen. Daher ist der Ansatz des Gesetzentwurfs richtig, die Wohlverhaltensphase im Verbraucherinsolvenzverfahren zu verkürzen. Der Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit vor, die Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens von sechs Jahre auf drei Jahre zu halbieren. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Schuldnerin oder der Schuldner während dieses Zeitraums eine Mindestquote von 25 Prozent der bestehenden Schulden erfüllt und vorab die Kosten des Verfahrens begleicht. Wenn der Schuldner oder die Schuldnerin nur die Verfahrenskosten begleicht, soll sich das Restschuldbefreiungsverfahren zumindest auf fünf Jahre verkürzen. Ansonsten bleibt es bei den bisherigen sechs Jahren. Darüber, ob die Schaffung eines Anreizsystems für eine schnelle Begleichung der Schulden sachgerecht ist, lässt sich diskutieren. Wie ein Schuldner oder eine Schuldnerin es allerdings bewerkstelligen soll, die vorgesehene Quote von 25 Prozent und die Verfahrenskosten innerhalb von drei Jahren zu befriedigen, ist mir ein Rätsel. Im Ergebnis werden nur wenige Schuldnerinnen und Schuldner von den Neuregelungen profitieren. Ein wirtschaftlicher Neustart wird für die allermeisten wohl wie bisher erst nach fast zehn Jahren möglich sein. Da stelle ich mir ernsthaft die Frage, ob wir hier nicht einen Luxusgesetzentwurf für Schuldner mit vermögenden Verwandten vor uns haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiteres Anliegen des Entwurfs ist es, den außergerichtlichen Einigungsversuch entscheidend zu stärken. Im Regierungsentwurf ist hierzu zu lesen, dass beim außergerichtlichen Einigungsversuch hohe Erfolgsquoten zu verzeichnen seien und dass außergerichtliche Einigungen der bessere Weg einer Entschuldung seien. Sie entlasteten die Insolvenzgerichte und führten so zu Einspareffekten in den Justizhaushalten der Länder. Außerdem ermöglichten außergerichtliche Einigungen eine einfachere, schnellere, kostensparendere und dem Einzelfall angemessenere Bewältigung der Insolvenzsituation. Eine umfassende Stärkung des außergerichtlichen Einigungsversuchs wäre auch aus unserer Sicht richtig, wünschenswert und erfreulich gewesen. Vorschläge hierzu gab es genug. Leider stärkt der Gesetzentwurf den außergerichtlichen Einigungsversuch aber nicht ausreichend. Die Vorgaben zur Entbehrlichkeit des Einigungsversuchs bringen die Gefahr mit sich, dass keine Einzelbetrachtung des konkreten Sachverhalts erfolgt. Dieser Gesetzentwurf ist noch nicht ausgereift. Im weiteren Verfahren werden wir Grünen uns dafür einsetzen, einerseits Schuldnerinnen und Schuldnern mehr und bessere Hilfestellungen zukommen zu lassen und andererseits auch Gläubigerinnen und Gläubiger nicht unangemessen zu benachteiligen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Vor 20 Jahren, am 3. Juni 1992, wurde dem Bundestag erstmals ein Entschuldungsverfahren für natürliche Personen vorgestellt. Menschen, die unverschuldet, etwa aufgrund persönlicher Schicksalsschläge, in finanzielle Not geraten sind, sollten die Chance für einen Neuanfang erhalten. In den nachfolgenden Jahren zeigten sich auf der -einen Seite die große Akzeptanz, die das Restschuldbefreiungsverfahren bei den Bürgern erfahren hat, aber auf der anderen Seite auch verfahrensrechtliche Hemmnisse für einen effektiven Neustart. Die hierzu eingeleiteten Reformvorhaben konnten in der vergangenen Legislaturperiode nicht umgesetzt werden. Mit dem heute vorgestellten Entwurf wollen wir die bestehenden verfahrensrechtlichen Hürden nun abbauen und verschuldeten Personen unter Berücksichtigung der berechtigten Belange der Gläubiger eine faire Chance für einen Neuanfang einräumen. Ein erster Schwerpunkt dieses Gesetzentwurfes ist die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens. Der Entwurf eröffnet für alle Schuldner ein schnelles Entschuldungsverfahren, wenn sie besondere Anstrengungen unternehmen. Die derzeitige Laufzeit der Restschuldbefreiung von sechs Jahren soll daher künftig auf drei Jahre abgekürzt werden können, wenn der Schuldner innerhalb dieses Zeitraums sowohl die Verfahrenskosten als auch 25 Prozent der Forderungen der Insolvenzgläubiger erfüllt hat. Der Entwurf belässt es jedoch nicht dabei. Er lässt alternativ das Insolvenzplanverfahren in allen Insolvenzverfahren, also auch im Verbraucherinsolvenzverfahren, zu. Dieses bewährte Instrument ermöglicht es künftig jedem Schuldner, in Einvernehmen mit seinen Gläubigern flexibel und schnell zu einer Entschuldung zu gelangen. Ein weiterer Schwerpunkt des Entwurfs ist eine Verbesserung der Position der Gläubiger. Quasi als Gegenleistung für eine schnelle Entschuldung wird bei einer vorzeitigen Restschuldbefreiung eine Mindestbefriedigung der Gläubiger gefordert. Bislang können Gläubiger trotz der langen Wohlverhaltensphase leer ausgehen, da es sich für den Schuldner nicht lohnt, sich besonders anzustrengen. Ein solcher Anreiz wird erstmals mit der Mindestquote gesetzt. Dieses System kann aber nur funktionieren, wenn bei der Festsetzung der Mindestquote einerseits die Interessen der Gläubiger im Blick behalten werden, sodass die Quote zu einer fühlbaren Gläubigerbefriedigung beiträgt. Andererseits darf sie auch nicht unerreichbar hoch sein. Wir sind nach gründlicher Prüfung der Ansicht, dass die im Entwurf gewählte Quote von 25 Prozent diese Kriterien erfüllt. Eine weitere Neuerung findet sich in der Gestaltung des Verbraucherinsolvenzverfahrens, das nun deutlich verschlankt wird. Ineffektive Bestandteile wie das gerichtliche Schuldenbereinigungsplanverfahren, das nicht einmal in 2 Prozent der Fälle genutzt wird, werden gestrichen. Der Zwang zu einem außergerichtlichen Planverfahren entfällt, wenn eine Einigung mit den Gläubigern offensichtlich aussichtslos ist. Die in diesem Bereich überaus wichtige Tätigkeit von Schuldnerberatungsstellen soll dagegen ausgebaut werden. Künftig sollen sie auch im gerichtlichen Verfahren den Schuldner begleiten und dort ihre bewährte Arbeit fortsetzen können. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen weiteren wichtigen Regelungsgegenstand eingehen: die Verbesserung des Schutzes insolventer Nutzer von Genossenschaftswohnungen vor Wohnungsverlust. Unser Ziel, dem Schuldner eine neue Chance für einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen, erfordert auch, dass er als Nutzer einer Genossenschaftswohnung ähnlich wie der Wohnungsmieter nach Möglichkeit seine Wohnung behalten kann. Nach bislang geltendem Recht muss der Insolvenzverwalter das Geschäftsgut-haben des Genossenschaftsmieters verwerten. Dieser verliert dadurch seine Mitgliedschaft, was wiederum die Genossenschaft meist zur Kündigung des Nutzungsverhältnisses zwingt, weil die Genossenschaftswohnungen in erster Linie für die Nutzung durch Mitglieder bestimmt sind. Künftig soll die Kündigung der Mitgliedschaft daher ausgeschlossen sein, wenn das Geschäftsguthaben bestimmte Grenzen nicht übersteigt. Eine solche Begrenzung ist notwendig, damit nicht auch Anteile geschützt werden, die den Charakter einer Kapitalanlage haben. Dieses wichtige Gesetz sollte alsbald verabschiedet werden – die deutsche Wirtschaft und der gescheiterte Verbraucher verdienen eine effektive und schnelle Entschuldung und damit eine echte zweite Chance. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Negativbilanz nach zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Deutschland im VN-Sicherheitsrat – Impulse für Frieden und Abrüstung Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Die internationale Schutzverantwortung weiterentwickeln – Schutzverantwortung weiterentwickeln und wirksam umsetzen (Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Die Mitgliedschaft Deutschlands in den letzten zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat ist ohne Frage eine Erfolgsgeschichte. Niemals zuvor konnte eine deutsche Regierung umfassendere neue Schwerpunkte und Impulse in das Gremium -einbringen. Zudem haben wir unsere Präsidentschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erfolgreich genutzt und gute Ergebnisse insbesondere im Bereich des Schutzes von Kindern in Kriegsgebieten sowie im Klimaschutz erzielt. Endlich haben wir Instrumente im Rahmen der UN entwickeln können, die Kinder vor Gewalt und Misshandlung besonders schützen. Dies gilt vor allem in kriegerischen Auseinandersetzungen. Auf Initiative der Bundesregierung wurde daher am 12. Juli 2011 die -Sicherheitsratsresolution zum stärkeren Schutz von -Kindern in Kriegen und bewaffneten Konflikten verabschiedet. Damit ist einstimmig beschlossen worden, -gezielte Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser international zu ächten und den Schutz von Kindern vor Missbrauch als Soldaten zu verstärken. Fortschritte konnten außerdem im Bereich des Klimaschutzes erzielt werden. Unter deutscher Präsidentschaft wurde das Thema Klimawandel und dessen mögliche Auswirkungen auf den Weltfrieden im Sicherheitsrat diskutiert und wurde eine einstimmige Erklärung ver-abschiedet. Im Zuge dessen ist UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gefordert, in seinen Berichten künftig Klimaaspekte aufzunehmen. Erstmals wird damit in einer Erklärung, die von allen 15 Mitgliedern des Sicherheitsrates abgestimmt wurde, die Bedeutung des Klimawandels im Zusammenhang mit Frieden und internationaler Sicherheit unterstrichen. Als 194. Mitglied wurde am 14. Juli 2011 der Südsudan als souveräner Staat anerkannt und als vollwertiges Mitglied in die Staatengemeinschaft aufgenommen. Damit konnte während der deutschen Ratspräsidentschaft erfolgreich der Fokus auf den afrikanischen Kontinent und die dortigen Herausforderungen gelegt werden. Bereits am 8. Juli 2011 hat der Deutsche Bundestag den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen der Friedensmission der Vereinten Nationen im Südsudan (UNMISS) gebilligt. Damit wurde der Bedeutung, die der neugegründete Staat in den Friedensbemühungen in Nordostafrika einnimmt, Rechnung getragen. Deutschland hat mit der erfolgreichen Präsidentschaft im UN-Sicherheitsrat gezeigt, dass es seine internationale Verantwortung mit großem Engagement ausübt und weltweit zur Lösung von Konflikten beiträgt. Ich sehe also die von der Opposition beschriebene -Negativbilanz in keinster Weise. Ihr Antrag ist eher der klare Ausdruck von schlechtem politischen Stil, da die Opposition die Würdigung der von mir eben angesprochenen Entwicklungen in ihren Anträgen verschweigt. Noch viel unverständlicher für mich ist, dass die Opposition die fehlenden Friedensinitiativen der Bundes-regierung kritisiert. Ich erinnere mich, dass unter der Präsidentschaft Schröders und Fischers im Sicherheitsrat der Irakkrieg verabschiedet wurde. Wo war dort Ihre -Friedenspolitik? Ich erinnere mich, dass die Opposition in Libyen in den Krieg ziehen wollte. Wo war dort Ihre Friedenspolitik? Nein, Deutschland hat unter unserer Regierung seinen Beitrag zum Frieden, erstmals auch im Sicherheitsrat, umfangreich geleistet. Wir können uns sicher sein, dass die von uns geschaffenen Instrumente die jetzt abzuschließende Mitgliedschaft überdauern werden. Natürlich ist es unerfreulich, dass die von uns angestrebte Weiterentwicklung des Sicherheitsrates an den Vetokräften gescheitert ist. Trotzdem müssen wir weiter an einer modernen UN-Sicherheitsagentur arbeiten. Der -Sicherheitsrat ist aus unserer Sicht in seiner heutigen -Zusammensetzung überholt. Dies erleben wir nicht -zuletzt in seiner Entscheidungsunfähigkeit beim Thema Syrien. Auch wenn Deutschland erst einmal aus dem Sicherheitsrat ausscheiden wird, stehen wir vor weiteren -Herausforderungen, die unsere Gestaltungsmacht erfordern. Die Post-MDG-Ära beginnt, und die CDU/CSU-Fraktion sieht die Ausgestaltung als eine der zentralen Herausforderungen der UN im nächsten Jahr an. Klar ist, dass die Welt sich seit der Jahrtausendwende dramatisch weitergedreht hat. Der beginnende Klimawandel zeigt uns drastisch die Begrenztheit unseres Lebensmodells und die globalen Verflechtungen. Unser Wirtschafts- und Lebensmodell als solches ist weder nachhaltig noch zukunftsfähig, noch entwicklungskonform, wenn wir mit „Entwicklung“ meinen, dass die, die Opfer unseres bisherigen Treibens geworden sind, auch nur ansatzweise noch Rechte auf ein menschenwürdiges Leben verwirklichen sollen. Hinzu kommt, dass sich das Nord-Süd-Paradigma langsam auflöst. Deutlich wird das zum Beispiel an der G 20 oder den BRIC-Ländern, die nach vorne drängen. Noch weniger als früher können wir nur die Nord-Süd-Brille aufsetzen, sondern müssen eher von einer Arm-Reich-Dimension ausgehen. Das heißt zum einen, noch stärker als bisher gemeinsame Verantwortung sehen, und zum anderen, noch stärker als bisher nicht nur die Regierungsebene denken und sehen, sondern von der Perspektive derjenigen her denken, die schon heute und erst recht in Zukunft von den negativen Folgen einer -falschen Politik und eines falschen Wirtschaftens betroffen sind. Hier geht es darum, wie Schwellenländer oder Mitteleinkommensländer, in denen die meisten Armen leben, ins Boot geholt werden, und auch um die Verantwortung und Vorbildfunktion des Nordens. Diese Punkte werden von den bisherigen MDGs nicht berücksichtigt. Für die mögliche Post-2015-Agenda ist es aber un-bedingt notwendig, sich diesen komplexen Herausforderungen zu stellen und über das Denken der bisherigen MDGs hinauszugehen. Dies ist unser Ziel und unser Schwerpunkt für die Arbeit Deutschlands bei der UN. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Nächsten Monat gehen für Deutschland zwei außenpolitisch sehr erfolgreiche Jahre als nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu Ende. Wie Außenminister Westerwelle in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung im September betonte, sind wir bereit, noch mehr Verantwortung zu übernehmen. Dementsprechend streben wir eine neue Kandidatur als nichtständiges Mitglied für den Sicherheitsrat für die Jahre 2019/2020 an. Außerdem werden wir unsere Bemühungen um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat weiter vorantreiben. Dieses Ziel haben wir in unserem Koalitionsvertrag festgeschrieben, und daran werden wir auch festhalten. Von einer „Negativbilanz nach zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat“, wie von der Opposition behauptet, kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Wir haben eine ganze Reihe von Initiativen angestoßen und vieles erreicht. Im Folgenden möchte ich mich auf die meines Erachtens wichtigsten Errungenschaften konzentrieren. Vor dem Hintergrund der Umbrüche in der arabischen Welt war Deutschland im Sicherheitsrat sehr engagiert, um eine möglichst breite Unterstützung für einen friedlichen Wandel zur Demokratie durch die internationale Staatengemeinschaft zu erreichen. So haben wir uns beispielsweise sehr früh dafür eingesetzt, dass sich der Sicherheitsrat der Krise im Jemen angenommen hat und dass die internationale Staatengemeinschaft mit der ersten Sicherheitsratsresolution zu Jemen überhaupt mit einer gemeinsamen Stimme gesprochen hat. Des Weiteren haben wir dazu beigetragen, Befassungen des Sicherheitsrates zu Syrien und Libyen überhaupt erst möglich zu machen. Seither haben wir uns in den Vereinten Nationen aktiv für ein Ende der Gewalt in Syrien eingesetzt. Ferner hatte sich Außenminister Westerwelle während des deutschen Vorsitzes des Sicherheitsrats im September als Unterstützung des arabischen Frühlings auf seine Fahnen geschrieben, die Arabische Liga aufzuwerten, nachdem diese in vielen arabischen Ländern zu einem wichtigen Akteur und Partner der UNO geworden war. Auch im Bereich der Afghanistan-Politik hat das deutsche Engagement im Sicherheitsrat einiges voran-getrieben. So wurde unter deutschem Vorsitz der Ausschuss für die Al-Qaida-/Taliban-Sanktionen in jeweils einen Ausschuss für die Taliban und einen für al-Qaida geteilt – mit weitreichender Signalwirkung sowohl für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus als auch für die afghanische Innenpolitik. Ein weiterer Themenkomplex, bei dem Deutschland einen großen Erfolg verbuchen konnte, war der Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten. Da Deutschland den Vorsitz der Arbeitsgruppe „Kinder und bewaffnete Konflikte“ innehatte, kam uns eine besondere Verantwortung bei der Verhandlung und der Annahme einer entsprechenden Resolution zu, durch die gezielte Angriffe gegen Schulen und Hospitäler völkerrechtlich geächtet werden. Ferner konnte Deutschland erstmals das Thema „Sicherheitspolitische Auswirkungen des Klimawandels“ auf die Agenda des Sicherheitsrats bringen. In der vom Sicherheitsrat einstimmig angenommenen Erklärung wurde festgehalten, dass der Klimawandel eine potenzielle Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit ist. In Zukunft wird der Generalsekretär somit in seinen Berichten den Aspekt des Klimawandels mitberücksichtigen müssen – auch ein Erfolg für unser Anliegen, die Präventionsmechanismen von Krisen zu stärken. Lassen Sie mich abschließend noch kurz auf die internationale Schutzverantwortung zu sprechen kommen. Diese ist mit den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu Libyen zum ersten Mal als Begründung für Schutzmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta herangezogen worden und hat somit einen erfolgreichen Eingang in die Praxis des Sicherheitsrats gefunden. Als Mitglied der „Freundesgruppe der Schutzverantwortung“ hat Deutschland von Beginn an die konzeptionelle Ausgestaltung der internationalen Schutzverantwortung gefördert, sei es durch Förderung eines einheitlichen EU-Standpunkts oder auch durch einen engen Austausch mit dem UN-Sonderberater für die Schutzverantwortung. Besonders wichtig war und ist uns dabei die Stärkung der präventiven Aspekte, um ein Eingreifen mit militärischen Mitteln gar nicht erst nötig zu machen. Insofern haben wir uns, was Syrien anbelangt, seit Ausbruch der Gewalt kontinuierlich für ein entschiedenes Vorgehen des Sicherheitsrats eingesetzt, vor allen Dingen um den Schutz von Zivilisten zu verbessern und um gegen massive Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Auch wenn diese Bemühungen bislang noch nicht erfolgreich waren, so werden wir weiterhin den UN-Sicherheitsrat als Gremium nutzen, um die Interessengegensätze mit Russland und China gezielt anzusprechen. Sie sehen also: Die Bilanz nach zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat ist alles andere als „negativ“; sie ist vielmehr beeindruckend! Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Ich bedaure es außerordentlich, dass ich gezwungen bin, diese Rede zu Protokoll zu geben. Ich selbst würde auch, wie vorgesehen, um 1 Uhr oder 2 Uhr in der Nacht im Plenum sprechen; aber das Thema „Zwei Jahre Bilanz der deutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat“ würde eine Kernzeit dringend erfordern. Welch hehre Erklärungen gab die Bundesregierung zu Beginn ihrer zweijährigen Mitgliedschaft im obersten UN-Gremium, im UN-Sicherheitsrat, im Jahre 2011 ab. Sie wolle sich gemeinsam mit internationalen Partnern in so wichtigen Bereichen wie der Sicherheitsratsreform, dem Schutz der Menschenrechte, der Rüstungskontrolle und dem Nahostfriedensprozess engagieren. Kurz vor dem Ausscheiden Deutschlands aus dem UN-Sicherheitsrat muss man sich über das unterhalten, was die Bundesregierung als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat bewirkt hat – oder eben auch nicht. So ist aus ihren vollmundigen Ankündigungen, neuen Schwung bei der Reform des Sicherheitsrats erreichen zu wollen, nichts geworden. Weder gibt es eine grundlegende Reform des UN-Sicherheitsrates, die der Realität des 21. Jahrhunderts entspricht, noch hat es die Bundesregierung erreicht, einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat für Deutschland mit anderen Partnern zusammen durchzusetzen. Es ist schön, dass Deutschland wieder Mitglied im UN-Menschenrechtsrat geworden ist; das kann aber das Versagen der Bundesregierung in der anderen Frage nicht ausgleichen. Die Länder Afrikas, Lateinamerikas und Asiens fordern schon seit langem eine bessere Repräsentation ihrer Kontinente, und dem müssen wir Nachdruck verleihen. Die Reform des UN-Sicherheitsrats bleibt eine zentrale Forderung, und sie muss auch die schrittweise Überwindung des Vetorechts der ständigen Ratsmitglieder zum Inhalt haben. Die unerträgliche Situation, die sich durch die Blockadehaltung von UN-Sicherheitsrats-Mitgliedern in Bezug auf Syrien gezeigt hat, macht das deutlich. Es ist völlig inakzeptabel, dass der UN-Sicherheitsrat dabei zur Handlungsunfähigkeit gepresst wurde und noch wird. Wie steht es um die Legitimation eines UN-Sicherheitsrates, wenn fünf Staaten mit ihrem Veto sich als Mitglieder „erster Klasse“ gerieren und die UN blockieren können, obwohl es dringend einer gemeinschaftlichen Aktion bedürfte? Jetzt werden Staaten wie Argentinien, Ruanda und Südkorea Deutschland in den Sicherheitsrat nachfolgen. Insgesamt ist das Verhalten der Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat eher von Einzelentscheidungen und nicht von einer Gesamtstrategie internationaler Politik geprägt. Das schwerste Versagen der Bundesregierung hat sich bei der Abstimmung über die Resolution 1973, der Errichtung einer Flugverbotszone über Libyen, gezeigt. Mit dieser Sicherheitsratsresolution übernahm die internationale Gemeinschaft zum ersten Mal in einer UN-Resolution die Schutzverantwortung für die Zivilbevölkerung in Libyen. Tausende Libyer verdanken dieser Resolution ihr Leben, da es galt, sie vor Muammar al-Gaddafi und den Gewalttaten seiner Gefolgsleute zu schützen. Und wie agierte die Bundesregierung in dieser Frage? Sie enthielt sich – und stellte sich damit gegen Partnerländer wie die USA, Frankreich, Großbritannien und Portugal. Wir alle wissen, wie dramatisch sich diese Enthaltung auf das Ansehen der Bundesregierung in der Welt ausgeübt hat. Ich sage: Notwendig wäre die klare Zustimmung gewesen, verbunden mit einem Monitoring-Mechanismus, der die NATO-Mission überwachen sollte und dem UN-Sicherheitsrat jeweils aktuell berichtet hätte und eine Überdehnung des Mandates hätte verhindern können. Aber noch schwerer wiegt: Bei dem Schutz von Menschenrechten darf es keine Enthaltung geben! Denn die Norm der Internationalen Schutzverantwortung, die Responsibility to Protect, wurde von der internationalen Gemeinschaft im Jahr 2005 auf dem Weltgipfel verabschiedet, damit sich massive Menschenrechtsverletzungen wie in Ruanda und Srebrenica niemals wiederholen. Staaten haben demnach die Verantwortung, ihre Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, systematischer Gewalt gegen Minderheiten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. Können oder wollen sie dies nicht leisten, geht die Verantwortung auf die internationale Staatengemeinschaft über, die als letztes Mittel Schutzmaßnahmen nach Kap. VII der UN-Charta ergreifen kann. Die Diskussion um die Schutzverantwortung wird von Kritikern gern auf das militärische Element verkürzt. Die Schutzverantwortung wurde dabei als ganzheitlicher Ansatz mit drei Säulen konzipiert: der Responsibility to Prevent, der Responsibility to React und der Responsibility to Rebuild. