Plenarprotokoll 17/214 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 214. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2012 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Dr. Heinz Riesenhuber und Ute Kumpf Wahl des Abgeordneten Dr. Stefan Ruppert als stellvertretendes Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses Absetzung der Tagesordnungspunkte 35 und 46 b Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Nachträgliche Ausschussüberweisungen Tagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 13./14. Dezember 2012 in Brüssel Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin Sigmar Gabriel (SPD) Otto Fricke (FDP) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Dr. Michael Meister (CDU/CSU) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Rainer Stinner (FDP) Dietmar Nietan (SPD) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) Bettina Kudla (CDU/CSU) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Studienfinanzierung sozial gerecht gestalten – Studiengebühren abschaffen und BAföG stärken (Drucksache 17/11823) b) Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Studiengebühren jetzt bundesweit abschaffen (Drucksache 17/11824) c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Neunzehnter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Absatz 2 (Drucksache 17/8498) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) Patrick Meinhardt (FDP) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Monika Grütters (CDU/CSU) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Nicole Gohlke (DIE LINKE) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF Lars Klingbeil (SPD) Tankred Schipanski (CDU/CSU) Michael Kretschmer (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 46: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften (Drucksache 17/11818) c) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Ingrid Hönlinger, Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unseriöses Inkasso eindämmen (Drucksache 17/11837) Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes (Drucksache 17/11369) b) Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Dr. Heinz Riesenhuber, Nadine Schön (St. Wendel), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin), Claudia Bögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Innovation stärken und Lust auf Technik wecken (Drucksache 17/11859) c) Antrag der Abgeordneten Jens Spahn, Dietrich Monstadt, Michael Grosse-Brömer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Jens Ackermann, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Revision der europäischen Medizinprodukte-Richtlinien: Vertrauen wieder herstellen – Patientensicherheit bei Medizinprodukten muss erste Priorität sein (Drucksache 17/11830) d) Antrag der Abgeordneten Petra Crone, Angelika Graf (Rosenheim), Christel Humme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Diskriminierung abbauen – In jedem Alter (Drucksache 17/11831) e) Antrag der Abgeordneten Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die soziale und wirtschaftliche Lage der Kultur- und Kreativschaffenden verbessern (Drucksache 17/11832) f) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Friedensdialog in Kolumbien aktiv unterstützen (Drucksache 17/11839) g) Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU – Lateinamerika: Partnerschaft für eine sozial-ökologische Transformation (Drucksache 17/11838) Tagesordnungspunkt 47: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Auswandererschutzgesetzes (Drucksachen 17/11047, 17/11772) b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlägen für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung und für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts (Drucksachen 17/11050, 17/11888) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Zweite Verordnung zur Änderung der Deponieverordnung (Drucksachen 17/11475, 17/11614 Nr. 2.1, 17/11732) d) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses: zu den Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12 und 2 BvR 1564/12 (Drucksache 17/11799) e)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 499, 500, 501, 502, 503 und 504 zu Petitionen (Drucksachen 17/11679, 17/11680, 17/11681, 17/11682, 17/11683, 17/11684) Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den am 12. September und am 4. Oktober 2001 ausgerufenen NATO-Bündnisfall beenden (Drucksachen 17/11555, 17/11739) b)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 505, 506, 507, 508, 509, 510, 511 und 512 zu Petitionen (Drucksachen 17/11862, 17/11863, 17/11864, 17/11865, 17/11866, 17/11867, 17/11868, 17/11869) Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Geplante Schließung bei Opel Bochum verhindern Sevim Da?delen (DIE LINKE) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Wolfgang Tiefensee (SPD) Pascal Kober (FDP) Alexander Ulrich (DIE LINKE) Thomas Jarzombek (CDU/CSU) Axel Schäfer (Bochum) (SPD) Ernst Hinsken (CDU/CSU) Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zur Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (EMIR-Ausführungsgesetz) (Drucksachen 17/11289, 17/11690, 17/11883) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Carsten Sieling (SPD) Björn Sänger (FDP) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Peter Aumer (CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Raju Sharma, Jan Korte, Sevim Da?delen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Grundrechte der Beschäftigten von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen stärken (Drucksachen 17/5523, 17/10872) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Ottmar Schreiner (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Raju Sharma (DIE LINKE) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Otto Fricke (FDP) Ulrich Lange (CDU/CSU) Kerstin Griese (SPD) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln (Mietrechtsänderungsgesetz – MietRÄndG) (Drucksachen 17/10485, 17/11894) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Soziales Mietrecht erhalten und klimagerecht verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Halina Wawzyniak, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wohnen muss bezahlbar bleiben – zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Ingrid Hönlinger, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mietrechtsnovelle nutzen – Klimafreundlich und bezahlbar wohnen (Drucksachen 17/9559, 17/10776, 17/10120, 17/11894) Stephan Thomae (FDP) Ingo Egloff (SPD) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) Heidrun Bluhm (DIE LINKE) Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gero Storjohann (CDU/CSU) Florian Pronold (SPD) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 45: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie – zu dem Antrag der Abgeordneten Johanna Voß, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbot des Fracking in Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Nicole Maisch, Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland (Drucksachen 17/11328, 17/11213, 17/11712) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Frank Schwabe, Dirk Becker, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen (Drucksache 17/11829) Manfred Todtenhausen (FDP) Frank Schwabe (SPD) Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Frank Schwabe (SPD) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Johanna Voß (DIE LINKE) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Michael Kauch (FDP) Ingrid Remmers (DIE LINKE) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Lars Klingbeil (SPD) Franz Obermeier (CDU/CSU) Namentliche Abstimmungen Ergebnisse Tagesordnungspunkt 11: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Drucksachen 17/11466, 17/11890) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11891) Dr. Rainer Stinner (FDP) Wolfgang Hellmich (SPD) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) Jan van Aken (DIE LINKE) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jürgen Hardt (CDU/CSU) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 12: Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Artikel 45 d des Grundgesetzes (Drucksache 17/11833) Wahl Ergebnis Tagesordnungspunkt 13: Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung (Drucksache 17/11834) Wahl Ergebnis Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten (Drucksache 17/11593) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) Helmut Brandt (CDU/CSU) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Drucksache 17/11685) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMVg Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Philipp Mißfelder (CDU/CSU) Johannes Pflug (SPD) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Düngeverordnung novellieren (Drucksache 17/10115) Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II (Drucksache 17/11822) Peter Altmaier, Bundesminister BMU Ute Vogt (SPD) Angelika Brunkhorst (FDP) Dorothée Menzner (DIE LINKE) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Steuerfreie Risikoausgleichsrücklage für Landwirtschaftsbetriebe ermöglichen (Drucksachen 17/10099, 17/11381) Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (Drucksachen 17/11726, 17/11895) Tagesordnungspunkt 20: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Fritz Kuhn, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neuntes Buch Sozialgesetzbuch im Sinne des Selbstbestimmungsrechts der Menschen mit Behinderung weiterentwickeln (Drucksachen 17/7951, 17/10009) Tagesordnungspunkt 21: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Zulassungsverfahrens für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen (Drucksachen 17/10960, 17/11887) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Einsatz privater Sicherheitsdienste im Kampf gegen Piraterie zertifizieren und kontrollieren (Drucksachen 17/9403, 17/11887) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Private Sicherheitsfirmen umfassend regulieren und zertifizieren (Drucksachen 17/7640, 17/8972) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Internationale Ächtung des Söldnerwesens und Verbot privater militärischer Dienstleistungen aus Deutschland (Drucksachen 17/4673, 17/5549) Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Nadine Schön (St. Wendel), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Miriam Gruß, Nicole Bracht-Bendt, Florian Bernschneider, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Geschlechtergerechtigkeit im Lebensverlauf – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Christel Humme, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zeit zwischen den Geschlechtern gerecht verteilen – Partnerschaftlichkeit stärken – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Erster Gleichstellungsbericht; Neue Wege – Gleiche Chancen; Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf (Drucksachen 17/8879, 17/6466, 17/6240, 17/11761) Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Tourismus zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Gabriele Fograscher, Kerstin Griese, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Mehr Unterstützung für Initiativen gegen Rechts in der Gastwirtschaft (Drucksachen 17/9577, 17/11808) Ingbert Liebing (CDU/CSU) Heinz Paula (SPD) Jens Ackermann (FDP) Kornelia Möller (DIE LINKE) Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 24: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes (Drucksachen 17/10572, 17/11811) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Renate Künast, Bärbel Höhn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Tierschutzgesetzes (TierSchGNeuregG) (Drucksachen 17/9783, 17/11811) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes 2011 (Tierschutzbericht 2011) (Drucksachen 17/6826, 17/11811) Dieter Stier (CDU/CSU) Heinz Paula (SPD) Hans-Michael Goldmann (FDP) Alexander Süßmair (DIE LINKE) Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Johannes Röring (CDU/CSU) Namentliche Abstimmungen Ergebnisse Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unabhängigkeit der Stiftung Datenschutz sicherstellen (Drucksache 17/11825) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Gerold Reichenbach (SPD) Gisela Piltz (FDP) Jan Korte (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Seehandelsrechts (Drucksachen 17/10309, 17/11884) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) Ingo Egloff (SPD) Marco Buschmann (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jens Petermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Berichts- und Zustimmungspflicht für Amtshilfe- und Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Inneren (Drucksachen 17/4884, 17/11214) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) Fritz Rudolf Körper (SPD) Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts (Drucksachen 17/10492, 17/11885) Ute Granold (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Stephan Thomae (FDP) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Partizipation an forschungsrelevanten Entscheidungen verbessern (Drucksache 17/11687) Florian Hahn (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 30: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesbericht Forschung und Innovation 2012 (Drucksache 17/9680) b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit 2012 (Drucksache 17/8872) c) Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Starke Fachhochschulen für Innovationen in Gesellschaft und Wirtschaft (Drucksache 17/9574) d) Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Deutschen Innovationsfonds einrichten – Gravierende Förderlücke im deutschen Innovationssystem endlich schließen (Drucksache 17/11826) e) Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Dr. Martina Bunge, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Soziale Innovationen und Dienstleistungsinnovationen erforschen und fördern (Drucksache 17/8952) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Abgeordneten Kirsten Lühmann, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Fahrerlaubnis für Trikes – Gestaltungsspielraum der EU-Richtlinie nutzen (Drucksache 17/11827) Gero Storjohann (CDU/CSU) Kirsten Lühmann (SPD) Oliver Luksic (FDP) Thomas Lutze (DIE LINKE) Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Hans-Peter Uhl, Stephan Mayer (Altötting), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Stefan Ruppert, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) – KOM(2012) 11 endg.; Ratsdok. 5853/12; hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes – zu dem Antrag der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Michael Hartmann (Wackernheim), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Europäische Harmonisierung im Datenschutz auf hohem Niveau sicherstellen; hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU-Datenschutzreform unterstützen (Drucksachen 17/11325, 17/11144, 17/9166, 17/11810) Tagesordnungspunkt 33: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sofortige humanitäre Hilfe für Syrien leisten – Diplomatische Verhandlungslösung für den Konflikt fördern (Drucksache 17/11697) Joachim Hörster (CDU/CSU) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) Günter Gloser (SPD) Bijan Djir-Sarai (FDP) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters sowie zur Änderung weiterer Vorschriften (Drucksache 17/11689) Lothar Riebsamen (CDU/CSU) Mechthild Rawert (SPD) Jens Ackermann (FDP) Kathrin Vogler (DIE LINKE) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 38: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, Stephan Kühn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren (Drucksachen 17/6502, 17/8387) Ulrich Lange (CDU/CSU) Johannes Röring (CDU/CSU) Hans-Joachim Hacker (SPD) Petra Müller (Aachen) (FDP) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 36: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (Verordnung zu abschaltbaren Lasten) (Drucksachen 17/11671, 17/11744 Nr. 2, 17/11886) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Klaus Breil (FDP) Dorothée Menzner (DIE LINKE) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen – KOM(2012) 617 endg.; Ratsdok. 15865/12; hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) (Drucksachen 17/11617 Nr. A.9, 17/11882) Tagesordnungspunkt 37: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Dr. Lukrezia Jochimsen, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern (Drucksache 17/11040) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Siegmund Ehrmann (SPD) Stephan Thomae (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 39: Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Christine Buchholz, Inge Höger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Angriffskrieg verfassungs- und völkerrechtskonform unter Strafe stellen (Drucksache 17/11698) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD) Jörg van Essen (FDP) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 40: Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Das System der Verwertungsgesellschaften grundlegend modernisieren (Drucksache 17/11043) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Burkhard Lischka (SPD) Stephan Thomae (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an den Wahlen eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Art. 45 d des Grundgesetzes sowie eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung teilgenommen haben (Tagesordnungspunkte 12 und 13) Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Sammelübersicht 502 zu Petitionen (Tagesordnungspunkt 47 h) Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln (Mietrechtsänderungsgesetz – MietRÄndG) (Tagesordnungspunkt 9 a) Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) Frank Schäffler (FDP) Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zu den Abstimmungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 5) Norbert Brackmann (CDU/CSU) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) Rudolf Henke (CDU/CSU) Christian Hirte (CDU/CSU) Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) Günter Lach (CDU/CSU) Ingbert Liebing (CDU/CSU) Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) Karl Schiewerling (CDU/CSU) Tankred Schipanski (CDU/CSU) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gitta Connemann und Hans-Werner Kammer (beide CDU/CSU) zu den Abstimmungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 5) Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Andreas Jung (Konstanz) und Lothar Riebsamen (beide CDU/CSU) zu den Abstimmungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 5) Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Maria Flachsbarth, Enak Ferlemann, Michael Grosse-Brömer, Ewa Klamt, Axel Knoerig, Rita Pawelski und Eckhard Pols (alle CDU/CSU) zu den Abstimmungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 5) Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Ansgar Heveling, Hubert Hüppe, Beatrix Philipp, Ruprecht Polenz, Jens Spahn und Lena Strothmann (alle CDU/CSU) zu den Abstimmungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 5) Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach, Erich G. Fritz, Dieter Jasper, Steffen Kampeter, Dr. Günter Krings, Philipp Mißfelder, Michaela Noll, Reinhold Sendker und Sabine Weiss (Wesel I) (alle CDU/CSU) zu den Abstimmungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 5) Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Düngeverordnung novellieren (Tagesordnungspunkt 16) Alois Gerig (CDU/CSU) Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Alexander Süßmair (DIE LINKE) Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Steuerfreie Risikoausgleichsrücklage für Landwirtschaftsbetriebe ermöglichen (Tagesordnungspunkt 18) Norbert Schindler (CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 19) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Burkhard Lischka (SPD) Jörg van Essen (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Neuntes Buch Sozialgesetzbuch im Sinne des Selbstbestimmungsrechts der Menschen mit Behinderung weiterentwickeln (Tagesordnungspunkt 20) Maria Michalk (CDU/CSU) Hubert Hüppe (CDU/CSU) Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Gabriele Molitor (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Zulassungsverfahrens für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Einsatz privater Sicherheitsdienste im Kampf gegen Piraterie zertifizieren und kontrollieren – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Private Sicherheitsfirmen umfassend regulieren und zertifizieren – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Internationale Ächtung des Söldnerwesens und Verbot privater militärischer Dienstleistungen aus Deutschland (Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c und Zusatztagesordnungspunkt 6) Uwe Beckmeyer (SPD) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Geschlechtergerechtigkeit im Lebensverlauf – Zeit zwischen den Geschlechtern gerecht verteilen – Partnerschaftlichkeit stärken – Unterrichtung: Erster Gleichstellungsbericht; Neue Wege – Gleiche Chancen; Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf (Tagesordnungspunkt 22) Dorothee Bär (CDU/CSU) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) Christel Humme (SPD) Nicole Bracht-Bendt (FDP) Heidrun Dittrich (DIE LINKE) Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) – KOM(2012) 11 endg.; Ratsdok. 5853/12 – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes – Europäische Harmonisierung im Datenschutz auf hohem Niveau sicherstellen – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – EU-Datenschutzreform unterstützen (Tagesordnungspunkt 32) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Gerold Reichenbach (SPD) Gisela Piltz (FDP) Jan Korte (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen – KOM(2012) 617 end.; Ratsdok. 15865/12 – hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) (Zusatztagesordnungspunkt 7) Max Straubinger (CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Anton Schaaf (SPD) Pascal Kober (FDP) Jutta Krellmann (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Inhaltsverzeichnis 214. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2012 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Guten Morgen, Herr Präsident!) Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und teile Ihnen vor Eintritt in die Tagesordnung mit, dass der Kollege Dr. Heinz Riesenhuber am 1. Dezember seinen 77. Geburtstag gefeiert hat und die Kollegin Ute Kumpf am 4. Dezember ihren 65. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses beiden herzliche Gratulation und alle guten Wünsche für die Zukunft! (Beifall) Da wir gerade bei den denkwürdigen Ereignissen sind, möchte ich auch daran erinnern, dass heute auf den Tag vor 40 Jahren, am 13. Dezember 1972, die 7. Legislaturperiode eröffnet wurde und damals mit Annemarie Renger zum ersten Mal eine Frau zur Präsidentin des deutschen Parlaments gewählt wurde. (Beifall) Der einzige Abgeordnete, der an dieser Konstituierung des 7. Deutschen Bundestages bereits teilgenommen hat und immer noch dem Deutschen Bundestag angehört, ist Wolfgang Schäuble, der deswegen heute ein denkwürdiges Parlamentsdienstjubiläum begeht und dem wir auf diesem Wege noch einmal unseren Respekt und unsere Gratulation übermitteln können. (Beifall) Wir müssen noch eine Wahl durchführen, bevor ich den Tagesordnungspunkt 5 aufrufe. Die FDP-Fraktion schlägt vor, für den aus dem Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 53 a des Grundgesetzes ausscheidenden Kollegen Christian Ahrendt den Kollegen Dr. Stefan Ruppert als stellvertretendes Mitglied zu wählen. Können Sie sich mit diesem Vorschlag anfreunden? – Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist der Kollege Stefan Ruppert als stellvertretendes Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 35 und 46 b abzusetzen und die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Panzerlieferungen an Saudi-Arabien – Rüstungsexportentscheidungen der Bundesregierung und Vereinbarkeit mit den geltenden Regeln (siehe 213. Sitzung) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 46 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes – Drucksache 17/11369 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Dr. Heinz Riesenhuber, Nadine Schön (St. Wendel), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin), Claudia Bögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Innovation stärken und Lust auf Technik wecken – Drucksache 17/11859 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Spahn, Dietrich Monstadt, Michael Grosse-Brömer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Jens Ackermann, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Revision der europäischen Medizinprodukte-Richtlinien: Vertrauen wieder herstellen – Patientensicherheit bei Medizinprodukten muss erste Priorität sein – Drucksache 17/11830 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Crone, Angelika Graf (Rosenheim), Christel Humme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Diskriminierung abbauen – In jedem Alter – Drucksache 17/11831 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die soziale und wirtschaftliche Lage der Kultur- und Kreativschaffenden verbessern – Drucksache 17/11832 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Friedensdialog in Kolumbien aktiv unterstützen – Drucksache 17/11839 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU – Lateinamerika: Partnerschaft für eine sozial-ökologische Transformation – Drucksache 17/11838 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache Ergänzung zu TOP 47 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den am 12. September und am 4. Oktober 2001 ausgerufenen NATO-Bündnisfall beenden – Drucksachen 17/11555, 17/11739 – Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Dr. Rolf Mützenich Dr. Rainer Stinner Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller (Köln) b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 505 zu Petitionen – Drucksache 17/11862 – c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 506 zu Petitionen – Drucksache 17/11863 – d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 507 zu Petitionen – Drucksache 17/11864 – e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 508 zu Petitionen – Drucksache 17/11865 – f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 509 zu Petitionen – Drucksache 17/11866 – g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 510 zu Petitionen – Drucksache 17/11867 – h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 511 zu Petitionen – Drucksache 17/11868 – i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 512 zu Petitionen – Drucksache 17/11869 – ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Geplante Schließung bei Opel Bochum verhindern ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Schwabe, Dirk Becker, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen – Drucksache 17/11829 – ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Internationale Ächtung des Söldnerwesens und Verbot privater militärischer Dienstleistungen aus Deutschland – Drucksachen 17/4673, 17/5549 – Berichterstattung: Abgeordnete Roderich Kiesewetter Dr. Rolf Mützenich Bijan Djir-Sarai Jan van Aken Hans-Christian Ströbele ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen KOM(2012) 617 endg.; Ratsdok. 15865/12 hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) – Drucksachen 17/11617 Nr. A.9, 17/11882 – Berichterstattung: Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen) ZP 8 Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Dr. Dagmar Enkelmann, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes – Drucksache 17/11821 – ZP 9 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verantwortung der Bundesregierung angesichts der Kostenexplosion bei Infrastrukturgroßprojekten S 21 und BER Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Anstelle des abgesetzten Tagesordnungspunktes 35 wird der Tagesordnungspunkt 38 aufgerufen. Im Übrigen werden die Tagesordnungspunkte 10 und 45 getauscht. Schließlich mache ich noch auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam: Der am 29. November 2012 (211. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Gesundheit (14. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung – Drucksache 17/11126 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Gesundheit Der am 29. November 2012 (211. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte – Drucksache 17/11268 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Der am 29. November 2012 (211. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts – Drucksache 17/11468 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Die am 29. November 2012 (211. Sitzung) überwiesene nachfolgende Unterrichtung soll zusätzlich dem Innenausschuss (4. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Unterrichtung durch die Bundesregierung Raumordnungsbericht 2011 – Drucksache 17/8360 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Die am 23. November 2012 überwiesene nachfolgende Unterrichtung soll nunmehr nicht mehr dem Haushaltsausschuss (8. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2014 (Neunter Existenzminimumbericht) – Drucksache 17/11425 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die am 23. November 2012 überwiesene nachfolgende Unterrichtung soll nunmehr nicht mehr dem Haushaltsausschuss (8. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Tätigkeit der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft im Jahr 2011 – Drucksache 17/11435 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Tourismus Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Dazu stelle ich keinen Widerspruch fest. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 13./14. Dezember 2012 in Brüssel Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. – Auch das ist offensichtlich einvernehmlich. Dann darf ich das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung der Bundeskanzlerin erteilen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Am Montag dieser Woche hat die Europäische Union den Friedensnobelpreis erhalten. Mit dieser Entscheidung mahnt uns das Nobelpreiskomitee, wieder das in den Mittelpunkt zu rücken, was in der gegenwärtigen Krise wirklich entscheidend ist: Europa als Ort des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands zu bewahren. Das dürfen wir bei allem, was wir gegenwärtig zu tun haben, nie vergessen; das muss uns bei allen Entscheidungen, die wir zu treffen haben, immer leiten. Der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, hat in Oslo in seiner Rede im Namen der anwesenden Präsidenten und Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union gesagt – ich zitiere ihn –: Wir alle arbeiten dafür, unseren Kindern und deren Kindern ein besseres Europa zu hinterlassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Genau darum muss es bei unseren Mühen und Anstrengungen gehen. In diesem Sinne verpflichtet der Nobelpreis unsere politische Generation dazu, gemeinsam dafür zu sorgen, dass Europa sein großes Friedens- und Wohlstandsversprechen auch in Zukunft halten kann. Das gelingt nur durch abgestimmte, durch gemeinsame Anstrengungen. Nur so können wir unser europäisches Modell der sozialen Marktwirtschaft, das wirtschaftlichen Erfolg und soziale Verantwortung verbindet, auch in der Welt des 21. Jahrhunderts behaupten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dafür müssen wir, die Mitgliedstaaten und die Organe der Europäischen Union, angesichts einer sich verändernden Welt selber Mut zu Veränderungen haben. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Stärken unserer Union neu entfalten können: die Freiheit, die Dynamik und der Wohlstand, die uns die Europäische Union im Innern bieten kann; die Durchsetzungskraft und die Geltung, die uns die Europäische Union nach außen verschafft. Es ist deshalb gut, dass der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, vorgeschlagen hat, den Europäischen Rat im Dezember 2013, also in einem Jahr, den Fragen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu widmen; dies wollen wir auf dem Rat heute und morgen beraten. Entscheidend ist für uns dabei die Stärkung des umfassenden Ansatzes der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, also der zivilen und militärischen Instrumente, die wir im europäischen Krisenmanagement gemeinsam einsetzen. Hierin liegt unbestreitbar ein großer Vorteil der Europäischen Union im Vergleich mit anderen internationalen Akteuren. Wenn wir daran denken, wie sich dieser umfassende Ansatz auch in unserem Herangehen an viele Konflikte inklusive des Afghanistan-Konfliktes bewährt hat, dann wissen wir, dass wir mit unserer europäischen Perspektive etwas Wichtiges einbringen können. Die Europäische Union wird natürlich gleichzeitig auch stabiler Pfeiler innerhalb der transatlantischen Sicherheitsarchitektur sein. Wie jedes Jahr im Dezember wird sich der Europäische Rat darüber hinaus auch mit der Erweiterungspolitik befassen. Voraussichtlich im Juli nächsten Jahres können wir Kroatien als 28. Mitglied der Europäischen Union begrüßen. Aber wir werden zum jetzigen Zeitpunkt – das ist von den Außenministern vorbereitet worden – keine Entscheidung zum Beginn von Beitrittsverhandlungen mit weiteren Ländern treffen. Dafür ist die Zeit nach unserer Auffassung nicht reif. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat sich etwas geändert: Bei Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit schauen wir heute genauer hin, als wir es früher getan haben. Genauso prüfen wir auch bei den Erweiterungskandidaten sorgfältiger als früher, ob diese wirklich den Anforderungen genügen, die die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Fernziel einer EU-Mitgliedschaft mit sich bringt. Ich glaube, das ist richtig so; das ist unverzichtbar, damit wir unsere Werte und Standards in Europa wirklich leben können. Meine Damen und Herren, die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Erweiterungspolitik sind für Europas Durchsetzungskraft und Geltung nach außen ohne Zweifel von großer Bedeutung, und doch wissen wir, dass sich die Augen aller Beobachter des heute beginnenden Rats der Staats- und Regierungschefs einmal mehr vor allen Dingen auf die Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise richten. Dabei müssen wir, ebenfalls einmal mehr, feststellen: Der Weg zu einem Europa der Stabilität und der Stärke ist und bleibt langwierig und anstrengend, aber er ist und bleibt auch unverzichtbar. Die Größe der Herausforderung sollte dennoch nicht den Blick für das verstellen, was wir in den vergangenen Jahren und gerade auch in diesem Jahr 2012 bereits erreicht haben. Erstens. Wir haben heute einen permanenten europäischen Stabilitätsmechanismus, mit dem wir Gefahren für die Euro-Zone abwehren können. Zweitens. Wir haben einen Fiskalvertrag, mit dem wir die Grundlage für solides Haushalten verbessert haben. Drittens. Das Staatsdefizit in der Euro-Zone hat sich seit 2009/2010 halbiert. Viertens. Im Bankenbereich werden wichtige Lehren aus der Finanzmarktkrise gezogen und zahlreiche Tätigkeitsfelder neu oder verschärft reguliert. Deutschland ist in diesem Zusammenhang übrigens an vielen Stellen Vorreiter. Ich erinnere nur an das Verbot der Leerverkäufe, was heute auf europäischer Ebene reguliert ist. Und ich erinnere daran, dass wir jetzt auch beim Hochfrequenzhandel Vorreiter sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es ist gar nicht hoch genug einzuschätzen, dass sich die Finanzminister der Euro-Zone heute Nacht auf einen rechtlichen Rahmen und die Grundzüge eines gemeinsamen Aufsichtsmechanismus für Banken geeinigt haben. Dies muss in den kommenden Monaten natürlich umgesetzt werden, damit die Bankenaufsicht am 1. März 2014 ihre Arbeit aufnehmen kann. Die Aufsicht wird dann, sobald sie funktionsfähig ist, Fehlentwicklungen im nationalen Bankensektor frühzeitig aufdecken und korrigieren können, bevor Gefahren für die gesamte Euro-Zone entstehen. Ich möchte Wolfgang Schäuble, der jetzt noch bei der Euro-Gruppe ist, ganz herzlich dafür danken, dass es gelungen ist, Kernforderungen Deutschlands wirklich durchzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir werden eine klare Trennung von geldpolitischer Verantwortung der Europäischen Zentralbank und Aufsicht haben. Wir werden die Aufsicht auf die systemrelevanten Banken beschränken; das bedeutet: Banken, deren Bilanzsumme größer als 30 Milliarden Euro ist oder die mehr als 20 Prozent der Wirtschaftskraft eines Landes ausmachen. Wir haben ebenfalls erreicht, dass die Aufsicht, wenn sie entsprechende Indizien hat, über diese systemrelevanten Banken hinaus eingreifen kann, aber immer nur als Ganzes. Es gibt keine getrennte Verantwortlichkeit, sondern klar ist: entweder nationale Aufsicht oder europäische Aufsicht. Fünftens. Ebenfalls einen Schritt weitergekommen sind wir bei der Einführung der Finanztransaktionsteuer. Das Europäische Parlament hat gestern zugestimmt, dass elf Mitgliedstaaten die Entwicklung einer Finanztransaktionsteuer in verstärkter Zusammenarbeit angehen können. Damit ist eine weitere Hürde auf dem Weg zur Einführung einer solchen Finanztransaktionsteuer genommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sechstens. Alle Mitgliedstaaten bekennen sich zu solidem Haushalten und Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit. Ich weiß, dass dies in einigen von der Krise besonders betroffenen Mitgliedstaaten den Bürgerinnen und Bürgern viel abverlangt, doch die Mühe ist nicht umsonst. Sie lohnt sich; die Reformen zeigen erste Erfolge, sie zeigen Wirkung. So gehen die Defizite in den Leistungsbilanzen erkennbar zurück. In Irland ist das Defizit bereits abgebaut. Die Lohnstückkosten sind spürbar gesunken; das gilt ebenso für Portugal und Spanien, aber auch für Griechenland. Es ist mir auch heute wieder wichtig, zu betonen, dass die Bemühungen der griechischen Regierung, jetzt das Land zu reformieren, moderne Strukturen zu schaffen und damit die Grundlagen für die Zukunft zu legen, unsere Unterstützung verdienen. Auf diesen Grundlagen wird es möglich sein, wieder Wachstum zu bekommen und damit eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage und der Lebensverhältnisse der Menschen zu erreichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das umgesetzte Rückkaufprogramm von Staatsanleihen hat einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Schuldentragfähigkeit geleistet. Ich bin dem Haushaltsausschuss dankbar, dass gestern die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, dass die nächsten Tranchen ausgezahlt werden können. Deutschland hat damit den Weg freigemacht. Ich hoffe, dass die Euro-Gruppe diese Auszahlung heute beschließen kann. Wer sich mit den Verhältnissen in Griechenland befasst, weiß, dass es sowohl dringend notwendig ist, dass der Staat seine ausstehenden Rechnungen bezahlen kann, als auch, dass die Banken rekapitalisiert werden, damit sie wieder Kredite an die Wirtschaft geben können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damit zeigt sich einmal mehr: Dem konsequenten Reformkurs der Mitgliedstaaten für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Konsolidierung der Haushalte steht auf der anderen Seite die Solidarität Europas gegenüber. Auf dieser Grundlage konnte das in diesem Hohen Hause schon im Juli beschlossene Rekapitalisierungsprogramm für spanische Banken in den ersten Schritten umgesetzt werden. Die erste Tranche ist ausgezahlt. All unseren Maßnahmen und Entscheidungen liegt die Überzeugung zugrunde, dass alles, was wir zur Unterstützung einzelner Mitgliedstaaten unternehmen, der ganzen Euro-Zone und damit auch dem deutschen Interesse dient. All unsere Maßnahmen und Entscheidungen folgen darüber hinaus der Überzeugung, dass Konsolidierung eine notwendige Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum ist. Wir wollen neues Wachstum. Wir wollen vor allen Dingen mehr Beschäftigung auf der Grundlage solider Haushalte erzielen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Frage, die wir immer wieder diskutieren müssen, ist: Wie entsteht Wachstum? Dabei dürfen wir nicht außer Acht lassen: Wachstum entsteht vor allem aus unternehmerischer Tätigkeit. Unternehmerische Tätigkeit entsteht aus Freiheit und der notwendigen Flexibilität. Hierfür müssen wir alle in Europa arbeiten. Eine Möglichkeit für neues Wachstum ist natürlich – das ist gerade einer der großen Vorteile Europas –, den Binnenmarkt energisch fortzuentwickeln. Auch hierüber werden wir heute und morgen beim Europäischen Rat sprechen. Wir haben im Juni dem Fiskalvertrag aus genau diesem Grunde einen Pakt für Wachstum und Beschäftigung an die Seite gestellt. Er umfasst Bemühungen der Mitgliedstaaten, eine Mobilisierung europäischer Mittel und Rechtssetzungsvorschläge für eine Verbesserung des Binnenmarktes. Vielleicht nicht für jedermann im Vordergrund steht, dass wir im Augenblick 30 solcher Rechtssetzungsvorschläge zur Stärkung des Binnenmarktes umsetzen. Dabei geht es um das europäische Patentrecht – die Diskussion darüber nähert sich ihrem Abschluss; diese Diskussion hat länger als eine Dekade gedauert –, dabei geht es um so etwas Interessantes wie die elektronische Signatur – damit sind wir in Deutschland eher nicht so gut vorangekommen; mal sehen, was uns Europa da für Wege eröffnet –, dabei geht es um ein vernünftiges europäisches Vergaberecht und viele andere Dinge, die in der Summe die Vorteile des Binnenmarktes besser zum Ausdruck bringen. Deshalb müssen diese gesetzgeberischen Maßnahmen schnell umgesetzt werden. Um Impulse für nachhaltiges Wachstum zu setzen, wurden in den vergangenen zwölf Monaten circa 10 Milliarden Euro in den Strukturfonds umgeschichtet, zum Beispiel für Lohnzuschüsse und berufliche Bildung, vor allen Dingen in den acht Mitgliedstaaten mit der höchsten Jugendarbeitslosigkeit. Die Kommission sagt uns, dass 660 000 junge Menschen davon profitiert haben. Wir haben das Kapital der Europäischen Investitionsbank aufgestockt. Damit können wir auch kleinere und mittlere Unternehmen in den Ländern, in denen Wachstum gebraucht wird, stärken. Der Abbau der Jugendarbeitslosigkeit ist zentrales Thema für die Entwicklung der Europäischen Union; denn alle jungen Menschen in Europa brauchen eine Perspektive, sie brauchen Chancen für Ausbildung und Beschäftigung. Die Bundesbildungsministerin hat gerade mit einigen dieser Staaten und der Kommission eine Konferenz durchgeführt. Wir können mit unserem dualen Ausbildungssystem wirklich hilfreich sein. Das wird natürlich ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen. Wir müssen schnell wirkende Maßnahmen kombinieren mit dem Aufbau eines dualen Berufsbildungssystems; das ist die Zukunft für Europa. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Erfolge gerade dieses Jahres 2012 zeigen: Wir sind ein gutes Stück vorangekommen auf dem Weg zu einem Europa der Stabilität und Stärke. Aber wir dürfen uns mit dem Erreichten nicht zufriedengeben. Es bleibt noch sehr viel zu tun, um das Vertrauen in die Europäische Union als Ganzes zurückzugewinnen (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sprechblasen!) und die Zukunft Europas nachhaltig zu sichern. Ich habe deshalb bereits im Oktober hier klargemacht: Wir dürfen nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Anstatt uns jetzt zurückzulehnen, müssen wir vielmehr auf allen Ebenen Schritt für Schritt dafür sorgen, dass sich die Stärken Europas auch wirklich entfalten können. Genau in diesem Geiste wird sich der Europäische Rat heute und morgen mit der Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion beschäftigen. Herman Van Rompuy hat in Absprache mit dem Präsidenten der Kommission, der Euro-Gruppe und der EZB ein Hintergrunddokument vorgelegt, das auf seinen Vorarbeiten von Juni und Oktober aufbaut. Ich sage deshalb „Hintergrunddokument“, weil dieses Dokument nicht Teil der Beschlussfassung ist. Es dient als Anregung für unsere Diskussionen heute und morgen. Für mich steht bei unseren Gesprächen allerdings nicht im Vordergrund, was wir irgendwann in einer fernen Zukunft machen wollen, sondern ich glaube, dass das im Vordergrund stehen muss, was wir in den nächsten ein, zwei, drei Jahren wirklich schaffen müssen, um die Wirtschafts- und Währungsunion dauerhaft zu stabilisieren. Neben mehr Regulierung der Finanzmärkte, einer besseren Bankenaufsicht und fiskalischer Zusammenarbeit gibt es dabei gerade auch vor dem Hintergrund der Konkurrenz weltweit eine Schlüsselfrage: Das ist die Wettbewerbsfähigkeit. Nur mit ihr können wir Wachstum und Beschäftigung dauerhaft zurückgewinnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) 90 Prozent des weltweiten Wachstums finden außerhalb Europas statt. Wir müssen exportfähig sein. Wir müssen unsere Produkte verkaufen können. Das geht nur, wenn wir wettbewerbsfähig sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dort, wo wir in der Vergangenheit Wettbewerbsvorteile vertan haben, müssen wir sie jetzt früher und entschlossener erkennen und nutzen. Dort, wo Änderungsbedarf festgestellt wurde, müssen jetzt Reformen stattfinden. Wenn wir die Augen davor verschließen, werden wir den Wohlstand für die Zukunft nicht sichern können. Denn es war die Abnahme der Wettbewerbsfähigkeit in einigen Mitgliedstaaten, die wesentlich dazu geführt hat, dass diese Länder in Not und schließlich die Euro-Zone als Ganzes in Gefahr geraten ist. Deshalb ist eine Politik, die auf allen Ebenen vor allem durch Strukturreformen zu mehr Wettbewerbsfähigkeit führt, die richtige Antwort auf die tiefe Krise, in die Europa geraten ist. Die christlich-liberale Bundesregierung will ein starkes, ein wettbewerbsfähiges Europa. Die christlich-liberale Bundesregierung will, dass das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell erfolgreich bleibt, auch und gerade mit Blick auf den globalen Wettbewerb. Deshalb ist es eine gute Initiative, dass der Bundeswirtschaftsminister zusammen mit vier anderen Wirtschaftsministern an die Kommission geschrieben und gesagt hat: Wir müssen auch die Industriepolitik und die industrielle Produktion in Europa wieder kräftigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir können nicht allein vom Dienstleistungssektor leben. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist der Westerwelle jetzt auch überzeugt?) Wir brauchen industrielle Fertigung. Wenn man sich einmal anschaut, wie in einigen Ländern die Industrieproduktion in den letzten Jahren zurückgegangen ist und die Exportfähigkeit abgenommen hat, dann sieht man ein: Das ist natürlich ein Alarmsignal. Bisher gibt es in der Währungsunion keine Möglichkeiten, die notwendige Ausrichtung nationalen Handelns auf die Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit als Grundlage für dauerhaftes Wachstum und Beschäftigung immer wieder einzufordern und notfalls auch durchzusetzen. Deshalb stehen wir bei der zwingend notwendigen Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung ganz am Anfang. Es gibt bisher dafür keinerlei Mechanismen, obwohl bereits Jacques Delors vor Einführung des Euro darauf hingewiesen hat, dass ohne wirtschaftspolitische Koordinierung in der Euro-Zone der Euro in Schwierigkeiten geraten kann. Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir alles dafür tun müssen, in den Politikfeldern, die für das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion von grundlegender Bedeutung sind, besser zu werden. Denn der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit eines einzelnen Mitgliedstaates wird wieder sehr schnell zum Problem für alle. Deshalb setzen wir uns und ich mich dafür ein, ein neues, gestuftes und differenziertes Verfahren zu bekommen, in dessen Rahmen die Mitgliedstaaten mit Zustimmung ihrer Parlamente – natürlich brauchen wir die demokratische Legitimation – rechtsverbindliche und durchsetzbare Reformvereinbarungen mit der europäischen Ebene schließen. Wenn solche Reformvereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten und der europäischen Ebene funktionieren sollen, müssen wir natürlich Wege und Verfahren finden, um Fehlentwicklungen früher aufzudecken; denn die existierenden Verfahren setzen zu spät an. Auch die Ungleichgewichteverfahren, die wir jetzt im sogenannten Six-Pack haben, setzen viel zu spät an. Denn mit diesen Verfahren ist nicht erkannt worden, dass Spanien einen Rekapitalisierungsbedarf im Bankensektor haben wird. Es ist nicht erkannt worden, welche Schwierigkeiten Zypern hat. Kein einziges Mitgliedsland ist in einem solchen Ungleichgewichteverfahren, obwohl erkennbar mit der Wettbewerbsfähigkeit und der wirtschaftlichen Kraft vieles nicht in Ordnung ist. Zur Einführung solcher vertraglichen Vereinbarungen müssen wir Klarheit darüber haben, welche Politikbereiche essenziell für den Erfolg der Wirtschafts- und Währungsunion insgesamt sind. Wir werden entscheiden müssen, wie wir denn das Entstehen von solchen Fehlentwicklungen überhaupt messen wollen. Das ist ja spannend, und es umfasst natürlich viele Bereiche, die heute in nationaler Kompetenz liegen. Deshalb habe ich bereits vor Monaten gesagt: Ich kann mir vorstellen, konkrete Reformmaßnahmen, die zu mehr Wettbewerbsfähigkeit führen, durch gezielte, befristete und begrenzte finanzielle Anreize auch solidarisch zu unterstützen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Transferunion! Das ist Transferunion!) Aber, meine Damen und Herren, weil ich manche Reflexe schon ahne, ergänze ich: Dies sollte nicht missverstanden werden. Nur ein paar Verbesserungen an bestehenden Verfahren, gleichsam als Vorwand für das Erschließen umfassender neuer Geldquellen, sind mit Deutschland nicht zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Automatisierten Stabilisierungsmechanismen zum Ausgleich von Ungleichgewichten oder zur Abfederung externer Schocks, die im Übrigen nur schlecht verkleidete Dauertransfers wären, stimmt die christlich-liberale Bundesregierung nicht zu. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es bleibt dabei: Deutschland lehnt die dauerhafte Vergemeinschaftung von Schulden – in welcher Form auch immer – ab. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie machen das doch!) Denn mit diesen Konzepten von gestern werden wir die Krise von heute nicht lösen und die Herausforderungen von morgen mit Sicherheit nicht bestehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb sage ich: Besinnen wir uns stattdessen lieber auf die Stärken unseres europäischen Modells der sozialen Marktwirtschaft! Sorgen wir dafür, dass es Freiraum für Unternehmertum in Europa gibt! Tun wir alles dafür, damit Menschen in Europa Ideen entwickeln, sie in hochwertige Produkte umsetzen und diese verkaufen können – in Europa und außerhalb. Ich möchte deshalb erreichen, dass wir heute und morgen konkrete weitere Schritte verabreden, wie wir genau zu diesem Mehr an Wettbewerbsfähigkeit kommen. Als unmittelbar nächsten Schritt sollten wir dazu den Sachverstand der Europäischen Kommission genauso wie den Sachverstand anderer Organisationen – zum Beispiel der OECD oder des IWF – mit einschlägiger Expertise einbeziehen, um die Indikatoren, die Politikbereiche zu identifizieren, die für das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion entscheidend sind. Gleichzeitig sollten wir Wege prüfen, wie die Koordinierung verbessert und verbindlicher gestaltet werden kann. Wir sollten alle Treffen des Europäischen Rates im ersten Halbjahr 2013 nutzen, um genau diese wirtschaftspolitische Koordinierung konkret und dauerhaft auszugestalten. Wenn wir für einen solchen Prozess heute und morgen einen Fahrplan vereinbaren könnten, dann wäre dies für mich ein gutes Ergebnis des Europäischen Rates. Am Ende dieses Prozesses sind weitreichende Festlegungen zu treffen. Dazu müssen alle Mitgliedstaaten in einem transparenten Verfahren konsultiert werden, und alle Staats- und Regierungschefs müssen sich mit ihren Parlamenten beraten. Es ist ganz wichtig, dass wir die nächsten Schritte so aufbauen, dass die Mitgliedstaaten eingebunden sind und dass wir als die Vertreter der Regierung mit Ihnen als den Vertretern des demokratisch legitimierten Parlaments genau diese Dinge besprechen; denn das wird für lange Zeit die Grundlage unserer Kooperation sein. Diese Reihenfolge ist absolut wichtig; denn nur so werden die vereinbarten Maßnahmen die nötige Kraft und die nötige Wirkung entfalten – die Kraft und Wirkung, die zur Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion zwingend erforderlich sind. Sie sind zwingend erforderlich, weil wir nie vergessen dürfen, dass der Euro weit mehr ist als nur eine gemeinsame Währung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, genau aus diesem Grunde würdigte das Nobelpreiskomitee mit der Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Jugoslawien!) in Zeiten der größten Bewährungsprobe dieser Union nicht nur, dass Europa ein Ort der friedlichen Konfliktbeilegung, der Überwindung von Grenzen, ein Modell des Miteinanders und des Kompromisses geworden ist, das seinesgleichen sucht. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Mit der Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union gerade jetzt werden auch nicht nur die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union geehrt – die Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrem Einfallsreichtum, mit ihrer Kreativität, mit ihrem Engagement dazu beigetragen haben, dass sich Europa zu einem Kontinent des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands entwickeln konnte. Mit der Vergabe des Friedensnobelpreises inmitten der europäischen Staatsschuldenkrise fordert das Nobelpreiskomitee uns vielmehr dazu auf, dass wir uns alle auf unsere Stärke besinnen. Es fordert uns auf, die Kraft der Freiheit zu nutzen; denn sie ist es, die den Mut zur Veränderung gibt, und diesen Mut zur Veränderung brauchen wir. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damit – davon bin ich überzeugt – wird es gelingen, Europa stärker aus der Krise herauszuführen, als es in sie hineingegangen ist. Das ist die große Aufgabe unserer Zeit. Wir wissen: Wir haben es geschafft, Deutschland stärker aus der Finanzmarktkrise hinauszuführen, als es in sie hineingegangen ist. Deshalb wird uns das auch in Europa gelingen, und das ist zutiefst im deutschen Interesse. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frohe Weihnachten!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sigmar Gabriel (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ich glaube, es macht Sinn, dass wir uns nach Ihrer Rede einmal die Realität in Europa anschauen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist Ihre Bilanz nach 27 EU-Gipfeln und 27 derartigen Regierungserklärungen – ich finde, die schlichten Zahlen zeigen ganz gut, wie die Realität in Europa ist –: 18,2 Millionen Menschen sind zurzeit in der Europäischen Union arbeitslos. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Umso besser stehen wir da!) Das, Frau Bundeskanzlerin, ist eine halbe Million mehr als vor diesen 27 Gipfeln und vor Ihren 27 Regierungserklärungen – Tendenz steigend. (Otto Fricke [FDP]: Ist das die Schuld der Bundesregierung?) Noch schlimmer: Die Jugendarbeitslosigkeit ist in den letzten drei Jahren von 18 Prozent auf fast 23 Prozent gestiegen. Sie haben eben gesagt, dass gerade der Abbau der Jugendarbeitslosigkeit ein Erfolg Ihrer Politik sei. In Wahrheit sind 240 000 junge Menschen mehr arbeitslos in Europa. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ist nicht die Schuld der deutschen Bundesregierung! – Otto Fricke [FDP]: Und in Deutschland?) Die Schulden im europäischen Währungsraum, die Sie ja immer senken wollten, sind in den letzten drei Jahren ebenfalls gestiegen, und zwar um sage und schreibe 1 Billion Euro. – Das, Frau Bundeskanzlerin, ist trotz Ihrer salbungsvollen Regierungserklärungen die bittere Realität in Europa. Sie und Ihre konservativen Freunde sind verantwortlich für diese bittere Realität in Europa. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Arbeitslosigkeit steigt, die Schulden steigen, die Jugendarbeitslosigkeit steigt, und im gleichen Zeitraum, Frau Bundeskanzlerin, ist der Anteil Deutschlands an den diversen Rettungspaketen von anfangs 8,4 Milliarden Euro über 370 Milliarden Euro nun durch die zusammen mit Ihnen organisierte Gemeinschaftshaftung über die Europäische Zentralbank auf sage und schreibe 1 Billion Euro gestiegen. Eben haben Sie gesagt, dass es zu genau dieser Entwicklung, einer ständig steigenden Belastung mit neuem, frischem Geld aus Deutschland, nicht kommen soll. Das Gegenteil, Frau Bundeskanzlerin, ist passiert. Sie haben 27-mal versprochen, es gebe nicht immer mehr Geld aus Deutschland. 27-mal haben Sie Ihre Versprechen gebrochen. Auch das ist übrigens ein neuer Gipfel in der deutschen und europäischen Politik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben Herman Van Rompuy zitiert, der bei der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo gesagt hat, dass wir alle dafür arbeiten müssen, dass wir unseren Kindern ein besseres Europa hinterlassen. Sie, Frau Bundeskanzlerin, hinterlassen unseren Kindern ein Europa mit höherer Arbeitslosigkeit, schlechteren Chancen für junge Leute und höheren Schulden. Sie hinterlassen ein schlechteres Europa, in dem Millionen Menschen weniger Hoffnung und Zuversicht, dafür aber Frust und Unsicherheit haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist wahrlich eine schöne Bescherung, die Sie da zu Weihnachten 2012 angerichtet haben. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ich habe nur die Zahlen zitiert. Offensichtlich finden Sie 240 000 junge Menschen, die Sie mehr in die Jugendarbeitslosigkeit gebracht haben, zum Lachen. Scheinbar finden Sie um 1 Billion Euro höhere Schulden in Europa nach drei Jahren Ihrer Politik zum Lachen. Statt nun zu sagen, was Sie gegen diese dramatische Entwicklung zu tun gedenken, was Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Rat denn nun machen wollen, halten Sie hier wolkige Reden. Was Sie uns hier vorgestellt haben, ist wahrlich keine Regierungserklärung. Sie können ja auch nicht erklären, was Sie tun wollen, weil Sie sonst zugeben müssten, dass Ihre eigene Politik in den vergangenen drei Jahren diese Entwicklung mit steigender Arbeitslosigkeit und steigenden Schulden produziert hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Bundeskanzlerin, man muss nicht Volkswirtschaft studiert haben, um zu wissen, was passiert, wenn man 27 Staaten der Union zum gleichen Zeitpunkt in absolute Sparprogramme hineintreibt. Die Folge ist natürlich, dass die europäische Wirtschaft geradewegs in eine Rezession rauscht. Genau dort stehen wir jetzt in Europa. Statt endlich darüber zu beraten, was ganz praktisch getan werden muss, damit nicht immer mehr junge Menschen arbeitslos werden, was getan werden muss, um Wachstum und Arbeit wieder in Gang zu bekommen, irrlichtert Ihre Regierung in der europäischen Institutionendebatte. Von einer sofortigen Volksabstimmung über Europa, über den Rausschmiss Griechenlands aus der EU und aus der Euro-Zone bis hin zur Abgabe von Souveränität an die Europäische Union nach Brüssel – in Ihrer Regierung findet man alle Positionen, so gegensätzlich sie auch sein mögen. (Beifall bei der SPD) Frau Bundeskanzlerin, das Letzte, was Europa jetzt braucht, ist eine Geisterfahrerdebatte der deutschen Regierung, sondern es geht ganz aktuell um drei konkrete Fragen: Erstens. Wie verhindern wir eine Wiederholung der Finanzkrise? Zweitens. Was können wir tun, um Wirtschaft und Arbeit in Europa wieder in Gang zu bekommen? Drittens. Wie soll das Europa von morgen aussehen, damit die Währungsunion endlich auch mit einer politischen Union Hand in Hand geht? Die Antwort auf die erste Frage, wie wir eine Wiederholung der Krise verhindern können, haben Herr Van Rompuy, Herr Barroso und Jean-Claude Juncker zusammen mit Herrn Draghi in ihrem Fahrplan zu einer echten Wirtschafts- und Finanzunion gegeben. Alle drei fordern eine robuste Regulierung der Finanzmärkte. Das Problem, Frau Bundeskanzlerin, ist nur, dass es mal wieder ausgerechnet die deutsche Bundesregierung ist, die das blockiert. Van Rompuy, Juncker und Draghi sagen zu Recht, dass Herr Schäuble falsch liegt, wenn er behauptet, die Maßnahmen, die wir getroffen hätten, reichten bereits aus. Das Handelsblatt schreibt dazu: Auf den europäischen Wertpapiermärkten geht der Wildwuchs … weiter. Es wurden gerade nicht, wie Sie eben behauptet haben, die richtigen Lehren im Bankensektor gezogen. Welche Lehre die Deutsche Bank gezogen hat, konnten wir gestern wieder in der Zeitung lesen, meine Damen und Herren. Der Schattenbankensektor ist nach wie vor unreguliert. Hier kommen Sie über Absichtserklärungen nicht hinaus. Geschäfte und Derivate werden weiter großenteils im rechtsfreien Raum stattfinden. Die Beteiligung des Finanzsektors an den Krisenkosten liegt bis heute bei null. Frau Bundeskanzlerin, hinzu kommt noch Ihr Versteckspiel bei der Bankenunion. Erst erklären Sie diese Bankenunion zu dem neuen Königsweg bei der Neuordnung des europäischen Bankenwesens. Dann stehen Sie selbst, höchstpersönlich, permanent auf der Bremse, wenn es darauf ankommt, diese Bankenunion zu realisieren. Seit gestern Nacht wissen wir: Sie kommt – oh Wunder – erst 2014 nach der Bundestagswahl. Warum? Der Grund liegt auf der Hand. Während hier der Deutsche Bundestag auf Antrag Ihrer Fraktion, Frau Bundeskanzlerin, im Juni beim Fiskalpakt beschlossen hat, dass es keine direkte Bezuschussung europäischer Banken aus dem neuen Rettungsschirm geben soll, haben Sie am gleichen Tag in Brüssel das Gegenteil beschlossen. (Beifall bei der SPD) Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen sowohl den Beschluss als auch den Text des Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus gern vorlesen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen Sie mal!) – Wollen Sie es wissen? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Bitte!) Frau Merkel hat beschlossen: Sobald unter Einbeziehung der EZB ein wirksamer einheitlicher Aufsichtsmechanismus für Banken … eingerichtet worden ist, hätte der ESM nach einem ordentlichen Beschluss die Möglichkeit, Banken direkt zu rekapitalisieren. (Otto Fricke [FDP]: Das ist doch etwas ganz anderes!) Sie müssen einfach einmal nachlesen, was Sie beschlossen haben, auch wenn das bei der FDP möglicherweise ein bisschen schwierig ist. (Widerspruch des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]) Jetzt kommt unser Beschluss; ich lese Ihnen das vor. Zu § 2 heißt es: wenn gewährleistet ist, dass keine direkten Bankrisiken übernommen werden. Darunter steht in der Begründung: Damit ist gewährleistet, dass der ESM keine direkten Bankrisiken übernimmt. (Beifall bei der SPD) Da gibt es keine Ausnahme. In unserem Beschluss wird nicht gesagt: Wir brauchen eine Bankenaufsicht; dann machen wir das. Es ist vielmehr so, dass CDU/CSU und FDP unter Zustimmung der SPD einen Gesetzentwurf beschlossen haben – Sie haben die Änderungen im Haushaltsausschuss beantragt; wir haben zugestimmt –, (Bettina Hagedorn [SPD]: Richtig! – Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]) durch den es ohne jede Ausnahme nach deutschem Gesetz verboten ist, Banken direkt aus dem ESM zu rekapitalisieren. (Beifall bei der SPD) Sie haben das als großen Sieg gefeiert. Zeitgleich hat Ihre Bundeskanzlerin in Brüssel das Gegenteil verabredet. Jetzt geht es nur um eines: Sie möchten, dass der Bruch dieses Gesetzes bzw. die Aufhebung dieses Gesetzes, die kommen muss, wenn das, was in Brüssel verabschiedet worden ist, Wirklichkeit werden sollte, erst nach der Bundestagswahl der deutschen Öffentlichkeit präsentiert werden soll. Das ist der Grund, warum Sie da auf der Bremse stehen. Es ist wirklich abenteuerlich, wie Sie mit dem Deutschen Bundestag, der Öffentlichkeit und der Bankenhilfe umgehen. (Beifall bei der SPD) Während hier vollmundig versprochen wurde, dass der Steuerzahler nicht mehr für Banken aufkommen soll, haben Sie Ihren konservativen Freunden in den Regierungen Europas das genaue Gegenteil versprochen. Sobald die Bankenunion steht, soll es Geld direkt vom Steuerzahler zur Rekapitalisierung von Banken geben. Damit wir uns richtig verstehen, Frau Bundeskanzlerin: Sie mögen das zwar verabredet haben; mit uns wird es aber weder eine Zahlung von Volksbanken und Sparkassen an europäische Großbanken geben, noch werden wir dafür unsere Hand heben, die direkte Finanzierung durch den Steuerzahler auszuweiten. Was wir brauchen, ist ein Bankenfonds, den sie selber bezahlen, wenn sie in Schwierigkeiten kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gläubiger und Aktionäre müssen zur Kasse gebeten werden statt weiterhin die Steuerzahler. Wir wollen das Gegenteil von dem, was Sie verabredet haben. Sie tun nichts, um die Wiederholung der Finanzmarktexzesse auszuschließen. Das ist wohl Ihr größtes europäisches Versagen in den letzten drei Jahren. Zu der zweiten Frage, wie wir Wachstum und Arbeit schaffen, halten Sie wolkige Reden und kündigen Programme an. Was aber passiert in der Realität? Wenige Wochen, nachdem Sie in der EU ein Wachstumsprogramm verabschiedet haben, fahren Sie zu der Debatte über den europäischen Haushalt, schließen einen wahrlich faustischen Pakt mit dem britischen Premier Cameron und sperren die Mittel, die wir brauchen, um Wachstum und Investitionen in Europa voranzubringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben die Forschungsförderung gestoppt. Sie haben die Programme gestoppt, die uns helfen sollen, aus der Krise herauszukommen. Sie sorgen nicht dafür, dass Mittel dafür vorhanden sind. Sie sorgen übrigens auch nicht dafür, dass wenigstens das, was wir in Europa potenziell an Steueraufkommen haben, auch wirklich gezahlt wird. Statt den griechischen Milliardären, die ihre Steuern hinterziehen und ihr Geld woanders hinbringen, mithilfe der Europäischen Union das Handwerk zu legen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) machen Sie im eigenen Land noch Vorschläge, wie wir Steuerkriminalität vertraglich legalisieren sollen. (Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]) Das ist der Grund, warum wir weder Ihren Versprechungen glauben, was alles aus der Schweiz kommen soll, noch dabei mitmachen werden, wenn Sie kriminelle und bankenmäßig organisierte Steuerhinterziehung in Deutschland legalisieren wollen. Das werden wir nicht mitmachen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: So lasst ihr die Steuerhinterzieher in Ruhe!) Sie haben die ganze Zeit versucht, den Deutschen vorzumachen, das alles ginge uns nichts an, die sollten da nur anständig sparen, dann würde es besser. Nun stellen wir fest, was passiert, wenn 27 Staaten nicht mehr in Wachstum und Beschäftigung investieren. Natürlich erreicht das auch Deutschland. Jeden Tag lesen wir neue Nachrichten über die Beantragung von Kurzarbeitergeld, weil die Aufträge aus Europa wegbrechen. Es war immer eine Lebenslüge, zu glauben, dass es uns Deutschen egal sein könnte, wie es unseren Nachbarn geht. Nun sollte man meinen, Sie würden im deutschen Haushalt wenigstens Vorsorge betreiben. Ihnen wird schließlich von Ihren Sachverständigen und von der Bundesbank vorausgesagt, dass das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr einbrechen wird. Und was machen Sie? Sie machen eine Miniverlängerung der Geltungsdauer des Kurzarbeitergeldes, stellen dafür 100 Millionen Euro in den Haushalt ein und verschweigen der Öffentlichkeit, dass die wirksame Kurzarbeiterregelung, die Olaf Scholz einst durchgesetzt hat und mit der wir Tausende Arbeitsplätze sichern konnten, 5 Milliarden Euro kostet. Statt Vorsorge für Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs zu treffen und Investitionen zu erhöhen, treffen Sie null Vorsorge im Haushalt, obwohl Sie 100 Milliarden Euro neue Schulden in vier Jahren gemacht haben, übrigens ohne einen Cent für die Euro-Rettung. Anderen in Europa erzählen Sie, sie sollten Geld sparen. Aber in Zeiten höchster Steuereinnahmen, höchsten Wachstums und niedrigster Arbeitslosigkeit machen Sie in vier Jahren 100 Milliarden Euro neue Schulden und treffen keine Vorsorge für schlechte wirtschaftliche Zeiten. Es ist doch verrückt, wie Sie Deutschland regieren. Es kann doch nicht wahr sein, dass Sie auf diese Art und Weise damit umgehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 100 Milliarden Euro neue Schulden in vier Jahren und keine Vorsorge für Wachstum und Beschäftigung! Gleichzeitig erzählen Sie den Menschen in Europa, sie sollten endlich mehr sparen. Bei der dritten Frage, wie Europa eigentlich aussehen soll, wird es technokratisch und höchstens wolkig. Worum es doch geht, Frau Kanzlerin, ist, endlich den Weg für ein anderes Europa zu ebnen. Es geht nicht um mehr Europa. Es geht um ein anderes Europa, ein Europa, in dem Innovation und Wettbewerbsfähigkeit bewusst gefördert werden und man nicht einfach daran glaubt, dass die Märkte das machen, ein Europa, in dem Deutschland nicht niedrige Löhne und niedrige Steuern als Waffe gegen die Wettbewerbsfähigkeit seiner Nachbarn einsetzt. (Lachen der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel) – Natürlich stimmt das. Sie sind ja noch nicht einmal bereit, in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, sodass die Menschen hier anständig Geld verdienen und europäische Produkte kaufen können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich ist das Ungleichgewicht in Europa, insbesondere unsere Leistungsbilanzüberschüsse, eine Ursache der Probleme. Wenn Sie wenigstens dafür sorgten, dass diejenigen, die bei uns anständig arbeiten, hinterher nicht zum Sozialamt betteln gehen müssten, dann wäre schon einmal etwas gewonnen. Aber nicht einmal dafür sorgen Sie. Wir wollen ein Europa, das sich wieder traut, seine Gemeinwohlaufgaben durch Steuereinnahmen und nicht durch Schulden zu finanzieren. Ja, wir müssen Schulden abbauen. Aber das geht nicht, wenn man bei diesem Steuersenkungswettbewerb in Europa mitmacht. Wir müssen dafür sorgen, dass die Staaten anständige Einnahmen haben, anstatt Steuerflucht zu begünstigen und jeden Tag einen neuen Vorschlag zu machen, aus dem hervorgeht, wie man diejenigen entlastet, die man nun wahrlich nicht entlasten muss. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kommen Sie nicht mit der Steuerprogression in Deutschland. Wenn Sie sagen, Sie könnten eine Abmilderung finanzieren, dann machen Sie es. Dann stimmen die SPD-regierten Länder garantiert zu. Aber wir machen, Frau Bundeskanzlerin und Herr Kauder, die Sie hier letztes Mal große Reden dazu geschwungen haben, Ihre Geschäfte zulasten Dritter nicht mit. Immer wenn Sie Steuersenkungen vornehmen – ich verweise auf das Hoteliergesetz und die geplante Abmilderung der kalten Progression –, dann muss doch jemand zahlen. Das zahlt doch nicht der Bundesfinanzminister, sondern das zahlen die Länder, die dann weniger Geld für die Bildung zur Verfügung haben. Am Ende zahlen die Eltern höhere Kindergartengebühren, wenn den Kommunen die Einnahmen wegbrechen. Das ist doch die Rechnung, die Sie hier ständig aufmachen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Oh Mann! Das tut weh!) – Herr Kauder, das stimmt. Es ist gut, dass Sie sich an den Kopf fassen und sagen: „Das tut weh!“ Sie haben recht: Das tut weh. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann lieber Steinbrück als so was!) Schauen Sie sich doch einmal an, welche Folgen es hatte, dass die Kommunen ein paar Hundert Millionen Euro verloren haben, als Sie die Mehrwertsteuer zugunsten der Hoteliers gesenkt hatten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Folgen waren steigende Gebühren – auch für Kindergärten – in Deutschlands Städten und Gemeinden. So machen Sie Politik, damit Sie Ihre Lobby bedienen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zu all dem sagen Sie kein Wort. Wie sollte es auch anders sein? Frau Merkel, der Spiegel hat am Montag dieser Woche Ihre Rolle ganz gut charakterisiert: Noch nie hat ein deutscher Regierungschef so leidenschaftslos nach Brüssel geblickt. … (Merkel) wird … nach Oslo fahren, wenn die Gemeinschaft den Friedensnobelpreis überreicht bekommt. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr richtig!) Aber das ist nur ein Schauspiel für das Publikum. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Eine Unverschämtheit! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihre Rede auch!) Genau das war auch Ihre Regierungserklärung: ein Schauspiel für das Publikum. Aber das reicht nicht, um in Deutschland ein guter Regierungschef zu sein. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Otto Fricke (FDP): Geschätzter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dieser Rede – das hat sich, glaube ich, auch den Zuschauern an den Fernsehern gezeigt – könnte man Hunderte von Dingen sagen; aber ich will mich auf einige wenige Dinge konzentrieren. Eines, Herr Gabriel, ist klar geworden: Den Faust haben Sie nie gelesen. (Sigmar Gabriel [SPD]: Da irren Sie sich!) Sie haben einen faustischen Pakt geschlossen, nämlich Wahlkampf auch auf Kosten Europas zu machen. (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Treffer! – Die Aussage von Faust war: Zwar weiß ich viel, doch will ich alles wissen. – Ihre Aussage ist: Zwar weiß ich nichts, aber ich will auch nichts wissen; denn sonst kann ich keinen Wahlkampf machen. – So haben Sie hier agiert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Europa und seine Bürger befinden sich in einer Schulden- und vor allem in einer Vertrauenskrise. Die Europäer – jedenfalls die, die sich bemühen, Europäer zu sein – merken, dass wir in einer globalen Umbruchphase sind. Die Antworten, die Sie heute wieder geliefert haben, nämlich dass es keine globale Umbruchphase gebe, dass es keine Notwendigkeit gebe, die Politik zu ändern, und die Politik aus den 80er-Jahren und den 90er-Jahren schon funktionieren werde – Umverteilen, mehr Geld ausgeben, Steuern erhöhen usw. –, sprechen für sich. Herr Gabriel, das war keine Zukunftsrede, sondern eine Vergangenheitsrede. Jetzt ist mir auch klar, warum Sie geredet haben und nicht der Kanzlerkandidat, von dem ich erwartet hätte, dass er in solch einer Debatte Stellung nimmt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) Eigentlich waren wir uns hier in diesem Parlament einmal einig, dass das, was Europa braucht, nämlich Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie, nur dann funktionieren kann, wenn auch die Wirtschaft funktioniert, wenn wir Wachstum und Beschäftigung haben. Das, was ich gerade von der SPD gehört habe, ist doch mehr oder weniger eine Angleichung an die Grünen. Die besteht in Folgendem: Wachstum brauchen wir gar nicht, wir brauchen nur mehr Geld zum Ausgeben. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nichts für den Bürger, alles für den Staat!) Sie kritisieren – auch diese Abwendung von Europa finde ich unverantwortlich – die Jugendarbeitslosigkeit in europäischen Ländern, ohne zu erwähnen, wie gut es in Sachen Jugendarbeitslosigkeit in diesem Lande läuft. Das hätten Sie tun können. Sie hätten sagen können, dass Europa es wie Deutschland im Bereich der Ausbildung machen solle und nicht so, wie es Frankreich, Spanien und Griechenland machen. Aber das tun Sie nicht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) Das ist der Unterschied in der Geisteshaltung zwischen der Koalition und der Opposition. Unsere Geisteshaltung ist: erwirtschaften, erarbeiten, verändern, anstrengen. Ihre Geisteshaltung ist: umverteilen, weiterleiten und empfangen. So werden Sie Europa niemals nach vorne bringen. (Thomas Oppermann [SPD]: Haben Sie da etwas verwechselt?) Wenn ich mir die Troika da vorne anschaue, dann muss ich ehrlicherweise sagen: Sie drei sind doch damals nach Frankreich zu Herrn Hollande gefahren (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Pilgerfahrt!) und haben gesagt, wie toll das sei, was er vorhabe. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Prompt ging es nach hinten los!) Jetzt hat aber die SPD-Kanzlerkandidatin der Herzen, Frau Kraft, gestern ein wunderschönes Interview gegeben. Sie hat in der Welt auf die Frage: „Unsere französischen Nachbarn gleiten immer tiefer in die Schuldenkrise. Taugt François Hollande noch als Vorbild für die deutsche Sozialdemokratie?“ geantwortet – wirklich bemerkenswert –: „Frankreich ist in keinem guten Zustand.“ (Dietmar Nietan [SPD]: Wer hat denn da regiert?) Nächste Frage – jetzt wird es richtig schön –: „Hat Hollande das richtige Rezept, Frankreich aus der Krise zu führen?“ – Antwort: „Es ist zu früh, das zu beurteilen.“ (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU) Meine lieben sozialdemokratischen Freunde, stellt euch doch lieber hin und sagt, dass das, was in Frankreich passiert, nicht funktioniert. Nein, viel schlimmer. Was hat Herr Gabriel gerade gemacht? Herr Gabriel hat im Endeffekt nichts anderes versucht – das ist für mich mit der größte Vorwurf –, als zu sagen: Wir folgen den Vorschlägen von Hollande und Berlusconi. – Ich erinnere: Senkung des Renteneintrittsalters, Einführung von Mindestlöhnen, Steuererhöhungen. – Das führt zum Abwürgen der Wirtschaft, zu Arbeitslosigkeit und Armut. Alles, womit diese Länder drohen, wollen Sie von der SPD machen. Herr Gabriel, was Sie hier getan haben, nämlich am Anfang Ihrer Rede zu behaupten, Deutschland sei Schuld an den Zuständen in den schwachen Ländern Europas, ist nichts anderes, als das Geschäft von Silvio Berlusconi zu betreiben. Nichts Schlimmeres kann man Europa antun, als so etwas zu sagen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) – Das tut euch weh, aber das muss an dieser Stelle gesagt werden. – Es kann doch nicht sein, dass sich der vermeintliche Führer der Opposition hier hinstellt und sagt, es liege an Deutschland, dass es Europa so schlecht gehe, obwohl es Deutschland relativ gut geht. Sie hätten sagen müssen: Wir wollen Europa helfen. Wir sind bereit, in Europa dafür zu sorgen, dass die guten Reformen, die gemacht worden sind – die sind übrigens auch von Herrn Steinmeier, als er in der Verantwortung war, mitgetragen worden –, auch in den anderen europäischen Ländern durchgeführt werden, damit mehr Menschen in Arbeit kommen, sich die Leute weniger Sorgen machen müssen und die Ängste verringert werden. Wir wollen dieses Europa so gestalten, dass wir es unseren Nachkommen guten Gewissens hinterlassen können. – Aber daran haben Sie kein Interesse. Meine Damen und Herren, ich will ausdrücklich auf einen Punkt aus dem Bereich „Wirtschaft und Finanzen“ zu sprechen kommen. Es geht hier immer wieder darum, dass wir bezüglich Europa glauben, wir könnten den Bürgern einfache Lösungen präsentieren. Aber die Bürger sind da schon viel weiter. Sie wissen ganz genau, dass weder Ihre Vorstellungen von „einfach mehr Geld“ noch die Vorstellungen mancher in Europa „Hauptsache, Deutschland zahlt“ die Lösung sind. Es ist ein schwieriges, ein langwieriges Projekt, das wir verfolgen. Es verlangt von uns ständige Veränderungen. Es verlangt von uns, immer wieder zu fordern und – das ist das Schwierige an der deutschen Position – zu führen, ohne sich wie ein Führer zu gerieren und ohne ein Führer zu sein. (Zurufe von der LINKEN: Oh! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zitat: In Europa wird deutsch gesprochen!) – Fahren Sie einmal nach Europa, und fragen Sie einmal danach. Man erwartet von uns Führung. Ich sage das bewusst, und ich spreche dieses für Deutschland so schwierige Wort auch aus. Führung in Europa heißt: gemeinschaftlich, in Verantwortung, andere mitnehmen. Insofern will ich unseren britischen Freunden deutlich sagen: Diese Koalition will, dass Großbritannien in Europa bleibt. Wir wollen dieses Land in Europa halten; denn wir haben ganz klar erkannt, dass ohne Großbritannien ein ganz wesentlicher Teil von Europa fehlt, nämlich der Teil, der klargemacht hat, dass nur eine funktionierende Wirtschaft Europa in diese Position gebracht hat. – Ich kann bei Ihnen, der Opposition, nicht erkennen, dass Sie sich darum bemühen, dieses Land in Europa zu halten. Nein, es kommen nur Aussagen wie die von Herrn Gabriel zu Herrn Cameron und irgendwelchen Pakten. Also wirklich, das ist doch nicht das, was wir von Europa erwarten. Das größte Problem, das wir haben, ist – wir sehen ja, was gegenwärtig in Italien, in Spanien und in anderen Ländern passiert –: Kaum beruhigen sich die Märkte, kaum gehen die Zinsen ein wenig herunter, kommen Sie wieder aus den Löchern gekrochen und sagen: Jetzt haben wir es geschafft. Jetzt müssen wir nichts mehr tun. Jetzt schaffen wir nur irgendwelche neuen Fonds, statten sie mit irgendwelchem Geld aus, und das Ganze funktioniert. – Europa funktioniert nicht so, dass man jedes Mal dann, wenn man ein bisschen Luft zum Atmen hat, sagt: Jetzt ruhe ich mich aus. Die Luft zum Atmen dient vielmehr dazu, sich auf den Weg zu begeben, die nächsten Reformen anzugehen und nach vorne zu schauen. Man sollte nicht sagen: Was interessiert mich die Welt um mich herum? Sie haben – das muss ich der Opposition wirklich sagen – keine Vorstellung davon, wie Sie Werte wie Freiheit zur Verantwortung, Gerechtigkeit und Demokratie in Europa erhalten wollen, damit auch unsere Nachkommen sie noch leben können. Wir tun das. Wir übernehmen dabei Verantwortung. Das ist nicht immer angenehm. Das tut auch manchmal weh. Aber ganz ehrlich: Wer das den Bürgern nicht sagt, sondern ihnen verspricht, dass man durch irgendwelche Steuererhöhungen die Probleme löst, der hat Europa nicht verstanden, der hat die Zukunft nicht verstanden und der sollte auf den Oppositionsbänken bleiben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Fricke, wenn ich Sie richtig verstanden habe, soll Deutschland in Europa führen, es aber nicht so nennen. Ich sage Ihnen: Ich bin für ein gleichberechtigtes Europa. Niemand soll über uns, aber auch niemand soll unter uns stehen. Das ist, glaube ich, sehr viel sinnvoller. (Beifall bei der LINKEN) Aber wenn Deutschland schon führt, und das auch noch mit der FDP an der Spitze, kann ich nur sagen: Na, dann gute Nacht. Also, das wird nun überhaupt nichts. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Gabriel, ich habe Ihnen zugehört. Das war eine interessante, eine spannende, eine sehr kritische Rede. Sie müssen den Bürgerinnen und Bürgern nur noch erklären, weshalb Sie trotz Ihrer Kritik bisher jede Vorlage der Bundesregierung mit beschlossen haben. Das passt beim besten Willen einfach nicht zusammen. (Beifall bei der LINKEN) Die Euro-Krise überschattet die gesamte europäische Integration. Die Währung gerät unter Druck. Die Krise ist längst nicht überwunden. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben wieder von einer Staatsschuldenkrise gesprochen. Sagen Sie den Bürgerinnen und Bürgern doch einmal, dass die Staatsschulden deshalb so hoch sind, weil die Staaten für ihre Banken und Hedgefonds gezahlt haben. Das ist der Hintergrund, und das muss man einfach erwähnen. (Beifall bei der LINKEN) Es geht im Kern um etwas, worüber wir viel zu wenig reden, nämlich um die Frage der politischen Akzeptanz Europas bei den Bürgerinnen und Bürgern. Bundesfinanzminister Schäuble hat jetzt die Umsetzung des Beschlusses des CDU-Parteitages abgelehnt, dass endlich auch Mütter einen Rentenzuschlag bekommen, die nicht nach, sondern vor 1992 Kinder bekommen haben. Er tat dies mit der Begründung, dass wir für Griechenland bezahlen müssten und dass deshalb kein Geld dafür zur Verfügung stehe. Das ist abenteuerlich. Ich werde dazu Stellung nehmen. Das Zweite ist, dass bei den Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfängern das Elterngeld mit der Begründung gestrichen wurde, man müsse den Haushalt konsolidieren. Es ist doch wirklich beim besten Willen nicht hinnehmbar, Herr Kauder, dass Leute, die nichts, aber auch gar nichts getan haben, was die Krise verursacht hat, diese bezahlen sollen. Hören Sie doch endlich einmal auf mit dieser Politik! (Beifall bei der LINKEN) Das muss man damit vergleichen: Frau Bundeskanzlerin und Herr Kauder und Sie alle verweigern eine Vermögensabgabe, Sie verweigern eine Vermögensteuer. Die Spekulanten, die vor und während der Krise verdient haben, müssen nichts bezahlen. Nein, wir haben ja die Mütter, die Kinder vor 1992 geboren haben; die können das bezahlen. Wir haben Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger; die können das bezahlen; jetzt übrigens – dazu komme ich noch – auch die Opelaner. Das ist nicht nur unsozial. Ich sage Ihnen: Das ist asozial. (Beifall bei der LINKEN) Das Argument des Herrn Schäuble in Bezug auf Griechenland ist auch noch falsch; denn im Süden Europas müssen Strafzinsen von 6 bis 7 Prozent gezahlt werden und in Deutschland von 0 Prozent. Das bedeutet, dass aus diesem Prozess in den letzten drei Jahren Deutschland einen zusätzlichen Gewinn von 60 Milliarden Euro gemacht hat. Warum erwähnen Sie das nicht? Warum verweigern Sie stattdessen den notwendigen Rentenzuschlag für die Mütter, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben? Es ist nicht zu fassen! (Beifall bei der LINKEN) Ich frage Sie auch einmal: Wie viel Milliarden müssen eigentlich die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland nach wie vor für Banken, Versicherungen und Hedgefonds bezahlen? Nennen Sie doch einmal die Summe! Herr Schäuble, wenn Sie einen Rentenzuschlag für Mütter, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben, mit der Begründung ablehnen – ich betone es immer wieder –, dass wir zu viel an Griechenland bezahlen müssen, dann schüren Sie Ressentiments. Das geht überhaupt nicht. Das ist Gift. Das ist Bild-Zeitungs-Niveau! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Man schadet damit natürlich auch dem europäischen Einigungsgedanken. Jetzt lese ich, dass die Märkte Berlusconi fürchten. Es gibt einen Streit zwischen Monti und Berlusconi. Ich finde dieses Herrengezänk ziemlich langweilig. Aber eines sage ich Ihnen: Die veränderten Haltungen der Bürgerinnen und Bürger in Europa sind entscheidend. Berlusconi versucht, mit Rechtspopulismus die falsche Auflagenpolitik der EU für sich selbst zu nutzen. Er polemisiert logischerweise gegen die Bundesregierung, spricht dann aber nicht von der Bundesregierung, sondern von ganz Deutschland. Das weisen wir zurück. Wir sind auch Deutsche, und wir wollen eine andere Politik. (Beifall bei der LINKEN) Ich hoffe natürlich, dass sich in Italien die Linken durchsetzen werden. Es betrifft übrigens nicht nur die Bürgerinnen und Bürger Italiens, sondern auch die Portugals, Irlands, Spaniens und vor allem Griechenlands. Wie erfahren die denn gegenwärtig die Europäische Union? Wie erfahren die denn gegenwärtig die Währungsunion? Sie erfahren das Ganze als Instrument zum massiven Abbau sozialer Leistungen, zur Kürzung von Löhnen, von Renten, von Investitionen – und das alles für eine Krise, die sie nicht verursacht haben. Diejenigen, die die Krise verursacht haben, die Spekulanten, werden nicht mit einem halben zusätzlichen Euro herangezogen. Das ist völlig indiskutabel. (Beifall bei der LINKEN) Ich nehme jetzt einmal nur das Beispiel Griechenland, nur die letzten fünf Jahre. Da sind die Griechen ununterbrochen in einer Krise. Es gibt dort einen Rückgang von Löhnen, von Renten und von Wirtschaftsleistung. Herr Fricke, Sie sprechen immer von Wirtschaftsleistung. Ja, wo denn? Die Wirtschaftsleistung ist rückläufig in Italien, in Spanien, in Portugal und in Griechenland. Sie ist um ein Drittel zurückgegangen. (Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP]) – Nein! – Mit Ihrer Sparpolitik sorgen Sie dafür, dass die Wirtschaftsleistung weiter zurückgeht, weil Sie die Kaufkraft der Bevölkerung reduzieren. (Otto Fricke [FDP]: Genau dasselbe haben Sie bei Hartz IV gesagt!) Wovon sollen die Leute denn noch etwas erwerben? Die Politik, die Sie hier betreiben, ist doch völlig daneben. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen: Der Rückgang beträgt ein Drittel, wenn man auch noch die Teuerungsraten und die Steuererhöhungen berücksichtigt. Schauen wir uns doch einmal die Schulden Griechenlands an! 2008: 110 Prozent der Wirtschaftsleistung. – Wir haben übrigens Schulden von 82 Prozent der Wirtschaftsleistung; nur einmal als Vergleich. – Nunmehr sind die Schulden bei 177 Prozent, und im nächsten Jahr werden sie bei 190 Prozent der Wirtschaftsleistung sein. Das ist das tolle Ergebnis der Griechenland-Politik dieser Koalition – leider auch von Grünen und SPD; denn sie haben ja alles mitgemacht –; nicht zu fassen! (Beifall bei der LINKEN) Deutschland haftet, und Sie, Frau Bundeskanzlerin, sagen wieder: Es wird dauerhaft – jetzt kommt schon das Wort „dauerhaft“ dazu; das heißt: kurzfristig dann doch; ich verstehe das nicht ganz – keine gemeinschaftliche Verschuldung geben. In Wirklichkeit haften wir gemeinschaftlich für 400 Milliarden Euro. Das ist wirklich – entschuldigen Sie! – Unsinn, was Sie hier erzählen. Sagen Sie den Leuten doch einfach einmal die Wahrheit! Das stimmt doch alles nicht mehr. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich füge hinzu: Wenn die Politik für den Süden Europas so weitergeht, dann ist er gar nicht zahlungsfähig. Sie können das Geld einfach abschreiben. Die Länder können es gar nicht zurückbezahlen. Die Steuereinnahmen sind dort rückläufig. Die Wirtschaftsleistung geht zurück. Wovon sollen sie das denn bezahlen? Was Sie hier erzählen, ist doch albern. Warum sagen Sie den Bürgerinnen und Bürgern nicht vor der Bundestagswahl, dass wir mit einer Summe von 400 Milliarden Euro haften und dass diese höchstwahrscheinlich bezahlt werden muss? Niemand weiß, woher wir das Geld nehmen sollen. Wollen Sie das einfach in einer Maschine drucken, oder was haben Sie diesbezüglich vor? Ich wette, dass es einen Schuldenschnitt geben wird. Dieser geht zulasten der öffentlichen Forderungen, auch der Forderungen aus Deutschland. Ich weiß, Sie wollen alles tun, damit der Schuldenschnitt erst nach der Bundestagswahl 2013 kommt. Herr Kauder, sagen Sie es doch ehrlich. Der Schuldenschnitt wird kommen: Ende 2013, Anfang 2014. Sie haben die Prozesse in Europa nicht mehr im Griff. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dass Sie jetzt auch noch Wahrsager sind, ist etwas ganz Neues! – Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was der alles kann!) Es kann auch schon vorher passieren, lieber Herr Kauder. Dann wird die Bevölkerung auch von Ihnen die Wahrheit erfahren müssen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt erklärt er sich schon zum Propheten!) – Nein, nein, prophetisch war ich schon immer. Das ist gar nicht neu, Herr Kauder. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Gysi, versündigen Sie sich nicht!) Sie verstehen nicht, dass wir endlich eine Aufbaupolitik im Süden Europas brauchen. Wir brauchen Steuergerechtigkeit einschließlich einer Vermögensabgabe und einer Vermögensteuer für die Vermögensmillionäre. Wir müssen die Steuerflucht bekämpfen, indem wir die Steuerpflicht wie in den USA an die Staatsbürgerschaft binden. Warum machen wir das nicht? (Beifall bei der LINKEN) Ein reicher Deutscher kann doch auf die Seychellen ziehen, aber er soll hier steuerpflichtig bleiben. Das ist das Entscheidende, was wir durchsetzen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Das gilt für Griechenland genauso. Wir müssen uns von den privaten Finanzmärkten abkapseln und sie endlich regulieren. Erklären Sie den Bürgerinnen und Bürgern, wozu wir Schattenbanken, Hedgefonds und Leerverkäufe brauchen. Wir brauchen keine Spekulationen. Wenn diese Spekulationen ins Aus führen, dann müssen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler das Minus bezahlen. Das ist derart ungerecht, dass man darüber gar nicht zu diskutieren braucht. (Beifall bei der LINKEN) Die Verweigerung einer vernünftigen Politik im Süden Europas schadet den Menschen dort, aber auch den Menschen in Deutschland. Ich nenne Ihnen einen Betrag, Herr Brüderle: Die Schattenbanken und Hedgefonds spekulieren gegenwärtig weltweit mit 67 Billionen Dollar. Dieser Betrag entspricht der weltweiten realen Wirtschaftsleistung. Das machen Sie alles mit? Das finden Sie gut? Wer bezahlt das alles, wenn die Banken die Hälfte davon verspekulieren? Nein, Sie müssen endlich den Mut haben, das Ganze zu regulieren. (Beifall bei der LINKEN) Die Bankenaufsicht ist beschlossen worden. Frau Bundeskanzlerin, Sie sind ja stolz darauf, dass sich die Finanzminister darauf geeinigt haben. Die Bankenaufsicht hat uns bei der Pleiten-HRE nichts genutzt. Abgesehen davon geht es um eine ganz andere Frage: Wer bezahlt eine Pleitebank? Das ist nicht geregelt. Da Sie nicht geregelt haben, dass das die Banken zu bezahlen haben, bleibt es dabei, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dies zu bezahlen haben. Genau das geht nicht. (Beifall bei der LINKEN) Ich erzähle Ihnen folgende Begebenheit: Ich war in einer Fernsehsendung zu Gast. Dort war auch Frau Kohl, die ARD-Korrespondentin bei der Börse. Sie sagte mir: Herr Gysi, wenn Sie Bundeskanzler wären und die Deutsche Bank zu Ihnen käme und sagen würde, in einer Woche müsste sie in Insolvenz gehen, dann wären Sie auch verpflichtet, sie zu retten. Täten Sie das nicht, bräche das ganze Wirtschafts- und Finanzsystem zusammen. – Abgesehen davon, dass meine Phantasie, im Unterschied zu ihrer, nicht ausreicht, mir vorzustellen, dass ich Kanzler werde, würde ich Folgendes hinzufügen: Wenn das stimmt – wahrscheinlich hat sie recht –, dann ist die Deutsche Bank zu mächtig; denn dann hat eine Kanzlerin oder ein Kanzler keinen Spielraum. Wenn die Bank kommt und sagt, dass es so ist und man das machen muss, ist das das Primat der Banken über die Politik. Das müssen wir endlich überwinden. Daher muss man sie verkleinern und vergesellschaften. Es gibt keinen anderen Weg. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP) – Nein, nicht in Landesbanken umwandeln, sondern in öffentlich-rechtliche, wie die Sparkassen. Die funktionieren hervorragend. Noch etwas zum Rückgang des Exports, weil wir – nicht wir, Entschuldigung, Sie – den Süden Europas erfolgreich ruinieren. Was passiert beim Export? Beim Pkw-Export haben wir ein Minus von 18 Prozent beim Export nach Frankreich, ein Minus von 25 Prozent beim Export nach Italien, ein Minus von 36 Prozent beim Export nach Spanien. Opel allein verliert 16 Prozent. Das sind die Zahlen vom September 2012. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Sie wollen sagen, dass meine Redezeit zu Ende ist. Präsident Dr. Norbert Lammert: Es gilt leider auch für prophetische Reden, dass die profanen Regelungen unserer Geschäftsordnung gelten. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Ende seiner Rede konnte er nicht voraussehen!) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Sie müssen zugeben, Herr Bundestagspräsident, dass es sehr traurig ist, wie hier herumgeeiert wird. Präsident Dr. Norbert Lammert: Absolut. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Was glauben Sie, was ich Ihnen alles gerne noch erklärt hätte! (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) Na schön, dann lassen wir das bleiben. Dann sage ich Ihnen am Schluss nur noch: Präsident Dr. Norbert Lammert: Aber es wird manche Kollegen trösten, dass wir das dann bilateral ausmachen. (Sigmar Gabriel [SPD]: Das ist ein bitteres Schicksal, Herr Präsident!) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Gut, das machen wir dann. Aber wissen Sie, ich muss mit so vielen Leuten aus der Union reden. Na ja gut, ich lasse das bleiben. Lassen Sie mich noch so viel sagen: Die Opelaner sind in der Zange. Falsches Management auf der einen Seite, auf der anderen Seite führt Ihre verheerende Politik im Süden Europas zum Rückgang der Verkaufszahlen, und jetzt sollen sie das bezahlen. Das sind 3 000 Beschäftigte, und 45 000 weitere Arbeitsplätze hängen daran. Was sagen Sie denen denn außer: „Pech gehabt“? Das reicht wirklich beim besten Willen nicht aus. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich sage Ihnen: Wir brauchen kein weiteres Durchwursteln von Krisengipfel zu Krisengipfel, wir brauchen endlich Perspektiven und Visionen. An denen fehlt es bei dieser Bundesregierung. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europa ist eine Friedens- und Wertegemeinschaft. (Zurufe von der LINKEN: Oh!) Wir freuen uns über die Leistungen, die in den vergangenen fünf Jahrzehnten erbracht worden sind und dass diese mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt worden sind. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist zum Kotzen!) Wir werden als Europapartei dafür kämpfen, dass wir nicht nur stolz sein dürfen auf die Vergangenheit, sondern dass wir diese Friedens- und Wertegemeinschaft auch in die Zukunft weiterentwickeln werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oh!) Als ich heute Morgen Herrn Gabriel gehört habe, hat mich schon Sorge befallen. Er hat den Versuch unternommen, zulasten dieses großen Friedens- und Freiheitsprojekts Europa populistisch Innenpolitik zu betreiben. Herr Gabriel, Europa ist ein ungeeignetes Feld für populistische Innenpolitik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was ist mit der CSU?) Wenn wir Ja sagen zu Europa, dann müssen wir überlegen, um welche Werte es überhaupt geht. An dieser Stelle streiten wir. Wir streiten über die Frage: Steht dieses Europa für die Werte einer Christdemokratie und von Liberalen, oder steht es für die Werte von Sozialisten? Steht es für ein Europa der Mitte oder für eine linke Entwicklung? Wenn die Frage nach dem Gesicht Europas gestellt wird, dann müssen wir uns überlegen: Wollen wir ein Europa, in dem Verantwortung gelebt wird und wo die Entscheidungsfreiheit an Verantwortung gekoppelt wird? (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Meine Güte!) Oder wollen wir ein Europa, Herr Gabriel, in dem Freiheit durch Verantwortungslosigkeit gekennzeichnet ist? Das ist das, was Ihre Partei bis gestern so formuliert hat. Sie haben formuliert, dass Sie eine Transferunion wollen, unkonditioniert und dauerhaft. Sie wollen das Geld des deutschen Steuerzahlers ohne Vorbedingung und ohne zeitliches Limit an andere geben, die dann darüber verfügen. Das ist nicht das Bild, das wir von Europa in der Zukunft haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Sie haben die derzeitige Situation in Europa angesprochen. Die Jugendarbeitslosigkeit und die Arbeitslosigkeit bedrücken uns natürlich. Dies ist aber doch nicht die Folge deutscher Politik. Die deutsche Politik bietet vielmehr das Vorbild, wie man Jugendarbeitslosigkeit und Arbeitslosigkeit reduziert und wie man den Wohlstand der Menschen mehrt. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Daran soll Europa genesen! Super!) Deshalb muss diese Politik als Vorbild in Europa dienen und dafür sorgen, dass auch andere Menschen in diesem Europa zu Arbeit, zu Perspektiven und zu Wohlstand kommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schauen wir uns die Vorschläge von Herrn Gabriel und seiner SPD an: Sie zielen darauf ab, Arbeitsplätze zu vernichten, Jugendarbeitslosigkeit zu schaffen und Wohlstand zu zerstören. Das ist das, was Sie vorschlagen. (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie schlagen Substanzsteuern vor, die Zerstörung von Investitionen und Wohlstand. Sie schlagen vor, die Arbeitsmarktverfassung, die uns niedrige Arbeitslosenzahlen gebracht hat, zu zerstören und die Arbeitslosigkeit wieder nach oben zu treiben. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das nimmt Ihnen niemand ab!) Sie machen die falsche Politik. Diesen falschen Weg sollten wir weder in Deutschland noch in Europa gehen, Herr Gabriel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn Sie schon über Steuerpolitik reden: Der Finanzminister, der den Spitzensteuersatz gesenkt hat, war Hans Eichel, nach meiner Kenntnis Mitglied der Sozialdemokratie. Er hat den Spitzensteuersatz um über 10 Prozentpunkte gesenkt. Wenn es also jemanden gibt, der einen Wettlauf nach unten betrieben hat, dann war es die SPD. (Widerspruch bei der SPD) Was Sie gestern Nacht im Vermittlungsausschuss gemacht haben, war keineswegs eine Diskussion über den Spitzensteuersatz. Ihre Partei hat heute Nacht vorgeschlagen, den Eingangssteuersatz anzuheben, den Kleinverdiener in Deutschland steuerlich höher zu belasten. Das ist die Politik, die die SPD in Deutschland betreibt. Stellen Sie sich hier nicht so populistisch hin. Sie wollen die kleinen Leute abkassieren, Herr Gabriel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben in Europa vier Problemfelder – die Bundeskanzlerin hat sie in der Regierungserklärung angesprochen –: die Finanzmarktsituation, die Haushaltslage, die Wettbewerbsfähigkeit und die Integration Europas, damit wir handlungsfähig bleiben. Ich bin nicht bereit, zu akzeptieren, dass es an dieser Stelle immer auf ein Problem, nämlich die Finanzmarktregulierung, reduziert wird. Nein, wir werden alle vier Teile nach vorne bringen müssen, wenn wir die Probleme hinter uns lassen wollen; nur dann kommen wir zu einer Lösung. Ich will mit der Frage der Finanzmarktregulierung anfangen. Herr Gabriel, es hat mich überrascht, dass Sie hier eine Bank angesprochen haben, die bis zum heutigen Tag nicht einen einzigen Cent Geld vom Staat verlangt hat, um durch diese Krise zu kommen, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben die denn aus den USA bekommen?) dass Sie aber kein Wort über eine Bank mit Sitz in Düsseldorf gesagt haben, die schon vor der Krise massiv Steuergeld bekommen hat, nämlich die Westdeutsche Landesbank. Ein früherer Ministerpräsident und Bundesfinanzminister Ihrer Partei, der jetzt Kanzlerkandidat ist, hat diese Bank lange vor der Krise mit Steuergeld gefüttert. Ja, wie klaffen denn bei Ihnen Ansage und Realität auseinander! Ansage und Realität haben doch überhaupt nichts miteinander zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bin dem Bundesfinanzminister für das, was er heute Nacht zum Thema Bankenaufsicht mit ausgehandelt hat, sehr dankbar. Wenn wir mehr Integration wollen, dann brauchen wir eine gemeinsame Aufsicht. Wir haben hier im Bundestag am 27. September einen Antrag beschlossen, in dem wir klar und deutlich gesagt haben, wie wir uns die Aufsicht vorstellen. Das, was Wolfgang Schäuble zurückgebracht hat, ist das, was der Deutsche Bundestag vorgegeben hat: eine Bankenaufsicht für Europa, geprägt vom Subsidiaritätsgedanken. Die großen, gefährlichen Banken werden gemeinsam kontrolliert; die kleinen Banken werden nach gemeinsamen Regeln von den nationalen Aufsehern beobachtet. Das ist der richtige Ansatz, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP]) Wir haben immer darum geworben, dass es eine klare Trennung zwischen Geldpolitik und Aufsichtsfunktion gibt, wenn die Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank angesiedelt wird. Das ist heute Nacht ausgehandelt worden; das ist der richtige Weg. Jetzt müssen wir bei der Ausgestaltung darauf achten, dass der Grundsatz der klaren Trennung auch eingehalten wird; auch das ist ein entscheidender Punkt. Jetzt komme ich zu der Frage: Was wollen wir eigentlich mit der gemeinsamen Aufsicht erreichen? Soll es wirklich so sein, dass wir in Europa eine Müllhalde organisieren, zu der jener Abraum transportiert wird, den man auf nationaler Ebene nicht mehr gebrauchen kann, damit das Problem gemeinsam gelöst wird? Nein, was wir brauchen, ist eine Präventionspolitik, die dafür sorgt, dass dieser Abfall, dieser Müll gar nicht entsteht. Deshalb haben wir klar und deutlich formuliert: Jede Bank, die der gemeinsamen Aufsicht unterstellt wird, muss zunächst einen Stresstest durchlaufen und die Altlasten beseitigen. Wir sind dafür, die Banken in Europa gemeinsam sauber für die Zukunft aufzustellen, aber nicht dafür, das Abtragen von Altlasten gemeinsam zu finanzieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Jetzt will ich einmal deutlich sagen: Der Europäische Stabilitätsmechanismus ist aus meiner Sicht ein Erfolg; es ist ein Erfolg, dass er gemeinsam mit dem Fiskalvertrag eingeführt wurde. Wieder wird deutlich: Klare Regeln, gebunden an Verantwortung, führen dazu, dass wir das Solidaritätsprinzip in notwendigen Fällen anwenden. Aber der ESM ist die absolut letzte Sicherung; das müssen wir auch anderen in Europa klarmachen. Der ESM ist kein Laden, bei dem man sich einfach bedienen kann. Nur wenn alle anderen Sicherungen versagt haben, kann man auf den ESM zurückgreifen und darüber Unterstützung bekommen. Lieber Herr Gabriel, Sie haben vorhin aus dem ESM-Finanzierungsgesetz zitiert, und Sie haben richtig zitiert. (Sigmar Gabriel [SPD]: Das ist ja schon mal was!) Dort heißt es: Der ESM kann keine direkte Bankenhilfe leisten. In der Gipfelerklärung vom 29. Juni heißt es: Nach einem ordentlichen Beschluss, das heißt nach einer Änderung des Gesetzes, besteht die Möglichkeit der direkten Bankenhilfe; dies setzt aber voraus, dass wir vorher eine funktionierende gemeinsame Bankenaufsicht haben. (Sigmar Gabriel [SPD]: Das steht da nicht drin!) Das ist der entscheidende Punkt. Dies folgt wieder dem Prinzip, dass Entscheidung und Verantwortung beisammenbleiben müssen. Deshalb ist dieser Weg der richtige; es ist nichts Anrüchiges und auch kein „faustischer Pakt“, lieber Herr Gabriel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sigmar Gabriel [SPD]: Genau das steht im Gesetz nicht!) Wir haben eine Restrukturierung, die nicht durch den Steuerzahler zu tragen ist, auf den Weg gebracht. Zum 1. Januar 2011 wurden in Deutschland die Bankenabgabe und das Restrukturierungsgesetz eingeführt. Das heißt, das Prinzip, das Sie verlangen, hat diese Koalition in Deutschland umgesetzt. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wie viel ist drin?) Wir arbeiten jetzt daran, dass das, was wir seit zwei Jahren in Deutschland haben, auch in Europa umgesetzt wird. Ich freue mich darüber, dass wir ein Restrukturierungsregime in diesem Sinne bekommen. Das ist auch ein richtiger Ansatz. Zur Frage des Haushaltsgesetzgebers. Wir als Deutscher Bundestag müssen sehr vorsichtig sein, wenn über die Fragen diskutiert wird: Gibt es gemeinsame Mittel im Euro-Raum? Gibt es eine finanzielle Kapazität? Mir ist Folgendes wichtig: Wir haben zwei Ebenen, die nationale Ebene und die europäische Ebene. Egal, welche Instrumente wir einführen: Es muss jeweils klar und transparent sein, auf welcher dieser beiden Ebenen sie angesiedelt sind. Ich wende mich gegen jegliche Vermischung, weil dann die Verantwortlichkeiten nicht mehr klar sind. Wenn wir eine klare Verantwortung haben, dann muss auch auf demokratischer Ebene sichergestellt sein, dass das jeweilige Parlament die Entscheidung trifft, was dort geschieht, und kontrolliert, ob das in seinem Sinne stattfindet. Deshalb bin ich der Meinung: Klare Rolle für den Deutschen Bundestag, klare Rolle für das Europäische Parlament, aber keine Vermischung und keine Unklarheiten darüber, wer am Ende des Tages die Verantwortung trägt. Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung zum Thema Forschung und Entwicklung. Schauen Sie sich bitte die Entwicklung im Lissabon-Prozess zwischen 2000 und 2010 an. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat große Verabredungen getroffen, wie man die Innovationskraft in Europa steigern will. Nach Betrachtung der Bilanz der Halbzeit hat man festgestellt: Das war zwar eine Abrede, aber niemand hat sich um diese Abrede gekümmert. Wenn wir in Europa Abreden treffen, dann muss danach durch ein Monitoring überprüft werden, ob die vereinbarten Ziele auch umgesetzt werden. Deshalb ist der Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit der richtige Ansatz, weil dort Monitoring und Überwachung stattfinden. Man muss schlicht und ergreifend bereit sein, Prioritäten zu setzen. Wir – Norbert Barthle schaue ich gerade an – haben die Prioritäten gesetzt. Bei uns sind jedes Jahr im Haushalt Forschung, Innovation und Entwicklung gestärkt worden. Also: Nicht nur darüber reden, sondern auch handeln! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist gerade einmal drei Tage her, da hat die Europäische Union den Friedensnobelpreis erhalten. Frau Merkel hat ihn entgegengenommen als große Europäerin. Davon war heute Morgen hier nicht sehr viel zu spüren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie haben hier von mehr Wettbewerbsfähigkeit gesprochen, davon, den Sachverstand der Kommission und anderer Organisationen einzubeziehen, um Politikbereiche zu identifizieren, die für das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion entscheidend sind. Was meinten Sie genau? Das sind die üblichen Schwurbelsätze, das ist kurzfristiges Handeln. Das sind keine langfristigen Ideen, das ist vor allem mit viel Eigeninteresse gedacht. Frau Merkel, das ist nicht das große Europa, für das wir eintreten und dem der Friedensnobelpreis verliehen worden ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie machen Politik, als hätten Sie immer noch nicht verstanden, warum die Menschen in den Krisenländern eigentlich auf die Straßen gehen. Die Menschen demonstrieren gegen die harte Sparpolitik von Deutschlands Gnaden. Es ist richtig: Die Krisenländer müssen überfällige Strukturreformen durchführen. Es ist richtig, dass wir für die Hilfskredite, die wir im Rahmen der Rettungsschirme gewähren, Gegenleistungen erwarten. Aber die harten Kürzungen treffen heute vor allem die Armen und Schwächsten der Gesellschaft. Der rigorose Sparkurs erstickt zugleich den wirtschaftlichen Aufschwung schon im Keim. Frau Merkel, das ist keine gute Europapolitik, das ist das Gegenteil. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die Grünen haben doch zugestimmt!) Ja, die Verleihung des Friedensnobelpreises hat uns daran erinnert: Warum war das vereinte Europa für viele Menschen ein Wunsch und eine Sehnsucht? (Zuruf von der LINKEN: Die Grünen haben zugestimmt!) Weil es nach den beiden Weltkriegen der einzige Weg zu Frieden und Freiheit war. Seine Verleihung war aber auch eine Warnung. Gerade jetzt in den Zeiten der Krise müssen die Menschen in den Staaten Europas zusammenhalten und die gemeinsamen Werte verteidigen. Genau deswegen, liebe Linkspartei, stimmen wir auch zu, wenn es um die Rettung Europas geht. (Widerspruch bei der LINKEN) Deswegen setzen wir uns für Europa ein und machen uns nicht einen schlanken Fuß, wie Sie das tun; das ist nämlich nationalstaatliche Politik und nicht europäisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie retten so Europa nicht! So retten Sie Europa nicht! – Gegenruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt fängt die Enkelmann auch noch an zu „hänseln“!) Frau Merkel, das Problem ist, dass Sie den Deutschen Europa als Belastung und als Kostenfaktor erklären. Sie gefährden damit das Fundament der europäischen Einigung, die europäische Solidarität, die Bereitschaft, wirklich füreinander einzustehen. Die Menschen müssen doch nachvollziehen können, was sie an Europa haben. Ansonsten werden die Rechtspopulisten in ganz Europa immer stärker werden. Sie wissen das, Frau Merkel. Sie kennen die Gefahr, aber Sie tun so, als ob Europa irgendein langwieriges Problem wäre, das man mit Anstrengung lösen müsste. Aber Europa ist kein Problem, auch nicht für Deutschland. Im Gegenteil: Was gut ist für Europa, das ist auch gut für Deutschland, Frau Merkel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Was liegt jetzt auf dem Tisch? Ja, die Einigung auf eine gemeinsame Bankenaufsicht ist richtig – Sie haben das lange genug blockiert –, aber das reicht eben nicht aus, um die Banken zu regulieren – es ist nur der halbe Weg –, vor allem wenn Sie nicht verhindern, dass die Steuerzahler am Ende doch die Banken retten müssen. Erklären Sie das einmal den 30 Millionen Europäern, die noch nicht einmal ein Konto haben. Wir brauchen neben der Aufsicht auch ein Bankenabwicklungsregime und einen entsprechenden Fonds. Erst dann werden wir in diesem Zusammenhang zukunftsfähig handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Natürlich brauchen wir den gemeinsamen Schuldentilgungsfonds. Sie haben sich heute ja irgendwie dazu bekannt, dass Europa jetzt zur Transferunion wird. Dazu sagen wir: Herzlichen Glückwunsch! Noch lieber wäre es uns aber, Sie würden das mit Transparenz und offenem Visier machen und den Leuten sagen, worum es wirklich geht. Uns wäre es lieber, Sie würden auch sagen, worum es langfristig geht, und nicht nur kurzfristig den nächsten kleinen Schritt erklären, Frau Merkel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn man sich den Bericht von Van Rompuy anschaut, dann weiß man ganz genau: Es braucht mehr Mut beim Schuldentilgungsfonds, auch beim makroökonomischen Ausgleichsmechanismus. Dabei geht es doch darum, wirtschaftliche Schwäche ganz bewusst auszugleichen, und eben nicht darum, immer wieder mit neuen Hilfspaketen zu agieren. Frau Merkel winkt nur ab. Stattdessen lieber: Löhne runter! Freier Markt! – Das ist das kalte Europa, für das sich zu Recht niemand erwärmen kann, Frau Merkel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist nicht nur mutlos, sondern das sorgt auch dafür, dass Europa immer nur auf kurze Sicht fährt. Das gefährdet den inneren Frieden. Dafür haben wir übrigens keinen Nobelpreis gewonnen. Herr Fricke, da Sie hier anderen vorwerfen, sie würden auf Kosten Europas Wahlkampf machen, frage ich Sie – das muss man Ihnen schon einmal sagen –: Können Sie sich erinnern, wofür Sie in Berlin 1,8 Prozent bekommen haben? – Für einen Satz wie diesen: Berlin darf nicht die Euro-Zeche zahlen! Dafür haben Sie die Bürgerinnen und Bürger zu Recht abgewatscht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Das war richtig; denn das macht deutlich, worum es Ihnen in Wahrheit geht. Die Europäische Union ist eben mehr als ein gemeinsamer Markt. Wir müssen dringend etwas tun gegen soziale Ausgrenzung. Wer das Gefühl hat, nicht dazuzugehören, wer das Gefühl hat, nicht mobil zu sein und keine Chance zu haben, wer Zukunftsangst hat – national und in den europäischen Ländern –, der wird sich auch in einem gemeinsamen Europa nicht zugehörig fühlen. Deswegen ist der soziale Ausgleich zentral für die Zukunft Europas. Deswegen brauchen wir soziale Mindeststandards. Deswegen müssen Menschen ihre Ansprüche über die Grenzen hinweg nutzen können, genauso wie ihre Bildungs- und Berufsabschlüsse. Erst dann haben wir wirklich ein gemeinsames Europa, auf das es ankommt. Und das wird die Wirtschaft nicht regeln. Das werden auch die Banken nicht klären. Dafür braucht es nun wirklich einmal staatliches Handeln und auch staatliche Finanzen. Dabei darf man nicht halbherzig oder symbolisch handeln, wie beim Ausbildungsprogramm für Jugendliche. Erst wenn wir für einen sozialen Ausgleich in ganz Europa sorgen und Zukunftsperspektiven eröffnen, erst dann denken wir wirklich europäisch, Frau Merkel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir sagen, dass wir nicht nur über den gemeinsamen Markt reden, dann bedeutet das auch, dass wir nicht zulassen können, dass wirtschaftliche Akteure die Staaten gegeneinander ausspielen können, nach dem Motto: Wo kann ich am besten Steuern hinterziehen? Wo gibt es die niedrigsten Löhne und die niedrigsten Umweltstandards? – Wir brauchen eine andere Steuerpolitik in Europa; denn die Staaten brauchen mehr Einnahmen, wenn sie in die soziale Gerechtigkeit investieren wollen. Steuerdumping und illegale Steuerflucht kosten – das hat die EU-Kommission festgestellt – jedes Jahr 1 000 Milliarden Euro. An dieser Stelle würde uns Einsatz von Ihnen sehr gut gefallen, Frau Merkel. Dadurch hätten wir nicht nur mehr Geld zur Verfügung, sondern wir würden auch deutlich machen: Gerechtigkeit in Europa gibt es nicht nur, weil wir die unten belasten, sondern auch, weil wir denen oben sagen, dass sie einen Beitrag leisten müssen. Frau Merkel, darum geht es, wenn man echtes Europa will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das trifft auch auf den EU-Haushalt zu. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass Sie sich ausgerechnet mit Herrn Cameron verbündet haben, um den Haushalt massiv zu kürzen. Wo wird das Geld am Ende fehlen? Es wird in den Bereichen Bildung und Forschung fehlen und auch beim Netzausbau, den Sie ja eigentlich immer gefordert haben. Sie nehmen leichtfertig hin, dass der EU-Haushalt gekürzt wird, und Sie schränken damit die Handlungsmöglichkeiten nicht nur bei uns, sondern vor allem auch in den anderen europäischen Ländern ein. Das ist kurzfristig gedacht, und das ist falsch, Frau Merkel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ja, wir haben Verantwortung für Europa als Ganzes. Wer die Arbeitslosen in Oberfranken gegen den Arbeitslosen in Kalabrien ausspielen will, hat nicht begriffen, was ein europäischer Wirtschaftsraum ist. Er hat übrigens auch nicht begriffen, dass er mit einer solchen Politik in Deutschland auch den europafeindlichen Populisten in Italien Wahlkampfhilfe gibt. Europäisch denken heißt mutig sein, auch was die Demokratie angeht. Die Europäer und Europäerinnen werden sich auf Dauer doch nicht damit zufriedengeben, dass die Regierungschefs und die Finanzminister nächtelang tagen und irgendwann weißer Rauch aufsteigt. Sie wollen mitreden und mitbestimmen. Deswegen brauchen wir einen europäischen Konvent, bei dem die nationalen Parlamente, das Europäische Parlament und natürlich auch die Zivilgesellschaft beteiligt sind. Frau Merkel, Europa geht nur mit mehr Demokratie und nicht mit Entscheidungen von oben nach unten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das sage ich auch deswegen, weil gerade die europäische Geschichte von der Aufklärung bis zu den friedlichen Revolutionen eine großartige Geschichte der Demokratie ist. Wer, wenn nicht die Europäerinnen und Europäer, könnte denn zeigen, dass man aus der Krise mit mehr Demokratie herauskommen kann? Mut zu mehr Demokratie, Frau Merkel, das wäre 23 Jahre nach dem Ende der Blöcke wirklich etwas, mit dem wir den Friedensnobelpreis würdigen könnten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist immer die Rede davon, dass die Gefahr besteht, Deutschland werde von der EU-Krise angesteckt. Andersherum wird ein Schuh daraus: Wie kann Deutschland mit europäischen Ideen wie Solidarität und Demokratie die anderen anstecken, Frau Merkel? Der gute alte Europäer Helmut Kohl hat einmal gesagt – das müssen Sie aushalten –: „Wer heute von meiner pfälzischen Heimat hinüberfährt ins Elsass, der kommt von Europa nach Europa. Das ist eine geradezu faszinierende Entwicklung.“ Wissen Sie, Frau Merkel, viele junge Menschen denken heute genauso. Sie gehen zum ERASMUS-Studium von Paris nach Wien oder ziehen nach Berlin oder Warschau und mieten sich dort ein WG-Zimmer. Für sie ist Europa nicht Ausland, und die europäischen Länder sind eben nicht die anderen. Das muss man sich einmal vorstellen: Helmut Kohl ist am Lebensgefühl der heutigen jungen Leute näher dran als Angela Merkel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Europa ist wirklich nobelpreiswürdig. Diese Regierung ist es nicht. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Stinner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Rainer Stinner (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte den außenpolitischen Blickwinkel in diese Debatte einbringen. Zunächst einmal fällt der dramatische Unterschied in der Einschätzung deutscher Politik im Ausland und im Inland auf. Im Ausland werden wir beneidet. Wir werden gefragt: Wie macht ihr das eigentlich? Wie schafft ihr das in Deutschland? – Kaum überschreiten wir die Grenzen zu unserem Vaterland, hört sich das ganz anders an. Herr Gabriel hat hier eine Vorstellung abgeliefert, die der heute-show würdig gewesen wäre. Herr Gabriel, damit können Sie eins zu eins bei Oliver Welke auftreten. Was Sie hier entworfen haben, ist ein Zerrbild. Im Ausland wird es völlig anders gesehen. Es ist erstaunlich, dass die SPD und die übrige Opposition die Realitäten nicht zur Kenntnis nehmen möchten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Göring-Eckardt, Ihnen kann ich Nachhilfe in Mathematik leider nicht ersparen. Wenn Sie hier behaupten, die Bundesregierung würde die Mittel für Europa kürzen wollen, so ist das falsch. Es gilt die Vereinbarung, dass 1 Prozent des Bruttosozialprodukts nach Brüssel geht. Die Bundesregierung besteht darauf, dass diese Vereinbarung auch in Zukunft gilt. Wenn es bei 1 Prozent bleibt, ist das, sehr verehrte Frau Kollegin, mathematisch gesehen keine Kürzung; ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, Europa ist für viele Teile der Welt nach wie vor ein außerordentlich attraktives Modell. Die Staaten in Europa, die noch nicht Mitglied der EU sind – Staaten in Südosteuropa, aber auch östliche Nachbarstaaten –, drängen zur EU. Sowohl in Südamerika als auch in Asien als auch in Afrika versuchen Staaten, sich in regionalen Organisationen zusammenzuschließen. Diese Organisationen sind sehr daran interessiert, zu erfahren, wie es in Europa gelungen ist, den Streit, den Kampf, den Krieg zu überwinden und zu einer schlagkräftigen Organisation zu kommen. Europa ist Modell für viele Teile der Welt, und dieses Modell wollen wir gerne erhalten. Natürlich wird in vielen Teilen der Welt gesehen, dass ein Scheitern des Projektes Euro auch ein Scheitern des Projektes Europa mit sich bringen kann und wird. Deshalb drängen wir ja so sehr darauf, dass die Stabilität der Euro-Zone wiederhergestellt und erhalten wird. Ich möchte hier nochmals sehr deutlich sagen, dass der Vorwurf, der uns ja auch im Inland entgegenschallt – wir würden so tun, als gäbe es zu diesem Kurs keine Alternative –, falsch ist. Jawohl, es gäbe Alternativen: Wir hätten vor zweieinhalb Jahren zulassen können, dass Griechenland im Mittelmeer versinkt. Wir hätten vor einer Woche so abstimmen können, dass Griechenland jetzt pleite wäre. Wir haben uns aber – ganz bewusst und nach gründlicher Abwägung – für die bessere Alternative entschieden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Diejenigen, die uns kritisieren – die SPD und die Grünen –, haben diesem Weg hier im Deutschen Bundestag zugestimmt; von daher ist ihre Kritik an der Politik der Bundesregierung meines Erachtens doppelzüngig und zweischneidig. Meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin hat völlig zu Recht angeschnitten, dass die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein Thema ist, bei dem wir in Europa besser werden müssen. Sie hat gesagt, dass darüber heute und morgen diskutiert wird, dass dieses Thema aber auch im nächsten Jahr ein Schwerpunkt werden wird. Wir begrüßen das außerordentlich; denn wir wissen, dass hier Nachholbedarf besteht. Ich sage aber auch sehr deutlich: Die Bundesregierung hat in den letzten drei Jahren immer wieder versucht, in Europa gemeinsame Positionen zu erarbeiten. Das ist vorbildlich – auch wenn es nicht immer gelungen ist –, und wir unterstützen die Bundesregierung dabei ganz besonders. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden im Ausland häufig gefragt: Warum macht ihr Deutschen eigentlich diese Europapolitik? Ihr seid doch selbst stabil und stark, ihr seid der Anker in Europa. Ihr könntet doch eventuell sogar allein zurechtkommen. – Wir geben darauf im Ausland die gleiche Antwort wie hier im Inland, wir sagen – dazu stehe ich; das sage ich mit voller Inbrunst –: Kein Land in Europa hat so von Europa profitiert wie Deutschland. – Das meine ich nicht nur ökonomisch. Für mich sind die politischen Erfolge noch viel höher zu bewerten. Ein Deutschland dieser Größe, dieser Geschichte, dieser Lage mitten in Europa wäre ohne Einbettung in Europa nicht da, wo es heute ist. Deshalb gelten unsere gesamten Anstrengungen dem Ziel, dieses Europa zu erhalten. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es gibt einen zweiten Grund, weshalb wir dieses Europa weiter stärken wollen. Wer sich fragt, wie die Welt des Jahres 2040 aussehen wird, wird erkennen – wir vertreten diese Anschauung auch in London, wo das zum Teil anders gesehen wird, und auch überall sonst –: Die Welt des Jahres 2040 wird eine multipolare Welt sein. Die Frage ist: Wer sitzt dann am Tisch der Entscheider? Unsere Meinung ist: Kein einziges europäisches Land, auch unser schönes, starkes Deutschland nicht, wird im Jahre 2040 in der Lage sein, alleine am Tisch der Entscheider zu sitzen. Deshalb ist das Projekt Europa so wichtig: damit wir als Europäer und als Deutsche nicht in Gefahr geraten, im Jahre 2040 zum Objekt der Entscheidungen anderer in der Welt zu werden, sondern weiter in der Lage sind, am Tisch der Entscheider zu sitzen und die Weltläufe im Interesse Deutschlands, im Interesse Europas und im Interesse einer friedlichen Entwicklung der Welt mitzubestimmen. Schönen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Dietmar Nietan ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dietmar Nietan (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich setze mich dafür ein, dass wir im Dezember einen ehrgeizigen Fahrplan für eine erneuerte Wirtschafts- und Währungsunion beschließen. Er soll konkrete Maßnahmen enthalten, die wir in den kommenden zwei bis drei Jahren umsetzen wollen. Das haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, vor gut einem Monat vor dem Europäischen Parlament verkündet. Und tatsächlich: Man konnte hoffnungsfroh sein. Herr Van Rompuy hat mit seinen Kollegen, dem Kommissionspräsidenten, dem Präsidenten der Euro-Zone, dem Präsidenten der EZB und teilweise auch in Zusammenarbeit mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, eine entsprechende, wie das neudeutsch so schön heißt, Roadmap vorgelegt. Diese fand am 3. Dezember 2012 auch Eingang in die ersten Entwürfe für Schlussfolgerungen des Europäischen Rates. Wer sich die letzte Version dieser Schlussfolgerungen anschaut, der stellt Folgendes fest: Es gibt keinen Fahrplan mehr für eine vertiefte Wirtschafts- und Währungsunion. Es gibt noch nicht einmal einen verbindlichen Zeitplan, und von konkreten Maßnahmen wollen wir gar nicht erst sprechen. Wieder kann man etwas erleben, was das Prinzip der deutschen Bundesregierung und ihrer Europapolitik deutlich macht: Wenn es etwas gibt, was uns nicht gefällt, heißt die Devise: Verhindern durch Verwässern, durch Vertagen und dadurch, Entscheidungen vor sich herzuschieben. – Das ist ein fatales Signal – nicht nur für die Märkte, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Was ist so schlimm an den Vorschlägen von Herrn Van Rompuy, der konkrete Vorschläge für eine Fiskalkapazität macht, von der Sie jetzt auf einmal nichts mehr hören wollen, obwohl die Frau Bundeskanzlerin im Oktober selber eine solche – anders umschrieben als „Solidaritätsfonds“ – durchaus noch ins Auge gefasst hat? Stattdessen halten Sie an Ihrem Mantra fest, durch das sich Ihre Art, Europa zu sehen, ausdrückt: sparen, sparen, sparen, bis es wehtut, ohne Perspektive für die Menschen, die davon betroffen sind. Deshalb sage ich sehr deutlich: Wir erwarten von Ihnen konkrete Ausführungen dazu, wie Sie Europa in Gang bringen wollen. Wie wollen Sie das erreichen, wenn Sie auf der einen Seite Vorschläge machen, durch die die Kohäsionsfonds überproportional gekürzt werden, und auf der anderen Seite uns hier versprochen haben, sich für Investitionen in Wachstum und Beschäftigung einzusetzen? Ich möchte gerne von Ihnen wissen, was Sie den Menschen dazu sagen wollen, wie Sie die Kapazitäten schaffen wollen, um notwendige Härten bei der Anpassung und bei Strukturreformen im Sinne der betroffenen Menschen abfedern zu können. Nichts, aber auch gar nichts findet sich dazu. Ich glaube, ich verstehe jetzt, warum Sie das Papier von Herrn Van Rompuy ein Hintergrundpapier nennen. Ich habe wirklich das Gefühl, das heißt für Sie, es solle möglichst im Hintergrund bleiben und niemals Wirklichkeit werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das scheint das Prinzip der Bundesregierung zu sein: Wenn ihr etwas nicht gefällt, dann tut sie nichts. Dies hat Herr Draghi so schön mit „First, do nothing“ – Nein zu allem – umschrieben. Das allerdings ist ein Weg, der die Krise in Europa verschärft. Sie müssen den Bürgerinnen und Bürgern endlich sagen: Ja, Europa kostet uns etwas, Solidarität kostet uns etwas, und wir bezahlen das, weil Deutschland am Ende der größte Nutznießer sein wird, wenn Europa wieder solidarisch ist. (Beifall bei der SPD) Eine letzte Bemerkung zu den Ausführungen bezüglich der Erweiterungsperspektiven für den Westbalkan. Man kann trefflich über die Daten streiten, wann man Verhandlungen eröffnet. Die Frau Bundeskanzlerin sagt aber lediglich mit einem nonchalanten Satz, es sei jetzt nicht die Zeit dafür, Termine für Beitrittsverhandlungen zu nennen, ohne dass sie hier im Bundestag deutlich macht, dass sie die Kommission unterstützt, die neue Wege dafür finden will, dass Mazedonien seinen Weg in die EU finden kann, ohne weiterhin von Griechenland und Zypern blockiert zu werden. Wenn sie das sagen und bekräftigen würde: „Wir als Europäer engagieren uns mehr in Bosnien und Herzegowina, um dort etwas auf den Weg zu bringen“, dann würde das doch zumindest zeigen, dass Ihnen eine Perspektive für diese Länder am Herzen liegt. Glauben Sie, es bringt Europa weiter, einfach zu sagen: „Es ist nicht an der Zeit, ein Beitrittsdatum zu nennen“? Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dietmar Nietan (SPD): Das ist für mich eine erbärmliche Politik gegenüber den Menschen auf dem Westbalkan. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will zum Schluss kommen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie müssen zum Schluss kommen. Dietmar Nietan (SPD): Ich will zum Schluss kommen, auch weil der Präsident mich schon sehr nett auf das Ende meiner Redezeit hinweist. – Das Prinzip, verehrte Bundesregierung, immer dann, wenn es Ihnen passt, den Fortschritt in Europa aufzuhalten, müssen Sie ändern. Zum Abschluss will ich an dieser Stelle zitieren, was Außenminister Sikorski in einer großartigen Rede vor ungefähr einem Jahr in Berlin gesagt hat. Er sagte: „Ich fürchte die Macht der Deutschen weniger, als ich die deutsche Untätigkeit zu fürchten beginne.“ Für mich steht zu befürchten, dass die Ängste von Herrn Sikorski nach all dem, was wir bei diesem Rat erleben, größer geworden sind und nicht kleiner. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die christlich-liberale Koalition unterstützt die Bemühungen der Bundesregierung, in Europa eine starke und wettbewerbsfähige Marktwirtschaft zu sichern und weiterzuentwickeln. Das liegt absolut im deutschen Interesse. Die Tagung des Europäischen Rates, die heute in Brüssel beginnt, wird ein weiterer wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Bewältigung der Euro-Krise sein. Sicherung der sozialen Marktwirtschaft mit Wohlstand und Arbeit für alle ist das Grundprinzip und die Ausgangslage unserer Politik, die wir auch in Europa gerne sehen. Heute ist ein guter Tag, weil dem Bundesfinanzminister eine gute Vorlage gelungen ist. Ich darf ihm ausdrücklich herzlich dafür danken, dass er beim Ecofin die Kernforderungen, die wir zur Bankenunion, zur Bankenaufsicht und zur finanzpolitischen Entwicklung aufgestellt haben, im deutschen Interesse durchgesetzt hat, sodass wir uns hier wiederfinden. Herzlichen Dank, Wolfgang Schäuble. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Europa hat schon viele Krisen erlebt und überlebt. Es hat auch aus Fehlern gelernt und Kurskorrekturen vollzogen. Diese Fähigkeit ist immer gefragt. Ich habe keine Zweifel, dass Europa diese Fähigkeit erneut unter Beweis stellen wird. Wir sind bei den Verhandlungen durch die Bundeskanzlerin sicher gut vertreten. Unser Land ist gut vertreten. Wir sind zweifellos Vorbild. Das muss immer wieder deutlich werden. Deutschland hat die beste Krisenbewältigung. Das ist eine Tatsache, meine Damen und Herren. Wir kämpfen mit bestem Wissen und Gewissen für die Sicherung und Weiterentwicklung dieser europäischen Gemeinschaft, weil dies auch im deutschen Interesse ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben? Das glauben Sie doch selbst nicht!) Für alle wollen wir die Wirtschafts- und Währungsunion vertiefen und die wachsende Unsicherheit ausräumen. Es gibt jetzt die Chance, neue Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu erzielen. Die wachsende Unsicherheit muss ausgeräumt werden. Die Verletzungen der Defizitgrenze durch Rot-Grün haben einen großen Schaden angerichtet. Wir haben eine große internationale Wirtschafts- und Finanzmarktkrise zu bewältigen. Wir haben jetzt die Situation, dass wir Fortschritte auf dem Wege der Krisenbewältigung in Europa erzielen. Die Konsolidierungsschritte kommen voran. Eine Grundlage für neues Wachstum und Beschäftigung in Europa ist die Halbierung der Staatsdefizite. Ohne eine Konsolidierung der Staatshaushalte gibt es kein neues Wachstum und keine neue Beschäftigung in Europa. Dieser Ansatz wird von uns verfolgt und wurde auch erfolgreich gestaltet, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ohne neues Wachstum gibt es keine sanierten Haushalte! Wann begreifen Sie das endlich?) Die christlich-liberale Koalition steht zur Solidarität mit unseren europäischen Nachbarn. Es gibt aber keine Solidarität ohne Gegenleistung. Wenn in der Europäischen Union die Starken den Schwachen helfen, erwarten wir von den Hilfeempfängern zu Recht besondere Solidität in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das ist die Grundlage. Wenn Frau Göring-Eckardt salbungsvoll sagt, Deutschland müsse noch mehr leisten, dann ist das eine völlige Fehleinschätzung. Einschneidende Reformen müssen natürlich sein. Wir können nicht zulassen, dass andere Länder Strukturreformen verweigern und mehr Geld von uns erhalten wollen. Es gibt dafür keine Grundlage. Wir haben selbst einschneidende Reformen durchgeführt und die Lohnstückkosten gesenkt, auch durch Lohnverzicht unserer Arbeitnehmer. Das ist der Ansatz, bei dem wir darauf achten müssen, dass die Balance stimmt. Wir müssen Akzeptanz für die europäische Politik auch im Inland finden. Ich glaube, dieses Geben und Nehmen unter der ständigen Voraussetzung, dass wir eine Gegenleistung zur Solidarität benötigen, ist der richtige Kurs, der von unserer Koalition eingeschlagen wurde. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer es mit der Konsolidierung ernst meint, darf nicht den Funken eines Zweifels daran aufkommen lassen, dass Haftung und Kontrolle nun einmal zusammengehören. Sie von der SPD und den Grünen sind von diesem Grundsatz nach wie vor weit entfernt. Herr Gabriel hat gewissermaßen ein Horrorszenario der Finanz- und Europapolitik gemalt. (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Zu Recht!) Dabei wissen wir doch, dass wir die Schuldenbremse in Deutschland einhalten, den Fiskalpakt auf den Weg gebracht haben und letzten Endes auch ohne Nettoneuverschuldung und strukturelles Defizit in den Haushalt 2014 gehen. Das ist unser Weg, meine Damen und Herren. Was aber macht Rot-Grün? Rot-Grün hat in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg mehr Schulden gemacht. Wir in Bayern machen seit acht Jahren keine neuen Schulden. Wo sitzen denn die Schuldenbarone in Deutschland? Sie sitzen hier bei Rot-Grün. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich hätte erwartet, dass nach der gestrigen Pressekonferenz zur angeblichen Bändigung der Finanzpolitik Herr Steinbrück und Herr Trittin das Wort ergreifen. Das wären sie dem Parlament eigentlich schuldig gewesen; (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Das ist eine Regierungserklärung, keine Oppositionserklärung!) statt nur draußen Reden zu schwingen, hätten sie auch hier deutlich machen müssen, was sie als Gegenentwurf zu unserer Politik der Konsolidierung und Entschuldung vorhaben. (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Wo sind denn die beiden? Alle weg!) Das Programm zur Überwindung der Finanzkrise, das von Herrn Steinbrück und Herrn Trittin, sozusagen dem finanzpolitischen Duo infernale, vorgestellt wurde, würde Deutschland und Europa innerhalb kürzester Zeit zugrunde richten. Ihr Ansatz ist völlig falsch. Sie wollen den Banken 200 Milliarden Euro nehmen. Wo sollen die Banken dann noch Eigenkapital zur Finanzierung der Realwirtschaft hernehmen? Das ist doch Voodoo-Politik, meine Damen und Herren. So, wie es von Herrn Steinbrück vorgeschlagen wurde, geht Wirtschaftspolitik nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Heute ist ein guter Tag für die Realwirtschaft und für den deutschen Mittelstand, weil nun auch bei der Bankenaufsicht Klarheit besteht: Die von uns immer geforderte Trennung der Bankenaufsicht in eine europäische Aufsicht und eine nationale Aufsicht für unsere Sparkassen und Genossenschaftsbanken wurde durchgesetzt. Das ist ein Erfolg, dass keine Überbürokratie entsteht, sondern die erforderliche Finanzierung des Mittelstands durch die Sparkassen und Genossenschaftsbanken erfolgen kann. Das ist praktische und erfolgreiche Politik für Europa und in Europa, meine Damen und Herren. Deswegen darf ich deutlich machen, dass wir den Gipfel, der heute und morgen ansteht, mit großem Interesse verfolgen werden. Wir wünschen unserer Verhandlungsführerin, der Frau Bundeskanzlerin, alles Gute und auch, dass sie diesen Kurs, Solidarität zu üben, aber auch Solidität einzufordern, weiter durchsetzen und fahren kann. Das ist der Kurs, der bisher erfolgreich gestaltet wurde und der auch für die Zukunft Erfolg verspricht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bettina Kudla ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Bettina Kudla (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Vorfeld des Europäischen Rates, welcher heute und morgen stattfindet, lagen der Rompuy-Bericht, also die Mitteilung des Europäischen Rates, und der Bericht der Europäischen Kommission, überschrieben mit „Ein Konzept für eine vertiefte und echte Wirtschafts- und Währungsunion“, als Auftakt für eine europäische Diskussion vor. Vieles in diesem Diskussionspapier ist sehr kritisch zu sehen. Als Blueprint – so wird das Kommissionspapier genannt – eignet es sich allerdings nur teilweise. Nicht nur, dass sich die Kommission für Euro-Anleihen ausspricht. Nein, hinter den Vorschlägen mit wohlklingenden Überschriften – integrierter Finanzrahmen, integrierte Haushaltspolitik und integrierter wirtschaftspolitischer Rahmen – verbergen sich Vorschläge zur Einführung einer Transferunion. Nichts anderes zum Beispiel bedeutet der Vorschlag zur integrierten Fiskalkapazität. Auch die Leichtfertigkeit, wie mit dem Einstimmigkeitsprinzip umgegangen wird, ist problematisch. Es ist daher gut und richtig, dass die Bundesregierung nicht alle diese Vorschläge akzeptiert. Die Konsolidierung der nationalen Haushalte wird nur gelingen, wenn die nationalen Reformprogramme auch wirklich wirtschaftlichen Gehalt haben. Dazu bedürfen die Vereinbarungen, die im Rahmen des Europäischen Semesters getroffen werden, einer konsequenten und nachprüfbaren Umsetzung. Die Konsolidierung der nationalen Haushalte muss sich auf die Schwerpunkte konzentrieren, die die Haushalte am meisten belasten. In der Regel sind das die Zuschüsse zu den sozialen Sicherungssystemen wie die Renten-, die Kranken- und die Arbeitslosenversicherung. Auf diese Kernelemente und nicht auf verschiedene Details muss sich das Europäische Semester konzentrieren. Ein echtes Konzept für eine vertiefte Wirtschafts- und Währungsunion muss all die Maßnahmen und Rahmenbedingungen enthalten, die die europäischen Länder wirklich stark gemacht haben. „Bitte gut zuhören, Herr Gabriel“, wollte ich jetzt eigentlich sagen. Aber er ist leider nicht mehr anwesend. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Doch, da ist er! – Sigmar Gabriel [SPD]: Ich würde es doch nicht wagen, zu gehen!) – Da ist er. Umso besser! Bitte gut zuhören! Zu viel Geld ausgeben allein, hat die einzelnen Länder sicherlich nicht vorangebracht. Das ist doch ein Grund für die vielen Probleme. Die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft haben die Länder vorangebracht. Gute Rahmenbedingungen, damit sich wirtschaftliche Kreativität entfalten kann, sind das Erfolgsrezept. Die EU braucht einen flexiblen Arbeitsmarkt, der insbesondere den kleinen und mittelständischen Unternehmern ermöglicht, auf Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften zu reagieren. Wenn der Export eine Volkswirtschaft stark macht, dann soll diese Stärke auch erhalten bleiben. Entscheidend für eine importorientiere Volkswirtschaft ist, dass sie nur das finanziert, was sie sich leisten kann, und dass sie strukturelle Anstrengungen unternimmt, die Importabhängigkeit zu verringern. Gute Finanzierungsbedingungen für mittelständische Betriebe sind das Erfolgsrezept. Sparkassen, Volksbanken und Förderbanken haben den Mittelstand in Deutschland stark gemacht, da diese Banken für die notwendige Finanzierung gesorgt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Schwäche des Mittelstandes in anderen Ländern muss daher durch die Schaffung entsprechender struktureller Rahmenbedingungen für die Finanzierung ausgeglichen werden. Direkte Finanzhilfen sind aber nicht die Lösung. Tenor der Vorschläge aus Brüssel ist, die Probleme mit der Bereitstellung finanzieller Hilfen lösen zu wollen. Das ist auch der Tenor der Vorschläge der Opposition. Ich betone nochmals: Nur die strukturellen Rahmenbedingungen einer sozialen Marktwirtschaft können das Erfolgsrezept der EU sein. (Beifall bei der CDU/CSU – Dietmar Nietan [SPD]: Doch nicht allein!) Die föderale Struktur mit unseren 16 Bundesländern und den Kommunen, die unser Land wirtschaftlich vorangebracht hat, darf nicht durch Vorgaben der Europäischen Kommission zerstört werden. Der Ruf nach mehr Zentralismus in Europa ist verführerisch. Er ist vielleicht auch deswegen so laut, weil in anderen europäischen Ländern diese kleinteilige Struktur der Kommunen nicht so ausgeprägt ist. Denken wir zum Beispiel an die Hoheit der Kommunen bei den kommunalen Steuern und an die eigene Entscheidungshoheit bei Investitionen und Wirtschaftsansiedlungen. Aus der Möglichkeit der Entscheidung vor Ort erwächst wirtschaftliche Stärke, da die Entscheidungsträger konkret auf die Gegebenheiten vor Ort reagieren können. Und: Die Entscheidungsträger können auch vor Ort zur Verantwortung gezogen werden. Bei all den Überlegungen zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion, insbesondere auch bei denen zur Bankenaufsicht, sei an Folgendes erinnert: Grundsätzlich gilt: Kein Unternehmen, kein Investor sollte sich bei seiner Investitionsentscheidung ausschließlich von steuerlichen Anreizen oder der Möglichkeit der Erlangung von Subventionen – sprich: von Geld – leiten lassen. (Beifall des Abg. Dr. Michael Meister [CDU/CSU]) Die Erfahrung zeigt, dass dann häufig keine Nachhaltigkeit gegeben ist. So ist es auch bei der Diskussion über die Bankenaufsicht. Das Ziel der Errichtung einer funktionierenden Bankenaufsicht für systemrelevante Banken muss bei der Diskussion im Vordergrund stehen, und nicht das Ziel der Erlangung von finanziellen Mitteln für marode Banken. Daher ist es gut und richtig, dass die Bundesregierung einen Stresstest von denjenigen Banken fordert, die künftig unter das Dach der europäischen Bankenaufsicht kommen sollen. Bei der Aufnahme in die EU mussten die Länder jeweils die Kopenhagener Kriterien erfüllen. Ich sage das ganz bewusst; denn manchmal scheint das aus dem Blickwinkel zu geraten. Das bedeutet, dass die Beitrittskandidaten über ein funktionierendes Staatswesen verfügen mussten. Das war die Aufnahmevoraussetzung. In den zurückliegenden Monaten wurde immer mehr festgestellt, dass es in mehreren Ländern zum Teil keinen funktionierenden Staatsapparat gibt. Die Lösung kann aber auf keinen Fall darin liegen, dass nun Brüssel nationale Aufgaben übernimmt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Subsidiaritätsprinzip gilt nach wie vor. Vorschläge der Kommission, die die Regeln des Lissabon-Vertrags einfach außer Acht lassen, werden dem Anspruch einer Vision über die Weiterentwicklung von Europa nicht gerecht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Bettina Kudla (CDU/CSU): Sie sind auch nicht im Interesse unserer Bürger. Lassen Sie mich daher meine Rede mit einem Dank an die Bundesregierung schließen: Danke, Frau Bundeskanzlerin, (Zurufe von der LINKEN: Oh!) danke, Herr Bundesfinanzminister, dass Sie die Interessen unserer Bürger in Europa wahrnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Europäische Rat, der heute beginnt, wird grundlegende Weichen für die europäische Bankenaufsicht stellen. Ich halte es zunächst für wichtig, festzuhalten, dass wir diese europäische Aufsicht stärken, dass wir aber auch die nationale Aufsicht über die Banken enger koordinieren. Es geht also nicht allein um Zentralisierung, sondern es geht vor allem darum, dass möglichst viele Augen darauf schauen, wie Banken beaufsichtigt werden und wie sie Geschäfte betreiben. Dabei gibt es keinen Zeitdruck. Ich glaube, das kann eine wichtige Botschaft dieses Gipfels sein: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich halte es auch für notwendig, dass wir die europäischen Regeln zur Bankenaufsicht auf wirklich systemrelevante Institute beschränken. Denn das Ziel der europäischen Bankenaufsicht besteht doch darin, dass Banken, wenn sie straucheln, nicht ganze Staaten mit in den Abgrund reißen können. Deshalb wollen wir auf europäischer Ebene die Geschäftstätigkeit von Banken überwachen. Dazu ist es notwendig, dass man die Kontrolle risikoadäquat ausübt. Ich freue mich, dass es in der letzten Nacht offenbar gelungen ist, dafür objektive Kriterien zu finden. Man will nämlich an der Bilanzsumme der Banken festmachen, ob die europäische oder die nationale Bankenaufsicht zuständig ist. Es gehört meines Erachtens noch etwas Weiteres dazu, die Bankenaufsicht zu verbessern. Wir sollten darauf achten, dass der Kauf von Staatsanleihen auch mit Eigenkapital hinterlegt werden muss. Wenn wir darauf abzielen, dass wir Banken und Staaten in ihrer Tätigkeit voneinander trennen und dass die Zukunft von Staaten und Gesellschaften nicht davon abhängig sein soll, wie erfolgreich die Banken wirtschaften, dann dürfen wir nicht zulassen, dass sich die Banken förmlich aufsaugen mit Staatsanleihen, die sie nicht mit Eigenkapital hinterlegen. Vielmehr gehört es zur Stabilität auf den Finanzmärkten, dass Staatsanleihen ebenfalls mit Eigenkapital hinterlegt werden. Wenn die Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank angesiedelt werden soll – die Verträge geben nach meiner Lesart zumindest einige Hinweise darauf, dass einzelne Aufgaben bei der Aufsicht auf die Europäische Zentralbank übertragen werden können –, dann müssen wir darauf achten, dass die Aufsicht von der Geldpolitik strikt getrennt wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dann darf es nicht sein, dass man die Abstimmungsregeln, die man für die unabhängige Geldpolitik vereinbart hat, eins zu eins auf die Bankenaufsicht überträgt. Vielmehr müssen wir uns die Abstimmungsregeln in der Europäischen Zentralbank dann noch einmal anschauen, und wir müssen darauf achten, dass Deutschland ein ständiges Stimmrecht im EZB-Rat hat und dass sich das Stimmgewicht dort an den Haftungsmassen orientiert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn eine europäische Bankenaufsicht geschaffen werden soll, dann müssen wir zeitgleich dafür sorgen, dass auch Regeln über die Abwicklung von Banken bestehen, Regeln, über die wir uns gemeinsam verständigen. Man kann nicht einerseits die Erwartung wecken, Banken zu helfen, ohne andererseits die Frage zu beantworten, was mit maroden Banken passiert, denen man auch mit Hilfe nicht mehr beikommen kann, die man vielleicht abwickeln muss, die man in die Insolvenz schicken muss, die man fusionieren muss – wie auch immer. Diese Regeln müssen nach Möglichkeit zeitgleich mit der Bankenaufsicht geschaffen werden. Dabei muss auch deutlich werden, dass es zunächst eine vorrangige Aufgabe der Mitgliedstaaten ist, die Abwicklung von Banken zu regeln. Es sind zunächst einmal die Inhaber der Banken, die ein Ungleichgewicht in den Bilanzen beseitigen müssen, im Zweifel durch eine Kapitalerhöhung. Es sind ansonsten die Gläubiger der Banken, die herangezogen werden müssen. Erst wenn die direkt Betroffenen nicht ausreichend in der Lage sind, ein Kreditinstitut zu stabilisieren, dann muss der Sitzstaat der jeweiligen Bank überlegen, ob er eingreift. Wir haben in Deutschland mit unserem Finanzmarktfonds Entsprechendes gemacht. Wir haben dabei sehr klare Kriterien angelegt. Wir haben Zinsen verlangt, die deutlich über Marktniveau lagen, sodass diese Hilfen nur in Anspruch genommen worden sind, wenn es gar nicht mehr anders ging, und sie so schnell wie möglich zurückgezahlt wurden. Wenn es mit Zinsen über Marktniveau nicht gereicht hat – wie im Falle der Hypo Real Estate –, dann haben wir das Problem durch eine staatliche Beteiligung gelöst. Das ist also eine ganz klare Schrittfolge, die auch in allen anderen Mitgliedstaaten eingehalten werden muss. Darauf sollten wir achten. Meine Damen und Herren, das öffentliche Interesse, das wir als Politiker vertreten, kann sich doch nicht darauf richten, Banken generell zu retten. Es gibt kein öffentliches Interesse daran, ein bestimmtes Unternehmen oder eine bestimmte Bank per se zu retten. Es gibt ein öffentliches Interesse daran, die Spareinlagen zu sichern. Es gibt ein öffentliches Interesse daran, die Kreditversorgung des Mittelstands zu sichern. Es gibt ein öffentliches Interesse daran, die Liquidität, die Funktionsfähigkeit des Finanzmarkts zu sichern. Dafür waren wir in Deutschland bereit, Steuermittel einzusetzen. Es ist mir wichtig, dass wir auch auf europäischer Ebene deutlich machen, dass wir hier eine Rangfolge einhalten müssen und dass Steuermittel nur im Notfall eingesetzt werden können und nur gegen Reformauflagen, was aber ergänzt werden muss durch Mechanismen zur Abwicklung von Banken. (Beifall bei der CDU/CSU) In diesem Zusammenhang wird über einen einheitlichen Einlagensicherungsfonds in Europa diskutiert, den Sie von der Opposition immer wieder fordern. (Klaus Hagemann [SPD]: Das hat der Sachverständigenrat gesagt!) Ich will nur darauf hinweisen, dass wir bereits europäische Vorschriften haben, die alle Mitgliedstaaten verpflichten, nationale Einlagensicherungssysteme zu errichten. Diese Einlagensicherungssysteme dienen dazu, die Einlagen unserer Sparer zu sichern. Wenn Sie diese Mittel der Einlagensicherung jetzt für ganz andere Zwecke ausgeben wollen, dann müssen Sie uns schon die Frage beantworten, wie Sie denn dann die Einlagen unserer Sparer sichern wollen; denn Sie können einen Euro nicht zweimal ausgeben. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können in Europa nicht so Politik machen, dass wir alles in einen gemeinsamen Topf schmeißen und damit den Sinn der eigenen Einlagensicherung untergraben. Wer die Einlagensicherungsmittel für andere Zwecke wie beispielsweise die Abwicklung von Banken ausgeben will, der muss deutlich machen, dass dann die Einlagen der Sparer nicht mehr gesichert werden. Das ist mit uns nicht zu machen. Deswegen sind wir gegen einen einheitlichen Fonds zur Einlagensicherung und gegen grenzüberschreitende Einstandspflichten in der Europäischen Union. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Europäische Kommission hat eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Ich will sie nicht im Einzelnen bewerten. Aber eines muss doch deutlich werden: Wir dürfen die Krise jetzt nicht zum Anlass für einen weiteren Zentralisierungsschub nehmen, sondern wir sollten uns tunlichst auf das Notwendige beschränken, nämlich auf das, was jetzt erforderlich ist, um die Not zu wenden. Die Europäische Kommission hat viele neue Vorschläge gemacht – von Frauenquoten bis zur Tachografenpflicht. Da würde ich mir wünschen, dass die Europäische Kommission in ihrer Arbeit auch zu erkennen gibt, dass sie die Prioritäten richtig setzt; alles andere ist diskreditierend für die europäische Idee. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich kann auch den Vorschlägen für eine neue fiskalische Kapazität, wie das so schön heißt, also für einen neuen Haushalt der Euro-Zone, wenig Charme abgewinnen. Das wäre der Weg in die Verschuldung der Europäischen Union. Das wäre der Weg, Euro-Bonds durch die Hintertür einzuführen und im Übrigen auch die nationalen Parlamente auszuhebeln. Deswegen halte ich diese Vorschläge der Kommission eher für Science-Fiction. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was jetzt unmittelbar notwendig ist, um die Handlungsfähigkeit in der Euro-Krise sicherzustellen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließen: Unser Ziel muss sein, dass alle Länder in Europa wettbewerbsfähig werden; das ist in einem globalen Maßstab erforderlich. Dazu braucht es Haushaltsdisziplin. Dazu braucht es Strukturreformen. Wir müssen uns dem Wettbewerb stellen und dürfen nicht nur Kuschelzonen schaffen. Wir müssen jetzt die Ärmel hochkrempeln. (Willi Brase [SPD]: Sprechblasen!) Wir dürfen nicht darin verfallen, Schuldige zu suchen, sondern wir müssen jetzt Leistungsbereitschaft zeigen und dürfen nicht in Lethargie verfallen. Das ist der richtige Weg aus dieser Krise. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11848. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen von SPD und Grünen abgelehnt. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11849. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über einen weiteren Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11850. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Studienfinanzierung sozial gerecht gestalten – Studiengebühren abschaffen und BAföG stärken – Drucksache 17/11823 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Gohlke, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Studiengebühren jetzt bundesweit abschaffen – Drucksache 17/11824 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Neunzehnter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Absatz 2 – Drucksache 17/8498 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem von uns eingebrachten Antrag möchten wir die Aufmerksamkeit des Plenums, aber auch der Öffentlichkeit auf drei Punkte richten, die uns im Umfeld von Studienfinanzierung und BAföG besonders wichtig sind. Der erste Punkt ist: Wir brauchen noch mehr Schub in Richtung Abschaffung der Studiengebühren. Der zweite Punkt ist: Wir brauchen eine neue Ausrichtung der Stipendienkultur. Der dritte Punkt ist: Wir brauchen eine klare Antwort in Bezug auf die Stärkung des BAföG. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der erste Punkt. Manchmal geht Bildungspolitik merkwürdige Wege. Wir alle hier im Bundestag und manche außerhalb des Parlaments wissen, dass die Bundesbildungsministerin wie auch die Verantwortlichen in der CDU/CSU und FDP-Fraktion pro Studiengebühren sind. Wenn man das weiß, wundert man sich, dass in Hessen, wo CDU und FDP mit klarer Mehrheit regieren, keine Studiengebühren existieren. In Hessen haben CDU und FDP nämlich beibehalten, was SPD und Grüne durchgesetzt haben: Weg mit Studiengebühren! (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir wissen, dass in Nordrhein-Westfalen ein Möchte-gern-Ministerpräsident angekündigt hatte, auch er werde dort die Rücknahme der Studiengebühren beibehalten, weil sie keinen Sinn machen. Im Saarland hat die CDU-Ministerpräsidentin nicht darauf gedrungen, Studiengebühren einzuführen. In Berlin hat der stellvertretende Regierende Bürgermeister ebenfalls nicht darauf gedrungen. Und was ist mit Seehofer in Bayern? Das von Einsicht geprägte Südgestirn der deutschen Bildungspolitik hat allen versprochen: Es wird nach der nächsten Landtagswahl, egal wie sie ausgeht, keine Studiengebühren in Bayern geben. An dieser Stelle wollen wir Klarheit. Wir wollen Klarheit über die Position der bürgerlichen Koalition von CDU/CSU und FDP. Wir wollen Klarheit darüber, wohin sie sich orientiert. Diese Klarheit muss es auch in Bezug auf Niedersachsen geben; denn Niedersachsen, regiert von CDU und FDP, ist offensichtlich das letzte Bundesland ohne Einsicht. In Niedersachsen müssen jetzt die Wählerinnen und Wähler dafür sorgen – so haben sie es auch in anderen Ländern getan –, dass Studiengebühren sozusagen abgewählt werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Besser wäre es allerdings, wenn nicht erst die Wähler dafür sorgen müssten, sondern wenn die Einsicht beim bayerischen Ministerpräsidenten vielleicht schon jetzt dazu führen könnte, Studiengebühren auch in Bayern abzuschaffen. Besser wäre es außerdem, wenn die Einsicht bei allen für Bildungspolitik Verantwortlichen dahin führen könnte, Studiengebühren deshalb abzuschaffen, weil diese Gebühren ein Studium, das sowieso teuer ist und die Familien finanziell beansprucht, noch teurer machen. Deshalb: Studiengebühren weg, damit alle einen Zugang zum Studium haben und es keine Finanzierungsbelastung gibt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir brauchen Studenten aus allen sozialen Schichten. Wir wollen eine positive Weiterentwicklung der Hochschulen, wir wollen, dass Hochschulen attraktiv sind, zu einem Studienabschluss führen und allen eine Bildungs- und Berufsperspektive bieten. Hochschulpolitik für alle sozial gerecht zu gestalten, ist das erste Ansinnen, das wir haben. Der zweite Punkt bezieht sich auf die neue Ausrichtung der Stipendienkultur. Wir und auch Sie wissen, dass wir in der Großen Koalition vieles getan haben, die Begabtenförderwerke besser auszustatten. Sie wissen, dass wir unterschiedlicher Auffassung über das Deutschlandstipendium sind. Aber es gibt einen Konsens darüber – das wird anscheinend vergessen –, dass auch in der Hochschulbildung soziale Gerechtigkeit der Maßstab ist. Es gibt viele beruflich Qualifizierte ohne Abitur, die gerne ein Aufstiegsstipendium in Anspruch nehmen würden. Sie können das aber nicht tun, weil das Ziel von 10 000 Stipendien, mit dem das Studium von beruflich Qualifizierten unterstützt werden soll, noch nicht erreicht ist. Da sind wir bei 4 200 hängen geblieben. Wir möchten Ihnen allen empfehlen: Wenn wir die Stipendienkultur in Deutschland gemeinsam neu ausrichten wollen, sollten wir mit den Begabtenförderwerken ins Gespräch kommen, damit diese besonders Studierende aus nicht so guten finanziellen Verhältnissen in den Blick nehmen. Wir sollten uns außerdem darum bemühen und dafür werben, das Aufstiegsstipendium als eine von uns allen getragene Perspektive der Stipendienkultur zu verstärken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mittelfristig müssen wir dafür sorgen, dass es einen Rechtsanspruch darauf gibt und dass es nicht bei einer Stipendienlotterie bleibt. Man sollte sich planerisch darauf einstellen können, unter bestimmten finanziellen oder sozialen Voraussetzungen eine Unterstützung für einen gewählten Bildungsweg zu erhalten. Die mittelfristige Perspektive muss dahin gehen, diese Überlegungen zum Inhalt des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes zu machen. Damit komme ich zum dritten Punkt, zum BAföG. Auch die Studierendenförderung bietet eine Perspektive für mehr Gerechtigkeit im Hochschulbereich. Es gibt einen Rechtsanspruch auf BAföG. Dieser Rechtsanspruch wurde zwischenzeitlich in Zweifel gezogen. Mittlerweile konnten wir aber erleben – in der Großen Koalition, aber auch in der CDU/CSU-FDP-Koalition –, dass wieder mehr fürs BAföG getan wird. Wenn das BAföG jedoch wieder die Qualität bekommen soll, die es in den Anfangsjahren, also vor 40 Jahren, einmal hatte, als es von fast 50 Prozent der Berechtigten tatsächlich in Anspruch genommen wurde, dann darf es hinsichtlich der Verbesserungen der Bedingungen für den Erhalt von BAföG zu keinem Stillstand kommen. Deshalb sagen wir: Wir wollen endlich eine Antwort seitens der Bundesregierung auf die Frage, was sie zusätzlich zur Verstärkung des BaföG tun will. Dieses Spiel zwischen Bund und Ländern, bei dem jeder auf den anderen schaut, zerstört wiederum das Vertrauen in das BAföG, das Studierende mittlerweile gewonnen haben. Aus unserer Sicht sollte die Perspektive darin bestehen – vielleicht können wir hier gemeinsam handeln –, vor allen Dingen die Freibeträge stärker anzuheben. Denn die Anhebung der Freibeträge hat vielen Studierenden den Zugang zum BAföG überhaupt erst ermöglicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In Klammern sage ich: Wer sich so echauffiert über die kalte Progression im Steuerrecht, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Daran halten Sie ja fest!) der darf einen kurzen Moment darüber nachdenken, ob nicht auch beim BAföG das Problem darin besteht, dass manche Familien aus dem Kreis der Berechtigten herausfallen, weil ihr Einkommen gewachsen ist und sie damit nicht mehr anspruchsberechtigt sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da wir in der Hochschulbildungsrepublik etwas ganz Konkretes tun wollen, lautet unser Wunsch: Unternehmen Sie etwas in Bezug auf die Erhöhung der Freibetragsgrenzen, weil dies dafür sorgt, dass mehr Menschen, die eine Hochschule besuchen wollen, einen Rechtsanspruch auf Unterstützung haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte abschließend sagen: Sie von CDU/CSU und FDP haben jetzt die Chance, uns Klarheit zu verschaffen – sei es im Namen Ihrer eigenen Fraktion oder im Namen der Koalition –, wie es denn eigentlich von Bayern bis Niedersachsen um Ihre Position im Hinblick auf Studiengebühren bestellt ist. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: 91 b!) Sind Sie bei Seehofer, oder wo stehen Sie? Ich frage weiter: Wie ernst nehmen Sie das, was im Hinblick auf die Aufstiegsstipendien und damit auf den verbesserten Zugang zur Hochschulbildung für beruflich Qualifizierte geplant ist? In Bezug auf das BAföG frage ich: Meinen Sie, Nichtstun macht das BAföG stärker? Gehen Sie mit uns den Weg, das BAföG mehr Familien und mehr Studierenden zugänglich zu machen. Diese drei Fragen zur Gerechtigkeit sollten Sie heute dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit beantworten. Danke schön. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In elf Tagen ist Weihnachten. Da darf man als Bildungs- und Forschungspolitiker schon mal mit einigen Fakten – Weihnachtskugeln gleich – beginnen, die den Menschen in unserem Lande ein Leuchten und Glänzen in die Augen zaubern sollten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Der Haushalt für Bildung und Forschung ist in dieser Legislaturperiode um 13 Milliarden Euro gewachsen. Die deutsche Forschung ist Weltspitze; junge erfolgreiche Forscherinnen und Forscher kehren nach Deutschland zurück. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Thema verfehlt!) Die Zahl der Studienanfänger ist seit 2006 pro Jahr um 8,5 Prozent gestiegen: 2011 begannen 517 000 junge Menschen ein Studium. Nie gab es weniger Schulabbrecher, nie gab es mehr Abiturienten und Hochschulabsolventen als in diesem Jahr. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Qualitätspakt Lehre mit strukturellen Verbesserungen für die Studierenden an unseren Hochschulen ist auf dem Weg. Ausbildungspakt und Bildungspaket sichern die Chancen benachteiligter junger Menschen auf einen Aufstieg durch Bildung. Und was machen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in Ihrem Antrag? – Das gilt allerdings weniger für Ihre Rede, lieber Herr Rossmann. – Sie kommen wie der Weihnachtsmann durch den Schornstein, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Seit wann ist es so, dass ein Weihnachtsmann durch den Schornstein kommt?) auf dem Rücken ein großer, dicker Sack mit vermeintlichen Geschenken. Auf dem Sack steht: Studienfinanzierung. Aber was ist in diesem Sack drin? Solides, nachhaltiges Holzspielzeug oder vielleicht innovative Hightechware? Nein, nur unnützer Plastikramsch, allesamt Ladenhüter. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Der Weihnachtsmann stellt sich vor den Weihnachtsbaum. In der Hand hält er eine Rute. Darauf steht: soziale Selektivität. Wild wedelt der Bärtige die Rute durch die Luft und versucht vergeblich, den Anwesenden Angst einzujagen, wenn sie schon seine Geschenke nicht haben wollen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Versündigen Sie sich nicht!) Und was hat der Weihnachtsmann mit der Realität zu tun? Nichts, genauso wenig wie der Antrag der SPD, Herr Rossmann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie wollen das Bild einer Alternative in der Bildungspolitik zeichnen, aber Ihr Bild gerät zum Zerrbild. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ihr Bild ist aber auch ein Zerrbild!) Es ist fast schon tragisch, Herr Rossmann. Sie outen sich als eine bildungsferne Partei, als eine Partei fern der bildungspolitischen Realität in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das weiß jeder spätestens dann, wenn er Ihren Antrag liest oder wenn er von SPD-Bildungspolitik in den Ländern betroffen ist. Man kann nur hoffen, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande schlauer sind und nicht auf Ihre Ladenhüter hereinfallen. Ich möchte anhand von drei Beispielen verdeutlichen, welches Zerrbild Sie in Ihrem Antrag zeichnen: Erstens: Chancengerechtigkeit, Chancengleichheit. Zu Anfang Ihres Antrages schreiben Sie wieder einmal von der angeblichen „sozialen Selektivität im deutschen Bildungswesen“ und davon, dass es Ihrer Meinung nach zu viele Akademikerkinder gibt, die studieren. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein!) Zwei Absätze weiter steht, dass die Studienanfängerquote mittlerweile bei deutlich mehr als 50 Prozent eines Jahrgangs liegt und wir erstmals in der deutschen Geschichte rund 2,5 Millionen Studierende haben. Bravo! Wann also sind Sie denn zufrieden? Wenn 100 Prozent eines Jahrgangs Abitur machen und 100 Prozent studieren? (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist doch albern!) In der Folge würde es dann nur noch Akademikerkinder geben, was nach Ihrer Logik ein Zeichen großer sozialer Ungerechtigkeit wäre. Dabei ist es doch ganz einfach: Ein höherer Akademisierungsgrad in unserer Bevölkerung führt zwangsläufig auch zu mehr Akademikerkindern an unseren Hochschulen. Im Übrigen gibt es nach wie vor Unterschiede in der Studierwahrscheinlichkeit zwischen Arbeiter- und Akademikerkindern, und diese Unterschiede – nehmen Sie bitte auch das zur Kenntnis! – laufen seit Mitte der 90er-Jahre praktisch parallel. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie können eben nicht alle Unterschiede bei der Studierneigung mit Politik und Geld allein beeinflussen. Sie reden immer von der sozialen Selektivität unseres Bildungssystems, ändern daran aber selbst nichts. Wie sieht denn die Realität aus? In der von Ihnen angeführten 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks steht Berlin ganz eindeutig als das sozial ungerechteste Bundesland da. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Aha!) Dort stehen Sie von der SPD seit über zehn Jahren in Regierungsverantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dort haben Sie keine Ihrer eigenen Forderungen umgesetzt. Nehmen wir die aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung. In welchen Schulsystemen gibt es die höchste Durchlässigkeit nach oben? Sie ahnen es: in Bayern und Baden-Württemberg, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Aha!) beides Länder, die noch nicht jahrelang SPD-Bildungspolitik erdulden mussten. Leider ist der SPD-geführte Bildungsabbau in meinem Heimatland Baden-Württemberg nun gerade in vollem Gange: Heute demonstrieren in Stuttgart Tausende Lehrer, angeführt von der GEW, gegen die katastrophale grün-rote Bildungssparpolitik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie können denen in Baden-Württemberg nichts von einem Bildungsaufbruch unter der SPD erzählen; denn sie kennen die Diskrepanz zwischen dem, was die SPD fordert, und dem, was sie vor Ort tut. Zweitens: BAföG. Sie besitzen die Dreistigkeit, erneut über die glorreichen Zeiten des BAföG während Ihrer Regierungszeit zu schreiben. Sie verschweigen, dass es die SPD-geführte Bundesregierung unter Bundeskanzler Schmidt war, die bereits 1981 erhebliche Leistungskürzungen beim BAföG durchgesetzt hat. In der glorreichen Zeit Ihrer Regierung von 1998 bis 2005 ist Ihnen, abgesehen von einer einzigen BAföG-Erhöhung im Jahr 2001, der wir zugestimmt haben, nicht viel gelungen. Für die meisten Betroffenen kamen nicht einmal 10 Euro im Monat mehr heraus. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das stimmt nicht! Das Kindergeld wurde erhöht!) Sie wissen schon: Stichwort „Pizzareform“. Unter der CDU/CSU-geführten Bundesregierung mit der Ministerin Annette Schavan konnten beim BAföG hingegen viele Erfolge erreicht werden. Wir haben 2011 Rekordausgaben für das BAföG verbucht. Erstmals wurden mehr als 3 Milliarden Euro ausgegeben. Die Zahl der BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger erreichte mit 963 000 Personen fast die Millionengrenze. Seit 2005 wurden die BAföG-Ausgaben um 43 Prozent gesteigert. Damit ist das BAföG der größte Einzelposten im Bildungshaushalt. Auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Es gibt keine Kürzungen beim BAföG; daran ändern auch Ihre Falschbehauptung in Ihrem Antrag und auch die zehnte falsche Pressemitteilung von Ihnen, Herr Kollege Hagemann, nichts. (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: So ist das!) Im Übrigen hat Annette Schavan – Herr Rossmann, das haben Sie angesprochen – den Ländern längst Gespräche über eine Weiterentwicklung des BAföG angeboten. Mir ist aber leider kein einziges SPD-regiertes Land bekannt, das sich für eine BAföG-Erhöhung einsetzt. (Patrick Meinhardt [FDP]: Richtig!) Ihr Antrag ist in diesem Punkt also wieder einmal pure Show. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Patrick Meinhardt [FDP]) Sie fordern von anderen viel und liefern selbst nichts; das ist auch Ihre Haltung beim BAföG. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Typisch SPD!) Drittens zum Deutschlandstipendium. Man kann sich immer nur wundern: Wir geben die Verdoppelung der Zahl der Stipendien auf immerhin 11 000 in diesem Jahr bekannt, und Sie schaffen es, auch das noch schlechtzureden. Das alles ficht Sie aber nicht an. Sie fordern, das erfolgreich gestartete Stipendium abzuschaffen und die Mittel dem BAföG oder den Begabtenförderungswerken – so klar wird das in Ihrem Antrag nicht – zukommen zu lassen. Dies würde der von Ihnen offensichtlich nicht gewollten Mitfinanzierung unseres Hochschulsystems durch private Geldgeber den Garaus machen und dem einzelnen BAföG-Empfänger eine Erhöhung um 1,50 Euro pro Monat bringen. Wenn Sie das als erfolgreiche SPD-Politik verkaufen möchten – (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist doch schon mal was!) bitte sehr, aber darüber würde selbst Gerhard Schröder lachen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich würde Ihnen vorschlagen, dass die SPD-Länder lieber für eine vernünftige Ausstattung der Studentenwerke sorgen. Ein schnell bearbeiteter BAföG-Antrag oder ein Wohnheimplatz sind im Zweifel deutlich wichtiger für die Studierenden als 1,50 Euro mehr im Monat auf dem Konto. Bei den Studiengebühren ist es ähnlich. Sie behaupten, sie förderten soziale Selektivität. Genau das Gegenteil ist der Fall, (Lachen bei Abgeordneten der SPD) das zeigen alle Erhebungen. Es gibt keine negativen Effekte von Studiengebühren auf die Studierneigung. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ach!) Franz Josef Strauß hätte Ihnen zu all dem geantwortet: „Irren ist menschlich, aber immer irren ist sozialdemokratisch.“ (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Ihr Antrag enthält viel Luft und kaum Substanz. Peer Steinbrück würde – wäre er jetzt noch hier – gewiss von einem „Popcornantrag“ sprechen. Eine konstruktive Debatte über die Studienfinanzierung ist so leider nicht möglich. Sie nutzen dieses wichtige Thema zu einem billigen, parteitaktisch motivierten Profilierungsversuch. Der ist gescheitert. Danke sehr. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Diether Dehm für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kaufmann, ich will Ihnen einmal sagen, was Sie tun: Sie behandeln Bildung als ganz normale Ware auf dem Markt. (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Oh Gott!) Ist Ihnen vielleicht schon einmal aufgefallen, dass Bildung ein Menschenrecht ist und Studiengebühren eine volkswirtschaftliche Idiotie? (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD]) Verschuldete Akademiker helfen niemandem. Wer wegen Studiengebühren ins Ausland gehen muss, kommt meistens nie wieder. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Macht keiner! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Niemand macht das!) Wir können auf Spekulanten verzichten – das folgt unmittelbar aus der Debatte über die Bankenaufsicht –, aber auf Bildung können wir niemals verzichten. (Beifall bei der LINKEN) Sie aber wollen lieber die Schulden der Deutschen Bank und anderer Großzocker übernehmen. Wir hingegen wollen, dass sich junge Menschen, die studieren, nicht in Schulden stürzen müssen. Niedersachsen ist neben Bayern das letzte Land, in dem es die allgemeinen Studiengebühren noch gibt. Für die Linke ist klar: Diese Niedersachsen-Steuer muss weg! (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Niedersachsen hat in diesem Jahr nach den Erkenntnissen der Steuerschätzung im November Mehreinnahmen von etwa 360 Millionen Euro. Investieren wir doch nur ein Drittel davon in die Zukunft des Landes! Mit gerade 113 Millionen Euro wären alle Studiengebühren weg. Außerdem hätte Niedersachsen noch wesentlich mehr im Topf, wenn Schwarz-Gelb und übrigens vorher Rot-Grün den Superreichen die Steuern nicht heruntergesetzt hätten. Kollege Rossmann, Ihre Rede war zwar in der Tendenz wunderbar; aber Sie sollten den Grünen und der SPD in Niedersachsen klarmachen, dass man die Studiengebühren sofort abschaffen muss – das läge in der Logik –, (Beifall bei der LINKEN) und nicht erst zum Wintersemester 2014/2015 und auch nur dann, wenn der Haushalt es zulässt. Diese Dehnungsfuge sollten Sie ihnen noch ausreden. Machen Sie es wie die Linken: Wir wollen, dass die Studiengebühren sofort abgeschafft werden. (Beifall bei der LINKEN) Bis zum Ende des Studiums droht den Studierenden ein Schuldenberg – Kollege Kaufmann, vielleicht hören Sie einmal genau hin – von 15 000 Euro. Das schreckt Jugendliche aus finanziell schlechter gestellten Familien ab. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wenn sie „Kommunismus“ studiert haben!) Als einzige Partei wollen wir alle Studiengebühren abschaffen, wie es Nordrhein-Westfalen vorgemacht hat – übrigens auf Druck der Linken. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Sie wurden auf Druck der Linken in Nordrhein-Westfalen abgeschafft. Selbstverständlich! (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selber nicht! Die sind gar nicht mehr im Landtag!) Wir wollen auch die von der SPD eingeführten Studiengebühren für Langzeitstudierende abschaffen. Was sind denn diese sogenannten Langzeitstudiengebühren, die Sie eingeführt haben? Die sind eine Strafe für diejenigen, die, um ihr Studium finanzieren zu können, nebenbei arbeiten müssen. Das bedeutet eine Langzeitstudiengebühr, und die muss auch weg. (Beifall bei der LINKEN) Die ebenfalls von der SPD eingeführten und von allen Studierenden zu zahlenden Verwaltungskostenbeiträge fließen direkt in den Landeshaushalt. Auch die müssen weg. Um die Unterfinanzierung der Hochschulen abzubauen, bedarf es bundesweit jährlich circa 10 Milliarden Euro. Für Niedersachsen läge der Gesamtaufwand bei 1,37 Milliarden Euro im Jahr. Das ist nicht wenig Geld; aber statt Spekulanten zu retten, sollten wir alle lieber die gebührenfreie Bildung retten. Das ist ein wirklicher kategorischer Imperativ. (Beifall bei der LINKEN) Es ist bezeichnend, dass die als Griechenland-Hilfe getarnte milliardenschwere Bankenrettung mit öffentlichen Geldern quasi über Nacht durchgesetzt wird. Geht es hingegen darum, einen Bruchteil dieser Beträge für sozialpolitische Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, dann kommt die Lüge von den angeblich leeren Kassen. Den Jungen geht es so schlecht wie den Alten in dieser Krise. Herr Schäuble hat zum Beispiel unter Verweis auf die Griechenland-Hilfe eine Besserstellung von älteren Müttern in der Rente mit der Begründung abgelehnt, dass dafür das Geld fehle. Ihnen von der Koalition fehlt der politische Wille zum Sozialen, Ihnen fehlt das Herz für soziale Gerechtigkeit, und Ihnen fehlt der Mut, gegen die Bankenmacht vorzugehen. (Beifall bei der LINKEN) Sie halten Zockerbanken und Spekulanten für heilige Kühe und meinen, dass man sie nicht pleitegehen lassen kann. Wir wollen nicht Banken retten. Statt Spekulanten wollen wir unsere Kitas, Schulen und Hochschulen retten. Statt kriminelle Finanzhaie sollten wir den kostbarsten Rohstoff, den unser Land hat, retten: gebildete Menschen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Patrick Meinhardt für die CDU/CSU-Fraktion, nein, für die FDP-Fraktion. Entschuldigung, ich wollte Sie nicht überwechseln lassen. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Olav Gutting [CDU/CSU]: Patrick, wir würden dich nehmen! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der kommt darauf zurück! Vorsicht!) Patrick Meinhardt (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich hatte gehofft, dass wir hier eine ernsthafte Debatte über die Bildungsfinanzierung, über die Zukunft der Bildungsrepublik Deutschland führen würden. Was ich hierzu aber bisher von der SPD und der Linken gehört habe, ist, angesichts der Niedersachsen-Wahl, billigste Wahlkampfrhetorik. Da hat nichts mit den Kindern, nichts mit den Studierenden und nichts mit der Verbesserung des Bildungssystems zu tun. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nun zeigen Sie mal, dass Sie es besser machen! – Weitere Zurufe von der SPD) Sie wollen sich damit überhaupt nicht auseinandersetzen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Setzen Sie sich doch mal mit den Studiengebühren in Niedersachsen auseinander!) Sie wollen nur bestimmte ideologische Vorstellungen bedienen. Das ist unglaublich! Schauen wir uns doch einmal an, was wir mit der 23. BAföG-Novelle im Oktober 2010 auf den Weg gebracht haben: Das war eine umfassende BAföG-Modernisierung im Bereich der Bedarfssätze: eine Steigerung um 2 Prozent. Die Freibeträge sind um 3 Prozent gestiegen. Die förderrechtliche Altersgrenze für die Aufnahme eines Masterstudiums wurde auf 35 Jahre angehoben. Die Wohnkosten wurden im Zusammenhang mit den Bedarfssätzen pauschalisiert. Eingetragene Lebenspartnerschaften wurden im BAföG förderungsrechtlich durchgängig mit der Ehe gleichgestellt. – Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben 2010 mit der BAföG-Modernisierung einen richtigen Qualitätssprung hingelegt. Das ist das Ergebnis der CDU/CSU-FDP-Koalition. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tusch!) Sie haben anscheinend einen äußerst getrübten Blick auf die Realität. Die Realität wird deutlich, wenn man sich den Gesamtbetrag ansieht, den wir für das BAföG zur Verfügung stellen. Hier gab es in einem sehr kurzen Zeitraum, innerhalb von vier bis fünf Jahren, eine Erhöhung von 800 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro. Wir versuchen alle gemeinsam, gute Ausgangsvoraussetzungen zu schaffen, damit junge Menschen ein Studium aufnehmen können. Ein wesentliches Element ist, dass wir mehr Geld in die Hand nehmen. Eine Verdoppelung innerhalb von vier Jahren ist ein Zeichen für eine solide Bildungsfinanzierung in der Bundesrepublik Deutschland. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das Gleiche gilt für die Anzahl der BAföG-Empfänger. Ich bin gottfroh, dass wir an die Grenze von 1 Million BAföG-Empfänger herankommen; Kollege Kaufmann hat das soeben schon beschrieben. Das ist ein gutes Zeichen. Ich hoffe auch – das sage ich ganz klar –, dass wir im kommenden Jahr mit der BAföG-Erhöhung vorankommen werden, und zwar in beiden Bereichen, beim Grundbetrag und bei den Freibeträgen. Die Ministerin hat es hier, vor diesem Hohen Hause, in der Haushaltsdebatte ganz klar gesagt: Die Länder haben ein Angebot auf dem Tisch. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sieht das denn aus? Das ist doch ein Popanz!) Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Jetzt sind die 16 Bundesländer an der Reihe. Wir machen hier keinen Kuhhandel und keinen Basar mehr. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sieht das Angebot ganz konkret aus?) Ich will nicht, dass die Sozialdemokraten auf dem Rücken der Studierenden eine Blockadepolitik beim BAföG in den Ländern betreiben und sich hier hinstellen und so tun, als ob sie die Retter des BAföG seien. Das ist heuchlerisch, das ist doppelzüngig, das ist doppelmoralisch. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sieht das Angebot denn aus?) Kümmern Sie sich in Ihren Bundesländern darum, dass ein klares Angebot auf den Tisch kommt. Dann werden wir sofort darüber verhandeln. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wie war das mit dem Basar? Das ist doch ein Bundesgesetz! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wie war das mit der Wahlkampfrhetorik?) Nur diese klare Vorgehensweise ist möglich. Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr, und schauen Sie, ob Ihre Matschies, Ihre Kretschmanns und Ihre Becks auf Linie zu bringen sind; denn es gibt aktuell keine einheitliche Linie in den rot-grünen Koalitionen, bei den Linken erst recht nicht. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Wir brauchen in diesem Land eine neue Stipendienkultur; denn wir haben etwas Katastrophales vorgefunden. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach!) Wenn nur 0,5 bis 0,6 Prozent der Studierenden in einer Wirtschafts- und Wissenschaftsnation ein staatlich gefördertes Stipendium bekommen, dann ist das eine bodenlose Unverschämtheit. Wir sind erst auf 0,85 Prozent gekommen und haben nun erreicht, dass es heutzutage 40 000 durch die öffentliche Hand geförderte Stipendien gibt. Dies ist ein bedeutender Schritt in der Geschichte der Bildungspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Wir sind jetzt dabei, Talente und Begabungen junger Menschen adäquat zu fördern. Hier müssen wir weiter vorangehen und starke Zeichen setzen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Das sieht man auch daran, dass die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen die 2 600 Stipendien eben nicht abschafft, wie man es einst gefordert hat, sondern sie fortsetzen will. Denn die dortige Regierung weiß inzwischen, dass Begabtenförderung kein Teufelszeug ist, sondern elementarer Bestandteil der äußerst guten Bildungspolitik unseres Landes sein muss. Hinsichtlich des Deutschlandstipendiums sage ich, da Sie immer über soziale Gerechtigkeit sprechen, Folgendes: Erstens. Es gibt eine Verdoppelung auf 11 000 Stipendiaten. Ich bin sehr froh darüber. Diese 11 000 würden kein Stipendium bekommen, wenn diese Bundesregierung das Deutschlandstipendium nicht in die Wege geleitet hätte. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist Quatsch!) Zweitens. Wir haben bei den Begabtenförderungswerken das Büchergeld in Höhe von 80 Euro – so viel gab es zu Beginn dieser Legislatur – auf 300 Euro im kommenden Jahr fast vervierfacht. Wir vervierfachen das Büchergeld in nur einer Legislaturperiode, um eine optimale Förderung junger Menschen zu erreichen. Beides zusammen, Deutschlandstipendium und Begabtenförderungswerk, sind zwei Seiten einer Medaille. So können wir endlich erreichen, dass die Talent- und die Eliteförderung in der Bundesrepublik Deutschland gute, richtige und tragfähige Begriffe sind. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dagmar Ziegler [SPD]: Fangen Sie mal bei der FDP an!) Ich bin heilfroh, dass wir beim Deutschlandstipendium endlich erreicht haben, dass 30 Prozent der Stipendien an Fachhochschüler vergeben werden. Denn Fachhochschüler sind diejenigen, die den harten Weg gegangen sind, die über Hauptschule oder Realschule, über berufliches Gymnasium oder berufliche Schule auf die Fachhochschule gekommen sind. Bis jetzt waren 8 Prozent der Stipendiaten bei den Begabtenförderungswerken Fachhochschüler. Bei den Deutschlandstipendien sind es 30 Prozent. Damit haben wir endlich ein Ziel erreicht, das für soziale Gerechtigkeit in der Bundesrepublik Deutschland steht. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Sie haben das Thema Studiengebühren auf Ihrer Agenda. Dazu möchte ich zwei Anmerkungen machen. Erstens. Lassen Sie uns bitte darüber diskutieren, wie wir künftig die Ausbildung eines jungen Menschen, der zum Beispiel Schreinermeister, Bäckermeister oder Konditormeister werden will, handhaben wollen. Im beruflichen Bereich muss derjenige, der einen Meisterabschluss machen möchte, dafür 7 000 Euro selbst aufbringen. Wenn Sie hier über soziale Gerechtigkeit sprechen wollen, dann möchte ich eine Debatte darüber führen, wie wir akademische und berufliche Bildung auf gleiche Art und Weise behandeln sollten. Alles andere ist heuchlerisch und falsch. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zweitens. Ich glaube, dass wir im Bereich der Studienbeiträge in der Debatte zu einem bestimmten Punkt kommen sollten. Studienbeiträge sind dann gut, wenn Hochschulen selbst und eigenständig darüber entscheiden können, wenn es nachgelagerte Studiengebühren gibt, wie wir es in Niedersachsen haben und wie wir es in Bayern auf den Weg gebracht haben. Das ist der Weg: Fair ist es, Gerechtigkeit ist, darüber zu sprechen, dass Studierende selbst mit entscheiden können. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das hat doch mit Gerechtigkeit nichts zu tun!) Der falsche Weg ist, wenn – wie in Nordrhein-Westfalen – die Hochschulfreiheit zurückgeschraubt wird. Nein, wir brauchen mehr Hochschulfreiheit und mehr Entscheidungsfreiheit über Studiengebühren und Studienbeiträge. Dann haben wir genau das, was wir brauchen: mehr Bildung und mehr Bildungsbeteiligung und damit auch mehr Bildungsgerechtigkeit. Dafür steht diese Regierung. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Was ist denn in Bayern auf den Weg gebracht worden? – Dagmar Ziegler [SPD]: Und zwar von der FDP?) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Arbeiterkind sage ich: Bildungsaufstieg muss in einer echten Bildungsrepublik Alltag sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diesem Anspruch wird diese Bundesregierung nicht gerecht. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie wird ihm voll und ganz gerecht!) Der Zugang zur Hochschule ist auch 2012 alles andere als chancengerecht. Die Finanzierungsfrage stellt für viele junge Menschen eine hohe Hürde dar. Je geringer die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern, umso geringer ist die Chance auf ein Studium. Das muss sich ändern. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Es ändert sich doch!) Wer aus einer Familie kommt, die einkommensarm ist oder in der noch niemand studiert hat, braucht Ermutigung, braucht Unterstützung, um sich für ein Studium zu entscheiden – ideell wie finanziell. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das bekommt er alles!) In so einer Ausgangslage braucht man gute Beratung, gute Studienbedingungen (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Haben wir!) und ein BAföG, das zum Leben reicht. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Alles vorhanden!) Was man nicht braucht, liebe Union, liebe FDP, sind Schuldenberge durch Studienkredite, unsichere, elitäre Deutschlandstipendien oder Bildungsbarrieren wie Studiengebühren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir Grüne kämpfen für Studiengebührenfreiheit, egal in welcher Koalition. Wir haben die Campusmaut abgeschafft: in Hessen, NRW und Baden-Württemberg mit der SPD, im Saarland mit CDU und FDP. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Hamburg nicht vergessen!) Überall gab es eine vollumfängliche finanzielle Kompensation für die Hochschulen. (Patrick Meinhardt [FDP]: Vollkommen falsch: Nordrhein-Westfalen lässt die Hochschulen hängen, Baden-Württemberg lässt die Hochschulen hängen!) Das waren gute Entscheidungen für die Studierenden und die Hochschulen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Die Ziele der Grünen sind klar: Niemand darf wegen der sozialen Herkunft oder wegen der Finanzlage seiner Eltern von der Aufnahme eines Studiums abgehalten werden. Wir brauchen alle – aus allen sozialen Schichten. Wir wollen mehr Arbeiter- und Migrantenkinder auf dem Campus. Akademische Bildung muss für alle erschwinglich und für alle offen sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ist sie auch!) Jeder hier im Haus wird mir doch zustimmen, dass es keine Bildungsrepublik ohne finanziell gut ausgestattete Kitas, Schulen und Universitäten gibt. Der wesentliche Unterschied zwischen CDU, CSU und FDP auf der einen Seite und SPD und Grünen auf der anderen Seite ist, dass wir die staatliche Finanzierung öffentlicher Bildungseinrichtungen stärken wollen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist Aufgabe der Länder!) Sie dagegen wollen immer wieder Teile der Bildungsausgaben privatisieren, und das ist falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie waren es, die in sieben Bundesländern Studiengebühren für alle Studierenden, von Anfang an, eingeführt haben. Studien haben bestätigt: Bundesweit sind dadurch Zehntausende Hochschulzugangsberechtigte von der Aufnahme eines Studiums abgeschreckt worden, (Patrick Meinhardt [FDP]: Vollkommen falsch!) insbesondere Frauen und Jugendliche aus Nichtakademikerfamilien. (Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Wissenschaftszentrum Berlin, sage ich nur! – Patrick Meinhardt [FDP]: Pure Ideologie!) Selbst die Bundesregierung sieht keine positiven Effekte von Studiengebühren. Auf unsere Anfrage von Anfang 2012 hat sie wie folgt geantwortet: Der Bundesregierung … liegen keine Daten über Qualitätsverbesserungen an Hochschulen vor, die sich ursächlich auf die Einführung von Studiengebühren zurückführen ließen. (Patrick Meinhardt [FDP]: Weil die Länder keine Daten liefern, vor allem die rot-grün regierten!) Damit wurde das wichtigste Argument der Studiengebührenbefürworter wie Meinhardt & Co. regierungsamtlich vom Tisch gewischt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Patrick Meinhardt [FDP]: Das ist Populismus pur!) Ich sage Ihnen auch, warum das so ist: Länder mit Studiengebühren haben zwar ihre Studierenden abkassiert; aber sie haben die entsprechenden Einnahmen zweckentfremdet, und genau diese Länder haben im Gegenzug die Landeshochschuletats abgesenkt. Geblieben sind also keine zusätzlichen Einnahmen, geblieben ist eine plumpe Umverteilung von Staat zu privat. (Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) Das war und das ist ein Irrweg, den wir nicht gehen wollen und den auch die Menschen in diesen Ländern nicht gehen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: In Baden-Württemberg war die Zustimmung zu den Studiengebühren extrem hoch!) Ich sage Ihnen: Das bundesweite Ende von Studiengebühren ist zum Greifen nahe. Als Nächstes sind die Studiengebühren in Niedersachsen und Bayern dran. Die Bürgerinnen und Bürger beider Bundesländer wissen, dass ihre Landtagswahlen auch Volksabstimmungen über die Abschaffung der ungerechten Campusmaut sind. Ich gehe davon aus, dass sie entsprechend abstimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Auch über das Betreuungsgeld – also die Prämie, um kleine Kinder von der Bildungseinrichtung Kita fernzuhalten; (Olav Gutting [CDU/CSU]: Oh Mann!) 1,5 Milliarden Euro lassen Sie sich das kosten – haben Sie eine Privatisierung von Bildungsausgaben eingeleitet, und zwar mit dem Bildungssparen. (Patrick Meinhardt [FDP]: So ein Blödsinn!) Bessere Bildung gibt es nicht durch Subventionen für die Versicherungswirtschaft. Bessere Bildung gibt es auch nicht dadurch, dass FDP-Minister Rösler sagt: Mit den Bildungssparkonten kann man dann die Studiengebühren in Bayern und Niedersachsen finanzieren. (Patrick Meinhardt [FDP]: Besser zuhören!) Bessere Bildung gibt es nur mit steuerfinanzierten, qualitativ guten Bildungseinrichtungen für alle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick Meinhardt [FDP]: Ja, richtig, alles durch den Staat! Gott sei Dank haben wir ein anderes Staatsverständnis!) – Ja, genau um diese Alternative geht es. Es ist durchaus gerecht, dass sich Akademikerinnen und Akademiker stärker an Bildungsinvestitionen beteiligen, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aha!) aber nicht während ihres Studiums, sondern im Nachhinein durch einen höheren Spitzensteuersatz. Darum geht es! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Patrick Meinhardt [FDP]: Das hat gefehlt!) – Ja, damit trifft man die, die besonders viel verdienen. Das ist der Unterschied. (Patrick Meinhardt [FDP]: Bildungsrepublik durch diese Regierung, Abzockrepublik durch Sie!) Für eine bessere Bildung wollen wir gezielt die stärkeren Schultern belasten, anstatt Bildungszugänge durch finanzielle Hürden zu verbauen; das ist gerechter. Wer über Studienfinanzierung spricht, der darf das BAföG nicht verschweigen. Ich glaube, es bringt jetzt nichts, uns wechselseitig vorzubeten, was die einzelnen Fraktionen für das BAföG getan haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr tut so, als ob ihr was gemacht hättet! Das ist das Problem!) Alle Regierungsparteien seit 1998 haben sich beim BAföG-Ausbau Verdienste erworben und Erfolge erzielt. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Entscheidend ist aber, was jetzt und zukünftig passiert und welche Taten jetzt folgen. Eine Aufstockung ist schon inflationsbedingt völlig überfällig. Bundesbildungsministerin Schavan sollte nicht mit Nebelkerzen werfen; Herr Meinhardt, Sie auch nicht. (Patrick Meinhardt [FDP]: Sie werfen mit Nebelkerzen!) Sie sagen, ein Angebot liege auf dem Tisch. Die Länder sagen mir: Das kennen wir gar nicht. – Sagen Sie hier doch, worin das Angebot besteht! Machen Sie es doch öffentlich, und sagen Sie es! Führen Sie hier keine Nebelkerzendebatten! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Sie müssen Ihre Blockadehaltung beim BAföG aufgeben. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wovon träumen Sie denn nachts, Herr Gehring? – Patrick Meinhardt [FDP]: Rot-Grün blockiert das BAföG ohne Ende! Sie leben in einem Wolkenkuckucksheim!) Die Länder sind bereit, die Studienfinanzierung zu reformieren. Frau Schavan, nicht zögern und zaudern, sondern den eigenen Finanzminister überzeugen: Das ist jetzt Ihr Job; das ist Ihre Rolle. Wir sagen: Beim BAföG müssen die Fördersätze für Studierende und die Freibeträge für die Eltern im ersten Schritt je um mindestens 5 Prozent steigen. Das ermöglicht mehr Bildungsaufstiege und ist allemal gerechter als die Luftnummer Deutschlandstipendium. Herr Meinhardt, (Patrick Meinhardt [FDP]: Ja!) von diesem Deutschlandstipendium (Patrick Meinhardt [FDP]: Hervorragende Einrichtung!) profitieren 0,4 Prozent der Studierenden in Deutschland. (Patrick Meinhardt [FDP]: Unter Ihrer Regierung gab es noch nicht einmal so viele Geförderte! Wie viele gab es bei Ihnen?) Hier von neuer Stipendienkultur zu reden, haut dem Fass wirklich den Boden aus. Man muss hier wirklich mit der Lupe suchen. Das ist schlicht lächerlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Patrick Meinhardt [FDP]: Sie wollen 11 000 Menschen das Stipendium wegnehmen!) Die Deutschlandstipendien sind, gemessen an Ihren eigenen Ankündigungen, ein fulminanter Flop (Patrick Meinhardt [FDP]: Sie schaffen es doch rhetorisch gar nicht mehr! Den Bogen bekommen Sie nicht mehr!) und Symbol einer Hochschulpolitik, die an den Bedarfen der Studierenden vorbeigeht. Sie bringen den Studierenden keine Finanzierungssicherheit, (Patrick Meinhardt [FDP]: Wir bringen die Begabungsförderung, Sie eine Nullnummer!) dafür den Hochschulen einen enormen bürokratischen Aufwand. Sprechen Sie einmal mit den Hochschulen darüber, (Patrick Meinhardt [FDP]: Häufiger als Sie wahrscheinlich!) was das für einen Bürokratieaufwand bedeutet. Hier müssen jetzt große Fundraising-Abteilungen aufgebaut werden. (Patrick Meinhardt [FDP]: Deshalb sind Dreiviertel der Hochschulen dabei!) Wir sagen zum Deutschlandstipendium: Wegfall ist besser als Fortsetzung. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Da klatscht noch nicht einmal Ihre Fraktion!) Bürokratieabbau ist sowieso keine Stärke von Union und FDP. Zweieinhalb Jahre nach den Empfehlungen des Nationalen Normenkontrollrats hat die Bundesregierung noch immer keinen Plan zur BAföG-Entbürokratisierung vorgelegt. Weiterhin müssen sich Studierende und ihre Familien durch einen Berg kompliziertester Formulare und Nachweispflichten kämpfen. Beim Ausfüllen des Antrags, aber auch in den BAföG-Ämtern fragt man sich: Warum gibt es nicht beispielsweise eine Krankenversicherungspauschale? Warum wird bei einem sechssemestrigen Bachelor am Leistungsnachweis nach vier Semestern festgehalten? Wie soll der ganze Erlassdschungel von Bund und Ländern eigentlich gelichtet werden? Der Nationale Normenkontrollrat hat die Bundesregierung aufgefordert, noch in dieser Wahlperiode zu einer weiteren Entbürokratisierung zu kommen. Also: Handeln statt Ignorieren! Entbürokratisieren hilft! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Darüber hinaus muss das BAföG für deutlich heterogener gewordene Studierendenschaften strukturell fit gemacht werden. Der Zehn-Punkte-Plan des Deutschen Studentenwerks ist eine hervorragende Diskussionsgrundlage. Wir sollten darüber reden. Das BAföG muss erweitert und verbessert werden. Ohne eine schnelle Novelle wird es an Attraktivität verlieren. Das können wir nicht wollen. Die Regierung Merkel wird der nächsten Bundesregierung viele bildungspolitische Baustellen hinterlassen. Das hat auch der gestern vorgelegte Bildungsfinanzbericht 2012 gezeigt. Als grüner Regierungspartner werden wir mit der SPD mehr für Bildungsgerechtigkeit tun. (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Das entscheidet immer noch der Wähler!) Dafür haben wir die Bewohner der Bildungsrepublik an unserer Seite. Sie haben die Bildungsprivatisierer und Studiengebührenbefürworter Dräger, Pinkwart, Rüttgers, Frankenberg und wie sie alle hießen, reihenweise abgewählt. Als Nächstes sind Seehofer, McAllister und diese Bundesregierung dran. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Monika Grütters für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Monika Grütters (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Oppositionsanträge zur Studienfinanzierung liest, beschleicht einen allmählich das Gefühl, Ihnen täte manche adventliche Einkehr ganz gut. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Insbesondere bei der SPD fällt auf, dass die größte oppositionelle Tugend, die konstruktive Kritik – manchmal üben wir sie ja sogar im Ausschuss –, einer ziemlich billigen – Herr Rossmann, diesen Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen – Wahlkampfpolemik gewichen ist. Nur noch einmal ganz kurz zur Erinnerung: Unser Grundgesetz hat die Bildungsverantwortung in die Hände der Länder gelegt. Dort bleibt sie auch, wenn die SPD ihre destruktive Blockade gegen die Aufhebung des Kooperationsverbotes beibehält. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Wie bitte? Das ist doch die Härte! Du sollst nicht falsch Zeugnis reden! – Weitere Zurufe von der SPD) – Reden wir hier nicht über Hochschulen? Könnten wir Art. 91 b Grundgesetz nicht gemeinsam ändern, wenn Sie, die Sie behaupten, dass auch Sie das wollen, es tatsächlich täten? Gute Studienbedingungen zu schaffen und jungen Menschen die beste Ausbildung zu ermöglichen, genau das ist die zentrale Aufgabe der Länder. Dass Bildung trotzdem auch eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, hat diese Bundesregierung verstanden. Sie hat gehandelt wie keine andere Regierung vor ihr. In den letzten vier Jahren hat der Bund zweistellige Milliardenbeträge für Bildungsaufgaben investiert, für die nach wie vor die originäre Zuständigkeit bei den Ländern liegt. 13,8 Milliarden Euro gibt die Bundesregierung in diesem Jahr für Bildung und Forschung aus. Ich darf daran erinnern, dass Rot-Grün zu seiner Zeit gerade einmal 7,5 Milliarden Euro dafür übrig hatte. Die christlich-liberale Koalition hat dafür gesorgt, dass der Bildungshaushalt in jedem der vergangenen vier Jahre um jeweils 700 Millionen Euro gewachsen ist. Rot-Grün hat in sieben Jahren Regierungszeit, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist das mit den Studiengebühren? Zum Thema!) Herr Gehring, den Bildungshaushalt dagegen genau dreimal gekürzt. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Aha!) Das ist die Wahrheit. Vor diesem Hintergrund finde ich es fast schon dreist, mit welcher Selbstverständlichkeit gerade die SPD hier mehr Engagement vom Bund fordert, (Zuruf von der CDU/CSU: Eben!) dieselbe SPD übrigens – ich muss das noch einmal sagen –, die aus wahltaktischen Gründen eine Verfassungsreform verhindert, (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist wirklich albern!) die die von Ihnen geforderte unterstützende Hochschulfinanzierung ermöglichen würde. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was hat das denn mit den Studiengebühren zu tun? Albern!) Doris Ahnen, Herr Schulz, hat die Position der SPD in der Anhörung auf den Punkt gebracht: Lieber niemandem etwas geben, als besonders leistungsstarke Unis zu fördern. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Intellektuelle Gleichmacherei ist ja auch das durchgängige Prinzip Ihres heutigen Antrages. Lieber Herr Rossmann, Sie haben in der Anhörung gesagt, 2017 sei noch lange hin. Das finde ich verdammt kurzsichtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Worüber reden wir jetzt? – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wie ist es denn jetzt mit den Studiengebühren?) Lieber installieren Sie ideologische Denkblockaden im Wahlkampf. Aber Vorsicht: Die Menschen durchschauen das, vor allen Dingen, wenn solche populistischen Gesten mit der Realität nichts zu tun haben. Denn gerade in SPD-regierten Ländern ist die Kürzung der Bildungsausgaben – nicht nur die Kürzung der Ausgaben für Kultur wie in Nordrhein-Westfalen, die heute der Aufmacher in allen Zeitungen ist, sondern auch die Kürzung der Ausgaben für Bildung – das Markenzeichen sozialdemokratischer Politik. Ein Zeugnis dafür ist der Rücktritt von Renate Jürgens-Pieper, die nicht mehr weiß, wie sie in Bremen ihren Bildungsauftrag umsetzen soll. Lieber Kai Gehring, dafür sind auch Sie von den Grünen in Nordrhein-Westfalen mit verantwortlich: Ja, die Studiengebühren haben Sie abgeschafft, und Sie haben Entschädigungen aus dem Steuersäckel gezahlt. Sie haben sie aber leider nicht dynamisch an die Zahl der Studierenden geknüpft. Deshalb bleibt die Summe auf einem konstant niedrigen, auf einem zu niedrigen Niveau. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das läuft über den Hochschulpakt!) Immerhin machen das die Grünen in Baden-Württemberg anders. Dort hat man sich für dynamische Entschädigungszahlungen entschieden. Aber dort – das muss ich sagen – stellt auch nicht die SPD den Ministerpräsidenten und den Wissenschaftsminister. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Schwarz-Grün, ich hör dir trapsen!) Herr Dehm, soeben haben Gerichte in Berlin die unverschämte Höhe der Immatrikulationsgebühr – so heißt das dort –, die Rot-Rot installiert hatte, für unangemessen erklärt. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Das waren verkappte Studiengebühren, die den Unis nicht zugutekamen. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das war Diepgen! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das war eindeutig Diepgen!) – Das war Rot-Rot, Herr Schulz; das haben wir jetzt abgeschafft. Die Gebühren sind in den acht Regierungsjahren von Rot-Rot siebenmal erhöht worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es geht um die Höhe und darum, dass die Einnahmen nicht bei den Unis landen, sondern im Staatssäckel. Statt den Bachelor schlechtzureden, statt ein erfolgreiches zusätzliches Stipendienprogramm – Sie wollen doch ein zusätzliches Stipendienprogramm – gleich wieder aufgeben zu wollen, statt beim Aufstiegsstipendium nur wieder nach noch mehr Geld vom Bund zu rufen und statt ermüdend gegen Studiengebühren zu polemisieren, sollten auch Sie über kreative, leistungsorientierte und sozialverträgliche Modelle im Interesse der Studierenden und der Unis nachdenken. (Dagmar Ziegler [SPD]: Das machen wir, wenn wir regieren! Darauf können Sie sich freuen!) Sie, die SPD, sollten Ihren üblen etatistischen Ansatz überdenken, statt Ihre Hochschulen in Nordrhein-Westfalen erneut an das ganz kurze Gängelband des Staates zu legen. Das ist die Realität. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Würden die Aufwüchse der Länder mit dem Aufwuchs des Bundes nur ansatzweise Schritt halten, dann bräuchten wir hier keine Debatte über Studienfinanzierung zu führen. Weil es vor allem SPD-regierte Länder sind, die ihrer bildungspolitischen Verantwortung so wenig gerecht werden, sollte Ihnen Ihre Kritik am Bund eigentlich im Halse stecken bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Diese Bildungsregierung ist für die Bildungsrepublik Deutschland das Beste, was ihr bisher passiert ist. In der Vorweihnachtszeit sollten auch Sie langsam zur Besinnung kommen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Marianne Schieder für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit fünf Jahren gibt es in meinem Heimatland, dem Freistaat Bayern, die allgemeinen Studiengebühren, und seit fünf Jahren gibt es einen erbitterten Streit über deren Sinnhaftigkeit und Nutzen, oder besser: deren Unsinn und Schaden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jetzt ist sogar ein Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren auf den Weg gebracht worden. Vom 17. bis zum 30. Januar müssen sich 10 Prozent der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger Bayerns in ihren Rathäusern eintragen, um schließlich einen Volksentscheid zu erreichen. Die Liste der Unterstützerinnen und Unterstützer dieses Volksbegehrens macht deutlich, wie breit die gesellschaftliche Ablehnung der Studiengebühren ist. Neben der SPD, den Grünen, den Freien Wählern und der ÖDP stehen Gewerkschaften, Studierendenbewegungen, Lehrer-, Eltern-, Schüler- und Jugendverbände, ja sogar das Landeskomitee der Katholiken in Bayern als Mitglieder des Bündnisses „Nein zu Studienbeiträgen“ dahinter. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Und siehe da: Sogar die CSU-Abgeordneten geben jetzt, nachzulesen in den Regionalzeitungen, überall bekannt, dass auch sie Gegner der Studiengebühren seien. (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja interessant!) Sogar der Herr Ministerpräsident outet sich als Kritiker. Nur weiß man bei ihm nie, Herr Kollege Rossmann: Ist es die Überzeugung oder der Populismus, was ihn treibt? Noch viel weniger weiß man: Meint er das morgen auch noch, oder sagt er dann schon wieder etwas völlig anderes? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Horst Drehhofer! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist die SPD in Bayern eigentlich noch zweistellig?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer unbedarft die Situation und die Diskussion in Bayern verfolgt, könnte meinen, die Studiengebühren wären vom Himmel gefallen wie der Schnee im Winter, nur dass sie nicht von selber wieder weggehen. Sie kleben jetzt an der CSU, weil es die CSU war, die noch unter ihrer Alleinherrschaft die Studiengebühren eingeführt hat. Jetzt will sie sie weghaben, aber sie bekommt sie nicht weg. Denn stellen Sie sich vor, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die sich sonst so bärenstark und wortgewaltig gerierende CSU ist der schmächtigen kleinen FDP hilflos ausgeliefert und darf die Studiengebühren nicht abschaffen, ob sie will oder nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich weiß nicht, was man dazu sagen soll. Mit der CSU in Bayern ist es weit gekommen. Dazu kann man nur mit Karl Valentin sagen: „Mögen hätt’ ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.“ (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, seien Sie nicht unglücklich. Denn Sie werden es erleben: Wenn am 30. Januar die Unterschriften beieinander sind und der Volksentscheid kommt, dann traut sich der Herr Ministerpräsident. Dann werden die Studiengebühren sicherlich über Nacht abgeschafft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihr müsst erst mal sehen, dass ihr die SPD nicht abschafft!) Vielleicht braucht er nicht einmal den Landtag dafür. Davon gehe ich aus. Aber zurück zum Ernst der Lage. In einem Land, das sich Bildungsrepublik nennen will, in dem man weiß, wie wichtig gute Bildung für alle ist und in dem man alles daransetzen muss, dass auch möglichst viele junge Menschen ein Studium ergreifen, sind Studiengebühren das absolut falsche Signal an junge Menschen und ihre Familien. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie wirken abschreckend und ausgrenzend. Das wissen Sie auch, Herr Kollege Meinhardt. Sie kennen doch die HIS-Studie und wissen genau, dass für drei Viertel der jungen Menschen, die sich nach dem Erlangen der Hochschulreife gegen ein Studium entscheiden, die ungesicherte Studien- und Lebensunterhaltsfinanzierung der ausschlaggebende Grund ist, auf ein Studium zu verzichten. Sie wissen auch, dass 20 Prozent der Studienabbrecher finanzielle Gründe für das Aus angeben. Gerade junge Menschen aus einkommensschwächeren und bildungsfernen Elternhäusern werden von Universitäten und Hochschulen ferngehalten. Nahezu jede Bildungsstudie, ob national oder international – das wissen Sie genauso gut wie ich –, weist nach, dass in keinem anderen vergleichbaren Land die Entscheidungen für die Schullaufbahn und der Schulerfolg junger Menschen mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängen als hierzulande. Das kann uns Bildungspolitiker doch nicht ruhen lassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Selbstverständlich muss das Geld, das den Universitäten und Hochschulen verloren geht, wenn die Studiengebühren abgeschafft werden, aus dem Staatshaushalt zugeführt werden. Die Hochschulen und Universitäten sind chronisch unterfinanziert. Dieser Befund ist nicht neu. Aber da helfen keine Studiengebühren. Da hilft nur ein Kraftakt von Bund und Ländern. Dazu sind wir bereit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU) Wir haben Ihnen einen Vorschlag zur Aufhebung des Kooperationsverbots vorgelegt. Was Sie wollen, ist eine minimale Öffnung für Eliteuniversitäten. Das hat mit Studiengebühren überhaupt nichts zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie wirklich wollen, dass Bund und Länder zusammen etwas tun, dann stimmen Sie unserem Entwurf zu. Sorgen Sie dafür, dass der Bund hier wieder mitarbeiten kann! Schauen wir uns doch die bayerische Realität an. Wozu wurden denn die Studiengebühren verwendet? Zunächst einmal wurden sie laut Süddeutscher Zeitung gebunkert. Der bayerische Wissenschaftsminister musste Sanktionen androhen, damit die Gelder endlich abfließen konnten. Dann wurden Studiengebühren laut Süddeutscher Zeitung zum Beispiel in Augsburg ausgegeben, um kleinere Baumaßnahmen zu finanzieren, die dazu dienten, die drangvolle Enge in den Seminarräumen zu lindern. In München wurde die Studiengangkoordination finanziert. In Nürnberg und Erlangen wurde die Wartung von Multimediageräten mit Studiengebühren bezahlt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Alles für die Studenten!) Jeder vernünftige Bildungspolitiker muss doch sagen, dass solche Maßnahmen eigentlich zur Grundausstattung einer Universität gehören und aus dem Staatshaushalt finanziert werden müssen. Dazu brauchen wir doch keine Studiengebühren. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch um die von Ihnen, Herr Meinhardt, so gepriesene Mitentscheidung der Studierenden ist es schlecht bestellt. Natürlich gibt es paritätisch besetzte Gremien. (Patrick Meinhardt [FDP]: Dann kämpfen Sie doch für eine neue Freiheit!) Aber Sie wissen doch, dass sich die Hochschulleitung über die Empfehlungen hinwegsetzen darf, so geschehen an der Universität Regensburg. Dort ist eine halbe Million Euro gegen die gemeinsame Empfehlung von Studierenden und Professoren ausgegeben worden. Das ist die Realität. Erzählen Sie doch nichts anderes! (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Patrick Meinhardt [FDP]: Sie erzählen Märchen!) Sie wissen auch, dass das Geld nicht ausreicht, um die Lehre zu verbessern; denn damit lassen sich keine unbefristeten Stellen finanzieren, sondern höchstens schlecht bezahlte Lehraufträge, um die großen Lücken im Lehrangebot zu füllen. Wenn man genau hinschaut, wozu das Geld verwendet wurde, stellt man fest, dass es große Probleme gibt. Das zeigt, dass die Universitäten und Hochschulen unterfinanziert sind und dass nicht die Studierenden gefragt sind, Geld einzubringen, sondern dass der Staat – Bund und Länder – gefragt ist, sich hier zu engagieren. Unter dem Strich kann man also nach fünf Jahren Studiengebühren in Bayern sagen: abschreckende und ausgrenzende Wirkung, fragwürdige Investitionen, fehlende Mitsprache der Geldgeber, mangelnde langfristige Planungssicherheit, unnötige Rücklagen und zusätzlicher Verwaltungsaufwand. Ich bitte Sie herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU und der FDP: Schaffen Sie die Studiengebühren in Bayern ab! Lassen Sie uns in dieser Republik nicht zum Schlusslicht werden! (Patrick Meinhardt [FDP]: Keine Sorge, Bayern ist kein Schlusslicht, sondern weit vorne, weil Sie dort nicht regieren!) Machen Sie sich mit uns auf den Weg hin zu kostenloser Bildung von Anfang an, von der Krippe bis zur Universität! – Herr Rupprecht, Sie brauchen nicht den Kopf zu schütteln. Sie werden erleben, dass Ihr Ministerpräsident am 30. Januar der größte Gegner von Studiengebühren sein wird, den es jemals in diesem Land gegeben hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das alles können wir auch ohne Popanz haben. Schaffen Sie die Studiengebühren heute ab, (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Sie verwechseln Bund und Land!) und machen Sie sich mit uns auf den Weg hin zu kostenloser Bildung von der Kinderkrippe bis zur Universität! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Patrick Meinhardt [FDP]: Gelebter Bildungssozialismus!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Martin Neumann für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! „Karl Marx hatte recht“. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit dieser gewagten These überschrieb die taz am 24. Oktober einen Artikel zur Gerechtigkeit von Studiengebühren. Ja, Sie hören richtig: zur Gerechtigkeit von Studiengebühren; denn nicht nur nach der Überzeugung des Autors verstärken Studiengebühren die demokratische Beteiligung. Sie sind ein Moment des sozialen Ausgleichs. Ich darf an dieser Stelle einmal unseren PISA-Papst Andreas Schleicher zitieren. Er hat es in der Anhörung zum Thema Studiengebühren treffend formuliert: Die internationalen Erfahrungen lassen auch hier darauf schließen, dass Studiengebühren in der Regel durch den Ausbau des Bildungssystems mehr dazu beigetragen haben, soziale Disparitäten abzubauen, also mehr Menschen mit sozialer Benachteiligung den Hochschulzugang zu gewähren als umgekehrt. Dieses Zitat sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Schicken sie es Herrn Bouffier in Hessen!) Die OECD beziffert den Einkommensvorsprung von deutschen Akademikern mit durchschnittlich 180 000 Euro gegenüber den Nichtakademikern. Die Kernaussage einer Studie der Universität Bochum lautet, dass der Verzicht auf Studiengebühren vornehmlich den sozial Stärkeren zugutekommt. Die Gebührenfreiheit, so die Bochumer Wissenschaftler, führt zu einer faktischen Umverteilung von unten nach oben. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben die auch die Wirkung des Spitzensteuersatzes untersucht?) Die Mittel des Staates sind begrenzt. Deshalb müssen wir sie so effektiv wie möglich einsetzen. Ich bin deshalb der festen Überzeugung, dass wir mit den knappen öffentlichen Mitteln vorrangig in ein umfassendes, allen zugängliches Bildungsangebot investieren müssen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber Sachsen verhält sich anders!) Als Hochschullehrer könnte ich mir einen schlanken Fuß machen und Studierenden nach dem Mund reden. Ich hätte mir viele zähe Gespräche erspart, hätte ich großzügige Versprechungen gemacht. Wie einfach wäre doch das gewesen! Ich will an dieser Stelle aus der Vielzahl der Gründe fünf wichtige Gründe nennen. (Die Beleuchtung im Plenarsaal fällt aus) Erstens. (Caren Marks [SPD]: Da geht das Licht aus! – Gegenruf des Abg. Patrick Meinhardt [FDP]: Vielleicht geht Ihnen ein Licht auf!) Studiengebühren tragen dazu bei, die Qualität der Hochschullehre zu verbessern. Zweitens. Studienbeiträge stärken die Mitwirkungsmöglichkeiten und das Interesse der Studierenden – auch das ist ein wichtiges Argument – an der Partizipation im Hochschulbereich. Drittens. Studiengebühren führen dazu, dass Studierende die öffentlich bereitgestellte Ressource Bildung effektiver nutzen. Viertens. Studienbeiträge stärken den Wettbewerb zwischen den Hochschulen mit Blick auf die Ausgestaltung eines attraktiven Lehrangebots. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sage ich doch: Wettbewerb zwischen den Hochschulen! Das ist Ihr Ziel!) Fünftens. Studienbeiträge tragen dazu bei, die bereitgestellten Mittel für den Wissenschaftsbereich deutlich zu steigern. Auch die 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes unterstreicht diese Thesen. Gebührenflucht ist nicht feststellbar. Der Wegzug von Studierenden aus Gebührenländern hält sich mit dem Zuzug aus den Ländern, die keine Studiengebühren erheben, nahezu die Waage. Gleichzeitig sind es überproportional viele Studierende aus sozial besseren Schichten, die ein Studium in Ländern ohne Gebühren, wie zum Beispiel Berlin, suchen. Doch auch das Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung hat jüngst festgestellt – ich zitiere –: „Zusammengenommen widerlegen die Ergebnisse einen negativen Effekt von Studiengebühren auf die Studierabsicht der Studienberechtigten.“ Das ist eine Feststellung, die wir seit Jahren geteilt haben. Der widersprechen Sie immer wieder mit unsachlichen Argumenten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wie werden denn die Einnahmeausfälle aus den wegbrechenden Studienbeiträgen kompensiert? (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Steuermitteln!) – Richtig, durch Steuergelder. – Das sind die Gelder von der Krankenschwester, vom Automechaniker, (Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir fänden es auch gerechter, wenn es einen höheren Spitzensteuersatz für Spitzenverdiener gäbe!) vom Tischler, und dieses Geld wird dann für das Studium des Arztsohnes, der Professorentochter und des Sohnes eines Bundestagsabgeordneten ausgegeben. Liebe Frau Schieder, jetzt will ich Ihnen einmal die Zahlen aus Bayern nennen, die ich mir extra besorgt habe. Seit Einführung der Studiengebühren sind 890 Millionen Euro an die Hochschulen geflossen. Was hat man damit gemacht? Man hat fast 1 900 zusätzliche Beschäftigte eingestellt, über 1 Million Tutorenstunden geschaffen, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Überzeugen Sie jetzt Herrn Seehofer? – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das müssen Sie Herrn Seehofer von der CSU sagen! Wenn die FDP nicht so borniert wäre, hätten wir sie schon abgeschafft!) 17 Millionen Euro für längere Öffnungszeiten und eine bessere Ausgestaltung der Bibliotheken ausgegeben, 10 Millionen Euro – das könnte man ewig fortführen – hat man für zusätzliche Exkursionen bereitgestellt usw. usf. Auch der Präsident des Wissenschaftsrats, Professor Marquardt, erklärt ganz aktuell, dass angesichts der überall angespannten Haushaltssituation und des Investitionsbedarfs im Hochschulbereich eine Diskussion über die Wiedereinführung unverzichtbar ist. Aber Sie, SPD und Linke, kämpfen dagegen, dass das unsinnige Kooperationsverbot im Hochschulbereich abgeschafft wird – Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): – im Moment nicht –, damit die Hochschulen künftig mit Mitteln des Bundes unterstützt werden. Andererseits schaffen Sie in Zeiten der Schuldenbremse die erfolgreich eingeführten Studiengebühren ab und entziehen den Hochschulen auf lange Sicht dringend benötigte Mittel, um die Hochschullehre deutlich zu verbessern. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wollen Sie sie in Hessen wieder einführen?) Als wäre das noch nicht schlimm genug, fordern Sie schließlich, die mühsam von FDP und Union gesetzten zarten Pflänzchen zur Etablierung einer längst fälligen Stipendienkultur in Deutschland achtlos herauszureißen – Herr Rossmann, Sie haben es angesprochen –, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind so zart, dass man sie nicht sieht!) und Sie versagen somit vielen jungen Menschen in unserem Land die finanzielle Unterstützung. Offensichtlich haben Sie bereits auf einen Wahlkampfmodus geschaltet und torpedieren vieles, was im Positiven von FDP und Union erreicht wurde. Ich fordere Sie deshalb auf, die bildungspolitischen Erfolge der christlich-liberalen Koalition anzuerkennen und dort, wo Sie politische Verantwortung haben, für mehr Hochschulfreiheit, für sozial gerechte Studienbeitragsmodelle – von mir aus auch nachgelagert – und eine Ausweitung des Stipendiensystems, beispielsweise mit unserem neuesten Erfolgsschlager Deutschlandstipendium, einzutreten. Ein bildungspolitisches Profil täte Ihnen sicher gut und würde Ihre miserablen bildungspolitischen Bilanzen erheblich optimieren. Ich bedanke mich. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr werden Tausende von jungen Menschen davon abgehalten, zu studieren, und schuld daran sind vor allem zwei Punkte. Erstens: die Zulassungs- und Zugangsbeschränkungen, die nur existieren, weil es nicht genug Studienplätze gibt. Zweitens: Junge Menschen können sich ein Studium nicht leisten, weil die Kosten, die damit verbunden sind, zu hoch sind. Sie haben Angst, sich zu verschulden. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Dass diese Regierung, die dafür mitverantwortlich ist, auch noch Worte wie „Bildungsrepublik“ in den Mund nimmt, ist einfach nur frech. (Beifall bei der LINKEN – Patrick Meinhardt [FDP]: Morgens, mittags und abends!) Die Linke will, dass dieser Zustand endlich überwunden wird. Die Regelung des Hochschulzugangs, also die Frage „Wer kommt wie an eine Hochschule?“, und die Studienfinanzierung, also die Frage „Wie finanziert man sich ein Studium?“, sind die zentralen Stellschrauben, über die die unsägliche Aussortiererei an der Hochschule beendet werden kann. Deshalb fordern wir in diesem Bereich eine Regelung auf Bundesebene, die allen jungen Menschen ein Studium ermöglicht und nicht, wie Schwarz-Gelb das tut, den Zugang erschwert. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen eine Ausbildungsförderung, die diesen Namen verdient. Wir wollen ein BAföG ohne Darlehensanteil, bei dem sich junge Menschen nicht erst einmal verschulden müssen, und eines, das die Lebenshaltungskosten auch tatsächlich deckt. Wir wollen ein Bundeshochschulzulassungsgesetz aus der Perspektive der Studierenden, das endlich einmal deren Interessen vertritt. Sie müssen doch das Recht haben, sich beim Bachelor und beim Master ihr Studienfach, ihre Hochschule selbst auszusuchen und nicht länger von den Hochschulen gnädig erwählt zu werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke fordert, dass die Einschränkung der Hochschulzulassung durch die Erhebung von Studiengebühren endlich und ein für alle Mal ausgeschlossen wird. (Beifall bei der LINKEN) In die Debatte um die Abschaffung der Studiengebühren ist in den letzten Wochen neuer Schwung gekommen, als überraschenderweise das Volksbegehren gegen Studiengebühren in Bayern zugelassen wurde. Nun sind es ausgerechnet die beiden Bundesländer, in denen als Nächstes gewählt wird – Niedersachsen und Bayern –, in denen noch Studiengebühren und Studienbeiträge existieren. Und: Dieses Thema könnte in beiden Bundesländern wahlentscheidend sein, so wahlentscheidend, dass jetzt sogar die CSU, sogar der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer angesichts einer drohenden Niederlage bei einem Volksbegehren auf einmal diese Gebühren am liebsten selbst abschaffen will, so wahlentscheidend, dass jetzt sämtliche Oppositionsparteien so tun, als hätten sie persönlich dieses Thema erfunden. Aber ich möchte noch einmal daran erinnern: Es waren die Studierenden und die Schülerinnen und Schüler, die in den letzten Jahren quer durch die Republik – in Hessen, in Nordrhein-Westfalen, in Sachsen, in Bayern, in Niedersachsen – gestreikt und dieses Thema immer wieder auf die politische Agenda gesetzt haben. Es ist ihrem Druck zu verdanken, dass die Studiengebühren nach und nach in vielen Bundesländern wieder abgeschafft wurden. (Beifall bei der LINKEN – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wir haben das Verbot schon unter Rot-Grün ins Gesetz geschrieben!) In den Reihen der Koalition fällt es offenbar schwer, sich in die Situation eines jungen Menschen oder Studierenden hineinzuversetzen, der durchschnittlich 800 Euro monatlich zur Verfügung hat und der davon kaum Lebenshaltungs- und Studienkosten und dazu noch Studiengebühren bestreiten kann, wenn da nicht auch noch Eltern sind, die finanziell zuschießen können. Ich nenne für Sie noch einmal ein paar Gründe, warum Studiengebühren nicht erhoben gehören: Erstens. Studiengebühren sind unsozial. Überwiegend Kinder aus nichtakademischen Elternhäusern werden durch die Erhebung von Gebühren vom Studium abgeschreckt. (Beifall bei der LINKEN) Drei Viertel derjenigen, die auf ein Studium verzichten, geben das Fehlen von finanziellen Voraussetzungen als Grund dafür an. Stellen Sie sich doch nicht dumm! Es liegt auf der Hand, dass Gebühren für einen Studienverzicht mitverantwortlich sind. Es macht für den Großteil der jungen Menschen natürlich einen Unterschied, ob sie im Semester zusätzlich 500 Euro bezahlen müssen oder nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Überall dort, wo Studiengebühren erhoben werden, nehmen weniger Menschen ein Studium auf. Nachdem Schwarz-Gelb in Hessen Studiengebühren eingeführt hatte, sank die Zahl der Studienanfänger um 5,2 Prozent. In Nordrhein-Westfalen ging die Zahl um 6,5 Prozent zurück. Herr Neumann, da interessiert sich die FDP einmal – vermeintlich! – für das Leben einer Krankenschwester und behauptet, Studiengebühren seien sozial gerecht, weil dann die Krankenschwester nicht dem Sohn eines Arztes das Studium finanzieren müsse. Das ist lachhaft und wirklich ein alter Hut; das ist längst widerlegt. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Das ist zynisch!) Dass die FDP in Fragen sozialer Gerechtigkeit nicht gerade geübt ist, erkennt man daran, dass sie die Krankenschwester einfach nur instrumentalisiert, um Gebühren in der Bildung zu rechtfertigen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) – So ist es doch! (Patrick Meinhardt [FDP]: Sie haben keine Ahnung von sozialer Gerechtigkeit! Sie haben keine Ahnung!) Es ist doch Ihre Politik, die Eliten- und Gebührenpolitik von Schwarz-Gelb, die den Kindern von Lehrern und Lehrerinnen, von Erwerbslosen und von der Krankenschwester den Eintritt in die Hochschule erschwert. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wenn jetzt ausgerechnet Sie, die Vertreter von Union und FDP, die in den letzten Jahren durch ihre Steuergesetzgebung wirklich alles für eine Umverteilung von unten nach oben getan haben, in der Debatte um die Studiengebühren mit der sozialen Gerechtigkeit argumentieren, (Patrick Meinhardt [FDP]: Ja, hier sitzt Bildungsgerechtigkeit! Sie sind die soziale Kälte! Sie sind die Umverteilung! Sie spalten dieses Land!) dann ist das lachhaft und Heuchelei. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Pippi Langstrumpf: Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt!) Zweitens. Gebühren – das muss ich dann aber auch an die Adresse von SPD und Grünen sagen – haben generell nichts in der Hochschule oder in der Bildung verloren. Sie feiern sich hier als Anti-Gebühren-Parteien, tun so, als wären Sie das allein, und vergessen, zu erwähnen, dass Sie in den letzten Jahren in entscheidenden Momenten Studiengebühren nichts entgegengesetzt haben, sondern, im Gegenteil, auch noch daran mitgewirkt haben, dass Dämme eingerissen wurden. (Zuruf von der SPD: Wo denn?) In Niedersachsen war es der damalige Ministerpräsident und heutige Parteivorsitzende Sigmar Gabriel, der Langzeitstudiengebühren eingeführt hat. In Nordrhein-Westfalen waren es Wolfgang Clement und Ihr frischgekürter Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, die die Studienkonten, eine Sonderform der Gebühren, durchgesetzt haben. In Hamburg waren die Grünen gemeinsam mit der CDU für die Einführung nachgelagerter Studiengebühren verantwortlich. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben sie abgemildert!) Wenn Sie mit alldem jetzt nichts mehr zu tun haben wollen, dann sagen Sie doch wenigstens, dass Sie da politisch falsch gelegen haben, und distanzieren Sie sich von solchen Positionen! (Beifall bei der LINKEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Davon distanzieren wir uns!) Drittes Argument: Bildung ist eine öffentliche Aufgabe. Einer Politik, die Bildung zur Ware machen will, muss man sich im Ansatz widersetzen und darf ihr nicht auch noch auf halbem Weg entgegenkommen, wie das SPD und Grüne getan haben; denn genau das war es: ein Entgegenkommen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) Die Dämme sind gebrochen. Der Weg hin zu allgemeinen Studiengebühren wurde geebnet. Nachdem in NRW SPD und Grüne die Studienkonten eingeführt hatten, legte Schwarz-Gelb nach und führte zwei Jahre später allgemeine Studiengebühren in Höhe von 500 Euro ein. Nach dieser Erfahrung ist mir unbegreiflich, wie SPD und Grüne in Niedersachsen, wenn sie gewählt würden, die Abschaffung der Studiengebühren aufschieben wollen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Holen Sie mal Luft!) Und dann verknüpfen Sie die Abschaffung auch noch mit der Frage, ob der Landeshaushalt das zulässt! (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legendenbildung!) Meine Damen und Herren, bei der Linken ist die Haltung zu Studiengebühren und Gebühren in der Bildung eine prinzipielle und nicht eine, die je nach Kassenlage oder Wahltaktik neu entschieden wird. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Geld ist ja da! – Patrick Meinhardt [FDP]: Abzockpartei Linke! Sozialer Kahlschlag durch die Linke!) In Niedersachsen und Bayern gibt es jetzt die Möglichkeit, die traurige Stellung dieser beiden Länder als unsoziale Hochburgen in der Hochschullandschaft endlich abzuschaffen. Deswegen rufe ich alle Gebührengegnerinnen und Gebührengegner auf, sich am Volksbegehren in Bayern zu beteiligen, für die Abschaffung zu stimmen und sich am 18. Januar in Hannover an der zentralen Demo gegen Studiengebühren zu beteiligen. Vielen Dank. (Lebhafter Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der LINKEN: Bravo! – Patrick Meinhardt [FDP]: Der Kommunismus lebt!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun die Ministerin Annette Schavan. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bildungschancen sind Zukunftschancen. Daran orientieren sich diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen. (Zuruf von der SPD: Ach was!) Deshalb investiert der Bund heute doppelt so viel in die Hochschulen wie seit 2005 nach der Abwahl von Rot-Grün. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erstens stimmt es nicht, und zweitens geht es um Studiengebühren!) Die Bildungsausgaben in Deutschland sind – der Bundesfinanzbericht, der in den letzten Tagen veröffentlicht worden ist, weist das aus – auf 110 Milliarden Euro gestiegen. Das 10-Prozent-Ziel ist in Reichweite. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber 1 Prozent fehlt!) Wir liegen bei 9,5 Prozent. Deshalb gibt es in Deutschland eine Stipendienkultur. Deshalb sind die Ausgaben pro Kopf von 3 300 Euro im Jahr 2005 auf 4 500 Euro im Jahr 2012 gestiegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie wissen dies alles. Ich muss es nur noch einmal sagen, damit es im Protokoll steht: (Dagmar Ziegler [SPD]: Geben Sie doch die Rede zu Protokoll!) Im Jahr 2005 betrugen die Ausgaben für das BAföG 2,2 Milliarden Euro. Heute sind es 3,2 Milliarden Euro. Die Zahl der geförderten Studierenden ist um 27 Prozent gestiegen, weil viele junge Leute ein Studium aufnehmen und Spaß an diesem Studium haben. Würden die Studierenden diese Debatte hören, dann würden sie uns auslachen (Caren Marks [SPD]: Sie schon!) mit Blick auf das Bild, das von der Opposition gezeichnet wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube eher, dass die Sie gerade verhöhnen!) In den Ländern, die von der SPD und anderen Parteien regiert werden, wird mehr und mehr deutlich, dass Bildung und Wissenschaft dort keine Priorität haben. Die Sparorgien sind in vollem Gange. Jeder weiß: Prioritätensetzung ist vor allem dann notwendig, wenn es eng wird, wenn Sparmaßnahmen notwendig sind. Das haben wir alle erlebt. Die Kunst des Politischen ist, vor dem Hintergrund des Leitgedankens „Bildungschancen sind Zukunftschancen“ trotz niedrigeren Gesamtbudgets für höhere Budgets in Bildung und Forschung zu sorgen. Sie bringen es in nahezu keinem Land zuwege. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NRW! Ein halbe Milliarde mehr in diesem Haushalt! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Auch in Schleswig-Holstein!) Das Traurige ist, dass die Senatorin Jürgens-Pieper in Bremen, eine erfahrene Bildungspolitikerin, zurückgetreten ist. Das ist ein Verlust. Ich habe sie geschätzt. Ihr Rücktritt ist das beste Beispiel: Sie hat ihrer eigenen Philosophie folgend viel erreicht. Sie trat nicht aus irgendeinem Grund zurück. Sie ist nicht zurückgetreten, weil sie keine Lust mehr hatte. Sie ist zurückgetreten, weil sie gesagt hat: Die Finanzbeschlüsse meines Senates in Bezug auf Bildung und Wissenschaft sind unverantwortlich. Die kann ich nicht mittragen. Einen besseren Beweis für die Situation innerhalb der SPD im Bereich Bildung und Wissenschaft gibt es nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist aber arm! – Gegenruf des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist bittere Wahrheit! Hören Sie einmal zu! Dann lernen Sie etwas!) Deshalb finde ich, dass vieles von dem, was Sie gesagt haben, purer Populismus ist. Das Positive der Debatte ist: Wir wissen, was Sie in den nächsten neun Monaten sagen werden. (Dagmar Ziegler [SPD]: Eigentlich wollen wir wissen, was Sie dazu sagen! Aber Sie haben nichts zu sagen!) Der Refrain ist heute formuliert worden. Er kommt jetzt unentwegt. Das Schlimmste daran ist: Wo Sie regieren, machen Sie es nicht. Man muss nicht viele Zahlen haben, um das zu wissen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nun lassen Sie einmal die Drohungen sein! Sprechen Sie zur Sache!) Außerdem sind viele Inhalte, die damit verbunden sind, rückwärtsgewandt und tragen der Internationalisierung des Bildungs- und Wissenschaftssystems überhaupt keine Rechnung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Welches ist die CDU-Position zu Studiengebühren? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit Horst?) Sie sind rückwärtsgewandt. Sie haben das 21. Jahrhundert überhaupt nicht begriffen. (Dagmar Ziegler [SPD]: Langweilig! Erzählen Sie etwas zum Thema!) Deshalb zur Sache. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja!) Sie, Herr Rossmann, haben gefragt, welche Position wir in Sachen Studiengebühren haben. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Der Koalition! Der CSU! Der CDU! – Zuruf von der LINKEN: Zu Niedersachsen!) – Die CSU hat mit den Studiengebühren in Bayern große Erfolge erzielt. Denken Sie nur an den Zustrom der Studierenden. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Deshalb schaffen Sie sie ab!) Sie wissen doch genau: Ihre Regierungen hatten das 40Prozent-Ziel. Wir übrigens auch. Wir haben gesagt: Wir wollen erreichen, dass 40 Prozent eines Jahrganges studieren. Als wir anfingen, zu regieren, waren wir bei 36 Prozent. Heute sind wir bei 50 Prozent. Sie wissen, dass es vor allen Dingen in Bayern einen Zustrom an Studierenden gibt wie nie zuvor. Deshalb – das weiß Herr Seehofer auch –: Sollte diese Landesregierung die Studiengebühren abschaffen – das sage ich, obwohl meine Freunde in dieser Regierung sitzen –, bin ich in diesem Punkt total anderer Meinung. Keine Studiengebühren zu erheben, ist ungerecht, weil die Situation im Vergleich zur beruflichen Bildung in der Tat eine völlig andere ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Es ist total ungerecht!) Deshalb ist meine Position – ich bin davon überzeugt, dass diese Position international verantwortbar und notwendig ist –: Jede Landesregierung muss ihren Hochschulen freistellen, ob sie die Studiengebühren erhöhen. Die Hochschulen entscheiden, wie hoch die Studiengebühren sind. Die Landesregierung kann eine Höchstgrenze festlegen, mehr aber nicht; denn das Ganze fällt unter die Entscheidungsbefugnis der Hochschule, einschließlich der Frage, ob die Gebühren aktuell zu zahlen oder nachgelagert sind. Das sind keine Entscheidungen, die die Politik zu treffen hat, sondern Entscheidungen, die in den Bereich der Wissenschaft und zur Selbstständigkeit der Hochschulen gehören. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist ja unglaublich! Das ist nicht zu fassen!) – Das ist doch wunderbar; jetzt haben wir zwei klare Positionen, da lohnt es sich doch, zu streiten. Dann wollen wir doch einmal schauen, welche Position am Ende überzeugt. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das Ihr Wahlkampfsound ist! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Hört! Hört!) Die Bürger und Bürgerinnen dieses Landes wissen, dass Bildung ein hohes Gut ist. Sie wissen darum, dass diese Bundesregierung wie keine zuvor in Bildung und Forschung investiert hat und wie keine zuvor die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems vorangebracht hat. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Deshalb die Studiengebühren!) Deshalb wissen sie auch, dass es richtig ist, in Bildung zu investieren. Herr Gehring, Sie haben von der vollumfänglichen Kompensation gesprochen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Jetzt setzen Sie einmal einen wissenschaftlichen Mitarbeiter an dieses Thema, der wird Ihnen anhand der Haushaltsentwicklungen der Länder beweisen, dass das, was Sie gesagt haben, nicht stimmt. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg stimmt es!) Das sagt Ihnen jeder Rektor. Jeder Rektor sagt Ihnen, dass es ein großes Problem ist, wenn die Zunahme der Studierendenzahlen nicht berücksichtigt wird. Im Hinblick auf Nordrhein-Westfalen gibt es heute ja wunderbare Schlagzeilen; da geht es einmal nicht um Bildung, sondern um Kultur. Auch in Nordrhein-Westfalen ist eine Haushaltsgesetzgebung in Arbeit, von der ich nur sagen kann: Sie ist rückwärtsgewandt; sie hat nichts zu tun mit dem Status international anerkannter Hochschulen. Deshalb werden wir in den nächsten zehn Monaten über das Bildungs- und Wissenschaftssystem des 21. Jahrhunderts diskutieren. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wunderbar!) Dieses System kann nicht beim derzeitigen Status quo verharren, und schon gar nicht darf es zurückfallen in irgendwelche Ideen der 70er-Jahre, die sich als völlig falsch erwiesen haben und die uns nach hinten und nicht nach vorne gebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun zum BAföG: Sie wissen genau, wie die letzte Runde verlaufen ist. Sie wissen genau, wie sich die Länder aufgeregt haben, wie unverschämt sie es fanden, dass der Bund ein Angebot gemacht hat. Die Situation wird im BAföG-Bericht sehr genau beschrieben. Die beiden Kennziffern, die die Orientierung für die Weiterentwicklung des BAföG liefern, sind die Lebenshaltungskosten und die Nettolöhne. Die deutliche Erhöhung von Freibeträgen und Förderbeträgen, die wir in zwei Schritten vorgenommen haben, hat dazu geführt, dass wir genau diesen beiden Indikatoren Rechnung tragen. Die Entwicklung der Lebenshaltungskosten, die Entwicklung der Nettolöhne und die Entwicklung von BAföG in der Zeit seit 2004/05 korrespondieren. Insofern gibt es überhaupt keine Notwendigkeit, ein Angebot seitens des Bundes zu machen. Ich habe den Ländern jedoch gesagt: Die Attraktivität des BAföG hängt an der kontinuierlichen Weiterentwicklung. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) Wir sollten sie vorbereiten. (Zuruf des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Die letzte war 2010. Ich habe einen ganzen Abend lang mit den Ländern darüber diskutiert. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt nicht!) Ich habe sie gefragt: Wie sieht es denn aus? Würde denn ein Land die Erhöhung von Freibeträgen oder Förderbeträgen mittragen? Es liegt bis heute nicht von einem einzigen Land die Antwort vor, dass es bereit sei, die Erhöhung von Frei- und Förderbeträgen mitzutragen. So sieht die Lage aus. Deshalb kann ich Ihnen nur sagen: Das Spiel wird doch nicht bei uns getrieben. Das Spiel treibt eine Opposition, die beschlossen hat, nicht mehr zu gestalten, die beschlossen hat, nichts mehr zu bescheiden, sondern alles abzulehnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit kann ich nur sagen: Sie schaden den Studierenden, und Sie schaden den Hochschulen. Die liegen Ihnen überhaupt nicht am Herzen. Auf das ganze Gerede über das Thema Elite gehe ich jetzt gar nicht mehr ein. Ein modernes Land des 21. Jahrhunderts, das Eliten nicht mehr fördern darf, kann einpacken! Das wissen Sie auch; Sie wissen es genau! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ganz besonders die SPD verweigert sich auf ganzer Linie – einschließlich Art. 91 b des Grundgesetzes. Das ist ein Trauerspiel. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Art. 91 b ist ein Trauerspiel!) Das werden wir bei jeder Gelegenheit sagen und ansonsten genau auf diesem Kurs bleiben. Bildungschancen sind Zukunftschancen. Entsprechend müssen auch die Budgets der Länder und des Bundes aussehen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Lars Klingbeil (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Dr. Ministerin, ich bin schwer beeindruckt. (Heiterkeit bei der SPD) Sie reden hier zehn Minuten eine katastrophale Bilanz schön. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Sie reden hier zehn Minuten am Thema vorbei. Und Sie tun das mit einer Überzeugung, dass man denken könnte, Sie meinten das ernst. (Beifall bei der SPD) Frau Ministerin, ich sagen Ihnen: Die Menschen sind schlauer, als Schwarz-Gelb denkt. (Patrick Meinhardt [FDP]: Schlauer als Sie!) Das haben wir bei allen vorherigen Landtagswahlen gesehen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und ich sage Ihnen, das werden wir auch in Bayern und Niedersachsen sehen. Die Menschen durchschauen Ihre Politik. (Patrick Meinhardt [FDP]: Die Menschen sind vor allem schlauer als Sie!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Baden-Württemberg, in Hamburg, in Hessen, in Nordrhein-Westfalen und im Saarland (Patrick Meinhardt [FDP]: Katastrophe in Baden-Württemberg!) hat man es eingesehen: Studiengebühren einzuführen, war ein Fehler. Neue politische Mehrheiten haben für Klarheit gesorgt. (Patrick Meinhardt [FDP]: Populismus!) In ganz Deutschland scheint man verstanden zu haben, dass Studiengebühren bildungspolitisch, wirtschaftspolitisch und gesellschaftspolitisch falsch waren. Selbst Horst Seehofer kommt ins Lavieren, wenn es um dieses Thema geht. Nur ein Bundesland leistet erbitterten Widerstand. Die letzten Ideologen der Studiengebühren sitzen in meinem Heimatland, in Niedersachsen. (Zurufe von der FDP: Aha! Sie sind aber nie im Ausschuss gewesen!) Ich sage Ihnen, das wird sich bald ändern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Tankred Schipanski [CDU/CSU]) Es gibt keinen Nachweis darüber, dass die Studiengebühren die Situation an den Hochschulen und den Universitäten verbessert haben – das Gegenteil ist der Fall. Fünf von sieben Bundesländern haben das mittlerweile verstanden. Das waren politische Erfolge. Aber das haben wir auch den Studierenden zu verdanken, die auf die Straße gegangen sind. Das haben wir den Eltern und anderen zu verdanken, die immer wieder gegen Studiengebühren protestiert haben und präsent waren. In Bayern und in Niedersachsen erleben wir das aktuell. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie haben immer wieder gezeigt, wie sinnlos Studiengebühren sind. Ich sage Ihnen: Diese Menschen werden am Ende auch in Niedersachsen und in Bayern Erfolg haben. Schwarz-gelbe Studiengebühren halten junge Menschen vom Studium ab. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: So ein Quatsch! – Patrick Meinhardt [FDP]: Lüge und Heuchelei! Das ist unglaublich!) Schwarz-gelbe Studiengebühren bringen junge Menschen dazu, sich zu verschulden, ohne dass sie vorher überhaupt einmal einen Gehaltsscheck in der Hand hatten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Patrick Meinhardt [FDP]: Sagt der Vertreter sozialer Ungerechtigkeit!) Schwarz-gelbe Studiengebühren treffen vor allem junge Menschen aus sozial schwachen Familien. Dabei wissen wir doch, dass wir mehr Absolventinnen und Absolventen der Hochschulen brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Wir leben in einer globalisierten Welt in einem Land, das kaum über Rohstoffe verfügt. Wir wissen doch, wie wichtig das Wissen ist, um unseren Wohlstand zu sichern. (Patrick Meinhardt [FDP]: Wir wissen das, Sie nicht!) Deswegen müssen wir massiv in die Bildung unserer jungen Menschen investieren, statt ihnen den Zugang dazu zu versperren. (Patrick Meinhardt [FDP]: Wir investieren!) Schauen Sie sich die Studien der OECD an! Wir liegen bei den Bildungsausgaben hinter Mexiko, Brasilien und Korea. Wir investieren zu wenig in die Bildung. Das ist die Bilanz von Schwarz-Gelb, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD – Patrick Meinhardt [FDP]: Wolkenkuckucksheime!) Ich sage Ihnen: Die Welt schläft nicht. (Patrick Meinhardt [FDP]: Aber Sie!) Deswegen müssen wir die Grundlagen legen, damit es in Deutschland auch zukünftig gut läuft. Unsere Stärken waren und sind das Know-how, die Kreativität, die Ideen und Innovationen. Wir müssen mehr in Bildung und Ausbildung investieren. Junge Menschen müssen auf diesem Weg unterstützt werden. Stattdessen werden ihnen von Schwarz-Gelb mit den Studiengebühren Steine in den Weg gelegt und wird der Zugang zu Bildung verhindert. Studiengebühren behindern auch im ländlichen Raum etwa den Zugang zu Fachhochschulen, der doch an vielen Stellen so wichtig ist. (Zuruf von der CDU: Ist das billig!) Fachhochschulen sind Innovationsmotoren und der Ort, an dem die Betriebe die Chance haben, Fachkräfte zu gewinnen und ausreichend geeignetes Personal zu finden. (Beifall bei der SPD – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Kommen Sie mal zu Ihrem Antrag, Herr Klingbeil!) Wenn ich mit jungen Menschen rede, die ein Praktikum bei mir machen oder die ich in den Schulen besuche, dann bemerke ich eine große Verunsicherung. Viele fragen sich: Kann ich es mir überhaupt leisten, in Niedersachsen zu studieren? Frau Dr. Schavan, Sie haben davon geredet, was Modernität ist. Ich sage Ihnen: Wenn im Jahr 2012 in Niedersachsen immer noch geeignete, begabte junge Menschen mit ihren Eltern am Küchentisch sitzen und darüber reden müssen, ob sie ein Studium beginnen können, nicht weil vielleicht Fähigkeiten nicht vorhanden sind, sondern weil Geld nicht vorhanden ist, dann offenbart dies eine unsoziale Politik, die Sie vertreten und die schlecht für Deutschland ist. (Beifall bei der SPD) Die Zeit, in der der Geldbeutel entscheidet, ob man studieren kann oder nicht, muss endlich vorbei sein. Wir sehen auch an anderen Stellen, wie hoch die Belastungen für Studierende sind. Wir diskutieren gerade viel über die Wohnsituation von Studierenden. Ich bin damit aufgewachsen, dass mir meine Eltern beigebracht haben: Wenn man sich im Leben anstrengt, dann hat man die Chance, aufzusteigen, dann gibt es eine Perspektive, die einen Aufstieg ermöglicht. – Genau dafür stehen Sie mit Ihrer Politik nicht. Bei Ihnen entscheidet immer noch der Geldbeutel, nicht die Begabung, nicht die Leistungen und Anstrengungen, die man erbringt. Das ist das Ergebnis schwarz-gelber Politik. (Beifall bei der SPD) Wenn wir nach Niedersachsen schauen und uns fragen, was die Bilanz von sechs Jahren Studiengebühren in Niedersachsen ist, dann sehen wir: Wir haben dort die niedrigste Studienanfängerquote. (Ewa Klamt [CDU/CSU]: Wie bitte? Herr Klingbeil, in Niedersachen haben die Universitäten am meisten Geld in ganz Deutschland!) Arbeiterkinder haben keine Chance auf ein Studium, und junge Menschen verlassen Niedersachsen. Bundesweit nehmen mittlerweile mehr als 42 Prozent eines Jahrgangs ein Studium auf. In Niedersachsen sind es um die 30 Prozent; das sind 12 Prozentpunkte weniger als im Durchschnitt. Niedersachsen ist damit Tabellenletzter bei den Studienanfängerzahlen. Ein Arbeiterkind nimmt nicht in der Regel, sondern eher im Ausnahmefall ein Studium auf. Der nationale Bildungsbericht hat das aufs Neue bestätigt: Von 100 Kindern, deren Eltern einen Hochschulabschluss haben, studieren 77. Von 100 Kindern, deren Eltern einen Hauptschulabschluss haben, studieren gerade einmal 13. Hier sieht man: Die finanzielle Machbarkeit ist ein ganz entscheidender Faktor, wenn es darum geht, ob man studieren kann oder nicht. (Beifall bei der SPD) In den letzten Jahren haben in der Bilanz jährlich 30 000 Studierende das Land Niedersachsen verlassen; seit 2003 sind es 250 000 junge Menschen, die Niedersachsen verlassen haben. (Heiner Kamp [FDP]: Wahlkampf! – Patrick Meinhardt [FDP]: Spätestens jetzt weiß man: nur Wahlkampfrhetorik!) – Das ist keine Wahlkampfrhetorik, lieber Kollege. Aber ich will Ihnen sagen: Es ist doch gut, wenn die Menschen wissen, was der Unterschied zwischen einer schwarz-gelben Bildungspolitik und einer rot-grünen Bildungspolitik ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Meinhardt [FDP]: Rot-grünes Chaos!) Ich freue mich darauf, dass die Menschen in Niedersachsen am 20. Januar darüber abstimmen können. Ich sage Ihnen: Wer nicht hören will, der muss fühlen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir bieten eine deutliche Alternative an; die Menschen sollen das wissen. Der Deutsche Bundestag ist der richtige Ort, darüber zu diskutieren. (Beifall bei der SPD) 250 000 junge Menschen haben das Land Niedersachsen seit 2003 verlassen. (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Eine reine Wahlkampfveranstaltung der SPD hier heute!) Das ist – ich sage das auch als Vertreter des ländlichen Raums – ein großer Verlust für unser Land. Diese Menschen kommen in der Regel nicht zurück. Ich freue mich darüber, dass es am 20. Januar eine klare Alternative gibt. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vielen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Reiner Wahlkampf! Peinlich! – Patrick Meinhardt [FDP]: Der Punkt wurde nur wegen Wahlkampf aufgesetzt! Das ist unglaublich!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Tankred Schipanski für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon überraschend, wer sich in der SPD vor diversen Wahlkämpfen plötzlich mit Bildungspolitik beschäftigt. (Patrick Meinhardt [FDP]: Genau so ist es!) Dementsprechend, lieber Herr Klingbeil, war aber auch Ihr Beitrag gerade. Ich möchte den Autor des Antrags, Herrn Rossmann, direkt ansprechen. Ich bin enttäuscht; denn ich hätte von der SPD nicht erwartet, dass man heute hier einen so links-ideologischen Antrag einbringt. (Beifall bei der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ihr Kanzlerkandidat hat ihn mit Sicherheit weder gelesen, noch weiß er davon. Liebe Kollegin Schieder, Ihr Beitrag wäre im Bayerischen Landtag besser aufgehoben gewesen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja!) Wir haben gar nicht die Kompetenz, hier über Studiengebühren zu entscheiden; das ist reine Ländersache. Sie hätten den Antrag auch gleich zusammen mit der Linksfraktion schreiben können; ideologische Unterschiede waren heute nicht zu sehen, wenn man die Reden von Frau Gohlke und dem guten Kollegen Dehm ausnimmt. Diese Debatte ist reiner Wahlkampf. Das bedauere ich sehr; Martin Neumann hat es angesprochen. Sie haben sich von der Sacharbeit in diesem Hohen Hause verabschiedet und in den Wahlkampfmodus umgeschaltet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Antrag fügt sich in ein Bild von der SPD, das Forschungspolitiker und Wissenschaftler in ganz Deutschland zunehmend bekommen: das Bild von einer Partei, die gegen Kooperationen im Wissenschaftsbereich kämpft, (Lachen bei Abgeordneten der SPD) sich mit ihren Forderungen immer mehr isoliert und an den Wirklichkeiten der Bildungsrepublik Deutschland vorbeiträumt. Seit der Anhörung zur Grundgesetzänderung mit Blick auf Art. 91 b wissen wir: Die Vertreter der SPD kennen keinen föderalen Bundesstaat, und sie wissen auch gar nicht, dass Bundesländer eigene Aufgaben wahrzunehmen haben. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ach Mensch, Herr Schipanski!) – Doch, so ist es. Wir wissen auch, wie die SPD argumentiert. Sie nimmt sich einen Satz aus der Gesetzesbegründung heraus und legt ihn dann aus, wie sie gerne möchte. Das hat uns Ihre Sachverständige Ahnen am 28. November eindrucksvoll gezeigt. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Stimmt! Sie war eindrucksvoll!) Der vorliegende Antrag macht genau das Gleiche. Da wird eine Studie herangezogen, aus der Sätze aus dem Zusammenhang zitiert werden, und daraus werden Unterstellungen gebastelt. Liebe Genossen, das ist eine Art von Arbeiten, die wir in diesem Hohen Hause nicht schätzen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Im Medienrecht würde man nach dem Lesen eines solchen Antrags eine Eindrucksrichtigstellung verlangen. Sie können in Ihrem Antrag gerne die einzelnen Punkte mitlesen. Der Bundestag kann feststellen, dass wir erstens Chancengerechtigkeit in Deutschland haben, dass zweitens der Hochschulzugang sozial gerecht ist, dass drittens die akademische Bildung für alle offen ist, dass viertens BAföG und Stipendien für Chancengerechtigkeit in der Hochschulbildung stehen und dass fünftens Studiengebühren keinen Studenten von einem Studium abhalten. Das sind die Tatsachenbehauptungen, um die sich diese Debatte heute hier dreht. Was macht die SPD? Sie unterstellt, sie redet schlecht, und primär führt sie als Beweismittel die 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes an. Leider setzen Sie sich mit dem Zahlenmaterial, das die Studie enthält, nur unzureichend auseinander. In der von Ihnen zitierten Studie wird der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Wahrscheinlichkeit, ein Studium aufzunehmen, erörtert. Auf Seite 125 wird ausdrücklich festgestellt, dass der unterstellte Trend schon seit Jahren gestoppt ist. Immerhin erwähnen Sie das in einem Nebensatz. Bereits auf Seite 11 der Studie finden Sie den Hinweis, dass die Bildungsbeteiligung von Akademikerkindern an Hochschulen nachgelassen hat, eine Tendenz, über die Sie sich freuen, wir jedoch nicht, weil wir der Meinung sind, dass wir jeden für unsere Bildungsrepublik Deutschland brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ferner beziehen sich sämtliche Zahlen und die damit verbundenen Behauptungen in Ihrem Antrag nur auf Universitäten, die Fachhochschulen werden völlig ausgeblendet. Wir wissen alle, dass gerade bei der anwendungsorientierten Ausbildung viele Nichtakademikerkinder beschult werden. Wissen Sie, liebe Genossen der SPD, wir stehen für Vielfalt und für Differenzierung. Die Koalition steht für ein christliches Menschenbild, das heißt, dass wir die Unterschiede von Menschen bewusst als Chance begreifen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ungleichbehandlung von Lebenspartnern! Sie diskriminieren Lesben und Schwule Tag für Tag!) Neigungen, Talente, individuelle Bedürfnisse sind bei jedem Menschen unterschiedlich. Daher stehen wir für Vielfalt und für Durchlässigkeit statt für Einheitsbrei. Wir stehen für individuelle Förderung statt kollektiver Gleichmacherei. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die OECD lobt Deutschland in ihrer Anfang Dezember veröffentlichten Integrationsstudie ausdrücklich. Der nationale Bildungsbericht in diesem Jahr stellte fest, dass Kinder von Einwanderern gute Bildungschancen und gute Jobgarantien haben. Ich zitiere: Die Bildungsbeteiligung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 16 bis unter 29 Jahren mit Migrationshintergrund hat sich seit 2005 erhöht und entspricht etwa der Bildungsbeteiligung der Deutschen ohne Migrationshintergrund. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie müssen lernen, Erfolge anzuerkennen. Einen Antrag primär lediglich auf eine einzige Studie zu stützen und unserem deutschen Bildungssystem zu unterstellen, wir hätten keine Bildungs- und Chancengerechtigkeit in unserem Land, das ist einfach unredlich. Die bildungspolitische Debatte ist immer weniger orientiert an den Kriterien Rationalität und Ehrlichkeit, sondern immer mehr geprägt von Schreckensszenarien. So der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, am 6. Dezember im Tagesspiegel. Und weiter: Damit solche Szenarien ihre Wirkung entfalten können, werden sie als „Studien“ und damit als „Wissenschaft“ verkauft. Dieser Art von Handwerk hat sich die 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes bedient. Die SPD ist hier aufgesprungen und hat die falschen Schlüsse daraus gezogen. Wir bestreiten diese Debatte mit Rationalität und mit Ehrlichkeit und lehnen den vorliegenden Antrag daher ab. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kollegen Michael Kretschmer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Michael Kretschmer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Relevanz, die diese Debatte hat, zeigt sich auch daran, wie viele Menschen auf der Pressetribüne sitzen, wie viele Ihre Interpretation des Themas teilen und diese Debatte ernst nehmen. Es sind ganz wenige, fast niemand. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Führt Sachsen jetzt Studiengebühren ein?) Über die Frage, die Sie aufwerfen, wurde 20, 30 Jahre lang diskutiert. Sie ist schon längst kein Thema mehr. 55 Prozent eines Altersjahrgangs nehmen ein Studium auf. Die Hälfte davon sind junge Mädchen. Ein großer Anteil der Studierenden hat einen Migrationshintergrund. Das ist die Realität in Deutschland. Es ist gesellschaftlicher und politischer Konsens, dass Bildung in unserem Land nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen darf. Das ist, Gott sei Dank, auch Realität in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dass das so ist, hat viel damit zu tun, dass wir in den vergangenen Jahren die Weichen richtig gestellt haben. Die Zahlen wurden mehr als einmal genannt. Der Aufwuchs beim BAföG – absolut –, die Anzahl junger Leute, die BAföG beziehen, und der Anteil der jungen Leute, die ein Stipendium bekommen, sind schon angesprochen worden. Das sind wichtige Ergebnisse. Das alles war nur möglich, weil wir Prioritäten gesetzt haben: für Wissenschaft, für Bildung. Es war nicht einfach, umso mehr freuen wir uns über dieses Ergebnis. In dieser Debatte alles klein- und mieszureden, wird Ihnen nichts nutzen. Mit mehr Aggressivität gewinnt man kein Vertrauen. Ich glaube, Sie verspielen immer mehr Vertrauen bei den Leuten, die früher geglaubt haben, dass SPD und Grüne etwas von Bildung und Wissenschaft verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Realität in den Bundesländern ist ebenfalls bereits angesprochen worden: Im Bereich der Bildung, im Bereich der Wissenschaft und im Bereich der Kultur wird gekürzt und gestrichen. Das ist sozialdemokratische Bildungspolitik. Das ist die Realität, und das ist bitter. Im Freistaat Sachsen wird (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Die Studiengebühr nicht eingeführt!) im Bereich der Kultur, im Bereich der Wissenschaft und im Bereich der Bildung zusätzliches Geld akquiriert. Ich kenne kein anderes deutsches Bundesland, das bis zum Jahr 2015 über eine halbe Milliarde Euro zusätzlich für Bildung, für Schule ausgibt. Ich finde, das ist eine ganz großartige Leistung des Freistaats Sachsen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagen Sie denn jetzt zum Thema der Debatte? Studiengebühren!) Die Frage der Studiengebühren ist in den vergangenen Jahren ausreichend diskutiert und beantwortet worden. Das Wissenschaftszentrum Berlin hat erst in den letzten Tagen wieder deutlich gesagt – das war auch Thema im Ausschuss –: Es gibt keinen Hinweis, es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass Studiengebühren in einer Größenordnung von 500 Euro pro Semester, über die wir in Deutschland reden, tatsächlich von der Aufnahme eines Studiums abhalten. Das Gegenteil ist mit Sicherheit der Fall. Diese Realität, diese wissenschaftlichen Ergebnisse sollten Sie einfach zur Kenntnis nehmen (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt auch andere wissenschaftliche Erkenntnisse!) und uns nicht immer mit Ideologie kommen. Nein, ein bisschen mehr Praxis und Realitätsbezug können auch der Sozialdemokratie nicht schaden. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Röspel? Michael Kretschmer (CDU/CSU): Nein. (René Röspel [SPD]: Wieder nicht!) Unsere Aufgabe im Deutschen Bundestag ist weder, Studiengebühren vorzugeben, noch, sie unmöglich zu machen. Unsere Aufgabe ist, gemeinsam mit den Bundesländern für eine auskömmliche Studienfinanzierung zu sorgen. In diesem Zusammenhang kann man Folgendes sagen: Der Freistaat Bayern ist mit Sicherheit das Land, das am ehesten in der Lage ist, die Hochschulfinanzierung auch ohne Studiengebühren zu garantieren. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Deswegen liegt es allein in der Verantwortung der Bayern, zu entscheiden, ob sie Studiengebühren wollen oder nicht. Es zeugt von einer völlig fehlgeleiteten Diskussion, wenn wir hier anlässlich 500 Euro Studiengebühren einen Glaubenskrieg anfangen. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Schavan will sie freigeben!) Es war von vornherein klar, dass diese Studiengebühren nachgelagert sein müssen und die Refinanzierung so organisiert sein muss, dass die Studiengebühren auch von denjenigen, die geringe Einkommen haben, bezahlt und refinanziert werden können. (René Röspel [SPD]: Wo leben Sie denn eigentlich? – Gegenruf des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]: In der Realität!) Das ist in jedem Bundesland, in dem Studiengebühren eingeführt worden sind, am Ende auch so realisiert worden. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Unsinn!) Die SPD drückt uns mit dieser Debatte eine Diskussion auf, die in der Praxis niemanden interessiert. Sie lenkt aber gleichzeitig von den wirklich großen Themen, die wir zu bearbeiten haben, ab. Die Kooperation von außeruniversitärer und universitärer Forschung ist eines dieser Themen. Ich sage noch einmal: Wir werden uns nicht von einer Blockade aus parteitaktischen und wahlkampftaktischen Gründen der Opposition behindern lassen. Wir werden gemeinsam mit der Wissenschaft den eingeschlagenen Weg weitergehen. Diese Koalition ist Partner und Anwalt der Wissenschaft. Wir werden weitere Projekte realisieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mit jedem Projekt, das wir kreieren – MDC und Charité ist das neueste –, wird der Druck auf die Sozialdemokraten größer, einer Grundgesetzänderung zuzustimmen. Mit jedem dieser Beispiele verspielen Sie Ihren Kredit, den Sie im Bereich Wissenschaftspolitik gehabt haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich wünsche der Opposition mehr bürgerlichen Pragmatismus (Lachen des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) bei der Gestaltung der Politik für unser Land gerade im Wissenschaftsbereich. Dieses Land braucht keine Ideologen, sondern Pragmatiker, die vorangehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11823, 17/11824 und 17/8498 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktion Die Linke hat gebeten, jetzt die Sitzung für etwa 30 Minuten zu unterbrechen. Der Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt. Die Sitzung ist unterbrochen. (Unterbrechung von 12.56 bis 13.44 Uhr) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 46 a und 46 c sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 g: 46 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften – Drucksache 17/11818 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Maisch, Ingrid Hönlinger, Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unseriöses Inkasso eindämmen – Drucksache 17/11837 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ZP 2 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes – Drucksache 17/11369 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Dr. Heinz Riesenhuber, Nadine Schön (St. Wendel), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin), Claudia Bögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Innovation stärken und Lust auf Technik wecken – Drucksache 17/11859 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Spahn, Dietrich Monstadt, Michael Grosse-Brömer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Jens Ackermann, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Revision der europäischen Medizinprodukte-Richtlinien: Vertrauen wieder herstellen – Patientensicherheit bei Medizinprodukten muss erste Priorität sein – Drucksache 17/11830 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Crone, Angelika Graf (Rosenheim), Christel Humme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Diskriminierung abbauen – In jedem Alter – Drucksache 17/11831 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die soziale und wirtschaftliche Lage der Kultur- und Kreativschaffenden verbessern – Drucksache 17/11832 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Friedensdialog in Kolumbien aktiv unterstützen – Drucksache 17/11839 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU – Lateinamerika: Partnerschaft für eine sozial-ökologische Transformation – Drucksache 17/11838 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das scheint der Fall zu sein. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 47 a bis 47 j sowie den Zusatzpunkten 3 a bis 3 i. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkte 47 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Auswandererschutzgesetzes – Drucksache 17/11047 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – Drucksache 17/11772 – Berichterstattung: Abgeordnete Markus Grübel Aydan Özo?uz Jörg von Polheim Jörn Wunderlich Katja Dörner Der Ausschuss für Familie, Frauen, Senioren und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11772, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11047 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 47 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlägen für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung und für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts – Drucksache 17/11050 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/11888 – Berichterstattung: Abgeordnete Ulla Lötzer Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11888, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11050 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in der zweiten Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 47 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Zweite Verordnung zur Änderung der Deponieverordnung – Drucksachen 17/11475, 17/11614 Nr. 2.1, 17/11732 – Berichterstattung: Abgeordnete Michael Brand Dr. Matthias Miersch Horst Meierhofer Ralph Lenkert Dorothea Steiner Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11732, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 17/11475 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen. Tagesordnungspunkt 47 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu den Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12 und 2 BvR 1564/12 – Drucksache 17/11799 – Berichterstattung: Abgeordneter Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, in den vier Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Stellung zu nehmen und den Präsidenten zu bitten, Professor Dr. Christian von Coelln als Prozessbevollmächtigten zu bestellen. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist einstimmig so beschlossen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 47 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 499 zu Petitionen – Drucksache 17/11679 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 499 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 47 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 500 zu Petitionen – Drucksache 17/11680 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 500 ist ebenfalls einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 47 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 501 zu Petitionen – Drucksache 17/11681 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 501 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen. Tagesordnungspunkt 47 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 502 zu Petitionen – Drucksache 17/11682 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 502 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen. Tagesordnungspunkt 47 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 503 zu Petitionen – Drucksache 17/11683 – Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 503 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Grünen bei Gegenstimmen von SPD und Linken. Tagesordnungspunkt 47 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 504 zu Petitionen – Drucksache 17/11684 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 504 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Jetzt kommen wir zum Zusatzpunkt 3 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den am 12. September und am 4. Oktober 2001 ausgerufenen NATO-Bündnisfall beenden – Drucksachen 17/11555, 17/11739 – Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Dr. Rolf Mützenich Dr. Rainer Stinner Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller (Köln) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11739, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11555 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Zusatzpunkt 3 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 505 zu Petitionen – Drucksache 17/11862 – Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 505 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 3 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 506 zu Petitionen – Drucksache 17/11863 – Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 506 ist ebenfalls einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 3 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 507 zu Petitionen – Drucksache 17/11864 – Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 507 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen. Zusatzpunkt 3 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 508 zu Petitionen – Drucksache 17/11865 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 508 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 3 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 509 zu Petitionen – Drucksache 17/11866 – Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 509 ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen. Zusatzpunkt 3 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 510 zu Petitionen – Drucksache 17/11867 – Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 510 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen. Zusatzpunkt 3 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 511 zu Petitionen – Drucksache 17/11868 – Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 511 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Grünen bei Gegenstimmen von SPD und Linken. Zusatzpunkt 3 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 512 zu Petitionen – Drucksache 17/11869 – Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 512 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Geplante Schließung bei Opel Bochum verhindern Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Sevim Da?delen von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Da?delen (DIE LINKE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! General Motors hat faktisch die Schließung des Opel-Werks in Bochum, in meinem Wahlkreis, zu 2016 bekannt gegeben. Die Marke Opel selbst ist in Gefahr. Die Menschen in Bochum und im ganzen Ruhrgebiet fragen sich zu Recht besorgt: Was wird aus Opel Bochum? Was wird aus dem Ruhrgebiet? Es steht ja viel mehr auf dem Spiel als die 3 000 Arbeitsplätze in Bochum selbst. Es geht um 10 000 Arbeitsplätze bei den Zulieferern. Es geht um 45 000 Arbeitsplätze in der Region. Ja, 45 000 Beschäftigte werden voraussichtlich ihren Arbeitsplatz im Ruhrgebiet verlieren, sollte Opel Bochum tatsächlich geschlossen werden. Und was macht die Bundesregierung? Sie zeigt allein auf General Motors, glänzt hier mit Abwesenheit und legt die Hände in den Schoß. Das Schicksal der Menschen im Ruhrgebiet ist ihr völlig gleichgültig. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ein Quatsch!) Herr Rösler, auch wenn Sie hier wieder einmal durch Abwesenheit glänzen: Sie erwecken den Anschein, dass Sie nicht einmal wissen, wo das Ruhrgebiet überhaupt liegt. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Wer nicht Mövenpick heißt und vorher kräftig an die FDP gespendet hat, hat von Ihnen nichts zu erwarten. Das ist die Botschaft, die Sie hier aussenden. Das ist einfach unerträglich. (Beifall bei der LINKEN) Die Opelaner werden schlicht von zwei Seiten in die Zange genommen: einmal von der Europapolitik der Bundesregierung, die grundfalsch ist, zum anderen von der üblen Politik des GM-Managements. Opel ist das erste Opfer der europäischen Kürzungsdiktate von Angela Merkel. Deshalb ist der Absatzmarkt weggebrochen, den GM Opel in Europa übriggelassen hat, gerade im Süden Europas. Vor diesem Hintergrund klingt Ihr Jammern, lieber Herr Rösler, über die GM-Führung, die Opel den Weg auf die Märkte in Asien versperrt, nach der Haltet-den-Dieb-Methode. Ich sage Ihnen: Gerade weil die Bundesregierung Mitschuld an dem Desaster bei Opel trägt, darf sich die Hilfe des Bundes für die Beschäftigten nicht auf warme Worte beschränken. (Beifall bei der LINKEN) Wie anders würden Sie handeln, wenn Opel eine Bank wäre! Während Sie hier mit der SPD und den Grünen für die Bankenrettung jedes Mal Milliarden Euro ohne jede Gegenleistung zulasten der öffentlichen Hand ausgereicht haben, weil diese Banken für Sie systemrelevant sind, sind die 45 000 Beschäftigten und ihre Familien im Ruhrgebiet für Sie offensichtlich ohne jede Relevanz. Die lassen Sie einfach im Stich. Das Problem soll jetzt allein der Markt regeln. „Kapitalismus statt Solidarität“ ist das Motto der Regierung Merkel und Rösler. Aber ich kann Ihnen eines versprechen: Die Menschen in meiner Heimat, im Ruhrgebiet, werden es nicht zulassen, dass man so mit ihnen umgeht. Solidarität ist für uns im Gegensatz zu Ihnen kein Fremdwort. (Beifall bei der LINKEN) Das zeigte sich auch, als wir vorletzte Woche gemeinsam mit Gregor Gysi an einer Betriebsratssitzung im Opel-Werk in Bochum teilgenommen haben. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sehr gut! Das hilft den Menschen ja!) Die Bundesregierung muss gemeinsam mit den Beschäftigten und dem Management nach Alternativen zur Schließung suchen. Deshalb fordere ich die Bundesregierung und speziell Frau Bundeskanzlerin Merkel von hier auf: Frau Bundeskanzlerin, machen Sie Opel zur Chefsache! (Beifall bei der LINKEN) Das Ruhrgebiet darf nicht sehenden Auges in eine regelrechte Elendszone verwandelt werden. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Was? Eine Elendszone?) Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit die Verhandlungen mit General Motors an die Wand gefahren. Wir erinnern uns an die Bilder von Ihrem Großplagiator von und zu Guttenberg in den USA. GM aber lässt Opel langsam sterben. Das sollte nunmehr auch dem Letzten klar geworden sein. 2011 hat General Motors den größten Gewinn in über 100 Jahren Unternehmensgeschichte erzielt. Die schwarzen Zahlen von General Motors sind die roten Zahlen von Opel. Wenn die Schließung dieses Werks in Bochum hingenommen wird, kommt die gesamte Marke Opel in schweres Fahrwasser. Die Linke fordert von der Bundesregierung, nicht weiter der Öffentlichkeit ein unwürdiges Schwarzer-Peter-Spiel vorzuführen, indem sie auf General Motors zeigt. Was ist jetzt zu tun? Es muss eine Beschäftigungsgarantie für die Opel-Mitarbeiter her, auch über 2016 hinaus. (Beifall bei der LINKEN) Ich verweise hier auf die zahlreichen Initiativen der Linken, zum Beispiel auf die Initiative für ein Verbot von Massenentlassungen. Es wäre schön, wenn sich die anderen Fraktionen endlich auch für ein solches Verbot aussprechen würden. Es ist doch nicht hinzunehmen und einzusehen, dass Unternehmen für eine reine Profitsteigerung die sozialen Kosten von Massenentlassungen der öffentlichen Hand aufbürden. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb sind Sie aufgefordert, endlich Gespräche zu führen. Die Bundesregierung darf nicht weiter die Hände in den Schoß legen. Es muss jetzt Druck auf das GM-Management gemacht werden. Die Absage des Tages der offenen Tür bei Opel Bochum an diesem Samstag, der ein Tag der Solidarität werden sollte, ist ein Armutszeugnis ohnegleichen. So darf man mit den Menschen weder in Bochum noch im Ruhrgebiet umgehen. Die Demokratie muss endlich auch in die Betriebe Einzug halten, damit die Profitinteressen von Konzernen nicht ganze Regionen zerstören können. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke jedenfalls steht an der Seite der Menschen in Bochum und im Ruhrgebiet. Lassen wir die Menschen nicht im Stich, meine Damen und Herren! Opel Bochum muss bleiben. Das sind wir den Menschen im Ruhrgebiet, in der ganzen Region, schuldig. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Matthias Heider von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Titel dieser Aktuellen Stunde auf Wunsch der Linken lautet: „Geplante Schließung bei Opel Bochum verhindern“. Wir haben hier gerade nichts, wirklich überhaupt nichts gehört, womit man politisch oder betriebswirtschaftlich in der Lage wäre, eine Werksschließung zu verhindern, wenn man marktwirtschaftliche Maßstäbe anlegt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Montag war für die Opel-Beschäftigten in Bochum ein schwarzer Tag. Die Entscheidung zur Schließung, die nach vielen Jahren des Bangens zur Gewissheit wurde, ist nicht leicht zu verdauen, und sie ist ein schwerer Schlag für die Arbeitnehmer, für ihre Familien und auch für die Stadt Bochum. Zwei Punkte erscheinen mir wesentlich – dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt, Frau Kollegin –: Erstens. Die Managementfehler in den vergangenen Jahren, die betriebswirtschaftlichen Probleme sind Legion, nicht erst seit 2009. Ob Markenpflege oder Modellpolitik, an die einst klangvollen Namen – Opel Kapitän, Opel Admiral, Opel Diplomat, Opel Senator (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Was ist mit den Managementfehlern bei den Banken, Herr Kollege!) und auch an die Kassenschlager Opel Kadett und Opel Manta – reichen die heutigen Produkte nicht mehr heran. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt nicht! Der Zafira hat das Goldene Lenkrad bekommen!) Der Marktanteil von Opel auf dem europäischen Pkw-Markt lag mit sinkender Tendenz im Oktober nur noch bei 6 Prozent. Zum Vergleich: Der Branchenführer VW brachte es auf über 25 Prozent. Opel als Produkt nur für den westeuropäischen Markt, das funktionierte nach 1945 nur mit interessanten, marktgängigen Modellen, und das war auch das Problem des Standortes Bochum. Man muss deshalb leider sagen: Für die Unternehmensentwicklung von Opel war GM in der vergangenen Dekade eher eine Handbremse als ein Gaspedal. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber da können die Beschäftigten nichts für!) Zweitens: die Standortpolitik. Das Bochumer Opel-Werk war lange Zeit das Symbol für den Strukturwandel im Ruhrgebiet. Doch Strukturwandel ist kein abschließender Prozess, sondern eine stetige Veränderung. Nokia, ThyssenKrupp, Opel – nicht globalisierte Großkonzerne sind die Triebfeder des deutschen Jobwunders der letzten Jahre; es sind die Mittelständler, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) regional verwurzelt, inhabergeführt, sozial verantwortlich und hochinnovativ. Sie sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Da muss man schon die Frage stellen, welche Standortpolitik betrieben worden ist. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Genau!) Meine Damen und Herren, die Koalition hat die Lohnnebenkosten gesenkt und damit internationalen Wettbewerb – denken Sie zum Beispiel an die EEG-Novelle – ermöglicht. Wir haben die ZIM-Mittel in den vergangenen Jahren auf einem guten Niveau gehalten und damit Forschung und Entwicklung befeuert. Das sind präventive Maßnahmen, um Werkschließungen zu verhindern. Das ist eine gute Standortpolitik. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber das hilft ja nichts!) Ich will Ihnen noch ein Beispiel nennen: In der Reihenfolge der Gewerbesteuer-Hebesätze für die Opel-Standorte in Deutschland liegt Bochum mit Abstand vorne. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist der Grund?) Das ist wahrscheinlich nicht der ausschlaggebende Grund für die Werksschließung, aber es ist dennoch ein Hinweis auf die tiefer liegenden Probleme am Standort Ruhrgebiet. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! Das ist ein Hinweis darauf, wie Sie die Kommunen in Deutschland behandeln!) Ich will Ihnen einmal die entsprechenden Zahlen nennen: Rüsselsheim 390 Prozentpunkte, Eisenach 400 Prozentpunkte, Kaiserslautern 410 Prozentpunkte, Bochum 480 Prozentpunkte, und dabei haben Sie, SPD, Grüne und Linke, im Stadtrat von Bochum noch 2010 für die Erhöhung der Gewerbesteuer gestritten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was hat das mit dem Thema zu tun?) – Herr Kollege Heil, Sie sind zwar als Lautsprecher Ihrer Fraktion bekannt. Aber wenn wir ins Gespräch kommen wollen, dann müssen Sie als Lautfrager auftreten. Auch die Steuerpolitik ist eine Standortfrage. Denken Sie einmal darüber nach, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, bevor Sie mit der Forderung nach der Wiedererhebung der Vermögensteuer und der Erhöhung der Kapitalertragsteuer, der Einkommensteuer und der Erbschaftsteuer in das Wahlkampfjahr 2013 ziehen und den Mittelstand noch weiter belasten. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Sie helfen den Menschen gar nicht! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was hat das mit Opel zu tun? Thema verfehlt!) Die Liste der Grausamkeiten, die Sie für den Industriestandort Deutschland vorhaben, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, ließe sich fortsetzen. Nehmen Sie einmal die Infrastruktur. Ich sage Ihnen: Sie vernachlässigen es, Infrastruktur zu ermöglichen, indem Sie kein Baurecht in Nordrhein-Westfalen schaffen. Im Vergleich zu Bayern mit 1 918 Planfeststellungsbeschlüssen gibt es im Land Nordrhein-Westfalen lediglich 241 Planfeststellungsbeschlüsse, und von denen wird gegen 97 noch geklagt. Das ist keine gute Infrastrukturpolitik, von der auch der Standort Bochum profitieren könnte, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist robust, und die Aussichten auch für die 3 000 bei Opel direkt Beschäftigten sind nicht schlecht. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Sagen Sie mal den Nokia-Mitarbeitern, wie die Aussichten sind! Sie lassen die Leute immer im Stich!) Es ist Verantwortung gefordert. Die Zusagen, die Opel für das Logistikzentrum und eine Komponentenfertigung macht, müssen eingehalten werden. Blicken wir also etwas optimistisch in die Zukunft! Ein Werkstor schließt sich; aber viele andere Türen werden sich öffnen. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Ja, klar! Wissen Sie überhaupt, wie es da aussieht? Waren Sie schon mal da?) Ich sage es Ihnen an dieser Stelle noch einmal: Was wir brauchen, ist ein innovationsfreundliches und ein investitionsfreundliches Umfeld für den Industriestandort Deutschland. Damit werden Probleme gelöst. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 10. Dezember hat der Interimsvorstandsvorsitzende der Adam Opel AG, Herr Dr. Sedran, bekannt gegeben, den Standort Bochum der Adam Opel AG zum Jahr 2016 zu schließen, die Produktion zu beenden. Das war ein bitterer Tag für die Beschäftigten von Opel, für die 3 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für 3 000 Familien in Bochum kurz vor Weihnachten und für 100 Zulieferunternehmen mit anhängiger Beschäftigung. Ich sage Ihnen, Herr Kollege, der Sie vor mir gesprochen haben: Ihre Rede spricht nicht so sehr dafür, dass Sie ein Herz für die Interessen der arbeitenden Menschen in diesen Unternehmen und eine Beziehung zur industriellen Basis dieses Landes haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sevim Da?delen [DIE LINKE] – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Was sind die tatsächlichen Ursachen dieser Entwicklung? Ich sage Ihnen, dass das, was die Opel AG zur Begründung vorschiebt und was die Linkspartei offensichtlich nachspricht, nicht ganz die Wahrheit ist. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Wir sprechen nicht nach!) Es ist gar keine Frage, dass die schwierige Situation auf den südeuropäischen Absatzmärkten insgesamt für den Standort Deutschland mittlerweile zu einem Klotz am Bein wird, zu etwas, das uns herunterzieht; das hat uns in der Debatte heute Morgen schon beschäftigt. Aber die Begründung von Opel für diese Entscheidung – die Probleme in Südeuropa sind verantwortlich für die Schließung von Opel in Bochum – (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Nicht nur, Herr Heil! Sie hätten zuhören sollen!) ist fadenscheinig; denn Tatsache ist, dass gerade der Standort Bochum eine sehr hohe Auslastungsquote hat, (Zuruf von der SPD: Genau!) dass es übrigens im Gegensatz zu dem, was Sie eben gequatscht haben von Manta und Kadett und Admiral, mit dem Zafira am Opel-Standort Bochum ein Produkt gibt, das gerade das Goldene Lenkrad bekommen hat. Das ist ein hocherfolgreiches Automobilprodukt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Ursachen liegen woanders. Sie liegen erstens im Missmanagement von GM in den Vereinigten Staaten von Amerika. GM hat Opel insgesamt die Möglichkeit genommen, neue Absatzmärkte zu erschließen, hat Opel regelrecht verboten, zum Beispiel auf den mittel- und osteuropäischen Markt zu gehen, nach Russland und nach China. Das ist die verfehlte Konzernpolitik dieses Unternehmens. Der zweite Grund ist – das kann ich Ihnen nicht ersparen –, dass Sie damals, als wir 2009 versucht haben, die Adam Opel AG aus dem Konzern herauszuführen und einen strategischen Investor zu finden, der es ermöglicht hätte, solche Absatzmärkte zu erschließen, diese Bemühungen diffamiert haben. Diese Politik – „Das Erbe der Guldenburgs“ will ich nicht sagen –, dieses Erbe des Guttenberg und auch des Herrn Brüderle, die Diffamierung der Bemühungen, die wir damals an den Tag gelegt haben, ist eine Ursache für das, was wir heute erleben. – Konzernfehlentscheidungen und Politikversagen in dem, was Sie gemacht haben, sind die Gründe. (Beifall bei der SPD) Sie haben sich damals als Hüter der freien Marktwirtschaft aufgespielt. Es ging überhaupt nicht um Steuergeld im Sinne von Verstaatlichung oder Ähnliches. Es ging darum, einen Investor zu finden und den Weg abzustützen, um Standorte wie Bochum, aber auch Rüsselsheim und Eisenach in Deutschland dauerhaft zu erhalten. Eines wissen wir – da haben Sie vollkommen recht –: Das eigentliche Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist der Mittelstand, auch der industrielle Mittelstand. Aber ohne grundlegende Produktion, auch von großen Unternehmen, haben wir nicht die ganze Wertschöpfungskette, die wir brauchen. Diesen Zusammenhang haben Sie nicht begriffen. Sie haben in Ihrer Rede die kleinen gegen die großen Unternehmen ausgespielt. Das macht überhaupt keinen Sinn. Am Beispiel Bochum sehen Sie doch: Da ist nicht nur Bochum als Opel-Standort betroffen, sondern da sind auch 100 Zulieferunternehmen – das sind kleine und mittlere Unternehmen –, die unter Ihrer falschen Politik leiden. Was ist jetzt notwendig? Jetzt geht es nicht um Steuergeld, das wir einsetzen können und wollen; darum kann es nicht gehen. Jetzt geht es, im Gegenteil, darum, General Motors – übrigens in Amerika mit viel Steuergeld gerettet – (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr!) in die Pflicht zu nehmen, seiner Verantwortung gegenüber den Beschäftigten in Bochum und auch gegenüber der Region gerecht zu werden. Dazu sind drei Dinge notwendig: Erstens. Es ist notwendig, von diesem Unternehmen zu verlangen, dass es über das Jahr 2016 hinaus keine betriebsbedingten Kündigungen der Beschäftigten von Opel gibt. Das ist eine klare Forderung der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Ich hätte mich gefreut, wenn die CDU, die CSU und die FDP sich dieser Forderung gegenüber General Motors heute angeschlossen hätten, anstatt sich über das EEG oder ähnliche sachfremde Zusammenhänge auszulassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Die Arbeitsgruppe „Perspektive für Bochum“ darf kein Sozialplanprogramm im Interesse dieses Unternehmens werden, sondern es muss eine Beteiligung, auch eine finanzielle Beteiligung von General Motors, an der Umstrukturierung des Standortes geben, um für die Region eine Perspektive zu entwickeln. Drittens. Wir müssen mit dem Unternehmen alle Möglichkeiten besprechen, damit Bochum ein Produktionsstandort bleiben kann. Es wird vermutlich nicht so bleiben, wie es ist. Es müssen aber Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel ob Bochum als Komponentenwerk erhalten werden kann. Das wäre eine ganz konkrete Zusage. Meine Aufforderung an die Bundesregierung ist, sich für diese drei sehr konkreten Ziele einzusetzen. Es geht nicht um Planwirtschaft, um Verstaatlichung, sondern es geht darum, das herauszuholen, was im Interesse der Beschäftigten, der Region, der industriellen Basis unseres Landes notwendig ist. Was passiert in diesem Zusammenhang? Wir haben einen Bundeswirtschaftsminister, der es nicht einmal für nötig hält, in dieser Debatte anwesend zu sein, geschweige denn zu reden. Ein Blick auf die Rednerliste zeigt: Es soll nicht einmal ein Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium reden, sondern ein Staatssekretär aus dem Arbeitsministerium. Wie war die Reaktion von Philipp Rösler auf diese Entscheidung? Er hat wie ein kleiner Junge mit dem Fuß aufgetreten und gesagt, er sei sauer, und im Übrigen die Beschäftigten an die Bundesagentur für Arbeit verwiesen. Das, meine Damen und Herren, hat mit industriepolitischer Verantwortung eines Bundeswirtschaftsministers überhaupt nichts zu tun. Das zeigt, welch Geistes Kind Sie an dieser Stelle sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Forderung an Sie ist: Unterstützen Sie den Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Garrelt Duin, und die nordrhein-westfälische Landesregierung! Die kämpfen für Beschäftigung, die kämpfen für die industrielle Basis. Wir wissen, was das industrielle Rückgrat dieser Gesellschaft bedeutet. Was an Wertschöpfung verschwindet, kommt nicht wieder. Deshalb erwarte ich von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition und der Bundesregierung: Werden Sie Ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen in Bochum, gegenüber dem Industrieland Deutschland gerecht! Wir können nicht alles konservieren; das ist keine Frage. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Heil, kommen Sie bitte zum Schluss. Hubertus Heil (Peine) (SPD): Wir können betriebswirtschaftliche Fehler nicht politisch korrigieren. Aber wir haben eine Verantwortung, der Sie gerecht werden können. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sie auch!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Martin Lindner das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Unsere Gedanken sind heute als Erstes – Kollege Heil, das sollten wir uns nicht wechselseitig absprechen – bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Opel. Ich glaube, jeder Mensch, der ein bisschen Herz hat, kann nachempfinden, was es für die Menschen und deren Familien gerade in dieser Jahreszeit, kurz vor Weihnachten, bedeutet, eine solche Nachricht zu bekommen. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Was hat das mit der Jahreszeit zu tun?) Jeder, der mitfühlend ist, weiß, was gerade in den Köpfen dieser Menschen vorgeht. Umso lausiger und billiger ist es, dass die Opposition wieder, wie bei Schlecker und Quelle, das Schicksal dieser Menschen ausbeutet für billige Polemik und billigen Populismus, wie wir es gerade von Ihren Rednern gehört haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!) Zumindest Teilen der Opposition – Sie nicht; in Ihren Köpfen ruht das ewig staatlich organisierte Bitterfeld – müsste bekannt sein, dass der Staat in einer sozialen marktwirtschaftlichen Ordnung für die Volkswirtschaft, für die Makroökonomie, zuständig ist und das Management für die Betriebswirtschaft; dazu gehören auch das Schließen und das Eröffnen von Standorten. Das ist eine Aufgabenteilung, die sich in der sozialen Marktwirtschaft bewährt hat. Bedeutet das, dass der Staat in einer sozialen Marktwirtschaft keine Aufgabe hat, dass ihn das nichts angeht? Natürlich haben wir Aufgaben. Wir setzen die Rahmenbedingungen dafür, dass gut gewirtschaftet werden kann. Dies geschieht beispielsweise durch Investitionen in Forschung und Bildung (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Durch die Hotelsteuer!) – Schwarz-Gelb hat 12 Milliarden Euro mehr für Forschung und Bildung in dieser Legislaturperiode ausgegeben –, beispielsweise durch die Verbesserung von Exportchancen – der Export ist auf über 1 Billion Euro, 1 000 Milliarden Euro, in dieser Legislaturperiode gestiegen –, beispielsweise durch die Verbesserung bei den Energiepreisen – dazu zählen auch Ausnahmen, die wir geschaffen haben, zum Beispiel für den Mittelstand durch die Befreiung von der EEG-Umlage –, beispielsweise durch eine maßvolle Steuer- und Abgabenpolitik, durch steuerliche Entlastungen und natürlich durch die zweimalige Absenkung des Rentenbeitrags auf 18,9 Prozentpunkte. – Diese Maßnahmen dieser Regierung, dieser Koalition haben Früchte getragen. Die Arbeitslosenquote ist in dieser Legislaturperiode auf 6,5 Prozent gesunken. Wir haben insgesamt 1,5 Millionen mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen. Gerade in der Automobilbranche ist seit 2009 ein Zuwachs von ursprünglich 700 000 Arbeitsplätzen auf 750 000 Arbeitsplätze zu verzeichnen; in den letzten zwei Jahren konnten wir in der Automobilbranche jedes Jahr einen Zuwachs von 20 000 Arbeitsplätzen vermerken. Was macht die Opposition, außer scheinheilige und populistische Aktuelle Stunden zu beantragen? (Zuruf von der FDP: Nichts, gar nichts!) Sie setzen sich gegen Exporte ein, wie wir gestern wieder bei der Debatte um die wehrtechnischen Exporte erlebt haben. (Lachen bei der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen Rüstung!) Sie setzen sich gegen die Energiepreisabsenkungen ein. (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sorgen dafür, dass alles, was an steuerlichen Entlastungen möglich ist, im Bundesrat blockiert wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie sorgen für hohe Gewerbesteuersätze, wie der Kollege Heider gerade gesagt hat. Und dann wundern Sie sich wie kleine Kinder, dass Ihr Verhalten eine Reaktion von Unternehmerinnen und Unternehmern auf dem Markt nach sich zieht. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: So viel Schwachsinn zur Wirtschaftspolitik habe ich lange nicht gehört!) Sie können gar nichts, egal wo Sie regieren, egal wo Sie die Verantwortung haben. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!) Sie schaffen gar nichts. Sie können hier allenfalls Sprüche klopfen. Sie können hier allenfalls populistisch das Schicksal und die Misere der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Opel für Ihre billige Parteipolitik ausnutzen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie nutzen – das ist der einzige Vorteil dieser Aktuellen Stunde – Aktuelle Stunden, um deutlich zu machen, wo die Unterschiede liegen. Unsere beiden Fraktionen und diese Regierung stehen für soziale Marktwirtschaft. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie tun gar nichts!) Die anderen Fraktionen stehen für sozialdemokratische oder sozialistische Misswirtschaft. (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist der Unterschied. Genau an diesem Gang zwischen den Fraktionen verläuft die Grenze. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ich schäme mich für Ihre Rede! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen werden wir uns nächstes Jahr dafür einsetzen, dass die soziale Marktwirtschaft wieder die Mehrheit bekommt und nicht das, was Sie hier vertreten, was die Leute in die Arbeitslosigkeit führt, was kleine und mittlere Unternehmen belastet, was zu nichts anderem führt, als dass Deutschland herunterkommt, so wie unsere Nachbarstaaten, wo die Sozialisten regieren. Das werden wir bekämpfen. Wir werden dafür sorgen, dass die kleinen und mittleren Betriebe in Deutschland wieder die Chance haben, in diesem Land zu wirtschaften, und dass die Menschen hier Arbeitsplätze haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Schämen Sie sich! Das ist unwürdig für dieses Haus!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Tobias Lindner vom Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist zuallererst eine Stunde zum Ausdruck des Bedauerns und des Mitgefühls gegenüber den betroffenen Beschäftigten in Bochum, gegenüber dem betroffenen Standort und gegenüber den betroffenen Beschäftigten bei den Zulieferbetrieben. Ich habe mich eben gefragt, was Betroffene gedacht haben mögen, die diese Debatte am Fernsehen verfolgen. Sie, Herr Kollege Lindner, haben der Opposition in diesem Hause Polemik (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Und Populismus!) und Populismus vorgeworfen. Ich komme aus einer Kommune, die selbst Automobilindustrie hat. Ich frage mich, was Gewerbesteuer-Hebesätze in Kommunen, (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ja, das ist jetzt der Punkt!) wo vielfach, wenn es den Unternehmen schlechtgeht, keine Gewerbesteuer gezahlt wird, mit dem Problem in Bochum zu tun haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich frage mich, was Befreiungen von der EEG-Umlage für Schlachthöfe und Pommesfabriken mit dem Problem in Bochum zu tun haben. Wenn das einzige Argument der Koalition in diesem Hause lautet, dass wir in der Opposition angeblich gar nichts können, (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das stimmt doch!) dann habe ich Angst im Hinblick auf die Art und Weise, wie man dem Standort Bochum helfen kann. Ja, es ist richtig: Die Entscheidung, ein Werk zu schließen oder nicht zu schließen, ist eine unternehmerische und keine politische Entscheidung. Ja, meine Damen und Herren, es ist richtig, dass die Verantwortung zuallererst bei General Motors liegt, dass Fehler gemacht wurden, und zwar nicht erst vorgestern, dass Opel – das wurde gesagt – von Absatzmärkten abgehängt wurde, dass es Unsicherheiten über das Fortbestehen der Marke gab, dass das Management im Konzern nahezu im Dreijahresrhythmus gewechselt hat. Das ist alles andere als eine Voraussetzung dafür, Vertrauen von Konsumentinnen und Konsumenten in eine Automobilmarke zu schaffen. An dieser Stelle muss sich auch General Motors zu seiner Verantwortung bekennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Lassen Sie mich noch einen Punkt anführen: Auch ein Qualitätsmerkmal der deutschen Automobilindustrie ist – das wird gerade auf dem deutschen Absatzmarkt geschätzt – das gute und oftmals faire Miteinander von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Ich kann in Richtung General Motors nur sagen: Besinnen Sie sich auch auf dieses Qualitätsmerkmal, wenn Produkte der Marke Opel in Deutschland eine Zukunft haben sollen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir über die Verantwortung von Politik reden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, dann gehört zu dieser Verantwortung auch, den Menschen nichts vorzumachen und keine falschen Versprechungen zu geben. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Da müsst ihr euch an die eigene Nase packen!) Wenn man sich hier hinstellt und die Idee formuliert, man könnte staatlich Massenentlassungen verbieten, dann streut man Sand in die Augen der Betroffenen. Damit werden Sie Ihrer Verantwortung genauso wenig gerecht, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linkspartei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD]) Kommen wir zur Verantwortung der Bundesregierung: Nachdem vor wenigen Tagen diese bittere Nachricht für die Betroffenen bekannt wurde, genügt es eben auch nicht, einzig und allein zu sagen, General Motors hätte Opel vom Wachstumsmarkt China abgehängt. Wenn wir ehrlich sind und uns klarmachen, dass die Probleme nicht erst seit vorgestern bestehen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie nicht davon abhängen wird, ob die Löhne irgendwo höher oder niedriger sind, sondern davon, ob man die Technologieführerschaft hat, ob man für neue Ideen offen ist, ob der Blaumann in der deutschen Automobilindustrie endlich grün wird, dann muss man sagen: Da hat diese Bundesregierung kläglich versagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Der wird zuerst rot bei euch!) Bei Opel geht es ja gerade um Autos im Kleinwagen- und Mittelklassebereich. Gerade in diesem Bereich geht es um die Technologieführerschaft, darum, auch in der Wirtschaftspolitik die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, neue Antriebskonzepte zu fördern, Ressourceneffizienz und Ressourcensparsamkeit bei der Herstellung zu einem Qualitätsmerkmal zu machen und in der Politik dafür die richtigen Leitplanken zu setzen. Nein, da haben Sie vonseiten dieser Bundesregierung nichts getan. Auch das ist ein Problem. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Gründet ihr mal selbst eine Firma!) Ich komme zum Schluss: Dass man mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben kann, ist inzwischen wohl auch bei Ihnen angekommen. Wenn das nicht bei Ihnen angekommen ist, verwundert mich das auch wenig. Aber ich sage Ihnen eines ganz klar, wenn wir über Technologieführerschaft, über Fortschritt und Vorsprung, über Konkurrenzfähigkeit auf Weltmärkten reden: In grünen Ideen liegt die Zukunft, auch im Automobilbereich und gerade für die deutsche Automobilindustrie. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Da freuen die sich schon drauf! Die autofeindlichste Partei! Fahrradstreifen auf den Autobahnen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als am 20. Mai 1960, also vor über 52 Jahren, die Stadt Bochum die Ansiedlung eines Opel-Werkes auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Dannenbaum bekannt gab, begann für Opel in Bochum und im Ruhrgebiet eine beispiellose Erfolgsgeschichte, die ein halbes Jahrhundert lang anhielt. Ganze Generationen in Bochum und im Ruhrgebiet sind mit Opel aufgewachsen. Als jemand, der aus der schönen Nachbarstadt Hattingen kommt, kann ich sagen: Diese Entscheidung von General Motors trifft viele Menschen, aber auch mich persönlich zutiefst. Lieber Kollege Heil, wenn ich Sie ansprechen darf: Ich fand es ein bisschen kleinkariert, dass Sie ausgerechnet den Umstand skandalisieren wollten, dass ich hier als jemand aus der Region für die Bundesregierung rede. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist der Wirtschaftsminister?) Der Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler hat das Richtige und Notwendige zu diesem Thema gesagt; er muss es nicht täglich wiederholen. Wenn jemand anderes hier gesprochen hätte, dann hätten Sie kritisiert: Aus dem Ruhrgebiet ist keiner da, der für die Regierung reden kann. – Wie man es macht, macht man es verkehrt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ist das! Alles Quatsch!) Das ist eigentlich nicht Ihr Niveau, Herr Kollege Heil. Lassen Sie mich klar feststellen: Diese Entscheidung von General Motors kann nicht im Sinne der Menschen in Bochum und im Ruhrgebiet sein. Die Ankündigung, die Autoproduktion am Standort Bochum zu beenden, ist eine schlimme Nachricht für Bochum und das Ruhrgebiet; sie ist ein dramatischer Rückschlag für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen. Es ist daher die berechtigte Erwartung aller politisch Verantwortlichen, dass mit den betroffenen Menschen, die hochqualifiziert und hochmotiviert ihre Arbeit tun, die jahrzehntelang auch unter schwierigen Umständen hervorragende Arbeit geleistet haben, anständig umgegangen wird. Das sollte unsere allgemeine und berechtigte Erwartung sein, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Den Menschen in der Region, den vielen Tausend Opel-Beschäftigten und ihren Familien gilt unsere Solidarität, die Solidarität der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen. (Beifall bei der CDU/CSU) Was die Menschen bei Opel nicht verdient haben, ist zum einen die Entscheidung, die am Montag gefallen ist. Zum anderen haben sie es nicht verdient, dass Illusionen geschürt werden, dass eine Fraktion versucht, auf ihre Kosten ein politisches Süppchen zu kochen, (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ist das!) beginnend mit dem Titel dieser Aktuellen Stunde, der irreführend ist und den Eindruck erweckt, als würde die Entscheidung über die Schließung bei Opel Bochum hier im Deutschen Bundestag oder in der Politik fallen. Das ist irreführend; diese Irreführung haben die Menschen bei Opel nicht verdient. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Wahrheit ist doch eine andere: Der Strukturwandel im Ruhrgebiet, gerade auch die Entwicklung des Opel-Standortes Bochum, ist über Jahrzehnte hinweg von der öffentlichen Hand begleitet und unterstützt worden: von der Bundesregierung, von der Landesregierung, von den Verantwortlichen in der Region, von den Vertreterinnen und Vertretern der Stadt Bochum. Es gehört zu den Wahrheiten, die man nicht ignorieren darf: Die öffentliche Hand kann einen Unternehmensstandort auf Dauer nicht gegen den Willen des Unternehmens sichern. Darum geht es hier. Wenn der Staat anfängt, selbst Autos zu produzieren, dann kommen eben Trabis dabei heraus; diese Erfahrung haben wir gerade Ihnen von der Linken zu verdanken. Das kann nicht der Weg in die Zukunft sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Volkswagen ist doch auch ein Erfolgsmodell, mit dem VW-Gesetz! Was erzählen Sie denn da?) Der Kern des Problems liegt in der Entscheidung, die General Motors getroffen hat. Es hat hier – darauf hat der Bundeswirtschaftsminister zu Recht hingewiesen – jahrzehntelang schwere Managementfehler gegeben, die immer wieder auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen worden sind. Die Beschäftigten sind hochqualifiziert. Das Werk verfügt beispielsweise über eine absolut moderne Karosserielackiererei. Bei einer guten Auslastung des Werkes konnten pro Tag rund 1 200 Fahrzeuge der Modelle Zafira und Astra im Dreischichtbetrieb gebaut werden. Aber es gehört eben auch zur Wahrheit, dass Opel insgesamt – Opel in Europa, Opel in Bochum – immer wieder auch eine Teststation, ein Versuchsballon für amerikanisches Führungspersonal war. Seit dem Jahr 1970 sind die Opel-Manager im Schnitt alle drei Jahre ausgetauscht worden. Kontinuität und Nachhaltigkeit in der Politik, auch in einer Unternehmenspolitik, sehen anders aus. Das hat etwas mit der Entwicklung zu tun, die dann eingesetzt hat: In Deutschland hat Opel allein in den letzten anderthalb Jahrzehnten die Hälfte seines Marktanteils verloren, und zwar – ich sage es noch einmal – nicht aufgrund schlechter Qualität oder der Arbeit der Beschäftigten, sondern aufgrund von Managementfehlern, die gemacht worden sind. Es lag jedoch nicht nur an der Entwicklung am Standort Bochum und am Management. Es hat auch damit zu tun, dass man es in Detroit nicht zugelassen hat, dass Opel die in Europa entstandenen Verluste auf den aufstrebenden Märkten außerhalb Europas, in Asien, in Lateinamerika und in Afrika, ausgleicht. Auch dies hat zu diesem Ergebnis geführt. Deswegen sage ich: Opel muss endlich die Möglichkeit haben, weltweit zu produzieren und weltweit zu verkaufen; denn das stärkt auch den Heimatmarkt in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Jeder, der sich ernsthaft mit den Herausforderungen befasst, vor denen wir jetzt stehen, weiß: Schon aus beihilferechtlichen Gründen kann die Bundesregierung nicht einfach mit Krediten und Bürgschaften intervenieren. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das verlangt doch auch keiner!) Wer der Bundesregierung ernsthaft Versäumnisse vorwirft, der muss sagen, was an dieser Stelle konkret über das hinaus, was wir bereits machen, passieren sollte. Es ist aus beihilferechtlichen Gründen nicht möglich, mit Krediten und Bürgschaften in den Wettbewerb einzugreifen. Wer das suggeriert, der streut den Menschen Sand in die Augen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ist das! Wir sorgen für die Rahmenbedingungen!) Das kann nicht die Lösung sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Sie haben nur für Banken einen Schutzschirm, nicht wahr, Herr Kollege? Und für die Versicherungskonzerne!) Es wird in der Tat darum gehen, das Opel-Management beim Wort zu nehmen und gemeinsam die Chancen zu ergreifen, die sich in dieser Situation noch bieten. Wir erwarten, dass alles getan wird, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Wir wollen keine betriebsbedingten Kündigungen bei Opel in Bochum – um das deutlich zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU) Opel selbst – auch da muss man das Management beim Wort nehmen – hat angekündigt, in Bochum präsent zu bleiben, in Bochum weiter aktiv zu sein, auch über 2016 hinaus. Es geht insbesondere um das Thema Ausbau der Komponentenfertigung. Über diese Fragen wird zu reden sein, und über diese Fragen wird geredet werden. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Von wem und wann?) Es wird umso erfolgreicher sein, etwas im Interesse der Beschäftigten zu erreichen, wenn, wie in der Vergangenheit und auch in der Zukunft, alle politisch Verantwortlichen nicht nur an einem Strang ziehen, sondern auch in die gleiche Richtung. Die Bundesregierung, die Landesregierung und die vor Ort Verantwortlichen tun alles, damit betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden können, damit die sich bietenden Chancen genutzt werden, um einen Ausbau der Komponentenfertigung hinzubekommen und die Arbeitsplätze zu erhalten bzw. neu anzusiedeln. Das ist die Aufgabe, vor der wir jetzt gemeinsam stehen. Nicht wohlfeiles Reden, sondern konkretes Handeln an der Stelle, wo Politik durch entsprechende Rahmenbedingungen handeln kann – das ist das Gebot der Stunde. Das haben die Menschen in der Tat auch verdient. Die Menschen im Ruhrgebiet, in Bochum und in der Nachbarstadt, sind es gewohnt, jedes Mal aufzustehen, wenn sie hinfallen. Sie haben durch den Strukturwandel Schwieriges durchstanden, und zwar mit der Solidarität des ganzen Landes. Um diese Solidarität geht es jetzt wieder. Die Bundesregierung steht solidarisch an der Seite der Beschäftigten von Opel und ihren Familien. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sind wohlfeile Reden!) Das wird unser Handeln auch in der Zukunft bestimmen. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Das ist echt verlogen, Herr Kollege!) Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Tiefensee von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Wolfgang Tiefensee (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen! Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir heute über dieses Thema reden. Es muss den Bund, es muss den Bundestag interessieren, wenn in Nordrhein-Westfalen, wenn in Bochum 3 000 Arbeitsplätze direkt und Hunderte indirekt betroffen sind. Das gehört hierher, das gehört in die Diskussion, und ich bin froh, dass wir darüber sprechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was erwarten die Menschen von dieser Diskussion? Sie erwarten, dass sie die Standpunkte der unterschiedlichen Fraktionen und auch der Regierung erkennen können. Sie erwarten nicht, lieber Kollege Lindner, dass Sie in einer Denunziation einen Teil des Hohen Hauses bezichtigen, er würde billige Polemik verbreiten und hätte keinerlei Lösungsvorschläge. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ehre, wem Ehre gebührt!) Das ist nicht das, was die Opelaner und die Zulieferer zu erwarten haben. Wir wollen klare Botschaften senden und keine billige Polemik auf dem Rücken der anderen verbreiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Worum geht es im Kern? Es geht darum, dass Tausende von Arbeitsplätzen bedroht sind. Aus dem Bundestag muss die klare Botschaft kommen: Wir können uns in die Situation der direkt Betroffenen und ihrer Familien hineindenken, aber auch in die Situation derer, die indirekt von der Schließung betroffen sind. Wir können uns vorstellen, wie es diesen Menschen vor Weihnachten gehen muss. Wir stehen solidarisch an deren Seite. Das ist die erste Botschaft. Hier geht es darum, klar die Ursachen dafür zu nennen, dass wir jetzt so dastehen, wie wir dastehen. Diesbezüglich gehen zwei Botschaften an General Motors in Detroit: Erste Botschaft: Es kann nicht sein, dass man eine funktionierende Produktion, dass man Produkte, die weltweit wettbewerbsfähig sind, von den Wachstumsmärkten in den USA und Brasilien einerseits ausschließt und den Export nach China mindestens erschwert. Das ist der Vorwurf, den wir GM machen. Zweite Botschaft: Es kann nicht sein, dass mitten in der Diskussion über die Umstrukturierung der Werke – sprich: „Drive Opel 2022“ – ein Werk geschlossen werden soll. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wie finden wir es eigentlich, dass von diesem Konzept, das vor drei Monaten vorgestellt wurde, nicht mehr die Rede ist? Hat uns – darüber haben wir heute zu diskutieren – GM etwa hinters Licht geführt? Das ist ein weiterer Punkt. Von GM kommen wir sehr schnell zu einer zweiten Ursache – diese Ursache muss uns hier interessieren –: Was tut eigentlich die Bundesregierung? Was hat sie getan? (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das habe ich Ihnen alles vorgetragen!) Das war und ist viel zu wenig. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: 20 000 Arbeitsplätze pro Jahr!) Das war und ist deutlich zu wenig, und das gilt es hier anzuprangern. Was meine ich ganz genau? Erstens. Sehr verehrter Herr Rösler, sind Sie ein einziges Mal in Detroit gewesen? Kennen Sie eigentlich die Ministerin Rebecca Blank? Wenn es um ein Unternehmen in den USA geht, das in Teilen staatlich dominiert ist, gehört es sich, dass der Wirtschaftsminister interveniert und den Standort Deutschland anpreist. Ich befürchte, dass man in Detroit nicht einmal genau weiß, wo sich die Standorte befinden. Man muss sich darum kümmern. Ist er dort gewesen? Hat er sich gekümmert? Ich vermute, nein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens. Es geht darum, dass man in der jetzigen Situation solidarisch an der Seite der Opelaner steht und dafür kämpft, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen gibt. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, heute haben wir zum ersten Mal von Ihnen etwas dazu gehört. Ich hätte mir gewünscht, dass es mehr als warme Worte in einem Interview gibt. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung hier ein klares Bekenntnis abgibt. Drittens. Was tun wir insgesamt in der Investitions-, in der Industriepolitik in Deutschland, in der Politik für den Mittelstand? Sie haben alles Mögliche aufgezählt, was aber nichts damit zu tun hat. Die Frage ist: Wo sind Ihre Impulse, damit in der jetzigen Situation, in der wir auf eine Rezession zusteuern, in Deutschland eine Industriepolitik, eine Wirtschaftspolitik, eine Mittelstandspolitik vorangetrieben wird, die diesen Namen tatsächlich verdient? (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Sie blockieren sie im Bundesrat! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie blockieren alles! Sie machen nichts!) Wir erkennen nichts. Sie ruhen sich lediglich auf den Erfolgen der Vergangenheit aus. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir stehen an der Seite der IG Metall, wenn sie sich darum kümmert, dass der Standort erhalten bleibt, dass es eine Perspektive gibt. Wir erwarten von Minister Rösler, dass er nicht nur auf Bochum schaut, sondern auch den Standort Deutschland im Blick behält. Es geht nicht nur um Bochum. Es geht auch um Rüsselsheim, es geht um Kaiserslautern, es geht um Eisenach, es geht um den Industriestandort Deutschland, (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: 20 000 Arbeitsplätze pro Jahr!) und darum hat sich der Minister zu kümmern. Wir stehen auch an der Seite von Hannelore Kraft und Garrelt Duin, denjenigen, die sich anders als die Bundesregierung tatsächlich engagieren. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wo denn? Was denn? Was haben sie denn gemacht? – Zurufe von der CDU/CSU: Wie denn?) Unsere Unterstützung haben Hannelore Kraft und Garrelt Duin bei der Suche nach Lösungen für die Beschäftigten. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Geschwätz ist das! Nichts haben sie gemacht!) Wir rufen ihnen zu: Wir stehen solidarisch an eurer Seite. Ihr könnt euch auf uns verlassen, wenn es darum geht, solide Industrie- und Mittelstandspolitik auch für die Automobilindustrie in der Zukunft zu machen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Was haben sie denn gemacht, die Frau Kraft und der Herr Duin? – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: SPD-Rhetorik ist das!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Pascal Kober. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Pascal Kober (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Schicksal der Menschen am Automobilstandort Bochum bewegt uns. Das haben die Redner aller Fraktionen hier zum Ausdruck gebracht. Das ist gut so. Das ist wichtig. Die Nachricht ist schade für den Automobilstandort Bochum. Das ist aber nicht das Ende des Standorts Bochum. Das wollen wir einmal festhalten. Bochum ist ein starker Industriestandort und wird es – das ist meine Zuversicht – auch bleiben, wenn die Rahmenbedingungen richtig gesetzt werden. (Beifall bei der FDP) Die Politik kann aber nicht – Herr Tiefensee, ich zitiere das, was die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zu Recht gesagt hat – Managementfehler ausgleichen. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Das haben wir auch gesagt!) Diesen Punkt müssen wir immer benennen. Das haben auch Sie zu Recht genannt. Es ist schon zu fragen, warum Opel von bestimmten Wachstumsmärkten ausgeschlossen ist. Es ist nicht so, dass die Politik dieser Bundesregierung, Frau Da?delen, dazu führt, dass die Absatzmärkte in Südeuropa daniederliegen (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Ja, klar!) und dass daran der Opelstandort Bochum zugrunde geht. Das ist gänzlich falsch. Wir sehen an den Absatzzahlen vergleichbarer Automobilbauer in Deutschland, beispielsweise Volkswagen, dass sie rückläufige Absatzzahlen in bestimmten Teilen Europas durch steigende Absatzzahlen in anderen Teilen Europas ausgleichen. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Die können auch in die anderen Märkte exportieren! Denen ist nicht der Weg versperrt! Nach Asien oder sonst wohin!) So kann beispielsweise Volkswagen einen Zuwachs von 25,9 Prozent in Zentral- und Osteuropa verzeichnen. Insofern ist tatsächlich die Frage zu stellen, ob das Management hier richtig handelt. Die Menschen in Bochum haben tatsächlich gute Arbeit gemacht. Sie bauen vorzügliche Fahrzeuge, die immer wieder prämiert werden. Der Zafira hat das Goldene Lenkrad gewonnen; das haben Sie zu Recht erwähnt, Herr Heil. Der Ampera wurde als „Auto des Jahres 2012“ ausgezeichnet. Der Insignia wurde es 2009. Das sind hervorragende Leistungen der Menschen in Bochum. Wer so gut qualifiziert ist, der wird auch in Zukunft gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Das ist ja unglaublich!) solange diese Bundesregierung ihre wachstumsorientierte Politik betreiben und fortsetzen kann. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Sie lassen die Menschen im Stich!) – Liebe Frau Da?delen, Sie rufen mir zu, wir würden die Menschen im Stich lassen. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Ja! Warme Worte! – Gegenruf des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Hören Sie sich an, was die Industrie- und Handelskammer dazu sagt!) Ich persönlich kann bei Ihnen überhaupt nicht leiden, wenn ich das einmal sagen darf, dass Sie die Entwicklungen in Bochum skandalisieren und dazu eine Aktuelle Stunde beantragen. Die Situation in Bochum ist nicht die einzige kritische Situation in einem Unternehmen in unserem Land. (Zuruf von der LINKEN: Das ist wohl wahr!) Es gibt Zehntausende Unternehmensinsolvenzen im Jahr, (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Uns interessieren die 45 000 Menschen!) und nie beantragt die Linke hier eine Aktuelle Stunde, in der Sie dann um Hilfe rufen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nur wenn es die ganz Großen trifft, wenn die Fernsehkameras auf das Schicksal von Menschen gerichtet sind, dann stehen Sie nicht weit entfernt und rufen laut um Hilfe. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist nicht fair gegenüber den anderen Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Glücklicherweise übersteigt die Zahl der Unternehmensgründungen in Deutschland bei weitem die der Insolvenzen. Das ist das Ergebnis einer wachstumsorientierten Politik, die diese Bundesregierung betreibt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Ich habe verstanden: Sie haben die Milliarden nur für die Banken!) – Liebe Kollegin Frau Da?delen, wenn Sie so viel Energie haben, hier dazwischenzurufen, könnten Sie sich auch einmal zum Kollegen Ernst umdrehen. Wenn er nicht Porsche, sondern Opel fahren würde, würde manches vielleicht besser gehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Das ist so etwas von niveaulos! Das ist ja unerträglich! Unerträglich niveaulos ist das hier! – Inge Höger [DIE LINKE]: Sie waren mal eine Wirtschaftspartei!) Das sind die Grundsätze der Marktwirtschaft. Ein Produkt muss sich verkaufen. Sie können das nicht von der Politik dirigieren. Wenn Sie Massenentlassungen verbieten wollen, dann müssen Sie auch sagen, was die Menschen machen sollen, wenn die Produkte nicht gekauft werden. Lieber Herr Heil, auch Sie stehen aktuell in der Verantwortung. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Was fahren Sie denn?) Die Frankfurter Rundschau ist ins Schlingern geraten. Sie wird den Betrieb einstellen. Sie mit der SPD sind mit Ihrer Medienholding mit 40 Prozent an der Frankfurter Rundschau beteiligt. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Machen Sie sich mal schlau! Erzählen Sie nicht solchen Unsinn!) Wir wären interessiert, zu erfahren, in welcher Weise Sie Ihre Verantwortung dort wahrnehmen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Billige Polemik! Keine Ahnung!) Diese Bundesregierung macht die erfolgreichste Politik für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seit Jahrzehnten. Noch nie seit der Wiedervereinigung hat es so viele Menschen in Beschäftigung gegeben wie heute. 41,7 Millionen Menschen sind in Beschäftigung. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen sinkt. Wir machen eine verantwortungsvolle Politik. Dort, wo wir noch weitere Wachstumsimpulse setzen wollen, beispielsweise bei der Absenkung des Rentenversicherungsbeitrags, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Fliegen Sie aus dem Landtag!) blockieren Sie. Sie möchten diese Chancen für die Menschen verhindern, statt sie zu nutzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das ist die falsche Politik. Wir werden weiter regieren zugunsten der Menschen in unserem Land. Das wird so sein. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Noch acht Monate! – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Jetzt hebt sich gleich das Niveau in der Debatte!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass es richtig war, dass meine Fraktion heute diese Aktuelle Stunde beantragt hat. Deutlicher kann man den Opelanern in Bochum oder auch in anderen Städten nicht sagen, dass diese Bundesregierung für ihre Zukunft nichts machen wird. Das ist es, was CDU, CSU und FDP uns mitteilen, ganz nach dem Motto: Die Schließung ist ein Ergebnis der Marktwirtschaft. Wenn ein Unternehmen, das 150 Jahre alt geworden ist, ein Traditionsunternehmen in Deutschland, von dem Hunderttausende Arbeitsplätze abhängen, verkündet, ein Werk zu schließen, wie es in Bochum geschehen ist, dann nehmen wir das achselzuckend wahr und verweisen darauf, dass es massenhaft Jobs zu Niedriglöhnen gibt, auf die sich die Opelaner ja bewerben können. Sie haben heute deutlich gemacht: Die Opelaner in Bochum und an den anderen Standorten können von dieser Bundesregierung nichts erwarten. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte noch einmal deutlich machen: Wir reden hier nicht nur über den Standort Bochum. Wenn man sich anschaut, was General Motors in den letzten zwei Jahrzehnten mit Opel gemacht hat, erkennt man: Opel ist nur der Anfang. Ich teile auch die Einschätzung des Betriebsrats von Opel Bochum, dass, wenn die so weitermachen, General Motors Opel scheibchenweise abwickelt. Dann ist auch der Standort Kaiserslautern betroffen, dann ist auch der Standort Rüsselsheim betroffen, dann ist auch der Standort Eisenach betroffen. Wir müssen hier den Untergang eines Unternehmens befürchten, an allen Standorten. Das muss dem Bundestag klar sein, wenn es darum geht, sich zu fragen: Was kann die Politik dagegen tun? Die Menschen erwarten sehr wohl, dass sich die Politik darum kümmert. (Beifall bei der LINKEN) Was kann die Politik tun? Viele Vorredner haben bestätigt, dass die Probleme am Missmanagement von General Motors liegen. Ich möchte auch noch einmal betonen: Es ist geradezu tragisch, dass die Fahrzeugpalette von Opel noch nie so gut war wie zurzeit. Sehr viele Fachleute sagen: Opel baut von Kleinstwagen bis Großwagen sehr gute Autos in guter Qualität. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Welchen Opel fahren Sie denn?) General Motors hat es geschafft, das Image der Marke Opel zu beschädigen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wie Rainer Brüderle!) Darüber hinaus hat General Motors es geschafft, die Wachstumsmärkte zu schließen, sodass Opel diese wunderbaren Fahrzeuge nicht verkaufen kann. Das ist eine Strategie von General Motors in Amerika. Die US-Regierung ist mittlerweile ein Großaktionär von General Motors. Deshalb ist es zwingend notwendig, dass die Bundesregierung mit der US-Regierung darüber redet, warum General Motors Opel zugrunde richtet. Darüber muss die Bundesregierung mit der US-Regierung diskutieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Man kann doch nicht einfach sagen: Es ist ein Ergebnis der Marktwirtschaft, wenn ein Unternehmen zugrunde geht. – Die Probleme von Opel liegen doch am Missmanagement von General Motors. Zweiter Punkt. Es reicht auch nicht aus, zu sagen: Nordrhein-Westfalen oder Bochum – oder in der Folge vielleicht Kaiserslautern oder Rüsselsheim oder Eisenach – soll sich um die Probleme kümmern. Wenn ein Traditionsunternehmen, an dem – einschließlich Zulieferindustrie – Hunderttausende Arbeitsplätze hängen, kaputt gemacht wird, dann sind Städte und Regionen damit überfordert, den Strukturwandel zu begleiten. Deshalb ist es zwingend notwendig, dass die Bundesregierung deutlich macht: Wir unterstützen die Regionen, wenn ein Strukturwandel ansteht. – Auch dazu haben wir heute überhaupt nichts gehört. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Forderung ist doch relativ klar: Opel muss tatsächlich zur Chefsache gemacht werden. (Beifall der Abg. Sevim Da?delen [DIE LINKE]) Die Kanzlerin muss mit den Ministerpräsidenten reden, sie muss mit der IG Metall, mit den Betriebsräten reden, und sie muss auch mit der US-Seite reden. Es muss ein klares, abgestimmtes Programm geben, um die Marke Opel in Deutschland zu erhalten. (Zuruf von der CDU/CSU: Machen Sie sich mal ein bisschen kleiner!) Die IG Metall und die Betriebsräte befinden sich derzeit in Sanierungsverhandlungen. Die Bundesregierung muss sie dabei unterstützen, über 2016 hinaus Arbeitsplätze zu sichern und alle vier Werke abzusichern. Hier muss die Bundesregierung Farbe bekennen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]) Welche Lehre muss die Politik aus dem Fall Opel ziehen? Das Mantra, das immer wieder vor sich hergetragen wird, nämlich dass Lohnzurückhaltung Arbeitsplätze sichert, ist gerade bei Opel gescheitert. Die Beschäftigten von Opel haben – in dem Glauben, dass sie dadurch ihre Arbeitsplätze erhalten – zwei Jahrzehnte lang Lohnverluste akzeptiert. Es sind viele Tausend Arbeitsplätze abgebaut worden; doch die restlichen sind weiterhin gefährdet. Lohnzurückhaltung – das hat sich gerade bei Opel gezeigt – hilft nicht, dass Arbeitsplätze gesichert werden. Ich hoffe, dass die Gewerkschaften, die Betriebsräte diesen Fehler nicht wieder machen. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen uns auch anschauen: Warum läuft es bei VW so anders als bei Opel? Weil die Mitbestimmung im Unternehmen bei VW eine andere ist: Bei VW können die Betriebsräte und die Gewerkschaften mitbestimmen bei der Frage, wie die Unternehmensstrategie aussieht, bei der Frage, welche Modelle gebaut werden, bei der Frage, welche Standorte erhalten werden. Das VW-Gesetz ist geradezu der Grundpfeiler, dem es zu verdanken ist, dass VW diese Probleme nicht hat. Was müssen wir daraus lernen? Wir müssen die Mitbestimmungsmöglichkeiten, die es bei VW gibt, auf die komplette Wirtschaft in Deutschland übertragen, (Beifall bei der LINKEN) damit auch andere Arbeitnehmer erfolgreich um ihre Arbeitsplätze kämpfen können. Abschließend: Was Herr Lindner von der FDP gesagt hat, ist an Arroganz, an Abneigung und an mangelndem Einfühlungsvermögen im Hinblick darauf, was in den Beschäftigten von Opel gerade vor sich geht, nicht zu überbieten. Herr Lindner, Sie sollten sich Ihre Rede noch einmal anschauen. Wenn es parlamentarisch erlaubt wäre, Herr Präsident, würde ich Herrn Lindner jetzt am liebsten mit einem Gesäßteil vergleichen; das wäre sicherlich die richtige Antwort auf so eine Rede. Ich sage nur: Schämen Sie sich! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist Ihr Stil! Sie können nicht anders! Ihr macht das immer so!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Jarzombek von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf diesem Niveau möchte ich nicht fortfahren. Ich kann nur sagen: Es tut mir wirklich leid um das Werk und um die 3 000 Jobs und die Familien, die betroffen sind. Ich bedauere das sehr. (Manfred Zöllmer [SPD]: Sie haben das aufgegeben!) Was Sie mit dem Ruhrgebiet an dieser Stelle machen, bedauere ich allerdings noch sehr viel mehr. Ich bin ein Fan des Ruhrgebiets. Ich finde, der Ruhrpott ist eine toughe Region. Da gibt es gute Leute. Im Ruhrgebiet gibt es viele Erfolgsgeschichten. Es gibt dort echte Hightech und sehr viel Positives, von dem man erzählen kann. Sie reden das hier nur schlecht; Sie reden das ganze Ruhrgebiet kaputt. (Zurufe von der SPD) – Maulen Sie nicht herum. Frau Kollegin Da?delen, Sie haben hier vorhin vom Ruhrgebiet von einer „Elendszone“ gesprochen. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Sie machen es zu einer Elendszone! Unglaublich ist das!) Ich erwarte, dass Sie hier nicht herummoppern, sondern dass Sie sich entschuldigen. Nehmen Sie das zurück! Sie können vom Ruhrgebiet so nicht sprechen. Das Ruhrgebiet ist ein toller Ort und keine Elendszone. Das ist eine unglaubliche Sauerei! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Drehen Sie es nicht rum! Das ist eine Unverschämtheit! Eine Frechheit ist das!) – Entschuldigen Sie sich! Das ist die richtige Maßnahme! (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Unverschämt! Nur Lügengeschichten!) Der krude Kollege von der SPD hier vorne hat uns vorhin erzählt, was die Landesregierung alles gemacht hat. Ich sage Ihnen einmal, was die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen gemacht hat: Als Hannelore Kraft Wissenschaftsministerin des Landes gewesen ist, hat sie den industriellen Kern des Landes mit 110 Millionen für eine Firma mit 25 Mitarbeitern begleitet, die Trickfilme in Oberhausen produziert. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ach Gottchen! Reden Sie doch einmal über das Ruhrgebiet!) 4,35 Millionen für jeden dieser Arbeitsplätze! Die waren dann weg. Peer Steinbrück hat gesagt, die Projekte seien nichts als „eine schöne Tapete, die wir um die Staatskanzlei gelegt haben“. – Damit hat Peer Steinbrück vollkommen recht; das kann man gar nicht in Abrede stellen. Wissen Sie, was Hannelore Kraft noch gemacht hat? Als sie 2009 Oppositionsführerin gewesen ist, hat sie sich demonstrativ einen Opel Insignia gekauft und von Solidarität gesprochen. Sie ist mit diesem Opel Insignia zu jedem Termin gefahren und hat erzählt, was das für ein tolles Auto ist. Als sie Ministerpräsidentin wurde, hat sie das Ding einfach zur Seite geschoben, sich einen Audi A8 angeschafft und das Zeichen gesetzt – den Eindruck muss man ja gewinnen –: Gewinner fahren keinen Opel. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wie billig sind Sie eigentlich?) Das, was Sie da gemacht haben, ist eine Schande. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Setzen Sie sich mal hin!) Deshalb brauchen wir eine Erfolgsgeschichte für das Ruhrgebiet. Erzählen Sie doch einmal von den Erfolgen, die wir da erreicht haben: Dort, wo Nokia gegangen ist, sind 300 Jobs von Blackberry entstanden. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Sagen Sie das einmal den Tausenden anderen, die arbeitslos sind!) Da werden keine Platinen mehr gelötet, sondern Software entwickelt. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Kommen Sie zu denen, die arbeitslos sind, die immer noch auf der Suche sind! So ein dummes Geschwätz habe ich noch nie gehört!) Es ist ein Spin-off für alle Navigationsgeräte von Ford gemacht worden. Durch ein Management-Buy-out werden mittlerweile hochinnovative Dinge produziert. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So viel Gequatsche!) In Duisburg, das direkt nebenan liegt, gibt es mittlerweile einen Riesenerfolgsfaktor, nämlich die Logistik. Sie müssen einmal über Logistik im Ruhrgebiet reden. In der Logistik sind dort in den letzten zehn Jahren 60 000 neue Jobs entstanden. In Duisburg gibt es 50 000 Quadratmeter neue Flächen, wo früher einmal alte Industriewerke gestanden haben. In Dortmund finden Sie eine absolute Hightechinstallation. Dort gibt es das erste Logistikzentrum, in dem komplett autonome Logistikroboter fahren. Das ist da entwickelt worden. Absolute Super-Hightech! Darüber müssen wir doch einmal reden und sagen, was das Ruhrgebiet alles kann. Dietrich Grönemeyer, der Bruder des Sängers, ein guter Mediziner, hat im Juni in der Wirtschaftswoche erklärt, dass das mit Opel gar nicht so wild sei; denn die Medizin sei ein positiver Wirtschaftsfaktor – gerade in Bochum. Er setzt auf das Medical Valley Ruhr mit fast 300 000 Arbeitsplätzen, die die Rüttgers-Regierung mit ihrer Cluster-Strategie unterstützt hat. Das sind die Erfolgsgeschichten im Ruhrgebiet, von denen wir erzählen müssen. Wir brauchen neue Unternehmen und Gründer. Anstatt für die Gründer etwas zu tun, haben Sie und Nordrhein-Westfalen an der Spitze im Bundesrat gerade erst beschlossen, dass Start-ups benachteiligt werden sollen und dass Business Angels aus Deutschland vertrieben werden, weil Veräußerungserlöse von deutschen Körperschaften mit Streubesitz körperschaftsteuerpflichtig werden sollen. 1 600 junge Menschen, die Unternehmen gründen oder gegründet haben, haben dagegen unterschrieben. Wir mussten das Ganze retten. Das ist Ihr Umgang mit denjenigen, die neue Jobs schaffen wollen. Daran sollten Sie einmal arbeiten. Damit würden Sie den Menschen in Bochum, im Ruhrgebiet und in ganz Deutschland helfen. Ich finde den Ruhrpott toll. Ich freue mich, beim nächsten Mal in Bochum auch Menschen zu sehen, die viel optimistischer sind als Sie hier heute. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Axel Schäfer von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als in Bochum direkt gewählter Abgeordneter, zusammen mit Gerd Bollmann, möchte ich mich anlässlich dieser Debatte zunächst einmal bei all den Kolleginnen und Kollegen bedanken, die gesagt haben: Wir werden euch vor Ort solidarisch unterstützen. – Ich werde die Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb daran erinnern, wenn es politische Entscheidungen zu treffen gilt und wenn es darauf ankommt, die eigene Bundesregierung in die Pflicht zu nehmen. Demokratie ist eine Frage des guten Gedächtnisses. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will auch etwas aus 40-jähriger persönlicher Erfahrung sagen. Ich bin mit diesem Werk, auch wenn ich dort nur ein Wochenpraktikum mit Montage am Band und vielem anderen mitgemacht habe, eng verbunden. Ich bin das schon seit meinen Zeiten als Jugendsprecher, als junger Gewerkschafter. Ich führe viele, viele Gespräche mit Betriebsräten, mit Vertrauensleuten und war auch auf unzähligen Belegschaftsversammlungen. Ich weiß schon, wie man dort tickt. (Zuruf von der FDP: Eine Woche lang dort gearbeitet?) – Da Sie dazwischenrufen: Ich weiß nicht, ob Sie jemals bei Opel gewesen sind. Ich empfehle Ihnen, einmal dorthin zu gehen. Ich lade Sie gerne dorthin ein. Was wir an Unternehmensentscheidungen erlebt haben – nicht nur das Was, sondern auch das Wie –, war menschenverachtend gegenüber den Beschäftigten, die dort tagein, tagaus arbeiten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt, dass von GM oder auch vom Opel-Vorstand Versprechungen gemacht worden sind, Pläne entwickelt wurden, dann aber wenig oder weniger umgesetzt worden ist und Dinge nicht eingehalten worden sind. Wir haben erlebt, dass die Kolleginnen und Kollegen dort Verzicht geübt und gleichzeitig weiterhin exzellente Autos gebaut haben. All das hat dies nicht zu dauerhafter Sicherheit geführt, die notwendig gewesen wäre. Wir haben am Montag eine Belegschaftsversammlung erlebt. Zu ihr kamen drei Vorstandsmitglieder von Opel durch die Vordertür. Ein Vorstandsmitglied hat eine Erklärung abgegeben. Nach 15 Minuten, als der Betriebsratsvorsitzende zur Diskussion aufgerufen hat, ist dieses Vorstandsmitglied mit seinen Kollegen durch die Hintertür verschwunden. Das war inakzeptabel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das werden wir uns politisch so nicht gefallen lassen. Das muss auch einmal als unsozial und als Raubtierpolitik, wie man sich den Kapitalismus nur malen kann, benannt werden. So geht es nicht! (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man Verantwortung hat, muss man sich ihr auch stellen, und zwar Auge in Auge, auf Augenhöhe, indem man miteinander redet, indem man zuhört und indem man gemeinsam nach Lösungen sucht. Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort haben dafür wirklich verdammt viel investiert. Wenn ich von der Union „Gewerbesteuerproblem Opel Bochum“ höre, kann ich nur sagen: Opel zahlt seit Jahren überhaupt keine Gewerbesteuer. Wovon reden Sie denn in diesem Zusammenhang überhaupt? (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe Ihren ehemaligen Generalsekretär, Herrn Geißler, in der Talkshow erlebt. Dort hat er gesagt: Bochum, diese marode Stadt. – Ich halte dagegen, Herr Geißler: Bochum, diese lebendige Stadt. Ihre Aussage ist eine Unverschämtheit. Wir lassen das hier in diesem Hause nicht unwidersprochen stehen. (Beifall bei der SPD – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie machen sie doch schlecht!) Die Landesregierung hat sich engagiert; in der Tat mit ganz klaren Vorgaben auch in Bezug auf das, was von der Arbeitsgruppe bereits vor dem schrecklichen Montag eingestielt worden ist: GM muss zum Thema „keine betriebsbedingten Kündigungen“, zum Thema „Sicherung und Schaffung von innovativen Arbeitsplätzen“, zum Thema „Entwicklung von Gewerbeflächen“ in die Pflicht genommen werden. Das muss gemacht werden. Die Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP können über das Ruhrgebiet erzählen, was sie wollen. Sie haben doch gerade bei der Landtagswahl die schlimmste Niederlage Ihrer Geschichte erlebt. Das war das Urteil der Menschen dort über Ihre Politik. Sie haben ihre Unterstützung für die SPD und die Grünen und damit für diese Regierung ausgesprochen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für all diejenigen, die noch nicht da waren: Wir sind stolz darauf, dass wir 50 000 organisierte Gewerkschafter haben. (Beifall des Abg. Stefan Rebmann [SPD]) Wir sind aber genauso stolz darauf, dass wir mittlerweile 50 000 Studierende an einer Universität und sieben Hochschulen haben. (Widerspruch der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/CSU]) Wir sind genauso stolz, dass wir mittlerweile 22 museale Einrichtungen und 25 Theater in den verschiedensten Sparten haben und auf dem Weg zu so etwas wie einem National Health Center sind. Das sind neue Werte. Wir werden damit weitermachen. Wir haben obendrein mit Starlight Express das erfolgreichste Musical der Welt, und wir wissen, wie es ist, wenn man neue Wege gehen muss. Diese neuen Wege werden wir auch gehen. Dazu gehört für unser Regierungsprogramm zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen der Ausbau der Arbeitnehmermitbestimmung. Denn diese haben im Betrieb nicht nur etwas zu schaffen, sondern auch etwas zu sagen. Sie haben Kompetenz und sie können es einfach. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das heißt auch, dass wir die gesamtwirtschaftliche Mitbestimmung, Stichwort Wirtschaftsdemokratie, wiederbeleben müssen. Das ist unsere Aufgabe, und das ist unser Versprechen für 2013. Sie können davon ausgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP: Das werden die Bürgerinnen und Bürger im nächsten Jahr einlösen und uns verpflichten, das auch zu tun. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ein Schmarrn!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Axel Schäfer. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Ernst Hinsken. Bitte schön, Kollege Ernst Hinsken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Ruhrgebietsexperte Hinsken!) Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst vier Bemerkungen: Frau Da?delen, Sie haben heute unter Beweis gestellt, dass Sie, was Marktwirtschaft angeht, von Tuten und Blasen keine Ahnung haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Zweite Bemerkung: Herr Heil, was Sie geboten haben, ist unter Ihrer Würde. Das war billige Polemik und nichts dahinter. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Na, na, na! – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Das sagen Sie als Ruhrgebietsexperte!) Herr Tiefensee, ich schätze Sie persönlich sehr – das wissen Sie –, aber Sie haben nur Forderungen an die Bundesregierung gestellt. Forderungen an die Landesregierung, die dabei in erster Linie gefordert ist, haben Sie nicht gestellt. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die wird ihrer Pflicht gerecht!) Sie haben gesagt: Die regeln das Problem. – Wo wird es geregelt? Wie wird es geregelt? Die Leute im Ruhrgebiet und alle Betroffenen haben ein Recht darauf, in Erfahrung zu bringen, was die jeweils zuständige Institution für sie tut. (Wolfgang Tiefensee [SPD]: Wir sind hier im Bundestag!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, machen wir uns doch alle miteinander nichts vor: Wenn heute mehrere Redner der Opposition so tun, als wäre der Bund mit schuld an dieser Misere, frage ich Sie: Wo leben wir denn? Wir sollten das Kind schon beim Namen nennen. Wir sollten bei der Sache bleiben und uns dem Thema widmen, das uns momentan bedrückt, weil wir alle mitfiebern. Wir wissen, dass es sehr wehtut, den Arbeitsplatz zu verlieren, vor allem, wenn man unmittelbar vor Weihnachten mitgeteilt bekommt, dass dieser Arbeitsplatz in wenigen Jahren nicht mehr da ist. In so einem Fall gibt es Solidarität, und an Solidarität lassen sich meine Fraktion und auch die der FDP von niemandem übertreffen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD und der LINKEN – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Solidarisch mit den Banken! Mit den Konzernen und Banken solidarisch!) Bei den vielen Aufmachern in verschiedenen Zeitungen in den letzten Tagen war einiges nicht nachvollziehbar. Da hieß es: Premiummarken Audi und BMW auf Rekordkurs. Gleichzeitig war zu lesen: Opel-Werk in Bochum soll 2016 schließen. Das ist eine riesige Bandbreite. Für die Mitbürger im Ruhrgebiet war das eine Hiobsbotschaft. Von Ende 2017 an wird Bochum nach dem Auslaufen der Produktion des Familienwagens Zafira keine neue Modellreihe erhalten. Das ist ein schwerer Schlag für die Menschen in der Region Bochum, und das gerade, wie gesagt, kurz vor Weihnachten. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, so schmerzhaft es für die Betroffenen ist: Wir müssen ehrlich sein und können nicht das Christkind spielen. Denn mit unerfüllbaren Versprechungen ist niemandem geholfen. Wer meint, dass der Staat grundlegende Strukturprobleme des Unternehmens lösen kann, gaukelt den Betroffenen etwas vor. Schließlich ist der Staat – wie oft festzustellen – der schlechtere Unternehmer. Nach diesem Leitgedanken haben wir immer gelebt, und den halten wir weiterhin hoch. Die Hilfe zugunsten eines Unternehmens ginge doch zulasten anderer Unternehmen, denen nicht geholfen wird. Zudem verzerren staatliche Eingriffe den Wettbewerb. Meine Damen und Herren von der Linken, wenn ein so großes Unternehmen wie Opel in Schwierigkeiten gerät, rennen alle. Aber haben Sie sich schon einmal Gedanken über die Tausende, Zehntausende oder vielleicht sogar Hunderttausende kleine und mittlere Betriebsunternehmer gemacht, (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wissen Sie, wie viele Zulieferer betroffen sind?) die leider nicht mehr standhalten und ihre Probleme nicht mehr bewältigen konnten? (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es sind Tausende Zulieferer betroffen!) – Hören Sie zu! Dann lernen Sie etwas Gescheites. – Es wäre angebracht, sich den vielen anderen zu widmen, die in Schwierigkeiten geraten und dann oft auf der Strecke bleiben. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Im Gegensatz zu Ihnen machen wir das!) Nun sind Opel und GM gefordert. Das Unternehmen muss den Beschäftigten Perspektiven eröffnen. Zudem müssen sozialverträgliche Lösungen für die Beschäftigten gefunden und Voraussetzungen für die Ansiedlung neuer, zukunftsfähiger Arbeitsplätze geschaffen werden. Das Unternehmen ist gefragt. Es muss vorangehen und Geld auf den Tisch legen. Dann kann der Staat subsidiär unterstützen. Es ist fast nicht nachvollziehbar: Allein in diesem Jahr verzeichnet Opel einen Verlust von mindestens 1,2 Milliarden Euro. Das ist der sechste hohe Verlust hintereinander. Woran liegt das? (Zuruf von der LINKEN: An der CSU!) Zum einen bestehen Überkapazitäten in der gesamten Automobilindustrie in Europa. Zum anderen schrumpft der europäische Markt seit fünf Jahren. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dank Angela Merkel!) 2013 werden voraussichtlich so wenige Autos in Europa verkauft wie seit 20 Jahren nicht mehr. Hinzu kommen die hausgemachten Schwierigkeiten bei Opel selbst. Der Absatz von Opel in Europa ging mit 15 Prozent in diesem Jahr doppelt so stark zurück wie der Gesamtmarkt. Es ist unbestreitbar: Opel schreibt rote Zahlen, weil sich das Unternehmen nicht ausreichend auf die Globalisierung eingestellt hat. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Quatsch, weil es schlecht gemanagt worden ist und weil es keine Marktchancen hat!) Wenn sich Opel weiterhin allein auf den schrumpfenden europäischen Markt konzentriert, hat das Unternehmen keine Chance. (Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) – Sie können nichts anderes, als dumm daherschreien. Zu mehr sind Sie nicht in der Lage. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Sie sollten zuhören, damit Sie lernen, was Marktwirtschaft bedeutet, und das Haus etwas klüger verlassen, als Sie es betreten haben. Das wäre für Sie angebracht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Man kann Ihnen nicht zuhören!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es tut mir leid, aber das alles zeigt: Opel hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege Hinsken, mir tut es auch leid, aber denken Sie an Ihre Redezeit! Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ich denke daran und sage nur noch einen Abschlusssatz. Technik ist bei Opel nicht das Problem. Dringend erforderlich sind neue und hochwertige Modelle sowie mehr Investitionen in die Werke. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Opel macht gute Modelle!) Opel muss von anderen Automobilfirmen lernen. Es gibt genügend Beispiele für Automobilfirmen in Deutschland, die glänzen, weil sie Absatzmärkte in Russland und im Fernen Osten haben. Opel hat ein anderes, ein falsches System (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Was erzählen Sie denn da? Sie haben keine Ahnung von Opel! ) und sollte sich an diesen erfolgreichen Unternehmen orientieren. Dann sind auch die bestehenden Arbeitsplätze sicher, und es können sogar neue entstehen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Setzen, Sechs! – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Keine Ahnung! Ahnungsloser, Sie!) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Carsten Linnemann. Bitte schön, Kollege Dr. Linnemann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten es uns nicht so leicht machen und ausschließlich über Managementfehler reden. Wir sollten grundsätzlich aufpassen, dass wir uns nicht als Richter über Entscheidungen privater Natur aufspielen. Managementfehler sind für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nichts anderes als verschüttete Milch. Realität ist, dass wir es mit Überkapazitäten auf diesem Markt zu tun haben, weil die private Nachfrage nicht da ist. Nun müssen wir den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die benötigten Perspektiven eröffnen. General Motors und Opel sind in der Pflicht – da unterstütze ich die Bundesregierung und insbesondere Herrn Brauksiepe –, zu sozialverträglichen Lösungen zu kommen, genauso wie – darüber wurde heute noch gar nicht gesprochen – die Bundesagentur für Arbeit. Zuständig ist Frau Schönefeld, Chefin der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Ich habe heute Morgen länger mit ihr telefoniert. Sie hat mir mehrere Punkte mit auf den Weg gegeben. Es stimmt, was Sie, Herr Tiefensee, gesagt haben, nämlich dass wir nicht nur an die Opelaner denken dürfen, sondern auch an die Zulieferer und Dienstleister denken müssen. Sie hat auch gesagt, dass es eine Taskforce gibt. Man muss wissen, dass die Beschäftigten, die bei Opel in Bochum arbeiten, nicht nur in Bochum leben, sondern auch in anderen Orten ringsherum, in Dortmund, Herne, Castrop-Rauxel, Gelsenkirchen usw. Die hatten bisher bei der Bundesagentur für Arbeit verschiedene Ansprechpartner. Jetzt hat man aber eine Taskforce eingerichtet, sodass alle Beschäftigten bei Opel einen einzigen Ansprechpartner haben, der auch ins Werk kommt, sich über Qualifikationen informiert und diesen Menschen Perspektiven eröffnet. Die Bundesregierung unterstützt diesen Weg, Perspektiven zu eröffnen. Dafür sind wir dankbar. Sie erwägt nicht, mit einer direkten Hilfe zu versuchen, die Überkapazitäten, die wir aufgrund niedriger privater Nachfrage haben, durch staatliche Nachfrage aufzufangen. Das würde auch nicht klappen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das fordert auch niemand!) Das hat die Geschichte gezeigt. Das ist vergleichbar mit einer Droge, die abhängig macht. Am Ende des Tages würde das zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Deshalb wundere ich mich ein bisschen über Herrn Steinbrück. Ich möchte das Zitat jetzt nicht auf die Goldwaage legen, aber er hat am 2. April 2009 im stern über direkte Staatshilfen gesagt, dass man von Fall zu Fall entscheiden müsse. Ich zitiere: „Mit der Schwäche, dass damit auch Willkür verbunden sein könnte“. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Haben Sie der Abwrackprämie zugestimmt oder nicht?) Diese Willkür wollen wir nicht. Wir wollen alle Unternehmen gleich behandeln. Diese Willkür gibt es, wie ich finde, auch bei den Linken. Ich habe mir einmal die Themen der Aktuellen Stunden der letzten zwei, drei Jahre angesehen. Die Linken beantragen immer dann eine Aktuelle Stunde, wenn es um ein großes, bekanntes Unternehmen geht. Das machen Sie dann fernsehgerecht mit einer Liveübertragung der Aktuellen Stunde. Vielleicht sollten Sie einmal eine Aktuelle Stunde einberufen, die allgemein Insolvenzen behandelt und in der darüber debattiert wird, wie man mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgeht, nicht nur dann, wenn es um Opel geht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Das machen wir auch!) Wir müssen alle gleich behandeln. Wir haben in diesem Jahr rund 31 000 Insolvenzen (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Alle zugrunde gehen lassen ist das Motto der Bundesregierung!) mit 350 000 Beschäftigten, die betroffen sind. Die sind vielleicht zu leise und melden sich nicht in der Zeitung zu Wort; sie sind aber genauso betroffen. Deswegen müssen wir für alle da sein. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Wollen Sie alle arbeitslos werden lassen?) – Nein, aber wenn man Ihnen zuhört, muss man zu dem Schluss kommen, dass Sie nur dann eine Aktuelle Stunde beantragen, wenn ein großes Unternehmen in der Bredouille ist. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Sind die Ihnen egal? Warum machen Sie das nicht?) Dann machen Sie einen großen Aufschlag. Wenn es aber um den Mittelstand geht, der 99 Prozent der Unternehmen stellt, bei dem 80 Prozent der Arbeitnehmer beschäftigt sind und 70 Prozent der Auszubildenden, dann ducken Sie sich weg. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Was macht die Bundesregierung? Was macht Ihre Fraktion? Gar nichts machen Sie!) Wir ducken uns nicht weg. Wir sind für alle da. Daher unterstützen wir als Fraktion die Bundesregierung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Lieber gar nicht hier reden, was?) Vizepräsident Eduard Oswald: Kollege Dr. Carsten Linnemann war der letzte Redner in unserer Aktuellen Stunde, die damit beendet ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zur Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (EMIR-Ausführungsgesetz) – Drucksachen 17/11289, 17/11690 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/11883 – Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Dr. Carsten Sieling Björn Sänger Was immer das Thema dieses Tagesordnungspunkts bedeutet, wir werden es von unseren Rednern genau erläutert bekommen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Alle sind damit einverstanden. Dann haben wir dies gemeinsam so beschlossen. Ich eröffne nun die Aussprache. Der erste Redner, der das Thema erläutern wird, ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Klaus-Peter Flosbach. Bitte schön, Kollege Klaus-Peter Flosbach. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein sehr wichtiger Tag für die Finanzmarktregulierung in Europa; denn heute Morgen haben sich die europäischen Finanzminister geeinigt, eine gemeinsame Bankenunion aufzubauen, eine gemeinsame europäische Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank einzusetzen. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es mal eine Bankenunion wäre!) Diese gemeinsame Bankenaufsicht konzentriert sich in einem wesentlichen Bereich auf die großen, systemrelevanten Banken, die international vernetzt sind. Das ist genau der richtige Weg, den wir gefordert haben. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das glauben Sie doch selbst nicht!) Wenn sich die Europäische Zentralbank hier engagiert, dann muss sie sich auf die großen europäischen vernetzten Banken konzentrieren. (Manfred Zöllmer [SPD]: Sie wollen uns doch hier wohl nicht für dumm verkaufen!) Meine Damen und Herren, wir, die Koalition, haben in diesem Parlament im September gefordert: Wenn es zu einer europäischen Bankenaufsicht kommt, dann muss Qualität vor Schnelligkeit gehen. Wir haben gesagt: Es kann nicht sein, dass bereits zum 1. Januar 2013 eine Aufsicht in Gang gesetzt wird, die noch nicht effektiv arbeiten kann. Zu diesem Bereich gab es völlig unterschiedliche Auffassungen. Einige haben gesagt: Wir müssen uns anstrengen, dass wir das bis zum 1. Januar 2013 schaffen. Aber gerade das große Problem der großen europäischen Banken in wenigen Monaten zu lösen, war nicht zu schaffen. Deswegen sind wir stolz darauf, dass unser Finanzminister durchgesetzt hat, dass zum 1. März des Jahres 2014 diese europäische Bankenaufsicht durchgesetzt wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir sind froh, dass man sich bei diesem Thema auf die Großen und nicht auf die Kleinen konzentriert. Wir alle kennen aus unseren Wahlkreisen die Volksbanken, die Raiffeisenbanken, die Sparkassen. Wir kennen auch viele kleine Privatbanken in Deutschland. (Manfred Zöllmer [SPD]: Hat sich das Thema jetzt geändert, oder wie?) Das Wichtige ist, dass hier eine nationale Aufsicht nach einheitlichen Regeln erfolgt und dass wir uns darauf konzentrieren, dass die großen Risiken bekämpft werden. Denn von ihnen gehen die Gefahren für die Stabilität dieses Finanzmarktes aus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage unserer Kollegin Lisa Paus? Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Ja, natürlich. Bitte sehr. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön. (Manfred Zöllmer [SPD]: Herr Flosbach, sind wir denn einig, welchen Tagesordnungspunkt wir hier diskutieren?) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau, Herr Zöllmer. Zum eigentlichen Thema kommen wir bestimmt noch. Das Thema „Bankenunion, Bankenaufsicht“ ist ja auch ein spannendes Thema. – Herr Flosbach, Sie haben gerade ausdrücklich begrüßt, dass es jetzt einen Termin gibt – 1. März 2014 –, zu dem die Bundesregierung und offenbar auch die Koalition stehen. Wir beide waren gestern im Finanzausschuss anwesend, als die Bundesbank und die Bankenaufsicht angemahnt haben, dass sie auch für dieses Datum eine Roadmap brauchen. Bisher haben Sie nicht die Fantasie entwickelt, wie eine solche Roadmap in dieser Zeit erstellt werden kann. Könnten Sie mir etwas dazu sagen, wann diese Bundesregierung und der Europäische Rat eine entsprechende Roadmap mit Unterstützung der Koalition entwickelt haben werden, damit dieses Vorhaben bis zu diesem Datum Wirklichkeit werden kann? Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Vielen Dank für diese Frage. – Wir sind ja bei derselben Veranstaltung gewesen. Die Bankenaufsicht, also auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, hat deutlich gemacht, dass die Vorschläge, die von einigen europäischen Ländern gewünscht sind, nicht umsetzbar sind. Das verweist auf genau den Weg, den wir vorgeschlagen haben: Wir brauchen eine gewisse Zeit, um eine Roadmap, wie man heute sagt, einen Plan, vorzulegen, wie das alles abgewickelt werden kann. Genau das ist von unserem Finanzminister vorgelegt worden: Wir brauchen einen gewissen Zeitraum, um das abzuwickeln, aber auch, um die anderen Punkte anzusprechen. Es geht um die Trennung von Geldpolitik und Aufsicht. Beantwortet werden muss die Frage, ob beispielsweise Banken, die in einer Schieflage sind, sozusagen nach Europa übertragen werden können oder ob deren Rettung möglicherweise finanziell gemeinsam verantwortet wird. Wir haben gesagt: Überall, wo es Schieflagen gibt, müssen die jeweiligen Länder auch dafür geradestehen. Das kann nicht auf uns abgewälzt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war keine Antwort!) Ich komme damit zu einem weiteren Bereich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Heute ist neben der Neuregelung der Bankenaufsicht ein zweiter zentraler Baustein gesetzt worden: Es geht um die Regulierung des Handels mit Derivaten, und zwar außerhalb der Börsen. Nun hat nicht jeder mit Derivaten zu tun. Aber jeder kann sich vorstellen: Wenn ein deutscher Unternehmer in den USA Waren einkauft – etwa für 100 000 Dollar; das entspricht etwa 80 000 Euro –, dann macht er ein Termingeschäft, ein Zinsgeschäft oder ein Wechselkursgeschäft und sagt: Wenn die Ware in einem halben Jahr geliefert wird, dann will ich auch nicht mehr als diese 80 000 Euro bezahlen. Derivate beziehen sich auch auf Preise von Handelsgütern, auf Rohstoffe oder möglicherweise sogar auf Kreditausfallversicherungen. Es sind also abgeleitete Produkte, die sich auf andere Preise beziehen. Wenn sich diese Derivate, diese Finanzinstrumente, wie man heute sagt, immer nur auf die Realwirtschaft beziehen würden, hätten wir wahrscheinlich kein Problem. Aber inzwischen hat sich dieses Geschäft von der Realwirtschaft gelöst. Wir reden davon, dass heute möglicherweise 600 Billionen Euro Nominalvolumen an Derivaten weltweit gehandelt werden. Wir fordern daher, dass unser Anliegen umgesetzt wird, dass eine scharfe Kontrolle ausgeübt wird. Dem kommen wir mit diesem Gesetzentwurf nach. Wir haben im Jahre 2008 die Pleite von Lehman Brothers erlebt. Hier gab es keine Aufsicht, die in dieses Unternehmen hineinblicken konnte: Was wurde dort gehandelt? Wer handelte mit wem? Welches Volumen wurde gehandelt? Welches Risiko ergab sich? – Das war einer der zentralen Gründe, dass auf dem G20-Gipfel beschlossen wurde: Bis zum Ende des Jahres 2012, also bis Ende dieses Monats, soll eine Regulierung des Derivatehandels erfolgen. Warum wollen wir das? Wir wollen die Gefahren begrenzen, die damit verbunden sind. Wir haben immer wieder gesagt, auch in unserer Koalitionsvereinbarung – das ist die Strategie der letzten drei Jahre –: Es darf keinen Markt, es darf kein Produkt, es darf keinen Akteur auf den Finanzmärkten geben, der bzw. das nicht kontrolliert wird, liebe Freunde. Meine Damen und Herren, wir haben es hier zu tun mit einem Ausführungsgesetz zu einer EU-Verordnung, zu einer europäischen Verordnung. Es geht also um die Anpassung auf nationaler Ebene. Die Regeln beziehen sich auf Derivate, die außerhalb der Börse gehandelt werden. Wir legen in diesem Gesetz fest, dass in Zukunft bestimmte Derivate nicht mehr zwischen zwei Geschäftspartnern gehandelt werden dürfen; sie müssen über Börsen oder sogenannte zentrale Abwicklungsstellen geleitet werden. Dabei ist wichtig, dass europaweit einheitlich gehandelt wird; denn sonst gibt es wieder Versuche, abzuwandern oder andere Wege zu beschreiten, um sich der Kontrolle zu entziehen. Also, es gibt europaweit einheitlich hohe Sicherheitsstandards. Es gibt eine einheitliche Absicherung für alle Geschäfte und für alle Marktteilnehmer. Das Wichtigste ist: Alle Geschäfte – alle Geschäfte! – müssen an zentrale Datenbanken gemeldet werden, sowohl alle Geschäfte der Banken als auch alle Geschäfte der Realwirtschaft. Warum machen wir das? Wir haben Lehman Brothers erlebt. Wir haben gesagt: Unsere wichtigste Aufgabe als Parlamentarier ist, die Steuerzahler zu schützen. Wir sind dafür verantwortlich, dass wir Stabilität auf den Finanzmärkten, aber auch finanzielle Stabilität in den Haushalten haben. Das ist unsere Richtschnur; an der orientieren wir uns. Dafür kämpfen wir. Wir wollen Stabilität hier in Deutschland und in Europa haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Transparenz ist bei diesem Gesetz sehr gelobt worden, auch von allen Experten von außerhalb. Wir wissen, dass durchaus neue Risiken damit verbunden sind, wenn neue Systeme installiert werden. Wir erwarten von unserer deutschen Aufsicht, also vom Ausschuss für Finanzmarktstabilität, vom Europäischen Ausschuss für Systemrisiken und auch vom Financial Stability Board, der international für die Stabilität zuständig ist, eine sehr scharfe Kontrolle. Das muss genauestens beobachtet werden. Nach mir wird der Kollege Sieling von der SPD sprechen. Er wird wie jedes Mal sagen: Das alles reicht nicht aus. (Manfred Zöllmer [SPD]: Sie haben versagt!) Die Opposition wird sagen: „Sie in der Regierungskoalition haben einfach zu wenig gemacht“, und wird begeistert sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte hier einen Satz zitieren: Anders als manche Oppositionspolitiker behaupten, lässt sich belegen, was uns in diesen letzten zwölf Monaten an Regulierungsmaßnahmen und der Umsetzung des Prinzips, dass kein Finanzmarktteilnehmer, kein Finanzmarktprodukt, kein einzelner Finanzmarkt ohne Aufsicht und ohne Regelung sein soll, gelungen ist. Dieser Satz, liebe Kolleginnen und Kollegen, stammt von Peer Steinbrück aus dem Jahr 2009. Es war seine letzte Rede hier im Deutschen Bundestag als Finanzminister. Er hat behauptet, er habe bereits alles reguliert. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Oh!) Die meisten hier gehören dem Finanzausschuss an. Wir wissen, was in dieser Zeit reguliert worden ist. Es geht nicht nur um die Frage der Eigenkapitalunterlegung. Wir alle wissen, dass die Banken inzwischen eine deutlich höhere Eigenkapitalquote haben, auch wenn wir noch in der Umsetzungsphase sind, wenn es darum geht, das europäische Recht hier in Deutschland zu installieren, weil es die letzte Einigung auf europäischer Ebene noch nicht gibt. Wir waren die Ersten, die ein Banken-Restrukturierungsgesetz verabschiedet haben, (Manfred Zöllmer [SPD]: Das stammt auch noch von Peer Steinbrück!) sodass wir in der Lage sind, Banken zu zerschlagen, wenn es sein muss. Wir können sie sanieren, aber wir können sie auch zerschlagen und abwickeln. Wir waren die Ersten, die Leerverkäufe, also Spekulationsgeschäfte auf Aktien, auf Staatsanleihen oder auf Kreditversicherungen, verboten haben. Wir haben gemeinsam die Vergütungsregeln, aber auch die Verbriefungsregeln geändert. Wir haben die Ratingagenturen reguliert. Wir sind die Ersten, die den Hochgeschwindigkeitshandel reguliert haben. Wir sind aktuell dabei, die Hedgefondsmanager zu regulieren. Wir haben den Anlegerschutz reguliert. Wir haben die Finanzvermittler reguliert. Wir haben als Erste in Europa die Honorarberatung vorangebracht. Wir sind wieder einmal diejenigen, die die notwendigen Gesetze vor den anderen europäischen Ländern verabschieden, weil Stabilität für uns wichtig ist. Wir brauchen Stabilität für unsere Bürger. Auch das vorliegende Gesetz leistet wieder einen wesentlichen Beitrag dazu, dass wir in Deutschland mit einem stabilen Finanzmarkt auf Dauer ein Stück Sicherheit für unsere Bürger schaffen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Klaus-Peter Flosbach. – Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Dr. Carsten Sieling. Bitte schön, Kollege Dr. Sieling. (Beifall bei der SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal möchte ich mich beim Kollegen Flosbach außerordentlich dafür bedanken, dass er einen Teil meiner Argumente ausgeführt hat, damit seine Redezeit geopfert hat und mir die Möglichkeit gibt, weitere Argumente vorzutragen. Vielen Dank dafür! Ebenso danke ich dafür, dass Sie das Zitat von Peer Steinbrück verlesen haben, das auch in meinem Manuskript steht. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Ach!) Sie haben es allerdings in einen falschen Zusammenhang gestellt, lieber Herr Kollege. (Zurufe von der SPD: Aha! – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das kann man nicht in einen falschen Zusammenhang stellen!) – Das kann man in der Tat in einen richtigen Zusammenhang stellen, und dies will ich sofort tun. – Es war die Zeit der Großen Koalition, und da war Peer Steinbrück auch Ihr Finanzminister; das will ich an dieser Stelle sagen. Diese Rede bezog sich insbesondere auf Vorschläge zur Restrukturierung. Sie hatten später die Gelegenheit, diese zu einem Restrukturierungsgesetz weiterzuentwickeln, aber nur deshalb, weil Sie aus dem Hause von Peer Steinbrück eine gute Vorarbeit hatten; Sie haben ihn aber damals leider blockiert. Der entscheidende Zusammenhang – wir wollen versuchen, über das Gesetz selber zu reden – ist, dass auf dem G-20-Gipfel in Pittsburgh im September 2009 die Derivateregulierung verabredet und beschlossen worden war. Darauf bezog sich Peer Steinbrück, als er von Aufgaben sprach, die erledigt worden sind. Sie haben allerdings drei Jahre gebraucht, um in diesem Haus einen Gesetzentwurf vorzulegen. Sie sind zu langsam. Sie haben die Regulierung verschlafen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wissen Sie immer noch nicht, dass es eine europäische Verordnung ist?) Herr Kollege, dieses Argument, das Sie freundlicherweise schon für mich referiert haben, ist so wichtig, dass ich es hier wiederholen musste. – Das ist das eine Problem. Bezogen auf dieses Gesetz – das müssen wir ganz nüchtern sehen – ist die Leistung, die die schwarz-gelbe Koalition und die Bundesregierung an dieser Stelle erbringen, minimal; denn es handelt sich hier um eine europäische Verordnung. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Eben!) Es geht um nichts anderes, als diese Verordnung schlicht und einfach handwerklich in nationales Recht umzusetzen und unsere deutschen Gesetze daran anzupassen. (Manfred Zöllmer [SPD]: Genau!) Dass Sie bei dieser relativ simplen Arbeit hier mit großer Geste auftreten, hat erstens mit Ihrem schlechten Gewissen zu tun. Es wurde schon genannt: Sie haben zu lange geschlafen. (Beifall bei der SPD) Zweitens hat es damit zu tun, dass Ihnen in den letzten Wochen das Herz in die Hose gerutscht ist. Seien Sie doch ehrlich: Ihnen ist das Herz spätestens zu dem Zeitpunkt in die Hose gerutscht, als Peer Steinbrück mit seinen Vorschlägen gekommen ist. Das war eine Liste Ihrer Versäumnisse. (Beifall bei der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Die Liste unserer Maßnahmen war das! Die Liste unserer Maßnahmen, die er abgeschrieben hat!) Gestern hat Peer Steinbrück gemeinsam mit dem Kollegen Trittin noch einmal die wesentlichen Punkte angesprochen und herausgearbeitet. Das ist gleichzeitig Ihre Mängelliste und unsere Aufgabenliste. Sie überlassen uns das, und wir werden es angehen. Ich sage es noch einmal. Einführung einer Finanztransaktionsteuer, eine wirkungsvolle europäische Bankenabgabe, damit wir Steuerzahler nicht weiter herangezogen werden – das haben Sie nicht verhindert –, eine Abtrennung des Investmentbanking und natürlich eine Einschränkung dieser spekulativen Derivategeschäfte, das sind die Aufgaben, vor denen wir stehen. Der vorliegende Gesetzentwurf zu den Über-den-Tisch-Geschäften, over the counter – man hat angesichts der mangelnden Transparenz allerdings den Eindruck, dass es sich eher um etwas handelt, was unter dem Tisch stattgefunden hat –, ist schon deshalb dringend notwendig, weil diese Art von Geschäften in den letzten 15 bis 20 Jahren explodiert ist. Es geht international um ein Volumen von 500 Billionen Euro. Das ist das Zehnfache der realwirtschaftlichen Leistung, die auf diesem Globus erzielt wird. Damit sind Blasen verbunden, und eine große Gefahr für die Stabilität des Finanzmarktes geht damit einher. Sie hatten die Aufgabe – kürzlich gab es die erste Lesung –, dies in ordentliche handwerkliche Arbeit umzusetzen. Diese ist, weil Sie so nervös waren, so überhastet entstanden, dass es im Finanzausschuss 18 Änderungsanträge der Koalition gab. Allein 15 Anträge hatten redaktionellen Charakter. Das zeigt, dass nicht sauber gearbeitet worden ist. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich! Das ist eine Lüge! Lügner! Herr Sieling, Sie lügen hier!) – Es sind einige wesentliche Essentials verändert worden, Herr Kollege. Ich finde es auch gut, dass Sie diese geändert haben. Sie haben die Nachteilsausgleichsverpflichtung gestrichen. Diesen Ansatz teilen wir sehr. Wir halten diese Maßnahme für eine weitere Verbesserung. Des Weiteren gibt es Änderungen, die einen besseren Zugang für die Aufsicht, insbesondere bei der Ermittlung von Preisquellen, ermöglichen. Ich will hier auch sagen – das dämpft vielleicht Ihre Erregung –, dass wir diesem Gesetzentwurf zustimmen werden, und zwar vor allem wegen der Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung, die längst überfällig ist. Wir brauchen in Deutschland eine Regulierung für Derivate. Wir hätten das Vorhaben schneller umgesetzt, aber jetzt werden wir dieses Gesetz mittragen. (Beifall bei der SPD) Ich will zum Schluss darauf hinweisen, dass damit noch nicht alle Aufgaben erledigt sind. Wir haben verschiedene Themen diskutiert. Ich will es in aller Öffentlichkeit sagen: Wenn wir in drei oder vier Jahren hier feststellen, dass nicht alle Probleme gelöst sind, dann müssen wir einen anderen Weg finden. Folgendes ist noch zu sagen. Erstens. Die zentralen Stationen, die es geben wird und über die die Handelsvorgänge ablaufen müssen, stellen ein neues Klumpenrisiko dar. Das ist eine neue Gefahr, die man sehr im Auge behalten muss. Zweitens. Es ist leider versäumt worden – die Deutsche Bundesbank hat in der Anhörung dazu Vorschläge gemacht –, eine Erweiterung von Eingriffs- und Aufsichtsmöglichkeiten vorzunehmen. Eine solche Erweiterung wäre gut gewesen. Von Bündnis 90/Die Grünen lag ein Änderungsantrag hierzu vor. Es wäre richtig gewesen, diese Erweiterungen vorzunehmen. Ich sage Ihnen hierzu nur: Wenn es dann an dieser Stelle brennt, müssen wir dort nacharbeiten und das Gesetz in diesem Punkt noch stärker und stabiler machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schlussendlich ist es aber so, dass die eigentliche Musik dann gespielt wird, wenn es um die Entscheidung geht, welche Derivate – sie haben insgesamt ein Volumen von über 500 Billionen Euro – wie behandelt werden. Auch hierüber müssen wir sprechen; denn die eigentliche Musik im Hinblick auf die Frage, was denn nun unter die strenge Regulierung fallen wird und was weiter außerhalb laufen darf, wird in Brüssel gespielt. Diese Entscheidung wird sich unseren Einflussmöglichkeiten entziehen. Darum richte ich die Aufforderung an die Bundesregierung, auf der europäischen Ebene vernünftig und handwerklich sauber zu arbeiten. Wir wollen nicht nur – das ist unser Ziel als Sozialdemokraten –, dass möglichst alle Derivate registriert werden – das ist übrigens eine wichtige Voraussetzung für die Einführung einer Finanztransaktionsteuer –, sondern wir wollen auch, dass sie standardisiert werden und über die gemeinsamen Plattformen laufen. Achten Sie darauf, dass keine Schummelstellen entstehen und es keine Ausweichmöglichkeiten gibt, um beispielsweise an Schwellengrenzen vorbeizukommen. Darauf müssen Sie als Regierung aufpassen; denn das Ganze wird in Brüssel entschieden. Das ist sozusagen die Musik dieses Gesetzes, das ansonsten reine Pflichtarbeit ist. Sie arbeiten hier mit großer Geste, um Ihre Versäumnisse insgesamt zu verschleiern. Das wird Ihnen aber nicht helfen. Ich glaube, man weiß in Deutschland, dass es bei der Finanzmarktregulierung drei Jahre Tiefschlaf gab. Das muss im September nächsten Jahres geändert werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Sieling. Lieber Kollege Ralph Brinkhaus, es gibt Worte, die wir im parlamentarischen Leben vermeiden wollen und sollen und die auch in den Sitzungen des Finanzausschusses, soweit ich das erlebe, nicht üblich sind. Insofern werden Sie meinen Hinweis in Ihrer Rede nachher sicherlich aufgreifen. Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Björn Sänger. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Björn Sänger (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten die Diskussion ein bisschen versachlichen und uns einfach einmal vergegenwärtigen, um was es denn bei dieser Debatte geht. Wir verabschieden heute – ich denke, das ist unstrittig – ein wichtiges Gesetz, das für mehr Stabilität an den Finanzmärkten sorgen wird. Wenn ich die Debatte im Ausschuss und das, was der Kollege Sieling heute schon angekündigt hat, richtig interpretiere, dann wird dieses Gesetz auch eine breite Mehrheit finden oder zumindest auf wenig Widerspruch stoßen. Insofern kann man sicherlich festhalten, dass wir alle im Hause der Meinung sind, dass es sich um ein wirklich wichtiges Gesetz handelt. Die Umsetzung der EMIR-Richtlinie wird in der Tat den Derivatemarkt stabilisieren und weniger risikoanfällig gestalten. Grundsätzlich betrachtet, sind Derivate erst einmal sinnvolle Finanzinstrumente. Sie verteilen Risiken; sie sorgen im Vergleich zu Basispapieren für eine Kostenersparnis bei Investoren, und sie erhöhen die Liquidität am Markt. Aber es hat sich eben in der Finanzkrise gezeigt, dass es Unzulänglichkeiten in diesem Markt gibt. Wir mussten einen Vertrauensverlust aufgrund der Causa Bear Stearns und der Causa Lehman Brothers feststellen. Unsere Aufgabe ist es jetzt schlicht und einfach, Transparenz bei den Transaktionsvolumina zu schaffen. Die sogenannten Über-den-Tisch-Geschäfte – in der Tat, Kollege Sieling, könnte man auch darüber nachdenken, ob das nicht vielleicht eher Unter-dem-Tisch-Geschäfte sind –, die OTC-Geschäfte, müssen besser überwacht werden. Das stellt dieses Gesetz sicher. Die systemgefährdenden Kontrahentenrisiken müssen verringert werden. Aber wir müssen insgesamt auch darauf achten, dass die Straße, die wir bauen, so beschaffen ist, dass auch noch gerne darauf gefahren wird und nicht gesagt wird: Die Kosten für das Befahren dieser Straße sind so hoch; wir suchen uns lieber andere Wege. Ich sagte es anfänglich schon: Derivate sind Dual-Use-Güter; man kann sie gut oder schlecht verwenden. Sie ähneln damit gewissermaßen dem Unimog, einem Fahrzeug, das die Kommunen jetzt in der Winterzeit einsetzen, um die Straßen freizumachen, das aber eben auch im Armeedienst eingesetzt werden kann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Gutes Fahrzeug!) Die Intransparenz dieser OTC-Geschäfte – ich sagte es bereits – liegt quasi in der Natur der Sache. Deshalb schaffen wir jetzt zentrale Gegenparteien. Diese zentralen Gegenparteien wickeln diese Geschäfte besichert ab. Es wird ein zentrales Transaktionsregister geben. Aber auch an die Geschäfte, die nicht über eine zentrale Gegenpartei abgewickelt werden müssen, werden höhere Anforderungen hinsichtlich der Sicherung und des Risikomanagements gestellt werden. Damit sind wir zwei zentrale Probleme angegangen. Erstens haben wir damit das Informationsdefizit abgebaut. Zukünftig wird transparent sein, wer was wann gemacht hat. Es wird sich ein Gesamtbild ergeben, sodass das Misstrauen reduziert wird. Wir werden zweitens das Gegenparteiausfallrisiko absichern. Das ist in der Welt der bilateralen Geschäfte bisher unzureichend geschehen. Deswegen wird es die zentralen Gegenparteien geben. Die Geschäfte können also nur über Clearing Members – das sind häufig sehr große Geldinstitute – entsprechend abgesichert werden. An dieser Stelle haben wir eine wichtige Änderung an dem Gesetzentwurf vorgenommen, indem wir die sogenannte Nachteilsausgleichsverpflichtung im Insolvenzfall gestrichen haben. Damit haben gerade wir als Liberale uns nicht leicht getan; das möchte ich an dieser Stelle sagen. Denn das ist natürlich ein Eingriff in die Grundordnung des Insolvenzrechts; die anderen Gläubiger werden benachteiligt. Aber bei einer ökonomischen Betrachtung des Sachverhalts muss man feststellen, dass die entsprechenden Summen dieses Geschäftes in der Insolvenzmasse eigentlich nichts zu suchen haben. Man kann es im Prinzip wie ein Treuhandgeschäft begreifen; denn wir zwingen letztendlich denjenigen, der das Geschäft abschließt, geradezu dazu, es über eine zentrale Gegenpartei – über ein entsprechendes Kreditinstitut, über eine Bank – abzuwickeln. Schon die Möglichkeit der Vertragsübertragung im Insolvenzfall auf ein anderes Clearing Member stellt eigentlich einen Eingriff in das Insolvenzrecht dar. Wir haben uns bei der Abwägung „Grundordnung des Insolvenzrechts erhalten oder Finanzmarkt stabilisieren“ tatsächlich dafür entschieden, den Finanzmarkt zu stabilisieren – natürlich auch in dem Wissen, dass möglicherweise Abwanderungen der entsprechenden Anbieter aus dem deutschen Markt in andere Länder drohen, in denen es ein Insolvenzrecht wie in Deutschland nicht gibt. Wir haben damit dazu beigetragen, dass die Too-big-to-fail-Problematik im Bankenbereich ein Stück weit abgebaut wurde. Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Wir sichern den Einsatz von Derivaten für die Realwirtschaft – gerade auch im Bereich von kleineren und mittleren Unternehmen –, indem wir die Schwellenwerte, ab denen spezielle Sonderprüfungen durchgeführt und Prüfungsberichte angefertigt werden müssen, von 10 auf 100 Millionen Euro hochsetzen. Wir sind der Auffassung, dass wir uns in diesem Bereich noch in der Realwirtschaft bewegen und die Risiken überschaubar sind. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die, wie Kollege Flosbach schon sagte, Zinsrisiken und Währungsrisiken absichern. Es liegt ja auch eine Studie des Deutschen Aktieninstituts vor, die zeigt, dass diese Risiken im Prinzip handelbar sind, zumal alle diese Geschäfte über Banken abgewickelt und damit gewissermaßen indirekt erfasst werden. Insofern ist das jetzt ein Beitrag zur Entlastung bei den Bürokratiekosten. Jetzt hat der Kollege Sieling – ich kündige schon einmal an: jetzt werde ich wieder unsachlich – (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Hauptsache, Sie geben mich richtig wieder!) von den Änderungsanträgen gesprochen. In der Tat gab es 18 Änderungsanträge, von denen aber 16 der Tatsache geschuldet sind, dass in Brüssel die CRDIV-Umsetzung schlichtweg noch nicht so weit ist, wie wir dachten, und wir insofern logischerweise dieses Gesetz, das eigentlich erst nach der CRDIV-Umsetzung auf die Schiene gesetzt werden sollte, korrigieren mussten. Die CRDIV-Richtlinie ist in Deutschland noch nicht umgesetzt. Deshalb kann man im EMIR-Ausführungsgesetz natürlich nicht darauf verweisen. Nur zwei der 18 Änderungsanträge – ich habe sie eben genannt: die Änderungsanträge zur Nachteilsausgleichsverpflichtung und zu den Schwellenwerten – führen tatsächlich zu materiellen Änderungen am Gesetz. Insofern, Herr Kollege Sieling, fand ich das, was Sie hier gesagt haben, nicht ganz fair. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie unseren Änderungsanträgen nicht zugestimmt, Herr Sänger?) Zu Ihrem zweiten Vorwurf, dass die ganze Geschichte zu lange gedauert habe: Am 4. Juli 2012 – das ist keine sechs Monate her – ist die EMIR-Verordnung auf europäischer Ebene angenommen worden; am 16. August ist sie in Kraft getreten. Ich muss sagen: Vom 16. August bis zum 13. Dezember, also bis wir das Baby in Deutschland sozusagen zur Welt gebracht haben, ist nicht sehr viel Zeit vergangen; als langsam kann ich das nicht bezeichnen. Insofern müssen Sie Ihre Beschwerden in Brüssel abladen. Sie waren ja am Montag und Dienstag mit Ihrer ganzen Truppe vor Ort. Ich hoffe, Sie haben das dort auch getan (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Alles erledigt!) und haben sich nicht nur mit Schokolade, Bier und Pommes beschäftigt. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Überhaupt nicht!) Diese Koalition hat inzwischen die Ratingagenturen, die Kreditverbriefungen, die Boni und die Investmentfondsbranche reguliert; wir haben die Regulierung des Hochfrequenzhandels auf die Schiene gesetzt, haben ein Bankenrestrukturierungsgesetz geschaffen und Leerverkäufe untersagt – um nur einiges von dem, was hier in den letzten dreieinhalb Jahren passiert ist, beispielhaft zu nennen. Sie von der SPD haben dazu nichts beigetragen. Ihr Kanzlerkandidat hat sich heute früh in der Debatte zur Regierungserklärung nicht geäußert. Ich frage mich, wo er heute ist, da die Finanzregulierung für die Sozialdemokraten doch so ein wichtiges Thema ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heute Morgen war er schon da!) Ich kann Ihnen anbieten, demnächst eine Sammelbüchse herumgehen zu lassen, damit wir ihn möglicherweise dazu bewegen können, hier zu uns zu sprechen. Ich kann allerdings nicht zusagen, dass sich ein ansehnlicher Betrag ergibt. Ganz ehrlich: Seine Reden sind das Geld auch nicht wert. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Das war unser Kollege Björn Sänger. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Dr. Axel Troost. Bitte schön, Kollege Dr. Axel Troost. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ein paar Jahren herrschte an den Finanzplätzen der WallStreet, in London und in Frankfurt ein frivoler Überschwang. Die Finanzwirtschaft feierte die große Party. Es gab damals schon einige Spaßbremsen, die sich beschwerten; aber das Ordnungsamt konnte nichts machen, weil die Gesetze fehlten. Am Ende gab es den großen Knall, weil der Schnaps gepanscht war und obendrein niemand die Rechnung begleichen wollte. (Norbert Schindler [CDU/CSU]: War der Alkohol schuld?) Dann war die Party zu Ende. Der Staat und die Steuerzahlerinnern und -zahler durften das Aufräumen übernehmen. Die Finanzwirtschaft hat die Musik etwas leiser gestellt, aber vom Umfang her geht die Party genauso weiter wie bisher. (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Mit der Blaskapelle!) Heute geht es um Derivate. (Jens Ackermann [FDP]: Ich dachte, um Destillate!) Mit Derivaten kann man mit wenig Einsatz große Volumen bewegen. Sie versprechen hohe Renditen bei hohem Verlustrisiko. Fehlspekulationen enden leicht im Ruin. Mit Derivaten – das ist heute mehrfach gesagt worden – lassen sich Risiken absichern. Hauptsächlich dienen sie aber heute als Finanzwetten. Mit komplexen Derivaten wurden Risiken verschleiert; Derivate wurden gutgläubigen und geldgierigen Käufern angedreht. In der Finanzkrise spielten Derivate eine große Rolle. Es ist heute schon gesagt worden – das ist wirklich ein zentraler Punkt –: Wir haben inzwischen ein weltweites Derivatevolumen in einer Größenordnung von 600 bis 650 Billionen Euro; das ist das Neun- oder Zehnfache des Weltsozialprodukts. Da kann in einer sachlichen Debatte niemand sagen, das diene der Absicherung der Realwirtschaft, also dazu, realwirtschaftliche Geschäfte abzusichern. Vielmehr sind Derivate heute ein ganz zentrales Element, das riesige Spekulationen ermöglicht. Das muss aus unserer Sicht beendet werden. (Beifall bei der LINKEN) Worüber reden wir heute konkret? 2013 tritt in der EU die Verordnung EMIR in Kraft. Nun muss in Deutschland mit einem entsprechenden Ausführungsgesetz eine Anpassung vorgenommen werden. Daran war der Bundestag bisher nicht beteiligt. Insofern reden wir über eine Umsetzungsverordnung. Die BaFin wird zur zuständigen Aufsichtsbehörde, Sanktionen werden festgezurrt, und viele Details werden vernünftig geregelt. EMIR bringt sicherlich neue Transparenzvorschriften. Künftig müssen standardisierte Derivate über sogenannte Clearinghäuser, also feste Einrichtungen, abgewickelt werden. Das ist vom angelsächsischen Finanzmarkt abgeschaut. Aber – das ist schon angesprochen worden – das birgt einige Risiken, weil diese Clearinghäuser jetzt systemrelevant werden. Wenn die Sicherungsleinen reißen, dann werden wieder die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dafür geradestehen müssen. Gegenüber dem heutigen Wildwestregime ist EMIR eindeutig eine Verbesserung, darüber sind wir uns einig. Ich möchte noch einmal auf das Volumen zurückkommen. Wir haben mehrfach gehört, wie toll Derivate sind für den Mittelstand, für die Riester-Sparer und für die Bauern, die ihre Ernte absichern, und für viele andere. Wenn wir uns aber die Welt der real existierenden Derivate anschauen, dann stellen wir fest, dass viele ausschließlich Zockerprodukte sind. Ich will das an einem Beispiel festmachen. Nehmen wir einmal an, ich hätte vom Derivateverband einen Adventskalender mit 24 Türchen geschenkt bekommen. Hätte ich das erste Türchen aufgemacht, dann hätte ich dahinter ein CDO gefunden. Das ist das Instrument, mit dem faule Häuserkredite in den USA aufgekauft und dann weltweit verteilt worden sind. Hätte ich das zweite Türchen aufgemacht, hätte ich vielleicht ein CDO-squared gefunden, also ein CDO von einem CDO, ein reines Spekulationsprodukt. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Hinter dem dritten Türchen wäre Oskar Lafontaine gewesen!) Hinter dem dritten Türchen wäre vielleicht ein Credit Ladder Swap gewesen. Das ist ein Produkt, mit dem Kommunen über den Tisch gezogen worden sind. Hinter dem sechsten oder siebten Türchen hätten wir ein Rohstoff-Future gefunden, also ein vernünftiges, relativ schlichtes Termingeschäft. Aber wenn dieses Produkt von einem Hedgefonds genutzt wird, der es nach 30 Minuten wieder glattstellt – er nutzt es also nicht, um wirklich etwas abzusichern –, dann wären wir wieder im spekulativen Bereich. An Heiligabend wäre hinter dem entsprechenden Türchen ein Instrument gewesen, das dazu dient, dass ein Unternehmen sein Wechselkursrisiko durch ein Derivat absichern kann. Das zeigt das Problem. Es geht nicht nur darum, besser zu regulieren und die Regulierung über eine Plattform zu machen, sondern es muss auch darum gehen, diese Geschäfte insgesamt massiv herunterzufahren, weil sie Unsicherheit in den Kapitalmarkt bringen und weil sie nach wie vor zu großen spekulativen Verlusten führen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir bleiben dabei: Wir brauchen so etwas wie einen Finanz-TÜV. Es muss Schluss damit sein, dass alles an Derivaten möglich ist, was nicht verboten wird. Vielmehr brauchen wir eine Genehmigungsbehörde, die bestimmt: Welche Art von Derivaten ist zulässig – die wollen wir haben, die brauchen wir auch für die Realwirtschaft –, und welche ist es nicht? Bestimmte Derivate dürfen erst gar nicht auf den Markt kommen. Ein Finanz-TÜV würde auch auf die Akteure, die auf den Finanzmärkten aktiv sind, regulierend wirken. Eine Bank mit einer Niederlassung in einer Steueroase bekäme zum Beispiel von einer solchen TÜV-Einrichtung gar keine Zulassung. Ein Finanz-TÜV würde sich auch endlich mit dem Thema Schattenbanken beschäftigen. Sie trauen sich an dieses Thema ja nicht heran, obwohl dieses Problem immer größer wird. Das ist von der Präsidentin der BaFin schon angesprochen worden. Deswegen werden wir uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten. Es geht sicherlich in die richtige Richtung, das heißt, mehr Transparenz zu schaffen. Wenn Sie an die Volumina nicht herangehen, haben wir zwar viel Transparenz, aber weiterhin hochspekulative Produkte, und die müssen eingedämmt werden. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Axel Troost. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Lisa Paus. Bitte schön, Frau Kollegin Lisa Paus. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Europäischen Marktinfrastrukturregulation für Derivate, kurz: EMIR, und ihrer Umsetzung in deutsches Recht wird endlich ein Mindestmaß an Regulierung und Transparenz auf dem billionenschweren und bisher völlig unregulierten europäischen Derivatemarkt geschaffen. Das ist zu begrüßen. Das ist tatsächlich ein Fortschritt; darüber herrscht auch Einigkeit in diesem Haus. Es ist mehr als überfällig, dass künftig sämtliche Derivate an sogenannte Transaktionsregister gemeldet werden müssen, sodass die Aufsicht hoffentlich endlich einen besseren Überblick über Vernetzungen und Risiken auf dem Derivatemarkt erhält, etwa hinsichtlich hoher offener Positionen einzelner Akteure. Wir haben gerade noch geflachst: Wir wissen einfach nicht, ob es weltweit 500 Billionen oder 700 Billionen Euro oder vielleicht noch mehr sind. Mit diesem Gesetz wird eine Grundlage gelegt, um Abhilfe zu schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist richtig, dass standardisierbare Derivate künftig über sogenannte Clearinghäuser abgewickelt werden müssen, sodass das Ausfallrisiko künftig zentral gemanagt und beaufsichtigt wird. Ansteckungseffekte können so im besten Fall vermieden werden. Trotzdem muss auch ich Wasser in den Wein gießen und die Lobeshymnen der Koalition relativieren: Erstens. Diese neuen Clearinghäuser wachsen als sogenannte zentrale Gegenparteien zu zentralen Spielern mit hoher systemischer Relevanz heran. Wir haben plötzlich neue systemrelevante Spieler auf den internationalen Finanzmärkten, und das ist problematisch. Wir wissen aus der Bankenkrise ja, welche großen Gefahren von systemrelevanten Instituten ausgehen. So hat der Vizechef der Bank of England, Herr Tucker, kürzlich gewarnt, die Pleite einer solchen zentralen Gegenpartei könne weit schlimmere Auswirkungen auf die Systemstabilität haben als die Insolvenz einer internationalen Großbank. Auch Frau Dr. König, BaFin-Chefin, warnte im Juni, „too big to fail“ sei auch bei den zentralen Gegenparteien ein Problem. Zwar sieht das Umsetzungsgesetz weitreichende Eingriffsmöglichkeiten der Aufsicht vor, um die Schieflage einer zentralen Gegenpartei abzuwenden – das ist schon richtig –, aber es gelingt letztlich nicht, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler glaubhaft vor neuen milliardenschweren Haftungszwängen zu schützen. Das ist ganz klar die Kehrseite der vorliegenden Regulierung. Für dieses Problem hat die Bundesregierung, haben Sie von der Koalition noch nicht einmal eine überzeugende Lösung für die Zukunft in Aussicht gestellt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]) Zweitens. Wir befürchten, dass die zentralen Gegenparteien prozyklisch wirken, die Ausschläge im Konjunkturzyklus also nach oben und unten verstärkt werden, was wiederum zu gefährlichen Folgeproblemen für die Systemstabilität führen kann. Diese Einschätzung – das wurde schon erwähnt – haben nicht nur wir, sondern auch die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, das European Systemic Risk Board und die Bundesbank. Das haben alle Sachverständigen in der entsprechenden Anhörung gesagt. Man hätte leicht die nötigen Instrumente zum Gegensteuern schaffen können. Wir haben auch entsprechende Vorschläge unterbreitet; Kollege Sieling hat bereits darauf hingewiesen. Wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt. Sie haben dem nicht zugestimmt. Wir können nach wie vor überhaupt nicht nachvollziehen, was Sie da geritten hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Drittens. Auch wenn zentrale Clearinghäuser für Derivate einen Beitrag zu mehr Transparenz und Systemstabilität leisten können, ist am heutigen Tage noch völlig offen, wie groß dieser Beitrag tatsächlich sein wird. Es ist eben nicht so, dass zukünftig alle Derivate in diesen zentralen Clearinghäusern gecleart werden. Es wird weiterhin standardisierte Produkte geben, die gecleart werden, aber es wird daneben weiterhin auch nichtstandardisierte Derivate und Kontrakte geben, die nicht in diesen Clearinghäusern gecleart werden. Heute ist noch völlig offen, wie viele Derivate zentral gecleart werden und wie viele nicht. Das hängt von den Ergebnissen der Verhandlungen zu Basel III ab. Vorgesehen ist, dass die Eigenkapitalunterlegung für nichtstandardisierte Produkte – vielleicht – höher sein muss. Wir wissen es heute aber nicht. Daher ist völlig offen, ob wir diese Konstruktion am Ende des Tages für 10, für 20, für 50 oder für 70 Prozent der real existierenden Derivate geschaffen haben. Wir kaufen sozusagen die Katze im Sack. Damit bleibt die Relevanz der heutigen Beschlusslage noch sehr im Ungefähren und im Ungewissen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viertens. Die Entscheidung der Bundesregierung, die Aufsicht über die zentralen Gegenparteien letztlich national zu organisieren, halte ich ebenfalls für völlig falsch. Das Europäische Parlament forderte hier eine starke Rolle der ESMA, der entsprechenden europäischen Aufsichtsbehörde. Denn es ist völlig klar: Zentrale Gegenparteien werden grenzüberschreitendes Geschäft betreiben. Deshalb wäre eine echte Aufsicht auf europäischer Ebene folgerichtig gewesen. Genau das aber hat der Europäische Rat mit Unterstützung der Bundesregierung verhindert. Letztlich wiederholen Sie hier die Fehler, die Sie bereits bei der Bankenaufsicht begangen haben. Sie haben jetzt angefangen, Ihre Haltung zu revidieren. Herr Flosbach hat eben darauf hingewiesen, wie gut es sei, dass wir endlich zu einer europäischen Bankenaufsicht kommen. Es wird sich auch in diesem Punkt über kurz oder lang rächen, dass Sie hier erst einmal den nationalen Weg gehen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen wird sich meine Fraktion enthalten. Zum Schluss möchte ich noch einen kurzen Ausblick wagen. Sollten sich die zentralen Gegenparteien doch bewähren – dies hoffe ich und dies wünsche ich mir –, dann sollten wir darüber nachdenken, nach den Derivaten auch das Interbankengeschäft auf zentrale Gegenparteien zu übertragen. Hier besteht nach meiner Einschätzung weiterer Handlungsbedarf, um Ansteckungseffekte infolge von Adressausfällen zu begrenzen. Die zentralen Gegenparteien könnten auch hier eine Antwort sein, zumindest wenn es richtig gemacht wird und es gelingt, ihre systemischen Risiken in den Griff zu bekommen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Lisa Paus. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Peter Aumer. Bitte schön, Kollege Peter Aumer. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Peter Aumer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren über die Umsetzung der EMIR-Verordnung. Der Berichterstatter des Europäischen Parlaments, unser Kollege Werner Langen, hat diese Verordnung als ein Herzstück der Finanzmarktregulierung bezeichnet. Lieber Herr Kollege Sieling, ich verstehe daher nicht, dass Sie, wenn Sie heute schon in Ihrer Rede von Zusammenhängen sprechen, nicht versuchen, Ihren Kanzlerkandidaten zumindest ein bisschen im Glanz des Lichtes dastehen zu lassen. (Zuruf des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD]) Wir, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, haben nicht langsam gearbeitet, und wir haben nichts verschlafen. Vielmehr waren wir es, die in den letzten drei Jahren hart gearbeitet haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manfred Zöllmer [SPD]: Hart arbeiten allein reicht nicht! Es kommt auf das Ergebnis an!) Wir haben bisher 20 Gesetze im Bereich der Finanzmarktregulierung umgesetzt. Weitere sind in Arbeit. Vor zwei oder drei Monaten hat der Kanzlerkandidat der SPD ein Konzept vorgelegt, in dem es um all die Dinge, die wir schon umgesetzt haben oder an denen wir arbeiten, geht. (Beifall des Abg. Olav Gutting [CDU/CSU] – Zurufe von der SPD: Oh!) – Ja, Sie dürfen jetzt ruhig zugeben, dass es so ist. – Er hat nichts Neues vorgelegt. Sein Konzept enthält keine wesentlichen neuen Inhalte. Trotzdem wollen Sie uns vorwerfen, wir hätten Maßnahmen verschlafen. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, ist schon fast peinlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir arbeiten ganz intensiv an der Regulierung des Finanzmarktes, um ihn zu bändigen. Dazu trägt das EMIR-Ausführungsgesetz bei. Die OTC-Derivate waren eine Hauptursache der Finanzmarktkrise, weil – das ist heute schon angesprochen worden – Transparenz und Eigenkapitalunterlegung bei diesen Geschäften fehlten. Heute geht es darum, diesen unübersichtlichen billionenschweren außerbörslichen Derivatemarkt zu regulieren. Am Tag der Lehman-Pleite waren US-Angaben zufolge nur 1,24 Prozent dieser Geschäfte und Wetten im Interbankenverkehr in den Bilanzen der US-Institute erkennbar. Der Derivatehandel hat ein immenses Volumen. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich – die Kollegin hat es schon angesprochen – schätzte für das Jahr 2011 ein Volumen von nominal etwa 707 Billionen US-Dollar. Das ist eine bedenkliche Zahl. Gerade deswegen ist es in diesen unsicheren Zeiten wichtig und erforderlich, die OTC-Derivate zu regulieren. Lieber Kollege Troost, in einigen Punkten sind wir uns durchaus einig, zum Beispiel darin, dass die Regulierung von Derivaten wichtig ist. Ich glaube, das ist uns allen ein wichtiges Anliegen. Die Derivate, die für die Realwirtschaft wichtig sind, dürfen allerdings nicht überreguliert werden. Die deutsche Exportwirtschaft sichert sich durch Derivate zum Beispiel gegen Wechselkurs-, Zins- und Preisschwankungen ab. Wir haben uns Mühe gegeben, eine gute Lösung zu finden, durch die Derivate nicht überreguliert werden. Um die negativen Eigenschaften von Derivaten, die von allen angesprochen worden sind, zu bändigen, haben die G 20, auch auf Druck von Bundeskanzlerin Angela Merkel, auf dem Gipfel in Pittsburgh Entscheidungen getroffen, zum Beispiel dass erstens alle standardisierten OTC-Derivatekontrakte bis spätestens 2012 über eine zentrale Gegenpartei gecleart und dass zweitens OTC-Derivatekontrakte an Transaktionsregister gemeldet werden sollen. All diese Dinge setzen die EU und die Bundesregierung jetzt pünktlich um. Mit Verschlafen, sehr geehrter Herr Dr. Sieling, hat das nichts zu tun. Wir arbeiten hart an der Finanzmarktregulierung, gemeinsam mit der Europäischen Kommission. Die Bundesregierung ist ein verlässlicher Partner auch der deutschen Banken, auch des deutschen Finanzmarktes, gerade was die Vertretung der deutschen Eigenheiten betrifft. Wir sind nicht nur einmal in Brüssel gewesen – wie das bei der AG Finanzen der SPD vielleicht der Fall gewesen ist –, wir sind sehr regelmäßig, lieber Klaus-Peter Flosbach, in Brüssel und versuchen, unsere Meinung auf europäischer Ebene einzubringen. Denn je früher und je besser wir deutsche Interessen vertreten – das sollte unser gemeinsames Ziel sein –, desto besser können wir die Eigenheiten des deutschen Finanzmarktes in die Debatte in Brüssel mit einbringen. Mit dem heute zu beschließenden EMIR-Ausführungsgesetz leisten wir einen weiteren wichtigen Beitrag zur Regulierung der Finanzmärkte. Liebe Frau Kollegin Paus, Sie haben vorhin gesagt, Ihnen fehle eine überzeugende Lösung. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Ich habe bei Ihrer Rede aufgepasst, auch wenn ich nicht mitgezählt habe, wie oft Sie gesagt haben: Wir wissen es heute aber noch nicht. – Als Regierung, die wir in der Verantwortung sind, müssen wir heute diese Regulierungen auf den Weg bringen. Das Wesentliche ist, dass wir als unseren Auftrag die Verantwortung sehen, für die Menschen in unserem Land die Finanzmärkte zu regulieren. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätten Sie unserem Änderungsantrag zustimmen können! Herr Aumer, warum haben Sie unserem Änderungsantrag nicht zugestimmt?) Das Wissen ist sicherlich nicht alles; das Tun ist das Entscheidende. Deswegen finde ich es sehr schade, dass Sie sich heute bei diesem für die Regulierung der Finanzmärkte doch wesentlichen Gesetz enthalten. Wir halten uns daran, was wir den Menschen in unserem Land versprochen haben: (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht!) dass kein Markt, kein Teilnehmer und kein Produkt unreguliert bleiben darf. Um die notwendige Transparenz, Sicherheit und Stabilität auf den Finanzmärkten weiter herstellen zu können, bitte ich Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, um Zustimmung zu diesem Gesetz; vielleicht können Sie sich das noch überlegen. Dieses Gesetz ist nämlich ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Peter Aumer. – Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten: Kollege Manfred Zöllmer. Bitte schön, Kollege Manfred Zöllmer. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Manfred Zöllmer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Flosbach, Sie haben Ihre Rede damit begonnen, dass Sie gesagt haben, der Finanzminister habe das, was die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag bezüglich der Bankenaufsicht gefordert haben, nun umgesetzt. Dazu fällt mir nur ein, zu sagen: Die Koalitionsfraktionen sind offenkundig als Torpedo gestartet und als Flaschenpost angekommen. Es ist vereinbart worden, dass die EZB in Zukunft Durchgriffsrechte bis auf die letzte Sparkasse hat. Vergleichen Sie das einmal mit Ihrem Antrag! (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie müssen mal den Text lesen! Das ist ja völlig daneben!) Sie haben auch gesagt, eine Rekapitalisierung von Banken durch den ESM komme für Sie überhaupt nicht infrage. Doch genau das ist vereinbart worden. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Einheitliche Regeln! Das ist etwas ganz anderes! Sie müssen den Text lesen!) Es tut mir leid: Da müssen Sie Ihren Finanzminister demnächst besser vorbereitet auf den Weg schicken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Spekulative Geschäfte mit Derivaten haben die Finanzkrise zwar nicht verursacht, sie stehen aber in dem Verdacht – und ich glaube, dieser Verdacht ist richtig –, die Finanzkrise massiv beschleunigt zu haben. Bisher sind die Akteure auf diesem riesigen Markt, der sich von 1990 bis 2009 etwa um den Faktor 120 vergrößert hat, in sogenannte Dark Pools geflüchtet. Das heißt, man wollte die Geschäfte ohne Transparenz und ohne irgendeine Aufsicht machen; man wollte verschleiern und verstecken. Deshalb ist es natürlich wichtig, dass eine wesentliche Forderung ist, Transparenz in diese Geschäfte zu bringen. Die Abwicklung über zentrale Clearingstellen und die Dokumentation in Transaktionsregistern werden in Zukunft für Transparenz sorgen. Dieser Überblick über die Märkte wird die Aufsicht überhaupt erst in die Lage versetzen, in diese bisher unregulierten Bereiche einzugreifen. Auch wir hätten uns gewünscht, dass die Aufsichtsbehörden hier noch stärkere Eingriffsmöglichkeiten gehabt hätten. Deswegen haben wir dem Antrag der Grünen auch zugestimmt. Die Koalitionsfraktionen sind dieser Forderung aber leider nicht gefolgt. Zentrale Gegenparteien sind für die Stabilität von Finanzmärkten von herausragender Bedeutung. Dies wird alleine durch das Volumen auf den Derivatemärkten deutlich. Sie übernehmen Risiken aus Finanzmarkttransaktionen und betreiben ein System, das die Sicherstellung der eingegangenen Verpflichtungen einfordert. Wenn die Bedeutung zentraler Gegenparteien aber so stark aufgewertet wird, dann können sehr schnell neue Risiken entstehen. Dort werden dann Ausfallrisiken kumuliert, und es entstehen erneut systemische Risiken. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Die Insolvenz zentraler Gegenparteien ist bereits Realität gewesen. Wir bewegen uns damit also nicht im Bereich der Spekulation. Nach unserer Auffassung wird diesem möglichen Risiko vonseiten der Koalitionsfraktionen aber nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt. Hier hätte mehr erfolgen müssen. (Beifall bei der SPD) Die Krisenszenarien werden sich nicht eins zu eins wiederholen. Es muss deshalb verhindert werden, dass das, was ich eben beschrieben habe, die Ursache für die nächste große Finanzmarktkrise ist. Herr Brinkhaus, Sie werden ja auch noch reden. In der ersten Debattenrunde haben Sie die Gesetzgebung, über die wir heute abstimmen, als „epochales Regulierungswerk“ bezeichnet. Epochal wäre es allerdings, wenn die Verursacher der Krise tatsächlich an den Kosten der Krise beteiligt würden. (Peter Aumer [CDU/CSU]: Daran arbeiten wir ja!) Bei dieser Aufgabe versagt die Koalition allerdings auf ganzer Linie. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Manfred Zöllmer. – Nächster Redner – er ist eben vom Kollegen Zöllmer schon angekündigt worden –: Ralph Brinkhaus für die Fraktion der CDU/CSU. Bitte schön, Kollege Ralph Brinkhaus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Gesetze sind es jetzt?) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Herr Präsident! Die Worte von eben sind wohl angekommen, und ich werde meinen Furor in Zukunft zügeln, wobei der Furor noch immer relativ groß ist; aber darauf werde ich gleich eingehen. Meine Damen und Herren, wir debattieren heute über die Umsetzung von EMIR, wie es, kurz genannt, heißt. Damit werden die OTC-Derivatemärkte reguliert. Das ist die Umsetzung einer EU-Verordnung; sie beseitigt einen weißen Fleck auf der Regulierungslandkarte. Insofern, lieber Kollege Zöllmer, ist diese Geschichte schon epochal. Es ist ein Zusammenwirken von deutscher und in erster Linie auch europäischer Gesetzgebung, und ich denke, es ist auch in Ordnung, dass wir das auf europäischer Ebene regeln. Es gibt zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Tat einige Umdrucke. Lieber Herr Sieling, ich denke, Sie werden es noch einmal nachgeschaut haben: Die meisten Umdrucke sind technischer Art. Dazu kam es deswegen, weil unsere Kollegen auf europäischer Ebene mit Basel III/CRD IV nicht fertiggeworden sind. Insofern bestand bei mir Furor, und ich habe gesagt: Dies liegt nicht an handwerklichen Fehlern an dieser Stelle, sondern beruht auf Notwendigkeiten, für die weder die Bundesregierung noch sonst jemand etwas kann. Ich denke, das sehen Sie nach dem Nachprüfen mittlerweile auch so. Wir haben zwei politische Änderungswünsche in diesem Gesetzentwurf untergebracht: Zum einen ging es um den Nachteilsausgleich; der Kollege Sänger hat schon darauf hingewiesen. In Bezug auf die Systematik des Insolvenzrechtes und auf die Stabilität des Finanzmarktes gibt es hier in der Tat einen Wertungswiderspruch. Da die Systematik des Insolvenzrechtes an dieser Stelle aber nur ganz leicht und wahrscheinlich auch ohne jegliche faktische Auswirkung durchbrochen wird, haben wir an dieser Stelle gesagt, dass die Stabilität des Finanzmarktes für uns wichtiger ist. Ein Zweites ist auch ganz wichtig – denn dies bedeutet Bürokratieabbau für die mittelständische Wirtschaft –: Es gibt auch für Unternehmen der Realwirtschaft eine Prüfungspflicht bezogen auf die Frage, wie sie mit ihren Derivaten umgehen. Ursprünglich war hier eine Schwelle von 10 Millionen Euro vorgesehen. Das hätte viele Tausend Unternehmen betroffen, die einen Prüfungsbericht hätten anfertigen lassen müssen. Wir glauben, dass es vertretbar ist, diese Schwelle auf 100 Millionen Euro hochzusetzen. Denn wir wollen gerade nicht die Derivategeschäfte treffen, die aus gutem Grund getätigt werden, nämlich um realwirtschaftliche Vorgänge abzusichern. So weit, so gut. Nun zum EMIR-Ausführungsgesetz. Dieses Gesetz steht am Ende eines langen Regulierungsjahres. Wir haben weit über 30 Debatten zu diesem Thema hier im Deutschen Bundestag geführt, das heißt in jeder Plenarwoche mehr als eine Debatte. Im Grunde ist das symptomatisch für das, was wir während der gesamten Legislaturperiode gemacht haben. Wir haben hart an der Regulierung des Finanzmarktes gearbeitet – mit unterschiedlichem Erfolg: Manchmal sind wir sehr weit gekommen. An der einen oder anderen Stelle sind wir nicht so weit gekommen, wie wir das gewollt haben. Ich würde mir wünschen – jetzt geht mein Blick noch einmal zu den Kollegen von der SPD, zu Frau Paus von den Grünen und zu den Linken –, dass wir uns mehr fachlich mit den Dingen beschäftigen, als immer wieder pauschal zu sagen: Ihr seid zu langsam und hättet mehr machen müssen. – Wir würden uns wünschen, dass wir einmal tatsächlich eine fachliche Auseinandersetzung über ein Gesetz führen und uns über einzelne Details sachlich unterhalten könnten und dass wir es gemeinsam schaffen könnten, die Finanzmarktregulierung besser zu gestalten, anstatt in den Reden, wie Sie dies immer wieder tun, ein Gegeneinander aufzubauen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt! Den haben Sie abgelehnt!) Meine Damen und Herren, wenn wir dieses Jahr einmal Revue passieren lassen, können wir das, was wir machen, in verschiedene Kategorien einteilen. Wir haben zum einen nationales Recht geschaffen. Dazu gehört die Neuordnung der deutschen Finanzaufsicht. Dazu gehört auch das, was unlängst in den Deutschen Bundestag eingebracht worden ist, nämlich die Regulierung des Hochfrequenzhandels. Zum anderen haben wir im Zusammenhang mit EMIR und SEPA europäisches Recht umgesetzt. Die AIFM-Richtlinie, die in deutsches Recht umzusetzen ist, ist gestern im Kabinett behandelt worden. Wir haben aber auch Entschließungsanträge eingebracht, in denen wir uns mit Dingen beschäftigt haben, die die europäische Ebene betreffen: Entschließungsanträge – ganz wichtig – zur Zukunft der betrieblichen Altersversorgung – auch dort wollte man regulieren –, zu Rohstoffderivaten und auch zum Thema Bankenunion. Für die Technik des Arbeitens im Deutschen Bundestag sind diese Entschließungsanträge sehr wichtig. Auf europäischer Ebene haben wir einen bestimmten Rechtssetzungsprozess; dort spielen das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und der Rat eine Rolle. Bei dem Rat handelt es sich um die Vertreter der nationalen Regierungen. Wenn wir die Vertreter unserer Regierung ohne Leitplanken in Brüssel auflaufen ließen und sagen würden: „Verhandelt mal!“, ohne dass der Deutsche Bundestag mitwirkt, ohne dass er in Entschließungsanträgen sagt, was er sich vorstellt und wünscht, würden wir uns als Deutscher Bundestag, als nationales Parlament, sehr viel vergeben. Deswegen sind diese Entschließungsanträge so ungemein wichtig. In der Tat kann man sich im Zusammenhang mit dem Entschließungsantrag zur Bankenunion darüber unterhalten, was erreicht worden ist. Aber ich glaube, wir müssen uns von einer Illusion lösen, nämlich dass alles das, was wir für gut und richtig erachten, zu 100 Prozent im europäischen Verhandlungsprozess durchgesetzt werden kann. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre ja schrecklich!) Es wäre ja schlimm, wenn es im europäischen Wirken quasi ein Grundgesetz wäre, dass das, was der Deutsche Bundestag beschließt, eins zu eins umgesetzt wird. Das geht nicht. Wir werden Kompromisse schließen müssen. Im Bereich der Bankenunion haben wir einen Kompromiss erreicht, in dem wir ziemlich viel von dem, was wir gefordert haben, unterbringen konnten. Dafür noch einmal ein herzliches Dankeschön an die Bundesregierung! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – Das ist Beifall für die Bundesregierung. Dazu muss man auch sagen: Wir haben erreicht, dass wir uns mit unserer Forderung „Qualität vor Schnelligkeit“ durchsetzen konnten. Die Einführung wird erst 2014 erfolgen. Bis dahin ist noch eine Menge zu tun. Wir müssen die rechtlichen Grundlagen legen, und wir müssen natürlich auch die entsprechenden Organisationsstrukturen schaffen. Ja, wir haben auch eine Lösung für eine saubere Abgrenzung zwischen dem, was europäisch direkt kontrolliert und beaufsichtigt wird, und dem, was national beaufsichtigt wird, gefunden. Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege Brinkhaus, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lisa Paus? Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Die Kollegin Paus hat heute das Bedürfnis zu vielen Zwischenfragen. Vor dem Hintergrund der vielen namentlichen Abstimmungen, die wir auf Wunsch ihrer Fraktion heute durchführen, ist das zwar etwas unhöflich – aber trotzdem. Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin Lisa Paus macht es kurz. Nach dem gegenwärtigen Stand wird die letzte namentliche Abstimmung um genau 0 Uhr stattfinden. – Bitte schön, Frau Kollegin. Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Jetzt ist der Stand 0.03 Uhr. Herzlichen Dank! (Heiterkeit) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gern geschehen, Herr Brinkhaus; für Sie doch immer. Ich habe an Sie die gleiche Frage, die ich Herrn Flosbach schon gestellt habe. Wir haben gestern zusammen im Finanzausschuss gesessen. Insbesondere Bundesbank und BaFin hatten darauf hingewiesen, dass man eigentlich eine Roadmap braucht, um ein konkretes Einführungsdatum für die Bankenaufsicht festzulegen. Sie haben gesagt, der 1. März 2014 soll es sein. Ist in den letzten 24 Stunden eine Roadmap bei Ihnen eingetroffen? Können Sie mir sagen, wie dieses Ziel zum 1. März 2014 erreicht werden soll? Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Liebe Frau Paus, ich glaube, die Vorstellung von Politik, dass sich Finanzminister nachts in Brüssel treffen und dann eine Roadmap malen, (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Morgens um 5!) wie man jeden Projektschritt eins zu eins umsetzen kann, ist etwas naiv. Insofern ist Ihre Frage damit beantwortet. Das Ganze ist ein Prozess. Ich komme noch dazu, wenn Sie mir weiter zuhören mögen. Ich habe das jetzt übrigens abgekürzt: Wir sind wieder bei 0.01 Uhr. Dafür bekomme ich sicherlich Beifall. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und der FDP) – Danke schön. Wir müssen natürlich noch an einigen Dingen arbeiten. Dabei ist für uns eines wichtig – das geht jetzt auch in Richtung Bundesregierung –: Wir haben uns entschieden, die Aufsicht bei der EZB anzusiedeln. Die EZB sitzt in Frankfurt, und sie sollte mit all ihren Bereichen in Frankfurt sitzen. – Punkt eins. Punkt zwei. Wir haben es bei der Installation der europäischen Banken-, Versicherungs- und Wertpapieraufsicht durchaus verpasst, dass deutsche Mitarbeiter entsprechend dem Anteil Deutschlands am Finanzmarkt auch in hierarchisch höheren Funktionen und Leitungsfunktionen untergebracht sind. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass das jetzt bei der Organisation der europäischen Finanzaufsicht bei der Europäischen Zentralbank gelingt. Das ist uns als Koalitionsfraktion sehr wichtig. Ich denke, wir haben dabei den einen oder anderen Nachholbedarf. Wenn ich jetzt zu dem Thema Bankenunion und dazu komme, dass man in Verhandlungen nicht immer alles erreicht, dann komme ich auch zu dem, was gestern in der Pressekonferenz von Herrn Trittin und Herrn Steinbrück vorgebracht worden ist. Ich habe gestern mit einem Kollegen unter anderem über die allgemeinen Einstellungen zum Finanzmarkt gesprochen. Irgendwann haben wir festgestellt, dass wir, insbesondere wenn wir gemeinsam auf einem Podium sitzen und mit der Branche diskutieren, in vielen Dingen nicht so weit auseinanderliegen. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Große Koalition?) Wir sollten uns bei aller Wahlkampfauseinandersetzung, die sicherlich notwendig ist und für die Sie ein Thema brauchen, bemühen, diese Gemeinsamkeit ein bisschen mehr zu betonen. Mit Blick auf das, was gestern gefordert worden ist, denke ich: Natürlich möchten auch wir eine klare Trennung zwischen der unabhängigen Bundesbank und der Aufsicht. Wir müssen uns auch darüber unterhalten, inwieweit die Aufsicht demokratisch kontrolliert wird und wie wir zu einem europäischen Restrukturierungsmechanismus kommen. Sie haben ins Rennen gebracht, dass dafür ein Fonds mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro notwendig ist, der von den Banken finanziert werden muss. Ganz ehrlich, wenn wir das hinkriegen würden, dann würden wir sagen: Spitze, klasse, super! Aber das ist nicht so einfach, wie Sie sich das vorstellen. Denn die Banken, die die 200 Milliarden Euro in den Fonds einbringen sollen, sollen weiterhin Kredite vergeben, Eigenkapital haben, Steuern zahlen und ihre Mitarbeiter nicht entlassen. Bei diesem Wertungswiderspruch müssen wir schauen, dass wir eine vernünftige Beteiligung der Branche hinbekommen. Wir haben in Deutschland mit der Bankenabgabe schon einiges auf den Weg gebracht. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Da hätten Sie doch mehr herausholen können! Das wissen Sie doch!) Wir werden es gegebenenfalls noch nachträglich schärfen müssen. Aber ich denke, dabei sind die Gegensätze nicht in dem Maße vorhanden, wie Sie sie ausmalen. Ich glaube, es ist relativ hoffnungslos, einen Wahlkampf zum Thema Banken zu führen, wie Sie es jetzt zum zweiten Mal versucht haben. Denn alles, was vorgeschlagen wird, sind Dinge, die wir a) entweder schon umgesetzt haben, die b) in der Umsetzung sind oder die c) in der internationalen Diskussion sind. Ich glaube, meine Damen und Herren, dass die Gemeinsamkeiten an dieser Stelle größer sind als die Unterschiede. Mit diesem adventlichen Abschiedswort möchte ich mich aus der letzten Finanzmarktdebatte, die wir im Jahr 2012 führen, verabschieden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Ralph Brinkhaus. – Dennoch hat der Kollege Lothar Binding das letzte Wort. Bitte schön, Kollege Lothar Binding für die Fraktion der Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Der Kollege Brinkhaus hat Fachlichkeit reklamiert, und der Kollege Aumer hat vorhin gesagt, Peer Steinbrück habe vorgeschlagen, was die Koalition schon längst geregelt habe. Deshalb bitte ich Sie, mir zu sagen, in welchem Gesetz ich das Trennbankensystem finden kann, mit dem wir die Sparer und deren Spargeld vor Spekulationen der Spekulanten schützen können. Dass die Finanztransaktionsteuer schon eingeführt worden ist, wäre mir auch neu. Sie müssten mir noch zeigen, wo das geregelt ist und inwiefern Sie sich um Schattenbanken gekümmert haben, wie es Peer Steinbrück vorschlägt. (Peter Aumer [CDU/CSU]: Wir arbeiten daran!) Es wäre interessant, zu erfahren, wann Sie das beschlossen haben und in welchem Gesetz das geregelt ist. (Beifall bei der SPD) Nun zum Stichwort Bankenunion. Wir haben noch kein europäisches Aufsichtsregime. Sie kennen die große Problematik bei dem Vorhaben, das einfach der EZB zu übergeben. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Stellen Sie das deutsche Schattenbankensystem doch einmal vor!) Wir haben kein Restrukturierungs- und Abwicklungssystem. Wir haben keine Einlagensicherung. Der ESM ist derzeit durch die Versprechen der Kanzlerin hochgefährdet. Man führt Deutschland letztendlich auf die Schlachtbank der Risikomananger und der Privatbanker, statt die ESM-Mechanismen der Rettung der Staaten vorzubehalten. Es wäre interessant, zu wissen, wo Sie den Schuldentilgungsfonds reguliert haben. All das schlägt Peer Steinbrück vor. Sie sagen, das sei alles schon geregelt und erledigt. Ich sage Ihnen: Nichts von dem ist geregelt. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb ist es nicht so, wie Sie sagen, und deshalb ist die Fachlichkeit bei Ihnen sehr unter Druck. Ich will noch den Blick auf etwas anderes lenken. Ich war gestern bei einem Börsenlunch an der Straße Unter den Linden 36. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – Ah!) Referent war zufälligerweise der Risikovorstand der Commerzbank. Er hat sich nicht über den Steuerbetrug der Banken beschwert. Er hat sich nicht darüber beschwert, dass der Libor von den Banken manipuliert wurde. Er hat sich nicht darüber beschwert, dass Subprimes, also sehr schlechte Kredite, verbrieft und auf den deutschen bzw. europäischen Markt gedrückt wurden. Er hat sich nicht darüber erregt, was OTC-Derivate auf dem Markt anrichten. Er hat sich nicht darüber aufgeregt, welche Folgen das CDS-Spekulationsverhalten auf dem Markt hat. (Peter Aumer [CDU/CSU]: Sondern?) Er hat sich nicht darüber aufgeregt, was Credit Ladder Swaps bei den Kommunen angerichtet haben. Er hat sich nicht darüber aufgeregt, welche Folgen Rohstoffspekulationen haben. Sie werden es nicht glauben: Er hat sich darüber aufgeregt, dass wir – er meinte uns alle und sprach immer von „der Politik“ – nicht genug reguliert hätten. Das heißt, die Bankenwelt ist deshalb in die Krise geraten – das war die Schlussfolgerung seiner Logik –, weil wir nicht genug reguliert haben. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wer war Finanzminister?) Er hat als Vergleich ein Beispiel aus dem Verkehr genannt: Wenn jemand einen Unfall auf der Autobahn verursacht, weil er viel zu schnell gefahren ist, dann liegt das daran, dass wir kein Schild aufgestellt haben, das die Höchstgeschwindigkeit auf 100 Kilometer pro Stunde begrenzt. – Das ist die Logik der Banker. Deshalb ist es so wichtig, dass Sie Peer Steinbrück folgen, seine Vorschläge ernst nehmen und entsprechend regulieren. Sie sollten nicht behaupten, alles Notwendige sei schon geschehen. Es bleibt viel zu tun. Mit einer guten Regulierung sind wir auf dem richtigen Weg. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Lothar Binding war der letzte Redner in unserer Aussprache. Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe nun die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ausführungsgesetzes zur Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11883, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/11289 und 17/11690 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind wieder die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. – Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Raju Sharma, Jan Korte, Sevim Da?delen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Grundrechte der Beschäftigten von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen stärken – Drucksachen 17/5523, 17/10872 – Berichterstattung: Abgeordneter Ottmar Schreiner Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Wie ich sehe, sind alle damit einverstanden. Dann haben wir das gemeinsam beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Peter Weiß. Bitte schön, Kollege Peter Weiß. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 20. November dieses Jahres hat das Bundesarbeitsgericht ein höchstrichterliches, aber auch, wie ich finde, ein sehr kluges Urteil gefällt. Es hat festgestellt, dass das kirchliche Arbeitsrecht in den verfassungsrechtlich garantierten Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 140 Grundgesetz fällt. Ich hätte eigentlich erwartet, dass nach diesem eindeutigen und klaren Urteil des Bundesarbeitsgerichts die Fraktion Die Linke ihren Antrag zu den Grundrechten der Beschäftigten von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen zurückzieht. Wie wir leider feststellen müssen, macht sie das nicht, was zeigt, dass die Fraktion Die Linke ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts überhaupt nicht anficht, selbst wenn das, was im Antrag steht, diesem Urteil klar und eindeutig widerspricht. Das zeigt, was die Linken vom Rechtsstaat halten, nämlich nichts. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der LINKEN) So fordern die Linken in ihrem Antrag, wir, das Parlament, die Politiker, sollten entscheiden, dass kirchliches Arbeitsrecht nur für den verkündigungsnahen Bereich und nicht für den verkündigungsferneren Bereich – was immer das ist – gilt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das Bundesarbeitsgericht sagt klar und eindeutig, dass eine solche Einmischung in die innerkirchlichen Angelegenheiten der Neutralitätsverpflichtung des Staates widerspricht. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Klares Urteil!) Ein solcher Vorgang wäre keine Achtung der Trennung von Staat und Kirche, sondern eine massive staatliche Einmischung in die innerkirchliche Organisation und in innerkirchliches Leben. Das weisen wir im Sinne der Trennung von Kirche und Staat, wie sie unser Grundgesetz vorgibt, nachdrücklich zurück. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Macht auch keinen Sinn, was Sie da sagen!) Ein weiterer Punkt ist: Die Linke behauptet in ihrem Antrag, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst seien im Vergleich zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst oder im privaten Bereich strukturell benachteiligt. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist Quatsch!) Auch dazu sagt das Bundesarbeitsgericht eindeutig, dass die Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz nicht auf die Tarifautonomie und deren Wahrnehmung beschränkt ist, sondern auch sogenannte konsensuale Lösungen erfasst. Was ist damit gemeint? Damit ist gemeint, dass die Kirchen über einen sogenannten Dritten Weg ihr Arbeitsrecht und ihr Tarifgefüge weitgehend durch paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder, wie es im kirchlichen Sprachgebrauch heißt, von Dienstgebern und Dienstnehmern besetzte Kommissionen, die dauerhaft eingerichtet sind, regeln. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen aber auch die Gewerkschaften einbeziehen!) Das Bundesarbeitsgericht sagt: Jawohl, die Kirchen können das so machen; das ist so okay. Allerdings – und das ist sicherlich neu in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – darf dieses Selbstbestimmungsrecht der Kirchen mit diesen eigenen Regelungen, um zu Tarifen zu kommen, die koalitionsmäßige Betätigung der Gewerkschaften nicht ausschließen. Wenn sich die Gewerkschaften also am Dritten Weg beteiligen und in ihn eingebunden sind, dann ist das Recht aus Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes auch verwirklicht. Dann beklagen die Linken in ihrem Antrag, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst schlechter bezahlt würden. Ein Blick in die Tarifwerke zeigt aber, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das Gegenteil!) dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst, bei Caritas und Diakonie, durchweg besser bezahlt werden als in vergleichbaren privaten Einrichtungen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es! – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Was den Vergleich mit staatlichen oder kommunalen Einrichtungen anbelangt, werden sie zumindest in ähnlicher Weise bezahlt. Der einzige Vorwurf, der in der Vergangenheit zu Recht gemacht werden konnte, ist, dass es einzelne kirchliche Dienste und Einrichtungen gab und gibt, die aus dem Tarifwerk ausgeschert sind und nach eigenem Gusto ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezahlt haben. Deswegen ist es umgekehrt richtig – das sagt auch das Bundesarbeitsgericht, und das entspricht dem, was beide großen Kirchen ausdrücklich in ihren Gremien beschlossen haben –, dass ich kirchliches Arbeitsrecht nicht aufteilen kann. Entweder falle ich unter das kirchliche Arbeitsrecht – dann müssen alle Regelungen, auch die vereinbarten Tarifregelungen, eins zu eins angewendet werden –, oder ich falle nicht darunter. Wenn ich nicht darunterfalle, dann gilt selbstverständlich staatliches Arbeitsrecht, das Betriebsverfassungsgesetz usw. Deshalb ist kirchliches Arbeitsrecht kein Arbeitsrecht zweiter Klasse, und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen sind auch keine Beschäftigten zweiter Klasse. Kirchliches Arbeitsrecht ist einfach ein anderes Arbeitsrecht, das den speziellen Anforderungen des Kirchendienstes Rechnung trägt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich finde, wir als Parlament, als Politikerinnen und Politiker können eigentlich dankbar dafür sein, dass die Kirchen in unserem Land mit ihrer Caritas, mit ihrer Diakonie ein großartiges Leistungsangebot vor allem im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen vorhalten und dass dort hochmotivierte und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten. Dafür sollten wir diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einer solchen Debatte auch ausdrücklich danken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Klar ist auch, dass diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für diesen Dienst auch gute Löhne verdienen. Dafür kann in Tarifverträgen Sorge getragen werden. Dafür kann in Tarifwerken Sorge getragen werden, die eine Kommission, die paritätisch besetzt ist, schafft. Die Hauptsache ist, dass sich alle an diese Tarife halten. Dafür sollten wir uns einsetzen. Wir sollten diesen eigenen Weg, den die Kirchen gehen, nicht durch staatliche Einmischung zerstören oder tangieren, sondern – so wie es das Bundesarbeitsgericht getan hat – diese Eigenständigkeit achten und respektieren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Peter Weiß. – Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Ottmar Schreiner. Bitte schön, Kollege Ottmar Schreiner. (Beifall bei der SPD) Ottmar Schreiner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es handelt sich ja erkennbar um ein sensibles Thema, mit dem man sehr sorgfältig umgehen muss. Zunächst einmal ist es ein Verdienst der Antrag stellenden Fraktion – es ist ein Gebot der Fairness, Herr Kollege Weiß, das zu sagen –, dass dieses Thema parlamentarisiert worden ist. Die Kirchen sind – das wissen die wenigsten – nach dem öffentlichen Dienst der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland. Mitsamt den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden gibt es dort fast anderthalb Millionen Beschäftigte. Allein die Größenordnung macht das Thema zu einem öffentlichen und damit eben auch zu einem parlamentarischen Thema. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will eine zweite Bemerkung machen. Ich hoffe, das von Ihnen lang zitierte Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20. November dieses Jahres ist – zumindest für einige Zeit – das letzte Urteil. Es sieht ja so aus, als ob das Bundesverfassungsgericht nicht angestrengt werden soll. Ich halte das für eine wirkliche Chance, um aus den Schützengräben herauszukommen und nach vernünftigen Lösungen zu suchen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun kann man sich fragen, warum der Kampf um das Streikrecht in kirchlichen Betrieben ausgerechnet in dieser Zeit ausbricht. Über Jahrzehnte war Ruhe an der Front – um den Begriff zu benutzen, der Ihnen gefällt –, aber seit einer Reihe von Jahren haben wir es mit heftigen Konflikten zu tun. Der Kampf um das Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen ist, wie viele andere Konflikte auch, Folge eines grundlegenden Wandels bei der Festlegung der Lohn- und Arbeitsbedingungen auf dem Feld der sozialen Arbeit. Das lange geltende Prinzip der Kostendeckung wurde infolge politischen Handelns durch das Wettbewerbsprinzip ersetzt. Früher wurden die Kosten erstattet, die anfielen. Seit Jahren gilt nunmehr ein teilweise brutaler Lohnkostenwettbewerb. Ich will es einmal an einem kleinen Beispiel aus meinem Bundesland deutlich machen. Es gibt eine Gemeinsame Erklärung der Saarländischen Allianz für Krankenhäuser vom 8. November dieses Jahres, der übrigens Verdi, der Marburger Bund, die Träger der katholischen Krankenhäuser und die Träger der evangelischen Krankenhäuser angehören. Sie schreiben: Die stetig steigenden Personalkosten in den Krankenhäusern und die im Gegensatz hierzu nur gering steigende Vergütung für Krankenhausleistungen lässt die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben immer weiter auseinanderklaffen. Unter dem daraus entstehenden immer größeren wirtschaftlichen Druck leiden sowohl die Patienten als auch die Beschäftigten. Das sagen die kirchlichen Träger und die Gewerkschaften. Es ist ja auch klar: Im arbeitsintensiven Bereich der sozialen Dienste führt das Wettbewerbsprinzip zwangsläufig zu Lohndumping oder zum Stellenabbau oder zu beidem. Natürlich wird in der öffentlichen Diskussion als Erstes wahrgenommen, wenn Häuser mit christlichem Anspruch gegen diese Kernprinzipien verstoßen. Diese Grundtendenz des Wettbewerbsprinzips wird noch verstärkt durch die äußerst zersplitterte Tariflandschaft. Allein in der Diakonie gibt es Hunderte von unterschiedlichen Regelungen. Das begünstigt die Lohndumpingspirale weiter. Das heißt, der zentrale Konflikt verläuft nicht zwischen Kirchen und Gewerkschaften, sondern das zentrale Problem sind die Bedingungen der Refinanzierung sozialer Arbeit. Das ist der Kern des Problems. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Deshalb wäre es für die Gewerkschaften wie für die Kirchen, natürlich auch für die freien Wohlfahrtsverbände und für alle anderen Träger, ein großer Schritt nach vorne, wenn man sich auf einen gemeinsamen Branchentarif verständigen könnte, durch den die Tarifkonkurrenz untereinander beseitigt wird und durch den Druck in Richtung deutlich besserer, angemessenerer Bedingungen im Bereich der sozialen Dienste ausgeübt würde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist der Kern der ganzen Auseinandersetzung, Herr Kollege Weiß. Dabei sind nicht nur die Kirchen, die Gewerkschaften und die Wohlfahrtsverbände gefordert, sondern zuallererst sind wir hier in diesem Hohen Hause gefordert. Die Kernfrage lautet: Wie viel darf der menschenwürdige Umgang miteinander in den Krankenhäusern, in den Pflegeheimen, in den Kinderkrippen und in den Kindergärten kosten? Wie viel darf ein menschliches Miteinander in den Einrichtungen kosten, die auf menschliche Zuwendung in allen Bereichen dringendst angewiesen sind? Was darf das die Gesellschaft kosten? Diese Fragen haben zuallererst wir zu beantworten. Insofern ist das eine Debatte, die nicht nur die Gewerkschaften, etwa Verdi, oder die Linkspartei oder die Kirchen angeht, sondern es ist eine Debatte, die im Zentrum uns selbst betrifft. Die gennannten Fragen haben wir also zu beantworten. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Ottmar Schreiner. – Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Dr. Heinrich Kolb. Bitte schön, Kollege Dr. Kolb. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schreiner, ich bin immer wieder überrascht über Ihre Geschichtsvergessenheit. Sie stellen sich hierhin und fragen mit Verweis auf ein Krankenhaus: Was darf Zuwendung kosten? Ich frage mich: Haben Sie wirklich vergessen, wer die Fallpauschalen in Deutschland eingeführt hat? (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das doch jetzt nicht bei diesem Thema! – Gegenruf des Abg. Otto Fricke [FDP]: Aber so ist es doch!) – Doch, auch bei diesem Thema, Frau Müller-Gemmeke. Der Kollege Schreiner hat es angesprochen: Es war die Kollegin Ulla Schmidt, die zu Ihrer Regierungszeit den Kostendruck, den Sie heute hier beweinen, eingeführt hat. Das geht so nicht! (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Kerstin Griese [SPD]: Die Pflegeversicherung haben wir zusammen eingeführt!) Im Übrigen will ich feststellen – ich habe heute eine sehr kurze Redezeit –: Auf ihrem Weg der Skandalisierung der Gesellschaft sind die Linken jetzt bei den Kirchen angekommen. Jetzt muss festgestellt werden: Auch da läuft alles schief. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden geknechtet. – Ich muss Ihnen hier sehr deutlich sagen: Wir als FDP-Fraktion sind nicht bereit, diesen Weg mitzugehen. Ich glaube, es gibt gute historische Gründe dafür, dass die Kirchen ein Arbeitsrecht sui generis, also eigener Art, haben. Dieses Recht sieht den Verzicht auf Arbeitskämpfe vor und schreibt vor, dass über Löhne und andere Tariffragen in arbeitsrechtlichen Kommissionen entschieden wird. Das hat sich in der Vergangenheit bewährt. Ich sehe das unverändert als ein bewährtes Modell an, allen Unkenrufen und allen Skandalisierungsversuchen der Linken zum Trotz. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Angesichts dessen muss man das Ganze auch an den Ergebnissen messen. Es ist zu Recht gesagt worden und auch in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales deutlich gemacht worden, dass in kirchlichen Einrichtungen regelmäßig über Tarif bezahlt wird, dass die Arbeitsbedingungen dort also alles andere als schlecht sind. In der Regel ist dort ein anständiges Verhältnis zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer an der Tagesordnung. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und in den Servicegesellschaften?) Es mag sein – der Kollege Peter Weiß hat es hier vorgetragen –, dass im Einzelfall in kirchlichen Einrichtungen manches nicht so gelaufen ist, wie man es sich vorstellen würde. Aber man muss den Kirchen zugestehen, dass hier die Selbstheilungskräfte wirksam werden. Ich glaube, dass die Kirchen mittlerweile aufgrund der öffentlichen Diskussion sehr sensibilisiert sind, was dieses Thema anbelangt. Ich glaube, dass wir auch nach dem richtungsweisenden Urteil des Bundesarbeitsgerichts in dieser Frage erleben werden, dass die Kirchen, gerade um ihren eigenen Weg sicherzustellen, in Zukunft Missbräuche, wie sie bisher punktuell aufgetreten sind, sehr sensibel angehen und bekämpfen werden. (Beifall des Abg. Pascal Kober [FDP]) Wir sehen den Gesetzgeber hier also ausdrücklich nicht in der Pflicht, über eine Änderung des Grundgesetzes – wie Sie es vorschlagen – den sogenannten Dritten Weg zu beseitigen; das kommt für uns ausdrücklich nicht infrage. Es ist jahrzehntelanges, etabliertes Recht, diesen Dritten Weg zu gehen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist kein Argument!) Wir werden dies auch in Zukunft für richtig halten und Ihre Versuche abwehren, diesen Weg sozusagen ins Abseits zu stellen. Es gibt dafür aus unserer Sicht keinen Grund. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Kolb. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Raju Sharma. Bitte schön, Herr Kollege Sharma. (Beifall bei der LINKEN) Raju Sharma (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach unserer Verfassung haben die Kirchen das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu organisieren, selbst zu regeln. Das betrifft auch das Kirchenarbeitsrecht. Im Rahmen des Kirchenarbeitsrechts gilt das sowohl für das kollektive Arbeitsrecht, also für Fragen der Lohnforderungsdurchsetzung und für Fragen des Streikrechts, als auch für das individuelle Arbeitsrecht der insgesamt 1,3 Millionen Beschäftigen. Das heißt, die Kirchen definieren selbst, wie die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigen aussehen, in welchem Rahmen Gewerkschaften zugelassen werden, um an der Seite der Beschäftigten Lohnforderungen durchzusetzen, und in welchen Formen das passiert. Das Ganze führt zu einer strukturellen Benachteiligung. Wir Linke empfinden das als ungerecht. (Beifall bei der LINKEN) Aber nicht nur wir empfinden das als ungerecht, sondern auch viele Beschäftigte. Sie wollen gegen diese Ungerechtigkeit vorgehen, indem sie Gerichte anrufen. Die Muster, nach denen die Gerichte entscheiden – der Kollege Weiß hat schon die jüngste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts genannt –, sind eigentlich immer die gleichen: Im Einzelfall, so stellen die Gerichte fest, gab es Ungerechtigkeiten; da wird den Betroffenen recht gegeben. Aber die Struktur des Dritten Weges, nämlich das Recht der Kirchen, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, wird von den Gerichten im Prinzip bestätigt. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das muss Sie doch nachdenklich machen!) Das ist für die Betroffenen im Einzelfall schön, aber das ist so, wie wenn man Unkraut beseitigen will: (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Schwieriger Vergleich, Herr Kollege!) Wenn man nur ein bisschen an den missliebigen Trieben herumschnippelt, aber die Wurzel drinlässt, bleibt die Struktur problematisch. (Zuruf des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP]) – Sie können sich nachher gern zu Wort melden. Sie kommen ja sogar noch zu Wort, Herr Ruppert. Also bitte! (Otto Fricke [FDP]: Ja, sehr gut erkannt!) Die Beschäftigten suchen Hilfe bei Gericht, aber sie erhalten die Hilfe bei Gericht nicht. Deswegen gilt eine alte Volksweise – ich zitiere jetzt mit Genehmigung des Präsidenten –: Es rettet uns kein höh’res Wesen kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dafür haben Sie bestimmt keine Genehmigung des Präsidenten!) – Danke schön. „Selber tun“, wie es in dieser Volksweise heißt, das betrifft nicht nur die Beschäftigten selbst, die ja selber etwas tun können, die mithilfe ihrer Gewerkschaften für bessere Lohnbedingungen, für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen können. Das tun sie ja auch. Ich kann die Beschäftigten eigentlich nur ermutigen, mit den Gewerkschaften zusammen nicht zu warten, bis ihnen Rechte, auch Streikrechte, zugeteilt werden, gnädig zugewiesen werden, sondern ihre Rechte beherzt und mutig in die Hand zu nehmen, sich die Rechte zu nehmen, die ihnen ohnehin schon zustehen. (Beifall bei der LINKEN) „Selber tun“, das betrifft auch uns hier im Parlament; das hat der Kollege Schreiner völlig zu Recht gesagt. Auch wir können selber etwas tun. Die Linke hat dazu im April 2011 einen Antrag vorgelegt, der vorsieht, dass die Beschäftigten bei den Kirchen und kirchlichen Einrichtungen die gleichen Rechte bekommen wie andere Beschäftigte auch. Wir finden das auch völlig legitim. Nun habe ich nicht erwartet, als wir diesen Antrag vorgelegt haben, dass es von der rechten Seite des Hauses große Zustimmung geben wird. Das ist heute bestätigt worden. Sie wollen an dem festhalten, was es immer schon gab, weil es das immer schon gab; daran soll nichts geändert werden. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wir achten die Verfassung! Das ist der Punkt! Das könnte die Linke auch tun!) Wir stellen fest: Es gibt Ungerechtigkeiten. Das stellen auch die Beschäftigten fest; wir haben es im Ausschuss gehört. Ich spreche jetzt nicht so sehr Sie von der Koalition an; von Ihnen habe ich nichts anderes erwartet. Ich wende mich jetzt einmal an die Kolleginnen und Kollegen von Grünen und SPD, die ja auch eine sehr kritische Haltung zum Kirchenarbeitsrecht und zum Dritten Weg haben. Sie haben gesagt: Das alles ist richtig. – Sie teilen unsere Kritik, aber Sie teilen den Weg nicht, und Sie teilen die Schärfe des Antrags nicht. Deswegen werden die Grünen sich kraftvoll enthalten. Zur SPD. Ich freue mich natürlich über das Lob des Kollegen Schreiner, der sagt: Sie haben ein wichtiges Thema beleuchtet. Aber im Ergebnis werden wir Ihren Antrag ablehnen. – (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht ist einfach der Weg falsch!) Das Lob ist schön, aber das hilft den Beschäftigten überhaupt nicht. Wozu führt das jetzt? Das führt dazu, dass wir in den kommenden Wahlkämpfen sagen können: Wir haben einen Antrag vorgelegt, nach dem die Rechte der Beschäftigten gestärkt würden – immerhin geht es um 1,3 Millionen Beschäftigte –, und die und die und die und die im Hause haben gesagt: Da gehen wir nicht mit. – Davon haben wir nichts. Deswegen werbe ich noch einmal bei den Grünen und auch bei den Genossinnen und Genossen von der Sozialdemokratie darum: Dann legen Sie bitte eigene Anträge vor! (Beifall bei der LINKEN) Wir können gemeinsam darüber reden. Lassen Sie uns im Interesse der Beschäftigten etwas erreichen! Und was könnten wir erreichen, wenn wir schreiten Seit’ an Seit’! (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und jetzt alle!) Bitte legt was vor! Wir sind dabei! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Beate Müller-Gemmeke. Bitte schön, Frau Kollegin Beate Müller-Gemmeke. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Vielleicht würde sie ja mitschreiten!) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Kirchen haben ein Selbstbestimmungsrecht, und vor diesem Hintergrund ist der Dritte Weg entstanden. Auf den ersten Blick scheint also alles ganz einfach. Inzwischen beschäftigen sich aber die Gerichte mit dem kirchlichen Arbeitsrecht. Vor allem hören wir von den Mitarbeitervertretungen lautstark Kritik. Deswegen beschäftigen wir Grüne uns schon länger mit dem kirchlichen Arbeitsrecht. Wir haben dazu eine Kleine Anfrage gestellt und zwei Fachgespräche durchgeführt. Das Thema ist komplex. Deshalb ist die Debatte in unserer Fraktion auch noch nicht abgeschlossen. Wir werden uns heute beim Antrag der Linken enthalten. Auch weil uns die Debatte und die Diskussion wichtig sind. Wir nehmen das Thema und vor allem die Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen ernst. Das sollten Sie, die Regierungsfraktionen, auch tun. Herr Weiß, Herr Kolb, Augen zu und durch ist einfach zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Was ist Ihr Lösungsvorschlag?) Ich möchte kurz drei Aspekte ansprechen: Erstens die kirchlichen Loyalitätspflichten: Wenn die private Lebensführung im verkündigungsfernen Bereich zur Kündigung führen kann, dann ist das heute schlichtweg nicht mehr zeitgemäß. Damit muss sich die katholische Kirche auseinandersetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin Müller-Gemmeke, Sie sehen, dass eine Zwischenfrage des Kollegen Otto Fricke angemeldet ist. Gestatten Sie diese? Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön, Kollege Otto Fricke. Otto Fricke (FDP): Frau Kollegin Müller-Gemmeke, damit es nachher nicht zu einer Verschiebung der Wahrnehmung führt, frage ich, ob das, was Sie jetzt sagen, mit der Meinung Ihrer Spitzenkandidatin und der Vizepräsidentin in Einklang steht, (Zuruf des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) oder muss ich nachher hören, dass das die Meinung der Grünen ist, aber nicht die von Frau Göring-Eckardt? (Raju Sharma [DIE LINKE]: Was sagt denn Ihr Spitzenkandidat?) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei den Loyalitätspflichten sind wir uns einig. Wir machen Antidiskriminierungspolitik. Dieses Thema gehört schlichtweg dazu. Von daher können Sie diese, wie ich finde, langsam lächerlichen Angriffe lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen. Das ist in Ihrer Partei sicher auch so. (Otto Fricke [FDP]: Aber ist sie es oder nicht?) Wir sind eine bunte Partei und haben unterschiedliche Meinungen. Aber in diesem Punkt sind wir uns einig. Von daher hätten Sie sich diese Frage sparen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Anton Schaaf [SPD]) Ich sage es noch einmal: Mit den Loyalitätspflichten muss sich die katholische Kirche auseinandersetzen. Ob jemand homosexuell ist, ob sich jemand scheiden lässt, ob jemand wieder heiratet oder aus der Kirche austritt: Das ist für uns Privatsache. Das Eintreten dafür ist Teil unserer Antidiskriminierungspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Zweitens das Streikrecht: Dazu gab es ein BAG-Urteil. Die obersten Arbeitsrichter haben das absolute Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen aufgehoben. Gleichzeitig wurde aber das kirchliche Selbstbestimmungsrecht bestätigt. Insofern sind Streiks dann doch wieder ausgeschlossen, aber nur unter eindeutigen Voraussetzungen. Laut BAG-Urteil müssen die Kirchen das Koalitionsrecht akzeptieren. Sie müssen die Gewerkschaften einbinden und die Verhandlungsergebnisse dann auch wirklich verbindlich umsetzen. Dieser letzte Aspekt ist mir ein besonderes Anliegen; denn gerade die Diakonie hat hier viel Spielraum, den sie auch nutzt, und zwar zulasten der Beschäftigten. In diesen Fällen droht den kirchlichen Einrichtungen zukünftig Streik – und ich meine: zu Recht. Dennoch wurden mit diesem Urteil beide Seiten – Kirchen und Gewerkschaften – gleichermaßen gestärkt. Die Erfurter Richter setzen auf Kompromiss und auf Verständigung. Vielleicht bringt das Bewegung in die bislang unversöhnlichen Positionen. Wir würden das begrüßen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Damit bin ich beim dritten Aspekt, der Situation allgemein: Wir alle wissen, dass die Einführung des Wettbewerbs im sozialen Bereich eine politische Entscheidung war. Kollege Schreiner hat es gerade ausführlich dargestellt. Mittlerweile ist – auch in kirchlichen Einrichtungen – der Kostendruck enorm. Der Wettbewerb gefährdet die Qualität und geht zulasten der Beschäftigten, und das ist nicht akzeptabel. Meiner Meinung nach brauchen wir Arbeits- und Entlohnungsbedingungen, die für alle Anbieter im sozialen Bereich gleichermaßen gelten. Dafür haben wir eigentlich das Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung. Die Kirchen aber lehnen Tarifverträge ab. Das Tarifvertragsgesetz hingegen kennt keine kirchlichen Entgeltregelungen, und das ist für mich auch nicht verhandelbar. Genau dieser Konflikt muss gelöst werden. Hierfür tragen alle Verantwortung, auch die Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir brauchen qualitativ gute soziale Dienste. Notwendig sind faire Löhne, gute Arbeitsbedingungen und auch eine Mitbestimmung auf Augenhöhe. Eine radikale Änderung per Gesetz funktioniert nicht. Wir dürfen uns nicht wegducken; wir müssen uns einmischen, wir müssen Anforderungen formulieren und im Dialog Lösungen entwickeln; denn die soziale Arbeit braucht endlich gesellschaftliche sowie politische Wertschätzung und Anerkennung. Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen, liebe Regierungsfraktionen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Gemmeke. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Ulrich Lange. Bitte schön, Kollege Ulrich Lange. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ulrich Lange (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben dieses Thema bereits vor eineinhalb Jahren diskutiert, und wir waren uns auch im Großen einig – die SPD-Fraktion und die Koalition für den Dritten Weg, die Linken klar dagegen. Das haben wir jetzt noch einmal gehört mit Verweis auf die Internationale und die Volksweise „Seit’ an Seit’“. Das ist natürlich Ideologie, darum geht es Ihnen. Zu den Grünen, Frau Kollegin Müller-Gemmeke: So einfach verhält es sich natürlich nicht, wie Sie es in der Antwort auf die Zwischenfrage des Kollegen von der FDP dargestellt haben. Sie haben auf der einen Seite auf dem Parteitag in Kiel etwas beschlossen. Sie haben auf der anderen Seite eine Spitzenkandidatin, die ganz offensiv in die Kirche hineinwirken möchte, (Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und die in Die Welt Online auf die Frage, wie sie zum kirchlichen Arbeitsrecht steht, geantwortet hat – ich zitiere –: „Es gibt bei uns viele Menschen, die sich klar zum christlichen Glauben bekennen.“ Diese Antwort besagt schon alles. Aber das Bekenntnis der EKD-Ratsvorsitzenden zu ihren kirchlichen Arbeitseinrichtungen hat sie im Interview nicht abgeben können. Da möchte ich dann doch wissen, wo Sie wirklich stehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch billig, was Sie da machen! Das ist unverschämt! Herr Lange, das ist unanständig! Richtig eklig!) Die durchaus unterschiedlichen Entscheidungen des BAG sind Einzelfallentscheidungen. Wir alle wissen das; solche Entscheidungen ergehen. Wir sprechen heute – das ist auch wieder einmal typisch – über ein Urteil, dessen Begründung wir nicht kennen. Wir alle legen in dieser Debatte inzidenter die Presseerklärung des BAG vom 20. November zu zwei Entscheidungen zum Zweiten und zum Dritten Weg aus – das möchte ich bitte klar unterscheiden –, wobei wir Folgendes feststellen können: zum einen die Bestätigung der sogenannten Kirchenautonomie des Dritten Weges und zum anderen, dass die bisherige Rechtsprechung zum generellen Streikverbot insoweit aufgehoben wurde, als dass es Gewerkschaften möglich sein muss, sich innerhalb des Dritten Weges koalitionsmäßig betätigen zu können. Soweit die Presseerklärung des Bundesarbeitsgerichtes. Ich bitte darum, diese hier genau beschriebene Grundrechtskollision (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich genau so zitiert!) als solche anzuerkennen und zu versuchen, sie entsprechend aufzulösen. So verfährt auch das BAG in seiner Pressemitteilung, indem es ganz klar sagt: Die Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG sind allerdings nicht auf die Tarifautonomie beschränkt, sondern erfassen auch konsensuale Lösungen. Dann verweist es ganz ausdrücklich auf den schonenden Ausgleich nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz. Dort wird noch einmal ganz genau ausgeführt, dass bei der vorzunehmenden Güterabwägung sich aufseiten der Religionsgemeinschaften Maß und Gewicht der Beeinträchtigung nach ihrem Selbstverständnis, also dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften, bestimmen. Die Urteilsbegründung wird für uns sicherlich noch interessant werden. Ich gehe einmal davon aus, dass wir uns spätestens nach Veröffentlichung der Urteilsbegründung hier wieder treffen, weil eine Reihe von Fragen noch offen ist, zum Beispiel, wie eine Zusammensetzung kirchenferner Personen mit Mitgliedern dieser Dienstgemeinschaft funktionieren soll und welche praktischen Auswirkungen das auf das bisher gut funktionierende Modell haben wird. Die Entscheidungen des 20. November haben sicherlich Auswirkungen auf unsere Beurteilung des Dritten Weges. Aber eines, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ist auch klar: Die von Ihnen aufgestellten Forderungen werden durch die Urteile des BAG ausdrücklich nicht gestützt. Es handelt sich dabei um Einzelfallentscheidungen. Und das BAG hat auch klargemacht: Der Dritte Weg ist mehr. Er ist nicht kirchliches Arbeitsrecht, nicht Kollektivarbeitsrecht, nicht Tendenzbetrieb im Sinne des § 118 Abs. 1 BetrVG, sondern es handelt sich hier um Recht sui generis. Auf das Individualarbeitsrecht möchte ich nicht mehr eingehen; das haben wir im Rahmen der ersten Debatte zu dem Antrag bereits getan. Aber eines ist klar: Auch in diesem Bereich hat das BAG seine grundsätzliche Rechtsprechung nicht geändert. Ich halte also fest: Es gibt Einzelfallentscheidungen, aber sicherlich kein generelles Streikrecht für Gewerkschaften in Kirchen. Vielmehr wurde gerade dies abgelehnt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nach unserer Auffassung besteht derzeit kein legislativer Handlungsbedarf. Kirchliches Arbeitsrecht und Verfassungsrecht entwickeln sich allerdings in Kontexten; das möchte ich sehr deutlich sagen. Das heißt, das Recht prägt die gesellschaftliche Praxis, und die gesellschaftliche Praxis prägt das Recht. Diesem Grundsatz müssen sich auch die kirchlichen Arbeitgeber in besonderer Weise bewusst sein. Das heißt, Dienstgemeinschaft will gelebt werden. Das heißt, es muss eine Balance zwischen den aus der Dienstgemeinschaft und dem kirchlichen Verständnis heraus wirkenden Grundeinsichten und der praktischen Verwirklichung gefunden werden. Das ist manchmal nicht einfach. Wo dies nicht gelingt – das will ich für unsere Fraktion ganz deutlich sagen –, führt der Dritte Weg zwangsläufig zu Akzeptanzverlust. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: So ist es!) Letztlich glaube ich, dass nicht wir über die Frage des kirchlichen Individual- oder Kollektivarbeitsrechtes entscheiden, sondern die Entscheidung muss sich aus einer Reflexion der kirchlichen Dienste und daraus folgendem glaubwürdigen Handeln ergeben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Ulrich Lange. – Nächste Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unsere Kollegin Frau Kerstin Griese. Bitte schön, Frau Kollegin. (Beifall bei der SPD) Kerstin Griese (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beide Seiten des Hohen Hauses machen es sich hier etwas zu einfach. Der Antrag von den Linken ist inzwischen überholt und veraltet. Er bleibt auch nur an der Oberfläche und benennt die Ursachen des Problems nicht. Und Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, verschließen völlig die Augen davor, dass es sehr wohl Probleme im sozialen Sektor und auch im Bereich der in den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden Beschäftigten gibt. So einfach geht es nicht. Das Problem ist ein bisschen komplizierter. Und bei aller Liebe zum Juristischen – wir müssen es nun mal auch politisch bewerten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach den Urteilen des Bundesarbeitsgerichtes vom 20. November, die hier schon vielfach zitiert wurden, ist klar: Das kirchliche Arbeitsrecht kann nicht abgeschafft werden. Aber dieses Urteil hat einige Hausaufgaben aufgegeben und vorgegeben, in welche Richtung es jetzt gehen muss. Wir müssen die genaue Begründung des Urteils abwarten, aber schon jetzt wissen wir: Erstens. Den kirchlichen Beschäftigten kann das Streiken nicht generell verboten werden. Ich finde, das ist eine gute Entscheidung. Zweitens hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, dass die Kirchen sehr wohl das Recht haben, weiterhin den Dritten Weg zu wählen. Auch das ist richtig und verfassungsgemäß. Drittens hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil zu dem Fall in Hamburg festgestellt, dass das besondere Modell, das in Norddeutschland und auch hier in Berlin-Brandenburg gewählt wurde, nämlich der Zweite Weg, sehr wohl auch gewählt werden kann. Es können also Tarifverträge zwischen Kirchen und Gewerkschaften unter Ausschluss von Streik und Aussperrung abgeschlossen werden. Das sind weise Urteile. Wir müssen jetzt schauen, welche Chancen wir haben, um die Mitarbeiterrechte, die Position der Mitarbeiter und die soziale Arbeit in Deutschland zu stärken; denn darum geht es uns als Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich finde es gut, wenn jetzt ein Weg gefunden wird, über den Dritten Weg das Streikrecht zu ermöglichen. Ich appelliere ausdrücklich an alle Beteiligten, das möglich zu machen. Wichtig ist uns, dass der verfassungsrechtliche Anspruch der Kirchen, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, selbstverständlich akzeptiert wird. Völlig klar ist für uns auch, dass zum Auftrag der Kirchen die soziale Arbeit dazugehört – zu wem denn auch sonst? Man braucht doch nur in die Geschichte zu blicken: Hospizarbeit, Kinderbetreuung und Altenpflege gehören sehr wohl zu christlichem Handeln dazu. Aber selbstverständlich fordern wir von der SPD, dass vorhandene Missstände behoben werden müssen, und sagen ganz klar: Outsourcing und Leiharbeit passen nicht zum selbst gesteckten Anspruch der Kirchen. (Beifall bei der SPD) Das kirchliche Arbeitsrecht muss reformiert werden. Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin Griese, Sie merken, dass sich der Kollege Peter Weiß gemeldet hat. Sie gestatten die Zwischenfrage? Kerstin Griese (SPD): Natürlich. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Kollegin Griese, da Sie selbst im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Wohlfahrtsorganisation der evangelischen Kirche, an oberster Stelle Leitungsverantwortung getragen haben, möchte ich Sie fragen: Ist es nicht so, dass die Probleme, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen, diakonischen oder karitativen Dienst haben, daraus resultieren, dass sich einzelne Institutionen, die dem Diakonischen Werk oder der Caritas angehören, nicht an die in ihren Verbänden geltenden Tarifregelungen allgemeiner Art gehalten haben, sondern versucht haben, über Outsourcing und Ähnliches aus dem Tarif auszusteigen? Ist das nicht ein Problem, das die Leitungen zum Beispiel der Caritas und der Diakonie und die Leitungen der evangelischen und der katholischen Kirche regeln müssen, indem sie in ihren rechtlichen Regelungen klarstellen: „Zu uns kann nur gehören, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht kann nur wahrnehmen, wer die Tarifregelungen anwendet; wer sie nicht anwendet, ist eben draußen“? Da Sie in diesem Bereich Leitungsverantwortung getragen haben und es aus eigener Anschauung kennen, bitte ich Sie, dazu ein klares Wort zu sprechen: Wer trägt die Verantwortung, und wer muss konsequent regeln, dass man den kirchlichen Tarifregelungen nicht entfliehen kann? Kerstin Griese (SPD): Lieber Herr Kollege Weiß, das tue ich sehr gerne; denn Sie sprechen ein wichtiges Problem an. Da Sie bei der Caritas – viele Jahre länger als ich bei der Diakonie – einen Blick von innen auf diese Arbeitsverhältnisse hatten, können wir, glaube ich, beide sagen: Ein Teil der Hausaufgaben, die uns das Bundesarbeitsgericht aufgegeben hat, ist der Appell, der deutliche Auftrag an Kirchen, Diakonie und Caritas, sich an ihre selbst gesteckten Regeln zu halten. Auch ich als Vertreterin der Politik fordere das ausdrücklich von Diakonie und Caritas ein; selbstverständlich muss man sich an die geschlossenen Tarifverträge und an die Arbeitsvertragsrichtlinien halten. Es ist interessant, dass das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil sagt: Wenn man sich nicht daran hält, ist Streiken sehr wohl erlaubt. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Richtig!) Insofern ist ganz klar: Die Vielfalt – manche sagen auch: die Zerklüftung – der Tarifverträge im Bereich der Kirchen und der kirchlichen Wohlfahrtsverbände muss überwunden werden; da müssen einheitliche Regelungen geschaffen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Vielen Dank!) Das Bundesarbeitsgericht hat gesagt: Die Gewerkschaften müssen beteiligt werden; wörtlich heißt es, sie müssten „organisatorisch eingebunden“ sein. Auch da geht mein Appell an Diakonie und Caritas: Die Gewerkschaften organisatorisch einzubinden, heißt nicht, dass sie einfach nur dabei sein sollten, dass einfach nur ein Mitarbeitervertreter gewählt werden kann, der Gewerkschaftsmitglied ist. Vielmehr heißt es, dass eine strukturelle Beteiligung der Gewerkschaften gewährleistet sein muss. Das ist eine der Konsequenzen aus dem Urteil. Die zweite Konsequenz haben wir schon eben in unserem kleinen Dialog angesprochen: Die Arbeitgeberseite darf nicht aus geschlossenen Tarifverträgen und vor beschlossenen Arbeitsvertragsrichtlinien flüchten. Hier wird mehr Verbindlichkeit eingefordert. Die eine Seite kann nicht einfach einen anderen Vertrag wählen, weil es ihr besser passt. Das geht nicht, und das müssen wir, der Bundestag, den Kirchen, der Diakonie und der Caritas ausdrücklich sagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Urteil hat aber auch den Gewerkschaften eine Hausaufgabe aufgegeben: Sie dürfen sich einer Mitarbeit in den Gremien nicht verweigern, sondern müssen sich dort tatsächlich konstruktiv einbringen. Deshalb sage ich ausdrücklich: Wir, die SPD, begrüßen alle Äußerungen von Verdi, von den Gewerkschaften, von Diakonie, Caritas und Kirchen, die jetzt ausdrücklich sagen, dass es um die Zusammenarbeit geht. Denn der gemeinsame Gegner aller, die im sozialen Bereich arbeiten, der gemeinsame Gegner von Kirchen, ihren Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften ist der ruinöse Wettbewerb in der Sozialbranche. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn es so weitergeht, werden die privaten Träger, die mit ihrem Lohndumping die Preise und die Löhne drücken, mehr und mehr Platz gewinnen. Ich nenne ein paar Zahlen: In der stationären Pflege befinden sich inzwischen circa 40 Prozent in privater Trägerschaft; nur noch 55 Prozent liegen in frei-gemeinnütziger Verantwortung und nur 5 Prozent in öffentlicher, kommunaler Verantwortung. In der ambulanten Pflege werden schon 60 Prozent von privaten Trägern übernommen, und sie sind es, die für das Lohndumping verantwortlich sind. (Willi Zylajew [CDU/CSU]: Die Pflegekassen!) Deshalb hat mein Kollege Ottmar Schreiner zu Recht gesagt: Das, was wir brauchen – das ist nicht nur eine Aufgabe der Kirchen, Herr Kollege Weiß, sondern sehr wohl auch eine Aufgabe der Politik bzw. eine gemeinsame Aufgabe der Kirchen, der Gewerkschaften und der Politik –, ist ein Branchentarifvertrag Soziales, der für allgemeinverbindlich erklärt werden muss, um bessere Bedingungen für die Menschen zu schaffen, die im sozialen Bereich arbeiten, und für die Menschen, die dort gepflegt und betreut werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Ruppert für die SPD-Fraktion, Entschuldigung, FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Einmal bei Frau Griese geklatscht, schon wird man in die SPD verfrachtet!) Dr. Stefan Ruppert (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In meiner Großvatergeneration hat das mit der Mitgliedschaft in der SPD aufgehört. Danach hat sich die Familie anders entwickelt. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das wird immer vererbt!) Lassen Sie uns auf das Grundsätzliche dieser Debatte zurückkommen. Wir reden hier über einen Ausfluss der Religionsfreiheit. Die bisherige Debatte hat gezeigt, welche Fraktionen die Religionsfreiheit und ihre Konsequenzen besonders ernst nehmen und hochhängen. Das sind die beiden Fraktionen auf der rechten Seite dieses Hauses, während auf der linken Seite eine gewisse religiöse Amusikalität vorzuherrschen scheint, wenn man sich die Tonalität des Antrages ein bisschen näher betrachtet. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll das denn? – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Unsinn! – Ottmar Schreiner [SPD]: Dann singen Sie mal ein Kirchenlied! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Ich habe mich früher gefragt, ob mein Vater, der so laut in der Kirche neben mir singt, das etwas leiser tun könnte. Heute tue ich es aus Inbrunst ebenfalls laut und ebenfalls falsch, das will ich Ihnen ersparen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Die Religionsfreiheit ist ein wichtiges Grundrecht. Dieses Grundrecht hat unter anderem zur Folge, dass es ein kirchliches Selbstbestimmungsrecht im Staatskirchenrecht gibt, und dieses gilt es, ernst zu nehmen. Ein Antrag der Linken kann eine grundrechtliche Situation nicht einfach so ändern, wie Sie sich das vorstellen. Auch das Bundesarbeitsgericht hat dies im Grundsatz bestätigt. Hier im Haus hat eine Sachverständigenanhörung stattgefunden, in der der Dritte Weg mehrheitlich sehr stark bestätigt wurde. Auch hier hätte Ihr Antrag keine Zustimmung erfahren. Ich glaube, in Ihrem Antrag geht es mehr um Symbolik als darum, das Problem sachlich in den Griff bekommen zu wollen. Man muss sagen: Die Kirchen haben reagiert. Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche haben erkannt: Es gibt in Teilen des Arbeitsrechts Probleme im kirchlichen Bereich, weil einzelne Institutionen dem eigenen Anspruch der Kirche nicht gerecht werden. Die Kirchen haben reagiert und gesagt: Es ist nicht in Ordnung, dass es Missstände gibt, dass man dem eigenen Anspruch in Teilen nicht gerecht wird. Ich glaube, wir können darauf vertrauen, dass die kirchlichen Institutionen wie Diakonie und Caritas Wert darauf legen, dass ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ordentlich beschäftigt werden. Lassen Sie mich zum Schluss einen weiteren Punkt nennen. Als Christ wünsche ich mir manchmal auch, dass christliches Profil im Tun dieser Institutionen deutlicher zum Ausdruck kommt. Manche Institution an der Peripherie der Kirche hat vielleicht mit dem eigentlichen Auftrag nicht mehr so viel zu tun. Deswegen tun die Kirchen gut daran, sich dort auf die christliche Botschaft der Nächstenliebe zu konzentrieren, wo sie exemplarisch gelebt werden kann; (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ottmar Schreiner [SPD]: Das täte der FDP auch ganz gut!) denn wer – das sollten Sie bei Ihren Einlassungen berücksichtigen – schon einmal gespürt hat, mit welchem Enthusiasmus und mit welcher Motivation kirchliche Mitarbeiter in den Einrichtungen tätig werden, der hätte über die Zustände nicht so gesprochen, wie Sie es getan haben, Herr Schreiner und Herr Sharma, sondern Sie hätten festgestellt, dass durchaus sehr viele motivierte und nicht geknechtete Mitarbeiter tätig sind. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Grundrechte der Beschäftigten von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10872, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5523 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, FDP und SPD, die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt, Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten. (Manuel Höferlin [FDP]: Die SPD hatte eine abweichende Stimme!) – Bei der SPD gab es eine abweichende Stimme? War das so? – Es gab eine Gegenstimme in der SPD. Entschuldigung, das habe ich nicht gesehen. Dann nehmen wir das in das Protokoll auf. Vielen Dank. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln (Mietrechtsänderungsgesetz – MietRÄndG) – Drucksache 17/10485 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/11894 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Eva Högl Ingo Egloff Stephan Thomae Halina Wawzyniak Ingrid Hönlinger b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – zu dem Antrag der Fraktion der SPD Soziales Mietrecht erhalten und klimagerecht verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Halina Wawzyniak, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wohnen muss bezahlbar bleiben – zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Ingrid Hönlinger, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mietrechtsnovelle nutzen – Klimafreundlich und bezahlbar wohnen – Drucksachen 17/9559, 17/10776, 17/10120, 17/11894 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Eva Högl Ingo Egloff Stephan Thomae Halina Wawzyniak Ingrid Hönlinger Über den Entwurf eines Mietrechtsänderungsgesetzes der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Zwischen den Fraktionen ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Das ist dann so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Stephan Thomae für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stephan Thomae (FDP): Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland ist ein Land der Mieter und der Vermieter. Es gibt in Deutschland 40 Millionen Wohnungen. Davon sind 24 Millionen Mietwohnungen. Über 40 Prozent der Deutschen wohnen zur Miete. In anderen, vergleichbaren Ländern Europas ist der Anteil eigengenutzten Wohnraums viel höher. Deshalb ist das Mietrecht ein ungemein wichtiges Regelungsgebiet unseres bürgerlichen Rechts. Es ist auch sehr politisch, weil sehr viele Menschen davon betroffen sind. Zum Mietverhältnis gehören immer zwei: Mieter und Vermieter. Vom Vermieter wird erwartet, dass er in den Wohnraum investiert. Neuer Wohnraum muss gekauft und gebaut werden, damit Mietwohnungen entstehen können. Wohnraum muss modernisiert und in Schuss gehalten werden, weil anderenfalls der Bestand an zeitgemäßen Wohnungen knapp wird und dann auch die Mieten steigen. All das muss finanziert werden. Der Vermieter muss Zins und Tilgung für die Anschaffung leisten. Er muss gegebenenfalls auch einen Mietausfall überbrücken können. Wenn man will, dass auch in Zukunft noch in Wohnraum investiert wird, weil Wohnraum sonst noch knapper und damit auch teurer wird, dann darf man Wohnungsinvestitionen nicht allen wirtschaftlichen und rechtlichen Anreiz nehmen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun haben die letzten Mietrechtsreformen die Mieterrechte immer weiter aufgebaut. Dahinter steckt das politische Kalkül, dass es mehr Mieter als Vermieter gibt und man demgemäß mit dem Aufbau von Mieterrechten mehr Wähler ansprechen kann als mit dem Aufbau von Vermieterrechten. Es gibt einen Punkt, an dem die rechtlichen Positionen von Mietern und Vermietern optimal ausgependelt sind. Wenn man die Schraube aber noch weiter dreht, (Burkhard Lischka [SPD]: Ja, das machen Sie gerade jetzt!) dann entsteht irgendwann eine Schieflage, und dann muss man etwas tun, um die Sache wieder ins Lot zu bringen und die Anreize für Investitionen zu erhöhen. Mit unserer Mietrechtsnovelle greifen wir zwei solcher Punkte auf: Zum einen geht es um die energetischen Sanierungen. Wir wollen die Eigentümer ermutigen, ihre Miethäuser und Mietwohnungen energetisch auf den aktuellen Stand zu bringen. Damit leisten wir in der Rechtspolitik unseren Beitrag zur Energiewende. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Wohnungsbestand steckt noch eine ganze Menge Potenzial. Es gibt viele Möglichkeiten, Primärenergie einzusparen. Es gibt eine ganze Reihe Möglichkeiten, alte Stromfresser aus den Häusern herauszuschmeißen. In diesem Zusammenhang erwarten wir einen Beitrag der Vermieter: Sie müssen solche Sanierungen vorfinanzieren und das Risiko tragen, dass sie ihre Kosten nicht zu 100 Prozent umlegen können, dass sie nicht alles zurückerhalten. Wir erwarten aber auch einen Beitrag der Mieter: Ihnen erlegen wir auf, diese Sanierungsmaßnahmen zu dulden, außer in ganz extremen Fällen, und für die Dauer von drei Monaten die Miete nicht zu mindern; denn – das ist der Gedanke, der uns dabei leitet – wenn in einem Mehrfamilienhaus 5, 10 oder 20 Mieter die Miete mindern, dann ist das schon ein gewaltiges Hindernis für den Eigentümer bei der Durchführung dieser Modernisierung. (Ingo Egloff [SPD]: Das sind nicht einmal 10 Prozent, die das machen, Herr Kollege!) Wir erhöhen also den Anreiz, eine solche Modernisierung durchzuführen, indem wir die Minderung für drei Monate ausschließen. Der zweite wichtige Punkt, der für die Vermieter von Bedeutung ist, ist das Thema Einmietbetrug, Stichwort „Mietnomadentum“. Gegen die Einmietbetrüger sollen sich die Vermieter künftig besser zur Wehr setzen können. Hier im Bundestag wurde immer wieder darüber diskutiert, ob das nun ein großes oder kleines Problem ist, ob es viele oder wenige solcher Fälle gibt. Kollege Egloff, Sie werden gleich nach mir sprechen. Sie haben in Ihrer letzten Rede das Mietnomadentum mit dem Scheinriesen Tur Tur aus dem Buch Jim Knopf und die Wilde 13 von Michael Ende verglichen. (Burkhard Lischka [SPD]: Ein guter Vergleich!) Dabei geht es um einen Scheinriesen, der aus der Ferne riesenhaft aussieht, aber, wenn man näherkommt, auf Normalmaß schrumpft. Ich halte diesen Vergleich, Kollege Egloff, für völlig verkehrt. Das Gegenteil ist der Fall: Aus der Ferne mag es wie eine Bagatelle aussehen, weil es nicht so viele Fälle gibt, aber wenn Sie als Vermieter einmal so einen Einmietbetrüger in der Wohnung haben, dann wird die Riesenhaftigkeit des Problems deutlich. Denn wenn dieser alle Register zieht, bekommen Sie ihn zuerst einmal nicht wieder raus, und bis Sie ihn herausbekommen, summieren sich Monat um Monat die Mietrückstände. Am Ende müssen Sie noch für die Wohnungsrenovierung aufkommen. Dann ist dies kein Scheinproblem mehr, sondern ein riesiges Problem für den Vermieter. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deswegen wollen wir in solchen Fällen die Räumung erleichtern. Da, wo der Fall klar ist, soll der Vermieter die Möglichkeit haben, die Räumung über den Weg der einstweiligen Verfügung durchzuführen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist ein Skandal!) Man sollte nicht die Angst haben, Kollegin Wawzyniak, dass damit Mieter völlig rechtlos gestellt und aus der Wohnung hinausgeworfen werden. Die Praktiker haben uns in der Sachverständigenanhörung, der auch Sie beigewohnt haben, deutlich gesagt, dass da, wo es Bedenken gibt, natürlich über den Weg des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens Beweiserhebung stattfinden wird. Das ist ein Schutzelement. Außerdem, Frau Kollegin, kann der Mieter auch die Räumung abwenden, indem er den Mietzins hinterlegt. (Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Dann gibt es für den Mieter den Schutz, dass er nicht aus der Wohnung herausfliegt, und der Vermieter hat die Sicherheit, dass er, wenn er den Räumungsprozess gewinnt, nicht auch noch das Insolvenz-, das Zahlungsunfähigkeitsrisiko des Mieters tragen muss. Insgesamt ist das also – das werden Sie mir sicherlich nicht zugestehen, aber es ist einfach so; insgeheim wissen Sie das – eine gute Korrektur, die ehrliche Mieter nicht berührt, aber Tricksereien unehrlicher Mietbetrüger erschwert und damit Vermietern das Leben leichter macht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ein weiterer Punkt ist, dass wir Schützenhilfe bei der Energiewende gewähren, indem wir Wärmelieferverträge, das sogenannte Contracting, regeln. In vielen Mietshäusern stehen noch die alten Heizkessel im Keller. Die Energiewende ist nicht nur ein Wunderwerk der Solarenergie, sondern es geht dabei auch um Energieeffizienz, um Energieeinsparung. Da ist im Wohnungsbestand noch eine ganze Menge zu tun. Wir wollen deswegen die energetische Sanierung dort erleichtern, wo professionelle Wärmelieferanten die Wärmeproduktion im Haus verbessern, also moderne Heizkessel in die Keller einbauen, für die Wartung sorgen und damit auch dafür sorgen, dass der Energieverbrauch im Haus zurückgeht. Das ist das, was wir für die Vermieter tun. Dies ist, wie wir meinen, eine wichtige Korrektur, ein wichtiger Beitrag zum Mietrecht, wobei wir die Mieter nicht vergessen. Wir erschweren Luxussanierungen, die auf dem Rücken der Mieter geschehen. Wir verzichten übrigens darauf, die Kündigungsfristen, die momentan sehr asymmetrisch zugunsten der Mieter sind, anzugleichen. Ich bin der Meinung, dass es sich um einen ausgewogenen Gesetzentwurf handelt – Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss –, der, wie ich meine, die Zustimmung dieses Hauses verdient. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Ingo Egloff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ingo Egloff (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Mietrecht hat eine zentrale Bedeutung in unserer Gesellschaft; denn die Wohnung ist der Mittelpunkt des sozialen Lebens und der privaten Existenz. Mieter müssen sich daher auf einen Rechtsrahmen verlassen können, der für einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Mietern und Vermietern sorgt. Dieser Interessenausgleich, meine Damen und Herren von der Koalition, findet in diesem Gesetzentwurf leider nicht statt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist auch nicht unser Kalkül, Herr Thomae, dass mehr Mieter Wähler sind als Vermieter. Vielmehr ist die Tatsache, dass wir hier für vertretbare Mieten und für eine soziale Ausgestaltung des Mietrechts sorgen müssen, Ausdruck des Sozialstaatsprinzips der Bundesrepublik Deutschland. Darauf kommt es an. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das machen wir auch, Herr Kollege!) In dieser Woche haben Sie Ihren Gesetzentwurf zur Änderung des Mietrechts mit ein paar Korrekturen versehen. Sie hoffen wahrscheinlich, dass damit die Versäumnisse der letzten zwei Jahre, in denen wir mit Ihnen darüber debattieren mussten, aufgeholt werden können. Aber wie sagt der Engländer? Too little, too late. Ihre Verbesserungsvorschläge sind weiße Salbe. Sie nehmen ein paar Kritikpunkte aus der Anhörung auf, mehr nicht. Sie beruhigen das soziale Gewissen des einen Teils der Koalition, indem Sie in letzter Minute noch die Länderermächtigung zur Kappung der Mietsteigerungshöhe bei den Bestandsmieten in den Gesetzentwurf geschrieben haben. Ihr Kollege Singhammer hat sich im November in einer bayerischen Lokalausgabe der Bild-Zeitung schon als Retter der geknechteten Mieter feiern lassen. Die Begrenzung auf 15 Prozent in drei Jahren ist aber wahrlich nur die halbe Miete – vom Rest kann man nur hoffen, dass er Ihnen nicht schmerzhaft auf die Füße fällt. Meine Damen und Herren von der Union, Sie werden die Spaltung der Städte und die Verdrängung der angestammten Bevölkerung aus den Stadtzentren nicht aufhalten, wenn Sie keine Regelungen zur Begrenzung der Miethöhe bei Neuvermietungen vorsehen – und das tun Sie in Ihrem Gesetzentwurf nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch die Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmieten gehen Sie nicht an, obwohl Sie genau wissen, dass hier die entscheidenden Voraussetzungen für ein Ende der Gentrifizierung unserer Innenstädte liegen. Die Begründung, die Sie im Ausschuss gegeben haben – Investitionen würden sonst nicht stattfinden –, trägt nicht, und das wissen Sie in Wahrheit auch, Herr Thomae. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Den anderen Teil der Koalition freut derweil, dass er im Interesse seiner Wählerklientel an wesentlichen Pfeilern des Mietrechts herumsägen darf: Kündigung wegen Nichtzahlung der Kaution ohne Abmahnung; Räumungstitel wegen Mietverzugs ohne Entscheidung in der Hauptsache, in der möglicherweise doch die Rechtmäßigkeit der Mietkürzung festgestellt würde. Es gibt dann zwar einen Schadenersatzanspruch; aber man ist aus der Wohnung raus. Mit sozialem Mietrecht hat das überhaupt nichts mehr zu tun. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Einer der Punkte, die Ihnen schon in der Expertenanhörung um die Ohren geflogen sind, ist – Sie haben es selber angesprochen – der Punkt Mietnomaden. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sehr richtig!) Meinen Vergleich mit dem Scheinriesen aus Jim Knopf fand der Kollege Sensburg in einer Debatte zynisch, und Herr Thomae hat ihn humoristisch genannt. Ich zitiere einfach einmal einen Sachverständigen, den, glaube ich, die CDU/CSU-Fraktion benannt hatte: Richter Börstinghaus, jemand aus der Praxis. Er hat in seiner Stellungnahme angeführt: Mietnomaden … sind hierzulande ebenso selten wie der Satanspilz … Und doch macht er den Leuten Angst. Der Satanspilz ebenso wie der Mietnomade, wie die Schweinegrippe und Vogelgrippe, Rinderwahn oder SARS. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Sebastian Körber [FDP]: Wollen Sie denn Mietnomaden schützen?) Sie haben – da zitiere ich Herrn Mayer aus der Haushaltsdebatte vor drei Monaten – entgegnet: Die Frage, wie viele Mietnomaden es gibt, sei schon im Ansatz verfehlt. (Sebastian Körber [FDP]: Jeder Mietnomade ist doch wohl einer zu viel!) Ich will Ihnen sagen, wie die Fakten sind: Schauen Sie sich Statistiken über Einmietbetrug an! Sie werden sehen, dass es in fast allen Fällen Zechpreller sind, die ihre Hotelrechnung nicht bezahlen – jedenfalls keine Wüstenvölker, die von Wohnung zu Wohnung ziehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Sagen Sie das einmal den Betroffenen!) Es bleibt also bei der Feststellung: Sie haben keine belastbaren Fakten, die eine derartige Regelung rechtfertigen würden; aber sie machen es trotzdem. Sie beschädigen darüber hinaus das Äquivalenzprinzip des Vertragsrechts, und zwar indem Sie versuchen, energetische Gebäudesanierungen dadurch zu fördern, dass den Mietern während der Bautätigkeit für ein Vierteljahr die Mietminderung untersagt sein soll. Damit schränken Sie die Mieterrechte meines Erachtens in nicht hinnehmbarer Weise ein, nur um gute Laune unter ein paar Leuten zu verbreiten, von denen Sie nächstes Jahr noch einmal gewählt zu werden hoffen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihre eigenen Sachverständigen haben es Ihnen in der Anhörung doch deutlich gesagt: Eine Differenzierung der Mietminderung ist vollkommen sinnlos, weil energetische Gebäudesanierungen, Modernisierungen und Instandhaltung in der Praxis vernünftigerweise in einem Rutsch erledigt werden. Wie Sie das auseinanderhalten wollen, bleibt schleierhaft. Als Beschäftigungsprogramm – das habe ich hier schon öfter gesagt – für Anwälte und Gerichte mag das taugen; aber es wird nicht dazu führen, dass die energetische Sanierung von Gebäuden signifikant gefördert wird. (Sebastian Körber [FDP]: Vom Bauen verstehen Sie aber gar nichts!) Sie haben es trotz langer Beratung nicht geschafft, ein sozial verträgliches, modernes Mietrecht vorzulegen. Das liegt daran, dass Sie aus Angst vor der Immobilienwirtschaft die Probleme der sozialen Schieflage auf dem Mietmarkt nicht angehen wollen. Dazu gehört letztendlich auch, dass Sie es bei der Umlage von 11 Prozent pro Jahr belassen wollen, obwohl Sie wissen, dass energetische Gebäudesanierungen zu Steigerungen von 3,50 bis 4 Euro pro Quadratmeter führen werden. Zumindest für den Teil der Bevölkerung, der schon jetzt 40 Prozent und mehr des Einkommens für die Miete ausgeben muss, ist das nicht mehr zu verkraften. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Fazit: Der Gesetzentwurf ist schlecht, er blendet die soziale Wirklichkeit in unseren Städten aus, er wird den Klimazielen nicht dienen, er ist sozial unausgewogen – und das nach zwei Jahren Beratung! Meine Damen und Herren, Sie haben nichts gelernt in diesem Prozess. Wir werden dem Gesetz nicht zustimmen und nach dem September 2013 einen besseren Gesetzentwurf vorlegen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Egloff, Sie haben jetzt gerade auf unsere lange Beratungszeit hingewiesen. (Ingo Egloff [SPD]: Ja!) In der Tat: Zweieinhalb Jahre sind ein langer Zeitraum. Die Beratungszeit war aber deswegen so lang, weil das Mietrecht eine hohe gesellschaftliche Relevanz hat. Wir haben es uns deswegen wirklich nicht einfach gemacht, weil wir die Umsetzung unserer Ziele bei der Reform – die Beförderung der energetischen Sanierung, ein besserer Schutz gegen Mietnomaden und eine rechtssichere Regelung bei der gewerblichen Wärmelieferung – sicherstellen wollten. Dabei haben wir von Anfang an darauf geachtet, dass es hier nach wie vor eine soziale Ausgewogenheit des Mietrechts gibt. Das haben wir mit diesem Gesetzentwurf auch geschafft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Liebe Opposition, Sie poltern hier jetzt lauthals los, wir würden einen Gesetzentwurf zugunsten der Vermieter vorlegen, also Klientelpolitik betreiben und die Mieter einseitig belasten. Dazu sage ich: Das ist in der Sache falsch, unredlich und populistisch und wird dem angemessenen Ernst und dem Respekt für das Thema auch überhaupt nicht gerecht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Schauen Sie sich nur einmal an, was wir mit diesem Gesetzentwurf beschließen und was wir vor allen Dingen in den Beratungen während des parlamentarischen Verfahrens geändert haben. Man stellt dann nämlich sehr schnell fest, dass wir die Rechte von Mietern nicht, wie Sie hier behaupten, an vielen Stellen verschlechtern, sondern dass wir sie im Gegenteil an vielen Stellen sogar verbessern. (Ingo Egloff [SPD]: Beim Münchener Modell, sonst nicht!) Lassen Sie mich das einmal an drei Beispielen festmachen: Die regionalisierte Kappungsgrenze. Mit unserem Gesetzentwurf verschärfen wir diese Kappungsgrenze. Zukünftig können Mieten nicht mehr um 20 Prozent innerhalb von drei Jahren bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete angehoben werden, sondern nur noch um 15 Prozent. Mit dieser Änderung leisten wir einen wichtigen Beitrag dafür, dass die Mieten in Ballungszentren zukünftig nicht mehr so stark steigen können. (Ingo Egloff [SPD]: Aber nur bei den Bestandsmieten!) Wir wirken damit der Verdrängung von Mietern aus ihren angestammten Wohnrevieren entgegen. Das ist ein echter Beitrag für mehr Mieterschutz, und das können Sie als Opposition an dieser Stelle ruhig auch einmal anerkennen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Burkhard Lischka [SPD]: Schleiertanz!) Anders als Sie von der Opposition wollen, haben wir diese verschärfte Kappungsgrenze aber nur für die Gebiete vorgesehen, in denen tatsächlich Wohnungsknappheit herrscht, also in Ballungszentren und großen Städten wie Berlin, Hamburg, München und anderswo. Wir geben es in die Hände der Länder, per Rechtsverordnung zu entscheiden, wo dies der Fall sein soll. Wir treffen hier also nicht eine Einheitsregelung, mit der wir alles über einen Kamm scheren, sondern wir treffen eine zielgenaue Regelung. Damit werden wir der Unterschiedlichkeit der regionalen Wohnungsmärkte gerecht. Uns war und ist an dieser Stelle nämlich wichtig, dass wir uns hier nicht allein an den Symptomen abarbeiten; denn ich will einmal klar betonen: Die eigentliche Ursache für Mietpreissteigerungen ist die Wohnungsknappheit. (Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: So ist es!) Es gibt schlicht zu wenige Angebote an Mietwohnungen. Deswegen brauchen wir mehr Wohnungsbau. Das kann aber nicht allein der Staat leisten, sondern dafür brauchen wir zwingend auch private Investitionen. Hier geht es gar nicht so sehr um die großen Finanzinvestoren, sondern vor allen Dingen um private Kleinvermieter. Diese bieten nämlich etwa 60 Prozent der Wohnungen in unserem Land an. Das sind kleine mittelständische Handwerksmeister um die 60 Jahre, die drei bis fünf Wohnungen als Altersvorsorge für sich gebaut haben. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Herr Kollege, das kann auch ein 63-jähriger Bundestagsabgeordneter sein!) Diese Menschen brauchen wir, wenn es auch zukünftig genügend Wohnraum in unserem Land geben soll. Privat investiert wird aber natürlich nur dort, wo sich das wirtschaftlich rechnet. Wenn man nun aber weiß, dass die durchschnittliche Rendite beim Wohnungsbau bei gerade einmal etwas über 2 Prozent liegt, dann kann man sich sehr schnell ausrechnen, dass eine generelle Verschlechterung der Investitionsbedingungen durch uns dazu führen würde, dass niemand mehr in den Wohnungsbau investieren würde. Deswegen ist hier unser Ansatz, dort, wo die Notwendigkeit dafür besteht, eine zielgenaue Verschärfung der Kappungsgrenze vorzunehmen, aber nicht eine Einheitsregelung zu treffen. Eine solche Regelung ist genau das Richtige. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen, durch den wir die Rechte der Mieter gegenüber dem geltenden Recht deutlich verbessern. Das ist nämlich beim Contracting der Fall, bei der gewerblichen Wärmelieferung. Heute ist es ja möglich, dass man quasi einen Vertrag zulasten Dritter schließt, nämlich einen Vertrag zulasten der Mieter. Der Vermieter schließt mit dem Contractor einen Vertrag und sagt: Du lieferst mir die Wärme, stellst mir das in Rechnung, und ich lege das dann als Betriebskosten auf die Mieter um. – Diese neuen Betriebskosten können deutlich höher als das sein, was die Mieter vorher bezahlen mussten. Das ändern wir jetzt. Wir wollen zwar, dass es zukünftig mehr Contracting gibt, weil das auch einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, in unserem Gesetzentwurf schließen wir aber gleichzeitig aus, dass Mieter dadurch belastet werden. Wir sagen: Die Umstellung auf gewerbliche Wärmelieferung muss kostenneutral erfolgen. Das bedeutet, es wird hier keine Gewinne auf Kosten der Mieter mehr geben. Mit dieser Regelung werden viele Millionen Menschen in unserem Land von potenziellen Mehrkosten entlastet, und gleichzeitig tragen wir zum Klimaschutz bei. Deswegen ist das eine gute Regelung, die wir alle hier mittragen sollten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Noch einen letzten Punkt möchte ich nennen, wenn es um die Verbesserung von Mieterrechten geht: Auch beim Kündigungsschutz machen wir Fortschritte. Bei der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen besteht ein spezieller Kündigungsschutz für Mieter. In der Vergangenheit gab es viele trickreiche Gestaltungen, durch die dieser Schutz umgangen wurde. Hier schieben wir jetzt einen wirksamen Riegel vor. Damit verhindern wir zukünftig, dass Mieter aus ihren Wohnungen verdrängt werden. Das Münchener Modell wird es künftig nicht mehr geben. Dafür gibt es einen wirksamen Riegel. Mehr Mieterschutz also auch hier, meine Damen und Herren. Schon allein an diesen drei Punkten – ich könnte noch weitere Punkte nennen – wird sehr deutlich, dass die Vorwürfe der Opposition nichts weiter als Wahlkampfgetöse sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie wollen den Mietern in unserem Land einreden, dass wir die Rechte der Mieter schleifen wollen, um daraus einen politischen Vorteil zu ziehen. Richtig ist: Die christlich-liberale Koalition braucht Sie nicht als soziales Gewissen, um die Rechte der Mieter zu schützen. Das war und ist für uns eine Selbstverständlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo Egloff [SPD]: Ihr habt kein soziales Gewissen, das ist das Problem!) Richtig ist natürlich, dass auch die Mieter ihren Beitrag erbringen müssen. Denn wir wollen eine ausgewogene Reform. Daher haben wir auch den Klimaschutz und die Interessen der Eigentümer natürlich mit im Blick gehabt. Die Reform des Mietrechtes ist ein wichtiger Baustein der Energiewende; das ist schon angesprochen worden. Wir wollen, dass die Eigentümer mehr in energetische Sanierung investieren. Es geht also darum, Anreize für die Gebäudesanierung zu schaffen, weil hier nämlich enorme Potenziale zur Einsparung von Energie und zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes liegen. Deswegen brauchen wir Rahmenbedingungen, die Eigentümer nicht von Investitionen abhalten. Gerade private Kleinvermieter – nochmals: Sie stellen die Mehrheit der Wohnungen in unserem Lande – müssen wir dazu ermutigen, in die energetische Sanierung ihres Eigentums zu investieren. Deswegen sagen wir: Die Eigentümer sollen in den ersten drei Monaten nicht durch Mietminderungen belastet und dadurch möglicherweise von einer energetischen Modernisierung abgehalten werden. Natürlich stellt das eine Belastung der Mieter dar. Aber wir können unsere ehrgeizigen Klimaschutzziele nur erreichen, wenn alle an einem Strang ziehen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, deren Lasten gerecht verteilt werden müssen. Daran müssen alle mitwirken. Deswegen ist es, so glaube ich, gerechtfertigt, dass auch Mieter hier ihren Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten. Eines kommt noch hinzu. Wir haben in den parlamentarischen Beratungen festgeschrieben, dass es einen Minderungsausschluss nur dann gibt, wenn Mieter tatsächlich von der Sanierung profitieren, wenn und weil sie zukünftig Betriebskosten sparen. Es fließt also unmittelbar etwas an die Mieter zurück. Vor diesem Hintergrund sage ich noch einmal, dass es sich bei dem dreimonatigen Mietminderungsausschluss um eine zumutbare Regelung handelt. Man kann das den Mietern an dieser Stelle auch durchaus sagen: Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch ihr müsst einen kleinen Anteil dazu leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zu einer ausgewogenen Reform gehört natürlich auch, dass wir etwas gegen das tun, wovon schon die Rede war. Ich meine den besseren Schutz der Eigentümer vor Mietnomaden. Die Opposition wird – Herr Egloff hat das auch gerade wieder getan – sagen, das Problem existiere nicht oder sei nicht der Rede wert. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Reden Sie einmal mit betroffenen Eigentümern! Reden Sie einmal mit einem privaten Kleinvermieter, der durch einen Mietnomaden einen Schaden von vielen Tausend Euro erlitten hat und dadurch in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist. (Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Wenn Sie dann immer noch sagen, es bestehe kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf, sage ich Ihnen, Herr Egloff: Das ist zynisch, was Sie an dieser Stelle sagen. (Beifall bei der CDU/CSU) Für mich kommt es gar nicht so sehr darauf an, wie hoch die relevante Zahl an Fällen ist. Ich finde: Jeder Mietnomade ist einer zu viel. Es handelt sich um Kriminelle, gegen die man wirklich intensiv, geschlossen und hart vorgehen muss. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo Egloff [SPD]: Da gibt es bis jetzt auch keine Einzelfallgesetze!) Deswegen geben wir den Eigentümern mit der Sicherungsanordnung jetzt ein wirksames Instrument an die Hand, sich gegen Mietnomaden zu wehren. Jetzt kann das Gericht einen Mieter verpflichten, für die sich während des Prozesses aufhäufenden Mietrückstände eine Sicherheit zu hinterlegen. (Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Vermieter werden so davor geschützt, dass sie zwar den Prozess gewinnen, aber danach ihre Forderungen nicht durchsetzen können, weil der Mieter zwischenzeitlich insolvent geworden ist. An die Sicherungsanordnung knüpft noch eine weitere Rechtsfolge: Kommt der Mieter der gerichtlichen Anordnung nicht nach und dokumentiert damit seine kriminelle Energie, kann der Vermieter eine einstweilige Räumungsverfügung erwirken. Jetzt ist endlich Schluss mit dem unerträglichen Zustand, dass Vermieter bis zu zwei Jahre klagen müssen, bis sie endlich ihre Wohnung zurückbekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen kann man am Schluss unter dem Strich feststellen, dass wir hier einen Gesetzentwurf vorlegen, von dem wirklich deutlich geworden ist, dass er ausgewogen ist. (Widerspruch bei der LINKEN) Er berücksichtigt die Interessen von Vermietern und Mietern. Zugleich leistet er einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Deswegen kann ich an der Stelle nur an die Opposition appellieren: Verzichten Sie auf Ihr Wahlkampfgetöse! Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Es ist ein guter Gesetzentwurf. Deswegen verdient er, glaube ich, vom Plenum breit getragen zu werden. (Ingo Egloff [SPD]: Wenn Sie ein besseres Gesetz gemacht hätten, hätten wir uns das auch überlegen können! Aber so nicht!) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Heidrun Bluhm das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mehrere Jahrzehnte hat das Mietrecht für faire und ausgeglichene Verhältnisse zwischen Mietern und Vermietern gesorgt. Aber die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich verändert, und insofern sind auch wir der Auffassung, dass das Mietrecht geändert werden sollte, allerdings nicht so, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, wie Sie es vorhaben. (Beifall bei der LINKEN) Unter dem Vorwand der notwendigen energetischen Sanierung verschieben Sie mit dem vorliegenden Entwurf eines Mietrechtsänderungsgesetzes alle Lasten auf die Schultern der Mieterinnen und Mieter. Selbst nach der Anhörung, in der Ihre eigenen, von Ihnen bestellten Sachverständigen Ihnen gesagt haben, dass der vorliegende Entwurf kein wirklicher Anreiz zur energetischen Ertüchtigung der Gebäude ist, halten Sie an der Durchsetzung Ihres Vorhabens fest. Denn der wirkliche Grund für Ihre Gesetzesinitiative ist nicht die energetische Sanierung, sondern der weitere Rückzug aus der Verantwortung des Staates in der Wohnungspolitik. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Genauso, wie Sie in den vergangenen Jahren alles unternommen haben, um weiter öffentliche Wohnungen zu verscherbeln, den Privatisierungsprozess förmlich angeheizt haben, steuerliche Vorteile für private Vermieter weiter ausbauen wollen, das Wohngeld und die Städtebaufördermittel weiter zurückgefahren haben, so soll heute nun auch das letzte Glied in der Kette Ihrer Wohnungspolitik hinzugefügt werden, mit der Verschlechterung des Mietrechts auch die Verwertungsbedingungen von Wohnraum für die private Wohnungswirtschaft weiter zu verbessern – und das ausschließlich auf Kosten der Mieterinnen und Mieter, zum Beispiel durch satte Mieterhöhungen nach einer vermeintlichen energetischen Sanierung (Sebastian Körber [FDP]: Aber die Nebenkosten reduzieren sich! Sie werden niedriger für alle!) – Sie wollen zwar von 20 Prozent auf 15 Prozent zurückgehen, aber das reicht immer noch nicht aus –, durch die „Bereinigung“ der Mieterschaft nach deren Zahlungsfähigkeit oder durch einen kräftigen Aufschlag bei Neuvermietung, nachdem man die weniger zahlungsfähigen Mieter bereits wegsaniert hat. Dieses Gesetzespaket ist nicht nur, wie die Sachverständigen einhellig meinen, ineffizient, unfair, systemfremd und verfassungswidrig. Es ist schlichtweg sittenwidrig. (Beifall bei der LINKEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Was? Frau Kollegin, das kann man wirklich nicht sagen!) Wenn man die Energiewende im Wohnungsbestand voranbringen will – was auch nach unserer Überzeugung notwendig ist –, dann geht das nur in einem fairen Interessenausgleich. Eine Mietrechtsreform, die dem Anspruch, die energetische Sanierung von Wohnraum voranzubringen, gerecht werden will, kann das niemals durch eine Kostenexplosion im Mietwohnungsbereich erreichen. Viele Mieterhaushalte – auch normal verdienender Mieter – sind bei den Wohnkosten inzwischen am Ende ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit angekommen. Es kommt zu Recht zu öffentlichen Protesten und Widerstand Tausender Mieterinnen und Mieter, wie im November in Freiburg, Hamburg oder auch Berlin. Das wird weiter zunehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Gegen Millionen Mieterinnen und Mieter kann aber die Energiewende nicht gelingen. Unser Verständnis des Zusammenhangs zwischen Energiewende und Mietrecht ist ein völlig anderes. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Welches?) Unseren Antrag zu diesem Thema haben wir deshalb unter der Forderung „Wohnen muss bezahlbar bleiben“, Herr Kauder, zusammengefasst, und zwar nicht trotz der Energiewende, sondern mit der Energiewende und vor allem durch die Energiewende. (Beifall bei der LINKEN) Dazu sind nicht in erster Linie neue Verordnungen und Rechtsänderungen notwendig, sondern vor allem ein klares politisches Bekenntnis zum Klimaschutz als Staatsziel, umgesetzt durch entsprechendes politisches Handeln. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Steuergeld, meinen Sie!) Unsere konkreten Forderungen dazu haben wir in acht Punkten zusammengefasst. Einige davon will ich Ihnen nennen. Die Linke will qualifizierte Miet-, Betriebs- und Heizkostenspiegel im gesamten Bundesgebiet. Die Mietspiegel müssen alle Bestandsmieten erfassen. Wir wollen die Erhöhung der Nettokaltmiete bei bestehenden Mietverhältnissen und bei Neuvermietung nur bei wohnwertverbessernden Maßnahmen zulassen, ansonsten höchstens im Rahmen des Inflationsausgleichs. (Beifall bei der LINKEN) Wohnkosten müssen im Verhältnis zu den Durchschnittseinkommen der Mieterhaushalte gedeckelt werden. Wer unterhalb des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung verdient, darf mit maximal 30 Prozent seines Einkommens dazu herangezogen werden. Was darüber hinausgeht, muss durch Wohngeld, ergänzt durch eine Klimakomponente, aufgefangen werden. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Planwirtschaft ist das, was Sie vorhaben!) Die Umlage von Modernisierungskosten muss an den Abschreibungsfristen orientiert werden. (Beifall bei der LINKEN) Dafür reichen bei wirtschaftlicher Betrachtung 5 Prozent aus, und zwar begrenzt auf den Amortisationszeitraum. (Sebastian Körber [FDP]: Dann saniert überhaupt niemand mehr was!) Die Umlage ist aber überhaupt nur dann gerechtfertigt, wenn aus der Modernisierung eine spürbare Energieeinsparung für den Mieter resultiert und damit parallel auch die Betriebskosten sinken. (Beifall bei der LINKEN) Vermieter sollen einen Rechtsanspruch auf öffentliche Förderung haben, wenn sie Sanierungsmaßnahmen entsprechend staatlicher Vorgaben realisieren. Die öffentliche Förderung von Modernisierungsmaßnahmen schließt eine kostenlose Mieter- und Energieberatung ein. Eine ersatzlose Räumung der Wohnung nach Kündigung ist für uns nicht zulässig, wenn dadurch in die Obdachlosigkeit geräumt wird. (Beifall bei der LINKEN) Diese von uns vorgeschlagenen Regelungen sind umsetzbar, und sie vermeiden eine einseitige und damit ungerechte Belastung der Mieterinnen und Mieter. Auch die Vermieter werden nicht unzumutbar belastet, weil die von uns vorgeschlagene Modernisierungsumlage wirtschaftlich auskömmlich ist. Im Übrigen glaube ich nicht, dass die Vermieter in Erwartung der anstehenden Mietrechtsänderung eine große energetische Sanierungsoffensive starten werden. Dazu war diese Bundesregierung bisher nicht imstande, und mit diesem Gesetz schafft sie es auch nicht. Das Handwerkszeug, das Sie gewählt haben, ist einfach schlecht. Genauso arbeitet auch die gesamte Bundesregierung. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Daniela Wagner hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der öffentlichen Debatte über den Mangel an bezahlbarem Wohnraum nicht nur für einkommensschwache Haushalte, sondern auch für Normalverdiener und Studierende und angesichts einer regelrechten Mietpreisexplosion in zahlreichen Metropolregionen verwundert es doch sehr, dass Sie mit Ihrer Mietrechtsnovelle auf diese Probleme an keiner Stelle reagieren, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) außer vielleicht mit der Landesermächtigung zur Absenkung der Kappungsgrenze von 20 auf 15 Prozent in Gebieten mit Wohnraummangel – in letzter Minute. Damit bestätigen Sie das, was wir seit zwei Jahren sagen, nämlich dass wir Versorgungsprobleme auf zahlreichen Wohnungsmärkten haben. Aber Sie ziehen keinerlei Konsequenz daraus. Sie sind nicht konsequent. Sie versuchen, mit Ihrer Regelung den Anschein von Konsequenz zu erwecken. Aber die Kappungsgrenze muss bundesweit von 20 auf 15 Prozent gesenkt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Außerdem müssen Sie die Neuvertragsmieten ins Auge fassen; denn diese sind die entscheidenden Mietpreistreiber. (Beifall der Abg. Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es passt zu Ihrem bisherigen Vorgehen, die wohnungs- und mietenpolitische Verantwortung komplett auf die Länder abzuschieben. (Sebastian Körber [FDP]: Das wollten die Länder so!) Sie, Herr Ramsauer, verweisen ständig – einem Mantra gleich – auf die Bundesländer und ihre Zuständigkeit für die soziale Wohnraumförderung. Sicherlich ist das ein Teil der Lösung. Aber es muss wesentlich mehr getan werden. Das wird nicht ausreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie vernachlässigen Ihre Bundeszuständigkeit beim Mietrecht. Das Mietrecht ist das zentrale Instrument, wenn es darum geht, den Rahmen für Miethöhen festzulegen und notfalls Fehlentwicklungen zu korrigieren. Sie versuchen unter dem Vorwand der Energiewende, Mieterinnen- und Mieterrechte abzubauen. (Sebastian Körber [FDP]: Wollen Sie keine Energiewende?) Wenn mietrechtliche Stellschrauben zugunsten der energetischen Modernisierung verstellt werden, müssen Sie gleichzeitig die Mieterschutzrechte anpassen. Bei Ihnen geht es leider einseitig in die andere Richtung, obwohl wir spätestens seit 2009 wissen, mit welchen Verdrängungstendenzen wir es auf dem deutschen Wohnungsmarkt zu tun haben. (Sebastian Körber [FDP]: Also wollen die Grünen keine Energiewende?) – Doch, wir wollen auch eine energetische Gebäudesanierung. Aber wir wollen, dass Mieterinnen und Mieter das auch finanzieren können. Es hat keinen Sinn, Mieterinnen und Mieter komplett aus ihrem bezahlbaren Wohnraum herauszusanieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir brauchen eine verlässliche Förderkulisse und einen zuverlässigen Planungshorizont für die Eigentümer. Im Übrigen sei Ihnen nochmals gesagt: Das Mietrecht ist nicht das originäre Instrument, um die energetische Gebäudesanierung voranzubringen. Dazu bedarf es vollkommen anderer Instrumente. Wir brauchen eine gerechte Verteilung der Lasten zwischen dem Staat, der Mieterschaft sowie den Eigentümerinnen und Eigentümern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Körber [FDP]: Die haben wir ja!) – Nein, die haben wir jetzt nicht mehr. Die gab es eine ganze Zeit lang. Wir werden Ihren Entwurf eines Mietrechtsänderungsgesetzes nicht mittragen. Sie haben immer noch den Minderungsausschluss bei der energetischen Gebäudesanierung für die ersten drei Monate im Gesetzentwurf. Sie vernachlässigen das Äquivalenzprinzip des Vertragsrechts: 100 Prozent Bezahlung, 100 Prozent Leistung. Sie senken die Modernisierungsumlage nicht, obwohl sie vielerorts schon lange nicht mehr durchzusetzen ist, und Sie halten immer noch an der Sicherungsanordnung fest, mit der Sie Tausende von korrekten Mieterinnen und Mietern bedrohen, wenn sie einmal in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben das nicht verstanden! Rechtschaffene Mieter haben überhaupt nichts zu befürchten!) Das ist extrem unfair. Das Mindeste wäre, dass zuvor ein Hauptsacheverfahren stattgefunden hat. Aber einfach die Leute herauszudrängen, um anschließend im Hauptsacheverfahren vielleicht festzustellen, dass sie recht hatten, sie aber dann ihre Wohnung los sind, ist ein Unding – vor allen Dingen dort, wo sich wegen des angespannten Wohnungsmarkts nicht so leicht eine neue Wohnung finden lässt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir hatten bis heute ein soziales und faires Mietrecht. Wir glauben auch, dass es in diesem Mietrecht Instrumente gibt, die man zugunsten der energetischen Gebäudesanierung einsetzen kann. Aber was wir nicht glauben, ist, dass Sie eine beschleunigte energetische Gebäudesanierung mit dieser Mietrechtsnovelle bewerkstelligen. Sie werden überhaupt keinen Unterschied zu vorher feststellen. Dazu bedarf es vor allen Dingen klarer, ausreichender Förderbedingungen für die Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das haben Sie gerade wieder verwehrt! Sie müssen gerade wieder reden! Mein lieber Schieber! Aber dann lieber zum Platz gehen, als so eine Rede halten! – Gegenruf des Abg. Ingo Egloff [SPD]: Dann sollten Sie lieber rausgehen, wenn Sie das nicht hören können!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Gero Storjohann das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gero Storjohann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Wagner, es ist schon ein starkes Stück, dass Sie versuchen, uns weiszumachen, dass das Mietrecht jetzt auf ganz neue Füße gestellt wird. Bisher habe ich die Grünen so verstanden, dass sie die Energiewende wollen und dass sie alles dafür tun, damit die Energiewende gelingt. Aber immer wenn es konkret wird, machen Sie nicht mit. Das bedaure ich zutiefst, zumal Ihre Rede im Ausschuss anders als das klang, was Sie hier gesagt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es geht hier um soziale Mieten, und wir werden die sozialen Mieten selbstverständlich erhalten. Es geht aber auch darum, dass wir jetzt eine Energiewende einleiten. Mit dem Mietrecht kann man etwas verhindern, sodass sich Leute nämlich nicht anstrengen, energetisch zu sanieren. Ich kann die Weichen aber auch so stellen, dass Bremsen wegfallen. Wir meinen, dass wir das mit diesem Gesetzentwurf, den wir Ihnen heute zur Abstimmung vorlegen, geschafft haben. Wir wollen den Wärmebedarf im Gebäudebereich bis 2020 um 20 Prozent senken. Damit müssen wir jetzt anfangen. Jetzt ist die richtige Zeit dafür. Wir haben niedrige Zinsen, und es besteht die Bereitschaft der Leute, neue Häuser zu beziehen. Es gibt Probleme auf einigen Wohnungsmärkten, besonders in den Zentren. Diese Probleme gehen wir an. Künftig werden wir Contracting zulassen. Es ist hier schon gesagt worden, dass das nicht eine Möglichkeit für den Mieter oder Vermieter ist, Kosten zu sparen; es geht vielmehr um Energieeinsparung. Es geht darum, dass wir CO2-Emissionen einsparen. Das ist insgesamt ein guter Ansatz, den wir weiter verfolgen und nicht verteufeln sollten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Kappungsgrenze ist erwähnt worden. Wir haben die Kappungsgrenze bei den Beratungen im Ausschuss neu definiert. Das ist ein Angebot an die Länder. Die Länder haben seit 2006 die Verantwortung, im sozialen Mietwohnungsbau die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen und sich zu engagieren. (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Hauptkostentreiber sind bei den Neuvertragsmieten!) Die Länder müssen jetzt definieren, wo Wohnungsknappheit herrscht. In dem Bundesland, aus dem ich komme, in Schleswig-Holstein, wird das schon gemacht. Da wird in den Bereichen, in denen Wohnungsknappheit herrscht, auch gezielt gefördert. Andere Bundesländer sind hingegen gar nicht mehr im sozialen Wohnungsbau tätig. Ich glaube, das ist sogar hier in Berlin der Fall. Insofern gibt es viel zu tun. Die Kappungsgrenze kann auch „tödlich“ sein – es wird ja hier gefordert, die Kappungsgrenze auch bei Neuvermietungen einzuführen –: Ich habe meine Wohnung in einem Objekt bezogen, das energetisch saniert worden ist. Vorher wurden – das ist an der ehemaligen Zonengrenze – dafür 2,50 Euro pro Quadratmeter genommen. Nachdem es energetisch saniert und mit sehr viel Staatsgeld aufgeflitzt worden ist, werden jetzt 5,40 Euro pro Quadratmeter verlangt. Wenn man aber eine Kappungsgrenze einführt, dann muss man viele Jahre warten, bis man bei den 5,40 Euro ist; denn das sind über 100 Prozent. Wenn Sie das auf 15 Prozent bei Neuvermietung begrenzen wollen, dann kann ich nur sagen: Viel Vergnügen! – Dieses Objekt mit 500 Wohneinheiten würde nie saniert werden können, wenn wir eine solche Regelung einführen. (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Das ist doch Unsinn!) Deswegen sage ich: Vorsicht an der Bahnsteigkante mit einer solchen Forderung, Frau Kollegin Bluhm. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben das Mietminderungsrecht des Mieters im Falle von energetischen Sanierungen für die ersten drei Monate ausgeschlossen. Das ist uns nicht leichtgefallen. Aber das ist ein Mittel, um letzten Endes eine Modernisierung in diesem Bereich nicht zu verhindern – und sei es auch nur, dass Fenster ausgetauscht werden. Es sind nicht nur Maßnahmen, deren Umsetzung sechs oder neun Monate dauert, sondern es gibt auch kleine Maßnahmen. Allein der Umstand, dass man sich den Papierkram wegen der Mietminderung erspart, ist, glaube ich, durchaus ein positiver Effekt. (Ingo Egloff [SPD]: Das ist deutlich unter 10 Prozent!) Wenn auf diese Weise erreicht wird, dass mehr saniert wird und somit mehr Wohnungen auf den Markt kommen, dann wird sich der Wohnungsmarkt insgesamt entspannen. Das erreicht man nicht durch Reden und auch nicht durch harte Regeln für die Vermieter; vielmehr erreicht man das durch ein verbessertes Angebot. Dann haben die Mieter ein größeres Angebot, aus dem sie auswählen können. Das führt insgesamt auch zu einer Entspannung im Miteinander. Wer hat denn etwas davon, wenn die Marktsituation so ist, dass investiert wird? Das sind Handel, Handwerk und die Baustoffindustrie. Das ist auch gut für die Konjunktur. Das ist gut für Deutschland. Insofern: Wir sind von unserem Gesetzentwurf sehr überzeugt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre auch schlimm, wenn Sie davon nicht überzeugt wären!) Als Letztes möchte ich noch auf den Punkt Mietnomaden eingehen. Ich bin persönlich von einem betroffenen Vermieter auf einen solchen Fall aufmerksam gemacht worden. Über 100 000 Euro hat er durch einen Mietnomaden, der ungefähr acht verschiedene Wohnungen in seinen Objekten besetzt hat, verloren. Das ist sogar im Wahlkreis von Herrn Egloff passiert. Insofern wundert es mich, dass er das alles nicht wahrhaben will. Über mehrere Jahre sind Prozesse geführt worden; dabei ging es auch um Untermietverhältnisse. Da konnte man den Porsche nicht aus der Tiefgarage herausklagen, weil wieder ein Untermietverhältnis präsentiert wurde. Angesichts dessen, glaube ich, müssen wir dieses Problem zur Kenntnis nehmen. Wir haben uns damit beschäftigt und einen Lösungsvorschlag gemacht. Ich bin sehr zufrieden damit, dass wir im Bereich Mietnomaden sagen: Es ist ein vereinzeltes Problem. Aber wir wollen den betroffenen Vermietern helfen und ihnen Sicherheit davor geben, damit sie, wenn sie im Wohnungsbereich investieren, von einem Mietnomaden nicht wirtschaftlich zerstört werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo Egloff [SPD]: Dann müssen Sie aber nicht für alle Mieter das Gesetz verändern und die Situation verschlechtern! Und das tun Sie!) Meine Damen und Herren, das Gesetz, das wir heute beschließen werden, ist sozial ausgewogen. Es schafft die richtigen Anreize für Kleinvermieter, nimmt die Herausforderungen der Energiewende an, und es bekämpft Mietbetrüger. Wir bitten um Zustimmung zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat für die SPD-Fraktion Florian Pronold das Wort. (Beifall bei der SPD) Florian Pronold (SPD): Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Luczak hat die energetische Sanierung angesprochen und gesagt: Sie stellt eine Belastung für die Mieterinnen und Mieter dar, aber sie müssen sie halt tragen, um ihren Anteil zur Energiewende zu leisten. – Wenn die Sanierung einer Wohnung 25 000 Euro kostet, dann können nach geltendem Recht 11 Prozent dieser Kosten pro Jahr auf den Mieter umgelegt werden. Das sind 230 Euro im Monat für einen normalen Mieter, für eine normale Mieterin, und zwar nicht nur so lange, bis die Maßnahme abfinanziert ist, sondern unendlich lange. Das hat doch mit gerechter Lastenverteilung beim besten Willen nichts zu tun. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]) Gerade Menschen in Metropolregionen haben Angst vor energetischer Sanierung. Sie haben Angst davor, über diese Form der Wohnraumsanierung ihr angestammtes Wohnumfeld zu verlieren. Wir wollen doch, dass Polizeibeamte, dass Krankenschwestern, dass Beschäftigte im Bewachungsgewerbe, die in den Metropolregionen Arbeit für uns tun, auch dort wohnen können und dass sie nicht erst eineinhalb Stunden vom Stadtrand in die Stadt fahren müssen, wo sie ihren Dienst tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Damit sie dort wohnen können, bedarf es nicht nur eines sozialen Mietrechtes, sondern auch einer vernünftigen Lastenteilung bei der energetischen Sanierung. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf nichts geregelt, um dies sicherzustellen. Nein, Sie machen das Gegenteil: Sie verschlechtern das bestehende Mietrecht und sagen: Wenn jemand von Umbaumaßnahmen betroffen ist, hat er nicht mehr das Recht, die Miete zu mindern. – Das steht in Ihrem Gesetzentwurf. Damit geben Sie die Ausgewogenheit, die Sie gerade selber im Hinblick auf das soziale Mietrecht bilanziert haben, auf. Das ist die Wahrheit hinter dem Gesetzentwurf, über den wir heute beraten. Herr Körber – er sitzt hier vorne – war im Ausschuss ehrlicher als viele hier. Im Ausschuss hat er nicht von Ausgewogenheit des sozialen Mietrechts in diesem Gesetzentwurf gesprochen, sondern er hat klar gesagt: Es ist toll und er freut sich, dass es endlich wieder ein eigentümerfreundliches Mietrecht gibt. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Hört! Hört! Da klatscht aber keiner! – Beifall bei Abgeordneten der FDP) Das ist es, was hier Gegenstand der Auseinandersetzung ist: Sie verschieben mit dem Gesetzentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, einseitig die Lasten hin zu denen, die sich am wenigsten wehren können: hin zu den Mieterinnen und Mietern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie erfahren anhand der öffentlichen Debatte und durch Gespräche, wie sie täglich in Metropolregionen geführt werden, dass die Menschen wirklich Sorge haben, wie sie sich das Wohnen noch leisten können. (Sebastian Körber [FDP]: Ja, wer regiert denn in den Metropolregionen? Die SPD!) In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der Haushalte, die 40 Prozent ihres Einkommens für Wohnen ausgeben müssen, verdoppelt. In den Metropolregionen, in den Universitätsstädten (Sebastian Körber [FDP]: Da regiert die SPD!) haben die Leute Angst, ob sie dort überhaupt wohnen bleiben können. Was ist Ihre Antwort darauf? Ihre Antwort ist eine Verschlechterung der Situation der Mieterinnen und Mieter durch den vorliegenden Gesetzentwurf. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie haben endlich eine Forderung der Sozialdemokratie und anderer aufgenommen, aber wie immer nicht richtig umgesetzt. Die Reduzierung der Mietkappungsgrenze von 20 Prozent auf 15 Prozent wird auch in unserem Antrag gefordert. Aber bei uns gilt sie für alle Mieterinnen und Mieter, und bei uns gilt sie für vier Jahre. Und wir schieben dieses Problem nicht auf die Länder ab und schaffen keine neue Rechtsunsicherheit, sondern wir wollen das für alle regeln. Wir wollen – das ist einer der wichtigen Punkte –, dass es auch bei Neuvermietungen einen Schutz gibt. Das Beispiel mit der Wohnungsbaugesellschaft, das gerade gebracht worden ist, ist unsinnig. Die Vorstellungen richten sich nämlich nach dem Mietspiegel. Nach diesem Mietspiegel darf bei Neuvermietungen der Mietpreis nicht über 10 Prozent von dem, was in diesem Mietspiegel festgestellt ist, hinaus gesteigert werden. Das bietet genügend Möglichkeiten für Investitionen. Gerade bei niedrigen Zinsen besteht diese Möglichkeit weiterhin, eine Möglichkeit, die wir doch alle wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Spannend war für mich auch – das betrifft eine Debatte, die uns die nächsten Jahre noch beschäftigen wird –: Wir werden über die Zukunft des sozialen Wohnungsbaus reden. Herr Körber hat im Ausschuss gesagt, er versteht gar nicht, warum Kommunen überhaupt noch Wohnbestand halten sollen. Ich will Ihnen einfach einmal sagen, warum ich als Sozialdemokrat felsenfest davon überzeugt bin, dass wir öffentlichen Wohnbestand brauchen. In München ist es so, dass die durchschnittliche Kaltmiete pro Quadratmeter bei über 10 Euro liegt. (Sebastian Körber [FDP]: Wer regiert da? Ein SPD-Oberbürgermeister?) Die Miete für Wohnungen von Wohnungsbaugesellschaften in München liegt knapp über 6 Euro. Wenn wir keinen öffentlich geförderten Wohnraum hätten, wenn wir keine öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften hätten, dann würden viele Menschen ihre Wohnung verlieren. Das, was Sie wollen, ist genau das. Auch darauf zielen Sie mit diesem Gesetzentwurf ab. Wir werden ihm nicht zustimmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11894, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10485 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf so zustimmen wollen, bitte ich um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung, die wir namentlich vornehmen. – Es liegen übrigens zwei Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor.1 – Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.2 Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 17/11894 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9559 mit dem Titel „Soziales Mietrecht erhalten und klimagerecht verbessern“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ich nehme an, dass die SPD eher dagegen stimmt. Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen, relativ zögerlicher Ablehnung durch die SPD-Fraktion; enthalten haben sich die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10776 mit dem Titel „Wohnen muss bezahlbar bleiben“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch Koalitionsfraktionen und SPD. Die Linke war dagegen; Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/10120 mit dem Titel „Mietrechtsnovelle nutzen – Klimafreundlich und bezahlbar wohnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU und FDP. Dagegen waren Grüne und SPD; die Linksfraktion hat sich enthalten. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 45 sowie Zusatzpunkt 5 auf: 45 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Johanna Voß, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verbot des Fracking in Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Nicole Maisch, Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Drucksachen 17/11328, 17/11213, 17/11712 – Berichterstattung: Abgeordneter Thomas Bareiß ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Schwabe, Dirk Becker, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen – Drucksache 17/11829 – Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie dem der SPD werden wir später wiederum namentlich abstimmen. Vorgesehen ist, eine halbe Stunde zu debattieren. Das ist nicht viel Zeit. Deswegen müssen wir die Chance haben, uns besonders gut zuzuhören. Ich bitte, alle Besprechungen in vorderen wie hinteren Reihen nach draußen zu verlegen oder sich zu setzen. Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der Kollege Manfred Todtenhausen für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manfred Todtenhausen (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Zum Antrag der Grünen kann ich nur sagen: Wenn es um den Bau neuer Kraftwerke geht, ist es die Angst vor dem Feinstaub. (Frank Schwabe [SPD]: Es geht aber gar nicht um Kraftwerke!) Wenn es um den Bau neuer Stromtrassen geht, ist es die Angst vor dem Elektrosmog. Wenn es um die Entwicklung der CCS-Technologie geht, ist es die Angst vor CO2. Wenn es um die Förderung von Erdgas geht, ist es die Angst vor Chemie. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein toller Einstieg!) Wann immer ein Gespenst in dieser Republik umhergeht, es sind immer die gleichen Verhinderer und Blockierer. (Beifall bei der FDP) Und warum? Sie glauben weiterhin, Wohlstand entstehe durch Subventionen, wachsende Schulden und staatliche Umverteilung. Wir bekennen uns zum Industriestandort Deutschland; denn Wohlstand entsteht durch Wachstum, Wettbewerb und industrielle Wertschöpfung – auch wenn Ihnen das nicht gefällt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Ist das die Meinung der NRW-CDU?) Lieber Kollege Krischer, bevor Sie wieder twittern „Todtenhausen will Fracking – jetzt und überall“, kann ich Sie beruhigen: Auch ich will meine Mitmenschen nicht vergiften. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ah!) Auch mir liegt die intakte Umwelt am Herzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Selbstverständlich kommt es mir auch auf die richtigen Rahmenbedingungen an. Nein, auch in Zukunft keine Förderung in Wasserschutzgebieten! (Beifall bei der FDP) Ja, Förderung nur nach Prüfung möglicher Umweltauswirkungen! Wir werden dafür sorgen, dass Schiefergasgewinnung sicher und umweltgerecht durchgeführt werden kann, ohne etablierte Wirtschaftszweige zu ruinieren. (Beifall bei der FDP) Sie betonen in Ihren Anträgen, bei der Anwendung von Fracking seien noch Fragen offen. Ja richtig, natürlich sind Fragen offen. Technischer Fortschritt bringt immer auch neue Herausforderungen mit sich und wirft neue Fragen auf. Das ist doch normal. (Beifall bei der FDP) Leider haben Sie bisher offenbar nur zwei Gutachten zur Kenntnis genommen. Aber nicht einmal die von Ihnen zitierten Gutachten kommen zu dem Ergebnis, dass Schiefergasgewinnung grundsätzlich verboten werden muss. Beide Gutachten beschränken sich zudem weitgehend auf wasserwirtschaftliche Belange und empfehlen ausdrücklich – ja, ausdrücklich –, einzelne Vorhaben behördlich und wissenschaftlich begleitet fortzuführen. Die politische Entscheidungsfindung muss sich auf mehr berufen als nur auf ein oder zwei Gutachten. Neben geologischen, technischen und finanziellen Fragen sind auch die Abläufe der Verwaltungspraxis zu betrachten. Weiterhin sind Abwägungen hinsichtlich Rohstoffabhängigkeit, Versorgungssicherheit und ganz besonders – ich betone: ganz besonders – der Beschäftigungssicherung einzubeziehen. Wenn zudem in Deutschland effiziente, sichere und umweltfreundliche Förderverfahren entwickelt werden, können wir diese auch in andere Regionen der Welt exportieren. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wenn! Geht aber nicht!) – Ich glaube, die Industrie arbeitet daran. – Die dortigen Fördermethoden kritisieren Sie ja bekanntermaßen auch sehr gern. Wer aber immer reflexartig nach Verboten schreit, der will in Wahrheit gar keine Antworten bekommen. Meine lieben Grünen, auch wenn Sie noch so viele Wirtschaftskongresse abhalten: Sie können Angst, aber keine Wirtschaft. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frank Schwabe hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Frank Schwabe (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So viel Offenheit, Herr Todtenhausen, hatte ich gar nicht erwartet. Ich finde es wunderbar, dass Sie hier klar Stellung beziehen. Heute ist wieder so ein Tag – im Übrigen nicht der erste –, an dem in namentlicher Abstimmung jedes Mitglied des Deutschen Bundestages schwarz auf weiß beweisen kann, wo es eigentlich steht. Diese Debatte, dieses Werfen von Nebelkerzen, erstreckt sich mittlerweile über zwei, drei Jahre. Sie verweigern am Ende Ihre Arbeit; Sie verweigern als Bundesregierung Ihre Arbeit, indem Sie nach Jahr und Tag keinen Gesetzentwurf hier im Deutschen Bundestag vorlegen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt Hunderttausende Menschen, die diese Debatte sehr interessiert. Es gibt viele Menschen, zum Beispiel im Kreis Recklinghausen, aus dem ich komme, oder in Niedersachsen, die sich sehr genau anhören, was Sie hier dazu sagen. Im Übrigen sagen Sie hier das Gegenteil von dem, was die örtlichen Bürgermeister von FDP – Sie haben, glaube ich, nicht so viele – und CDU sagen. Die warnen nämlich alle vor Fracking. Sie aber machen nichts; Sie sorgen nicht für eine gesetzliche Regelung im Deutschen Bundestag. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In Wahrheit geht es wieder um einen Streit zwischen dem Umweltminister und dem Wirtschaftsminister. Wer wissen will, wie es beim Emissionshandel aussieht, der braucht nur die Zeitungen von heute zu lesen. Das Absurde ist, Herr Todtenhausen, dass Sie auf diese Weise einiges in diesem Land unmöglich machen. Wenn Sie Infrastrukturprojekte durchsetzen wollen, dann müssen Sie die Menschen mitnehmen, dann brauchen Sie ordentliche gesetzliche Regelungen; sonst werden Sie am Ende der Totengräber der Technologie sein, die Sie eigentlich haben wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir brauchen klare Regelungen: kein Einsatz von giftigen Chemikalien, kein Einsatz in Wasserschutzgebieten, eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung, keine „Umweltverträglichkeitsprüfung light“, wie es die Landesregierung von Niedersachsen immer noch fordert. Außerdem brauchen wir ein Moratorium. Die Menschen brauchen Klarheit; sie müssen wissen, dass es so lange kein Fracking gibt, bis endlich klare gesetzliche Regelungen vorliegen. Sie sind aber eben nicht in der Lage, für Klarheit zu sorgen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ein Blick in die Historie zeigt, dass wir uns mit diesem Thema im Deutschen Bundestag seit mehr als zwei Jahren beschäftigen. Ich habe am 31. März 2011 die Frage an die Bundesregierung gestellt: Wie bewertet die Bundesregierung die Risiken der Gewinnung von unkonventionellem Erdgas? Die Antwort lautete: Bezüglich möglicher Risiken bei der Gewinnung von unkonventionellem Erdgas geht die Bundesregierung nach jetzigem Kenntnisstand davon aus, dass … keine wesentlichen Unterschiede zur Gewinnung von konventionellem Erdgas bestehen. Vor zwei Jahren also wusste man nichts. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Schwabe, der Kollege Mattfeldt würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das zulassen? Frank Schwabe (SPD): Ja, gerne. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Herr Kollege Schwabe, Sie spielen sich hier auf, als seien Sie allwissend. (Zurufe von der SPD: Oh!) Sie sind eben explizit auf Niedersachsen eingegangen und haben davon gesprochen, dass es dort Verfehlungen gab. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stimmt ja auch!) Ich selbst komme aus einem Wahlkreis, in dem nicht nur Fracking ein Problem ist, sondern auch die Verseuchung von Leitungen, die Lagerstättenwasser transportiert haben, sodass großflächige Verschmutzungen eingetreten sind. Ihre rot-grüne Regierung hat Ende der 90er-Jahre in Niedersachsen die Genehmigung zur Verpressung von Lagerstättenwasser erteilt, auf die sich die Industrie heute noch beruft. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist leider falsch, Herr Kollege! – Weitere Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Genehmigung ist der Grund dafür, dass es zu diesen großflächigen Verschmutzungen kam. Jetzt frage ich Sie: Wie stehen Sie dazu, dass Ihre Regierung diese Genehmigung erteilt hat? Und wie passt das mit Ihrer Rede hier zusammen? Ich darf aber auch sagen – weil aus dem linken Lager schon große Empörung kommt –: Ich bin einer derjenigen, der heute den Antrag der Grünen unterstützen wird. Nichtsdestotrotz habe ich große Schwierigkeiten mit Blick auf Ihr Reden und Handeln; denn Sie haben in der Vergangenheit anders gehandelt, als Sie heute reden. Sie sind verantwortlich dafür, dass es zu diesen großflächigen Verschmutzungen gekommen ist. Frank Schwabe (SPD): Das ist ja spannend. Ich nehme zunächst einmal zur Kenntnis, dass Sie in der Tat den Mut haben, sich bei der namentlichen Abstimmung heute richtig zu entscheiden. Ich bin einmal gespannt – das kann ja jeder im Protokoll nachlesen –, wie sich andere niedersächsische Abgeordnete Ihrer Partei hier verhalten. Die entscheidende Frage ist doch: Wollen wir den völlig unbefriedigenden, zum Teil sogar skandalösen und unhaltbaren Zustand, den Sie angesprochen haben, nämlich dass heute noch Frack-Fluide verpresst und nicht vernünftig entsorgt werden, ändern, ja oder nein? Bei der Beantwortung dieser Frage gibt es eben einen fundamentalen Unterschied zwischen der Landesregierung in Niedersachsen – Ihrer Landesregierung, Schwarz-Gelb – und zum Beispiel der rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, die diese Debatte seit zwei Jahren mit Anträgen im Bundesrat vorantreibt. (Zuruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU]) – Niedersachsen hat diese Anträge ständig abgelehnt, Herr Grindel. Sie hatten Gelegenheit, bei einem Workshop des Bundesumweltministeriums Stellung zu nehmen, im Übrigen – skandalös, wie ich finde – als einziger Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Da hätten Sie sich zu Wort melden können. Ansonsten stellen Sie hier entsprechende Zwischenfragen. Dieser Zustand ist also nicht haltbar. Die Frage ist doch nur, wer diesen Zustand ändern will. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen und es ist die Opposition in diesem Haus, die den Zustand ändern wollen, und Sie eben nicht. Sie haben wiederholt nichts auf den Tisch gelegt. Ich sagen Ihnen noch eines: Frau Dött, ihres Zeichens umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, hat zusammen mit Herrn Dr. Paul, Umweltpolitiker, der interessanterweise heute gar nicht reden darf – da ist schon klar, wie die Koalition dieses Thema eigentlich betrachtet –, eine Pressemitteilung herausgegeben. Darin heißt es – ich zitiere –: Die Union strebt an, unmittelbar nach der Sommerpause eine politische Initiative zu ergreifen. Wissen Sie, von wann die Pressemitteilung ist? Vom 5. August 2011. Unmittelbar nach der Sommerpause 2011 sollte also eine politische Initiative ergriffen werden. Jetzt ist Ende des Jahres 2012; aber es ist nichts passiert. Sie versuchen, dieses Thema über die Wahlen zu bringen, über die Wahl in Niedersachsen und – das prophezeie ich – auch über die Bundestagswahl. Sie werden es nicht schaffen, vor der Bundestagswahl einen Gesetzentwurf auf den Tisch zu legen. Sie üben den schwarz-gelben Fracking-Dreisprung: zunächst einmal nicht erkennen, dann verharmlosen und schließlich auf nach den Wahlen verschieben. Das heißt für mich: Bei Ihnen geht es nur mit Druck durch das Engagement der Menschen vor Ort, der vielen Bürgerinitiativen, der Bürgermeister und anderer. Am Ende geht es nur durch Wahlen. In Nordrhein-Westfalen hat das ganz gut funktioniert. Dort gibt es jetzt eine klare Haltung der Landesregierung. Es wäre im Übrigen gut, wenn das in Niedersachsen in einigen Wochen auch der Fall wäre. Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln auf den Drucksachen 17/10485 und 17/11894 bekannt: abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 308 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 262 Kolleginnen und Kollegen. Es gab eine Enthaltung. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571; davon ja: 308 nein: 262 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Petra Müller (Aachen) Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Nein SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Thomas Oppermann Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Neškovi? Enthalten FDP Burkhardt Müller-Sönksen Wir kommen zurück zu unserer Debatte. Ich gebe dem Kollegen Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Glaubt man dem Kalender der Maya, geht nächste Woche Freitag die Welt unter. Wenn das stimmte, würde sich die Debatte, die wir heute führen, erübrigen. Herr Kollege von der SPD, Sie haben doch jetzt eigentlich klargemacht: Es hat nur wahlkampftaktische Gründe, dass Sie jetzt vor dem Weltuntergang warnen. Sie haben doch dem gesamten Plenum und der Öffentlichkeit klargemacht: Ihnen geht es nicht um das Thema, sondern ausschließlich um Wahlkampf. Und das kritisieren wir. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD) Wir kritisieren immer wieder, dass es der Opposition nicht um eine sachliche Diskussion über das Thema Fracking geht. Alle Anträge, die Sie heute vorgelegt haben, sind höchst einseitig formuliert. Die SPD hat schnell einen Antrag nachgeschoben, damit sich nicht nur Anträge der Linken und der Grünen im Geschäftsgang befinden; vorgestern kam der Antrag herein, abgeschrieben von den Kollegen der Grünen. Meine Damen und Herren, man muss erst einmal eines feststellen: Fracking gibt es in Deutschland seit 50 Jahren; über 260 Fracks sind in Deutschland bereits bearbeitet worden. Ich habe nicht gehört, dass Sie sich in den letzten 50 Jahren darüber aufgeregt haben. (Frank Schwabe [SPD]: Dann ist doch alles gut! Finden Sie das richtig?) Sie führen Wahlkampf, aber es gibt keine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Sie verunsichern die Bürger im Lande und versuchen, dadurch Wählerstimmen zu erhaschen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Pflichtapplaus!) Man muss einmal deutlich machen: Die rechtlichen Anforderungen im Bereich des Fracking sind in Deutschland schon heute enorm hoch. Sie wissen ganz genau, dass es in Deutschland keine Wildwestmethoden gibt. Vielmehr muss im Zusammenhang mit der Beantragung einer Erlaubnis für das Aufsuchen von Erdgasquellen die Bergbaubehörde eingespannt werden; die Wasserbehörden erhalten Mitsprache, und es muss abgewogen werden, ob das beantragende Unternehmen zuverlässig ist und die Allgemeininteressen überwiegen. Bei der Bewilligung der Förderung ist es genauso – das wissen Sie ganz genau –: Auch hier verfügt die Bergbaubehörde über ein ganz klares Regularium, nach dem geprüft werden muss; da geht es etwa um Gefahrenvorsorge und Abfallbeseitigung. Die Zulassung für eine Förderung erfolgt letztendlich unter Anwendung des Bergrechts im Einvernehmen mit den Wasserbehörden, und die Kommunen sind als Planungsträger an dem Verfahren beteiligt. Nach der geltenden Rechtslage ist es so, dass erst bei einer Förderung von mehr als 500 000 Kubikmetern pro Tag eine UVP, also eine Umweltverträglichkeitsprüfung, obligatorisch vorgeschrieben ist. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja das Problem!) Ich sage es noch einmal: Es gibt in Deutschland keine Wildwestmethoden, anders als Sie es den Menschen zu suggerieren versuchen. (Frank Schwabe [SPD]: Es bleibt also, wie es ist?) Wenn man sich die Anträge genau anschaut, stellt man fest, dass Sie die Gutachten, die Ihnen passen, zitieren, aber andere Gutachten, die ebenso in Auftrag gegeben wurden, um das Thema Fracking von allen Seiten zu beleuchten, einfach ausblenden. Was Ihnen nicht passt, findet nicht statt; nur das, was Ihnen passt, erzählen Sie den Leuten. (Ulrich Kelber [SPD]: Wenn der eine sagt: „hochgefährlich“ und der andere sagt: „nicht gefährlich“, dann machen Sie nichts! Sie nehmen den Mittelweg!) Das ist keine seriöse Politik. Ich will noch etwas sagen: Die Gewerkschaft, die IG BCE, ist da wesentlich vernünftiger und hat einen wesentlich differenzierteren Blick auf die Dinge als Sie von der SPD. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwabe zulassen? Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Wenn es ihm nicht wieder um Wahlkampf geht und er eine fachliche Frage stellen will, kann er das gerne tun. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Schwabe, bitte. Frank Schwabe (SPD): Herr Lämmel, darf ich Ihnen eine ganz einfache Frage stellen? (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Ja!) Ich möchte nach Ihren Ausführungen – Sie sagen, es gebe Regelungen und es laufe eigentlich alles ganz gut – die einfache Frage stellen: Halten Sie eine gesetzliche Neuregelung in Sachen Fracking für notwendig, ja oder nein? Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Sie wissen genau, was die Verfahrensschritte sind. (Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja oder nein?) – Langsam! Die Linken wollen grundsätzlich nur verbieten; da braucht man gar nicht weiterzudiskutieren. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Richtig!) Sie wollen nicht einmal den Prozess beobachten. Zu Ihrer Frage: Es gab dazu die klare Aussage, dass die entsprechenden Gutachten in Auftrag gegeben und ausgewertet werden und die Ergebnisse dann im Regierungshandeln umgesetzt werden. Wir sind gerade dabei, die entsprechenden Gutachten auszuwerten, und werden die entsprechenden Fachgespräche durchführen. Dann werden wir, wenn es notwendig sein sollte, aktiv werden. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also nein!) – Woher wissen Sie das denn? (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sonst hätten Sie anders geantwortet!) Sie haben immer so klare Aussagen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Gute ist: Sie wissen schon vorher, was am Ende steht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie erzählen seit zwei Jahren, dass Sie prüfen wollen!) – Man spürt Ihre Aufregung. Sie wollen sich mit diesem Thema doch gar nicht auseinandersetzen, sondern Sie wollen Wahlkampf betreiben. Die christlich-liberale Koalition wird das Thema sachlich anpacken. Wenn am Ende des Prozesses die Notwendigkeit besteht, zum Beispiel eine Verordnung anzupassen, dann wird man das auch tun. Aber wir befinden uns noch auf dem Weg, wir befinden uns noch im Diskussionsprozess. Deswegen kann ich nur sagen: Wenn Sie schon vorher alles wissen, dann brauchen wir diese Diskussion nicht mehr gemeinsam fortzuführen. Wir prüfen sorgfältig, und wir nutzen den wissenschaftlichen Sachverstand, den wir selbst beauftragen und mit Steuergeld bezahlen. Die Menschen haben ein Anrecht darauf, dass das, was die Wissenschaft uns empfiehlt, auch öffentlich gemacht wird. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Lämmel, es gibt noch eine Frage von Frau Bulling-Schröter. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Ich will meinen Satz noch zu Ende bringen. – Für uns ist die Antwort vor Ende des Prozesses nicht klar. Das ist Ihre Politik, aber nicht unsere. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wollen Sie die Frage der Kollegin Bulling-Schröter noch zulassen? Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Das ist zwar relativ sinnlos, aber bitte. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herzlichen Dank, Herr Lämmel, für die Einschätzung. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er hat „relativ“ gesagt!) In Bayern gibt es das Sprichwort: Trau keiner Studie, die du nicht selbst gefälscht hast. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Statistik, gute Frau, nicht Studie!) Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die von den Firmen, die Fracking einsetzen wollen, geschrieben oder finanziert wurden. Es gibt auch eine ganze Reihe von Berichten darüber, wie sich Fracking in den USA auswirkt. (Manfred Todtenhausen [FDP]: Wir sind aber nicht in den USA!) Ich gehe davon aus, dass auch Sie die Berichte gesehen haben, die zeigen, dass Grundwasser verseucht wird. In einem Filmbericht war zu sehen, wie ein Bauer seinen Wasserhahn aufdreht und das Wasser aufgrund des Gases angezündet werden konnte. Große Flächen waren verseucht. Das war kein wissenschaftlicher Bericht, sondern eher ein Bericht aus der Praxis. (Manfred Todtenhausen [FDP]: Das hat doch mit Fracking nichts zu tun!) Nun zu meiner Frage. Machen Sie solche Berichte nicht nachdenklich? Uns unterstellen Sie, wir würden von Anfang an Nein sagen. Diese Tatsachen aber sind nicht zu leugnen. (Beifall bei der LINKEN) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Verehrte Frau Kollegin, zu Ihrem Satz „Ich traue keinem Gutachten, das ich nicht selbst beauftragt habe“: Zum Glück sind Sie im Moment nicht in der Lage, Gutachten zu beauftragen; denn dann dürfte man Ihnen kein Wort glauben. Da Sie Sachverstand in Ihrer Partei generell ausschließen, sind Sie gleich für ein Verbot. Sie diskutieren nicht einmal darüber, sondern Sie wollen gleich verbieten. Dass die Amerikaner Fracking auf eine ganz andere Art und Weise anwenden, als das bei uns überhaupt möglich wäre, ist unbestritten. Deswegen haben wir in diesem Hohen Hause schon mehrfach über dieses Thema gesprochen. Wir versuchen gemeinsam, einen Weg zu finden, wie Fracking in Deutschland ermöglicht werden kann. Wir brauchen diese Technologie, und wir brauchen den Rohstoff Erdgas, so er noch in Deutschland zu gewinnen ist. Insofern kann ich Ihnen nicht zustimmen. Ich kann nur sagen: Trinkwasserschutz hat bei uns schon heute oberste Priorität. (Zuruf von der SPD: Das ist aber sehr unauffällig!) Die Erforschung und die Unterstützung der Erforschung von biologisch unbedenklichen Fracking-Flüssigkeiten ist im ureigensten Interesse der Unternehmen, weil sie genau wissen: Das Vorhaben wird nur zu vermitteln sein, wenn man mit Flüssigkeiten arbeitet, die möglichst keine Giftstoffe enthalten und daher von der Bevölkerung akzeptiert werden. (Ulrich Kelber [SPD]: Nach dem ersten Unfall machen Sie die Fracking-Wende! Sie lernen nur aus Katastrophen!) Für eine Probebohrung ohne Fracking braucht man meiner Ansicht nach keine Umweltverträglichkeitsprüfung. Übrigens: Sie versuchen, den Menschen zu suggerieren, dass ganz Deutschland zum Fracking-Gebiet wird. Der Flächenverbrauch für die unkonventionelle Gasgewinnung ist um ein Vielfaches kleiner als bei der Erzeugung der gleichen Energiemenge durch Solarzellen, Windmühlen oder Ähnliches. Sie müssen doch einmal über diesen Widerspruch nachdenken: Auf der einen Seite wollen Sie die Energiewende zum Erfolg bringen, und zwar mit möglichst wenig Flächenverbrauch, (Ulrich Kelber [SPD]: Gucken Sie zu Ihrer Fraktion! Da schämen sich gerade welche!) und auf der anderen Seite stellen Sie sich gegen jegliche technologische Entwicklung in Deutschland. Das ist nicht unsere Politik. Wir machen auch keinen Wahlkampf damit. Wir setzen uns sachlich mit den Dingen auseinander. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Johanna Voß hat das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Johanna Voß (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Unsere Geduld ist am Ende. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Seit anderthalb Jahren verspricht die Koalition, zu liefern. Damals habe ich bereits Fachgespräche geführt; unterstellen Sie uns nicht, dass wir uns nicht kundig gemacht haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Vielleicht haben Sie es nicht verstanden!) Monatlich gibt es neue Beruhigungspillen in Sonntags- und Montagsreden, erst von Minister Röttgen, dann von Minister Altmaier. Am 3. Dezember gab es noch eine Beruhigungspille des frisch gekürten Fracking-Experten der CDU, Herrn Grindel, CDU-Vertreter im PUA Gorleben. Dort zeigt er sich gänzlich bildungsresistent, was Umweltfragen angeht. Auch in seinem Wahlkreis kann er nicht darüber hinwegtäuschen: Die Bundesregierung liefert nicht. Sie will nicht liefern. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Sie ist nicht bereit, Trinkwasserreserven im Boden zu schützen. Sie ist nicht bereit, dem Trinkwasserschutz gegenüber Konzerninteressen Vorrang zu geben. Sie ist nicht bereit, die Forderung von mehr als 100 Bürgerinitiativen zum Thema Fracking ernst zu nehmen. Sie sperrt sich gegen ein neues Bergrecht mit UVP, Umweltverträglichkeitsprüfung, am Anfang des Genehmigungsverfahrens, vor der ersten Probebohrung und vor dem ersten Probe-Frack. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Sie ist erst recht nicht bereit, dem einzigen wirksamen Mittel zuzustimmen, einem Fracking-Verbot. Das haben Großbritannien, Frankreich und Bulgarien vorgemacht. Es geht doch! (Beifall bei der LINKEN) Bundesländer beschließen nun Moratorien. Die bleiben wirkungslos, sind Fassadenpolitik. Sie hängen ab vom freiwilligen Verzicht der großen Konzerne, aber die Menschen in den betroffenen Regionen brauchen Rechtssicherheit, brauchen eine bundeseinheitliche Regelung zum Schutz vor Gefahren des Fracking. Das kann nur das Verbot sein. (Beifall bei der LINKEN) Stellen wir uns vor: Mit einem verbesserten Bergrecht und dem Einspruch einer mutigen unteren Wasserbehörde versagt ein Bergamt eine Förderungsgenehmigung. Dann wird der Gaskonzern damit vor Gericht gehen. Dort stehen sich dann ein Global Player und ein armes Bundesland gegenüber. Jeder kann sich vorstellen, was das heißt, wer da am längeren Hebel sitzt und meterdicke Gegengutachten zur Umweltverträglichkeit bezahlen und beschaffen kann. Das geht aus wie das Hornberger Schießen. (Michael Kauch [FDP]: Was haben Sie denn für ein Verständnis von den Behörden der Länder?) Was ist mit Bohrungen neben Wasserschutzgebieten, die horizontal in das Trinkwasserschutzgebiet hineingehen? Das ist bei Verden und im Wattenmeer bereits geschehen. Was ist mit Spätfolgen? Was ist mit einer Untersuchung der bisherigen Umwelt- und Gesundheitsschäden, verursacht durch die Öl- und Gasindustrie? Es gibt sie nicht, weil Quecksilbervergiftungen nicht erkannt werden und weil Quecksilbervergiftungen bei Mitarbeitern von Öl- und Gasfirmen nicht anerkannt werden. Nach den Wahlen werden CDU und FDP ein verlässlicher Wegbereiter der Öl- und Gasindustrie bleiben. Sagte ich „nach den Wahlen“? Nein, in Niedersachsen geht das schneller. Die Tinte unter dem Landtagsbeschluss war noch nicht trocken, da hat man sich schon wieder für Steuerbegünstigungen für die unkonventionellen Lagerstätten bis 2017 ausgesprochen. Die Erinnerung an das letzte Erdbeben, hervorgerufen durch Erdgasförderung, am 22. November 2011 bei Langwedel, war noch frisch, Bürgerinnen und Bürger protestierten vor der Staatskanzlei – da machte Herr Bode diesen Vorschlag. So weit reicht das Umweltbewusstsein der Koalition. Eine Energiepolitik, die die Senkung des Verbrauchs ernst nimmt, ist der richtige Weg. Keine unkalkulierbaren Risiken mit unkalkulierbaren Technologien! Davon haben wir bereits mehr als genug. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen keinen Run auf die letzten fossilen Reserven. Angesichts aller Gefahren und der schlechten Klimabilanz, die auch und gerade das Fracking aufweist: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Stimmen Sie für ein Verbot dieser Technologie! Geben Sie endlich Rechtssicherheit! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Oliver Krischer hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Giftige und gesundheitsgefährdende Chemikalien in den Untergrund zu verpressen, um dann mittels Fracking Gas zu fördern, das ist ein unverantwortliches Risiko und gehört verboten. Das steht in Ihrer eigenen Studie: der des Umweltbundesamtes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich sage Ihnen: Noch viel unverantwortlicher als das Fracking selber finde ich den Umgang der Koalition mit diesem Thema. Da haben Bigotterie und Doppelzüngigkeit seit zwei Jahren die Oberhand. Sie laufen im Land herum und erzählen dort das, was das Publikum hören will. Vor Ort machen Sie auf Fracking-Kritiker, und hier, wo Sie etwas tun, wo Sie etwas entscheiden können, machen Sie gar nichts. Sie führen die Menschen an der Nase herum. Das ist die Realität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe die Bundesregierung am 21. November – das ist noch nicht lange her – gefragt, was sie noch in dieser Legislaturperiode in Sachen Fracking zu tun gedenkt. Die Antwort ist eindeutiger, wie sie nicht sein kann. Sie lautet: Die Veröffentlichung einer gemeinsamen Position ist nicht geplant. – Wer keine Position hat oder sie nicht veröffentlichen will, will auch nichts tun. Das passt zu dem, was die Kollegen Lämmel und Todtenhausen hier eben gemacht haben. Sie wollen fracken, bis der Meißel glüht. Das ist Ihre Position. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe vor ein paar Tagen gemerkt, dass es in der CDU ein bisher unentdecktes Fracking-Talent gibt. Herr Grindel war der einzige Experte der Politik auf einer Tagung des BMU zum Thema Fracking. Man höre sich an, was der Mann alles verkündet. Er fordert Fracking ohne Gift. Er fordert ein Moratorium. Er fordert die Verschärfung der Rechtsgrundlage. Er fordert eine Reform des Bergrechtes. Er fordert, die Bergbehörden abzuschaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wieso beantragen Sie das nicht hier? Die Realität ist: Sie dürfen nicht einmal reden. Stattdessen reden bei Ihnen die Fracking-Befürworter. Das ist die Lage in der Koalition. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie verkünden das, was Sie wollen, in der Rotenburger Kreiszeitung. Vor Ort verkaufen Sie das. Dort machen Sie Wahlkampf. Hier, wo Sie etwas tun müssen, kommt von Ihnen gar nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Krönung des Ganzen konnte ich gestern Abend bei Twitter erleben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt! – Zuruf von der CDU/CSU: Das hat ja lange gedauert!) Dort las ich von einem gewissen Peter Altmaier: Bürger wissen, dass CDU und BMU Gefahren durch Fracking verhindern. Das ist Realsatire, nichts anderes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Ich sage Ihnen: Diese Doppelzüngigkeit haben wir hier in diesem Hause schon einmal erlebt. Sie erinnert mich an eine Rede, die hier am 10. Mai 2012 gehalten wurde. Ich zitiere: Weil die Sicherheit von Mensch und Natur unser Leitprinzip ist, wollen wir Fracking in sensiblen Gebieten ganz ausschließen. Daraus folgt: Wir wollen eine verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfung einführen und das Bergrecht ändern. Das sagte der Bundesumweltminister Norbert Röttgen am 10. Mai hier in diesem Hause. Was er noch nicht wusste, war, dass dies seine Abschiedsrede als Bundesumweltminister war. Herr Altmaier, zu dieser Doppelzüngigkeit, die wir von Ihnen und von Ihrem Amtsvorgänger erleben, sage ich Ihnen: Das wird Ihnen auf die Füße fallen. Das kauft Ihnen niemand mehr ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ihre eigenen Leute, nicht nur Ihre Bürgermeister, sondern auch Ihre Bundestagsabgeordneten und Ihre Landtagsabgeordneten sagen rauf und runter in Hunderten von Resolutionen, dass sie das nicht wollen. Sie machen hier nichts außer Show, außer Politik zu simulieren. Da, wo Sie etwas entscheiden können, kommt von Ihnen gar nichts. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen, spätestens am 22. September 2013. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Michael Kauch das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Kauch (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Krischer, Sie haben kritisiert, hier würden keine Umweltpolitiker reden. Als umweltpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion freue ich mich, dass meine Fraktion sowohl die Wirtschafts- als auch die Umweltseite sieht; denn das ist ja die Abwägung, die wir zu treffen haben. (Frank Schwabe [SPD]: Ist das eine Kritik an der Koalition?) Wir haben auf der einen Seite eine Importabhängigkeit beim Erdgas, das wir – das hängt mit der Energiewende zusammen – zunehmend brauchen, um die Schwankungen von Wind und Sonne auszugleichen. Wir wollen nicht auf Dauer von den Russen abhängig sein. Wir müssen auch eigene Quellen erschließen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Deswegen ist die Schiefergasförderung für die Versorgungssicherheit wichtig. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt der FDP-Umweltpolitiker!) Auf der anderen Seite ist aber genauso klar: Es darf keine Gasförderung geben, wo eine Gefährdung des Grundwassers oder des Trinkwassers entstünde. Die Integrität des Wassers hat absoluten Vorrang vor der Gasförderung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen darf es überhaupt kein Fracking geben!) Hier wurde schon niedersächsischer Wahlkampf gemacht. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen: Die Koalition in Niedersachsen, allen voran Umweltminister Birkner, hat eine klare Position in den Landtag eingebracht: kein Fracking in Wasserschutzgebieten und eine klare Umweltverträglichkeitsprüfung. (Frank Schwabe [SPD]: Dann können Sie unserem Antrag zustimmen!) Ich kann Sie beruhigen, meine Damen und Herren: Genau das ist die Position der FDP, (Beifall bei Abgeordneten der FDP) nicht nur der FDP-Bundestagsfraktion, sondern auch der FDP in den Ländern, in NRW und in Niedersachsen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Kauch, Frau Remmers würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das zulassen? Michael Kauch (FDP): Ja. Bitte. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte. Ingrid Remmers (DIE LINKE): Kollege Kauch, Sie haben zum wiederholten Male die Trinkwassersicherheit angesprochen. Im Hinblick auf die Trinkwassersicherheit hat das Fracking natürlich ein Gefährdungspotenzial; aber es gibt bekanntermaßen eine Menge mehr Gefährdungspotenziale. Eines davon ist die Erfahrung aus den USA, dass, wenn man Zehntausende Liter Flüssigkeit mit 5 000 Bar in die Erde presst, das zu Erderschütterungen führen kann, die zwischen 1 und 3 auf der Richterskala liegen. Kollege Kauch, Sie kommen genauso wie ich aus dem Ruhrgebiet. Wir beide wissen ziemlich genau, wie es unter der Erde im Ruhrgebiet so aussieht. Wollen Sie dieses Risiko tatsächlich eingehen? Das ist meine erste Frage. Meine zweite Frage. Die Firma Wintershall hat von der Bezirksregierung Arnsberg bereits im Jahre 2011 eine Genehmigung fürs Fracken bekommen. Sind Sie dafür, dass diese Genehmigung zurückgezogen wird? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Michael Kauch (FDP): In Deutschland werden Umweltrecht und Bergrecht nach Recht und Gesetz von den Landesbehörden entschieden (Manfred Todtenhausen [FDP]: Ist auch gut so!) und nicht im Einzelfall hier vom Deutschen Bundestag. Das ist ein rechtsstaatliches Prinzip. (Frank Schwabe [SPD]: Aber die Gesetze machen wir hier!) Die Verwaltung hat zu prüfen, ob im Einzelfall eine Umweltgefährdung vorliegt oder nicht. Deshalb ist es Aufgabe der Bezirksregierung in Arnsberg – und, in der Aufsicht, der Landesregierung Nordrhein-Westfalen –, die Entscheidung zu treffen, ob an dieser Stelle nach Recht und Gesetz gehandelt worden ist oder nicht. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen, dass Bundesrecht Landesrecht bricht!) Es ist auch ganz klar: Wir wollen nicht nur den Ausschluss von Fracking in Wasserschutzgebieten, wir wollen nicht nur eine gute Umweltverträglichkeitsprüfung, wir wollen auch ein Einvernehmen der Wasserbehörden voraussetzen. (Frank Schwabe [SPD]: Dann machen Sie das doch!) Wenn die Wasserbehörde sagt: „Es darf nicht gefrackt werden, weil es das Grundwasser gefährdet“, dann soll das ein Ausschlusskriterium sein für einen Fracking-Antrag. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Möchten Sie noch eine Zwischenfrage zulassen? Michael Kauch (FDP): Gerne. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Kauch, ich finde, Ihre Forderungen gehen schon relativ weit; darüber könnte man diskutieren. Meine einzige Frage: Wo ist der Gesetzentwurf – den wir baldmöglichst verabschieden können –, in dem das steht? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Kommt noch!) Michael Kauch (FDP): Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Frage. Das ermöglicht es mir, in meiner knappen Redezeit auch diesen Punkt noch aufzunehmen. Es ist ganz klar: Die FDP-Bundestagsfraktion hat inzwischen eine einheitliche Haltung zu diesen Punkten. (Frank Schwabe [SPD]: Aha! Und wo ist sie?) – Ich habe Sie Ihnen soeben vorgetragen. (Frank Schwabe [SPD]: Wo ist denn Ihre Position?) Sie deckt sich nicht mit der Position der Grünen. Die Grünen reden zwar davon, wir müssten hier Gesetze vorlegen; aber gleichzeitig sagt Herr Krischer, wir müssten das Fracking verbieten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal unseren Antrag!) Sie müssen sich schon entscheiden: verbieten oder regeln? Wir sind für regeln; das ist unsere Position. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal unseren Antrag!) Deshalb laden wir auch den Koalitionspartner herzlich ein, noch in dieser Wahlperiode eine gesetzliche Klarstellung zu diesen Punkten vorzunehmen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Frank Schwabe [SPD]: Das ist ja noch besser! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun Sie seit zwei Jahren!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Lars Klingbeil hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Lars Klingbeil (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst recht herzlich bei meiner Fraktion dafür bedanken, dass sie mir heute die Möglichkeit gibt, zum Thema Fracking zu reden. Ich rede hier als Abgeordneter des Wahlkreises „Rotenburg I – Heidekreis“. In diesem Wahlkreis gibt es viele Fracking-Maßnahmen und -Vorhaben, und die Verunsicherung bei den Menschen ist groß. Ich konnte in den vergangenen Monaten viele Gespräche mit Energieunternehmen, mit Bürgerinitiativen, mit Kommunalpolitikern und mit den Menschen vor Ort führen, egal ob in Bötersen im Landkreis Rotenburg, im Heidekreis oder auch im Nachbarlandkreis Verden in Völkersen. Ich sage Ihnen: Es gibt eine große Verunsicherung der Menschen dort darüber, was unter ihren Füßen passiert. (Manfred Todtenhausen [FDP]: Ja, weil sie nicht informiert sind!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU, FDP und CSU, ich sage Ihnen: Die Menschen haben kein Verständnis mehr für Ihr Zaudern, für Ihr Zögern, für Ihr Taktieren, für Ihr Abwarten und für Ihr Nichthandeln. Wir brauchen endlich klare Regeln, wenn es um das Fracking geht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Egal ob bei mir im Wahlkreis, in Niedersachen oder im Rest der Republik: Es sind doch Kollegen aus Ihren Reihen, die all diese Bedenken teilen. Es sind Ihre Kreistagsabgeordneten und Ihre Stadt- und Gemeinderäte, die parteiübergreifend Resolutionen gegen das Fracking auf den Weg bringen. Trotzdem sind wir hier nach fast zwei Jahren Debatte keinen Schritt weiter. Nachdem ich hier einige Redebeiträge gehört habe, bin ich mir fast sicher, dass der Antrag der Grünen und der Antrag der SPD heute eine Mehrheit finden müssten. Ich bin gespannt, ob Sie diesen Mut aufbringen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es sehr spannend, dass auch konservative Politiker auf die Bürgerinitiativen vor Ort zugehen. Das passiert ja nicht überall. Es scheint dann aber etwas zu passieren. Im Wahlkreis vertreten Sie unsere Meinung, und auf dem Weg nach Berlin scheint das dann verloren zu gehen. Ich sage Ihnen: Die Menschen bekommen es mit, wenn hier ein doppeltes Spiel gespielt wird. Lösen Sie endlich diesen Widerspruch auf und handeln Sie! Vertreten Sie eine klare Position, wenn es um das Fracking geht! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt keinen Grund mehr, zu warten. Wir brauchen jetzt Entscheidungen. Sie haben sich monatelang mit dem Gutachten des Umweltministeriums herausgeredet, das neue Erkenntnisse bringen sollte. Ich glaube Peter Altmaier und dem, was in seinem Gutachten steht, ja, aber ich frage mich: Warum gibt es noch keine Konsequenz aus diesem Gutachten, das doch sehr klar sagt, was passieren soll? Ich sage Ihnen: Das Leitmotiv bei unseren politischen Entscheidungen muss sein: im Zweifel für die Sicherheit der Menschen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir Sozialdemokraten und auch die Grünen haben klar auf den Tisch gelegt, was hier passieren soll: Wir sind für ein Moratorium, und wir wollen ein grundsätzliches Verbot von Fracking-Maßnahmen in Trinkwassergewinnungsgebieten. Wir wollen, dass die Verpressung von Fracking-Abwässern untersagt wird und klare Regeln für die Entsorgung verabschiedet werden. Wir wollen eine verbindliche Umweltverträglichkeitsprüfung, um die Risiken für Mensch und Umwelt frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, und vor allem wollen wir mehr Öffentlichkeitsbeteiligung. Wir wollen mehr Transparenz und Informationen für die, die es betrifft. Auch hier sage ich: Hier müssten Sie doch mitgehen und diesen Weg der Beteiligung und der Transparenz auch für richtig empfinden. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist Zeit für Entscheidungen. Die Koalition redet und redet und redet. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Und handelt!) Sie erstellt Gutachten, führt Fachkonferenzen durch, bildet Arbeitskreise und macht Ankündigungen. Dann redet sie wieder und redet, und alles beginnt von vorne. Hier liegen klare Vorschläge von SPD und Grünen auf dem Tisch. Hören Sie auf, zu taktieren! Treffen Sie Entscheidungen! Das ist das, was die Menschen im meinem Wahlkreis, in Niedersachsen und an vielen anderen Stellen der Republik erwarten: verantwortliches Handeln, klare Kante. Hören Sie auf, zu lavieren! Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Franz Obermeier hat jetzt das Wort für CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Franz Obermeier (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns heute zum wiederholten Mal mit dem Thema Fracking, mit der Fracking-Methode. Im Prinzip geht es der Regierungskoalition darum, die Erdgasbasis in Deutschland und in Europa auf solidere Beine zu stellen. Erdgas ist ein äußerst wertvoller Energieträger. Erdgas hat eine hohe Energiedichte, und vor allem ist Erdgas speicherbar. Die Diskussion, die wir hier im Plenum führen, ist für meine Begriffe sehr stark durch den Wahlkampf in Niedersachsen geprägt. Es ist völlig klar, dass das das eigentliche Motiv ist. Das ist aber nicht gerechtfertigt, wenn man sich mit der Basis der Thematik befasst. Deutschland importiert einen sehr hohen Anteil an Erdgas beispielsweise aus Russland und aus Norwegen. Kolleginnen und Kollegen, wir unternehmen sehr viel, um Bioerdgas ins Netz zu bringen, weil das ein sehr wertvoller Energieträger ist. Heute unterhalten wir uns über die Gewinnung von unkonventionellem Erdgas und speziell über die Fracking-Methode. Es ist wahr: Bei der Fracking-Methode wurden bislang Chemikalien eingesetzt, die kritisch zu beurteilen sind. Wir haben sie in Deutschland in der Dichte so weit noch nicht erprobt. Das geht eindeutig aus dem BGR-Gutachten hervor. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Moratorium!) Das BGR-Gutachten hat ebenso wie das Gutachten des Umweltbundesamtes einen vorläufigen Charakter. Wir sollten etwas Dampf aus der Diskussion nehmen und uns die Zeit nehmen, um die Gefährlichkeit der eingesetzten Stoffe richtig beurteilen zu können. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erzählt ihr seit zwei Jahren!) Ich nenne ganz bewusst die Chancen, die sich aus der heimischen Erdgasgewinnung ergeben. Wir haben damit die Wertschöpfung im eigenen Land. Ist Ihnen das gar nichts mehr wert, Kolleginnen und Kollegen von der Opposition? Auch ich sehe natürlich auf der anderen Seite die Risiken. Ich appelliere an das gesamte Haus, bei der Diskussion mit den Bürgern über die Risiken ein gewisses Maß an Objektivität an den Tag zu legen. Natürlich legen wir in den Regierungsfraktionen den allergrößten Wert darauf, dass wir unser Trinkwasser nicht gefährden. Es wäre das erste Mal, dass wir hier bedenkenlos wären. Wir legen allergrößten Wert darauf, dass die kontaminierten Abwässer gereinigt werden. Es wäre das erste Mal, dass die christlich-liberale Koalition mit dieser Aufgabe nicht seriös umginge. Kolleginnen und Kollegen, wir kümmern uns auch intensiv um die induzierte Seismizität. Das sind schwierigste Bereiche, die wir zu bearbeiten haben. Man muss ehrlich mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutieren und sie darauf hinweisen, dass wir uns bei der Behandlung dieser Themen noch im Forschungs- und Entwicklungsbereich bewegen. Wenn von uns jetzt verlangt wird, in konkrete gesetzgeberische Handlungen einzutreten, muss ich Ihnen leider sagen, dass wir einfach noch nicht so weit sind, die Dinge konkret abwickeln zu können. Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Abschluss noch ein Wort (Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben noch gar nichts gesagt! Sie können nicht zum Ende kommen!) aus vollster Überzeugung vor dem Hintergrund meiner beruflichen Erfahrung sagen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Entschuldigung! Möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Schwabe zulassen? Franz Obermeier (CDU/CSU): Herr Schwabe hat so viele Gelegenheiten gehabt, sein Gift zu versprühen. Lassen wir das lieber sein, Herr Schwabe. (Frank Schwabe [SPD]: Sie können eh keine Antwort geben! – Ulrich Kelber [SPD]: Die Antwort hat ihm niemand aufgeschrieben!) Ich will noch etwas anderes ansprechen. Wenn wir die Energiewende in absehbarer Zeit zu einem vernünftigen Ergebnis bringen wollen, (Frank Schwabe [SPD]: Wann denn? In dieser Periode noch?) dann müssen wir auch der Energiebasis und den rein physikalisch bedingten Erfordernissen Rechnung tragen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wenn wir uns nun in den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP die Zeit nehmen, die Dinge sauber abzuwägen – vor allem die Risiken aus dem Chemikalieneinsatz; (Frank Schwabe [SPD]: Aber wann kommt denn das?) wir wissen schließlich noch gar nicht, welche Chemikalien konkret zum Einsatz kommen sollen –, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau deshalb!) dann sollten wir bei den Diskussionen mit den Bürgerinnen und Bürgern auch deutlich sagen, dass wir ihre Besorgnis ernst nehmen, (Ulrich Kelber [SPD]: Und nichts tun! – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sollten endlich dieses Thema ernst nehmen!) statt noch Gas in das Feuer zu gießen, das schon am Brennen ist. Denn damit tun wir unserem Land und unserer Volkswirtschaft ganz sicher keinen Gefallen. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Verbot des Fracking in Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11712, den Antrag auf Drucksache 17/11328 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. SPD und Grüne haben sich enthalten. Die Linke hat dagegen gestimmt. Ich möchte darauf hinweisen, dass jetzt zwei namentliche Abstimmungen unmittelbar nacheinander folgen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11213 mit dem Titel „Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland“. Wir stimmen nun über Buchstabe b der Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Die Schriftführerinnen und Schriftführer mögen bitte die vorgesehenen Plätze einnehmen. Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über Buchstabe b der Beschlussempfehlung. Ich gebe Ihnen zwischenzeitlich bekannt, dass es zahlreiche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung gibt, die uns hier vorliegen.3 Sind noch Mitglieder des Hauses anwesend, die ihre Stimmkarte nicht einwerfen konnten? – Das ist der Fall. Sind Mitglieder des Hauses anwesend, die noch nicht abstimmen konnten? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir kommen direkt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11829 mit dem Titel „Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen“. Auch hierzu stimmen wir namentlich ab. Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die zweite namentliche Abstimmung, und zwar in diesem Fall über den Antrag der SPD. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht eingeworfen hat? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen werden Ihnen später bekannt gegeben.4 Wir setzen unsere Beratungen fort. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen – Drucksachen 17/11466, 17/11890 – Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Dr. Rolf Mützenich Marina Schuster Wolfgang Gehrcke Dr. Frithjof Schmidt – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11891 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Klaus Brandner Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Priska Hinz (Herborn) Auch über diese Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Verabredet ist es, dazu eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich bitte herzlich alle Kolleginnen und Kollegen in den Gängen und vor den Tischen, sich zu setzen, damit wir dem ersten Redner zuhören können. Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Rainer Stinner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Rainer Stinner (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Mandat, um das es heute geht, ist weltweit eines der populärsten Mandate der NATO überhaupt. 63 Staaten beteiligen sich daran. Zu unserer aller Überraschung beteiligt sich selbst Russland, das der NATO sehr kritisch gegenübersteht, an dieser Operation der NATO. Es muss also einen Sinn haben, dass wir im Mittelmeer eine solche Operation durchführen. Nun gibt es Kritik an diesem Mandat. Ich nehme die drei Kritikpunkte auf, die Herr Mützenich in seiner Rede in der letzten Woche vorgebracht hat. Einen Kritikpunkt verstehe ich. Als Oppositionspolitiker würde auch ich ihn vorbringen; für die zwei weiteren Kritikpunkte habe ich kein Verständnis. Herr Mützenich hat hier namens der Opposition kritisiert, dass die Begründung für das Mandat problematisch ist. Das würde auch ich als Oppositionspolitiker sagen. Auch ich würde das der Regierung vorhalten. Sie wissen aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, dass die Bundesregierung nachdrücklich versucht hat, die Begründung entsprechend zu ändern. Sie hat versucht, das Mandat anzupassen und es in eine ständige Operation zu überführen. Staatsminister Link hat das in einer sehr sympathischen Offenheit bei der Einbringung des Mandats gesagt. Wir sehen das genauso. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind nicht alleine auf der Welt, sosehr wir das manchmal bedauern mögen. Wenn es uns trotz eines nachdrücklichen Versuchs nicht gelingt, die Partner davon zu überzeugen, werden wir deswegen nicht eine sonst sinnvolle Operation nicht mehr durchführen. Den zweiten Kritikpunkt von Herrn Mützenich verstehe ich nun überhaupt nicht. Herr Mützenich hat sich an der Mandatsobergrenze gestoßen. Er hat kritisiert, dass wir Soldaten, die sich sowieso im Mittelmeer aufhalten, während der Dauer des Aufenthalts im Mittelmeer diesem Mandat unterstellen. Diese Kritik kann ich in keiner Weise verstehen. Wenn wir eine Beobachtungsmission haben, die nichts anderes tut, als zu beobachten und aufzupassen, dass nichts Schlimmes in dieser Region geschieht, ist es doch sinnvoll, unsere Schiffe, die sowieso durchs Mittelmeer fahren, für einige Tage diesem Mandat zu unterstellen. Wie man daran Kritik üben kann, kann ich beim besten Willen nicht verstehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch Ihr dritter Kritikpunkt, Herr Mützenich, entspricht nicht dem – Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze –, was ich von Ihnen sonst intellektuell gewöhnt bin. Es geht um die Kritik daran, dass in der Begründung ausgeführt wird, dass sich die Situation in der arabischen Welt geändert hat. Uns allen und auch Ihnen, Herr Mützenich, ist doch klar, dass durch die Veränderungen in Ägypten, in Libyen und in Syrien sich die Situation in der Region, im Mittelmeerraum, natürlich verändert hat und es deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt sinnvoll ist, dass wir wissen, was in dieser Region passiert. Zu diesem Wissen trägt die Operation Active Endeavour wesentlich bei. Aus diesem Grunde kann ich die Kritik nicht verstehen. Das ist nämlich eine sinnvolle Operation. Die Bundesregierung hat in einer erfrischenden Offenheit gesagt, dass sie versucht, dieses Mandat weiterzuentwickeln und daraus eine ständige Operation zu machen, die keines Mandats mehr bedarf. Sie will auch nicht mehr die Terrorbekämpfung in den Vordergrund stellen, sondern mit dieser Operation dazu beitragen, dass durch die Überwachung des Seeraums der Waffenschmuggel in der Region verhindert werden kann. Dieses Thema sollte uns allen am Herzen liegen. Aus diesem Grunde stimmen wir diesem Mandat zu. Wir bitten die Opposition, unserer Argumentation zu folgen. Stimmen auch Sie zu! Damit machen Sie nämlich etwas Sinnvolles. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Wolfgang Hellmich das Wort. (Beifall bei der SPD) Wolfgang Hellmich (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Operation Active Endeavour ist ein schwieriges Mandat. Das hat der Außenminister schon im Jahre 2011 festgestellt. Vor 2010 sagt die Bundesregierung, dass sich die Aktivitäten des internationalen Terrorismus verändert haben, und steigt aus Maßnahmen aus. Zwei Jahre später begründet dieselbe Bundesregierung die angestrebte Mandatsverlängerung der Operation Active Endeavour mit der kollektiven Selbstverteidigung und der gemeinsamen Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die seit den schrecklichen Ereignissen im September 2001 gilt. Wie passt das zusammen? Meiner und unserer Meinung nach überhaupt nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Bundesregierung will den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen der NATO-Operation Active Endeavour bis zum 31. Dezember 2013 verlängern. Zur Erinnerung: OAE dient der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA und soll terroristische Aktivitäten im Mittelmeerraum verhindern und bekämpfen. Sehen Sie momentan derartige Aktivitäten im Mittelmeerraum, und können Sie diese terroristischen Aktivitäten benennen, von denen die USA bedroht sind? Der Lagebericht zum Einsatz von Streitkräften stellt in der Mittelmeerregion keine akute Bedrohung fest. Mit der realen Situation ist die Verlängerung eines solchen Mandates wohl nicht zu begründen. Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion ist die rechtliche Grundlage des Einsatzes schon seit einigen Jahren nicht mehr gegeben; denn sie gründet nach wie vor auf dem nach dem 11. September 2001 ausgerufenen NATO-Verteidigungsfall gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages. Dass der Einsatz nunmehr auch mit der Entwicklung in den Staaten des sogenannten arabischen Frühlings und mit der Entwicklung in Syrien, Libyen und anderen Staaten begründet wird, wirft nur zusätzliche Fragen auf. Die Mandatierung wird dadurch nicht plausibler und die Begründung nicht stichhaltiger. Im Gegenteil: Sie wird noch problematischer. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, natürlich halten wir als SPD die Präsenz der Bundeswehr auf See sowie die Überwachung und Kontrolle des Seeverkehrs für wichtig. Natürlich müssen die auf der Durchfahrt befindlichen Schiffe verteidigt werden können; das ist keine Frage. Unser Nein richtet sich gegen die Möglichkeit eines mandatierten Einsatzes von Einheiten der Bundeswehr, eines sogenannten robusten Mandats. Der bereits seit Jahren von uns kritisierte Hinweis auf Art. 5 des NATO-Vertrages ist nicht nachvollziehbar. Elf Jahre nach den Ereignissen des 11. September 2001 beziehen Sie sich in Ihrer Mandatsbegründung noch immer auf die damaligen Ereignisse und die im Oktober 2001 beschlossene Bündnisverteidigung. Aber finden Sie es nicht auch sehr weit hergeholt, von Bündnistreue zu sprechen, wenn Legitimation und Begründung für ein Mandat nicht mehr vorhanden sind? Da wird Bündnistreue letztendlich zu einem leeren Schlagwort und für andere Ziele missbraucht. Sehr verehrte Bundesregierung, vielleicht sollten Sie Ihre Begründung durchdenken, bevor Sie sie niederschreiben und diesem Haus vorlegen. Sie, Herr Bundesverteidigungsminister, möchte ich ausdrücklich auf Ihre eigene Forderung hinweisen: ein Mandat nur, wenn es notwendig ist. – Dies ist hier wohl nicht gegeben; denn mit der Operation Active Endeavour wurde bisher kein einziges Schiff mit islamistischen Terroristen im Mittelmeer aufgebracht. Die Begründung für dieses Mandat ist nicht nachvollziehbar. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Völlig unabhängig davon, dass die NATO sich zeitnah mit der Aufhebung des Bündnisfalles befassen muss, ist die Welt heute eine andere als damals; das stimmt. Richtig ist, dass der internationale Terrorismus nach wie vor eine der großen Herausforderungen für die Staatengemeinschaft ist und wohl auch in absehbarer Zeit bleiben wird. Richtig ist aber auch, dass es den Aktivitäten des Nachrichtendienstes und der Polizei zu verdanken ist, dass es keine mit 2001 vergleichbaren islamistischen Anschläge in Deutschland gegeben hat. Nun hat die Bundesregierung allerdings neben dem Bündnisfall noch eine weitere Begründung für die Weiterführung der OAE aus dem Hut gezaubert. Die Umbrüche in der arabischen Welt, die auch von der derzeitigen Bundesregierung noch vor wenigen Wochen als Chance für Demokratisierung gewertet wurden, sollen nun als Legitimation für 700 Bundeswehrsoldaten im Mittelmeer herhalten. Es ist stark untertrieben, wenn ich sage, dass Ihre Argumentation sehr konstruiert klingt. Wie kann es sein, dass wir einerseits demokratische Bewegungen und Umwälzungen in diesen Staaten befürworten und uns andererseits angeblich davor schützen müssen? (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Was?) Die Freiheitsbewegungen in den Ländern Nordafrikas müssen wir unterstützen, so gut es geht. Im Fokus müssen gesellschaftliche und zivile Aufgaben stehen, nicht die Terrorismusbekämpfung. (Beifall bei der SPD) Es wäre auch das falsche Signal, all diese Bewegungen unter den Generalverdacht zu stellen, potenzielle Quelle für terroristische Aktivitäten zu sein. Die Rolle der Bundesrepublik muss hier eine völlig andere sein. Überdies ist es nicht hinzunehmen, dass der nach 9/11 ausgerufene NATO-Bündnis-Fall jetzt für die Antiterrorpatrouillen im Mittelmeer herhalten muss. Das ist auch völkerrechtlich völlig unhaltbar. (Beifall des Abg. Christoph Strässer [SPD]) Sehr geehrte Damen und Herren, die Sinnlosigkeit des Mandates wird belegt durch die momentane Stärke des deutschen OAE-Kontingentes: null. (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Stimmt nicht!) – Null. (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Nein!) Dies ist zumindest der Website der Bundeswehr zu entnehmen, Stand 5. Dezember 2012, 10 Uhr; das kann man nachlesen. Wie viele Schiffe anderer NATO-Staaten aktuell beteiligt sind – das haben wir diskutiert –, muss erst noch festgestellt werden. Letzte Aussage: Es gibt dazu keine Informationen. Das vorerst letzte deutsche Schiff war die Fregatte „Karlsruhe“, die im November dieses Jahres auf dem Weg zum Antipiraterieeinsatz vor Somalia während ihrer Fahrt durchs Mittelmeer der Operation Active Endeavour unterstellt war. Womit soll dann also noch ein robustes Mandat begründet werden? Natürlich ist es richtig und sinnvoll, weiterhin den Terrorismus zu bekämpfen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sagen Ja zu Aufklärung und Überwachung sowie zum Sammeln von Informationen im Mittelmeerraum, zum Austausch mit den Bündnispartnern über die Lage; das ist keine Frage. In diesem Sinne sollte die Bundesregierung in der NATO konsequent tätig werden. Angesichts einer Vielzahl von Unklarheiten und Widersprüchen in dem Mandat und angesichts der mangelnden völkerrechtlichen Grundlagen lehnen wir als SPD-Fraktion dieses Mandat nach wie vor ab. Die fast 7 Millionen Euro, die im Haushalt des Verteidigungsministeriums eingespart werden können, sind im Bereich der Betreuungskommunikation und in anderen Bereichen besser eingesetzt als in solch einem falschen Einsatz. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmung bekannt. Zunächst einmal gebe ich Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Grünen „Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland“ bekannt: abgegebene Stimmen 570. Mit Ja haben gestimmt 309, mit Nein haben gestimmt 259, Enthaltungen 2. Diese Beschlussempfehlung ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 570; davon ja: 309 nein: 259 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Rainer Arnold Stefan Rebmann FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Nein CDU/CSU Andreas Mattfeldt Dr. Patrick Sensburg SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Thomas Oppermann Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Neškovi? Enthalten CDU/CSU Reinhard Grindel Hans-Georg von der Marwitz Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen“: abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 195, mit Nein haben gestimmt 305, Enthaltungen 71. Der Antrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 567; davon ja: 194 nein: 305 enthalten: 68 Ja CDU/CSU Andreas Mattfeldt SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer (Altötting) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Enthalten CDU/CSU Reinhard Grindel DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Neškovi? Damit setzen wir die Debatte fort. Das Wort hat jetzt als nächster Redner der Kollege Roderich Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, steht die Operation Active Endeavour für ordentliche, aktive und effektive Durchführung. Ich habe bei der Opposition manchmal den Eindruck, für sie steht OAE für „Opposition arbeitet entgegen“. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja geradezu poetisch!) Das tut mir mit Blick auf die SPD besonders leid; denn hier geht es schlichtweg um sicherheitspolitische Vernunft. Bei dieser sicherheitspolitischen Vernunft ist es schon wichtig, ein paar Fakten zu kennen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fakt ist, dass die Regierung immer recht hat!) Es sind ja nicht die Resolutionen aus dem Jahr 2001, sondern all die Dinge, die wir in diesem Jahr erlebt haben. In diesem Jahr fand die dritte Konferenz zur Überprüfung der Antiterrorismusstrategie der Vereinten Nationen statt. Die Vereinten Nationen haben in ihrer Generalversammlung einhellig bestätigt, dass der internationale Terrorismus weiterhin eine Gefahr ist. Darauf beruft sich die NATO. Noch im Oktober dieses Jahres ist die UN-Sicherheitsratsresolution 2069 verabschiedet worden, Herr Kollege Hellmich. Auch hierbei waren alle Nationen einvernehmlich der Auffassung, dass dem internationalen Terrorismus entgegengewirkt werden muss. Bei allem „Geräusch“ in den jeweiligen Positionen sind wir in einer Sache dennoch gar nicht so weit entfernt: bei der Zukunft der Operation OAE. Bevor ich darauf aber eingehe, möchte ich noch ein paar Fakten nennen. Wenn es um die Obergrenzen geht, so ist klar: Wenn ein deutsches Schiff durch das Mittelmeer fährt, dann sind gleich rund 300 Soldaten betroffen. Zurzeit sind fünf Soldaten über AWACS im Einsatz. Es ist ein „atmendes“ Mandat. Es erlaubt der Regierung, flexibel zu reagieren und immer wieder deutsche Schiffe zu beauftragen, wenn sie in der Durchfahrt sind. Damit ist es auch ein sehr effektives Mandat. Was aber viel wichtiger ist und im Laufe der Jahre – wir sind ja jetzt schon im Jahr elf nach der Resolution – entscheidend ist, ist der Gedanke der kooperativen Sicherheit. Deswegen bin ich enttäuscht, dass die Opposition der Operation entgegenarbeitet. Es geht doch darum, dass wir mit Partnern kooperative Sicherheit entwickeln, dass wir gemeinsame Verfahren entwickeln – bei Schiffsdurchgängen, bei Schiffskontrollen, aber auch in der täglichen Zusammenarbeit. Mit wem machen wir das? Mit Russland, mit der Ukraine, auch mit Marokko! Was spricht denn dagegen, künftig die Operation Active Endeavour auszubauen zu einem besseren Instrument kooperativer Sicherheit im Mittelmeerraum? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir hatten in dieser Woche im Bundestag einen Teil der Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum zu Gast. Das Thema waren Energiefragen. Es geht also auch um Fragen der Energieversorgungssicherheit. Warum sollten wir das Thema Energieversorgungssicherheit hier nicht in den Mittelpunkt stellen und dabei unsere Partner am südlichen Rand des Mittelmeers intensiv einbeziehen? Es geht gar nicht mehr darum, den Terrorismus auf dem Gebiet der USA zu bekämpfen, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Genau!) sondern es geht darum, dass wir Seite an Seite mit den Vereinigten Staaten von Amerika den Terrorismus in unserem eigenen Verantwortungsbereich – dazu gehört das Mittelmeer – bekämpfen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, und darum ist die Begründung in diesem Mandat falsch!) Dazu ist die Operation Active Endeavour ein hervorragend geeignetes Instrument, weil es nämlich zukunftsfähig ist, was die Einbindung entsprechender Partner betrifft. Es geht also gar nicht um veraltete Resolutionen; es geht einfach darum, dass wir tagesaktuelle Herausforderungen bestehen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Unser Land ist den sicherheitspolitischen Herausforderungen immer nachgekommen – Beispiel Afghanistan –, mit sehr starken zivilen und militärischen Elementen. Die Operation Active Endeavour hat – deswegen wollen wir sie ja auch mandatieren – einen ganz robusten Anteil. Dieser robuste Anteil kann dazu führen – das ist doch völlig klar –, dass Schiffe aufgebracht werden müssen. Deswegen bin ich auch froh, dass wir den Parlamentsvorbehalt haben und unsere Soldatinnen und Soldaten in diesem Bereich mandatieren. Darum geht es doch auch, dass die Soldaten im Einsatz wissen: Das Parlament steht dahinter. Des Weiteren gilt es aus meiner Sicht, deutlich zu machen, dass wir Deutschen fest auf dem Boden von Bündnissolidarität und auf der Basis des Völkerrechts stehen. Das ist ein ganz entscheidender Beitrag auch zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Was leistet denn die Bundeswehr? Sie leistet erhebliche Beiträge zu einem Lagebild. Sie sollten sich das bei Ihren zahlreichen Truppenbesuchen, auch im Mittelmeer, einmal anschauen. Da werden Sie ein wunderbares Bild sehen, auf dem Sie erkennen: Im Mittelmeer sind Tausende Schiffe. Jedes dieser Schiffe muss sich anmelden. Jedes dieser Schiffe ist erkennbar, kann abgerufen werden. Wer dort kooperiert – das sind die meisten –, ist in diesem Lagebild integriert. Es lohnt sich, das einmal zu sehen, um zu wissen, wie dicht die Seeschifffahrt im Mittelmeer ist. Für uns gilt es, bei der Terrorismusbekämpfung auch abschreckend zu wirken. Die Umbrüche in der arabischen Welt begründen nicht OAE, (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) aber sie unterstreichen die Bedeutung des Einsatzes. Die Proliferation konventioneller Waffen, die aus den Beständen der Gaddafi-Armee in Massen auf den Markt gekommen sind, ist ein Beispiel dafür. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau!) Mir geht es auch darum, dass wir Schiffe, Schiffsladungen und Ähnliches untersuchen können, wenn es Verdachtsfälle gibt. Sicherheitspolitik heißt ja nicht, dass man immer eingreifen muss, sondern verantwortliche Sicherheitspolitik setzt auf den Ausgleich ziviler und militärischer Instrumente und hat vor allen Dingen eine Aufgabe: Vorsorge zu treffen. Das leistet die Bundesregierung mit voller Unterstützung unserer Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Staatsminister Link hat das genauso wie unser Verteidigungsminister bei der ersten Lesung am 29. November dieses Jahres gesagt. Staatsminister Link sprach vom „präventiven Ordnungsfaktor im Mittelmeer“. Darum geht es. Sicherheitspolitik ist Prävention. Ich möchte zu meiner eingangs gemachten Bemerkung über die Zukunft von OAE zurückkommen. Wir sollten den Ansatz der kooperativen Sicherheit ausdehnen, indem wir verstärkt Anrainerstaaten mit einbeziehen. Eine Weiterentwicklung von OAE ist nötig, und das sollten wir mit großer Mehrheit hier im Hause so sehen. Allerdings ist klar, dass dazu zunächst der Art.-5-Charakter aufgehoben werden muss. Nur – ich sage es wieder –: Die Opposition arbeitet leider entgegen, (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) entgegen dem einvernehmlichen Abstimmen im Bündnis, dem einvernehmlichen Abstimmen innerhalb der NATO. Es geht doch darum, dass wir innerhalb der NATO dazu kommen, die Operation gemeinsam weiterzuentwickeln. Das wird, wie wir wissen, in wenigen Jahren geschehen müssen. Lassen Sie mich abschließend eine Anregung geben: Wir debattieren im Jahr neun Einsätze in zwei Lesungen; das heißt, 18-mal wird über diese Einsätze debattiert. Lassen Sie uns doch einmal grundsätzlich darüber nachdenken, ob wir nicht die Öffentlichkeit stärker einbeziehen und eine regelmäßige sicherheitspolitische Debatte als Dachdiskussion über die einzelnen Mandate führen sollten. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einverstanden!) Abschließend, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich den Soldatinnen und Soldaten, vor allem aber unseren Reservistinnen und Reservisten in allen Einsätzen für ihre Arbeit herzlich danken. Alles erdenklich Gute! Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Jan van Aken von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich vor drei Jahren im Bundestag zum ersten Mal das Mandat zur Operation Active Endeavour gelesen habe, habe ich ganz ehrlich gedacht, das ist ein Witz. Müsste man es in einem Satz zusammenfassen, dann geht es um Folgendes: Weil am 11. September 2001 die verheerenden Anschläge in New York und Washington verübt worden sind, sollen jetzt deutsche Kriegsschiffe ins Mittelmeer fahren. – Das ist nicht wirklich logisch. Denn was ist die normale Antwort auf einen Anschlag? Was passiert derzeit in Bonn? Dort gab es gerade einen versuchten Bombenanschlag auf den Hauptbahnhof. Sie kommen jetzt – Gott sei Dank! – nicht auf die Idee, ein Kriegsschiff in die Ostsee zu schicken. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Hier ermittelt natürlich die Polizei. Das ist der normale Weg. (Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Wie blöd muss man sein!) Der entscheidende Unterschied ist folgender: Damals, genau einen Tag nach dem Anschlag, am 12. September 2001, hat die NATO den Bündnisfall ausgerufen. Die NATO hat damals den Krieg erklärt, den Krieg gegen den Terror, wie Sie es nennen. Das war von Anfang an mit Problemen behaftet. Es stellte sich die Frage: Wo wohnt denn der gemeine Terrorist? Wo führen Sie den Krieg gegen den Terror? Die erste Antwort auf diese Frage – das muss ich als Hamburger leider sagen – wäre natürlich gewesen: in Hamburg. In Hamburg ist dieser Anschlag in New York und Washington vorbereitet worden. Zum Glück, muss ich sagen, ist das nicht die Antwort gewesen; in Hamburg wurde ganz normal polizeilich ermittelt. Die zweite Antwort auf die Frage wäre gewesen: Saudi-Arabien. Die meisten Attentäter kamen aus Saudi-Arabien. Bis heute finanziert das saudische Königshaus viele radikale Gruppen mit Millionengeldern. Auch da war Ihre Antwort ganz typisch, ganz klassisch: Dahin werden Panzer und Maschinengewehre geliefert. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Buh!) Darüber könnte man lachen, wenn es nicht so tödlich ernst wäre. (Beifall bei der LINKEN) Denn dieser Krieg gegen den Terror wird seit elf Jahren in die ganze Welt getragen. Es fing an mit Afghanistan. Der Krieg mit Einsatz der Bundeswehr tobt dort bis heute. Es ging weiter mit Irak – über 500 000 Tote. Bis heute führen Sie den Krieg gegen den Terror in vielen Ländern mit Kampfdrohnen, mit gezielten Tötungen in Somalia, im Jemen, in Pakistan. Ich finde, dieses dauerhafte Morden kann man auch als Terror bezeichnen. (Beifall bei der LINKEN) Die ganze Dramatik dieses Krieges gegen den Terror ist doch, dass die NATO sich seit elf Jahren selbst ermächtigt, sich selbst einen Freibrief dafür ausstellt, überall auf der Welt Krieg zu führen, gewalttätig einzugreifen. Zur Not wird auch der Terrorbegriff sehr weit ausgedehnt. Dann wird auch die Sicherung von Handelswegen plötzlich zur Terrorbekämpfung. Sie alle wissen ganz genau, dass ein Kriegsschiff im Mittelmeer keinen einzigen Anschlag verhindert: nicht in Bonn, nicht in London, nicht in Madrid; keinen einzigen. Deswegen suchen Sie händeringend nach irgendwelchen Argumenten. Ich habe mir letztes Jahr den Text des Mandats wieder durchgelesen und musste fast lachen. Im letzten Jahr war die Begründung für Kriegsschiffe im Mittelmeer natürlich der arabische Frühling. In diesem Jahr gibt es eine neue Begründung: Mali. Ganz aktuell. Es stimmt: Natürlich haben Gruppen, die alQaida nahestehen, den gesamten Norden Malis besetzt. Aber was hilft da ein Kriegsschiff im Mittelmeer? Jetzt höre ich hier Ihre Rede, Herr Kiesewetter; da gehen Sie noch weiter. Ihre neue Begründung lautet: Energiesicherheit, und ganz neu ist: Waffen von Gaddafi. Wissen Sie, Deutschland hätte sehr viel mehr für den Frieden tun können, wenn Sie nicht gleich die 600 Maschinengewehre an Gaddafi geliefert hätten. (Beifall bei der LINKEN) Bei Gaddafi wurden nämlich G-36-Sturmgewehre von Heckler & Koch gefunden. Deutsche Kriegsschiffe im Mittelmeer damit zu begründen, ist wirklich dreist. Eigentlich müsste ich darüber lachen, wenn es hier nicht um eine ganz ernste Sache ginge. Es geht um einen Auslandseinsatz der Bundeswehr, und ich möchte einmal daran erinnern: Das ist bereits der dritte Einsatz, über den wir in dieser Woche debattieren. Morgen wird ein völlig neuer Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Türkei mit 400 Soldaten beschlossen. Gleich reden wir über den Kriegseinsatz in Afghanistan. Jetzt winken Sie die Operation Active Endeavour durch. Wir von der Linken lehnen alle drei Auslandseinsätze ab. (Beifall bei der LINKEN – Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Wie immer!) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen exportieren sollte, nicht an Libyen und auch nicht an irgendein anderes Land. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Omid Nouripour. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Kiesewetter, Sie haben nicht ganz genau zugehört: Wir haben eigentlich nicht sehr viel gegen die Mission gesagt, wir haben nur etwas gegen das Mandat gesagt. Das Mandat ist das Problem. Sie haben mit Kalauern angefangen, das können wir auch: „OAE“ steht mittlerweile für ein Mandat „ohne ausreichende Erklärung“. Es geht nämlich darum, dass die Rechtsgrundlage, so wie Sie sie darstellen, schlicht nicht mehr existiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es geht nicht mehr um den 11. September. Genau das steht aber in dem Antrag, Herr Kollege Kiesewetter, und nicht das, was Sie die ganze Zeit beschrieben haben und was in den VN gerade diskutiert wird. Ich weiß noch, wie in der ersten Debatte der Kollege Mißfelder hier gesagt hat: Wer gegen OAE ist, ist eigentlich gegen den Kampf gegen den Terrorismus. – Es geht um die Art und Weise; es geht um die Grundlage; es geht darum, dass wir uns einfach nicht mehr im Sicherheitszeitalter von 9/11 befinden. Wir sind elf Jahre weiter. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Lesen Sie doch einfach einmal den Artikel von Fareed Zakaria in der Washington Post, der nicht gerade dafür bekannt ist, ein Grüner zu sein. Lesen Sie, was er dazu schreibt, wie weit wir von 9/11 entfernt sind und dass diese Art von Krieg gegen den Terror aus der Bush-Ära nicht mehr zu verantworten ist und dieser Krieg längst beendet gehört. Diesen Geist atmet das Mandat jedoch weiterhin, und deshalb lehnen wir es ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zu Ihrer Begründung „arabischer Frühling“: Die Waffen von Gaddafi sind nicht mehr da. Sie liegen nicht auf dem Grund des Mittelmeers; deshalb brauchen wir dort keine U-Boote. Das Ganze wird nicht besser dadurch, dass Sie versuchen, sich eine Begründung für dieses Mandat hinzubiegen. Ja, es ist richtig: Es wäre gut und wünschenswert – das ist im Ausschuss auch gesagt worden –, wenn wir auf dem NATO-Territorium, und davon reden wir, so etwas hätten wie eine „Standing Maritime Defence Structure“. Das macht Sinn, das ist aber nicht das, was Sie heute hier vorlegen. Sie haben letztes Jahr schon erzählt, dass man darüber nachdenken müsse, dieses Mandat weiterzuentwickeln. Es ist in der Zwischenzeit nicht so viel passiert. Außer dem Kollegen Mißfelder haben bei der ersten Lesung alle davon gesprochen, dass man im Bündnis darüber reden müsse, ob der Bündnisfall vom Oktober 2001 noch aktuell sei. Herr Staatsminister Link hat bei der letzten Beratung davon gesprochen, dass man das Ganze jetzt thematisieren wolle, dass es derzeit jedoch keine Mehrheit im NATO-Rat dafür gebe. Im NATO-Rat ist das Thema bislang noch gar nicht angesprochen worden, wenn ich richtig informiert bin. Wenn die Bundesregierung jedoch vorhat, diese Frage zu thematisieren, und wenn sie dabei Unterstützung haben will, dann kann sie unsere Unterstützung hierfür bekommen. Wir haben einen Antrag eingebracht, der sich heute noch in der Abstimmung befindet. Darin wird gefordert, diesen derzeit existierenden Bündnisfall zu beenden, weil die Gründe hierfür mittlerweile nicht mehr vorhanden sind. Das würde auch eine Entlastung für die Strukturen innerhalb der NATO bedeuten. Ich kann Ihnen nur sagen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Fraktionen der Koalition: Stimmen Sie einfach unserem Antrag zu und unterstützen Sie damit Ihre eigene Regierung. Stärken Sie die Position, die von Ihrer eigenen Regierung formuliert worden ist. Dann können Sie mit einem Mandat des Hohen Hauses in die entsprechende NATO-Beratung gehen, um dort dafür zu kämpfen und zu streiten, dass der Bündnisfall beendet wird. Wir geben Ihnen bei der Abstimmung über unseren Antrag die Möglichkeit, Ihre eigene Regierung dabei zu unterstützen, den NATO-Verteidigungsfall zu beenden. Damit zeigen Sie, dass Sie das ernst meinen, was Sie in der ersten Lesung gesagt haben. Hier habe ich jedoch meine Zweifel. Wir werden es bei der Abstimmung sehen. Dieses Mandat ist so, wie es vorliegt, nicht tragfähig. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt das Wort der Kollege Jürgen Hardt von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluss der Debatte will ich noch einmal auf drei zentrale Argumente eingehen, die die CDU/CSU-Fraktion dazu bringen werden, der Mandatsverlängerung heute zuzustimmen. Das erste Argument bezieht sich auf die Frage, ob es sich in der Tat um ein Mandat auf Basis von Art. 5 des NATO-Vertrages handelt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 12. September 2001 hat der Bundeskanzler hier die „uneingeschränkte Solidarität Deutschlands“ verkündet. Da die Wahrheit immer konkret ist, hat der deutsche Botschafter dementsprechend im NATO-Rat für die Feststellung des Verteidigungsfalles die Hand gehoben. Das haben in der NATO alle Mitgliedstaaten gemeinsam getan – ohne Ausnahme. Es ist selbstverständlich, dass es bei der Beendigung eines solchen Mandats keinen deutschen Alleingang gibt, sondern dass dies in Gemeinschaft aller 28 NATO-Partnernationen erfolgt. Deshalb ist heute nicht der Zeitpunkt, das Mandat infrage zu stellen, sondern es geht darum, dass wir das Mandat so fortführen, wie es unsere Partner von uns erwarten. Das zweite Argument hat mit der Frage zu tun, ob ein solches Mandat, ein solcher Einsatz im Mittelmeer, heute noch angemessen und notwendig ist. Ich glaube, dieser Einsatz ist mehr als angemessen und notwendig. Wenn man sich die Situation im Mittelmeer anschaut, stellt man fest, dass die Anzahl der Länder, in denen instabile Verhältnisse drohen oder gar instabile Verhältnisse bestehen, in den letzten zwölf Monaten eher gestiegen denn gesunken ist. Wir betrachten die friedlichen Umstürze in Nordafrika nicht in irgendeiner Weise mit Argwohn, aber überall dort, wo Machthaber Waffen aus der Hand geben müssen und andere die Macht übernehmen, besteht natürlich die Gefahr, dass sich terroristische Kräfte dieser Waffen bemächtigen und dass terroristische Kräfte diese Länder infiltrieren. Das ist im Maghreb so, das ist in einzelnen anderen Staaten Nordafrikas so, und das ist natürlich auch in Syrien so. Wir wissen aus Berichten – Sie können das heute in der Welt nachlesen –, dass circa 100 Europäer mit islamistischem Hintergrund bereits in Syrien sind. Sie werden dort wahrscheinlich ihre Verwandten besuchen; ich vermute, die begeben sich alle in rein friedlicher Absicht in dieses Land. Auch der Konflikt zwischen Israel und Palästina, den ich in einem engen Zusammenhang mit den Bemühungen des Iran um den Bau einer Atombombe sehe, ist ein weiteres kritisches Indiz. Deswegen ist dieser Einsatz richtig und notwendig. Wenn man der Argumentation folgt, der Einsatz sei überflüssig, weil man in den letzten Jahren nicht mehr hätte robust handeln müssen, dann muss ich sagen: Mit dieser Argumentation hätte man in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren alle alliierten Truppen aus Westeuropa abziehen können. Denn sie haben keinen einzigen Schuss abgegeben. Sie waren aber natürlich für den Frieden und für unsere Freiheit von unschätzbarer Bedeutung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Das dritte Argument bezieht sich auf die Mandats-obergrenze. Zunächst einmal ist es das Wesen einer maritimen Operation, dass sie eine sehr stark schwankende Zahl von Mandatsteilnehmern aufweist. Wir haben dort derzeit fünf Soldaten im Einsatz. Bis heute Morgen hatten wir dort die Korvette „Magdeburg“ mit circa 60 Mann, die dem Einsatzverband unterstellt waren, im Einsatz. Diese haben im Übrigen trotz aller Sorgen, die wir mit diesem Schiff hatten, vor der libanesischen Küste einen super Job gemacht, und sie sind jetzt auf dem Weg zurück in die Heimat. Wir werden diesem maritimen Einsatzverband in den kommenden Monaten im Zweifel wieder mindestens eine Fregatte und einen Betriebsstofftransporter, möglicherweise auch andere Schiffe, unterstellen. Dann kommt man sehr schnell auf 700 Soldaten im Einsatz. Deswegen ist es auch gut, dass wir an dieser Mandatsobergrenze festhalten. Im Jahr 2012 haben insgesamt 1 430 Soldaten der Bundeswehr an insgesamt 210 Tagen an diesem Einsatz teilgenommen. Wenn Sie hier behaupten, das sei ein Phantomeinsatz, dann werden Sie dem Engagement dieser 1 430 Soldaten an diesen 210 Tagen nicht gerecht. Das ist einfach ungerecht denen gegenüber, die diesen Job gemacht haben. Wir hatten außerdem an 127 Tagen AWACS-Flugzeuge mit deutscher Beteiligung im Einsatz. Vermutlich werden bis zum Ende dieses Jahres insgesamt rund 24 000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr an diesem Einsatz teilgenommen haben. Ich möchte an dieser Stelle – sicherlich nicht nur im Namen meiner Fraktion, sondern im Namen aller – diesen 24 000 Soldaten für ihren geleisteten Dienst danken. (Widerspruch bei der LINKEN) – Die Linke legt Wert darauf, dass sie sich an diesem Dank nicht beteiligt. Auch das nehmen wir hier gerne zu Protokoll. In diesem Sinne werden wir dem Mandat heute zustimmen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11890, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 17/11466 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir im Anschluss an diese namentliche Abstimmung zwei Wahlen mit Stimmzettel und Wahlausweis durchführen werden. Haben die Schriftführer und Schriftführerinnen die vorgesehenen Plätze eingenommen? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung und bitte, die Stimmkarten einzuwerfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie Ihre Karte eingeworfen haben, bitte ich, hier zu bleiben, weil wir im Anschluss eine Wahl durchzuführen haben, bei der die Kanzlermehrheit notwendig ist. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Karte noch nicht eingeworfen hat? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später mitgeteilt.5 Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 12 und 13 gemeinsam auf: 12 Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Artikel 45 d des Grundgesetzes – Drucksache 17/11833 – 13 Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung – Drucksache 17/11834 – Beide Wahlen werden aus Vereinfachungsgründen in einem Wahlgang, aber mit getrennten Stimmzetteln durchgeführt. Das heißt, Sie müssen nur einmal zur Wahlurne gehen, um Ihre beiden Stimmzettel abzugeben. Die Fraktion der FDP schlägt auf  Drucksachen 17/11833 und 17/11834 für das Parlamentarische Kontrollgremium und das Vertrauensgremium die Abgeordnete Gisela Piltz vor. Ich bitte noch um Aufmerksamkeit für einige Bemerkungen zum Wahlverfahren. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt, wer mindestens 311 Stimmen erhält. Die Wahlen erfolgen mit blauem und gelbem Stimmzettel sowie mit dem grünen Wahlausweis. Der Wahlausweis gilt für beide Wahlen. Den Wahlausweis können Sie, soweit noch nicht geschehen, Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby entnehmen. Bitte achten Sie unbedingt darauf, dass der Wahlausweis Ihren Namen trägt. Die Stimmzettel wurden verteilt. Sollten Sie den blauen und den gelben Stimmzettel nicht haben, besteht jetzt noch die Möglichkeit, diese von den Plenarassistenten zu erhalten. Gültig sind die Stimmzettel nur, wenn sie mit „Ja“, „Nein“ oder „Enthalte mich“ angekreuzt sind. Ungültig sind demzufolge Stimmzettel, die kein Kreuz oder mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Beide Wahlen finden offen statt. Sie können beide Stimmzettel also an Ihrem Platz ankreuzen. Dann können wir mit dem Wahlverfahren beginnen. Geben Sie bitte Ihren Wahlausweis ab, und werfen Sie die Stimmzettel in die Urne. Der Wahlvorgang ist damit eröffnet. Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Wahlzettel eingeworfen? – Das ist der Fall. Dann schließe ich den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Die Ergebnisse der Wahlen werden Ihnen später bekannt gegeben.6 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten – Drucksache 17/11593 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Michael Hartmann von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer hätte gedacht, dass wir jemals über die Versorgung des Bundespräsidenten so, wie das heute Abend leider notwendig geworden ist, debattieren müssten? Das hat sicherlich keiner in diesem Hause vor einem Jahr für möglich erachtet. Das hätten sich erst recht nicht jene Abgeordnete vorstellen können, die in den Jahren 1953 und 1959 die gesetzlichen Grundlagen geschaffen haben. Aber auf den Tag genau vor einem Jahr wurde erstmals ein Bündel von Vorwürfen gegen den damaligen Bundespräsidenten veröffentlicht, die am Schluss zum Rücktritt von Christian Wulff führten, einem unrühmlichen Rücktritt. Große Teile der Öffentlichkeit waren damals besorgt, dass die Würde und das Ansehen des Amtes darunter leiden würden. Das ist glücklicherweise nicht eingetreten, weil wir einen Bundespräsidenten bekommen haben, der voll und ganz das Format hat, das dieses Amt erfordert. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]) Die Autoren des Versorgungsgesetzes aus den 50er-Jahren sind davon ausgegangen, dass ein Bundespräsident im Regelfall ein würdiger älterer Herr ist und dass dieser in jedem Falle sein Amt nicht niederlegt. Als einziger Grund für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Amt wurden Krankheit oder Tod in Betracht gezogen. Durch Horst Köhler wurden wir eines Besseren belehrt. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass jene Regelung aus dem Jahre 1959 unter besonderen Voraussetzungen geschaffen worden ist. Es ging damals um eine mögliche Kandidatur von Konrad Adenauer für das Amt des Bundespräsidenten. Diese Regelung sieht vor – man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen –, dass eine hundertprozentige Versorgung von Anfang an und lebenslang ausgezahlt wird, unabhängig von der Amtsdauer. So soll es nach unserer Auffassung nicht weitergehen. Wir von der SPD-Fraktion haben uns die Mühe gemacht, uns Aussagen aus allen Fraktionen im Lichte der damaligen Debatte genau anzuschauen, diese zusammenzufassen und daraus einen Gesetzentwurf zu entwickeln. Wir handeln damit beispielsweise ganz im Sinne der Aussagen des Unionskollegen Thomas Strobl; er ist immerhin Vorsitzender des Immunitätsausschusses. Er sagte damals richtigerweise: Wir sollten in einigen Wochen oder Monaten, ganz sachlich und in Ruhe, überdenken, wie wir die Altersbezüge von künftigen Bundespräsidenten regeln. Er sagte weiterhin, nie zuvor sei ein Bundespräsident so früh, so schnell und unter solchen Bedingungen aus dem Amt geschieden. – Recht hatte er. Deshalb haben wir eine Idee entwickelt: Es soll nicht länger unabhängig von der Amtszeit eine lebenslange hundertprozentige Versorgung möglich sein. Stattdessen soll nach einer halben Amtszeit eine 50-prozentige Versorgung gewährt werden, nach einer ganzen Amtszeit eine 75-prozentige Versorgung und nach zwei Amtszeiten eine volle, also hundertprozentige Versorgung. Sie sehen also: Es geht hier nicht um ein Herabwürdigen der Versorgung aus kleinkarierten Motiven oder gar aus Neid. Die Versorgung, die nach unserem Gesetzesentwurf gewährt würde, wäre wahrhaftig noch honorig genug. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Allerdings haben Unkundige, die den Gesetzestext noch gar nicht kennen konnten, schon gewähnt, dass Christian Wulff Unheil droht, dass er das Opfer dieser Initiative sein soll, dass der SPD-Vorschlag sozusagen eine reine Strafaktion oder gar eine am Wahlkampf in Niedersachsen orientierte Aktion ist. Das ist Unsinn. Ich darf all jenen sagen, die um den Lebensunterhalt des 53-jährigen früheren Ministerpräsidenten und Bundespräsidenten in Sorge sind: Er wird weiterhin ein auskömmliches Einkommen haben und in geordneten Verhältnissen leben können, wenn Sie unseren Vorschlag annehmen. Unser Entwurf sieht vor – dies ist vollkommen verfassungsgemäß –, dass die Bezüge für ehemalige Bundespräsidenten ab Inkrafttreten des Gesetzes jährlich um ein zartes Zehntel gesenkt werden, sodass Herr Wulff diese Abschmelzung auf 50 Prozent im Alter von 64 Jahren, also in gut zehn Jahren, erreichen würde. Es geht also wahrhaftig nicht um eine Lex Wulff, die den früheren Bundespräsidenten für irgendetwas bestrafen soll; es kann aber auch nicht um eine Lex Wulff in umgekehrter Richtung gehen, durch die einfach ignoriert werden würde, wie und unter welchen Bedingungen er aus dem Amt geschieden ist. (Beifall bei der SPD) Unser Vorschlag wahrt Maß und Mitte. Er zieht von allen Fraktionen anerkannte überfällige Konsequenzen; er will weg von einer Art hoheitlicher Apanageregelung und hin zu einer einem demokratischen Rechtsstaat angemessenen Versorgung. Deshalb bieten wir allen an, offene Gespräche über diesen Vorschlag zu führen. Vielleicht möchten Sie ebenfalls eigene Vorschläge entwickeln und im Hause einbringen. Wir bieten auf jeden Fall faire und einigungsbereite Gespräche an. Bitte lassen Sie diese Chance, die Verhältnisse wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen, nicht einfach vergehen. Wischen Sie unseren Vorschlag nicht weg, wenn Ihnen das Amt des Bundespräsidenten tatsächlich etwas bedeutet. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort der Kollege Helmut Brandt von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Helmut Brandt (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein paar Worte zu dem eingebrachten Gesetzentwurf und zu dem, was Kollege Hartmann dazu gesagt hat. Ich muss zunächst einmal darüber lächeln, dass Sie hier den Versuch unternommen haben, etwas, was auf der Hand liegt, sozusagen zu verschleiern. Der Jahrestag der Veröffentlichung der einen oder anderen Information über den ehemaligen Bundespräsidenten ist nicht der Anlass der heutigen Debatte; das sind nicht die Beweggründe, warum wir heute darüber diskutieren. Die Beweggründe sind eindeutig: Im Januar finden in Niedersachsen Wahlen statt, und mit diesem Gesetzentwurf unternimmt man heute den Versuch – er ist nach meiner Auffassung allerdings untauglich –, hier ein Wahlkampfthema zu finden. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Er kandiert doch gar nicht!) – Das mag richtig sein. Das gehört im Übrigen auch zu der Frage, weshalb man die Bezüge eines ausgeschiedenen Bundespräsidenten früher einmal so festgelegt hat. Denn er steht nach dem Ausscheiden aus diesem Amt nicht mehr für andere Ämter zur Verfügung. Ich lasse die Vorschläge der SPD noch einmal Revue passieren. Es ist tatsächlich so, wie eben schon gesagt, dass nach zwei Jahren und sechs Monaten 50 Prozent der Amtsbezüge gezahlt werden sollen, nach fünf Jahren, also nach einer Amtsperiode, 75 Prozent und nach zehn Jahren, also nach zwei Amtsperioden, 100 Prozent. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das sind 200 000 Euro!) Lieber Michael Hartmann, nach meiner Auffassung sind verschiedene Punkte im Entwurf – darauf werde ich gleich noch eingehen – einfach unhaltbar. Es genügt nicht, den eingebrachten Gesetzentwurf damit zu begründen, dass man aus Reaktionen von Kollegen, egal wer es war, einen Gesetzentwurf sozusagen zusammengezimmert hat. Man sollte sich schon mehr Zeit nehmen und mehr Sorgfalt aufwenden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Einbringung dieses Gesetzentwurfs ist im Grunde genommen – ich bleibe dabei – eine Hoppla-hopp-Aktion, um den bedauerlichen Rücktritt des Bundespräsidenten Wulff kurz vor der Wahl in Niedersachsen noch einmal in die Öffentlichkeit zu zerren. Sie zielen damit auf Christian Wulff, treffen aber im Grunde genommen das Amt des Bundespräsidenten. Es ist mir wichtig, das einmal deutlich zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Bloße Wahlkampfhilfe für die Genossen in Niedersachsen genügt eben nicht, um einen diskussionswürdigen Punkt, den man in Zukunft sicherlich wird erörtern können, hier auf sachlicher und vernünftiger Ebene zur Diskussion bzw. zur Abstimmung zu stellen. Wenn es nur darum ginge, diese Diskussion in Gang zu setzen, dann hätte, lieber Michael, zunächst etwas anderes passieren müssen, was in diesem Hause immer Gepflogenheit war: dass man bei solchen Fragen erst einmal den Kontakt zu den anderen Fraktionen sucht, sich mit ihnen abstimmt: „Ist ein Bedürfnis da? Können wir da eine breite Mehrheit erwarten?“, (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Warum machen Sie das eigentlich nicht?) und dann einen Gesetzentwurf einbringt. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Wir haben auf die Regierungsfraktionen gewartet!) Man kann nicht den umgekehrten Weg wählen und die Sprecher der Fraktionen gewissermaßen drei Tage vor dem Wahltermin in Niedersachsen einladen, um das Thema zu besprechen. So geht es nicht. So machen wir das nicht mit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das ist eine Verkennung!) – Nein, das ist eindeutig; du bekommst das nicht wegdiskutiert. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das klären wir beim Bier!) Worüber man – neben anderen Fragen – auf jeden Fall wird reden können, ist die auch nach meiner Auffassung nicht mehr zeitgemäße Bezeichnung „Ehrensold“, wie die Entschädigung des Bundespräsidenten nach seinem Ausscheiden heißt. Das ist sicherlich ein Begriff, der nicht mehr in die heutige Zeit passt und dem, was es tatsächlich damit auf sich hat, auch nicht gerecht wird. Auch über andere Fragen werden wir gerne diskutieren. Ich wollte nur deutlich machen, weshalb man das hier und heute so vielleicht nicht hätte tun sollen. Grund für die derzeitige Altersregelung – teilweise wurde darauf eingegangen – ist die Tatsache, dass die Situation beim Bundespräsidenten in aller Regel eine andere ist als beispielsweise bei Bundeskanzlern, die nach ihrem Ausscheiden attraktive Jobs in der Wirtschaft angenommen haben; Altkanzler Schröder ist ein leuchtendes, wenn auch nicht gerade positives Beispiel. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Oder Altkanzler Kohl!) Der Bundespräsident wird nach dem Ausscheiden aus dem Amt nicht mehr beruflich tätig. Er hat – auch aufgrund des Amtes als solches – noch sehr viele und vielseitige Verpflichtungen; aber er wird niemals mehr einen normalen Beruf ergreifen können und sollen. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Warum? Er ist ja nicht gebrandmarkt!) Deshalb hat man damals die derzeitige Höhe der Entschädigung gewählt. Die Bedeutung des Amtes wird eben auch durch diese entsprechende Vergütung herausgestellt. Nun ein paar Bemerkungen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. Ich habe ja schon gesagt, dass das mehr oder weniger Stückwerk ist. In dem Entwurf ist zum Beispiel nicht der Fall vorgesehen, dass ein Bundespräsident nach seiner Wahl beispielsweise aus Krankheitsgründen ausscheidet und noch keine zweieinhalb Jahre Amtszeit hinter sich hat. Soll er dann nichts bekommen? Ich treibe es einmal auf die Spitze: Soll, wenn er während der ersten zweieinhalb Jahre stirbt, seine Witwe nichts bekommen? Dazu ist in dem Entwurf nichts vorgesehen. Das zeigt doch, dass man sich mit der Sache nicht intensiv genug beschäftigt hat; sonst hätte man einen solchen Fall nicht vergessen. Die eben dargestellte jährliche Absenkung der Entschädigung ist nach meiner Auffassung – da bin ich anderer Meinung als die SPD – als echte Rückwirkung anzusehen und daher nicht verfassungsgemäß. (Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]) Derjenige, der aus seinem Amt ausscheidet, hat einen gewissen Anspruch erworben. Diesen Anspruch kann man ihm nicht nachträglich durch Abschmelzung bis auf einen gewissen Betrag – der dann auch willkürlich gewählt wäre – wieder nehmen. Das ist rechtsstaatlich schlicht und ergreifend nicht möglich. Davon ist völlig unabhängig, dass der ausgeschiedene Bundespräsident Christian Wulff selbst vor seinem Amtsantritt einmal darauf hingewiesen hat, dass man die bestehenden Regelungen durchaus ändern kann und sollte. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Machen wir ja!) Da sind wir einer Meinung; aber nur in diesem einen Punkt. Es gibt sicherlich viele Gründe – einige von denen, die Sie genannt haben, tragen auch –, über eine Änderung der bestehenden Vorschriften nachzudenken. Aber ich sage es noch einmal: Ein seriöses Interesse an einer solchen Änderung sieht anders aus als das, was Sie uns vorgelegt haben. Der eilig gestrickte Gesetzentwurf kann weder über die in ihm enthaltenen handwerklichen Mängel noch über die eigentliche Intention hinwegtäuschen, nämlich darüber – ich wiederhole es –, dass Sie diesen Vorgang für die bevorstehende Wahl in Niedersachsen ausnutzen wollen. Deshalb und auch wegen der inhaltlichen Mängel müssen wir den Gesetzentwurf, so wie er uns vorgelegt wurde, derzeit ablehnen. Ich muss die gesamte SPD-Fraktion wirklich auffordern, künftig darauf zu verzichten, aus rein wahltaktischen Gründen ein für unser Land so wichtiges Amt zu beschädigen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Oh Gott, das ausgerechnet von der CDU!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Dr. Dietmar Bartsch. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, die Ruhebezüge des Bundespräsidenten neu zu regeln. Die Regelung, die wir haben, stammt aus dem vorigen Jahrhundert. Allein schon die Bezeichnung „Ehrensold“ reicht, um das zu erkennen. Das kann man wirklich nicht akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Hartmann hat darauf hingewiesen: Die Regelung ist aus dem Jahre 1959. Bis zu den Haushaltsberatungen habe ich gar nicht gewusst, wie die Regelung entstanden ist. Das war ja eine reine Regelung Lex Adenauer. Das alles ist für den damaligen Kanzler Adenauer gemacht worden, um ihn irgendwann mit hohen attraktiven Ruhebezügen loszuwerden. Deswegen war das für mich auch eine Lehrveranstaltung. Was wir jetzt aber nicht machen dürfen, ist, eine Lex Wulff zu verabschieden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir können doch nicht aufgrund des Anlasses, der sich in diesem Jahr ergeben hat, jetzt auf einmal eine Lex Wulff verabschieden. Es gibt ein laufendes Verfahren gegen Herrn Wulff. Das sollten wir vielleicht irgendwie berücksichtigen. Eine parteipolitische Instrumentalisierung an dieser Stelle finde ich wirklich nicht angebracht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es stimmt schlichtweg, dass die zeitliche Nähe zur Landtagswahl in Niedersachsen – Herr Wulff war da ja mal Ministerpräsident und kommt dorther – einen schalen Beigeschmack hat. Gerade aufgrund des Verhaltens von Wulff ist diese Instrumentalisierung hier im Deutschen Bundestag ein wirkliches Problem. Dieses wichtige Thema können wir eben nicht wahlpolitisch instrumentalisieren. (Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: So staatstragend habe ich Sie ja noch nie gehört!) Ich bin jemand, der gerne auch sehr deutliche und sehr scharfe Attacken gegen die politischen Konkurrenten fährt – das ist überhaupt keine Frage –, aber ich sage ganz klar: Bei diesem Thema ist das wirklich falsch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde – das sage ich auch im Namen meiner Fraktion –, wir sollten zeigen, dass das Parlament in der Lage ist, dieses wichtige Problem zu lösen. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Wir haben ja etwas vorgelegt! Wo sind denn eure Vorschläge?) Das ist die Aufgabe. Ansonsten erzeugen Sie nämlich nicht einen kurzen parteipolitischen Erfolg, sondern Politikerverdrossenheit. Das wird Ihnen keinen kleinen Erfolg bringen, sondern uns allen hier im ganzen Haus schaden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist ja wirklich komisch, dass Sie die Bezüge des Bundespräsidenten neu regeln wollen, aber die der ehemaligen Bundeskanzler nicht. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ja, dann macht doch einen Vorschlag!) Hier kann man schon auf die Idee kommen: Die einen kommen mehr von der CDU und der FDP, die anderen mehr von der SPD. – Das hat eine kleine Tendenz; der eine oder andere könnte das jedenfalls denken. Ich würde jetzt ganz gerne zum Gesetzentwurf selbst noch etwas sagen. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ja!) Ich habe eine Frage: Wieso entscheidet eigentlich das Bundespräsidialamt – darüber sollten wir nachdenken –, ob der ehemalige Bundespräsident Altersbezüge bekommt oder nicht? Ich finde, das können wir nicht so lassen. (Beifall bei der LINKEN) Hier sollten wir eine unabhängige Entscheidungsinstanz schaffen, damit jemand unabhängig entscheiden kann, ob er sie bekommt oder nicht. Es ist schon erstaunlich, dass wir diese Debatte hier führen. Ich will einmal ein anderes Beispiel nennen: Der ehemalige Chef der HRE, Herr Wieandt, bekommt nach 18 Monaten Tätigkeit bei der HRE ab dem 60. Lebensjahr rund 240 000 Euro Rente. (Lachen der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist jetzt ein bundeseigenes Unternehmen. Warum gibt es eigentlich keine Gesetzesinitiative dafür, dort etwas zu verändern? (Beifall bei der LINKEN – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Machen Sie doch eine!) Weil das gerade in den Zeitungen steht, machen wir das jetzt ganz neu zum Thema. Darum sollten wir uns auch kümmern; denn das ist natürlich ein ähnliches Problem. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Nicht reden, sondern machen!) Eines will ich ganz klar sagen: Ich stimme Ihnen zu – das ist vernünftig –, dass ein Bundespräsident nach seinem Ausscheiden nicht weiterhin 100 Prozent seiner Bezüge bekommen kann. Es ist ja nirgendwo so, dass man nach seinem Ausscheiden weiterhin 100 Prozent seiner Bezüge erhält. Ich bin sehr dafür – hier sollten wir uns einigen –, dass er nach dem Ausscheiden aus seinem Amt etwas weniger bekommt, weil er dann ja auch nicht mehr die entsprechenden Aufgaben hat. Das gehört zur Normalität. Man sollte auch das Alter berücksichtigen – das ist völlig klar –, sodass er dann, wenn er wirklich in Rente geht, andere Bezüge bekommt. Wenn man das aber von der Amtszeit abhängig machen würde, dann entstünde natürlich die Situation, dass man möglichst zwei Amtsperioden im Amt sein will. Das ist diesem Amt nicht wirklich angemessen. Ich sage ganz klar: Wir sollten keine Lex Wulff schaffen. Das ist auch Herr Wulff nicht wert. (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!) Lassen Sie uns im Sinne des Amtes eine einvernehmliche Lösung des ganzen Hauses finden. Damit würden wir in dieser Diskussion wirklich einen Schritt nach vorne machen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Dr. Stefan Ruppert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Stefan Ruppert (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selten – ich würde sogar sagen: nie – hat mir ein Mitglied der Fraktion Die Linke so aus dem Herzen gesprochen wie heute Abend. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Mach dir deine Gedanken!) Ich habe mir auf dem Weg zum Rednerpult überlegt, ob mir das irgendwie zu denken geben sollte. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ja!) Es ist eigentlich ein gutes Signal, dass in gewissen Punkten alle Fraktionen dieses Hauses – mit kleinen Abstrichen bei der SPD-Fraktion – der Meinung sind, dass dieses Thema mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und in Wahrung der Würde der repräsentativen Demokratie behandelt werden soll – und nicht einseitig auf Initiative einer Fraktion ohne vorheriges Gesprächsangebot an alle anderen Fraktionen. Ich nenne einmal ein anderes Beispiel aus dieser Legislaturperiode. Wir haben den subjektiven Wahlrechtsschutz verbessert. Wie ist das abgelaufen? Bei einem solchen Thema setzt man sich zusammen und fragt – den einen oder anderen vielleicht zu wenig, aber doch die meisten –: Könnt ihr euch vorstellen, eine Grundgesetzänderung, eine Neuregelung zu treffen? Wo liegen eure Interessen? Was wollt ihr berücksichtigt wissen? Dann wird man sich zusammensetzen und mit Experten in aller Ruhe und Gelassenheit dieses Thema debattieren. Ein solches Thema erblickt erst nach einer gewissen Zeit das Licht der parlamentarischen Öffentlichkeit – vielleicht auch nicht unbedingt im Vorfeld einer Landtagswahl, sondern dann, wenn es ausgewogene und sachliche Ergebnisse gibt. Aber so ist es in dem vorliegenden Fall leider nicht geschehen. Machen wir uns doch nichts vor: Wir setzen eine Spirale in Gang, die am Ende wiederum nur die repräsentative Demokratie schlechter aussehen lässt. Wir fangen dann an, über Bundeskanzler zu diskutieren sowie über die Frage, wie viele Dienstwagen wer braucht, wo der Dienstsitz, wo das Büro nach der Amtszeit sein muss. Glauben Sie wirklich, dass die gesellschaftlichen Eliten dieses Landes, die sich aus meiner Sicht leider zu selten und zu wenig in politische Prozesse einbringen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dann am Ende sagen werden: „Das ist ein Verein, da mache ich mal mit. Als Wissenschaftler bzw. als Wissenschaftlerin, als Mann bzw. Frau aus der Wirtschaft bin ich interessiert, mich mehr in politische Debatten einzubringen“, wenn wir eine solche uns gegenseitig eher beschädigende Debatte führen? Wir wissen doch alle, dass das nicht so ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Als Rechtsstaatspartei sollte man vielleicht einmal darauf hinweisen, dass es gegen Herrn Wulff bisher noch kein abgeschlossenes Verfahren gibt. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Wir reden über die Versorgung, nicht über Strafverfahren!) Sie haben gesagt: Ein Jahr nach dem Rücktritt bringen Sie diese Debatte auf. Sie selbst haben damit die Verbindung zu diesem Thema hergestellt. Man sollte sich einmal vor Augen führen, durch welche Situationen dieser Mann und seine Frau in den letzten anderthalb Jahren gegangen sind. Ich frage mich, ob wir uns wirklich mit einer Causa Wulff, die mehrere ausgeschiedene Amtsträger treffen würde, einen Gefallen täten. Der Verfassungsrechtler in mir will noch einige Hinweise auf die Ausgestaltung Ihres Gesetzentwurfs geben. Man kann geteilter Meinung sein, ob Sie hier einen Fall echter Rückwirkung normieren. Sie nutzen geschickterweise den Kniff, nur zukünftige Erhöhungen der Besoldung der Beamten nicht auf die ehemaligen Bundespräsidenten zu übertragen, um die Ruhebezüge dann, wenn sie bei 50 oder 75 Prozent der Dienstbezüge angelangt sind, einzufrieren. Auch hierzu kann man sehr wohl der Auffassung sein, dass das doch eine Rückwirkung bedeutet. Sie regeln nämlich in einem Gesetz einen Tatbestand, der künftige politische Entscheidungen dieses Hauses vorwegnimmt. Dabei geht es um die Frage, ob wir die Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst auf das Beamtenwesen übertragen. Das ist meiner Meinung nach regelungstechnisch eher missglückt als geglückt. Das ist sozusagen der Notausgang für Helden gewesen, um sich aus der Problematik einer echten Rückwirkung einigermaßen glaubwürdig zu verabschieden. Aber ich glaube, das ist nicht gelungen. Mein Fazit ist also: Insgesamt ist das kein guter Anlauf wenige Wochen vor einer Landtagswahl. Ein guter Anlauf wäre gewesen, die in der Tat bestehenden und auch zu diskutierenden Fragen gemeinsam mit Kollegen zu besprechen und danach unterschiedliche Positionen in der Öffentlichkeit auszutragen, aber eine Gemeinsamkeit der Demokraten festzustellen. Dann wären wir hier zu einer guten Lösung gekommen. Übrigens glaube ich, dass wir noch zu dieser guten Lösung kommen werden. Es gibt – darauf hat Herr Bartsch zu Recht hingewiesen – durchaus den einen oder anderen Einzelfall, in dem man sagen würde: Hier besteht Regelungsbedarf – aber von uns gemeinsam, in der Gemeinsamkeit aller Demokraten. Denn das Bundespräsidentenamt ist ein wichtiges und würdevolles Amt, und wir sollten es nicht beschädigen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bevor ich Herrn Nouripour das Wort erteile, gebe ich Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmung bzw. Wahlen bekannt. Zunächst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA“: abgegebene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt 311, mit Nein haben gestimmt 255, Enthaltungen 1. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 568; davon ja: 311 nein: 256 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Nein SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Neškovi? Enthalten SPD Hans-Ulrich Klose Dann kommen wir zum Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Art. 45 d des Grundgesetzes: abgegebene Stimmen 566, alle waren gültig. Mit Ja haben gestimmt 470, mit Nein haben gestimmt 52, Enthaltungen 44. (Beifall im ganzen Hause) Die Abgeordnete Piltz hat 470 Stimmen erreicht. Die erforderliche Mehrheit wurde erreicht. (Beifall im ganzen Hause) Dann kommen wir zum Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung: abgegebene und gültige Stimmen 566. Mit Ja haben gestimmt 468, mit Nein 54, Enthaltungen 44. Frau Piltz erhielt 468 Stimmen. Die erforderliche Mehrheit wurde auch jetzt erreicht. Ich gratuliere Ihnen zu den beiden Wahlergebnissen und zu Ihrer Wahl.7 (Beifall im ganzen Hause – Gisela Piltz [FDP]: Vielen Dank, Herr Präsident!) Jetzt erteile ich als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt dem Kollegen Omid Nouripour das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, der Fall Wulff war kein Ruhmesblatt. Und ja, wir alle haben Zuschriften von sehr vielen Menschen erhalten, die über den Ehrensold sehr empört waren. Wir haben als Grüne ein Konzept dazu vorgelegt, wie wir uns vorstellen, wie es weitergehen kann. Wir haben das in den Haushaltsausschuss eingebracht und dort im Rahmen der Berichterstattung diskutiert. Wir sagen auch: Der Ehrensold gehört abgeschafft. Aber er muss durch eine faire Pensionsregelung ersetzt werden. Wir sind der Meinung, dass die Systematik dieser Pensionsregelung an die bereits bestehenden Pensionsregelungen für Kanzlerinnen und Kanzler, Exministerinnen und minister, Staatssekretärinnen und Staatssekretäre sowie Richterinnen und Richter angelehnt sein muss. Im Kern sagen wir: Nach der Hälfte der Amtszeit gibt es die vollen Bezüge und vorher 50 Prozent. Jetzt hat die Sozialdemokratie etwas vorgelegt. Bevor ich etwas dazu sage, möchte ich eine Vorbemerkung machen. Wenn wir etwas von dieser Koalition lernen – und wir wollen schließlich mit der SPD koalieren –, dann ist es, dass man öffentlich nicht so miteinander umgeht, wie sie es tut. Deshalb muss ich erst einmal sagen: Gut, dass Sie etwas vorgelegt haben. Ja, wir reden darüber; das können wir machen. – Wir hatten auch schon etwas vorgelegt und in einem anderen, aus unserer Sicht richtigen Rahmen diskutiert. Ich kann Ihnen aber sagen, was wir als Grüne nicht machen werden, und zwar zweierlei. Das eine ist: Nachträgliche Regelungen finden wir an sich völlig falsch. Das Zweite ist: Keinerlei Pensionen zu gewähren, halten wir für genauso falsch. Wir reden nämlich nicht über einen Einzelfall, sondern über eine Regelung, die für alle greifen muss. Wenn eine Person mit einer unglaublich großen Beliebtheit in der Bevölkerung ein solches Amt innehat, die, um ein fiktives Beispiel zu nennen, nach einem halben Jahr oder nach einem Jahr aufgrund eines Pflegefalls in der Familie das Amt nicht mehr ausüben kann, weil sie sich selbst darum kümmern will – Sie haben selbst in Ihren Reihen solche Fälle gehabt –, dann geht es nicht an, zu sagen: Es gibt keinerlei Pension. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Richtig!) Wenn wir zudem bedenken, dass es um Personen geht, die möglicherweise noch viele Jahre berufstätig sein werden, und wenn wir Schaden vom Amt abwenden wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die betreffenden Personen gut, würdig und im Rahmen der dann anfallenden repräsentativen Aufgaben leben können. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Einverstanden!) Das sind unsere Grundregeln. Ansonsten kann ich nur sagen: Wir müssen zwar eine Regelung finden, die bei allen Bundespräsidenten greift. Wenn man aber auf Dauer Schaden vom Amt abwenden will, dann muss man genau darauf achten, wen man in dieses Amt bringt. Das ist die wichtigste Regel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dass die Personen, die ausgewählt werden, für das Amt geeignet sind, kann man leider nicht gesetzlich regeln. Hier geht es um Menschenkenntnis, Kompetenz und Führungsqualität. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11593 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen – Drucksache 17/11685 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschussgemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung beantragt die Verlängerung des ISAF-Mandats. Das haben wir zuletzt vor knapp einem Jahr getan. Wir konnten seitdem, genauso wie wir es im letzten Mandat angekündigt und dem Parlament auch zugesagt haben, die Personalobergrenze des Mandats entsprechend reduzieren. Wir haben seinerzeit zu Recht von einer Trendwende gesprochen. Sie verstetigt sich. Aber es ist mit Sicherheit zu früh, von einer Entwarnung zu sprechen. Wir müssen uns noch immer auf schwierige Nachrichten aus Afghanistan einstellen. Das heißt, wir müssen den Prozess der Übergabe der Verantwortung weiterhin so verantwortungsvoll gestalten, wie das in den letzten drei Jahren der Fall gewesen ist. Wir schlagen Ihnen vor, die personelle Obergrenze mit Beginn des neuen Mandats von derzeit 4 900 auf 4 400 Soldatinnen und Soldaten abzusenken. Im nächsten Mandatszeitraum, also in den 13 Monaten, die wir jetzt beantragen, zielt die Bundesregierung darauf, das Bundeswehrkontingent dann auf 3 300 Soldatinnen und Soldaten weiter zu reduzieren. Bis Ende Februar 2014 werden wir damit deutlich mehr als 1 000 Soldatinnen und Soldaten abziehen. Wie bisher gelten diese Zahlen, soweit die Lage vor Ort dies erlaubt. Wie bisher gelten diese Zahlen, ohne dadurch unsere Truppen oder die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefährden. Wir müssen uns in unserem Mandat immer auf Unvorhergesehenes in den Entwicklungen in Afghanistan einstellen. Deswegen ist es richtig, dass wir dieselbe Mechanik des Mandats wählen, wie wir das in den letzten beiden Jahren getan haben. Die Zahlen zeigen: Der Scheitelpunkt des deutschen militärischen Engagements in Afghanistan ist überschritten. Wir sind auf dem Weg, den Einsatz der deutschen und der internationalen ISAF-Kampftruppen bis Ende 2014 zu beenden. Es ist eine gute Nachricht für das gesamte Haus: Der Abzug wird planmäßig und verantwortungsvoll umgesetzt. Das Engagement für Afghanistan wird aber auch danach nicht beendet sein. Es bekommt aber ein zivileres Gesicht. Es geht darum, dass wir Afghanistan natürlich auch nach 2014 nicht im Stich lassen. Nur wenn Afghanistan diese Perspektive für die Zeit nach 2014 hat, wird übrigens auch der Übergabeprozess bis dahin gelingen. Nur dann wird auch der Prozess gelingen, dass die Sicherheitsverantwortung in Afghanistan mehr und mehr von den afghanischen Stellen übernommen wird. Die afghanischen Sicherheitskräfte tragen bereits heute die Verantwortung für 75 Prozent der Bevölkerung. Mitte 2013 wird ganz Afghanistan in der sogenannten Transition sein, sich also im Übergabeprozess befinden. Afghanistan kann mehr und mehr für die eigene Sicherheit sorgen. Die Übergabe der Verantwortung in Verantwortung läuft. Wir anerkennen die Fortschritte, aber wir sind uns ebenso bewusst, dass noch ein schwieriger Weg vor uns liegt. Es wird auch weiterhin Rückschläge geben. Dauerhaften Frieden in Afghanistan kann es nur in einem politischen Prozess der innerafghanischen Aussöhnung und der Verständigung geben. Das ist ja der Strategiewechsel, der auf der Londoner Afghanistan-Konferenz Anfang des Jahres 2010 beschlossen worden ist. Das ist in Wahrheit auch die Strategie, die jetzt Jahr für Jahr, wenn wir die Mandate besprechen, überprüft werden muss. Wir sind der Überzeugung, dass diese Strategie, die wir in London beschlossen haben und die darin besteht, zu erkennen, dass es keine militärische Lösung, sondern eine politische Lösung geben wird, die militärisch gesichert werden muss, mehr und mehr aufgeht, trotz mancher schrecklicher Rückschläge und neuer Herausforderungen. Unter dem Strich kann man wirklich sagen: Dieser Strategiewechsel von Anfang des Jahres 2010 war überfällig und notwendig. Es ist richtig, dass er jetzt umgesetzt wird. Wir sollten daraus lernen; denn eines ist völlig klar: Dieser Einsatz, der jetzt mittlerweile im elften Jahr ist, kann nicht noch einmal zehn oder elf Jahre dauern. Das weiß hier jeder. Deswegen ist es richtig, dass wir – hoffentlich mit einer großen Mehrheit in diesem Deutschen Bundestag – diese neue Strategie, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, umsetzen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) In meinen Augen ist das Ausdruck der Verantwortung des Deutschen Bundestages für unsere Parlamentsarmee. Natürlich müssen am Ende des Versöhnungsprozesses Bedingungen und Kriterien erfüllt sein: der Bruch mit dem internationalen Terrorismus, der Verzicht auf Gewalt, die Anerkennung der afghanischen Verfassung einschließlich ihrer Gebote zum umfassenden Schutz der Menschenrechte. Diese Bedingungen sind nicht verhandelbar. Das hört sich relativ abstrakt an. Wer von Ihnen – das sind die meisten, die jedenfalls an dieser Debatte teilnehmen – in Afghanistan gewesen ist und Gespräche geführt hat, wird mir recht geben: Vor allen Dingen viele Vertreter der Zivilgesellschaft und viele Frauen machen sich große Sorgen darüber, was aus ihnen nach der Übergabe der Verantwortung wird. Deswegen ist es von ganz großer Bedeutung, dass wir gegenüber den afghanischen Partnern mit großem Nachdruck immer wieder darauf bestehen, dass die fundamentalen Menschenrechte – dazu zählt vor allen Dingen auch der Respekt vor Frauen und den Rechten der Frauen – geschützt bleiben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir dürfen andererseits kein Machtvakuum hinterlassen. Der historische Fehler, der uns schon einmal in Schwierigkeiten gebracht hat, darf sich nicht wiederholen. Deswegen ist es auch richtig, dass wir bei der internationalen Afghanistan-Konferenz in Bonn, aber auch bei der Folgekonferenz in Tokio eine Perspektive in doppelter Hinsicht gegeben haben. Zum einen gibt die internationale Gemeinschaft die Perspektive, dass wir Afghanistan nach 2014 nicht im Stich lassen. Umgekehrt muss Afghanistan selber aber auch zeigen, dass es nicht in eine Zeit zurückwill, in der Menschenrechte nichts galten, in der der Respekt gegenüber Frauen und Minderheiten alles andere als die Regel war. Wir müssen also auch von Afghanistan erwarten, dass die Aufgaben, die es übernommen hat, erfüllt werden. Dazu zählt ausdrücklich auch die Korruptionsbekämpfung, dazu zählt mit Sicherheit auch die Bekämpfung der organisierten Kriminalität – ich denke insbesondere an die Drogenkriminalität – und vieles Weitere. Da ich davon ausgehe, dass wir diesbezüglich einen überparteilichen Konsens in diesem Hause haben, ist es nicht erforderlich, darauf noch weiter einzugehen. Meine Damen und Herren, das ISAF-Mandat steht unverändert auf der völkerrechtlichen Grundlage eindeutiger Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, zuletzt der Resolution 2069 vom 9. Oktober dieses Jahres. Wir haben dieses Mandat nach entsprechenden Vorgesprächen mit den Fraktionen, auch mit den Oppositionsfraktionen, dieses Mal auf 13 Monate ausgeweitet. Das hat einen ganz praktischen Grund. Wenn man sich den politischen Kalender anschaut, dann muss man sagen, es ist vernünftig, dass ein neuer Deutscher Bundestag und die nächste Bundesregierung – wer auch immer sie stellen wird – im Herbst des nächsten Jahres Gelegenheit haben, die Dinge – im Bündnis und nach innen – so solide zu beraten, dass dann wirklich eine sachlich-fachliche, unaufgeregte Beratung des Afghanistan-Mandates in der entscheidenden Schlussphase stattfinden kann. Ich denke, das ist sinnvoll. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es gab Überlegungen – das will ich nicht verschweigen –, ob man es noch ein Stück erweitert. Aber aus allen Fraktionen ist sehr viel Wert darauf gelegt worden, es bei diesen 13 Monaten zu belassen, weil es vernünftig ist. Ein Mehr hat auch die Sorge geweckt, dass dadurch die parlamentarische Kontrolle reduziert werden könnte. Das wollen wir nicht. Das war nicht unsere Absicht. Deswegen ist es richtig, dass wir uns auf diesen Konsens verständigen. Das Mandat ist alles andere als Routine. Die Tatsache, dass wir es zu so später Stunde beschließen, in der wir gewissermaßen unter uns sind und nur einige interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer dieser Debatte folgen, (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD) bedeutet nicht, dass das Mandat, das wir jetzt erteilen, Routine geworden wäre oder weniger wichtig wäre. Es ist und bleibt eine der wichtigsten außenpolitischen Aufgaben der Bundesrepublik Deutschland, dass wir diesen Einsatz verantwortungsvoll zu Ende bringen. Genau das tun wir. Die Abzugsperspektive, die wir erarbeitet haben, wird jetzt umgesetzt. Das betrachte ich als einen guten Erfolg der internationalen Gemeinschaft, auch als einen guten Erfolg der Bundesregierung und der Außenpolitik der christlich-liberalen Koalition. Dieser Einsatz ist zu anderen Zeiten und auch von anderen in Regierungsverantwortung begonnen worden. Das sollte ein Grund sein, jetzt auch bei der Beendigung dieses Einsatzes verantwortungsvoll mitzuwirken. Ich möchte mich ausdrücklich an den Teil der Opposition wenden, der sich dieser Verantwortung, die er vorher in der Regierung wahrgenommen hat, auch in der Opposition nicht entzieht. Ich halte das für die richtige staatspolitische Herangehensweise, wenn Sie mir erlauben, das so zu sagen. Wir haben das Gespräch mit Ihnen gesucht. Sie haben das Gespräch entsprechend angenommen. Deswegen, meine Damen und Herren, lassen Sie uns den Soldatinnen und Soldaten danken. Lassen Sie uns aber auch den Frauen und Männern danken, die nicht in Uniform in Afghanistan Dienst tun. Es ist eine wirklich schwierige Aufgabe. Diese Frauen und Männer haben es eigentlich verdient, dass wir unsere Verantwortung als Parlament überparteilich wahrnehmen. Das ist auch mein Appell an die Opposition, in dem Fall dem Beispiel der größten Oppositionsfraktion zu folgen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Petra Merkel [Berlin] [SPD]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. h. c. Gernot Erler von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede neue Mandatsentscheidung sollte damit verbunden sein, Rechenschaft darüber abzulegen: Wie weit sind wir mit unseren Zielen, Hoffnungen und Erwartungen in Afghanistan? Einmal mehr müssen wir von einem gemischten Bild sprechen. Die Erreichung des Ziels, ISAF bis Ende 2014 abzuschließen, setzt voraus, dass die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanische Seite – „transition“ genannt oder „intequ?l“ auf Dari und Paschtu – funktioniert. Hierfür sind im vergangenen Jahr weitere Voraussetzungen geschaffen worden. Von den geplanten 352 000 afghanischen Polizisten und Soldaten galt im November des Jahres eine Zahl von 337 000 als erreicht. Quantitativ wären das 95 Prozent des Planziels. Aber wir hören, in qualitativer Hinsicht gilt der Ausbildungsstand immer noch als problematisch, und die Schwundquote macht weiterhin Sorgen. Die Transition liegt im Plan. Drei Tranchen, wie man das dort nennt, sind vollzogen; zwei sollen noch folgen. Im Antrag der Bundesregierung heißt es, dass mit der vierten Tranche, die noch in diesem Jahr begonnen werden soll, schon 90 Prozent der afghanischen Bevölkerung unter dem Schutz der eigenen Sicherheitskräfte leben werden. Das darf aber nicht über einen Umstand hinwegtäuschen: In der Logik des Transition-Prozesses liegt es, dass die schwierigsten Gebiete – ich denke einmal an die Taliban-Hochburg Helmand – erst zum Schluss in die afghanische Verantwortung übergeben werden. Hier stehen wir vor einem Berg, dessen Gipfel erst noch erklommen werden will. Zur Frage der Zahl der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle und Angriffe durch Aufständische gibt es unterschiedliche Auskünfte. Fest steht: Im Gang der Transition verschiebt sich die Anzahl der Opfer in Richtung der afghanischen Sicherheitskräfte. Das liegt in der Logik der Verantwortungsübergabe an die afghanischen Kräfte. Aber leider nehmen parallel dazu die sogenannten Internal Attacks zu, also Attentate durch uniformierte afghanische Soldaten auf ihre eigenen Kameraden oder auf ISAF-Kollegen. In diesem Jahr waren das leider schon annähernd 50 Fälle. Das hat auch auf der deutschen Seite – wir sind zum Glück nicht so sehr betroffen – schon zu Veränderungen der Art und Weise der Ausbildung geführt. Der plangemäße Fortgang der Transition erlaubt eine stufenweise Reduzierung der eingesetzten deutschen ISAF-Kräfte, wie wir sie immer gefordert haben. Über die Grenzen von 5 350, 4 900 und jetzt 4 400 Mann werden wir am Ende dieser Mandatszeit – Herr Minister Westerwelle hat es eben bestätigt – nur noch 3 300 Bundeswehrkräfte im Einsatz haben. Der Ende November vorgelegte fünfte „Fortschrittsbericht Afghanistan“, für den wir uns bedanken, ermöglicht es uns allen, aber besonders unserer Taskforce Afghanistan-Pakistan, sich mit allen Einzelheiten der Entwicklung in Afghanistan detailliert auseinanderzusetzen. Die SPD-Bundestagsfraktion wird mit deutlicher Mehrheit dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der ISAF-Mission zustimmen. Wir machen uns allerdings keine Illusionen über die verbleibende Größe und Gefährlichkeit dieses Einsatzes, und wir werden immer wieder kritische Fragen stellen, zuallererst zur Anpassung des Einsatzkonzeptes angesichts des Fortgangs der Transition und besonders zur Frage der angemessenen Ausrüstung der Bundeswehr für die verbleibenden Herausforderungen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass gerade heute zwei Kampfhubschrauber Tiger von Leipzig nach Masar-i-Scharif verfrachtet werden, auf die unsere Einheiten vor Ort lange – sehr lange – gewartet haben, und dass bis Weihnachten zwei weitere Tiger folgen sollen, bis Frühjahr 2013 dann auch noch vier NH-90, also Sanitätshubschrauber. (Beifall des Abg. Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU]) Aber wir stellen eben auch fest – das sage ich in Richtung Bundesregierung –, dass diese gerade für den planmäßigen Rückzug wichtige Ausrüstung mit fünf Jahren Verspätung erfolgt. Wir fordern die Bundesregierung auf, rechtzeitig mit uns das Gespräch über das sich erst in allgemeinen Konturen abzeichnende Anschlussmandat ab 2015 zu suchen. Herr Minister, Sie haben darüber jetzt gar nichts gesagt. Vielleicht wird der nächste Redner dazu etwas sagen. Ein Name für dieses Mandat ist schon da – er klingt ein bisschen holprig –: International Training, Advisory and Assistance Mission, abgekürzt: ITAAM. Viel mehr wissen wir aber nicht. Wir brauchen Auskunft zu den genauen Aufgaben dieser Anschlussmission, zu ihrem Gesamtumfang, zu dem deutschen Anteil, einschließlich der Frage der sogenannten Peripherie, also dazu, wie viele zusätzliche Kräfte pro Ausbilder auf deutscher Seite da eigentlich gebraucht werden. Nicht nur die Opposition, sondern auch die Öffentlichkeit hat hier den Anspruch, zeitnah informiert und einbezogen zu werden. Wir werden es jedenfalls nicht akzeptieren, wenn wir hier irgendwann vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Wir dringen auch darauf, dass die Bundesregierung verstärkte Anstrengungen unternimmt, um in dem politischen Bereich voranzukommen, bei dem es bisher am langsamsten vorangeht. Dazu gehört an erster Stelle das, was wir „Good Governance“ nennen, also eine bessere Vertrauensbildung dieser Regierung und des Präsidenten Karzai gegenüber der eigenen Bevölkerung. Daneben ist der Versöhnungs-, Verhandlungs- und Reintegrationsprozess zu nennen. Es ist in der Tat so, dass wir hier die wenigsten Fortschritte erkennen können und dass es auch regelrechte Rückschläge gibt. Verhandlungsstränge, die schon etabliert worden waren, sind inzwischen wieder abgerissen, ohne dass man erkennen kann, ob das die Taliban oder das Haqqani-Netzwerk oder Hekmatjar waren. Leider ist wenig von dem übrig geblieben, worauf wir eine Zeit lang große Hoffnungen gesetzt haben. Es müssen größere Anstrengungen in Richtung Pakistan unternommen werden; darüber haben Sie, Herr Außenminister, auch nichts gesagt. Es ist einfach so, dass wir mit gemeinsamer Anstrengung diesen Prozess voranbringen müssen; denn die Geschichte lehrt uns, dass noch nie ein Land einen Aufstand erfolgreich beenden konnte, das von einem Nachbarland kontinuierlich und nachhaltig unterstützt wurde. Das hat es bisher noch nicht gegeben. Diese Lehre muss in Sachen Pakistan zu international viel intensiveren Anstrengungen führen, als das bisher sichtbar ist. Wir erwarten auch auf diesem Gebiet ständige Unterrichtung durch die Bundesregierung und einen nachhaltigen gemeinsamen Beratungsprozess. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich über die Tonlage und die Substanz dieser Debatte. Ich muss aber zunächst auf die Debatte zurückkommen, die wir eben hatten, und eine Bemerkung des Abgeordneten van Aken aufgreifen, der jetzt leider nicht hier ist. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich werde es ihm ausrichten!) – Sie können ihm das gern ausrichten. – Er hat das Verhalten und das Auftreten von NATO-Soldaten einschließlich Bundeswehrsoldaten in die Nähe von terroristischen Aktivitäten gerückt. (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Ich finde das unerhört. Ich lasse das auf den Soldaten unserer Verbündeten und auf unseren Bundeswehrsoldaten nicht sitzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist Wortverdrehung! Sie müssen zuhören!) Nun möchte ich ein paar ergänzende Bemerkungen zu dem machen, was der Außenminister vorgetragen hat, vielleicht auch kurz dem Abgeordneten Erler antworten. Der Rückgang der Anzahl der Soldaten auf 3 300 zum Mandatsende wird erhebliche Auswirkungen haben. Wir haben darüber schon geredet, und wir werden weiter darüber reden. Die Lage erlaubt – das ist auch notwendig –, dass, um dieses Ziel zu erreichen, das Lager in Kunduz und der OP North geschlossen werden. Der Zeitplan ist noch zu bestimmen; an wen genau und wie das an die Afghanen übergehen wird, auch. Ich sage das deswegen, weil für die Bundeswehr und für uns Kunduz und der OP North nicht irgendein Lager ist. Dort musste die Bundeswehr – ich gucke Franz Josef Jung an – lernen, zu kämpfen. Wir haben dort die meisten Verluste erlitten. Alle erinnern sich an das Thema Tanklastzug. Unsere große Inside-Attack war dort im OP North – mit drei gefallenen Soldaten. Wir werden die Schließung der Lager sorgfältig, behutsam, unter Beteiligung der Angehörigen und mit einem sensiblen Umgang mit den Gedenktafeln vornehmen, damit ganz klar ist, was dort geschehen ist. Das sind schwierige Traditionspunkte in der Entwicklung der Bundeswehr, und das werden wir bei der Rückverlegung und danach immer bedenken. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, die Rückverlegung – wir haben darüber öfter gesprochen – ist als solche ein komplizierter Vorgang. Deswegen bin ich froh, dass wir in diesen Tagen und zu Beginn des nächsten Jahres – Herr Erler hat das auch angesprochen – den Kampfhubschrauber Tiger und den NH-90, den neuen Hubschrauber für Fälle der medizinischen Evakuierung, dort einsetzen können. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der kommt ja pünktlich an!) – Das ist zu spät. Wir haben darauf lange gewartet. Man kann jetzt lange debattieren, woran das liegt. Ich will nur zwei Punkte in dem Zusammenhang nennen: Erstens. Es wird gefragt: Warum jetzt Kampfhubschrauber? Ihr geht doch raus! Dazu ist zu sagen, dass die Kampfhubschrauber bestens geeignet sind, die Soldaten bei der Rückverlegung zu schützen. Das ist unser Auftrag. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das zweite Argument. Wir sind unseren amerikanischen Verbündeten sehr dankbar – das sagen wir ihnen bei jeder Gelegenheit –, dass sie unter Lebensgefahr unsere Jungs, unsere Soldaten aus kritischen Situationen mit ihren Hubschraubern herausgeholt haben, die der Sanität dienen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Jetzt haben wir die Gelegenheit – das hat auch zu lange gedauert –, den Beitrag, den wir leisten können, so schnell wie möglich zu leisten, dass wir unsere eigenen, gegebenenfalls gefährdeten Soldaten selbst aus kritischen Situationen herausholen können. Das ist, ehrlich gesagt, unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Das werden wir jetzt hiermit tun. Herr Erler, Sie haben gesagt, wir hätten nichts zu einem Anschlussmandat gesagt. Dies wird kein Anschlussmandat sein, sondern es ist ein neues Mandat. Es hat eine neue Qualität. Es ist ein Aliud, juristisch gesprochen. Ich spreche nicht gerne von einem Folgemandat. Es hat inzwischen auch einen neuen Namen. Es wird nicht ITAAM, sondern es wird wohl ANTAAM heißen. Erste Profile haben wir dazu bei dem Gipfeltreffen in Chicago beschlossen. Bei der letzten Tagung der Verteidigungsminister haben wir einen weiteren Schritt in Aussicht genommen. Dazu werden wir im Februar den ersten Bericht hören. Ich sage gerne allen Beteiligten zu, dass wir dann darüber informieren. Es wird sich entwickeln. Vieles hängt von den amerikanischen Entscheidungen ab. Eine Frage wird sein, wann man die Entscheidungen über die Größe des Mandates trifft: vor oder nach den Präsidentschaftswahlen. Wir streben einen Beschluss des Sicherheitsrates an. Sie auch. Wir brauchen eine Einladung der afghanischen Regierung. Welche? Gilt die dann noch? Wir brauchen auch für deutsche Soldaten eine Konkretisierung in einem Truppenstatut aus dem Abkommen, das wir mit den Afghanen geschlossen haben. Es ist viel zu tun. Wir wollen das gerne gemeinsam erörtern. Wir haben heute sehr viel über das Mandat gesprochen und relativ wenig über den Friedensprozess in Pakistan. Dazu wird Gelegenheit sein. Wir können gerne – ich habe das mit dem Außenminister nicht besprochen – zu jeder Zeit eine große Afghanistan-Debatte führen, die das ganze Feld in den Blick nimmt. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Oh ja!) Heute geht es um das Mandat. Das Mandat hat seine eigene Würde und seine eigene Rolle als Teil des Gesamtprozesses, Afghanistan so zu befrieden, dass es dort ein angemessenes Sicherheitsniveau gibt. Ich finde, unsere Soldatinnen und Soldaten, unsere Verbündeten und die Öffentlichkeit haben einen Anspruch darauf, dass wir das nachhaltig und seriös machen und so gemeinsam wie nur irgend möglich. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Danke sehr, Herr Präsident. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Krieg in Afghanistan, der Krieg am Hindukusch dauert jetzt elf Jahre. Ich rufe in Erinnerung, dass der US-Krieg in Vietnam genau acht Jahre gedauert hat. Acht Jahre hat auch die sowjetische Intervention in Afghanistan gedauert. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Zehn! 79 bis 89! 26. Dezember 79!) Nach elf Jahren ist diese Bundesregierung nicht in der Lage, eine glaubwürdige und realistische Beurteilung, eine Bilanz des Krieges zu ziehen. Das ist politisch eine Katastrophe. (Beifall bei der LINKEN) Zusätzlich lügt sie einen Abzug herbei, der so überhaupt nicht stattfinden wird. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Der so auch nicht gewollt ist!) Auch das entspricht nicht der Realität in Afghanistan. Ich will Ihnen meine Bilanz nicht verhehlen. Meine Fraktion will das auf gar keinen Fall. Wir wollen diese Afghanistan-Debatte. Wir sind der Auffassung, dass die deutsche Kriegsbeteiligung, die mit Stimmen der SPD, der Grünen, der FDP und der CDU/CSU beschlossen worden ist, von Anfang an politisch falsch und moralisch schändlich gewesen ist. Das ist unsere Bilanz des Krieges. (Beifall bei der LINKEN) Diese werde ich Ihnen Punkt für Punkt beweisen. Punkt eins. Der Krieg am Hindukusch hat mehr als 70 000 Menschen das Leben geraubt. Hunderttausende wurden verletzt. Vor allen Dingen Einheimische sind Opfer des Krieges geworden. Der Tod fragt nicht nach Gesinnung, und der Tod fragt nicht, zu welcher Seite jemand gehört. Auch ISAF-Soldaten, darunter Angehörige der Bundeswehr, wurden Opfer des Krieges. Der Krieg hat nicht etwa Menschenrechte verteidigt, der Krieg hat vielmehr vielen Menschen das entscheidende Menschenrecht, das Recht auf Leben, geraubt. Das ist ein wichtiges Argument gegen diesen und gegen jeglichen anderen Krieg. (Beifall bei der LINKEN) Punkt zwei. Deutschland ist in diesen Krieg hineingelogen worden. Ich will Ihnen nur zwei Beispiele nennen, zu denen Sie sich einmal verhalten müssen: Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat am 8. November 2001 zum ersten Afghanistan-Mandat im Bundestag ausgeführt – ich zitiere –: Es geht weder um eine deutsche Beteiligung an Luftangriffen noch um die Bereitstellung von Kampftruppen am Boden. Das ist schlichtweg eine Lüge, und zwar für beide angesprochenen Bereiche. Der damalige Außenminister Joseph Fischer von den Grünen hat hier ausgeführt: „Niemand, meine Damen und Herren, führt einen Krieg in Afghanistan“. Das ist die noch größere Lüge. Auch heute lügen Sie, wenn Sie von Abzug reden, aber bis zu 4 400 Soldaten in Afghanistan bleiben sollen. Das ist eine Tatsache. Sie lügen auch, wenn Sie nicht darauf aufmerksam machen, dass auch die Kampfformationen und die Tornados bleiben und neue Tiger-Hubschrauber hinzukommen sollen. Die NATO und die Bundesregierung halten sich die Kriegsoptionen für Afghanistan offen, das gilt auch für diesen Antrag. Das ist die Tatsache und nicht das, was Sie der Öffentlichkeit vorspiegeln. (Beifall bei der LINKEN) Im Krieg stirbt die Wahrheit immer zuerst. Das gilt auch für die Zukunft. Solange der Krieg in Afghanistan andauert, werden die Verantwortlichen die Öffentlichkeit über den Krieg täuschen. Punkt drei. Auch hierüber reden Sie nicht: Der Krieg am Hindukusch hat viele Verlierer, vor allen Dingen Afghaninnen und Afghanen. Er hat aber auch Gewinner – das ist jedoch nicht die Bevölkerung. Gewinner sind vielmehr die afghanischen Warlords und die weltweite Rüstungsindustrie. Bis 2013 wird allein der Bundeswehreinsatz in Afghanistan 7,5 Milliarden Euro gekostet haben. Das DIW rechnet für diesen Krieg mit Gesamtkosten in Höhe von 20 bis 30 Milliarden Euro. Der Krieg am Hindukusch hat die Rüstungsindustrie richtig in Gang gebracht. Die Kriegsführung ist immer weiter brutalisiert worden. Auch das ist Teil der Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen, Herr Verteidigungsminister: Gezielte Tötungen durch Eingreiftrupps oder Drohnen, auch das Führen von Listen mit Namen von Menschen, die ausgeschaltet werden sollen, macht Militärs zu Anklägern, Richtern und Vollstreckern. So zerstört dieser Krieg auch unseren Rechtsstaat. Das finde ich schlimm. Das muss hier ausgesprochen werden. (Beifall bei der LINKEN) Punkt vier. Der Kampf gegen den Terror kann gewonnen werden, der Krieg gegen den Terror niemals. Das haben wir von Anfang an immer wieder versucht, dem Hause deutlich zu machen und zu erklären. (Henning Otte [CDU/CSU]: Dann bieten Sie doch mal Lösungen für den Kampf gegen den Terror!) Ich glaube, dass wir recht behalten haben. (Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU]: Semantischer Eiertanz!) Ich sage dazu, Herr Minister, weil Sie das gerade angesprochen haben: Der Krieg gegen den Terror, so wie er geführt worden ist und wie er angelegt war, hat dem Terrorismus weltweit mehr Menschen zugetrieben als von ihm abgewandt. Wer in dieser Art und Weise mit Terror umgeht – und das, was Bush und andere getan haben, ist Terrorismus gegen die Menschheit –, (Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn [CDU/CSU]: Das ist ein starkes Stück!) der treibt Menschen in den terroristischen Untergrund. Der Krieg sorgt für Spaltungen in der Welt: Spaltungen von Religionen, von arm und reich. Spaltungen vertiefen sich zu Feindschaften, und aus Feindschaften werden Hass und Gewalt. In einem solchen Klima, das in Afghanistan noch immer herrscht, können Frauen- und Menschenrechte nicht gedeihen. Sie werden zu einer Hülle, und sie werden benutzt, um von den tatsächlichen Absichten abzulenken. Auch der Krieg in Afghanistan ist um geopolitischen Einfluss, um den Zugriff auf Rohstoffe und um Weltherrschaft geführt worden. Das sind die Hintergründe des Krieges, über die gesprochen werden muss. Punkt fünf. Ich finde, dass die Bundesregierung aus elf Jahren deutscher Kriegsbeteiligung nichts gelernt hat. Im Gegenteil: Ob Rot-Grün oder Schwarz-Gelb – die Regierungen haben die Bundeswehr zum Instrument der Außenpolitik gemacht. Das war nie vorgesehen. Die Bundeswehr wird weltweit eingesetzt – wie Sie immer sagen: jederzeit weltweit einsatzbereit; das ist Ihre Losung, Herr de Maizière –: in Afghanistan, am Horn von Afrika, jetzt an der türkisch–syrischen Grenze. Sie soll auch in Mali eingesetzt werden; darüber reden Sie ja peinlicherweise überhaupt nicht. Man konnte aus elf Jahren Krieg in Afghanistan lernen: Solange Soldaten im Ausland stehen, solange Soldaten in Afghanistan stationiert sind, wird keine Versöhnung stattfinden. Das ist die eigentliche Dramatik. Wer Versöhnung in Afghanistan will, der muss als ersten Schritt die ausländischen Truppen abziehen. Das ist das, was wir wollen. Wir wollen wirkliche Verhandlungen. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen zum Schluss auch – das werden Sie nicht gerne hören, Herr Verteidigungsminister –: Sie machen sich Gedanken darüber, wie Soldaten in diesem Land gewürdigt werden sollten, (Henning Otte [CDU/CSU]: Genau!) wie Opfer gewürdigt werden sollten. Ich möchte die Spaltung in diesem Land zwischen Soldaten und Nichtsoldaten beenden. (Henning Otte [CDU/CSU]: Dann hören Sie auf zu reden!) Ich meine, eine solche Spaltung aufzuheben, schaffen Sie nur, (Florian Hahn [CDU/CSU]: Was für eine Spaltung? Die Soldaten sind doch Teil des Volkes! Sie spalten!) indem Sie eine andere Politik betreiben. Mit Heldengedenktagen und Heldenverehrung werden Sie das nicht regeln. Ich finde, das ist auch ein Teil der Unmoral dieser Kriegsführung. Ich möchte das nicht. Wir sind stolz darauf, dass Sie für Ihren Afghanistan-Krieg nie eine Mehrheit in der Bevölkerung haben werden. Sie dürfen nicht Mehrheiten hier im Saal mit Mehrheiten im Leben verwechseln. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Das kann nicht wahr sein!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Omid Nouripour von Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Gehrcke, ich frage mich schon länger, was Sie alles an Afghanistan nicht verstehen. Jetzt weiß ich es. Sie haben davon gesprochen, dass in Afghanistan seit elf Jahren Krieg ist. Sie haben nicht begriffen, dass in diesem Land seit über 30 Jahren Krieg ist. Das ist die Situation. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Zuruf von der LINKEN) Und die Situation heute ist Resultat dieses dekadenlangen Krieges. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Den sowjetischen Bruder solltet ihr nicht vergessen!) Die Weltgemeinschaft hat sich auf verschiedenen Konferenzen in London, Tokio und Chicago zwei Ziele gesetzt. Erstens. ISAF und die Kampfaufträge werden 2014 beendet. Zweitens. Wir werden in der sogenannten Transformationsdekade, also 2014 bis 2024, die Afghanen nicht alleinlassen. Das sind die beiden Ziele, die wir als Maßstab nehmen müssen, wenn wir das vorliegende Mandat bewerten: ISAF beenden und die Afghanen nicht alleinlassen. Wenn man sich das Mandat und den jetzt eingegangenen Fortschrittsbericht der Bundesregierung zu Gemüte führt, dann muss man die Frage stellen, ob diese beiden Ziele erreicht werden können. Der Begriff Fortschrittsbericht ist ja von manchen kritisiert worden, aber es gibt natürlich Fortschritte in Afghanistan; das sollte man nicht verhehlen. Ich war selbst Anfang Oktober vor Ort in Herat im Westen des Landes – eine blühende Metropole mit ganz, ganz wenig Stacheldraht und noch weniger Menschen mit Waffen. Ich war auch in Kabul bei einem Spiel der allerersten nationalen afghanischen Fußballliga. Da spielte eine Mannschaft aus Dschalalabad gegen eine Mannschaft aus Kandahar. Das war ein grottenschlechter Kick, aber die Stimmung auf den Rängen war sensationell. Da waren 4 000 Menschen, die das pure Leben gefeiert haben. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur Männer oder auch Frauen?) – Da war auch eine Frauentribüne, das ist nicht zu verschweigen. – Es war unglaublich, das zu sehen: Die Menschen waren da, weil sie etwas tun durften, was in vielen anderen Ländern der Welt normal ist, was aber in Afghanistan jahrzehntelang nicht normal war, nämlich zu einem Fußballspiel zu gehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Besonders bewegend daran war, dass dieses kleine Stadion quasi direkt auf dem Parkplatz vom alten Ghazni-Stadion errichtet wurde, das aufgrund der Bilder der fürchterlichen, traurigen Massaker in den 90er-Jahren, die wir alle kennen, weltbekannt ist. Das sollte man nicht vergessen, wenn man über Krieg in Afghanistan spricht, Herr Kollege Gehrcke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Wenn wir über Fortschritt reden und uns den Fortschrittsbericht anschauen, dann sollten wir aber auch keine Schönfärberei betreiben. Zum Beispiel steht im Fortschrittsbericht, es gebe eine kontinuierliche Abnahme der Sicherheitsvorfälle. Aber darin sollte auch stehen, dass es laut UNAMA, also der Vereinten Nationen, im August 2012 die zweithöchste Zahl an zivilen Opfern gab, und zwar seit Beginn des Einsatzes. Ich glaube, dass Ihr Sicherheitsbegriff völlig falsch ist. Denn Sie schauen sich ausschließlich an, wie viele Angriffe es auf internationale Truppen gibt. Die Truppen haben aber einen Auftrag, und das ist der Schutz der Bevölkerung. Deshalb ist die Zahl der zivilen Opfer relevant. Insofern kann man nicht davon sprechen, dass das Land derzeit sicherer wird; das ist eine Schönfärberei. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zugleich gibt es einen neulich veröffentlichten Bericht des Pentagons. Ich habe gerade davon gesprochen, wie es in manchen Metropolen Afghanistans aussieht. Das Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten kommt aber zu dem Ergebnis, dass die Taliban gerade in der Peripherie immens an Einfluss gewinnen. Auch das ist eine Beobachtung, die ich im Fortschrittsbericht so nicht gefunden habe. Ja, Herr Außenminister, Sie haben recht: Die Aussöhnung ist der Schlüssel dazu, dass Afghanistan auf Dauer Frieden findet. Aber es gibt zurzeit faktisch keinen Aussöhnungsprozess; er läuft einfach nicht. Die Frage, die Sie in Ihren Ausführungen und auch im Fortschrittsbericht ausgespart haben, lautet: Was dann? Was passiert eigentlich, wenn der Aussöhnungsprozess nicht in Gang kommt? – Wir erleben doch gerade, dass sich viele der ehemaligen Warlords, auf die wir teilweise gesetzt haben – das war wirklich ein Riesenfehler der Weltgemeinschaft –, hochrüsten und auf den Tag vorbereiten, an dem sie sich die Macht mithilfe der Waffen aneignen können. Der Versöhnungsprozess ist wichtig; aber man muss auch artikulieren, was passieren würde, wenn dieser Prozess nicht mehr in Gang käme. Das haben Sie nicht getan, und insofern ist Ihre Formulierung unehrlich. Wir müssen gleichzeitig aber auch sagen, dass wir in den letzten Jahren im zivilen Bereich, im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, nicht fokussiert genug arbeiten konnten. Da ist natürlich die Frage: Was ist das Konzept der Bundesregierung für die Entwicklungszusammenarbeit nach 2014? – Hiermit verbinden sich Fragen, die sich derzeit viele NGOs, aber auch Regierungsorganisationen stellen: Wie werden wir dann eigentlich arbeiten? Wie geht es eigentlich weiter? Welches Sicherheitsumfeld wird es geben? Wie kann es dort Schutz geben? Wo kann man arbeiten? – All diese Fragen haben Sie überhaupt nicht beantwortet. Eine der Aussagen aus meinen Gesprächen mit vielen Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft in Afghanistan war in diesem Zusammenhang: Ihr habt jetzt in Tokio die Bereitstellung von Geldern beschlossen; wir glauben euch nicht ganz, dass die Mittel tatsächlich fließen werden. – Das heißt, wir brauchen Symbole; wir müssen das klare Zeichen setzen, dass das Geld, das zugesagt worden ist, auch fließen wird. Ich möchte zwei Beispiele nennen, die hier unsere Glaubwürdigkeit massiv unterminieren: Erstens. Sie haben just vor wenigen Wochen im Haushaltsausschuss die Mittel für den Stabilitätspakt Afghanistan um 10 Millionen Euro gekürzt. Wie wollen Sie eigentlich den Menschen in Afghanistan weiterhin erklären, dass Sie zu Ihren Aussagen stehen und die Mittel fließen werden, die dieses Land so dringlich braucht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zweites Beispiel. Die Weltgemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, bis zu 350 000 afghanische Sicherheitskräfte auszubilden. Die Zahl von 350 000 Sicherheitskräften wurde deutlich schneller als erwünscht erreicht. Nun wird aber gesagt: So viele Sicherheitskräfte sind nicht bezahlbar. Die neue Gesamtzahl soll demnach bei 228 000 liegen. Das heißt, wir reden über rund 120 000 Menschen, die wir an Waffen ausgebildet haben und dann faktisch in die Arbeitslosigkeit entlassen. Da ist relativ deutlich abzusehen, wie diese Menschen ihr Geld verdienen werden; sie dürften jedenfalls in die Versuchung kommen. Ich kann Sie nur anflehen: Bitte wirken Sie im internationalen Bereich darauf hin, dass das nicht passiert. Versuchen Sie zu artikulieren, dass es im Sinne aller ist, wenn die Weltgemeinschaft weiterhin Verantwortung übernimmt. Diese Menschen dürfen nicht auf die Straße gesetzt werden; denn sie könnten am Ende die Waffen gegen uns und vor allem auch gegen die Zivilbevölkerung in Afghanistan richten. Lassen Sie mich in der Kürze der Zeit wenige Sätze zum Abzug sagen. Es ist zurzeit nicht ganz klar, welche Pläne die Bundesregierung hat; es ist sehr unkonkret. Da müssen wir noch nacharbeiten. Das werden wir in den Ausschüssen tun. Als Letztes möchte ich Herrn Westerwelle noch etwas sagen. Herr Minister, Sie haben gegen Ende Ihrer Rede im Groben gesagt – ich sage es in meinen Worten –: Nur wer der Mandatsverlängerung zustimmt, ist auch daran interessiert, dass die Menschen, die wir dorthin geschickt haben, ob in Uniform oder nicht, Unterstützung bekommen. – Wir Grüne diskutieren diese Themen seit Jahren sehr gründlich. Es gibt Menschen wie mich, die der Mandatsverlängerung zustimmen; es gibt viele andere, die anders abstimmen. Ich kann Ihnen für all diese Leute sagen: Das Abstimmungsverhalten hat sehr viel mit Ihrer Politik zu tun, nicht nur mit der Situation in Afghanistan. Deshalb weisen wir Ihre Kritik gemeinsam zurück. Ich muss jetzt zum Ende kommen. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie müssen bitte einen Punkt setzen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte nicht nur den Soldatinnen und Soldaten, sondern auch den Polizistinnen und Polizisten sowie den Entwicklungshelferinnen und -helfern herzlich für das danken, was sie tun. Vor allem möchte ich ihnen und ihren Familien vorweihnachtliche Grüße schicken. Denn die härtesten Zeiten, die Menschen im Einsatz haben, sind tatsächlich die Tage um Heiligabend herum, in denen die Einsamkeit und die Trennung von der Familie besonders heftig zu spüren sind. Herzlichen Dank für das, was Sie dort tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Endlich!) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Dank des Kollegen Nouripour schließen wir uns natürlich nahtlos an. Keine Frage: Wir danken den Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfern, wir danken auch den Diplomatinnen und Diplomaten, die vor Ort im Einsatz sind. Damit machen wir deutlich – Sie haben es dankenswerterweise aufgezählt –, dass nicht nur Soldaten im Einsatz sind, sondern auch ziviles Engagement auf sehr breiter Basis vor Ort stattfindet. Das werden wir auch fortsetzen. Dem Dank schließe ich mich an, ich glaube, dass wir uns alle hier im Hause einig sind. Herr Gehrcke, ich hoffe, dass auch Sie sich einig sind; denn das, was Sie vorhin gesagt haben, spaltet unsere Gesellschaft. Wenn Sie bei so einer ernsten Angelegenheit, bei der das Leben von Soldaten auf dem Spiel steht, hier so tun, als sei die Bundeswehr nicht Teil des deutschen Volkes, dann schaden Sie dem Ansehen unserer Armee, und Sie schaden auch dem Ansehen dieses Hauses. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutschland hat sich in der Zeit des Afghanistan-Einsatzes verändert. Es liegt heute nicht an uns, das zu beurteilen. Wir werden heute auch nicht abschließend beurteilen können, ob sich Deutschland zum Besseren oder zum Schlechteren verändert hat. Aber eins steht doch fest: Die Bundeswehr ist durch diesen Einsatz wesentlich stärker in die Herzen vieler Deutschen gedrungen, als das vorher der Fall war. Das muss man doch zur Kenntnis nehmen: überall gelbe Schleifen, das große Engagement von vielen Vereinen, die den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz alles Gute wünschen und mittrauern und mitleiden, wenn ein Soldat stirbt. Deshalb konnte ich Ihre Bemerkung vorhin nicht verstehen. Ich hoffe, dass Sie das so nicht gemeint haben, sondern dass es eher anderen Überlegungen geschuldet war, als dem Hintergrund, den Sie aufgezeigt haben. Ich war wirklich sprachlos. Vor elf Jahren hat Gerhard Schröder in diesem Hohen Haus als Bundeskanzler das Mandat durch die Verknüpfung an eine Vertrauensfrage durchgesetzt. Damals war von uneingeschränkter Solidarität die Rede. Damals hat sich Joschka Fischer – auch das ist erwähnt worden – vor dem Wort „Krieg“ gedrückt. Wir waren es, die benannt haben, um was es geht. Wir waren es, die das hinzugefügt haben, was fehlte, nämlich eine Exit-Strategie. Wie mühsam das ist, sehen wir bei jeder Beratung, die wir hier in diesem Haus dazu durchführen. Denn eines war klar – vielleicht war das auch der Fehler von uns allen gemeinsam, nicht nur von Rot-Grün, Schröder und Fischer, sondern auch von denjenigen, die das Mandat im Herbst 2011 hier im Haus mit breiter Mehrheit getragen haben –: Wir haben unterschätzt, wie lange dieser Einsatz dauert, und wir haben auch unterschätzt, wie sehr es unser Land verändern wird, wenn wir so lange in eine schwere militärische Auseinandersetzung verwickelt werden. Das hat Deutschland sicherlich verändert. Aber man kann jetzt schon sagen, dass es Deutschland in einer Hinsicht definitiv zum Guten verändert hat. Wir zeigen unseren Verbündeten und Partnern und denjenigen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, dass wir vertrauensvoll und solidarisch zu unserer Bündnisverpflichtung stehen, selbst wenn wir Opfer erbringen müssen. Schaut man sich die Nachkriegsgeschichte an, dann stellt man fest: Das ist ein Paradigmenwechsel. Ich würde deshalb zwei umstrittene Einsätze, die hier im Haus immer kontrovers diskutiert worden sind, zusammenfassen: den Afghanistan-Einsatz und natürlich die Entscheidung im Falle des Kosovo. Die Entscheidung für diese Einsätze ist sicherlich keinem hier leichtgefallen, aber sie zeigen, wie gut die Bundeswehr ihre Aufgaben erfüllt. Beide Einsätze zeigen auch, wie verantwortungsbewusst die Politik mit ihren Entscheidungen umgeht. Das dokumentieren wir fortwährend. Der „Fortschrittsbericht Afghanistan“ ist keine Schönfärberei. Wir haben ihn ja auch kritisch diskutiert, rauf und runter, in dieser Woche in unserer Arbeitsgruppe Auswärtiges mit dem Afghanistan-Beauftragten der Bundesregierung, der uns schonungslos offengelegt hat, was falsch läuft. Viele Enttäuschungen und viele Rückschritte in Afghanistan prägen auch unser Bild des Einsatzes. Nichtsdestotrotz – Herr Nouripour hat es angesprochen – ist ziviles Leben für Mädchen und für Jungen in Afghanistan – nicht überall, aber überhaupt – wieder möglich. Es sind geringe Erfolge. Sie sind nicht so groß, wie man sich das vielleicht am Anfang erhofft hat; aber die geringen Erfolge, die es gegeben hat, darf man doch nicht kleinreden, und man darf so tun, als seien sie gar nicht vorhanden. (Beifall des Abg. Florian Hahn [CDU/CSU]) Ich will nicht herbeireden, dass durch einen Abzug zwangsläufig die Herrschaft der Taliban zurückkehrt. Wer weiß das schon? Es liegt doch an uns, wie wir mit diesem Einsatz weiter umgehen. Damit komme ich zu der zivilen Seite. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass hier jemals ein Minister behauptet hat, dass eine militärische Intervention die Lösung für die politische Herausforderung in Afghanistan sei. Keiner hat das gesagt. Hier haben alle Verteidigungsminister, egal welcher Couleur, und alle Außenminister, egal welcher Couleur, immer gesagt: Der zivile Anteil ist das Wichtigste. Ich finde – eine entsprechende Frage wurde ja gerade von der Opposition gestellt –, 430 Millionen Euro pro Jahr ist ganz schön viel Geld. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Ausgabe dieser Steuergelder müssen wir rechtfertigen. Dieses Geld ist gut angelegt bei den Menschen, die sich für uns einsetzen. Kollegin Pfeiffer als Entwicklungspolitikerin wird darauf in ihrer Rede gleich eingehen. Ich glaube, es ist eine positive Seite des Einsatzes, dass die zivile Komponente einen so großen Umfang hat und von solcher Dauer ist. Jetzt, da diese Regierung den Abzug einleitet – gerade Minister Westerwelle hat mit seinem Engagement auf der Konferenz in London maßgeblich dazu beigetragen, dass wir heute da stehen, wo wir stehen –, verabschiedet sie sich nicht aus der zivilen Verantwortung, ganz im Gegenteil. Wir sagen: Wir bleiben beim zivilen Teil dabei. Wir bleiben auch in Zeiten, in denen wir die Ausgabe eines jeden Euro vor unseren Bürgerinnen und Bürgern rechtfertigen müssen, in großem Umfang dabei. Wir werden das Geld effizient und effektiv einsetzen. Insofern werbe ich für unser gesamtpolitisches Konzept. Das ist bei weitem nicht die Lösung aller Probleme. Aber ich glaube, dass wir trotzdem auf dem richtigen Weg sind, und bitte deshalb um Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Nun hat der Kollege Johannes Pflug für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Johannes Pflug (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abzug der internationalen Kampftruppen aus Afghanistan bis Ende 2014 ist beschlossene Sache. Die Rückverlegung der Truppen hat bereits begonnen. Bei denjenigen, die seit Jahren gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr sind, mag dies ein Aufatmen auslösen. Dies gilt aber auch für alle Mitglieder dieses Hohen Hauses. Ich warne jedoch davor, dass Afghanistan in der Versenkung unserer politischen Agenda verschwindet; denn hier haben wir mit dem Eintritt in den ISAF-Einsatz eine Verantwortung übernommen. Wir sind nicht Herrn Karzai verpflichtet, aber wir sind den Menschen in Afghanistan verpflichtet, denen wir Hoffnungen und Versprechungen gemacht haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Ankündigung des Abzugs hat in Afghanistan Verunsicherung ausgelöst. Viele befürchten den Rückfall in Chaos und Bürgerkrieg, schlimmstenfalls eine erneute Herrschaft der Taliban. Und diese Befürchtungen sind nicht unbegründet. Um wirklich die Sicherungsverantwortung an die Afghanen guten Gewissens übergeben zu können, müssen wir in den verbleibenden zwei Jahren alles daransetzen, das Land, soweit nur irgend möglich, zu stabilisieren. Auch danach dürfen wir unser Engagement für eine Entwicklung Afghanistans nicht erlahmen lassen. Das heißt jedoch nicht, dass die Afghanen aus der Selbstverantwortung entlassen werden. Langfristige Unterstützung von unserer Seite sollte nur gegen Reformfortschritte der afghanischen Regierung geleistet werden. Wir dürfen uns nicht scheuen, konsequent Verbesserungen in den Bereichen der Korruptions- und Drogenbekämpfung sowie gute Regierungsführung und bei den Menschenrechten einzufordern. Präsident Karzai hat diese Verbesserungen zugesagt. Der vorliegende Antrag der Bundesregierung sieht eine außerordentliche Verlängerung des Mandats um 13 Monate anstatt, wie bisher üblich, um 12 Monate vor. Dies befürworten wir. Der neugewählte Bundestag sollte nicht sofort nach der Konstituierung über das nächste Mandat entscheiden müssen. Die Zahl der Bundeswehrsoldaten soll bis zum Mandatsende im Februar 2014 auf 3 300 zurückgehen. Diese geplante Reduzierung begrüßen wir ebenfalls. Jedoch steht diese Reduzierung unter dem Vorbehalt, dass die Lage dies erlaubt. Aber wie sieht die aktuelle Sicherheitslage aus? Mehrere renommierte Think Tanks äußern sich äußerst negativ über die Sicherheitslage. Demgegenüber fällt der „Fortschrittsbericht Afghanistan“ der Bundesregierung positiver aus, zumindest positiver, als die Presse dies darstellt. Sicher ist: In Afghanistan stehen wir, was die Zukunft betrifft, vor immensen Herausforderungen. Ein zentraler Faktor für die zukünftige Entwicklung des Landes wird die Präsidentenwahl 2014 sein. Die meisten Afghanen haben jedes Vertrauen in ihre Regierung verloren, und die wenigsten glauben daran, dass es freie und faire Wahlen geben wird. Bestätigte sich diese Sorge, hätte dies einen enormen Vertrauensverlust zur Folge. Präsident Karzai, der nicht mehr kandidieren darf, sollte allen Versuchungen widerstehen, einen Verwandten oder Vertrauten ins Amt zu hieven. Wir müssen also entsprechenden Druck auf den Präsidenten ausüben, die Vorbereitungen zügig und sorgfältig zu treffen, die Sicherheitslage unterstützen und den Auszählungsprozess begleiten. Von genauso großer Bedeutung ist innerafghanische Versöhnung. Bisher sind alle Ansätze hierzu versandet bzw. gescheitert. Wir müssen diesen Prozess, soweit wir können, unterstützen und vor allen Dingen die Zivilgesellschaft in die Verhandlungen einbeziehen. Wir wissen und sagen seit langem: Ohne die Einbeziehung der regionalen Nachbarn wird der Konflikt in Afghanistan nicht zu lösen sein. Der sogenannte Heart-of-Asia-Prozess hat das Potenzial, hier eine entscheidende Rolle zu spielen. Das nächste Außenministertreffen wird im April nächsten Jahres in Astana stattfinden. Wir erwarten, dass sich die Bundesregierung dort voll einbringen wird. Herr Minister Westerwelle und Herr Minister de Maizière, ich habe jetzt zum wiederholten Male von chinesischer Seite deutliche Kooperationsbereitschaft bezüglich der zivilen und wirtschaftlichen Entwicklung Afghanistans nach Abzug der internationalen Truppen gehört. Ich bitte Sie sehr inständig, die Chinesen beim Wort zu nehmen und auch in diese Gespräche einzubeziehen. Ein großes Fragezeichen stellt sich hinsichtlich der geplanten Mission, die sich an den ISAF-Einsatz nach 2014 anschließen soll. Diese soll keine Kampfhandlungen mehr vorsehen, sondern nur noch auf Training und Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte abzielen. Über die genaue Ausgestaltung dieser Mission wissen wir jedoch bislang so gut wie nichts. Wir befinden uns in Afghanistan in einer kritischen Umbruchphase. Niemand kann zum jetzigen Zeitpunkt mit Bestimmtheit sagen, wie die Zukunft Afghanistans aussehen wird. Sicher ist, dass die Entwicklung auch von unserer Unterstützung abhängen wird. Dabei muss unser zukünftiges Engagement in Afghanistan auf der Grundlage einer langfristigen Strategie und einer umfassenden Evaluation unserer vergangenen Aktivitäten erfolgen, um Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden, zukünftig zu vermeiden. Diese Evaluation muss von unabhängigen Experten durchgeführt werden, um politische Handlungsmaximen entwickeln zu können. Sie, verehrter Kollege Gehrcke und die Linken, wussten das alles bereits seit zehn Jahren. Sie werden sich also an dieser Evaluation nicht beteiligen müssen. Ich schlage vor, dass wir diese sehr ernsthaft durchführen werden. Ansonsten darf ich sagen: Wir werden dieser Verlängerung des Mandats zustimmen. Danke sehr. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute debattieren wir über die künftige Mandatierung des verringerten deutschen Kontingents für ISAF, mit dem wir unseren Truppenabzug bis 2014 einleiten. Damit fällt automatisch der Blick der öffentlichen Debatte auf die Zeit nach dem Truppenabzug. Nachdem ich die Debatte verfolgt habe, muss ich sagen, Herr Gehrcke, dass nur allzu oft sicherheitspolitische Schreckensszenarien an die Wand gemalt werden: Kommen die Taliban zurück? Wann kommen sie zurück? Nach 2014? War eigentlich alles, was wir gemacht haben, umsonst? Es ist legitim, diese Fragen zu stellen; auch ich habe sie mir gestellt. Aber, lieber Johannes Pflug, wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen und darauf zu warten, dass irgendetwas passiert, und Szenarien sozusagen herbeizureden, das ist, glaube ich, der falsche Weg. Im Gegenteil: Wir müssen uns viele Gedanken darüber machen, welche grundsätzlichen Parameter unseres Engagements sich verändern werden und wie wir uns darauf einstellen können. Dabei dürfen wir diese Debatte nicht nur auf sicherheitspolitische Aspekte verengen. Wir müssen auch den zivilen Wiederaufbau in den Blick nehmen; denn ab 2014 wird die internationale Entwicklungspolitik eine größere Rolle für die Zukunft Afghanistans spielen. Vor einem halben Jahr, im Juni 2012, hat die internationale Gemeinschaft in Tokio eine Fortsetzung des zivilen Engagements und der finanziellen Unterstützung Afghanistans mit rund 4 Milliarden Dollar pro Jahr be-schlossen. Deutschland hat gegenüber Afghanistan zugesagt, sein Engagement von derzeit 430 Millionen Euro in der Transformationsdekade zu verstetigen. Wir werden die Menschen in Afghanistan auch nach 2014 nicht im Stich lassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Diese Zusage – das ist in diesem Zusammenhang mindestens genauso wichtig – ist aber Zug um Zug an konkrete Reformschritte der afghanischen Regierung geknüpft. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat vor zwei Wochen einen Afghanistan-Kongress durchgeführt. Wir haben dort sowohl Bilanz gezogen und eine Bestandsaufnahme gemacht als auch den Blick in die Zukunft gerichtet. Dabei ist deutlich geworden, dass die Lage in Afghanistan bei weitem nicht so desolat ist, wie es von einigen suggeriert wird, Herr Gehrcke. Vielmehr sind Fortschritte in den Schwerpunktbereichen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sehr wohl sichtbar. Beispielsweise haben sich die staatlichen Einnahmen in den letzten zehn Jahren mehr als verzehnfacht. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen beträgt mittlerweile 585 US-Dollar. Zugang zu Basisgesundheitsleistungen hatten einmal 8 Prozent der Bevölkerung – mittlerweile sind es 85 Prozent der Bevölkerung. 7 Millionen Kinder, darunter fast 3 Millionen Mädchen, gehen heute in die Schule. Natürlich gibt es auch Defizite, insbesondere in den Bereichen Müttersterblichkeit, Zugang zu Trinkwasser und sanitärer Versorgung sowie Unterernährung von Kindern. Inwieweit die skizzierten Fortschritte nach Abzug der militärischen Kampfverbände Bestand haben werden, hängt definitiv von vielen Faktoren ab. Dazu gehört neben der allgemeinen Sicherheitslage maßgeblich der politische Versöhnungsprozess zwischen den Taliban und den anderen politischen Gruppierungen in Afghanistan. Eine Stabilisierung der Fortschritte hängt aber auch davon ab, ob es uns gelingen wird, Perspektiven für die junge Generation von Afghanen zu schaffen. Gemeint ist in erster Linie ein nachhaltiges und selbsttragendes Wirtschaftswachstum. Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit bis zu 10 Prozent der arbeitenden Bevölkerung von Beschäftigungsmöglichkeiten durch ausländische Geber abhängen. Hier ist absehbar, dass der erwartete Rückgang des Wirtschaftswachstums infolge des Truppenabzugs zu einer großen Herausforderung werden wird. Die afghanischen Budgetplanungen der nächsten Jahre und auch die internationalen Zusagen der Tokio-Konferenz beruhen zu einem großen Teil auf der Annahme steigender Einnahmen aus dem Rohstoffsektor. Es ist von entscheidender Bedeutung, ob es Afghanistan gelingen wird, eine entwicklungsorientierte Rohstoffpolitik zu machen. Afghanistan muss seine Abhängigkeit von der Hilfe internationaler Geber verringern. Viel hängt ab von der Zukunft des Entwurfs für ein neues Rohstoffgesetz, das ausländischen Investoren Rechtssicherheit bringen soll. Dieses Gesetz ist leider in der Mitte des Jahres im afghanischen Kabinett zunächst gescheitert. Deutschland hat deshalb gegenüber Afghanistan sehr deutlich gemacht, dass es der Verabschiedung dieses Gesetzes eine hohe Priorität für die weitere Entwicklung des Landes zumisst. Das starke Bevölkerungswachstum stellt Afghanistan vor große Probleme. Bei einem Bevölkerungswachstum von 2,8 Prozent wird das Wirtschaftswachstum nicht ausreichen, um die Zahl der in Armut lebenden Afghanen dauerhaft zu verringern. Es ist das Ziel unserer zukünftigen Bemühungen, durch die Schaffung von Lebensperspektiven für die Bürger Afghanistans die Legitimität des afghanischen Staates zu erhöhen. Nur so kann eine Stabilisierung des Landes über 2014 hinaus erreicht werden. Die Entwicklungspolitik Deutschlands steht da an der Seite Afghanistans. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Florian Hahn aus der Unionsfraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Vor elf Jahren hat die damalige rot-grüne Bundesregierung zum ersten Mal in diesem Hause einen Antrag zur Beteiligung bewaffneter deutscher Soldaten am Afghanistan-Einsatz zur Abstimmung vorgelegt. Seither hat sich viel verändert, nicht nur das Abstimmungsverhalten von Bündnis 90/Die Grünen, die früher in federführender Funktion bei diesem Einsatz waren und sich nun ganz besonders mutig enthalten wollen, sondern auch vieles in Afghanistan. Das hat zentral mit unserem enormen politischen, militärischen und zivilen Engagement in diesen elf Jahren zu tun. Im Gegensatz zu 2001, als es nur circa 1 Million Schüler gab – davon nur 10 Prozent Mädchen –, besuchen heute 8 Millionen Kinder – davon 2,7 Millionen Mädchen – die Schule. Inzwischen haben 85 Prozent der Afghanen Zugang zu einer medizinischen Versorgung. 2001 waren es weniger als 10 Prozent. Auch konnte die Kindersterblichkeit in den letzten sieben Jahren um 30 Prozent verringert werden. Diese Beispiele zeigen: Vieles ist in Afghanistan besser geworden. Die Menschen sind froh, dass sie nicht mehr von den Taliban unterjocht werden. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass 90 Prozent der Afghanen in keinem Fall die Rückkehr der Taliban-Herrschaft wollen. Diese und andere Verbesserungen und Erfolge der letzten Jahre wären ohne den Einsatz unserer Bundeswehrsoldaten so nicht möglich gewesen. Das neue ISAF-Mandat soll auf 13 Monate verlängert werden und sieht in dieser Zeit eine Verringerung der Truppenstärke um fast 30 Prozent auf 3 300 Soldaten vor. Selbsttragende afghanische Sicherheitsstrukturen nehmen mehr und mehr Gestalt an und ermöglichen diese Reduzierung. So übernehmen afghanische Sicherheitskräfte seit Juli 2011 nach und nach die Verantwortung in ihrem Land. Im Norden des Landes operieren sie zunehmend selbstständig und werden von Soldaten der ISAF beraten, begleitet und unterstützt. So können wir an unserer Entscheidung festhalten und die Truppen weiter verantwortungsbewusst verringern. Hierbei liegt die Betonung auf dem Wort „verantwortungsbewusst“. Wir dürfen nicht zulassen, dass Erreichtes riskiert oder verloren wird. Die Lage vor Ort muss entscheidend für die schrittweise Rückverlegung sein. Ich bin dankbar, dass dies so auch im Antrag der Bundesregierung berücksichtigt wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Eine Fortsetzung der Professionalisierung der afghanischen Sicherheitskräfte ist absolut notwendig. Ich möchte deswegen noch einmal mit aller Deutlichkeit sagen, dass wir die Afghanen auch in dieser Hinsicht nicht im Stich lassen. Ganz im Gegenteil: Wir werden unser Engagement für die Ausbildung der Afghanen weiter erhöhen. Zu diesem Zweck plant das Bündnis eine Folgemission für die Zeit ab Anfang 2015. Diese Mission soll zwar keinen Kampfauftrag mehr beinhalten, sich dafür aber auf Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte konzentrieren. 2013 wird für unsere Truppen in Afghanistan in vielerlei Hinsicht eine große Herausforderung. Wir müssen gewaltige logistische Aufgaben bewältigen. Die Rückverlegung von Personal und Material innerhalb kurzer Zeit ist eine Mammutaufgabe. Nach jetzigem Stand gilt es, unter anderem etwa 6 000 Container und rund 1 700 Fahrzeuge über Land, Luft und See zurück nach Deutschland zu verlegen. Die Sicherheitsvorkehrungen für die Rückverlegung selbst, aber auch die generellen Sicherheitsanstrengungen für das Land müssen dabei unbedingt gewahrt bleiben. Als bayerischer Abgeordneter komme ich nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass im nächsten Jahr besonders viele bayerische Soldaten bzw. Soldaten aus bayerischen Standorten im Einsatz sein werden. Bei einem Besuch eines Bataillons der Gebirgsjäger-brigade 23 während ihrer Einsatzvorbereitung auf dem Gefechtsübungsplatz des Heeres in Letzlingen war ich beeindruckt von der Motivation und der Professionalität, mit der die Soldaten ihrem Einsatz im Februar entgegensehen. Viele waren bereits mehrfach im Einsatz und geben ihre Erfahrungen entsprechend weiter. Daran sieht man einmal mehr, wie sich unsere Armee verändert und professionalisiert hat. Das bestätigte mir gestern bei einem Gespräch auch der neue Münchener Generalkonsul der Vereinigten Staaten, William Moeller, der selbst in Afghanistan an der Seite deutscher Einsatzkräfte im Einsatz war. Ich kann ihm nur beipflichten, wenn er sagt, dass wir auf unsere Bundeswehr stolz sein können. Die Frauen und Männer riskieren in unserem Auftrag tagtäglich Leib und Leben, unterstützen eine friedliche Entwicklung im Einsatzland und schützen unsere Interessen. Dies ist meist mit großen persönlichen und familiären Entbehrungen verbunden. Unsere Gesellschaft reagiert darauf weitgehend mit Desinteresse (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, genau!) und nicht selten – wir haben das heute erlebt – sogar mit Ablehnung. Damit werden gerade auch die Familienangehörigen konfrontiert. Ich möchte daher ausdrücklich unserer Bundeskanzlerin danken, dass sie vor wenigen Tagen Familienangehörige unserer Soldaten und Polizisten, die im Ausland Dienst tun, im Kanzleramt empfangen hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist ein starkes und wichtiges Signal für die Betroffenen und ihre Familien, aber auch für unsere Gesellschaft: Wir stehen hinter unseren Frauen und Männern im Einsatz. Ich wünsche ihnen ganz besonders ein frohes Weihnachtsfest und Gottes Segen im Einsatz. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11685 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Düngeverordnung novellieren – Drucksache 17/10115 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.8 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/10115 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II – Drucksache 17/11822 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre auch hier keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal bei Ihnen, liebe Frau Kotting-Uhl von Bündnis 90/Die Grünen, bei Angelika Brunkhorst von der FDP, bei Ute Vogt von der SPD, bei Maria Flachsbarth von der CDU/CSU, bei Dorothée Menzner von der Linkspartei, aber auch bei meiner Staatssekretärin Ulla Heinen-Esser und bei den Mitgliedern der Asse-Begleitgruppe ganz herzlich dafür bedanken, dass dieser Gesetzentwurf möglich geworden ist. Er ist in der Sache richtig. Er ist aber auch ein überzeugendes Signal, dass wir imstande sind, über Parteigrenzen hinweg bei wichtigen Fragen gemeinsam zu handeln. Wir wissen, dass in den letzten Jahren viel Vertrauen in die Asse verloren gegangen ist. Wir wollen dieses Vertrauen gemeinsam wiedergewinnen. Wir wollen Lösungen, die den Belangen der Betroffenen vor Ort gerecht werden und die transparent sind. Nach meiner Ernennung zum Bundesumweltminister habe ich sehr schnell einen Besuch der Schachtanlage Asse II in Begleitung von Vertretern aller Fraktionen durchgeführt, weil es mir wichtig war, dort deutlich zu machen: Die Rückholung der radioaktiven Abfälle aus der Schachtanlage Asse II ist kein regionales Thema, sondern liegt in der Verantwortlichkeit des ganzen Landes und der Politik insgesamt. Ich habe bei diesem Besuch gesagt, dass ich bereit bin, von meinem Haus aus die Erarbeitung eines solchen Gesetzentwurfs zu unterstützen, wenn wir ihn im Konsens erarbeiten und gemeinsam tragen. Genau das ist geschehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dafür ist allen Fraktionen zu danken, die daran mitgewirkt haben. Dieser Gesetzentwurf ist wichtig, weil er nicht nur Vertrauen und Sicherheit schafft, indem er der Rückholung den Vorzug gibt, die Rückholung beschleunigt und dabei keinerlei Abstriche am Strahlenschutz der Bevölkerung und der Beschäftigten zulässt. Er ist auch deshalb wichtig, weil wir alle wissen, dass die Probleme in der Asse unter Tage groß sind, dass es Stabilitätsprobleme des alten Grubengebäudes gibt, dass wir dringend einen neuen Schacht brauchen, weil wir heute nur eingeschränkte Betriebsmöglichkeiten unter Tage haben, und dass wir der Gefahr eines unbeherrschbaren Laugenzutritts begegnen müssen. Deshalb müssen wir die Arbeiten beschleunigen. Der Gesetzentwurf soll hierfür eine Grundlage bilden. Er stellt klar, dass die Rückholung der radioaktiven Abfälle Priorität hat. Er stellt fest, dass die Rückholung nur noch in gesetzlich festgeschriebenen Fällen abgebrochen werden kann. Der Gesetzentwurf enthält eine Regelung für den Fall der Pflichtenkollision, und er stellt auch klar, dass es für die Rückholung keiner atomrechtlichen Planfeststellung nach § 9 b Atomgesetz bedarf. Er regelt es so, dass wir keinerlei Beschneidung von Beteiligungs- und Mitspracherechten haben, und er regelt den Umgang mit radioaktiven Stoffen unter Tage in einer Art und Weise, die die Arbeiten zu beschleunigen hilft. Wir schaffen damit die Voraussetzung, einer Lösung einen Schritt näher zu kommen. Die Lösung selbst wird viele Jahre brauchen, bis sie gefunden ist. Deshalb brauchen wir einen langen Atem. Ich will für die Bundesregierung die Bereitschaft unterstreichen, dass wir auch künftig die nötigen Mittel zur Verfügung stellen, um diese Rückholung durchzuführen. Wir haben den Mittelansatz im Haushalt um 20 Millionen Euro erhöht. Wir haben dem Bundesamt für Strahlenschutz im Haushalt neue Stellen bewilligt. Ich habe vor wenigen Tagen eine Vorlage abgezeichnet, die im Wege eines Ausführungserlasses des BMU eine freihändige Vergabe bis zu einer Größenordnung von 100 000 Euro ermöglicht. All das soll dazu beitragen, dass wir dort vorankommen. (Beifall der Abg. Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]) Ich habe vor 14 Tagen meinen zweiten Besuch bei den Beteiligten der Asse-Begleitgruppe durchgeführt. Ich werde mich im Frühjahr – hoffentlich wiederum gemeinsam mit Vertretern aller Fraktionen – einer Bürgerversammlung stellen, um dort auch in der Bevölkerung insgesamt dafür zu werben, dass wir dieses Problem gemeinsam klären. Die Asse ist eine klaffende Wunde in der Natur. Sie zeigt, dass wir, als diese Entscheidungen seinerzeit getroffen worden sind, weder ihre Tragweite noch ihre Implikationen ausreichend bedacht haben. Weil dafür auch diejenigen, die damals noch keine Verantwortung getragen haben – das sind alle im Raum, soweit ich das überschauen kann –, trotzdem heute verantwortlich sind, ist es so wichtig, dass wir gemeinsam agieren, um diese Wunde zu schließen. Schließlich und letztens, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die Gemeinsamkeit in der Frage der Asse reiht sich ein in eine Gemeinsamkeit, in der wir seit Fukushima und dem Sommer letzten Jahres eines der größten Streitthemen der deutschen Politik der letzten 30 Jahre einvernehmlich klären: Wir haben gemeinsam den Atomausstieg und die Energiewende beschlossen. Wir haben heute einen gemeinsamen Konsens im Hinblick auf die Rückholung der Abfälle aus der Asse, und ich bin zuversichtlich, dass wir es mit gutem Willen der Beteiligten auch schaffen können, noch vor der Bundestagswahl einen gemeinsamen Konsens im Hinblick auf die Endlagersuche zustande zu bringen. Es wäre ein starkes Signal, dass wir unsere Lektion gelernt haben und dass wir bereit sind, die Vergangenheit gemeinsam so aufzuarbeiten, dass dies angemessen ist und den Menschen im Lande dient. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Ute Vogt das Wort. Ute Vogt (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der Tat ist es eine erfreuliche Entwicklung, die heute mit der ersten Lesung des Entwurfs des Asse-Beschleunigungsgesetzes dokumentiert werden kann. Wir haben am 17. Januar dieses Jahres als SPD-Fraktion einen Antrag zur Beschleunigung der Rückholung der Atommüllfässer aus der Asse vorgelegt. Es ist mehr als erfreulich, wie sich dieses Thema seither entwickelt hat. Ausgangspunkt für uns als Sozialdemokratie war damals der Besuch des örtlichen Abgeordneten in der Asse. Dabei hatten wir den Eindruck, dass trotz großer Bemühungen auch der Verantwortlichen vor Ort es schlichtweg viele bürokratische Hürden gibt und viele Vorgänge zu langsam vorangehen und dass das Vertrauen der Bevölkerung, dass eine Rückholung noch ernsthaft verfolgt wird, mehr und mehr schwindet. Schon damals haben wir im Zusammenhang mit unserem Antrag – ich weiß, dass das auch andere Oppositionsfraktionen getan haben – engen Kontakt zur Asse-Begleitgruppe gehalten. Auch unser jetziges Verfahren zeigt, dass es gut war, die Asse-Begleitgruppe von Anfang an mit im Boot zu haben. Ich denke, das ist wieder ein Beispiel dafür, dass echte Bürgerbeteiligung Akzeptanz schafft und uns Lösungen oft schneller nahebringt, als wenn wir zuerst etwas im Bundestag oder in anderen politischen Gremien beschließen und dann versuchen, es zu vermitteln. Das ist mit Sicherheit eine gute Blaupause für andere Verfahren. Das Verfahren ist sicherlich nicht dadurch erschwert worden, dass für alle Fraktionen und auch für das Bundesumweltministerium Frauen als Berichterstatterinnen verhandelt haben. Das hat das Ganze ziemlich unkompliziert und sehr lösungsorientiert nach vorne gebracht. Wir haben jetzt eine Regelung gefunden, mit der wir den Verantwortlichen vor Ort sowie vor allem den Behörden und denen, die entscheiden, den Rücken stärken wollen. Die Rückholung hat absoluten Vorrang. Wir haben mit diesem Gesetz fraktionsübergreifend all denen eine Absage erteilt, die sogar noch bis vor kurzem versucht haben, eine Rückholung – auf welchem Weg auch immer – zu verhindern. Wir wissen zwar, dass die Rückholung die teurere Variante ist. Aber es ist gut, dass das Thema Sicherheit für uns alle hier im Haus Vorrang hat. Mit der absoluten Priorität, die wir der Rückholung einräumen, wird auch der Streit beendet, ob die Rückholung tatsächlich der bestmögliche Weg zur sicheren Stilllegung ist. Wir sind uns hier im Hause einig: Es gibt nichts Sichereres, als die Abfälle zurückzuholen, damit sie eben nicht Tausende und Abertausende Jahre im Boden liegen und dort – wer weiß, wohin – diffundieren. Die Rückholung ist eine ganz notwendige Festlegung. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]) Es kann jetzt beschleunigt gearbeitet werden. Das schafft sicherlich nicht allein das Gesetz; es schafft nur die Grundbedingungen. Alle Beteiligten – Bundesregierung, Landesregierung und Betreiber – müssen sich nun frühzeitig zusammensetzen, konstruktiv zusammenarbeiten und die nächsten Schritte vereinbaren, damit es tatsächlich Zug um Zug vorwärts gehen kann. Es ist uns wichtig, dass der Strahlenschutz der Beschäftigten und der Bevölkerung auf sehr hohem Niveau erhalten bleibt, dass wir an diesem Punkt also keine Abstriche machen. Es ist gut, dass wir uns auch darüber verständigt haben. Ich erinnere daran, dass es nicht unumstritten war, dass Sigmar Gabriel als Umweltminister die Asse-Anlage dem Atomrecht unterstellt hat. Ich denke, das war ein richtiger Schritt, um das notwendige Schutzniveau für alle Beteiligten zu erhalten. Die Asse wird damit genauso behandelt wie andere atomare Lager. Deshalb war es nicht ganz einfach, Regelungen zu finden, die uns pragmatisch weiterhelfen. Gerade weil es so schwierig war, bin ich froh, dass es gelungen ist, ein Asse-Beschleunigungsgesetz zu erarbeiten. Das zeigt – da haben Sie durchaus recht, Herr Minister –, was möglich ist, wenn die Regierung auch auf Initiativen und Vorschläge seitens der Opposition eingeht, sich alles unvoreingenommen anhört und Vorschläge – egal, woher sie kommen – ernst nimmt und in ihre Arbeit einbezieht. (Zuruf der Abg. Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]) – Frau Kollegin Flachsbarth, das gilt sicherlich für alle Themen, insbesondere für diejenigen, bei denen es relativ egal ist, wer regiert. Es gibt Probleme, die uns und die nachkommenden Generationen Jahrzehnte oder – wie im Fall eines Endlagers für atomaren Müll – sogar Jahrhunderte beschäftigen werden. Das Verfahren zeigt: Wenn alle Beteiligten offen sind und bereit sind, aufeinander zuzugehen – das gilt auch für das Endlagersuchgesetz –, und wenn wie im Asse-Verfahren eine Bürgerbeteiligung ermöglicht wird, dann sehe ich keine Probleme, dass wir bei der Endlagerstandortsuche einen Konsens finden werden, vielleicht sogar schneller, als sich das mancher oder manche vorstellen kann. Trotzdem sollten wir heute erst einmal froh sein, dass es uns gelungen ist, an dieses Thema einen Knopf zu machen. Es ist jetzt unsere Aufgabe als Bundestag, am Ball zu bleiben. Wir dürfen das Ganze nicht aus den Augen lassen. Es ist immer wieder nötig und sinnvoll, dass wir die Kräfte vor Ort verstärken. Einen Wermutstropfen hat das Ganze, wie ich finde. Wir haben fraktionsübergreifend an dem Gesetzentwurf gearbeitet. Weil aber der Kollege Kauder einer besonderen Ideologie anhängt, ist es nicht möglich gewesen, dass auch die Fraktion Die Linke auf dem Gesetzentwurf erscheint. Das aber wäre ein gutes Signal gewesen. Wenn schon einmal alle Seiten konstruktiv an einem Strang ziehen, dann sollten Sie von der Union sich einen Ruck geben, damit alle Fraktionen, die an dem Gesetzentwurf gearbeitet haben, auch auf dem Gesetzentwurf erscheinen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Angelika Brunkhorst für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Angelika Brunkhorst (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch aus Sicht meiner Fraktion ist heute wirklich ein guter Tag. Dass wir heute, in der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten, dieses Gesetz im Plenum anberaten können, ist schon sehr gut. Wir hatten einen ambitionierten Fahrplan, und wir alle haben ambitioniert mitgearbeitet. Ich möchte in erster Linie den Berichterstatterinnen der anderen Fraktionen für die sachliche, wirklich pragmatische und zielorientierte Arbeit danken. Es war für einige von uns eine gute Erfahrung, zu sehen, dass es auch gemeinsam gehen kann. Wir haben jetzt auch ein gutes Ergebnis eingefahren. Ich möchte betonen, dass es das unbedingte Ziel der FDP-Fraktionen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene ist, dass die Rückholung der Abfälle gelingt. Ich möchte daran erinnern, dass auch der Landesumweltminister Stefan Birkner sich schon sehr früh im Jahr, nämlich im Februar, dahin gehend geäußert hat, dass wir ein Einzelgesetz brauchen, das uns hilft, diese Dinge voranzutreiben. Das ist wichtig, weil die Standsicherheit begrenzt ist. Das Grubengebäude ist marode. Es ist immer noch damit zu rechnen, dass der Laugenzutritt unkontrollierbar wird. Das liegt nicht in unserer Hand. Mit der Lex Asse haben wir das gesetzgeberische Beschleunigungspotenzial gehoben. Das hilft uns bei den Vorbereitungsarbeiten zur Faktenerhebung, wobei wir unter Berücksichtigung des Strahlenschutzes usw. die ersten Vorkehrungen schon getroffen haben. Ich möchte an dieser Stelle auch der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Heinen-Esser und der Vizepräsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz, Frau Nöthel, danken, die uns beraten haben. Mein Dank gilt auch den Beamtinnen und Beamten des BMU, die unsere Vorstellungen in Gesetzesform gebracht haben. Für die Begleitgruppe war Herr Rechtsanwalt Gaßner dabei, der immer wieder die Befindlichkeiten, aber auch die Wünsche der Begleitgruppe hat einfließen lassen. So war das von vornherein ein Unternehmen aus einem Guss. Ich möchte nicht so sehr in die Einzelheiten des Gesetzentwurfs gehen, vielmehr einige grundlegende Aspekte aufgreifen. Es gibt nur einen Schacht, und es wird ein neuer Schacht gebaut werden müssen. Das Abteufen eines neuen Schachts 5 ist doch ein sehr großes Bauprojekt. Das wird jetzt sofort angegangen. Wir können die Vorbereitungsmaßnahmen bereits jetzt beginnen, obwohl die Genehmigung noch gar nicht vorliegt. Das spart eine Menge Zeit. Wir können bei dem Genehmigungsverfahren davon ausgehen – das ist ein gutes Signal –, dass die Betreiberseite, nämlich das BfS, und die Genehmigungsseite, das NMU, intensiv zusammenarbeiten und gut miteinander kommunizieren. In unserem Gesetzentwurf steht, dass über den Genehmigungsantrag unverzüglich, spätestens innerhalb von sechs Monaten, entschieden werden soll. Das heißt keinesfalls, dass es unbedingt sechs Monate dauern sollte. Kern der Regelung ist vielmehr, zu vermeiden, dass man sich – wie bei anderen Genehmigungsverfahren – im Vorfeld vielleicht über die Fristen nicht einigt und nicht klar ist, ob schon alle Unterlagen vollständig vorliegen. Daher haben wir gesagt: Wir wollen, dass Betreiberseite, Antragstellerseite und Genehmigungsseite in sogenannten Antragskonferenzen den Antragsgegenstand schon in einer sehr frühen Phase erörtern, damit da keine Irritationen entstehen oder Dinge vergessen werden können. Das war, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt. Die gute Kommunikation und Transparenz in die Region hinein ist ja auch von der Parlamentarischen Staatssekretärin Heinen-Esser immer wieder aktiv unterstützt worden. Sie ist in die Region gefahren und hat sich dort mit der Begleitgruppe getroffen. Es gab auch mehrere Workshops, in denen einiges erörtert worden ist, also technische Dinge und Genehmigungsfragen. Das hat Frau Vogt hier schon ausreichend dargelegt. Mir geht es auch darum, dass man versteht – das hat Frau Nöthel immer wieder gesagt –, dass ungeachtet all dessen, was wir, auch dringlich, voranbringen wollen, Notfallpläne erstellt werden müssen. Das müssen wir machen. Da kommt dann schnell die Frage auf: Wozu brauchen wir die? Haben die schon wieder den Rückwärtsgang eingelegt? – Das ist nicht der Fall. Das möchte ich nachdrücklich unterstreichen. Wir sind wirklich willens, den Atommüll dort herauszuholen. Ich denke, Notfallpläne sind einfach wichtig, um eine gewisse Sicherheit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit den Arbeiten betraut werden, aber auch für die Region zu garantieren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich finde, die Berichterstatterinnen haben hier heute einen ganz guten Rundumschlag gemacht. Wir haben als Parlamentarierinnen aus der Mitte des Parlaments heraus gesagt, wir wollen von der Politikseite Verantwortung übernehmen. Wir wollen dieses Gesetz mit auf den Weg bringen. Wir sind dabei sehr unterstützt worden. Natürlich brauchen wir auch viel Glück und eine gute Konstellation, damit es wirklich klappen kann; ganz ohne wird es nicht gehen. Aber ich glaube – ich bin immer Optimist –, wir werden, wenn wir uns auf den Weg begeben, das Glück auf unserer Seite haben. Danke schön. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Dorothée Menzner hat nun für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dorothée Menzner (DIE LINKE): Danke. – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Notwendigkeit einer Lex Asse ist unstrittig, unstrittig bei den Menschen in der Region und nun auch bei allen Fraktionen hier im Haus. In den 60er- und 70er-Jahren herrschte im Umgang mit radioaktivem Abfall eine gewisse Laisser-faire-Haltung, eine gewisse Sorglosigkeit. Durch diese ist auch dieser Zustand in der Asse zu erklären, ein von Menschen gemachtes Desaster. Vergessen wir an dieser Stelle jedoch nicht: Es gab auch schon früh Menschen, die davor gewarnt haben. So ist der Zustand, der in der Asse eingetreten ist, nach der heutigen Gesetzeslage durchaus als rechtswidrig zu bezeichnen. Unser gemeinsames Ziel, mit dem wir uns auf den Weg gemacht haben, war, diesen Zustand zu beheben und den Müll so schnell wie irgend möglich aus der Asse zu bergen, und zwar ohne Abstriche bei der Sicherheit, in größtmöglicher Transparenz und ohne dass dabei Kosten der Maßstab für Entscheidungen sein dürfen. Sicher war und ist es auch Aufgabe, das über Jahrzehnte verspielte Vertrauen in der Region zurückzugewinnen oder zumindest erste Schritte dafür zu tun. Dennoch gibt es weiterhin offene Fragen, gerade bei den Initiativen vor Ort. Wir sollten sie in dem weiteren Verfahren sehr ernst nehmen, wir sollten diese Fragen klären und diskutieren, zum Beispiel in der vom Umweltausschuss beschlossenen Anhörung am 20. Februar 2013, aber auch in weiterer Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern. Ich denke, das ist unsere gemeinsame Aufgabe, auch nach der heutigen Sitzung und bis zur Beschlussfassung. Ich möchte kurz zwei der offenen Fragen benennen: Erstens: die Frage des Gesetzeszweckes. Die BI kommuniziert mir immer wieder, sie möchte, dass im Gesetzentwurf klipp und klar steht: Gesetzeszweck ist die Rückholung radioaktiver Abfälle. (Beifall bei der LINKEN) Darin soll nicht stehen – wie es jetzt der Fall ist –, dass diese Rückholung nur eine Vorzugsoption ist. Unser Signal erscheint ihr nicht vehement genug. Die Notwendigkeit der gewählten Formulierung ist gegenüber der BI anscheinend noch nicht ausreichend geklärt. Es geht darum, dass bei einem Gesetzeszweck „Rückholung“ sich das Problem einer Rechtfertigungsprüfung für eine neue Tätigkeit mit Strahlenexposition nach Art. 6 der entsprechenden Euratom-Richtlinie stellen würde und keiner von uns abschätzen kann, wie lange das dauert, wie die Möglichkeiten aussähen, wie der Zeitaufwand wäre. Dies sollten wir dringend noch einmal diskutieren, auch mit Juristen in der Anhörung. Wir sollten versuchen, diesen Dissens mit der BI aufzulösen. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens: die Frage des Vergaberechts. Ich bin ziemlich stolz darauf, dass wir es geschafft haben, in den Gesetzentwurf die Anhebung des Schwellenwertes für europaweite Ausschreibungen aufzunehmen. Das ist ein wichtiger Schritt, der wirklich für eine zeitliche Beschleunigung sorgt. Aber nach wie vor stellt sich die Frage, ob die Begründung für so etwas der bestmögliche Teil des Textes ist und ob der Erlass, der das regelt, uns allen sicher genug ist – ein Erlass, dessen Formulierung jederzeit änderbar wäre. Das sollten wir gemeinsam noch einmal prüfen, um auch diese Bedenken aus dem Weg zu räumen. (Beifall bei der LINKEN) Fazit: Nutzen wir die Zeit bis zur Endabstimmung, diese Fragen auch mit den Menschen vor Ort zu klären! Vertrauen, das lange verspielt wurde, wird sich nicht ganz schnell wieder einstellen. Nutzen wir auch die Möglichkeit, gegebenenfalls unseren gemeinsam vorgelegten Gesetzentwurf zu verbessern! (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich abschließend noch eine kurze Bemerkung machen. In der Presse heißt es überall: ein Gesetzentwurf von fünf Fraktionen. Jeder, der sich diesen Gesetzentwurf anschaut, sieht: Es werden nur vier einbringende Fraktionen genannt. Gut, okay. Bei einer Fraktion, bei der CDU/CSU, haben, wie seit 20 Jahren, die ideologischen Scheuklappen funktioniert. Ich gebe Ihnen als Tipp nur mit: Die Zeit der Blockkonfrontation ist vorbei. Ich vermute, Sie schaden sich damit mehr als uns. Wir sehen das sehr gelassen. Wir werden den letztendlich vorliegenden Text sehr genau prüfen und dann in der Sache entscheiden, wie wir uns bei der Abstimmung verhalten, so wie wir es übrigens mit allen Vorlagen in diesem Haus machen. Ich danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, auch ich bin dankbar, dass sich die fünf Frauen – mit Frau Heinen-Esser waren es sechs – zusammengefunden haben, um diesen Gesetzentwurf zu erarbeiten. In der Tat gab es einen Antrag der SPD. Es gab auch einmal einen ersten Entwurf aus dem BMU. Aber beides war nicht dazu angetan, hier einen Konsens zu erreichen. Ich glaube, es war gut, dass wir uns zusammengetan haben. Ich danke Ihnen, dass Sie sich auf meinen Brief vom Februar dieses Jahres ohne Eitelkeiten, ohne Konkurrenzgefühl unter den Fraktionen bereitgefunden haben, sich zu treffen. Wir haben uns im Ganzen ungefähr 13-mal getroffen und diesen Gesetzentwurf relativ zügig erarbeitet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) In der Presseberichterstattung heute, nachdem wir den Gesetzentwurf gestern vorgestellt haben, war viel davon die Rede, dass es Frauen waren, und es wurde gefragt, ob es vielleicht deshalb so gut geklappt hat. (Iris Gleicke [SPD]: Das ist nicht auszuschließen!) Ich glaube, Sie, Frau Flachsbarth, sagten: Ja, das kann schon daran liegen, dass wir vielleicht eine besondere Sensibilität für die Menschen vor Ort haben, besser hineinhören können und es uns nicht so wichtig ist, uns selber zu profilieren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wenn ihr euch das einredet, dann glaubt ihr das auch!) – Sie sind jetzt gar nicht dran. Es war davon die Rede, dass sich diese Frauen bei Kaffee und Kuchen getroffen haben. Sie waren aber weit davon entfernt, ein Kaffeekränzchen zu sein. Das ist ein gutes Stichwort. In der Tat, es hat nichts damit zu tun, dass wir uns zum Kaffeekränzchen getroffen haben. Sie, Herr Altmaier, haben vorhin gesagt, die Asse sei eine klaffende Wunde in der Natur. Ich will hinzufügen: Die Asse ist auch eine klaffende Wunde im Vertrauen der Menschen in Behörden. Diese Wunde zu schließen, ist die Aufgabe, die wir angehen müssen und zu der wir jetzt in dieser Gemeinsamkeit wirklich gut gefunden haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Angelika Brunkhorst [FDP]) Dass das Vertrauen der Menschen in die Behörden verloren gegangen ist, hatte seinen guten Grund. Wenn ich noch einmal rekapitulieren darf: Was ist da eigentlich abgelaufen? Die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe – mein Wahlkreis – hat den Müll dorthin geschickt. Es war wirklich eine organisierte Verantwortungslosigkeit von WAK, Helmholtz-Gemeinschaft, Politik, einzelnen Wissenschaftlern. Das ist der Grund dafür, dass es lange dauern wird – die Arbeit ist auch noch nicht beendet –, bis man dieses Vertrauen wieder aufgebaut hat. Wir haben einen guten ersten Schritt dazu gemacht. Ich hätte mir nicht vorstellen können, als ich 2007 für meine Fraktion hier zum ersten Mal einen Antrag gestellt habe, die Asse unter Atomrecht zu stellen und den Müll rückzuholen, dass es so kommt. Damals hat mir Sigmar Gabriel heftigst widersprochen; es sei alles in Ordnung, wie es sei. Eigentlich war hier eine große Gegnerschaft zur Rückholung. Ich finde es faszinierend, dass wir uns jetzt zusammengefunden haben, natürlich auf der Grundlage der Erfahrungen, die inzwischen offen daliegen, und sagen: Ja, obwohl es Zweifel gibt, obwohl es kluge Menschen gibt, die immer noch sagen: „Lasst es bleiben! Es hat keinen Sinn; es wird nicht gelingen!“, obwohl wir wissen, wie lange es dauert, obwohl wir alle wissen: „Wir können nicht mit hundertprozentiger Sicherheit davon ausgehen, dass es gelingt“, gehen wir gemeinsam diesen Weg und übernehmen gemeinsam die Verantwortung, weil es der einzige Weg ist, um nachhaltig Sicherheit für die Menschen vor Ort und vor allem für die zukünftigen Generationen zu generieren zu versuchen. Mehr kann es nicht sein; aber dieser Versuch ist es wert, dass wir uns anstrengen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Rückholung als Ziel hineinzuschreiben, Dorothée Menzner, hätte ein großes Defizit bedeutet; denn in dem Moment, wo wir in eine Situation geraten, in der wir geltendes Recht dort nicht mehr einhalten können, hätte alles abgebrochen werden müssen, das heißt, es wäre geflutet worden. Mit den Formulierungen, die wir jetzt gewählt haben – Vorzugsoption; Abwägung in dem Fall, dass man die Gesetzeslage nicht einhalten kann –, haben wir sichergestellt, dass die Rückholung nicht automatisch abgebrochen wird, sondern in der Öffentlichkeit und im Bundestag ein Nachdenken und eine Beratung entstehen und dann entschieden wird: Wie machen wir jetzt weiter? Das ist das Beste für die Menschen vor Ort. Ich will zum Schluss sagen: Das, was wir jetzt geleistet haben – im Moment sind wir alle glücklich darüber und haben das Gefühl: eine Etappe ist geschafft –, ist der kleinste Teil dessen, was dort zu tun ist. Die eigentliche Arbeit fängt an, wenn dieses Gesetz beschlossen ist. Wenn dort endlich schneller und stringenter auf die Rückholung hingearbeitet werden kann, fängt die Arbeit an. Dann müssen wir es auch vertreten, wenn wir eventuell unangenehme Entscheidungen zu treffen haben. Die Verantwortung, die wir jetzt gemeinsam übernehmen – dazu verpflichten wir uns –, müssen wir dann auch tragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth hat für die Unionsfraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch meine Rede soll mit einem großen Dankeschön beginnen, mit einem großen Dankeschön an die vier Mitberichterstatterinnen, die sich auf Initiative der Kollegin Kotting-Uhl hin ab Februar dieses Jahres getroffen haben, als wir das letzte Mal eine Asse-Debatte hatten; solche Debatten gab es ja schon wiederholt. Damals ging es um die Frage, wie schnell denn wohl die Rückholung erfolgen kann. Es hatte gerade ein Gutachten aus dem Bundesamt für Strahlenschutz gegeben, das signalisiert hatte, dass die Rückholung längst nicht so schnell, so zügig vonstattengehen könnte, wie man sich das vorgestellt hatte, sondern dass ein Zeitraum von ungefähr 30 Jahren ins Auge zu fassen sei, was wiederum zu großer Empörung und großer Verunsicherung in der Bevölkerung geführt hat. Die Geschichte der Asse ist tatsächlich eine Geschichte, in der viel Vertrauen in der Region verspielt worden ist. Die Asse ist von 1967 bis 1978 zur Einlagerung von 126 000 Fässern mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll genutzt worden. Keiner weiß so ganz genau, was eigentlich darin ist. Es hat niemals ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren gegeben. Wenn wir hier im Bundestag über diese Frage debattiert haben – ich gehöre diesem Haus nun seit zehn Jahren an –, war doch noch sehr lange von einem Forschungsbergwerk die Rede, was die Sache überhaupt nicht getroffen hat, und es war viel die Rede von politischer Schuldzuweisung, was in der Sache auch nicht geholfen hat. Ich glaube, da sind wir heute viel weiter. Wir fassen die Probleme, die es ohne Zweifel gibt, an und lassen die politischen Schuldzuweisungen weg, auch weil wir wissen, dass sich in dieser Angelegenheit keine Partei mit Ruhm bekleckert hat. Deshalb noch einmal ganz herzlichen Dank an meine Mitberichterstatterinnen! Herzlichen Dank aber auch an die Staatssekretärin Heinen-Esser, die seit Monaten regelmäßigen Kontakt zur Asse-Begleitgruppe hält! Das war übrigens ihr Angebot Anfang dieses Jahres. Sie hat gesagt: Ich bin immer wieder vor Ort und stehe für Fragen zur Verfügung. Ich stelle mich Ihren Fragen. Lassen Sie uns auf Augenhöhe konstruktiv miteinander diskutieren! Lassen Sie uns versuchen, gemeinsam Lösungsmöglichkeiten zu finden! – Genau das war die Gesprächsatmosphäre, die wir miteinander hatten. Wir haben alle Fraktionen eingebunden. Wir haben die Bürgerinitiative über den Rechtsanwalt Gassner eingebunden. Das Bundesumweltministerium hat uns in der ganzen Zeit mit Fachbeamten zur Seite gestanden, wofür ich sehr dankbar bin. Das Land Niedersachsen hat uns begleitet, zwar aus der Ferne, aber dennoch sehr intensiv. Jetzt haben wir einen Gesetzentwurf, von dem wir ausgehen können, dass er nicht nur auf dem Papier existiert, sondern dass die Maßnahmen zur Beschleunigung des bürokratischen Verfahrens, das es zur Sicherung von Sicherheitsstandards im Bereich des Atomrechts ohne Zweifel geben muss, beitragen. Ich bin froh, dass wir heute Abend zu dieser Stunde diese Debatte führen können. In der Debatte am 10. Februar hatten wir gefordert, dass es zügiger gehen muss. Wir hatten einen neuen Schacht gefordert, den Schacht 5. Von diesem reden wir jetzt selbstverständlich. Wir haben erreichen können, dass die Planungen für diesen Schacht schon jetzt vonstattengehen können, ohne dass alle notwendigen Vorarbeiten erledigt sind. Wir haben geschafft, dass die Vergabebedingungen erleichtert worden sind; das ist ausgesprochen positiv. Wir haben darüber hinaus bei den letzten Haushaltsverhandlungen geschafft, dass dem Bundesamt für Strahlenschutz 50 Stellen mehr zugewiesen worden sind. Angesichts unserer angespannten Haushaltssituation ist das ein großer Erfolg. Das zeigt tatsächlich, wie interessiert wir daran sind, dass die Arbeiten in der Asse zügig vorangehen. Auch eines ist richtig: Es war vergleichsweise einfach, diese gesetzgeberische Arbeit zu vollziehen. Nun muss die Asse geräumt werden, mit allen notwendigen Vorarbeiten. Wie kompliziert das ist, merken wir, weil wir seit über sechs Monaten dabei sind, den ersten Schritt zu einer sogenannten Faktenerhebung vorzunehmen. Eine Kammer soll probeweise angebohrt werden, um festzustellen, was in dieser Kammer liegt und in welchem Zustand die Fässer sind. Seit sechs Monaten gibt es kein Ergebnis. Das liegt möglicherweise daran, dass die Kammer zusammengesackt ist, dass das Salz zusammengesintert ist und wir kein Lumen, keinen Hohlraum, finden. Die Schritte, die wir mit der Vereinfachung der Bürokratie im politischen Konsens erreicht haben, sind wichtige Vorbedingungen. Damit sind wir ein gutes Stück des Weges gegangen, aber längst noch nicht das wichtigste. Ich will zusagen, dass sich der Deutsche Bundestag, die Berichterstatterinnen und die Fraktionen mit dieser Thematik weiterhin intensiv beschäftigen werden. Wir werden den Fortgang der Arbeiten in der Asse selbstverständlich intensiv beobachten und uns immer wieder im Umweltausschuss informieren lassen, um festzustellen, dass Fortschritte gemacht werden. Ich will zusagen, dass wir jederzeit ansprechbar sind für die Menschen vor Ort, für die Bürgerinitiativen, die übrigens am 27. November bei uns waren und mit unserem Berichterstatterinnen den Gesetzentwurf diskutiert haben. Zu meiner großen Freude konnte ich breite Zustimmung vernehmen. Ihnen allen einen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11822 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Steuerfreie Risikoausgleichsrücklage für Landwirtschaftsbetriebe ermöglichen – Drucksachen 17/10099, 17/11381 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Schindler Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Barbara Höll Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.9 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11381, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10099 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch – Drucksache 17/11726 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/11895 – Berichterstattung: Abgeordnete Ansgar Heveling Burkhard Lischka Jörg van Essen Halina Wawzyniak Jerzy Montag Interfraktionell wird auch hier vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu nehmen.10 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11895, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/11726 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit gleichen Stimmenverhältnissen wie bei der zweiten Beratung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Fritz Kuhn, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Neuntes Buch Sozialgesetzbuch im Sinne des Selbstbestimmungsrechts der Menschen mit Behinderung weiterentwickeln – Drucksachen 17/7951, 17/10009 – Berichterstattung: Abgeordneter Gabriele Hiller-Ohm Interfraktionell wird auch hier vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.11 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10009, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7951 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c sowie den Zusatzpunkt 6 auf: 21 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Zulassungsverfahrens für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen – Drucksache 17/10960 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/11887 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Tobias Lindner b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Einsatz privater Sicherheitsdienste im Kampf gegen Piraterie zertifizieren und kontrollieren – Drucksachen 17/9403, 17/11887 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Tobias Lindner c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Private Sicherheitsfirmen umfassend regulieren und zertifizieren – Drucksachen 17/7640, 17/8972 – Berichterstattung: Abgeordnete Roderich Kiesewetter Dr. Rolf Mützenich Bijan Djir-Sarai Jan van Aken Hans-Christian Ströbele ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Internationale Ächtung des Söldnerwesens und Verbot privater militärischer Dienstleistungen aus Deutschland – Drucksachen 17/4673, 17/5549 – Berichterstattung: Abgeordnete Roderich Kiesewetter Dr. Rolf Mützenich Bijan Djir-Sarai Jan van Aken Hans-Christian Ströbele Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.12 – Ich sehe, Sie sind auch hier damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Zulassungsverfahrens für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11887, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10960 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 17/11887 fort. Tagesordnungspunkt 21 b. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9403 mit dem Titel „Einsatz privater Sicherheitsdienste im Kampf gegen Piraterie zertifizieren und kontrollieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 21 c. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Private Sicherheitsfirmen umfassend regulieren und zertifizieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8972, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7640 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 6. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Internationale Ächtung des Söldnerwesens und Verbot privater militärischer Dienstleistungen aus Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5549, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4673 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Nadine Schön (St. Wendel), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Miriam Gruß, Nicole Bracht-Bendt, Florian Bernschneider, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Geschlechtergerechtigkeit im Lebensverlauf – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Christel Humme, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zeit zwischen den Geschlechtern gerecht verteilen – Partnerschaftlichkeit stärken – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Erster Gleichstellungsbericht Neue Wege – Gleiche Chancen Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf – Drucksachen 17/8879, 17/6466, 17/6240, 17/11761 – Berichterstattung: Abgeordnete Nadine Schön (St. Wendel) Caren Marks Nicole Bracht-Bendt Heidrun Dittrich Monika Lazar Interfraktionell wird auch hier vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.13 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf der Drucksache 17/11761. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/8879 mit dem Titel „Geschlechtergerechtigkeit im Lebensverlauf“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6466 mit dem Titel „Zeit zwischen den Geschlechtern gerecht verteilen – Partnerschaftlichkeit stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung, die Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 17/6240 mit dem Titel „Erster Gleichstellungsbericht; Neue Wege – Gleiche Chancen; Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf“ zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus (20. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Gabriele Fograscher, Kerstin Griese, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mehr Unterstützung für Initiativen gegen Rechts in der Gastwirtschaft – Drucksachen 17/9577, 17/11808 – Berichterstattung: Abgeordnete Ingbert Liebing Heinz Paula Jens Ackermann Kornelia Möller Markus Tressel Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Ingbert Liebing (CDU/CSU): Den Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, gegen totalitäre Systeme, gegen Geschichtsklitterung und dumpfe Gewalt, gegen rassistisches Gedankengut und die Herabsetzung von Mitmenschen, diesen wichtigen Kampf, den führen wir alle gemeinsam und mit ganzer Kraft. Daran besteht in diesem Haus unter den überzeugten Demokraten kein Zweifel. Dieser Geisteshaltung fühlt sich auch die christlich-liberale Bundesregierung verpflichtet und lässt Worten Taten folgen: Sie hat mehr Geld als jede andere Bundesregierung für den Kampf gegen Rechtsextremismus zur Verfügung gestellt. Beispielhaft möchte ich verweisen auf das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ des Bundesfamilienministeriums, das seit 1. Januar 2011 erfolgreich die Arbeit der beiden Vorgängerprogramme „Vielfalt tut gut“ und „kompetent. für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“ fortsetzt. Bis einschließlich 2013 stehen im Rahmen dieses Programms jährlich insgesamt 24 Millionen Euro zur Verfügung. Die Mittel werden dafür eingesetzt, ziviles Engagement, demokratisches Verhalten und den Einsatz für Vielfalt und Toleranz zu fördern. Auf breiter Basis sollen zum Mitmachen bewegt werden: Kinder und Jugendliche, Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen, staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. An ähnlicher Stelle setzt auch das Bündnis für Demokratie und Toleranz an, gegründet von den Bundesministerien des Innern und der Justiz. Als Kernaufgabe versteht das Bündnis, „das zivilgesellschaftliche Engagement für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt zu sammeln, zu bündeln, zu vernetzen und ihm eine größere Resonanz in der Öffentlichkeit zu verschaffen“. Auf diese Weise fungiert das Bündnis als „zentraler Ansprechpartner und Impulsgeber der Zivilgesellschaft in allen Feldern der praktischen Demokratie- und Toleranzförderung“ . Darüber hinaus fördert das Innenministerium über das Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ Projekte zur demokratischen Teilhabe gegen Rechtsextremismus. Ziel ist, insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Gegenden eine selbstbewusste, lebendige und demokratische Gemeinwesenkultur zu unterstützen und Demokratie an der Basis zu fördern. Für dieses Programm stehen 6 Millionen Euro jährlich zu Verfügung; umgesetzt wird das Programm durch die Bundeszentrale für politische Bildung. Die einzelnen Projekte sollen präventiv vor allem im Vorfeld möglicher extremistischer Gefährdungen agieren und die grundlegenden Bedingungen für ein gleichwertiges und gewaltfreies Zusammenleben schaffen. Diese Beispiele, die das entschiedene Handeln der Bundesregierung belegen, seien vorangestellt – bevor ich nun auf den uns heute zur Entscheidung vorliegenden Antrag „Mehr Unterstützung für Initiativen gegen Rechts in der Gastwirtschaft“ der SPD-Fraktion eingehe. Meine Damen und Herren Kollegen von der SPD: Hinter Ihrem Antrag stecken mit Sicherheit ehrenwerte Ziele. Aber die Unterstützung von Initiativen gegen Rechts in der Gastwirtschaft, die Sie in Ihrem Antrag fordern, findet längst statt, ist längst gelebte Realität in der Branche – flankiert von den eingangs genannten mannigfachen Initiativen der Bundesregierung. So haben der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband, DEHOGA, und das Bundesfamilienministerium einen Ratgeber für die Gastronomie herausgegeben, der Gastwirten und Hotelbetreibern ganz konkret Hilfestellung leistet. In diesem Ratgeber ist unter anderem nachzulesen, dass Gastwirte einen eindeutigen veranstaltungsgebundenen Nutzungszweck im Mietvertrag festhalten sollen. Entsprechende Mustermietverträge sind ebenfalls erhältlich. Der DEHOGA und dessen Landesverbände bieten darüber hinaus umfassende individuelle Beratungsmöglichkeiten. Verehrte Kollegen von der SPD: Die in Ihrem Antrag geforderte Informationsbroschüre liegt also längst vor, bestens für die Bedürfnisse der Zielgruppe aufbereitet. Als ebenfalls überholt ist die Forderung des vorliegenden Antrags nach einem „Runden Tisch“ zu bewerten: Die geforderte akteursübergreifende Kommunikation ist bereits im vollen Gange – wenn auch offenbar von der Opposition unbemerkt. Die betroffenen Akteure haben sich mit den relevanten Entscheidungsträgern auf allen politischen Ebenen bereits erfolgreich vernetzt. Noch einen weiteren Punkt kritisiere ich im SPD-Antrag: Da die Branche aktiv ist und sich selber bestens organisiert, müssen Gastwirte, wie im SPD-Antrag gefordert, auch nicht erst sensibilisiert werden. Es gibt – neben bundesweiten Initiativen wie „Gemeinsam für Toleranz“ vom DEHOGA-Bundesverband, von der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten – in vielen Regionen zahlreiche Beispiele, wo Hotelbetreiber und Gastwirte engagiert gegen rechts auftreten. „Das Gastgewerbe steht für Weltoffenheit und Toleranz“, so der DEHOGA-Präsident Ernst Fischer. Diese Aussage unterstütze ich voll und ganz. In keiner anderen Branche wird das Wort „Gastfreundschaft“ so großgeschrieben, keine andere Branche ist so von internationaler und kultureller Vielfalt geprägt wie das Hotel- und Gaststättengewerbe. Das Engagement der Branche gegen rechts ist genauso entschieden wie das der christlich-liberalen Bundesregierung. Die Positionierung der Branche gegen rechts erfolgt genauso eindeutig wie die der christlich-liberalen Bundesregierung. Das ist gut so, denn gemeinsam sind wir stark gegen Extremismus. Während die Branche mit Unterstützung der Bundesregierung also längst aktiv geworden ist, stellt die SPD Forderungen auf, die von der Realität längst überholt wurden. Während der Antrag also seiner Zeit hinterherläuft, registriert immerhin der tourismuspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hans-Joachim Hacker, die vom Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern und der DEHOGA gemeinsam gestartete Initiative gegen rechts. Herr Hacker lobt diese Initiative am 10. September 2012 in einer Pressemitteilung als beispielhaft. Er tut dies zu Recht; bloß warum findet dieses breite positive Engagement der Branche keinerlei Erwähnung im Antrag seiner Fraktion? Zusammenfassend bleibt zu sagen: Wir nehmen das Thema ernst und haben deshalb viel Gutes auf den Weg gebracht. Wir werden auch in Zukunft nicht nachlassen, uns gegen Extremismus jeder Form einzusetzen – in allen Lebensbereichen, nicht nur in der Gastwirtschaft. Wir werden unsere Programme und Initiativen weiterentwickeln, den Antrag der SPD benötigen wir dazu nicht. Die SPD-Forderungen sind für uns nicht nachvollziehbar, zum Teil längst überholt, und – das gebe ich an dieser Stelle mit Nachdruck zu bedenken – sie haben das Potenzial, einen falschen Eindruck zu erzeugen: als ob das Gastgewerbe erst am Anfang stünde und nur vereinzelt ein paar örtliche Initiativen sich um die Thematik kümmern würden. Dieses Bild ist falsch. Die Branche ist viel weiter, als die Antragsteller mit ihrem Antrag suggerieren. Auch aus diesem Grunde wird die Unionsfraktion den Antrag der Fraktion der SPD ablehnen. Heinz Paula (SPD): Fast ein Zehntel der Deutschen haben ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. Das ist kein Randproblem mehr, und daher bestürzt es mich in besonderem Maße, dass die Fraktionen der CDU/CSU und FDP eine wichtige Initiative zur Unterstützung der Gastwirte und Hoteliers gegen Rechtsextremismus im federführenden Tourismusausschuss blockiert haben. Uns allen und damit auch der Regierungskoalition sollte doch klar sein, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus allerorts, auf allen Ebenen und parteiübergreifend geführt werden muss. Die Ablehnung dieser Initiative statt eines geschlossenen Vorgehens für unsere freiheitliche Demokratie ist ein verheerendes Signal an die Rechten und reiht sich ein in das uneinheitliche Vorgehen der Regierungskoalition hinsichtlich des NPD-Verbots oder des Versäumnisses, die Folgefinanzierung der Projekte gegen Rechtsextremismus zu sichern. An dieser Stelle möchte ich aber zunächst den anderen Oppositionsparteien meinen Dank aussprechen, die unsere Initiative befürwortet und mitgetragen haben. Klar ist, die Bekämpfung der Ursachen für die weitverbreiteten antidemokratischen und rassistischen Einstellungen in unserer Gesellschaft erfordert ein breites Bündel von Maßnahmen. Die Umsetzung unserer Initiative aber wäre ein wichtiger Baustein in dem Maßnahmenbündel gegen die Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts gewesen. Und ich möchte hier betonen: Mit einem konzentrierten, bundesweiten Vorgehen hätte nicht nur ein klares Zeichen gesetzt, sondern vor allem eine flächendeckende Wirkung erzielt und Kosten eingespart werden können. Worum geht es konkret? Uns geht es um den öffentlichen Raum, den rechtsextremistische Gruppen, Organisationen und Kameradschaften nutzen, um ihre menschenverachtende Ideologie zu verbreiten und neue Anhänger zu gewinnen. In öffentlichen Versammlungen, bei Stammtischen, Konzerten oder Liederabenden kann antidemokratisches, rechtsextremistisches Gedankengut verbreitet werden. Es sind Gastwirte, die ihre Räume zur Verfügung stellen, und darum müssen sie sensibilisiert, bestmöglich beraten und unterstützt werden. Oft wissen Gastwirte nicht, wen sie beherbergen. Trotz bereits existierender unterstützender Beratungsnetzwerke in einigen Kommunen, herrscht unter ihnen andernorts immer noch Unkenntnis und Unsicherheit darüber, wie man bereits im Vorfeld eine Versammlung rechtsextremistischer Gruppen in den eigenen Räumlichkeiten erkennen und verhindern kann. Immer wieder werden Vorfälle publik, bei denen rechtsextreme Organisationen unter dem Vorwand einer Jubiläums- oder Geburtstagsfeier Räumlichkeiten anmieteten und Gastwirte Opfer einer Täuschung wurden. Rechtsextreme aber dürfen keine Gelegenheit mehr bekommen, die Veranstaltungsräume von Gaststätten und Hotels für ihre Zwecke zu missbrauchen. Darum geht es uns in unserem Antrag. Am 10. November 2012 wurde der diesjährige Luther-Preis auf Vorschlag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern der Regensburger Initiative „Keine Bedienung für Nazis“ verliehen. Mit dem Luther-Preis werden Menschen geehrt, die wie einst der Reformer unerschrocken gegen Widerstände kämpfen und für ihre Überzeugungen einstehen. Ein solch klares Bekenntnis hätte dem Deutschen Bundestag sehr gut angestanden; denn die zivilgesellschaftliche Initiative Regensburger Gastwirte hat wahrlich Vorbildcharakter. Wie wir wissen, hatte sie sich im Sommer 2010 nach einem brutalen rassistisch motivierten Überfall in einem Regensburger Café gegründet. Bis heute haben an die 160 Gastronomen die Erklärung des Bündnisses unterschrieben: „Nazis und Rassisten haben in unseren Räumen nichts zu suchen. Wir dulden keine rassistischen, diskriminierenden Äußerungen in unserem Lokal.“ Einige bayerische Städte sind inzwischen dem Regensburger Vorbild gefolgt. So hat beispielsweise auch die Allianz gegen Rechtsextremismus in Kooperation mit dem Menschenrechtsbüro und Integrationsrat der Stadt Nürnberg in diesem Sommer eine Gastroinitiative gestartet. Ähnlich wie in Regensburg wurden Aufkleber an Gastwirte verteilt, mit denen sie an der Tür demonstrieren können, dass Rassisten in ihren Räumlichkeiten keinen Platz finden und nicht bedient werden. Zusätzlich wurde eine Broschüre erstellt, die nicht nur Tipps enthält, wie sich die Vermietung der eigenen Räume an rechtsradikale Gruppen verhindern lässt, sondern auch ausführlich über die Strukturen und aktive Gruppierungen der rechtsextremen Szene in der Region informiert. Bürgermeister und Landräte in der Metropolregion sollen sensibilisiert, gastronomische Betriebe angeschrieben werden. Ja, es gibt sie, die gut informierten Gastwirte mit Mut und Zivilcourage. Und es gibt bereits Initiativen, um sie zu stärken. Aber es gibt sie längst noch nicht in allen Städten, in allen Gemeinden oder kleinen Dörfern auf dem Lande. Und daher hinkt unser Antrag auch nicht, wie von einzelnen Kollegen der Regierungskoalition behauptet, der Entwicklung vor Ort hinterher, sondern geht bereits den nächsten Schritt. Dem Direktor des Hotels Seegarten in Grünheide bei Berlin wäre beispielsweise viel Ärger erspart geblieben, wäre er besser informiert gewesen und hätte im Vorfeld erkannt, wen er sich ins Haus geholt hatte. Anfang des Jahres hatte er 120 Neonazis bewirtet, die getarnt als Reisegruppe seine Räumlichkeiten für einen „Neujahrsempfang“ anmieteten. Im Nachhinein war der Protest groß, und das Hotel muss nun um seinen guten Ruf kämpfen. Solche Fälle dürfen sich nicht wiederholen! In keinem Bundesland, in keiner Stadt und in keinem Gasthof auf dem Lande! Und daher gilt es, bereits existierende Initiativen bekannter zu machen. Hier ist eine bundesweite Aufklärungsarbeit und kontinuierliche Unterstützung dringend erforderlich. Deswegen fordern wir eine bundesweite Informationsoffensive, einen Runden Tisch mit allen Beteiligten, um gezielt und mit geringem finanziellen Aufwand Probleme zu erörtern und weitere Handlungsschritte vorzubereiten. Es reicht nicht, sich auf den bereits existierenden Initiativen auszuruhen und herauszustellen, dass kaum eine Branche so von internationaler und kultureller Vielfalt geprägt sei wie das Hotel- und Gaststättengewerbe. Es stimmt, die Verbände der Branche haben sich längst gegen Rechtsextremismus in der Gastwirtschaft positioniert. In einigen Ländern und Kommunen wurde im letzten Jahr in verschiedenen Auflagen die mehr oder weniger gleiche Informationsbroschüre für Gastwirte herausgebracht. Mobile Beratungsteams in Berlin, Hamburg, Bremen, Köln oder Frankfurt an der Oder haben diesen Ratgeber in Zusammenarbeit mit den Landesverbänden der DEHOGA und/oder NGG sowie Landeskoordinierungsbüros gegen Rechtsextremismus erstellt. Nicht ohne Grund hat die Koordinierungsstelle Tolerantes Brandenburg beispielsweise vor wenigen Monaten auch in Brandenburg die Herausgabe der Broschüre „Rechtsextremisten nicht auf den Leim gehen“ in einer Auflage von 1 500 Stück gefördert. Die Notwendigkeit wurde also erkannt, Gastwirte mit Informationen zu sensibilisieren und Hilfestellungen an die Hand zu geben. Aber diese Broschüre wurde nicht in allen Bundesländern aufgelegt, nicht in allen Städten und Kommunen an Gastwirte verteilt. Wir fordern daher, dass Mittel und Kräfte gebündelt und derartige Broschüren bundesweit herausgegeben werden. Hier könnte die Bundesregierung ein wichtiges und bundesweit vernehmbares Signal setzen. Ein anderes Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern: Dort hat sich der Landestourismusverband zusammen mit dem Landesverband der DEHOGA für die Auflage der andernorts bereits bekannten Broschüre stark gemacht. Zurecht betont Jürgen Seidel, der Präsident des Tourismusverbandes, dass Rechtsextreme potenzielle Gäste abschrecken. Einer Studie zufolge verursacht der Rechtsextremismus in der Tourismusbranche Mecklenburg-Vorpommerns einen Schaden in dreistelliger Millionenhöhe. Auch aus anderen Bundesländern, zum Beispiel Sachsen, kennen wir repräsentative Umfragen, die zeigen, dass potenzielle Urlauber sehr wohl wegen rechtsextremer Präsenz, Übergriffen und Gewalt oder Wahlerfolgen rechter Parteien ihr Urlaubziel ändern. Ganze Regionen leiden unter einem negativen Image. Ein gemeinsames Vorgehen von Gastwirten und Hoteliers gegen Rechtsextremismus könnte auch hier ein deutliches Zeichen setzen und helfen, betroffene Regionen von diesem Image zu befreien. Daher gilt es, derartiges Engagement flächendeckend, kontinuierlich und langfristig zu unterstützen. Und was tut unsere Bundesregierung? Das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“, aus dessen Töpfen in einigen Kommunen die Herausgabe der bekannten Broschüre gefördert wurde, läuft bekanntlich 2013 aus. Leider hat unsere Bundesministerin es versäumt, eine künftige Bewilligung in den Bundeshaushalt 2013 aufzunehmen und somit die bruchlose Anschlussfinanzierung für Projekte gegen Rechtsextremismus zu sichern. Anfang 2014 stehen fast drei Viertel der Projekte vor dem Aus. Es ist unverzeihlich, dass die Bundesregierung Projekten gegen Rechtsextremismus keine Perspektive bietet. Wie wir alle wissen, haben aber antidemokratische und rassistische Einstellungen die Mitte unserer Gesellschaft längst erreicht. Sie gibt es in Städten und auf dem Lande und, wie uns die jüngsten Ergebnisse der Studie „Die Mitte im Umbruch“ der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigen, sie sind insbesondere in der jungen Generation weit verbreitet. Wir alle müssen uns dies bewusst machen und diesem menschenfeindlichen Denken und Rassismus in ihren alltäglichen Ausprägungen entgegentreten. Unsere Gastwirte tragen eine große Verantwortung, denn sie entscheiden, wer ihre Räume nutzen kann und wer nicht. Es ist nicht unmöglich, sich gegen Rechtsextremismus zu wehren. Die Gastwirte verdienen unsere dauerhafte Unterstützung. Eine gemeinsame Initiative aller Fraktionen hätte ein starkes Signal für unsere Gastwirte und gegen Rechtsextremismus ausgestrahlt. Schade, dass diese wichtige Initiative dem parteipolitischen Taktieren der CDU/CSU und FDP zum Opfer gefallen ist und nicht gemeinsam, parteiübergreifend auf den Weg gebracht werden konnte. Daher verlange ich von allen Kolleginnen und Kollegen, die unseren Antrag ablehnen: Tragen Sie diese Initiative in Ihre Wahlkreise und Regionen und diskutieren Sie dieses Thema vor Ort mit Betroffenen, lokalen Akteuren, Netzwerken, Verbänden und Gewerkschaften! Rechtsextremisten dürfen Veranstaltungsräume von Hotels und Gaststätten nicht für ihre Zwecke missbrauchen. Nazis müssen draußen bleiben! Jens Ackermann (FDP): Dass der Rechtextremismus eine nicht zu unterschätzende Bedrohung in Deutschland ist, hat uns die Geschichte – gerade auch in jüngster Vergangenheit – immer wieder gezeigt. Daher ist es jetzt besonders wichtig, in die Zukunft zu blicken und zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt. Daher ist der Grundgedanke des Antrags der SPD durchaus richtig: Rechtsextreme und rechtsextremistische Gruppierungen müssen daran gehindert werden, ihre Ideologien zu verbreiten. Schade ist nur, dass in dem Antrag nicht wirklich etwas steht, was hierbei helfen würde. Die Frage ist nämlich, ob Gastwirte der geeignete Adressat zur Unterbindung rechtextremer Tendenzen sind. Gehen wir von einem durchschnittlichen Gastwirt in Deutschland aus, so wird dieser sich sicher selbst zu helfen wissen, wem er seine Räumlichkeiten zur Verfügung stellt oder welche Veranstaltungen er duldet. Da helfen ihm dann sicher auch keine Infobroschüren aus Berlin. Das Geld für diese Maßnahmen ist sicher an anderer Stelle besser aufgehoben. So ist es doch sinnvoller, Kinder und Jugendliche frühstmöglich und vor allem gründlich aufzuklären, damit es zukünftig gar keine rechtsextremen Veranstaltungen mehr in Deutschland geben wird. Die Bunderegierung investiert bereits in Maßnahmen und ist auch dabei, diese noch weiterzuentwickeln und auszubauen. Runde Tische, wie im Antrag der SPD gefordert, sind an sich sehr sinnvoll, aber dann am effektivsten, wenn an diesen Tischen auch wirklich die Menschen sitzen, die vor Ort betroffen sind. Ein Alibitisch mit Vertretern aus Bund und Ländern ist doch wieder nur ein riesiges, rein symbolisches Bürokratiemonster, das in der Praxis nichts ausrichtet und nur sinnlose Kosten verursacht. Auch gibt es bereits eine sehr hilfreiche Broschüre der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und der DEHOGA, die genau diese Hinweise enthält und zudem auch noch nützliche Tipps zum Gebrauch des Hausrechts und der Gestaltung von Mietverträgen gibt. Daher halte ich quasi einen Nachdruck dieser Broschüre auf Kosten des Steuerzahlers für unsinnig. Am Ende bleibt die Frage: Was möchte die SPD mit diesem Antrag? Anstatt sich ernsthaft mit dem Problem, mit der Ursache des Rechtsextremismus zu beschäftigen und konstruktive Vorschläge zu machen, verrennt sie sich, wie so oft, und möchte auf Biegen und Brechen etwas vermeintlich Neues konstruieren, indem sie bereits erfolgreiche Maßnahmen, die zum Teil sogar aus der Bevölkerung selbst kommen, doppelt und Vorschläge macht, die nicht weiterführen. Kornelia Möller (DIE LINKE): Nach Recherchen unabhängiger Journalisten sind seit 1990 über 160 Menschen in der Bundesrepublik Deutschland von rechtsextremen Gewalttätern getötet worden. Dabei stellt die Mord- und Gewaltserie des NSU den traurigen Höhepunkt einer äußerst besorgniserregenden Entwicklung dar. Hier muss wesentlich entschiedener eingegriffen werden – das sollte hoffentlich Konsens hier im Hause sein. Doch gilt es auch zusammen und entschlossen auf verschiedenen Ebenen gegen den alltäglichen Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit – laut einer im November vorgestellten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung betrifft das 25,1 Prozent der Bevölkerung, auf ganz Deutschland bezogen – und deren Ausbreitung bis in die Mitte der Gesellschaft vorzugehen. Und da ist der heute hier zur abschließenden Beratung stehende Antrag der SPD ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Ich finde es jedoch sehr bedauerlich, dass es nicht gelungen ist, ein gemeinsames Zeichen aller Fraktionen zu setzen und dieses auch in der Öffentlichkeit zu dokumentieren. Wir unterstützen diesen Antrag, auch wenn er aus unserer Sicht noch die eine oder andere Schwachstelle aufweist. Auf diese habe ich bereits in der ersten Lesung des Antrags hingewiesen, sodass ich nicht weiter darauf eingehen muss. Doch eine Sache möchte ich trotzdem nochmals erwähnen, da dies ein ganz wesentlicher Aspekt im Kampf gegen rechts im Bereich der Gastronomie ist: Das ist der Umgang mit jenen Gastwirten, die mit der rechtsextremen Szene sympathisieren bzw. sich dieser zuordnen und ihre Veranstaltungsräume, Kneipen etc. gerne und oft für Veranstaltungen der rechten Szene zur Verfügung stellen. Hier brauchen wir klare rechtliche Regelungen, um dagegen vorzugehen. Aufklärungsarbeit im Bereich der Gastronomie und Runde Tische helfen in solchen Fällen leider nicht weiter. Es gibt aber auch gute Beispiele. Mich hat sehr gefreut, dass die Regensburger Initiative „Keine Bedienung für Nazis“, an der ein Stadtrat der Linken maßgeblich Anteil hat, sich mittlerweile fast zum „Exportschlager“ entwickelt hat und inzwischen von vielen anderen Wirten in Bayern aufgegriffen wurde. Diese Initiative von 150 Gastronomen Regensburgs – Reaktion auf einen rassistisch motivierten Übergriff – wird 2013 den Preis „Das unerschrockene Wort“, der alle zwei Jahre von den 16 Lutherstädten vergeben wird, erhalten. Das ist ein deutliches Zeichen an die Öffentlichkeit. Offensichtlich ist die evangelische Kirche hier viel weiter als eine christlich-liberale Koalition, die keinen Handlungsbedarf für die Unterstützung für Initiativen gegen rechts in der Gastwirtschaft sieht. Zwar hat es im Regensburger Fall die Initiative auch so geschafft, bekannt zu werden und sich zu etablieren, ja sogar zu verbreitern. Jedoch wäre dies durch eine Förderung und Unterstützung von staatlicher Seite sicherlich etwas einfacher und für die Öffentlichkeit auch wirkungsvoller gewesen. Der Regierungskoalition würde es gut zu Gesicht stehen, wenn sie sich ein Beispiel an der evangelischen Kirche nehmen würde und dementsprechend den Antrag mittragen würde. Doch was tut sie? Sie geht wieder einmal den falschen Weg und lehnt den Antrag ab! Folgendes, meine sehr verehrten Damen und Herrn von der Koalition, möchte ich Ihnen noch mitgeben: Anlässlich des CDU-Parteitages hat Ihre Kanzlerin in ihrer Rede sechsmal das Wort von der „erfolgreichsten Bundesregierung seit der Wiedervereinigung“ gebraucht. Es ist nicht nur peinlich, sondern fahrlässig, dass Rechtsextremismus als schlimme Bedrohung unserer Gesellschaft in dieser Rede überhaupt nicht vorkam. Denn Rassismus und Rechtsextremismus und das Versagen des Sicherheitsapparates in dieser Beziehung, die die gesamte Regierungszeit von Frau Merkel überschatten, können nun wirklich in keine Erfolgsbilanz gehören. Und dabei weiß niemand so recht, ob das Wort „Pannenserie“, mit dem sich der Untersuchungsausschuss des Bundestages beschäftigen muss, wirklich der richtige Begriff ist. So viele Zufälle bei der Bekämpfung der mörderischen Umtriebe des NSU kann es gar nicht geben. Dass Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, den vorliegenden Antrag, der nun wahrlich keine großen Kosten verursacht, nicht mittragen können, ist schon sehr peinlich. Es geht hier auch darum, ein gemeinsames Zeichen gegen rechts und dessen Verbreiterung zu setzen – und Sie entziehen sich dem! Was bei Ihnen scheinbar symptomatisch ist, wenn es um den Kampf gegen Rechtsextremismus geht, ist, dass Sie diesen verdrehen und umzudeuten versuchen in einen Kampf gegen „jeglichen Extremismus“, wie beispielsweise Sie, verehrte Frau Pawelski, dies in Ihrer Rede am 24. Mai 2012 getan haben. Damit relativieren Sie in fahrlässiger Weise die Gefahren und das Gewaltpotenzial, das von rechts ausgeht. Welche Ausmaße dies annehmen kann, haben wir ja bei der Mord- und Gewaltserie des NSU in aller Deutlichkeit gesehen. Spätestens hieraus müsste sich die Pflicht aller ergeben, entschieden und auf allen Ebenen gegen Rechtsextremismus vorzugehen. Und dazu gehört auch, den Nazis jegliche Möglichkeit zu entziehen, sich und ihr Gedankengut in Form von Veranstaltungen, Liederabenden oder sonst wie darzustellen. Aus unserer Sicht ist ein neuer und verstetigter Ansatz der Auseinandersetzung mit den Gefahren durch Rechtsextreme notwendig. Wichtigste Punkte dabei sind eine Stärkung und dauerhafte Absicherung der zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten, beispielsweise über die Bundesprogramme in diesem Bereich sowie die Stärkung der Bildungsarbeit. Und noch eines möchte ich Ihnen sagen, verehrte CSU/CDU-Kolleginnen, die Sie gebetsmühlenartig immer wieder betonen, dass diese Bundesregierung die meisten Finanzmittel in die Hand nimmt im Kampf gegen rechts: Offenbar reichen Ihre Finanzmittel doch nicht aus, um einen dauerhaften und kontinuierlichen Kampf gegen rechts zu gewährleisten. Gerade jene Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie im Bereich der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus finden seit Jahren unter schwierigen finanziellen Bedingungen statt, eine langfristige Planung der Arbeit auf diesem Gebiet wird somit unmöglich gemacht. So haben die seit 2007 begonnenen Umstrukturierungen der Bundesprogramme gegen rechts zu einer deutlichen Schwächung der zivilgesellschaftlichen Arbeit in diesem Bereich geführt. Hier bedarf es einer Umsteuerung und einer deutlichen finanziellen Ausweitung des staatlichen Engagements. Das ist eine von uns immer wieder erhobene Forderung nach einer langfristigen Absicherung der Programme gegen rechts. Das ist die Basis für die Unterstützung des Engagements der Akteure und Initiativen vor Ort und für einen kontinuierlichen Kampf gegen rechts. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Am 24. Mai diskutierten wir in erster Lesung darüber, wie sich Rechtsextremismus in der Hotel- und Gastwirtschaft darstellt und welche Gegenstrategien es gibt. Seitdem haben sich weitere Vorfälle ereignet, die zeigen: Wachsamkeit und Austausch bleiben notwendig, aber es gibt auch Erfolge zu verzeichnen. So wurden beispielsweise im Juni die dubiosen Pläne des Rechtsextremisten Christian Bärthel durch eine gelungene Zusammenarbeit von Polizei und Gastronomie rechtzeitig zerschlagen. Er wollte unter dem fragwürdigen Motto „Der Holocaust aus biblischer Sicht“ ein antisemitisches Treffen in Nürnberg abhalten. Als Bärthel und seine Kumpane an der dafür gemieteten Gaststätte eintrafen, waren die Polizisten schon da und verwehrten den Zutritt. Die Wirtin hatte die Reservierung zurückgenommen und berief sich auf ihr Hausrecht. Es war der dritte fehlgeschlagene Versuch von Bärthel, eine Lokalität für seine volksverhetzenden Vorhaben zu finden. Solche Erfolge sind auf das Engagement und die fortschreitende Sensibilisierung in den letzten Jahren zurückzuführen. Ebenso trugen informative Publikationen und öffentlichkeitswirksame Aktionen dazu bei. Deshalb ist es gut und wichtig, solche demokratiestärkenden Aktivitäten zu unterstützen. Zu den sehr positiven Beispielen zählt auch der Zusammenschluss von Gastwirten unter dem Motto „Keine Bedienung für Neonazis“. In mehreren Städten vernetzten sich engagierte Gastwirte und fördern auf diese Weise zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen Rechts. Die von Regensburger Wirten ins Leben gerufene Initiative erhält den Preis der Lutherstädte „Das unerschrockene Wort“. Der mit 10 000 Euro dotierte Preis wird 2013 in Eisleben verliehen. Die Jury hofft, dass diese Entscheidung dazu beiträgt, viele andere Städte zu ähnlichen Aktionen zu ermutigen. Weitere Unterstützung für Gastwirte kommt von der DeHoGa, der Gewerkschaft NGG und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin. Ihr Ratgeber „Rechtsextremist/innen nicht auf den Leim gehen. Ein Ratgeber für die Gastronomie und Hotellerie“ ist in der Praxis eine große Unterstützung. Auch weitere Publikationen sind verfügbar. So bezieht beispielsweise die Stadt München in einer 40-seitigen Broschüre Stellung gegen Nazis. Unter dem Titel „Anmietungen durch Rechtsextreme“ mit dem Untertitel „Schutz für Kommunen und Vermieter“ hat sie Ratschläge veröffentlicht, wie man unliebsamen Gästen oder Mietinteressenten begegnet. Auch die „Allianz gegen Rechtsextremismus“ in der Metropolregion Nürnberg gibt in der Broschüre „Kein Platz für Rassismus!“ Tipps für Gastronomen und Hoteliers und stellt klar: Wir zeigen Zivilcourage. Solche Aufklärung ist vonnöten, denn schon lange sind Neonazis nicht mehr am äußeren Erscheinungsbild erkennbar. Viele Rechtsextreme verfolgen die Strategie der schleichenden Unterwanderung gesellschaftlicher Bereiche. Um Kontakte zu knüpfen, in Vereinen Fuß zu fassen oder in Elternvertretungen gewählt zu werden, wollen sie sympathisch und unauffällig wirken. Da diese Verschleierungstaktik häufig zum Tragen kommt, brauchen Gastwirte klare Hilfestellungen, wie sie mit unliebsamen Gästen oder Mietinteressenten umgehen können. Deshalb wurde bereits im Mai im Plenum das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. März 2012 mehrfach begrüßt. In dem Urteil wird klargestellt, dass sowohl Privatleute als auch Unternehmerinnen und Unternehmer ihr Hausrecht grundsätzlich frei ausüben dürfen. Keine Einigkeit konnte jedoch erzielt werden in der Frage, was unsere Demokratie am meisten bedroht. So führte damals meine Kollegin Rita Pawelski für die CDU/CSU aus, unsere freiheitliche demokratische Grundordnung würde „durch Extremismus herausgefordert, von rechts und von links oder durch religiösen Extremismus.“ Demensprechend müsse der Staat sich „gegen jede Form des Extremismus starkmachen“. Sie kritisierte sogar explizit den SPD-Antrag in seinem klaren Fokus gegen „rechten Extremismus“ als „nicht nachvollziehbar und gefährlich“. Diese Position kann ich weder nachvollziehen noch unterstützen. Ich finde die Verharmlosung der Gefahr von rechts, die mit der undifferenzierten Nennung anderer „Extremismusformen“ einhergeht, unverantwortlich. Gerade vor dem Hintergrund des NSU, aber auch angesichts der häufigen rechten Musikkonzerte, die nicht selten in Gewaltexzessen enden, würde ich mir einen eindeutigen Konsens gegen Rechtsextremismus und andere damit verbundene Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sehr wünschen. Während der Haushaltsberatungen haben wir ein 50-Millionen-Programm gegen rechts gefordert. Eine solide Struktur von zivilgesellschaftlichen Initiativen vor Ort ist auch wichtig, um unter anderem Gastwirten bei Fragen, Problemen und Beratungswünschen kompetente Anlaufstellen zu bieten. Rechtsextremismus gefährdet Menschen und schädigt die regionale Tourismuswirtschaft. Studien ergaben Verluste in Milliardenhöhe, weil ausländisch Aussehende Reisen in „braune Angstzonen“ scheuen. Gerade dort brauchen wir lokale Bündnisse, die gegensteuern. Publikationen, Aktionen, runde Tische und ein Miteinander von Staat und Zivilgesellschaft auf Augenhöhe schaffen ein Klima von Toleranz und Weltoffenheit. Wo dieses Klima herrscht, fühlen sich Nazis nicht wohl und bleiben lieber fern – das muss das gemeinsame Ziel von Bund, Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft sein. Der SPD-Antrag weist in diese Richtung und wird deshalb von Bündnis 90/Die Grünen unterstützt. Um Rassismus, Rechtsextremismus und andere menschenfeindliche Haltungen in ganz Deutschland erfolgreich zurückzudrängen, brauchen wir jedoch noch weit mehr: eine ausreichende Finanzierung von Initiativen, eine ersatzlose Streichung der „Extremismusklausel“ und eine bundesweite, präventiv angelegte Demokratieoffensive. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Tourismus empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11808, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9577 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes – Drucksache 17/10572 – – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Renate Künast, Bärbel Höhn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Tierschutzgesetzes (TierSchGNeuregG) – Drucksache 17/9783 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) – Drucksache 17/11811 – Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Stier Heinz Paula Alexander Süßmair Undine Kurth (Quedlinburg) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes 2011 (Tierschutzbericht 2011) – Drucksachen 17/6826, 17/11811 – Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Stier Heinz Paula Alexander Süßmair Undine Kurth (Quedlinburg) Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Tierschutzgesetzes liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Die Linke vor. Über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dieter Stier für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit der Ministerin, was ist denn mit Frau Aigner? Was ist denn das? Warum spricht die Ministerin nicht? Frau Aigner, drücken Sie sich hier?) Dieter Stier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir verabschieden heute die dritte Novelle zum Tierschutzgesetz. Wir legen damit die Messlatte in Sachen Tierschutz (Ulrich Kelber [SPD]: So tief es nur geht!) im internationalen Vergleich noch einmal ein ganzes Stück höher. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso ist denn die Vorsitzende des Tierschutzbundes Niedersachsen aus der CDU ausgetreten?) – Lieber Herr Trittin, ich weiß gar nicht, warum Sie zu später Stunde so schreien. – Derzeit gibt es kein anderes Land in der Welt, das in Sachen Tierschutz, Tierzucht und Tierhaltung höhere Standards umgesetzt hat als Deutschland. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie mal im Emsland in einem Geflügelstall? Gehen Sie da mal rein!) Entscheidend ist jedoch, dass wir innerhalb der Europäischen Union einheitliche Tierschutzstandards erreichen wollen, damit die Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet ist. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! In Massentierhaltung!) Eine zu ehrgeizige Übererfüllung von EU-Tierschutzvorgaben würde eindeutig Wettbewerbsnachteile für deutsche Tierhalter bewirken. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wettbewerbsnachteile bei der Tierquälerei, oder was?) – Wissen Sie, lieber Herr Trittin, ich hatte eine gute Kinderstube. Mir wurde gesagt, ich solle einmal zuhören und nicht ständig dazwischenrufen. – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie sollen sich mal mit der Realität auseinandersetzen, mit der Massentierhaltung im Emsland! Das würde ich Ihnen raten!) Damit würden wir die Nutztierhaltung in Deutschland gefährden. Ich sage Ihnen deutlich: Wir wollen das nicht. Die Union unterstützt weiter gehende, höhere Tierschutzstandards in Deutschland auf freiwilliger Ebene, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?) unter anderem durch Investitionsförderung. Wer freiwillig Ställe unter Berücksichtigung höherer Tierschutzstandards baut, der erhält höhere Fördersätze. Ich befürworte derartige Anreizsysteme auf freiwilliger Basis. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die durfte doch nichts mehr machen! Das ist wahrscheinlich auch so ein Glühwürmchen von Seehofer!) Ich darf Sie an die erst vor kurzem geführte Haushaltsdebatte erinnern. Mit der Förderung von Modell- und Demonstrationsvorhaben in Höhe von 21 Millionen Euro stellen wir bis zum Jahr 2016 die Weichen für die Weiterentwicklung eines praktikablen, forschungsbasierten Tierschutzes in der Landwirtschaft. Wir unterstützen uneingeschränkt die Bemühungen der Bundesregierung und der Wirtschaft, auf der Grundlage dieser Forschungsprojekte praxistaugliche Alternativen, insbesondere zur betäubungslosen Ferkelkastration, zu entwickeln. (Heinz Paula [SPD]: Sankt-Nimmerleins-Tag!) Unsere hohen Standards in Deutschland möchten wir auf den EU-Binnenmarkt übertragen, um damit unsere europäischen Nachbarländer in Zugzwang zu bringen. (Heinz Paula [SPD]: Oh! Jetzt aber! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beim Schenkelbrand oder bei der Ferkelkastration?) Ich sage ganz deutlich: Es bringt wenig, wenn wir in Deutschland nur Insellösungen anstreben. Damit würden wir die Tierhaltung aus Deutschland verbannen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lieber Herr Paula, zu Ihren Zwischenrufen: Wenn ich die heutige Pressemitteilung des SPD-Landesverbandes Niedersachsen zum Tierschutz lese, dann glaube ich persönlich, dass sich die deutsche Sozialdemokratie von Arbeitsplätzen in der landwirtschaftlichen Tierhaltung bereits völlig verabschiedet hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich jedenfalls setze große Erwartungen in die nächste WTO-Runde, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wird nie fertig! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten, tricksen und umorientieren!) damit wir auf dieser Ebene höhere Umwelt- und Tierschutzstandards international verankern können. Ich bleibe auch dabei: Tierschutz verbessern geht nur mit den Tierhaltern und nicht gegen sie. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum treten eigentlich die ganzen Tierschützer aus der CDU aus, Herr Stier?) – Lieber Herr Trittin, ich mache mir große Sorgen, wenn wir in wesentlich kürzerer Zeit in diesem Haus die Beschneidung von kleinen Jungen ohne sachgemäße Betäubung erlauben, aber eine seit Jahrhunderten bewährte Kennzeichnungsmethode bei Pferden mit großem Getöse der Opposition verbieten wollen. (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: So ist das! – Heinz Paula [SPD]: Das ist ja unerträglich! Jetzt ist aber Schluss! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es aber ganz bitter!) Ich meine, hier stimmt irgendetwas in Deutschland nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Ja, in Ihrem Kopf!) Die teilweise emotional geführte Debatte im Tierschutzbereich ist in meinen Augen scheinheilig. Wir haben – Sie waren alle dabei – eine Anhörung zum Gesetzentwurf durchgeführt. Der Tierschutzbericht gibt die Lage in diesem Bereich realitätsnah wieder. Vielen Dank an die Ministerin, an die Bundesregierung und das BMELV. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die bedankt sich! Allerdings!) Allerdings zieht die Koalition andere Schlüsse daraus als die Opposition. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die hat schon beschlossen, hier aufzuhören, weil sie das nicht mehr aushält!) Das ist auch gut so für Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ein wesentlicher Punkt der Tierschutznovelle ist die Umsetzung der EU-Tierversuchsrichtlinie in deutsches Recht; ein hoher Schutz der Versuchstiere wird hier verstetigt. Wir stärken zudem die betriebliche Eigenverantwortung der Tierhalter. Künftig sollen Landwirte Tierschutzindikatoren erheben können und bewerten, um gegebenenfalls Verbesserungen im Stall vorzunehmen. Die betäubungslose Ferkelkastration soll noch bis Ende 2018 Bestand haben. Ein Bericht über praxistaugliche Alternativen soll von der Bundesregierung bis 2016 vorgelegt werden. Auch am bewährten Schenkelbrand zur Kennzeichnung von Pferden halten wir fest. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ab 2019 wollen wir weitere Verbesserungen durch die Anwendung lokaler Betäubungsmittel, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind Sie doch gar nicht mehr da!) die noch entwickelt werden müssen, erreichen. Wir ändern auch Regelungen zur Qualzucht. Wir ermöglichen Verordnungsermächtigungen der Länder bezüglich der Problematik wildlebender herrenloser Katzen und haben damit Anregungen des Bundesrates aufgegriffen. Seit vielen Jahren steht die Union in einem gesellschaftlichen Dialog mit den Bürgern und Landwirten, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eher ein Selbstgespräch!) um den deutschen Tierschutz stetig weiterzuentwickeln, und zwar mit Erfolg. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf der Koalition haben wir den Spagat geschafft, höhere Tierschutzstandards im Einklang mit der gesamten Branche und der Wissenschaft durchzusetzen. Darauf können wir stolz sein. Ich bitte Sie deshalb bei den anstehenden Abstimmungen um Zustimmung zu unserem Entwurf. Den Gesetzentwurf vom Bündnis 90/Die Grünen lehnen wir ab. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich konstatiere erfreut, dass schon zu Beginn dieses Tagesordnungspunktes, über den wir nachher namentlich abstimmen wollen, so viele Kolleginnen und Kollegen hier im Raum sind. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Der Unterhaltungswert ist auch hoch!) Schon jetzt wird deutlich, dass in allen Fraktionen bisher sehr viel Diskussionsbedarf bestand. Offensichtlich ist auch heute, bis zur Abstimmung, noch Diskussionsbedarf vorhanden. Das ist erst einmal das Erfreuliche. Aber ich bitte sowohl die Rednerinnen und Redner als auch diejenigen, die sich zuhörend, zwischenrufend oder sonst irgendwie beteiligend hier im Saal befinden, einfach darauf zu achten, dass wir uns sowohl bei der Argumentation als auch bei den Zwischenrufen einer parlamentarischen Wortwahl befleißigen. Ich will gar nicht einzelne Dinge, die ich hier gerade identifiziert habe, im gesamten Rund noch einmal nennen. Ich denke, auf diesem Wege kommen wir nachher auch zu einer sachgerechten Entscheidung. (Beifall der Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU] und Hans-Michael Goldmann [FDP]) Das Wort hat der Kollege Heinz Paula für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Heinz Paula (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welchen Stellenwert die Regierungskoalition diesem Thema beimisst, zeigt allein die Tatsache, dass ursprünglich geplant war, diese Debatte um 1.30 Uhr zu führen. Überdeutlich wurde das auch an den Äußerungen meines Vorredners, auf die ich nicht weiter eingehen möchte. Das hat sich erübrigt. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir können sehr gut nachvollziehen, dass Sie das Tageslicht scheuen, bei dem Murks, den Sie uns hier vorlegen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Hallo! Ist das das Einzige, was Sie hier vorzutragen haben? Bisher haben Sie nur Sprüche erzählt!) Das, was Sie uns hier vorlegen, enthält kaum Verbesserungen für den Tierschutz. Dabei hat die erste Lesung Anlass zu Hoffnung gegeben, als Kollege Goldmann davon sprach, dass wir eine gemeinsame Lösung suchen würden. Und dann dieses Ergebnis. Die TZ aus München unterstreicht es deutlich und klar: „Aigners kastrierte Tierschutzreform.“ Das steht in der gestrigen Ausgabe. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man muss nur ein paar Punkte herausgreifen und etwas näher beleuchten, zum Beispiel diesen: Aigner kündigt ein Ausstellungsverbot von Qualzuchten an. Was macht Ihre Koalition? Das Verbot wird gestrichen und die Verantwortung an die Fachverbände weitergegeben. Dabei hatten uns gerade die Fachverbände gebeten, hier klare Regelungen auf den Weg zu bringen, ähnlich den Regelungen in Österreich. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Stimmt ja nicht!) Zweitens. Aigner verkündet: Schluss mit dem Schenkelbrand bei Pferden. Die eigene Koalition sagt: Diese Verbrennung dritten Grades bleibt. (Dieter Stier [CDU/CSU]: Ja! Die Sachverständigen haben etwas anderes gesagt!) Das ist angeblich ein Kulturgut. Dabei ist das nichts anderes als eine erhebliche Verletzung der Tiere. Letztlich ist das nur billige Werbung für die Pferdezuchtverbände. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollege Goldmann, ich darf Sie zitieren. In der ersten Lesung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes am 28. September 2012 sagten Sie: Wenn es tierschutzrechtlich nicht möglich ist, den Schenkelbrand weiter zu setzen, weil ein Chip das erfüllt, was wir vom Schenkelbrand erwarten, (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das tut er ja nicht!) dann dürfen wir nicht mehr brennen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir das nicht hier im Parlament entscheiden, – ich fahre mit dem Zitieren fort – dann entscheidet es ein Gericht. Sie bringen ein Gesetz auf den Weg, obwohl Sie schon jetzt genau wissen, dass es in Kürze ein entsprechendes Gerichtsurteil geben wird. Dritter Punkt. Aigner verkündet: Schluss mit der betäubungslosen Ferkelkastration. Die Koalition sagt dazu, Frau Aigner: Ferkel dürfen weiterhin ohne Betäubung kastriert werden. Dabei gibt es längst zig Alternativmethoden: Ebermast, Improvac, Isofluran. Der Impfstoff Improvac ist in über 50 Ländern zugelassen, wird dort täglich angewendet und hat sich bestens bewährt. Warum nehmen Sie nicht endlich die Wirklichkeit zur Kenntnis? Warum leugnen Sie wider besseres Wissen? Sie lassen weiterhin millionenfache Tierquälerei zu. Unerträglich! (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Statt konstruktive Gespräche zu führen und gemeinsame Lösungen zu finden, geriet das gesamte Verfahren zu einer einzigen peinlichen Farce. Es gab an den Haaren herbeigezogene Pseudoargumente, und anerkannte wissenschaftliche Studien gegen den Schenkelbrand werden von Ihnen einfach nicht zur Kenntnis genommen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wir alle waren fassungslos, dass selbst ein Kosmetikexperte für Sie herhalten musste, (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Botoxspezialist!) um Ihre speziellen Thesen zu untermauern. Dabei ist doch offensichtlich, dass Sie mit dem Schenkelbrand eindeutig gegen die EG-Verordnung 504/2008 verstoßen. Ungeniert macht sich die Union aus wahltaktischen Gründen zum Sprachrohr einzelner Interessengruppen und streicht aus dem Entwurf der Ministerin die wenigen von ihr angedachten Verbesserungen. Frau Ministerin, auf gut Bayrisch: Das war eine mordsdrum Watschn, die Ihnen Ihre eigene Partei verpasst hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frage an die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und der FDP: Wann kommen Sie endlich im 21. Jahrhundert an? (Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nie! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im 22. Jahrhundert!) Merken Sie überhaupt nicht, dass die Menschen längst eine bessere Tierhaltung einfordern? Sie wollen endlich Taten statt billiger PR-Aktionen sehen. Kennen Sie eigentlich die Umfrage, die Ihr eigenes Ministerium in Auftrag gegeben hat, nicht? 89 Prozent der Bevölkerung wollen mehr Tierwohl und nicht weniger, so wie Sie es hier vorantreiben wollen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auch ist interessant, dass viele Landwirte – im Gegensatz zu Ihnen – schon lange erkannt haben, dass tiergerechte Haltung ihre Zukunftsfähigkeit sichert. Aber sie brauchen jetzt endlich auch wirksame Unterstützung aus der Politik. Mit einem billigen Weiter-so erweisen Sie den Bauern in unserem Land wahrlich einen Bärendienst. Auch Wirtschaft und Handel sind längst einen Schritt weiter. Sie wissen es doch: Carrefour, Lidl und Rewe bieten in Belgien nur noch Fleisch von nicht kastrierten Schweinen an. McDonald‘s geht ganz konkret richtige Schritte. Selbst Wiesenhof führt inzwischen ein Tierwohllabel ein. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Herr Paula, heute Morgen waren Sie mir noch lieber!) Selbstverständlich ist da noch Luft nach oben, aber immer mehr Anbieter erkennen – im Gegensatz zu Ihnen – die Zeichen der Zeit. Werfen Sie doch einmal einen Blick auf die katholische und die evangelische Kirche. Die 24. Landessynode der evangelisch-lutherischen Kirche Hannover betont – ich darf jetzt zitieren –: Christliche Werte gehen einher mit unserer tiefen Verantwortung und Verpflichtung für die Mitgeschöpfe. Wir können die Schöpfung und die Würde der Tiere nur bewahren, indem wir sie auch schützen. (Dieter Stier [CDU/CSU]: Jeder Landwirt macht das!) – Herr Stier, hören Sie einmal zu; das würde Ihnen sehr gut tun. (Dieter Stier [CDU/CSU]: Mache ich!) Ich zitiere weiter: Unabdingbar ist es darum, bei Haltung, Transport und Schlachtung von Tieren die Angst-, Schmerz- und Leidfreiheit zu garantieren und alles menschlich und technisch Mögliche dafür zu tun und bereitzustellen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kolleginnen und Kollegen der Union, besinnen Sie sich doch bitte einmal auf das C in Ihrem Parteinamen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie hieß das doch?) christlich, und handeln Sie vor allen Dingen entsprechend. Nehmen Sie doch endlich auch einmal den Auftrag des Grundgesetzes an: Der Staat schützt die Tiere. Lassen Sie sich nicht ständig von einigen Wortführern der Agrarlobby, auch in Ihren eigenen Reihen, vereinnahmen. Sie haben hier und jetzt die große Chance, den gesellschaftlichen Ansprüchen unserer Zeit gerecht zu werden und zugleich Weichen für eine zukunftsorientierte Landwirtschaft zu stellen. Bisher haben Sie die Chance leider verpasst. Sie haben sämtliche Anträge von uns zur Verbesserung des Tierschutzes rigoros abgelehnt. Heute haben Sie wiederum die Chance. Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu. Er enthält eine Reihe von Punkten, die sowohl die Kirchen als auch die Verbände, Ihre Bundesländer und vor allen Dingen die Menschen im Lande fordern. Machen Sie endlich Schluss mit überflüssiger Tierquälerei. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das haben Sie in der Schule nicht gelernt!) Abschließend darf ich Ihnen allen eine schöne Weihnachtszeit wünschen. Manchen wünsche ich mehr und bessere Einsicht im neuen Jahr. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Solche Lehrer braucht das Land, Oberlehrer wie Sie!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Hans-Michael Goldmann für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Paula hat im Hinblick darauf, dass wir hier fast zu mitternächtlicher Zeit debattieren, gefragt, ob wir bei diesem Thema irgendwie das Licht des Tages vermeiden wollten. Ich kann Ihnen sagen: Ich war beim Thema Tierschutz heute den ganzen Tag unterwegs. Ich will im Folgenden an dem, was ich heute erlebt habe, deutlich machen, dass wir gemeinsam dafür sorgen müssen, Herr Paula, dass wir die Basis unserer Arbeit – die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz; es ist im Grunde genommen ein Tierschutzgesetz, um das uns viele Länder in der Welt und auch viele Länder in Europa beneiden – nicht verlieren. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Ich war heute Morgen in der Charité. Dort wurde der 31. Tierschutz-Forschungspreis verliehen, und zwar an einen Forscher, Herrn Dr. Herwig, der sich im Bereich der Tierversuche und der Tierschutzforschung insgesamt mit dem Thema beschäftigte: Was kann man an Zellkulturen feststellen, um vorbeugend Leberkrebs zu erkennen? Die Ideen, die da entstanden sind, sind in besonderer Weise geeignet, den Schutz des Verbrauchers vor Chemikalien sicherzustellen. Das Verfahren ist darüber hinaus sehr geeignet, Tierversuche zu ersetzen. Der Auslöser für dieses Dritte Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes war, dass wir die Tierversuchsrichtlinie der EU in nationales Recht umsetzen mussten. Wir sind da auf einem sehr guten Weg, der darauf abzielt, dass möglichst wenig Tierversuche durchgeführt werden, dass möglichst viele Tierversuche durch alternative Verfahren ersetzt werden. Wir sind im Moment dabei, die Chemikalienrichtlinie der EU umzusetzen; damit verbunden ist die Prüfung von Tausenden von Chemikalienpräparaten. Heute finden sich in den Produkten eines normalen Baumarktes mindestens hunderttausend Chemikalien, die der Chemikalienkontrolle unterliegen. Für diese Chemikalienkontrolle brauchen wir Tierversuche. Wir sollten uns daher darauf verständigen, dass wir in diesem Bereich eine sehr anspruchsvolle Situation haben, die wir durch die Umsetzung der Richtlinie in diesem Gesetz einer guten Lösung zuführen. Ich finde, diese Gemeinsamkeiten sollten hier einmal zum Ausdruck gebracht werden, anstatt dass Geplänkeldiskussionen geführt werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ich kann Sie leider nicht verstehen, Frau Roth; aber Sie können sich gerne melden. Ich möchte betonen, dass wir innerhalb dieses Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes den einen oder anderen Baustein zu einem guten Tierschutz hinzufügen. Dass das dem einen oder anderen noch zu wenig ist, akzeptiere ich hundertprozentig. Ich muss aber ganz ehrlich sagen: Was die Grünen in ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Tierschutzes an Vorstellungen eingebracht haben, ist fern von jeder Lebensrealität und hat den Kardinalmangel, dass die Rechte des Tieres, die aus der Verankerung im Tierschutzgesetz erwachsen, den Rechten des Menschen aus diesem Gesetz gleichgesetzt werden sollen. Wenn Sie das machen, dann leitet sich daraus eine Folgeentwicklung ab, die nicht die meinige ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin ein Freund von Tieren; aber ich mache schon einen Unterschied zwischen dem Tier als Mitgeschöpf und dem Menschen. Ich finde, man sollte fairerweise sagen: Auch was Sie, Herr Paula, und was die Linken an Vorstellungen haben, ist schlicht und ergreifend nicht geeignet, eine vernünftige Tierschutzpolitik in Deutschland fortzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Heinz Paula [SPD]: Ach was!) Im Ergebnis würde Tierhaltung verlagert in Länder, die weniger gute Tierschutzansätze haben als wir. Ich bin ein Liberaler. Deswegen bin ich stolz darauf, dass in diesem Gesetz, wie es in den Koalitionsverhandlungen festgehalten wurde, der Gedanke der Eigenverantwortung gestärkt wird. Ich möchte nicht, dass der Staat oder der Kontrolleur oder der Veterinär – mein Berufsstand – darüber bestimmt, was Tierschutz ist. Ich will, dass die Verantwortung bei dem liegt, der das Tier hält. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ja, Frau Künast: Das gilt auch für die Heimtiere. Das gilt beim kleinen Fifi und das gilt beim Kanarienvogel genauso viel wie beim Schwein oder beim Rind in der Nutztierhaltung. Ich finde, da sollten wir uns erst einmal einig werden und sagen: Der Gedanke der Eigenverantwortung wird durch dieses Gesetz wesentlich gestärkt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Der Gedanke der Eigenverantwortung wird bei den Bestandskontrollen über Tierschutzindikatoren gesichert. Lieber Herr Trittin, ich weiß, warum Sie vorhin ein bisschen Tobeanfälle hatten: Das ist nämlich ein Riesenthema bei der Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar. Nur, die Tierschutzindikatoren, die in Niedersachsen gelten und von Ihrer Fraktion, den Grünen, begrüßt werden, sind in diesem Gesetz verankert. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Lassen Sie mich jetzt noch einen anderen Punkt ansprechen, nämlich die sogenannte Qualzucht. Damit überhaupt keine Diskussion entsteht: Qualzucht ist verboten, und für qualgezüchtete Tiere gibt es deswegen natürlich automatisch ein Ausstellungsverbot. Ich bin aber der Meinung, dass es nicht richtig ist, sozusagen erst am Ende den Ausschluss des Tieres herbeizuführen, sondern richtiger wäre es, dass der Züchter darauf achtet, dass überhaupt keine Qualzucht stattfindet. Das ist ein anderer gedanklicher Ansatz, der wieder aus dem Gedanken der Eigenverantwortung kommt. Nun noch einmal zur Kastration: Es ist in Ordnung, wenn wir zu anderen Methoden als die kommen, die wir im Gesetzentwurf verankert haben. Warum denn nicht? Bitte schön! NEULAND praktiziert sie schon jetzt, aber NEULAND hat einen verschwindend geringen Marktanteil, weil der Verbraucher zum Teil nicht bereit ist, den Preis zu zahlen, der notwendig ist. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ach!) – Ja, das stimmt doch. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, es geht um die Wettbewerbsfähigkeit! Herr Stier hat doch von Wettbewerbsfähigkeit gesprochen!) – Herr Trittin, wenn Sie der Meinung sind, dass das Impfen der Tiere mit Improvac als Kastrationsmethode marktfähig ist, dann sorgen Sie mit dafür, dass das zum Tragen kommt. Das können Sie durchaus auf den richtigen Weg bringen. Ich meine, beim Thema Kastration sind wir auf einem guten Weg. (Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Herr Trittin, ich weiß nicht, warum Sie jetzt lachen. Ich bitte darum, dass der eine oder andere vielleicht auch einmal ein bisschen Respekt hat. Ich will noch ein Thema ansprechen, das wir bitte gemeinsam transportieren. In diesem Gesetzentwurf ist verankert – – (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an Abgeordnete der CDU/CSU gewandt: Bei der Kastration sind wir auf einem guten Weg! Das hat er gesagt!) – Herr Trittin, ich bitte Sie um die Freundlichkeit, mir zuzuhören. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich höre Ihnen zu!) – Ja, ich finde, Sie sind ein ganz toller Hecht. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie haben sich vielleicht mit dem Thema Zoophilie beschäftigt. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob Sie sich mit diesem Thema beschäftigt haben, aber wenn Sie sich auf heute Abend vorbereitet haben, dann haben Sie den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes gelesen. Dieser Gesetzentwurf enthält ein Zoophilieverbot. Ich meine, wir sollten uns wenigstens dahin gehend einig sein, dass derjenige, der ein Tier für seine abartigen sexuellen Neigungen missbraucht und dabei dem Tier Schmerzen zufügt, bestraft werden soll. Das muss verboten sein. Das hat nichts mit der Liebe zu einem Tier zu tun, (Beifall bei Abgeordneten der FDP) sondern damit fügt man dem Tier Leid und Schmerzen zu. Deswegen bitte ich Sie auch in diesem Punkt dem Gesetzentwurf gegenüber um ein bisschen Fairness. Das ist ein ordentlicher Gesetzentwurf, der richtige Akzente setzt, und wir können auf der Basis dieses Gesetzentwurfs weiterhin gute Tierschutzarbeit in Deutschland leisten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Alexander Süßmair für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Süßmair (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ein Gruß an alle, die uns jetzt noch live im Internet verfolgen. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) – Ja, es gibt durchaus einige, die diese Debatte sehr wohl interessiert, auch wenn sie zu so später Stunde stattfindet. Den Gefallen, nicht zuzuhören, tun wir und die Bevölkerung Ihnen nicht. Wir befassen uns heute mit Ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes. Es ist schon erwähnt worden: Anlass war eigentlich die Überführung der EU-Tierversuchsrichtlinie in deutsches Recht. Aber was haben Sie gemacht? Sie haben diese Richtlinie nicht eins zu eins übernommen, sondern dazu benutzt, Verschlechterungen über die Hintertüre einzuführen. Das ist die Wahrheit! (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine lieben Damen und Herren von der CDU/CSU und FDP, dass eine Richtlinie, die zur Verbesserung des Tierschutzes gedacht ist, dazu missbraucht wird, Verschlechterungen einzuführen, halte ich nun wirklich für einen absoluten Skandal. Das lehnen wir strikt ab, damit das klar ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man hätte die Chance nutzen können, eine umfassende Novellierung, Anpassung, Aktualisierung und Modernisierung des deutschen Tierschutzrechts vorzunehmen. Dazu gibt es wahrlich ausreichend Bedarf. Das ist ja auch das, was die Ministerin eigentlich tun wollte. Vor über einem Jahr hat sie das angekündigt, und im Sommer gab es den Gesetzentwurf. Der Bundesrat, die Zivilgesellschaft und die Opposition haben dann Änderungsbedarf im Interesse des Tierwohls angemeldet. Was ist dann passiert? Dann haben wir im Ausschuss von CDU/CSU und FDP einen Änderungsantrag bekommen, mit dem letztlich alles gestrichen wurde, was zu einer entscheidenden Verbesserung des Tierschutzes hätte beitragen können. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie reden dummes Zeug!) – Nein, ich rede kein dummes Zeug, Herr Goldmann. Das Verbot des Schenkelbrandes bei Pferden – gestrichen; das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration bis 2017 – gestrichen und geschoben auf 2019; Verbot von Wildtieren in Wanderzirkussen – nichts; eine klare Definition von Qualzucht und Ausstellungsverbot – nichts dergleichen. Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, das ist wirklich ein Armutszeugnis. Nicht nur, dass Sie Ihrer eigenen Ministerin in den Rücken gefallen sind, nein, Sie ignorieren die Erwartungen der Bevölkerung an mehr Tierschutz, und Sie knicken vor der Agrarlobby, der Pferdezüchterlobby und vor der Lebensmittelindustrie ein. Das ist doch die Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine solche Politik können wir nur ablehnen. Wir von der Linken haben einen eigenen Vorschlag gemacht und einen Entschließungsantrag eingebracht. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Eine Katastrophe ist das! Warum haben Sie das nicht im Ausschuss eingebracht?) Ich möchte hier sechs wichtige Punkte nennen, die für uns im Zentrum stehen. Erstens. Wir wollen, dass es keine Tierversuche mehr mit schweren und langanhaltenden Schmerzen und Leiden für Tiere gibt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen, dass Alternativmethoden erforscht werden und die Forschung verstärkt wird. Zweitens. Wir wollen ein unverzügliches Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration, weil es geht, und der Käfighaltung von Geflügel. Wir wollen keine Anbindehaltung bei Rindern und keine Verstümmelungen mehr von Geflügel und Schweinen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was?) Drittens. Es muss Schluss sein mit den Billiglöhnen und der Akkordarbeit in Schlachthöfen, (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und zwar sowohl im Interesse der Beschäftigten als auch im Interesse der Tiere. Viertens. Wir fordern ein Verbot der Haltung von Wildtieren in Wanderzirkussen und Privathaushalten. Fünftens. Wir fordern, dass Tiertransporte auf vier Stunden begrenzt werden. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU) – Das würde die kommunalen Schlachthöfe stärken und die Wirtschaftskreisläufe sowie die Wertschöpfung vor Ort stärken. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt nicht, was Sie sagen!) – Doch, genau so ist es. Sechstens brauchen wir eine vernünftige Ausstattung von Ämtern und Behörden, damit sie endlich dafür sorgen können, dass die Einhaltung der geltenden Gesetze überwacht und durchgesetzt werden kann. Und wir brauchen ein Verbandsklagerecht für die Tierschutzverbände. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, eines möchte ich Ihnen noch ganz klipp und klar sagen. Sie lehnen wahnsinnig viele Initiativen zum Tierschutz mit dem Argument ab, das könne am Markt nicht erzielt werden, das kann nicht marktkonform umgesetzt werden. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben keine Ahnung, das ist das Problem!) Ja, verdammt noch mal, dann muss der Markt anders geregelt werden. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann muss dafür gesorgt werden, dass tiergerechte Produktion unterstützt wird, dass die Förderpolitik geändert wird. Dann muss der Markt für Soziales, Ökologie und mehr Tierschutz verändert werden. Genau in diesem Sinne haben wir einen Entschließungsantrag vorgelegt. Dem können Sie für mehr Tierschutz gern zustimmen. Ihren Gesetzentwurf können Sie sich von mir aus zu Weihnachten an die Wand hängen oder zu Silvester in die Luft schießen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Während die Kollegin Künast auf dem Weg zum Redepult ist, mache ich darauf aufmerksam, dass wir hier vorne im Präsidium fraktionsübergreifend zu der Auffassung gelangt sind, dass für alle Kolleginnen und Kollegen Sitzgelegenheiten im Saal vorhanden sind. Wir sollten auch den beiden letzten Rednern in dieser Debatte in der vorhin verabredeten Form folgen, sodass dann nachher jeder nach bestem Wissen und Gewissen seine Entscheidung treffen kann. Kollegin Künast, Sie haben das Wort. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Aigner, im Februar 2011 haben Sie ein Tierschutzpaket versprochen. Was Sie vorgelegt haben, worüber wir heute abzustimmen haben, ist weder Paket, noch ist es Tierschutz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das ist eher ein schwarz-gelber Sarg für die Grundgesetzbestimmung: Und die Tiere werden geschützt. Sie haben wenig gewollt, Frau Aigner, und nicht einmal das Wenige, das Sie gewollt haben, durchgesetzt. Sie haben nicht einmal angefangen, zu kämpfen, Frau Aigner. Das haben einige Tierschützer in diesem Land erkannt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sind die jeweiligen Landesvorsitzenden der Tierschutzvereine aus der CDU ausgetreten, und sie haben recht daran getan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heinz Paula [SPD]: Sehr vernünftige Entscheidung!) Sie, Frau Aigner, haben vor einem Jahr auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin gesagt: „Tieren Leid zuzufügen, ist nicht zulässig.“ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Jetzt frage ich Sie: Und nun, Frau Aigner? – Sie sitzt lächelnd auf ihrem Platz und lässt hier einen Herrn Stier reden. Ich warte auf Ihre Entschuldigung für Ihr Niveau, das mit der Beschneidungsdebatte zusammenzubringen, Herr Stier. Das geht gar nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Schämen Sie sich! (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört!) Er hat behauptet, man wolle jetzt Tierschutz machen, zum Beispiel mit dem Satz: Wer freiwillig mehr für die Haltung der Tiere tut, soll auch mehr öffentliches Geld kriegen. – Falsch: Nur der soll öffentliches Geld kriegen, der sich auch ans Grundgesetz hält und etwas für die Tiere tut. Für die anderen wollen wir gar kein öffentliches Geld ausgeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir stehen auf dem Boden des § 1 des Tierschutzgesetzes. Darin heißt es: Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen – dafür brauche ich keine Goldmann’sche Philosophie – für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!) Fakt ist: Täglich wird systematisch Leid zugefügt, nämlich in der Massentierhaltung: (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Falsch! Das ist falsch! Das stimmt nicht, was Sie sagen!) 67 Millionen Hühner, 11 Millionen Puten, 35 Millionen Schweine, 12 Millionen Rinder. Das ist die Wahrheit in Deutschland. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein! Sie sagen die Unwahrheit, und Sie wissen, dass Sie die Unwahrheit sagen!) Sie privilegieren das durch das Baugesetz und durch Subventionen für Megaschlachthöfe. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben nicht eine einzige Haltungsbedingung verändert!) – Sie können meinetwegen gleich umfallen, Herr Goldmann. Ihre Koalition und Sie mit Ihren Bürgerrechtshaltungen sind sogar noch – – (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben nicht eine Schlachtbedingung und nicht eine Transportbedingung verändert in der Zeit!) – Warten Sie mal. Werden eigentlich Dauerzwischenrufe auf ihre Redezeit angerechnet? – Schade. Eines muss ich noch sagen. Sie tun so, als würden Sie als Bürgerrechtspartei oder auch die CDU viel tun. Fakt ist aber: Herr Stier redet über Wettbewerbsfähigkeit. (Dieter Stier [CDU/CSU]: Wir brauchen keine grüne Umerziehungsanstalt!) Was ist das für eine Wettbewerbsfähigkeit, Herr Stier, wenn Schwarz-Gelb Hermesbürgschaften für Hühnerknäste vergibt, die hier verboten sind und dann in Weißrussland, einer Diktatur, aufgestellt werden? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Hat das mit wettbewerbsfähig zu tun? Dafür dürfen Sie doch keine Steuergelder ausgeben! Sie verderben den Bauern hier das Geschäft, weil dann die Eier aus Weißrussland in die Nudeln kommen. Wo ist der Tierschutz, frage ich mich, wenn die Tiere so lange zurechtgeschnitten werden, bis sie in die Ställe und Käfige passen, wenn es Akkordschlachtungen gibt? Wozu ist das Tierschutzgesetz gut, wenn es nicht einmal vorschreibt, für die Millionen Tiere, die als landwirtschaftliche Nutztiere gehalten werden, eine Verordnung über die der jeweiligen Tierart entsprechende artgerechte Haltung zu erlassen? Wo ist Ihre Strategie dafür, dass die Ställe nicht mehr in einem Zustand sind, der quasi nach Antibiotikaprophylaxe für jedes Tier, ob krank oder nicht, schreit? Das ist das System, das wir haben. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wir haben es satt, so mit den Tieren umzugehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dieter Stier [CDU/CSU]: Hätten Sie doch mal zugehört!) Ich will nur noch kurz zwei Aspekte ansprechen, weil Herr Süßmair und Herr Paula schon vieles genannt haben. Sie loben das Verbot der Ferkelkastration als toll. Niedersachsen macht das 2016. Nicht einmal dazu haben Sie den Mut und setzen ein paar Jahre drauf. Oder nehmen wir den Schenkelbrand bei Pferden. Jeder Normale würde einen Transponder implementieren, statt das Pferd, als wären wir bei Bonanza im Wilden Westen, mit einem glühenden Eisen zu verbrennen. Wo leben wir denn? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihre Tierschutzgesetznovelle ist der Kniefall vor der Agrarindustrie und den Pferdezüchtern. Wir wollen, dass sich endlich die Ställe den Tieren anpassen. (Zuruf von der FDP: So ein Quatsch!) Wir wollen das Ende der Akkordschlachtung. Wir wollen, dass Tierhaltung an Flächen und Futter angebunden wird, und ein Label, damit die Verbraucher endlich anders einkaufen können. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist schon lange da!) In Ihrem Paket ist kein Tierschutz enthalten. Deshalb lehnen wir es ab. Eines ist klar: Das Jahr 2013 wird den Weg für die nächste Tierschutzgesetznovelle eröffnen, und die ist den Namen dann auch wert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Johannes Röring für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Johannes Röring (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wird Zeit, dass wir die Temperatur wieder etwas herunterfahren und die Debatte versachlichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können ja mal an Ihnen einen Schenkelbrand vornehmen!) Wir setzen heute die Tierversuchsrichtlinie um. Nein, wir machen noch mehr: Wir verabschieden heute ein sehr starkes Tierschutzgesetz. Heute ist ein guter Tag für den Tierschutz in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es ist wirklich gut, dass die Plenardebatten aufgezeichnet werden, insbesondere für die vielen Bäuerinnen und Bauern in Deutschland. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaube ich auch!) So können sie ganz genau nachlesen, was heute von dieser Stelle aus im Deutschen Bundestag gesagt wurde. Ich empfehle das auf jeden Fall. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Denn die Wortbeiträge der gesamten Opposition, insbesondere von Herrn Süßmair, Herrn Paula und Frau Künast, waren im Grunde durchsetzt von großem Misstrauen gegenüber den 216 100 Tierhaltern in Deutschland, den Bäuerinnen und Bauern, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie meinen die Franchisenehmer von Wiesenhof, oder wie? – Heinz Paula [SPD]: Misstrauen gegenüber Ihrer Gesetzgebung!) Misstrauen, Herr Süßmair, gegenüber den Menschen, die tagtäglich jeden Morgen in den Stall gehen, die ihren Beruf erlernt haben und ihn mit Leidenschaft ausüben. (Heinz Paula [SPD]: Die müssen wir unterstützen!) Ein Landwirt bekommt eine Ausbildung von sechs Jahren, um am Ende ein Fachmann zu sein, der in der Lage ist, Tiere Tag für Tag zu pflegen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Es geht nur um Masse, Masse, Masse! Preis, Preis, Preis! Da ist kein Wort vom Tierschutz gefallen!) Sie haben Misstrauen gegenüber Menschen mit langer Berufserfahrung und langer Tradition im Umgang mit Tieren. Herr Süßmair, Sie haben auch Misstrauen gegenüber Hobbytierhaltern geäußert. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Die Hobbytierhalter haben das von uns gefordert im Fachgespräch! Da hätten Sie dabei sein können! Die wollten, dass wir Vorgaben machen!) Aber auch diese Menschen kümmern sich Tag für Tag um ihre Tiere, um vielleicht einmal im Jahr mit großem Stolz ihre Tiere auf Ausstellungen zeigen zu können. Ich glaube, es ist sehr deutlich geworden, worauf die Opposition setzt: auf Misstrauen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir setzen auf Vertrauen, also genau auf das Gegenteil. Wir trauen den Menschen, die das gelernt haben, die tagtäglich jeden Morgen und jeden Abend in den Stall gehen, um sich um ihre Tiere zu kümmern, (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) und – hören Sie einmal genau zu, Herr Paula! – die auch leiden, wenn ein Tier krank ist. Ich kenne solche Familien. Sie sorgen sich um das Wohl ihrer Tiere. Aber Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, skandalisieren und emotionalisieren dieses Thema. Es tut den betreffenden Menschen nicht gut, wenn man so mit ihnen umgeht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Da Sie Ihr Misstrauen so deutlich zum Ausdruck gebracht haben, sage ich Ihnen genauso deutlich: Wir von der christlich-liberalen Koalition (Heinz Paula [SPD]: Christlich! Das ist es!) lehnen ein Verbandsklagerecht eindeutig ab, weil dann jeder – genau das haben Sie heute bestätigt – Misstrauen gegenüber Menschen schüren kann, die sich täglich um Tiere kümmern. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das ist doch unglaublich!) Ich bin fest davon überzeugt, dass wir heute ein modernes Tierschutzgesetz verabschieden. Frau Ministerin Aigner hat sich sehr eingebracht und hat mit uns zusammen ein modernes Tierschutzgesetz auf den Weg gebracht. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben Sie an die kurze Leine gebunden! Bei Ihnen gilt doch jetzt die Anbindehaltung für die Ministerin! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gilt schon lange!) Es eröffnet den Behörden die Möglichkeit, Missstände zu beseitigen. Genau das wollen wir. Was mir noch viel wichtiger ist, ist das, was der Geist dieses Gesetzes ausdrückt. (Heinz Paula [SPD]: Wo ist da der Geist? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geist? Ungeist! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Klosterfrau Melissengeist, genau!) – Ich merke, dass hier viele anwesend sind, die noch nie ein Tier im Stall hatten und trotzdem Experten sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Du hast keine Ahnung, Süßmair!) Ich sage Ihnen noch einmal: Die Menschen, die täglich mit Tieren zu tun haben, nehmen eine große Verantwortung wahr. Es ist nicht so, dass das etwas mit starren Gesetzen zu tun hat, Frau Künast. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich!) In der Praxis wird Tag für Tag Neues zum Wohle der Tiere entwickelt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hermesbürgschaften! Zum Wohle der Tiere! – Gegenruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die hat es auch in Ihrer Zeit gegeben, die Hermesbürgschaften!) Ich habe sehr viele Stallanlagen, auch alte, kennengelernt. (Unruhe) – Darf ich weitermachen? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Goldmann, man kann den Eindruck haben, dass sich der Redner von Ihnen gestört fühlt. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das geht mir anders!) Johannes Röring (CDU/CSU): Ich möchte gerne meinen letzten Gedanken zu Ende bringen. – Schauen Sie sich an, was täglich weiterentwickelt wird. Die Landwirtschaftsbranche insgesamt macht sich zusammen mit dem Lebensmitteleinzelhandel Gedanken darüber, wie das Tierwohl am besten zu gewährleisten ist. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die Agrarindustrie!) Das machen sie freiwillig, ohne Vorschriften und Gängelungen, wie Sie von den Grünen sie wollen. Diese Gängelungen sind im Übrigen Ausdruck Ihrer Geisteshaltung. Sie trauen den Menschen nichts zu. Wir wissen, dass diejenigen, die täglich ihre Arbeit machen, mit jeder Neuinvestition einen Fortschritt erzielen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mann, Herr Röring, worüber reden Sie eigentlich?) Das ist der richtige Weg. Ich glaube, wir haben ein modernes und gutes Tierschutzgesetz auf den Weg gebracht. Ich bitte alle, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zuzustimmen und den der Grünen abzulehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal hinsetzen! Es ist gut!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-schutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11811, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10572 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Sie finden ihn auf Drucksache 17/11851. Über diesen werden wir auf Verlangen der Antragsteller namentlich abstimmen. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass gleich noch eine weitere namentliche Abstimmung stattfindet. Jetzt bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das es noch nicht geschafft hat, die Stimmkarte einzuwerfen? – Das scheint der Fall zu sein. Ich bitte Sie, das stringent zu versuchen und direkt in Richtung Abstimmungsurne zu gehen. Ist immer noch jemand hier, der noch nicht abstimmen konnte? – Das scheint mir nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung. (Unterbrechung von 23.10 bis 23.16 Uhr) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegeben wurden 509 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 210, mit Nein haben gestimmt 298. Es gibt 1 Enthaltung. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.14 Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Ich habe den Eindruck, dass der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei folgendem Stimmenverhältnis angenommen worden ist: Die Koalitionsfraktionen haben zu- und die Oppositionsfraktionen haben dagegen gestimmt. Jetzt kommen wir zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Das wird jetzt eine Herausforderung, weil viele noch in der Nähe der Urne stehen. Wer möchte zustimmen und erhebt sich deswegen? – Wer stimmt dagegen? – Wer will sich der Stimme enthalten? – Das scheint mir fast niemand zu sein. Damit ist der Gesetzentwurf bei einem ähnlichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Zunächst kommen wir zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11852. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Urnen zu besetzen. – Ist das geschehen? – Alle Urnen sind besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. Ist denn noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das die Stimmkarte nicht abgeben konnte? – Jetzt haben alle ihre Stimme abgegeben. Ich schließe die Abstimmung. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.15 Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11853. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die einbringende Fraktion; enthalten haben sich SPD und Grüne; die Koalitionsfraktionen haben dagegen gestimmt. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Neuregelung des Tierschutzgesetzes. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11811, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/9783 abzulehnen. Wer möchte zustimmen? (Iris Gleicke [SPD]: Dem Gesetzentwurf zustimmen!) – Entschuldigung. Wer möchte dem Gesetzentwurf zustimmen? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist abgelehnt. Zugestimmt hat die einbringende Fraktion; Linke und SPD haben sich enthalten; die Koalitionsfraktionen waren dagegen. Damit entfällt die dritte Beratung. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 17/11811 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung, die Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 17/6826, den Tierschutzbericht 2011, zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Das war einstimmig. Tagesordnungspunkt 25: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unabhängigkeit der Stiftung Datenschutz sicherstellen – Drucksache 17/11825 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Die Reden wurden zu Protokoll genommen. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Die christlich-liberale Koalition hat mit der Stiftung Datenschutz, die im ersten Quartal des kommenden Jahres ihre Arbeit aufnehmen wird, einen äußerst wichtigen Beitrag für einen modernen und zukunftsfähigen Datenschutz in Deutschland geleistet. Die Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, sind uns allen bewusst, können aber nicht oft genug betont werden: eine rasante technische Entwicklung mit nahezu wöchentlichen Veränderungen und Neuerungen, immer größer werdende Datenmengen, die dank moderner Datenverarbeitung dennoch schnell ausgewertet und analysiert werden können, ein weltweiter Datenverkehr ohne territoriale Grenzen und eine Vielzahl von Geschäftsmodellen, bei denen zunehmend statt mit barer Münze mit den eigenen Daten bezahlt wird. Der Schutz der personenbezogenen Daten in der modernen Kommunikationsgesellschaft ist damit zu einem der zentralen Themen dieser Zeit geworden. Von der heute im Vordergrund stehenden Stiftung Datenschutz bis hin zum großen Komplex der Novellierung des EU-Datenschutzrechts verfolgen wir das Ziel eines modernen, kohärenten und zukunftsfähigen Datenschutzes in Deutschland und Europa. Die Grundpfeiler hierfür müssen meiner festen Überzeugung nach folgende drei Säulen sein: erstens Eigenverantwortung und Selbstdatenschutz der Bürgerinnen und Bürger; zweitens Selbstverpflichtungen und Eigeninitiative der Wirtschaft und drittens flankierende, technikneutrale gesetzliche Regelungen. Die Stiftung Datenschutz wird mittelbar und unmittelbar für alle drei Bereiche wichtige Beiträge leisten: Ein zentraler in der Stiftungssatzung verankerter Zweck ist dabei die „Stärkung der Bildung im Bereich des Datenschutzes“ sowie „die Verbesserung des Selbstdatenschutzes“. Die Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger für die Chancen und Gefahren im Umgang mit ihren persönlichen Daten ist für mich eine sehr wichtige und große Herausforderung, deren Bewältigung maßgeblich die zukünftige Datenschutzkultur in Deutschland prägen wird. Ich bin daher froh um jeden Beitrag, der den Bürgerinnen und Bürgern den großen Wert ihrer personenbezogenen Daten aufzeigt und zu einem umsichtigen Umgang mit ihnen führt. Der zweite wesentliche Auftrag der Stiftung ist die „Entwicklung eines Datenschutzaudits sowie eines Datenschutzauditverfahrens“. Der Mehrwert eines deutschlandweit einheitlichen, anerkannten und verlässlichen Zertifizierungsverfahrens liegt auf der Hand. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern kann so leicht verständlich aufgezeigt werden, welche Unternehmen auf den Schutz personenbezogener Daten besonders Wert legen und sorgfältig mit den eigenen Kundendaten umgehen. Der Stiftung kommt zudem zugute, dass sie als unabhängiger Akteur über Vor- und Nachteile möglicher Geschäftsmodelle informieren kann. Dass dies ein langfristiges Erfolgsmodell sein kann, hat die Entwicklung der Stiftung Warentest eindrucksvoll belegt. Die Unternehmen können durch den Nachweis und das entsprechende Gütesiegel das Vertrauen in die eigene Geschäftstätigkeit steigern und damit letztlich einen erheblichen Wettbewerbsvorteil erreichen. Ein hoher Datenschutzstandard wird hier zu einem Standortfaktor. Dass somit gleichermaßen Vertrauen und Innovationsfreudigkeit gestärkt werden, ist ein äußerst vielversprechender Ansatz, der gemeinsam mit in diesem Bereich bereits tätigen Institutionen umgesetzt werden kann. Auch im Beirat der Stiftung sind entsprechende fachliche Kompetenzen gebündelt, sodass die Aufstellung eines Kriterienkataloges für die Vergabe eines Gütesiegels sichergestellt ist. Der vielseitig besetzte Beirat spiegelt auch das große Potenzial der Stiftung wider, sowohl für den Bereich der Sensibilisierung der Verbraucherinnen und Verbraucher für den Selbstdatenschutz als auch für den Bereich der Selbstverpflichtungen und Eigeninitiativen der Wirtschaft. Aber auch für den dritten Bereich des Dreiklanges – die flankierenden gesetzlichen Regelungen – wird der Diskussionsprozess im Stiftungsbeirat sicher wichtige Impuls liefern können. Da im Beirat der Stiftung Datenschutz Mitglieder aller Fraktionen des Deutschen Bundestages vertreten sind, erhoffe ich mir eine enge Verzahnung der Aktivitäten der Stiftung auf der einen und möglichen gesetzgeberischen Maßnahmen unseres Hohen Hauses auf der anderen Seite. Letztlich wird auch die sukzessive Fortentwicklung der Stiftungsarbeit ein dynamischer Prozess sein, der auch auf mögliche Impulse von innen wie von außen angemessen reagieren wird. In dem heute zu debattierenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der SPD-Fraktion wird offen unterstellt, dass der Beirat nicht unabhängig sei und daher darin „einseitig Interessen vertreten“ würden. Ich habe während des Prozesses, als die Stiftungssatzung erarbeitet wurde, keinen Hehl daraus gemacht, dass mir ein kleinerer Beirat lieber gewesen wäre, da ich der Ansicht bin, dass bei einem Beirat dieser Größe die Abstimmungsprozesse, Terminvereinbarungen und Sacharbeit durch die große Teilnehmerzahl erschwert werden können. Auf der anderen Seite ist es allerdings durch die Verteilung der Sitze im Stiftungsbeirat gelungen, das Maximum an Sachverstand im Bereich des Datenschutzes einzubeziehen. Dazu gehören selbstverständlich die Datenschutzaufsichtsbehörden, Verbraucherschützer, Vertreter aus der Wissenschaft und Vertreter der politischen Parteien ebenso wie die datenverarbeitende Wirtschaft. Denn die erarbeiteten Konzepte müssen gerade auch praxistauglich sein und nicht bloß „theoretische Konstrukte“ bleiben. Ihrer Ansicht nach – ich zitiere – „können seriöse Unternehmen kein Interesse daran haben, in Fragen des Datenschutzes und vor allem der Datensicherheit hinter der guten fachlichen Praxis zurückzubleiben. Bürgerinnen und Bürger sehen ihre Daten lieber in den Händen seriöser Unternehmen.