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Vorbeugung vor schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen. Um die Entscheidung für oder gegen einen militärischen Einsatz nachvollziehbar und überprüfbarer zu machen, müssen Leitkriterien ausgearbeitet werden, wie sie von der Internationalen Kommission zur Intervention und Staatensouveränität im Jahr 2001 bereits formuliert wurden. Demnach soll ein militärischer Einsatz nach dem Ernst der Bedrohung, der Redlichkeit der Motive, der Anwendung als letztes Mittel, der Verhältnismäßigkeit der Mittel und der Angemessenheit der Folgen abgewogen werden. Ich möchte an dieser Stelle die Forderungen aufgreifen, wie sie in unserem Antrag und ähnlich auch im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, den wir nachdrücklich unterstützen, formuliert wurden: Die Bundesregierung muss für die Norm der internationalen Schutzverantwortung aktiv werben und darf nicht bloß Lippenkenntnisse abgeben. Sie muss dazu beitragen, dass ein nationales und regionales Frühwarnsystem für Menschenrechtsverletzungen etabliert wird, indem bestehende Strukturen verbessert und regionale und subregionale Akteure besser eingebunden werden. Und sie muss sich für die Ausarbeitung von Leitkriterien, vergleichbar denen der Internationalen Kommission zur Intervention und Staaten-souveränität, starkmachen, die bei UN-mandatierten militärischen Einsätzen zum Schutz vor massiven und systematischen Menschenrechtsverletzungen herangezogen werden können. Zudem muss sie sich für einen Monitoring-Mechanismus bei UN-Mandaten im Rahmen der Schutzverantwortung einsetzen, der beispielsweise eine zeitliche Begrenzung von Mandaten und klar bestimmte Berichtspflichten vorsieht. Die Weiterentwicklung der Internationalen Schutzverantwortung hängt entscheidend vom Willen und Engagement der Nationalstaaten ab. Hier muss die Bundesregierung endlich durch Taten in Erscheinung treten! Der Antrag der palästinensischen Autonomiebehörde im UN-Sicherheitsrat, als vollwertiges Mitglied aufgenommen zu werden, wurde durch die Androhung eines US-Vetos im Jahr 2011 praktisch zum Erliegen gebracht. Die Bundesregierung hatte sich mit ihren Äußerungen auf die Seite derer gestellt, die einen solchen Antrag nicht wünschen. Bei der Abstimmung zur Aufnahme Palästinas als Mitglied in die UNESCO stimmte sie sogar mit Nein. Nun hat Präsident Abbas den Antrag in der UN-Generalversammlung gestellt, als Staat mit Beobachterstatus – „non-member observer state“ – anerkannt und somit im Status aufgewertet zu werden. Ich möchte das zum Anlass nehmen, das zu wiederholen, was ich bereits öffentlich geäußert habe. Das Anliegen der Palästinenser muss auch im Interesse Israels unterstützt werden! Wie Weltbank und der Internationale Währungsfonds bezeugen, hat die palästinensische Autonomiebehörde alle Voraussetzungen für ihre Staatlichkeit geschaffen. Die enormen Preissteigerungen und sozialen Unruhen in der Westbank einerseits und die jüngste feindselige Auseinandersetzung zwischen der Hamas und Israel andererseits haben die palästinensische Autonomiebehörde in ihrem Ansehen bei der eigenen Bevölkerung massiv geschwächt. Die Hamas geht aus all dem gestärkt hervor. Angesichts dieser Situation halte ich die Weichenstellung, mit der die Bundesregierung sich heute in der UN-Generalversammlung zu dem Antrag auf Aufwertung des Status von Palästina verhalten hat, für falsch. Es muss doch im Interesse der Europäischen Union und der internationalen Staatengemeinschaft sein, diejenigen zu stärken, die den multilateralen, friedlichen Weg über die Vereinten Nationen wählen, zumal eine große Zahl europäischer Regierungen für die Aufwertung stimmt. Die Schlussfolgerung muss sein, dem Antrag der palästinensischen Autonomiebehörde zuzustimmen. Eine Aufwertung des palästinensischen UN-Status kann den Weg für einen neuen Nahost-Friedensprozess bereiten. Ein Nein hingegen würde von den Palästinensern als Nein zu ihrem Recht auf Selbstbestimmung gewertet. Es braucht einen neuen Anlauf für einen wirklichen Friedensprozess, der die gesamte palästinensische Bevölkerung umschließt, damit endlich die Gewalt und der jahrzehntelange Konflikt im Sinne der Zwei-Staaten-Lösung beendet werden können. Angesichts der weitreichenden Umwälzungen in den arabischen Ländern muss doch jedem klar sein: Ohne eine derartige Lösung wird es immer möglich sein, dass Frustrationen, die aus inneren Konflikten in manchen arabischen Ländern resultieren, in Aggressionen gegenüber Israel gewendet werden können. Deshalb ist es gerade aus deutscher Verantwortung für Israel notwendig, eine klare Unterstützung zu dem Antrag von Präsident Abbas zu zeigen und deutlich ein Signal zur Rettung der Zwei-Staaten-Lösung zu geben. Besonders inakzeptabel finde ich es, wenn es europäische Länder gibt, die ihre Zustimmung zu dem Palästina-Antrag an die Forderung knüpfen, es müsse einen Verzicht auf ein mögliches Anrufen des Internationalen Strafgerichtshofes zu Protokoll geben. Eine derartige Forderung fällt in ihrer Grundhaltung auf diese Staaten selbst zurück. Abschließend: Wir drängen darauf, dass der geplante Waffenhandelsvertrag, der nach langwierigen Verhandlungen im Jahr 2012 nicht zustande gekommen ist, erneut in der UN-Generalversammlung im Frühjahr 2013 auf die Tagesordnung gesetzt wird. Die Bundesregierung muss darauf drängen, dass weiter verhandelt wird. Es braucht dringend völkerrechtlich verbindliche Standards für den Import, Export und Transfer von konventionellen Waffen, um weitere regionale Aufrüstungswettläufe und die Destabilisierung weiterer Regionen zu verhindern. Bijan Djir-Sarai (FDP): Am Ende der letzten Sicherheitsratssitzung, die Außenminister Westerwelle leitete, ergriff der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, entgegen dem Protokoll das Wort. Er sagte folgende zwei Sätze: „Ich sage mehr als Dankeschön. Ich sage vielen, vielen Dank.“ Diese Worte könnten als Antwort auf den Antrag der Opposition eigentlich genügen. Der Generalsekretär dankt Deutschland für sein Engagement im Sicherheitsrat. Zuvor schon sagte der marokkanische Außenminister zu Herrn Westerwelle auf Deutsch „Danke schön“. Anscheinend sind die Gesandten des Auslands alles andere als enttäuscht vom deutschen Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, und zwar zu Recht. Ich werde Ihnen jetzt auch erläutern, warum. Hier einmal eine knappe Bilanz: Während unseres Vorsitzes hat Deutschland Initiativen zum Klimaschutz und zur globalen Abrüstung geleitet. Wir haben eine Resolution zum Schutz von Kindern in bewaffneten Gebieten eingebracht. Das syrische Regime wurde weiter politisch isoliert, und Deutschland hat aktiv die Friedensbemühungen im Nahen Osten unterstützt. Wir haben eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga durchgesetzt. Es wirkt schon realitätsfremd, wenn man der Bundesregierung vorwirft, nicht genug für den Nahen Osten zu tun, wenn gleichzeitig Außenminister Westerwelle vor Ort Friedensverhandlungen zwischen Israel und der Hamas führt. Genauso wirklichkeitsfremd ist die Klage, Deutschland habe bei einer Sicherheitsratsreform versagt. Natürlich: Wir haben während unseres Vorsitzes keine Neustrukturierung der Vereinten Nationen erreicht. Leider auch nicht den Weltfrieden. Aber wie es sogar in dem Antrag steht, wird solch eine Reform auch nicht im Sicherheitsrat entschieden, sondern sie benötigt eine Unterstützung von zwei Dritteln der 193 UN-Mitgliedstaaten. Und wie alle politischen Entscheidungsträger in diesem Saal wissen sollten, haben einige Staaten überhaupt kein Interesse, die verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Nichtsdestotrotz hat Dr. Guido Westerwelle ein Außenministertreffen mit Indien, Brasilien und Japan organisiert, um diesen Status quo zu ändern. Leider geht solch eine Revolution nicht blitzartig, auch wenn ich damit unsere werten Kollegen der Opposition nun enttäuschen muss. Wir verfolgen das langfristige Ziel, ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu werden. An dieser Prämisse hat sich nichts geändert. Wir haben daran gearbeitet, wir werden daran weiterarbeiten. Das Vertrauen in die deutsche Außenpolitik und deren friedensstiftenden Einfluss auf die internationalen Beziehungen ist groß. Und es wurde durch unseren Vorsitz im Sicherheitsrat noch verstärkt. Als Beweis der internationalen Zustimmung zum Kurs der Bundesregierung wurde Deutschland vor wenigen Tagen in den UN-Menschenrechtsrat gewählt – gegen Kandidaten wie Schweden. Das ist aller Ehren wert. Die zwei Jahre im Sicherheitsrat und der deutsche Vorsitz sind eine Erfolgsgeschichte dieser Bundesregierung. Wo die Opposition hier eine Negativbilanz erkennt, ist mir fraglich. Daher wird die FDP-Fraktion diesen Antrag ablehnen. Heike Hänsel (DIE LINKE): Heute stimmt die -Generalversammlung der Vereinten Nationen über den Antrag Palästinas auf Status eines Beobachterstaates bei der UN ab. Dies ist eine historisch wichtige Chance für den gesamten Nahen Osten. Mit der angekündigten -Enthaltung Deutschlands gegen die große Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten, darunter auch EU-Länder wie Frankreich, Spanien, Schweden, Portugal, hat sich die Bundesregierung deutlich isoliert, auch in Europa. -Zumal die Bundesregierung sogar versucht hat, die EU-Mitgliedstaaten von ihrem Ja abzuhalten. Die Aufnahme Palästinas als Beobachterstaat ist ein wichtiger Schritt, um eine Zweistaatenlösung überhaupt am Leben zu -erhalten, denn in den von Israel besetzten Gebieten werden tagtäglich Fakten geschaffen durch immer neue Siedlungen, Vertreibungen und einseitige Grenzziehungen. Wir brauchen endlich ein Ende der Besatzung in der Westbank, die Aufhebung der Gaza-Blockade und eine Zwei-Staaten-Lösung! Die Bundesregierung verpasst am heutigen Tag diese historische Chance, und sie schwächt die palästinensischen Kräfte, die sich für eine Verhandlungslösung aussprechen, die die Bundesregierung nach eigenen Angaben ja eigentlich unterstützen will. Das ist kontraproduktiv! Wir ziehen heute gleichzeitig Bilanz über fast zwei Jahre Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat. Und da zeigt sich, dass es die Bundesregierung in vielerlei Hinsicht verpasst hat, Friedensinitiativen zu befördern. Trotz -Vorsitz in der Afghanistan-Arbeitsgruppe für das -UNAMA-Mandat hat die Bundesregierung keine umfassende Friedensinitiative in der Region entwickelt; die Afghanistan-Konferenz im Dezember 2011 war ein Misserfolg, Pakistan nahm nicht daran teil, und die -Zivilgesellschaft war nur symbolisch einbezogen. Sie verlässt sich stattdessen lieber weiterhin auf ihre bewährte Zusammenarbeit mit afghanischen Warlords und der korrupten Karzai-Regierung. Im Falle des syrischen Bürgerkrieges hat UN-Sondervermittler Lakhdar Brahimi ein schwieriges Mandat übernommen, nachdem sein Vorgänger Kofi Annan bereits einen Sechs-Punkte-Plan für eine Verhandlungs-lösung des Konflikts vorgelegt hat. Dieser ist unter anderem daran gescheitert, dass Frankreich, die Türkei, Saudi-Arabien, Katar, die USA und andere Staaten einseitig auf Regime-Change setzen und die Rebellen aktiv unterstützen. Auch die Bundesregierung hat nicht zuallererst das Ende der Gewalt von beiden Seiten im Blick, sondern unterstützt die Forderung nach einem Regime-Change von außen. Das manifestiert sich unter anderem in dem von der Bundesregierung mitfinanzierten Projekt „The Day after“. Frieden gibt es aber nur mit einem Dialog, der alle Konfliktparteien mit einbezieht und zu einem Interessenausgleich führt. Die UN-Charta und das Völkerrecht müssen oberste Priorität haben! Die Bundesregierung torpediert nun die schwierigen Bemühungen Brahimis um eine Verhandlungslösung im Syrien-Konflikt mit der geplanten Stationierung von -Patriot-Raketen in der Türkei und setzt einseitig auf die militärische Eskalation durch die NATO. Eine solche Politik schwächt die UNO und fördert die Kriegsgefahr, nicht den Frieden. Wir brauchen eine Außenpolitik, die auf zivile und gerechte Konfliktlösungen setzt und die Vereinten Nationen in ihrer Rolle stärkt, statt sie durch NATO-Militärinterventionen zu marginalisieren. Hier ist auch der größte Unterschied zwischen den Positionen der SPD, der Grünen und unserer Fraktion: Zwar stellen Sie in den hier vorliegenden Anträgen fest, dass militärisches Eingreifen Konflikte nicht löst und letztes Mittel der Politik sein sollte. Aber in Wirklichkeit scheint die militärische Option immer mehr als erstes Mittel zu gelten. Denn für SPD und Grüne war die schwarz-gelbe Koalition beim Libyen-Krieg zu zögerlich; die Enthaltung im Sicherheitsrat, die wir in dem Fall deutlich begrüßt haben, wurde von Rot-Grün scharf kritisiert. Wäre es nach Ihnen gegangen, dann wäre die Bundeswehr an den wochenlangen Luftbombardierungen Libyens beteiligt gewesen, die bis zu 50 000 Menschen das Leben gekostet haben. Wo bleiben denn da Ihre friedlichen Konfliktlösungsstrategien? Die Bundesregierung weist als politischen Erfolg unter anderem die Verabschiedung einer Resolution für die Bekämpfung der Rekrutierung von Kindersoldaten auf. Durch die neue Resolution sollten die Angreifer von Schulen und Krankenhäusern aber nicht nur geächtet, sondern auch mit Sanktionen belegt werden. Beispielsweise könnten Konten gesperrt oder Reiseverbote verhängt werden. „Diese Resolution ist nicht nur politisches Papier, sondern hat handfeste Konsequenzen“, sagte -Außenminister Westerwelle. Mit keinem Wort und keiner politischen Konsequenz ging die Bundesregierung allerdings auf das Problem der Rüstungsexporte, speziell von Kleinwaffen, ein, die ja weltweit von Konflikt zu Konflikt weiterverkauft werden und womit die meisten Kindersoldaten gezwungen werden, zu kämpfen. Und darunter sind eben häufig auch deutsche Kleinwaffen, zum Beispiel Gewehre von Heckler & Koch. Solange sie Rüstungsexporte in Milliardenumfang selbst für Konfliktregionen genehmigen, sogar Lizenzen für eigene Waffenproduktion bewilligen, ist dieser Kampf gegen Kindersoldaten wenig glaubhaft! Die Linke ist für eine Reform und Demokratisierung der Vereinten Nationen: Die Struktur des UN-Sicherheitsrats als bedeutendstem Entscheidungsgremium spiegelt alte Machtverhältnisse wider. Der Sicherheitsrat muss zugunsten der Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas erweitert werden, und die UN-Vollversammlung muss die zentrale Rolle spielen. In diesem Kontext muss auch das Vetorecht neu diskutiert werden. Die Bundesregierung setzt sich in den stockenden Verhandlungen darüber zu einseitig für einen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat ein. Die Weltorganisation muss -finanziell gestärkt, entsprechend ihrer Funktion politisch respektiert und zu einer handlungsfähigen Instanz zur Lösung internationaler Probleme ausgebaut werden, um weltweit Frieden und Entwicklung unter den neuen -politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen des 21. Jahrhunderts tatsächlich fördern und sichern zu -können. Parallel zu einer Demokratisierung der UNO sollte der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) zu einer gleichwertigen Instanz für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit aufgewertet werden, beispielsweise über die Festlegung von sozialen und ökologischen Normen für transnationale Unternehmen und generellen Rechten und Pflichten von privaten Unternehmen. Hier fehlen eigene Initiativen der Bundesregierung völlig. Die Grünen stellen in ihrem Antrag die Umsetzung von „Responsibility to Protect“, R2P, als zentrale -Herausforderung für einen wirksamen Menschenrechtsschutz im 21. Jahrhundert dar. Zwar verstehen die -Grünen – wie die SPD – die Schutzverantwortung ausdrücklich nicht in erster Linie als militärische Aufgabe, aber diese Option müsse eingesetzt werden, wenn alle anderen R2P-Instrumente ausgeschöpft seien. Die Grünen fordern zwar die Verbesserung der Präventions-mechanismen von R2P und das genaue Festlegen von Kriterien für militärisches Eingreifen und dessen Länge, aber dass der Krieg dem Schutz der Zivilbevölkerung dienen soll, ist zynisch. Mit dem Vorwand des Schutzes von Menschenrechten werden bereits Militärinterventionen geführt. Der Verweis auf die Schutzverantwortung liefert der internationalen Gemeinschaft nur weitere -Gelegenheiten für Angriffskriege. Die Linke lehnt militärische Interventionen unter dem Vorwand des Schutzes der Menschenrechte und der Zivilbevölkerung konsequent ab. Wir fordern stattdessen, dass die „Friedenskommission zur Unterstützung von Staaten nach bewaffneten Konflikten“ in eine umfassende Friedenskommission -erweitert wird, die nicht nur die Nachsorge, sondern auch konkrete Schritte zur Konfliktvorbeugung und nichtmilitärischer Konfliktlösung einschließlich präventiver Diplomatie zum Gegenstand ihrer Tätigkeit hat. Wir wenden uns strikt gegen die weitere Militarisierung der Vereinten Nationen, die bereits jetzt das Dreifache des UN-Haushalts für „Friedensmissionen“ ausgeben, während die humanitäre Hilfe, Armutsbekämpfung, -Klimaschutz und zivile Konfliktlösungen unterfinanziert sind. Wir brauchen demokratisch reformierte Vereinte Nationen und die Auflösung aller Militärbündnisse. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir ziehen heute Bilanz aus zwei Jahren Deutschland im UN-Sicherheitsrat. Diese Bilanz ist, das will ich gleich vorabschicken, schlicht enttäuschend. So erfolgreich die Bewerbung um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat vor fast zwei Jahren war, umso erfolgloser war leider das Wirken Deutschlands in der wichtigsten Schaltstelle für Frieden und Sicherheit in der Welt. Für diese Bundesregierung zählte wieder einmal mehr die Verpackung und nicht der Inhalt. Das Dabeisein war für sie wichtiger, als zu gestalten. Ziellos und ohne strategische Ausrichtung wurde das deutsche -Mandat begonnen. Sie sind geradezu auf die Weltbühne am East River gestolpert. Deshalb verwundert es mich nicht, dass Deutschland kaum Akzente setzen konnte in Sachen UN-Reformen, nicht in Abrüstungsfragen und nicht in Sachen Nahostkrise. Keine Ideen haben, das ist die eine Sache. Das ist schlimm genug. Etwas ganz anderes ist es aber, wenn die Bundesregierung dann auch noch beim Krisenmanagement wie in Libyen völlig versagt und ganz nebenbei das Prinzip der Schutzverantwortung, zu dem sich auch Deutschland 2005 auf dem Weltgipfel ausdrücklich verpflichtet hatte, missachtet. Es ist schlicht ein Skandal, dass ausgerechnet Deutschland sich im Sicherheitsrat gegen das Votum der Arabischen Liga bei der Frage einer Intervention enthalten hat. Deutschland hat immer auch eine besondere historische Verantwortung, Menschen vor Völkermord und schwersten Menschenrechtsverbrechen zu schützen. Dass ausgerechnet Deutschland den vielen in Bengasi eingekesselten Menschen, die in Todesangst auf das Massaker warteten, nicht ohne Wenn und Aber beistand und sich stattdessen an die Seite der ewigen Blockierer Russland und China stellte, war politisch falsch und hat uns schweren Schaden zugefügt. Herr Westerwelle, die Bundesregierung hat sich bei -Libyen schlicht aus der Verantwortung gestohlen. Selbst aus dieser offensichtlichen Fehlentscheidung haben Sie leider nichts gelernt. Statt nach Libyen die Schutzverantwortung zur Priorität zu machen, sind Sie einfach nur in die nächste Krise in Syrien gestolpert. Auch hier schwimmen Sie wieder nur mit und reden in „Freundesgruppen“, anstatt zu handeln. Noch immer warten wir auf eine selbstbewusste Krisendiplomatie und Initiativen zur Überwindung der russischen und chinesischen Blockade im Sicherheitsrat, und noch immer riegeln Sie die Grenzen Deutschlands für die syrischen Flüchtlinge ab, anstatt ihnen bei uns hier Schutz zu gewähren. Das Mindeste, Herr Westerwelle, wäre doch, dass Sie denjenigen syrischen Flüchtlingen ein Visum gewähren, die bei ihren hier lebenden Familienangehörigen unterkommen wollen und könnten. Das wäre wenigstens eine kleine humanitäre Geste. Noch nicht einmal die sind Sie bereit zu gewähren. Libyen und Syrien haben viele Fragen aufgeworfen, die an die Grundfesten der UNO rühren: wie wir zum Schutz von Menschen künftig Blockaden im Sicherheitsrat und den Missbrauch von Mandaten von Menschen verhindern können. Dennoch hat die Bundesregierung im Sicherheitstrat keine Lösung dieser zentralen Fragen vorangetrieben, die für die Ausbuchstabierung der Schutzverantwortung so wichtig sind. Nein, es waren wieder andere: Brasilien mit seiner Initiative „Responsibility while protecting“ und wir, die Opposition im Bundestag. Wir haben die Anträge zur Schutzverantwortung vorgelegt, und wir Grüne haben die Experten zu einer Konferenz eingeladen, um nach Lösungswegen zu -suchen. Sie haben offensichtlich noch immer nicht -begriffen, dass die Schutzverantwortung die menschenrechtspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist. Wir schon. Wir haben verstanden, dass wir im Sicherheitsrat dringend Initiativen brauchen, wie wir bei Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also bei schwersten Menschenrechtsverbrechen, Blockaden im Sicherheitsrat überwinden können. Wir bringen die Idee, die VN-Generalversammlung mehr in die Verantwortung zu nehmen im Sinne des „Uniting for Peace“. Und wir haben verstanden, dass wir dazu auch klare Leitplanken für Mandate brauchen. Dazu müssen wir die -Vorschläge der Expertengruppe Kofi Annans weiterentwickeln, das heißt etwa, auch enge zeitliche Beschränkungen und regelmäßige Überprüfungen von Mandaten voranzutreiben. Wir haben verstanden, dass es in Fragen schwerster Menschenrechtsverbrechen in erster Linie darum gehen muss, die vorbeugende Schutzverantwortung, die „Responsibility to prevent“, in die Köpfe der Verantwortlichen im Sicherheitsrat hineinzubekommen, um rechtzeitig zu handeln, bevor Gewalt und Chaos regieren. Wir sollten Kofi Annans Vermächtnis nach Ruanda ernst nehmen und intensiv an einer zivilen und präventiven Schutzverantwortung arbeiten, um das Morden von morgen durch eine kluge Politik der Prävention von heute zu verhindern. Dazu brauchen wir in der Außenpolitik endlich wieder eine neue Kultur der zivilen Krisenprävention, wenn wir wieder als Zivilmacht ernst genommen werden wollen. Auch das hat diese Bundesregierung offensichtlich nicht verstanden. Sie entwickelt nicht etwa den Aktionsplan zivile Krisenprävention weiter und ergänzt ihn, etwa durch wichtige neue Instrumente zur politischen Vermittlung in Konflikten und Krisen, nein, stattdessen hat sie ihn einfach in die „Ablage P“, also in den Papierkorb, geschoben. Wichtige Institutionen wie das ZIF baut sie nicht aus, obwohl es immer mehr Aufgaben zu erfüllen hat. Und schließlich kürzt die Bundesregierung jetzt wieder die Mittel der zivilen Krisenprävention im Auswärtigen Amt und wartet ab, bis der Unterausschuss „Zivile Krisenprävention“ ihr Ideen auf den Tisch legt. Wir schlagen dagegen den Aufbau ziviler Präven-tionsinstrumente, wie Pools für Mediations-, Polizei-, Verwaltungs- und Rechtsexperten vor. Wir wollen die Frühwarnung und Reaktionsfähigkeit in Sachen Schutzverantwortung stärken durch die Einrichtung nationaler Kontaktstellen, sogenannter Focal Points, und wir -wollen die Einrichtung eines Beirates zur Verhütung von Massenverbrechen. Da sind uns die Amerikaner mit ihrem Mass Atrocity Prevention Board schon weit voraus. Liebe Bundesregierung, ich appelliere an Sie: Lassen Sie sich gerade in Sachen Schutzverantwortung nicht weiter nur treiben, sondern treiben Sie selbst etwas -voran. Unser Antrag sollte Ihnen dazu Ansporn sein und Inspiration geben. Ich bitte deshalb hier im Parlament um eine breite Unterstützung. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts – Antrag: Baugesetzbuch wirklich novellieren Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Wohnen – Voraussetzungen für Teilhabe und Gleichberechtigung – Barrierefreies Bauen im Baugesetzbuch verbindlich regeln – Barrieren abbauen – Mobilität und Wohnen für alle (Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c) Peter Götz (CDU/CSU): Mit dem Gesetzentwurf zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und zur weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts wollen wir sowohl das Baugesetzbuch als auch die Baunutzungsverordnung ändern. Im Juni vergangenen Jahres haben wir in einem ersten Schritt zur Beschleunigung der Energiewende die notwendigen Anpassungen im Baugesetzbuch vorgenommen. Mit dem jetzt vorliegenden zweiten Teil wollen wir uns im Wesentlichen auf die Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden konzentrieren: Wir wollen, dass in Zukunft die städtebauliche Entwicklung noch stärker als bisher durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgt. Die Umwandlung landwirtschaftlich oder als Wald genutzter Fläche muss künftig besonders begründet werden. Wir wollen es durch eine Änderung der Baunutzungsverordnung den Kommunen erleichtern, in ihren Bebauungsplänen eine gewollte städtebauliche Verdichtung vorzusehen. Wir erleichtern den Kommunen die Steuerung der Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben. Ein weiterer Komplex sind Maßnahmen, die zu einer geordneten Entwicklung im Außenbereich des ländlichen Raums beitragen sollen. Wir wissen, dass die bäuerliche Landwirtschaft zu den tragenden Säulen der wirtschaftlichen Entwicklung im ländlichen Raum gehört. Ihre bestehenden Entwicklungsmöglichkeiten dürfen nicht beeinträchtigt werden. Allerdings sind durch die Ansiedlung von großen Tierhaltungsanlagen in den letzten Jahren zunehmend Fragen aufgeworfen worden, ob die Standorte städtebaulich verträglich sind oder der Entwicklung der Gemeinden entgegenstehen. Wir haben uns deshalb die Frage gestellt, wie die Gemeinden trotz der privilegierten Zulässigkeit dieser Tierhaltungsanlagen im Außenbereich die Instrumente der Bauleitplanung zum Einsatz bringen können. Dabei geht es vor allem um die industrielle Intensivtierhaltung, die teilweise Ausmaße angenommen hat, die zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Umwelt sowie der Lebensqualität führen kann. Nur für diesen Bereich und nicht für den normalen landwirtschaftlichen Betrieb brauchen die Kommunen wirkungsvolle Steuerungsmöglichkeiten, die wir mit diesem Gesetz vorschlagen. Ich werde in den parlamentarischen Beratungen auf diese Unterscheidung großen Wert legen. Eine pauschale Verdammung landwirtschaftlicher Vorhaben im Außenbereich tragen wir nicht mit. Zur Unterstützung des Strukturwandels in der Landwirtschaft schlägt die Bundesregierung außerdem vor, den Begünstigungstatbestand für ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebäude maßvoll zu erweitern. Ein dritter Punkt sind jene Regelungsvorschläge, die darauf abzielen, konkrete Vorhaben in den Städten und Gemeinden durch aktives Handeln zu unterstützen. Dazu zähle ich insbesondere die Erweiterung des gemeindlichen Vorkaufsrechts zugunsten eines Dritten. Diese -Regelung wird zur Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung beitragen. Gemeinden und Investoren werden dadurch außerdem entlastet. Ein weiteres stadtentwicklungspolitisches Problem, das dem Ziel einer qualitätsvollen Innenentwicklung der Städte und Gemeinden widerspricht, greifen wir mit diesem Gesetz ebenfalls auf: In den letzten Jahren prägen zunehmend verwahrloste, nicht mehr wirtschaftlich nutzbare Gebäude das Bild vieler Städte, teilweise auch der Innenstädte. Solche „Schrottimmobilien“ stellen aufgrund ihrer negativen Ausstrahlung auf die Umgebung für viele Kommunen eine große Herausforderung dar. Nicht selten werden solche Immobilien als Spekulationsobjekte gehalten, die nach und nach dem Verfall preisgegeben sind. Strukturschwache Regionen, die mit wirtschaftlich bedingten Bevölkerungsverlusten und auch mit den Folgen des demografischen Wandels kämpfen, sind davon besonders betroffen. Dies gilt sowohl für die Großstädte als auch für Gemeinden im ländlichen Raum. Erlauben Sie mir noch den Hinweis darauf, dass die Bundesregierung dem Wunsch nach einem verbesserten Vorschlag für die rechtliche Unterstützung des energieeffizienten und klimaneutralen Quartiersumbaus nachgekommen ist. Wir wollen energieeffiziente Lösungen, die einerseits dem Klimaschutz Rechnung tragen, die aber auch wirtschaftlich sind und von den Haus- und Grundstückseigentümern angenommen werden. Ordnungspolitische Zwänge sind der falsche Weg. Auch wollen wir durch eine Änderung des Städtebaurechts eine verbesserte Steuerung von Vergnügungsstätten ermöglichen und für die Anwendung städtebaulicher Verträge klarstellende Regelungen aufnehmen. Wir haben einen guten Gesetzentwurf. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf einige interessante Punkte angesprochen, die wir in den Beratungen diskutieren werden. Im Bau- und Planungsrecht ist es eine gute und bewährte Tradition, im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen zusammen mit ausgewählten Kommunen im Planspiel gesetzliche Auswirkungen zu testen. Die Ergebnisse des Planspiels und der vereinbarten Sachverständigenanhörung fließen in unsere Entscheidungs-findung ein. Ich bin optimistisch, dass wir diesen Gesetzentwurf, so wie seine Vorgänger, im guten und offenen Gedankenaustausch beraten. Es wird für mich nach mehr als 20 Jahren wohl das letzte parlamentarische Verfahren zur Änderung des Baugesetzbuches sein. Mein persönlicher Wunsch ist es, dass wir es auch dieses Mal wieder quer durch alle Fraktionen schaffen, zu einem breiten Konsens über die wesentlichen Änderungen des Baugesetzbuches zu kommen. Planungssicherheit für einen längeren Zeitraum ist gerade im Baubereich für alle Akteure in den Rathäusern, aber auch für Investoren ein nicht zu unterschätzendes hohes Gut. Deshalb sind Deutscher Bundestag und Bundesrat gut beraten, beim Baugesetzbuch und der Baunutzungsverordnung möglichst mit großer Mehrheit an einem Strang zu ziehen. Das erfordert Kompromisse in der Sache. Lassen Sie uns darüber reden. Ich wünsche uns fruchtbare Beratungen. Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Heute machen wir einen wichtigen Schritt in Richtung der notwendigen Novelle des Bau- und Planungsrechts. Das deutsche Baugesetzbuch ist seit Jahrzehnten ein bewährtes und verlässliches Planungsinstrument. Das Baugesetzbuch und die Bauordnungen der Länder haben mit dafür gesorgt, den enormen Nachholbedarf bei Infrastruktur und Siedlungsbau in Ostdeutschland zu stemmen. Dank gemeinsamer Anstrengungen des Bundes, der Länder und Kommunen ist es uns gelungen, die durch Plan- und Mangelwirtschaft verursachten Defizite zu beheben. Geänderte Lebensumstände und neue gewerbliche Strukturen erfordern eine Anpassung im Bebauungsrecht. Mit den demografischen Veränderungen und weiteren Flächeninanspruchnahmen wächst die Forderung aus den Kommunen an den Gesetzgeber. Der Schutz landwirtschaftlicher Flächen vor weiterer Inanspruchnahme durch Siedlung und Verkehr hat für die christlich-liberalen Koalitionspartner große Priorität. Wir haben auch Verständnis für den Unmut der Landwirte, wenn wertvolle Böden für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen geopfert werden. Wir verstehen die Kritik, wenn mehr und mehr Fläche im Außenbereich versiegelt wird. Wir nehmen Beschwerden der Bevölkerung über Belastungen durch Agrargewerbebetriebe vor der Haustür ernst. Wir sehen die Schwierigkeit, dass bei weiterer Siedlungsausdehnung die Innenstädte zusehends strukturell verarmen. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag die Stärkung der Innenentwicklung zur Reduktion der Flächen-inanspruchnahme als Ziel unserer Regierungspolitik festgehalten. Der vorliegende Regierungsentwurf zur Novelle des Baugesetzbuches setzt klare Signale für eine nachhaltige Flächennutzung und zukunftsgerechte Stadtentwicklung. Der Regierungsentwurf zielt unmissverständlich auf eine Stärkung der Innenentwicklung in Städten und Gemeinden. Die Kommunen sollen mehr Gestaltungsfreiraum durch bessere Unterstützung bei der städtebaulichen Entwicklung erhalten. Anstatt mehr Fläche im -Außenbereich zu nutzen, sollen Baulücken geschlossen, Brachen genutzt und leer stehende Gebäude durch Modernisierung attraktiver werden. Die christlich-liberale Koalition steht zur Privilegierung landwirtschaftlicher Betriebe im Außenbereich. Wir wollen keine neuen Planungsinstrumente schaffen, sondern vorhandene anwenden. Demografische Veränderungen und neue Methoden der Landwirtschaft erfordern vor allem praxistaugliche Regelungen. Bei Agrargewerbebetrieben halten wir die Umweltverträglichkeitsprüfung deshalb für ein geeignetes Instrument der Kommunen. Das Baugesetzbuch und die Bauordnungen der Länder berühren in Verbindung mit der Baunutzungsverordnung alle Bereiche des Lebens und der Wirtschaft. Deshalb sollten wir uns hier im Hause einig sein, einen möglichst breiten Konsens zwischen den Fraktionen gemeinsam mit den Bundesländern zu finden. Die Menschen stellen neue Ansprüche an das Wohnen. Dem müssen wir als Gesetzgeber folgen. Barrierefreiheit, aber auch Barrierearmut im Gebäude werden zusehends wichtige Themen. Die Belange von älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen finden im Baugesetzbuch bereits Berücksichtigung. Wie ich bereits sagte, liegt die Ausgestaltung in der Zuständigkeit der Länder und der jeweiligen Bauordnungen. Das Baugesetzbuch eröffnet dazu in § 1 die notwendigen Rechtsgrundlagen. Die Bauordnungen der Länder können dazu weitere Regelungen treffen. Auch der Aktionsplan der Bunderegierung zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention sowie die Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau zum altersgerechten Umbau zielen in dieselbe Richtung. Auch der jüngst erzielte Kompromiss im Personenbeförderungsgesetz zeigt, dass wir gemeinsam erfolgreich an einer sukzessiven Entwicklung hin zu mehr barrierefreien Angeboten arbeiten können. Aus diesen Gründen können wir den Anträgen der Opposition nicht folgen. Ich werbe um Zustimmung zum vorgelegten Regierungsentwurf. Hans-Joachim Hacker (SPD): Die Weihnachtszeit ist ja bekanntlich die Zeit der Geschenke. Heute erfüllt uns Herr Minister Ramsauer auch endlich einen Wunsch und legt die lang erwartete Novelle zum Bauplanungsrecht vor. Der Entwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts hat fast ein Jahr benötigt, um vom Referentenentwurf zum Kabinettsentwurf zu reifen. Bedenkt man, dass die Novellierung des Bauplanungsrechts ursprünglich einmal 2011 abgeschlossen sein sollte und jetzt erst weit in 2013 in Kraft treten kann, ist die tatsächliche Verzögerung noch viel erheblicher. Für die durch die Energiewende notwendige Aufsplittung der Novelle kann ich die Bundesregierung nicht kritisieren. Das war wegen des Atomausstiegs richtig, und wir haben das auch im Konsens durchgezogen. Allerdings hätte der zweite, ebenso wichtige Teil der Novelle längst umgesetzt werden müssen. Hier muss sich die Bundesregierung sehr wohl den Vorwurf gefallen lassen, wegen hausgemachter Probleme bei der Abstimmung zwischen den Ressorts unnötig Zeit verschwendet zu haben. Es kann doch nicht sein, dass ein Streit zwischen dem Minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und seiner Kollegin aus dem Landwirtschaftsministerium die Novellierung des BauGB für Monate auf Eis legt. Und das auch noch wegen eines ganz zentralen Punkts des Entwurfs, der baurechtlichen Privilegierung der Intensivtierhaltungsanlagen. Und es ist noch verwunderlicher, dass am Ende sogar noch die unbedeutende Frage der baurechtlichen Einordnung von Kleintierzucht zu weiteren wochenlangen Verzögerungen führte. Wir sind von der schwarz-gelben Koalition in Bezug auf Tiervergleiche ja schon einiges gewohnt – die Wildsäue und der Frosch lassen grüßen. Es erstaunt mich aber dennoch, dass der Bundesregierung eine Regelung für Rassegeflügelzucht in der Baunutzungsverordnung offenkundig so wichtig ist, dass sie die überfällige Weiterentwicklung des Bauplanungsrechtes dafür auf die lange Bank geschoben hat. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts muss der Gesetzgeber eine Antwort auf Trends und Entwicklungen geben, die die Städtebaupolitik in den letzten Jahren maßgeblich bestimmen. Diesen Ansatz unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich. Die demografische Entwicklung mit der Veränderung der Altersstruktur einerseits und dem Rückgang der Bevölkerung andererseits, die zudem auch noch regional sehr unterschiedlich ausfällt, hat erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Städte und Gemeinden. Das gilt es zu gestalten. Wir erleben derzeit, wie uns die damit verbundenen Probleme förmlich schon auf den Nägeln brennen. Der Zuzug von Menschen in die Städte und Ballungsgebiete führt zu Wohnraumverknappung und steigenden Mieten. Die Verdichtung des Innenbereichs, die sich in Zukunft noch weiter verstärken wird, macht eine Anpassung der bauplanungsrechtlichen Grundlagen unumgänglich. Übrigens auch da, wo wir die gegenteilige Entwicklung haben. Auch in den Schrumpfungsregionen müssen Prozesse gestaltet werden, müssen Kommunen zusätzliche Steuerungsinstrumente erhalten, um mit den Folgen dieser Schrumpfungsprozesse umgehen zu können. Die Verdichtung, etwa durch Erschließung von Freiflächen oder Möglichkeiten zur Aufstockung von Gebäuden in den Städten, und die Entwertung, etwa durch Leerstand oder durch Schrottimmobilien – das sind zwei Seiten derselben Medaille. Dazu gehören auch der Klimaschutz und die Gestaltung der städtebaulichen Folgen der klimatischen Veränderungen. Steigende Energiepreise und die damit verbundenen höheren Transportkosten führen zum Wegzug von Pendlern aus den Speckgürteln in die Innenstädte. Dort muss dann aber im Gegenzug auch die energetische Ausstattung der Wohnquartiere so sein, dass die wegfallenden Pendelkosten nicht anschließend durch die hohen Energiekosten schlecht gedämmter Wohnhäuser wieder aufgefressen werden. Das gilt aber auch für die Mieten, die durch überzogene energetische Maßnahmen und deren Kostenfolgen nicht noch weiter klettern dürfen. Zur Stärkung des Innenbereichs gehört es auch, die Infrastruktur auf die mit der Verdichtung zusammenhängenden Entwicklungen einzustellen und dabei auch die Aspekte des Klimaschutzes mit zu berücksichtigen – zum Beispiel durch zentrale Versorgungseinrichtungen, die unnötige Wege und unnötigen CO2-Ausstoß vermeiden. Und letztlich ergibt sich durch den Schwerpunkt der Innenentwicklung auch die Option, den Außenbereich stärker als bislang zu schützen. Verdichtete Innenstädte brauchen mehr denn je den Ausgleich durch die zu schützende sprichwörtliche „grüne Wiese“ im Außenbereich, die eben mehr ist als nur eine Fläche zur Ansiedlung von Einkaufszentren. Das sind – in groben Zügen – die Anforderungen an die Novelle des Bauplanungsrechtes, die mit dem Gesetzentwurf im Großen und Ganzen auch umgesetzt werden sollen. Der Entwurf des Gesetzes, mit dem in Zukunft sowohl SPD- als auch unionsgeführte Kommunen – ja sogar Städte mit grünen Bürgermeistern – umgehen müssen, ist ja auch nicht im Elfenbeinturm des BMVBS entstanden. Er ist Ergebnis eines langen Dialogprozesses, in den die maßgeblichen kommunalen Akteure im Rahmen der Berliner Gespräche eingebunden waren. Herausgekommen ist ein Gesetzentwurf, mit dem die Koalition im Wesentlichen ihren Koalitionsvertrag abarbeitet und über die dort vereinbarten Punkte hinaus nur noch notwendig gewordene Anpassungen an die Rechtsprechung und an geändertes EU-Recht sowie Folgeänderungen durch vorangegangene Änderungen in Fachgesetzen umsetzt. Lediglich mit den Regelungen zur Intensivtierhaltung und zu Vergnügungsstätten bzw. Spielhallen wird weiterer politischer Regelungsbedarf aufgegriffen. Einen großen Wurf kann man diese Novelle also nicht gerade nennen, eher Dienst nach Vorschrift – aber mehr war von dieser Koalition auch nicht zu erwarten. Der Umstand, dass dieser Punkt heute hätte um Mitternacht debattiert werden sollen und nicht in der Kernzeit, spricht ja Bände. Im Ergebnis präsentiert sich der Gesetzentwurf also als „Novelle light“. Eine revolutionäre Weiterentwicklung des Bauplanungsrechts erfolgt nicht. Bereits die Formulierungen des Koalitionsvertrages hatten ja, wie gesagt, keine großen gestalterischen Absichten erkennen lassen. Auch bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs durch die Berliner Gespräche hat das BMVBS eher bremsend als reformbegeistert gewirkt. Konkretere Maßnahmen zum Bauen im Außenbereich etwa oder zur Minimierung des Flächenverbrauchs waren ausdrücklich nicht gewünscht bzw. wurden gar als „Investitionshemmnis“ bezeichnet. Die von dieser doch sehr eindeutigen politischen Vorgabe geprägten Vorschläge und Empfehlungen der Experten wurden im weiteren Verlauf vom BMVBS auch nur in Teilen in den Entwurf aufgenommen. Weitergehende Regelungen wurden zudem währen der koalitionsinternen Abstimmung weichgespült oder ganz fallen gelassen. Gleichwohl: Die Städte und Gemeinden warten händeringend auf die im Gesetz enthaltenen baurechtlichen Regelungen für ihre durch Zuzug und Wohnungsmangel geprägten Innenstädte. Sie brauchen verbesserte Durchgriffsmöglichkeiten im Umgang mit Schrottimmobilien, sie brauchen Regelungen zur Einschränkung der Flächen-inanspruchnahme und zum Schutz des Außenbereichs. Die baurechtliche Zulässigkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen in Wohngebieten ist ein ebenso wichtiges Anliegen. Die SPD könnte daher auch diese nicht in allen Teilen zufriedenstellende Novelle mittragen, wenn die Bundesregierung den Entwurf in entscheidenden Punkten nachbessert. Dazu gehören aus Sicht der SPD ganz klar Änderungen bei der nur halbherzig vorgenommenen Einschränkung der baurechtlichen Privilegierung der Intensivtierhaltung. Die Privilegierung der Tierhaltung muss nach Auffassung der SPD im Baurecht künftig schon bei Erreichen des jeweils unteren Schwellenwertes im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung entfallen – und zwar ohne eine unnötige Vorprüfung und ohne zwischen landwirtschaftlicher und gewerblicher Tierhaltung zu unterscheiden. Wir wollen, dass die kommunalen Steuerungsmöglichkeiten deutlich verbessert werden, damit die zuständigen Stellen endlich die Probleme vor Ort lösen können. Die schwarz-gelbe Bundesregierung löst mit ihrer Novelle in der vorliegenden Fassung keines der drängenden Probleme im Bereich der Tierhaltung . Auch die im Entwurf enthaltenen Instrumente für Kommunen, gegen Schrottimmobilien vorzugehen, sind in der vorliegenden Form ein stumpfes Schwert. Es fehlt vor allem der politische Wille, Eigentümer dieser Schandflecken an den Kosten für deren Beseitigung zu beteiligen. Das ist ein zentraler Punkt, bei dem aus unserer Sicht der Entwurf nicht so die Ausschussberatung verlassen darf, wie er hineingeht. Ich will hier als weiteren Punkt die im Baugesetzbuch vorgesehenen Änderungen zum Schutz des Außenbereichs nennen, die sich im Wesentlichen auf gut klingende Sätze in § 1 und 1 a beschränken, ohne aber in der Praxis nennenswerte Auswirkungen zu haben. Im Gegenteil, kuriose Einzelregelungen wie zum Beispiel die geplante Neufassung des § 35 Abs. 4 – Stichworte: Umnutzung und Neubau von Höfen im Außenbereich – laufen sogar auf das Gegenteil hinaus und unterlaufen die Intention des Gesetzentwurfes. Hier gilt es also, in der weiteren Beratung unter Abwägung der Belange der Kommunen und unter Vermeidung allzu großer bürokratischer Auflagen Regelungen zu finden, die den Schutz des Außenbereichs und die Erreichung des 30-Hektar-Ziels tatsächlich sicherstellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktion, die kommenden Ausschussberatungen werden zeigen, wie ernst Sie es mit der Stärkung der Innenentwicklung der Städte und Gemeinden wirklich meinen. Petra Müller (Aachen) (FDP): Mit dem Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in Städten und Gemeinden und zur weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts erfüllen CDU/CSU und FDP ihren Koalitionsvertrag weiterhin zielbewusst, konzentriert und erfolgreich. Mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir zugleich wesentliche Ziele einer zukunftsgerichteten und an den sich verändernden Lebensbedingungen ausgerichteten Stadtentwicklung und Raumplanung erreichen. Es ist dabei Ziel der FDP, den Menschen in Deutschland ein qualitativ hochwertiges, modernes und nachhaltiges Lebensumfeld zu schaffen. Die Ziele des Klimaschutzes und die notwendigen Schritte zur erfolgreichen Gestaltung der Energiewende haben wir immer fest im Blick. Diesen Anforderungen wird das vorgelegte Gesetz gerecht: Mit einer Vielzahl von Maßnahmen in einer Vielzahl von Bereichen werden wir mit der Gesetzesvorlage das Leben der Menschen erleichtern und verbessern, die kommunale Selbstverwaltung weiter stärken und zugleich die Ziele der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie konsequent verfolgen. So wird die Innenentwicklung der Städte und Gemeinden in der städtebaulichen Entwicklung weiterhin vorrangig erfolgen. Die Reduzierung der Flächeninanspruchnahme ist im Koalitionsvertrag vereinbart und wir setzen dieses Vorhaben mit diesem Gesetz fort. Sollten darüber hinaus zukünftig landwirtschaftlich oder als Wald genutzte Flächen einer Umnutzung zugeführt werden, so bedarf dies künftig einer ausdrücklichen Begründung. So erhöhen wir die Schwelle der Neubebauung und fördern die Entwicklung eines bewussten Umgangs mit Freiflächen und Raum. Den Kommunen wird es im Zusammenhang mit der Innenentwicklung erstens erleichtert, in ihren Bebauungsplänen eine gewollte städtebauliche Verdichtung vorzusehen. Darüber hinaus wird mit diesem Gesetz zweitens durch die Schaffung einer neuen Darstellungsmöglichkeit im Flächennutzungsplan der Schutz zentraler Versorgungsbereiche nachdrücklich gestärkt werden. Und drittens erhalten die Kommunen Erleichterungen beim gesetzlichen Vorkaufsrecht der Gemeinden. All das wird den Kommunen einen neuen, einen wirkungsvollen Handlungsspielraum geben, die Städte und Gemeinden lebenswerter und wohnlicher zu gestalten und dabei die Umwelt und Natur zu schützen und zu erhalten. Mit dem Gesetz schaffen wir aber auch für den Einzelnen, für den Bürger sofort oder kurzfristig wirksame und wahrnehmbare Verbesserungen: So werden Kindertagesstätten zukünftig in einer den Bedürfnissen der Bewohner angemessenen Größe auch in reinen Wohngebieten allgemein zulässig sein. Wir unterstützen damit Eltern, wir verbessern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch kurze Wege und die Ermöglichung von Betreuungsplätzen. Bereits im letzten Jahr hat die christlich-liberale Koalition klargestellt, dass Kinderlärm keine schädliche Umwelteinwirkung darstellt; jetzt werden wir das Recht der Kinder auf eine in ihr Lebensumfeld integrierte Außer-Haus-Betreuung weiter stärken. Nur zwei weitere Punkte aus dem Gesetz darf ich ansprechen, die in der Bevölkerung berechtigterweise immer große Aufmerksamkeit und Resonanz finden und die dezidiertes Interesse liberaler Stadtentwicklungspolitik sind: Zur Steuerung der Ansiedlung von Vergnügungsstätten wird es zukünftig eine klarstellende Regelung geben. Gewerbliche Tierhaltungsanlagen sollen im Außenbereich nur dann privilegiert sein, wenn sie keine Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung haben. Damit regeln wir sensible Bereiche der Baugesetzgebung nun endlich zum Wohle der Menschen und unter Berücksichtigung auch berechtigter wirtschaftlicher Interessen. Ich darf an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Landwirte von diesen Regelungen nicht betroffen sind, sondern ausschließlich und gewollt die gewerbliche Tierhaltung. Insofern kann ich die Aufregung mancher Landwirte nicht nachvollziehen. Letztlich bleibt es aber immer die Eigenverantwortung der betroffenen Kommune, dass für ihre Region „Beste“ zu entscheiden. Mit der Vorlage dieses Gesetzes beweist die Koalition ihre politische Handlungsfähigkeit und setzt einen weiteren wichtigen Stein auf dem Weg zu einer erfolgreichen und lebensnahen Politik für Bürgerinnen und Bürger, für Deutschland. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Wir debattieren heute in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts. Das Hauptanliegen des Gesetzentwurfs ist klar. Die Linke teilt die Forderungen nach Stärkung der -Innenstädte und Ortskerne. Natürlich wenden wir uns gegen weitere Flächenversiegelung durch Zersiedelung. Da sind wir uns in diesem Hause wohl alle einig, und es wird allerhöchste Zeit, dass den Sonntagsreden der -Bundesregierung auch Taten folgen: Der Flächen-verbrauch muss aus umwelt- und agrarpolitischen Gründen dringend gestoppt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf krankt aber an zwei Punkten: Erster Punkt. Es fehlt das klare Bekenntnis, die 2009 beschlossene UN-Behindertenrechtskonvention auch beim Städtebau umzusetzen. Wir brauchen ein Grundrecht auf Barrierefreiheit. Das nützt nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern allen, die im Alltag behindert werden: Kindern, Alten, dem Vater mit dem Kinderwagen, der Frau mit dem Lastrad. Die Linke hat dazu einen Antrag eingebracht, den wir hier in dritter Lesung debattieren und dann abstimmen werden. Wir unterstützen aber ebenso die Anträge von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Barrierefreiheit. Die Oppositionsfraktionen sind sich hier, abgesehen von Nuancen, ziemlich -einig. Im Gesetzentwurf der Regierung kommt die Bar-rierefreiheit allerdings überhaupt nicht vor. Das kann doch wohl nicht ihr Ernst sein? Hier müssen Sie dringend nachbessern! Zweiter Punkt. Ihre Änderung des § 35 Baugesetzbuch geht in die falsche Richtung. In diesem Paragrafen geht es um die Privilegierung landwirtschaftlicher Gebäude im Außenbereich. Nun sollen auch gewerbliche Tierhalter davon profitieren, solange die Stallanlagen nicht unter die Umweltverträglichkeitsprüfung fallen. Das klingt kompliziert. Sagen wir es deutlicher: Die Bundesregierung will jetzt sogar die Intensivtierhaltung besser behandeln als bisher. Das geht gar nicht und ist ein Schlag ins Gesicht der Bürgerinnen und Bürger in den Regionen, die heute schon von einer extremen -Konzentration der Intensivtierhaltung betroffen sind. Die Linke spricht sich generell für die Beibehaltung des Landwirtschaftsprivilegs im Baurecht aus. Die Linke hält es aber für unumgänglich, mehrere „Verträglichkeitskriterien“ für derartige Anlagen zu formulieren und gesetzlich zu regeln. Die Umweltverträglichkeitsprüfung allein reicht aber als Kriterium nicht aus. Viehdichte und Bodenverhältnisse einer Region müssen ebenso eine Rolle spielen wie Bevölkerungsdichte und die soziale Struktur. Auf der Ebene der Bundesländer sollten Eignungskataster potenzieller Tierhaltungsstandorte entwickelt werden. Diese könnten im Rahmen der Raumordnung in den Regional- oder Landesplanungen berücksichtigt werden. Ein wesentlicher Vorteil läge darin, dass sich sowohl die Akteure als auch die Bevölkerung der Region frühzeitig auf mögliche Investitionsvorhaben einstellen und sie mit beeinflussen können. Unterschiedliche Standortbedingungen fänden damit zudem Berücksichtigung. Der klassische Naturkreislauf Boden–Pflanze–Tier– Boden muss auch in Hinblick auf die Neuansiedlung von -Tierhaltungsanlagen Beachtung finden. Er ist Ausdruck regionaler Stoffkreisläufe, die im Gegensatz zum globalen Umschlag von Stoffen und Energie zum Schutz der -Umwelt und des Klimas beitragen können. Somit kann auch dem Anspruch, Transportaufwendungen so weit wie möglich zu minimieren, Rechnung getragen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, gestatten Sie mir diese Bemerkung: Es geht um regionale Stoffkreisläufe, nicht zwingend um innerbetriebliche. Abgesehen davon können betriebliche Flächen weit verteilt sein. Ihre Forderung, dass 50 Prozent des Futters aus dem eigenen Betrieb stammt, hört sich vielleicht gut an, ist aber derzeit realitätsfern und greift zu kurz. Futter muss aus der Region kommen, Gülle muss in ihr verbleiben. Die Größe der Region ist von geografischen und kulturellen Faktoren abhängig und daher verschieden. Darum geht es aber nicht vorrangig. Es geht vielmehr darum, dass wir mittelfristig in der Lage sein müssen, unsere Futtermittel selbst anzubauen. Wir müssen Schluss machen mit dem Import von Soja, das in anderen Teilen der Welt unter katastrophalen sozialen und ökologischen Bedingungen produziert wird! Sie sehen, das Landwirtschaftsprivileg in § 35 Baugesetzbuch ist ein komplexes Thema. Das Baugesetz allein kann die Frage nicht lösen, wie wir von der Intensivtierhaltung zu einer tiergerechten nachhaltigen Nutztierhaltung kommen können. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist ärgerlich, dass dieses wichtige Thema zu so später Stunde aufgesetzt werden sollte, bewusst in Kauf nehmend, dass dann keine politische Debatte mehr stattfindet, sondern alle Reden zu Protokoll gegeben werden. Dabei hat die Regierung die Novellierung des Baugesetzbuches bewusst verschleppt und verzögert. Seit einem Jahr warten wir auf Ihren Gesetzesvorschlag. Nun legen Sie ihn vor. Und was macht die Koalition? Sie verbannt die Debatte in die Nachtzeit, damit keiner etwas merkt. Dabei sind die Probleme der Menschen in unseren Städten und Gemeinden drängend. Kein Tag vergeht, ohne dass die Medien über steigende Mieten, viel zu hohe Nebenkosten, Verdrängung von Mietern aus ihren Vierteln, über Flächenfraß und über die unzumutbaren Zustände in den Immobilienbeständen der Hedge-Fonds, der sogenannten Heuschrecken, berichten. Aber anstatt zu handeln, legen Sie ein Gesetz vor, das nur ein baupolitisches Trostpflaster für die Kommunen ist. Es ist schon bemerkenswert, wie viele Regelungen man in einem Gesetz unterbringen kann, ohne wirklich etwas zu bewegen. Sie gehen wirklich jedes aktuelle Thema an und schaffen dabei keine neuen Handlungsspielräume für die Gemeinden. Einzig positiv sind die Änderungen bei den Spielhallen, die zwei Jahre nach unserem Antrag zu dem Thema endlich angepackt werden. Aber nun zu der ganzen Reihe von Themen, die nur scheinbar anpackt werden. Herr Minister Ramsauer, unser Ankündigungsminister, hat groß von Maßnahmen gegen die Intensivtierhaltung gesprochen. Doch die Änderungen werden nichts an der aktuellen Praxis bewirken. Ein Betrieb mit 84 999 Hühnern fällt offensichtlich in Ramsauers Bild einer bäuerlichen Landwirtschaft. Auch für die energetische Sanierung von Quartieren gibt es ein Placebo. § 136 des Baugesetzbuchs wird geändert, aber nicht in der von Fachleuten geforderten Fassung, sondern in einer abgeschwächten Variante, die in der Praxis ohne Auswirkung bleiben wird. Dabei wäre es so wichtig, Quartierssanierungen voranzubringen und dem neuen KfW-Programm zur Stadtsanierung einen sicheren Rahmen zu geben. Ein weiteres Thema, in dem Sie Tätigkeit vortäuschen, sind die Schrottimmobilien. Ihre redaktionelle Änderung in § 179 erweitert die Handlungsspielräume der Gemeinden nur unwesentlich. Solange die Gemeinden allein auf den Kosten sitzenbleiben, kann der Kampf gegen Schrottimmobilien nicht gelingen. Mit unserem Antrag schlagen wir ein Konzept vor, dass auch die Verursacher in die Pflicht nimmt, ohne ihnen unzumutbare Lasten aufzubürden. Wenn Sie schon unserem Antrag dazu nicht folgen wollen, dann greifen Sie doch wenigstens die Initiative der Länder im Bundesrat auf. Die großen Worte zum U3-Kindergartenausbau sind ohne Substanz. Für Kindertagesstätten in reinen Wohngebieten wollen Sie die Hürden im Baurecht nicht ganz aufheben. Damit steht ihr Handeln wieder einmal im Gegensatz zur ihren Reden. Hier können Sie ganz konkret mit einem Bundesgesetz etwas für den Kitaausbau tun; doch Sie verweigern sich. Besonders ärgerlich ist Ihr Verständnis von Innenentwicklung. In der Novelle zur Innenentwicklung eine Regelung unterzubringen, bei der der Abriss von Scheunen zugunsten von Ferienwohnungen begünstigt wird, ist einmalig. Das ist Klientelpolitik und führt zu weiterer Zersiedlung. Das ist das Gegenteil von Innenentwicklung. Stadtentwicklungspolitik wird auf der Ebene der Gemeinden gemacht. Wir im Bundestag haben die Aufgabe, den Werkzeugkasten zu geben. Wir stellen den Gemeinden die Instrumente zur Verfügung, die Sie im Rahmen der Planungshoheit nutzen können. Für die anstehenden Herausforderungen, wie den demografischen Wandel und den Klimawandel, stehen wir den Gemeinden gegenüber in der Verantwortung. Folgen Sie einfach unserem Antrag, den Stellungnahmen der Verbände oder dem Beschluss des Bundesrates. Liebe Koalitionsfraktionen, lassen Sie sich nicht mit der „Placebonovelle“ aus dem Hause Ramsauer abspeisen. Nutzen Sie das parlamentarische Verfahren, um die zahlreichen guten Ideen aufzugreifen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 29) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Einen wesentlichen Markstein auf dem Weg zur Freiheit der Wissenschaft markierte im 16. und 17. Jahrhundert der Disput über die Frage, ob sich die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne drehe. Den machtvollen religiös motivierten Gegnern der Gedanken von Kopernikus und Galilei diente vor allem eine Stelle aus dem Alten Testament als schlagender Beweis. In Josua 10,12–14 heißt es: „Sonne, stehe still zu Gibeon.“ Und: „Die Sonne blieb stehen mitten am Himmel und beeilte sich nicht unterzugehen.“ Heute wissen wir es – dank des Freiheitsdrangs der Wissenschaften – eigentlich besser, wie es sich mit dem Lauf der Himmelskörper verhält. Der Gesetzgeber indessen meint bisweilen – so auch heute –, Sonnenauf- und -untergang immer noch beeinflussen zu können. Denn eigentlich war § 52 a des Urheberrechtsgesetzes 2003 – als erste Urheberrechtsvorschrift in Deutschland überhaupt – mit einer sogenannten sunset provision, einer Sonnenuntergangsregelung, sprich Befristung, versehen worden. Ursprünglich sollte die Schrankenregelung Ende 2006 auslaufen. Heute schickt sich der Gesetzgeber nun an, den Sonnenuntergang bereits zum dritten Mal zu verschieben. Diesmal bis zum 31. Dezember 2014. Zugegebenermaßen: Klarheit und eitel Sonnenschein werden damit nicht wirklich geschaffen. Vielmehr wird gezwungenermaßen ein Schwebezustand perpetuiert. Angesichts der Zeitabläufe eine Notwendigkeit – mir fällt dazu eine Vokabel aus dem Lateinunterricht ein, die mir aus endlosen Cäsar-Übersetzungsstunden ins Gedächtnis eingebrannt ist: necessitate coactus, durch die Notwendigkeit gezwungen. So steht der Gesetzgeber, sprich: das Parlament, nämlich zurzeit da. Wir, die christlich-liberale Koalition, haben uns als Fraktionen aus der Mitte des Parlaments daher entschieden, § 52 a des Urheberrechtsgesetzes ein weiteres Mal für zwei Jahre zu verlängern. Damit verbinden wir das Ziel, diese Zeit zu nutzen, eine einheitliche Wissenschaftsschranke zu formulieren. Das setzt zum einen voraus, dass in dieser Zeit endlich auch valide Daten zur Inanspruchnahme von § 52 a Urheberrechtsgesetz vorgelegt werden. Der dritte Eva-luierungsbericht des Bundesjustizministeriums hat keine weiteren Erkenntnisse gegenüber dem zweiten und dem ersten Bericht gebracht. Das ist misslich, zumal es offensichtlich die mangelnde Bereitschaft der im Obligo stehenden Beteiligten ist, die notwendigen Daten zu erheben und bereitzustellen. Zum anderen – und auch damit verknüpft – ist die Bereitschaft zur Zahlung einer angemessenen Vergütung als Conditio sine qua non. Während es im Schulbereich hier außer kleineren Problemen bei den Gesamtverträgen keine wirklichen Schwierigkeiten gibt, ist im Wissenschaftsbereich dieser Punkt von maßgeblicher Bedeutung und hoch streitbehaftet. Hier werden wir als Gesetzgeber in den nächsten Jahren ganz genau hinzuschauen haben. Es wird für die künftige Gestaltung einer einheitlichen Wissenschaftsschranke von entscheidender Bedeutung sein, wie die angemessene Vergütung gehandhabt wird. Wir rechnen zudem ja damit, dass die Rechtsprechung in den nächsten zwei Jahren entsprechende Hinweise geben wird. Die weitere Entwicklung bei diesen Faktoren wird maßgeblichen Einfluss auf die weiteren Überlegungen zur Schaffung einer einheitlichen Wissenschaftsschranke haben. Dessen sollten sich insbesondere die Wissenschaftsorganisationen ganz dringend bewusst sein. Denn auch die zukünftige Regelung einer einheit-lichen Wissenschaftsschranke wird nicht losgelöst und nach Tagesform der Politik erfolgen. Sie muss sich in die bestehende Systematik des Urheberrechts einfügen. Und deren Ausgangspunkt ist Art. 14 unseres Grundgesetzes, der das Eigentum garantiert. Schranken dieses Eigentumsrechts, also Freiheiten des Nutzers, lassen sich da nur als allgemeinwohlorientierte Ausnahmen begründen. Das ist aber der Maßstab, an dem sich das Handeln derer, die eine Schranke in Anspruch nehmen wollen, messen lassen muss. Haushalterische Zwänge und das Ziel der Kosteneinsparung sind jedenfalls keine legitimen Allgemeinwohlbelange, die eine Schrankenregelung zu rechtfertigen vermögen. Natürlich darf nicht verschwiegen werden, dass es auf der Seite der Rechteinhaber auch Akteure gibt, die den Schutz des Eigentums dazu benutzen, illusorische Preisvorstellungen realisieren zu wollen. Das ist bedauerlich, denn es schadet dem berechtigten Anliegen der ungleich größeren Zahl an Verlagen und Verlegern, die bei ihrer Preisgestaltung wie selbstverständlich dem Prinzip des ehrbaren Kaufmanns verpflichtet sind. Gerade für die hiesige deutsche mittelständisch geprägte Verlagslandschaft gilt dies in besonderem Maße. Den Lauf der Zeit kann und will auch der Gesetzgeber nicht aufhalten. Es ist unsere Aufgabe, die Zeiten zu gestalten. Das bloße Hinausschieben einer Befristung ist dabei eigentlich noch kein Mittel, das von Gestaltungskraft zeugt. Daher verbinden wir damit den Auftrag an uns selbst und an die Bundesregierung, die gewonnene Zeit zu nutzen, die widerstreitenden Interessen in einer eindeutigen Schrankenregelung zum Ausgleich zu bringen. Ein bloßes Auslaufen der gesetzlichen Regelung hätte dem ebenso wenig gedient wie eine dauerhafte Entfristung. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Bildung, Wissenschaft und Forschung sind der Schlüssel, um unserem Land auch in Zukunft im internationalen Wettbewerb einen Spitzenplatz zu sichern. Deshalb haben wir uns die „Bildungsrepublik“ Deutschland zum Ziel gesetzt. Damit Forschung und Lehre Spitzenleistungen erzielen können, brauchen sie uneingeschränkten Zugang zu vorhandenem Wissen. Auch die Qualität des Unterrichts an Schulen und Hochschulen hängt maßgeblich von den zur Lehre und Ausbildung verwendeten Materialien ab. Um den Zugang von Forschung und Lehre zu bestehendem Wissen zu erleichtern, haben wir im Rahmen des sogenannten ersten Korbs der Novellierung des Urheberrechts im Jahr 2003 den § 52 a ins Urheberrechtsgesetz eingeführt. Dieser § 52 a Urheberrechtsgesetz gewährleistet, dass urheberrechtlich geschützte Werke für einen bestimmten, abgegrenzten Personenkreis in Schule, Hochschule und Forschung öffentlich zugänglich gemacht werden dürfen. Damit ist etwa das Kopieren von geschützten Werken geringen Umfangs oder von Werkteilen sowie das Einscannen und Einstellen ins Intranet der jeweiligen Einrichtung zu Unterrichts- oder Forschungszwecken möglich. Die Urheber erhalten dafür nach § 52 a Abs. 4 Urheberrechtsgesetz eine angemessene Vergütung. Die Norm wurde seit ihrer Einführung mehrfach befristet und würde nun zum 31. Dezember 2012 auslaufen. Daran kann aber aus den vorgenannten Gründen niemand ein ernsthaftes Interesse haben. Festzuhalten ist allerdings auch, dass in den vergangenen neun Jahren einige Defizite des § 52 a Urheberrechtsgesetz zutage getreten sind. Sowohl die Praxistauglichkeit als auch die vertragliche Umsetzung in Kooperation mit einer Verwertungsgesellschaft werfen Fragen auf. Mit einer simplen Entfristung der Regelung wäre es daher nicht getan. Unbestimmte Rechtsbegriffe wie die öffentliche Zugänglichmachung von veröffentlichten „kleinen Teilen“ eines Werkes oder von Werken „geringen Umfangs“ führen zu Rechtsunsicherheit aufseiten der Nutzer wie aufseiten der Rechteinhaber bzw. der Verlage. Zwar soll der kopierte Teil eines Werkes jedenfalls dann als klein anzusehen sein, wenn dieser im Vergleich zum Gesamtwerk so unbedeutend ist, dass er das Werk nicht ersetzen kann, aber allgemeingültige, konkret quantifizierbare Vorgaben existieren nicht. Auch der Versuch von Rechtsprechung und Lehre, diese unbestimmten Rechtsbegriffe durch eine prozentuale Angabe für einen Werkteil zu konkretisieren, hat bislang keinen einheitlichen Bewertungsmaßstab hervorgebracht. So schwankt die Definition eines „kleinen Teils“ derzeit zwischen etwa 10 und 20 Prozent des Gesamtwerks. Darüber hinaus hat die Gestattung der Veröffentlichung „zur Veranschaulichung im Unterricht“ zu einer unterschiedlichen Auslegung geführt. So wird geltend gemacht, dass damit die Zugänglichmachung nur innerhalb der zeitlichen und räumlichen Grenzen des Unterrichts erlaubt sei. Das Oberlandesgericht Stuttgart stellte hierzu hingegen klar, dass der Vorschrift vielmehr das Verständnis zugrunde liege, dass auch die Vor- und Nachbereitung von Hausarbeiten mit erfasst sein solle. Um die Zahlung einer angemessenen Vergütung zu sichern, schließen die Länder Verträge mit den Verwertungsgesellschaften. Bei den Verhandlungen für den Hochschulbereich konnte bisher allerdings keine Einigung mit der Verwertungsgesellschaft Wort erzielt werden, die einen wesentlichen Anteil bei den Nutzungen nach § 52 a Urheberrechtsgesetz im Hochschulbereich hat. Die VG Wort hat daher, nachdem sie im Jahr 2005 aus den Vertragsverhandlungen ausgestiegen war, 2009 Klage beim Oberlandesgericht München gegen die Länder erhoben. Dieser Rechtsstreit ist bis heute anhängig. Derzeit läuft auf Betreiben der Länder und der VG Wort ein Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof. Dass wir ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht benötigen, steht außer Zweifel. Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben wir uns dazu in unserem Positionspapier zum Urheberrecht in der digitalen Gesellschaft deutlich bekannt. Ziel unserer Bemühungen muss es sein, die in den §§ 52 a ff. Urheberrechtsgesetz etablierten Schranken des Urheberrechts zugunsten von Schule, Studium, Wissenschaft und Forschung zu einer einheitlichen, praktikablen und rechtssicheren Bildungs- und Wissenschaftsklausel weiterzuentwickeln. Sicherlich ist die wiederholte Befristung des § 52 a Urheberrechtsgesetz nicht der Weisheit letzter Schluss. Es besteht jedoch kein Anlass zur Eile. Eine dauerhafte Entfristung, ohne die angesprochenen Defizite anzugehen, wäre die deutlich schlechtere Lösung. Die letztmalige Befristung um zwei weitere Jahre gibt Unterricht und Forschung die nötige Sicherheit, über den 31. Dezember 2012 hinaus ihre Informationsquellen gemäß § 52 a Urheberrechtsgesetz weiter nutzen zu können. Zugleich ermöglicht uns diese Befristung, die BGH-Entscheidung im Rechtsstreit mit der VG Wort abzuwarten und die daraus zu ziehenden Erkenntnisse in eine auf Dauer angelegte gesetzliche Regelung einfließen zu lassen. Im Rahmen dieser Überlegungen sollten wir uns dann auch stärker den Fragen der OpenAccess-Veröffentlichungen sowie der Verankerung eines verbindlichen Zweitveröffentlichungsrechts bei wissenschaftlichen Beiträgen und öffentlich geförderten Forschungsprojekten widmen. Für den Erhalt und die Weiterentwicklung des Bildungs- und Wissenschaftsstandorts Deutschland bleibt ein modernes, praxistaugliches Urheberrecht unverzichtbar. Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Was in -aller Welt muss noch passieren, damit die Bundesregierung endlich vernünftig handelt und ihren ureigenen Aufgaben nachkommt? Selbst bei einem so eindeutigen Thema wie der Verlängerung des § 52 a des Urheberrechtsgesetzes schafft sie es nicht, mit Vernunft und Augenmaß zu handeln. Statt den Paragrafen unbefristet weiter gelten zu lassen, soll eine erneute Befristung beschlossen werden. Selbst der Bundesrat hat sich in seiner Sitzung am 12. Oktober 2012 für eine Entfristung des § 52 a des -Urheberrechts ausgesprochen; siehe Bundesratsdruck-sache 514/12 (Beschluss), Seite 4. Der Beschluss im Kulturausschuss des Bundesrates am 24. September 2012 fiel im Übrigen einstimmig, also 16 : 0 aus. Die große Mehrheit der Akteure in Forschung und Lehre ist ebenfalls für eine Entfristung. Nur die Bundesregierung und ihre Koalition haben das noch nicht erkannt. Was will man dazu noch sagen?! Vor rund neun Jahren, am 10. September 2003, wurde der § 52 a ins Urheberrechtsgesetz eingeführt. Zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2006. Danach folgten -Befristungen bis Ende 2008 und schließlich bis zum 31. De-zember 2012, die aktuell noch gelten. In der Zwischenzeit gab es auch schon drei Evaluierungen. Jetzt verweigert die Bundesregierung eine dauerhafte Regelung mit dem Verweis auf noch ausstehende Gerichtsurteile. So sieht doch kein verantwortungsvolles gesetzgeberisches Handeln aus! Der Vorschlag der Bundesregierung provoziert nichts weiter als beschränkte Rechtssicherheit und Beschäftigungsmaßnahmen für die öffentliche Verwaltung, Ministerien und den nächsten Bundestag. Von den zusätzlichen Kosten durch dieses Wiedervorlageprinzip will ich gar nicht reden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf kurz vor Schluss auf den Weg bringt. Erhält er heute nicht die notwendige Mehrheit, droht uns ab 1. Januar 2013 ein Fiasko für den gesamten Bildungsbetrieb in Deutschland. Kein Lehrer bzw. keine Lehrerin wäre mehr in der Lage, Auszüge einzelner Werke als Kopie an Schülerinnen und Schüler zu verteilen. Semesterapparate, wie sie an deutschen Hochschulen derzeit üblich sind, würde es von einem auf den anderen Tag nicht mehr geben. Alternativen wären entweder illegale Kopien oder zusätzliche Kosten für Schülerinnen und Schüler bzw. Studierende, weil sie sich die erforderlichen Auszüge im Original kaufen müssen. Um diese untragbare Situation zu verhindern und den Lehrenden an Schulen und Hochschulen zumindest für die nächsten beiden Jahre Rechtssicherheit zu gewähren, werden wir von der SPD dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalition zustimmen. Ich halte aber ausdrücklich fest, dass die Zustimmung nur geschieht, um den Wegfall des § 52 a und die damit verbundenen Probleme um jeden Preis zu verhindern. In keinem Fall heißen wir damit die Untätigkeit bzw. Unentschlossenheit der Bundesregierung gut. Daher möchte ich es nicht unterlassen, gerade bei den Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP nochmals für unseren Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes werben. Sorgen sie mit dafür, dass dieser Entwurf eine Mehrheit im Deutschen Bundestag bekommt. Damit hätten wir dauerhafte Rechtssicherheit und würden für die Zukunft unnötige Arbeit und zusätzliche Kosten ersparen. Mit der Streichung des § 137 des Urheberrechtsgesetzes würde der § 52 a des Urheberrechtsgesetzes dauerhaft entfristet. Der Wortlaut des § 52 a wird beibehalten. Mit wenigen Worten könnten wir eine vernünftige und vor allem dauerhafte Lösung auf den Weg bringen. Abschließend möchte ich es aber nicht versäumen, Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der schwarz-gelben Koalition, auf eine ihrer Vereinbarungen im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2009 hinzuweisen: „Das Urheberrecht hat in der modernden Medien- und Informations-gesellschaft eine Schlüsselfunktion. Wir werden das Urheberrecht deshalb entschlossen weiterentwickeln ...“, heißt es dort auf Seite 103. Dass Sie unter entschlossener Weiterentwicklung lediglich eine erneute Befristung mit der Aussicht auf weitere Evaluationen verstehen, zeigt auf alarmierende Weise, wie schlecht dieses Land derzeit regiert wird. Drei Jahre hatten Sie Zeit, eine umfassende Urheberrechtsreform auf den Weg zu bringen. Das Ergebnis hingegen ist nicht einmal mangelhaft. Es gibt schlichtweg keines. Das Schlimme ist, dass dies nicht nur beim Urheberrecht zu diagnostizieren ist. Es ist auch in vielen anderen Bereichen der Fall. Somit können wir in der verbleibenden Legislaturperiode nur noch darauf achten, dass keine weiteren Missstände und Schieflagen entstehen. Unter diesem Aspekt bekommen Sie diesmal für ein Gesetzesvorhaben meine Stimme. Ansonsten werde ich mich mit aller Kraft darum bemühen, dass dieses Land im Herbst nächsten Jahres eine bessere Regierung bekommt. René Röspel (SPD): Als wir vor genau drei Wochen anlässlich der ersten Lesung zum vorliegenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen die ersten Reden zu diesem Thema zu Protokoll gegeben haben, habe ich in einem kurzen Exkurs auf die besondere Funktion der in § 52 a Urheberrecht garantierten Wissenschaftsschranke hingewiesen. Daher soll in der nun folgenden Ausführung nicht noch einmal darauf eingegangen werden, welche bedeutende Rolle eine Wissenschaftsschranke für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Deutschland einnimmt. Vielmehr möchte ich zunächst einige Äußerungen von Kollegen der Koalitionsfraktionen aufgreifen, anhand derer ich die Defizite in der Argumentation deutlich machen möchte. Zunächst möchte ich auf die in der Rede des Kollegen Heveling geäußerte These eingehen, nach der mittels einer weiteren Befristung des § 52 a Urheberrechtsgesetz die Voraussetzung dafür geschaffen sei, dass es eine dauerhafte und einheitliche Wissenschaftsschranke im deutschen Urheberrecht geben könne. Dies scheint mir doch eine etwas abwegige Argumentation zu sein – nicht nur vor dem Hintergrund, dass die Koalitionsfraktionen sich im vorliegenden Fall explizit gegen eine Entfristung zugunsten einer weiteren Befristung aussprechen. Dieses Vorgehen mit einem laufenden Gerichtsverfahren zu begründen, scheint umso bizarrer: Denn Recht wird nach geltender Rechtslage gesprochen. Das Verfahren wäre mit einer Entfristung des § 52 a Urheberrechtsgesetz ab dem 1. Januar 2013 nicht gefährdet. Ich möchte – wie in meiner ersten Rede bereits erwähnt – darauf hinweisen, dass diese Koalition und Bundesregierung von den Wählerinnen und Wählern einen Gesetzgebungsauftrag erhalten hat. Den gilt es anzunehmen und die hiermit verbundene Arbeit nicht auf den Bundesgerichtshof abzuwälzen! Weiterhin möchte ich noch auf die Äußerung des Kollegen Heveling hinsichtlich der Evaluierung des Bundesministeriums der Justiz eingehen. Hier wird der Eindruck erweckt, dass das Ministerium im Rahmen seiner Evaluationen – es waren insgesamt drei an der Zahl – sich stets gegen eine Entfristung ausgesprochen habe. Dem ist entschieden zu widersprechen! An dieser Stelle sei explizit die zweite Evaluierung des Justizministeriums vom 30. April 2008 zitiert: „Die Evaluierung hat keine Ergebnisse erbracht, welche die Entscheidung des Gesetzgebers bei Einführung der Norm als korrekturbedürftig erscheinen lassen. Folglich sollte die Befristung in § 137 k UrhG entfallen.“ Die Darstellung der Koalitionsfraktionen, dass eine Befristung derzeit alternativlos sei, ist schlichtweg falsch. Vielmehr möchte ich an dieser Stelle erneut für eine Entfristung des § 52 a Urheberrechtsgesetz – wie in unserem Gesetzentwurf gefordert – werben. Wie in der bisherigen Debatte deutlich wurde, scheint sich zumindest zwischen den Wissenschaftspolitikern fraktionsübergreifend die Erkenntnis verfestigt zu haben, dass es im Sinne von Bildung, Wissenschaft und Forschung in Deutschland ist, eine umfassende Wissenschaftsschranke im Urheberrechtsgesetz zu verankern. Die Erarbeitung einer solchen umfassenden Wissenschaftsschranke ist in der Tat keine triviale Aufgabe. Ihre Bearbeitung hat sorgfältig, gründlich und nicht unter Zeitdruck zu erfolgen. Vor diesem Hintergrund wäre es wichtig, wenigstens die bestehende, spezifische Wissenschaftsschranke in § 52 a Urheberrechtsgesetz zu entfristen. Damit wäre zum einen den Betroffenen in den Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen die in dieser Frage dringend notwendige Rechtssicherheit geboten; zum anderen ließe sich auf diese Weise ohne unnötigen Zeitdruck eine Norm ins Urheberrecht inkorporieren, die den Belangen von Bildung und Wissenschaft in all ihren Facetten gerecht wird. Doch anstatt diese komfortable Lösung zu präferieren, die im Übrigen mit dem anhängigen Gerichtsverfahren beim BGH in keiner Weise in Konflikt stünde, entscheiden sich die Koalitionsfraktionen für die unsauberste aller Lösungen: eine erneute Befristung um zwei Jahre. Auf diese Weise wird nicht nur den Betroffenen eine dauerhafte Rechtssicherheit verwehrt, sondern auch unnötiger Zeitdruck aufgebaut, der dem weiteren Verfahren sicherlich nicht dienlich ist. Als wäre diese Taktik allein nicht schon genug der Zumutung für die Betroffenen in Bildung und Wissenschaft, bleiben die Regierungskoalitionen nicht nur in ihrer Handlungsunfähigkeit, sondern auch in ihrer Visionslosigkeit verhaftet. Zwar plädieren die Kollegen der Koalitionsfraktionen dafür, eine umfassende Wissenschaftsschranke im Urheberrecht zu verankern. Allein die Frage, wie eine solche Schranke gesetzgeberisch auszugestalten ist, lassen sie unbeantwortet. Ironischerweise wird etwa im Diskussionspapier der Unions-fraktion zum „Urheberrecht in der digitalen Gesellschaft“ lediglich darauf verwiesen, dass die in § 52 a Urheberrechtsgesetz kodifizierte Wissenschaftsschranke ausgiebig zu evaluieren und zu überarbeiten sei. Der Vorschlag der Union besteht demnach darin, das durch das BMJ bereits dreimal durchgeführte Verfahren ein weiteres Mal zu wiederholen. Ein wirklicher Gestaltungsanspruch wird hingegen nicht erkennbar. Man bekommt den Eindruck, dass die schwach-gelbe Koalition solche Entscheidungen lieber der im Herbst 2013 gewählten neuen Bundesregierung übertragen möchte. Abschließend möchte ich noch darauf eingehen, warum die SPD-Bundestagsfraktion im vorliegenden Fall dem Gesetzentwurf zustimmen wird, obwohl wir mit unserem Gesetzentwurf eine bessere Lösung vorschlagen. Aufgrund der fahrlässigen Verzögerung der Koalitionsfraktionen ist nun eine Situation eingetreten, die erheblichen Handlungsdruck und eine für die Betroffenen fast unerträgliche Situation herbeigeführt hat: Denn der Umstand, dass der § 52 a Urheberrechtsgesetz zum Ende des Jahres ausläuft, gepaart mit der Untätigkeit der Regierungsfraktionen in dieser Frage, hat dazu geführt, dass den Betroffenen in den Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen massive Rechtsunsicherheit droht. Diese gilt es aber unter allen Umständen abzuwenden. Nur deshalb unterstützen wir das kleinere Übel einer weiteren Befristung. Eine Solidarität, die diese Regierung eigentlich nicht verdient hat, wohl aber die Betroffenen in Bildung und Wissenschaft. Stephan Thomae (FDP): Das Urheberrecht und die Frage nach seiner Reformbedürftigkeit sind Themen, die uns in den vergangenen Monaten und Jahren am meisten beschäftigt haben und auch in Zukunft immer weiter -beschäftigen werden. Viele Stimmen, die das geltende Urheberrecht für veraltet halten, argumentieren damit, dass neu entstehende Kreativität immer darauf angewiesen ist, an Informationen zu gelangen. Es sei ein überkommener Ansatz, denjenigen, der eine Idee zuerst entwickelt hat, stärker zu schützen als Dritte, die die Idee aufgreifen und weiterentwickeln wollen. Unabhängig davon, wie man zu dieser Frage steht, ist für die FDP-Bundestagsfraktion eins klar: Urheber sollen auch in -Zukunft die Möglichkeit haben, für ihre Werke und Inhalte eine angemessene Vergütung zu erhalten. Die FDP bekennt sich zu einem starken und modernen Urheberrecht. Es ist gleichzeitig völlig richtig, dass Kreativität auf Inspiration und Input von außen angewiesen ist. Wer nicht mit fremden Ansichten und Inhalten in Kontakt kommt, wird nur schwer die Anregungen und das Wissen erhalten, die als Grundlage für eigene Gedanken und Ideen unerlässlich sind. Daher bekennt sich die FDP auch dazu, dass das Urheberrecht nicht ohne Schranken auskommen kann. Es ist Aufgabe der Politik, beide Belange, den Schutz geistigen Eigentums und den Zugang zu Inhalten und -Informationen, so auszugestalten, dass die Interessen der Beteiligten zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden. Zu diesem Zweck hat der deutsche Gesetzgeber durch das erste Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003 den § 52 a in das deutsche Urheberrecht eingefügt. Nach -dieser Vorschrift ist es zulässig, kleine Teile eines Werkes, Werke geringen Umfangs und einzelne Beiträge aus Zeitschriften oder Zeitungen zur Veranschaulichung im Unterricht an Schulen, Hochschulen und weiteren -Einrichtungen einem bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen öffentlich zugänglich zu machen. Faktisch sollen die Schulen und Hochschulen also die genannten Werke und Werkteile ihren Schülern und Studenten im Intranet der jeweiligen Einrichtung zugänglich machen dürfen. Voraussetzungen hierfür sind, dass dies zu -Unterrichts- oder Forschungszwecken geschieht, die Maßnahmen zu dem jeweiligen Zweck geboten und zur Verfolgung nicht kommerzieller Zwecke gerechtfertigt sind. Der Einführung von § 52 a Urheberrechtsgesetz ging eine große Debatte voraus. Die Verlage befürchteten, unterm Strich für die Bildung von Schülern und Studenten aufkommen zu müssen. Dies hatte zur Folge, dass § 137 k Urheberrechtsgesetz eingeführt wurde, der die Wirkung des § 52 a Urheberrechtsgesetz zunächst bis zum 31. Dezember 2006 befristete. Bis zum Ablauf dieses Datums sollten die Auswirkungen der Norm auf die Praxis anhand einer Evaluierung ermittelt werden. Da eine abschließende Beurteilung bislang nicht möglich war, wurde die Befristung bislang zweimal verlängert. Stand heute würde die Regelung des § 52 a Urheberrechtsgesetz am 31. Dezember 2012 auslaufen, wenn der Deutsche Bundestag vorher nicht anders entscheidet. Im Großen und Ganzen hat sich § 52 a Urheberrechtsgesetz bewährt. Für den Bereich der Schulen haben die Bundesländer mit allen Verwertungsgesellschaften -Gesamtverträge geschlossen, in denen die Nutzungs-bedingungen für die genannten Werke geregelt sind. Ähnliches gilt für die Nutzung an Hochschulen. Auch hier wurden mit nur einer Ausnahme zwischen den Ländern und den Verwertungsgesellschaften Gesamtverträge -geschlossen. Einzige Ausnahme ist die VG Wort, die zurzeit noch mit der Kultusministerkonferenz über die Höhe und die Berechnungsweise der angemessenen -Vergütung verhandelt. Hierzu ist ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof anhängig. In diesem wird zusätzlich über die Reichweite der sogenannten Wissenschaftsschranke entschieden werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Zukunft von § 52 a Urheberrechtsgesetz aussehen soll. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes wird erst für 2013, also nicht vor dem bislang vorgesehenen Auslaufen von § 52 a Urheberrechtsgesetz, erwartet. Eine Entfristung der Norm bereits zum jetzigen Zeitpunkt, wie es die SPD fordert, wäre daher verfrüht. Das Urteil des Bundesgerichtshofes sollte vielmehr abgewartet und anhand dessen geprüft werden, ob der rechtliche -Rahmen bereits jetzt ausreicht, um die Interessen von Urhebern und Bildungsanstalten in Einklang zu bringen, oder ob hier gesetzgeberisch nachgebessert werden muss. Daher lehnt die FDP-Bundestagsfraktion den -Antrag der SPD ab. Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP schlagen stattdessen eine nochmalige Verlängerung der Befristung von § 52 a Urheberrechtsgesetz bis zum 31. Dezember 2014 vor. Parallel dazu fordern wir die Bundesregierung auf, bis spätestens sechs Monate vor Ablauf der erneuten Befristung einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, mit dem die Norm in eine dauerhafte Urheberrechtsschranke überführt werden kann. Dabei soll der Wissenschaft der digitale Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen durch eine Wissenschaftsschranke für den Fall gesichert werden, dass die Verlage keine Onlineangebote zu angemessenen Bedingungen bereitstellen. Diese Lösung wird den berechtigten Interessen aller -Beteiligten gerecht. Wir sind damit auf einem guten Weg, in absehbarer Zeit einen endgültigen Schlussstrich unter die Frage der Zukunft von § 52 a Urheberrechts-gesetz zu ziehen und Rechtssicherheit für alle Parteien zu schaffen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Liebe Freunde der Wissenschaft, § 52 a des Urheberrechtsgesetzes regelt die Zugänglichmachung von kleinen Teilen urheberrechtlich geschützter Werke im Intranet von Hochschulen. Die hauptsächliche praktische Anwendung ist der elektronische Semesterapparat, in dem die Lehrenden -ihren Studierenden Aufsätze und Textauszüge oder andere Quellen zur Verfügung stellen. Der § 52 a wurde 2003 eingeführt und seither immer wieder befristet verlängert. Warum diese Befristungen? Weil die Wissenschaftsverlage gegen den Paragrafen lobbyieren. Sie halten Hochschullehrer für Raubkopierer. Sie glauben, sie würden viel mehr Bücher verkaufen, wenn an Hochschulen nicht so viel kopiert würde. Sie fordern die Abschaffung des Paragrafen. Die Verleger beklagen, dass die Hochschulen oder besser die zuständigen Bundesländer für die Nutzung der Werke in elektronischen Semesterapparaten nichts zahlen. Allerdings haben die Bundesländer für die Nutzung beispielsweise von Bild- oder Tonmaterial sehr wohl Verträge geschlossen und bezahlen auch Nutzungs-gebühren. Die Wissenschaftsverlage aber verlangen das 240--Fache dessen, was andere als angemessene Vergütung akzeptiert haben. Und sie wollen, dass alle Dozenten an allen Hochschulen für jedes Seminar neu jedes einzelne Buch auflisten sollen, aus dem sie ein paar Seiten für ihre Studierenden kopieren. Dabei sollen sie folgende Angaben machen: Name und Anschrift der Hochschule, Titel des Seminars, Zeitraum des Seminars, Teilnehmerzahl des Seminars, Name und Mailadresse des Dozenten, die Titel des Buches und des Aufsatzes, ISBN-Nummer, Anzahl der kopierten Seiten, Verlag, Erscheinungsort, Erscheinungsjahr, Anzahl der Autoren. Sie können sich denken, wie lange es dauert, ein solches Formular aus-zufüllen. Und dann hat auch noch das Oberlandesgericht Stuttgart verfügt, dass diese elektronischen Semesterapparate nicht ausgedruckt oder heruntergeladen werden dürfen, sondern nur am Bildschirm zu lesen sind. Ich stelle mir wissenschaftliches Arbeiten anders vor. Ich glaube, das Urheberrecht sollte die Verbreitung von Wissen erleichtern und nicht behindern. Jetzt hoffen die Verlage, dass auch der Bundes-gerichtshof den § 52 a so restriktiv auslegt wie die Oberlandesgerichte zuvor. Dann wäre der Paragraf sozusagen vor Gericht totgemacht. In der Folge müssten Hochschulen einzeln privatwirtschaftliche Lizenzverträge mit den Verlagen abschließen, wenn sie modernes wissenschaftliches Arbeiten weiter ermöglichen wollen. Das wird richtig teuer für die Bundesländer. Die Regierungskoalition riskiert mit ihrer hier zur Debatte stehenden zögerlichen Fristverlängerung des § 52 a, die klammen Kassen der Bundesländer weiter zu strapazieren. Oder das Ende moderner Wissensvermittlung an unseren Hochschulen. Der § 52 a muss nicht befristet verlängert werden, sondern sein Anwendungsbereich muss so ausgeweitet werden, dass die Hochschulen tatsächlich etwas davon haben. Er muss Teil einer allgemeinen Wissenschaftsschranke werden, wie sie die Linke und unzählige Wissenschaftsverbände immer wieder gefordert haben. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gesetzentwurf, den die Regierungskoalition uns heute zur erneuten Befristung der Regelungen für Bildung und Wissenschaft im § 52 a des Urheberrechtsgesetzes vorlegt, ist wieder einmal eine Kleinstmaßnahme und Notoperation in allerletzter Minute. Statt im Interesse von Bildung und Wissenschaft für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu sorgen, hangeln Sie sich mit der jetzt schon dritten Befristungsregelung nur von einem Provisorium zum nächsten. Dabei verpassen Sie nebenbei auch noch die Chance, endlich klarzustellen, dass die Norm des § 52 a Urheberrechtsgesetz nicht nur für den Einsatz urheberrechtlich geschützter Texte im Unterricht gelten soll, sondern für alle Zwecke des Unterrichts. Die Ursache dafür, dass Sie sich nicht haben durchringen können, die Befristung in § 52 a Urheberrechtsgesetz endlich aufzuheben, ist wieder einmal eher im bedauernswerten Zustand der Regierungskoalition zu suchen als in rationalen Gründen. Denn die Entfristung des § 52 a Urheberrechtsgesetz wird ja nicht nur seit Jahren von der Opposition und von Experten und Fachleuten aus dem Wissenschafts- und Bibliothekenbereich gefordert. Eine Entfristung verlangt auch der Bundesrat unter Beteiligung von CDU-geführten Landesregierungen. Eine Befristung einer gesetzlichen Regelung mag ja manchmal sinnvoll sein, wenn man Neuland betritt und erst einmal Erfahrungen sammeln will. Aber wir wissen doch längst, dass eine Regelung, die es ermöglicht, urheberrechtlich geschützte Texte gegen Vergütung für Unterrichtszwecke einzusetzen, vollkommen unverzichtbar ist. Mag sich denn hier irgendjemand ernsthaft vorstellen, der § 52 a Urheberrechtsgesetz werde irgendwann einfach ersatzlos auslaufen und alle Hochschulen müssten ihre Intranets für die Lehre abstellen? Das ist doch ein absurder Gedanke! Deshalb ist die Warterei, wann und ob die Mehrheitsfraktionen in diesem Haus diesmal kurz vor Weihnachten gerade wieder einmal knapp die Kurve kriegen, eine für Sie zunehmend peinliche Veranstaltung. Noch nicht abgeschlossene Fragen hinsichtlich einer angemessenen Vergütung an die VG Wort werden demnächst einer gerichtlichen Klärung zugeführt. Das kann für Ihre Zögerlichkeit also nicht herhalten. Die Evaluation des § 52 a Urheberrechtsgesetz durch ihr eigenes Justizministerium hat aber längst ergeben, dass die dauernde Befristung nicht nur überflüssig, sondern auch schädlich ist. Denn sie behindert und verzögert wichtige Investitionen in die digitale Infrastruktur von Hochschulen und Bibliotheken. Niemand investiert Millionen auf der Basis einer unsicheren Rechtsgrundlage. Umso bedauerlicher ist es, dass diese Regierung nicht die Kraft findet, endlich den immer wieder versprochenen dritten Korb zum Urheberrecht mit den notwendigen Schrankenregelungen für Bildung und Wissenschaft vor Ende der Legislaturperiode vorzulegen. Denn es gibt eine ganze Reihe von ungelösten Problemen und Rechtsunsicherheiten, die dem zeitgemäßen Arbeiten im Bildungs- und Wissenschaftsbereich entgegenstehen und wo transparente, rechtssichere und faire Regelungen überfällig sind. Dazu gehören Probleme der Langzeitarchivierung und der Digitalisierungskompetenzen von Bibliotheken, die Regelungen über elektronische Leseplätze und die Ausleihe von E-Books. Die Regelungen zum elektronischen Kopienversand haben sich als nicht praktikabel herausgestellt. Es ist schlicht ein Unding, wenn heutzutage wissenschaftliche Hilfskräfte von Dahlem nach Mitte geschickt werden, weil von dort aus ein vorhandener Zeitschriftenaufsatz nicht zeitnah per elektronischer Fernleihe verschickt werden kann. Das ist aber leider Berliner Wissenschaftsalltag. Genauso ist es Alltag, dass Menschen im Wissenschaftsbereich ganztägige Lehrgänge zu einzelnen Gesetzesnormen besuchen, weil keine Rechtssicherheit herrscht, was mit Texten, Forschungsdaten und anderen Digitalisaten gemacht werden darf. Dabei liegen konkrete Gesetzestextvorschläge zum Beispiel von der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen längst vor. Das gilt auch für die Umsetzung der Forderung nach einem unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrecht für wissenschaftliche Autorinnen und Autoren, damit Publikationen, die aus öffentlich finanzierter Forschung entstehen, nach einer angemessenen Frist auch öffentlich frei zugänglich gemacht werden können und zum Beispiel von staatlichen Bibliotheken und Hochschulen nicht noch einmal bezahlt werden müssen. Diese Forderung wurde auch von der Internet-Enquete des Bundestages einstimmig unterstützt und im aktuellen Bericht aufgenommen. Ich weiß, dass dies ohne die erfolgreichen Überzeugungsarbeiten der dort beteiligten Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition gegenüber Ihren Rechtspolitikern nicht möglich geworden wäre. Das verdient auch ausdrücklich der positiven Würdigung, aber ein großer Schritt für FDP und CDU/CSU ist eben noch kein großer Schritt für die Menschheit, wenn daraus keine Handlungen erwachsen. Das gilt übrigens auch für die Empfehlung der Enquete, eine allgemeine zusammengeführte Schrankenregelung im Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft zu prüfen. Auch für eine solche Regelung gibt es längst einen ausgearbeiteten Vorschlag der Allianz. Aber wenn Sie bei dieser Prüfung so zögerlich ans Werk gehen wie beim § 52 a Urheberrechtsgesetz, wird die Prüfung wohl noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag dauern, von der Umsetzung ganz zu schweigen. Meine Damen und Herren von der Regierung, überwinden Sie endlich Ihre chronifizierte Mut- und Tatenlosigkeit. Sie wird den Anforderungen einer modernen Wissensgesellschaft nicht gerecht. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung (Tagesordnungspunkt 40) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Weniger als zwei Monate vor seinem eigenen Tod schrieb Franz Kardinal König, der beliebte Alterzbischof von Wien sowie seinerzeit wesentlicher Denker und Lenker des Zweiten Vatikanischen Konzils, im Januar 2004 in einem Brief an den österreichischen Verfassungskonvent zu Fragen der Sterbehilfe: „Menschen sollen an der Hand eines anderen Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Menschen.“ Damit hat Kardinal König jenseits aller juristischen Kategorien sehr griffig und unmissverständlich auf den Punkt gebracht, wo die ethische Grenzlinie im Umgang mit dem Sterben für die Gesellschaft liegt. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen ist ein fundamentales Gebot unserer Verfassung. Sie zu achten und zu schützen, ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Dessen sollten wir uns sehr deutlich bewusst sein. Es mögen unabhängige Begründungswurzeln sein. Dennoch – in diesem Verständnis sind sich das christliche und das humanistische Menschenbild im Übrigen einig –: Bei beiden steht der einzelne Mensch im Mittelpunkt. Seine Würde ist es, um die es geht. Natürlich hat der autonome Wunsch des Einzelnen, über sein Leben zu entscheiden, Respekt verdient. Auf die Gesellschaft als Ganzes bezogen stellt sich demgegenüber schon die Frage: Wie ist es um die Würde des Menschen im Sterben bestellt, dass dem Einzelnen überhaupt der Wunsch entsteht, seinem Leben ein Ende zu setzen? Kardinal König spricht in diesem Zusammenhang von einer „Kultur des Lebens“, um die es gehe und zu der auch eine „Kultur des Sterbens“ gehöre. Dabei formuliert er es so: „Das Leben des Menschen ist mehr als eine beliebige biologische Tatsache unter anderen.“ Auch dessen sollten wir uns als Richtschnur bewusst sein. Das Strafrecht kann dabei zwangsläufig nicht das erste Mittel sein, ethischen Aufträgen an die Gesellschaft gerecht zu werden. Behutsamkeit, Verständnis für die körperlichen und psychischen Veränderungen, die etwa das Alter mit sich bringt, Sensibilität – alles das kann nicht der Staatsanwalt bescheren. Aber das Strafrecht ist gefordert, wo es darum geht, den besonderen Schutz der Würde des Menschen durchzusetzen, gegen Entwicklungen vorzugehen, die diesem Schutz zuwiderlaufen. Selbsttötung ist in Deutschland straflos. Damit trägt unsere Strafrechtsordnung trotz der Schutzverpflichtung gegenüber der Würde des Menschen der individuellen Letztentscheidung des Einzelnen Rechnung. Systematisch sind deshalb auch Beihilfehandlungen straflos, solange es keine gesetzliche Regelung gibt. Lange Zeit bestand hierzu auch kaum ein Anlass. Die Frage nach strafrechtlicher Verantwortung stellte sich im Wesentlichen in Einzelfällen mit besonderen Konstellationen, die allesamt Ausdruck innerer Konflikte im zwischenmenschlichen Nahbereich sind. Davon haben wir uns indessen mittlerweile weit entfernt. Aus dem individuellen Konflikt ist durch das Auftreten von Sterbehilfevereinen die Diskussion um ein Dienstleistungsangebot geworden. Es geht um All-inclusive-Pakete für den Tod. Das ist eine Entwicklung, der wir nicht tatenlos zusehen dürfen. Wir beraten daher heute in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, dessen Ziel es ist, eine Korrektur dort vorzunehmen, wo eine kommerzialisierte Suizidhilfe Menschen dazu verleiten kann, sich das Leben zu nehmen. Bereits im Koalitionsvertrag hatte die christlich-liberale Koalition vereinbart, dagegen vorzugehen. Um den Schutz des Lebens am Lebensende zu gewährleisten, wollen wir „Geschäften mit dem Tod“ sichtbar und nachhaltig die Grundlage entziehen und damit der organisierten Suizidbeihilfe entgegenwirken. Wie der Gesetzentwurf festhält, nehmen auch in Deutschland die Fälle zu, in denen Personen auftreten, deren Anliegen es ist, einer Vielzahl von Menschen in Form einer entgeltlichen Dienstleistung eine schnelle und effiziente Möglichkeit für einen Suizid anzubieten. Dies geschieht beispielsweise durch das Verschaffen eines tödlich wirkenden Mittels und das Anbieten einer Räumlichkeit, in der das Gift durch die suizidwillige Person eingenommen werden kann. Zu denken ist aber auch an Fälle, in denen von Deutschland aus die Gelegenheit vermittelt wird, im Ausland die für eine Selbsttötung notwendigen Mittel und Räumlichkeiten zu erhalten. Im Vordergrund solcher Handlungen steht dabei nicht ein Beratungsangebot mit primär lebensbejahenden Perspektiven, sondern die rasche und sichere Abwicklung des Selbsttötungsentschlusses, um damit Geld zu verdienen. Diese Kommerzialisierung stellt eine qualitative Änderung in der Praxis der Sterbehilfe dar. Sie lässt befürchten, dass die Hilfe zum Suizid als eine normale Dienstleistung angesehen wird und sich Menschen zur Selbsttötung verleiten lassen, die dies ohne ein solches Angebot nicht tun würden. Ich will nicht verhehlen, dass sich auch mir die Frage stellt, ob die Begrenzung auf eine „gewerbsmäßige Förderung“ ausreicht, um das Vorgehen der Sterbehilfeorganisationen zu unterbinden. Wir müssen daher in der weiteren Beratung genau überlegen, inwieweit die vorgesehene gesetzliche Regelung dazu Raum lässt, durch kleinere organisatorische und strukturelle Veränderungen das „Geschäftsmodell Tod“ ohne Strafrechts-androhung aufrechtzuerhalten und inwieweit dadurch die Gefahr besteht, dass sich diese Organisationen gerade darauf berufen können, dass ihr Tun strafrechtlich nicht verboten ist. So lässt ein Verein, der den Dienstleistungstod anbietet, auf seiner Homepage unter „Häufig gestellte Fragen“ darauf hinweisen – ich zitiere –: „Besteht nicht die Gefahr, dass der Verein verboten wird? – Das Bundesjustizministerium hat im April 2012 den ,Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung‘ auf den gesetzgeberischen Weg gebracht. Es ist damit zu rechnen, dass Bundestag und Bundesrat … ein solches Gesetz verab-schieden. Unser Verein ist nicht betroffen, da wir den Mitgliedern Suizidbegleitung nicht gegen Honorar, also nicht gewerbsmäßig, anbieten.“ Das Verbot der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist aber in jedem Falle ein erster, wichtiger Schritt, um der organisierten Suizidbeihilfe entgegenzutreten. Erstmals wird damit eine Form der Suizidbeihilfe überhaupt unter Strafe gestellt. Das ist gegenüber dem jetzigen Rechtszustand bereits ein Fortschritt. Wir als Parlament haben einen klaren Verfassungsauftrag. Es ist auch unsere Aufgabe, die Würde des Menschen zu schützen. Diesem umfassenden Schutzauftrag müssen wir sorgfältig gerecht werden. Gerade die Regelung von Lebenssachverhalten, die sich mit dem Beginn und dem Ende des Lebens befassen, bedarf dabei einer besonderen Sensibilität. Das sind die Punkte, an denen, um nochmals Kardinal König zu zitieren, „das Leben in besonderer Weise gefährdet, ja ‚zerbrechlich‘ ist, wo die Gefahr droht, dass der Mensch ganz über den Menschen verfügt“. Dort liegt unser besonderer Schutzauftrag. Dort geht es nicht mehr um den Vorrang individueller Selbstbestimmung, sondern um das ethische Fundament einer ganzen Gesellschaft. Folgen wir der Maxime „Menschen sollen an der Hand eines anderen Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Menschen“. Norbert Geis (CDU/CSU): Mit dem Sterben und dem Tod ist es eine merkwürdige Sache. Für gewöhnlich leben wir so dahin, als ob es immer so weiterginge und als ob es selbstverständlich sei, dass wir da sind. Manchmal allerdings tritt der Tod mitten in unser Leben. Wir sind erschüttert, wenn ein naher Angehöriger stirbt. Wir begreifen kaum, dass der Mensch, den wir gut gekannt haben, der uns vielleicht sogar sehr lieb war, plötzlich nichts mehr sagt und schweigend daliegt. Nichts ist mehr revidierbar, nichts kann mehr vorangebracht werden. Das Leben, mit all seinen Begegnungen, mit allen Beziehungen, mit allen Vorhaben und Ideen, mit seinen Hoffnungen und Niederungen findet mit dem Tod unwiederbringlich sein Ende. Der Tod ist der Ernstfall schlechthin. Unser Leben ist auf den Tod ausgerichtet, unser Lebenswille lebt aber gegen den Tod. Gerade angesichts des Todes erfahren wir, welche Bedeutung das Leben für uns hat, das wir leben dürfen. Deshalb ist es so unbegreiflich, dass sich jemand das Leben selbst nimmt. Wir sind sprachlos und finden keine Worte, fragen uns, ob wir seine Not nicht erkannt oder sie übergangen haben, die ihn dazu getrieben hat, sich selbst das Leben zu nehmen. Gegen solche Vorwürfe an uns selbst wenden wir aber schnell ein und beruhigen uns damit, dass der Betroffene ja schließlich aus freiem Willen gehandelt habe. Er habe sich frei entschlossen, seinem Leben ein Ende zu machen, reden wir uns ein. Diese Autonomie, die die heutigen Menschen gerne für sich fordern, spielt gerade in unserer Zeit, in der wir so großen Wert auf Individualität legen, eine entscheidende Rolle. Die freie Selbstbestimmung und damit das Recht, seinem Leben dann ein Ende zu setzen, wenn man es für richtig hält, gilt dem heutigen Menschen als Teil seiner Würde, als Ausfluss seiner Autonomie, deren Beachtung er von den anderen einfordert. Mit dieser Autonomie ist es aber oft nicht weit her. In 90 Prozent der Suizide ist die Ursache eine schwere Depression, die geheilt werden kann, wenn sie rechtzeitig erkannt wird. Wer annimmt, die Autonomie sei das höchste Gut, das der Staat zu achten habe, irrt. Nicht der Schutz der Autonomie ist oberstes verfassungsrechtliches Gebot, sondern oberstes Gebot ist der Schutz des Lebens. Das ist der allererste Auftrag des Staates. Ist das Leben genommen, gibt es auch keine Autonomie und keine Würde mehr. Mit dem Tod gehen alle Rechte unter, auch die Autonomie des Menschen. Folglich hat also der Staat vor allem den Auftrag, das Leben des Menschen zu schützen, unter Umständen auch gegen seinen Willen. Der Staat kann deshalb die Selbsttötung nicht billigen. Sie steht nicht im Einklang mit unserer Rechtsordnung. Es gibt ein Recht auf Leben, aber kein Recht auf Selbsttötung. Richtig ist, dass die Selbsttötung nicht bestraft wird. Dies hat aber einen rein praktischen Grund. Der, der sich selbst umgebracht hat, kann nicht mehr bestraft werden. Der, dessen Suizid misslungen ist, der also nur versucht hat, sich selbst zu töten, wird deshalb nicht bestraft, weil der Staat davon ausgeht, dass er mit sich selbst Schwierigkeiten genug hat und insofern gestraft genug ist. Weil aber der Selbsttod nicht strafbar ist, sind nach dem bei uns geltenden Prinzip der Akzessorietät auch die Beihilfe und die Anstiftung nicht strafbar. Dieser Grundsatz der Akzessorietät in unserem Strafrecht scheint mir jedoch bei der Beihilfe zum Suizid höchst fraglich, vor allem dann, wenn diese Beihilfe verwerflich ist. Derjenige, der den anderen auf dessen dringende Bitte hin tötet, wird nach § 216 StGB wegen Tötung auf Verlangen bestraft. Sein Verhalten ist hoch-verwerflich und deshalb strafwürdig. Dahingegen wird derjenige, der wissentlich und willentlich dem anderen die Pistole in die Hand gibt, damit er sich selbst tötet, nicht bestraft. Dies ist ein Widerspruch, der schwer zu erklären ist. In beiden Fällen wollen die Handelnden den Tod des Betroffenen herbeiführen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die eine Handlung strafwürdig ist, die Strafwürdigkeit der anderen Handlung aber abgelehnt wird. Als Begründung für die Entscheidung wird die -Tatherrschaft desjenigen angegeben, der den anderen -tötet. Das erscheint mir zu wenig. Andere Länder stellen die Beihilfe zum Selbsttod unter Strafe, so Österreich, Italien, England, Irland, Portugal, Spanien und Polen. In diesen Ländern gilt die Beihilfe als verwerflich und strafwürdig. Diese Einsicht müsste auch in Deutschland Geltung haben. Die Beihilfe ist schon allein deshalb verwerflich und strafwürdig, weil dadurch das Leben eines anderen vernichtet wird. Das überragende Rechtsgut Leben wird durch die Beihilfe missachtet. Darin liegt der Grund der Strafbarkeit. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bleibt aber dabei, dass die Beihilfe nicht strafbar ist. Der Grundsatz der Akzessorietät der Beihilfe zu einer Tat soll also auch beim Suizid gewahrt bleiben. Dies bleibt unverständlich und ist auch nicht logisch. Bei der geplanten Bestrafung der gewerbsmäßigen Beihilfe wird dieser Grundsatz allerdings nicht eingehalten. Das Dienstleistungsangebot der gewerblichen Beihilfe ist moralisch in einem solchen Maß verwerflich, dass der Staat an einer Bestrafung nicht vorbeikommt. Das kann aber nicht nur für die gewerbsmäßige Beihilfe gelten. Wir haben auch den Fall, dass Einzelpersonen oder organisierte Personengruppen ein solches „Dienstleistungsangebot“ propagieren. Für diese Angebote, die nachweislich ohne gewerblichen Hintergrund betrieben werden, wird auch öffentlich geworben. Ein solches Verhalten ist ebenfalls verwerflich und ist deshalb, wie die gewerbliche Beihilfe, unter Strafe zu stellen. Hinzu kommen muss aber auch der Fall, dass ein einzelner „Helfer“ die Selbsttötungsabsicht eines anderen aus völlig eigennützigen Motiven hervorruft. Er stiftet den Betroffenen zur Selbsttötung an. Ohne diese Anstiftung kommt der Betroffene vielleicht gar nicht zu dem Entschluss, sich selbst zu töten. Solche „Helfer“ handeln nicht selten aus Eigennutz. Dies kann im ganz nahen Verwandtschaftsverhältnis oder Freundeskreis der Fall sein, wenn zum Beispiel die Pflege des alten Menschen zur unerträglichen Last geworden ist oder aber wenn diese „Helfer“ durch den Tod des Betroffenen auf eine große Erbschaft hoffen dürfen. Dieses Verhalten ist mindestens genauso verwerflich wie die gewerbliche Beihilfe. Deshalb ist auch ein solches Verhalten unter Strafe zu stellen. Aus all diesen Gründen ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung im parlamentarischen Verfahren zu überprüfen und zu ergänzen. Wichtig allerdings erscheint mir die Ausweitung der Hilfe. Gerade die unmittelbare Nachbarschaft ist insbesondere aufgefordert, mit älteren Menschen, bei denen die Suizidrate am höchsten ist, in Kontakt zu bleiben, ihnen mit kleinen Diensten bei der Bewältigung des Alltages zu helfen. Aufmerksamkeit, Freundlichkeit und Entgegenkommen können helfen, damit sich der Gedanke an die Selbsttötung bei dem Nächsten gar nicht erst festsetzt. Dr. Edgar Franke (SPD): In der Schweiz wird die Beihilfe zum Suizid durch Laien oder durch Ärzte nicht strafrechtlich verfolgt. Hier dürfen Suizidhilfe-Organisationen mit Namen Exit oder Dignitas den vom Sterbewunsch Erfüllten eine Infusion mit tödlichem Gift anlegen und so lange anwesend bleiben, bis der Tod eintritt. Der Sterbewillige muss diese allerdings selbst auslösen. Im Jahr 2011 sind 411 Menschen mithilfe von Exit aus dem Leben geschieden. Dies berichtet Bernhard Sutter, der Vizepräsident von Exit (Deutsche Schweiz), dem Evangelischen Pressedienst, epd, veröffentlicht am 14. Juni des Jahres. Nach Angaben von Exit sind rund 30 Prozent der Sterbewilligen „nicht todkrank“. In der kanadischen Provinz Ontario ist der assistierte Suizid übrigens ebenfalls erlaubt; dort lässt man den Patienten jedoch mit dem Gift allein, was in 50 Prozent der Fälle dazu führt, dass dieser sich doch nicht tötet. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung wendet sich im Kern gegen private Suzidhilfe-Organisationen wie Exit und Dignitas, denen eine gewerbs- oder zumindest geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unterstellt wird. Die Selbsttötung und die Teilnahme sind in Deutschland nicht strafbar. Straffrei sind auch der gerechtfertigte Behandlungsabbruch – passive Sterbehilfe – und die sogenannte indirekte Sterbehilfe. Mit Strafe bedroht ist dagegen die Tötung auf Verlangen, § 216 StGB. Der vorliegende Gesetzentwurf schlägt die Schaffung eines neuen Straftatbestandes im Strafgesetzbuch vor, der die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt. Der gewerbsmäßigen, also der auf Gewinnerzielung ausgerichteten Förderung der Selbsttötung soll demnach durch ein strafrechtliches Verbot entgegengewirkt werden. Dazu soll ein neuer Straftatbestand, der § 217 StGB-E, geschaffen werden. Im Wortlaut: „Wer absichtlich und gewerbsmäßig einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Gewerbsmäßig handelt nach der Rechtsprechung des BGH, wer in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, wobei die Tätigkeit von der Absicht getragen werden muss, Gewinn zu erzielen. Den Suizidhilfe-Organisationen wird vorgeworfen, mit dem Leid verzweifelter Menschen Geschäfte zu machen. Ob eine Gewinnerzielungsabsicht festgestellt werden kann, ist nicht sicher. Exit hat nach eigener Zählung rund 80 000 Mitglieder. Nach eigenen Angaben streben sie die gesicherte Finanzierung ihrer Aktivitäten an. In dem Gesetzentwurf sagen Sie, eine gesetzliche Regelung zur Strafbarkeit der Förderung der Sterbehilfe sei längst fällig. Ist es nicht vielmehr notwendig, die Sicht darauf zu richten, dass nicht nur die gewerbsmäßige, sondern auch die organisierte Förderung der Sterbehilfe als strafwürdiges Verhalten angesehen werden sollte? Die Abgrenzung einer gewerbsmäßigen zur organisierten Förderung der Sterbehilfe wird im Einzelfall sich nämlich eher schwierig gestalten. Das Entscheidende ist jedoch: Weder die Urteilsfähigkeit noch die genaue Krankengeschichte müssen oder können von den Laienhelfern geprüft werden. So werden gerade bei psychischen Erkrankungen oder psychischen Ausnahmezuständen die nötige therapeutische Erfahrung und fachliche Voraussetzungen weitgehend fehlen. Das ist untragbar und betrifft mehr oder weniger die organisierte Förderung der Sterbehilfe. So fordert die Bundesärztekammer, dann nicht nur die gewerbliche Suizidbeihilfe, sondern jegliche organisierte Sterbehilfe zu verbieten. Eugen Brysch, Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, will, dass das konzeptionelle Vorgehen der Sterbehilfeorganisationen verhindert wird. Er drängt damit ebenfalls zum Verbot der organisierten Sterbehilfe. Meine Kollegin Sabine Bätzing-Lichtenthäler hat in ihrer veröffentlichten Stellungnahme recht: Wo ein kommerzielles Interesse ist, gibt es auch Interessen, den Gewinn zu maximieren. Diesbezüglich ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung richtig. Er ist aber nicht weitgehend genug. Denn auch die organisierte Sterbehilfe, die nicht kommerziell arbeitet, ist falsch. Eine Organisation, die den Tod in einem bürokratischen Ver-fahren zuweist, passt nicht zu einer individuellen Entscheidung. Eine solche Organisation wird allein durch ihre Existenz Entscheidungen beeinflussen und wahrscheinlich auch in Gesprächen Einfluss nehmen. – Sie hat recht; dies spricht gegen die organisierte Sterbehilfe. Die Entscheidung für eine Selbsttötung kann doch sinnvoll nur im Einzelfall durch den Betroffenen mithilfe seiner Angehörigen und mit Beratung durch einen Arzt, möglichst mit therapeutischen Erfahrungen, erfolgen. Hier haben Sie Ihren ursprünglichen Entwurf nach Protesten der Ärzteschaft entschärft. Der vorliegende Entwurf sieht nur noch vor, dass Angehörige oder andere nahestehende Personen einem Sterbenskranken straffrei Beihilfe leisten dürfen. Die Bundesärztekammer versucht, über berufsrechtliche Regelungen und Regelungen der Berufsordnung sich zu entziehen. Und auch der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste betont, dass Pflegekräfte den Menschen beim Leben helfen wollen, aber nicht beim Suizid. Der Begriff „nahestehende Personen“ ist allerdings eher unbestimmt und erlaubt, dass auch Ärzte und Pflegekräfte gemeint sein können. Aber der Kollege Spahn bemerkt zu Recht, dass es nicht sein kann, dass in solch einem „Nebensatz“ die Sterbehilfe durch nahestehende Ärzte und Pflegekräfte straffrei gestellt werden sollte. Hier werden Sie also nachbessern und erklären müssen, ob Sie in einem weiteren Gesetzentwurf die Rolle der Ärzte und Pflegekräfte neu ausrichten und die Sterbehilfe – unter gewissen Voraussetzungen – durch diese Berufsgruppen straffrei stellen wollen. Generell haben wir das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten mehr zu achten. Dafür muss auch Klarheit über die Verbindlichkeit und die Reichweite von Patientenverfügungen herrschen. Wie schaffen wir die erforderliche Rechtssicherheit für alle Beteiligten auch bei der passiven und indirekten Sterbehilfe sowie der Beihilfe zur Selbsttötung? Gesetzliche Regelungen zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Patienten können aber nur ein Baustein sein, um Menschen einen würdigen Umgang mit Leiden und Sterben zu ermöglichen. Wichtig ist der weitere Ausbau des Hospizwesens und der Palliativmedizin. Schon meine Kollegin Brigitte Zypries hatte in ihrer Zeit als Bundesjustizministerin die Vorstellung, dass dann auch die Diskussion über aktive Sterbehilfe in den Hintergrund treten würde. Es geht letztlich darum, die Patientenautonomie auch am Lebensende zu stärken und menschenwürdige Bedingungen für Kranke und Sterbende zu schaffen. Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Wie die Menschen im Land diskutiert auch die Linksfraktion das Thema Sterbehilfe insgesamt kontrovers. Auch nach der geplanten Anhörung im Rechtsausschuss zum Inhalt des Gesetzentwurfs und zur abschließenden Lesung im Bundestag ist keine einhellige Fraktionsmeinung der Linken zu erwarten. Wie sollte es auch anders sein? Schließlich sind doch die Fragen, welche sich dem Thema Sterbehilfe widmen, nicht nur ethisch bzw. moralisch hochsensibel und differenziert zu betrachten, sondern bergen auch jede Menge Missverständnisse. Allein die Begrifflichkeiten wie „aktive Selbsthilfe“ und „passive Sterbehilfe“ oder auch „Beihilfe zur Selbsttötung“ bzw. „assistierter Suizid“ werden häufig nicht eindeutig angewandt, abgesehen davon, dass sehr unterschiedliche – auch medizinische – Vorgehensweisen in der Nähe des Lebensendes häufig als Sterbehilfe bezeichnet und missverstanden werden. Insofern sei mir der Hinweis erlaubt, dass meine Haltung nicht den Standpunkt meiner Fraktion in ihrer Gesamtheit wiedergibt, sondern vielmehr meine persönliche Meinung zum Thema beinhaltet, die maßgeblich durch meine pflege- und gesundheitspolitische Arbeit geprägt ist. Insofern plädiere ich mit Nachdruck dafür, dass alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages frei und allein ihrem Gewissen verpflichtet und nach gründlicher persönlicher Abwägung zum Gesetzentwurf ihre Entscheidung fällen können und gegebenenfalls mittels fraktionsunabhängiger parlamentarischer Initiativen die Debatte befruchten. Meine Position ist es, sich ausdrücklich und entschieden gegen jede Form der aktiven Sterbehilfe und jeglicher Form der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung auszusprechen. Menschen, die aussichtslos erkrankt sind, dürfen weder sich selbst überlassen bleiben, noch einer organisierten oder gar kommerzialisierten Sterbehilfe oder Beihilfe zur Selbsttötung ausgeliefert werden, die teilweise dilettantisch von Nichtärzten durchgeführt wird und die ohne jegliches Empfinden für die Sorgfaltspflicht Sterbewillige in ungeeigneten Räumlichkeiten oder gar auf Parkplätzen unwiederbringlich ihrem Schicksal überlässt. Weder von Ärzten noch von Pflegepersonal noch von privaten Organisationen sollte eine aktive Unterstützung von Selbsttötungen angeboten oder ausgeübt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung greift das Verbot der gewerblichen Beihilfe zur Selbsttötung auf und geht somit in die richtige Richtung. Einmal abgesehen davon, dass der Gesetzentwurf in der Begründung mit ungenauen Formulierungen hantiert – denn es geht hier um Beihilfe zur Selbsttötung, was etwas anderes ist als Sterbehilfe, – greift er aber insoweit zu kurz, als eben nicht ausdrücklich jegliche Form der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe gestellt wird, sondern nur die gewerbsmäßige Form. Jedoch ist eine Grenze in der Praxis nicht haarscharf zu ziehen, die strafrechtliche Ahndung daher äußerst schwierig, und sind Umgehungstatbestände faktisch vorprogrammiert. Es reicht deshalb nicht aus, dass mit dem Gesetzentwurf eine nichtgewerbsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung dann straffrei bleibt, wenn der- oder diejenige, welche die Beihilfe leisteten, eine Angehörige oder ein Angehöriger oder eine nahestehende Person ist. Vor diesem Hintergrund ist anzumerken – und findet sich auch in der Begründung des Gesetzentwurfs –, dass Studien mehrfach gezeigt haben, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Zulassung von kommerzialisierter Beihilfe zur Selbsttötung und einem Anstieg entsprechender Selbsttötungen zwar nicht bewiesen ist, aber dennoch vermutet werden kann. Das allein rechtfertigt ein Verbot. Nachvollziehbar ist aber nicht, diesen Zusammenhang allein für die kommerzialisierte Beihilfe zur Selbsttötung zu vermuten. Die Vermutung muss auch für jede andere Form der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung gelten bzw. sie kann nicht ausgeschlossen werden und rechtfertigt insofern ebenfalls ein Verbot. Fakt ist, dass beispielsweise in den Niederlanden nicht nur Menschen durch die Einwirkung Dritter starben, die danach verlangt hatten, sondern jedes Jahr auch einige Hundert, die nicht darum gebeten hatten. Nach ärztlicher Einschätzung konnte keine Besserung ihres Zustandes mehr erzielt werden bzw. wurden medizinische Maßnahmen für sinnlos erachtet, wurde ihre Lebensqualität als gering eingeschätzt oder hatten ihre Angehörigen darum gebeten. Menschen wollen sterben, weil sie einsam sind, keine Hilfen bekommen, ihren Angehörigen nicht zur Last fallen wollen, Schmerzen haben. Dies sind alles Problemfelder, auf die spezifisch und wirksam reagiert werden könnte, die aber in den Hintergrund gerückt sind. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass der Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung nur schleppend vorankommt. Es muss darauf hingewiesen werden, dass Menschen mit unheilbaren Krankheiten ein Recht auf die bestmögliche Versorgung haben. Es muss gewährleistet sein, dass für sie bis zum Lebensende alles getan wird, damit sie selbstbestimmt und in Würde bis zum Ende leben können. Eine gute palliativmedizinische Versorgung und die dazugehörige Pflege und Betreuung sind deshalb wichtige Bausteine, um dieses Ziel zu verwirklichen. Die palliativmedizinische Versorgung als Teil eines umfassenden Palliative-Care-Konzepts leistet hier Hervorragendes, ebenso wie die Hospizeinrichtungen. Bei der palliativmedizinischen Versorgung geht es um die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer voranschreitenden, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung in dem Abschnitt, in der die Erkrankung nicht mehr auf eine kurative – also heilende – Behandlung anspricht und die Beherrschung von Schmerzen, anderen Krankheitsbeschwerden, von psychologischen, sozialen und spirituellen Problemen höchste Priorität besitzt. Die Palliativmedizin ist fester Bestandteil der hiesigen medizinischen Versorgung. Gerade in Hinblick auf die Diskussion zum Thema ist von größter Bedeutung, dass Palliativmedizin das Ziel hat, todkranke Menschen in ihrer Ganzheitlichkeit zu betreuen. Das bedeutet, die Leiden umfassend zu lindern und dabei die Würde und Eigenständigkeit des Menschen zu achten. Hier zeigt sich der entscheidende Unterschied zur Sterbehilfe bzw. zur Beihilfe zur Selbsttötung, der darin liegt, dass bei der palliativmedizinischen bzw. Palliative-Care-Versorgung nicht der Leidende, sondern die Symptome des Leids wie Schmerz und Einsamkeit beseitigt werden. Die Palliative-Care-Versorgung macht Sterbehilfe und die Beihilfe zur Selbsttötung dadurch weitgehend überflüssig. Auch die verkürzte Sicht, welche die palliativmedizinische Versorgung auf die Gabe von Schmerzmitteln reduziert und diese dann womöglich in die Nähe einer wie auch immer gelagerten Form der Sterbehilfe oder auch Beihilfe zur Selbsttötung rückt, ist irreführend. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir den Ausbau und die Sicherstellung der palliativmedizinischen und Hospizversorgung gerade im Zusammenhang mit der heutigen Debatte nicht aus den Augen verlieren dürfen. Es muss vielmehr Aufgabe des Gesundheitssystems sein, ungeachtet jeglicher Marktmechanismen die Gesundheit jedes Einzelnen zu erhalten, Leiden zu verhindern, Schmerzen zu lindern, Menschen am Lebensende zu begleiten sowie beizustehen und nicht ihr Leben aktiv zu beenden. Notwendig sind eine flächendeckende palliativmedizinische bzw. Palliative-Care-Versorgung und auch eine breitere Finanzierung der Pflegeversicherung und ein entsprechender Ausbau ihrer Leistungen. Daneben muss die Hospizbewegung dringend weiter strukturell, finanziell und medial unterstützt werden, damit auch hier eine flächendeckende Versorgung – die nachweislich nicht gegeben ist – gewährleistet werden kann. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit Jahren wird in der Gesellschaft darüber diskutiert, ob Menschen ihrem Leben freiwillig und selbstverantwortlich ein Ende setzen dürfen und ob es erlaubt oder gar geboten sei, den hierzu Entschlossenen dabei zu assistieren. Der Freitod steht nicht unter Strafe, auch die Beihilfe dazu – selbstverständlich – nicht. Es wäre sinnvoll, gesetzlich klarzustellen, dass straflose Beihilfe zum Suizid nicht durch die Hintertür wegen unterlassener Hilfeleistung verfolgt werden kann. Leider legt die Bundesregierung hierzu keinen Gesetzentwurf vor. Stattdessen beschäftigen wir uns mit einem Vorschlag zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Der vorliegende Gesetzentwurf scheitert bereits an der Darstellung der Lebenssachverhalte, die unter Strafe gestellt werden sollen. Ich zitiere aus der Begründung: „In Deutschland nehmen die Fälle zu, in denen Personen auftreten, deren Anliegen es ist, einer Vielzahl von Menschen in Form einer entgeltlichen Dienstleistung eine schnelle und effiziente Möglichkeit für einen Suizid anzubieten. ... Im Vordergrund solcher Handlungen steht dabei nicht ein Beratungsangebot mit primär lebensbejahenden Perspektiven, sondern die rasche und sichere Abwicklung des Selbsttötungsentschlusses, um damit Geld zu verdienen.“ Ich hätte erwartet, dass nunmehr einige Beispiele folgen, von Menschen oder Organisationen, auf die diese Beschreibung zutrifft. Aber weit gefehlt, nicht ein einziges konkretes Beispiel wird von der Regierung benannt. Ich will konkreter werden und die Fälle ansprechen, über die seit Jahren in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wird: Es sind dies erstens die schweizerischen Vereine Exit und Dignitas und ihr deutscher Ableger Dignitate und zweitens die namensgleichen schweizerischen und deutschen Vereine Sterbehilfe Deutschland e. V., hinter denen der frühere Hamburger Justizsenator Dr. Kusch und seine Gefolgsleute stehen. Man muss diese Vereine und die für sie handelnden Personen nicht mögen, aber eines ist klar: Gerade diesen Personen wird nicht nachzuweisen sein, dass bei ihren Suizidhilfeangeboten das Geldverdienen im Vordergrund steht und dass sie deshalb ihr Beratungsangebot nicht vorrangig auf lebensbejahende Perspektiven ausrichten. Ein Blick auf die im Internet nachlesbaren Angebote und die veröffentlichten Satzungen reicht hierfür aus. Auch der Hinweis auf die angeblich steigende Zahl von Suizidfällen in den Niederlanden, Belgien und der Schweiz halten schon einer oberflächlichen Überprüfung nicht stand. In den Niederlanden und in Belgien ist seit 2001/2002 die aktive Strebehilfe unter bestimmten Bedingungen nicht strafbar. In Deutschland ist sie aber strafbar, und zwar als Tötung auf Verlangen. Dies will auch niemand ändern. Um uns von den Niederlanden und Belgien abzusetzen, bedarf es deshalb des vorgelegten neuen Strafgesetzes gar nicht. Und in der Schweiz ist die Suizidhilfe strafbar, wenn sie aus „selbstsüchtigen Beweggründen“ geschieht. Dies entspricht in etwa der vorgeschlagenen Gewerblichkeit; jedenfalls sind altruistische Motivationen straflos. Im Ergebnis würde der vorliegende Entwurf eine ähnliche Rechtslage wie in der Schweiz schaffen, obwohl die Begründung die Lage in der Schweiz gerade als einen Grund für den vorgelegten Entwurf benennt. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass die in der Schweiz legal tätigen Vereine als „quasi gewerbsmäßig auftretende Sterbehilfeorganisationen“ bezeichnet werden. So verschwimmt immer mehr, welche Personen eigentlich von der Strafbarkeit mit dem neuen Recht erfasst werden sollen. Nur am Rande sei angemerkt, dass wir die Auffassung der Bunderegierung teilen, dass der Versuch, jegliche – auch nicht gewerbsmäßige – organisierte Sterbehilfe zu verbieten, an verfassungsrechtliche Schranken stoßen würde. Was einem Einzelnen erlaubt ist, kann einem Verein nicht verboten werden. Trotz also der ins Auge springenden Schwächen des vorgelegten Gesetzentwurfs gibt es Hinweise auf Vorgehensweisen bei der Suizidhilfe, die strafwürdig sein könnten. Wir gehen von der Freiheit zur Selbstbestimmung aus. Diese beinhaltet auch die Freiheit, seinem Leben ein Ende zu setzen. Wir wollen solche Entscheidungen nicht fördern, wir wollen niemanden hierzu anstiften oder verleiten, aber wir achten und respektieren auch diese Entscheidung, wenn sie frei von Einflüssen Dritter und autonom getroffen wird. Deshalb ist weder der Suizid noch die Beihilfe hierzu unter Strafe gestellt. Der Staat ist aber – was völlig unbestritten ist – auf den Schutz menschlichen Lebens verpflichtet. Diese Schutzpflicht ist nicht vorrangig und nicht ausschließlich mit dem Mittel des Strafrechts zu erfüllen. Vor allem anderen müssen wir mehr tun, um den Menschen die Angst vor unerträglichen Schmerzen und vor einem qualvollen Tod zu nehmen. Dazu gehört, die Palliativmedizin und die Hospizbewegung zu stärken und deren Angebote als Alternative zum Suizid bekannt zu machen. Zum staatlichen Schutzauftrag gehört aber auch, die Entscheidung, seinem Leben ein Ende zu setzen, von organisierter Fremdbestimmung und Beeinflussung frei zu halten. Sollte hier eine evidente und eklatante Schutzlücke bestehen, ist diese zu schließen. Was sagt nun der Regierungsentwurf hierzu? Wir lesen: „Diese Kommerzialisierung“ – der Sterbehilfe – „stellt eine qualitative Änderung in der Praxis der Sterbehilfe dar. Sie lässt befürchten, dass die Hilfe zum Suizid als eine normale Dienstleistung angesehen wird und sich Menschen zur Selbsttötung verleiten lassen, die dies ohne ein solches Angebot nicht tun würden.“ Der Entwurf schlägt deshalb vor, „die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe zu stellen“. Die Förderung von Suiziden – insbesondere dadurch, dass Menschen, die noch gar nicht zur Beendigung ihres Lebens entschlossen sind, die über Schmerzlinderung am Lebensende, über die Angebote der Hospize, über die Abfassung entsprechender Patientenverfügungen nicht aufgeklärt sind, verleitet werden, Suizid zu begehen – kann das Rechtsgut Leben in einer Art und Weise verletzen, dass an einen strafrechtlichen Schutz gegen solche Verletzungen zu denken wäre. Untersuchungen, die darüber Aufschluss geben könnten, ob es wirklich Tendenzen zu einer so verstandenen Kommerzialisierung des Suizids gibt, bleiben im Gesetzentwurf unerwähnt. Ja, noch schlimmer, wir müssen lesen, dass die Bundesregierung solche Untersuchungen gar nicht kennt. Wenn man aber die Aussagen im Gesetzentwurf zur Grundlage neuen Strafrechts machen will, dann muss gerade das Element der Fremdbestimmung, das Verleiten zur Selbsttötung, auch im Straftatbestand als das entscheidende Merkmal der Straftat auftauchen. Nicht die Verschaffung der Gelegenheit zum Suizid an sich, nicht die Erstattung von Kosten, die dabei entstehen, nicht die Entlohnung der bei der Suizidhilfe eingesetzte Arbeitszeit und Energie, ja nicht einmal die Motivation an sich, sich damit eine Einnahmequelle zu verschaffen, ist strafwürdig, sondern – wenn überhaupt – im Kern die Verleitung noch unentschlossener oder mangelhaft informierter Menschen zur Selbsttötung und die dadurch bewirkte Förderung des Suizids. Die Thematik der Strafbarkeit bestimmter Formen der Beihilfe zum Suizid ist eine ernsthafte und überaus schwierige. Ich bitte die Koalition mit Nachdruck, hier mit Gründlichkeit vor Schnelligkeit vorzugehen. Es gibt keinen Grund zur Hast und Oberflächlichkeit. Der vorliegende Entwurf muss gründlich nach dem sogenannten Struck’schen Gesetz bearbeitet werden. Er darf den Bundestag nicht in der Form und nicht mit der Begründung verlassen, wie er in den Bundestag eingebracht worden ist. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Ein breiter gesellschaftlicher -Konsens über Umfang und Inhalt einer Regulierung zur in ethischer, moralischer und juristischer Hinsicht äußerst komplexen Frage der Suizidhilfe wird sich kaum erreichen lassen. Einerseits wird die Forderung nach generellen -Verbotsregelungen erhoben, andererseits sehen viele Menschen ihr Selbstbestimmungsrecht nur dann gewahrt, wenn sie auch die uneingeschränkte Möglichkeit haben, Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Verzweifelte Betroffene in großer seelischer oder körperlicher Not benötigen vor allem menschliche Zuwendung und eine medizinische Versorgung, die eine lebensbejahende Einstellung erleichtert und die ihnen bei Schmerzen die bestmögliche palliativmedizinische -Behandlung zukommen lässt. Leider können aber weder Unterstützung noch moderne Palliativmedizin alle Schmerzen lindern; auch weiterhin werden Menschen die Entscheidung zur Beendigung ihres Lebens treffen. Wir müssen uns als Gesetzgeber deshalb immer wieder fragen, welche rechtlichen Rahmenbedingungen wir in diesem sensiblen und schwierigen Bereich vorgeben wollen. Ausgangspunkt ist die grundsätzliche Straffreiheit der Suizidhilfe im deutschen Recht, da auch die Selbsttötung bekanntlich nicht strafbar ist. Es geht in der derzeitigen Diskussion also allein um die Frage, inwieweit Suizidhilfe erstmals unter Strafe gestellt werden soll. Der Entwurf der Bundesregierung sieht dies nun für die Fälle vor, in denen Suizidhilfe gewerbsmäßig angeboten wird. Dort, wo sie kommerzialisiert wird, und wo sie sich zu einer Art „normaler Dienstleistung“ entwickeln kann, bestünde nämlich die Gefahr, dass sich vielleicht noch unentschlossene Menschen zum Suizid verleiten lassen oder dass bei den Suizidhelfern die Gewinnerzielung eigentliches Motiv des Handelns wird. Die Gewerbsmäßigkeit ist ein klares rechtliches -Abgrenzungskriterium. Einer Kriminalisierung jeder organisierten, konkret von Vereinen gewährten Suizidhilfe stünden dagegen auch verfassungsrechtliche Bedenken entgegen. Aufgrund der in Art. 9 GG garantierten Vereinigungsfreiheit kann dem Verein nämlich grundsätzlich nicht verboten werden, was dem Einzelnen gestattet ist. Ähnlich schwer ließe sich für die sogenannte geschäftsmäßige – also für die lediglich auf Wiederholung angelegte und ohne Gewinnabsicht durchgeführte – -Suizidhilfe begründen, weshalb ein an sich erlaubtes Verhalten allein dadurch strafbar sein sollte, dass es wiederholt wird. Nach dem Entwurf der Bundesregierung soll die -Suizidhilfe deshalb nur dann unter Strafe gestellt werden, wenn sie gewerbsmäßig, also aus kommerziellen Gründen angeboten wird. Dort, wo Suizidhilfe in einer emotional schwierigen Konfliktsituation im Familienkreis und aus rein altruistischen Gründen gewährt wird, soll dagegen bewusst nicht gesetzlich eingegriffen werden; in diesen intimen -zwischenmenschlichen Beziehungen muss sich der Staat auch zukünftig zurückzuhalten. Der Gesetzentwurf stellt daher sicher, dass Angehörige und etwa langjährige und sehr enge Freunde von der Strafbarkeit ausgenommen werden, wenn sie an der Tat des Suizidhelfers lediglich teilnehmen, ohne selbst gewerbsmäßig zu handeln. Dies wird also weiterhin straffrei bleiben – wie es das Straf-gesetzbuch ja bereits jetzt vorsieht. Es geht dabei überhaupt nicht – auch das möchte ich noch einmal betonen – um den Beruf, den die Angehörigen oder engen Freunde ausüben. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung trifft eine maßvolle Wertentscheidung in dem sehr sensiblen -Bereich der Sterbehilfe. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (Zusatztagesordnungspunkt 9) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Das Recht der -Sicherungsverwahrung beschäftigt seit Ende der 1990er-Jahre fortwährend den Gesetzgeber und die Rechtsprechung. Das ist einerseits aus der Interessenlage der -Betroffenen nachzuvollziehen, die, was ihr gutes Recht ist, jedwedes Rechtsmittel und sämtliche Instanzen nutzen bis hin zu Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte. Andererseits ist es aus dem Blickwinkel des Gesetzgebers zur Daueraufgabe geworden, die Entscheidungen der Rechtsprechung im Hinblick auf den durch den Gesetzgeber wahrzunehmenden Schutzauftrag gegenüber der Bevölkerung in entsprechende gesetzliche Regelungen zu übersetzen. Mit dem Therapie- und Unterbringungsgesetz, ThUG, hat die christlich-liberale Koalition zusammen mit der SPD-Fraktion eine gesetzliche Lösung für eine große Zahl von Fällen geschaffen, bei denen aufgrund der -Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember  2009, rechtskräftig geworden im Mai  2010, sowie nachfolgend des Bundesverfassungsgerichts im Mai  2011 eine Unterbringung nicht mehr auf der Grundlage des Rechts der Sicherungsverwahrung erfolgen konnte. Außerdem ist der Deutsche Bundestag vor wenigen Wochen erst durch die Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Beachtung des Abstandsgebotes dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts aus seiner Entscheidung von Mai  2011 nachgekommen. Wir nehmen den Schutzauftrag gegenüber der Bevölkerung ernst und haben die entsprechenden gesetzlichen Regelungen zügig auf den Weg gebracht. Aufgrund der zeitlichen Lücke zwischen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Dezember 2009, dass die Sicherungsverwahrung vom Verbot der Rückwirkung nach Art. 7 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, EMRK, erfasst sei, und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Mai 2011, dass trotz des Rückwirkungsgebots in einigen Fällen besonders hochgradiger Gefährlichkeit eine Freiheitsentziehung weiterhin möglich sei, ist es allerdings in wenigen Einzelfällen möglich, dass eine Regelungslücke besteht. Es geht hierbei um Fälle, in denen ein Antrag auf Anordnung einer solchen Sicherungsverwahrung vor dem 4. Mai 2011 ausschließlich deshalb abgelehnt wurde, weil das zuständige Revisionsgericht dies aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EGMR, namentlich aufgrund der am 10. Mai 2010 bestandskräftig gewordenen Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009 – Nr. 19359/04 –, wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot von Art. 7 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, EMRK, für zwingend ansah, unabhängig von sonstigen Kriterien wie -insbesondere dem Grad der Gefährlichkeit des Täters, vergleiche namentlich BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010, 4 StR 577/09. Diese Konstellation konnte dadurch entstehen, dass bis zum obengenannten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 noch nicht abschließend -geklärt war, ob die Vorgaben der EMRK und der -Rechtsprechung des EGMR den nationalen Gerichten von vornherein jede rückwirkend verschärfende Rechts-anwendung im Recht der Sicherungsverwahrung ausschlossen oder dies – unter erhöhten Voraussetzungen – doch noch möglich war. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, EGStGB, soll diese Lücke nun rasch geschlossen werden, um keine Schutzlücke entstehen zu lassen. So bedauerlich es einerseits ist, dass dies nun in einem eigenen Gesetz-gebungsverfahren geschehen muss und eine Regelung nicht schon mit dem vor einigen Wochen verabschiedeten Gesetz zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung erfolgte, so wichtig ist es andererseits, dass wir dieses Gesetzgebungsverfahren nun zügig durchführen. Hier gilt mein Dank allen Fraktionen, die sich konstruktiv in das Verfahren einbringen. Abschließend möchte ich, da dies in der vorbereitenden Diskussion bereits Erwähnung gefunden hat, darauf hinweisen, dass eine Regelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung die mit dem vorliegenden Gesetz-entwurf zu erfassenden Fälle nicht umfasst hätte. Ohne Frage: Wir hätten uns im Gesetzgebungsverfahren zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung als CDU/CSU-Fraktion auch für die Zukunft die Möglichkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung gewünscht. Dies ist nach wie vor nicht geregelt. Die Fälle, die Grundlage dieses heute beratenen Gesetzentwurfs sind, wären aber – ich betone dies noch einmal – von der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht erfasst. Lassen Sie uns nun aber mit dem vorliegenden Gesetz die entstandene -Lücke schnell schließen. Norbert Geis (CDU/CSU): Der vorliegende Gesetzentwurf hat seinen Grund vor allem darin, dass der EGMR und das Bundesverfassungsgericht das Recht der Sicherungsverwahrung für verfassungs- und konven-tionswidrig erklärt haben. Genauer gesagt, hat der EGMR die Sicherungsverwahrung, SV, als Strafe qualifiziert, für die auch das Rückwirkungsverbot Anwendung findet. Die SV war zunächst auf zehn Jahre begrenzt. Diese zeitliche Begrenzung der SV wurde jedoch später aufgehoben. Bis zu dem Urteil des EGMR war es möglich, dass ein Gericht auf entsprechenden Antrag hin die zunächst auf zehn Jahre befristete SV eines gefährlichen Täters nachträglich aufheben und verlängern konnte. Da diese Regelung vor dem EGMR keinen Bestand hatte, war die Folge, dass alle Täter, deren SV über die Zehnjahresfrist hinaus verlängert worden war, nun freigelassen werden mussten. Dann hat der Bundestag mit dem Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter eine neue gesetzliche Regelung geschaffen, um solche Täter dann doch noch in Therapieunterbringung halten zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 festgestellt, dass die SV keine Strafe ist. Die nachträgliche SV bleibt also zulässig, wenn durch Freilassung des Täters von einer konkreten hochgradigen Gefährdung der Öffentlichkeit durch schwerste Gewalt oder Sexualverbrechen auszugehen ist und wenn bei dem Täter eine psychische Störung im Sinne des ThUG vorliegt. Im Juli 2012 stellte aber der BGH fest, dass das ThUG nach dem derzeitigen Wortlaut nicht auf Personen anwendbar ist, die nur vorläufig gemäß § 275 a StPO, alte Fassung, nicht aber endgültig in der nachträglichen SV untergebracht sind. Für diese Fälle, so der BGH, war keine Unterbringung nach dem ThUG möglich. Deshalb kam der Wunsch aus dem Bundesrat, diese Sicherheitslücke zu schließen. Der Deutsche Bundestag hat am 8. November 2012 das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der SV beschlossen. Allerdings wurde der Wunsch der Länder, durch eine Erweiterung des ThUG die Sicherheitslücke zu schließen, nicht erfüllt. Die Regierung war der Auffassung, dass dies nicht notwendig sei. Dagegen hat sich der Bundesrat gewehrt. Er wollte veranlassen, dass der Vermittlungsausschuss angerufen wird. Deshalb gab die Bundesregierung eine Protokollerklärung ab, in der sie zusichert, dass diese oben bezeichnete besondere Problematik im Rahmen einer Übergangsregelung zu lösen sei. Dazu, so heißt es in der Protokollerklärung, werde die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag eine Ergänzung von Art. 316 e EGStGB vorschlagen. Die Koalition hat diesen Gedanken, der in der Protokollerklärung zum Ausdruck gekommen ist, aufgenommen und hat nunmehr das vorliegende Gesetz ausgearbeitet und vorgelegt, um damit die erwähnte Sicherheitslücke zu schließen. Mit der vorgesehenen Übergangsregelung im EGStGB wird also der Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes, ThUG, nachträglich ergänzt. Das ThUG soll zukünftig auch für die besonderen Fälle anwendbar sein, in denen der Täter zwar noch nicht oder nur vorläufig in der SV untergebracht ist, gegen den aber bereits im ersten Rechtszug die SV angeordnet worden war. In einem solchen speziellen Fall hatte der BGH mit Urteil vom Mai 2010 auf die Revision hin das erstinstanzliche Urteil aufgehoben, weil die Norm, auf die die Anordnung gestützt worden war (§ 66 Abs. 3 StGB, alte Fassung), zum Tatzeitpunkt noch nicht in Kraft war. Deshalb, so der BGH, konnte die Anordnung nicht rechtskräftig erfolgen. Der BGH stützte sich dabei auf die Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009. Allerdings lag zum Zeitpunkt des Urteils des BGH noch nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 vor, das die nachträgliche SV für zulässig erklärt, wenn eine konkrete, hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen besteht und wenn bei dem Täter eine psychische Störung im Sinne des ThUG vorliegt. Folglich wäre das damalige Urteil des BGH nicht ergangen, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes schon vorgelegen hätte. Die Rechtskraft der Entscheidung über die Ablehnung der Anordnung der SV ist also deshalb entstanden, weil die Grundsätze des Urteils des Verfassungsgerichtes vom 4. Mai 2011 noch nicht vorlagen und daher nicht berücksichtigt werden konnten. Daraus geht nämlich hervor, dass trotz des Rückwirkungsverbotes eine Anordnung der nachträglichen SV unter bestimmten Umständen eben doch erfolgen kann. Der BGH führt nun in seinem Urteil vom Juli 2012 aus, dass das ThUG nach seinem derzeitigen Wortlaut nicht auf Personen anwendbar ist, die nur vorläufig gemäß § 275 a StPO, alte Fassung, und nicht endgültig in der nachträglichen SV untergebracht waren. Der Gesetzentwurf will nun diese Lücke schließen. Die Regelung sieht vor, dass § 1 ThUG auch dann anwendbar ist, wenn der Betroffene noch nicht rechtskräftig in der SV untergebracht war, gegen ihn aber bereits SV im ersten Rechtszug angeordnet worden war, eine Revisionsentscheidung vor dem 4. Mai 2011 (Entscheidung des BVerfG) ergangen ist, in dieser Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die nachträgliche SV allein wegen eines Verbotes der rückwirkenden Verschärfung im Recht die SV nicht rechtswirksam angeordnet werden konnte, sodass es auf die Gefährlichkeit des Täters gar nicht mehr ankam. Dieser Gesetzentwurf der Koalition schließt eine zwar kleine, aber sehr wohl existierende Regelungslücke im Anwendungsbereich des ThUG, die ein hohes Risiko darstellt. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 12. Juli 2012 hat gezeigt, dass aufgrund der zeitlichen Abfolge zwischen dem Inkrafttreten des ThUG am 1. Januar 2011 und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 4. Mai 2011 sowie den vorhergegangenen Urteilen des EGMR in den Jahren 2009 und 2010 ein „anwendungsfreier Bereich“ für hochgefährliche Straftäter entstanden ist. Diese Gesetzeslücke wird durch den vorliegenden Gesetzentwurf geschlossen. Ein Gericht kann nun die Unterbringung von solchen hochgradig gefährlichen Personen, die aufgrund dieser Gesetzeslücke trotz ihres hohen Rückfallrisikos hätten freigelassen werden müssen, in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung anordnen. Die Anordnung setzt voraus, dass der Täter gemäß § 1 Abs. 1 ThUG an einer psychischen Störung leidet. Zudem muss eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit, des Vorlebens und der Lebensverhältnisse des Täters ergeben, dass infolge der psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die se-xuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigt werden könnte. Ebenfalls muss die Unterbringung in der SV aus den zuvor genannten Gründen zum Schutz der Allgemeinheit notwendig sein. Burkhard Lischka (SPD): Steter Tropfen höhlt den Stein. Zumindest im Bereich der Sicherungsverwahrung sind unsere mahnenden Rufe gehört worden – wenn auch nur teilweise und in letzter Minute. Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung vom Mai 2011 haben sowohl die SPD-Bundestagsfraktion als auch die Länder immer wieder auf die Notwendigkeit einer möglichen nachträglichen Therapieunterbringung gefährlicher Gewalt- und Sexualstraftäter hingewiesen. Die Anhörung des Rechtsausschusses hat unsere Forderung eindrücklich bestätigt. Die von den Sachverständigen zur Illustrierung genannten Beispiele aus der gerichtlichen Praxis gingen wahrlich unter die Haut. Die Bundesjustizministerin hat sich jedoch aus nicht nachvollziehbaren Gründen bis zuletzt gesträubt, die nachträgliche Therapieunterbringung zu ermöglichen. Und die Union? Sie hat sich zähneknirschend wider besseres Wissen der Koalitionsdisziplin gebeugt. Mulmig wurde der Koalition, als kurz vor dem längst überfälligen Abschluss der parlamentarischen Beratungen des Regierungsentwurfs ein BGH-Beschluss publik wurde, nach dem ein hochgefährlicher Sexualstraftäter im Saarland hätte entlassen werden müssen, da der Gesetzesvorschlag keine Handhabe zu seiner Unterbringung bietet. Aber auch hier endete das Koalitionsgezerre wie in den vielen Monaten zuvor: Es wurde viel debattiert, aber ohne Ergebnis. Erst im Bundesrat ist die Bundesregierung dem Druck der Länder gewichen und hat per Protokollerklärung eine teilweise Nachbesserung zugesichert. Anstatt diese jedoch mit offenem Visier zu präsentieren, versteckte die Koalition die Änderung zunächst verschämt als Anhang im Bilanzrechtsänderungsgesetz. Zu peinlich war ihr wohl das Eingeständnis, bereits wenige Wochen nach Verabschiedung ihres Gesetzes zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung die ersten Nachbesserungen vornehmen zu müssen. Aber jetzt ist die – hoffentlich – letzte Schleife gedreht; die Koalition hat die Nachbesserung in Form eines eigenen Gesetzentwurfs präsentiert. Wir begrüßen dies im Ergebnis, da diese Regelung ein Mehr an Schutz bewirkt. Es bleibt die Frage: Warum nicht gleich so? Und es bleibt die Forderung nach Ermöglichung einer nachträglichen Therapieunterbringung, denn diese ist mit dem Änderungsantrag noch nicht realisiert. Die Bundesjustizministerin tut dies lapidar mit der Bemerkung „Die Wirkung der nachträglichen Therapieunterbringung wird überschätzt“ ab. Wir können nur hoffen, dass ihr dieser Kommentar nicht noch um die Ohren fliegt. Christian Ahrendt (FDP): Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung einer Protokollerklärung, die im Zuge des Abschlusses der Reform der Sicherungsverwahrung vor dem Bundesrat abzugeben war. Die Länder befürchteten aufgrund eines Einzelfalls aus dem Saarland das Bestehen einer Schutzlücke. Mit diesem Gesetz soll dem Anliegen der Länder nun Rechnung getragen werden, auch wenn davon auszugehen ist, dass es derzeit tatsächlich keine weiteren Anwendungsfälle für die vorgeschlagene Änderung gibt. Im Saarland gibt es den einzigen Fall, in dem die vorgeschlagene Änderung des Therapieunterbringungsgesetzes, ThUG, virulent wurde. Dieser Einzelfall beruht auf dem Umstand, dass der Bundesgerichtshof, BGH, im Mai 2010 unmittelbar nach der Rechtskraft der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EGMR, vom Dezember 2009 eine Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung abgelehnt hatte. Kernpunkt der Entscheidung des EGMR war, dass rückwirkende gesetzliche Verschärfungen der Sicherungsverwahrung nicht zulässig waren. Folglich könnte dies grundsätzlich zur Entlassung von Untergebrachten führen. Erst am 4. Mai 2011 hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil schließlich entschieden, die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung mit entsprechenden Maßnahmen doch zuzulassen. Bis dahin war noch nicht abschließend geklärt, ob die Vorgaben der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR den nationalen Gerichten von vorneherein jede rückwirkend verschärfende Rechtsanwendung im Recht der Sicherungsverwahrung ausschlossen oder dies unter erhöhten Voraussetzungen noch möglich war. Vom Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes sind daher ebenfalls solche in diesen Zeitraum fallende Fälle nicht erfasst, in denen gegen einen hochgradig gefährlichen Betroffenen zwar noch keine Sicherungsverwahrung vollstreckt wurde, diese aber bereits in erster Instanz angeordnet und in der Revisionsinstanz wegen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, aufgehoben wurde. Denn nach § 1 Abs. 1 ThUG kann die Therapieunterbringung nur gegen Betroffene angeordnet werden, die sich in Sicherungsverwahrung befinden oder bereits befunden haben. Für diese sehr beschränkte Fallkonstellation soll im Wege einer Übergangsregelung der Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes insofern durch einen neuen Abs. 4 in Art. 316 e des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, EGStGB, erweitert werden. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Wir erleben gerade ein Kuriosum. Eine Rede zu Protokoll, ohne dass zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Rede der zu beredende Gesetzentwurf überhaupt eine Drucksachennummer hat bzw. vorliegt. Was ist passiert? Der Bundesrat hat in der vergangenen Woche das Gesetz zur Regelung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung beschlossen. Die Linke lehnt dieses Gesetz ab, hat aber erfreut zur Kenntnis genommen, dass CDU und SPD sich mit ihrer Forderung nach Einführung der nachträglichen Therapieunterbringung nicht durchsetzen konnten. Dem Rechtsausschuss am Mittwoch dieser Woche lag nun ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum MicroBilG vor, mit welchem das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch geändert werden sollte. In diesem Antrag – Ausschussdrucksache 17(6)219 – hieß es: „§ 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revi-sionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.“ Es wird sofort deutlich, dass diese Änderung nichts mit dem eigentlichen Gesetz, um das es im Ausschuss ging, zu tun hat. Die Linke hatte deshalb angekündigt, im Rechtsausschuss eine Abstimmung darüber herbeizuführen, ob der nach § 62 Abs. 1 Satz 2 Geschäftsordnung notwendige unmittelbare Sachzusammenhang gegeben ist. Die Koalitionsfraktionen haben daraufhin diesen Änderungsantrag zurückgezogen. Das ist die einzig richtige Entscheidung gewesen, auch wenn so die Welt nie erfahren wird, worin der angeblich unmittelbare Zusammenhang zum MicroBilG besteht, und wir heute über einen Gesetzentwurf reden, der zum Zeitpunkt der Erstellung der Rede noch nicht vorliegt. Es steht zu vermuten, dass die noch unbekannte Drucksache, über die wir reden, dem Änderungsantrag im Rechtsausschuss entspricht. Mit der – zumindest im Rechtsausschuss vorgelegten – Änderung an § 1 Therapieunterbringungsgesetz wird der Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes erweitert und so die rückwirkende Verschärfung im Recht der Sicherungs-verwahrung perpetuiert. Mit diesem Gesetzentwurf soll ein Mensch, gegen den die Sicherungsverwahrung -erstinstanzlich angeordnet wurde, bei dem die ent-sprechende Entscheidung aber nicht rechtskräftig geworden ist und der sich deshalb derzeit nicht in Sicherungs-verwahrung befindet, nunmehr nach dem Therapieunterbringungs-gesetz in einer „geeigneten geschlossenen Einrichtung“ untergebracht werden. Dies lehnen wir als Umgehung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem -Dezember 2009 ab. Die richtige Konsequenz aus dem Urteil, die nachträgliche Sicherungsverwahrung, unabhängig von einer neuen Betitelung als Therapieunterbringung, für Alt- und Neufälle abzuschaffen, wird so umgangen. Wir halten das Therapieunterbringungs-gesetz außerdem für verfassungswidrig. Es versieht menschenrechtlich problematisch bisher nicht als psychisch krank befundene Menschen nun mit dem unbestimmten Begriff „psychisch gestört“, und zwar allein mit dem Ziel, sie weiterhin der Freiheit berauben zu können. Neben dieser unzulässigen Umetikettierung ergeben sich kompetenzrechtliche Bedenken. Diese Änderung wird von uns daher abgelehnt. Es kommt aber noch ein weiteres Problem hinzu. Im Rechtsausschuss wurde den Abgeordneten erklärt, dass die Regelung notwendig sei, weil im Bundesrat – vergleiche Protokoll der Bundesratssitzung vom 17. Dezember 2010, Seite 538 – eine Erklärung des Saarlandes zu Protokoll gegeben wurde. Darin heißt es: „… geht das Saarland bezüglich des Anwendungsbereiches des § 1 des Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter davon aus, dass die Fälle noch fortdauernder oder bereits beendeter Freiheitsentziehung der verurteilten Personen in Vollzug eines -Unterbringungsbefehls gemäß § 275 a der Strafprozessordnung vom Anwendungsbereich mit umfasst sind.“ Da dies – wie auch bereits der Bundesgerichtshof feststellte – nicht der Fall zu sein scheint, wurde wohl die vorliegende neue Regelung verfasst. Im Rechtsausschuss wurde ausdrücklich erwähnt, dass die angedachte Gesetzesänderung einen derzeit bekannten Fall betreffe. -Mithin würde nach derzeitigem Kenntnisstand der -Bundesregierung die Gesetzesänderung konkret bei einer Person zur Anwendung kommen. Angesichts dessen liegt dieser Vorschlag trotz abstrakt-genereller Formulierung ziemlich nah an einem unzulässigen Einzelfall-gesetz. Die Linke hat bereits das Therapieunterbringungs-gesetz abgelehnt; einer Verschlechterung eines schlechten Gesetzes können wir unmöglich zustimmen. Das Gesetzgebungsverfahren ist darüber hinaus intransparent, sodass auch aus demokratietheoretischen Gründen eine Zustimmung unmöglich ist. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des -Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch soll wieder einmal eine angebliche Lücke im Recht der Sicherungsverwahrung geschlossen werden. Gleichzeitig erfüllt die Bundesregierung damit eine Zusage gegenüber dem Bundesrat. Der Wunsch der Länder Hamburg und -Bayern, der Bundesrat möge in der Beratung über das Gesetz zur Reform der Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung den Vermittlungsausschuss anrufen, fand im Bundesrat keine Mehrheit – vielleicht auch, weil die Bundesregierung sich zu der Vorlage verpflichtete, über die wir heute zu diskutieren haben. Wir Grüne haben die Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung, obwohl die von uns eingebrachten gewichtigen Änderungsanträge von der Koalition leider abgelehnt worden sind, im Grundsatz befürwortet. Denn mit der Reform werden wichtige Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. So wird die nachträgliche Sicherungsverwahrung – wenigstens für zukünftige Fälle – abgeschafft, und für den Vollzug gelten endlich die menschenrechtlich notwendigen Vorgaben. Auch wir wollen, dass die Gesetzgebung endlich zu einem -Abschluss kommt und die Länder auf gesicherter Grundlage an die Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung gehen können. Aus diesem Grund stellen wir uns nicht gegen die Erfüllung des im Bundesrat gegebenen Versprechens durch die Bundesregierung. Andererseits sind wir in der Sache entschieden anderer Auffassung. Wir haben schon bei der Reform im Jahre  2010 dafür geworben, mit dem Grundsatz des Rückwirkungsverbots Ernst zu machen, und, aus der Sicht der Betroffenen, Verschlechterungen der Rechtslage nur und ausschließlich für die Zukunft wirken zu lassen. Das galt und gilt sowohl für den Wegfall der Zehnjahresfrist, für den Wegfall von Vergünstigungen für Verurteilte in der früheren DDR als auch für diejenigen, die von den Verschärfungen des Rechts der Sicherungsverwahrung bei Begehung von Sexualdelikten betroffen waren. Die gegenteilige Auffassung, die sich bis in die heutige Vorlage zur Änderung des Einführungs-gesetzes zum Strafgesetzbuch durchzieht, glaubt, jede auftauchende angebliche Schutzlücke durch Nachbesserungen und Sonderregelungen schließen zu müssen. Wer dieser Logik erliegt, für den gibt es auf der Rutschbahn vom Rechtsstaat zum präventiven Sicherheits- und Überwachungsstaat kein Halten. Das Recht der Sicherungsverwahrung kodifiziert Grenzen, jenseits derer eine Sicherungsverwahrung nicht infrage kommt, egal wie gefährlich der jeweilige Rechtsbrecher auch sein mag. Ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit und Streben nach absoluter Sicherheit vertragen sich nicht. Die andauernde Ausweitung der Sicherungsverwahrung in den Jahren ab Anfang 1998, an der alle Regierungen beteiligt waren und die gerade in den Reihen der Union besonders laut und aggressiv gefordert wurde, hat dazu geführt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland Nachhilfe in Rechtsstaatlichkeit und der Beachtung von Menschenrechten erteilen musste. Auch das ThUG, das Therapieunterbringungsgesetz, ist ein solcher Ausdruck fortwährenden Schutz-lückenschließens. Jeder noch so kleine Türspalt, den die Urteile des Bundesverfassungsgerichts öffnen, wird genutzt, um die Sicherungsverwahrung auszuweiten. Das Gericht hat das ThUG bisher noch nicht an den Normen des Grundgesetzes geprüft – 2 BvR 2365/09, Anmerkung 173! Wenn nicht das Bundesverfassungsgericht, dann wird der schon mehrfach erwähnte Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem ThUG vielleicht den Garaus machen. Die für das ThUG zentrale neue -Begrifflichkeit einer psychischen Störung wird von den meisten psychiatrischen Praktikern wie Sachverständigen als eine völlig amorphe und untaugliche Kategorie menschlicher Persönlichkeitsstrukturen bezeichnet, die lediglich dazu dient, mit ihrer Hilfe zukünftig angeblich hochgefährliche Straftäter zu identifizieren. In einem Antrag der SPD hierzu wird mehr als 50 Prozent der heutigen Gefängnispopulation in Deutschland als „psychisch gestört“ bezeichnet. Das Bundesverfassungsgericht hat es zwar nicht für schlichtweg verfassungswidrig angesehen, mit dem Begriff der „psychischen Störung“ im Rahmen von kurzen Übergangsregelungen zu arbeiten, aber muss der Gesetzgeber zu jedem Mittel greifen, das gerade so dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit entkommen ist? Da wir Grünen schon seit Jahren die Abschaffung des ThUG fordern, können wir der jetzt vorgelegten weiteren – wenn auch kleinen und in sich folgerichtigen – Ausweitung des ThUG nicht zustimmen. Weil wir aber der Gesamtreform des Rechts der Sicherungsverwahrung nicht im Wege stehen wollen, werden wir uns in der Abstimmung enthalten. Anlagen 1Anlage 2 2Ergebnis Seite 25681 D 3Anlage 3 4Anlage 4 5Anlage 5 6Anlage 7 7Anlage 6 8Anlage 8 9 Anlage 9 10Anlage 10 11Anlage 13 12Anlage 11 13Anlage 12 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 25866 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25865 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 25930 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25929