“ Diese Aussage ist sicher zutreffend. Hohe Datenschutzstandards werden sich meiner festen Überzeugung nach auch als Wettbewerbsvorteil herausstellen. Aber genau deswegen brauchen wir die Stiftung und ihren fachlich hochrangig besetzten Beirat. Sie kann bei der Entwicklung solcher Konzepte und Standards einen wichtigen Beitrag leisten. Das im Antrag von Ihnen vorgeführte Rechenbeispiel, wonach die datenverarbeitende Wirtschaft mit 14 Sitzen von insgesamt 34 Mitgliedern eine „Beschlussmehrheit“ haben sollte, kann ich weder mathematisch noch inhaltlich nachvollziehen. Hier werden Sie wieder einmal zum Verschwörungstheoretiker. Dies ist umso bedauerlicher, da Sie wissen müssten, dass sich Datenschützer, Verbraucherschützer, Wissenschaftler und Vertreter der Politik mit Sicherheit nicht zum Erfüllungsgehilfen Einzelner machen werden und sicher nicht für eine Absenkung des Datenschutzniveaus in Deutschland eintreten werden. Mit Ihren Ausführungen widersprechen Sie übrigens auch dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Dieser führte in seinen Tätigkeitsberichten für die Jahre 2009 und 2010 aus, dass der Datenschutz in Deutschland durch die Stiftung gestärkt werden würde. Ich vermag daher nicht zu erkennen, wodurch die Unabhängigkeit der Stiftung oder einzelner Mitglieder des Beirates eingeschränkt wird. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Der unterschiedliche Hintergrund der Teilnehmer und ihre eigenen Erfahrungen führen zu einem vielseitigen und umfassenden Sachverstand im Bereich des Datenschutzes. Nur mithilfe dieses kooperativen Ansatzes ist es überhaupt denkbar, einen umfassenden, praxistauglichen und vertrauenswürdigen Kriterienkatalog für ein Datenschutzgütesiegel sinnvoll zu erarbeiten. Ich habe daher kein Verständnis dafür, dass sich einzelne Akteure selbst der Chance der Mitarbeit und Mitgestaltung berauben, indem sie die Mitarbeit boykottieren wollen. Der Beirat bietet die Möglichkeit, alle relevanten Stimmen zu Wort kommen zu lassen und sollte sich daher nicht durch die unkooperative Einstellung einiger beeinflussen lassen. Insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition fordere ich eindringlich auf, ihre Verweigerungshaltung ernsthaft zu überdenken und endlich Verantwortung zu übernehmen. In keinem der zahlreichen Gremien, in die der Deutsche Bundestag Mitglieder bzw. Beiräte entsendet, haben sich jemals einseitig die Oppositionsfraktionen oder die Regierungsfraktionen der Mitarbeit verweigert. Die besondere gesellschaftliche Relevanz des Themas Datenschutz sowie der große Spielraum, der in der Stiftung der Ausgestaltung des Beirates innewohnt, stellen für alle Akteure meines Erachtens geradezu eine Verpflichtung dar, sich der gemeinsamen Verantwortung zu stellen und diese auch gemeinsam wahrzunehmen. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, es kann nur mitgestalten, wer dabei ist. Hören Sie daher endlich damit auf, sich zu ärgern, dass wir diesen wichtigen Baustein auf den Weg gebracht haben! Kommen Sie aus der „Schmollecke“ heraus, und beteiligen Sie sich aktiv an dem Prozess zur Stärkung des Datenschutzes in Deutschland, und nehmen Sie so Ihre parlamentarische Verantwortung wahr! Gerold Reichenbach (SPD): Und wieder einmal ist es der schwarz-gelben Koalition nicht gelungen, ihren großen Ankündigungen im Bereich des Datenschutzes auch Taten im Sinne der Bürgerinnen und Bürger folgen zu lassen. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, all das erneut aufzuzählen, was im Bereich des Datenschutzes während der schwarz-gelben Regierungszeit passieren sollte und was vor allem nicht passiert ist: Die nicht erfolgte Umsetzung der E-Privacy-Richtlinie, das Dauerthema Beschäftigtendatenschutz, das niemals zustande gekommene Rote-Linie-Gesetz, welches mit großem Medienrummel angekündigt wurde, und dann sang- und klanglos in der Versenkung verschwand, und jetzt ihre Verzögerungs- und Blockadehaltung gegenüber einer fortschrittlichen EU-Datenschutzregelung. Um nur einige aufzuzählen. Das alles wollten Sie nun durch ihr groß angekündigtes Prestigeobjekt Stiftung Datenschutz wettmachen. Was aber diese Koalition daraus gemacht hat, ist ein schlechter Witz. Das gelingt nur Merkels schwarz-gelber Chaostruppe: Eine Stiftung Datenschutz ohne Datenschützer und Verbrauchervertreter! Dabei sind die Probleme im Bereich Datenschutz drängender denn je. Viele Menschen haben das Vertrauen in Unternehmen, die ihre Daten verarbeiten, verloren. Und dies nicht zu Unrecht. Man erinnere sich nur an die Datenskandale bei Telekom und Bahn, an die immer wieder stattfindenden Verstöße von Google, Facebook & Co. gegen den Datenschutz oder – wie zuletzt – das angekündigte Profiling in sozialen Netzwerken nach der Kreditwürdigkeit durch die Schufa. Eine Stiftung Datenschutz – richtig umgesetzt – hätte dazu beitragen können, durch Aufklärungsmaßnahmen das Bewusstsein der Bevölkerung für die Sensibilität ihrer Daten zu schärfen sowie einen Beitrag zur Schaffung unabhängiger Zertifizierungsverfahren für Qualitätsstandards zu leisten und damit für mehr Vertrauen beizutragen. Nicht nur die Fraktionen der SPD und der Grünen und der Linkspartei haben ihre Mitarbeit im Beirat der Stiftung aufgrund von fehlender Unabhängigkeit und Neutralität der gegenwärtigen Stiftungskonstruktion abgesagt, sondern auch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sowie der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Und das zu Recht. Denn mit ihrer kritiklosen Willfährigkeit gegenüber der Wirtschaftslobby bei der Konstruktion der Stiftung Datenschutz haben doch Sie deren Glaubwürdigkeit und damit dem Datenschutz insgesamt einen „Bärendienst“ erwiesen. Ich erinnere noch einmal, im Vorstand sitzen nur Regierungsvertreter, natürlich auch das Wirtschaftsministerium. Und der Beirat, der zudem noch völlig überdimensioniert ist, wird erdrückend dominiert von den Vertretern der Lobbyverbände, der entsprechenden datenverarbeitenden Wirtschaft, während den Verbraucherschützern nur ein und den Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern lediglich drei Sitze zugestanden wurden. Sie diskreditieren sich selbst, wenn Sie nun die ernsthaften Bedenken dieser Organisationen und der Opposition gegen die fehlende Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit dieser Stiftungskonstruktion einfach als „politischen Klamauk“ abtun – um Sie einmal zu zitieren, liebe Frau Kollegin Piltz. Das zeugt von politischer „Bunkermentalität“. Wenn Sie schon nicht auf die Opposition in diesem Hause hören wollten, die von Anfang an vor der einseitigen Ausrichtung der Stiftung gewarnt hat, dann müsste es doch zu denken geben, dass genau auch diejenigen, die sich seit Jahren in diesem Lande für Fortschritte beim Daten- und Verbraucherschutz engagieren, ihrer Form der Stiftung eine eindeutige und klare Absage erteilt haben. Das Vorhaben einer Stiftung Datenschutz ist sicherlich aller Ehren wert, aber es macht doch nur Sinn, wenn die Stiftung unabhängig und neutral arbeitet. Genau dies fordern wir nach ihrem faktisch gescheiterten Versuch mit unserem Antrag von der Bundesregierung! Dass Sie mit dieser Stiftung lediglich ein von der Wirtschaft kontrolliertes Gremium geschaffen haben, ist offenkundig. Man muss nur Ihren eigenen Antrag zur Stiftung Datenschutz vom 26. Juni dieses Jahres heranziehen, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP. Dann sieht man genau, wo Sie Ihre Prioritäten setzen. Die Wirtschaft wird in ihrem Antrag insgesamt neunmal erwähnt, die Gesellschaft bzw. Zivilgesellschaft insgesamt nur dreimal. Ich darf mit Erlaubnis der Präsidenten und der Präsidentinnen aus ihrem Antrag zitieren: „Der Deutsche Bundestag begrüßt daher die Errichtung einer Stiftung Datenschutz durch die Bundesregierung, die damit einen wesentlichen Beitrag zu Datenschutz und Vertrauen in die Wirtschaft leistet. Durch die Beteiligung der Wirtschaft trägt die Stiftung Datenschutz dazu bei, bestmöglich Synergien von privater und hoheitlicher Betätigung für den Datenschutz zu erreichen.“ Oder: Die Regierung freut sich über die „aktive Mitwirkung der Wirtschaft“. Aber genau aus dieser „Mitwirkung“ ist in Ihrer Stiftungskonstruktion die Dominanz von Regierung und Wirtschaft geworden, sodass das ganze Konstrukt der Stiftung gar nicht neutral und unabhängig arbeiten kann. Was von dem Gedanken einer unabhängigen Stiftung zur Förderung des Datenschutzes jetzt übrig bleibt, ist ein mit Personal ausgestatteter Torso. Der ist lediglich geeignet für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf Steuerzahlerkosten nach dem „System Niebel“. Aber vielleicht reicht ihnen das ja? Zumal auf den Gängen ja schon gehandelt wird, wer von FDP und CDU dort mit Posten versorgt werden soll. Wir werden das sehr genau im Auge behalten! Und nun wollen Sie uns allen Ernstes vorwerfen, dass wir uns gegen mehr Orientierung und Transparenz durch ein Datenschutzgütesiegel für die Menschen in der Informationsgesellschaft wendeten. Aber was bei Ihrer Stiftungskonstruktion nur noch herauskommen kann, ist ein Selbstbelobigungssiegel der selbst betroffenen Wirtschaft, das keinerlei Glaubwürdigkeit und Vertrauen finden wird. Die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen haben gefordert und fordern weiter, ein wirklich unabhängiges, ein Auditierungs- und Gütesiegelgesetz im Sinne von § 9 a BDSG, um eine verlässliche, unabhängige und datenschutzkonforme Prüfung und Zertifizierung im Bereich des Datenschutzes zu schaffen. Das haben Sie abgelehnt, sehr geehrten Damen und Herren Kollegen von der Union und der FDP. Sie wollten dies mit Ihrer Stiftung Datenschutz erreichen, so steht dies zumindest im Koalitionsvertrag! Was dabei herausgekommen ist, sehen wir jetzt. Genug Zeit dafür hatten Sie doch in den letzten drei Jahren. Nun zu behaupten, dass wir die Erteilung der Gütesiegel durch eine Stiftung nicht wollten oder das Datenschutzsiegel in der Großen Koalition auch nicht durchgesetzt hätten, zeugt nur von ihrer argumentativen Hilflosigkeit. Dem trete ich entschieden entgegen. Wir befürworten die Einführung eines bundeseinheitlichen Siegels. Die Vergabekriterien und Kontrollen müssen aber eben von einem unabhängigen Gremium, welches qualifiziert und zuverlässig arbeiten kann, erstellt werden. Dies ist bei ihrer von der Wirtschaft dominierten Stiftung nicht der Fall. Sie postulieren selbst in Ihrem Antrag, dass das sogenannte Datenschutzgütesiegel nur noch in Abwägung von Verbraucherschutz- und Marktinteressen erfolgen soll. Schon mit dieser Bedingung nehmen sie der Stiftung die ihr ursprünglich einmal zugedachte Kernaufgabe der unabhängigen Gütesiegelerteilung. Damit wird dem schon fast zahnlosen Tiger ein weiterer Zahn gezogen, sodass dieser nunmehr bald eine Vollprothese braucht. Die Idee einer Stiftung Datenschutz wird nur gelingen, wenn die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder bei der Entwicklung der Aufgabenstellung der Stiftung auch entscheidenden Einfluss haben, damit es nicht zu Kompetenzgerangel oder auch zu einer Instrumentalisierung der Stiftung gegen die unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden kommen kann. Aber auch die Vertreter der Verbraucherschutzorganisationen müssen größeres Gewicht erhalten, nicht nur um einer sinnvollen Koordination mit deren Arbeit, sondern damit auch die Stimme der betroffenen Verbraucher ein stärkeres Gewicht erhält. Dazu gehört auch, dass die Zahl der Wirtschaftsvertreter deutlich reduziert und weitere datenschutzkritische Vertreter auch aus der Zivilgesellschaft eingebunden werden. Die Finanzierung der weiteren Stiftungsarbeit darf nicht vom Wohlwollen der betroffenen Wirtschaft gegenüber dem zu vergebenden Siegel und dessen Prüfkriterien abhängig sein. Die Stiftung muss materiell in der Lage sein, ihrer Aufklärungsaufgabe unabhängig und wirksam nachzukommen. Dies darf nicht in Konkurrenz, sondern muss in Zusammenarbeit mit den Verbraucherschutzorganisationen und den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder geschehen. Die SPD ist bereit, eine Stiftung Datenschutz zu unterstützen; aber eine, die auch die Unterstützung der Verbraucher- und Datenschützer und nicht nur der betroffenen Wirtschaft hat. Dies haben wir in unserem Antrag dargelegt und fordern die Regierung auf, dafür Schritte zu unternehmen. Gehen Sie mit uns den Weg zu einer Stiftung Datenschutz, die diesen Namen wirklich verdient. Gisela Piltz (FDP): Zunächst einmal muss ich zwei Feststellungen treffen: Erstens. SPD und Grüne können nicht rechnen. Ich meine das jetzt ausnahmsweise einmal nicht in Bezug auf den Haushalt – da wissen wir das ja schon –, ich meine das jetzt auf eine ganz einfache Rechenoperation bezogen: 34 minus 14. Was dabei herauskommt, erkläre ich gleich noch ausführlich. SPD und Grüne haben die Marktwirtschaft nicht verstanden. Das ist ja jetzt auch nicht völlig neu; aber es wird in diesem Antrag überdeutlich. Bevor ich es vergesse: Ich habe noch eine dritte Feststellung: Drittens. SPD und Grüne leiden ersichtlich an partieller Amnesie. Denn wer sich einmal anschaut, was diese Parteien für den Datenschutz getan haben, als sie selbst an der Regierung im Bund waren – oder auch das, was sie tun in den Ländern, in denen sie derzeit an der Regierung sind –, muss sich schon sehr wundern. Dieser Antrag ist, mit Verlaub, kindisches Trotzgehabe und zudem noch schlechter Stil. Weder zu rot-grünen noch zu schwarz-roten Regierungszeiten haben SPD und Grüne den Datenschutz in unserem Land entscheidend vorangebracht. Keine Bundesregierung, an der SPD und Grüne beteiligt waren, hat je ein Gütesiegel für den Datenschutz auf den Weg gebracht. Jetzt ein neues Instrument für modernen Datenschutz zu boykottieren, zeigt, dass es SPD und Grünen nicht um die Sache geht. Das ist besonders absurd, weil gerade in diesem Jahr SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen im Koalitionsvertrag vereinbart haben: „Um die Datenschutzstandards in den Unternehmen zu verbessern, wollen wir den Dialog zwischen Wirtschaft, Behörden und dem Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit in Form einer Landesdatenschutzkonferenz organisieren. Sie soll bei der Erarbeitung eines NRW-Datenschutzsiegels helfen.“ In NRW also ist es rot-grünes Programm, in einem kooperativen Ansatz zusammen mit der Wirtschaft den Datenschutz voranzubringen. Im Bund aber lehnen dieselben Parteien das ab. Und schon im Koalitionsvertrag von 2002 zwischen diesen Parteien wollten sie „prüfen“, ob zur Stärkung „selbstregulativer Modelle“ beim Datenschutz bei moderner Kommunikation eine „institutionalisierte Plattform zur Koordination“ geschaffen werden solle. Jetzt gibt es nicht nur eine Plattform, sondern eine mit 10 Millionen Euro Stiftungskapital ausgestattete Stiftung Datenschutz – und SPD und Grüne haben keine Lust mehr. Das ist schon ein einmaliger Vorgang. Wenn es SPD und Grünen wirklich um den Datenschutz ginge, würden sie sich konstruktiv einbringen, statt auf Verweigerungshaltung zu schalten und sich in die Schmollecke zu stellen. Es muss für SPD und Grüne wirklich schwer zu ertragen sein, dass sich die aktuelle, schwarz-gelbe Bundesregierung um den Datenschutz kümmert und mit der Errichtung der Stiftung ein neues Instrument geschaffen hat, mit dem wir den Herausforderungen der Informationsgesellschaft beim Schutz persönlicher Daten der Menschen begegnen. Den Erfolg dieses Weges werden SPD und Grüne nicht durch kleinlichen Neid verhindern. Wir im Rheinland sagen: Man muss auch mal gönne könne. SPD und Grüne sollten sich das hinter die Ohren schreiben. Umso erstaunlicher ist, dass der heute zu beratende Antrag eigentlich ganz vielversprechend anfängt. Da ist zu lesen: „So unterschiedlich die Interessenlagen der Wirtschaft auf der einen und der Verbraucherinnen und Verbraucher auf der anderen Seite in Bezug auf den Umgang mit personenbezogenen Daten vielfach sind, gibt es auch Gemeinsamkeiten. So können seriöse Unternehmen kein Interesse daran haben, in Fragen des Datenschutzes und vor allem der Datensicherheit hinter der guten fachlichen Praxis zurückzubleiben. Bürgerinnen und Bürger sehen ihre Daten lieber in den Händen seriöser Unternehmen als bei solchen, die auf Datenschutz und Datensicherheit keinen Wert legen.“ Genau: Datenschutz ist ein Qualitätsmerkmal für die Wirtschaft. Die Firmen, die in den letzten Jahren mit Datenschutzskandalen negativ aufgefallen sind, haben das leidvoll erfahren. Deshalb ist die Entwicklung des Datenschutzgütesiegels ein wichtiger und richtiger Schritt. Wichtig ist dabei, dass es um einen bundeseinheitlichen Standard geht. Der Weg von Rot-Grün, ein NRW-Gütesiegel entwickeln zu wollen, ist in der Informationsgesellschaft, in der die Menschen im Internet nicht nur über die Grenzen der Bundesländer hinweg, sondern über Staatengrenzen und Kontinente hinweg über das Internet einkaufen oder sich in sozialen Netzwerken tummeln, nicht wirklich zielführend. Aber dann sieht es in dem Antrag ein bisschen aus wie Kraut und Rüben. Da passen die Feststellungen nicht zu der Kritik, und erst recht nicht passen die Schlussfolgerungen. Wenn es so ist, wie eben zitiert, dann ist es doch gerade im Interesse der Wirtschaft, dass ein erworbenes Datenschutzgütesiegel seinen Namen auch verdient und wirklich für Qualität und hohe Standards steht. Alles andere wäre – schon rein betriebswirtschaftlich – eine ziemlich witzlose Investition. Die Haltung von SPD und Grünen ist in Wirklichkeit zutiefst wirtschaftsfeindlich und ebenso staatsgläubig. Die Menschen und die Wirtschaft selbst entscheiden zu lassen, das ist nicht das, was SPD und Grüne im Sinne haben. Vielmehr meinen diese Parteien, dass man die Menschen vor sich selbst und erst recht vor der Wirtschaft schützen und bewahren muss. In einer Marktwirtschaft, die zu Wohlstand und sozialem Frieden in unserem Land geführt hat, ist das eine Haltung, die schlicht nicht einleuchtet. Aber es geht SPD und Grünen auch nicht darum, etwas zu machen, was einleuchtend ist oder vernünftig. Es geht ihnen nur darum, krampfhaft Argumente zusammenzuschreiben, warum sie die Stiftung schlecht finden könnten. Da ist es dann auch egal, ob die Argumente zusammenpassen oder nicht. Die schwarz-gelbe Koalition hat hingegen Entscheidungen getroffen, die zusammenpassen und die den Erfolg der Stiftung sichern: – so wird ein Schuh draus – mit einem Stiftungskapital von 10 Millionen Euro und einem jährlichen Zuschuss von 205 000 Euro. Da müssen sich SPD und Grüne dann schon entscheiden: Finden sie die Stiftung ohnehin schlecht? Dann ist es wohl völlig unlogisch, zu beklagen, dass die Stiftung zu wenig Geld hat. Oder wollen sie mehr Geld für die Stiftung? Dann müssen sie aber erklären, warum der Steuerzahler Geld geben sollte für eine Institution, von der sie den Menschen gerade weismachen wollen, dass sie nichts tauge. Beides gleichzeitig zu kritisieren, passt hinten und vorne nicht zusammen. Einmal werfen Sie der Stiftung vor, sie sei nicht unabhängig, weil sie zu staatsnah sei. Da muss man die Frage stellen: Wieviel staatsnäher könnte es denn sein als bei einer staatlichen Vollfinanzierung? Die wollen Sie doch jetzt. Das heißt, SPD und Grüne wollen lieber ein politisch steuerbares Institut und eben keine unabhängige Stiftung. Die Möglichkeit der Stiftung, aus der Lizensierung der zu entwickelnden Zertifizierung sowie aus Zustiftungen und Spenden Einnahmen zu generieren, stärkt im Übrigen ihre Unabhängigkeit. Zumal die Satzung zweifelsfrei vorschreibt, dass durch die Annahme von Einnahmen keine Abhängigkeiten entstehen dürfen. Ich verrate den Kollegen Reichenbach und von Notz etwas: Sie dürfen jederzeit ihre Diäten ganz oder in Teilen der Stiftung Datenschutz spenden – oder der auch die Einnahmen, die Sie aus Ihrer Tätigkeit in Datenschutzbeiräten von Wirtschaftsunternehmen erzielen. Jetzt aber endlich zu den Grundrechenarten: Der Beirat der Stiftung Datenschutz besteht laut Satzung aus maximal 34 Mitgliedern. Davon sind 14 aus dem Bereich der datenverarbeitenden Branchen, nicht nur der Wirtschaft im Übrigen, sondern zum Beispiel auch der spendensammelnden Organisationen. Wenn ich jetzt 34 minus 14 rechne, dann komme ich auf 20, also 20 im Vergleich zu 14. Ich weiß jetzt nicht, wie SPD und Grüne normalerweise Mehrheiten verstehen, aber ich erkläre das gerne einmal: 20 ist größer als 14. Das heißt so viel wie: mehr. Es wird noch besser: Von diesen 20 gehen allein 3 Sitze an die Datenschutzbeauftragten: an ein Mitglied, das vom Bundesdatenschutzbeauftragten entsandt wird, an ein Mitglied, das von den Landesdatenschutzbeauftragten benannt wird, an ein Mitglied, das von den Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder – also nochmals von den Landesdatenschutzbeauftragten – benannt wird. Bleiben noch 17. Von diesen sind 9 vom Bundestag zu benennen, und zwar je nach Fraktionsstärke, sodass alle Fraktionen vertreten sind. Bleiben noch 6 übrig. Die verteilen sich auf den deutschen Anwaltverein, die öffentliche Verwaltung, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, die Kultusministerkonferenz, die Innenministerkonferenz und die Kirchen. Der Beirat ist – und zwar ganz bewusst und auch richtigerweise – keine Eins-zu-Eins-Nachbildung der Datenschutzkonferenz von Bund und Ländern: die haben wir schon, und der wollen wir mit der Stiftung auch keine Konkurrenz machen. Das wäre weder der Sache dienlich noch eine effektive Verwendung von Mitteln und Ressourcen. Der Beirat besteht zu weniger als der Hälfte der Mitglieder aus Vertretern von Branchen, die mit Daten zu tun haben, darunter auch die Wirtschaft, die ganz selbstverständlich, wie SPD und Grüne ja selbst feststellen, kein Interesse daran hat „in Fragen des Datenschutzes und vor allem der Datensicherheit hinter der guten fachlichen Praxis zurückzubleiben“. Der Beirat ist im Übrigen ein beratendes Gremium. In dem nach der Vorstellung der schwarz-gelben Koalition eigentlich alle Interessen gehört werden sollten. Dass wir die Interessen von SPD und Grünen dort jetzt nicht hören werden – tja, ob das für den Datenschutz in Deutschland gut oder schlecht ist, diese Entscheidung mag jeder selbst treffen. Jan Korte (DIE LINKE): Nachdem nach einer dreijährigen Hängepartie am 29. November, also vor genau zwei Wochen, die Bundesregierung und die sie tragende Koalition die von ihr stets als „Leuchtturmprojekt“ gepriesene Stiftung Datenschutz sehenden Auges an die Wand gefahren haben, sind Union und FDP nun eingeschnappt und spielen beleidigte Leberwurst. Nur zur Erinnerung: Sie waren es, die mit Ihrer verfehlten Konzeption dafür gesorgt haben, dass die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern und die Oppositionsfraktionen beschlossen haben, auf ihre Sitze im Beirat der Stiftung zu verzichten. Mittlerweile sind auch der Verbraucherzentrale Bundesverband und der TÜV ausgestiegen. Nur Sie haben offenbar den Aufprall noch nicht gehört. Wenn jetzt die Kollegen Mayer und Piltz erklären, schlechter Stil ersetze keine guten Konzepte, dann kann ich nur sagen, das trifft den Nagel auf den Kopf. Schlechter Stil war und ist es, wenn Sie eine Stiftung zusammenzimmern, bei der es vor Konstruktionsfehlern nur so kracht und von Unabhängigkeit keine Rede sein kann, und dann von den Datenschützern oder uns erwarten, wir würden bei dieser Mogelpackung auch noch mitmachen. Und von einem guten Konzept kann bei der Stiftung Datenschutz erst recht keine Rede sein. Wenn über die Hälfte des insgesamt 25-köpfigen Beirates vom BMI bestellte Vertreter von Wirtschaftsverbänden sind, ist die von allen Seiten immer wieder angemahnte notwendige Unabhängigkeit einfach nicht gegeben. Das ist doch klar. Und wenn Sie tatsächlich mehr Datensicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen würden, hätten Sie nicht nur für eine unabhängigere Besetzung dieses Gremiums, sondern auch für eine ganz andere finanzielle Ausstattung sorgen müssen. Ein Etat von knapp mehr als 250 000 Euro jährlich reicht doch hinten und vorne nicht, um ernsthaft arbeiten zu können. Was soll dieser politische Klamauk dann also? Die Kritik der Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder legt den Kern des Problems frei: Neben der fehlenden Klärung der Zusammenarbeit der Stiftung mit den Datenschutzaufsichtsbehörden ist Ihre Stiftung strukturell auf Gelder der Privatwirtschaft angewiesen. Eine unabhängige Aufgabenwahrnehmung ist bei einer wirtschaftsfinanzierten Stiftung, von der jeder annehmen muss, sie erstelle regelmäßig Gefälligkeitsgutachten für die Unternehmen, nicht möglich. Das begreift jeder, der an einer Stärkung des Datenschutzes in dieser Gesellschaft interessiert ist. Sind Sie beim Datenschutz schon so auf den neoliberalen Hund gekommen, dass Sie das nicht mehr erkennen? Warum auch immer Sie die von Beginn an aus allen Ecken geäußerte Kritik am Konzept einer BMI-hörigen, einseitig Wirtschaftsinteressen zugeneigten und viel zu dürftig ausgestatteten Veranstaltung stets ignoriert haben, bleibt jedenfalls Ihr Geheimnis. Wenn Sie ab und zu mal aus Ihrem ideologischen Elfenbeintürmchen hinausgeguckt hätten, wären selbst Ihnen vielleicht erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier Lichtlein aufgegangen. Viele hatten die Einrichtung einer Bundesstiftung Datenschutz in Leipzig im Prinzip begrüßt, ihre Umsetzung aber zu Recht kritisiert. Gegen das proklamierte Ziel, Produkte und Dienstleistungen auf Datensicherheit zu überprüfen und Internetnutzer zu unterstützen, kann auch niemand ernsthaft etwas einwenden. Eine solche Einrichtung kann, wenn man es richtig anpackt, bei den Bürgern Wissen und Kompetenz im Umgang mit ihren elektronischen Spuren im Internet und öffentlichen Leben stärken. Und das ist bitter notwendig. Umso bedauerlicher, dass Sie es einfach nicht richtig anpacken. Die ganze Geschichte der Stiftung Datenschutz ist ein Lehrstück in Sachen Unfähigkeit dieser schwarz-gelben Bundesregierung. Denn dass Sie es noch nicht einmal schaffen, Ihr letztes verbliebenes Datenschutzprojekt umzusetzen, obwohl es von allen politischen Akteuren im Prinzip unterstützt wird, spricht Bände. Nach dem vorläufigen Scheitern der Stiftung stellt sich nun die Frage, wie es weitergehen soll. Bislang sitzt die Bundesregierung in ihrem kaputten Spielzeug und schmollt. Noch war jedenfalls nicht in Erfahrung zu bringen, wie Sie aus der Nummer wieder herauskommen wollen und welche Konsequenzen Sie beispielsweise aus den bislang bekannt gewordenen Absagen für den Beirat der Stiftung ziehen. Grüne und SPD versuchen nun mit dem vorliegenden Antrag, Ihnen auf die Sprünge zu helfen. Selbstverständlich haben die Kolleginnen und Kollegen es auch diesmal versäumt, uns vorher zu fragen, ob wir uns daran beteiligen wollen. Das ist zwar kein fairer Zug, da Sie ja wissen, dass sich unsere Positionen in dieser Frage ziemlich nahe sind; aber über Ihren parteipolitischen Schatten werden sie wohl bis zum Ende dieser Legislaturperiode nicht mehr springen. Nichtsdestotrotz: Der Antrag ist inhaltlich sinnvoll. Vernünftiger wäre es aber vielleicht gewesen, wenn man die unabhängigen Datenschutzbeauftragten finanziell und personell stärken würde. Jedenfalls besser, als zu versuchen, dieser Bundesregierung zu helfen, ihr vermurkstes Spielzeug zu reparieren. Stärkung des Datenschutzes heißt eben in erster Linie nicht, zusätzliche Datenschutzeinrichtungen zu schaffen, sondern es heißt, die vorhandenen, also die unabhängigen Datenschutzbeauftragten effektiv und nachhaltig – und zwar finanziell, personell und rechtlich – zu stärken. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um es gleich am Anfang festzuhalten: Diese Regierung war und ist eine Regierung des Nichtstuns im Bereich der Bürgerrechte und des Verbraucherschutzes. Ja, sie ist sogar eine des Abbaus des Schutzniveaus in diesen Politikfeldern! Zum sich erfreulicherweise abzeichnenden Ende ihrer unglücklichen Koalition muss das mal protokollfest ausgesprochen werden. Der Reformbedarf ist durch ständige Fortentwicklungen nicht nur der Technik, sondern auch durch laufend veränderte Praktiken, etwa in Form von neuen Geschäftsmodellen und Angeboten im Web, unverändert hoch. Wer in diesen Feldern wenig oder gar nichts tut, erfüllt einen Unterlassungstatbestand und handelt schlicht fahrlässig. Nehmen Sie etwa nur das Beispiel der Videoüberwachung. Wenn heute Kameras intelligent werden und Bewegungsmuster als auch Gesichter automatisiert erkennen, dann ist das unmittelbar datenschutzrelevant. Die bestehenden Normen haben die damit verbundenen Probleme nicht im Blick und müssen insoweit dringend nachgebessert werden. Nur durch proaktive gesetzgeberische Tätigkeiten kann ein einigermaßen adäquates Schutzniveau erhalten werden. Es handelt sich deshalb um ein verbreitetes Missverständnis, das bedauerlicherweise auch in Bürgerrechtskreisen zum Teil noch anzutreffen ist: nämlich dass es beim Datenschutz mit einer reinen Abwehrhaltung getan wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Und ich wiederhole zur Stiftung, was ich hier im Plenum bereits im Juni feststellen musste: Niemand will das von Ihnen vorgestellte Konzept, Sie sind ganz allein zu Hause! Fast alle haben sich dagegen gewandt, jüngst sogar der TÜV. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sehen nicht nur keinen Mehrwert für den Datenschutz, sondern verzichten gleich auch noch auf die ihnen angebotenen Beiratssitze. Ähnlich eindeutig ist übrigens die Absage des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Als Opposition haben wir die Stiftung Datenschutz stets konstruktiv begleitet. Vor den jetzigen Entwicklungen haben wir Sie seit Monaten gewarnt. Sie haben sämtliche Warnungen stets in den Wind geschlagen und die Stiftung sehenden Auges an die Wand gefahren. Nun stehen Sie vor einem einzigen Scherbenhaufen. Nicht nur haben Sie die Stiftung, trotz gutwilliger Unterstützung von allen Seiten, nicht auf die politische Bahn bekommen. Durch das jetzige Konstrukt nehmen Sie sogar in Kauf, dass das bestehende, bewährte Datenschutzsystem umgangen, ja hintertrieben wird. Wer so agiert wie Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU, aber ganz besonders auch von der FDP, darf sich wirklich nicht wundern, dass ihn in diesem für unsere Bürgerrechte so wichtigen Bereich wirklich niemand mehr ernst nimmt. Und ich frage Sie angesichts dieses desaströsen Ergebnisses, wie eine solche Institution, neben allen anderen hier bereits ausführlich besprochenen Konstruktionsmängeln, auch nur ansatzweise in der Lage sein soll, die ihr zugewiesenen Aufgaben tatsächlich wahrzunehmen. In Opposition zu allen anderen anerkannten Akteuren in diesem Feld? Die Wahrheit lautet ganz schlicht und einfach: Sie wissen es nicht, und Sie wollen es auch nicht mehr wissen. Mit der Stiftung gehen Sie jetzt „mit dem Kopf durch die Wand“, weil es das Einzige ist, was Ihnen übrig bleibt, meine Damen und Herren von der Koalition. Ihre Bilanz im Bereich des Datenschutzes weist nämlich ansonsten nicht ein einziges fertiggestelltes Projekt auf, und diese armselige Bilanz versuchen Sie mit der Stiftung jetzt zu kaschieren. Anstatt endlich alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und auf ihre Wünsche und Ängste einzugehen, anstatt endlich die Finanzierung der Stiftung und ihre Unabhängigkeit sicherzustellen, anstatt endlich die zahlreichen Absagen ernst zu nehmen und die massiven Fehler, die Sie in Sachen Stiftung gemacht haben, einzugestehen, anstatt dass Sie endlich das Ziel verfolgen, einen tatsächlichen Neustart in Sachen Stiftung zu initiieren, machen Sie nun das genaue Gegenteil: Sie sind offenbar tatsächlich entschlossen, so war es zumindest den Medien dieser Tage zu entnehmen, die Stiftung in dieser Form ihre Arbeit aufnehmen zu lassen. Dem Grundrechteschutz der Bürgerinnen und Bürger erweisen Sie mit diesem Vorgehen nicht nur einen Bärendienst, Sie stellen sich darüber hinaus selbst ein Zeugnis darüber aus, wie wichtig Ihnen als Koalition der verfassungsrechtlich garantierte Schutz der Bürgerrechte tatsächlich ist. An der derzeitigen Zusammensetzung des Beirats kann man eindrücklich erkennen, wer sich durchsetzt, wenn es bei Ihnen darum geht, wem welcher Stellenwert zugesprochen wird. Einmal mehr musste der Verbraucher- und Datenschutz der Bürgerinnen und Bürger hinter vermeintlichen Wirtschaftsinteressen hinten anstehen. Ich spreche an dieser Stelle explizit von „vermeintlichen“ Wirtschaftsinteressen, weil ich der festen Überzeugung bin, dass Sie mit Ihrem Vorgehen auch der Wirtschaft keineswegs helfen. Sie haben immer noch nicht verstanden, dass hohe Datenschutzstandards heute die Grundvoraussetzung für die Akzeptanz der Nutzerinnen und Nutzer sind und die Implementierung hoher Standards tatsächlich eine riesige Chance für die deutsche Wirtschaft darstellt. Unser gemeinsam mit der SPD heute vorgelegter Antrag zur Stiftung Datenschutz erläutert Ihnen noch einmal die entscheidenden Zutaten für eine richtig verstandene Stiftung Datenschutz, die in der Lage ist, ihrem Namen auch tatsächlich gerecht zu werden. Das alles ist zwar nicht neu, wir hatten es in zahlreichen Debatten bereits dargelegt. Doch es erscheint sinnvoll, jetzt, rechtzeitig vor Aufnahme der Arbeit der von der Koalition gebastelten Stiftung, Sie noch einmal mit Nachdruck daran zu erinnern, was die Stiftung eigentlich mal leisten sollte, was sie tatsächlich leisten könnte. Im Kern ging und geht es um die Etablierung eines Gütesiegel- und Auditierungsmarktes für datenschutzrechtlich einwandfreie Produkte und Verfahren auch auf Bundesebene. Der Mehrwert für Unternehmen als auch Verbraucher ist bekannt und unstreitig. Einzelne Bundesländer wie Schleswig-Holstein gehen ja bereits mit gutem Beispiel voran. Der Gesetzgeber selbst verweist in § 9 a Bundesdatenschutzgesetz ausdrücklich auf die Schaffung entsprechender gesetzlicher Grundlagen. Sie sind die notwendige Voraussetzung dafür, dass das Verhältnis entsprechender Angebote zum ordnungsrechtlichen Rahmen rechtssicher abgegrenzt werden kann. Es ist insofern überhaupt nicht nachvollziehbar, weshalb die Bundesregierung hierzu nichts vorlegen will. Damit ein solches freiwilliges Angebot für die Unternehmen als auch Verbraucher gleichermaßen wirken kann, braucht es Vertrauen. Sonst wird es keine Nachfrage geben. Die beste Art, dieses Vertrauen zu bekommen, liegt in der unabhängigen Ausgestaltung der Vergabestelle selbst. Auch soweit man dabei nicht dem bestehenden unabhängigen Aufsichtssystem ins Gehege kommen oder gar dahinter zurückfallen möchte, gibt es keine überzeugende Alternative zur Unabhängigkeit. Dies gilt sowohl gegenüber der Exekutive als auch gegenüber der Privatwirtschaft selbst. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder verfügen bereits über umfängliche Erfahrungen im Bereich von Siegeln und Auditierungen. Es macht schlicht keinen Sinn, nun an diesen vorbei Standards etablieren zu wollen, die dann womöglich in einem aufsichtsbehördlichen Verfahren keinen Bestand hätten. Damit würde man auch den Unternehmen Steine statt Brot geben. Man kommt also gar nicht drum herum, den bestehenden Datenschutzbehörden einen ganz maßgeblichen Einfluss bei der Ausgestaltung einer entsprechenden Institution einzuräumen. Neben dieser zentralen Aufgabe einer Stiftung Datenschutz lassen sich weitere Aufgaben denken, wenn diese einen echten Mehrwert mit Blick auf die laufende Modernisierung des Datenschutzes bieten und nicht im bestehenden Aufsichtssystem erfüllt werden können. Hinsichtlich eines möglichen Bildungsauftrages ist dies angesichts der parallelen Zuständigkeiten der Aufsichtsbehörden, aber auch angesichts anderweitiger bestehender Strukturen wie zum Beispiel der Bundeszentrale für politische Bildung nur sehr begrenzt sinnvoll. Bedeutsam hingegen könnte eine unterstützende Funktion im Bereich der Forschung sein. Datenschutz durch Technik ist und bleibt ein wichtiges Modernisierungsziel. Hier fehlt es an einer die Projektlandschaft, Fraunhofer etc., überblickenden und unabhängigen Stelle, die auch gezielt selbst als Drittmittelgeber auftreten und selbst Impulse geben könnte. Der Unterschied unseres Konzepts zu dem in Kürze startenden Regierungskonzept dürfte summa summarum recht einfach erklärbar sein: Uns geht es um den Erhalt und die Effektivierung des durch unsere Grundrechtsordnung fest in unserer Gesellschaft verankerten Datenschutzes. Der schwarz-gelben Bundesregierung aber geht es allein um eine Alibi- und Feigenblattveranstaltung, weil sie zwar politisch den Handlungsdruck im Feld des Datenschutzes wohl langsam erfasst, leider aber, durch ideologische Scheuklappen beschränkt, den Datenschutz immer noch und allein in den Kategorien von Wirtschaftshemmnis und Bürokratiekosten zu denken imstande ist. Diese Politik belastet nicht nur die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, sondern mittlerweile auch unseren auf Rechtssicherheit und zeitgemäße rechtliche Rahmen angewiesenen Wirtschaftsstandort. Das ist mehr als bedauerlich. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11825 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen. Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Seehandelsrechts – Drucksache 17/10309 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/11884 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Stephan Harbarth Ingo Egloff Marco Buschmann Jens Petermann Ingrid Hönlinger Wiederum sind die Reden zu Protokoll gegeben. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Das bisher geltende Seehandelsrecht basiert in weiten Teilen auf überkommenen, aus dem 19. Jahrhundert, mitunter sogar aus dem Mittelalter stammenden Rechtsgrundlagen. Rechtsinstitute wie Partenreederei oder das Verklarungsverfahren haben im Laufe der Zeit an Bedeutung verloren. Sie werden der Praxis der modernen maritimen Wirtschaft nicht mehr hinreichend gerecht. Allerdings waren bisher noch einige wichtige Fragen offen. Im Rahmen des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens fand am 24. Oktober 2012 eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen zu dem Gesetzentwurf statt. Die überwiegende Zahl der Sachverständigen sprach sich für die vorgelegte Reform des Seehandelsrechts aus. Zahlreiche problematische Fragen des Gesetzesvorhabens wurden intensiv erörtert. Mit dem von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Änderungsantrag – Bundestagsdrucksache 17/6224 – haben wir notwendige Änderungen am Gesetzentwurf vorgenommen, die sich aus dieser Anhörung ergeben haben. Im Einzelnen geht es bei der vorgesehenen Reform darum, das deutsche Recht den Erfordernissen des internationalen Wettbewerbs anzupassen. Der Gesetzentwurf soll maßgeblich die einschlägigen Vorschriften für die Frachtschifffahrt und die Personenschifffahrt modernisieren und somit den Standort Deutschland in seehandelsrechtlicher Hinsicht stärken. Die Zahl seehandelsrechtlicher Vorschriften soll auf etwa die Hälfte reduziert werden. Der Gesetzentwurf trifft zugleich Vorsorge dafür, dass Entschädigungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes künftig verschuldensunabhängig gezahlt werden. Die Haftungshöchstbeträge sollen deutlich angehoben werden, von derzeit 164 000 Euro auf 468 000 Euro. Die Zahl der Unfälle in der Schifffahrt ist indes sehr gering, was sich bei der Berechnung von Versicherungsprämien auswirkt. Mit den Anpassungen an die digitale Realität leisten wir einen sehr wichtigen Beitrag zur Stärkung des deutschen Seehandels. Ich danke an dieser Stelle den Mitgliedern der vom Bundesministerium der Justiz im Jahre 2004 eingesetzten Sachverständigengruppe zur Reform des Seehandelsrechts für ihre guten und wichtigen Vorarbeiten, auf denen der Gesetzentwurf basiert. Ingo Egloff (SPD): Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetzentwurf und dem Änderungsantrag der Regierungskoalition zu. Wir sind nach der Durchführung der öffentlichen Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss zu der Überzeugung gelangt, dass Vorarbeiten der Sachverständigengruppe zu einer grundlegenden Reform des Seehandelsrechts, die von der damaligen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries im Jahr 2004 eingesetzt wurde, unter Berücksichtigung vereinzelter Änderungsvorschläge weitgehend erfolgreich zum Abschluss gebracht werden konnten. Der Änderungsantrag der Koalition enthält überwiegend redaktionelle Änderungen und Verbesserungen, greift aber auch einzelne Anregungen aus der Sachverständigenanhörung auf. Wir begrüßen hier insbesondere die Umsetzung der Forderung, dass binnenschifffahrtsrechtliche Verklarungsverfahren, also die Beweisaufnahme nach einem Schiffsunfall, durch einen Richter und nicht mehr durch einen Rechtspfleger durchgeführt werden sollen. Der Entwurf stößt auch bei den beteiligten Kreisen grundsätzlich auf Zustimmung. Die Spediteure sehen zwar Probleme mit der sogenannten Containerklausel in § 504 Abs. 1 Satz 2 HGB-E: Die Haftungssumme richtet sich danach nach der in den Begleitpapieren angegebenen Verpackungseinheit. Pro Einheit gilt eine gesetzlich festgelegte Haftungssumme. Da die Zollbestimmungen inzwischen die Angabe der Palettenanzahl nicht mehr genügen lassen, sondern die kleinere Einheit angegeben werden muss – 200 Kartons pro Palette –, führt diese Stückhaftung zu einer Ausweitung der Haftung. Das ist unbefriedigend. Auch der Änderungsantrag schafft hier keine Abhilfe. Wir wissen, dass die Containerklausel nicht abänderbar ist, ohne sich von den international üblichen Regelungen zu entfernen, was zur Folge hätte, dass deutsches Recht abbedungen wird. Weil dies nicht sinnvoll erscheint, kann eine Lösung des Problems nur außerhalb des Handelsrechts gefunden werden, etwa im Zollrecht. Marco Buschmann (FDP): Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Seehandelsrechts stellt die Weichen für ein modernes und an der Praxis orientiertes Seehandelsrecht. Das ist das Ergebnis der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses: denn der Entwurf fand unter den dort benannten Sachverständigen breiteste Zustimmung. Der Gesetzentwurf fasst das Fünfte Buch des Handelsgesetzbuches insgesamt neu. Er sieht zudem eine deutliche Reduzierung der seehandelsrechtlichen Vorschriften vor. So werden etwa die Partenreederei als Gesellschaftsform des Seehandelsrechts und das Verklarungsverfahren, das heißt die eidesstattliche Erklärung des Kapitäns nach einem Schiffsunfall, vollständig abgeschafft. Diese Rechtsinstitute sind lange überholt und haben im modernen Seehandelsrecht keinen Platz mehr. Lassen Sie mich einzelne Punkte herausgreifen: Der Entwurf regelt erstmals den häufig genutzten Seefrachtbrief und die Verwendung elektronischer Beförderungsdokumente für Stückgutfrachtverträge. Die Beförderungsverträge, also Seefrachtverträge und Personenbeförderungsverträge, sowie die Schiffsüberlassungsverträge werden im zweiten und dritten Abschnitt geregelt. Letztere stehen daher systematisch gleichberechtigt neben den Beförderungsverträgen. Neu geregelt werden hier vor allem die höchst praxisrelevanten Schiffsmietverträge – Bareboat-Charter – und der Zeitchartervertrag. Die Haftung des Verfrachters richtet sich auch weiterhin nach dem Protokoll vom 23. Februar 1968 zur Änderung der Haager Regeln – „Visby-Regeln“. Abweichungen ergeben sich jedoch für nautisches Verschulden, also die Haftung des Verfrachters für einen von der Schiffsbesatzung bei der Führung oder der sonstigen Bedienung des Schiffes verschuldeten Schaden, sowie bei verschuldetem Feuer an Bord des Schiffes. Hier kann der gesetzliche Haftungsausschluss des Verfrachters allerdings mit Blick auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen von 2008 über Verträge über die internationale Beförderung von Gütern ganz oder teilweise auf See – „Rotterdam-Regeln“ – nicht aufrechterhalten bleiben. Um im Wettbewerb der Rechtsordnungen hier keinen Nachteil für das deutsche Recht zu begründen, ist es den Vertragsparteien unbenommen, einen solchen Haftungsausschluss untereinander, auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, zu vereinbaren. Der Gesetzentwurf regelt erstmalig die Rechtsfigur des „ausführenden Verfrachters“. Dazu zählt nach § 509 HGB-E jeder Dritte, der die Seebeförderung ganz oder teilweise ausführt, wie etwa Hafenumschlagsbetriebe. Der ausführende Verfrachter haftet wie der Verfrachter. Er haftet folglich künftig den Ladungsbeteiligten nach §§ 509, 498 HGB-E, wobei der Vorteil der Haftungsbegrenzung des Verfrachters nach § 504 HGBE ebenfalls für ihn gilt. Besonders tragische Vorfälle wie der Unfall der „Costa Concordia“ verdeutlichen, wie wichtig eine ausgewogene Haftung und eine schnelle und unbürokratische Zahlung für Personenschäden ist. Der Gesetzentwurf trägt dazu bei, indem er die Personenbeförderungsverträge in den §§ 536 HGB-E ff. neu regelt und für Personenschäden eine verschuldensunabhängige Haftung normiert. Zusätzlich steigen die Haftungshöchstbeträge deutlich von 164 000 Euro auf 468 000 Euro. Insgesamt sind damit die Bestimmungen über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See an die Verordnung (EG) Nr. 392/2009 über die Unfallhaftung von Beförderern von Reisenden auf See angeglichen. Darüber hinaus stellt der Gesetzentwurf sicher, dass dieses hohe Schutzniveau auch auf Schiffsbeförderungen Anwendung findet, die nicht unter die EG-Verordnung fallen wie etwa die nationale Küstenschifffahrt und die Binnenschifffahrt. Daher empfehle ich dem Haus, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Herbert Behrens (DIE LINKE): Das Seehandelsrecht wird endlich grundlegend reformiert und modernisiert. Das ist gut und richtig; denn wie im Gesetzentwurf selbst erkannt, ist das deutsche Seehandelsrecht veraltet und schwer verständlich. Die Novelle schafft unter anderem die rechtlichen Voraussetzungen für elektronische Frachtdokumente und regelt einige Haftungsfragen neu. Die Zahl seehandelsrechtlicher Vorschriften sollte auf ungefähr die Hälfte reduziert werden. Nach der parlamentarischen Beratung und der öffentlichen Anhörung zum 24. Oktober im Rechtsausschuss wurde eines deutlich: Moderner wird unser Seehandelsrecht, aber es bleibt genauso schwer verständlich. Der 248-seitige Gesetzentwurf, den Sie uns im Mai diesen Jahres vorgelegt haben, wurde in der parlamentarischen Beratung zwar auf 145 Seiten eingedampft, aber vor sechs Tagen mit einem 119-seitigen Änderungsantrag der Koalitionsfraktion zum eigenen Regierungsentwurf wieder ergänzt. Seit gestern liegt uns dazu auch der 130-seitige Bericht des Rechtsausschusses vor. Der Prozess der Überarbeitung des Seehandelsrechts hat sich hingegen über acht Jahre hingezogen und ist das Ergebnis der noch durch Bundesministerin Zypries 2004 eingesetzten Sachverständigengruppe. 2009 war diese Gruppe fertig mit ihren Beratungen; doch anscheinend hat die Regierung drei Jahre gebraucht, die Ergebnisse zu lesen. Dem Parlament blieb für ihre 119-seitigen Änderungen nicht mal eine Woche. Doch wofür wird dieser Aufwand eigentlich betrieben? Von den Regierungsfraktionen wird immer wieder betont, dass die deutsche Handelsflotte zu den größten weltweit gehört, und die Wichtigkeit unterstrichen. In der Tat gehören aktuell 3 587 Schiffe deutschen Eignern, doch die wenigsten davon fahren unter deutscher Flagge. Doch für die Haftungsfragen der Frachtverträge ist nur wesentlich, welche Schiffe unter deutscher Flagge und damit unter deutschem Recht fahren. Dies gilt für maximal für 335 Frachter und 119 sonstige Handelsschiffe – Stand 30. November 2012 –, sofern sie kein anderes Handelsrecht vereinbart haben. Es ist nämlich ein dispositives Recht. Es steht den Vertragsparteien frei, auch etwas anderes zu vereinbaren. Davon wird auch häufig Gebrauch gemacht; denn unser Seehandelsrecht ist so kompliziert, dass ein Streitfall oft nur mit richterlicher Rechtsfortbildung gelöst werden kann. Die praktische Bedeutung des deutschen Seehandelsrechts ist dadurch minimal. Wie schon in der ersten Lesung am 27. September im Parlament betont, war man international wieder einmal schneller als Deutschland und hat bereits Ende 2008 eine „UN-Konvention über Verträge über die internationale Beförderung von Gütern ganz oder teilweise auf See“ verabschiedet, die sogenannten Rotterdam-Regeln. Mit diesen Regeln sollte ein modernes und international einheitliches Seefrachtrecht ermöglicht werden. Doch dieses Abkommen ist nicht in Kraft, weil die unterzeichneten Staaten das Abkommen nicht ratifiziert haben. Deutschland aber hat diese Konvention noch nicht einmal unterzeichnet. In Ihrer Begründung heißt es: „Von einer vollständigen Einarbeitung der Rotterdam-Regeln in das Handelsgesetzbuch soll dagegen abgesehen werden. … Eine Entscheidung über eine Ratifikation macht aber erst dann Sinn, wenn absehbar ist, dass sie völkerrechtlich in Kraft treten und zu den Vertragsparteien wichtige Seehandelsnationen der Welt zählen werden.“ Die Regeln wurden zwar bereits von 24 Staaten gezeichnet, aber bislang lediglich von zwei Staaten ratifiziert. Sie können jedoch völkerrechtlich erst in Kraft treten, wenn es mindestens 20 sind. Doch jeder wartet auf den anderen, und niemand möchte den ersten Schritt machen, nach dem Motto: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Die „Deutsche Verkehrs-Zeitung“, DVZ, kommentierte, mit dem Entwurf des neuen Seehandelsgesetzes gehe Deutschland einen Sonderweg und koppele sich damit von der internationalen Rechtsentwicklung ab. Stattdessen orientiert sich die Neufassung in Ihrer Modernisierung an einem internationalen Abkommen vom 25. August 1924 – die sogenannten Haager Regeln – sowie einer Änderung vom 23. Februar 1968 und bremst das Inkrafttreten neuer internationaler Regeln wieder einmal aus. Darin enthalten sind zum Beispiel Regelungen, nach der der Verfrachter eine Haftung für nautisches Verschulden der Besatzung oder Feuer an Bord einfach ausschließen kann. Dies soll offiziell zwar abgeschafft werden, darf aber durch die Hintertür in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beförderer doch wieder ausgeschlossen werden. Damit bleibt es faktisch beim Alten. Wir hatten bereits bei der ersten Lesung darauf hingewiesen, dass das neue Gesetz zum Seehandelsrecht kein Verweis auf das Seearbeitsübereinkommen enthält, obwohl beide Gesetzesgrundlagen gerade grundlegend überarbeitet wurden. In §§ 476 bis 480 zu dem Abschnitt „Personen der Schifffahrt“ gehört hier zwingend der Verweis auf die geltenden Vorschriften des Seearbeitsübereinkommens hinein. Wir hoffen, das haben Sie zwischenzeitlich aufgenommen. Abschließend möchte ich meinen Appell wiederholen, das Seehandelsrecht an den zukünftigen internationalen Regeln auszurichten. Ihr Zögern bei der Übernahme der Rotterdamer Regeln haben Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wiederholt damit begründet, dass Deutschland ja sonst internationale Verpflichtungen eingehen würde, die andere erst etwas später treffen, und unsere Reeder dann leichte Wettbewerbsnachteile hätten, bis sich das Abkommen durchsetzt. Das ist keine inhaltliche Argumentation. Mit dieser Logik könnten sich doch nie rechtliche Verbesserungen international durchsetzen. Wir erwarten von der deutschen Bundesregierung bei einer grundlegenden Überarbeitung hier keine rückwärtsgewandte Politik, sondern ein Voranschreiten. Daher werden wir uns bei diesem Gesetzentwurf zur Neufassung des Seehandelsrechts der Stimme enthalten. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Abschließend wird heute über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Seehandelsrechts beraten. Der Gesetzentwurf macht viele alte Regelungen im Handelsgesetzbuch hinfällig. Viele Regelungen des bisher bestehenden deutschen Rechts gehen noch auf das Zeitalter der Segelschifffahrt zurück. Es besteht dringender Handlungsbedarf. 2004 wurde vom Justizministerium eine Sachverständigengruppe eingesetzt, die ihre Arbeit 2009 beendet hatte. Erst 2012, also nach acht Jahren, kam es endlich zur Vorlage eines Gesetzentwurfs. Insgesamt waren die Beratungen in den Ausschüssen konstruktiv und sachlich. Das kommt bei Gesetzesvorlagen von Schwarz-Gelb selten genug vor. Wir sind der Auffassung, dass es sich bei dem Gesetzentwurf zur Reform des Seehandelsrechts um einen zustimmungswerten Antrag handelt. Im Prinzip ist das Gesetzesvorhaben gelungen und stellt einen Mehrwert für die maritime Wirtschaft und die Logistikbranche dar. Auch mit dem Gesetzentwurf ist die dringend notwendige gesamte Neufassung des Bereichs Seehandel im Handelsgesetzbuch noch nicht abgeschlossen. In einigen Jahren, wenn die sogenannten Rotterdam Rules ratifiziert sind, wird alles nochmals von vorne angegangen werden müssen. Daher ist das Seehandelsrecht in seiner heute beschlossenen Fassung nur eine Übergangslösung. Gerade die Rotterdam Rules stellen die logische Konsequenz für die Seeschifffahrt dar; sie sind in vielen Fällen konkreter und detaillierter. Daher mein Appell an die Bundesregierung: Werben Sie auf internationaler Ebene für eine zügige Ratifizierung der Rotterdam Rules. In der global agierenden Seeschifffahrt müssen möglichst harmonisierte Lösungen gesucht werden. Da die Seeschifffahrt rund 90 Prozent des interkontinentalen Warenverkehrs abwickelt, sind harmonisierte rechtliche Rahmenbedingungen vorteilhaft. Selbstverständlich muss gleichzeitig auf die regionalen Belange Rücksicht genommen werden. Wichtige Seefahrtsnationen haben die Zeichen der Zeit erkannt und die Rotterdam Rules bereits unterzeichnet. Darunter sind die USA, Norwegen, Dänemark, Griechenland, Frankreich, die Niederlande und Spanien. Es würde Deutschland gut anstehen, hier zügig mit der Zeichnung und Ratifizierung nachzuziehen. An dieser Stelle hätte ich von der Bundesregierung schon etwas mehr Mumm erwartet! Während der Beratungen hat der Gesetzentwurf durch die Abgeordneten und Experten viel Lob erhalten. Allerdings fielen auch einige Kritikpunkte, die die Bundesregierung ignoriert hat. So gab es noch vor einer Woche durch die Koalition einen eilig eingereichten Änderungsantrag zum neuen Seehandelsrecht. Ich dachte schon, jetzt zeigt sich die Koalition sensibel und greift die Kritikpunkte der Opposition oder der vom Rechtsausschuss eingeladenen Experten nochmals auf. Doch stattdessen wurden lediglich redaktionelle Änderungen eingebaut. Wenn schon ein Expertengespräch durchgeführt wird, sollten die Beiträge wenigstens entsprechend ernst genommen werden. Viele der Hinweise der geladenen Expertinnen und Experten hätte man nutzen können, um weitere Verbesserungen im Gesetz zu verankern. Trotz dieser Mängel werden wir den Gesetzentwurf in der nun vorliegenden Form mittragen, da er insgesamt eine deutliche Verbesserung gegenüber dem bisherigen Recht darstellt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11884, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10309 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, der möge das Handzeichen geben. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung des übrigen Hauses ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, erhebe sich bitte. – Die Gegenstimmen! – Die Enthaltungen! – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Tagesordnungspunkt 27: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jens Petermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Berichts- und Zustimmungspflicht für Amtshilfe- und Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Inneren – Drucksachen 17/4884, 17/11214 – Berichterstattung: Abgeordnete Anita Schäfer (Saalstadt) Fritz Rudolf Körper Burkhardt Müller-Sönksen Paul Schäfer (Köln) Omid Nouripour Die Reden sind auch hier zu Protokoll genommen. Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Bereits bei der Einbringung des Antrags der Linken zur Schaffung einer Berichts- und Zustimmungspflicht für Leistungen der Bundeswehr im Innern nach Art. 35 Grundgesetz gegenüber dem Bundestag haben Redner aller anderen Fraktionen eingehend und in seltener Eintracht die darin enthaltenen Unterstellungen, Ungereimtheiten und Unmöglichkeiten dieses Begehrens dargestellt: Unterstellungen wie die, dass mit solchen Einsätzen die Öffentlichkeit an das Auftreten der Bundeswehr im Innern gewöhnt werden solle – obwohl die Bundeswehr aufgrund von Truppenreduzierungen und Standortschließungen immer mehr aus der Öffentlichkeit verschwindet, und die fraglichen Hilfeleistungen von den Ländern und Landkreisen angefragt werden, nicht von der Bundesregierung angeordnet. Ungereimtheiten wie die, dass ein etwa verfassungs-widriger Einsatz auch nicht durch Zustimmung des Bundestages verfassungsgemäß würde – zumal die von der Linken als Beispiel angeführte Amtshilfe beim G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm, die angeblich bei Befassung des Bundestages nicht stattgefunden hätte, vom Bundesverfassungsgericht gerade nicht gerügt worden ist. Und Unmöglichkeiten wie die, dass der Bundestag beispielsweise das Hilfeersuchen eines Landkreises an der Oder einem parlamentarischen Entscheidungsgang unterwerfen sollte, während Deiche brechen, Dörfer überflutet werden, Hab und Gut und nicht zuletzt Menschenleben in Gefahr geraten. An diesen Feststellungen hat sich seither nichts geändert. Geändert hat sich allerdings eines: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 3. Juli dieses Jahres grundsätzlich auch die Möglichkeit zur Verwendung militärischer Waffen in Ausnahmesituationen nach Art. 35 eingeräumt, dies aber nur unter engen Voraussetzungen, wie sie auch in Art. 87 a Abs. 4 des Grundgesetzes für Inneneinsätze geregelt sind. Im Übrigen gilt etwa im Hinblick auf die Bedrohung durch entführte Flugzeuge weiterhin das Urteil des Verfassungsgerichts vom Februar 2006, das die Regelungen des rot-grünen Luftsicherheitsgesetzes zum Abschuss vollbesetzter Passagiermaschinen für unzulässig erklärt hat. Wir bewegen uns hier also in einem wohldefinierten Bereich dessen, was die Bundeswehr im Innern darf und nicht darf. Es ist bekannt, dass die CDU/CSU-Fraktion dies gerade im Hinblick auf die Abwehr schwerer terroristischer Bedrohungen lieber in der Verfassung selbst geregelt hätte, um Klarheit zu schaffen; auch was die Gefahr betrifft, die beispielsweise von gekaperten Gefahrgutschiffen innerhalb der deutschen Hoheitsgewässer ausgehen könnte. Fakt ist aber, dass es sicherlich kein Zuviel an Kompetenzen für den Inneneinsatz der Bundeswehr gibt, die nun im Einzelfall vom Bundestag überwacht und eingehegt werden müssten. Sofern im Fall des Art.35 Einspruchsmöglichkeiten der Legislative erforderlich sind, liegen diese wie schon einmal dargestellt beim Bundesrat als Vertretung der Länder. Im Falle des Art. 87 sind die Rechte des Bundestags ohnehin schon geregelt. Soldaten der Bundeswehr haben in den vergangenen Jahrzehnten in ungezählten Fällen Hilfe im Innern geleistet. Bei Flutkatastrophen, Waldbränden und schweren Zugunglücken haben die Streitkräfte technische Mittel und Manpower zur Verfügung gestellt. Sie haben mit den Wärmebildgeräten von Tornado-Aufklärern nach Vermissten gesucht und auch sonst in vielen Fällen Polizei und Hilfsorganisationen mit speziellen Fähigkeiten unterstützt. Ja, das sind keine originären Aufgaben der Bundeswehr, sondern zuerst die der zivilen Organisationen des Katastrophenschutzes. Ich will auch keinesfalls die hauptamtlichen und vielen, vielen ehrenamtlichen Helfer von Polizei, Rettungsdiensten, Feuerwehren und THW vergessen, für die dies ihr tägliches Geschäft: ist. Wir können dankbar sein, dass sich so viele Menschen in diesem Bereich engagieren und Deutschland damit zu einem der besten Katastrophenschutzsysteme der Welt verhelfen. Das heißt aber nicht, dass wir die ohnehin vorhandenen Fähigkeiten der Bundeswehr nicht nutzen, wenn in Ausnahmesituationen alle zur Verfügung stehenden Mittel gebraucht werden. Deswegen sollte unser Dank auch den Zehntausenden Soldaten gelten, die in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundesrepublik Menschen aus Gefahr für Leib und Leben gerettet haben. Das die Linke diese Leistungen in ihrem Antrag mit keiner Silbe zu erwähnen für nötig befunden hat, habe ich bereits bei der Einbringung festgestellt. Ich habe auch seither keine Silbe dazu gehört. Es bleibt dabei, meine Damen und Herren von der Linken, dieser Antrag ist allein motiviert von Ihrer Ablehnung der Bundeswehr und all dessen, was sie tut, selbst wenn es sich um Hilfe für ganz konkret bedrohte Menschen handelt. Deswegen lehnen wir ihn, wie ich denke, in breiter Übereinstimmung aller Fraktionen außer Ihnen in diesem Haus, heute hier ab. Fritz Rudolf Körper (SPD): Aus den Zielen der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik leitet sich die Hilfeleistung der Bundeswehr im In- und Ausland ab. Hilfeleistungen im Inland sind integraler Bestandteil der territorialen Aufgaben der Bundeswehr, die bereits im Frieden wahrzunehmen sind. Das Grundgesetz gibt den rechtlichen Rahmen für Verwendungen der Streitkräfte vor. Die Bundeswehr schützt danach Deutschland vor militärischen Angriffen, die grundsätzlich von anderen Staaten ausgehen. Dieser Verteidigungsauftrag ist aus verfassungsrechtlicher Sicht der Primärauftrag der Streitkräfte und die eigentliche „raison d’être“. Für die innere Sicherheit, also für die Bekämpfung jeder Form von Kriminalität, ist die Polizei von Bund und Ländern zuständig. Diese Aufgabe obliegt grundsätzlich den Ländern. Auch die Abwehr terroristischer und anderer asymmetrischer Bedrohungen innerhalb Deutschlands ist zunächst Aufgabe der für die innere Sicherheit zuständigen Behörden der Länder sowie des Bundes. Die Bundeswehr kann zu ihrer Unterstützung mit den bei ihr verfügbaren Kräften und Mitteln technische Amtshilfe leisten. Die Inanspruchnahme hoheitlicher Zwangs- und Eingriffsbefugnisse ist hierbei ausgeschlossen. Neben dieser technischen Amtshilfe ist heute Art. 35 Abs. 2 und Abs. 3 des Grundgesetzes die entscheidende Norm der Verfassung, die zwar keinen eigenen Einsatz der Streitkräfte legitimiert, aber doch Unterstützungsleistungen der Streitkräfte im Rahmen der Amtshilfe erlaubt. Danach dürfen die Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte der Länder eingesetzt werden, wenn dies zur wirksamen Bekämpfung einer Naturkatastrophe unmittelbar erforderlich ist. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz besagt: „Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes [jetzt Bundespolizei] und der Streitkräfte anfordern.“ Damit wirkt die Bundeswehr beim Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen Bedrohungen genauso mit wie in der Hilfeleistung für die zuständigen zivilen Stellen bei der Bewältigung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen. Hinzu kommen Hilfeleistungen für die in Deutschland stationierten Streitkräfte von Bündnispartnern, Hilfeleistungen im Zuge der dringenden Nothilfe und der gegenseitigen Amtshilfe der Behörden des Bundes und der Länder sowie Unterstützungen Dritter. Die Bundeswehr stellt Hilfeleistungen in Form von fähigkeitsbezogenen Kräften und Mitteln stets subsidiär insoweit und solange bereit, als zivile Ressourcen nicht zur Verfügung stehen. Unabhängig von der Art werden Anträge zur Hilfeleistung bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen auf dem territorialen Führungsstrang der Bundeswehr mindestens bis zur Ebene der Landeskommandos geführt. Die Befehlshaber der 15 Landeskommandos stellen die erste Entscheidungsebene bei den Verfahren zu Amtshilfe und zu Hilfeleistungen bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen dar. Abhängig von der Art der jeweils angeforderten Hilfeleistung kann sich die Entscheidungsebene des jeweiligen Antrags über das Kommando für territoriale Aufgaben der Bundeswehr, neu aufgestellt ab 1. Januar 2013, bisher Streitkräfteunterstützungskommando, bis hin zum Bundesministerium der Verteidigung verschieben. Fordert beispielsweise ein Landrat im Zuge eines großflächigen Waldbrandes luftgebundene Löschkapazität über sein zuständiges Kreis- oder Bezirksverbindungskommando an, so wird der Antrag über das Landeskommando bis zum Kommando für territoriale Aufgaben hinauf geleitet, wo durch den Nationalen Territorialen Befehlshaber über den Einsatz von Luftfahrzeugen der Bundeswehr zur Hilfeleistung bei Naturkatastrophen entschieden wird. Die im Antrag der Fraktion Die Linke geforderte gesetzliche Änderung ist aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion angesichts der klaren und eindeutigen Regelung, wie sie bisher vorgesehen ist, nicht notwendig. Die Trennung der Aufgaben zwischen Polizei – innere Sicherheit – und Bundeswehr – äußere Sicherheit – ist gut geregelt. Dies gilt auch für das Amtshilfeverfahren bei Einsätzen der Bundeswehr im Innern. Jederzeit zulässig sind Hilfsmaßnahmen der Streitkräfte zur Unterstützung der für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörden im Wege der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG, bei der die Streitkräfte keine hoheitlichen Befugnisse ausüben. Keine Amtshilfe erfolgt, wenn dienstliche Belange unter angemessener Berücksichtigung des Anliegens der ersuchenden Behörde entgegenstehen oder eine andere Behörde die Hilfe wesentlich einfacher oder mit wesentlich weniger Aufwand leisten kann. Amtshilfe wird als technisch-logistische Unterstützung einer Amtshandlung, das heißt einer hoheitlichen Verwaltungstätigkeit der anfordernden Behörde, geleistet. Hilfeleistungen nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Rechts-, Amts- und Katastrophenhilfe, bilden eine Ausnahme, da diese mit hoheitlichen, polizeilichen, eingreifenden Rechten in Verbindung stehen können. Die Streitkräfte können daher nur auf Anforderung von Landesbehörden mit solchen Aufgaben betraut werden. Das wesentliche Einschränkungsmerkmal in diesem Zusammenhang ist, dass solche Befugnisse immer nur dann ausgeübt werden dürfen, wenn es zur Durchführung der Hilfeleistung erforderlich ist. Es darf sich nur um solche Maßnahmen handeln, die allein der Beseitigung der Gefahrenlage dienen, die unmittelbar auf das Schadensereignis zurückzuführen ist. Dazu gehören nicht die Bestreifung und der Objektschutz zur Bekämpfung oder Verfolgung oder Abschreckung von Plünderern oder anderen Straftätern. Vielmehr kann darunter zum Beispiel die Verkehrsregelung zugunsten von Hilfsfahrzeugen, Lkw mit Sandsäcken, Tieflader mit schwerem Räumgerät und Ähnliches, zu verstehen sein. Im Rahmen eines solchen Notstandes können diese Befugnisse durch jeden Angehörigen der Streitkräfte ausgeübt werden Die rechtliche Regelung der Amtshilfe ist in Art. 35 Grundgesetz sowie in den §§ 4 bis 8 des Verwaltungsverfahrensgesetzes aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion umfassend und gut geregelt. Die darüber hinauszielenden Vorschläge im Antrag der Fraktion Die Linke sind daher insgesamt abzulehnen. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Der Antrag der Fraktion Die Linke aus dem Februar 2011 unterstellt der Bundesregierung, in den letzten Jahren im Rahmen von Amtshilfe- und Unterstützungsleistungen die Bundeswehr über die in Art. 35 Abs. 1 des Grundgesetzes definierten Grenzen hinaus im Innern eingesetzt zu haben. Gefordert ist vonseiten der Linken ein Gesetzentwurf, der eine Information und Entscheidung des Bundestages über jeden einzelnen Antrag auf Amtshilfe und Unterstützung vorsieht. Quantitativ ist ein Anstieg der Einsätze in den letzten Jahren zu verzeichnen. Es handelt sich jedoch ausnahmslos um Einsätze gemäß Art. 35 Abs. 1 Grundgesetz. Bei der Mehrheit der Amtshilfe- und Unterstützungsleistungen erfolgt diese nur in einem geringen Umfang und wird vonseiten der Bundeswehr lückenlos dokumentiert. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern unterliegt engen Grenzen. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August dieses Jahres ist dieser enge Rahmen erneut bestätigt und mit dem Hinweis auf „Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“ genauer definiert worden. Ausschließlich bei Terrorangriffen ist unter strengen Auflagen auch der Einsatz von „militärischen Kampfmitteln“ möglich. Aber das Gericht kann nicht dem Gesetzgeber die Entscheidung abnehmen, wie und vor allem bis wohin die verfassungsmäßigen Grenzen ausgefüllt werden. Wer sich für den Einsatz militärischer Waffen im eigenen Land ausspricht, kann sich nicht hinter dem Bundesverfassungsgericht verstecken. Ein Gerichtsbeschluss ersetzt nicht die parlamentarische Mehrheit – die es in der Vergangenheit nicht gab und mit der FDP-Bundestagsfraktion auch nicht geben wird. Die Bundeswehr kann und darf auch künftig nicht generell und willkürlich zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden. Abzuwarten bleibt ohnehin zunächst das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Normenkontrollverfahren zum Luftsicherheitsgesetz, in dessen Vorbereitung der Zweite Senat die erfolgte Klärung der Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts angestrebt hatte. Die bisherige Praxis der Amtshilfe- und Unterstützungsmaßnahmen der Bundeswehr hat sich als erfolgreich erwiesen und sollte unverändert fortgesetzt werden. Die Bundeswehr ist enger parlamentarischer Kontrolle unterworfen. Die Argumentation der Fraktion Die Linke, die unterstellt, die Einsätze der Bundeswehr im Innern sollen nach der Bundeswehrreform den Streitkräften zur Nachwuchsgewinnung und Werbung dienen, ist absurd. In Art. 35 des Grundgesetzes heißt es: „Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.“ Einfluss darauf, wann und wo sich Naturkatastrophen und Unglücksfälle ereignen, besitzt die Bundesregierung, anscheinend zum Erstaunen der Linken, nicht. Hier einen Zusammenhang zur Nachwuchsgewinnung herzustellen, ist infam. Die bisherigen Regelungen zum Einsatz der Bundeswehr im Innern sind durch das Grundgesetz ausreichend eng gesteckt und haben sich in den letzten Jahrzehnten bewährt. Der Antrag der Fraktion Die Linke ist daher entschieden abzulehnen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundeswehr ist der mit Abstand am stärksten bewaffnete Apparat in Deutschland. Deswegen müssen wir, wenn im Bereich der an sich harmlosen Amtshilfemaßnahmen die Bundeswehr ins Spiel kommt, schon ein wenig genauer hinsehen. Niemand hat etwas dagegen, wenn die Bundeswehr bei Naturkatastrophen hilft. Wer uns etwas anderes unterstellt, hat unseren Antrag nicht gelesen. Die Linke will Amtshilfe nicht generell verhindern, sondern wir wollen die parlamentarische Kontrolle stärken. Denn das Problem ist Folgendes: Amtshilfeleistungen der Bundeswehr erschöpfen sich schon lange nicht mehr in tatsächlichen Hilfeleistungen. In den letzten Jahren kamen immer mehr Maßnahmen hinzu, die ganz anderer Natur sind. Das spektakulärste Beispiel war der G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm, als Aufklärungsflugzeuge vom Typ Tornado unterwegs waren und Spähpanzer eingesetzt wurden, um die Demonstrantinnen und Demonstranten zu überwachen bzw. sie abzuschrecken. Solche Einsätze mit einem so eindeutig repressiven Charakter hätte sich früher niemand unter Amtshilfe vorgestellt. Wenn die Bundeswehr, die Bundesregierung und die zuständigen Landesbehörden ihre Praxis in diese Richtung ändern, dann muss die Gesetzgebung darauf reagieren. Wir beobachten seit Jahren aufmerksam die Entwicklungen in diesem Bereich. Dabei stellen wir fest, dass die Einsatzzahlen rapide zunehmen. Ende der 1990er-Jahre hat es noch eine einzige Amtshilfemaßnahme pro Jahr gegeben; im Jahr 2010 waren es schon 71, voriges Jahr 68. Es liegt ja auf der Hand, dass es hierfür keine Sachzwänge gibt, sondern rein politisch motivierte Entscheidungen. Sieht man sich die einzelnen Maßnahmen an, dann erkennt man: Bei maximal einem Drittel geht es tatsächlich um Hilfe bei Unglücksfällen, Überschwemmungen oder beim Entschärfen von Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg. Da muss man zwar danach fragen, warum eigentlich der zivile Katastrophenschutz nicht mehr gefördert wird, aber mit den Maßnahmen als solche haben wir kein Problem. Kritisch ist aber aus Sicht der Linken, dass die Bundeswehr fast immer dabei ist, wenn viele Menschen Zusammenkommen – bei großen Volksfesten, beim Kirchentag, bei internationalen Fußballspielen, bei großen Demonstrationen. Dabei arbeiten Soldaten als Logistiker und Planungshelfer für die Polizei. Die Linke will nicht, dass die Bundeswehr institutionell in den Bereich der inneren Sicherheit eingebunden wird. Hilfe im Katastrophenfall ist das eine, aber ansonsten soll die Bundeswehr sich aus der Innenpolitik heraushalten. Sonst droht nämlich genau das, was die Bundesregierung nach unserer Meinung auch anstrebt: ein Gewöhnungseffekt. Der Heiligendamm-Einsatz hat seinerzeit große Empörung ausgelöst, und nun werden eben kleinere Schritte gegangen. Die Kollegin Anita Schäfer von der CDU hat bei der ersten Lesung zur Amtshilfe im März eingeräumt, die Bundeswehr habe „jedes bisschen Öffentlichkeit dringend nötig und verdient.“ In der Sozialwissenschaft beschreibt das Konzept des „banalen Militarismus“, wie die Akzeptanz, ja Dominanz des Militärs und militärischer Denkweisen dadurch gesteigert werden sollen, dass das Militärische nach und nach in die Gesellschaft eindringt. Eine Armee, die seit zehn Jahren einen höchst unpopulären und blutigen Krieg in Afghanistan führt und im Inland größte Schwierigkeiten hat, geeignete Rekruten zu finden, verspricht sich natürlich von einer Militarisierung der Gesellschaft erhebliche Vorteile, was gesellschaftlichen Rückhalt angeht. Auch deswegen will die Linke diesem Treiben nicht tatenlos zusehen. Was ich noch gar nicht angesprochen habe, ist eine Entwicklung, die erst nach Einreichung unseres Antrages eingetreten ist: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom August 2012, das einer Verfassungsänderung gleichkommt, sieht vor, dass in Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes die Bundeswehr auch schwere Waffen einsetzen darf. Wir sind mit dieser Entscheidung alles andere als glücklich, schon weil sie keine präzisen Kriterien nennt; aber es muss doch klar sein: Wenn wir nicht nur über unbewaffnete Amtshilfe reden, sondern über einen bewaffneten Militäreinsatz im Inneren, dann kann doch niemand wollen, dass das Parlament auf seine Kontrollfunktion verzichtet. Ein Wort zu den Grünen: Der Kollege Wolfgang Wieland hat in seiner Rede bei der ersten Lesung eigentlich viele Punkte genannt, die unserem Antrag recht geben. Amtshilfe werde zu häufig, an den falschen Orten, in den falschen Formen geleistet, hat er gesagt. Er lehnte dann aber unseren Antrag trotzdem ab, und zwar mit der merkwürdigen Begründung, man solle sich auf das „Anprangern“ der Regierung beschränken. Nun hat bloßes Anprangern nicht unbedingt Folgen. Wir haben den Heiligendamm-Einsatz angeprangert; die Bundesregierung hingegen verteidigt ihn bis heute, was auch bedeutet, dass sie sich eine Wiederholung solcher Szenarien jederzeit vorbehält. Deswegen wollen wir Regeln aufstellen. Vereinfacht gesagt: Wir wollen nicht, dass die Bundeswehr Demonstranten abschreckt, sondern wir wollen durch erweiterte Parlamentskontrolle die Bundeswehr vor einer allzu weiten Interpretation von Amtshilfe abschrecken. Damit wird keine einzige Hilfsmaßnahme im Katastrophenfall verhindert oder auch nur verlangsamt. Wir verlangen lediglich, dass schnellstmöglich Berichte ans Parlament gehen und dass das Parlament, wenn es denn einen Einsatz für rechtlich oder politisch fragwürdig hält, diesen verhindern oder stoppen kann. Damit ziehen wir die Konsequenz aus der veränderten Amtshilfepraxis von Regierung und Bundeswehr. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Informationsrechte des Deutschen Bundestages sind ein hohes Gut, insbesondere mit Blick auf polizeiliche bzw. quasipolizeiliche Tätigkeiten im Rahmen von Art. 35 des Grundgesetzes, also den möglichen Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Dabei gilt es aber Zweierlei zu berücksichtigen. Zum einen sind Ex-ante-Berichte politisch nicht immer hilfreich, weil sie die Kontrollfunktion auch einschränken könnten. Wer vor einer Entscheidung im Geheimen am Entscheidungsprozess beteiligt gewesen ist, kann kaum noch ein glaubwürdiger Kontrolleur sein. Zum anderen sind die verfassungsgemäßen Vorgaben zu beachten. Eine Ex-ante-Unterrichtung des Deutschen Bundestages bzw. der Obleute von Verteidigungs- und Innenausschuss, wie sie im Antrag der Linkspartei gefordert wird, würde eine Verwischung der Verantwortlichkeiten der Exekutive mit den Kompetenzen der Legislative bedeuten. Wir haben uns bei der Debatte um die Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle von Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Rahmen des Antrags „Prüfkriterien für Auslandseinsätze der Bundeswehr entwickeln – Unterrichtung und Evaluation verbessern“ ebenfalls mit dieser Problematik beschäftigt. Dabei haben wir uns entschieden, keine Ex-ante-Unterrichtung zu fordern und stattdessen auf eine umfassende und hinreichende Ex-post-Unterrichtung des Deutschen Bundestages jeweils nach Abschluss einer Operation zu setzen. Davon unbenommen bleibt die Zustimmungspflicht des Parlaments für militärische Einsätze der Bundeswehr. Aber darum geht es in dem Antrag der Linkspartei nicht; denn dafür gibt es schon ein Parlamentsbeteiligungsgesetz. Es geht in diesem Antrag um die Amtshilfeeinsätze im Innern. Diese sind nicht militärischer Natur; denn alles andere hat das Bundesverfassungsgericht bereits grundsätzlich 2006 verboten. Darauf folgende Rechtsprechungen haben daran seitdem nichts geändert. Im vergangenen August hat das Verfassungsgericht der Regierung für ihre andauernden Vorstöße eine schallende Ohrfeige verpasst und dem Einsatz der Bundeswehr im Innern enge Grenzen gesetzt. Auch wenn völlig zu Recht die Anzahl und die Sinnhaftigkeit einiger Einsätze im Rahmen der Amtshilfe angezweifelt werden können, so ist die Konsequenz, die von der Fraktion der Linken daraus gezogen wird, schlicht falsch. Ist ein Einsatz der Bundeswehr nicht legal, ist das ein Fall für ein Gericht. Und ist ein Einsatz illegitim, dann muss die Regierung dafür geradestehen und sich verantworten. Dies ist ein bewährter Weg. Der ganze Antrag der Linken liest sich auf den ersten Blick nicht schlecht. Doch schnell drängt sich die Frage auf, wie ein mit Vetorecht ausgestatteter Bundestag Abhilfe schaffen soll. Niemand, vor allem nicht in der Fraktion der Linkspartei, vermag dies schlüssig zu erklären. Letztlich handelt es sich bei dem Antrag um eine schicke Verpackung ohne Inhalt. Daher teilen wir die richtige Einschätzung des Antrags, nach der der Deutsche Bundestag wesentlich besser über den Einsatz der Bundeswehr – im Innern wie bei Auslandseinsätzen – informiert werden muss, lehnen aber gleichzeitig die Schlussfolgerungen, die der Antrag der Linken daraus zieht, ab. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zur Abstimmung. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11214, den Antrag auf Drucksache 17/4884 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Dagegen war die Fraktion Die Linke. Enthalten hat sich niemand. Das übrige Haus hat zugestimmt. Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts – Drucksache 17/10492 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/11885 – Berichterstattung: Abgeordnete Ute Granold Sonja Steffen Stephan Thomae Jörn Wunderlich Ingrid Hönlinger Auch hier sind die Reden zu Protokoll gegeben. Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute abschließend über das Gesetz zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007. Dabei geht es um die internationale Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie um die Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts und des nationalen materiellen Unterhaltsrechts. Mit Beschluss vom 9./10. Juni 2011 hat der Rat der Europäischen Union das Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 im Namen der Europäischen Union genehmigt. Dies hat zur Folge, dass das Übereinkommen nach Hinterlegung der Genehmigungsurkunde durch einen Vertreter der Europäischen Union in Den Haag für Deutschland im Verhältnis zu anderen Vertragsstaaten auch ohne eine eigenständige Ratifikation verbindlich wird. Um die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen vollständig umsetzen zu können, bedarf es allerdings einiger Durchführungsvorschriften im nationalen Recht, worum es heute geht. Zur Vermeidung einer Rechtszersplitterung haben wir uns entschieden, die erforderlichen Durchführungsvorschriften in das am 18. Juni 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten, Auslandsunterhaltsgesetz – AUG, einzufügen. Seit dem 18. Juni 2011 ist für den Bereich der Europäischen Union die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Ausland bereits durch das Wirksamwerden der EG-Unterhaltsverordnung, Verordnung (EG) Nr. 4/2009, wesentlich erleichtert worden. In nunmehr einem einzigen Rechtsakt ist umfassend geregelt, wie Unterhaltsansprüche gegen Schuldner, die sich im EU-Ausland aufhalten, durchzusetzen sind. Hierbei kann es beispielsweise um Unterhalt gehen, der nach einer Scheidung für ein Kind oder einen früheren Ehegatten zu zahlen ist. Die EG-Unterhaltsverordnung entspricht weitgehend den Regelungen des Haager Übereinkommens und hat innerhalb der Europäischen Union Vorrang. Das Haager Übereinkommen entfaltet folglich eine unmittelbare Wirkung nur noch gegenüber Drittstaaten. Ziel des Haager Übereinkommens von 2007 ist es, die wirksame internationale Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen von Kindern und anderen Familienangehörigen sicherzustellen. Dies erfolgt durch die Festlegung eines Systems der effektiven Zusammenarbeit der Behörden der Vertragsstaaten. Darüber hinaus wird den Antragstellern im Grundsatz kostenfreie Verfahrenskostenhilfe gewährleistet und das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren rationalisiert. Bislang müssen bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Ausland zwei verfahrensrechtliche Haager Übereinkommen, ein UN-Übereinkommen von 1956 und mehrere EG-Verordnungen beachtet werden. Diese werden – mit Ausnahme des Lugano-Übereinkommens – durch das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 ersetzt, wodurch dem Rechtsuchenden die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen in Drittstaaten erleichtert wird. Durch das Übereinkommen wird die Grundlage für eine effiziente Zusammenarbeit staatlicher zentraler Behörden geschaffen. Ein Gläubiger oder sein Vertreter kann sich demnach an die deutsche zentrale Behörde – das Bundesamt für Justiz mit Sitz in Bonn – wenden, um etwa ein Unterhaltsurteil im Ausland zu erwirken bzw. ein deutsches Unterhaltsurteil in Drittstaaten zu vollstrecken. Da Verfahren im Ausland für die Gläubiger meist mit hohem Aufwand und Kosten verbunden sind, gewährleistet das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 in allen Verfahren, in denen es um die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen von Kindern geht, Verfahrenskostenhilfe. Gerichtliche Verfahren in Bezug auf Kindesunterhalt sind daher grundsätzlich kostenfrei. In Art. 23 des Haager Übereinkommens 2007 wurde das Verfahren der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung geregelt. Dieses wurde dem Vorbild der Brüssel-I-Verordnung nachempfunden. Unterhaltsentscheidungen aus anderen Vertragsstaaten werden demnach grundsätzlich anerkannt oder für vollstreckbar erklärt, wenn sich der Schuldner nicht dagegen wehrt. Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf auch eine Änderung des nationalen materiellen Unterhaltsrechts vor. Diese erfolgt durch eine Klarstellung in § 1578 b BGB. Hintergrund ist, dass mit dem im Rahmen der Unterhaltsrechtsreform im Jahr 2008 neu geschaffenen § 1578 b BGB eine grundsätzlich für alle Unterhaltstatbestände geltende Billigkeitsregelung eingefügt wurde, die nach Maßgabe der darin aufgeführten Kriterien eine Herabsetzung oder zeitliche Befristung von Unterhaltsansprüchen ermöglicht. Gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB richtet sich der nacheheliche Unterhalt grundsätzlich nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Er beschränkt sich demnach weder auf eine bloße Kompensation ehebedingter Nachteile, noch auf eine Teilhabe an dem während der Ehezeit gemeinsam Erwirtschafteten. Die Vorschrift berücksichtigt vielmehr auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität als Grundprinzip des nachehelichen Unterhalts. Dies ist auch im Rahmen der Billigkeitsentscheidung für eine Begrenzung und Befristung des nachehelichen Unterhalts zu beachten. Indem der § 1578 b Abs. 1 Satz 2 BGB „insbesondere“ auf das Vorliegen ehebedingter Nachteile abstellt, wird die Berücksichtigung weiterer Gesichtspunkte – zum Beispiel die Dauer der Ehe – im Rahmen der Billigkeitsabwägung nicht ausgeschlossen. Aufgrund einer Reihe instanzgerichtlicher Entscheidungen zum Ehegattenunterhalt bei sogenannten Altehen ist jedoch der Eindruck entstanden, dass der Dauer der Ehe nicht genügend Gewicht bei der Beurteilung über die Herabsetzung oder Befristung von Unterhalt beigemessen wird. Vielmehr erfolgt beim Fehlen ehebedingter Nachteile häufig eine automatische Befristung der nachehelichen Unterhaltsansprüche, ohne die weiteren Umstände des Einzelfalls und dabei insbesondere die Dauer der Ehe bei der Billigkeitsabwägung ausreichend zu berücksichtigen. Dadurch werden diese Ehegatten besonders schwer benachteiligt, da sie zum Teil lange vor 2008 geheiratet und daher keine Möglichkeit hatten, sich auf die geänderte Rechtslage einzustellen. Diese automatische Beschränkung entsprach jedoch keineswegs der Intention des Reformgesetzgebers von 2007. Vielmehr wurde in der damaligen Gesetzesbegründung explizit klargestellt, dass sich die nach der Ehe fortwirkende Verantwortung nicht allein im Ausgleich ehebedingter Nachteile erschöpft. Zwar hatte auch der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 2010 festgestellt, dass eine Befristung oder Begrenzung von nachehelichem Unterhalt unzulässig sein kann, wenn zwar keine ehebedingten Nachteile vorliegen, eine Einschränkung aber im Hinblick auf die Dauer der Ehe und damit verbundenen nachehelichen Solidarität unbillig erschiene. Dennoch halten wir aufgrund der entstandenen Unsicherheit eine gesetzliche Klarstellung für erforderlich. Mit ihr möchten wir sicherstellen, dass entsprechend der Intention des Reformgesetzgebers – dessen Auffassung wir auch heute noch teilen –, das Vertrauen der Geschiedenen in die nacheheliche Solidarität stärker geschützt wird und die Gerichte bei künftigen Entscheidungen über die Kürzung oder Befristung von nachehelichem Unterhalt das Merkmal der Ehedauer im jeweiligen Einzelfall endlich ausreichend berücksichtigen. Denn der Schutz der Langzeitehen war ein besonderes Anliegen des Reformgesetzgebers, der sich bewusst dazu entschieden hatte, diese Ehen zu privilegieren. Die Befristung und Begrenzungsvorschrift sollte gerade nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile beschränkt werden, sondern auch die nacheheliche Solidarität und damit verbunden die Dauer der Ehe berücksichtigen. Die konkrete Umsetzung erfolgt durch die gleichwertige Nennung des Begriffs der Ehedauer neben dem Merkmal der ehebedingten Nachteile in 1578 b Abs. 1 Satz II BGB. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen guten Weg gefunden haben, das Haager Übereinkommen in das nationale Recht zu integrieren, wodurch insbesondere die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen von Kindern im Ausland erleichtert wird. Zusätzlich werden Unsicherheiten bei der Befristung oder Begrenzung von Unterhalt bei den sogenannten Altehen ausgeräumt. Ich hoffe daher auf breite Zustimmung. Sonja Steffen (SPD): In Zukunft können Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen international noch wirksamer geltend gemacht werden. Nach dem Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 und dessen Genehmigung durch den Rat der Europäischen Union im Juni 2011 bedarf es einiger Durchführungsvorschriften im nationalen Recht, die wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erlassen wollen. Wir kommen damit unserem Auftrag als Gesetzgeber nach, die Umsetzung des Übereinkommens zu ermöglichen. Befindet sich ein Elternteil im Ausland, erhält das unterhaltsberechtigte Kind Unterstützung durch die Behörden der beteiligten Länder, um seine Ansprüche über die staatlichen Grenzen hinweg einzufordern. Gerade Kinder und ihre alleinerziehenden Eltern sind auf solche Hilfe angewiesen. Unterhaltsansprüche in einem fremden Land alleine und ohne staatliche Unterstützung durchzusetzen, ist extrem aufwendig und mit hohen Kosten verbunden. Mit dem Haager Übereinkommen wird die internationale Rechtshilfe zur Durchsetzung von Unterhaltsforderungen geregelt. Es bündelt mehrere bisher geltende Übereinkommen und erleichtert so die Durch-setzung von Unterhaltsansprüchen in Drittstaaten. Das Abkommen hilft den Unterhaltsbedürftigen, den Schuldner aufzuspüren, seine wirtschaftlichen Verhältnisse aufzuklären und nötigenfalls den Unterhalt zwangsweise zu erlangen. Hierfür wird das System der Zusammenarbeit von zentralen staatlichen Behörden weiter ausgebaut. Die Zuständigkeiten der zentralen Behörde werden in Deutschland dem Bundesamt für Justiz übertragen. Das Bundesamt kann zum Beispiel zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Schuldners im Ausland, das Führen von Vergleichsverhandlungen oder die Organisation juristischer Unterstützung eingeschaltet werden. Für die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen von Kindern wird zudem der kostenfreie Bezug von Verfahrenskostenhilfe erweitert. Über das Haager Übereinkommen hinaus regelt der Gesetzentwurf eine unterhaltsrechtliche Klarstellung. In § 1578 b BGB wird die Dauer der Ehe als Kriterium für einen nachehelichen Unterhaltsanspruch eingefügt. Dies hat der Gesetzgeber bereits in der Unterhaltsrechtsreform im Jahr 2008 berücksichtigen wollen. Ich zitiere aus der damaligen Gesetzesbegrün-dung: „Im Spannungsverhältnis zwischen der fortwirkenden Verantwortung und dem Grundsatz der Eigenverantwortung muss auch hier in jedem Einzelfall eine angemessene und für beide Seiten gerechte Lösung gefunden werden, bei der die Dauer der Ehe von besonderer Bedeutung sein wird.“ An anderer Stelle ist von einer fortwirkenden Verantwortung die Rede, sodass das Ausmaß des Unterhaltsanspruchs ganz wesentlich von der Dauer der Ehe abhängen wird. Der Bundesgerichtshof hat inzwischen verdeutlicht, dass auch ohne das Vorliegen ehebedingter Nachteile eine Befristung oder Begrenzung des nachehelichen Unterhaltsanspruches unzulässig sein kann. Eine Verpflichtung zur nachehelichen Solidarität ergibt sich auch bei „fehlgeschlagener Lebensplanung der Ehegatten“. In den letzten vier Jahren ist dennoch in der bundesweiten Rechtsprechung eine Unsicherheit entstanden, die mitunter dazu führte, dass die Gerichte beim Fehlen ehebedingter Nachteile den nachehelichen Unterhaltsanspruch befristeten oder sogar ausschlossen, ohne die Umstände des Einzelfalles und insbesondere auch die Dauer der Ehe weiter zu berücksichtigen. Es ist richtig, den Gerichten hier durch eine Klarstellung ein deutliches Signal zu geben, damit der Wille des Gesetzgebers in der Praxis zur Anwendung kommt. Wir werden daher dem Gesetzentwurf heute zustimmen. Stephan Thomae (FDP): In einer zunehmend globalisierten Welt entstehen immer mehr Möglichkeiten, wo und wie der Einzelne sein Leben gestalten will. Es wird immer selbstverständlicher, dass die Menschen ihre Heimatländer verlassen, um in einem anderen Staat zu arbeiten und zu leben. Dies gilt sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch darüber hinaus. Diese Entwicklung bedingt zugleich, dass Unterhaltsansprüche in zunehmender Weise länderübergreifend geltend gemacht werden müssen. Sobald aber ein Rechtsverfahren einen grenzübergreifenden Bezug hat, müssen die jeweiligen Rechtsordnungen der beteiligten Staaten berücksichtigt werden. Dies macht die Rechtsanwendung für die Bürger zum Teil sehr kompliziert. Vor diesem Hintergrund wurde das Haager Unterhaltsübereinkommen vom 23. November 2007 verabschiedet. Es regelt das internationale Verfahrensrecht neu und erleichtert die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Ausland. Zu diesem Zweck legt es ein System der effektiven Zusammenarbeit staatlicher zentraler Behörden fest, mit deren Hilfe die Menschen ihre Ansprüche im Ausland verfolgen bzw. bei Vorliegen entsprechender Titel auch durchsetzen können. Der Rat hat im Juni 2011 entschieden, dass das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 durch die Ratifikation der EU allein für alle Mitgliedstaaten – mit Ausnahme Dänemarks – wirksam werden soll. Der Deutsche Bundestag hat dies in einem Beschluss vom 24. März 2011 mitgetragen und darin gefordert, dass die Konvention aber erst dann wirksam werden kann, wenn alle Mitgliedstaaten die erforderlichen Ausführungsgesetze verabschiedet haben. Die Verabschiedung des Gesetzes, über das wir heute debattieren, ist mithin eine Voraussetzung dafür, dass die internationale Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen für die Menschen erleichtert werden kann. Das Gesetz passt im Wesentlichen das AUG, Gesetz zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten – Auslandsunterhaltsgesetz, technisch an das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 an. In Deutschland wird das Bundesamt für Justiz die zentrale Behörde, an die sich die Bürgerinnen und Bürger bei internationalen Unterhaltsansprüchen wenden können. Die wesentlichen Aufgaben dieser Stellen sind in den Art. 6 und 7 des Haager Unterhaltsübereinkommens 2007 geregelt. Dazu zählt unter anderem, Unterhaltsanträge zu übermitteln und entgegenzunehmen, entsprechende Verfahren einzuleiten, juristische Unterstützung dort zu gewähren, wo die Umstände es erfordern, aber auch Aufenthaltsorte von berechtigten oder verpflichteten Personen ausfindig zu machen. Das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 gewährleistet darüber hinaus, dass in allen Verfahren, in denen es um die Durchsetzung von Ansprüchen auf Kindesunterhalt geht, kostenfreie Verfahrenskostenhilfe gestellt wird. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf tragen wir dazu bei, dass das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 durch die EU ratifiziert werden und für die EU-Mitgliedstaaten wirksam werden kann. Dieses Ziel wird vor dem Hintergrund der geschilderten Erleichterungen für die Menschen von der FDP-Bundestagsfraktion unterstützt. Die Fraktionen von FDP und CDU/CSU nutzen den vorliegenden Gesetzentwurf zudem für eine klarstellende Regelung im Unterhaltsrecht. Mit der letzten Unterhaltsrechtsreform von 2008 wurde das Ziel verfolgt, den Gedanken der Eigenverantwortlichkeit im Unterhaltsrecht wieder stärker zu betonen. Verheiratete sollten sich grundsätzlich nicht darauf verlassen können, im Falle einer Scheidung durch die Unterhaltspflicht des Ehegatten abgesichert zu sein. Hierzu wurde in § 1578 b BGB eine Billigkeitsregelung eingeführt, die nach bestimmten Kriterien eine Herabsetzung oder zeitliche Begrenzung von Unterhaltsansprüchen ermöglicht. Bei der Billigkeitsabwägung muss insbesondere erwogen werden, ob sogenannte ehebedingte Nachteile, wie zum Beispiel die Pflege oder Erziehung eines Kindes oder die Haushaltsführung, vorlagen. Die instanzgerichtliche Rechtsprechung hat gezeigt, dass aber bei Fehlen solcher ehebedingter Nachteile in vielen Fällen automatisch eine Reduzierung der Unterhaltsansprüche selbst dann vorgenommen wird, wenn es sich um sogenannte Altehen handelt. Dies sind Fälle, in denen die Ehe über mehrere Jahrzehnte angedauert hat. Die Dauer der Ehe wurde bei den entsprechenden Entscheidungen nicht ausreichend berücksichtigt. Dies entspricht jedoch nicht der Intention des Gesetzgebers. Dieser hatte schon in der Begründung zur Unterhaltsrechtsreform 2008 deutlich gemacht, dass die Dauer der Ehe im Spannungsverhältnis zwischen der fortwirkenden Verantwortung der Eheleute füreinander und dem Grundsatz der Eigenverantwortung im Einzelfall von besonderer Bedeutung sein wird. Die genannte Entwicklung in der Rechtsprechung hat jedoch gezeigt, dass dieser Gedanke nicht in ausreichendem Maß berücksichtigt wird. Dem begegnen wir mit der vorgeschlagenen Änderung von § 1578 b BGB. Dabei handelt es sich lediglich um eine Klarstellung, nicht um eine Neuregelung. Es kann nicht im Interesse unserer Gesellschaft sein, dass Ehegatten, deren Ehe nach sehr langer Dauer geschieden wird, sich in der Situation wiederfinden, ob ihres Alters auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr und gleichzeitig keine Unterhaltsansprüche mehr zu haben. In solchen Konstellationen muss die Dauer der Ehe bei der Billigkeitsabwägung nach § 1578 b BGB stärker berücksichtigt werden. Dies erreichen wir mit dem von FDP und CDU/CSU eingebrachten Änderungsantrag. Ich bitte Sie daher, dieses Gesetz in der Fassung des Änderungsantrages zu unterstützen. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Da es sich um ein reines Umsetzungsgesetz handelt, gibt es bei der Ausgestaltung aber – oder zum Glück – kaum gesetzgeberischen Handlungsspielraum. Um die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen vollständig umsetzen zu können, bedarf es einiger Durchführungsvorschriften im nationalen Recht. So werden die erforderlichen Durchführungsvorschriften in das am 18. Juni 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten (Auslandsunterhaltsgesetz) integriert, um eine Rechtszersplitterung zu vermeiden. Dort ist bereits die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen umgesetzt, die inhaltlich weitgehend dem Haager Übereinkommen entspricht. Das zuständige Bundesamt für Justiz ist bereits zentrale Behörde, unter anderem nach der EG-Unterhaltsverordnung, sodass sich im Tatsächlichen kaum etwas ändern dürfte. Das sieht die von mir hochgeschätzte Christel Humme, welche im Übrigen auch gute Familienpolitik macht, genauso. Wird das Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 ratifiziert, so tritt es an die Stelle der völkerrechtlichen Vereinbarungen, ohne dass sich die Zuständigkeit des Bundesamtes für Justiz erweitert. Lediglich die Rechtsgrundlage für das Tätigwerden als zentrale Behörde ändert sich. Bis gegenwärtig müssen bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Ausland zwei verfahrensrechtliche Haager Übereinkommen, ein UN-Übereinkommen von 1956 und mehrere EG-Verordnungen beachtet werden. Im Einzelnen handelt es sich bei diesen Übereinkommen um das Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern, das Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und das New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20. Juni 1956. Hinzu tritt im Verhältnis zur Schweiz, zu Norwegen und Island noch das Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 wird allein dadurch, dass es perspektivisch alle zuvor genannten völkerrechtlichen Übereinkommen über die Anerkennung oder Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen ersetzt, dem Rechtsuchenden die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen in Drittstaaten erleichtern. Von daher kann dem Gesetz auch seitens der Linken zugestimmt werden. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unterhaltsansprüche von Kindern oder anderen Familienangehörigen machen nicht an Grenzen halt, nicht an den Grenzen Deutschlands und nicht an den Grenzen der Europäischen Union. Dank des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen müssen sie dies mittlerweile auch nicht mehr. Dieses Übereinkommen hat die Durchsetzung von internationalen Unterhaltsansprüchen ein großes Stück einfacher gemacht. Deswegen ist es gut und richtig, dass wir heute über das deutsche Durchführungsgesetz zu diesem Haager Übereinkommen beraten. Das neue internationale Unterhaltsverfahrensrecht erleichtert die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen bei grenzüberschreitenden Konstellationen erheblich. Das Haager Übereinkommen steht damit im Einklang mit der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Dort heißt es in Art. 27 Abs. 4 Satz 1: Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes gegenüber den Eltern oder anderen finanziell für das Kind verantwortlichen Personen sowohl innerhalb des Vertragsstaats als auch im Ausland sicherzustellen. Satz 2 ergänzt, dass die Vertragsstaaten für Fälle, in denen das Kind in einem anderen Staat lebt als die finanziell verantwortliche Person, den Beitritt zu internationalen Übereinkünften oder den Abschluss solcher Übereinkünfte fördern sollen. Die große Bedeutung, die auch die UN-Kinderrechtskonvention der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen beimisst, zeigt uns, wie wichtig dieses Thema für Kinder ist. Denn Kinder sind für die Durchsetzung ihrer Ansprüche darauf angewiesen, dass ihnen von staatlicher Seite Hilfe an die Hand gegeben wird. Das Übereinkommen sieht ein System der Zusammenarbeit staatlicher zentraler Behörden vor. Die jeweilige nationale zentrale Behörde soll Kinder bei der Einforderung ihres Unterhalts effektiv und umfänglich unterstützen. In Deutschland wird das Bundesamt für Justiz künftig diese Aufgabe wahrnehmen. Das Haager Übereinkommen beinhaltet außerdem, dass Unterhaltsentscheidungen aus anderen Vertragsstaaten grundsätzlich anerkannt werden. Besonders begrüße ich, dass Kinder und Jugendliche unter einfachen Voraussetzungen Verfahrenskostenhilfe beziehen können. Hohe Gerichts- und Anwaltskosten sollen in der Zukunft Kinder nicht mehr davon abhalten, ihre berechtigten Forderungen geltend zu machen. Mit der Ratifikation des Haager Übereinkommens durch die Europäische Union sind wir einem grenzübergreifenden und globalen System der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen ein gutes Stück nähergekommen. In absehbarer Zeit werden weitere Länder diesem Beispiel folgen. Viele Kinder werden von den neuen Regeln profitieren können. Mit dem Gesetz, über das wir heute debattieren, soll auch ein anderer Teil des Unterhaltsrechts geändert werden, nämlich eine Regelung zum Nachehelichenunterhalt. Dem liegt folgendes zugrunde: Im Jahre 2008 wurde das Unterhaltsrechts reformiert. Unter anderem kann nun der nacheheliche Ehegattenunterhalt erleichtert herabgesetzt oder zeitlich begrenzt werden. Ziel war es, die nacheheliche Eigenverantwortung zu stärken. Das war ein richtiger Ansatz. Nicht ausreichend berücksichtigt wurden jedoch hierbei die sogenannten „Altehen“. Das sind Ehen, die lange vor der Neuregelung des Jahres 2008 geschlossen wurden und in denen sich die Ehepartner nicht auf die Unterhaltsrechtsreform einstellen konnten. Hier wurde dem Vertrauensschutz nicht ausreichend Rechnung getragen. Die Dauer einer Ehe wurde nicht an-gemessen berücksichtigt. So hat auch der Bundesgerichtshof im Jahre 2010 entschieden, dass die Beschränkung des Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt unzulässig sein kann, wenn die Beschränkung mit Blick auf die insbesondere bei Ehen von langer Dauer gebotene nacheheliche Solidarität unbillig erscheint. Der Vertrauensschutz wird jetzt mit der Neu-regelung wieder hergestellt. Das Gesetz erfüllt damit einen doppelten Zweck: Einerseits erleichtert es Kindern, ihre Unterhaltsansprüche über Landesgrenzen hinweg durchzusetzen; andererseits ermöglicht es den Gerichten, die Dauer einer Ehe bei der Entscheidung über den Nachehelichenunterhalt stärker zu berücksichtigen. Das sind Ziele, die wir begrüßen. Deshalb stimmen wir Grünen diesem Gesetz zu. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11885, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10492 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer den Gesetzentwurf so annehmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dafür ist, möge aufstehen. – Die Gegenstimmen! – Die Enthaltungen! – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher. Tagesordnungspunkt 29: Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista Sager, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Partizipation an forschungsrelevanten Entscheidungen verbessern – Drucksache 17/11687 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Die Reden wurden zu Protokoll gegeben. Florian Hahn (CDU/CSU): Zu Beginn meiner Rede möchte ich Ihnen ein Zitat aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschlands ins Gedächtnis rufen. Ich zitiere Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Besonderes Augenmerk möchte ich auf den zweiten Halbsatz „Forschung und Lehre sind frei“ lenken. Der hier vorliegende Antrag der Grünen torpediert den Grundsatz dieser Aussage und zielt auf eine Planwirtschaft der Forschung ab. Wohin dies führen kann, haben wir 60 Jahre lang im Osten Deutschlands erlebt. Betrachtet man den Antrag genauer, werden die wahren Beweggründe der Grünen deutlich. Der radikale Vorstoß zur Aushebelung der Freiheit der Forschung wird als eine „Verbesserung der Partizipation“ getarnt. Dass dieser Antrag darauf abzielt, den Forschungsprozess, so wie wir ihn kennen, auszuhebeln, ist anfangs nicht ersichtlich. Die Grünen suggerieren mit der Überschrift des Antrags, dass vorhandene Partizipationsprojekte angepasst und verbessert werden sollten, fordern dann aber im Antrag selbst eine komplette Umstrukturierung. Welche wahren Absichten sich hinter diesem Antrag verstecken, wird jedem Leser spätestens nach dem zweiten Absatz deutlich. Es fallen Sätze, in denen von NGO-Beteiligung an Agendasettingprozessen, von der Einflussnahme auf Forschungsthemen und -schwerpunkte und der Integration von nichtwissenschaftlichen Akteuren in Forschungsprojekten die Rede ist. Jeder verfassungstreue Leser müsste bei diesen Formulierungen an die Decke gehen, beinhalten diese Aussagen nichts Geringeres als ein Ende der uns bekannten Forschungsfreiheit. Um der Rolle des Heilsbringers der grünen Klientel gerecht zu werden, werden im weiteren Verlauf des Antrags Forderungen gestellt, die das ganze Ausmaß dieser Forschungsrevolte zum Vorschein bringen. Die erwähnte Einflussnahme bei Agendasettingprozessen soll durch „multiperspektivische Diskurse im Vorfeld der Entscheidungsfindung“ stattfinden, um als „Voraussetzung für innovationsfördernde Forschungsagenden bzw. ihrer Operationalisierung in Forschungsprogrammen“ aufzutreten. Um es auf den Punkt zu bringen: Im Vorfeld von Forschungsvorhaben sollen von nun an Runde Tische veranstaltet werden, bei denen nichtwissenschaftliche Akteure ideologiegeleitetes Agendasetting betreiben können. Dem würde ein durch Rätekonsens entschiedener Beschluss über die zu genehmigenden Forschungsvorhaben folgen. Dem Antrag fehlt nur noch der Vorschlag zur Einrichtung eines ständigen „Komitees für Agendasetting“, um der hier vorgeschlagenen Planungswut vollen Ausdruck zu verleihen. Lassen Sie mich kurz den derzeitigen Weg des Agendasettings beispielhaft am Gesundheitsforschungsprogramm skizzieren, um Ihnen deutlich zu machen, welche dramatischen Folgen die Zustimmung zum Antrag der Grünen hätte. Im Jahre 2004 wurde bereits unter Rot-Grün der Gesundheitsforschungsrat eingerichtet, der einen Road-Map-Prozess initiierte. Hierbei wurde fachgeleitet evaluiert, welche Themen von Interesse sein könnten und welche Forschungsprojekte angestoßen werden sollten. Dieser Austausch fand zwischen Wissenschaftlern statt, die das nötige Fachwissen für das Thema aufbringen. Aus diesen Beratungen ging eine Publikation des Road-Map-Prozesses hervor, die an das BMBF weitergeleitet wurde. Dass Sie nun ihre eigens kreierten Strukturen aufheben wollen, spricht einmal wieder für Ihre Inkonsistenz. Neben dem Input durch den Rat wurden noch weitere Informationen, etwa von der Forschungsunion, bezogen. Als Ergebnis dieses Prozesses entstand das Gesundheitsforschungsprogramm, in dem sich nun Forschung und Wissenschaft frei entfalten können, ein Bottom-up-Prozess aus der Wissenschaft für die Wissenschaft. Die Grünen planen nun ein ideologisiertes Diskussionsforum von NGOs, Forschern und Zivilpersonen, um dort zu entscheiden, welche Forschung betrieben werden darf. Die Kompetenzen der Forschungselite würden dabei in einem Wirrwar von Einzelinteressen und Gefälligkeiten untergehen. Es entstünde ein Kontrollgremium, das Agendasetting nach eigenem Ermessen vornimmt und Gefälligkeitsforschung betreibt. Von der Freiheit der Forschung kann dann keine Rede mehr sein. Lassen Sie mich kurz die Auffassung der CDU/CSU-Fraktion zu diesem Thema wiedergeben, die diesem Antrag mehr als konträr gegenübersteht. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Wir stehen der Partizipation von Verbänden aus der Zivilgesellschaft grundsätzlich positiv gegenüber und unterstützen diese sogar ausdrücklich in bestimmten Bereichen. Bei ethisch relevanten Fragen wie der Stammzellforschung oder Gentechnik werden schon heute einschlägige gesellschaftliche Akteure, etwa über den Deutschen Ethikrat, DER, breit eingebunden. Hier findet ein sinnvoller Austausch zwischen Forschung und Zivilgesellschaft statt. Dieses erfolgreiche Konzept wollen wir auch beibehalten. Dieser Antrag der Grünen will ein erfolgreiches bestehendes Konzept durch Planwirtschaft ersetzen. Er könnte genauso gut von der Fraktion Die Linke formuliert sein. Er spiegelt eine Regelwut seitens der Grünen wider, die sich mit diesem Antrag ein Gremium schaffen wollen, um eine ideologisierte Forschung voranzutreiben. Sie wollen sich selbst ein Sprachrohr schaffen, um ihre eigene Agenda durchzudrücken, und tarnen dies unter dem Deckmantel der „Partizipation der Zivilgesellschaft“. Dadurch würde nichts Geringeres als der Grundsatz der Freiheit der Forschung geopfert. Die CDU/CSU-Fraktion tritt diesem Antrag vehement entgegen. Sozialistische Planforschung gab es schon einmal in Deutschland. Wir bewahren die Freiheit der Forschung. René Röspel (SPD): Wir diskutieren heute einen druckfrischen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema „Partizipation an forschungsrelevanten Entscheidungen verbessern“. Wir finden diesen Antrag der Grünen grundsätzlich unterstützenswert, auch wenn erst im Verlauf des Antrags klar wird, dass es sich – richtigerweise – um die Partizipation an forschungsrelevanten Entscheidungen im politischen Raum handelt, also zum Beispiel in Parlament und Regierung, und damit nicht um die Entscheidung in der Wissenschaft. Der Wille zu mehr Teilhabe und Mitbestimmung der Zivilgesellschaft an forschungsrelevanten Themenschwerpunkten, wie zum Beispiel der Ausrichtung und Schwerpunktlegung der staatlich geförderten Forschungsförderung, ist grundsätzlich als legitim anzuerkennen. Zwar kann sich Wissenschaft und Forschung in Deutschland grundsätzlich auf die in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes kodifizierte Wissenschafts- und Forschungsfreiheit berufen. Doch dieses Grundrecht entbindet weder das Forschungs- und Wissenschaftssystem noch deren Akteure von der Verantwortung der Forschung und Wissenschaft vor der Gesellschaft. Zudem ist durch einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Möglichkeit zur Ausgestaltung der Rahmenbedingungen des Forschungs- und Wissenschaftssystems durch den Gesetzgeber mehrfach bestätigt worden. Diese Möglichkeit zur Setzung von Rahmenbedingungen hat der Gesetzgeber in der Geschichte der Bundesrepublik bereits mehrfach und in vielfältiger Weise wahrgenommen. Die Schaffung und Weiterentwicklung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder aber die Programmförderung sind nur einzelne Beispiele für die Anwendung und Durchsetzung des Gestaltungsanspruches des Gesetzgebers in dieser Hinsicht. Wenn der Gesetzgeber seinen gestalterischen Anspruch wahrnimmt, so begründet er dies meist mit übergeordneten staatlichen und gesellschaftlichen Interessen und selten mit dem Argument, die Wissenschaftsfreiheit zu befördern. So tat er dies beim Aufbau einer außeruniversitären Forschungsinfrastruktur in den 1960er-Jahren oder aber wie jüngst mit einer Aufstockung der Mittel für die außeruniversitäre Forschung im Rahmen des Paktes für Forschung und Innovation. Bei der Planung und Konzipierung dieser Politik- und Förderprogramme hat sich der Gesetzgeber stets mit Akteuren aus dem Wissenschafts- und Forschungssystem selbst oder aber mit Akteuren außerhalb des Systems abgestimmt und rückgekoppelt. In beiden Fällen tat er dies zur Steuerung und Optimierung seiner Förderaktivitäten im Sinne einer Bedarfsermittlung. Die Innovationsforschung spricht in diesem Zusammenhang von einer sogenannten Push- bzw. Pull-Funktion. Dabei spielt hinsichtlich der Berücksichtigung der Bedarfe von Akteuren außerhalb des Systems Wissenschaft die Bündelung von Interessen und die adressatengerechte Kommunikation eine besondere Rolle. Sie ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Partizipation im Rahmen der staatlichen Schwerpunktsetzung bei der Weiterentwicklung des Wissenschafts- und Forschungssystems. Der vorliegende Antrag analysiert in diesem Zusammenhang richtig, dass es hinsichtlich der Möglichkeiten der Mitsprache und Partizipation der Industrie – im Vergleich zu anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen – ein Ungleichgewicht gibt. Dieses ist historisch gewachsen, stellt aber kein ausschließliches Privileg der Industrie dar und bedeutet schon gar nicht, dass das richtig ist und so bleiben muss. Dem Anspruch der zivilgesellschaftlichen Gruppen, vor allem aus dem Bereich der Nichtregierungsorganisationen, hinsichtlich einer stärkeren Konsultation und letztlich Mitbestimmung bei der künftigen Ausrichtung des Forschungs- und Wissenschaftssystems mitwirken zu dürfen, gilt es Rechnung zu tragen. Denn mit einer solchen Form der Partizipation wird Neuland betreten – sowohl für die zivilgesellschaftlichen Akteure als auch für den Staat selbst. Die im vorliegenden Antrag gestellte Forderung, zunächst einmal eine ausgiebige Bestandsaufnahme zu den Möglichkeiten der bestehenden oder zu schaffenden Partizipation zu machen, halten wir demnach für zielführend. Nur mit einer umfassenden Bestandsaufnahme, die einen für alle Beteiligten akzeptierten Status quo schafft, werden sich Möglichkeiten und Verfahren der Partizipation schaffen lassen, die bei allen Betroffenen und zu beteiligenden Akteuren auf Akzeptanz stoßen. Ohne dieser Bestandsaufnahme vorgreifen zu wollen, möchte ich an dieser Stelle noch auf die mehrfach im Antrag genannte Ressortforschung eingehen. Da diese der Exekutive nachgelagerten Einrichtungen zwar in ihrer Forschung frei sind, in ihrer Themenauswahl jedoch dem Regierungshandeln nachgelagert sind, muss die grundsätzliche Frage gestellt werden, ob sie für Partizipationsverfahren der oben genannten Art geeignet sind. Zudem besteht bei diesen Einrichtungen durch die enge Anbindung an die Exekutive zumindest mittelbar die Möglichkeit der Partizipation des Bürgers. Abschließend möchte ich noch auf Folgendes hinweisen: Sowohl den vorliegenden Antrag als auch dem dahinter stehenden grundlegenden Interesse zur Partizipation der Zivilgesellschaft stehen wir offen gegenüber. Noch unklare Details, also zum Beispiel wer nach welchen Kriterien als Vertreter welcher Gruppen in Gremien entsandt werden soll, werden wir ja noch im Ausschuss diskutieren können. Wir möchten aber betonen, dass jede Form der tatsächlichen oder versuchten Einflussnahme – sei sie institutionalisiert oder offen – die Grenzen der Wissenschaftsfreiheit grundsätzlich zu wahren hat. Wie die Wissenschaft Erkenntnis gewinnt, soll sie stets selbst bestimmen. Gleiches gilt auch für die freie Verbreitung der Ergebnisse. Wenn diese Interessen gewahrt bleiben, dann werden die im Antrag genannten Bestrebungen auch künftig unsere Unterstützung erfahren! Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Forschungspolitik ist eine gemeinschaftliche Aufgabe von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Gemeinsam werden Forschungsschwerpunkte und Förderprogramme erarbeitet. Weder die Politik noch die Wissenschaft sind in der Lage, alleine und voneinander losgelöst ein Forschungsprogramm auszugestalten. Weder die Politik noch die Gesellschaft sind ohne die Wissenschaft imstande, zukünftige Forschungsschwerpunkte zu identifizieren. Nur gemeinsam und im ständigen Austausch aller Akteure können forschungsrelevante Entscheidungen getroffen werden. Ein solcher Dialog ist keine Utopie, wie der vorliegende Antrag „Partizipation an forschungsrelevanten Entscheidungen verbessern“ von Bündnis 90/Die Grünen glauben machen will, sondern seit langem gängige Praxis. Forschungsprogramme und Forschungsschwerpunkte werden im Vorfeld von einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure beraten. Es finden mehrere Runden und Beratungen statt, bevor die Politik bzw. das Parlament darüber befinden. Dieses Verfahren stellt bereits mehrfach sicher, dass die Gesellschaft und auch die von den Grünen geforderten und genannten zivilgesellschaftlichen Akteure einbezogen sind und dass nicht nur, wie von den Grünen verdächtigt, die Mainstream-Meinung abgebildet wird, sondern auch kritische Stimmen zu Wort kommen. Anders würde es nicht gelingen, zielgerichtet Programme zu entwerfen oder zukünftige Forschungsschwerpunkte in die Förderung zu bringen. Was die Grünen tatsächlich mit ihrem Antrag bezwecken, verbirgt sich hinter ihrem Lieblingswort: Transparenz. In dem gesamten Antrag wird verdächtigt, dass es keine Transparenz bei der Ausgestaltung von Forschungsprogrammen gibt. Es wird unterstellt, dass der Mangel an Transparenz zu einer Loslösung der Forschungspolitik von der Gesellschaft geführt hat. Tatsächlich ist die Kritik mangelnder Transparenz aber nur ein ideologisches Schlagwort der Grünen, um in Wahrheit neue Verbote und ein Klima des Verdachts zu etablieren. Denn insbesondere in Verbindung mit der Informationsfreiheit will Transparenz – nach dem Autor und Philosophen Byung-Chul Han –, dass die Handlungen sich dem berechen-, steuer- und kontrollierbaren Prozess unterordnen. Mit Transparenz will man die Überwachung, man bezweckt, das von einer gewünschten Norm Abweichende zu eliminieren. Der Philosoph Byung-Chul Han formuliert es treffend. Die Forderung nach Transparenz hat sich heute als ein systemischer Zwang etabliert, der sich über alle gesellschaftlichen wie politischen Prozesse legt. Bezweckt wird, dass sich die Politik völlig entkleidet, damit man so politisches Handeln leichter an den Pranger stellen kann. Für mich als Liberalen bedeutet deshalb die Forderung der Grünen nach mehr Transparenz, auf die ständig verwiesen wird, ein Warnsignal, nicht nur für die Politik, sondern auch für die Gesellschaft – die durch ein stetes Vorgaukeln von Partizipationsdefizit und Transparenzmangel gegen etwas aufgestachelt wird. Die Grünen sind aber nicht an der Freiheit und Selbstständigkeit der Wissenschaft und Forschung interessiert, sondern an dem langfristigen Versuch, die Forschung einer grünen Regie zu unterwerfen. Genannt wird im Antrag auch gleich, wen man eigentlich befördern will, wem man mehr Mitsprache geben will. Genannt wird im Antrag die Plattform „Forschungswende“, hinter der sich grüne Verbände verbergen. Es geht im Grunde um die Verstärkung eines grünen Lobbyismus. Allein schon das Wort „Forschungswende“ verdeutlicht die zweifelhafte Sicht auf die Forschung. Es wird suggeriert, dass die Forschung in Deutschland eine Wende braucht. Es macht glauben, dass sich die Forschung in Deutschland auf einem falschen Weg befindet. Ich kritisiere deshalb nicht nur, dass die Grünen Schlechtes mit der Transparenz im Schilde führen. Ich kritisiere auch den Lobbyismus und die Klientelpolitik, denen sie mit ihrem Antrag Vorschub leisten. Denn sie fordern die Bundesregierung einseitig dazu auf, organisierten Akteuren und Interessenvertretern ein stärkeres Mitspracherecht bei der Gestaltung von Forschungsprogrammen und Forschungsschwerpunkten zu geben. Das Kuriose ist dabei – es wird auch gleich proklamiert –, welchen Forschungsschwerpunkt man befördern möchte. Die Nachhaltigkeitsforschung bzw. die sozial-ökologische Forschung, für die die Grünen werben, soll um jährlich 5 Prozent steigen. Warum und aus welchen forschungspolitischen Gründen, wird nicht genannt. Das ist pure Klientelpolitik und hat nichts mit Redlichkeit zu tun. Wir Liberale lehnen den Antrag ab, weil er nicht unser Verständnis von Forschungspolitik trifft. Interessengruppen werden bei der Ausgestaltung und Identifikation von Forschungsprogrammen und Forschungs-schwerpunkten einbezogen. Auch institutionalisierte Beteiligung gibt es. Es werden keine Stellungnahmen von Interessengruppen und Akteuren ausgeklammert oder nicht berücksichtigt. Wer das glauben macht, hat aufgehört, an die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland zu glauben. Wir Liberale erkennen aber an, dass wir den einzelnen Bürgern stärker als zuvor die Politik verständlich machen müssen, welche Prozesse und Entscheidungen im Hinblick auf Wissenschaft und Forschungspolitik getroffen werden. Wir müssen Wissenschaftspolitik erklären. Dem stellen wir Liberale uns und werden dies auch weiterhin tun. Einen ersten Ansatz haben wir bereits in dieser Legislaturperiode mit dem Bürgerdialog geschaffen – daran gilt es nun anzuknüpfen, und es gilt, das weiter zu stärken. Denn wir wissen, dass die Forschung den Dialog mit der Gesellschaft braucht. Deshalb werden wir zukünftig noch weitere Dialogplattformen einrichten und weiter den Dialog mit den Bürgern zu den Themen Energietechnologien für die Zukunft, Hightechmedizin oder zum demografischen Wandel erfolgreich führen. Der Antrag von den Grünen wird diesem Anspruch in keinster Weise gerecht. Er will keine Partizipation schaffen, sondern Antizipation von forschungsrelevanten Entscheidungen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Wir freuen uns, dass die Kolleginnen und Kollegen der Grünen sich im vorliegenden Antrag der Frage annehmen, wie mehr Partizipation in die Schwerpunktsetzung zur Forschungsförderung gebracht werden kann. Auch meine Fraktion mahnt dies seit langem an. Wir vermissen im Antrag jedoch erstens eine präzisere Analyse der Probleme der aktuellen Beratungs-, Foresight- und Entscheidungsprozesse und zweitens effektive und überzeugende Lösungsansätze. Denn die Einseitigkeit, mit der seit langem die Innovationsförderung in diesem Land auf technologiebasierte Exporterfolge getrimmt wird, wird den komplexen Zukunftsproblemen nicht gerecht. Man muss dabei gar nicht bis zu Heinz Riesenhubers Zeit als Forschungsminister zurückgehen. In Zeiten der rot-grünen Koalition hatte die damalige Bundesregierung eine „Innovationsoffensive“ auf den Weg gebracht und gemeinsam mit illustren Partnern vom BDI, der BASF, der Telekom, EnBW, Schering, Siemens, Roland Berger und anderen „Leuchtturmprojekte“ für ein besseres Innovationsklima entwickelt. Wir erinnern uns noch an die Kampagne „Du bist Deutschland“, die in diesem Rahmen entstanden ist. In Zeiten der Großen Koalition unter Kanzlerin Merkel und Forschungsministerin Schavan wurde das Label Hightech-Strategie entwickelt. Bis heute finden sich in den Beratungsgremien zu den Themen Forschung, Technologie und Innovation fast ausschließlich Vertreter großer, exportstarker Unternehmen, ihrer Verbände oder anwendungsnaher Forschungsrichtungen. Wir erinnern uns an den „Rat für Innovation und Wachstum“, den die Kanzlerin kurz nach ihrem Amtsantritt berief. Geleitet wurde er von Heinrich von Pierer von Siemens, der später im Zuge von Schmiergeldzahlungen in die Kritik geriet. Weitere Mitglieder waren etwa die Vorstandschefs von ThyssenKrupp, Bayer, SAP und DaimlerChrysler. Gewerkschaften, Verbraucher- oder Umweltverbände? Fehlanzeige. Von Geschlechtergerechtigkeit war ebenfalls nichts zu sehen. Schon damals fragten wir, wie eine solche Runde Lösungen zum Klimaschutz, zur Energiewende oder für soziale Innovationen angemessen beraten soll. Zwischenzeitlich wurde auch eine Verkehrswende notwendiger denn je, wenn unsere Städte lebenswert bleiben, das Klima geschützt und die Mobilität aller gesichert werden soll. Und wie lässt sich die Bundesregierung zu diesem Thema beraten? Die Automobilindustrie und die Energieversorger, Hauptprofiteure der Innovationsförderung, dürfen im Rahmen der Nationalen Plattform Elektromobilität die neue „Leittechnologie“ für die Exportmärkte bewerben. Von den 148 Mitgliedern, die in den Arbeitsgruppen der Plattform arbeiten, wurden 111 aus der Industrie entsandt. Lediglich drei kommen von Umwelt-, Verkehrs- oder Verbraucherverbänden. Die Subventionsforderungen in dem 2011 übergebenen Bericht der Plattform summieren sich auf 4 Milliarden Euro. Die Bundesregierung hat 1 Milliarde Euro jährlich zugesagt. Allein: Die Ergebnisse der immensen staatlichen Förderung ernüchtern. Die deutschen Hersteller produzieren weiter Fahrzeuge mit starken Spritschluckmotoren. Von einer echten Verkehrswende hin zu mehr kollektiver Mobilität in Bahnen und Bussen war ohnehin nie die Rede. Diese Einseitigkeit zeigt sich ebenfalls beim sogenannten Bioökonomierat, der sich mit den Themen rund um die Verwertung von Tieren und Pflanzen befasst und sich regelmäßig für industriefreundliche Lösungen etwa bei der Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen oder der Patentierung von Forschungsergebnissen und -methoden einsetzt. Um es klar zu sagen: Wir kritisieren nicht, dass sich Unternehmen an der Debatte um Förderprioritäten beteiligen und natürlich ihre Interessen wahrnehmen. Uns geht es darum, dass diese exklusive und direkte Mitsprache anderen verwehrt wird, die diese Diskurse bereichern und voranbringen könnten. Forschung, Technologie und Innovation gestalten unsere Lebenswelt von morgen, sie sollen komplexe Probleme lösen helfen, die uns alle betreffen werden. Für die Lösung reicht häufig die Schaffung neuer Produkte nicht aus. Vielmehr müssen umfassende gesellschaftliche Veränderungsprozesse, soziale Innovationen entwickelt und verabredet werden. Wir halten es daher für richtig, dass Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften, dass Umwelt-, Verbraucher- und Interessenverbände, dass auch kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Verwaltungen, Ressortforschungseinrichtungen und Behörden einbezogen werden und ihre Expertise beitragen können. Mit der zivilgesellschaftlichen Plattform „Forschungswende“ haben sich viele dieser Verbände und sozial-ökologischen Forschungseinrichtungen bereits zusammengefunden und fordern ihre Mitsprache ein. Uns ist daher unverständlich, wieso der Antrag der Grünen angesichts der drängenden Probleme vor allem Prüfaufträge und Konzeptstudien verteilen will. Aus unserer Sicht springt er damit zu kurz. Immerhin werden bereits jetzt in Deutschland und Europa die Forschungsagenden für die kommenden zehn Jahre über 2020 hinaus entwickelt. Meine Fraktion wird daher einen eigenen Antrag zum Thema vorlegen. Zur Unterstützung der sozial-ökologischen Forschung haben wir in den Haushaltsverhandlungen einen starken Aufwuchs und ein umfassendes Konzept für Nachhaltigkeitsinnovationen und Transformationsforschung beantragt. Obwohl die Regierungskoalition dies abgelehnt hat, werden wir uns auch in den kommenden Verhandlungen weiter für eine Forschungswende stark machen. Wir brauchen mehr Transparenz, mehr Demokratie, eine echte Forschungsfreiheit öffentlich finanzierter Wissenschaft und einen klaren Fokus der Innovationsförderung auf einen sozial-ökologischen Umbau unserer Gesellschaft. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Forderungen nach mehr Transparenz und Partizipation in der Forschung erleben in letzter Zeit starken Aufwind. Zu beobachten war dies zuletzt besonders nachdrücklich auf vielen Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit dem nun zu Ende gehenden Wissenschaftsjahr 2012 standen. Zivilgesellschaftliche Gruppen forderten, an sogenannten Agendasettingprozessen stärker beteiligt zu werden und damit Einfluss auf Forschungsthemen und Forschungsschwerpunkte zu nehmen. Bürger und Bürgerinnen bekundeten ihre Bereitschaft und ihr Interesse an dialogorientierter Kommunikation und anderen bürgerpartizipativen Verfahren. Und schließlich ging es um die Frage, wie nichtwissenschaftliche Akteure und nichtwissenschaftliches Wissen bei konkreten Forschungsprojekten stärker integriert werden können. Zivilgesellschaftliche Gruppen monierten auch, dass Gremien und Expertengruppen, die maßgeblich an der Prioritätensetzung in der Wissenschaftspolitik beteiligt sind, einseitig besetzt sind. Und es gibt die Kritik, dass die Verfahren, wie Forschungsagenden entstehen, von außen kaum durchschaubar und von vielen informellen, intransparenten Aushandlungsprozessen geprägt sind. Meine Fraktion hat diese Diskussionen aufmerksam verfolgt. Ich halte es für angezeigt, jetzt, am Ende des Wissenschaftsjahrs, ein Resümee zu ziehen und ernsthaft gemeinsam zu überlegen: Wie können diese Impulse auf eine nachhaltige Basis gestellt werden? Was kann Politik leisten, um Wissenschaft transparenter und Agendasetting in der Forschungspolitik partizipativer zu gestalten? Dass sich die Debatte um Partizipation und Transparenz jetzt so vehement stellt, kommt nicht von ungefähr. Sie ist auch Ausdruck davon, dass Wissenschaft heutzutage einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren hat. Zur Diskussion steht nicht mehr und nicht weniger als ein neues Verhältnis zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Je mehr Ideologien und Weltanschauung in einer pluralen Gesellschaft an Begründungskraft eingebüßt haben, desto stärker richtet sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf Wissenschaft und Forschung. Legitimation politischer Entscheidungen läuft immer stärker über den Hinweis auf wissenschaftliche Expertise. Wissenschaftliche Erkenntnisse spielen im Ringen um die beste politische Lösung eine entscheidende Rolle. Sie werden nicht nur als wichtige Grundlage für Innovation und Wohlstandsentwicklung gesehen. Es steigt auch zunehmend der Erwartungsdruck gegenüber Forschung und Wissenschaft, Lösungen für große gesellschaftliche und globale Herausforderungen wie Klimawandel, demografische Entwicklung, Finanzmarktkrise oder Energiewende zu entwickeln. Angesichts dessen ist es kein Wunder, dass immer mehr Akteure mitreden wollen, wenn es darum geht, welche Fragen zukünftig vorrangig mit öffentlichen Geldern erforscht werden sollen, wie Forschungsbedarfe identifiziert und welche Schwerpunkte gesetzt werden. Der Impuls von Umweltverbänden, Kirchen, Gewerkschaften, Verbraucherschutz- und entwicklungspolitischen Verbänden, sich in der zivilgesellschaftlichen Plattform „Forschungswende“ zusammenzutun, um Einfluss auf Forschungsagenden zu nehmen, ist vor diesem Hintergrund völlig nachvollziehbar. Wissenschafts- und Forschungspolitik kommt also gar nicht darum herum, sich in Zukunft verstärkt kritischen Fragen auszusetzen: Wie strukturiert ihr eigentlich eure Agendasettings, wenn es um Forschung geht? Wer ist an diesen Prozessen beteiligt, wer ausgeschlossen? In welchen Kreisen wird über Forschungsprogramme entschieden? Was wird in welcher Höhe von wem warum mit öffentlichen Mitteln erforscht? Meine Fraktion hat Ihnen nun verschiedene Vorschläge gemacht, um bei der Diskussion um Partizipation weiterzukommen. Wir stellen fest: Einen systematischen Überblick darüber, wo überall in der Forschungsförderung geeignete Ansatzpunkte für mehr Partizipation liegen, gibt es bislang nicht. Aus diesem Grund ist auch in vielen Fällen unklar, an welchen Stellen partizipative Elemente wie weit gehen können. Die Ansatzpunkte für Partizipation dürften angesichts der unterschiedlichen Formen öffentlicher Forschungsförderung – wie institutionelle Förderung, Projektförderung, personenbezogene Förderung oder Ressortforschung – durchaus unterschiedlich sein. Wir Grünen schlagen daher vor, zuallererst eine Bestandsaufnahme zu erarbeiten. Auf dieser Basis ist dann zu bewerten, wo partizipative Elemente im Forschungs- und Forschungspolitikbereich Sinn machen, wie weit sie reichen können und wo zu ihrer Durchsetzung Politik gefragt ist. Wir brauchen außerdem Grundlagen und Konzepte, nicht nur wo, sondern auch wie in entsprechende Prozesse partizipative Verfahren besser integriert werden können. Das ist schon allein deshalb nötig, weil bestehende Bürgerbeteiligungsverfahren viel zu oft in Frustrationen enden. Beteiligungsverfahren, die bei den Beteiligten als wirkungslos erfahren werden, machen keinen Sinn. Denn wo es faktisch nichts zu entscheiden gibt, wird Partizipation zur bloßen Scheinpartizipation. Um solchen Tendenzen vorzubeugen, können die Erfahrungen mit Verfahren und Methoden partizipativer Beteiligung hilfreich sein, wie sie in der Technikfolgenabschätzung oder auch international aus Bürgerbeteiligungsprozessen vorliegen. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, Mittel zur Verfügung zu stellen, damit Konzepte partizipativer Governanceformen etabliert, weiterentwickelt und mit Blick auf ihre Effekte und Nachhaltigkeit evaluiert werden können. Wir sollten uns aber auch die Frage stellen, wie zukünftig zum Beispiel in der Ressortforschung systematisch Forschungsbedarfe und Forschungsfragen partizipativ identifiziert werden können. Und noch auf einen weiteren Einsatz, auf den ich im Rahmen des Wissenschaftsjahrs gestoßen bin, möchte ich hinweisen: Wie oft werden wir als Mitglieder des Bundestages nicht mit interessanten forschungsbezogenen Ideen aus der Mitte der Gesellschaft konfrontiert, deren Güte wir schwer beurteilen können, deren Ideen aber durchaus vielversprechend klingen? Deshalb schlagen wir vor, ein Pilotprogramm für innovative, originelle und pionierhafte Kleinstprojekte mit Forschungsbezug aufzulegen, die von Bürgerinnen und Bürgern beantragt werden können. Wissenschaftspolitik täte auch gut daran, dort, wo bislang forschungspolitische Agendasettingprozesse stattfinden, die Basis der beteiligten Akteure breit und heterogen aufzustellen. Ein Beitrag dazu wäre, entscheidungsrelevante und beratende Foren und Gremien aktiv für Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft zu öffnen. Wir brauchen außerdem mehr finanzielle Unterstützung von Kooperationsbeziehungen zwischen Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Während es an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft nämlich bereits vielfältige öffentlich unterstützte Kooperationsformen und -mechanismen gibt, ist dergleichen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft schwach ausgeprägt. Dies sollte sich ändern. Bei einer Auseinandersetzung mit dem Thema Partizipation in der Forschung darf eine Würdigung der Leistungen der sozial-ökologischen und Nachhaltigkeitsforschung nicht fehlen. Die transdisziplinäre Forschungspraxis verfügt hier über vielfältige Expertise und Best-Practice-Erfahrung zu Beteiligungsverfahren. Das konzeptionelle Know-how der transdisziplinären Forschung gilt es zukünftig stärker zu nutzen. Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, warum die transdisziplinäre sozial-ökologischen Forschung im Bundeshaushalt für 2013 eine Kürzung erfährt. Zur Bewältigung hochkomplexer Problemlagen wie Klimawandel, demografischer Wandel oder Energiewende bedarf es einer Verstetigung, Stärkung und Weiterentwicklung solcher Ansätze. Der Anspruch, Wissenschaft und Forschungspolitik stärker Prinzipien von Transparenz und Information, Konsultation und Mitbestimmung zu verpflichten, ist ambitioniert. In diesem Bereich gibt es keine Patentrezepte und keine schnellen Antworten. Wir sollten das Ende des Wissenschaftsjahrs 2012 als Auftakt dafür nehmen, um die Impulse für mehr Partizipation und Transparenz aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11687 an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Dann geschieht das so. Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 e: 30 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Forschung und Innovation 2012 – Drucksache 17/9680 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit 2012 – Drucksache 17/8872 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Starke Fachhochschulen für Innovationen in Gesellschaft und Wirtschaft – Drucksache 17/9574 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Deutschen Innovationsfonds einrichten – Gravierende Förderlücke im deutschen Innovationssystem endlich schließen – Drucksache 17/11826 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Dr. Martina Bunge, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Soziale Innovationen und Dienstleistungsinnovationen erforschen und fördern – Drucksache 17/8952 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Reden wurden zu Protokoll gegeben. Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Wir haben eine Vision: Deutschland – ein Land einer starken Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, die geprägt wird von Bildung, Forschung und Innovationen, von denen alle Teile der Gesellschaft profitieren. Denn: Bildung, Forschung und Innovationen sichern unseren Wohlstand und die Lebensqualität unserer Kinder. „Vertrauen ist für alle Unternehmungen das Betriebskapital, ohne welches kein nützliches Werk auskommen kann.“ Das hat Albert Schweitzer einmal gesagt, und er hatte recht. Vertrauen ist die Basis: Das gilt für alle Unternehmungen, das gilt für die Forschung, und das gilt natürlich ebenso für die Politik. Woher kommt das Vertrauen? Vertrauen entsteht durch Verlässlichkeit, durch Berechenbarkeit, durch nachhaltiges, verantwortungsvolles Handeln. Es ist selbstverständlich, dass wir als Politiker uns dieses Vertrauen der Menschen immer wieder erarbeiten müssen. Was hat dies mit Forschung und Innovation zu tun – das Thema, über das wir heute sprechen? Das Expertengutachten für Forschung und Innovation zeigt wieder einmal ganz deutlich, dass dieses Politikfeld in der christlich-liberalen Koalition von großem gegenseitigem Vertrauen geprägt ist. Die Politik vertraut der Wissenschaft, und die Wissenschaft vertraut der Politik. Denn: Wir sichern die notwendigen Mittel für die Forschung; wir sichern Wissenschaftsfreiheit; wir sichern gute Rahmenbedingungen für Innovationen und Unternehmensgründungen; wir machen dies aus tiefer Überzeugung und aus Respekt vor den großartigen Leistungen unserer Forscherinnen und Forscher in Deutschland: in den Forschungseinrichtungen, in den Hochschulen, in den vielen großen und kleinen Unternehmen. Wir verlassen uns auf sie, und sie können sich auch auf uns verlassen. Dass sich Wissenschaftler, Forscher, Hochschullehrer und Studierende auf uns verlassen können, das beweist das vorliegende EFI-Gutachten. Es stellt der christlich-liberalen Koalition ein hervorragendes Zeugnis aus: Seitdem Bildungsministerin Annette Schavan im Amt ist, haben sich die Investitionen in Bildung und Forschung um mehr als 50 Prozent erhöht. Mit der Exzellenzinitiative, der Hightech-Strategie, dem Qualitätspakt Lehre, dem Hochschulpakt und dem Pakt für Forschung und Innovation schaffen wir die entscheidenden Voraussetzungen für die „Bildungsrepublik Deutschland“. Niemals gab es weniger Schulabbrecher, nie gab es mehr Abiturienten und Studienanfänger, nie gab es mehr Hochschulabsolventen. Unser Ziel, 3 Prozent in Forschung und Entwicklung zu investieren, haben wir mittlerweile schon fast erreicht. Pro 1 Million Einwohner weist Deutschland zudem etwa doppelt so viele weltmarktrelevante Patente auf wie die USA. Beides zeigt: Endlich gehört Deutschland weltweit auch in der Forschung wieder zu den Besten. Natürlich gibt es immer Raum für Verbesserungen. An diesen Verbesserungen arbeiten wir kontinuierlich. Denn um weiterhin an der Spitze zu stehen, brauchen wir noch mehr Offenheit für Neues, mehr Offenheit für Unbekanntes. Wir brauchen an der einen oder anderen Stelle mehr Wagemut. Das gilt auch für Europa. Die EFI-Gutachter warnen hier zu Recht: Trotz hoher Ausgaben für die EU-Strukturfonds liegen zu viele Länder weit hinter den gemeinsamen Zielen zurück. Hier sind wir alle gefordert! Aber lassen Sie mich noch auf einen anderen Punkt eingehen: Wissen in der Wissenschaft zu vermehren – oder wie es so schön im Englischen heißt: „Research for Library“ – das reicht nicht. Nein, die Anwendung des Wissens in der praktischen Welt des Lebens ist mindestens ebenso wichtig. Es geht um neue Produkte, um neue Verfahren und um neue Arbeitsplätze – und zwar solche mit Wissensvorsprung. Davon haben wir in den letzten Jahren immerhin schon mehr geschaffen als jede Regierung zuvor: Mehr als eine halbe Million Menschen arbeiten heute in Deutschland im Bereich Forschung und Entwicklung. Aber – es müssen noch mehr Forschungsergebnisse zu neuen Unternehmungen führen. Schon jetzt schaffen Unternehmensgründer immerhin 500 000 Arbeitsplätze pro Jahr, und zwar nachhaltig. Ich wiederhole: 500 000. Jedes Jahr. Hierauf müssen wir unser Augenmerk richten. Ich nehme die Anmerkungen der EFI-Gutachter zum Thema Unternehmensgründungen daher gerne auf. Unternehmensgründungen sind das Herz der deutschen Wirtschaft. Sie sind gerade für die Standhaftigkeit unserer Wirtschaft in den jüngsten Krisenjahren ein positives Beispiel. In neuen Unternehmen werden innovative Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle entwickelt und umgesetzt. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zum notwendigen strukturellen Wandel in Deutschland. Leider haben viele in der Opposition dieses noch nicht erkannt und gehen diesen Weg nicht mit. Sie verharren in ihren alten Denkmodellen – der Staat müsse auch dieses richten und regulieren. Ich dagegen glaube an den Ausspruch: „Die Flucht vor dem Risiko des Wandels bedeutet Flucht vor Selbstständigkeit und unternehmerischer Freiheit.“ Wir fördern den Wandel, wir wollen mehr Selbstständigkeit, wir wollen mehr Freiheit. Wir wollen den Menschen den Raum und die Freiheit geben, Zukunft verantwortlich zu gestalten. Unser nächstes Ziel ist daher die weitere Verbesserung gründungsfreundlicher Rahmenbedingungen. Für Unternehmensgründer bietet der Standort Deutschland schon jetzt eine Reihe von Vorteilen. Dazu zählen unsere Infrastruktur, effektive öffentliche Förderprogramme, der Schutz des geistigen Eigentums und noch: ausreichend gute Fachkräfte. In der Gründungs- wie auch in der Wachstumsphase stellt gerade die Finanzierung für viele junge, innovative Unternehmen eine zentrale Herausforderung dar. „Business Angels“ können hierbei einen entscheidenden Beitrag leisten, weil sie eine Kombination aus finanziellen Unterstützern und erfahrenen Begleitern darstellen. Sie vertrauen in die jungen Leute, in ihre Ideen. Dieses Potenzial der Business Angels und anderer Wagniskapitalgeber wollen wir noch stärken nutzen. Daran arbeiten wir. Entsetzt bin ich dagegen vom Ansatz der SPD. Der vorliegende Antrag der SPD fordert, die Konzentration von Bundesmitteln auf die MINT-Fächer an den Fachhochschulen zu beenden. Das ist doch der vollkommen falsche Weg! Der Antrag ist nur so zu erklären, dass die SPD die Zahlen nicht kennt: Der Bedarf der deutschen Wirtschaft an Berufseinsteigern aus den MINT-Fächern wächst kontinuierlich. Schon jetzt fehlen in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik mehr als 200 000 Arbeitnehmer. Und um diesen Bedarf zu decken, ist vor allem eine Förderung des Ausbaus der MINT-Fächer an den Hochschulen von existentieller Bedeutung für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland. Eine Rücknahme der derzeitigen Förderung wäre das falsche Signal. Immerhin verteufelt der SPD-Antrag nicht mehr die Drittmitteleinwerbung der Hochschulen. Ich freue mich über den Erkenntnisgewinn der Sozialdemokraten, dass Drittmittel einen wichtigen Beitrag zur Forschung in Deutschland leisten. Durch die zunehmende Drittmitteleinwerbung konnten die Hochschulen im Jahr 2009 gut 6 Prozent mehr in Forschung und Entwicklung investieren. Dadurch hat sich die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich um mehr als 8 Prozent erhöht. Auch diese Zahlen belegen den erfolgreichen Weg, den wir eingeschlagen haben. Seitdem Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, geht es den Menschen und geht es unserem Land besser. Seitdem die CDU regiert, geht es auch den Forschern und Wissenschaftlern in unserm Land besser. Dies belegt das EFI-Gutachten sehr deutlich. Die christlich-liberale Koalition im Bund investiert massiv in Bildung und Forschung, weil wir an die Bildungsrepublik Deutschland glauben. Die Bundesländer, in denen SPD, Grüne und Linke regieren, rufen nach dem Geld des Bundes, weil sie ihre Haushalte nicht in den Griff bekommen. Anstatt ihr Geld in Bildung und Forschung zu investieren, konsumieren sie es lieber im allgemeinen Regulierungsdschungel oder in teuren Prestigeprojekten. Ich appelliere daher an diese Bundesländer, endlich der Grundgesetzänderung zuzustimmen, durch die weitere Kooperationen zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen möglich werden. Alle Experten sind sich einig, dass diese Grundgesetzänderung sinnvoll und notwendig ist. Sie schafft Planungssicherheit und Verlässlichkeit für Hochschulen, die Ihre Länder, meine sehr verehrten Damen und Herren der Opposition, nicht bieten können oder wollen. Die Arbeitsplätze von morgen entstehen nicht mit Antworten von gestern. Die Arbeitsplätze von morgen entstehen durch Innovationen und kreative Ideen unserer Forscher und Gründer in Deutschland. Kommen Sie zur Vernunft, werden sie endlich Ihrer Verantwortung gerecht und geben Sie Ihre wahlkampfbedingte Blockadehaltung im Bundesrat auf. Sie schaden damit Deutschland. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Deutschland ist der Fels in der Brandung im krisengeschüttelten Europa. Wir haben die Weltwirtschaftskrise 2008 besser als andere Länder überstanden und sind heute die Wirtschaftslokomotive Europas. Dieser Erfolg hat viele Väter: die Konjunkturprogramme, die Verbesserung der Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt, der Bürokratieabbau und vor allem unsere große Innovationskraft und unsere nachhaltige Wachstumsstrategie, die der Bundesbericht Forschung und Innovation 2012 ausführlich beschreibt. Unsere Stärken sind unsere vielfältige Forschungslandschaft mit exzellenten Universitäten und Forschungseinrichtungen, die auf dem Weg in die Wissensgesellschaft vorangehen, die gute Vernetzung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, die exzellenten Forschungsförderprogramme und unser hocheffizientes Innovationssystem. Mit fast 2,9 Prozent des BIP haben wir noch nie soviel in Forschung und Innovation investiert wie heute. Allein die Bundesregierung gibt in diesem Jahr im Rahmen ihrer Hightech-Strategie mit knapp 14 Milliarden Euro über 50 Prozent mehr für Forschung aus als 2005. Auch die Länder haben großartige neue Forschungsprogramme aufgelegt und – wie Hessen mit dem Programm LOEWE – ihre Forschungsausgaben erhöht. Unsere Wirtschaft, die ihre Forschungsausgaben trotz Krisenzeiten seit 2005 ebenfalls erheblich gesteigert hat, gehört zu den innovationsstärksten der Welt. Als eine der weltweit führenden Exportnationen sind wir gerade bei Technologieexporten die Nummer eins. Mit Hightech „made in Germany“ halten wir vor allem in den Bereichen Maschinen- und Anlagenbau, Elektroindustrie, Automobilbau, Chemie, Medizintechnik, Umwelt- und Energietechnik eine Spitzenstellung auf den Weltmärkten. Als Hidden Champions punkten dabei gerade unsere mittelständischen Unternehmen. Sie stellen rund 40 Prozent unserer Weltmarktführer und sind mit rund 130 000 innovativen Firmen wesentliche Treiber des technischen Fortschritts. Diese Stärken bleiben auch künftig die Basis für unsere Wirtschaftskraft, unsere Arbeitsplätze und unseren Wohlstand. Und sie werden uns helfen, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, von Klimawandel und Energiewende bis zur alternden Gesellschaft und Katastrophenvorsorge. Das EFI-Gutachten und der BuFI 2012 bestätigen erneut die Richtigkeit der zahlreichen Innovationsmaßnahmen, die wir mit der neuen Hightech-Strategie 2020 auf wichtige Zukunftsmärkte wie Gesundheit, Energie und Mobilität fokussiert haben. Aber sie bestätigen auch erneut, dass wir uns noch mehr anstrengen müssen, um im globalen Innovationswettlauf auch künftig ganz vorne mit dabei zu bleiben. Die Konkurrenz ist groß und andere Länder sind uns immer dichter auf den Fersen, nicht weil wir schlechter werden, sondern weil andere immer schneller besser werden. Bei ihrer Aufholjagd investieren sie zunehmend mehr Geld in Bildung, Forschung und Entwicklung. So haben andere führende Wirtschaftsnationen wie Japan und Südkorea mit Forschungsausgaben von rund 3,5 Prozent die 3-Prozent-Marke längst hinter sich gelassen, die auch die Europäische Union bereits im Jahr 2000 als Ziel ausgerufen hat, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Deutschland ist mit seinen 2,9 Prozent zwar auf einem guten Weg, muss aber seine Forschungsintensität noch erheblich steigern, um mit der Spitzengruppe gleichzuziehen. Und um als Innovationsmotor Europa als Ganzes voranzubringen – denn wenn Europa 3 Prozent erreichen soll, muss Deutschland als stärkste Industrienation wesentlich mehr anstreben. Besondere Dynamik entwickeln zunehmend die Schwellenländer, allen voran China, das zu einer der führenden Wirtschaftsmächte aufgestiegen ist und mit einer offensiven Innovationsstrategie an die Weltspitze drängt. Die EFI-Gutachter haben China als eine unserer größten Herausforderungen für die Zukunft bezeichnet. Und das zu Recht: China hat seine Forschungsausgaben seit 1999 um 20 Prozent pro Jahr gesteigert und investiert heute mit rund 2 Prozent des BIP fast dreimal so viel in die Forschung wie 1999. Absolut gesehen waren das 2010 rund 200 Milliarden US-Dollar – schon halb so viel wie in den USA und nur ein Viertel weniger als die EU. Davon kommt ein sehr großer Teil aus der Wirtschaft, die konsequent auf neueste Technologien, auf Import von Know-how und den Ausbau von Hightechsektoren setzt. Außerdem verlassen jährlich rund 1,5 Millionen MINT-Absolventen, das heißt Absolventen naturwissenschaftlich-technischer Fächer die chinesischen Universitäten, in Deutschland sind es nur rund 90 000. Noch ist es bisher mehr Masse als Klasse, was in China produziert wird, aber auch die Qualität steigt stetig an, wie die zunehmende Zahl der wissenschaftlichen Zitate der chinesischen Fachartikel in anderen Publikationen zeigt. Außerdem steht China inzwischen auf Platz zwei weltweit bei der Produktion von Spitzentechnologien. Wichtiges Beispiel hier ist die Photovoltaikindustrie. Was die chinesische Konkurrenz mit den Solarunternehmen in Deutschland macht, sehen wir an der steigenden Anzahl von Insolvenzen in diesem Bereich. Auch bei der Elektromobilität will China Leitmarkt werden – ebenso wie wir. Und die Chinesen erobern immer mehr Kompetenzfelder, in denen wir traditionell auf dem Weltmarkt führend sind, vom Automobil- und Maschinenbau bis zu Energie- und Umwelttechnologien. Gleichzeitig ist China – ebenso wie andere Schwellenländer – ein gewaltiger Markt, den wir mit innovativen Produkten und Anlagen „made in Germany“ noch weiter erobern können. Viele deutsche Unternehmen und Forschungsinstitute sind ja schon erfolgreich in China tätig. Damit wir diese Chancen durch Innovation auch künftig nutzen und Konkurrenten wie China in Schach halten können, brauchen wir nicht nur eine neue China-Strategie einschließlich einer intensiven Innovationspartnerschaft, wir müssen unsere Innovationskraft im Ganzen stärken. Neben besseren Rahmenbedingungen für die Forschung an Hochschulen und für die Ausbildung von exzellenten Fachkräften brauchen wir hier – und das betonen die EFI-Gutachter ausdrücklich – insbesondere ein besseres Umfeld für die Gründung und das Wachstum junger Technologieunternehmen. Denn das ist der schnellste Weg, neues Wissen erfolgreich in die Märkte zu bringen und neue Marktchancen zu erschließen. Der große Erfolg von Unternehmen wie Microsoft, Apple, SAP und Google zeigt das Potenzial, das in solchen Technologiegründungen stecken kann. Deutschland hat hier Defizite, denn besonders in dem für unseren Innovationsstandort so wichtigen Bereich der Spitzentechnologien wie Biotechnologie, Pharmazie, Mess- und Steuertechnik nimmt die Gründungstätigkeit seit Ende der 90er-Jahre kontinuierlich ab. Einer der wesentlichen Gründe hierfür ist die mangelhafte Finanzierung von Hightechgründungen. Staatliche Förderprogramme – von EXIST über bewährte staatliche Fonds wie ERP-Startfonds, ERP/EIF-Dachfonds, Hightechgründerfonds bis hin zu neuen Instrumenten wie dem European Angels Fund und dem Investitionszuschuss für Wagniskapital für Business Angels ab 2013 – sind hier vorbildlich, aber sie stoßen an Grenzen. Was fehlt, ist ein ausreichendes Angebot an privatem Wagniskapital, dass wir gerade im Hightech-bereich brauchen, um das hohe Risiko, die hohen Kosten in Millionenhöhe und die oft sehr langen Produktentwicklungszeiten von über 10 bis 15 Jahren, wie sie zum Beispiel im Biotechnologie- und Pharmabereich üblich sind, zu tragen. Außerdem ist erwiesen, dass Hightechgründungen mit Wagniskapital schneller wachsen, mehr Arbeitsplätze schaffen, intensiver forschen und mehr Marktneuheiten einführen als ohne Wagniskapital; denn die Investoren kämpfen mit Sachverstand, Markterfahrung und Finanzkompetenz für den Erfolg ihrer Investitionen. Um aus Deutschland wieder ein Hightechgründerland zu machen und mehr Wachstum durch Innovation zu schaffen, haben die EFI-Gutachter deshalb zum wiederholten Male gefordert, als wichtigste Maßnahme den Wagniskapitalmarkt in Deutschland international attraktiv zu machen und Business Angels besser zu unterstützen. Dabei sollten wir uns an erfolgreichen anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Großbritannien orientieren, die hier viel weiter sind als wir, insbesondere im Hinblick auf die steuerliche Unterstützung von privatem Wagniskapital. Auch der Innovationsdialog beim Bundeskanzleramt hat dazu wichtige Diskussionen angestoßen, deren Ausgang noch offen ist. Der wichtigste Punkt ist der Erhalt von Verlustvorträgen beim Anteilseignerwechsel von innovativen Start-ups, damit die Wachstumsfinanzierung gesichert ist. Nachdem die Sanierungsklausel im Wachstumsbeschleunigungsgesetz durch die EU ausgesetzt wurde, hat die Bundesregierung dagegen beim EuGH geklagt und erwartet das Urteil für die erste Jahreshälfte 2013. Falls das Urteil aus Brüssel positiv ausfällt, wäre hier ein großes Problem gelöst. Anderenfalls ist unsere Kreativität gefragt. Ein weiterer offener Punkt ist die Umsatzsteuerfreiheit für Management Fees, die in anderen europäischen Ländern üblich ist, und die wir auch bei uns brauchen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Dazu finden in Kürze Gespräche in Brüssel statt. Wir brauchen darüber hinaus eine gesetzliche Regelung für die Steuerfreiheit von vermögensverwaltenden Fonds auf Fondsebene, nachdem die jetzige Regelung auf der Grundlage eines BMF-Schreibens zu unsicher ist, eine abschreckende Wirkung auf ausländische Investoren entfaltet und die aktive Betreuung von Unternehmen durch Wagniskapitalfonds erschwert. Dieses Problem müssen wir auf jeden Fall bei der Umsetzung der AIFM-Richtlinie und der Verordnung über den Europäischen Risikokapitalfonds im nächsten Jahr angehen. Die Erfahrungen aus anderen europäischen Staaten zeigen jedoch, dass entsprechende Verbesserungen der Rahmenbedingungen für Wagniskapital auch mit vergleichsweise geringen Mitteleinsätzen eine hohe Wirkung erzielen können und dass mehr Wagniskapitalinvestitionen auch das Wirtschaftswachstum direkt stimulieren. Um insgesamt mehr Wagniskapital zu mobilisieren, sollten wir auch über die Empfehlung der EFI-Gutachter nachdenken, für Wagniskapital liquide Sekundärmärkte in Europa zu schaffen, an denen Investoren Anteile an Wagniskapitalfonds handeln könnten und somit flexible Ausstiegs- bzw. Exit-Optionen hätten. Um die Rahmenbedingungen für Innovationen noch weiter zu verbessern, müssen wir auch neue Wege gehen, um knappe staatliche Fördermittel effizienter einzusetzen und eine größere Breitenwirkung der Forschungsförderung erzielen. Die EFI-Gutachter werben deshalb erneut für eine steuerliche Forschungsförderung, wie sie in 21 von 30 OECD-Ländern längst üblich ist – allen voran Großbritannien, Frankreich und den USA. Die Vorteile liegen auf der Hand: Ein solcher Forschungsbonus zum Beispiel in Form einer 10-prozentigen Steuergutschaft für Forschungspersonalausgaben, ist unbürokratisch, technologie- und branchenoffen und könnte die bewährte Projektförderung passgenau ergänzen. Er ist breit und schnell wirksam und dadurch gerade für kleine und mittlere Unternehmen attraktiv, die zusätzliche Forschungsimpulse brauchen. Er führt zu mehr Patentanmeldungen und besserer Forschungsqualität. Er animiert in anderen Ländern die Unternehmen in der Regel zu eigenen Forschungsinvestitionen mindestens in gleicher Höhe wie die Steuerersparnis und leistet dadurch mittel- bis langfristig einen wichtigen Beitrag für mehr Wachstum und Arbeit. Maximal 1,5 Milliarden Euro wären dafür nötig pro Jahr, entsprechend weniger, wenn wir zunächst nur den Mittelstand einbeziehen würden. Der Bundesbericht Forschung und Innovation und das EFI-Gutachten zeigen eine beeindruckende Bilanz unserer Innovationsstärke. Und sie beschreiben ebenso eindrucksvoll die Maßnahmen, die wir ergreifen müssen, um unsere Spitzenstellung im globalen Innovationswettlauf auch künftig zu halten. Wir müssen die Weichen für Verbesserungen heute stellen, um die Zukunft zu gewinnen. Dafür brauchen wir Verbündete auch in den Bundesländern. Lassen Sie uns alle gemeinsam intensiv daran arbeiten, das Umfeld für Hightechgründer, für junge Technologieunternehmen und für ihre Investoren weiter zu verbessern und noch in dieser Legislaturperiode Fortschritte erzielen, damit Deutschland auch künftig ein Hightechstandort bleibt, der mit der Kreativität seiner Wissenschaftler und mit der Gestaltungskraft seiner Unternehmer weltweit Maßstäbe setzt und Wachstum und Arbeit im eigenen Land sichert. René Röspel (SPD): Da stehen nun endlich das seit März 2012 vorliegende Gutachten der „Expertenkommission Forschung und Innovation“, EFI, und der im Mai veröffentlichte Bundesbericht Forschung und Innovation, BuFi, auf der Tagesordnung der letzten Sitzungswoche im auslaufenden Jahr – und die Debatte wird zu Protokoll geschickt. Dabei handelt es sich beim BuFi nicht nur um eine Fleißarbeit des BMBF und eine gute Übersicht, sondern beim EFI um ein für Wissenschafts-, Bildungs- und Forschungspolitik in Deutschland wichtiges Gutachten. Aber vermutlich fürchtet die Bundesregierung ja die Kritik der EFI und eine offene Debatte darüber im Bundestag. Dabei findet sich auch Lob im Bericht. Wenn man sich die Zahlen über Forschung und Entwicklung, FuE, im EFI wie auch BuFI anschaut, zeigt sich für Deutschland erst einmal ein gutes Bild. Im Jahre 2010 wurden 69,7 Milliarden Euro für FuE ausgegeben. Den allergrößten Teil davon bringen Unternehmen auf. Wenn man sich hingegen die Details anschaut, dann sieht das Bild schon weniger rosig aus. Denn die hohen Steigerungsraten gehen zum größten Teil auf wenige Branchen zurück, insbesondere auf die Automobilindustrie. Bei den für Deutschland ebenso wichtigen Branchen der pharmazeutischen und chemischen Industrie gingen 2010 die FuE-Aufwendungen hingegen zurück. Das Problem wird möglichweise noch größer, wenn man bei der Automobilindustrie genau hinschaut, was sich hinter FuE verbirgt. Handelt es sich wirklich um „systematische, schöpferische Arbeit zur Erweiterung des Kenntnisstandes – auch mit dem Ziel, neue Anwendungen zu finden“, wie es die OECD definiert, oder versteht die Automobilindustrie unter Entwicklung auch die Konstruktion des neuen Kotflügeldesigns für den Modellwechsel, der zwar Unsummen verschlingt, aber keine Innovation darstellt? In dem uns vorliegenden Bericht wird außerdem erneut darauf hingewiesen, dass wir in Deutschland insgesamt im wachsenden Feld der Spitzentechnologie Defizite zu verzeichnen haben. Außerdem laufen Länder wie China, Indien oder Taiwan den bisherigen Spitzenreitern in diesem Industriebereich, welche meist westliche FuE-intensive Länder waren, langsam den Rang ab. Insbesondere China holt hier rasch auf. Der EFI-Bericht widmet diesem Land deshalb zu Recht eine ausführliche Analyse. Intensiv setzen sich die Expertinnen und Experten auch mit dem deutschen Wissenschaftssystem und dabei insbesondere den Hochschulen auseinander. Dabei geht es, wie man in unserem Antrag nachlesen kann, neben den Universitäten immer auch um die Fachhochschulen. Bildung ist grundsätzlich Länderaufgabe. Und genau dort fehlt es dafür, auch aufgrund steuerrechtlicher Dummheiten dieser Bundesregierung, am nötigen Geld. Da Bildung, und das schließt natürlich die Schulen und Kitas mit ein, die Grundlage für Forschung und Innovationen darstellt, sprechen sich die Expertinnen und Experten der EFI-Kommission bereits seit längerem für eine Grundgesetzänderung aus. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt dieses Ansinnen. Wenn die schwachgelbe Regierung schon nicht auf die SPD hören will, sollte sie vielleicht die Mahnung der EFI-Experten lesen: Die bemängeln ausdrücklich die Finanzierungsstruktur unserer Hochschulen und fordern die Stärkung der Grundfinanzierung der Hochschulen und zwar – der – Hochschulen und nicht nur einiger weniger exzellenter. Allerdings werden diese Anregungen von der Bundesregierung genauso ignoriert wie die Mahnungen der EFI in den letzten Jahren, dass die Ungerechtigkeit im deutschen Bildungssystem – in keinem anderen Industrieland hängt Bildungserfolg stärker von der sozialen Herkunft ab – beseitigt werden muss. Im Vergleich zu vielen unserer europäischen Freunde, auch das zeigt das EFI-Gutachten, stehen wir im Bereich Forschung sehr gut da. Aber forschungspolitisch messen lassen müssen wir uns gerechterweise an den Stärksten weltweit. Wie die Expertenkommission schreibt, ist es angesichts der massiven Anstrengungen in anderen Ländern und der strukturellen Defizite Deutschlands fraglich, ob Deutschland seine bisher gute Position wird halten können. Das EFI-Gutachten misst die Merkel-Regierung an ihren Versprechen. So wird unter anderem darauf verwiesen, dass CDU/CSU und FDP ihren Koalitionsvertrag nicht einhalten. Das wäre in anderen Teilen ja durchaus zu begrüßen. Aber hier geht es um die Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung. Immer wieder hat die schwachgelbe Koalition diese steuerliche Förderung lauthals angekündigt, aber passiert ist nichts. Ebenfalls angeprangert wird die schlechte Koordinierung der Energie-, Umwelt- und Innovationspolitik. Sprich: Frau Schavan, Herr Altmaier und Herr Rösler bekommen es einfach nicht hin, sich bei diesen Themen abzusprechen. Hierdurch wird die Energiewende, zu der diese schwachgelbe Bundesregierung erst nach Fukushima getrieben wurde, gefährdet. Das können wir uns nicht leisten, und das muss abgestellt werden. Die EFI 2010 sieht die „Energiewende als Chance für Innovationen“. Das sollte auch die Bundesregierung sehen. Gern hätte ich diskutiert und eine Aussage von Ihnen zu der Nachfrage von EFI zur Kernfusion und den explodierenden Ausgaben für ITER gehört, aber bei Reden zu Protokoll ist Dialog ja nicht möglich. Aber es gibt auch noch deutliche Kritik von EFI am letzten zentralen Projekt dieser Bundesregierung. Die Expertinnen und Experten äußern sich nämlich auch zum Thema Betreuungsgeld. Nach deren Meinung – und auch diese teilen wir als SPD-Bundestagsfraktion voll und ganz – wirkt sich das Betreuungsgeld nämlich schädlich auf den Innovationsstandort Deutschland aus. Wenn das mal keine Klatsche ist! Da kann man fast verstehen, warum die Regierungskoalition über solche Gutachten lieber nicht öffentlich debattieren will. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und FDP, wenn Sie schon nicht auf Erzieherinnen und Erzieher bzw. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter hören: Verschließen Sie sich jetzt auch noch den Volkswirtschaftlerinnen und Volkswirtschaftlern? So viel Taubheit aufseiten der Koalitionsfraktionen ist nicht mehr zu ertragen und gehört abgewählt. Zum Glück müssen wir darauf nicht mehr lange warten. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Die Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation sind jedes Jahr aufs Neue das sprichwörtliche Stammbuch, in das uns die Wissenschaft Aufgaben und Handlungsfelder in der Bildungs- und Forschungspolitik schreibt. Es gehört zur Aufgabe der Expertenkommission, sich nie mit dem Erreichten zufriedenzugeben – auch wenn positive Entwicklungen am Rande genannt und gewürdigt werden. Denn der Auftrag der Expertenkommission liegt darin, stetig neue Probleme und Aufgaben zu analysieren und die Politik auf Hürden und Stolpersteine in der Forschungs- und Innovationspolitik hinzuweisen. Für diese kritische Analyse danken wir der Expertenkommission Forschung und Innovation. Auch das EFI-Gutachten 2012 bietet wieder ein Füllhorn an Empfehlungen und Maßnahmen. Wir als regierungstragende Koalition werden das Gutachten zum Ausgangspunkt unseres bildungs- und forschungspolitischen Handelns machen. Wir werden nicht leichtfertig über die Themen hinweggehen, sondern das Gutachten als unseren Arbeitskatalog lesen; denn wir wollen und werden uns nicht auf dem Erreichten ausruhen. Das ist nicht der Anspruch von uns Liberalen. Wenn wir in die Gutachten der vergangenen Jahre blicken, stellen wir fest, dass diese christlich-liberale Koalition stets die Empfehlungen und Forderungen der Expertenkommission geachtet und umgesetzt hat. Ich nenne beispielsweise das 3-Prozent-Ziel. Es waren Bund und Länder die sich 2008 darauf verständigt haben, bis 2015 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben. Die Expertenkommission hat immer auf Einhaltung gedrungen. Nun, wo diese christlich-liberale Koalition 2,83 Prozent des BIP erreicht hat, fordert das EFI-Gutachten, nicht stehen zu bleiben, sondern weitere Erhöhungen zu avisieren. Wir Liberale nehmen diese Forderung an. Ich nenne als ein weiteres Beispiel das Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Nachdem die Expertenkommission eine Umsetzung der Wissenschaftsfreiheitsinitiative gefordert hat, haben wir Liberale die Gesetzesinitiative vorangetrieben und in diesem Jahr das Wissenschaftsfreiheitsgesetz im Deutschen Bundestag beschlossen. Wir haben des Weiteren mit dem Programm „Validierung des Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung – VIP“ die Validierungsförderung erfolgreich auf den Weg gebracht. Mit diesem Programm geben wir neue Impulse für den Wissenschafts- und Technologietransfer und die Validierung von Forschungsergebnissen. Wir haben in der christlich-liberalen Koalition durch die Stärkung des Hochschulpaktes 2020 und den Qualitätspakt Lehre, wie von der Expertenkommission gefordert, die Hochschulen gefördert. Aufgrund des im Grundgesetz verankerten Kooperationsverbotes mahnte die Expertenkommission die Politik, eine grundgesetzliche Änderung herbeizuführen. Wir Liberale haben die Initiative ergriffen und mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes in Art. 91 b einen Vorschlag in dieser Koalition durchgesetzt. Gemeinsam haben wir diese Grundgesetzänderung den Ländern vorgeschlagen – die bedauerlicherweise bis heute von den SPD-geführten Ländern aufgrund fadenscheiniger Gründe blockiert wird. Wir werden in der christlich-liberalen Koalition nicht aufhören, die Empfehlungen der Expertenkommission Forschung und Innovation aufzunehmen und umzusetzen. Gerne lassen wir uns die nächsten Jahre weitere Handlungsfelder und Projekte in unser Stammbuch schreiben. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Zwei Motive prägen die Innovationspolitik dieser Bundesregierung: Da ist zum einen die Rede von großen Herausforderungen wie dem Klimawandel, der Knappheit fossiler Ressourcen, den demografischen Veränderungen oder neuen Lebensbedingungen in einer globalisierten und digital vernetzten Welt. Auf diese Herausforderungen sollten, so die Bundesregierung, die Instrumente der staatlichen Förderung ausgerichtet sein. So weit, so richtig. Das zweite Motiv ist die Wettbewerbsfähigkeit auf sogenannten internationalen Leitmärkten. Auf der Homepage des Forschungsministeriums prangt der Satz: „Innovationen ‘made in Germany’ begeistern die Welt“. Gemeint ist alleine die Technik. Bringt man beide Leitmotive der deutschen Innovationspolitik zusammen, zeigt sich der Denkfehler. Die zukünftigen Herausforderungen unserer Gesellschaft brauchen zu ihrer Lösung ganz sicher Innovationen. Aber sind neue Technologien in erster Linie die angemessenen Problemlöser? Wir meinen, der Fokus auf neue Autos, Maschinen, digitale Netzwerke und Biotechnologien greift zu kurz, wenn wir die Zukunftsprobleme wirklich nachhaltig angehen wollen. Soziale, also nichttechnische Innovationen tragen mindestens eben-so zur Gestaltung der Zukunft bei. Von der Bundesregierung werden Elektrofahrzeuge in urbanen Räumen als Lösung für das Klima- und Ressourcenproblem der Automobilgesellschaft gesehen. Längst ist aber klar, dass wir gerade in großstädtischen Räumen um eine Verschiebung vom privaten Auto hin zu öffentlichen Verkehrsträgern nicht herumkommen. Man muss sich nur die täglichen Pendlerstaus in Ballungsräumen zu Gemüte führen, für die die Bahn alleine oft keine Alternativen bereithält. Hier nutzt auch kein Elektroauto. Vielmehr müssen Bahn, Rad und Carsharing intelligent verknüpft werden und als Dienstleistungen aus einer Hand, etwa über Smartphones, entwickelt werden. Diese notwendige Neuorganisation der städtischen Mobilität ist ein Paradebeispiel für soziale Innovationen. Technik ist auch hier ein Bestandteil, vor allem aber müssen Nutzerinnen und Nutzer Anreize für ein anderes Mobilitätsverhalten erhalten und Verkehrsträger auf neue Art und Weise kooperieren. Wir brauchen Wissen und Forschung, um solch eine Mammutaufgabe zu bewältigen. Mein zweites Beispiel ist das Problem der Welternährung. Die Bundesregierung setzt hier ganz auf Erforschung transgener Pflanzen, die als geradezu unvermeidbar zur Lösung der Mangelernährung verkauft werden. Doch globale Mangelernährung, so der umfassende Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung, hängt in erster Linie mit der ungerechten Verteilung der vorhandenen Nahrungsmittel sowie mit Verlusten aufgrund falscher Lagerung und langer Transportwege zusammen. Transgenes Saatgut als patentierte Importtechnologie kann diese Probleme sogar verschärfen. Hilfreicher sind Ansätze für eine bessere Organisation der Warenströme oder für politische Instrumente, die eine gerechtere Preispolitik vor Ort durchsetzen. Soziale Innovationen haben auch große Wirkung auf unsere Wirtschaft. Sie setzen Impulse im öffentlichen Sektor oder in Dienstleistungsbranchen frei. In den Letzteren sind drei Viertel der Beschäftigten tätig. Weniger bekannt ist: Sie erwirtschaften auch fast drei Viertel der Wertschöpfung. Die Expertenkommission Forschung und Innovation hat bereits 2008 empfohlen, Innovationen im Dienstleistungssektor in der Breite stärker zu fördern. Die Bundesregierung konzentriert sich im Rahmen der Hightech-Strategie aber ungerührt auf die Klassiker Fahrzeuge, Maschinen, Chemie und Pharma. Etwa 5 Milliarden Euro schwer ist die jährliche Forschungsförderung allein des BMBF, das Programm für Dienstleistungsinnovationen umfasst hingegen lächerliche 13,8 Millionen Euro. Das sind 0,3 Prozent. Wir fordern in unserem Antrag, die Förderung von Innovationen tatsächlich unter dem Vorzeichen der großen gesellschaftlichen Herausforderungen anzugehen. Wir brauchen eine stärker bedarfsorientiert motivierte Innovationspolitik, die auch auf Lösungen durch Dienstleistungen, Organisationskonzepte oder innovative Instrumente der politischen Steuerung setzt. Dazu müssen auch mehr Vertreter der Zivilgesellschaft mit an den Tisch, wenn Förderkonzepte erdacht werden. Wir wollen, dass die Bundesregierung die Positionen ihrer Expertenkommission und vergleichbare Positionen von Verdi, dem BUND und weiterer Verbände ernst nimmt. Soziale Innovationen und innovative Dienstleistungen gehören längst in den Förderkatalog der Innovationspolitik. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch wenn die Erhöhung der Forschungsausgaben der Bundesregierung erfreulich ist, so kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Ziel, bis 2010 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aufzuwenden, auch 2011 verfehlt wurde. Es fehlten gesamtstaatlich 3 Milliarden Euro. Fakt ist auch: Die Forschungsdynamik hat in den vergangenen Jahren weltweit stark zugenommen. Selbst mit 3 Prozent spielt man inzwischen nicht mehr in der Champions League. Südkorea, Schweden oder Japan haben die 3-Prozent-Marke längst hinter sich gelassen, Israel oder Kalifornien selbst die 4-Prozent-Marke. Staaten wie Taiwan, Singapur oder auch Österreich haben die Messlatte auf 3,5 Prozent und mehr hochgeschraubt. Die Bundesregierung hält eine Anpassung ihres Ziels bislang aber nicht für nötig. Mehr noch: Die Chance, das 3-Prozent-Ziel europaweit zu erreichen, besteht nur, wenn strukturstarke Staaten wie Deutschland weit überdurchschnittliche FuE-Quoten realisieren. Es ist völlig illusorisch, zu erwarten, Mitgliedstaaten wie Rumänien, Griechenland, Portugal oder Polen könnten ihre FuE-Quote binnen kurzer Zeit vervier-, verfünf- und versechsfachen. Das 3-Prozent-Ziel muss daher schleunigst zum 3-plus-X-Prozent-Ziel werden. Das sagen nicht nur wir, das empfehlen ihnen auch die Experten. Die Expertenkommission für Forschung und Innovation bezeichnet die Zielsetzung der Bundesregierung als wenig ambitioniert. Seit 2008 mahnt die Expertenkommission Jahr für Jahr die Bundesregierung an, endlich die steuerliche Forschungsförderung in Angriff zu nehmen. Diese Ergänzung zur Projektförderung ist längst überfällig. Die finanziellen Spielräume gab es dafür durchaus, wenn die Bundesregierung das Geld nicht für Hotelsubventionen oder das Betreuungsgeld ausgegeben hätte und wenn sie die steuerliche Forschungsförderung auf kleine und mittlere Unternehmen konzentrieren würde. Denn für kleine und mittlere Unternehmen ist es ungleich schwerer als für große DAX-Konzerne, an den Projektfördermitteln zu partizipieren. Weil die Bundesregierung aber unbedingt auch die Großunternehmen einbeziehen will, ist sie an diesem Vorhaben nun gänzlich gescheitert. Bei Einbeziehung der Großunternehmen wären die Steuerausfälle aber auch so hoch, dass eine Akzeptanz durch die Bundesländer nicht zu erreichen wäre. Die Hauptprobleme unseres Wissenschaftssystems liegen heute in der mangelhaften Grundfinanzierung der Hochschulen, den unsicheren Karrierepfaden für den wissenschaftlichen Nachwuchs und den ungünstigen Personalstrukturen. Das hat Ihnen jetzt auch die Expertenkommission in ihrem Gutachten vorgehalten. Die Mehrausgaben des Bundes für Forschung haben diese Probleme leider zum Teil sogar noch verschärft. Denn die garantierten Aufwüchse bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die höheren Mittel für die Drittmittelprogramme der DFG und der Exzellenzinitiative führten zu massiven Mitfinanzierungspflichten bei den Ländern. Für die Grundfinanzierung der Hochschulen stand und steht dadurch noch weniger Geld zur Verfügung. Im nächsten Jahr wird über die Fortsetzung der Pakete beraten werden. Dabei muss der Bund seiner Verantwortung für das gesamte Wissenschaftssystem gerecht werden. Bei der gemeinsamen Bund-Länder-Finanzierung des Hochschulpaktes brauchen wir dringend eine Verstetigung und Planungssicherheit für die Hochschulen, eine Masterkomponente und Vereinbarungen zur Verbesserung der Personalstrukturen. Die Fortsetzung des Pakts für Forschung und Innovation nach 2015 wird nur möglich sein, wenn der Bund mehr Verantwortung bei der Finanzierung übernimmt, zum Beispiel durch veränderte Finanzierungsschlüssel bei der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft. Auf diese Weise könnten in den Wissenschaftsetats der Länder Spielräume entstehen, die sie zur besseren Grundfinanzierung der Hochschulen einsetzen könnten. Lassen Sie mich zuletzt noch die Energieforschung aufgreifen, die aus gegebenem Anlass ebenfalls ein Kernthema im diesjährigen EFI-Gutachten war. Wer die Energiewende beschlossen hat, muss sie auch im Forschungsbereich konsequent nachvollziehen. Davon kann aber keine Rede sein. Noch immer gehen Jahr für Jahr gewaltige Summen in die Atomenergie- und Fusionsforschung. Jetzt mahnt auch die Expertenkommission eine Überprüfung der Schwerpunktsetzung auf Kernfusion an. Bis 2050 muss die Energiewende längst vollzogen sein, wenn der Klimawandel aufgehalten werden soll. Bis dahin wird aus der Fusionsforschung aber keinerlei Beitrag für die Energiewende zu erwarten sein. Nur zustimmen kann man dem Gutachten der Expertinnen und Experten auch, dass die Ausgaben des Bundes für die Atom- und Fusionsforschung völlig intransparent sind. Das EFI-Gutachten liefert auch 2012 wieder wertvolle Hinweise für die parlamentarische Arbeit und Debatte. Ich wünsche den Gutachtern und Gutachterinnen, dass sie zukünftig auch bei ihrem Auftraggeber, nämlich der Bundesregierung, mehr Aufmerksamkeit erhalten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/9680, 17/8872, 17/9574, 17/11826 und 17/8952 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen. Tagesordnungspunkt 31: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kirsten Lühmann, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Fahrerlaubnis für Trikes – Gestaltungsspielraum der EU-Richtlinie nutzen – Drucksache 17/11827 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Reden wurden zu Protokoll genommen. Gero Storjohann (CDU/CSU): Der vorliegende Antrag der Fraktion der SPD zielt darauf ab, dass Inhaber des Pkw-Führerscheins ab dem 21. Lebensjahr zum Führen eines Trikes berechtigt sein sollen. Derzeit ist dafür ein Motorradführerschein nötig. Begründet wird der Antrag damit, dass die 3. EU-Führerscheinrichtlinie am 1. Januar 2013 in Kraft tritt. Diese Richtlinie räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu einer Ausnahmeregelung ein, die für das Führen von Dreirädern über 15 Kilowatt ab dem 21. Lebensjahr die Fahrerlaubnisklasse B vorsieht. Bevor ich in die Details Ihres Antrages einsteige, möchte ich aufzeigen, über wie viele betroffene Verkehrsteilnehmer wir heute diskutieren. Laut einer Auskunft des Ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung haben in den letzten Jahren in Deutschland im Durchschnitt nur etwa 350 Personen pro Jahr die Fahrerlaubnis für Dreiräder/Leichtkraftfahrzeuge erworben. Ihr Anliegen wäre berechtigt, wenn eine Steigerung der Interessenten an diesem Verkehrsmittel vorhanden wäre. Darauf lässt jedoch kein Trend schließen. Der zu erwartende Verwaltungsaufwand bei einer Umsetzung Ihrer Forderung wäre gegenüber den Menschen in unserem Land nur schwer zu rechtfertigen. Die jetzige Regelung sieht vor, dass für Trikes die Fahrerlaubnisklasse A erforderlich ist. Sie kritisieren, dass die Prüfung auf dem Zweirad vorgenommen werden muss, auch wenn beabsichtigt wird, lediglich ein Dreirad zu führen. Hierbei gilt es aus meiner Sicht kritisch anzumerken, dass dieses Thema mit allen Bundesländern und auch den betroffenen Verbänden in den letzten Jahren im Rahmen der Umsetzung der 3. EU-Führerscheinrichtlinie diskutiert wurde. Eine entsprechende Forderung, wie hier von der SPD vorgetragen, wurde dabei von keiner Seite erhoben. Keiner der damals beteiligten Vertreter der Landesregierungen hat anscheinend einen entsprechenden Bedarf dafür angezeigt. Selbstverständlich hatten in den Beratungen auch die SPD-geführten Bundesländer die Möglichkeit, ihre Anliegen vorzutragen. Derartige Bemühungen seinerzeit seitens sozialdemokratisch regierter Länder gab es jedoch nicht. Ich beziehe in meine Betrachtung auch die betroffenen Fahrschulen mit ein. Die deutschen Fahrschulen sind bereits jetzt mit ihren zu erfüllenden technischen Standards oft am finanziellen Limit angekommen. Die Anschaffung eines Trikes, um auch diese Fahrzeugklasse unterrichten zu können, würde viele kleine Fahrschulen finanziell überfordern. Trikes sind von ihrer Beschaffenheit und Fahrzeugeigenschaften ohne Zweifel näher bei Motorrädern als bei den PKW zu verorten. Das lässt sich nicht wegdiskutieren, auch wenn die hintere Achse zweispurig ist. Ihr Argument, das Trike gleiche dem PKW mehr als dem Motorrad, finde ich nicht überzeugend. Von dieser nationalen Regelung dürfte im Ausland kein Gebrauch gemacht werden. Ein deutscher Trikefahrer könnte somit nicht mit seinem Dreirad ins benachbarte Ausland fahren, weil er den dort für diese Vehikel geforderten Motorradführerschein nicht zwingend hätte. Zumindest aus Gründen der Verkehrssicherheit ist eine zusätzliche Führerscheinausbildung der Klasse A neben einer meist schon vorhandenen Klasse B beim Führen von Trikes durchaus zu befürworten. Grundsätzlich ist übrigens auch die Möglichkeit gegeben, im Wege einer Ausnahme die Prüfung für ein Trike auf einem Dreirad durchzuführen. Diese Möglichkeit besteht auch zukünftig. Ist ein Verkehrsteilnehmer von einer besonderer Härte betroffen, das heißt, er oder sie möchte gern ein Trike fahren, kann aufgrund seiner physischen Konstitution jedoch nur einen Führerschein für Pkw machen, dann ist auch für solche Fälle bereits gesorgt, und das wird auch zukünftig so sein. Kirsten Lühmann (SPD): Heute ist in Deutschland für das Fahren mit Trikes über 15 Kilowatt Leistung die Fahrerlaubnis für Pkw erforderlich – obwohl Trikes eher im Kreise von Motorradgruppen zu finden sind als bei Autoausfahrten. Aber die Erfahrungen zum Beispiel bei Fahrzeugvermietungen zeigen: Inhabende mit einem Führerschein Klasse B kommen besser mit einem Trike zurecht als Motorradfahrende. Das verwundert ange-sichts der Fahrphysik nicht. Motorräder sind einspurige Fahrzeuge. Trikes und Autos sind zweispurige Fahrzeuge. Dieser Unterschied wird besonders in Kurven deutlich. Für Motorradfahrende ist es schwieriger, sich auf drei Räder einzustellen. Was will ich damit sagen? Ich will damit sagen: Es hat sich in Deutschland bewährt, lnhaber des Autoführerscheins – also der Klasse B – ein Trike fahren zu lassen. Auch der Blick in die Unfallstatistik bestätigt dies! Hier zeigt sich, dass bei Trikes keine besondere Unfallhäufung auftritt – trotz oder vielleicht weil Fahrerfahrung auf einem zweispurigen Fahrzeug erforderlich ist. Im Punkt Verkehrssicherheit sind Trikes unauffällig. Die praktische Erfahrung, die die Fahrenden beim Autofahren gewonnen haben, lässt sich ideal auf das Führen eines Trikes anwenden. Nun die schlechte Nachricht: Es steht die Änderung unseres Führerscheinrechts durch die 3. EU-Führerscheinrichtlinie bevor. Ab 2013 müssen Trikefahrende eine Fahrerlaubnis der Klasse A vorweisen, also eine Prüfung auf dem Motorrad ablegen. Welche Konsequenzen hat das? Menschen werden ausgeschlossen, nämlich all jene, die ein Trike fahren möchten, weil sie kein Motorrad fahren wollen oder können. Die gute Nachricht ist: Die EU räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit für eine Ausnahmeregelung ein. Daher sage ich: Nutzen wir diese Gelegenheit! Wie gesagt, Trikefahren hat sich in Deutschland als sicher erwiesen. Der Blick in die Unfallstatistik bestätigt dies. Wenn wir nichts machen und die EU-Regelungen mit dem neuen Jahr in Kraft treten lassen, ist das ein erheblicher Nachteil für die Menschen, die Trikes – aber eben keine Motorräder – führen möchten, genauso wie für Trikeverleihende und Trikeverkaufende. Europa liefert uns mit der Ausnahmemöglichkeit, zusätzlich zu Klasse A auch die Fahrerlaubnis der Klasse B für das Trike-Fahren zuzulassen, die Lösung für dieses Problem quasi auf dem Silbertablett. Diese zu nutzen, bedeutet keinerlei bürokratischen oder finanziellen Mehraufwand. Denn wir können unser bewährtes Recht fortschreiben. Daher sage ich: Nutzen wir die Gelegenheit. Dann können in Deutschland wie bisher Fahrende auch mit dem Führerschein Klasse B ab 21 auf ein Trike steigen. Das hat sich bewährt. Oliver Luksic (FDP): Der Antrag der SPD-Fraktion ist grundsätzlich diskussionswürdig. Lassen Sie uns zum Thema Verkehrssicherheit konstruktiv in diesem Haus debattieren; dann können wir den erreichten hohen Standard in Deutschland noch weiter verbessern. Bisher durften Trikes von Besitzern der Fahrerlaubnisklasse B gelenkt werden. Dreirädrige Fahrzeuge mit einer Leistung von mehr als 15 Kilowatt benötigen entsprechend der EU-Richtlinie zur Neuregelung von Führerscheinen zukünftig eine Fahrerlaubnisklasse A. Das Mindestalter wird nach der Neuregelung auf 21 Jahre hochgesetzt. Mit seinem offenen, ungeschützten Aufbau, der Sitzposition oder der Lenkung ist das Trike dem Kraftrad teilweise ähnlicher als dem Pkw. Aber auch vom Fahrverhalten und der Fahrdynamik mit seinem Kippmoment und seinem Bremsverhalten ist ein Trike eher einem Zweirad gleichzustellen. Insbesondere das Bremsverhalten mit nur einem Vorderrad erfordert eine intensive Motorradausbildung, um schwerste Unfälle zu vermeiden. Der Ruf nach einer Ausnahmeregelung für das Fahren von Trikes ist schnell ausgesprochen, zumal grundsätzlich künftig auch die Möglichkeit besteht, im Wege einer Ausnahme die Prüfung für ein Trike auf einem Dreirad durchzuführen. Viele Fragen sind im Antrag der SPD zudem nach wie vor ungeklärt. Insbesondere stellt sich mir die Frage nach dem Bestandsschutz. Dürfen Besitzer mit Fahrerlaubnisklasse B künftig keine Trikes mehr fahren, benötigen sie eine Fahrerlaubnis der Klasse A? Dürfen unter 21-Jährige trotz Fahrerlaubnisklasse B bzw. A keine Trikes mehr fahren, bis sie 21 Jahre alt sind? Darüber hinaus würde die Anwendung der Ausnahmeregelung nur nationalen Charakter haben und daher nur in Deutschland gelten. Zu guter Letzt haben auch die Bundesländer frühzeitig von dieser Regelungsmöglichkeit Abstand genommen. Aber auch im Sinne der Verkehrssicherheit kann dem Antrag der SPD nur schwer gefolgt werden. Eine zusätzliche Führerscheinausbildung der Fahrzeugklasse A neben einer in der Regel schon vorhandenen Klasse B ist gerade der Verkehrssicherheit beim Führen von dreirädrigen Fahrzügen zuträglich. Das Unfallrisiko für Motorradfahrer und Trikefahrer ist bekanntlich wesentlich höher als bei Pkw-Fahrern. Nach bedauerlichen Statistiken kommen ungefähr 18 Getötete auf 100 000 Fahrzeuge pro Jahr. Mehr als jeder dritte verunglückte Motorradfahrer ist im Alter von 15 bis 24 Jahren. Aufgrund der technischen Konzeption von Zweirädern ist auch der passive Unfallschutz stark eingeschränkt. Besonders häufig kommt es zu Unfällen von Motorrädern mit Pkw. Die Entwicklung der Verkehrssicherheit in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. Nach dem neuen Verkehrsunfallbericht sank die Zahl der Getöteten von über 21 300 Toten in Gesamtdeutschland 1970 auf 3 648 Tote im Jahr 2010. Im Jahr 2011 musste hingegen erstmals ein Anstieg der Anzahl der Straßenverkehrstoten verzeichnet werden. Gerade dies zeigt, dass die Verkehrssicherheitsarbeit konsequent fortgesetzt werden muss. Weiterhin ist jeder Tote einer zu viel. Leitendes Ziel einer erfolgreichen Verkehrspolitik muss es sein, die Zahl der Getöteten und Schwerstverletzten im Straßenverkehr kontinuierlich zu senken. Gründe, warum sich der Trend der Verkehrssicherheit so deutlich in den letzten Jahrzehnten verbessert hat, ist überwiegend der Faktor Technik. Zu nennen sind hier die Einführung von ESP, neue Fahrzeugtypen mit Tagfahrleuchten, Reifendruckkontrollsysteme, erhöhte Anforderungen an passive Fußgängerschutzmaßnahmen für neue Pkw-Typen, ESP-Pflicht für neue Lkw oder vorausschauende Notbrems- und Spurhalteassistenzsysteme. Wir müssen mittelfristig eher darauf achten, dass die technischen Hilfsmittel nicht die ganze Aufmerksamkeit des Fahrers auf sich ziehen und ihn in falscher Sicherheit wiegen. Noch immer sind jedoch 90 Prozent der Unfälle auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen. Daher ist auch hier noch das meiste Potenzial zur Verbesserung, insbesondere in der Fahrausbildung und der Erziehung zu einem verantwortungsvollen Verkehrsteilnehmer. Genau hier muss unser gemeinsames Anliegen ansetzen: eine qualitativ hochwertige Motorradausbildung zur Vermeidung von schwersten Unfällen im Motorradbereich. Die christlich-liberale Koalition geht in ihrer Verkehrssicherheitsarbeit von einem zentralen Grundgedanken aus: Wir werden bei der Verkehrssicherheit nur weitere Erfolge erzielen, wenn wir interdisziplinär denken und die Themenfelder Technik, Infrastruktur und Mensch im Zusammenhang betrachten. Gerade dies lässt der Antrag der SPD vermissen. Die christlich-liberale Koalition wird sich zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit nicht auf den Erfolgen ausruhen, sondern beispielsweise die erfolgreiche Kampagne „Runter vom Gas“ fortführen, das Programm „FahrRad … aber sicher!“ weiter ausbauen, Fahranfängervorbereitung weiterentwickeln oder neue Forschungsprojekte zur Steigerung der Sicherheit im Radverkehr auf den Weg bringen. In den letzten Jahren wurde das von der Opposition vorgetragene Thema mehrfach mit den Verbänden und den Bundesländern diskutiert. Die Forderung, von der Ausnahmeregelung Gebrauch zu machen, wurde von keiner Seite vorgetragen. Thomas Lutze (DIE LINKE): Handelt es sich beim Trike um ein Motorrad mit einem Rad zu viel oder um ein Auto mit einem Rad zu wenig? Führerscheintechnisch behandelte der Gesetzgeber Trikes bisher als Autos; durchaus vernünftig; denn ein dreirädriges Fahrzeug ähnelt im Fahrverhalten einem Auto weit mehr als einem Motorrad. Insofern ist es mehr als unglücklich, dass man für das Trike künftig einen Motorradführerschein benötigt. Es führt zu der absurden Situation, dass ein Interessent für ein Trike gezwungen wird, eine Fahrprüfung auf einem Motorrad abzulegen, obwohl er dieses gar nicht führen wird. In der Praxis wird es daher wohl so aussehen, dass niemand, der gerne Trike fahren will, eigens dafür die Prüfung für das Führen eines Motorrads auf sich nehmen wird. Denn das Fahren eines Trikes ist gerade für Menschen interessant, die kein Motorrad fahren wollen, und nicht für Menschen, die auch Motorrad fahren wollen. Daher sollte die Bundesregierung den Spielraum nutzen, den die EU-Richtlinie den nationalen Regierungen an dieser Stelle lässt, und Personen mit Führerschein der Klasse B und einem Alter von über 21 Jahren das Führen eines Trikes ermöglichen. Andernfalls dürfte diese Fahrzeugklasse aufgrund einer mehr als lebensfremden Regelung von den Straßen Deutschlands verschwinden. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie die Zulassungszahlen zeigen, werden Trikes immer beliebter. Waren es in den 1950er-Jahren die Kleintransporter, die dreirädrig daherkamen, sind es heute vor allem Chopper-Trikes, die fast ausschließlich in der Freizeit genutzt werden. Trotzdem bewegt sich die Gesamtzahl aller zugelassenen Trikes auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Bisher ist für das Führen von Trikes eine praktische Prüfung auf einem Zweirad notwendig. Die ab 1. Januar 2013 gültige EU-Führerscheinrichtlinie lässt uns den Spielraum, für das Führen von Dreirädern nur die Fahrerlaubnisklasse B – also die übliche Pkw-Fahrerlaubnis – zur Voraussetzung zu machen. Wir müssen aber auch feststellen, dass bisher keine Führerscheinklasse die spezifischen Erfordernisse von Trikes wirklich berücksichtigt. Eine individuelle Einweisung ist daher eigentlich immer erforderlich. Leider ist nicht sichergestellt, dass dies in der Praxis tatsächlich erfolgt. Wir greifen den Vorschlag der SPD auf und wollen den Gestaltungsspielraum, den uns die EU-Führerscheinrichtlinie hier lässt, gerne ausschöpfen. Allerdings sagen wir auch: Lassen Sie uns mit dieser großzügigen Auslegung der Richtlinie einige Jahre Erfahrungen sammeln. Die Ausnahmeregelung muss nach unserer Auffassung also mit einer Befristung versehen werden. Danach sollten wir die Ergebnisse auswerten, und auf dieser Basis sollten wir dann entscheiden, ob die Regelung dauerhaft beibehalten werden kann. Wir sprechen uns daher für eine befristete Ausnahme für Trikes aus. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11827 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. Damit sind Sie einverstanden? – Dann ist es so beschlossen. Tagesordnungspunkt 32: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Hans-Peter Uhl, Stephan Mayer (Altötting), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Stefan Ruppert, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) KOM(2012) 11 endg.; Ratsdok. 5853/12 hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes – zu dem Antrag der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Michael Hartmann (Wackernheim), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Europäische Harmonisierung im Datenschutz auf hohem Niveau sicherstellen hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU-Datenschutzreform unterstützen – Drucksachen 17/11325, 17/11144, 17/9166, 17/11810 – Berichterstattung: Abgeordnete Stephan Mayer (Altötting) Gerold Reichenbach Gisela Piltz Jan Korte Dr. Konstantin von Notz Interfraktionell wird vorgeschlagen, diese Reden ebenfalls zu Protokoll zu geben. Sie sind einverstanden? – Dann wird das so geschehen.16 Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 17/11810. Er empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/11325 zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Art. 23 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalition. Die Opposition hat dagegen gestimmt. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11144 mit dem Titel „Europäische Harmonisierung im Datenschutz auf hohem Niveau sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die SPD-Fraktion und die Fraktion Die Linke haben dagegen gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9166 mit dem Titel „EU-Datenschutzreform unterstützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Dagegen? – Enthaltungen gibt es offensichtlich keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Opposition war geschlossen dagegen. Jetzt gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD auf der Drucksache 17/11852 bekannt: Abgegeben wurden 508 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 162, mit Nein haben gestimmt 297, es gab 49 Enthaltungen. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.17 Tagesordnungspunkt 33: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sofortige humanitäre Hilfe für Syrien leisten – Diplomatische Verhandlungslösung für den Konflikt fördern – Drucksache 17/11697 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Die Reden wurden zu Protokoll genommen. Joachim Hörster (CDU/CSU): Der heute zu beratende Antrag der Fraktion Die Linke ist abzulehnen, da er nur unzureichend auf die aktuelle Situation in Syrien eingeht und insbesondere die besonderen Anstrengungen der Bundesregierung auf dem humanitären Gebiet in dieser Krisenregion negiert. Seit März 2011 wurden nach Angaben syrischer Menschenrechtsorganisationen mehr als 40 000 Menschen getötet, circa zwei Drittel davon Zivilisten. Landesweit ist gegenwärtig eine Zunahme der Kampfhandlungen zwischen regulärem Militär und bewaffneten Oppositionskräften zu verzeichnen: Hauptgefechte finden entlang der Bevölkerungs- und Wirtschaftszentren und Hauptverkehrsadern statt. Der am 11. November dieses Jahres in Doha gebildeten Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte ging ein langer Prozess der Zerstrittenheit und Konkurrenz innerhalb der syrischen Opposition voraus, wobei niemand mit Bestimmtheit sagen kann, welche Kräfte neben denen, die eine Veränderung zum Positiven bewirken wollen, ebenfalls Einfluss auf die Entwicklung in Syrien ausüben. Dies war der Grund, warum die Verhandlungen der Gruppe der Freunde Syriens – bestehend aus mehr als 100 Ländern und Nationen, darunter alle EU-Staaten und die USA sowie die arabischen Nationen, die zur Arabischen Liga zählen – über die Absetzung Assads und die Neustrukturierung Syriens im Juli 2012 in Paris scheiterten. Die von der Gruppe der Freunde Syriens gemachten Vorschläge konnten deshalb nicht umgesetzt werden, da sich Russland und China weigerten, die in den Verhandlungen geforderte irreale Annahme eines Exilortes Assads in einem anderen Land zu unterstützen. Des Weiteren ging Russland davon aus, dass Assad an den Friedensgesprächen beteiligt würde. Mit der Bildung der Nationalen Koalition am 11. November 2012 in Doha hat die Opposition eine lang erwartete Einigung untereinander gefunden. Damit ergab sich erstmalig für die internationalen Geberländer ein konkreter Ansprechpartner. Die Einigung kam angesichts von massivem Störfeuer seitens des Syrian National Council, SNC, letztlich nur durch massiven internationalen Druck zustande. Begleitet wurde die Bildung der Nationalen Koalition von einem schmerzhaften und streckenweise chaotischen Reformprozess des SNC, der nur mühsam seinen Alleinvertretungsanspruch für die gesamte syrische Opposition aufgegeben hatte. Die vielen unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb der syrischen Opposition – ohne ein einheitliches Auftreten nach außen – machten eine koordinierte und strukturierte humanitäre Hilfe in Syrien äußerst schwer. Im vergangenen Monat war die Führung der Nationalen Koalition in Kairo versammelt, um Strukturen zu schaffen, die sowohl eine politische als auch eine humanitäre Zusammenarbeit mit den Staaten der Freundesgruppe möglich machen sollte. Jedoch hat die Nationale Koalition weiterhin erhebliche Probleme, operative Strukturen anzubieten, da die Ratifizierung der Vereinbarung über die Nationale Koalition durch einzelne Gruppen, insbesondere des SNC und der Kurden, noch nicht abschließend gebilligt ist. Starke Flüchtlingsbewegungen in die Nachbarländer – rund 450 000 registrierte Flüchtlinge, die angenommene Dunkelziffer liegt weit höher; davon 120 000 in der Türkei, 125 000 im Libanon, 105 000 in Jordanien; die jordanische Regierung selbst spricht von mehr als 200 000, und 42 000 im Irak – veranlassten die Bundesregierung zu weiteren Hilfestellungen. Schon Anfang November 2012 wurden weitere 12 Millionen Euro für den Nothilfefonds der Vereinten Nationen zum Zwecke der humanitären Hilfe für Flüchtlinge in Syrien und den Nachbarländern bereitgestellt. Mit diesen Mitteln erhöhte sich die Gesamtsumme deutscher Hilfe im Rahmen der Syrien-Krise auf insgesamt 67,3 Millionen Euro. Davon wurden 30,3 Millionen Euro durch das Auswärtige Amt für humanitäre Hilfe in Syrien und für die Versorgung der Flüchtlinge in den Nachbarländern und 37 Millionen Euro für strukturbildende Übergangshilfe und bilaterale Unterstützung über das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit finanziert. Auf der großen Konferenz der sogenannten Gruppe der Freunde des syrischen Volkes am gestrigen 12. Dezember 2012 in Marrakesch, die mit dem Ziel zusammengetreten war, den Weg für einen politischen Prozess zur Beendigung der Kämpfe in Syrien zu bereiten, wurde mit der Aufwertung der Nationalen Koalition Syriens als legitime Vertretung des syrischen Volkes ein wichtiges politisches Zeichen gesetzt und die Isolation des Regimes Assad weiter vorangetrieben. Die Freundesgruppe sprach in ihrem Abschlusspapier dem Staatschef Baschar al-Assad zudem jede Legitimität ab und fordert ihn zum Rücktritt auf, um einen politischen Übergangsprozess einzuleiten. An dem Treffen in Marrakesch nahmen Vertreter von 125 westlichen und arabischen Staaten sowie von mehreren internationalen Organisationen und Anhänger der syrischen Opposition teil. Angesichts des bevorstehenden Winters in der Region stockte die Bundesregierung ihre humanitäre Hilfe um weitere 22 Millionen Euro auf. Das Geld wird vor allem dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, dem Welternährungsprogramm und dem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zur Verfügung gestellt. Damit beläuft sich die humanitäre Hilfe Deutschlands für die syrischen Flüchtlinge auf über 90 Millionen Euro. Deutschland gehört somit zu den größten Geberländern. Das Geld kommt Opfern und syrischen Flüchtlingen in den Nachbarländern und zunehmend auch Menschen in Syrien zugute, die in Gebieten leben, die unter Kontrolle von Oppositionsgruppen stehen. Die Genfer Vereinbarung vom Juni 2012 ist mit der Anerkennung der Nationalen Koalition sowohl durch die USA als auch durch die gesamte Freundesgruppe obsolet geworden, da die Vereinbarung als wesentlichen Bestandteil den Dialog zwischen beiden Seiten – Opposition und Assad-Regime – vorsah. Auch die im Antrag geforderte Wiederaufnahme von diplomatischen Verhandlungslösungen mit dem Assad-Regime sowie der Ausbau intensiver Kontakte zur demokratischen, gewaltfreien Opposition in Syrien entbehren zum einen durch die Tatsache, dass sich die Bundesregierung immer auf einen friedlichen Verhandlungsweg berufen und aus diesem Grund die syrische Vertretung in Deutschland nicht gänzlich geschlossen hat, und zum anderen durch das Ergebnis der Konferenz in Marrakesch jeglicher realistischer Grundlage. Jedoch darf – trotz aller aufkommender Hoffnung auf ein baldiges Ende des Assad-Regimes – nicht außer Acht gelassen werden, dass völlig unklar ist, wie sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Syrien nach dem Fall des Assad-Regimes entwickeln werden. Die internationale Staatengemeinschaft unterstützt zwar die durch die Nationale Koalition vertretene syrische Opposition in ihrem Streben nach einem freien Syrien, jedoch gibt es innerhalb dieser Opposition Gruppen wie zum Beispiel die islamistische Al-Nusra-Front, die von den USA als Terrororganisationen eingestuft wurden. Alle verschiedenen Strömungen der syrischen Opposition verfolgen momentan ein Ziel – den Sturz Baschar al-Assads. Doch inwieweit sich diese einzelnen Gruppen nach dem Erreichen dieses Ziels über die Bildung eines demokratischen, freiheitlichen Systems verständigen, ist ebenfalls weitestgehend unklar und zwischen den Oppositionskräften nicht geregelt. Die Al-Nusra-Front wurde zum Beispiel wegen ihrer Verbindungen zum Terrornetzwerk al-Qaida von den USA auf die Terrorliste gesetzt. Die Gruppe hatte in der Vergangenheit die Verantwortung für mehrere Selbstmordattentate in Syrien mit zahlreichen Toten übernommen. Viele weitere Unsicherheitsfaktoren spielen heute, aber auch zukünftig eine Rolle bei der Entwicklung Syriens, so zum Beispiel das Verhalten der Dschihadisten, die im Ausland Kampferfahrungen gesammelt haben. Besondere Sorgen macht das Arsenal syrischer Chemiewaffen, da niemand abzuschätzen weiß, ob Assad als letztes Mittel von diesen Waffen Gebrauch machen wird oder die Waffen nach dem Sturz Assads in die Hände von Terrorgruppen fallen. In jedem Fall wäre dies nicht nur eine Bedrohung für die eigene syrische Bevölkerung, sondern auch für die angrenzenden Staaten. Abschließend bleibt festzuhalten, dass sowohl die jetzige syrische Opposition als auch die Mehrzahl der westlichen Staaten eine militärische Intervention in das Krisengebiet strikt ablehnen. Die Europäische Union hat am 28. November 2012 eine Verlängerung des Waffenembargos für Syrien um drei Monate beschlossen. Mit der Konferenz von Marrakesch erfuhr die syrische Opposition eine internationale Aufwertung, die sowohl die politischen Verhandlungen als auch die Unterstützung für ein freies Syrien für die internationale Staatengemeinschaft erleichtern werden. Wie sich die syrische Opposition – gerade vor dem Hintergrund des Einflusses islamistischer Gruppen – nach der Machtübernahme verhält, wird eine entscheidende Frage für den weiteren Weg Syriens sein. Wird sie die Macht übernehmen, ohne diese zu teilen, ist ein freies, demokratisches Syrien in weite Ferne gerückt. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Die deutsche Außenpolitik verfolgt mit Hinblick auf die verheerenden Ausmaße der Gewalt in Syrien das Ziel, eine rasche, friedliche Lösung herbeizuführen und der Zivilbevölkerung, insbesondere den Flüchtlingen, zu helfen. Durch unser Engagement sind wir zu einem der größten Geber humanitärer Hilfe für syrische Flüchtlinge geworden. Nichtsdestoweniger kann die Hilfe nur ein Tropfen auf dem heißen Stein bleiben, solange die Gewalt unvermindert anhält. Der Konflikt in Syrien hat sich längst zu einem blutigen Bürgerkrieg ausgeweitet, dem täglich Hunderte zum Opfer fallen. Immer mehr Menschen versuchen, dieser Gewalt zu entfliehen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen hat sich die Zahl der Flüchtlinge in der letzten Zeit dramatisch erhöht. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR ging Anfang Dezember von mehr als 3 Millionen betroffenen Menschen aus. Mehr als 450 000 Menschen sind bislang aus Syrien in die Nachbarstaaten geflohen. Insbesondere Jordanien, Libanon, Irak und die Türkei haben einen außerordentlich wichtigen Beitrag geleistet, diese Flüchtlinge auf ihrem Staatsgebiet so gut wie möglich aufzunehmen und zu versorgen. Eine Verbesserung der Lage vor Ort ist derzeit nicht absehbar. Im Gegenteil, mit fortschreitender Dauer des Konflikts und dem anstehenden Wintereinbruch ist zu erwarten, dass die Flüchtlingsproblematik noch weiter zunimmt. Wie Außenminister Westerwelle nach seinem Besuch in dem jordanischen Flüchtlingslager al-Zaatari im September dieses Jahres feststellte, sind von den über 30 000 dort lebenden Flüchtlingen mehr als die Hälfte Kinder, die besonders unter der Entwurzelung und den Greueltaten leiden. Diese Schicksale bekümmern uns alle. Zur Linderung der akuten Not syrischer Flüchtlinge hat die Bundesregierung daher in den letzten Wochen wiederholt eine Aufstockung der humanitären Hilfe für Syrien auf nunmehr über 67 Millionen Euro beschlossen. Davon werden circa 30 Millionen Euro durch das Auswärtige Amt für humanitäre Hilfe in Syrien und für die Versorgung der Flüchtlinge in den Nachbarstaaten eingesetzt. Wie Mitte Oktober beschlossen, gingen davon 5 Millionen Euro an Flüchtlinge aus Syrien, um warme Kleidung, Decken und Öfen bereitzustellen. Am 7. November erhöhte Deutschland seine humanitäre Hilfe für die Opfer des Syrien-Konflikts um weitere 12 Millionen Euro, die Deutschland dem Nothilfefonds der Vereinten Nationen zur Verfügung stellte, um die Flüchtlingsquartiere winterfest zu machen und die Menschen mit Essen und warmer Kleidung zu versorgen. Wie bereits Ende Oktober beschlossen, gingen außerdem 1,3 Millionen Euro an den Libanon, der über 100 000 syrische Flüchtlinge aufgenommen hat, um diese zu unterstützen. Dieses Engagement ist auch unter dem Aspekt wichtig, den Libanon zu stabilisieren und ein Übergreifen der Syrien-Krise auf den Libanon zu verhindern. Auch die Europäische Kommission hat in den letzten Wochen und Monaten eine Aufstockung ihrer Soforthilfe für Syrien auf nunmehr 119 Millionen Euro beschlossen. Damit stellt die EU die Hälfte der internationalen humanitären Hilfe in der Krise. Deutschland leistet hierzu einen erheblichen Beitrag. Ohne ein Ende der Gewalt ist auch ein Ende der Flüchtlingsproblematik nicht absehbar. International ist das syrische Regime nicht zuletzt aufgrund der Sanktionen der internationalen Staatengemeinschaft mehr und mehr isoliert. Jetzt gilt es, endlich die Bemühungen Deutschlands, der EU und der USA erfolgreich voranzutreiben, Russland und China von der Unterstützung des syrischen Regimes abzubringen. Denn die Vereinten Nationen können nur dann einen Waffenstillstand in Syrien unterstützen, wenn alle ihre Mitglieder Seite an Seite darauf hinarbeiten. Die gegenwärtige Blockade des Sicherheitsrats geht auf Kosten der Menschen in Syrien und des Friedens in der gesamten Region! Sorge bereiten mir in diesem Zusammenhang insbesondere Meldungen, wonach das syrische Regime mit einem Einsatz chemischer Waffen drohe. Wie Anfang Dezember Außenminister Westerwelle, US-Präsident Obama und NATO-Generalsekretär Rasmussen klarstellten, wäre ein solcher Einsatz völlig inakzeptabel. Zum Schluss möchte ich der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes zutrifft, wonach ein Ende des Assad-Regimes unausweichlich sei. Was allerdings danach kommt, ob das Ende des Assad-Regimes auch der Beginn eines Demokratisierungsprozesses sein wird, ist freilich gerade mit Blick auf die aktuelle Entwicklung in Ägypten fraglich. Günter Gloser (SPD): Das Assad-Regime hat ausgespielt. Nach eineinhalb Jahren offenem Krieg gegen große Teile der eigenen Bevölkerung mit Zigtausenden Toten und Verletzten sowie Hunderttausenden Flüchtlingen hat die syrische Regierung jede Legitimation verloren. Assad hat sich als unfähig und nicht willens erwiesen, die friedlichen Proteste der Bevölkerung ernst zu nehmen und den Ruf der Straße nach politischer Partizipation und verantwortlichen Behörden in einen politischen Reformprozess zu transformieren. Seine Zusagen für mehr Pluralität löste er nicht ein, sondern antwortete mit Folter, Willkür und Repression. Als Reaktion desertierten immer mehr Soldaten, und die „Freie Syrische Armee“ begann den bewaffneten Kampf gegen die marodierenden Schabiha-Milizen – und die Zentralarmee. Gleichzeitig gelangten immer mehr fundamentalistische Kämpfer aus dem Ausland nach Syrien, und die Situation wurde zunehmend unübersichtlicher und blutiger. Diese Kette von Ereignissen ist wichtig, um den syrischen Bürgerkrieg auch politisch einzuordnen. Hier setzt der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke ganz falsche Akzente. Der Protest der Bevölkerung sei „unter vielfachem Einfluss in eine andere Richtung getrieben“ und der Konflikt „von außen angeheizt und militarisiert“ worden, liest man da. Die Linke begibt sich hier auf sehr dünnes Eis. Möchte sie nicht in den Chor der antiimperialistischen Verschwörungstheoretiker mit einstimmen, dann muss sie klare Position beziehen und die Verantwortlichen für die syrische Tragödie zweifelsfrei benennen. Assad wird lediglich „erhebliche Verantwortung für die Gewalt in Syrien“ attestiert. Das ist nicht die klare Botschaft, die eine Fraktion des Bundestages hier senden muss. Natürlich ist die Situation in Syrien gerade deshalb so schwierig, weil vielfache Bruchlinien das Land durchziehen. Der soziale Konflikt um Teilhabe und Demokratisierung, der im Kern der syrischen Auseinandersetzungen steht, wurde im Verlauf der Auseinandersetzung zunehmend konfessionalisiert. Dies ist das eigentliche Verbrechen des kompromisslosen Assad-Regimes. Dass zu den widerstreitenden regionalen Interessen von Iran und den Golfstaaten auch noch der globale Gegensatz zwischen dem Westen und Russland kommt, macht diesen Konflikt extrem komplex. Einfache Lösungen sind nicht zu haben. Der richtige Ansatz ist es da, im ganz Kleinen die lokale, gewaltfreie Opposition in Syrien zu unterstützen und im ganz Großen weiter massiv für eine Einigung im VN-Sicherheitsrat zu werben. Das Rezept der Linksfraktion ist es hingegen, die diplomatischen Kontakte zu Assad wiederherzustellen. Gleichzeitig fordert sie, dass der VN-Sicherheitsrat keine Kapitel-VII-Resolution verabschieden darf. Das kann nicht die richtige Antwort auf die schwierige Situation in Syrien sein. Eine gemeinsame Position der internationalen Gemeinschaft hat von Anfang an gefehlt. Das hat dazu beigetragen, den Bürgerkrieg auszudehnen. In dieser Situation Kapitel-VII-Resolutionen des VN-Sicherheitsrates kategorisch auszuschließen, halte ich für falsch. Es gilt, klar Partei zu ergreifen für die syrische Bevölkerung, Demokratie und einen zivilen Wandel. Das ist das Signal, was nach Syrien gesendet werden muss und nicht die Wiederaufnahme von diplomatischen Beziehungen mit Assad. In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich die positiven Impulse, die gestern in Marrakesch von der Gruppe der Freunde Syriens an die Nationale Koalition in Syrien gesendet wurden. Über die politischen Entwicklungen darf aber eines nicht vergessen werden – und darin sind wir uns einig –: Angesichts des bevorstehenden Winters brauchen die Flüchtlinge und Betroffenen mehr denn je humanitäre Unterstützung. Bijan Djir-Sarai (FDP): Seit dem Beginn der gewaltsamen Unruhen in Syrien hat sich diese Bundesregierung um die Belange der dortigen Hilfebedürftigen gekümmert. Die Lage der syrischen Flüchtlinge ist prekär, doch wir dürfen nicht der Versuchung nachgeben, durch wohlgemeinte unüberlegte Hilfsaktionen diese Situation noch zu verschlimmern. Es ist verständlich, dass man aufgrund der grausigen Bilder aus Syrien am liebsten alle Notleidenden in Sicherheit schaffen möchte. Aber: Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. Unter diesem Stichwort sehe ich auch den vorliegenden Antrag. Wir verfolgen das langfristige Ziel einer demokratischen Stabilisierung des Landes nach dem Sturz des Assad-Regimes. Dazu brauchen wir die Menschen vor Ort. Es hilft nichts, wenn dieses brutale Regime über kurz oder lang verjagt wird, nur damit im neuen Chaos eine andere unterdrückende Clique an die Macht kommt. Die Motive der Kämpfenden sind grundverschieden und für uns als Außenstehende sehr schwer zu erkennen. Es kann uns nicht egal sein, wenn in Zukunft zum Beispiel islamistische Fundamentalisten das Land regieren wollen. Daher müssen wir gewährleisten, dass wir keinen künstlichen Braindrain verursachen und damit Syrien dem Chaos überlassen. Gleichzeitig will diese Bundesregierung ihr Möglichstes tun, um den Flüchtlingen zu helfen. Das tut sie seit fast zwei Jahren auf mannigfaltige Weise. Um nur die jüngsten Hilfeleistungen zu nennen: Wir sind der zweitgrößte Geldgeber nach den Vereinigten Staaten in der Region. Bis jetzt hat Deutschland rund 67,3 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und strukturbildende Übergangshilfe ausgegeben. Das betrifft sowohl bilaterale Soforthilfe über UNICEF als auch zum Beispiel Unterstützung für Flüchtlinge in Jordanien und im Libanon. Diese Hilfe wird auch in Zukunft ausgebaut. Außerdem unterstützt das Auswärtige Amt mit 500 000 Euro syrische Studenten in Deutschland, die in finanzielle Engpässe gekommen sind. So sollen sie befähigt werden, ihr Studium trotz der Kämpfe in ihrem Heimatland fortsetzen zu können. Denn gerade gebildete junge Syrer werden nach einem Sturz des Assad-Regimes dringend vor Ort gebraucht. Seit April 2011 wurde keine einzige Person mehr nach Syrien abgeschoben. Weiterhin hat sich das Auswärtige Amt zusammen mit dem Bundesministerium des Innern auf eine Ausnahmeregelung geeinigt, die den Ehegattennachzug aus Syrien betrifft. Das heißt, dass syrischen Ehepartnern von deutschen Staatsbürgern unter erleichterten Bedingungen ein Visum erteilt wird. Damit erfüllt diese Bundesregierung schon die meisten Forderungen der Opposition, ohne aber in einen kontraproduktiven Hilfewahn zu verfallen. Wir setzen gezielt dort Hilfe ein, wo sie den Syrern selbst am meisten nützt. Wir wollen einen souveränen, demokratischen und sicheren Staat Syrien, der von seinen eigenen Landsleuten getragen wird. Interessanterweise hat bislang das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen auf einen Aufruf zur allgemeinen Aufnahme von syrischen Flüchtlingen verzichtet. Es betont stattdessen die Hilfe vor Ort – genau wie die Bundesrepublik Deutschland. Daher ist der wohl gut gemeinte, aber, wie eben erläutert, nicht hilfreiche Antrag der Opposition abzulehnen. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Es ist schon bezeichnend, dass es ausschließlich die Linke ist, die dem Bundestag einen Antrag zu Syrien vorgelegt hat: „Sofortige humanitäre Hilfe für Syrien leisten – Diplomatische Verhandlungslösung für den Konflikt fördern“. Die Linke hat von Anfang an und auf das Engste mit der demokratischen Opposition in Syrien zusammengearbeitet. Der Nationale Koordinierungsrat für einen demokratischen Wandel in Syrien hat eine klare politische Haltung für ein Syrien des demokratischen Wandels, für Gewaltfreiheit. Wir konnten uns diesem Teil der syrischen Opposition, der gewaltfrei handelt, ein Auseinanderbrechen des syrischen Staates verhindern will und sich nicht einer religiösen Richtung verpflichtet, anschließen. Die Linke hat verschiedenste Gäste aus Syrien und aus der syrischen Emigration eingeladen. Unser Prinzip war und ist: Wir wollen nicht in Berlin festlegen, was in Syrien passieren müsse. Das unterscheidet uns von vielen anderen. Die Bundesregierung hat einen anderen Weg eingeschlagen. Ihre Zielsetzung war es nicht, zu einem Dialog in Syrien beizutragen, war nicht die Förderung gewaltfreier Positionen, sondern der Regime Change, der mit aller Macht herbeigeführt werden soll. Die Bundesregierung engagierte sich dafür, dass in Berlin das Konzept „The Day after“ ausgearbeitet werden konnte. Die Bundesregierung mischte aktiv unter den „Freunden Syriens“ mit und verdrängt ihre Erkenntnisse über Waffenlieferungen nach Syrien. Die Bundesregierung hatte auch keine Skrupel, Saudi-Arabien und Katar, die Golfemirate als Partner im Kampf um Syrien zu akzeptieren. Ebenso wie diesen Diktaturen war es der Bundesregierung recht, die Türkei als Partner für den Kampf um „die Rechte der syrischen Kurdinnen und Kurden“ zu preisen. Die Politik der Bundesregierung war nicht doppelbödig, nein – sie war eindeutig. Assad sollte gestürzt werden, koste es, was es wolle, auch wenn das den säkularen Charakter des Staates Syrien zerstört. Damit das klar ist: Die Linke, auch ich selbst bin entschieden dafür, dass Assad als Präsident Syriens abgelöst wird. Wir wollen einen demokratischen Wandel in Syrien unterstützen, aber nicht vom Regen in die Traufe kommen. Die Moslembrüder, Al Qaida und andere islamistische Gruppen sind keine Alternative zu Assad. Es gibt Alternativen in der syrischen Gesellschaft und auch in der syrischen Auslandsopposition. Nur – hinter diesen Gruppen stehen keine mächtigen Geldgeber, keine staatlichen Interessen. Ihre Macht kommt nicht aus Gewehrläufen. Ihre Partner sind nicht die Golfstaaten, ihr Syrien wird von unten wachsen, plural und demokratisch sein, und kann einen föderalen Staatsaufbau haben. Ein autonomes kurdisches Gebiet in Syrien wird mit Sicherheit zu diesem Syrien gehören, davon habe ich mich in vielen Gesprächen überzeugen können. Die politische Konzeption für einen solchen syrischen Staat findet sich in der Genfer Vereinbarung, die Lakhdar Brahimi auf den Weg gebracht hat, und war bereits im Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan skizziert. Auch die Bundesregierung hatte sich verbal für beide Dokumente ausgesprochen. Tatsächlich eingesetzt hat sie sich dafür nie. Für die Linke bleibt der zentrale Punkt, eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand zu erreichen und effektiv Hilfe zur Abwendung der humanitären Katastrophe zu leisten. Europa muss seine Grenzen sofort für syrische Flüchtlinge öffnen und die in Deutschland lebenden Syrerinnen und Syrer müssen die Möglichkeit erhalten, ihre Familien nachzuholen. Alle Initiativen des Roten Kreuzes bzw. des Roten Halbmonds für direkte Hilfe in Syrien müssen unterstützt werden. Das schlagen wir vor. Von der Bundesregierung fordern wir, dass sie zu einer Politik der Zurückhaltung zurückkehrt. Es ist falsch und skandalös, das Patriot-Raketensystem an der türkisch-syrischen Grenze zu stationieren. Deutschland begibt sich mit Waffen und Soldaten in einen hochexplosiven Gefahrenherd hinein. Deutsche Soldaten im Nahen Osten, Deutschland an der Seite der Regierung Erdogan, das ist in dieser Auseinandersetzung der falsche politische Weg. Wenn die Bundesregierung jetzt argumentiert, man müsse dem NATO-Partner Türkei den jahrzehntelangen Schutz Deutschlands und des westlichen Bündnisses vor dem Sowjetkommunismus gebührend honorieren. Die Türkei hat uns geholfen, jetzt helfen wir der Türkei, hört man aus dem Regierungslager. Ich habe überhaupt nichts dagegen, den Demokratinnen und Demokraten in der Türkei zu helfen. Die Linke im Bundestag und die Bewegung für Demokratie, BDP, in der Türkei haben eine gemeinsame Erklärung gegen die Stationierung der Patriot-Raketen abgegeben und sind solidarisch mit der türkischen und deutschen Friedensbewegung. Die türkische und die deutsche Linke treten für die Rechte der Kurdinnen und Kurden ein – in Deutschland, in Syrien, im Irak und in der Türkei. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit 21 Monaten schlägt das syrische Regime jeden Protest für Menschenrechte und Demokratie mit brutaler Gewalt nieder. Mittlerweile wurde die Freiheitsbewegung von einem Bürgerkrieg abgelöst. Die systematische Gewalt gegen Zivilisten ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ein Kriegsverbrechen. Der syrische Präsident Baschar al-Assad befehligt die Bombardierung von Wohngebieten, die Tötung von unschuldigen Zivilisten, verhindert den Zugang zu humanitärer Hilfe und billigt offenbar Folter, sexuelle Gewalt und Misshandlungen, auch an Kindern. Syrerinnen und Syrer zahlen einen hohen Preis für ihren Wunsch nach Freiheit, Menschenrechten und Demokratie. Bisher sind nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als 40 000 Menschen während des gewaltsamen Konflikts in Syrien ums Leben gekommen. 2,5 Millionen Syrerinnen und Syrer benötigen humanitäre Hilfe. 1,2 Millionen von ihnen sind innerhalb Syriens auf der Flucht. Fast eine halbe Million Menschen mussten das Land verlassen. Das VN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geht davon aus, dass bis zum Ende dieses Jahres die Zahl von syrischen Flüchtlingen auf 710 000 anwachsen wird. Ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien ist in absehbarer Zeit leider nicht zu erwarten, auch wenn sich in den letzten Wochen die Anzeichen dafür mehren, dass die Macht des Assad-Regimes schwindet. Die Debatte über Syrien aber auf das Militärische zu reduzieren, wird der Situation vor Ort nicht gerecht; denn im Rahmen der Aufnahme von Flüchtlingen und der humanitären Hilfe ist noch vieles möglich. Die Vereinten Nationen, insbesondere UN OCHA und UNHCR, und das Internationale Komitee des Roten Kreuzes benötigen die tatkräftige Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Bisher sind nur 50 Prozent der von den Vereinten Nationen für Syrien benötigten 348 Millionen US-Dollar finanziert. Der Aufruf zur Versorgung von Flüchtlingen ist nur zu 35 Prozent gedeckt. Finanziell kann also noch viel getan werden. Gleichzeitig müssen dauerhafte Lösungen für die Flüchtlinge aus Syrien gefunden werden. Die Türkei, Jordanien, der Libanon und Irak stoßen mit der Aufnahme und Versorgung der syrischen Flüchtlinge an ihre Grenzen. Diese vier Staaten allein haben bisher 448 751 Flüchtlinge aufgenommen. Daran sollten sich alle Staaten ein Beispiel nehmen – auch Deutschland. Hunderttausende können nicht auf Dauer in Lagern in der Türkei, Jordanien, dem Libanon oder Irak bleiben. Der Winter erschwert ihre ohnehin schon schwierige Situation weiter. Die Bundesregierung sollte sich mit den aufnehmenden Anrainerstaaten und mit den Flüchtlingen solidarisch zeigen und großzügig Syrerinnen und Syrern in Deutschland Schutz gewähren. Es gibt auch manche von ihnen, die von ihren Freunden und Angehörigen nach Deutschland eingeladen werden. Für sie muss die Visumsvergabe deutlich erleichtert werden, damit sie wenigstens für eine Zeit lang Schutz in Deutschland finden. Dies hat jüngst auch die Integrationsbeauftragte, Maria Böhmer, gefordert. Lakhdar Brahimi, der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga für Syrien, hat am 30. November 2012 vor der VN-Generalversammlung betont, dass es letztendlich nur zwei Alternativen für Syrien gibt. Eine verhandelte Lösung des Konflikts oder einen Failed State, der mit seinem ethnisch-religiösen Konflikt nicht nur Syrien, sondern die gesamte Region im Griff halten wird. Der Syrienkonflikt ist ohne eine Zusammenarbeit aller Mächte in der Region, einschließlich Iran – übrigens genau wie der Afghanistan-Konflikt, nicht lösbar. Kofi Annan wusste das und wollte deshalb den Iran in die Verhandlungen einbinden. Niemand in der Region hat so viel Einfluss auf Baschar al-Assad wie das iranische Regime. Die USA aber blockieren weiterhin die Einbindung Irans. Doch geopolitische Interessen der unterschiedlichen Konfliktparteien – USA, Saudi- Arabien, Russland, Iran – dürfen nach all den Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien die Blockade von Verhandlungen nicht legitimieren. Alle Parteien sind zu Kompromissen aufgefordert. Dazu gehört auch, Iran und Irak mit an den Verhandlungstisch zu holen. Ein verhandelter Frieden ist letztendlich nur im Rahmen der Vereinten Nationen denkbar. Die Vereinten Nationen haben die große Verantwortung, aber auch die große Chance, intensive Beziehungen zu allen Mitgliedstaaten zu unterhalten, die nicht von irgendwelchen nationalen oder geopolitischen Interessen geprägt sind. Sie sind die wichtigste Stimme für friedliche Konfliktlösungsstrategien, den Schutz der Menschenrechte in aller Welt sowie in den einzelnen Nationalstaaten. Der Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan und das Schlusskommuniqué der Action Group for Syria vom 30. Juni 2012 bieten immer noch eine Grundlage für politische Verhandlungen. Was am Ende einer solchen Verhandlung steht, ist noch eine Unbekannte. Ein Ende des Bürgerkrieges ist noch nicht absehbar. Absehbar ist aber: Sobald es einen Waffenstillstand gibt, muss eine robuste VN-Mission die verschiedenen religiösen, ethnischen und politischen Gruppen davon abhalten, einen Krieg – jeder gegen jeden – zu führen; darauf sollte man sich vorbereiten. Auch wenn jetzt jedes militärische Eingreifen den Konflikt nur verschärfen und die Opferzahlen erhöhen würde, eine Kapitel-VII-Mission der Vereinten Nationen in Syrien für alle Zukunft und auch nach einem Waffenstillstand kategorisch auszuschließen, wie es die Partei Die Linke tut, ist auch nicht möglich. Es stellt sich doch die Frage, ob die Friedensfreunde der Linken nichts aus dem Völkermord in Srebrenica gelernt haben. Sollen in Syrien dann etwa Blauhelme wieder dabei zusehen, wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord begangen werden, nur weil die internationale Gemeinschaft die VN-Mission nicht mit einem robusten, also Kapitel-VII-Mandat ausgestattet hat? Haben wir aus der Debatte um die Schutzverantwortung nichts gelernt? Die Völkermorde in Ruanda und Srebrenica haben der internationalen Gemeinschaft eine Lektion erteilt. Sobald in Syrien die Waffen schweigen, muss es ein Kapitel-VII-Mandat für eine gut bewaffnete Mission der Vereinten Nationen in Syrien geben, um konkurrierende Gruppen auseinanderzuhalten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Rachemorde zu verhindern. Das sollten wir jetzt schon sagen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11697 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist es so beschlossen. Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters sowie zur Änderung weiterer Vorschriften – Drucksache 17/11689 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Hier wurden die Reden ebenfalls zu Protokoll gegeben. Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Mit dem Gesetz über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters sowie zur Änderung weiterer Vorschriften machen wir einen weiteren Schritt zur Sicherstellung unserer Gesundheitsversorgung. Im Rahmen der Gefahrenabwehr und der staatlichen Daseinsvorsorge haben Patientinnen und Patienten Anspruch auf adäquate medizinische Hilfe durch adäquat geschultes Personal. Um dies auch weiterhin in gewohntem Maße zu gewährleisten, geht es darum, die sich verändernden Gegebenheiten zu berücksichtigen und Strukturen anzupassen. Deshalb ist die im Gesetzentwurf vorgesehene Neustrukturierung der Ausbildung von Notfallsanitätern – die oftmals als Erste vor Ort sind – von sehr großer Bedeutung für das Rettungswesen. Bisher beruht die Ausbildung der Rettungsassistenten auf einem Gesetz aus dem Jahre 1989, das mittlerweile aus verschiedenen Gründen überholt ist. Durch die Neugestaltung und Neugliederung der Ausbildung sorgen wir für mehr Rechtsicherheit. Bisher standen Sanitäter bei ihrer Arbeit oftmals quasi mit einem Bein im Gefängnis, da sie weder eigenständig Medikamente verabreichen noch lebenserhaltende Maßnahmen durchführen durften, aus der Not heraus aber mussten. Das Verabreichen von Medikamenten sowie die Durchführung lebenserhaltender Maßnahmen waren ausschließlich dem hinzugezogenen Notarzt vorbehalten. Durch die Neuregelung der Ausbildung im Rahmen des Gesetzes erhalten Sanitäter größeres Fachwissen, aber auch größere Kompetenzen als zuvor. Zentral ist dabei die Verlängerung der Ausbildungsdauer von zwei auf drei Jahre. Durch sie ist es möglich, den Sanitätern das Erlernen der entsprechenden Kompetenzen zu ermöglichen, um auch in extrem fordernden Situationen des Einsatzes das erforderliche Fachwissen anwenden zu können und zu dürfen. Diese erweiterten Kompetenzen für Sanitäter sind gerade unter dem Aspekt des demografischen Wandels – und hier vor allem im ländlichen Raum – dringend geboten. Bisher ist es rechtlich zwingend vorgeschrieben, selbst grundlegende Behandlungen durch einen Notarzt durchführen zu lassen – auch wenn dies oft gar nicht unbedingt notwendig wäre. Aus diesem Grund erachte ich die geplante Neuregelung für notwendig, und zwar nicht nur aus Sicht der Sanitäter, sondern auch aus Sicht der Notärzte. Durch das neue Gesetz und die erweiterte Ausbildung der Sanitäter wird nun sichergestellt, dass bereits vor der Aufnahme in eine Klinik qualifizierte Behandlungsstandards – auch bei den Notfallsanitätern – eingehalten werden. Voraussetzung für die Durchführung der Notfallmaßnahmen ohne Notarzt ist, dass sich die Patientin bzw. der Patient in einem lebensgefährlichen Zustand befindet oder dass massive Folgeschäden zu befürchten sind, wenn keine unmittelbare Versorgung erfolgt. Um neben der Politik auch die direkt betroffenen Interessengruppen mit in den Gesetzgebungsprozess einzubeziehen, wurde vonseiten des Gesundheitsministeriums zur Klärung einiger zentraler Fragen eine Expertengruppe, bestehend aus Vertretern dieser Gruppen, eingerichtet. Der nun vorliegende Gesetzentwurf basiert zu großen Teilen auf den Ergebnissen der Beratungen dieser Expertengruppe und greift neben der Anpassung der Ausbildung zahlreiche Forderungen der Experten auf, was zu deutlichen Verbesserungen in verschiedenen Bereichen führt. So wird beispielsweise, um die Situation der Auszubildenden zu verbessern, Notfallsanitäteranwärtern durch das neue Gesetz eine Ausbildungsvergütung gewährt. Dies ist allein schon deshalb geboten, da die Ausbildung zum Notfallsanitäter in Konkurrenz zu anderen Ausbildungsberufen steht. Zudem wird, um eine Lücke in der Versorgung mit frisch ausgebildeten Sanitätskräften zu vermeiden, die bisher geltende Regelung bis Ende des Jahres 2014 in Kraft bleiben. Hier wurde auf Verbesserungsvorschläge vonseiten der Verbände reagiert. Auch für Rettungssanitäter, die nach dem bisher geltenden Gesetz ausgebildet wurden, ist es nun möglich, sich – je nach Vor- und Fachwissen – innerhalb eines Viertel- oder eines halben Jahres unbürokratisch und schnell zum Notfallsanitäter fortbilden zu lassen. Mit dem neuen Notfallsanitätergesetz regelt der Bund die Ausbildung zum Notfallsanitäter neu. Die Umsetzung der Vorgaben des Gesetzes liegt nun in den Händen der Länder. Ich appelliere an diese, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Mechthild Rawert (SPD): Die Expertinnen und Experten des Rettungsdienstes leisten als Bestandteil der Daseinsvorsorge Nacht für Nacht und Tag für Tag eine anspruchsvolle, hochqualifizierte Arbeit. Viele verdanken ihnen ihr Leben. Viele verdanken ihnen ihre Gesundheit. Dafür gilt allen ehrenamtlichen und hauptberuflichen Fachkräften des Rettungsdienstes mein ganz herzlicher Dank. Zu Recht wird im Entwurf eines Gesetzes über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters sowie zur Änderung des Hebammengesetzes darauf verwiesen, dass unsere Bürgerinnen und Bürger „einen gesetzlichen Anspruch auf eine qualifizierte, bedarfsgerechte, hilfsfristorientierte und flächendeckende notfallmedizinische Hilfe auf dem aktuellen Stand von Wissen und Technik“ haben. Dieser „Stand von Wissen und Technik“ ist sowohl im wissenschaftlichen als auch im technologischen Bereich in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen. So hat sich die Medizin rasant weiterentwickelt und mit ihr die Möglichkeiten der Notfallmedizin. Deshalb begrüßen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten grundsätzlich die mit diesem Gesetz geplanten Neuregelungen der Ausbildungsstrukturen im Rettungswesen. Die Notwendigkeit der Modernisierung des 23 Jahre alten Rettungsassistentengesetzes, RettAssG, von 1989 wird von allen – auch von den Fachverbänden – gesehen. Bisher sind in diesem Feld sowohl Rettungshelfer und Rettungshelferinnen, Rettungssanitäter und Rettungssanitäterinnen wie auch Rettungsassistenten und Rettungsassistentinnen im Einsatz. Die Ausbildungen sind bis auf die zur Rettungsassistentin oder zum Rettungsassistenten nicht bundeseinheitlich geregelt. Wir begrüßen die Aufwertung des Berufsbildes und der dazugehörigen Ausbildung sowie die zukünftig dann bundesweit einheitlichen Ausbildungsregelungen zum neuen Notfallsanitäter, zur Notfallsanitäterin. Wir begrüßen die Intention, das Ausbildungsziel zu erneuern und die Ausbildung von zwei auf drei Jahre zu verlängern. So erhalten Notfallsanitäter und Notfallsanitäterinnen mehr Kompetenzen bei der Ausübung ihres Berufes. Die SPD-Bundestagsfraktion plädiert grundsätzlich für eine stärkere Durchlässigkeit von Ausbildungsberufen und Studium; nicht nur bei den Notfallsanitätern und den Notfallsanitäterinnen. Bei der von uns unterstützen Aufwertung ist darauf zu achten, dass keine unnötig hohen Hürden für den Berufszugang geschaffen werden. Berufszugänge müssen tendenziell erleichtert und Chancen zur Weiterqualifizierung gewährleistet sein. Für uns ist auch bei dieser Ausbildungsneuregelung wichtig, dass es in der Praxis zu keiner Zwei-Klassen- oder gar Dreiklassenbesetzung auf den Einsatzfahrzeugen kommt. In der Übergangsphase der Neuregelung der Ausbildung der Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten zum Notfallsanitäter und zur Notfallsanitäterin ist dringend darauf zu achten, dass es zu keinen inakzeptablen Verwerfungen bei den Vergütungen kommt. Gezielte, nur aus Kostenersparnisgründen vorgenommene Verlagerungen von Tätigkeiten auf geringer qualifizierte Rettungshelfer und Rettungshelferinnen oder Rettungssanitäter und Rettungssanitäterinnen sind inakzeptabel. Jedem heutigen Rettungsassistenten muss die niedrigschwellige Möglichkeit zum Erwerb des neuen Berufsbildes gegeben werden. Ihre im Beruf erworbene praxisbezogene Erfahrung muss eine angemessene Berücksichtigung bei Weiterbildungsmöglichkeiten finden. Die SPD-Bundestagsfraktion befürwortet grundsätzlich Regelungen zur Delegation von ärztlichen Tätigkeiten. Trotz der Letztverantwortung des Arztes/der Ärztin müssen im Interesse der Hilfesuchenden und der interdisziplinären Kooperation Möglichkeiten zur Entlastung der Mediziner und Medizinerinnen evaluiert und in die Praxis überführt werden. Auf diese Weise gewinnt der Beruf der Notfallsanitäterin, des Notfallsanitäters an weiterem Ansehen und die Notfallpatientinnen und -patienten erhalten eine noch bessere Versorgung. Kritik am bislang geltenden Rettungsassistentengesetz gibt es in der Frage der bestehenden Rechtsunsicherheit bei der Anwendung von invasiven Maßnahmen im Rahmen der sogenannten Notkompetenz. Der dazu nun im Gesetzentwurf verankerte Regelungsvorschlag und die Ausführungen in der Begründung zum Gesetzentwurf müssen in einer hoffentlich stattfindenden Anhörung intensiv diskutiert werden, um für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter Handlungsfähigkeit und Rechtssicherheit zu gewährleisten. Die geplante Einführung einer Ausbildungsvergütung und die Schaffung eines Ausbildungsrahmens wird von der SPD-Bundestagsfraktion begrüßt. Sicherzustellen ist dabei die Finanzierung der zukünftigen Ausbildung. Die Träger selbst, als Arbeitgeber der künftigen Notfallsanitäter und Notfallsanitäterinnen, müssen für die Ausbildung ihrer späteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finanziell aufkommen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten lehnen Regelungen ab, nach denen Auszubildende für ihre Ausbildungen selbst zahlen und unter anderem Schulgeld zahlen müssen. Folgende Fragen sind noch ungeklärt und sind in einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages mit den Fachverbänden zu diskutieren: Wie wird die Finanzierung der (Mehr-)Kosten – Schätzungen gehen von einer durchschnittlichen Kostensteigerung von 15 000 Euro auf 40 000 Euro aus – der umfangreicheren und längeren Ausbildung geregelt? Wie können Forderungen nach einem Zugang auch für Schüler und Schülerinnen mit einem 10-jährigen allgemeinbildenden Schulabschluss sichergestellt werden? Wie kann der von freien Trägern befürchtete Rückgang der Zahl der Auszubildenden vermieden werden, wenn die Träger nur noch in ihren trägereigenen Schulen ausbilden würden? Welche Folgen hätte die fehlende Erwähnung des Beamtenrechts – Feuerwehr – im Gesetz? Führt dies zu einer Alleinstellung der Feuerwehrsanitäter? Welche Auswirkungen hätte der Gesetzentwurf auf die Besonderheiten von Beamtenverhältnissen im Blick auf den Dienstherrn? Dieser kommt auch schon bisher für die Ausbildung – an eigenen Schulen – und die nachfolgende Anstellung auf. Der vorliegende Gesetzentwurf will auch Regelungen im Bereich der Ausbildung für Hebammen und Entbindungspfleger ändern. Ich begrüße, dass Teile der praktischen Ausbildung künftig stärker auch im außerklinischen Bereich durchgeführt werden und die Dauer der praktischen Ausbildung im außerklinischen Bereich bis zu 480 Stunden betragen soll. Damit wird der Praxis Rechnung getragen, dass in den vergangenen Jahren die Verweildauer nach Entbindungen stetig kürzer geworden ist und Schwangere und junge Mütter im häuslichen Umfeld mehr Unterstützungsleistungen von Hebammen benötigen und nachfragen. Für mich ist klar: Es geht in der Arbeit von heutigen Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten wie auch zukünftigen Notfallsanitätern und Notfallsanitäterinnen am Einsatzort oft schlicht um Leben und Tod. Oft zählt jede Sekunde. Wir müssen mit dem neuen Ausbildungsgesetz rechtlich einwandfreie Lösungen finden, damit sich künftig Notfallsanitäter und Notfallsanitäterinnen darauf verlassen können, dass ihr Handeln so rechtlich abgesichert ist, dass es sie nicht im Nachhinein vor den Kadi führt. Im Sinne und Interesse der Patientinnen und Patienten muss es darum gehen, den Übergang zu diesem neuen Berufsbild mit allen seinen Herausforderungen im Miteinander von Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten sowie Notärztinnen und Notärzten erfolgreich zu gestalten und zum Erfolg zu führen. Jens Ackermann (FDP): In den letzten 20 Jahren hat sich im medizinischen Sektor viel verändert. Innovationen und Verbesserungen helfen den Menschen, ihre Gesundheit zu erhalten oder wieder gesund zu werden. Nur ein Bereich wurde jahrelang übersehen, ja nahezu ignoriert: der Bereich der Notfallversorgung durch die Rettungsassistenten. Daher war es mir und der FDP eine Herzensangelegenheit, diesen Zustand zu verbessern, und jetzt ist es der christlich-liberalen Koalition gelungen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Anforderungen einer sich stetig weiterentwickelnden Medizin im Bereich der Notfallversorgung der Menschen vor Ort gerecht wird. Endlich wurden langjährige Forderungen nach einer Neuregelung der Rettungsassistentenausbildung aufgegriffen, und ich kann behaupten, dass dieses Gesetz den gewandelten Anforderungen im Rettungswesen Rechnung trägt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie frustrierend es für die Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten am Unfallort war, wenn sie hätten helfen können, aber es nicht durften, weil ihnen die veraltete Gesetzgebung die Hände gebunden hatte. Zukünftig wird die Notkompetenz in eine Regelkompetenz überführt, sodass die Notfallsanitäter im Bedarfsfall ohne rechtliche Grauzone lebensrettende Maßnahmen einleiten können. Nur so wird die notärztliche Versorgung unterstützt, und Wartezeiten bzw. Transportzeiten können zugunsten des Patienten besser überbrückt werden. Denn die Berufsgruppe der Notfallsanitäter ist es, die neben den Notärztinnen und Notärzten die Hauptlast und die hauptsächliche Verantwortung im Rettungsdienst trägt. Daher auch die neue Bezeichnung als Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter. Insbesondere in ländlichen Regionen mit vielen älteren Menschen sowie größeren Entfernungen zu Ärzten oder Krankenhäusern, die die medizinische Versorgung gewährleisten, sind die Notfallsanitäter vor Ort enorm wichtig. Ihre Qualifikation ist die wesentliche Voraussetzung dafür, dass auch weiterhin eine fach- und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung durch den Rettungsdienst garantiert werden kann. Grundlage muss daher eine gründliche und qualitativ hochwertige Ausbildung sein. Deshalb wird mit dem Gesetz die Ausbildungszeit von derzeit zwei auf drei Jahre verlängert, und die Schülerinnen und Schüler müssen für ihre Ausbildung nicht mehr zahlen. Damit passt sich die Ausbildung anderen Ausbildungsberufen im Gesundheitswesen an. Dabei hat die christlich-liberale Koalition auch die Finanzen vor Augen; denn nur durch geschultes Personal können Folgekosten beispielsweise im Krankenhaus oder bei der Pflege reduziert oder gar vermieden werden. Außerdem ist es zum Beispiel in meiner Heimat Sachsen-Anhalt momentan so, dass die Zeitspanne bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes nicht mehr als zwölf Minuten betragen darf. Der Notarzt allerdings hat noch acht Minuten mehr – dass in diesen acht Minuten über Leben und Tod entschieden werden kann, muss ich ihnen sicher nicht noch deutlicher sagen. Wie eingangs erwähnt, bin ich sehr zufrieden mit dem Gesetz und freue mich, dass wir damit wieder einmal mehr einen Beitrag zur umfassenden Versorgung aller Menschen in unserem Land leisten konnten. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Viele Jahre mussten wir auf einen Entwurf zur Überarbeitung des Rettungsassistentengesetzes warten. Lang und zäh verhandelten Bund, Länder und Berufsorganisationen über die Ausbildungs- und Arbeitsinhalte für die neuen Notfallsanitäterinnen und sanitäter, aber nicht zuletzt auch über die Finanzierung ihrer Ausbildung. Was nun hier vorgelegt wurde, zeigt, dass die lange Überzeugungsarbeit zumindest an einigen Stellen ein paar Früchte getragen hat: Die Linke begrüßt, dass zukünftig die Zahlung einer Ausbildungsvergütung gesetzlich vorgesehen sein soll. Leider fehlt ein explizites Verbot von Schulgeld. Alleine die Nichtigkeitserklärung von Schulgeldforderungen in § 20 des Gesetzentwurfs reicht als Schutz für die Auszubildenden nicht aus; an dieser Stelle sollte nachgebessert werden. Halbwegs positiv zu bewerten ist auch, dass die Qualifizierung durch die dreijährige Ausbildung und die Vertiefung der Inhalte verbessert wird. Aber schon bei den zu vermittelnden Kompetenzen fehlt es an stringenten bundeseinheitlichen Festlegungen. Untragbar für uns sind die vorgesehenen Regelungen zur Aberkennung der Erlaubnis, die Berufsbezeichnung „Notfallsanitäterin“ bzw. „Notfallsanitäter“ zu führen. Wer nicht mehr die entsprechende gesundheitliche oder körperliche Eignung hat, dem soll die Erlaubnis nachträglich entzogen werden, und zwar nicht die Erlaubnis zur Berufsausübung, sondern die zum Tragen der Berufsbezeichnung. Damit aber würde eine Person, deren Gesundheit vielleicht sogar aufgrund der Arbeitsbedingungen einen Schaden genommen hat, nicht nur erwerbslos, sondern sogar den Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente verlieren, denn wenn kein Beruf vorliegt, dann kann es auch keine Berufsunfähigkeit, keine entsprechende Rentenzahlung und keine adäquate Umschulung geben. Das zu ändern ist sehr wichtig, denn viele werden diesen schweren Beruf nicht bis zum Rentenalter ausüben können. Zu den Übergangsfristen: Ein abgestuftes Verfahren der Nachqualifizierung je nach jetziger Ausbildung, Praxiswissen und Dauer der Berufsausübung erscheint sinnvoll und zweckmäßig. Wir werden aber noch darüber reden müssen, ob die im Entwurf getroffenen Regelungen die richtigen sind. Die Nachqualifizierung könnte helfen, die erweiterte Kompetenz dieses neuen Berufszweigs zu unterstreichen, was auch wichtig sein könnte, um Widerstände bei der Ärzteschaft zu überwinden. Auch wenn ich mich hier wieder einmal bei Teilen der Ärzteschaft unbeliebt machen sollte: Wir brauchen im Gesetz dringend eine Klarstellung zur Durchführung bestimmter ärztlicher Tätigkeiten. Denn die zukünftigen Notfallsanitäterinnen und -sanitäter brauchen mehr Rechtssicherheit bei ihrer Berufsausübung. Ihre praktische Tätigkeit im Rahmen der Akutversorgung kann es erforderlich machen, Maßnahmen durchzuführen, bei denen es sich juristisch um „Ausübung der Heilkunde“ handelt und die sonst nur von Ärztinnen und Ärzten sowie von Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern erbracht werden dürfen. Es muss gesetzlich sichergestellt sein, dass sie dann nicht gegen geltendes Gesetz verstoßen, denn mir ist es aus ganz egoistischen Gründen wichtig, dass mir der Notfallsanitäter hilft, wenn ich medizinische Hilfe brauche und er alleine als Erster am Ort des Geschehens ist. Wir hoffen, dass es uns im Laufe der parlamentarischen Beratung noch gelingt, einige der Forderungen, die wir gemeinsam mit vielen heutigen Rettungssanitäterinnen und -sanitätern und mit der Gewerkschaft erheben, per Änderungsantrag in den Gesetzentwurf hineinzubekommen. Dann wünschen wir dem Gesetzentwurf alles Gute – und vor allem nicht, dass er noch wegen der finanziellen Belastungen für die Länder vom Bundesrat gestoppt wird. Die Forderung, dort nachzubessern, wo Kommunen als Ausbildungsträger gegebenenfalls finanziell überfordert wären, unterstützt die Linke. Aber dieser Gesetzentwurf darf nicht Opfer der Schuldenbremse werden, denn ich bin sicher, dass eine Verbesserung der Notfallversorgung im Sinne der Bürgerinnen und Bürger richtig gut investiertes Geld ist. Außerdem geht es für die circa 4 000 Auszubildenden im Jahr um ihre berufliche Zukunft. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schon in meinem ersten Jahr im Deutschen Bundestag, das war 2006, hat mich die unzulängliche Situation bei den Rettungsassistenten beschäftigt. Und schon die damalige Regierung, die große Koalition, hatte in Gestalt des damaligen Staatssekretärs Rolf Schwanitz fast im Jahresrhythmus gesetzliche Neuregelungen angekündigt. Dabei sind die Defizite schon lange bekannt. Schon vor nahezu 20 Jahren, 1996, wurde das Reisensburger Memorandum verabschiedet. Dort wurden erstmals die Probleme des bis heute geltenden Rettungsassistentengesetzes benannt. Die Ausbildungsinhalte bilden die gestiegenen Anforderungen an die Rettungsassistentinnen und -assistenten am Unfallort weder in rechtlicher noch in fachlicher Hinsicht ab. Überhaupt ist es fraglich, ob die Ausbildung der Rettungsassistenten mit zwei Jahren nicht viel zu kurz bemessen ist. Es gibt bis heute keine bundeseinheitlichen Mindeststandards für die Ausbildung. Und die Kosten der Ausbildung müssen von den künftigen Rettungsassistenten selbst getragen werden. Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, die Tätigkeit des Rettungsassistenten zu einem eigenständigen Gesundheitsberuf aufzuwerten und die Ausbildungsinhalte deutlich zu erweitern. Diese Ausbildungsinhalte sollen unter anderem dazu befähigen, die lebensrettenden Sofortmaßnahmen sowie Basisuntersuchungen und Diagnostik der vitalen Funktion am Unfallort durchzuführen. Dazu ist natürlich auch eine entsprechende Ausbildungsdauer nötig. Und es ist notwendig, attraktive Rahmenbedingungen für diesen Ausbildungsberuf zu schaffen. Dazu gehört beispielsweise, dass die Betreffenden einen Ausbildungsvertrag und eine Ausbildungsvergütung erhalten sowie Anspruch auf kostenlose Ausbildungsmaterialien haben. Dazu gehört aber auch eine klare Regelung zur Übernahme der Kosten für die Ausbildung dieses neuen Gesundheitsberufes. Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf trägt die Bundesregierung diesen Vorschlägen nach jahrzehntelangen Diskussionen nun zumindest teilweise Rechnung und bringt die jahrelange Diskussion zum Abschluss. Allerdings sind wir nicht mit allen Regelungen dieses Gesetzentwurfes einverstanden. Das betrifft vor allem zwei Punkte: Erstens sind die heilkundlichen Maßnahmen, die Notfallsanitäter eigenständig übernehmen sollen, sehr unklar definiert. Es kann nicht angehen, dass dies somit von Rettungsstelle zu Rettungsstelle unterschiedlich gehandhabt wird. Das schafft gerade nicht die nötige Rechtssicherheit für die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter. Das betrifft auch die unglücklich formulierte Regelung zu den medizinischen Maßnahmen der Erstversorgung. In beiden Fällen muss aus unserer Sicht im Zuge der Ausschussberatungen nochmal gründlich nachgebessert werden. Zweitens haben Sie sich in diesem Gesetzentwurf ein bisschen um die grundsätzliche Frage herumgemogelt, wer denn eigentlich die Kosten für die Ausbildung dieses neuen Gesundheitsberufes tragen soll. Sie übertragen die Kosten stillschweigend auf die Versicherten der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherungen. Ich bin mir nicht sicher, ob das die richtige Entscheidung ist. Neben diesen beiden grundsätzlichen Problemen wirft dieser Gesetzentwurf auch in den Details noch ein paar Fragen auf, etwa zu den Übergangsvorschriften für derzeitige Rettungsassistenten, zur Ausgestaltung der Ausbildungsvergütungen sowie zum Einstiegsalter künftiger Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter. Ich hoffe, dass wir diese Dinge im Zuge der Ausschussanhörungen klären können und im Ergebnis ein gutes Gesetz bekommen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11689 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Tagesordnungspunkt 38: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, Stephan Kühn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren – Drucksachen 17/6502, 17/8387 – Berichterstattung: Abgeordneter Peter Götz Die Reden wurden zu Protokoll genommen. Ulrich Lange (CDU/CSU): Die Koalition verfolgt seit Jahren das Ziel, die Flächeninanspruchnahme zu reduzieren. Und darin sind wir auch erfolgreich. Vor zwölf Jahren lag die Flächeninanspruchnahme pro Tag noch bei 129 Hektar. Bis heute wurde dieser Wert auf circa 87 Hektar pro Tag reduziert. Auch wir wollen die maximale Flächeninanspruchnahme für Siedlungs- und Infrastruktur weiterhin drastisch reduzieren. Die in dem Antrag der Grünen erhobenen Forderungen sind leider nicht zweckdienlich. Was die Grünen schaffen wollen, ist ein wahres Bürokratiemonster. Sie wollen alles reglementieren, die Kommunen bevormunden. Ihre Forderungen „zu quantitativen Zielgrößen“ auch die „fragmentierende und zerschneidende Wirkung von Verkehrsprojekten … zu berücksichtigen“, die „Nachweispflicht fehlender Innenentwicklungspotenziale aufzunehmen“, ein verpflichtendes „Flächenmonitoring“ ebenso wie „eine fiskalische Wirkungsanalyse“ vorzuschreiben, laufen einfach in die falsche Richtung. Unsinnig sind auch Ihre Vorstellungen nach Einführung eines Flächenrecylingfonds. Sie gipfeln in der Forderung nach einer Aufnahme eines Demografiechecks für Projekte im Baugesetzbuch. Bürokratieschrecken ohne Ende! Diese Maßnahmen würden sich äußerst investitionshemmend auswirken. Das wollen vielleicht die Grünen, wir nicht. Wir wollen andere Akzente setzen, indem wir den Kommunen Vertrauen entgegenbringen und ihnen deshalb mehr kommunale Planungshoheit übertragen wollen. Ziel ist, dass die Gemeinden ihre Planung eigenverantwortlich erlassen können. Die christlich-liberale Koalition setzt in verschiedenen Bereichen auf Verbesserungen. Ein Ansatzpunkt ist die nachhaltige Stadtentwicklung. Dabei sind Innenstädte und Ortskerne wesentliche Ansatzpunkte. Wesentliche positive Impulse wird das Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts bringen. Zur Unterstützung des Ziels der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die Flächenneuinanspruchnahme zu reduzieren, soll ausdrücklich geregelt werden, dass die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen soll. Schwerpunkte sind: Die Notwendigkeit der Umnutzung landwirtschaftlich oder als Wald genutzter Fläche muss besonders begründet werden. Den Kommunen wird es erleichtert, in ihren Bebauungsplänen eine gewollte städtebauliche Verdichtung vorzusehen. Der Schutz zentraler Versorgungsbereiche soll durch Schaffung einer neuen Darstellungsmöglichkeit im Flächennutzungsplan gestärkt werden. Es werden Erleichterungen beim gesetzlichen Vorkaufsrecht der Gemeinden eingeführt. Wir wollen mit diesem Gesetz eine Stärkung der Innenentwicklung, eine Verdichtung des Bauens, eine Entsiegelung bei Neuversiegelung, den Ausbau vor Neubau und eine Bündelung von Infrastruktur erreichen. Aber auch das Bundeslandwirtschaftsministerium arbeitet aktiv an dem genannten Ziel. Das BMELV hat eine Flächenplattform ins Leben gerufen und gemeinsam mit weiteren Bundesressorts, Länderministerien, Kommunen und Verbänden einen Maßnahmenkatalog entwickelt und am 5. November 2012 beschlossen. Dieser sieht eine Reihe von konkreten Vorschlägen vor, um der außerlandwirtschaftlichen Flächeninanspruchnahme wirksam zu begegnen. Kernelemente sind Vorschläge zur verbindlichen Berücksichtigung agrarstruktureller Belange im novellierten Bundesbaugesetz und in der Bundeskompensationsverordnung, die derzeit erarbeitet wird. Auch in der Umweltverträglichkeitsprüfung soll künftig das Schutzgut der natürlichen Ressource Fläche eingeführt werden. Damit wird auch der Schutz landwirtschaftlicher Flächen erhöht und eine unkontrollierte und ungerechtfertigte Inanspruchnahme verhindert. Zu den weiteren Maßnahmen gehören beispielsweise bessere Informationen über Möglichkeiten der Innenentwicklung, also Übersichten zu Brachflächen, Gebäudeleerstand, Baulücken und andere Nachverdichtungsmöglichkeiten, aber auch erweiterte Möglichkeiten zur Entsiegelung von Flächen. Abschließend möchte ich noch auf die Föderalismusreform eingehen. Dort haben wir festgeschrieben, dass der Bund den Gemeinden keine weiteren Aufgaben überstülpt. Und jetzt kommen die Grünen mit einem Wust an Aufgaben für die Kommunen. Allein dies ist Grund genug, dem Antrag der Grünen nicht zuzustimmen. Johannes Röring (CDU/CSU): Jeden Tag verlieren wir unwiederbringlich rund 100 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, Fläche, die wir für die Erzeugung von Lebensmitteln benötigen. Aktuell stehen für rund 81 Millionen Einwohner 12,5 Millionen Hektar Lebensmittelerzeugungsfläche zur Verfügung. Das entspricht rund 1 500 Quadratmetern pro Person. Bei einem täglichen Verlust von 100 Hektar geht der Gesellschaft jährlich eine Lebensmittelerzeugungsfläche für 250 000 Menschen in Deutschland verloren. In nicht mal mehr drei Jahrzehnten werden wir in der Welt nur noch die Hälfte der Fläche für die landwirtschaftliche Lebensmittelproduktion zur Verfügung haben. Ziel der Bundesregierung ist es, diesen Verbrauch auf 30 Hektar pro Tag bis 2020 zu verringern. Umso erstaunlicher ist es, dass die Grünen in ihrem Antrag überhaupt nicht auf die Belange der Landwirtschaft eingehen. Die Worte „Landwirtschaft“, „Landwirt“ und „Bauer“ tauchen in Ihrem Antrag noch nicht einmal auf. Was das Thema Flächenverbrauch angeht, lässt Ihr Antrag jegliche ganzheitliche Betrachtung vermissen. Sie versäumen mit Ihrem Antrag eine Gelegenheit, wirksam etwas gegen den Verbrauch von landwirtschaftlicher Fläche zu tun. Stattdessen präsentieren Sie uns unter dem Deckmantel kommunaler Gestaltungsfreiheit ein bürokratisches Monstrum. Ihr Instrumentarium besteht aus Verboten, Nachweispflichten und Abgaben. Das ist der übliche Dreiklang, den die Grünen benutzen, wenn sie von Gestaltungsmöglichkeiten reden. Das sind alles Methoden aus der grünen Mottenkiste. Was Sie hier den Kommunen als planerische Instrumente verkaufen, führt zu mehr Bürokratie, weiterem personellen und auch finanziellen Aufwand für die Städte und Gemeinden in Deutschland. Einen wichtigen Schritt zur Reduktion des Flächenbedarfs wollen wir mit dem Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden, also der Baugesetzbuchnovelle, unternehmen. Hier geht es darum, leer stehende Gebäude, brachliegende Flächen und Baulücken innerhalb von Gemeinde- und Stadtgebieten wieder besser in eine städtebauliche Nutzung zu integrieren. Eine Ursache des hohen Flächenverbrauchs liegt in der oftmals beliebigen und naturschutzfachlich nicht immer sinnvollen Ausweisung von Ausgleichsflächen. Darüber hinaus werden durch die Ausweisung von Schutzzonen aufgrund der EU-Artenschutzrichtlinie der Landwirtschaft weitere Flächen entzogen. Oftmals wird dabei die Richtlinie sehr stark überinterpretiert, und es werden infolgedessen sehr große Gebiete unter Schutz gestellt. Wir als Union streben daher eine bessere Berücksichtigung land- und auch forstwirtschaftlicher Belange bei ökologischen Ausgleichsmaßnahmen an. Wir wollen die Möglichkeiten für produktionsintegrierte Kompensationsmaßnahmen stärken. Es ist unser Ziel, zukünftig durch die Aufwertung, Bewirtschaftung und Pflege von Naturschutzflächen mithilfe finanzieller Mittel eine flächenschonende und naturschutzgerechte Realkompensation zu ermöglichen. Dabei muss natürlich sichergestellt werden, dass die Ersatzgelder, welche für Kompensationsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden, nicht für den Ankauf von landwirtschaftlichen bzw. forstwirtschaftlichen Flächen verwendet werden dürfen. Das Verhältnis von Eingriff und Ausgleich sollte bei der Beanspruchung von Agrarflächen in aller Regel eins zu eins nicht übersteigen. Eine weitere Herausforderung wird uns mit dem Netzausbau im Zuge der Energiewende begegnen. Hier müssen die Trassenführungen so erfolgen, dass Ackerflächen nicht übermäßig beansprucht werden und auf Betriebsstrukturen Rücksicht genommen wird. Auch dürfen Ausgleichsmaßnahmen im Zuge des Leitungsbaus nicht zulasten der Landwirtschaft gehen. Wir sollten gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, die landwirtschaftliche Nutzfläche, Acker und Grünland, ebenso unter Schutz zu stellen wie unseren Wald und unsere Feuchtgebiete. Im Hinblick auf den Flächenverbrauch sind die Vorschläge der Grünen alles andere als wirksam. Sie sind stumpfe Schwerter, die allenfalls Geld kosten. Deshalb lehnen wir als Union Ihren Antrag ab. Hans-Joachim Hacker (SPD): Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren“ ist ein guter Anlass, um Fragen der Nachhaltigkeit und Ökologie im Bereich der Bodenpolitik zu diskutieren. Gleichwohl geht es bei dieser Thematik nicht um Flächenverbrauch, sondern im Sinne des Wortes um Flächeninanspruchnahme. Das ist jedoch nicht die zentrale Frage, sondern es geht hierbei darum, wie wir mit den Vorschlägen im Antrag und darüber hinausgehenden Maßnahmen, auf die ich noch zu sprechen komme, einen messbaren Beitrag leisten, das Ziel zu erreichen, dass ab 2020 die tägliche Flächeninanspruchnahme auf 30 Hektar begrenzt wird. Wir wissen, es gibt in der Praxis Nutzungskonkurrenzen zwischen dem Schutz der Bodenflächen und dem Bedarf aus den Bereichen Verkehr, Wohnungs- und Industriebau, Versorgung und Entsorgung – um nur die wichtigsten Bereiche zu nennen, durch die Bodenflächen in Anspruch genommen werden. Das Statistische Bundesamt hat in seiner Veröffentlichung „Nachhaltige Entwicklung in Deutschland“ 2012 festgestellt: „Eine Fortsetzung der derzeitigen durchschnittlichen Entwicklung der letzten Jahre würde weiterhin nicht genügen, um das vorgegebene Reduktionsziel bis 2020 zu erreichen.“ Mit dem Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte sind bereits konkrete Beschlüsse zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme gefasst worden. Darauf habe ich bereits in meiner Rede zur ersten Beratung des vorliegenden Antrags am 20. Oktober 2011 hingewiesen. Der vorliegende Antrag unterstützt die Zielrichtung, an der wir alle arbeiten müssen, im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie das Prinzip „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ und „Ausbau vor Neubau“ zu unterstützen und den Grundsatz der Stärkung der Flächenschonung durchzusetzen. Nicht anfreunden kann sich die SPD-Bundestagsfraktion mit einigen Vorschlägen im Antrag der Grünen, die nach unserer Auffassung zur Bürokratisierung führen und auch von den Ländern und Kommunen abgelehnt werden. Ich meine hierbei konkret den Vorschlag, im Baugesetzbuch eine Nachweispflicht für fehlende Innenentwicklungspotenziale aufzunehmen, eine fiskalische Wirkungsanalyse in das Baugesetzbuch zu schreiben, die der Erhebung langfristiger Folgekosten dient, und die Einführung einer Flächenverbrauchsabgabe in einem Modellprojekt. Aus diesem Grund enthält sich die SPD-Bundestagsfraktion bei dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. In den nächsten Wochen werden wir intensiv die Novelle des Baurechts diskutieren. Es geht hierbei um Änderungen im Baugesetzbuch und in der Baunutzungsverordnung. Das wollten wir schon vor einem Jahr beginnen, aber der Streit zwischen Bauminister Ramsauer und Landwirtschaftsministerin Aigner über die Aufhebung der bestehenden Privilegierung von Anlagen der Intensivtierhaltung im Außenbereich – § 35 Baugesetzbuch – hat das Verfahren um Monate verzögert. Der Kniefall der Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner vor den Interessen des Bauernverbandes, der praktisch einen Beschluss des Bundeskabinetts gestoppt hat, ist ein einmaliger Vorgang, für den die beiden Begriffe stehen: Lobbyismus und Klientelpolitik. Unabhängig von dieser Begleitmusik bei der Baurechtsnovelle bietet das parlamentarische Verfahren die Gelegenheit, die im Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte geregelten Bedingungen weiter auszubauen. Wir müssen überlegen, wie der Wiedernutzungsgrad erhöht werden kann, ob ein regionales Flächenmanagement eingeführt werden kann und steuerrechtliche Regelungen und Förderpolitik das Ziel unterstützen können, die Flächeninanspruchnahme zu reduzieren. Die Nachhaltigkeitsstrategie darf nicht Theorie bleiben, wir müssen sie zum Kernpunkt der Planungsprozesse machen. Zuständigkeiten, Verwaltungs- und politische Entscheidungen müssen auf dieses Ziel ausgerichtet werden. Es geht also darum, fruchtbare Böden stärker zu schützen – wie dies auch von Landwirten gefordert wird – und zu prüfen, ob die Ausweisung von Bodenschutzgebieten im Rahmen der Regionalplanung einen wirksamen Beitrag leisten kann. Alle Programme der Städtebauförderung und Dorferneuerung, der Wirtschaftsförderung und Förderung der ländlichen Räume müssen das Nachhaltigkeitsziel „Reduzierung der Flächeninanspruchnahme“ berücksichtigen und eine Konzentration auf die Innenentwicklung vorsehen. Hierzu müssen auch qualifizierte Formen der interkommunalen Kooperation und regionalen Zusammenarbeit entwickelt werden. Ich will an dieser Stelle einen kritischen Punkt ansprechen. Es hat in der Vergangenheit bei der Inanspruchnahme von Bodenflächen in vielen Fällen Festlegungen zu Ausgleichsmaßnahmen gegeben, um den ökologischen Nachteil durch Versiegelung des Bodens an anderer Stelle auszugleichen. Ich bezweifle – und dafür gibt es konkrete Belege –, dass diese Auflagen tatsächlich alle umgesetzt worden sind bzw. umgesetzt werden. Im Gegenteil: Es gibt hier einen erheblichen „Schwund“, und daher muss die vom Bundesumweltministerium zu erarbeitende Kompensationsverordnung zum Bundesnaturschutzgesetz die Grundlage für eine konsequente Rechtsdurchsetzung von Entscheidungen über Ausgleichsmaßnahmen bringen. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat eine wichtige Thematik angesprochen, wenngleich diese nicht für sich allein, sondern im Rahmen der Baurechtsnovelle gelöst werden muss. Das ist jedenfalls die Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion, die wir in den bevorstehenden Berichterstattergesprächen zur Baurechtsnovelle geltend machen werden. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung geht nach unserer Auffassung mit seinen Vorschlägen zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme nicht weit genug. Die Fragen von Nachhaltigkeit, die Herausforderungen aus der demografischen Entwicklung muss Dr. Ramsauer in seinem Haus tatsächlich intensiver verfolgen. Wir sollten die Gelegenheit des parlamentarischen Verfahrens zur Baurechtsnovelle nutzen, um Vorschläge zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme zu erarbeiten und zu beschließen, die den Herausforderungen bei diesem Thema gerecht werden. Petra Müller (Aachen) (FDP): Mit Ihrem Antrag, den Flächenverbrauch in Deutschland wirkungsvoll zu reduzieren, zieht die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wieder einmal ein Murmeltier aus dem Boden. Und ganz nach dem filmischen Vorbild scheinen Sie sich lieber mit einem Schuss ins Blaue auf Zufall und Schicksal zu verlassen, denn darauf, die Realitäten anzuerkennen. Zweitens belegen Sie damit, ganz in der Vergangenheit zu leben – denn substanziell hat sich an Ihren Forderungen seit unserer letzten Debatte zu diesem Thema vor etwas mehr als einem Jahr nichts, aber auch gar nichts geändert. Und das, obwohl die christlich-liberale Koalition unter anderem mit der Novelle zum Baugesetzbuch sich ausdrücklich der Problematik des Flächenverbrauchs angenommen und wesentliche Verbesserungen auf den Weg gebracht hat. So wird mit der Überarbeitung des Baugesetzbuches die Innenentwicklung der Städte und Gemeinden ausdrücklich und vorrangig erfolgen. Auf dieser Grundlage werden wir unser Ziel, die Flächenneuinanspruchnahme auf 30 Hektar pro Tag zu reduzieren, wesentlich stärken. Sollten zukünftig landwirtschaftlich oder als Wald genutzte Flächen einer Umnutzung zugeführt werden, so ist das besonders zu begründen. Damit erhöhen wir als Gesetzgeber die Schwelle der Neubebauung und fördern die Entwicklung eines bewussten Umgangs mit freien, unbebauten Flächen. Den Städten und Gemeinden wird es im Zusammenhang mit der Innenentwicklung erleichtert, in ihren Bebauungsplänen eine gewollte städtebauliche Verdichtung vorzusehen. Darüber hinaus ermöglichen wir mit dieser gesetzgeberischen Maßnahme die Schaffung einer neuen Darstellungsmöglichkeit im Flächennutzungsplan. Der Schutz zentraler Versorgungsbereiche wird hier nachdrücklich gestärkt. Mehr noch: Die Kommunen erhalten Erleichterungen beim gesetzlichen Vorkaufsrecht. Das wird den Kommunen einen neuen, wirkungsvollen Handlungsspielraum geben, die Städte und Gemeinden lebenswerter und wohnlicher zu gestalten und gleichzeitig die Innenentwicklung bei geringerem Neuflächenverbrauch zu stärken. Flankiert werden die Maßnahmen von Stadtentwicklungsprogrammen, die haushälterisch insbesondere in den Bereichen gestärkt wurden, die für die Innenentwicklung unserer Kommunen von besonderer Bedeutung sind: „Kleine Städte und Gemeinden“ – dieses Förderprogramm, von dieser Koalition ins Leben gerufen, tut genau das, wenn die Entscheidungsträger auf kommunaler Ebene das wollen. Wir, die christlich-liberale Koalition, werden dieses Programm im Haushalt 2013 mit über 10 Millionen Euro mehr, also 55 Millionen Euro, stärken. Ebenso haben wir das Programm Stadtumbau Ost um 2 Millionen Euro auf 84 Millionen Euro angehoben. Das Programm Stadtumbau West wurde um 12 Millionen Euro auf 83 Millionen Euro angehoben. Das ist passgenaue, das ist investive Förderpolitik, die bei kluger Nutzung vor Ort nicht in die Fläche gehen muss, sondern für die Stärkung der Stadtkerne und Gemeindezentren genutzt werden sollte. Mit Ihren Forderungen beweisen Sie von Bünd-nis 90/Die Grünen sich einmal mehr als die Beharrungspartei. Die christlich-liberale Koalition handelt; Sie sind nicht einmal in der Lage, zu plan n. Gerade in meinem Heimatland NRW zeigt sich das auf bittere Weise. Die Koalition im Bund stellt 750 Millionen Euro mehr für Infrastrukturausgaben in den Bundeshaushalt ein. Rot-Grün in NRW kann nicht einmal die bereits vorhandenen und vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel verplanen, geschweige denn verausgaben. An allen Realitäten vorbei wird die grüne Weltverbesserungsideologie über alles gestellt, solange es eine gute Schlagzeile verspricht. Woher nehmen Sie die Gewissheit, der Staat, die Politik können und wissen alles besser? Gerade der bürgerlichen Mitte, für die Sie in letzter Zeit so gerne eintreten, diesen Bürgerinnen und Bürgern trauen Sie offenbar nichts zu und werden von der SPD dabei tatkräftig unterstützt. Die Beinfreiheit, die der SPD-Kanzlerkandidat sich flehend einfordern muss, geben Sie weder ihm noch den Bürgern. Statt Freiräume für wirtschaftliche Entwicklung und bürgerliches Engagement zu schaffen, engen Sie mit erhobenem Zeigefinger und politischen Maßnahmen immer mehr ein. Hier beweisen sich Rot und Grün als Schwestern im Geiste. Von Freiheit, von Bürgerbeteiligung, von Selbstbestimmung predigen – geschwelgt aber wird in Reglementierung, Bevormundung und Bürokratie. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP liefert den erfolgreichen Gegenentwurf und wird das auch weiterhin tun. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Wasser, Saatgut und Boden – das sind die drei wichtigsten Produktionsgrundlagen für die Landwirtschaft. Verfügbarkeit, Zugang und Teilhabe an diesen Ressourcen entscheiden auch darüber, ob das Recht auf Nahrung und die Ernährungssouveränität gesichert sind. In Europa stellen sich in diesem Kontext natürlich andere Fragen als zum Beispiel in Afrika. Aber auch in der EU und in der Bundesrepublik nehmen Konflikte zu. Die Verteilung des Wassers führt, auch infolge des Klimawandels, in einigen Regionen der Bundesrepublik zeitweise zu Problemen. Der Zugang zu Saatgut ist eigentlich politisch gesichert; aber es gibt zunehmend Einschränkungen, so beispielsweise beim Nachbaurecht oder durch Biopatente. Der Faktor Boden scheint allerdings am meisten gefährdet zu sein. Dabei ist der Boden gleichzeitig die am meisten beschränkte Ressource; denn Boden kann nicht vermehrt werden. Damit ist der Verlust wertvoller Acker- und Weideflächen durch Versiegelung und Bebauung nicht oder nur sehr schwer umkehrbar. Aktuell gehen jeden Tag 87 Hektar Fläche für die Agrarproduktion durch Infrastrukturmaßnahmen wie Straßen- oder Siedlungsbau verloren. Das ist zwar etwas weniger als in den vorangegangenen Jahren; aber es sind immer noch täglich 120 Fußballfelder. Seit 1995 verlor die Landwirtschaft 4 Prozent ihrer Fläche, wie das Statistische Bundesamt im Oktober 2012 mitteilte. Das ist ein unmittelbarer dauerhafter Verlust von Produktionsfläche für die Landwirtschaft, aber nicht nur das. Auf diesen Flächen sind die Prozesse der Bodenbildung und des Stoffumsatzes unterbrochen, und sie stehen nicht mehr als Filter oder Lebensraum zur Verfügung. Ziel dieser Bundesregierung wie anderer Bundesregierungen ist und war es, diesen Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 Hektar zu reduzieren. Doch davon sind wir noch meilenweit entfernt. Mit den aktuellen Maßnahmen wird das nicht zu schaffen sein. Doch dass man den Heißhunger nach unbebauter Fläche drosseln kann, zeigt ein Blick nach Großbritannien. Dort wird „in Relation zur Bevölkerung weniger als ein Drittel der Fläche neu in Anspruch genommen als in Deutschland“. So schrieb das Umweltbundesamt bereits 2004, um zu belegen, dass das 2002 beschlossene 30-Hektar-Ziel machbar sei. Doch leider hat sich seitdem kaum etwas getan. Weder Rot-Grün noch Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb haben das Problem wirklich angepackt. Gleichzeitig steigen aber die Ansprüche an die Landwirtschaft. Sie soll nun nicht mehr nur Lebensmittel produzieren, sondern zunehmend auch wieder die eigenen Futtermittel. Sie soll ihren Beitrag zur Energieversorgungssicherheit jenseits von Atomstrom und Kohle leisten und gleichzeitig die Kulturlandschaft pflegen. Wir können uns Flächenverbrauch also weniger denn je leisten. Ich sehe angesichts dieser Situation selbst das 30-Hektar-Ziel nur als Zwischenschritt, den wir so schnell wie möglich schaffen müssen. Perspektivisch muss die Siedlungsentwicklung ohne zusätzlichen Flächenverbrauch auskommen. Anstatt neue Straßen zu bauen, sollte die vorhandene Verkehrsinfrastruktur bzw. der Verkehr selbst sozial-ökologisch optimiert werden. Das heißt: integrierte regionale Verkehrskonzepte, die verkehrsver-meidend, flächensparend und öffentlich zugänglich sind, keine Ausweisungen neuer Eigenheimgebiete, sondern besseres Management der vorhandenen Flächen. Innen- vor Außenentwicklung darf nicht nur ein Slogan sein, sondern muss verbindliches Handeln werden. Auch bei der Energiewende muss der Flächenverbauch auf das unvermeidbare Maß begrenzt werden. Insbesondere Photovoltaik gehört nicht auf Äcker. Der Netzausbau sollte auf das bei dezentraler Erzeugung und Versorgung notwendige Maß beschränkt werden und vorhandene Infrastruktur, zum Beispiel Bahnlinien, berücksichtigen. Die kommunalpolitische Realität sieht mit Blick auf das 30-Hektar-Ziel leider traurig aus. Flächenwachstum wird mit Gewerbesteuer- oder Einkommensteuerwachstum der Gemeinde gleichgesetzt. Und wer will dieses Geld angesichts der klammen Kassen in den Städten und Dörfern nicht? So steigt auch hier der Druck auf die Flächen. Der Bau auf der grünen Wiese ist meist billiger als die Nutzung bereits bebauter bzw. versiegelter Flächen. Doch die Folgen sind für die Allgemeinheit nicht länger akzeptabel. Wir brauchen endlich ein wirkungsvolles Umdenken. Die Einführung einer Flächenverbrauchsabgabe ist zum Beispiel ein interessanter Vorschlag. Auch die Stärkung der Innenentwicklung im Baugesetzbuch ist ein wichtiger Schritt. Auch die Landwirtschaft muss ihren eigenen Flächenverbrauch kritisch hinterfragen, zum Beispiel im Zusammenhang mit ihrer Privilegierung beim Bauen im Außenbereich. Das Recht auf Privilegierung muss ja nicht genutzt werden, wenn es sinnvolle Alternativen gibt. Landwirtschaftliche Nutzfläche sollte einen vergleichbaren Schutzstatus erhalten wie durch das Bundeswaldgesetz geschützte forstwirtschaftliche Nutzfläche. Die Inwertsetzung von Flächen im Innenbereich von Siedlungen durch Nachnutzung muss attraktiver gemacht werden. Das stärkt die Städte und trägt zur Modernisierung des vorhandenen Bestandes bei. Innenverdichtung und die Nutzung vor Brachflächen müssen in den Köpfen der Stadtplanung wieder fest verankert werden. Die Nutzung eines Flächenmonitorings und Baulandkatasters kann dazu beitragen. Die Bundestagsfraktion Die Linke hat im Sommer 2012 ein Konzept zum sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft vorgestellt. Es kann unter www.plan-b- mitmachen.de gelesen und kommentiert werden. Im Rahmen dieses Projektes haben wir auch über den Flächenverbrauch diskutiert und im Text festgehalten: „Der Flächenverbrauch durch Siedlungen, Ausgleichsflächen oder Verkehrsrouten ist radikal zu reduzieren. Da dieses Ziel seit Jahrzehnten gefordert, aber nicht wirklich erreicht wird, muss über wirkungsvollere Gesetze nachgedacht werden. Auch die Regionalplanung ist zu stärken. Neuversiegelungen sind nur zu genehmigen, wenn sie verpflichtend mit einer Entsiegelung einhergehen. Die Nutzung kommunaler Ökokonten für Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen ist vorzuschreiben und ihre flächenschützende Wirkung zu verbessern“. Es ist Zeit, zu handeln. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor anderthalb Jahren haben wir in erster Lesung den vorliegenden Antrag debattiert. Jetzt ist es an der Zeit, zu resümieren, was sich seitdem zum Thema Flächenverbrauch getan hat. Sicher können wir sagen, dass die Siedlungsfläche in Deutschland seitdem um 400 Millionen Quadratmeter angewachsen ist. Darüber hinaus ist nicht viel passiert. Machen wir mit unserem Flächenverbrauch so weiter wie bisher, ist Deutschland bald völlig zersiedelt, mit zerschnittenen Lebensräumen für Mensch, Flora und Fauna und mit enormen Infrastrukturfolgekosten belastet. Und so wird es wohl aussehen. Denn das Ziel, den Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 Hektar am Tag zu begrenzen, rückt in weite Ferne, wenn nicht endlich jemand das Thema ernsthaft angeht. Bis heute weiß niemand: Was bedeutet das 30-Hektar-Ziel überhaupt? 30 Hektar von was? In welchem Zeitraum? So viel? Denn für jeden hört sich 30 Hektar erst einmal nach sehr viel Fläche an. Heruntergebrochen auf die lokale Ebene? Aufgeteilt auf die Länder, die Kommunen und Gemeinden? Und schon schrumpfen die 30 Hektar plötzlich ziemlich zusammen. 30 Hektar am Tag bedeuten eine enorme Reduzierung und eine enorme Veränderung gegenüber dem aktuellen Umgang mit Flächen. Heute sehen wir alle immer wieder neu ausgeschriebene Gewerbegebiete und Wohngebiete – doch keiner stellt die Frage: Brauchen wir diese Flächen wirklich? Welche Folgekosten rollen damit auf die Kommunen, auf die Bürgerinnen und Bürger zu? Gerade nicht ausgelastete technische und verkehrliche Infrastrukturen müssen auch für wenige Nutzerinnen und Nutzer teuer aufrechterhalten und instandgehalten werden – und das in einer in weiten Teilen schrumpfenden Gesellschaft! Ja, auch darüber muss gesprochen werden. Das einzige Projekt, das im letzten Jahr zum Thema Flächenverbrauch von der Regierung aufgenommen wurde, ist die irreführende Kampagne des Bauernverbands. Es wird unterstellt, dass Ausgleichsmaßnahmen hauptverantwortlich sind für den Flächenverbrauch. Dabei wird der größte Teil der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen auf Landwirtschaftsflächen durchgeführt, die dadurch nicht aus der Nutzung fallen. Die Anpflanzung von Streuobstwiesen, Ackerrandstreifen, Extensivierung der Nutzung wird nicht zum Flächenverbrauch beitragen. Das Umweltbundesamt schätzt, dass 3 Prozent des Flächenverbrauchs auf Ausgleichsflächen zurückgehen. Demgegenüber sollte das Wachstum der Verkehrsflächen dringend mehr in den Blickpunkt rücken. Der Anteil der Verkehrsfläche am Flächenverbrauch liegt bei 20 Hektar pro Tag. Der Anteil der Flächen, die durch Verkehrsprojekte beeinträchtigt werden, ist dabei noch um ein Vielfaches höher, als in der Statistik abgebildet wird; denn Verkehrsprojekte beeinträchtigen ihr Umfeld erheblich und haben eine Zerschneidungswirkung, die zusammenhängende Lebensräume zerstört. Unbequeme Wahrheiten hört keiner gerne. Aber die Reduzierung von Flächenverbrauch hat auch viele sehr positive Folgen, über die noch viel zu wenig gesprochen wird: Wir erhalten intakte, wertvolle Böden, gerade auch für die Landwirtschaft; wir erhalten zusammenhängende Lebensräume für viele Arten, wovon nicht zuletzt auch wir Menschen sehr profitieren; und wir sparen erhebliche Kosten, wenn wir nicht auf weitere Zersiedelung setzen, sondern statt dessen auf kompakte Strukturen, Nachverdichtung und in städtischen Räumen das Leitbild der Stadt der kurzen Wege verfolgen. Wir müssen die Reduzierung des Flächenverbrauchs endlich ernsthaft angehen. Statt dessen beraten wir aktuell über eine Novellierung des Bauplanungsrechts, in dem die Änderungen im § 35 – Ersatzneubauten im Außenbereich – mehr Flächenverbrauch verursachen werden und nebenbei auch noch das eigentliche Ziel der Novelle, die Stärkung des Innenbereichs, ad absurdum führen. Wir Grüne machen in unserem Antrag hingegen zahlreiche Vorschläge, mit deren Hilfe der Flächenverbrauch tatsächlich reduziert werden könnte: von verpflichtenden Demografiechecks und der Aufnahme einer fiskalischen Wirkungsanalyse in das Baugesetzbuch, über die Wiedereinführung der Revisionspflicht für Flächennutzungspläne im Zehnjahresrhythmus bis zur Städtebauförderung. Dafür bitten wir um Ihre Zustimmung. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8387, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6502 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die CDU/CSU und FDP. Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linken. Die SPD-Fraktion hat sich enthalten. Tagesordnungspunkt 36: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (Verordnung zu abschaltbaren Lasten) – Drucksachen  17/11671,  17/11744  Nr. 2, 17/11886 – Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann Die Reden wurden wiederum zu Protokoll gegeben. Thomas Bareiß (CDU/CSU): Die Verordnung zu abschaltbaren Lasten ist ein weiterer wichtiger Schritt, den wir in Richtung Energiewende gehen. Die Energiewende braucht intelligente Lösungen, damit erneuerbare Energien besser inte-griert werden und die Netzstabilität aufrechterhalten werden kann. Dazu gehört nicht nur die Angebotsseite, wie neue Gaskraftwerke, sondern auch die Nachfrageseite, nämlich Stromabnehmer, die kurzfristig einen Teil ihrer Nachfrage zurückfahren können. Diese adressieren wir mit der Verordnung. Der Beitrag der Industrie zur Netzstabilität ist nicht nur seit mehreren Jahren ein Thema in unserer nationalen energiepolitischen Diskussion, sondern wird auch in vielen Staaten Europas praktiziert, wie beispielsweise in Italien, Spanien, in den Niederlanden oder in Slowenien. Die Erfahrung in diesen Ländern hat gezeigt, dass die Industrie einen entscheidenden Beitrag zur Netzstabilität leisten kann. Netzstabilität ist das A und O einer sicheren und zuverlässigen Stromversorgung. Der stark zunehmende Ausbau der fluktuierenden erneuerbaren Energien, beispielsweise Wind- und Sonnenenergie, macht in Zukunft die Versorgungssicherheit zu einer noch größeren Herausforderung. Deshalb ist es richtig, dass wir Vorsorge treffen. Zwar ist die Versorgungsqualität der Stromversorgung laut dem Monitoringbericht 2012 der Bundesnetzagentur weiterhin auf relativ hohem Niveau. Jedoch hat der Bericht auch gezeigt, dass die Netzstabilität zunehmend unter Druck gerät. Wir müssen also Vorsorge treffen, insbesondere auch für die Industrie. Denn für unseren Industriestandort Deutschland ist die hohe Stromversorgungsqualität ein entscheidender Standortvorteil. Wir sind in Europa bei der Versorgungssicherheit Spitzenreiter und wollen das auch bleiben. Ein Blackout würde nicht nur unmittelbar Kosten im mehrstelligen Milliardenbereich auslösen, sondern auch die Attraktivität des Industriestandorts gefährden. Dies gilt es zu vermeiden! Das hat für die CDU/CSU-Fraktion oberste Priorität. Aus diesem Grund haben wir neben einer Reihe von Maßnahmen, wie zum Beispiel dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz oder der Netzreserve ein weiteres Instrument zur Sicherung der Versorgungsqualität auf den Weg gebracht: die Verordnung zu abschaltbaren Lasten – ein bisher weitestgehend ungenutztes Potenzial. Sie setzt einen Rahmen für Großabnehmer, wie beispielsweise Aluminium- und Zinkhütten, die kurzfristig ihre Nachfrage drosseln, um Ungleichgewichte innerhalb der Netze wieder auszugleichen. Dazu sollen die Übertragungsnetzbetreiber über eine Internetplattform 3 000 Megawatt Abschaltleistung monatlich ausschreiben, davon jeweils 1 500 Megawatt für Abschaltleistung innerhalb weniger Sekunden sowie 1 500 Megawatt für Abschaltleistung innerhalb von 15 Minuten. An den Ausschreibungen können sich Verbrauchseinheiten beteiligen, die an das Hoch- und Höchstspannungsnetz angeschlossen sind und einen durchgehend hohen Verbrauch haben. Die abschaltbaren Lasten werden dabei aus einer Kombination von Leistungs- bzw. Bereitstellungspreis und Arbeitspreis vergütet. Die vorgesehene Kompensation ist angemessen, da es hier um Strommengen in der Größenordnung mittelgroßer Städte geht, die von den Unternehmen kurzfristig zur Verfügung gestellt werden, um das Netz zu entlasten. Andere netzstabilisierende Maßnahmen wie Kapazitätsmechanismen oder auch neue Netze sind weitaus teurere Optionen. Auch wenn mit dem Instrument schon im Ausland Erfahrungen gemacht wurden, ist es dennoch gut, dass eine Überprüfung der Verordnung nach 27 Monaten durch die Bundesnetzagentur vorgesehen ist und die Verordnung zunächst für drei Jahre gilt. Dies ermöglicht, dass wir nach drei Jahren den Mechanismus gegebenenfalls optimieren können. Auch kann ich mir vorstellen, dass diese oder ähnliche Demand-Response-Instrumente in ein neues Marktdesign integriert werden können; denn zukünftig müssen Angebot und Nachfrage noch enger aufeinander abgestimmt werden. Deshalb ist es richtig, dass wir schon heute mit der Einführung einer Verordnung einen ersten Schritt in diese Richtung gehen. Ich freue mich, dass wir mit der Verordnung auch den Forderungen des Bundesrates, der SPD und sogar der Grünen nachkommen. Wir haben uns deshalb auch im Vorfeld mit der SPD und den Grünen an einen Tisch gesetzt und mit ihnen über Details der Verordnung verhandelt. Deshalb finde ich es unglaubwürdig, dass die Grünen jetzt plötzlich dagegen stimmen. Wenn es konkret wird, muss man auch einmal dafür geradestehen und einer Sache zustimmen. Dieser Grundsatz ist mal wieder verletzt worden, was leider kein Einzelfall ist. So kann man beispielsweise nicht mehr Energieeffizienz fordern, jedoch entscheidende Projekte, wie die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung, im Bundesrat blockieren. Das ist unglaubwürdig! Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Mit großen Schritten sind wir unterwegs in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Dabei hat es für uns höchste Priorität, dass Energie auch in Zukunft sicher und bezahlbar bleibt. Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit wollen wir für alle Verbraucher – für unsere Bürger genauso wie für unsere Wirtschaft – gewährleisten. Das ist notwendig, wenn Deutschland künftig ein attraktiver Lebens- und Wirtschaftsstandort bleiben soll. Ich gehe stark davon aus, dass wir alle das wollen – auch Sie von der SPD, den Grünen und der Linkspartei. Energieintensive Industrien. Wenn wir uns über die Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit bei Energie unterhalten, kommen wir an den energieintensiven Industrien nicht vorbei. Diese Industrien sind für unseren Wohlstand unverzichtbar. Sie tragen ganz erheblich zu unserer jährlichen Wirtschaftsleistung und Beschäftigung bei. Insbesondere im Grundstoffbereich wie Aluminium und Stahl sind sie für viele Wertschöpfungsketten unerlässlich. Wichtig ist deshalb, dass die energieintensiven Industrien ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten können. Wenn man sich in Europa umsieht, so stellt man aber fest, dass Deutschland bei der Höhe des Strompreises deutlich über dem Durchschnitt aller 27 EU-Staaten liegt. Das ist für unsere energieintensiven Industrien fatal. Sie erleiden einen Wettbewerbsnachteil, der im Wesentlichen staatlich begründet ist und für den sie somit nichts können. Es ist wichtig, dass wir die energieintensiven Industrien unterstützen, damit sie auch in Zukunft eine tragende Säule unserer Wertschöpfung bleiben. Jetzt müssen Sie von der SPD und den Grünen nicht wieder aufschreien. Schließlich waren Sie es, die bestimmte Ausnahmen eingeführt haben – ich darf an diejenigen bei der EEG-Umlage erinnern. Energieintensive Industrien leisten aber nicht nur einen wichtigen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung, sondern auch zu Netzstabilität und Versorgungssicherheit. Das gilt vor allem dann, wenn sie ihre Lasten zur Abschaltung bereitstellen und den Übertragungsnetzbetreibern so die Möglichkeit geben, bei Netzengpässen flexibel zu reagieren. Die Abschaltbarkeit von Lasten stellt einen energiewirtschaftlichen Wert dar. Deshalb muss dieser Wert adäquat vergütet werden. Mit der vorliegenden Abschaltverordnung schlagen wir zwei, wenn nicht sogar drei Fliegen mit einer Klappe. Erstens leisten wir einen Beitrag zur Versorgungssicherheit. Zweitens unterstützen wir die energieintensiven Industrien durch die finanzielle Honorierung der Abschaltbarkeit dabei, ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten zu können. Drittens belasten die Regelungen die Verbraucher nur minimal mehr. Die maximale Belastung würde bei circa 4 Euro pro Jahr liegen, erwartet wird aber eine tatsächliche Belastung von 1 bis 2 Euro. Ich denke, dieses Ergebnis gibt Anlass zur Zufriedenheit. Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der mir in der laufenden Diskussion besonders aufgefallen ist. Es ist doch interessant, dass jetzt diejenigen, die sonst immer gegen staatliche, feste Vergütungen wie zum Beispiel die EEG-Einspeisevergütung sind, plötzlich keinen Laut mehr von sich geben. Keine Sorge, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ausnahmsweise meine ich einmal nicht Sie! Diejenigen, die ich meine, werden sich schon angesprochen fühlen. Das zeigt uns einmal mehr: Ob eine Regelung für gut oder schlecht befunden wird, hängt offenbar entscheidend davon ab, wer die Hand aufhalten und Geld einstreichen darf. Wir wollen das Zeitalter der erneuerbaren Energien so schnell wie möglich erreichen. Wir wollen die Sicherheit und Bezahlbarkeit der Energieversorgung auch in Zukunft sicherstellen. Wir wollen, dass Deutschland ein guter Standort auch für die energieintensiven Industrien bleibt. Wir sind die Koalition, die all das erreichen kann. Mit der vorliegenden Verordnung leisten wir einen weiteren Beitrag dazu. Mit unserer Energiepolitik sind wir auf dem richtigen Weg. Lassen Sie uns den Weg in das Zeitalter der regenerativen Energie konsequent weitergehen! Rolf Hempelmann (SPD): Mit der vorliegenden Abschaltverordnung beraten wir ein wichtiges Instrument für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende: Die Schaffung von Flexibilitäten auf der Nachfrageseite. Die mit dem starken Ausbau erneuerbarer Energien zunehmende volatile Einspeisung von Strom aus Wind und Sonne und die gleichzeitige Reduktion der gesicherten Einspeisung von konventionellen Strommengen sind eine große Herausforderung für die Aufrechterhaltung der Systemstabilität und der Versorgungssicherheit. Diese Herausforderungen können wir nur in einem Energiesystem bewältigen, in dem Angebot und Nachfrage besser aufeinander abgestimmt werden. Hierbei spielen die zu- und abschaltbaren industriellen Lasten eine zentrale Rolle. Denn die Nutzung solcher Lasten ermöglicht es den Übertragungsnetzbetreibern, kurzfristig auftretende Schwankungen von Strommengen im Netz auszugleichen und somit die Stromversorgung sicherzustellen. Dabei kommt es uns darauf an, dass sich nicht nur Unternehmen mit einem besonders großen Stromverbrauch am Lastmanagement beteiligen, sondern im Rahmen des sogenannten Poolings auch mehrere kleine Unternehmen einbezogen werden. Die SPD-Bundestagsfraktion hat die Bedeutung des Lastmanagements seit langem erkannt und auch hier im Bundestag mehrfach an die Bundesregierung appelliert, entsprechende Rahmenbedingungen für die Bewirtschaftung der industriellen Lasten zu schaffen. Hierbei haben wir stets gefordert, den Wert der Bereitstellung der Lasten durch die Unternehmen mit einer angemessenen Vergütung anzuerkennen. Denn spätestens seit die Bundesregierung sich in Reaktion auf die Ereignisse in Fukushima an die Seite des rot-grünen Atomausstiegs gestellt hat, ist erkennbar, dass die zügige Nutzbarmachung der Flexibilitäten auf der Nachfrageseite eine wichtige Säule der Energiewende ist. Bereits im Frühjahr hat das Bundeswirtschaftsministerium einen ersten Versuch unternommen, eine Abschaltverordnung auf den Weg zu bringen. Leider war dieser Entwurf ungeeignet, das im Grundsatz richtig erkannte Ziel, nämlich die industriellen Lasten zur Sicherung der Versorgungssicherheit heranzuziehen, auch zu erreichen. Diesem Fehlversuch folgte ein monatelanges Gezerre zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium, wodurch wertvolle Zeit verschenkt wurde. Aber das Verschenken von wertvoller Zeit hat bei Union und FDP ja schon eine lange Tradition. Denn Ihr Unterlaufen des Atomkonsenses aus dem Jahr 2000 und die ohne Zeitnot hektische und ohne ausreichende parlamentarische Beteiligung verabschiedeten zentralen Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und des Energiewirtschaftsgesetzes im letzten Sommer haben dazu geführt, dass die schwarz-gelbe Energiepolitik sich zu einem reinen Reparaturbetrieb entwickelt hat. Nach langem Hin und Her haben die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen jetzt eine Abschaltverordnung vorgelegt, die aus unserer Sicht im Vergleich zum ersten Entwurf wesentliche Verbesserungen enthält. Besonders wichtig ist hierbei, dass die Verordnung ein ausgewogenes Verhältnis für eine Vergütung der Bereitstellung der Lasten – einen Leistungspreis und der tatsächlichen Abschaltung – den sogenannten Arbeitspreis vorsieht. Ein Leistungspreis ist deshalb notwendig, da allein die Bereitstellung der Lasten für die betroffenen Unternehmen mit Investitionen in ihre betriebliche Infrastruktur verbunden ist. Wenn die Lasten dann tatsächlich abgeschaltet werden, entstehen durch die Störungen im Produktionsprozess zusätzliche Kosten, die einen Arbeitspreis nötig machen. All dies ist auch volkswirtschaftlich begründbar, da die Abdeckung der Jahreshöchstlast allein durch konventionelle Kraftwerke nicht sinnvoll und vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen auf dem Strommarkt, die eine Wirtschaftlichkeit vieler Kraftwerke infrage stellen, höchst unsicher ist. Die Befristung der Regelungen auf drei Jahre unterstützen wir ebenfalls. Aus Sicht der SPD-Fraktion ist ein detailliertes Monitoring der Wirkungen der Abschaltverordnung unerlässlich. Die hieraus gewonnenen Erfahrungen müssen Grundlage für eine Wei-terentwicklung der Rahmenbedingungen für die Bewirtschaftung zu- und abschaltbarer industrieller Lasten sein. Gern hätten wir die Ausgestaltung der Verordnung und auch die Grundlage im Energiewirtschaftsgesetz mit mehr Ruhe und Gründlichkeit im Parlament, aber auch mit den betroffenen Akteuren beraten; auch eine Anhörung von Experten wäre aus unserer Sicht sinnvoll gewesen. Doch da die Bundesregierung – wieder einmal – aufgrund unterlassenen Handelns unnötigen Zeitdruck erzeugt hat, werden wir uns heute einer Verabschiedung nicht entgegenstellen. Darüber hinaus sorgt die Tatsache, dass die Regierung sowie die Fraktionen von Union und FDP sich nach langer Zeit die vernünftigen Argumente der SPD-Fraktion zu eigen gemacht haben, dafür, dass die vorliegende Fassung der Verordnung aus unserer Sicht zustimmungsfähig ist. Doch industrielle Lasten sind nur ein Teil der Nachfrageseite. Schon die Große Koalition hat die gesetzlichen Grundlagen zur Einführung intelligenter Zähler sowie last- und zeitvariabler Tarife für private Haushalte verabschiedet. Leider hat die schwarz-gelbe Bundesregierung bisher keine weiteren notwendigen Schritte zur konkreten Umsetzung dieser Möglichkeiten unternommen. Deshalb appelliere ich hier zum wiederholten Mal an die Bundesregierung, endlich die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um auch den privaten Haushalten die Möglichkeiten zur Flexibilisierung ihrer Stromnachfrage zu geben. Hierdurch lassen sich aus unserer Sicht zwei positive Effekte erzielen: Zum einen können die Menschen durch die Nutzung eines Angebots variabler Tarife bares Geld sparen. Und wenn man den Bürgerinnen und Bürgern die Zusammenhänge und Hintergründe dieser Flexibilisierungsnotwendigkeiten verständlich erklärt, begreifen sie sich selbst und ihren Umgang mit Energie als Teil der Energiewende. Somit kann aus einer energiewirtschaftlichen Notwendigkeit gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zur Steigerung der Akzeptanz der Energiewende bei den Menschen werden. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich auch künftig sinnvollen Instrumenten zur Umsetzung der Energiewende nicht verschließen. Wir erwarten von dieser Bundesregierung aber eine andere Diskussionskultur, eine Diskussionskultur, die Raum lässt für Argumente der verschiedenen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteure. Denn die Energiewende ist ein gesamtgesellschaftliches Mammutprojekt, das nur unter Einbeziehung aller erfolgreich umgesetzt werden kann. Klaus Breil (FDP): Es ist schon eine ganze Zeit her, dass es in der Energiepolitik eine Debatte gab, die selbst große Teile der Opposition unkritisch sehen. In diesem Geiste beraten wir heute über die Verordnung zu abschaltbaren Lasten. Schon seit einiger Zeit wollen wir Unternehmen mit diesem Instrument die Möglichkeit geben, ihren Beitrag zur Stabilität unseres Stromnetzes zu leisten, und die Wissenschaft bestätigt uns diesen Schritt: Sie hält eine solche Verordnung für ein probates Mittel zur Steigerung der Netzstabilität. Wir schaffen mit dieser Verordnung in einem ersten Schritt ein Demand-Side-Management-System, das zunächst noch auf eine bestimmte Kapazität begrenzt ist. Das heißt: Mit diesen Rahmenbedingungen für einen Markt für die Drosselung oder Abschaltung von Produktionsprozessen in Zeiten hoher Stromnachfrage heben wir sogenannte Lastmanagementpotenziale bei Großstromverbrauchern. Damit wollen wir über die kommenden drei Jahre hinweg einen Überblick über das praktische Markt- und Systemsicherheitspotenzial dieses Instrumentariums bekommen. Dabei sehen wir das nur als einen ersten Schritt an. Denn es muss uns klar sein: Diese Verordnung ist ein Übergangsinstrument, und sie ist auch nicht beliebig ausweitbar. Gemäß der Verordnungsermächtigung, die wir vergangene Woche mit dem EnWG auf den Weg gebracht haben, liegt die Obergrenze für die Verordnung bei 3 500 Megawatt. Mit 3 000 Megawatt starten wir jetzt mal das Projekt. Langfristig wollen wir diese Systemdienstleistung ohnehin in ein marktwirtschaftliches System überführen. Eines Tages – wenn unsere Netze alle smart sind – können von den hier zu sammelnden Erfahrungen hoffentlich auch kleinere Anbieter profitieren. Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg zu gehen: Zum Beispiel kann ich mir auch einen Markt für mehrere in einem Verbund zusammengeschlossene kleinere Anlagen vorstellen. Damit würde die Basis der Teilnehmer an einem solchen Markt noch erweitert. Die Grundlagen dafür haben wir auch in der jetzigen Version schon gelegt. Jetzt ist es an den Unternehmen, zu zeigen, was sie daraus machen können. Dorothée Menzner (DIE LINKE): Seit mehreren Wochen herrscht bei der Bevölkerung große Aufregung wegen steigender Strompreise. Die Linke betont bereits seit dem Frühjahr, dass wir eine eklatante unsoziale Verteilung bei den Strompreisen haben. Die energieintensiven Industrien genießen Ausnahmen und Subventionen bei den Strompreisen in Höhe von 9 Milliarden Euro. Ein Drittel davon tragen die Verbraucherinnen und Verbraucher direkt mit über höhere EEG-Umlagen und höhere Netzentgelte, der Rest fehlt durch Steuerausfälle im Staatshaushalt. Als wir im Frühjahr dieses Jahres auf diesen Umstand aufmerksam gemacht haben und forderten, die Ausnahmetatbestände auf ein moderates Maß zurückzufahren, um die Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu gefährden, entbrannte ein Sturm der Entrüstung aufseiten der Koalition. Mitte Oktober war es dann so weit: Im Angesicht der öffentlichen Diskussion über die zu hohen Strompreise und der Hunderttausenden Stromsperren bei zahlungsunfähigen Haushalten jedes Jahr haben außer der FDP Vertreter aller Fraktionen, ja selbst die Bundeskanzlerin Angela Merkel, immerhin angekündigt, die Ausnahmetatbestände der Industrie überprüfen zu wollen. Nun haben wir eine Verordnung über abschaltbare Lasten vorliegen, die wiederum nichts anderes ist als ein Subventionsgeschenk an die Industrie. Das ist an Ironie kaum zu überbieten. Wenn die Bundesregierung in das Lastmanagement der Stromnetze eingreifen will, dann soll sie es auch sozial vernünftig machen. Es ist unstrittig, dass das gezielte Eingreifen durch Übertragungsnetzbetreiber nicht nur in die Stromerzeugungsmenge, sondern auch in die Stromverbrauchsmenge im Interesse der Versorgungssicherheit und des Lastmanagements sinnvoll ist. Der Geist dieser Verordnung richtet sich allein auf die Situation, dass zu wenig Stromerzeugungsanlagen am Netz sind. Abschaltbare Lasten sind nach dieser Verordnung einzig produzierende Betriebe mit einer gewissen Energieintensität, die sich aufgrund dieser Verordnung vom Regelenergiemarkt verabschieden dürfen. Kleine Unternehmen des Handwerks und Gewerbes werden aber von vornherein von diesem „Abschaltmarkt“, der somit ein Exklusivmarkt wird, ausgenommen. Es ist auch deswegen ein Exklusivmarkt, weil die Höhe der Entschädigungen nach dem Auktionsprinzip ermittelt wird. Da kann und wird es passieren, dass die Vergütung der Abschaltleistung höher wird als der Preis, den eine vergleichbare Leistung des Unternehmens ihm am Regelenergiemarkt gebracht hätte. Die Konsequenz ist, dass Unternehmen, die sich bislang am Regelenergiemarkt beteiligt haben, sich bequem aus diesem zurückziehen können und zukünftig einfach auf die höhere staatlich verordnete Vergütung zurückgreifen. Was hier also verordnet werden soll, führt zu Mitnahmeeffekten einzig und allein bei der energieintensiven Industrie. Aber es geht noch weiter. Diejenigen Unternehmen, die am Abschaltmarkt beteiligt werden, sollen pauschal – nur für ihre Bereitschaft zum Abschalten – den Leistungspreis für die Abschaltleistung erhalten, auch wenn gar keine Abschaltung vorgenommen wurde. Diese ganzen Kosten, zuzüglich entstandener Betriebsausfälle, legen die Übertragungsnetzbetreiber dann auf die Netzentgelte, also auf die Verbraucherinnen und Verbraucher um. Zwar soll die Umlage maximal mit rund 0,1 Cent pro Kilowattstunde bei Privathaushalten zu Buche schlagen. In Zeiten explodierender Strompreise und der offenen Debatte über eine Übersubventionierung der Industrie bei den Energiepreisen ist das aber gelinde gesagt eine Frechheit. Um die Absurdität des Ganzen zu verdeutlichen, hilft das Gedankenspiel, diesen Mechanismus mal auf den Kopf zu stellen: Denn nach dem gleichen Verordnungsprinzip müsste ein Privathaushalt seine kompletten Netzentgelte und gegebenenfalls den eingesparten Stromlieferpreis plus Auktionszulagen samt Mehrwertsteuer von der Industrie zurückbezahlt bekommen, wenn er nur bereit ist, bei Netzengpässen einen Lastabwurf, sprich Stromausfall, zu akzeptieren, damit dafür irgendwo ein Betrieb seine Leistung nicht reduzieren müsste. Die Verordnung krankt aber noch an anderer Stelle. Die Regelzonen, über die die Netzbertreiber die Auk-tionen für Abschaltlasten ausschreiben sollen, sind völlig unterschiedlich. Die Regelzone des Netzbetreibers 50 Hertz beispielsweise, die vorwiegend in den östlichen Bundesländern liegt, hat von solch einer Regelung kaum Nutzen. Denn hier kommt es durch den richtungsweisend starken Ausbau der erneuerbaren Energien bei einer Überversorgung mit Braunkohlestrom eher zu Überkapazitäten. Zur Netzstabilisierung müssten also theoretisch eher Stromverbraucher zu- als abgeschaltet werden. Deswegen kommt es in dieser Regelzone ständig zu kostenaufwendigen sogenannten Redispatch-Maßnahmen, um überschüssigen Strom umzuleiten. Außerdem kommt es gerade auch in dieser Regelzone im Osten des Landes vermehrt zu Leitungsausbau für den Anschluss Erneuerbare-Energie-Anlagen, deren Kosten nur regional auf die Verbraucherinnen und Verbraucher innerhalb der Regelzone abgewälzt werden, obwohl der erneuerbare Strom dem gesamtdeutschen Strommix zugutekommt. Deshalb sind Netzentgelte im Osten Deutschlands bis zu 50 Prozent höher als andernorts, was per se ungerecht ist. Die Kosten der abschaltbaren Lasten, also Netzkosten, die eher im westlichen Bundesgebiet entstehen, sollen aber bundesweit gleichmäßig umgelegt werden. Das bedeutet für die Verbraucherinnen und Verbraucher im Osten: Sie zahlen doppelt. Nochmal: Lastmanagement wegen Überkapazität im Osten, die in den Westen umgeleitet wird und zum erneuerbaren Strommix beiträgt, zahlen nur die Verbraucherinnen und Verbraucher im Osten. Lastmanagement wegen Unterkapazität im Westen zahlen alle. Dieser eklatanten Ungleichbehandlung muss zuerst mit einheitlichen Netzentgelten und der Überwindung der regionalisierten Regelzonen und Übertragungsnetze begegnet werden. Unser Fazit ist, dass ein Eingriff in den Regelenergiemarkt, den diese Verordnung darstellt, nur in Richtung sozialerer Strompreise und gerechterer Kostenverteilung bei Verbesserung der Versorgungssicherheit gehen kann. Die Verordnung bewirkt genau das Gegenteil und wird daher von uns abgelehnt. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir beraten heute über die Verordnung der Bundesregierung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Leistungen und den von den Regierungsfraktionen eingebrachten Änderungsantrag. Es ist zweifelsfrei klar: Bei der Energiewende spielen große Stromverbraucher in der Industrie eine entscheidende Rolle. Deshalb gibt es schon seit langem die Überlegung, energieintensive Unternehmen gegen eine angemessene Entschädigung am Lastmanagement zu beteiligen. Durch die minuten- oder stundenweise Abschaltung von großen Stromverbrauchern bei Industrie und Gewerbe kann das Stromnetz gerade in Zeiten der Höchstlast im Winter und bei schwierigen Situationen stabil gehalten werden. Doch bisher gab es für Unternehmen keine wirklichen finanziellen Anreize, ihre Kapazitäten für netzstabilisierende Maßnahmen zur Verfügung zu stellen. Dabei ist Lastmanagement eine Win-win-Situation für die Unternehmen und die Netzstabilität. Doch das Thema scheint für Schwarz-Gelb sehr schwierig zu sein: Seit drei Jahren doktert die Bundesregierung an einer sogenannten Lastabschaltverordnung und brauchte mehrere Referentenentwürfe, die aufgrund der Uneinigkeit in der Regierung nach und nach wieder eingestampft wurden. Einmal war sich die Bundesregierung nicht über die Vergütungshöhe für abschaltbare Lasten einig, ein anderes Mal wurde über den Sinn und Unsinn von Arbeits- und Leistungspreis gestritten. Drei Jahre wurde innerhalb der Bundesregierung gestritten. Nun soll die Lastabschaltverordnung in Windeseile durch das Parlament gepeitscht werden, obwohl sie für diesen Winter viel zu spät kommt. Denn klar ist: Auch wenn die Verordnung am 1. Janunar 2013 in Kraft treten kann, braucht es wahrscheinlich Monate, bis das Lastmanagement organisatorisch von den Netzbetreibern und den Unternehmen umgesetzt ist. Ohne Sachverständigenanhörung wird heute entschieden, obwohl aus der Fachwelt, von Wissenschaftlern, Verbänden und Unternehmen deutliche Kritik kommt. Es werden Fragen aufgeworfen, und es wird auf Probleme hingewiesen, auf die die Bundesregierung und Koalition keine Antwort haben. So sind uns Union und FDP bis heute die Antwort schuldig geblieben, anhand welcher Kriterien der Leistungspreis – also für die mögliche Bereitstellung von abschaltbaren Lasten – in Höhe von 2 500 Euro im Monat bzw. 30 000 Euro im Jahr pro Megawatt zustande kommt und auf welcher konkreten Grundlage er errechnet wird. Ebenso ist es beim Arbeitspreis, also der Vergütung, die die Unternehmen pro Megawatt bei Abschaltung ihrer Leistung durch den Übertragungsnetzbetreiber erhalten. Hier ist bisher eine Spannbreite von 200 bis 400 Euro pro Megawatt vorgesehen. Die Zahlen scheinen völlig wahllos gegriffen zu sein und eher das Ergebnis eines koalitionsinternen Verhandlungsprozesses anstelle einer sachlichen Notwendigkeit. Einzig und allein klar ist, dass durch die Lastab-schalt-Verordnung die Stromverbraucher mit einer neuen Umlage mit – so die Darstellung der Bundesregierung – über 320 Millionen Euro jährlich zusätzlich belastet werden. Überhaupt nicht klar – aber wie im Ausschuss schon angedeutet – ist, ob die über 320 Millionen Euro im Jahr als Umlage überhaupt ausreichen werden. Hier haben wir erhebliche Zweifel. Zudem: Die Rahmenbedingungen, um an der Lastabschalt-Verordnung teilzunehmen, sind so zugeschnitten, dass nur wenige Unternehmen aus der Großindustrie, vor allem Metallhütten, sie erfüllen können. Es besteht damit die Gefahr, dass hier einzelne Unternehmen einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Betrieben, die ebenfalls energieintensiv produzieren und Lasten anbieten könnten, bekommen. Außerdem gibt es die aus unserer Sicht nicht ausgeräumte Kritik, dass die Lastabschalt-Verordnung die Regelenergiemärkte verzerrt und Anbieter von Regelenergie aus dem Markt gedrängt werden. Solche Wettbewerbsverzerrungen können nicht in unser aller Interesse sein! Leider haben Sie nicht die Chance ergriffen, über solche Fragen in eine Sachverständigenanhörung mit Fachleuten zu diskutieren. So verwundert es nicht, dass der Vorwurf geäußert wird, es gehe bei der Lastabschalt-Verordnung weniger um Lastmanagement und Stromnetzstabilität als vielmehr darum, einigen Metallhütten finanziell was Gutes zu tun. Ich will das nicht unterstellen, aber die Verordnung ist bürokratisch, und vor allem ist sie das Gegenteil von Marktwirtschaft. Warum werden die Preise für die Bereitstellung von Lasten nicht marktwirtschaftlich über eine Ausschreibung ermittelt, sondern per Verordnung festgelegt? Diejenigen Unternehmen, die den geringsten Preis bieten, erhalten den Zuschlag. Das ist viel effizienter und wäre für die Verbraucherinnen und Verbraucher, die ja alles über eine Umlage zahlen müssen, mit Sicherheit billiger. Schließlich werden über die Umlage von über 320 Millionen Euro jährlich vor allem wieder die privaten Stromverbraucher belastet, während die Industrie in Form von Prämienzahlungen und Netzstabilität profitiert. Wir bedauern, dass Sie heute mit der Lastabschalt-Verordnung keinen marktwirtschaftlichen, sondern wieder einen planwirtschaftlichen Ansatz wählen und damit die Chance für den Einstieg in einen umfassenden Markt für Lastmanagement in Deutschland verpassen. Da ist es auch nur ein kleiner Trost, dass Sie die Verordnung bis 2015 befristet haben. Nach dreijähriger interner Diskussion in der Bundesregierung wäre eigentlich mehr als genug Zeit gewesen, einen solchen Ansatz zu entwickeln. Aber dazu scheinen Sie nicht mehr die Kraft zu haben und wahrscheinlich auch niemals gehabt zu haben. So bleibt es leider wieder bei Stückwerk und Flickschusterei, statt dass Sie mit ganzheitlichem Ansatz die Energiewende vorantreiben. Deshalb können wir dieser Verordnung nicht zustimmen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11886, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 17/11671 in der Ausschussfassung zuzustimmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, FDP und SPD; Bündnis 90/Die Grünen und Linke waren dagegen. Zusatzpunkt 7: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen KOM(2012) 617 endg.; Ratsdok. 15865/12 hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) – Drucksachen 17/11617 Nr. A.9, 17/11882 – Berichterstattung: Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen) Die Reden wurden zu Protokoll genommen. – Damit sind Sie einverstanden.18 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11882, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon in Verbindung mit § 11 des Integrationsverantwortungsgesetzes anzunehmen. Es handelt sich um eine Subsidiaritätsrüge. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen; SPD und Linke waren dagegen; Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Tagesordnungspunkt 37: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Dr. Lukrezia Jochimsen, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern – Drucksache 17/11040 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Federführung strittig Die Reden wurden zu Protokoll genommen. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Seit einigen Jahren steht das Urheberrecht nun bereits im Zentrum der politischen Diskussion. Während es lange Zeit eine Spezialmaterie für einige wenige Kenner war und die beteiligten Akteure ihre Regelungen untereinander getroffen haben, haben die fortschreitende Digitalisierung und das Internet als neues Medium dazu geführt, dass immer mehr Menschen in Berührung mit urheberrechtsrelevanten Sachverhalten kommen. Im Fokus der Diskussion steht dabei vor allem das Verhältnis zwischen Werknutzern auf der einen und Urhebern, Verwertern und Rechteinhabern auf der anderen Seite. Hier wird heftig gerungen, und es geht oftmals um die Frage der Durchsetzung der berechtigten Ansprüche der Rechteinhaber gegenüber Werknutzern und darum, welche Nutzungen frei sein sollen – ein weites Feld. Ein wenig im Windschatten dieser Diskussion bewegt sich das Urhebervertragsrecht, das durch das Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern vor zehn Jahren zuletzt reformiert wurde. Dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke kommen sicherlich wenig Verdienste zu. Ein Verdienst ist allerdings, dass aufgezeigt wird, dass es jenseits des Verhältnisses zwischen Werknutzern und Rechteinhabern auch noch weitere Vertragsverhältnisse gibt, die einen urheberrechtlichen Inhalt haben. Natürlich geht es auch bei diesen Verhältnissen um die ökonomische Nutzung geistiger Leistungen. Auch hier gibt es ohne Frage viele streitbehaftete und diskussions- sowie klärungswürdige Punkte. Ziel muss es hierbei wie im gesamten Urheberrecht sein, dass gesetzliche Regelungen darauf ausgerichtet sind, die Interessen der unterschiedlichen Beteiligten unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Gebote des Art. 14 GG sorgsam gegeneinander abzuwägen und zu gewichten. So selektiv, wie dies durch den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke geschieht, ist es indessen sicher nicht zielführend. Eine Abwägung der genannten Interessen ist hier nicht vorgesehen. Die Politik soll nach den Vorstellungen der Fraktion Die Linke ihrer Aufgabe, für ausgewogene rechtliche Grundlagen für die Interessenverhandlungen zugunsten der öffentlichen Nutzung und Zugänglichmachung von Kulturgut und geistigen Leistungen zu sorgen, offensichtlich nicht mehr nachkommen. Außerdem hat es in den letzten Jahren mannigfaltige Rechtsprechung zu urhebervertragsrechtlichen Fragen gegeben, die erkennbar im Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke keinen Niederschlag gefunden hat. Immerhin wird ein Mal eine konkrete Entscheidung des Bundesgerichtshofs zitiert. Wenn man das Urhebervertragsrecht – und ich will nicht in Abrede stellen, dass dies auch angezeigt ist – genauer beleuchten möchte, so ist es dringend erforderlich, dass man sehr genau die Situation in den unterschiedlichen Bereichen analysiert. Das hat der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke erkennbar zu wenig getan. Wir werden ihn daher ablehnen. Das heißt indessen nicht, dass das Thema Urhebervertragsrecht nicht auf die Tagesordnung gehört. Allerdings ist bei alledem eines zu beachten: Ohne eine wirksame Durchsetzung des Urheberrechts nutzt das beste Urhebervertragsrecht nichts. Denn ohne Inhalt bleibt der Bildschirm bekanntlich leer. Und wenn den Content niemand mehr bezahlen möchte oder einfach nicht bezahlt, dann sind Verträge für die Urheber und ausübenden Künstler das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Siegmund Ehrmann (SPD): Meine Fraktion begrüßt außerordentlich, dass sich der Deutsche Bundestag mit dem Urhebervertragsrecht befasst. Auf die anstehenden Beratungen in den Ausschüssen bin ich sehr gespannt. Warum? Weil das Urhebervertragsrecht eines der zentralen Instrumente im Urheberrecht ist, um den Urhebern eine angemessene Vergütung zu ermöglichen, und weil das Urhebervertragsrecht aus Sicht der SPD eine wichtige Stellschraube ist, um die in vielen Zusammenhängen – sicherlich auch von Abgeordneten der Koalition – immer wieder festgestellte prekäre Situation vieler Kultur- und Kreativschaffender gezielt zu verbessern. In unserem Antrag „Die soziale und wirtschaftliche Lage der Kultur- und Kreativschaffenden verbessern“, der ebenfalls heute eingebracht wird, beschreiben wir, wie notwendig es ist, dass Kultur- und Kreativschaffende über ein faires Einkommen verfügen, auch damit sie sich hinreichend gegen soziale Risiken wie Krankheit, Alter, Pflege, aber auch Arbeitslosigkeit absichern können. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Zusammenhang. Im Vordergrund muss stehen, dass Kultur- und Kreativschaffende von ihrer Arbeit leben können; erst im zweiten Schritt geht es darum, sie hinreichend sozial abzusichern. Dabei ist das Urhebervertragsrecht ein zentrales Element, weswegen wir in unserem Antrag die Bundesregierung auffordern, Vorschläge für Anpassungen des Urheberrechts und des Urhebervertragsrechts vorzulegen mit dem Ziel, eine angemessene Vergütung für die Verwertung künstlerischer und kreativer Arbeit zu ermöglichen. Auch in unserem Antrag „Freiheit und Unabhängigkeit der Medien sichern – Vielfalt der Medienlandschaft erhalten und Qualität im Journalismus stärken“, Bundestagsdrucksache 17/10787, weisen wir darauf hin, dass das Urhebervertragsrecht wirksamer ausgestaltet werden muss. Die sozialdemokratische Justizministerin Herta Däubler-Gmelin war es, die mit der Reform des Urheberrechts 2002 entschieden dafür eintrat, die Stellung der Urheber und ausübenden Künstler insbesondere gegenüber den sogenannten Verwertern zu verbessern. Insbesondere die Frage der Honorierung, aber auch andere Nutzungsbedingungen für Urheberrechte unterlagen bis dahin dem freien Spiel der wirtschaftlichen Kräfte. Dabei musste von einem strukturellen Ungleichgewicht in der Verhandlungssituation zwischen beiden Seiten über die Vergütung der von den Urhebern erbrachten Leistungen ausgegangen werden. Mit dem Urhebervertragsrecht – verankert in § 31 ff. UrhG – wurde erstmals ein Anspruch auf eine angemessene Vergütung gesetzlich verankert. Das war ein großer Fortschritt. Bis dahin galt uneingeschränkt die Vertragsfreiheit. Es gab keinerlei verbindliche gesetzliche Regelungen für Verträge zwischen Urhebern und Verwertern, und es gab aufgrund der weitverbreiteten „Buy-Out“-Regelungen in vielen Verträgen keine nachträgliche Beteiligung der Urheber am Erfolg ihrer Werke. Gleichwohl wissen wir, dass das Gesetz insbesondere aufgrund der massiven Proteste großer Verleger nicht in der ursprünglich geplanten Form verabschiedet wurde. Gleichwohl waren die erzielten Neuregelungen auch aus Sicht der Urheber – unter anderem der Verband Deutscher Schriftsteller in Verdi, VS, hatte sich jahrelang dafür eingesetzt – ein Erfolg. Nun gab es einen gesetzlichen Anspruch jedes Urhebers und ausübenden Künstlers auf angemessene Vergütung, der auch gerichtlich durchgesetzt werden konnte. Was als angemessen zu gelten hat, sollte zwischen den Verbänden von Urhebern/ausübenden Künstlern und den Verwerterverbänden bzw. einzelnen Verwertungsunternehmen verbindlich ausgehandelt werden können. Kommt keine Einigung zustande, kann jede Seite ein Schlichtungsverfahren einleiten, dem sich die andere Seite nicht entziehen kann. Nun, mit dem Abstand von knapp zehn Jahren des Geltens dieser Regelungen, lässt sich feststellen, dass diese nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt haben. Bislang konnten in zwei Fällen gemeinsame Vergütungsregeln nach § 36 UrhG geschlossen werden: im Bereich der Belletristik zwischen dem Verband Deutscher Schriftsteller in Verdi, VS, und einigen Belletristikverlagen sowie für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen zwischen dem Deutschen Journalisten-Verband e. V. und Verdi mit dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e. V. Bereits die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hat in ihrem Abschlussbericht 2005 dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung empfohlen, „erneut zu prüfen, mit welchen Regelungen und Maßnahmen im Urhebervertragsrecht eine angemessene, an die wirtschaftlichen Verhältnisse angepasste Vergütung für alle Urheber und ausübenden Künstler erreicht werden kann, da die bisherigen Regelungen im Urhebervertragsgesetz unzureichend sind“; Bundestagsdrucksache 16/7000. Die SPD hat diesen Prüfbedarf in ihrer Kleinen Anfrage „Modernes und zukunftsfähiges Urheberrecht – Stand Dritter Korb Urheberrecht“ aufgegriffen, worauf die Bundesregierung antwortete, dass „nicht beabsichtigt [sei], mit dem Dritten Korb der Urheberrechtsreform eine erneute Überarbeitung des Urhebervertragsrechts vorzuschlagen“, Bundestagsdrucksache 17/6678. Abgesehen davon, dass ein Dritter Korb zur Reform des Urheberrechts von dieser Bundesregierung ohnehin nicht mehr erwartet werden kann, besteht hier offenkundig eine völlig unterschiedliche Wahrnehmung. Auf der einen Seite wird Handlungsbedarf gesehen, der seitens der Koalition komplett verneint wird. Darüber werden wir uns in den Ausschussberatungen verständigen müssen. Die SPD jedenfalls sieht einen massiven Handlungsbedarf und hat dazu in ihren „12 Thesen für ein faires und zeitgemäßes Urheberrecht“ unter anderem darauf hingewiesen, dass die im Gesetz vorgesehenen Konfliktlösungsmechanismen wirksamer gestaltet und um effektive Kontroll- und Sanktionsinstrumente ergänzt werden müssen. Wir werden unsere Vorschläge dazu weiter konkretisieren, so wie es die Linke mit ihrem Gesetzentwurf getan hat. Stephan Thomae (FDP): Zunächst freut es mich zu hören, dass auch Die Linke ihren Sinn für geistiges Eigentum entdeckt hat und sich mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für eine Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern einsetzt. Gleichwohl werde ich im Nachstehenden ausführen, warum die FDP-Bundestagsfraktion den Antrag der Linken ablehnen wird. Er ist zum Teil widersprüchlich oder enthält Passagen, die mit einer liberalen Politik nicht in Einklang zu bringen sind. So schlägt Die Linke vor, § 31 UrhG einen neuen Absatz 6 anzufügen. Darin soll dem Urheber, der ein ausschließliches Nutzungsrecht für mehr als fünf Jahre eingeräumt hat, unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit gegeben werden, dieses Vertragsverhältnis zu kündigen. Die Linke will damit erreichen, dass der Urheber durch Nachverhandlungen besser von dem unerwarteten Erfolg seines Werkes profitieren kann. Dieses Ziel ist durchaus nachvollziehbar. Allerdings kann ich den Weg, mit dem dies erreicht werden soll, nicht nachvollziehen. Nach den Vorstellungen der Linken soll nämlich der Urheber, der einen Vertrag, mit dem ein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt wurde, wirksam gekündigt hat und sein Werk anschließend erneut verwerten will, verpflichtet werden, dem früheren Inhaber des Nutzungsrechts ein entsprechendes Nutzungsrecht zu angemessenen Bedingungen anzubieten. Der Grund für diese Pflicht erschließt sich mir nicht. Wenn man dem Urheber die Möglichkeit einräumt, sich nach einer gewissen Zeit von seinem Vertragspartner zu trennen, muss dies auch gelten. An dieser Stelle muss dann ein Schnitt gemacht werden. Will der Urheber sein Werk anschließend erneut verwerten, muss es ihm freistehen, mit wem und unter welchen Bedingungen er einen entsprechenden Vertrag eingehen will. Die Linke will § 32 Abs. 1 Satz. 2 UrhG wie folgt formulieren: Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt oder ist die vereinbarte Vergütung nicht angemessen, gilt die angemessene Vergütung als vereinbart. Auch diesem Vorschlag vermag ich nicht zu folgen. Wenn eine Vergütung zwischen den Parteien vereinbart wurde, kann sich grundsätzlich keine Partei über das erzielte Ergebnis beklagen, denn es besteht in diesem Bereich kein Kontrahierungszwang. Auch der Schutz vor Übervorteilungen ist durch das bestehende Recht bereits gegeben. Hier sei nur auf den § 138 BGB hingewiesen. Schließlich gebietet es der Vorschlag der Linken für einen neuen Abs. 6 des § 36 UrhG, diesen Antrag abzulehnen. Dort heißt es wie folgt: Wird dem Einigungsvorschlag der Schlichtungsstelle nach Abs. 4 widersprochen, ist das Bundesministerium der Justiz nach Ablauf von sechs Monaten ermächtigt, auf dessen Grundlage gemeinsame Vergütungsregeln durch Rechtsverordnung festzulegen, sofern die Parteien zu keiner anderen Einigung gefunden haben. Genau dies widerspricht aber liberaler Politik. Die Bestimmung der angemessenen Vergütung muss Aufgabe der beteiligten Parteien sein und bleiben. Würde man die vorgeschlagene Regelung installieren, würde den Parteien jeglicher Anreiz genommen, selbst eine Einigung herbeizuführen. Vielmehr könnten diese sich auf die Haltung zurückziehen „Der Staat wird es schon richten“. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Die Marktteilnehmer sind viel besser in der Lage zu beurteilen, welcher Tarif angemessen ist. Der Staat wäre dazu gar nicht in der Lage. Aus den genannten Gründen lehnt die FDP-Bundestagsfraktion den vorliegenden Antrag ab. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Wenn über das Urheberrecht gesprochen wird, geht es häufig um einen Konflikt zwischen Urhebern und Nutzern. Angeblich wollen Rezipientinnen und Rezipienten für kreative Leistungen möglichst wenig zahlen, und deshalb können Künstlerinnen und Künstler von ihrer Arbeit nicht ordentlich leben. Mit der prekären Lage der Kreativen wird dann die Notwendigkeit begründet, das Schutzniveau im Urheberrecht immer weiter hochzuschrauben. Ob eine Verlängerung der Schutzfristen oder eine Ausdehnung des Schutzbereichs auf immer kleinere Werkteile – Verschärfungen des Urheberrechts kamen in den letzten Jahren stets im Namen der Kreativen daher. Ein höheres Schutzniveau, so glaubte man, würde auch zu höheren Einnahmen der Kreativen führen. Leider hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Die Umsätze der deutschen Kultur- und Kreativwirtschaft sind kräftig gestiegen, nicht jedoch die Einkommen der Urheberinnen und Urheber, der ausübenden Künstlerinnen und Künstler. Ein Großteil des Geldes, das mit kreativer Arbeit verdient wird, kommt nicht bei den Kreativen an. Kreative profitieren nicht automatisch davon, wenn der Urheberrechtsschutz verstärkt wird, sondern nur, wenn ihre Vertragspartner, also die Medienunternehmen, ihre Einnahmen auch mit den Kreativen teilen. Was Urheberinnen und Urheber verdienen, hängt nicht in erster Linie davon ab, was im Urheberrechtsgesetz steht, sondern davon, was in den Verträgen steht, die sie mit Verlagen, Musikwirtschaftsunternehmen oder sonstigen Vertragspartnern schließen. Vor genau zehn Jahren, 2002, hat der Bundestag deshalb ein Gesetz zur „Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern“ verabschiedet, das sogenannte Stärkungsgesetz. Kern dieses Gesetzes war der Anspruch auf eine „angemessene Vergütung“, der zwischen den Verbänden beider Seiten ausgehandelt werden sollte. Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Stärkungsgesetzes ziehen sich die Verhandlungen über solche gemeinsamen Vergütungsregeln immer noch hin, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Hingegen sind die Ansprüche der Urheber schon nach drei Jahren verjährt. Die Verwerter verschleppen die Verhandlungen systematisch, um die angemessene Vergütung auch nachträglich nicht zahlen zu müssen. Und die Urheberinnen und Urheber müssen ihr Recht individuell bis vor den Bundesgerichtshof einklagen. Zu dem gesetzlich vorgesehenen Schlichtungsverfahren kommt es meist gar nicht erst, weil die Verwerter, wenn es ernst wird, gern behaupten, zu offiziellen Verhandlungen nicht legitimiert zu sein. Wir schlagen mit unserem Gesetzentwurf vor, das Stärkungsgesetz so umzuschreiben, dass Urheberinnen und Urheber ihre Rechte auch tatsächlich durchsetzen können. Wir fordern Verbesserungen beim Schlichtungsverfahren sowie beim Rückruf nichtgenutzter Rechte, und wir wollen sittenwidrigen Buy-out-Verträgen einen Riegel vorschieben. Wenn Sie weitere Vorschläge haben, her damit. Wir arbeiten gern mit allen zusammen, die sich ebenfalls für eine Reform des Stärkungsgesetzes einsetzen. Lassen Sie uns aus diesem Papiertiger ein Gesetz machen, das seine selbstgesteckten Ziele erreicht. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zehn Jahre nach dem ersten Anlauf, die vertragliche Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern zu stärken, ist es an der Zeit, die Wirkungen des Gesetzes aus dem Jahr 2002 sorgfältig und objektiv zu analysieren und daraus gesetzgeberische Konsequenzen zu ziehen. Erste und tiefgehende Analysen liegen mit dem Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ vom 11. Dezember 2007 vor. Sie und auch die ernüchternden Erfahrungen vieler Vereinigungen von Urheberinnen und Urhebern sollten jetzt aufgegriffen werden. Welche Grundannahmen haben die Reform des Jahres 2002 geprägt, und welche sind heute noch gültig? Urheber sind auch heute noch nur in den seltensten Fällen – mag ihre Anzahl auch durch die Möglichkeiten der Digitalisierung und des Internets in Zukunft wachsen – in der Lage und gewillt, ihre Werke selbst zu verwerten. Ihre notwendige wirtschaftliche Symbiose mit kommerziellen Verwertern, seien es Verlage, Filmproduzenten oder Medienträgerhersteller, ist ein Fakt. Weil die Verbindung zwischen den Kreativen und den Verwertern zwangsläufig eine vertragliche ist, ist das Urhebervertragsrecht in seiner Bedeutung für die Kulturwirtschaft und darüber hinaus für die Gesellschaft gar nicht hoch genug einzuschätzen. Würden sich auf dem Markt annähernd gleich starke und durchsetzungsfähige Partner treffen, wäre für den Gesetzgeber wenig zu tun. Das Gegenteil ist aber – dieser Befund ist evident – der Fall. Deshalb hat schon der Reformentwurf aus dem Jahr 2002 festgestellt, dass die damals zur Diskussion vorgelegten Regelungen der Kultur, der demokratischen Willensbildung und der Volkswirtschaft dienen und den Ausgleich der durch das wirtschaftliche Ungleichgewicht der Vertragsparteien gestörten Vertragsparität bezwecken. Angesichts nationaler und internationaler Konzentrationsprozesse im Bereich der Medien und der Kulturproduktion ist die Absicherung und auch die Besserstellung der Urheber sozialpolitisch, kulturpolitisch, aber auch wirtschaftspolitisch notwendig. Dem Urhebervertragsrecht fällt deshalb rechtspolitisch eine Bedeutung zu, die über den Persönlichkeitsschutz, den Schutz der Berufsfreiheit und des Eigentums sowie der Vertragsfreiheit weit hinausreicht. Rückblickend ist der damaligen Justizministerin Däubler-Gmelin und den Verfassern des sogenannten Professorenentwurfs Dietz, Loewenheim, Nordemann, Schricker und Vogel zu danken, dass sie den ersten Schritt gewagt und die Debatte angestoßen haben. Die Kritik an dem Versuch, die Privatautonomie auch der Urheber zu schützen und deren Vertragsfreiheit gegen das Übergewicht ihrer Vertragspartner überhaupt erst herzustellen, war brachial, demagogisch und wirkungsvoll. Im Standardkommentar von Loewenheim zum Urheberrecht heißt es in nicht zu überbietender Klarheit: „Der Einbruch sozialstaatlicher Prinzipien in eine seit Jahrhunderten zugunsten der Verwerterseite abgeschirmte Oase der Vertragsfreiheit stieß auf Missbehagen und löste düstere Zukunftsvisionen aus“. Drei Elemente prägten die Reformvorstellungen des Jahres 2002: Dem Urheber sollte ein die gesamte Werknutzung umfassender gesetzlicher Anspruch auf eine angemessene Vergütung zustehen; die vorrangige Schaffung gemeinsamer Vergütungsregeln sollte erzwingbar sein, und Nutzungsverträge sollten unabdingbar kündbar sein. Die Verwerterindustrie und ihre Verbände erhoben jedoch ihr Haupt und starteten eine Medienkampagne gegen die Reform, die an eine Erpressung der Gesetzgebungsorgane heranreichte. Und dies zeigte Wirkung: Das Bundesjustizministerium legte – mehr gezwungen als freiwillig – einen Änderungsvorschlag zum eigenen Gesetzentwurf vor, der dem couragierten Vorschlag des sogenannten Professorenentwurfs und der darauf fußenden Entwürfe der Regierungsfraktionen wie der Bundesregierung den Schneid abkaufte. Aus einem gesetzlichen Anspruch auf eine angemessene Vergütung wurde ein Individualanspruch auf eine gerichtliche Anpassung unangemessener Vergütungen für erlaubte Nutzungen und eingeräumter Rechte; die Vergütungsregeln wurden der Disposition der Kollektivvertragspartner unterstellt, und das Kündigungsrecht wurde insgesamt gestrichen. Heute, nach zehn Jahren, treten die Mängel der Reform mehr als deutlich hervor. Richtig bleibt der Vorrang tarifvertraglicher Regelungen, wobei mit der Tariffähigkeit arbeitnehmerähnlicher Personen nach § 12 a TVG der Tarifabschluss auch für Urheber und ihre Rechte an Bedeutung zunimmt. Danach kommt der Vorrang gemeinsamer Vergütungsregeln, die die angemessene Vergütung durch Vereinigungen von Urhebern und Werknutzern übereinzelvertraglich festlegen. Das Verfahren hierzu muss jedoch grundlegend verändert werden. Die Parteien dürfen sich nicht mit Tricks und geradezu heimtückisch um den Abschluss der Vergütungsregeln herummogeln dürfen. Das Verfahren muss so oder so in einer verbindlichen Entscheidung enden, von der sich die Parteien nicht mehr einseitig lossagen können dürfen. Und, zu guter Letzt, sollte den Urhebern ein gesetzlicher Anspruch auf eine angemessene Vergütung zustehen. Die Durchsetzung dieses Anspruchs sollte auch in kollektiven Formen möglich sein, weil der einzelne Urheber in der Regel – die von Ausnahmen nicht widerlegt, sondern bestätigt wird – wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit zur Durchsetzung seiner Ansprüche faktisch nicht in der Lage ist. Der Gesetzentwurf der Linken benennt etliche richtige Punkte und gibt auch einige richtige Antworten. Trotzdem sage ich unter Hinweis auf die Zeit und die derzeitigen Machtverhältnisse in diesem Hause: Eine durchgreifende Reform des Urhebervertragsrechts bedarf des politischen Willens einer neuen Regierungsmehrheit. Bis zur Neuwahl des Bundestags spätestens im September 2013 kann eine solche Reform nicht mehr gelingen. Die schwarz-gelbe Koalition ist eine Koalition der internationalen Verwerterlobby. Nicht die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Urheber und ausübenden Künstler ist ihr ein Anliegen, sondern bestenfalls die Beibehaltung des Status quo. Deshalb wird es für eine neue Mehrheit in diesem Hause notwendig sein, aus der Mitte des Parlaments und mithilfe einer neuen Bundesregierung eine Kommission zu bilden, mit dem Auftrag, einen sozialstaatlich ambitionierten, kulturpolitisch ausgerichteten und demokratisch vorbildlichen Reformvorschlag für ein modernes Urhebervertragsrecht vorzulegen. Darin werden sicher die guten Vorschläge der Linken, genauso wie Vorschläge aus anderen Fraktionen, der Wissenschaft und der Verbände der Urheber wie der Verwerter einfließen. Schon jetzt kann ich sagen, was uns Grünen neben verschiedenen Klarstellungen und punktuellen Verbesserungen der Reformen von 2002 ein Hauptanliegen sein wird: das Verfahren zur Festlegung gemeinsamer Vergütungsregeln wirkmächtig zu machen. Dazu gehörten die eindeutige rechtliche Einordnung der Vergütungsregeln als auf Verbände delegierter staatlicher Akt der Vergütungsfestsetzung; die Beseitigung der Unsicherheiten und Fluchttendenzen bei der Legitimation der Vereinigungen und die Verbindlichkeit der im Schiedsverfahren festgelegten Vergütungsregeln sowie die Einführung von Rechtsbehelfen. Nur eines darf und wird nicht nochmals passieren: dass mit Lobbydruck und regelrechten Kampagnen auf den Gesetzgeber eingewirkt wird und Gespräche im Bundeskanzleramt die Debatte im Bundestag ersetzen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11040 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung jedoch ist strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP wünschen sich Federführung beim Rechtsausschuss, die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Kultur und Medien. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke, Federführung beim Ausschuss für Kultur und Medien. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dieser Vorschlag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion; alle anderen waren dagegen. Jetzt lasse ich abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP, Federführung beim Rechtsausschuss. Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Das ist so angenommen. Dagegen war die Fraktion Die Linke; alle anderen waren dafür. Tagesordnungspunkt 39: Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Christine Buchholz, Inge Höger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Angriffskrieg verfassungs- und völkerrechtskonform unter Strafe stellen – Drucksache 17/11698 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Hier wurden wiederum die Reden zu Protokoll genommen. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Die Fraktion Die Linke hat den Antrag „Angriffskrieg verfassungs- und völkerrechtskonform unter Strafe stellen“ in den Deutschen Bundestag eingebracht, und wir dürfen uns nun mit der Frage auseinandersetzen, ob es dieses Antrags bedarf. Wir als CDU/CSU-Fraktion sind der Auffassung, dass die bestehenden Regelungen des Strafrechts im Bereich des Friedensverrates ausreichen. §§ 80 f. StGB bedürfen keiner Änderung. Wir werden den Antrag der Fraktion Die Linke daher auch ablehnen. In Wahrheit geht es der Fraktion Die Linke ja auch gar nicht um die Frage der strafrechtlichen Normierung. Zum einen geht es ihr darum, sich als vermeintliche Friedenspartei zu stilisieren. Das aber ist schon allein aus der Historie der Vorgängerinnen der Partei Die Linke mehr als fragwürdig. Zum anderen soll der Antrag aber wohl im Wesentlichen dazu dienen, Vorgänge der Vergangenheit aufzuwärmen und politisch aufzukochen. Das mag für altlinke Stammtische das Richtige sein; für eine ernsthafte Auseinandersetzung im Parlament taugt es allerdings nicht. Wenn es der Fraktion Die Linke wirklich ernsthaft um eine gesetzliche Regelung ginge, hätte sie einen Gesetzentwurf einbringen müssen, statt einen Antrag zu stellen. Dann hätte sie sich aber auch den Schwierigkeiten, die mit der Umsetzung des Verfassungsgebotes aus Art. 26 des Grundgesetzes einhergehen, stellen müssen. Das aber wollte sie offenbar selbst nicht. So ist und bleibt der Antrag nur eines: ein durchsichtiges Manöver. Der bestehende § 80 StGB ist in seiner Formulierung eng an Art. 26 des Grundgesetzes angelehnt. Damit wird der durch Art. 26 konstituierte Verfassungsauftrag ausreichend umgesetzt. § 80 StGB ist mithin verfassungskonform. Einer Ergänzung bedarf es nicht. Der erste Teil des Anliegens der Fraktion Die Linke ist also schon bestehendes Recht. Wie schwierig es dabei war, diesen Verfassungsauftrag des Art. 26 Grundgesetz in eine gesetzliche Norm umzusetzen, zeigt sich schon an der Entwicklungsgeschichte dieser Vorschrift. Eingefügt wurde sie 1968 durch das achte Strafrechtsänderungsgesetz. Man hatte sich bereits 1950 an einer Normierung versucht, die aber an definitorischen Schwierigkeiten scheiterte. Auch konnte nicht auf Vorgängerbestimmungen zurückgegriffen werden, da das dem Art. 26 des Grundgesetzes zugrunde liegende völkerrechtliche Gewaltverbot erst aus dem Jahr 1928 stammt. Das alles zeigt, wie schwer es ohnehin schon war, das Verfassungsgebot aus Art. 26 Grundgesetz in eine handhabbare Strafvorschrift umzusetzen. Ohne Zweifel ist die praktische Relevanz der Norm auch nur begrenzt. Das Hauptgewicht liegt allerdings auch schlicht in ihrer generalpräventiven Wirkung durch ihre bloße Existenz. Dann bedarf es aber keiner weiteren Ausdehnung der Vorschrift. Ebenfalls ist die völkerrechtliche Komponente, die der Antrag der Fraktion Die Linke fordert, unter strafrechtlichen Gesichtspunkten ein schwieriges Terrain. Völkerrecht ist aus der Natur der Sache heraus dynamisch. Das aber ist in Teilen nur schwer mit dem Verfassungsgebot der Bestimmtheit von Strafnormen zu vereinbaren. Hier bleibt zwangsläufig ein Spannungsfeld, das in Teilen nur die Rechtsprechung auflösen kann. Die Gefahr, zu unbestimmte Vorschriften zu erlassen, ist jedenfalls im Kontext des Völkerrechts ausgesprochen groß. Auch deshalb wird die Fraktion Die Linke es wahrscheinlich bei einem Antrag belassen haben, statt einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen. Das alles zeigt: Der Antrag der Fraktion Die Linke ist nichts als ein durchsichtiges Manöver. Wir werden ihn ablehnen. Unsere Vorschriften reichen vollkommen aus. Schließlich sollten wir auch nicht vergessen: Wir befinden uns in einer historisch einmaligen Situation. Seit fast 70 Jahren leben wir ohne kriegerische Auseinandersetzung. Ohne Frage erwächst aus unserer Geschichte eine besondere Verpflichtung für die Erhaltung des Friedens. So ist das Zusammenwachsen Europas ein Garant für fortwährenden Frieden. Deshalb ist der europäische Einigungs- und Friedensprozess nicht hoch genug zu würdigen. Das sind wichtige Zeichen, nicht aber eine Änderung von § 80 StGB. Schließen möchte ich mit einem Zitat zur Funktion des § 80 StGB aus dem Strafrechtskommentar von Kindhäuser/Neumann/Paeffgen zur Funktion der Vorschriften des Friedensverrats im Strafgesetzbuch schließen: „Hoffen darf man allenfalls … dass Kriegsverbrecher, die eine Gefahr eines Angriffskrieges heraufbeschworen haben, sich nirgends mehr sicher sein dürfen, wegen dieser Taten nicht doch vor ein deutsches Gericht (oder den IStGH) gebracht zu werden.“ Dazu dient der § 80 StGB; er ist verfassungskonform, und es bedarf keiner Änderung. Christoph Strässer (SPD): „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen“, so zitierte Bundespräsident Rau Bundeskanzler Willy Brandt 1995 beim Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges. Das ist und bleibt die Verantwortung Deutschlands. In der letzten Sitzungswoche haben wir im Rahmen einer menschenrechtlichen Debatte über die Änderungen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes, die auf der Überprüfungskonferenz in Kampala 2010 beschlossen wurden, beraten und den Gesetzentwurf der Bundesregierung angenommen, der die Voraussetzungen nach Art. 59 GG für die Ratifikation schafft. Wir werden also in Zukunft über eine Implementierung des Aggressionstatbestandes in die deutsche Rechtsordnung zu beraten haben. Es gibt zwar keine völkerrechtliche Pflicht, das nationale Strafrecht anzupassen, wohl aber drängen sich solche Überlegungen auf – auch vor dem Hintergrund des deutschen Engagements und der deutschen Verantwortung in diesen Fragen. Dieses Jahr feierte das Völkerstrafgesetzbuch sein 10-jähriges Jubiläum. Es regelt die strafrechtliche Verantwortung bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Nun geht es auch beim Aggressionstatbestand einen Schritt weiter. Die Änderungen des Römischen Statuts könnten in modifizierter Form auch in das deutsche Recht einfließen – wo und wie bleibt zu diskutieren. § 80 StGB regelt das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges. Bislang hat die Vorschrift keine gesteigerte praktische Bedeutung erlangt. Einige Stimmen in der Literatur sprechen deshalb etwas abfällig von „symbolischem Strafrecht“, andere etwas positiver formuliert von der generalpräventiven Funktion der Norm durch ihre bloße Existenz. In der Gesamtschau des sich entwickelnden Völkerstrafrechts ist es aber nicht unwichtig, sich in gebührendem Maße auch § 80 StGB zu widmen. Deshalb lohnt auch ein Blick auf die historische Genese der Strafvorschrift. Der Tatbestand des Friedensverrats bzw. das Verbot eines Angriffskrieges wurde zur Ausführung des Verfassungsauftrages aus Art. 26 Abs. 1 GG im Jahr 1968 durch das 8. StrÄndG in das Strafgesetzbuch eingeführt. Fast 20 Jahre blieb der Verfassungsauftrag des Art. 26 GG unerfüllt, und auch heute ist er nur im Wesentlichen, aber nicht vollständig umgesetzt. Schon in der 1. Legislaturperiode gab es einen Gesetzentwurf der SPD – Bundestagsdrucksache 1/653 – und einen der Bundesregierung – Bundestagsdrucksache 1/102 –, die eine Einführung forderten. Letztlich entschied man sich gegen die Einführung. Das Problem lag in der Unbestimmtheit des Begriffs „Angriffskrieg“, dem eine allgemein akzeptierte völkerrechtliche Definition fehlte. Vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots im Strafrecht ergaben sich Bedenken, einen solchen unbestimmten Straftatbestand aufzunehmen. Auch der Gesetzgeber des Jahres 1968 stand vor den gleichen Schwierigkeiten. Zunächst sah es nicht nach einer Einführung aus. Nach 53 Sitzungen des Sonderausschusses entschloss man sich dann doch für die Aufnahme des neuen Straftatbestandes. Es waren die Professoren, die auf die Umsetzung ihrer Vorschläge einer Einführung drängten und unterstrichen, dass keine Reform des Staatsschutzrechtes erfolgen dürfe, ohne dass wenigstens teilweise den Mahnungen des Art. 26 GG Rechnung getragen würde. Es seien gewisse Auslegungsschwierigkeiten in Kauf zu nehmen, als weiterhin mit der Umsetzung des Verfassungsauftrages zu warten. Man könne nicht warten, bis es eine internationale Definition gebe. So wurde der Begriff des Angriffskrieges unter Verweis auf Art. 26 Abs. 1 GG ohne nähere Konkretisierung übernommen und dessen Auslegung der Rechtsprechung überlassen. Der Gesetzgeber fügte in § 80 StGB aber einen Deutschland-Bezug ein, den das Grundgesetz so nicht vorsieht. Nur so könne realpolitisch sichergestellt werden, dass ausländische Staatsoberhäupter nicht vor deutschen Gerichten verklagt werden und in Deutschland eine Art internationale Gerichtsbarkeit entsteht, die zu problematischen internationalen Verwicklungen führen könne. In der Plenardebatte vom 29. Mai 1968 zum 8. Strafrechtsänderungsgesetz unterstrich Frau Diemer-Nicolaus von der FDP zu Recht, dass der Bundestag sich zur Einführung des § 80 StGB entschlossen habe, sei ein gutes Beginnen. Soweit es § 80 StGB betreffe, sei die weitere Entwicklung abzuwarten. Vor dem Hintergrund der Verfassungslage, der internationalen Bestimmungen und Entwicklungen werden wir beurteilen müssen, ob sich Anpassungsbedarf ergibt oder die Norm ihre Funktion ausreichend erfüllen kann. Darüber können und sollten wir gerne ergebnisoffen diskutieren. Noch heute sprechen die wichtigen Standardkommentare davon, dass Art. 26 Abs. 1 GG nur im Wesentlichen umgesetzt ist. Im Jahr 2006 räumte auch Generalbundesanwalt Nehm ein, dass § 80 StGB den Verfassungsauftrag nicht in vollem Umfang erfülle. Die Fraktion Die Linke hat in der 16. Legislaturperiode schon einmal einen ähnlichen Antrag gestellt – Bundestagsdrucksache 16/6379. Allerdings war der Antrag weniger weitgehend, aber auch weniger substanziell, dafür plakativ und situationsbezogen populistisch. Der neuerliche Antrag nimmt Bezug auf die Ratifikation der Änderungen des Römischen Statuts und stellt berechtigte Fragen. Ob man zum gleichen Ergebnis und den gleichen Forderungen kommen muss, ist eine andere Frage. Es stellt sich die Frage, ob der Durchbruch in Kampala und die Einführung des Aggressionstatbestandes Einfluss auf eine mögliche Definition des Angriffskrieges nach deutschem Recht hat. Unmittelbar übernommen werden kann das Ergebnis sicher nicht. Diplomatische Ergebnisse sind immer Kompromisse, die offen formuliert sind, verschiedene Positionen berücksichtigen und – aus juristischer Sicht nicht immer hilfreich – der Interpretation zugänglich sind. Spannungen mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot sind vorprogrammiert. Wenn, dann müsste der nationale Gesetzgeber die Definition selbst inhaltlich ausfüllen, wenn auch unter dem Eindruck der internationalen Ergebnisse. Außerdem möchte der Antrag § 80 StGB erweitern und die Androhung, Auslösung, Durchführung und Unterstützung eines Angriffskrieges unter Strafe stellen. Nach dem Wortlaut des Grundgesetzes wird ausschließlich die Vorbereitung eines Angriffskrieges als verfassungswidrig angesehen. Wenn aber schon die Vorbereitung verboten ist, so erst recht die Durchführung. Diese Analogie kann im Verfassungsrecht ohne Zweifel gezogen werden. Im Strafrecht verbieten sich Analogien. Zwar steht in der Gesetzesbegründung, dass § 80 StGB nicht nur, wie der Wortlaut annehmen lasse, den Fall der Vorbereitung eines Angriffskrieges, sondern erst recht die Auslösung eines Krieges umfasse – Bundestagsdrucksache 5/2860, Seite 2. Schon das ist aber strittig. Sowohl namhafte Kommentare als auch der ehemalige Generalbundesanwalt stehen auf dem Standpunkt: Wer sich erst ab Beginn eines Angriffskrieges beteiligt, handelte nicht tatbestandsmäßig. Auch die Beteiligung und Beihilfe will der Antrag sanktionieren. Bisher lehnte die Generalbundesanwaltschaft bloße Duldungs- und Unterlassungshandlungen als tatbestandmäßige Handlungen ab. Letztlich reiche auch die Gewährung von Überflugs- und Transportrechten nicht aus, da diese keinen ausreichenden Tatbeitrag darstellten. Der Begriff der Beteiligung wird zumeist in der Beteiligung von Streitkräften gesehen. Ich unterstütze als Rechts- und Menschenrechtspolitiker eine Diskussion über alle diese Fragen. Ich gehe davon aus, dass auch die Regierung und die Koalition an diesen Fragen interessiert sind. In diesem Zusammenhang verweise ich deshalb gerne und ausdrücklich auch auf einen Vortrag, den Frau Staatssekretärin Dr. Birgit Grundmann am 10. Mai 2012 in Hamburg auf dem Symposium der Universität Hamburg „Zehn Jahre Völkerstrafgesetzbuch – Bilanz und Perspektiven eines deutschen Völkerstrafrechts“ gehalten hat. Darin sagte sie – ich zitiere –: Außerdem können die Überlegungen zur Umsetzung der Beschlüsse von Kampala dazu genutzt werden, sich mit Kritik an der Regelung zur Vorbereitung eines Angriffskrieges in § 80 Strafgesetzbuch auseinander zu setzen. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob weiterhin lediglich die Vorbereitung eines Angriffskrieges unter Strafe gestellt werden soll oder auch dessen Versuch und Durchführung. Und außerdem: Damit einhergehend stellt sich die Frage, ob beim Verbrechen der Aggression der Bezug zur Bundesrepublik Deutschland beibehalten werden soll, wie es die Vorbereitung eines Angriffskrieges nach § 80 StGB vorsieht, oder ob hierauf verzichtet werden kann. Gerne schließe ich mich diesen Fragen an. Wir müssen uns die Frage stellen, welche Reichweite eine solche Regelung haben soll. Gleichzeitig muss darauf geachtet werden, dass kein falscher Anschein erweckt wird, den eine Regelung nicht erfüllen kann, sei es zum Beispiel durch Ermittlungsbehörden oder Gerichte, die an ihre Grenzen stoßen. Nationales Strafrecht kann auch mal symbolisch sein. Es sollte aber auch realistisch und pragmatisch den Notwendigkeiten, den aktuellen gesellschaftlichen, und gegebenenfalls auch den internationalen völkerrechtlichen Entwicklungen folgen. Gerne würde ich dazu im Ausschuss die Meinung der Regierung hören. Wir sollten auch darüber nachdenken, ob eine Anhörung zum jetzigen oder zu einem späteren Zeitpunkt für diese Fragestellungen hilfreich sein könnte. Jörg van Essen (FDP): Es liegt uns heute von den Kollegen der Linksfraktion ein weiterer Antrag vor, der in eine ganze Reihe von Anträgen passt und sich unter dem Sammelbegriff „Gutmenschentum“ subsumieren lässt: „Keine Rüstungsforschung an öffentlichen Hochschulen“, „Lieferung von U-Booten an Israel stoppen“, „Globale Gerechtigkeit“, „Mit dem Abzug aus Afghanistan die Voraussetzung für Frieden schaffen“, „Iran: Sanktionsspirale beenden – Kriegsgefahr stoppen“, „Kein Zugang von Kindern und Jugendlichen zu Kriegswaffen“, „Militärischen Missbrauch von Minderjährigen beenden“ und „Keine gezielten Tötungen“, um nur einige Beispiele der letzten Zeit zu nennen. Und all diese Anträge haben eines gemeinsam: Sie erschrecken am Anfang und lassen vermuten, dass in unserem Land etwas im Argen liegt. Da macht der heute zu beratende Antrag keine Ausnahme. Er liest sich anfangs so, als sei das Führen von Angriffskriegen in Deutschland nicht nur erlaubt, sondern an der Tagesordnung. Als würde die Bundesregierung, und nicht nur die gegenwärtige, sondern auch alle früheren, gegen Verfassung und Völkerrecht verstoßen. Dieser erste Eindruck erschreckt. Da ging es mir nicht anders als sicherlich vielen Menschen draußen in unserem Land. Schließlich besteht in Deutschland der große gesellschaftliche Konsens, dass nie wieder von uns ein Krieg ausgehen darf. Nur auf den zweiten Blick erkennt man dann schnell, dass es sich bei diesem Antrag mal wieder, um im militärischen Fachjargon zu bleiben, nur um einen Täuschkörper handelt, und auch noch um einen schlechten und billigen. Lassen Sie mich hier deutlich und nachdrücklich feststellen, dass entgegen dem Eindruck, den die Linksfraktion hier versucht zu erwecken, und entgegen der bewussten Panikmache, die sie mit diesem Antrag unternimmt, Angriffskriege in Deutschland natürlich und selbstverständlich unter Strafe stehen, und das schon, solange es die BRD gibt, und dies natürlich auch in Übereinstimmung mit unserem Grundgesetz und dem Völkerrecht. Erlauben Sie mir, Ihnen daher eine kurze Nachhilfestunde in Straf- und Verfassungsrecht zu geben – Details können wir dann im Ausschuss in Form eines Repetitoriums nachholen –: Art. 26 Abs. 1 GG und auch Art. 2 des Zwei-plus-vier-Vertrags erklären einen Angriffskrieg als verfassungswidrig und strafbar. Der § 80 StGB führt diese Strafbarkeit dann aus. Art. 2 der Charta der Vereinten Nationen und das Rom-Statut nehmen die entsprechenden Regelungen im Völkerrecht wahr. Damit ist Ihr Antrag eigentlich hinfällig; denn das, was Sie fordern, ist schon längst Recht und Gesetz in Deutschland. Ziehen Sie diesen Antrag einfach zurück! Tarnen und Täuschen funktioniert bei diesem Thema nicht. Aber Sie lieben ja die Spitzfindigkeiten und spinnen darum herum ein Netz aus Mythen und Ängsten. Lassen Sie mich im Folgenden kurz aufzeigen, wie sehr Sie sich selbst etwas vorzumachen versuchen: So bemängeln Sie, dass nur die Vorbereitung, nicht aber die Durchführung eines Angriffskrieges unter Strafe gestellt sei. Empfinden Sie dies nicht selber als irrwitzig? Wie sollte denn ein Krieg ohne Vorbereitung durchgeführt werden? Das eine bedingt doch das andere. Keiner kann so einen einfachen Vorgang wie seine Wohnungsrenovierung durchführen, ohne diese vorher vorbereitet zu haben. Da soll Ihrer Ansicht nach ein gezielter Krieg auf einen anderen Staat ohne eine Vorbereitung möglich sein? Das ist doch nun selbst für Sie sehr fantasiereich. Oder ein anderes Beispiel: Sie formulieren, dass das Strafgesetzbuch den Straftatbestand des § 80 „ungerechtfertigter Weise erheblich einschränkt“, weil es für einen Krieg den Einsatz von Streitkräften, also Soldaten, voraussetzt. Diese Logik müssen Sie mir dann im Ausschuss wirklich einmal erklären. Nach allen mir bekannten Definitionen von Krieg, und das durch alle Zeitalter und Kulturen hinweg, wurden Kriege immer mit bewaffneten Kräften geführt. Soldaten, Krieger, Söldner und Streitkräfte sind alles unterschiedliche Begriffe, die dasselbe meinen. Und aus diesen absurden Feststellungen leiten Sie dann ebenso abstruse Forderungen ab. Lassen Sie mich hier auch zwei Beispiele benennen: Sie wollen „jegliche direkten und indirekten“ Formen der Beteiligung „unabhängig von ihrer Quantität oder Qualität“ als Angriffskrieg definieren und unter Strafe stellen. Nach Ihrer Vorstellung würde Deutschland einen Angriffskrieg auch dann führen, wenn ein anderer Staat diesen führt und dabei zum Beispiel eine nachrichtendienstliche Information aus Deutschland verwertet. Hier ließen sich viele weitere unsinnige Beispiele finden. So schlimm es auch ist, aber Krieg ist und bleibt ein organisierter und unter Einsatz erheblicher Mittel mit Waffen und Gewalt ausgetragener Konflikt und nichts anderes. Zum Ende Ihres Antrags haben mich die Kollegen der Linksfraktion noch einmal besonders amüsiert. Sie fordern die Bundesregierung auf, zu prüfen, welche Handlungen noch unter Strafe zu stellen wären, weil sie „geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“. Mir fiel dabei sofort das Jahr 1961 mit dem Mauerbau ein. Auch dieses Bauvorhaben störte das friedliche Zusammenleben der Völker, eigentlich nur eines Volkes, nämlich des unseren. Dieses Unrecht wurde erst 28 Jahre später beseitigt. Wir sind uns sicherlich alle einig, dass von deutschem Boden nie wieder ein Angriffskrieg ausgehen darf. Zwei Weltkriege und deren Folgen haben uns dies nachdrücklich gelehrt. Diesen Grundsatz haben wir in unserer Verfassung und unserem Einigungsvertrag festgeschrieben und im Strafgesetzbuch verankert. Durch völkerrechtliche Vereinbarungen haben wir diese Auffassung mehrfach untermauert. Das Handeln jeder deutschen Bundesregierung hat sich an diesem Grundsatz orientiert und wird es auch in Zukunft tun. Von daher haben wir alles, was wir zu diesem Thema brauchen, schon, und nicht erst, seit es die Linke gibt. Deutschland braucht diesen Schaufensterantrag nicht. Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Ende November hat der Bundestag einstimmig der im Juni 2010 in Kampala vereinbarten Änderung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zugestimmt. Damit haben die Mitgliedstaaten einen wichtigen Schritt getan, den Tatbestand der Aggression im Völkerstrafrecht tatsächlich strafbar zu machen. Leider haben immer noch nicht alle Staaten der Welt die Statuten des Internationalen Strafgerichtshofs unterzeichnet und ratifiziert. Und wann und ob die Ratifizierung der jüngsten Änderungen durch 30 der Unterzeichnerstaaten erfolgen wird, ist noch offen. Das heißt, frühestens 2017 werden die Änderungen in Kraft treten. Dies soll uns hier im Bundestag nicht davon abhalten, zumindest für Deutschland den nächsten Schritt zu gehen. Wir waren uns alle einig – sogar bis hin zur CDU/CSU –, dass Angriffskriege zu ächten sind und dass die Verantwortlichen für Angriffskriege zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Das ist schließlich auch ein Vermächtnis der deutschen Geschichte, der Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur und der Erfahrungen in den Nürnberger Prozessen. Unser Grundgesetz hat in Art. 26 Abs. 1 klare Vorgaben gemacht: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Willy Brandt – zumindest wird ihm das von vielen zugeschrieben – hat diese Überzeugung noch umfassender auf den Punkt gebracht: „Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen“. Das ist leider noch eine Utopie. Zumindest bezogen auf den Angriffskrieg könnte man jetzt Nägel mit Köpfen machen, und die jüngere Geschichte hat leider gezeigt, wie notwendig dies immer noch ist. Die NATO hatte 1999 ohne Mandat des UNSicherheitsrats Jugoslawien angegriffen. 2003 erfolgte mit passiver Unterstützung der Bundesregierung der Angriff der USA auf den Irak. Bislang nehmen wir hier in Deutschland eine Lücke hin: Im § 80 des Strafgesetzbuchs steht zwar immerhin, dass die Vorbereitung von Angriffskriegen verboten ist. Dort steht aber nicht, dass auch das Führen von Angriffskriegen von Deutschland aus verboten ist. Dabei handelt es sich nicht um Sophisterei, sondern um eine nüchterne Zusammenfassung. Das zeigt eine Episode aus dem Jahr 2006: In Reaktion auf eine Strafanzeige gegen Mitglieder der rot-grünen Bundesregierung wegen Beihilfe zum von den USA angeführten Angriffskrieg gegen den Irak 2003 teilte der damalige Generalbundesanwalt Nehm, also die oberste Strafverfolgungsbehörde in Deutschland, mit – ich zitiere aus seinem Schreiben vom 21. Januar 2006 –, dass „nur die Vorbereitung an einem Angriffskrieg und nicht der Angriffskrieg selbst strafbar“ sei, „sodass auch die Beteiligung an einem von anderen vorbereiteten Angriffskrieg nicht strafbar ist“. Demgegenüber hatte das Bundesverwaltungsgericht im Fall der Gehorsamsverweigerung eines Bundeswehrmajors im Urteil vom 21. Mai 2005 klargestellt, dass „wenn ein Angriffskrieg jedoch von Verfassung wegen bereits nicht ‚vorbereitet‘ werden darf, so darf er nach dem offenkundigen Sinn und Zweck der Regelung erst recht nicht geführt oder unterstützt werden“. Es besteht also immer noch eine Differenz zwischen der Auslegung des Art. 26 Grundgesetz und der entsprechenden Passage im Strafgesetzbuch. Es sollte eine Selbstverständlichkeit für uns alle sein, diese Lücke zu schließen. Aus diesem Grund bringen wir heute einen entsprechenden Antrag ein. Unser Ansatzpunkt ist klar: Erstens. Auch wenn die Vereinbarung von Kampala ein wichtiger Schritt war, sollte Grundlage für die strafrechtliche Ausformulierung in Deutschland die umfassende Angriffsdefinition sein, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1974 festgelegt worden ist. Sie beruht auf einer breiteren demokratischen Legitimationsbasis, und sie ermöglicht eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Definition des Angriffskriegs – was insbesondere im Zeitalter des „Kriegs gegen den Terrorismus“ und der „humanitären bewaffneten Interventionen“ dringend geboten scheint. Zweitens. Ist es wichtig, dass die strafrechtliche Verfolgung nicht auf die oberste Führungsebene beschränkt wird, sondern auch die unteren Ebenen zur Rechenschaft gezogen werden können. Das entspricht dem Leitbild des mündigen Staatsbürgers in Uniform und den Vorgaben der §§ 10 und 11 des Soldatengesetzes zu Pflicht, Recht und Gehorsam. Lassen Sie uns in den Ausschüssen gemeinsam und konstruktiv darüber beraten. Eine positive Einigung würde dem Bundestag gut anstehen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Nacht zum 12. Juni 2010 haben die damals 111 Mitgliedstaaten des Römischen Statuts bei einer Konferenz in Ugandas Hauptstadt Kampala vereinbart, dass der Internationale Strafgerichtshof, IStGH, künftig auch über das Verbrechen des Angriffskrieges urteilen soll. Zu diesem Zwecke fügten sie einen neuen Art. 8 bis in das Römische Statut des IStGH ein. Demnach können der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die Vertragsstaaten des Römischen Statuts sowie die Chefanklägerin in Zukunft Ermittlungen wegen Aggressionsverbrechen einleiten. Nun müssen Präsidenten oder Armeeführer damit rechnen, wegen völkerrechtswidriger Invasionen, Bombardements oder Blockaden anderer Länder persönlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Dies ist grade für uns Deutsche ein wesentlicher Meilenstein in der völkerrechtlichen Entwicklung. Es geht beim Verbrechen der Aggression um nicht weniger als um das Erbe der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Wir Grüne hatten die deutsche Delegation in Kampala durch einen Antrag unterstützt, Bundestagsdrucksache 17/1767. Im Nachhinein ist es umso bedauerlicher und unverständlicher, dass sowohl die schwarz-gelbe Koalition als auch die SPD diesen Antrag einst abgelehnt haben. Der in Kampala gefundene Kompromiss ist nicht perfekt. Darüber, dass wir Grünen und vermutlich auch die Bundesregierung sich ein noch schöneres Ergebnis gewünscht hätten, brauchen wir uns jedoch nicht lange zu unterhalten. In erster Linie sollten wir uns über den in Kampala erzielten Durchbruch freuen – Minimalkonsens hin oder her. Der Sinn der neuen Einigung besteht vor allem darin, eine gefährliche Lücke im Recht der Staatenwelt zu schließen. Zwar können bislang Verbrechen innerhalb des Kriegs verfolgt werden, auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Nur beim Angriffskrieg selbst war das bisher nicht möglich. Dabei gilt er seit den Nürnberger Prozessen gegen die NS-Führung als „das schwerste internationale Verbrechen“. Es war ein gutes Zeichen und der herausragenden Wichtigkeit des Themas angemessen, dass der Bundestag das Gesetz zur Ratifizierung der in Kampala getroffenen Beschlüsse, also zur Umsetzung der Straftat des Aggressionsverbrechens in deutsches Recht, einstimmig zugestimmt hat. Die große Aufgabe, die in naher Zukunft zu bewältigen sein wird, ist die Implementierung des Tatbestands des Aggressionsverbrechens in die deutsche Rechtsordnung. Für die Umsetzung des Art. 8 bis des Römischen Statuts ins deutsche Recht gibt es verschiedene denkbare Varianten. Auf einem Symposium im Bundesministerium für Justiz im Frühjahr dieses Jahres wurden diese Möglichkeiten von den eingeladenen Sachverständigen aus der Wissenschaft und der Praxis diskutiert. Gerade die Vielzahl der Möglichkeiten eröffnen ein spannendes, wenngleich auch schwieriges Betätigungsfeld bei der Ausgestaltung des Aggressionsverbrechens im deutschen Recht. Die vermeintlich einfachste, zugleich aber auch unambitionierteste Möglichkeit ist wohl, keine Änderungen im deutschen Recht vorzunehmen und mit dem bestehenden § 80 StGB weiter zu operieren. Die Materialien zu Art. 8 bis des Römischen Statuts könnten dann als reine Auslegungshilfe herangezogen werden. Dafür spricht, dass es keine völkerrechtliche Pflicht gibt, das Verbrechen der Aggression ins deutsche Recht zu implementieren. Gegen diese Variante ist jedoch einzuwenden, dass die Bundesrepublik ihrer Vorreiterrolle im Völkerstrafrecht, die sie in Kampala erneut unter Beweis gestellt hat, und auch ihrer historischen Verpflichtung nur unzureichend Rechnung tragen würde. Die zweite genau gegensätzliche Lösung wäre wohl, Art. 8 bis des Römischen Statuts vollumfänglich in einer ins Deutsche übersetzten Form im deutschen Recht abzubilden. Hier stellt sich jedoch die Frage des Bestimmtheitsgrundsatzes im deutschen Recht, im Strafrecht zumal. Dem wird Art. 8 bis nicht gerecht. Insbesondere die soeben dargestellte Entstehungsgeschichte des Kompromisses zum Tatbestand des Agressionsverbrechens hatte es erforderlich gemacht, auf Formulierungen zurückzugreifen, die wohl erst im Zuge der Rechtsauslegung und -anwendung näher definiert werden, ein Umstand zwar, der in vielen nationalen Gesetzgebungsverfahren ebenfalls vorkommt. Dort aber wird im Regelfall mit bereits bekannten Rechtsbegriffen jongliert, die die Verfassungsmäßigkeit zumindest in der Regel nicht überstrapazieren. So bleibt als dritte Möglichkeit wohl nur ein Mittelweg. Aufbauend auf § 80 StGB müsste Art. 8 bis des Römischen Statuts in modifizierter Form ins deutsche Recht übernommen werden, wenn auch nicht unbedingt im StGB. § 80 StGB ist anerkannt verfassungsgemäß und hinreichend bestimmt, auch im Hinblick auf die Definition des Tatbestandsmerkmals des Angriffskrieges. Natürlich müsste die Norm jedoch verändert werden. Zum einen im Hinblick auf den Täterkreis; denn klar ist, dass das Aggressionsverbrechen im Römischen Statut ein Führungsdelikt, nach deutscher Wertung also ein absolutes Sonderdelikt darstellt. Insbesondere aber ist die Klärung der Frage notwendig, ob der Bezug zu Deutschland in der Norm erhalten bleiben solle. Ob der Bezug zu Deutschland, wie ihn derzeit § 80 StGB vorsieht, aufrechterhalten bleiben oder zugunsten eines echten Weltrechtsprinzips aufgehoben werden soll, ist eine der beiden schwierigsten Fragen bei der Implementierung des Verbrechens der Aggression in die deutsche Rechtsordnung. Der Ständige Internationale Gerichtshof hatte im Jahr 1927 im Lotus-Fall geurteilt, dass die Ausdehnung nationaler Strafgerichtsbarkeit nur dann unzulässig sei, wenn ein ausdrückliches völkerrechtliches Verbot nachweisbar wäre. Dieses wegweisende Urteil hat das Weltrechtsprinzip begründet und gilt bis heute. Diese Lotus-Entscheidung konsequent umzusetzen, hieße, den Deutschland-Bezug aus dem neu zu schaffenden Tatbestand zu streichen. Damit infolgedessen jedoch nicht wegen jeder weltweiten Aggression vor deutschen Gerichten verhandelt werden müsste, wäre jedoch eine strafprozessuale Einschränkung über § 153 f. StPO zwingend erforderlich. Wir müssen uns daher fragen, ob wir so eine weite Regelung im materiellen Strafrecht tatsächlich haben möchten, ob es wirklich sinnvoll wäre, den Anschein eines weltweit für alle Aggressionsverbrechen zuständigen materiellen Strafrechts zu erwecken, wenn doch klar ist, dass die Ermittlungsbehörden und auch die Gerichte in der Vielzahl dieser Fälle an ihre Grenzen stoßen würden. Die große Mehrzahl der Strafanzeigen nach einem neuen, auf dem Weltrechtsprinzip basierenden Tatbestand des Aggressionsverbrechens würde aufgrund berechtigter strafprozessualer Erwägungen eingestellt. Dies würde in erster Linie Enttäuschung hervorrufen und das Bestreben um eine Stärkung des Völkerstrafrechts vermutlich eher behindern als fördern. Es ist daher notwendig, den neuen Tatbestand realistisch und auch pragmatisch zu fassen. Der Bezug zur Bundesrepublik Deutschland – ähnlich wie er derzeit in § 80 StGB steht – sollte daher nicht pauschal aufgegeben werden. Denn neben dem Argument, dass die mögliche Überfrachtung der Gerichte und Ermittlungsbehörden Enttäuschung produzieren würde, stellt sich zusätzlich die Frage, ob ein Weltrechtsprinzip im Falle der Aggression völkerrechtlich überhaupt möglich wäre. Im Gegensatz zu anderen Völkerrechtsverbrechen gibt es im Hinblick auf die Aggression keine diesbezügliche Staatenpraxis. Mit diesem Argument das Weltrechtsprinzip beim Aggressionsverbrechen aber nun abzulehnen, wäre zu vorschnell. Jede Form des Völkergewohnheitsrechts nimmt aus irgendeinem Anlass und durch irgendeine Norm ihren Anfang. Das Völkerstrafrecht weiter voranbringen zu wollen, hieße also bei der Umsetzung des Aggressionsverbrechens ins deutsche Recht, nicht gänzlich auf einen weltrechtlichen Anspruch zu verzichten. Zumal andernfalls eine nicht zu erklärende Ungleichbehandlung zwischen den einzelnen Völkerrechtsverbrechen die Folge wäre. Eine vermittelnde Lösung wäre also auch hier angebracht. Nicht alle Aggressionsverbrechen sind per se vom Weltrechtsprinzip erfasst. Nichtstaatliche Akteure schließt beispielsweise auch Art. 8 bis des Römischen Statuts aus. Zwar muss bei der Fassung des Tatbestandes der Gefahr entgegengewirkt werden, dass Angriffskriege in zwei Kategorien unterteilt würden; in solche, die von deutschen Behörden verfolgt oder nicht verfolgt werden. Doch dies kann durch eine geschickte, sich am Sinn und Zweck der Norm orientierende Formulierung des Tatbestandes und der Tathandlung vermieden werden. Dies leitet zu der zweiten aus meiner Sicht wesentlichen Frage bei der Implementierung des Verbrechens der Aggression in die deutsche Rechtsordnung über; der Frage nach der Definition des Angriffskrieges. Es erscheint charmant, die Definition aus Art. 8 bis Abs. 2 des Römischen Statuts zu übernehmen. Dies hieße jedoch zum einen, sich erneut an bislang im deutschen Recht undefinierte Rechtsbegriffe heranwagen zu müssen – mit allen Schwierigkeiten im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot und die Verfassungsmäßigkeit – und zum anderen, den in Art. 8 bis enthaltenen Verweis auf die Resolution 3314 (XXIX) der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu übernehmen. Zu Recht wird der in Kampala gefundene Kompromiss für den Tatbestand des Aggressionsverbrechens für diesen Verweis kritisiert. Denn die Bezugnahme auf die Resolution 3314 (XXIX) kontaminiert den Aggressionsbegriff mit politischen Erwägungen der Sicherheitsratsmitglieder. Im deutschen Strafrecht wäre es ein einmaliger Fremdkörper, würde die Einschätzung des UN-Sicherheitsrates zur Tatbestandsvoraussetzung einer strafbaren Handlung. Zur Lösung dieses Problems böte es sich an, die Angriffshandlung im deutschen Recht gesondert und ohne eine Bezugnahme auf die Resolution zu definieren. Art. 3 der Resolution könnte hierfür aus seinem Kontext herausgehoben und verwendet werden. Er ist progressiv und wird international besonders von den kleineren Staaten begrüßt. Auch angesichts anderer Probleme bietet es sich aus meiner Sicht nicht an, die Definition aus Art. 8 bis Abs. 2 des Römischen Statuts einfach zu übernehmen. Etwa die aus unserer Sicht unscharf formulierte Tathandlung der „Anwendung von Waffengewalt“. Oder den Buchstaben f, der Handlungen unter Strafe stellt, durch die ein Staat erlaubt, dass sein Hoheitsgebiet mit Erlaubnis von einem anderen Staat dazu genutzt wird, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen. Die Flugbasen der USA in der Bundesrepublik sind hierfür ein klassisches Beispiel. Wann immer ein von den USA geführter Krieg, bei dem in Deutschland stationierte amerikanische Soldaten eingreifen, mit dem Vorwurf der Aggression belegt wird, würden vermutlich sogleich zahlreiche Strafanzeigen gegen deutsche Verantwortliche eingehen, die die Stationierung US-amerikanischer Truppen gestatten, und zwar unabhängig von der Frage, ob der Bezug zu Deutschland im Aggressionsverbrechen aufrechterhalten bleibt oder nicht. Angesichts dieser und vermutlich noch vieler weiterer Fallstricke sollte sich der Gesetzgeber daher die Mühe machen, den Angriffskrieg selber zu definieren. Unbenommen davon bleibt ja die Möglichkeit, in der Begründung des Gesetzentwurfes darauf zu verweisen, dass Art. 8 bis des Römischen Statuts zur weiteren Auslegung des Begriffs herangezogen werden soll. Der Antrag der Linken hat eine zu verengte Sichtweise auf die möglichen Lösungsansätze. Er beschränkt sich darauf, § 80 StGB verändern zu wollen. Angesichts der bereits angesprochenen Vorreiterrolle, die die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahrzehnten im Völkerstrafrecht eingenommen hat und auch weiterhin einnehmen sollte, bin ich der Meinung, dass eine Platzierung des neuen Tatbestandes des Aggressionsverbrechens im StGB unzureichend wäre. Anstatt § 80 StGB neu zu fassen, sollte eine neue Norm im Völkerstrafgesetzbuch geschaffen werden. Nur so könnte Deutschland eine international mustergültige Regelung schaffen. Die Bundesrepublik würde hierdurch ihren Willen sichtbar bekräftigen, das Aggressionsverbrechen zu ächten. Denn bei aller notwendigen Begrenzung des Weltrechtsprinzips und bei allem verständlichen Wunsch, die deutschen Gerichte nicht zu überfrachten, müssen wir doch auch zugleich die Stärkung des IStGH als Institution im Blick behalten. Es hilft dem Gerichtshof nicht, wenn wir verhältnismäßig unambitionierte nationale Normen kreieren, die die wesentlichen Problemfälle dann auf den IStGH verlagern. Der IStGH ist ein Gericht nur für jenen Notfall, in dem die nationalen Gerichte und Rechtsordnungen versagen. Daher plädiere ich für eine mutige Lösung und die Schaffung eines neuen Tatbestandes im VStGB. Ein Beharren auf § 80 StGB in einer modifizierten Form, wie es die Linke in ihrem Antrag vorschlägt, wäre der Größe des Projektes nicht angemessen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11698 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Tagesordnungspunkt 40: Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Das System der Verwertungsgesellschaften grundlegend modernisieren – Drucksache 17/11043 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Kultur und Medien Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Der Antrag der Fraktion Die Linke, den wir heute beraten, ist mit der Überschrift „Das System der Verwertungsgesellschaften grundlegend modernisieren“ überschrieben. Das klingt geradezu charmant und erweckt den Eindruck, die Fraktion Die Linke wolle der kollektiven Rechtewahrnehmung in Deutschland nur Gutes. Angesichts ihrer Geschichte möchte man der Fraktion Die Linke auch geradezu zugutehalten, dass sie es mit Kollektiven besonders gut meint. Das ist aber mitnichten so. Wer sich mit dem Inhalt des Antrags näher befasst, der kommt eindeutig zu der Auffassung, dass die Überschrift besser gelautet hätte: Das System der Verwertungsgesellschaften grundlegend auf den Prüfstand stellen. Offensichtlich hat es sich die Fraktion Die Linke zum Ziel gesetzt, das Prinzip der kollektiven Rechtewahrnehmung Schritt für Schritt auszuhöhlen und preiszugeben. Aus Sicht unserer Fraktion wäre dies aber ein langfristig verhängnisvoller Weg – für Urheber ebenso wie für Verbraucher, um einmal einen etwas anderen Begriff als „Nutzer“ zu wählen. Denn auch darum geht es bei der kollektiven Rechtewahrnehmung: um den Verbraucherschutz. Aber natürlich war es zu erwarten, dass die Fraktion Die Linke dem durch die Diskussion um die aktuelle GEMA-Tarifreform ausgelösten populistischen Drang nicht würde widerstehen können. Also musste ein Antrag her, der möglichst undifferenziert zusammenträgt, was man so gegen Verwertungsgesellschaften vorbringen könnte. Voilà, ein solcher liegt vor. Um sich die Mühen der Ebene zu sparen, wird auch nicht ein konkreter Regelungsvorschlag eingebracht – damit würde vermutlich offensichtlich, dass es im Detail alles etwas komplizierter ist, als uns die Fraktion Die Linke suggerieren möchte –, sondern nur in möglichst unkonkreten Forderungen wolkig das eine oder andere von der Bundesregierung gefordert. Seriöse Politik sieht anders aus. Wir werden den Antrag der Fraktion Die Linke daher auch ablehnen. Zunächst einmal steht für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fest, dass sich das System der kollektiven Rechtewahrnehmung in Deutschland bewährt hat und wir daran auf jeden Fall festhalten sollten. Verwertungsgesellschaften sind ein unverzichtbarer und integraler Bestandteil eines modernen funktionierenden Urheberrechtssystems, in dem geistiges Eigentum geschützt wird und zum Schutz des Urhebers und des Nutzers rechtmäßig geordnet verwertet werden kann und darf. Ohne Verwertungsgesellschaften wäre es einerseits den Urhebern nicht möglich, ihre urheberrechtlichen Ansprüche gegenüber jedem Nutzer aufgrund ihrer großen Zahl durchsetzen zu können. Andererseits wäre es Werknutzern praktisch nicht möglich, alle betroffenen Urheber bei einer Nutzung zu vergüten, sodass ständig das Risiko einer Inanspruchnahme im Einzelnen bestünde. Die kollektive Rechtewahrnehmung dient damit also nicht nur den berechtigten Interessen der Urheber; sie ist im Kern auch praktizierter Verbraucherschutz: Mit einer Lizenzierung durch die jeweilige Verwertungsgesellschaft werden die entsprechenden Rechte samt und sonders eingeräumt. Durch die Digitalisierung ist die Urheberrechtswelt ohne Zweifel ohnehin schon komplizierter geworden. Heute haben viel mehr Menschen unmittelbar Berührung mit urheberrechtlich relevanten Sachverhalten. Das empfinden wir bereits jetzt als unübersichtlich. Wie unübersichtlich mag es erst dann sein, wenn wir das System der kollektiven Rechtewahrnehmung schleifen würden? Das jedenfalls ist nicht das Ziel der Politik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das bedeutet nicht, dass es im System der Verwertungsgesellschaften Optimierungs- und Veränderungspotenzial gibt. Die unterschiedlichen Verwertungsgesellschaften haben eine unterschiedliche historische Genese und haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten unterschiedlich entwickelt. Teilweise stammen sie aus Zeiten weit vor Einführung des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes. Das muss man einerseits respektieren. Andererseits sind aufgrund der faktischen Monopolstellung der Verwertungsgesellschaften besondere Anforderungen an Transparenz und Binnenstruktur zu stellen. Aber hierzu ist auch festzuhalten, dass sich in diesen Bereichen – nicht zuletzt durch die Feststellungen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ – eine Menge getan hat und Veränderungs- und Weiterentwicklungsprozesse in Gang gesetzt sind. Wir sollten uns aber davor hüten, die aktuelle Diskussion um einen Gesamtvertrag einer Verwertungsgesellschaft zum Anlass zu nehmen, das gesamte System und viele Verwertungsgesellschaften infrage zu stellen. Wir sollten insbesondere nicht außer Acht lassen, dass die Verwertungsgesellschaften zumeist als Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder Vereine bürgerlichen Rechts organisiert sind. Dementsprechend muss es ihnen auch grundsätzlich gestattet sein, die durch das Zivilrecht eingeräumte Organisationsfreiheit in ihrem Sinne zu nutzen. Verwertungsgesellschaften sind keine staatlichen Zwangseinrichtungen. Auch das ist für uns als CDU/CSU-Fraktion von grundlegender Bedeutung. Dementsprechend brauchen wir einerseits eine starke Aufsicht durch das Deutsche Patent- und Markenamt. Das ist eine Forderung, die auch wir vertreten. Aber andererseits kann es nicht sein, dass wir eine Aufsicht mit praktisch unbegrenzten staatlichen Eingriffsbefugnissen etablieren. Kern des Systems der kollektiven Rechtewahrnehmung ist und bleibt der Abschluss von Verträgen, so wie es in unserer Marktwirtschaft üblich ist. Das muss das Ziel bei jeglichen Reformansätzen sein: dafür zu sorgen, dass die Vereinbarung von Gesamtverträgen gestärkt wird. Schließlich: Auf der Ebene der Europäischen Union beginnt derzeit die Diskussion um eine Richtlinie zur kollektiven Rechtewahrnehmung. Die EU will das Recht der Verwertungsgesellschaft europäisch harmonisieren. Das wird zwangsläufig Auswirkungen auf das deutsche System der Verwertungsgesellschaften haben. Noch ist nicht absehbar, wohin genau dabei die Reise geht. Interessanterweise zeigt sich, dass etwa im Bereich der Aufsicht Deutschland im europäischen Vergleich vergleichsweise stark ist. Sofern wir aufgrund der europäischen Entwicklung also hinter unseren deutschen Standards zurückbleiben sollten, wäre das – wieder sowohl aus Urheber- als auch aus Werk-nutzersicht – ein kritischer Weg. Wir sollten uns also daher vorrangig darauf konzentrieren, die europäische Entwicklung genau zu beobachten, und den Versuch unternehmen, dort möglichst viel Einfluss zu nehmen. Populistische Schauanträge wie der von der Fraktion Die Linke helfen da nicht weiter. Wir werden den Antrag der Fraktion Die Linke daher ablehnen. Burkhard Lischka (SPD): Die öffentliche Diskussion um die Rolle der Verwertungsgesellschaften in Deutschland kommt nicht zur Ruhe. Beispielhaft für den auch im vorliegenden Antrag reklamierten Reformbedarf stehen die Auseinandersetzungen um die Tariferhöhungen der GEMA für Musikveranstaltungen und der VG Wort für die sogenannte Betreiberabgabe. Die Debatte wird heftig und emotional geführt; dem Bundestag liegt eine Vielzahl von Petitionen zum Thema Verwertungsgesellschaft vor. Auch die Existenzberechtigung von Verwertungsgesellschaften bisheriger Prägung wird infrage gestellt. Diese Kritik zeigt, dass es richtig ist, die Debatte jetzt auch im Parlament zu führen. Die SPD begrüßt das ausdrücklich. Gefordert werden eine umfassende Reform der Verwertungsgesellschaften und mehr staatliche Regulierung. Einige der in diesem Zusammenhang erhobenen Forderungen hat die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ schon 2007 als Handlungsempfehlungen an den Gesetzgeber formuliert. Ich will drei Punkte herausgreifen. Ein zentraler Kritikpunkt ist die undemokratische Organisation vieler Verwertungsgesellschaften, die, so die Kritiker, mit Intransparenz und mangelnder Verteilungsgerechtigkeit einhergehe. Hier lässt sich in der Tat manches verbessern, zum Beispiel die Repräsentanz der außerordentlichen und angeschlossenen Mitglieder der GEMA und deren Einfluss auf die Entscheidungsprozesse der Mitgliederversammlung über die Aufstellung von Verteilungsplänen etc. Ein zweiter Aspekt betrifft die durch den Bundesgerichtshof entwickelte GEMA-Vermutung und die Frage, ob wir diese heute noch benötigen. Es gibt zunehmend Genres, in denen die Rechte nicht mehr durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden. Stattdessen werden die Werke unter freien Lizenzen aufgeführt. In diesen Fällen zwingt die GEMA-Vermutung dazu, in jedem Einzelfall nachzuweisen, dass das Werk nicht zu dem von der GEMA verwalteten Repertoire gehört. Die Vermutung entfallen zu lassen, hieße aber, der GEMA den Nachweis aufzuerlegen, dass GEMA-pflichtiges Repertoire gespielt worden ist. Der Verwaltungsaufwand würde damit stark steigen und der Gewinn der von der GEMA vertretenen Künstler sinken. Einer einfachen Abwicklung im Sinne der Künstler würde dies zuwiderlaufen. Und abschließend zu der Frage, ob die Staatsaufsicht den an sie gestellten Anforderungen gerecht wird. Ich meine grundsätzlich: Ja. Gleichwohl sind wir der Ansicht, dass weitere Möglichkeiten zur Intensivierung der Aufsicht geprüft werden sollten. Ob die Aufsicht besser bei einer Regulierungsbehörde des Bundes aufgehoben wäre, erscheint allerdings fraglich. Die Aufsicht ist beim Deutschen Patent- und Markenamt grundsätzlich richtig angesiedelt; die Mitarbeiter verfügen über den notwendigen Sachverstand, und den Beteiligten entstehen durch die Aufsicht des Deutschen Patent- und Markenamts bislang keine Kosten. Im Falle der Ansiedlung der Aufsicht bei einer Regulierungsbehörde des Bundes müssten die Beteiligten Verfahrenskosten tragen, die letztlich aus dem Vergütungsaufkommen zu zahlen wären und das für die Urheber verfügbare Aufkommen reduzierten. Eine Stärkung der Aufsicht über die Verwertungsgesellschaften ist jedoch zu befürworten. Diese könnte durch eine Verstärkung des Personalbestands im Deutschen Patent- und Markenamt erreicht werden. Stephan Thomae (FDP): Das Urheberrecht hat uns in dieser Legislaturperiode schon mehrfach beschäftigt und wird uns auch in den kommenden Jahren und Legislaturperioden immer weiter beschäftigen. Dabei handelt es sich um ein Rechtsgebiet, in dem immer wieder überprüft werden muss, ob das bestehende Recht dem neuesten Stand der Technik und den daraus resultierenden Möglichkeiten für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke noch gerecht wird. Dies gilt auch für den Bereich des Urheberrechts, mit dem wir uns heute befassen, das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz. Dieses regelt, nach welchen Vorschriften Verwertungsgesellschaften die ihnen von Urhebern übertragenen Rechte verwerten und wahrnehmen dürfen. Die Linke vertritt in ihrem Antrag auf Bundestagsdrucksache 17/11043 die Ansicht, das System der Verwertungsgesellschaften sei grundlegend modernisierungsbedürftig. Lassen Sie mich nun erläutern, warum ich diese apodiktische Einschätzung nicht teile. Erstens. Die Linke fordert unter anderem, dass Verwertungsgesellschaften über eine Reform des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes grundlegende demokratische Binnenstrukturen verpflichtend vorzuschreiben seien. Sie kritisiert, dass Verwertungsgesellschaften zum Teil zwischen ordentlichen, außerordentlichen und angeschlossenen Mitgliedern differenzieren und diesen unterschiedliche Stimmrechte bei internen Abstimmungen einräumen. Eine solche Vorgehensweise entspräche „in Logik und Demokratieauslassung den Bedingungen des Dreiklassenwahlrechts in Preußen“, was überkommen und undemokratisch sei. Dieser Vergleich hinkt allerdings erheblich. Beim Wahlrecht geht es um Rechte, die dem Einzelnen durch das Grundgesetz vom Staat zugesprochen werden. Hier darf es keine Differenzierung bei der Wertigkeit von Stimmen geben. Eine Verwertungsgesellschaft ist aber keine staatliche Institution. Kein Urheber wird verpflichtet, sich einer Verwertungsgesellschaft anzuschließen. Diese sind nach § 6 Abs. 1 UrhWahrnG verpflichtet, Rechte und Ansprüche der Berechtigten auf deren Verlangen zu angemessenen Bedingungen wahrzunehmen. Hält der einzelne Urheber die Bedingungen, die ihm von einer Verwertungsgesellschaft angeboten werden, für nicht angemessen, steht es ihm frei, kein Mitglied der Verwertungsgesellschaft zu werden und seine Rechte selber zu verwerten. Diese Möglichkeit wird in Zeiten des Internet auch immer häufiger genutzt. Zweitens. In diesem Zusammenhang kritisiert die Linke auch pauschal, dass 3 414 ordentliche Mitglieder der GEMA zwei Drittel der Ausschüttungen erhielten, während bei den 61 364 außerordentlichen und angeschlossenen Mitgliedern der GEMA lediglich ein Drittel der Ausschüttungen ankäme. Dies sei durch den fehlenden Einfluss der außerordentlichen und angeschlossenen Mitglieder auf Fragen über Tarife und Verteilung zu erklären. Allerdings verschweigt die Linke, dass die von ihr beschriebenen Unterschiede bei der Ausschüttung von Einnahmen nur dann problematisch wären, wenn ihnen nicht entsprechende Verhältnisse bei den Einnahmen gegenüberständen. Die Praxis der GEMA wäre nur dann zu kritisieren, wenn den ordentlichen Mitgliedern Einnahmen zuflössen, die sie gar nicht generiert haben. Entsprechende Belege liefert die Linke aber nicht. Wenn aber eine kleine Gruppe von Mitgliedern für zwei Drittel der Einnahmen einer Verwertungsgesellschaft verantwortlich ist, so ist es aus liberaler Sicht nicht zu beanstanden, wenn diese kleine Gruppe auch entsprechend an der Ausschüttung der Einnahmen beteiligt wird. Darüber hinaus ist es den Verwertungsgesellschaften bereits jetzt durch § 7 Satz 1 UrhWahrnG untersagt, bei der Verteilung der Einnahmen willkürlich vorzugehen. Drittens. Die Linke fordert weiter, der staatlichen Aufsicht über Verwertungsgesellschaften sei verbindlich vorzuschreiben, sich nicht auf Evidenzkontrollen zu beschränken, sondern auch im Einzelfall zu kontrollieren, dass die Verwertungsgesellschaften ihren gesetzlichen Verpflichtungen ordnungsgemäß nachkommen. Die Aufsichtsbehörde soll die Höhe von Vergütungsforderungen noch vor Aufstellung und Veröffentlichung der Tarife im Bundesanzeiger überprüfen müssen. Genau dies ist aber vom Gesetzgeber nicht gewollt. Die Tarife sollen zwischen den Verwertungsgesellschaften und den Nutzervereinigungen ausgehandelt werden. Der Staat soll sich in diesen Prozess grundsätzlich nicht einmischen. Würde die Aufsichtsbehörde die Tarife schon im Vorfeld überprüfen, käme dies der Situation gleich, dass der Staat die Tarife vorschreibt. Dies kann aber aus liberaler Sicht nicht gewollt sein. Vielmehr obliegt es den Marktteilnehmern, sich auf angemessene Tarife zu verständigen. Nur wenn eine Einigung zwischen den Parteien nicht möglich ist, kann die Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt, DPMA, angerufen werden. Viertens. Die Linke setzt sich dafür ein, dass die Verwertungsgesellschaften sowie ihre Tochtergesellschaften und Zusammenschlüsse dazu verpflichtet werden sollen, die einzelnen Rechteinhaber mindestens einmal jährlich in elektronischer Form über an sie entrichtete Beiträge und mögliche Abzüge zu informieren. Hier stellt sich die Frage, ob den Rechteinhabern mit dieser Forderung im Ergebnis nicht Steine statt Brot gegeben werden. Denn diese Informationspflicht wäre zwangsläufig mit Kosten verbunden. Diese Kosten könnten die Verwertungsgesellschaften aber nur aus den Einnahmen bestreiten, die sie an die Rechteinhaber weitergeben wollen. Letztlich würde die Forderung der Linken also dazu führen, dass die Rechteinhaber weniger verdienen. Fünftens. Die Linke will, dass im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz verbindlich festgeschrieben wird, dass die Möglichkeit, Rechte für nichtgewerbliche Zwecke selbst wahrzunehmen, durch die Verwertungsgesellschaften nicht ausgeschlossen werden darf. Eine solche Regelung würde einen Eingriff in die Vertragsautonomie darstellen. Der Urheber wird nicht gezwungen, Mitglied einer Verwertungsgesellschaft zu werden. Wenn er für sich bessere Chancen sieht, indem er seine Werke selber vermarktet, steht es ihm frei, diesen Schritt zu gehen und auf eine Mitgliedschaft in der Verwertungsgesellschaft zu verzichten. Will er aber die Dienste einer Verwertungsgesellschaft in Anspruch nehmen, muss er sich auch mit dieser über die Bedingungen, unter denen die Verwertungsgesellschaft seine Rechte wahrnehmen soll, in Vertragsverhandlungen verständigen. Es ist nicht Aufgabe der Politik, in dieses Verhältnis grundlos einzugreifen. Sechstens. Abschließend will die Linke im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz festschreiben, dass eine regelmäßige und unabhängige Überprüfung der wahrgenommenen Repertoires einzelner Verwertungsgesellschaften vorgenommen wird. Dadurch soll die Berechtigung der GEMA-Vermutung überprüft werden. Allerdings ist auch hier ein gesetzgeberisches Handeln nicht erforderlich. Die GEMA-Vermutung wurde von der Rechtsprechung entwickelt. Wer als Musikveranstalter GEMA-freie Musik verwendet, kann der GEMA anhand von Listen nachweisen, dass er für seine Veranstaltung keine oder nur begrenzt Abgaben entrichten muss. Die GEMA-Vermutung erleichtert es letztlich, den Urhebern die ihnen zustehende angemessene Vergütung zukommen zu lassen. Dies sollte nicht pauschal zugunsten von Musikveranstaltern, die ja ihr Geschäft nur mit den Inhalten der Urheber betreiben können, aufgeweicht werden. Aus den genannten Gründen wird die FDP-Bundestagsfraktion den Antrag der Linken ablehnen. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Vor genau einer Woche ereilte uns eine gute Nachricht: Die GEMA verkündete, die geplante Tariferhöhung aufzuschieben. Das zeigt: Die zahlreichen Proteste haben gewirkt. Nun ist es am Marken- und Patentamt, eine Lösung zu finden, mit der alle Seiten zufrieden sind. Ich hoffe, dass dies gelingt. Denn eine angemessene Vergütung von Urheberinnen und Urhebern ist genauso wichtig wie ein Entlohnungsmodell, das der realen, nicht einer angenommenen Nutzung entspricht. Ich wünsche der Schiedsstelle viel Erfolg bei diesem Vorhaben! Doch heute soll es nicht nur um die GEMA gehen. Auch nicht um den Konflikt um die neuen GEMA-Tarife. Denn dieser ist allenfalls ein Symptom für die Probleme, an denen die Verwertungsgesellschaften generell kranken. Es geht um Mitbestimmung. Es geht um Transparenz. Es geht um faire Verteilung von Geldern. All dies ist im bisherigen System der Verwertungsgesellschaften nicht ausreichend gewährleistet. Ich gehe sogar so weit, zu sagen: All dies ist im Rahmen des bisherigen Systems gar nicht möglich. Dass in der GEMA nur die finanziell erfolgreichen Musikproduzentinnen und -produzenten über die Verteilung der Gelder bestimmen, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, genauso wie die Tatsache, dass deshalb genau diese Musikproduzentinnen und -produzenten einen Großteil der verteilten Gelder erhalten. Weniger bekannt dürfte sein, dass ähnliche Methoden auch in anderen Verwertungsgesellschaften gang und gäbe sind, zum Beispiel in der Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten, VFF. So stellte Professor Dr. Thomas Hoeren in einer Stellungnahme für die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ fest, dass faktisch mehr als 90 Prozent der Mitglieder der VFF von der Mitwirkung ausgeschlossen sind. Bestimmen dürfen nur die Fernsehsender und großen Produktionsfirmen. Wie sich das auf die Erlösverteilung auswirkt, brauche ich Ihnen sicher nicht zu sagen. Es sind zumindest nicht die kleinen Produktionsfirmen, die davon profitieren. Dies zeigt, dass das bisherige System der Verwertungsgesellschaften seine eigentliche Aufgabe nicht erfüllt. Anstatt die tatsächlichen Urheberinnen und Urheber angemessen zu entlohnen, sorgt es dafür, dass diejenigen, die eh schon das große Geld verdienen, nur noch weiter abkassieren. Urheberinnen und Urheber, die kaum in der Lage sind, mit ihren eigenen Werken ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, gehen leer aus. Damit sich das auch ja nicht ändert, sorgen die meisten Verwertungsgesellschaften dafür, dass nur jene, die mit ihren Werken viel Geld verdienen, auch darüber bestimmen dürfen, was mit dem Geld passiert, das die Verwertungsgesellschaft verteilen soll. Das alles erinnert an das Dreiklassenwahlrecht in Preußen. Wer das Geld hat, darf wählen, wer kein Geld hat, halt nicht. Ich lehne mich einmal sehr weit aus dem Fenster und behaupte, dass niemand hier auf die Idee käme, ein solches Wahlrecht in Deutschland wieder einzuführen. Und ich frage mich, warum wir so etwas dann bei Verwertungsgesellschaften akzeptieren sollten. Die Linke akzeptiert das nicht und findet, es ist an der Zeit, das System der Verwertungsgesellschaften grundlegend zu reformieren. Wir haben deshalb einen Antrag eingebracht, der konkrete Vorschläge für eine solche Reform unterbreitet. Wir fordern, dass eine Regulierungsbehörde gebildet wird, die Tarife vor deren Inkrafttreten überprüft und billigt und darüber hinaus kontrolliert, dass Ausschüttungen den tatsächlichen Rechteinhaberinnen und Rechteinhabern zugewiesen werden. Damit würde die Monopolstellung des Systems Verwertungsgesellschaften aufgebrochen, die seltsame Blüten treibt. Wir fordern, dass Verwertungsgesellschaften erst dann als solche anerkannt werden, wenn sie demokratische Strukturen vorweisen können und sicherstellen, dass alle Mitglieder gleichermaßen mitbestimmen dürfen. Dass dies funktioniert und nicht, wie gerne behauptet, bei großen Verwertungsgesellschaften zu Handlungsunfähigkeit führt, zeigt die VG Bild-Kunst, die jedem ihrer knapp 51 000 Mitglieder gleiches Stimmrecht einräumt. Wir fordern, dass Minderheitenrechte gewahrt werden. Sobald mindestens 10 Prozent der Mitglieder dies fordern, soll die Regulierungsbehörde kontrollieren, ob die Verwertungsgesellschaft ihrem gesetzlichen Auftrag angemessen nachkommt, sprich: die Gelder fair verteilt. Wir fordern, dass die GEMA-Vermutung, wonach Veranstalter nachweisen müssen, dass die gespielte Musik nicht GEMA-pflichtig ist, dann nicht gilt, wenn statistisch gesehen mehr als 5 Prozent der gespielten Werke nicht GEMA-pflichtig sind. Das ist besonders in Bereichen der elektronischen Musik und des improvisierten Jazz der Fall. Eine generelle Aufhebung der GEMA-Vermutung halten wir für wenig praktikabel. In sehr vielen Fällen erleichtert diese nämlich die Abrechnung von Veranstaltungen. Die Linke hat einen Vorschlag für transparente und faire Verwertungsgesellschaften vorgelegt. Sie müssen nur zustimmen. Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind uns alle einig, dass es Probleme gibt bei den Verwertungsgesellschaften. Die Ursachen sind komplex und liegen auch in teilweise verkrusteten Strukturen, einem durch das Internet vergrößerten Verbreitungsradius und einem sensiblen Geflecht diffiziler Einzelinteressen begründet. Seit Monaten steht die GEMA im Kreuzfeuer der Kritik: Auslöser war der von vielen Clubs und Diskotheken als ruinös beurteilte Tarifvorschlag zur Neuordnung der Bezahlung von öffentlichen Musikvorführungen. Vergeblich haben wir in den letzten Monaten darauf gewartet, dass die Bundesregierung im Tarifstreit vermittelnd tätig wird. Schon viel früher hätte das dem BMJ unterstehende Deutsche Patent- und Markenamt seine Aufsichtspflicht wahrnehmen müssen. Stattdessen hat die Bundesregierung tatenlos zugesehen, wie der Konflikt zwischen der GEMA, den Diskotheken und Clubbesitzern immer weiter eskalierte, die Gräben zwischen „Musiknutzern“ und Urheberinnen und Urhebern immer tiefer wurden und die Verbalaggressionen gegenüber der GEMA auf allen Kommunikationskanälen Dimensionen erreichten, für die die Bezeichnung Shitstorm zu harmlos ist. Zu Recht fordern die Linken in ihrem Antrag eine Stärkung der Aufsicht seitens des Bundes. Diese bei einer Regulierungsbehörde anzusiedelnde Aufsicht sollte in ihrer Funktion über eine Evidenzkontrolle hinausgehen und mit ausreichend Personal ausgestattet sein. Eine detaillierte Überprüfung von Tarifveränderungen beispielsweise – und zwar bevor diese im Bundesanzeiger veröffentlicht werden – wäre ein geeigneter Weg, um verfrühte Verunsicherung bei Veranstaltern zukünftig zu vermeiden. Eine solch unabhängige Vorabprüfung würde sicherlich auch die Akzeptanz von Tarifen erhöhen. Nicht nur die Betroffenen der Tarifstreitigkeiten der GEMA, auch Leistungsberechtigte der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten benötigen Unterstützung durch die Politik: Vor einem Jahr wurde das System der GVL vollständig umgebaut. GVL-Mitglieder aus den Bereichen Schauspiel und Synchronschauspiel bekamen kaum noch Ausschüttungen, teilweise nur ein Hundertstel des Vorjahres oder weniger. Hauptgrund dafür waren massive Einnahmeverluste für die GVL, weil einige Gerätehersteller seit längerem keine Zahlungen leisten. Das DPMA als zuständige Aufsichtsbehörde offenbarte einmal mehr Handlungsunfähigkeit und ließ Hunderte Künstlerinnen und Künstler mangels Übergangsregelung im Regen stehen. Diese Pleite hätte man vonseiten des BMJ verhindern müssen. Im Antrag der Linken kommt das Problem schleppender Einzahlungen seitens der Gerätehersteller zu kurz. Es wird zwar konstatiert, dass die Ermangelung einer Hinterlegungspflicht bei einer Insolvenz Zahlungsausfälle zur Folge hat. Entsprechende Forderungen nach Konsequenzen – beispielsweise nach einer gesetzlichen Regelung für die Geräte- und Leermedienabgabe sowie nach einer Hinterlegungspflicht für Gerätehersteller– fehlen jedoch im Antrag der Linken. Die Forderung der Linken nach mehr Demokratie in den Binnenstrukturen der Verwertungsgesellschaften begrüßen wir grundsätzlich. Aus mangelnden Mitbestimmungsrechten für angeschlossene GEMA-Mitglieder jedoch automatisch eine ungerechte Verteilung zu begründen, greift zu kurz. Die GEMA hätte schon massenhaft Klagen vor Gericht verloren, würde sie tatsächlich jenen, die ohnehin mehr Geld mit ihrer Musik verdienen, durch Begünstigungen im Verteilungssystem zu höheren Ausschüttungen verhelfen. Der Verteilungsplan der GEMA ist so kompliziert wie die Musikwelt selbst. Werke unterschiedlicher Musiksparten, Dauer und musikalischer Komplexität lassen sich nicht ohne Weiteres über einen Verteilungskamm scheren. Oder sollte beispielsweise der Komponist einer mehrstündigen Oper für die Aufführung seines Werkes etwa dasselbe bekommen wie der Urheber eines fünfminütigen Songs? Nicht mit kleinteiligen Korrekturen an bestimmten Gewichtungen verschiedener Nutzungsarten, Sparten und Spielstätten können mehr Transparenz und zielgenauere Künstlerförderung erreicht werden. Dringend notwendig sind vielmehr verlässliche Daten darüber, welche Werke wo, wann und wie oft genutzt werden. Momentan beruhen Messungen darüber, wie oft beispielsweise Musikwerke von Tonträgern auf kleinen Konzerten gespielt werden, in erster Linie auf Schätzungen und Stichproben – dass dabei Werke noch unbekannter Musikurheberinnen und -urheber tendenziell benachteiligt sind, leuchtet ein. Ein Schritt in die richtige Richtung und gleichermaßen im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer wie Rechteinhaberinnen und Rechteinhaber ist die Forderung im Antrag der Linken nach verbindlichen Transparenzpflichten. Diese sollen Verwertungsgesellschaften verpflichten, einmal jährlich alle Auskünfte über Werknutzungen und das Zustandekommen von Gebühren und Ausschüttungen offenzulegen. Mehr Informationen an Urheberinnen und Urheber über Erträge und Nutzungen ihrer Werke sind darüber hinaus wichtige Voraussetzung für mehr Verteilungsgerechtigkeit. Zur systematischen und flächendeckenden Erhebung dieser Zuordnungen und Metadaten fehlt den Verwertungsgesellschaften das Geld, und die Bundesregierung sieht für diese Investitionen scheinbar keine Notwendigkeit. Für überbewertet – auch im Antrag der Linken – halten wir den Protest gegen die sogenannte GEMA-Vermutung. Werden Werke veröffentlicht und verbreitet – auch unter Pseudonym –, greift die sogenannte GEMA-Vermutung, die gesetzlich in §13 c UrhWG geregelt ist: Die GEMA muss davon ausgehen, dass der Urheber Mitglied der GEMA ist, bis anderslautende Informationen vorliegen. Im Veranstaltungsbereich ist die GEMA-Vermutung auf Basis empirischer Daten legitimiert worden und hat sich bewährt: Wer Musik eines Nicht-GEMA-Mitglieds öffentlich einspielt oder interpretiert, muss die GEMA schriftlich darüber informieren. Zahlungen fallen dann nicht an. Im Bereich von Rechten an digitalen Veröffentlichungen, die über kommerzielle Anbieter verkauft werden, ist die GEMA-Vermutung dagegen tatsächlich überflüssig, denn die Lizenzpartner sind ja darüber informiert, ob ein Werk GEMA-pflichtig ist oder nicht. Für den digitalen Bereich sollte daher eine Lösung gefunden werden, die der zunehmenden Zahl der nicht über die GEMA registrierten Urheberinnen und Urheber gerecht wird. Als positiv bewerten wir die Forderung nach der Implementierung von freien Lizenzen in die Verwertungsgesellschaften – dies könnte die Selbstbestimmung von Urheberinnen und Urhebern über die Verwendung ihre Werke bedeutend verbessern. Und die transformative Nutzung von Werken durch Kreative könnte dadurch unbürokratischer erfolgen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11043 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 14. Dezember 2012, 9 Uhr, ein. Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 23.36 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Binder, Karin DIE LINKE 13.12.2012 Brinkmann (Hildes-heim), Bernhard SPD 13.12.2012 Brugger, Agnes BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13.12.2012 Fischer (Göttingen), Hartwig CDU/CSU 13.12.2012 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 13.12.2012 Göppel, Josef CDU/CSU 13.12.2012 Gottschalck, Ulrike SPD 13.12.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 13.12.2012 Hintze, Peter CDU/CSU 13.12.2012 Humme, Christel SPD 13.12.2012 Kramme, Anette SPD 13.12.2012 Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13.12.2012 Dr. Lamers (Heidelberg), Karl A. CDU/CSU 13.12.2012 Leibrecht, Harald FDP 13.12.2012 Dr. Luther, Michael CDU/CSU 13.12.2012 Meierhofer, Horst FDP 13.12.2012 Möhring, Cornelia DIE LINKE 13.12.2012 Nink, Manfred SPD 13.12.2012 Ortel, Holger SPD 13.12.2012 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 13.12.2012 Rawert, Mechthild SPD 13.12.2012 Schlecht, Michael DIE LINKE 13.12.2012 Dr. Schmidt, Frithjof BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13.12.2012 Dr. Schockenhoff, Andreas CDU/CSU 13.12.2012 Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 13.12.2012 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13.12.2012 Dr. Wadephul, Johann CDU/CSU 13.12.2012 Wagner (Schleswig), Arfst BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13.12.2012 Werner, Katrin DIE LINKE 13.12.2012 Wöhrl, Dagmar G. CDU/CSU 13.12.2012 Zapf, Uta SPD 13.12.2012 Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an den Wahlen eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Art. 45 d des Grundgesetzes sowie eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 12 und 13) CDU/CSU Ilse Aigner Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Neškovi? Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Sammelübersicht 502 zu Petitionen (Tagesordnungspunkt 47 h) Die Mehrheit des Petitionsausschusses empfiehlt uns, das Petitionsverfahren zur Petition einer contergangeschädigten Frau aus Ratingen vom Mai 2010, Petition 3-17-30-21302-010174, abzuschließen. Dieser Empfehlung werde ich nicht folgen, und ich möchte nachfolgend begründen, warum ich dagegen stimme. Die Petentin aus Ratingen bittet aufgrund ihrer Conterganschädigung um den Erlass eines Teils der Rückzahlung des ihr nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz – BAföG – gewährten Darlehens und hieraus entstandener Zinsen. Im Leben der Petentin gibt es, folgt man ihrer von niemandem bestrittenen Darstellung, eine Reihe von unglücklichen Ereignissen und Situationen. So etwas, so meine ich, kann im Leben vorkommen. Die Conterganschädigung bei der Petentin ist – nicht durch ihr Verschulden – erst nach dem 20. Lebensjahr anerkannt worden. Obwohl die Petentin wie alle anderen Conterganopfer von Geburt an contergangeschädigt ist, bekam sie die „Conterganrente“ nicht ab 1972, sondern erst ab 1984. Eine Nachzahlung für die zurückliegenden 12 Jahre erfolgte nicht, erst recht keine Verzinsung, was aus Sicht der Linken nicht akzeptabel ist. Infolge der Behinderung musste sie länger studieren. Dadurch war sie von der damaligen – behindertenfeindlichen – Umstellung der Ausbildungsförderung auf eine Darlehensleistung besonders betroffen. Die Folge: Rund 20 000 Euro BAföG-Schulden und fehlende Möglichkeiten, diese Schulden durch Rückzahlung in einer Summe deutlich zu reduzieren. In diesem Fall entstand also aus der Kette von unglücklichen Ereignissen und vielen „kleineren“ Ungerechtigkeiten eine gravierende Ungerechtigkeit. Inzwischen hinterlässt die Conterganschädigung auch bei der Petentin deutliche Spuren. Eine Folge: Die Petentin erhält, verbunden mit spürbaren Einkommensverlusten, eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Spätestens seit Vorliegen des Zwischenberichtes des Heidelberger Instituts wissen die Bundesregierung und alle Fraktionen des Bundestages, wie dramatisch die Situation der Conterganopfer und ihrer Angehörigen ist, wie schwer es ihnen fällt, sich mit dem verfügbaren Einkommen ein Mindestmaß an selbstbestimmtem Leben zu erhalten. Nun kommt bei dieser Petentin neben den laufenden Kosten noch immer die Belastung durch die Rückzahlungsforderungen aus dem BAföG-Darlehen zuzüglich Zinsen hinzu. Und das auch noch für viele Jahre. Hier hätte, so die Auffassung der Linken, die Bundesregierung die Möglichkeit und auch die Pflicht, die noch offenen Forderungen aus dem BAföG-Darlehen zu erlassen. Stattdessen folgte die Mehrheit des Petitionsausschusses der teilweise abstrusen Stellungnahme des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. So steht in der Stellungnahme des Ministeriums vom 22. Mai 2012, dass die Petentin über „eine Ferienimmobilie sowie weitere Geldreserven“ verfügt. Wie die Bundesregierung zu dieser Behauptung kommt, bleibt ihr Geheimnis. Die Petentin jedenfalls weiß nicht – so ihre Aussage mir gegenüber –, dass sie solche Besitztümer hätte. Auch die Stellungnahme des Bundesbehindertenbeauftragten ist aus meiner Sicht, gelinde gesagt, enttäuschend. Selbst für ihn ist es nachvollziehbar, „wenn die Petentin die Situation, die durch die verspätete Feststellung der Conterganschädigung und die BAföG-Bestimmungen zum Zeitpunkt ihres Studiums entstanden ist, für sich als unbefriedigend empfindet“. Dann führt der Bundesbehindertenbeauftragte in seiner Stellungnahme aus: „Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die ungünstigen Rückzahlungsbedingungen für BAföG-Leistungen, die während des Studiums der Petentin galten, für alle Studierenden zu der damaligen Zeit angewandt wurden.“ Weil es also damals eine BAföG-Regelung gab, die nicht nur die Petentin, sondern viele Studentinnen und Studenten mit Behinderungen diskriminierte und benachteiligte, muss man also auch in diesem Fall keine Härtefallregelung treffen. Unrecht für alle als Begründung fürs Nichtstun für Einzelne. Unglaublich! Die Linke beantragte, diese „Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen“, so heißt es in der Beamtensprache, also ihr nahezulegen, aufgrund der besonderen Härte einen Härteerlass zu gewähren. Das wäre auch aus meiner Sicht im Ergebnis der Prüfung der Petitionsunterlagen und der persönlichen Gespräche mit der Petentin sowohl aus rechtlicher als auch aus humanitärer Sicht geboten. Deswegen stimme ich gegen die Beschlussempfehlung und fordere die Bundesregierung noch einmal sehr nachdrücklich auf, in diesem Fall endlich eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln (Mietrechtsänderungsgesetz – MietRÄndG) (Tagesordnungspunkt 9 a) Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Die am heutigen Tag zur Abstimmung stehende Mietrechtsnovelle stellt in vielen Bereichen wesentliche Verbesserungen für Vermieter und Mieter dar. Hervorzuheben sind besonders die Maßnahmen gegen „Miet-nomaden“. Dennoch weist der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung Mängel auf, die negative Entwicklungen für den Mietmarkt zur Folge haben werden. Hierbei ist besonders die Einführung der Möglichkeit einer regionalen Kappungsgrenze von 15 Prozent hervorzuheben. Niedrigere Kappungsgrenzen haben unweigerlich zur Folge, dass Vermieter weniger in ihren Bestand investieren werden. Schaden nehmen hierbei zum einen die Mieter, deren gemietete Objekte eine Investition erfahren, und zum anderen wird das gesamtgesellschaftliche Ziel der Steigerung der Energieeffizienz konter-kariert, da Investitionen in energetische Sanierung der Objekte marktwirtschaftlich unattraktiv werden. Des Weiteren ist eine weitere Abnahme der Mieterfluktuaktion in den Ballungsräumen zu erwarten, welche die Wohnungsknappheit verstärken wird. Als Hamburger Abgeordneter bin ich sensibilisiert für die Problematik der Wohnungsnot. Durch die Wegnahme marktwirtschaftlicher Anreize für die Schaffung neuen Wohnraums wird der Gesetzentwurf, in der -Ausschussfassung, keinen Beitrag zur Lösung dieses Problems leisten. Da der Gesetzentwurf auf der einen Seite wesentliche Verbesserungen enthält, auf der anderen Seite aber -notwendigen marktwirtschaftlichen Prinzipien nicht gerecht wird, werde ich mich bei der heutigen Abstimmung enthalten. Frank Schäffler (FDP): Das Mietrechtsänderungsgesetz bringt Verbesserungen im Mietrecht durch Stärkung der Vertragsfreiheit. Modernisierungen sollen für eine Zeit von drei Monaten nicht mehr zu einer Mietminderung führen, wenn diese zur Energieeinsparung dienen. Zukünftig sollte man diese Regelung auf alle Arten von Sanierungen ausweiten, um den Vermieter für Bausubstanzverbesserungen nicht zu bestrafen. Gestärkt werden Immobilieneigentümer auch durch die neue Regelung, dass die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ohne vorherige Abmahnung nunmehr auch bei Zahlungsverzug mit der Mietkaution ausgesprochen werden kann. Ganz positiv sind auch die Erleichterungen für den Vermieter, sich prozessual besser gegen Mietnomaden schützen zu können. Der Schutz der Mieter vor Zwangsräumungen wird damit auf ein gesünderes Maß zurückgestutzt. Erstens sind Räumungssachen im Geschäftsgang des Gerichts nun vorrangig und beschleunigt durchzuführen. Zweitens soll der Vermieter vor wirtschaftlichen Schäden durch langandauernde Hauptsacheverfahren durch das Prozessgericht geschützt werden können. Besser noch wäre gewesen, wenn der Rechtsstaat so effizient arbeitete, dass es gar nicht erst zu Gerichtsverfahren von einer Dauer käme, die das Vermögen der Rechtsuchenden gefährden. Sinnvolle Haftungsregeln könnten hier Abhilfe schaffen. Recht und Rechtsstaatlichkeit sind der Kern unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wo Licht ist, da ist aber auch Schatten. Auf Drängen der CSU sollen die Landesregierungen ermächtigt werden, Gemeinden oder Teile von Gemeinden zu benennen, in denen die Kappungsgrenze für Mieterhöhungen von 20 Prozent auf 15 Prozent gesenkt wird, wenn dort „die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet“ ist. Das entspricht in seinem Duktus einem Ansinnen der Grünen, die eine solche Senkung der Kappungsgrenze bundesweit gefordert haben. Ziel der Änderung ist ausweislich der Begründung die Dämpfung des Anstiegs von Bestandsmieten in diesen Gebieten. Leider hat sich die FDP an dieser Stelle nicht mit ökonomischer Vernunft gegen den Koalitionspartner durchsetzen können. Verordnet wird hier eine dynamische Preis-obergrenze für Bestandsmieten. Bei Preisobergrenzen ist zu differenzieren: Liegt die Preisobergrenze über dem Marktpreis, so bleibt sie folgenlos. Wenn das Wachstum der Bestandsmieten weniger stark ist, als es die Kappungsgrenze erlaubt, dann wäre der Gesetzgeber unnötigerweise tätig geworden und hätte nicht mehr als eine Verkomplizierung des Rechts bewirkt. Wahrscheinlicher ist aber der Fall, dass die Preisobergrenze den Mietzins auf eine niedrigere Höhe als bei ungehindertem Anstieg zu beschränken sucht. In diesem Fall können die Vermieter in den Gebieten mit Preis-obergrenze nicht länger den Mietzins erhalten, den sie nachfragen. Das hat beileibe nicht nur Auswirkungen auf Bestandsmieten, da es auf die Erwartungen des Vermieters ankommt. Bei Neuvermietungen wird die vereinbarte Miete berücksichtigen, dass spätere Mietzinserhöhungen nur eingeschränkt zulässig sind. Der Mietzins in Neuverträgen wird also bei Abschluss des Vertrags höher sein, als er ohne Preisobergrenze wäre. Die Deckelung des Anstiegs von Bestandsmieten wird daher bezahlt durch Mieter, die Neuverträge abschließen müssen. Zum Beispiel werden also alle Familien bestraft, die Neuverträge über größere Wohnungen abschließen müssen, weil sie Nachwuchs erwarten. Insbesondere wird die Regelung aber Auswirkungen auf Neubauten haben. Wenn Investoren die Wahl haben, werden sie keine Bauvorhaben in einem Gebiet mit Preis-obergrenze unternehmen, sondern der Regulierung ausweichen. Ausgerechnet in jenen Gebieten, in denen „die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet“ ist, wird es zu weniger Investitionen und daher zu weniger Zubau kommen. Dies verschärft die Wohnsituation, anstatt sie zu verbessern. Das Ergebnis ist das Gegenteil von dem, was beabsichtigt worden ist. Einmal mehr zeigt sich: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut. Im Ergebnis kann ich dem Gesetz dennoch zustimmen, weil ich glaube, dass das Licht den Schatten überwiegt. Die Problematik der Mietnomaden besteht seit Jahren. Sie ist besonders für kleinere Vermieter teilweise existenzbedrohend, weil sie dem Schaden kaum ausweichen können. Daher ist es gut, dass hier deutliche Verbesserungen geschaffen werden, mit denen Immobilien-eigentümer besser geschützt werden. Dagegen ist die weitere Absenkung der Preisobergrenze zwar ordnungspolitisch falsch, doch verteilen sich die volkswirtschaftlichen Schäden der Regelung auf breitere Schultern. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zu den Abstimmungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 5) Norbert Brackmann (CDU/CSU): Zu der Abstimmung unter Zusatztagesordnungspunkt 5: Ich stimme diesem Antrag heute nicht zu, da ich der festen Überzeugung bin, dass eine sinnvolle und strikte Regulierung von Fracking nur in Zusammenarbeit von Regierung und Parlament erreicht werden kann. Die Technologie Fracking ist und bleibt gefährlich und führt zu Verunsicherungen bei den Mitbürgern gerade dort, wo großflächige Erkundungsfelder ausgewiesen werden sollen. Daher gehe ich davon aus, dass die Koalition eine Initiative ergreifen wird, die zu einer strikten Regulierung, besser einem Verbot der Technologie führt. Zu der Abstimmung unter Tagesordnungspunkt 45: Ich stimme dieser Beschlussempfehlung heute zu, da ich der festen Überzeugung bin, dass eine sinnvolle und strikte Regulierung von Fracking nur in Zusammenarbeit von Regierung und Parlament erreicht werden kann. Die Technologie Fracking ist und bleibt gefährlich und führt zu Verunsicherungen bei den Mitbürgern gerade dort, wo großflächige Erkundungsfelder ausgewiesen werden sollen. Daher gehe ich davon aus, dass die Koalition eine Initiative ergreifen wird, die zu einer strikten Regulierung, besser einem Verbot der Technologie führt. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Die Oppositionsparteien wissen ganz genau, dass sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion morgen, am 14. Dezember 2012, in einem fraktionsoffenen Fachgespräch mit dem Thema Fracking befassen wird. Die Ergebnisse dieses Fachgespräches sollen dann die Grundlage für eine Gesetzesinitiative bilden, die sich sowohl auf das Wasser- als auch das Bergrecht bezieht. In dieser Situation Fraktionsanträge zu stellen, die unausgegoren und fachlich unzureichend sind, wird der Situation in keiner Weise gerecht. Das sind Wahlkampfmanöver, von denen die durch -Fracking betroffenen Bürger in unserem Land nichts haben. Stattdessen sollte sich die Opposition an den Gesetzesberatungen beteiligen oder zumindest über den Bundesrat eigene Gesetzesinitiativen einbringen. Für die zukünftigen gesetzlichen Regelungen ist für mich völlig klar, dass Fracking grundsätzlich in allen Gebieten verboten wird, die der Trinkwassergewinnung dienen, einschließlich Heil- und Mineralquellen. Die unteren Wasserbehörden müssen eine selbstständige wasserrechtliche Prüfung vornehmen, und die kommunalen Gebietskörperschaften müssen ihr Einvernehmen erklären. Das setzt gleichzeitig eine umfassende Bürgerbeteiligung voraus. Eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung muss in Umsetzung entsprechender EU-Richtlinien umgehend in das Bergrecht aufgenommen werden. Exemplarisch habe ich den niedersächsischen Wirtschaftsminister bereits gebeten zu prüfen, ob aufgrund der europarechtlichen Rechtslage eine solche UVP nicht schon jetzt geltendes Recht darstellt und somit vorzunehmen wäre. Die Verbringung bzw. Verpressung des Lagerstättenwassers besorgt die Menschen meines Wahlkreises ebenfalls. Sollten nicht technische Lösungen gefunden werden, die jede Umweltbeeinträchtigung ausschließen, ist vorzusehen, dass der sogenannte Flowback in Aufbereitungsanlagen zu behandeln ist. Es muss im Rahmen der Gesetzesberatungen ferner überprüft werden, ob es nicht zwingend erforderlich ist, den Erdgasunternehmen zur Auflage zu machen, dass grundsätzlich nur mit nicht wasserschädlichen Stoffen gefrackt werden darf. Da ich weiß, dass in Wahrheit der einzige Grund für die Antragstellung der Opposition das Vorführen der örtlichen Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU und FDP ist und ich dementsprechend gerade im Hinblick auf die niedersächsische Landtagswahl kein Verunglimpfungspotenzial liefern möchte, werde ich mich bei den Anträgen der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen enthalten. In Zukunft werde ich jedoch nicht mehr bereit sein, mit parlamentarischen Mätzchen der Opposition in dieser Weise umzugehen. Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Den Anträgen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen und folge deswegen der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie. Meine Position in der -Sache erkläre ich wie folgt: Deutschland hat mit der Energiewende die Vorreiterrolle für eine Energiezukunft übernommen, die Wachstum und Ressourcenschonung in Einklang bringt. Auf Basis von technischem Fortschritt und modernen Technologien muss es gelingen, die weitere Entwicklung des Wirtschaftswachstums vom Energieverbrauch zu entkoppeln. Gleichzeitig stellen die Abhängigkeit Deutschlands vom Import knapper werdender und teurer -Energierohstoffe und der Klimawandel unser Land vor enorme Herausforderungen. Wir müssen Abhängigkeiten verringern, Energie effizienter nutzen und erneuerbare Energien weiter fördern. Solange keine hinreichend fundierten wissenschaftlichen Kenntnisse zu den möglichen Auswirkungen von Fracking vorliegen, dürfen keine neuen Fakten geschaffen werden. Ich begrüße, dass die Bundesregierung die Studie „Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten“ zur Grundlage weiterer Änderungen im Bergrecht macht. Die Genehmigungsverfahren müssen auf dieser Grundlage entsprechend den spezifischen Erfordernissen der unkonventionellen Erdgasförderung angepasst werden. Sicherheit hat höchste Priorität, daher dürfen Genehmigungen nur erteilt werden, wenn unverantwortliche Risiken für Mensch und Natur ausgeschlossen werden können. Als Ergänzung der erneuerbaren Energien bleibt der Einsatz hocheffizienter und flexibel einsetzbarer fossiler Kraftwerke auf Basis von Kohle und Gas zukünftig notwendig. Insbesondere in Nordrhein-Westfalen besteht das Interesse, die Potenziale sogenannter unkonventioneller Erdgasvorkommen zu untersuchen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat zwar bereits 23 Bergbauberechtigungen zur Aufsuchung von Kohlenwasserstoffen zu gewerblichen Zwecken erteilt. Dennoch hat die Landesregierung die für Bergbau in Nordrhein-Westfalen zuständige Bezirksregierung Arnsberg angewiesen, dass keine weiteren Erlaubnisse erteilt werden dürfen, bei -denen zu einem späteren Zeitpunkt die Fracking--Technologie zum Einsatz kommen könnte. Dies gilt auch für Genehmigungen, die der Erkundung von möglichen Erdgaslagerstätten dienen, ohne dass Probebohrungen vorgesehen sind. Nordrhein-Westfalen ist größtes Energieland Deutschlands, was Gewinnung und Verbrauch angeht. Das Interesse an Erhaltung und Entwicklung neuer energiepolitischer Optionen sollte daher -weiterhin besonders groß sein. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Probebohrungen, bei denen Fracking-Technologien eingesetzt werden, ist aus meiner Sicht notwendig. Dies gilt ins-besondere dann, wenn unter Einsatz wassergefährdender Stoffe „gefrackt“ wird. Auch eine verpflichtende, transparente und effektive Öffentlichkeitsbeteiligung sollte vor einer Genehmigung des Probe-Fracking verpflichtend gemacht werden. Die Beteiligungsrechte der zuständigen Wasserbehörden, ebenso wie die der betroffenen Landkreise und Kommunen, sind zu stärken und in die Genehmigungsverfahren mit einzubeziehen. Eine Erdgasförderung kommt nur infrage, wenn sie von der Bevölkerung in der Region mitgetragen wird. Hier muss die nordrhein-westfälische Landesregierung in Pflicht genommen werden, für mehr Aufklärung über die Risiken des Fracking in der Bevölkerung zu -sorgen. Rudolf Henke (CDU/CSU): Den Anträgen der Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und SPD kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen und folge deswegen den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Deutschland hat mit der Energiewende die Vorreiterrolle für eine Energiezukunft übernommen, die in der Verbindung aus Wachstum und Ressourcenschonung liegt. Ich setze mich für eine nachhaltige Energiepolitik ein und für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung auch in Zukunft. Als Ergänzung der erneuerbaren Energien ist noch über Jahrzehnte hinweg der Einsatz hocheffizienter und flexibel einsetzbarer fossiler Kraftwerke auf der Basis von Kohle oder Gas notwendig. Bislang wird in Nordrhein-Westfalen kein Erdgas gefördert. Allerdings -besteht bei verschiedenen Unternehmen Interesse, die Potenziale sogenannter „unkonventioneller Erdgasvorkommen“ zu untersuchen. In den betroffenen Regionen besteht ein hohes Maß an Unsicherheit im Hinblick auf die Risiken, die mit der Gewinnung von Gas verbunden sind. Dabei geht es insbesondere um eine mögliche Belastung des Grund- und Trinkwassers durch das sogenannte Fracking – ein -Verfahren, bei dem ein Gemisch aus Wasser, Quarzsand und chemischen Zusätzen in das umlagernde Gestein des Untergrundes gepresst wird, um den Gasfluss hin zum Bohrloch zu stimulieren und die Förderung zu ermöglichen. Als Energieland Nr. 1 hat Nordrhein-Westfalen ein großes Interesse an Erhaltung und Entwicklung neuer energiepolitischer Optionen. Zuständig für den Vollzug der bergbaulichen und -umweltrechtlichen Vorschriften sind die Behörden der Länder. Bei der Genehmigung von Probebohrungen muss das Land Nordrhein-Westfalen sicherstellen, dass der jeweilige Antragsteller verpflichtet wird, alle für die Entscheidung erforderlichen Informationen bereitzustellen und die Auswirkungen auf die Umwelt umfassend zu -dokumentieren. Die Genehmigungsverfahren müssen den spezifischen Erfordernissen der unkonventionellen Erdgasförderung angepasst werden. Insbesondere halten wir eine Änderung des Bergrechts für notwendig. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP, die im Bergrecht für die reine Erkundung von Bodenschätzen, also auch für das Probe-Fracking, derzeit nicht vorgeschrieben ist, ist aus meiner Sicht unerlässlich. Umweltrisiken bestehen vor allem dann, wenn unter Einsatz wassergefährdender Stoffe gefrackt wird. Deshalb soll für diese Fälle sowohl bei der Erdgasgewinnung als auch bei der Geothermie eine zwingende UVP eingeführt werden. Diese beinhaltet dann auch eine verpflichtende, transparente und effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmigung des Probe-Fracking. Zudem sind die Wasserbehörden verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, ist es geboten, entsprechend hohe Regeln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu haben. Ich unterstütze daher die Bemühung im Europäischen Parlament um vergleichbar hohe Sicherheitsstandards. Eine Erdgasförderung in Nordrhein-Westfalen kommt nur infrage, wenn sie von der Bevölkerung in der Region akzeptiert wird. Dafür ist eine umfassende Transparenz eine zentrale Voraussetzung. Die Landesregierung ist in der Pflicht, die Aufklärung der Bevölkerung über die -Risiken des Fracking deutlich zu verbessern. Aus Gründen der Sicherheit muss in Trinkwasserschutzgebieten Fracking ausgeschlossen sein. Genehmigungen für Fracking in anderen Gebieten dürfen nur erteilt werden, wenn unverantwortliche Risiken für Mensch und Natur ausgeschlossen werden können. Christian Hirte (CDU/CSU): Den zur Abstimmung stehenden Anträgen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der Linkspartei stimme ich nicht zu. Ich nehme die Sorgen und Ängste der Bevölkerung in Bezug auf die Fracking-Technologie sehr ernst. Wir müssen feststellen, dass wir nahezu überall dort, wo Unternehmen mit Erkundungen nach unkonventionellen Gasförderstätten beginnen möchten, einer breiten Skepsis und Besorgnis in der Bevölkerung begegnen. Die politische Diskussion der vergangenen Monate war zunächst zurückhaltend, um die Ergebnisse weiterer Studien abzuwarten. Diese Ergebnisse liegen mittlerweile vor und bestätigen in Teilen die Einschätzung, dass Risiken und Gefahren beim Fracking derzeit nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Ich teile die Einschätzung von Bundesumweltminister Peter Altmaier, dass wir eine Technik nicht gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen dürfen. Ein generelles Verbot von Fracking in Deutschland ist derzeit nicht absehbar. Ich halte es auch grundsätzlich für richtig, die Technologie in Deutschland nicht auszuschließen. Vor dem Hintergrund von Unsicherheiten bei der Entwicklung des Energiemarktes, des auch auf längere Zeit noch weiteren Bedarfs an konventioneller Energie sowie denkbaren Abhängigkeiten von anderen Staaten bei der Energieversorgung müssen wir damit rechnen, dass eine Debatte über Energie in der Zukunft anders geführt wird als derzeit. Ich halte es für richtig, Fracking nicht für alle Zeiten in Deutschland völlig auszuschließen. Als Industrieland benötigen wir energiepolitische Optionen. Mit Ausnahme der Linkspartei ist dies der Weg, den alle Parteien im Deutschen Bundestag teilen und dem auch die Landesumweltminister zugestimmt haben. Für mich ist der Schutz von Mensch und sensibler Natur unverhandelbar. Dieser Schutz ist derzeit beim Fracking nicht absolut sichergestellt. Deshalb sind Rahmenbedingungen nötig, die über die bisherigen Regelungen des Bundesbergrechtes hinausgehen. Das bisherige Abwarten auf die Studienergebnisse muss nun in einen aktiven Umgang der Politik übergehen. Die Umweltminister der Bundesländer haben einstimmig beschlossen, Fracking in Deutschland nicht auszuschließen, aber mit deutlich höheren Auflagen zu verbinden. Um einen Konsens von Bund und Ländern herbeizuführen, halte ich weitere Beratungen für wichtig. Ein heutiger Beschluss von Anträgen im Bundestag würde dem zuwiderlaufen. Bei den weiteren Beratungen über den Umgang mit Fracking halte ich folgende Ziele für wichtig: – ein generelles Verbot von Fracking in Wasserschutzgebieten, – eine umfassende Anwendung des Grundwasserbegriffs, um sicherzustellen, dass in allen für die Grundwasserversorgung sensiblen Gebieten eine Belastung ausgeschlossen werden kann, – eine generelle Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP, bereits im Vorfeld von Erkundungsbohrungen und seismischen Untersuchungen, – Vetorechte einzelner Behörden und Bundesländer, um sicherzustellen, dass Bohrungen nicht gegen den Willen der Bevölkerung vor Ort erfolgen können, – ein Drängen auf die Weiterentwicklung von Techniken, die auf den Einsatz von Chemikalien verzichten – Clean Fracking –, – ein zentrales Genehmigungsverfahren, in dem die Aspekte des Bergrechtes und des Wasserrechtes zusammengeführt sind und eine Priorisierung des Wasserschutzes deutlich wird. Die vorliegenden jüngsten Gutachten bestätigen diese Positionen. Die Fraktionen des Deutschen Bundestages und die Bundesregierung sind aufgerufen, eine Gesetzgebung in diesem Sinne nachdrücklich voranzutreiben. Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Den Anträgen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Meine Position in der Sache geht aber über die Ausschussempfehlung hinaus, und ich erkläre in der Sache wie folgt: Mit der Energiewende hat Deutschland die Vorreiterrolle für eine nachhaltige und damit ressourcenschonende Energieversorgung übernommen. Ich unterstütze ausdrücklich das Ziel einer sicheren, importunabhängigeren und bezahlbaren Energieversorgung. Die Ener-gieversorgung kann aber nicht von heute auf morgen um-geschaltet werden. Deshalb wird der Einsatz hocheffizienter und flexibel einsetzbarer fossiler Kraftwerke noch für längere Zeit als Ergänzung für die erneuerbaren Energien notwendig sein. In den vom Fracking betroffenen Regionen, insbesondere in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, besteht ein hohes Maß an Unsicherheit im Hinblick auf die Risiken, die mit dieser Methode der Gasgewinnung verbunden sind. Dies betrifft insbesondere die mögliche Belastung des Grund- und Trinkwassers. Allerdings gibt es vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion in Niedersachsen ein deutlich differenzierteres Bild zu den Bedingungen eines Bundesgesetzes über Fracking und die Bewertung der Interimszeit bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes. Ein gefordertes Fracking-Verbot ist nach dem gegenwärtig gültigen Bergrecht wirkungslos. Denn für den Vollzug der bergbaulichen und umweltrechtlichen Vorschriften sind die Landesbehörden zuständig. Hat das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie in Hannover eine Bohrgenehmigung erteilt, können die Erdgas- bzw. Erdölfirmen das Bohrrecht einklagen. Eine Änderung des Bergrechts für die Interimszeit, also bis zum Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes zum Fracking, ist aber nicht durchführbar, da die Mehrheit im Bundesrat fehlt. Die Genehmigungspraxis nach dem Bundesbergrecht ist in Niedersachen ein Sonderfall, weil für die Interims-phase bis zum Inkrafttreten eines neuen Bundesgesetzes zu Fracking hier Änderungen vorgenommen wurden. Ein am 31. Oktober 2012 veröffentlichter Runderlass des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie in Clausthal-Zellerfeld stellt auf der Grundlage des geltenden Bergrechts „Mindestanforderungen an Betriebspläne, Prüfkriterien und Genehmigungsabläufe für -hydraulische Bohrlochbehandlungen in Erdöl- und Erdgaslagerstätten in Niedersachsen“. Darin werden alle Anträge zu Bohrgenehmigungen einem neuen verschärften Verfahren unterzogen sowie mit der Auflage, dass Fracking grundsätzlich in Wasserschutzgebieten, Trink-, Mineralwassergewinnungsgebieten, Heilwasserschutzgebieten – Wassergefährdungsklassen I bis III – und erdbebengefährdeten Gebieten verboten sind, verbunden. Dès Weiteren müssen Landkreise und Bürgermeister frühzeitig bei der Einleitung eines Genehmigungsverfahrens beteiligt und müssen deren Fragen von den Antragstellern berücksichtigt werden. Die unteren Wasserbehörden sind zu einer eigenständigen wasserrechtlichen Prüfung angewiesen. Das ersetzt zwar nicht die geforderte umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung, ist aber für die Interimsphase ein praktikabler Kompromiss zur Verschärfung der Auflagen. Mit diesem Runderlass wurde die Genehmigungspraxis auf der Basis des noch geltenden Bergrechts auf Landesebene bereits verschärft. Darüber hinaus gelten die Auflagen der Fracking-Studie des Bundesumweltministeriums vom August 2012, dass Fracking verboten ist, solange keine ausreichend fundierten wissenschaftlichen Kenntnisse zu den möglichen Auswirkungen von Fracking vorliegen. Eine Förderung unkonventionellen Erdgases in Niedersachsen kommt nur infrage, wenn die bundesrechtlichen Bedingungen nach dem Auslaufen des Morato-riums im Bund schnellstmöglich geregelt werden. Diese werden mit dem Fracking-Gutachten in den beteiligten Ressorts in einem Gesetzentwurf erarbeitet. Eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung wird in das Bergrecht ebenso aufzunehmen sein wie eine generelle Beweislastumkehr für Bergschäden. Diese beinhaltet dann auch eine verpflichtende, transparente und effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmigung des Probe-Fracking. Zudem sind die Wasserbehörden verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, ist es geboten, entsprechend hohe Regeln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu haben. Niedersachsen ist eines der am meisten betroffenen Bundesländer der Energiewende. Neben der Frage der Anbindung von Offshorewindkraftparks in der Nordsee und der Durchleitung der erneuerbaren Energien aus dem Norden in den Süden kommt jetzt noch die Diskussion des Fracking hinzu. Darüber hinaus zeigt Niedersachsen aber auch ein großes Engagement in der Energiewende. Um diese Bereitschaft nicht ins Gegenteil umzukehren, muss sichergestellt werden, dass Fracking-Genehmigungen nur erteilt werden dürfen, wenn unverantwortliche Risiken für Mensch und Natur vollständig ausgeschlossen werden können. Für mich hat Sicherheit höchste Priorität. Ich bin deshalb der Auffassung, dass mit den bergbaurechtlichen Anpassungen in Niedersachsen der erste Schritt in die richtige Richtung bereits unternommen wurde. Günter Lach (CDU/CSU): Den Anträgen der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen und folge deswegen den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie. Meine Position in der Sache geht aber über die Ausschussempfehlung hinaus. Deshalb erkläre ich wie folgt: Vor dem Hintergrund der Diskussion um Fracking in Niedersachsen ergibt sich ein wesentlich differenzierteres Bild zu den Bedingungen eines Bundesgesetzes über Fracking und die Bewertung der Interimszeit bis zum -Inkrafttreten dieses Gesetzes. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am Freitagvormittag ein Expertengespräch zum Thema anberaumt, dessen Expertise es selbstverständlich abzuwarten gilt, bevor eine Entscheidung getroffen werden kann. Insofern ist die Beratung zu Tagesordnungspunkt 45 an diesem Donnerstag für die Opposition lediglich ein Instrument für wahlkampftaktische Zwecke. Das in den oben angegebenen Drucksachen von den Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke geforderte Fracking-Verbot ist nach dem gegenwärtig gültigen Bergrecht wirkungslos, weil seitens der Erdgas- bzw. Erdölfirmen bei vorher ergangener Bohrgenehmigung durch das -Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie in Hannover ein einklagbares Bohrrecht besteht. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist im Gegensatz zur Opposition der Auffassung, dass eine Änderung des Bergrechts für die Interimszeit bis zum Inkrafttreten des neuen -Bundesgesetzes zum Fracking nicht praktikabel ist, weil dazu eine Mehrheit im Bundesrat fehlt und das Procedere zu lange dauern würde. Bislang wird in Niedersachsen kein Erdgas aus -unkonventionellen Quellen – Schiefergas – gefördert. Allerdings haben verschiedene Unternehmen bereits -Anträge zu Bohrprojekten sogenannter unkonventioneller Erdgasvorkommen gestellt. Die Genehmigungspraxis nach dem Bundesbergrecht ist in Niedersachen ein Sonderfall, weil für die Interims-phase bis zum Inkrafttreten eines neuen Bundesgesetzes zu Fracking hier Änderungen vorgenommen wurden. Ein am 31. Oktober 2012 veröffentlichter Runderlass des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie in Clausthal-Zellerfeld stellt auf der Grundlage des geltenden Bergrechts „Mindestanforderungen an Betriebspläne, Prüfkriterien und Genehmigungsabläufe für -hydraulische Bohrlochbehandlungen in Erdöl- und Erdgaslagerstätten in Niedersachsen“. Diese gelten sowohl für weiterhin zugelassene Bohrungen nach Tightgas – Sandstein, konventionell – als auch für Shalegas – Schiefergestein, unkonventionell –, für das andere Fracking-Methoden notwendig sind. Nach diesem neuen Runderlass werden alle Anträge zu Bohrgenehmigungen einem neuen, verschärften Verfahren unterzogen, das folgende Auflagen hat: Fracking ist grundsätzlich in Wasserschutzgebieten, Trink-, Mineralwassergewinnungsgebieten, Heilwasserschutzgebieten – Wassergefährdungsklassen I bis Ill – und erdbebengefährdeten Gebieten verboten. Des Weiteren müssen Landkreise und Bürgermeister frühzeitig bei der Einleitung eines Genehmigungsverfahrens beteiligt und deren Fragen von den Antragstellern berücksichtigt werden. Die unteren Wasser-behörden sind zu einer eigenständigen wasserrechtlichen Prüfung angewiesen. Das ersetzt zwar nicht die geforderte umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung, ist aber für die Interimsphase ein praktikabler Kompromiss zur Verschärfung der Auflagen. Die chemischen Stoffe der Frack-Flüssigkeit sind offenzulegen und durch nichttoxische Stoffe zu ersetzen. Dieser Runderlass des Landesbergamtes zeigt, dass die Genehmigungspraxis auf der Basis des noch geltenden Bergrechts auf Landesebene bereits verschärft wurde. In den betroffenen Regionen besteht ein hohes Maß an Unsicherheit im Hinblick auf die Risiken, die mit der Gewinnung von Gas verbunden sind. Insofern gelten die Auflagen der Fracking-Studie des Bundesumweltministeriums vom August 2012, dass Fracking verboten ist, solange keine ausreichend fundierten wissenschaftlichen Kenntnisse zu den möglichen Auswirkungen von Fracking vorliegen. Eine Förderung unkonventionellen Erdgases in -Nie-dersachsen kommt nur infrage, wenn die bundesrechtlichen Bedingungen nach dem Auslaufen des Moratoriums im Bund schnellstmöglich geregelt werden. Diese werden nun mit dem Vorliegen der Fracking--Gutachten in den beteiligten Ressorts in einem Gesetzentwurf erarbeitet. Eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung – UVP – wird in das Bergrecht ebenso aufzunehmen sein wie eine generelle Beweislastumkehr für Bergschäden. Diese beinhaltet dann auch eine verpflichtende, transparente und effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmigung des Probe-Fracking. Zudem sind die Wasserbehörden verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Das Lagerstättenwasser ist ebenso zu untersuchen wie das verpresste Bohrwasser in nicht mehr verwendeten Bohrlöchern. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, ist es geboten, entsprechend hohe Regeln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu haben. Als das am meisten betroffene Bundesland hat -Niedersachsen ein großes Interesse an Erhaltung und Entwicklung neuer energiepolitischer Optionen. Zuständig für den Vollzug der bergbaulichen und umweltrechtlichen Vorschriften sind die Behörden der Länder. Die bergbaurechtlichen Anpassungen in Niedersachsen sind der erste Schritt in die richtige Richtung. Für mich hat Sicherheit höchste Priorität. Genehmigungen dürfen nur erteilt werden, wenn unverantwortliche Risiken für Mensch und Natur vollständig ausgeschlossen werden können. Ingbert Liebing (CDU/CSU): Der Einsatz der -Technologie des Fracking zur Gewinnung von Öl und Gas aus unkonventionellen Vorkommen unter Einsatz von gesundheits- und umweltschädlichen und wasser-gefährdenden Chemikalien stößt in der Bevölkerung zu Recht auf Kritik. Das aktuelle Bergrecht wird den -Anforderungen an einen sachgerechten Umgang mit diesen technologischen Möglichkeiten und Gefährdungen nicht gerecht. Notwendig sind Rechtsanpassungen. Umweltminister Peter Altmaier hat angekündigt, auf der -Basis von Gutachten und Untersuchungen konkrete Maßnahmen zur Fortentwicklung des Bergrechtes vorzuschlagen. Dabei setze ich mich dafür ein, dass der Schutz des Grund- und Trinkwassers, der menschlichen Gesundheit sowie der Umwelt oberste Priorität haben, der Einsatz von Fracking in Wasserschutz- und -gewinnungs-gebieten grundsätzlich ausgeschlossen wird, grundsätz-lich Umweltverträglichkeitsprüfungen vorgeschrieben werden und eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung sichergestellt wird. Dabei gehe ich davon aus, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen den Einsatz von wasser-, umwelt- oder gesundheitsgefährdenden Chemikalien beim Fracking komplett ausschließen. Auch wenn die Anträge von -Oppositionsfraktionen, die heute zur Abstimmung stehen, diese Aspekte mit enthalten, stimme ich Ihnen nicht zu, da die Bundesregierung bereits an entsprechenden Vorschlägen und Maßnahmen arbeitet, in deren sachliche Beratung ich mich einbringe. Andreas Mattfeld (CDU/CSU): Ich stimme dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu, da er in Großteilen meine Position zur Erdgasförderung und allen damit zusammenhängenden Vorgängen trifft. Grundsätzlich halte ich die Erdgasförderung – auch unter Einsatz einer zukünftig umweltverträglichen Fracking-Technologie – für sinnvoll und notwendig. Gerade im Zuge der Energiewende und vor dem Hintergrund einer Unabhängigkeit von Importen muss das in Deutschland vorhandene Erdgas gefördert werden – und zwar dort, wo es liegt. Allerdings haben wir als Bundesgesetzgeber die Pflicht entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine sichere Förderung ermöglichen und den Schutz von Mensch und Umwelt sicherstellen. Die Verpressung des bei der Erdgasförderung anfallenden kontaminierten Lagerstättenwassers in geringere Tiefen als denjenigen, aus denen es gefördert wird, lehne ich ab. Es gibt alternative Methoden der Entsorgung und Reinigung des Lagerstättenwassers. Es kann noch an der Bohrstelle so aufbereitet werden, dass es anschließend in die örtlichen Kläranlagen gegeben werden kann. Diese Verfahren existieren derzeit bereits für kleine Mengen. Das muss im Rahmen der Forschung umgehend weiterentwickelt werden, damit auch größere Mengen kontaminierten Wassers gereinigt und so entsorgt werden können. Dann entfällt auch der problematische Transport des Lagerstättenwassers von der Bohrstelle an den Ort der Entsorgung – hier hat es in der Vergangenheit zahlreiche Probleme nicht nur in meinem Wahlkreis gegeben. Beim Thema Verpressung legt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eine Doppelmoral an den Tag. Ich bin doch sehr erstaunt, wenn in dem vorliegenden Antrag ein Verpressungsverbot gefordert wird – was ich ausdrücklich unterstütze – und 1999 unter einer rot-grünen Landesregierung eine Genehmigung zum Verpressen von Lagerstättenwasser in meinem Wahlkreis erteilt wurde. Darüber hinaus hat die rot-grüne Landesregierung den Transport von Lagerstättenwasser durch PET-Leitungen genehmigt und das, obwohl sie Kenntnis davon hatte, dass seit Mitte der 90er-Jahre erwiesen war, dass die Rohrleitungen nicht für den Transport von benzolverseuchtem Lagerstättenwasser geeignet sind. So hat die rot-grüne Landesregierung eine große Umweltverschmutzung billigend in Kauf genommen. Zum Schutz von Mensch und Umwelt halte ich es für erforderlich, dass für jedes Vorhaben zur Erdgasförderung zwingend eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird. Dabei muss vor allem auch die lokale Ebene nicht nur informiert, sondern auch beteiligt werden. Karl Schiewerling (CDU/CSU): Den Anträgen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen und folge deswegen den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Deutschland hat mit der Energiewende die Vorreiterrolle für eine Energiezukunft übernommen, die in der Verbindung aus Wachstum und Ressourcenschonung liegt. Ich setze mich für eine nachhaltige Energiepolitik ein und für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung auch in Zukunft. Als Ergänzung der erneuerbaren Energien ist noch über Jahrzehnte hinweg der Einsatz hocheffizienter und flexibel einsetzbarer fossiler Kraftwerke auf der Basis von Kohle oder Gas notwendig. Bislang wird in Nordrhein-Westfalen kein Erdgas gefördert. Allerdings besteht bei verschiedenen Unternehmen Interesse, die Potenziale sogenannter unkonventioneller Erdgasvorkommen zu untersuchen. In den betroffenen Regionen besteht ein hohes Maß an Unsicherheit im Hinblick auf die Risiken, die mit der Gewinnung von Gas verbunden sind. Dabei geht es insbesondere um eine mögliche Belastung des Grund- und Trinkwassers durch das sogenannte „Fracking“ – ein Verfahren, bei dem ein Gemisch aus Wasser, Quarzsand und chemischen Zusätzen in das umlagernde Gestein des Untergrundes gepresst wird, um den Gasfluss hin zum Bohrloch zu stimulieren und die Förderung zu ermöglichen. Als Energieland Nr. 1 hat Nordrhein-Westfalen ein großes Interesse an Erhaltung und Entwicklung neuer energiepolitischer Optionen. Zuständig für den Vollzug der bergbaulichen und -umweltrechtlichen Vorschriften sind die Behörden der Länder. Bei der Genehmigung von Probebohrungen muss das Land Nordrhein-Westfalen sicherstellen, dass der jeweilige Antragsteller verpflichtet wird, alle für die Entscheidung erforderlichen Informationen bereitzustellen und die Auswirkungen auf die Umwelt umfassend zu -dokumentieren. Die Genehmigungsverfahren müssen den spezifischen Erfordernissen der unkonventionellen Erdgasförderung angepasst werden. Insbesondere halten wir eine Änderung des Bergrechts für notwendig. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung – UVP –, die im Bergrecht für die reine Erkundung von Bodenschätzen, also auch für das Probefracking, derzeit nicht vorgeschrieben ist, ist aus unserer Sicht unerlässlich. Umweltrisiken bestehen vor allem dann, wenn unter Einsatz wassergefährdender Stoffe gefrackt wird. Deshalb soll für diese Fälle sowohl bei der Erdgasgewinnung als auch bei der Geothermie eine zwingende UVP eingeführt werden. Diese bein-haltet dann auch eine verpflichtende, transparente und -effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmigung des Probe-Fracking. Zudem sind die Wasserbehörden verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Auch Probebohrungen bedürfen der Zustimmung der Wasserbehörden. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, ist es geboten, entsprechend hohe Regeln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu haben. Wir unterstützen daher die Bemühung im Europäischen Parlament um vergleichbar hohe Sicherheitsstandards. Eine Erdgasförderung in Nordrhein-Westfalen kommt nur infrage, wenn sie von der Bevölkerung in der Region akzeptiert wird. Dafür ist eine umfassende Transparenz eine zentrale Voraussetzung. Die Landesregierung ist in der Pflicht, die Aufklärung der Bevölkerung über die -Risiken des „Fracking“ deutlich zu verbessern. Für mich hat Sicherheit höchste Priorität. In Trinkwasserschutzgebieten muss Fracking ausgeschlossen sein. Genehmigungen für Fracking in anderen Gebieten dürfen nur erteilt werden, wenn unverantwortliche Risiken für Mensch und Natur vollständig ausgeschlossen werden können. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Den Anträgen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen und folge deswegen den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie. Meine Position in der Sache geht aber über die Ausschussempfehlung hinaus. Deshalb erkläre ich wie folgt: Deutschland hat mit der Energiewende die Vorreiterrolle für eine Energiezukunft übernommen, die in der Verbindung aus Wachstum und Ressourcenschonung liegt. Ich setze mich für eine nachhaltige Energiepolitik ein sowie für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung auch in Zukunft. Als Ergänzung der erneuerbaren Energien wird noch über Jahrzehnte hinweg der Einsatz hoch effizienter und flexibel einsetzbarer fossiler Kraftwerke auf der Basis von Kohle oder Gas notwendig sein. Vielerorts bestehen jedoch Bedenken angesichts möglicher Gefahren, die mit der Gewinnung von Gas verbunden sind. Dabei geht es insbesondere um eine mögliche Belastung des Grund- und Trinkwassers durch das sogenannte Fracking-Verfahren, bei dem ein Gemisch aus Wasser, Quarzsand und chemischen Zusätzen in das umlagernde Gestein des Untergrunds gepresst wird, um den Gasfluss hin zum Bohrloch zu stimulieren und die Förderung zu ermöglichen. Die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie „Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten“ hat uns klare Handlungsfelder aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund erarbeitet die christlich-liberale Koalition einen Gesetzentwurf, der die bundesrechtlichen Bedingungen nach dem Auslaufen des Moratoriums im Bund regelt. Die Besorgnis der Bevölkerung nehmen wir ernst und tragen ihr Rechnung. Für mich hat Sicherheit höchste Priorität. Genehmigungen dürfen nicht erteilt werden, wenn unverantwortliche Risiken für Mensch und Natur nicht vollständig ausgeschlossen werden können. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Erstens. Den Anträgen der Fraktionen Die Linke und SPD kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen, da sie keinen ausreichenden Schutz vor den Gefahren des Fracking bieten. Beiden Anträge der SPD und Die Linke sind – wie schon im Mai 2012 – sowohl materiell-rechtlich als auch verfassungsrechtlich zu beanstanden. Zudem ist die Einbringung beider Anträge zum jetzigen Zeitpunkt offensichtlich dem Umstand geschuldet, dass am 20. Januar 2013 in Niedersachsen Landtagswahlen stattfinden. Dass sich die SPD nun ereifert, ist heuchlerisch, hätte sie doch zu ihrer Regierungszeit – auch in Niedersachsen – bereits Regelungen treffen können. Im Gegensatz dazu hat sie aber Genehmigungen zum Fracking erteilt. Zweitens. Der heutige Antrag von Bündnis 90/Die Grünen kann aber eine Grundlage für weitere Diskussionen sein. Vor allem die Forderung nach einer Aussetzung des Verfahrens, bis weitere Erkenntnisse zum -Fracking vorliegen, die Forderung, die Öffentlichkeitsbeteiligung und Transparenz zu erhöhen, und die Forderung nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung decken sich mit den Forderungen der CDU/CSU. Drittens. Solange keine ausreichend fundierten wissenschaftlichen Kenntnisse zu den möglichen Auswirkungen von Fracking vorliegen, dürfen keine Fakten geschaffen werden. Ich begrüße, dass die Bundesregierung die Studie „Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten“ in Auftrag gegeben hat. Die Genehmigungsverfahren müssen den spezifischen Erfordernissen der unkonventionellen Erdgasförderung angepasst werden. Insbesondere hält die CDU/CSU eine -Änderung des Bergrechts für notwendig. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung – UVP –, die im Bergrecht für das Probe-Fracking derzeit nicht vorgeschrieben ist, ist aus unserer Sicht unerlässlich. Umweltrisiken bestehen vor allem dann, wenn unter Einsatz wassergefährdender Stoffe gefrackt wird. Deshalb soll bei der Erdgasgewinnung eine zwingende UVP eingeführt werden. Diese beinhaltet dann auch eine verpflichtende, transparente und effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmigung. Zudem sind die Wasserbehörden verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, unterstütze ich die -Bemühung des Mitglieds des Europäischen Parlaments, Dr. Peter Liese, im Europäischen -Parlament um vergleichbar hohe Sicherheitsstandards. Viertens. Kritisch ist jedoch selbst beim Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, dass keine Regelung bezüglich des Flowbacks getroffen wird. Dieser kann gefährliche Stoffe aus tiefen Bodenschichten enthalten. Es muss daher auch bei ihm sichergestellt werden, dass durch den Flowback keine Risiken entstehen. Hier ist der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen nicht weitreichend genug. Fünftens. Ebenso ist ein Moratorium nur für zukünftiges Fracking rechtlich zulässig. Soweit in manchen -Bundesländern bereits Genehmigungen, teilweise vor Jahrzehnten, erteilt worden sind, können diese nicht mit einem Moratorium außer Kraft gesetzt werden. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass CDU/CSU und FDP derzeit in weiteren Anhörungen an einer guten -Lösung für die Umwelt arbeiten, und ich hoffe, dass sich alle Fraktionen konstruktiv an dieser Diskussion -beteiligen. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gitta Connemann und Hans-Werner Kammer (beide CDU/CSU) zu den Abstimmungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 5) Den Anträgen der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke können wir in der vorliegenden Form nicht zustimmen und folgen deswegen den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie. Unsere Position in der Sache geht aber über die Ausschussempfehlung hinaus. Deshalb erklären wir wie folgt: Vor dem Hintergrund der Diskussion um Fracking in Niedersachsen ergibt sich ein wesentlich differenzierteres Bild zu den Bedingungen eines Bundesgesetzes über Fracking und die Bewertung der Interimszeit bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am Freitagvormittag ein Expertengespräch zum Thema anberaumt, dessen Expertise es selbstverständlich abzuwarten gilt, bevor eine Entscheidung getroffen werden kann, insofern ist die Beratung zu Tagesordnungspunkt 45 an diesem Donnerstag für die Opposition lediglich ein Instrument für wahlkampftaktische Zwecke. Das in den oben angegebenen Drucksachen von den Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke geforderte Fracking-Verbot ist nach dem gegenwärtig gültigen Bergrecht wirkungslos, weil seitens der Erdgas- bzw. Erdölfirmen bei vorher ergangener Bohrgenehmigung durch das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie in Hannover ein einklagbares Bohrrecht besteht. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist im Gegensatz zur Opposition der Auffassung, dass eine Änderung des Bergrechts für die Interimszeit bis zum Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes zum Fracking nicht praktikabel ist, weil dazu eine Mehrheit im Bundesrat fehlt und das Prozedere zu lange dauern würde. Bislang wird in Niedersachsen kein Erdgas aus unkonventionellen Quellen – Schiefergas – gefördert. Allerdings haben verschiedene Unternehmen bereits Anträge zu Bohrprojekten sogenannter unkonventioneller Erdgasvorkommen gestellt. Die Genehmigungspraxis nach dem Bundesbergrecht ist in Niedersachen ein Sonderfall, weil für die Interims-phase bis zum Inkrafttreten eines neuen Bundesgesetzes zu Fracking hier Änderungen vorgenommen wurden. Ein am 31. Oktober 2012 veröffentlichter Runderlass des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie in Clausthal-Zellerfeld stellt auf der Grundlage des geltenden Bergrechts „Mindestanforderungen an Betriebspläne, Prüfkriterien und Genehmigungsabläufe für hydraulische Bohrlochbehandlungen in Erdöl- und Erdgaslagerstätten in Niedersachsen“. Diese gelten sowohl für weiterhin zugelassene Bohrungen nach Tightgas – Sandstein, konventionell – als auch für Shalegas – Schiefergestein, unkonventionell –, für das andere Fracking-Methoden notwendig sind. Nach diesem neuen Runderlass werden alle Anträge zu Bohrgenehmigungen einem neuen, verschärften Verfahren unterzogen, das folgende Auflagen hat: Fracking ist grundsätzlich in Wasserschutzgebieten, Trink-, Mineralwassergewinnungsgebieten, Heilwasserschutzgebieten – Wassergefährdungsklassen I bis III – und erdbebengefährdeten Gebieten verboten. Des Weiteren müssen Landkreise und Bürgermeister frühzeitig bei der Einleitung eines Genehmigungsverfahrens beteiligt und müssen deren Fragen von den Antragstellern berücksichtigt werden. Die unteren Wasserbehörden sind zu einer eigenständigen wasserrechtlichen Prüfung angewiesen. Das ersetzt zwar nicht die geforderte umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung, ist aber für die Interimsphase ein praktikabler Kompromiss zur Verschärfung der Auflagen. Die chemischen Stoffe der Frack-Flüssigkeit sind offenzulegen und durch nichttoxische Stoffe zu ersetzen. Dieser Runderlass des Landesbergamtes zeigt, dass die Genehmigungspraxis auf der Basis des noch geltenden Bergrechts auf Landesebene bereits verschärft wurde. In den betroffenen Regionen besteht ein hohes Maß an Unsicherheit im Hinblick auf die Risiken, die mit der Gewinnung von Gas verbunden sind. Insofern gelten die Auflagen der Fracking-Studie des Bundesumweltministeriums vom August 2012, dass Fracking verboten ist, solange keine ausreichend fundierten wissenschaftlichen Kenntnisse zu den möglichen Auswirkungen von Fracking vorliegen. Eine Förderung unkonventionellen Erdgases in Niedersachsen kommt nur infrage, wenn die bundesrechtlichen Bedingungen nach dem Auslaufen des Morato-riums im Bund schnellstmöglich geregelt werden. Diese werden nun mit dem Vorliegen der Fracking-Gutachten in den beteiligten Ressorts in einem Gesetzentwurf erarbeitet. Eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung – UVP – wird in das Bergrecht ebenso aufzunehmen sein wie eine Ausdehnung der Bergschadensvermutung auf Fracking. Diese beinhaltet dann auch eine verpflichtende, transparente und effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmigung des Probe-Fracking. Zudem sind die Wasserbehörden verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Das Lagerstättenwasser ist ebenso zu untersuchen wie das verpresste Bohrwasser in nicht mehr verwendeten Bohrlöchern. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, ist es geboten, entsprechend hohe Regeln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu haben. Als das am meisten betroffene Bundesland hat Niedersachsen ein großes Interesse an Erhaltung und Entwicklung neuer energiepolitischer Optionen. Zuständig für den Vollzug der bergbaulichen und umweltrechtlichen Vorschriften sind die Behörden der Länder. Die bergbaurechtlichen Anpassungen in Niedersachsen sind der erste Schritt in die richtige Richtung. Für uns hat Sicherheit höchste Priorität. Genehmigungen dürfen nur erteilt werden, wenn unverantwortliche Risiken für Mensch und Natur vollständig ausgeschlossen werden können. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Andreas Jung (Konstanz) und Lothar Riebsamen (beide CDU/CSU) zu den Abstimmungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 5) Zur Debatte zum Thema Fracking und zu den Anträgen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke geben wir folgende persönliche Erklärung ab: Die Risiken der Fracking-Technologie werden unter anderem in dem umfassenden Gutachten „Umweltauswirkungen von Fracking“ im Auftrag des Bundesumwelt-ministeriums und des Umweltbundesamtes dargestellt. Bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten kann es wegen des Chemikalieneinsatzes sowie wegen der Entsorgung des anfallenden Abwassers zu Verunreinigungen im Grundwasser kommen. Die Gutachter empfehlen deshalb strenge Auflagen, insbesondere ein Verbot von Erdgas-Fracking in Trinkwasser- und Heilquellenschutzgebieten. Diese Empfehlungen müssen zwingend umgesetzt werden. Dem Schutz des Wassers und des Ökosystems muss absoluter Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen im Zusammenhang mit Fracking gegeben werden. Als Konsequenz eines solchen Fracking-Verbots in Trinkwasserschutzgebieten und Wassergewinnungsgebieten wird Fracking in sensiblen Gebieten wie etwa der Bodenseeregion vollständig verhindert. Schon die Erkundung mittels Fracking sollte in solchen Gebieten verboten werden. Darüber hinaus muss verpflichtend eine Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP, für jede Bohrung, bei der wassergefährdende Stoffe eingesetzt werden, im Bergrecht verankert werden. Durch das dann gesetzlich vorgesehene systematische Prüfungsverfahren werden Transparenz und eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung gesichert. Es müssen dann alle unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Vorhabens frühzeitig festgestellt, beschrieben und bewertet werden. Im Sinne einer umfassenden Beteiligung ist auch die jeweils zuständige Wasserbehörde einzubeziehen. Ohne deren Einvernehmen darf keine Genehmigung erteilt werden. Die in dem zitierten Gutachten aufgezeigten Erkenntnisse und Risiken sind von allen beteiligten Behörden zu berücksichtigen. Deshalb halten wir es vor einer umfassenden gesetzlichen Regelung nicht für vertretbar, Genehmigungen für Fracking zu erteilen. Wir plädieren dafür, dass das Fracking-Verbot in den genannten Gebieten und die verpflichtende UVP ge-setzlich geregelt werden. Die Bundesregierung und die Fraktionen sind aufgerufen, diese Gesetzgebung mit Nachdruck voranzutreiben. Dasselbe gilt für die Bundesländer im Rahmen ihrer Kompetenzen. Die in dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen genannten Punkte können dabei Grundlage für eine fraktionsübergreifende Verständigung sein. Fraglich ist aus unserer Sicht, ob es – wie in dem Antrag gefordert – eines Moratoriums bis zum 31. Dezember 2014 bedarf. Vorzuziehen wäre nach unserer Auffassung eine umfassende gesetzliche Regelung zu einem früheren Zeitpunkt. Dabei dürfen keinerlei Risiken in Kauf genommen werden. Überall dort, wo noch Erkenntnisse fehlen, darf es keine Genehmigungen für den Einsatz der Fracking-Technologie geben. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Maria Flachsbarth, Enak Ferlemann, Michael Grosse-Brömer, Ewa Klamt, Axel Knoerig, Rita Pawelski und Eckhard Pols (alle CDU/CSU) zu den Abstimmungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 5) Den Anträgen der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke können wir in der vorliegenden Form nicht zustimmen und folgen deswegen den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie. Unsere Position in der Sache geht aber über die Ausschussempfehlung hinaus. Deshalb erklären wir wie folgt: Vor dem Hintergrund der Diskussion um Fracking in Niedersachsen ergibt sich ein wesentlich differenzierteres Bild zu den Bedingungen eines Bundesgesetzes über Fracking und die Bewertung der Interimszeit bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am Freitagvormittag ein Expertengespräch zum Thema anberaumt, dessen Expertise es selbstverständlich abzuwarten gilt, bevor eine Entscheidung getroffen werden kann. Insofern ist die Beratung zu Tagesordnungspunkt 45 an diesem Donnerstag für die Opposition lediglich ein Instrument für wahlkampftaktische Zwecke. Das in den oben angegebenen Drucksachen von den Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke geforderte Fracking-Verbot ist nach dem gegenwärtig gültigen Bergrecht wirkungslos, weil seitens der Erdgas- bzw. Erdölfirmen bei vorher ergangener Bohrgenehmigung durch das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie in Hannover ein einklagbares Bohrrecht besteht. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist im Gegensatz zur Opposition der Auffassung, dass eine Änderung des Bergrechts für die Interimszeit bis zum Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes zum Fracking nicht praktikabel ist, weil dazu eine Mehrheit im Bundesrat fehlt und das Procedere zu lange dauern würde. Bislang wird in Niedersachsen kein Erdgas aus unkonventionellen Quellen – Schiefergas – gefördert. Allerdings haben verschiedene Unternehmen bereits Anträge zu Bohrprojekten sogenannter unkonventioneller Erdgasvorkommen gestellt. Die Genehmigungspraxis nach dem Bundesbergrecht ist in Niedersachen ein Sonderfall, weil für die Interims-phase bis zum Inkrafttreten eines neuen Bundesgesetzes zu Fracking hier Änderungen vorgenommen wurden. Ein am 31. Oktober 2012 veröffentlichter Runderlass des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie in Clausthal-Zellerfeld stellt auf der Grundlage des geltenden Bergrechts „Mindestanforderungen an Betriebspläne, Prüfkriterien und Genehmigungsabläufe für hydraulische Bohrlochbehandlungen in Erdöl- und Erdgaslagerstätten in Niedersachsen“. Diese gelten sowohl für weiterhin zugelassene Bohrungen nach Tightgas – Sandstein, konventionell – als auch für Shalegas – Schiefergestein, unkonventionell –, für das andere Fracking-Methoden notwendig sind. Nach diesem neuen Runderlass werden alle Anträge zu Bohrgenehmigungen einem neuen, verschärften Verfahren unterzogen, das folgende Auflagen hat: Fracking ist grundsätzlich in Wasserschutzgebieten, Trink-, Mineralwassergewinnungsgebieten, Heilwasserschutzgebieten – Wassergefährdungsklassen I bis III – und erdbebengefährdeten Gebieten verboten. Des Weiteren müssen Landkreise und Bürgermeister frühzeitig bei der Einleitung eines Genehmigungsverfahrens beteiligt und müssen deren Fragen von den Antragstellern berücksichtigt werden. Die unteren Wasserbehörden sind zu einer eigenständigen wasserrechtlichen Prüfung angewiesen. Das ersetzt zwar nicht die geforderte umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung, ist aber für die Interimsphase ein praktikabler Kompromiss zur Verschärfung der Auflagen. Die chemischen Stoffe der Frack-Flüssigkeit sind offenzulegen und durch nichttoxische Stoffe zu ersetzen. Dieser Runderlass des Landesbergamtes zeigt, dass die Genehmigungspraxis auf der Basis des noch geltenden Bergrechts auf Landesebene bereits verschärft wurde. In den betroffenen Regionen besteht ein hohes Maß an Unsicherheit im Hinblick auf die Risiken, die mit der Gewinnung von Gas verbunden sind. Insofern gelten die Auflagen der Fracking-Studie des Bundesumweltministeriums vom August 2012, dass Fracking verboten ist, solange keine ausreichend fundierten wissenschaftlichen Kenntnisse zu den möglichen Auswirkungen von Fracking vorliegen. Eine Förderung unkonventionellen Erdgases in Niedersachsen kommt nur infrage, wenn die bundesrechtlichen Bedingungen nach dem Auslaufen des Morato-riums im Bund schnellstmöglich geregelt werden. Diese werden nun mit dem Vorliegen der Fracking-Gutachten in den beteiligten Ressorts in einem Gesetzentwurf erarbeitet. Eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung – UVP – wird in das Bergrecht ebenso aufzunehmen sein wie eine generelle Beweislastumkehr für Bergschäden. Diese beinhaltet dann auch eine verpflichtende, transparente und effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmigung des Probe-Fracking. Zudem sind die Wasserbehörden verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Das Lagerstättenwasser ist ebenso zu untersuchen wie das verpresste Bohrwasser in nicht mehr verwendeten Bohrlöchern. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, ist es geboten, entsprechend hohe Regeln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu haben. Als das am meisten betroffene Bundesland hat Niedersachsen ein großes Interesse an Erhaltung und Entwicklung neuer energiepolitischer Optionen. Zuständig für den Vollzug der bergbaulichen und umweltrechtlichen Vorschriften sind die Behörden der Länder. Die bergbaurechtlichen Anpassungen in Niedersachsen sind der erste Schritt in die richtige Richtung. Für uns hat Sicherheit höchste Priorität. Genehmigungen dürfen nur erteilt werden, wenn unverantwortliche Risiken für Mensch und Natur vollständig ausgeschlossen werden können. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Ansgar Heveling, Hubert Hüppe, Beatrix Philipp, Ruprecht Polenz, Jens Spahn und Lena Strothmann (alle CDU/CSU) zu den Abstimmungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 5) Den Anträgen der Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und SPD können wir in der vorliegenden Form nicht zustimmen und folgen deswegen den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie. Unsere Position in der Sache erklären wir wie folgt: Deutschland hat mit der Energiewende die Vorreiterrolle für eine Energiezukunft übernommen, die in der Verbindung aus Wachstum und Ressourcenschonung liegt. Wir setzen uns für eine nachhaltige Energiepolitik ein und für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung auch in Zukunft. Als Ergänzung der erneuerbaren Energien ist noch über Jahrzehnte hinweg der Einsatz hocheffizienter und flexibel einsetzbarer fossiler Kraftwerke auf der Basis von Kohle oder Gas notwendig. Bislang wird in Nordrhein-Westfalen kein Erdgas gefördert. Allerdings besteht bei verschiedenen Unternehmen Interesse, die -Potenziale sogenannter unkonventioneller Erdgasvorkommen zu untersuchen. In den betroffenen Regionen besteht ein hohes Maß an Unsicherheit im Hinblick auf die Risiken, die mit der Gewinnung von Gas verbunden sind. Dabei geht es insbesondere um eine mögliche Belastung des Grund- und Trinkwassers durch das sogenannte Fracking – ein Verfahren, bei dem ein Gemisch aus Wasser, Quarzsand und chemischen Zusätzen in das umlagernde Gestein des Untergrundes gepresst wird, um den Gasfluss hin zum Bohrloch zu stimulieren und die Förderung zu ermöglichen. Als Energieland Nr. 1 hat Nordrhein-Westfalen ein großes Interesse an Erhaltung und Entwicklung neuer energiepolitischer Optionen. Zuständig für den Vollzug der bergbaulichen und umweltrechtlichen Vorschriften sind die Behörden der Länder. Bei der Genehmigung von Probebohrungen muss das Land Nordrhein-Westfalen sicherstellen, dass der jeweilige Antragsteller verpflichtet wird, alle für die Entscheidung erforderlichen Informationen bereitzustellen und die Auswirkungen auf die Umwelt umfassend zu dokumentieren. Die Genehmigungsverfahren müssen den spezifischen Erfordernissen der unkonventionellen Erdgasförderung angepasst werden. Insbesondere halten wir eine Änderung des Bergrechts für notwendig. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP, die im Bergrecht für die reine Erkundung von Bodenschätzen, also auch für das Probe-Fracking, derzeit nicht vorgeschrieben ist, ist aus unserer Sicht unerlässlich. Umweltrisiken bestehen vor allem dann, wenn unter Einsatz wassergefährdender Stoffe gefrackt wird. Deshalb soll für diese Fälle sowohl bei der Erdgasgewinnung als auch bei der Geothermie eine zwingende UVP eingeführt werden. Diese beinhaltet dann auch eine verpflichtende, transparente und effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmigung des Probe-Fracking. Zudem sind die Wasserbehörden verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, ist es geboten, entsprechend hohe Regeln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu haben. Wir unterstützen daher die Bemühung im Europäischen Parlament um vergleichbar hohe Sicherheitsstandards. Eine Erdgasförderung in Nordrhein-Westfalen kommt nur infrage, wenn sie von der Bevölkerung in der Region akzeptiert wird. Dafür ist eine umfassende Transparenz eine zentrale Voraussetzung. Die Landesregierung ist in der Pflicht, die Aufklärung der Bevölkerung über die Risiken des Fracking deutlich zu verbessern. Für uns hat Sicherheit höchste Priorität. In Trinkwasserschutzgebieten muss Fracking ausgeschlossen sein. Genehmigungen für Fracking in anderen Gebieten dürfen nur erteilt werden, wenn unverantwortliche Risiken für Mensch und Natur vollständig ausgeschlossen werden können. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach, Erich G. Fritz, Dieter Jasper, Steffen Kampeter, Dr. Günter Krings, Philipp Mißfelder, Michaela Noll, Reinhold Sendker und Sabine Weiss (Wesel I) (alle CDU/CSU) zu den Abstimmungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltauswirkungen von Fracking zügig umsetzen (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 5) Den Anträgen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen können wir in der vorliegenden Form nicht zustimmen und folgen deswegen den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie. Unsere Position in der Sache erklären wir wie folgt: Deutschland hat mit der Energiewende die Vorreiterrolle für eine Energiezukunft übernommen, die in der Verbindung aus Wachstum und Ressourcenschonung liegt. Wir setzen uns für eine nachhaltige Energiepolitik ein und für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung auch in Zukunft. Als Ergänzung der erneuerbaren Energien ist noch über Jahrzehnte hinweg der Einsatz hoch effizienter und flexibel einsetzbarer fossiler Kraftwerke auf der Basis von Kohle oder Gas notwendig. Bislang wird in Nordrhein-Westfalen kein Erdgas gefördert. Allerdings besteht bei verschiedenen Unternehmen Interesse, die -Potenziale sogenannter unkonventioneller Erdgasvorkommen zu untersuchen. In den betroffenen Regionen besteht ein hohes Maß an Unsicherheit im Hinblick auf die Risiken, die mit der Gewinnung von Gas verbunden sind. Dabei geht es insbesondere um eine mögliche Belastung des Grund- und Trinkwassers durch das sogenannte Fracking – ein Verfahren, bei dem ein Gemisch aus Wasser, Quarzsand und chemischen Zusätzen in das umlagernde Gestein des Untergrundes gepresst wird, um den Gasfluss hin zum Bohrloch zu stimulieren und die Förderung zu ermöglichen. Als Energieland Nr. 1 hat Nordrhein-Westfalen ein großes Interesse an Erhaltung und Entwicklung neuer energiepolitischer Optionen. Zuständig für den Vollzug der bergbaulichen und umweltrechtlichen Vorschriften sind die Behörden der Länder. Bei der Genehmigung von Probebohrungen muss das Land Nordrhein-Westfalen sicherstellen, dass der jeweilige Antragsteller verpflichtet wird, alle für die Entscheidung erforderlichen Informationen bereitzustellen und die Auswirkungen auf die Umwelt umfassend zu dokumentieren. Die Genehmigungsverfahren müssen den spezifischen Erfordernissen der unkonventionellen Erdgasförderung angepasst werden. Insbesondere halten wir eine Änderung des Bergrechts für notwendig. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP, die im Bergrecht für die reine Erkundung von Bodenschätzen, also auch für das Probe-Fracking derzeit nicht vorgeschrieben ist, ist aus unserer Sicht unerlässlich. Umweltrisiken bestehen vor allem dann, wenn unter Einsatz wassergefährdender Stoffe gefrackt wird. Deshalb soll für diese Fälle sowohl bei der Erdgasgewinnung als auch bei der Geothermie eine zwingende UVP eingeführt werden. Diese beinhaltet dann auch eine verpflichtende, transparente und -effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmigung des Probe-Fracking. Zudem sind die Wasserbehörden verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, ist es geboten, entsprechend hohe Regeln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu haben. Wir unterstützen daher die Bemühung im Europäischen Parlament um vergleichbar hohe Sicherheitsstandards. Eine Erdgasförderung in Nordrhein-Westfalen kommt nur infrage, wenn sie von der Bevölkerung in der Region akzeptiert wird. Dafür ist eine umfassende Transparenz eine zentrale Voraussetzung. Die Landesregierung ist in der Pflicht, die Aufklärung der Bevölkerung über die Risiken des Fracking deutlich zu verbessern. Für uns hat Sicherheit höchste Priorität. In Trinkwasserschutzgebieten muss Fracking ausgeschlossen sein. Genehmigungen für Fracking in anderen Gebieten dürfen nur erteilt werden, wenn unverantwortliche Risiken für Mensch und Natur vollständig ausgeschlossen werden können. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Düngeverordnung novellieren (Tagesordnungspunkt 16) Alois Gerig (CDU/CSU): Die Landwirtschaft in Deutschland ist auf die nachhaltige Produktion sicherer, hochwertiger und bezahlbarer Lebensmittel ausgerichtet. Damit die landwirtschaftlichen Betriebe die dafür notwendigen Erträge erarbeiten können, ist auch der Einsatz von Düngemitteln sinnvoll und notwendig. Wir alle wissen: Zu viel Düngung ist schädlich. Düngung gemäß der guten fachlichen Praxis zielt deshalb nicht nur darauf ab, Nutzpflanzen mit notwendigen Nährstoffen zu versorgen und die Bodenfurchtbarkeit zu fördern. Ziel ist auch, Gefahren für Menschen und Tiere vorzubeugen und den Naturhaushalt zu schützen. Dafür setzt das Düngerecht den Rahmen. Neue Erkenntnisse machen es erforderlich, diesen Rahmen fortzuentwickeln. Die Koalition stellt sich dieser Aufgabe. Deshalb bedarf es Anträgen wie den der SPD-Fraktion eigentlich nicht. Der im September von der Bundesregierung vorgelegte Nitratbericht 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass in den letzten Jahren die Gewässerbelastung mit Nitrat leicht rückläufig war. Es wird prognostiziert, dass in den kommenden Jahren bei gleichbleibender Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen mit einem weiteren leichten Rückgang der Nitratbelastung zu rechnen ist. Dieser Befund ist leider noch nicht befriedigend, um die Ziele der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie und der EG-Nitratrichtlinie zu erreichen. Welche Schritte angezeigt sind, um die EG-Nitratrichtlinie umzusetzen, ist nicht so leicht zu entscheiden. Die Nitratwerte im Grundwasser ändern sich langfristig – die Auswirkungen von Maßnahmen, die wir heute treffen, werden erst in einigen Jahren messbar sein. Dies macht es schwierig, zu bewerten, welche Maßnahmen für den Naturhaushalt notwendig und für die landwirtschaftlichen Betriebe vertretbar sind. Hinzu kommen auch regionale Unterschiede. Zweifellos stehen Regionen mit vielen Tierhaltungsbetrieben vor besonderen Herausforderungen, die dortige tendenziell höhere Nitratbelastung zu reduzieren. Dies gilt umso mehr, als die Marktentwicklung in der tierischen Veredelung erwarten lässt, dass die Betriebsgrößen weiter zunehmen und auch die regionale Konzentration fortschreitet. Die Bundesregierung ist mit der EU-Kommission in konstruktiven Gesprächen, welche Maßnahmen eingeleitet werden sollen. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat eine Evaluierung der gültigen Düngeverordnung vorgenommen; der wissenschaftliche Sachverstand des Johann-Heinrich-von-Thünen-Instituts wurde einbezogen. Der Abschlussbericht enthält konkrete Empfehlungen für die Überarbeitung der Düngeverordnung. Es ist also gar nicht notwendig, die Bundesregierung mit dem Antrag der SPD aufzufordern, die Düngeverordnung zu novellieren; die Überarbeitung der Verordnung ist bereits auf dem Weg. Zudem stellt sich die Frage, ob alle in dem Antrag enthaltenen Forderungen wirklich vernünftig sind. Ich meine: Nein. Da ist zum einen die Forderung nach schärferen Kontrollen und Sanktionen. Die Einhaltung der Düngeverordnung ist Bestandteil von Cross Compliance und wird im Rahmen von Cross-Compliance-Kontrollen von den zuständigen Behörden der Länder geprüft und bei Verstößen sanktioniert. Daneben führen die Länderbehörden auch Fachrechtskontrollen durch; dabei fest-gestellte Verstöße gegen die Düngeverordnung werden als Ordnungswidrigkeit geahndet. Zum zweiten ist auch die Forderung nach einem -stärken Monitoring für Ausnahmebetriebe nicht nachvollziehbar. Ausnahmebetriebe haben auf Grundlage der sogenannten Derogationsregelung die Möglichkeit, höhere Mengen von Wirtschaftsdünger tierischer Herkunft auf Grünland und Feldgras auszubringen. Diese Betriebe unterliegen bereits heute einem umfassenden Monitoring. Strenge Auflagen und Kontrollen gewährleisten, dass trotz Anhebung der Höchstmengen die Düngung bedarfsgerecht und ohne unerwünschte Umweltbeeinträchtigungen erfolgt. Die Derogationsregelung ist für landwirtschaftliche Betriebe auf Grünlandstandorten -äußerst wichtig. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Ausbringung von Stickstoff auf Grünland nicht nur für Ertrag und Qualität vorteilhaft ist, sondern auch für eine geringe Nitratbelastung des Sickerwassers sorgt. Deshalb ist es richtig, dass sich die Bundesregierung in Brüssel dafür einsetzt, die Derogationsregelung auch nach 2013 fortzuführen. Ein dritter kritischer Punkt ist aus meiner Sicht die Forderung nach einer weiteren Absenkung des Stickstoffüberschusses. In den letzten drei Jahren waren die landwirtschaftlichen Betriebe gefordert, den zulässigen Stickstoffüberschuss bereits um ein Drittel von 90 auf 60 Kilogramm pro Jahr und Hektar zu reduzieren. Dies ist bereits ein gewaltiger Schritt. Es ist zu erwarten, dass uns dieser deutlich voranbringt. Ich bin überzeugt, dass auch die konsequente Umsetzung der Verbringungs-verordnung aus dem Jahre 2010 zu einer nachhaltigen Verbesserung der Grundwassersituation führen wird. Bevor den Betrieben weitere Absenkungsschritte auferlegt werden, sollte untersucht werden, wie sich die bereits vorgenommenen Schritte auswirken. Angesichts der erfolgten Stickstoffreduzierung in den vergangenen Jahren halte ich es für fraglich, weitere -Absenkungsschritte vorzuschreiben, ohne zu wissen, ob diese wirklich angemessen und erforderlich sind. Stattdessen sollten wir bei der Verarbeitung des Düngers ansetzen. Die Empfehlungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe gehen aus meiner Sicht in die richtige Richtung: Es gilt die Düngebedarfsermittlung und die Ausbringungszeitpunkte zu präzisieren und die Anforderungen an die Ausbringungstechnik und die Einarbeitung zu verbessern. Auch ist zu prüfen, ob die Düngung mit Biogasgärresten pflanzlichen Ursprungs in die Ausbringungsobergrenzen einbezogen werden müssen. Bei der anstehenden Überarbeitung der Düngeverordnung muss nach Wegen gesucht werden, die eine Absenkung der Nitratbelastung erwarten lassen, andererseits aber auch landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland ermöglichen. Landwirtschaftliche Betriebe sind wichtige Stützen für die Wertschöpfung und den Erhalt von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum. Überzogene Anforderungen bei der Stickstoffreduzierung bergen die Gefahr, dass die Produktion aus Deutschland verschwindet und wir dann Lebensmittel importieren, deren Produktionsbedingungen wir nicht beeinflussen können. Ich bitte die Bundesregierung, einen Verordnungsentwurf vorzulegen, der dies berücksichtigt. Sauberes Wasser ist für alle Menschen lebensnotwendig. Die Landwirtschaft steht – das möchte ich abschließend betonen – in der Mitverantwortung, die Nitrat-belastung unserer Gewässer zu senken. Ich plädiere dafür, die Landwirtschaft nicht auf die Anklagebank zu setzen, sondern die notwendigen Veränderungen in Zusammenarbeit mit dem Berufsstand zu erreichen. Wasser ist ein wichtiger Produktionsfaktor in der Landwirtschaft, und die nachhaltige Nutzung dieser Ressource liegt im Eigeninteresse der Betriebe. Ich bitte Sie, dem vorliegenden Antrag nicht zuzustimmen. Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Düngung ist eine wichtige produktionstechnische Maßnahme im modernen Pflanzenbau zur Erzeugung von hohen Erträgen und Qualitäten. Ökonomisch optimale Erträge werden nur durch zielgenaue Düngestrategien erreicht, die nachhaltig wirken und gleichzeitig die ökologischen Belange beachten. Stickstoff spielt in der Pflanzenernährung eine besondere Rolle. Stickstoff bringt von allen Nährstoffen die stärkste Ertragsreaktion. Stickstoff ist Bauelement von Chlorophyll und vielen Enzymen und wichtigster Nährstoff für die Bildung von Aminosäuren und Eiweiß. Stickstoff fördert indirekt die Bildung von Vitamin B. Die exakte Ermittlung des optimalen Düngebedarfs ist besonders wichtig. Während bei zu niedrigem N-Einsatz das mögliche Ertragspotenzial nicht ausgeschöpft wird, kann zu hohe NDüngung nicht nur zu Mindererträgen, Qualitätseinbußen und ökonomischen Verlusten, sondern auch zu Umweltbelastungen führen. Um wirksame Maßnahmen zur Vermeidung von un-erwünschten Stickstoffüberschüssen zu ermitteln, muss der dynamische Kreislauf des Stickstoffs zwischen Boden und Pflanze betrachtet werden. Die Pflanze kann den Stickstoff immer nur in der mineralisierten Form (nämlich als Ammonium und/oder Nitrat) aufnehmen. Stickstoffquellen sind der Bodenvorrat, organische Dünger oder gestreute Mineraldünger. Im Boden und in den organischen Düngern liegt der Stickstoff in organisch gebundener Form vor. Erst durch die Tätigkeit von Mikroorganismen kann dieser in pflanzenverfügbare Form umgewandelt werden. Bei diesem Vorgang der Nitrifikation entstehen – ohne Einflussmöglichkeit des Landwirts – unvermeidbare Verluste, und zwar gasförmige (vorwiegend Ammonium) in die Atmosphäre sowie Auswaschungsverluste in Form des sehr wasserlöslichen Nitrats in den Boden. Eine völlige Vermeidung von Nitrateinträgen ist nicht möglich, auch nicht in unbeeinflussten Ökosystemen. Vielmehr handelt es sich um einen biologischen Ab- und Umbauprozess, der je nach Lebensbedingungen für die entsprechenden Mikroorganismen stärker oder schwächer ausgeprägt abläuft. Die Höhe der Verlustrate wird von einer Reihe wichtiger Faktoren bestimmt, die es zu beachten gilt: die Bodenkapillarität, die Bodenart und Wasserdurchlässigkeit, der Wassergehalt des Bodens bzw. der Niederschlagsmenge, die Lebensbedingungen für Mikroorganismen (Bodentemperatur und -feuchtigkeit) und das Vorhandensein von aufnahmefähigen Pflanzenwurzeln. Die zentrale Frage war und ist für die landwirtschaftliche Düngepraxis, wie und durch welche Maßnahmen der NAusnutzungsgrad für die jeweiligen Dünger gesteigert werden kann bzw. die unerwünschten Verluste an Stickstoff zu reduzieren sind. Die langjährige Betrachtung der Stickstoffüberschüsse zeigt eine deutlich rückläufige Tendenz, der durchschnittliche Nitrateintrag hat erheblich abgenommen. Die Grenzwertüberschreitungen im Grundwasser liegen derzeit noch bei circa 14 Prozent. Erfreulich ist die Tatsache, dass der Anteil der Prüfstellen, die unter dem Grenzwert von unter 50 mg/l liegen, deutlich zugenommen hat. Dagegen ist die Zahl der Standorte mit darüber liegenden Werten stark rückläufig. Die Punktquellen der N-Einträge in Oberflächengewässer stellen durchaus Probleme dar, die Zahl derer hat aber ebenfalls deutlich abgenommen. Bemerkenswert ist zudem, dass die oft vermutete Ursache für Nitrateinträge – nämlich die Bodenerosion – einen sehr kleinen Anteil beiträgt. Bei den Einträgen über die Dränagen zeigt sich eine abnehmende Tendenz, was besonders auch auf Verbesserungen in der Düngepraxis hinweist. Im Zusammenhang mit dem Nitrateintrag wird häufig Kritik an der hohen Düngeintensität der Landwirtschaft geübt. Dagegen zeigen Auswertungen der Justus-Liebig-Universität Gießen, dass bei gleichem N-Bilanzüberschuss der Wirkungsgrad des Stickstoffs bei höherer Intensität deutlich über dem der geringeren Düngeintensität liegt. Dies bedeutet auch, dass allein durch Extensivierung ein N-Überschuss nicht beseitigt werden kann. Die langjährige Betrachtung zeigt zudem, dass die Ertragssteigerungen im Pflanzenbau stärker ausgefallen sind als die Zunahme des Düngereinsatzes, woraus zu folgern ist, dass die Stickstoffeffizienz – also die pro eingesetzter N-Einheit erzeugte Menge – insgesamt kräftig zugenommen hat. Zu den Forderungen des vorliegenden Antrages nehmen wir wie folgt Stellung: Eine generelle Verschärfung der Düngeverordnung lehnen wir ab. Die Ergebnisse des Nitratberichtes zeigen, dass einheitliche Patentlösungen nicht zielführend sein können, da es sich nicht um ein flächendeckendes Phänomen handelt. Vielmehr ist an den auffälligen Einzelstandorten mit Nitratüberschüssen vor Ort eine gründliche Ursachenanalyse vorzunehmen. Insbesondere sind dabei die hydrogeologischen Bedingungen der Wasserentnahmestellen genauestens zu untersuchen. Dazu gibt es bereits ein ausreichendes Regelwerk. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Evaluierung der Düngeverordnung empfiehlt bei Problemfällen eine spezifische Beratung. Wir plädieren dafür, die bewährten Schritte einer sachgerechten Düngeplanung und -handhabung beizubehalten: Erstens: regelmäßige Bodenuntersuchung zur Erfassung des Nährstoffvorates; zweitens: exakte Düngebedarfsermittlung vor allem für Stickstoff und Phosphat; drittens: die sachgerechte Anrechnung aller organischer Dünger sowie deren fachgerechter Lagerung und verlustarmer Ausbringung; viertens: gezielter und bedarfsangepasster Einsatz der Mineraldünger; fünftens: Nutzung moderner technischer Hilfsmittel zur Verbesserung der mengenmäßigen und termingerechten Platzierung von Düngern (Precision Farming, exakte Ausbringtechnik, platzierte Verabreichung, Testmethoden zur aktuellen Stickstoffbedarfsanalyse etc.) und sechstens: Erstellung einer weitestgehend ausgeglichenen Nährstoffbilanz und zwar schlagspezifisch, kultur- und fruchtfolgebezogen. Zusammenfassend stellen wir fest, dass die bisher angewandten fachlich begründeten Methoden guter landwirtschaftlicher Düngepraxis sich auch in ökologischer Hinsicht bewährt haben, was die vorliegenden Erhebungen bestätigen. An auffälligen Standorten sind orts- und regionalspezifisch geeignete Maßnahmen zu ergreifen, sowohl auf der Seite der Wasserwirtschaft als auch auf der Seite der Landwirtschaft. Unser Schwerpunkt liegt eindeutig bei der weiteren Verbesserung im biologisch technischen Bereich mit dem Ziel, Ausnutzungsgrade von Nährstoffen zu steigern und Verlustraten zu minimieren, was neben den ökologischen Zielen insbesondere auch im vollen Interesse der Landwirte liegt. Die geforderten Verschärfungen im Ordnungsrecht halten wir nicht für zielführend und lehnen sie daher ab. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Heute beraten wir den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion mit dem Titel „Düngeverordnung novellieren“. Im September haben das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrauchschutz ihren Nitratbericht 2012 vorgelegt. Die Zahlen im Bericht belegen eindringlich, dass der Einfluss der Landwirtschaft bei Stickstoffeinträgen ins Grund- und Oberflächenwasser immer noch beträchtlich ist. Ursache für die hohen Nitratgehalte im Grundwasser sind Stoffeinträge, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen. Dieser Langzeiteffekt verdeutlicht, dass wir jetzt umgehend handeln müssen. Wenn wir heute nicht gegensteuern, haben wir zukünftig und dauerhaft Probleme mit der Trinkwasseraufbereitung in Deutschland, und dieses Problem verursacht Kosten für alle Wasserverbraucher und damit für die Allgemeinheit, die nicht vertretbar sind. Eigentlich wollten wir in Deutschland den Stickstoffüberschuss pro Hektar bereits im Jahr 2010 auf 80 Kilogramm Stickstoff begrenzen. Zwar haben wir in Deutschland bereits einiges erreicht. So konnte der Stickstoffüberschuss im Saldo zwischen 1991 und 2009 von ehemals 130 Kilogramm auf 95 Kilogramm gesenkt werden. Gemäß der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie sollen bis zum Jahr 2015 alle Gewässer einen „guten Zustand“ erreicht haben. Es ist aber absehbar, dass nur die Hälfte der Grundwasserkörper die Anforderungen an einen „guten chemischen Zustand“ erreichen. Gegenwärtig sind an knapp 15 Prozent der Messstellen die Nitratbelastungen so hoch, dass sie zur Trinkwassergewinnung nur eingeschränkt nutzbar sind. Wir dürfen jetzt nicht mit unseren Bemühungen nachlassen. Gerade in diesen Tagen geriert sich die Koalition in der europäischen Finanzpolitik sehr schulmeisterlich. Wenn man so auftritt, sollte man zumindest mit gutem Beispiel vorangehen. Unsere nationale Finanzpolitik taugt nicht als Vorbild, beim Gewässerschutz gilt Ähnliches. Und bevor es für die schwarz-gelbe Regierung ganz peinlich wird, wollen wir Sie mit unserem Antrag daran erinnern, welche Maßnahmen zum Schutz der Gewässer wirklich effizient und zielführend sind. Nicht nur die SPD sieht mit Sorge, wie durch Nichtstun und Verzögern Herausforderungen im Gewässer-, Boden- und Klimaschutz auf die lange Bank geschoben werden. Auch die EU-Kommission hat mehrere sehr kritische Anmerkungen gemacht, denen ich mich an dieser Stelle ausdrücklich anschließe. Für die EU-Kommission sind insbesondere drei Gründe für die Güte des Grund- und des Oberflächenwassers verantwortlich: die Zunahme des Energiepflanzenanbaus, der Rückgang des Dauergrünlandanteils an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche und die Zunahme der Stickstoffemissionen ins Wasser und in der Atmosphäre. Dabei mahnt die EU-Kommission ganz konkreten Nachbesserungsbedarf in der aktuellen Düngeverordnung an: beispielsweise bei der Kontrolle der Düngerverbringung zwischen den Landwirten. Hier reicht eine Verschärfung der Dokumentationspflichten nicht aus. Dies ist ja seit Kurzem in Niedersachsen erforderlich. Selbstverständlich muss sichergestellt werden, dass die stickstoffhaltigen Wirtschaftsdünger dort ausgebracht werden, wo aufnahmefähige Böden vorhanden sind. Ansonsten werden wir an den belasteten Standorten eine weitere Verschlechterung des Wasserzustandes hinnehmen müssen. Die Ausbringungsobergrenze für Stickstoff tierischer Herkunft ist gegenwärtig auf 170 Kilogramm Stickstoff pro Hektar ausgelegt. Zukünftig sollte diese auf alle organischen Düngemittel angewendet werden. Damit würde dann auch die Düngewirkung von Gärresten pflanzlicher Herkunft erfasst. Die Anrechnung dieser Stickstoffmengen ist wichtig, denn es kann ja nicht angehen, dass die Gärreste aus Biogasanlagen, die einen hohen Nährstoffanteil aufweisen, zusätzlich und unbilanziert zu den bereits 170 Kilogramm Stickstoff auf die landwirtschaftlichen Flächen ausgebracht werden. Die EU-Kommission ist hier eindeutig: Es muss jede verfügbare Stickstoffmenge eingerechnet werden. Alles andere macht aus meiner Sicht auch keinen Sinn, sonst bekommen wir nämlich dauerhaft das nächste Problem in unseren Böden- und Wasserhaushalten. Bisher erlaubt die Derogationsregelung rinderhaltenden Betrieben, unter bestimmten Bedingungen auf intensiv genutzten Grünlandflächen statt 170 Kilogramm Stickstoff aus Wirtschaftsdüngern tierischer Herkunft bis zu 230 Kilogramm pro Hektar auszubringen. Bereits im Mai hatte ich deshalb der Bundesregierung zwei Fragen gestellt und um Auskunft gebeten. Zum einen wollte ich wissen, welchen landwirtschaftlichen und gewerblichen Betrieben Ausnahmegenehmigungen zur Ausbringung von Stickstoff auf Intensivgrünland erteilt wurden und aufgrund welcher Kriterien diese Betriebe eine Ausnahmegenehmigung erhielten. Darüber hinaus habe ich die Bundesregierung gefragt, wie die Einhaltung der genehmigten Ausbringungsobergrenzen kontrolliert wird und wie die Betriebe an die vorgeschriebenen Stickstoffausbringungsgrenzen nach der EU-Nitratrichtlinie nach Auslaufen der Ausnahmegenehmigung zum 31. Dezember 2013 herangeführt werden. An dieser Stelle bedanke ich mich für die rasche Antwort der Bundesregierung und die beigefügten Aufstellungen. Nach Aussage der Bundesregierung nutzten in 2011 insgesamt 1 067 Derogationsbetriebe eine Ausnahmegenehmigung. Die Betriebe konzentrieren sich vor allem in den folgenden Regionen: Niederrhein, Bergisches Land und Sauerland, Nord- und Westniedersachsen sowie das Allgäu, das bayerische Alpenvorland und Niederbayern. Ich gehe davon aus, dass die Derogationsbetriebe ein existenzielles Interesse daran haben, das Problem der Nährstoffüberschüsse dauerhaft zu lösen. Aber was tut die Bundesregierung? Laut der Antwort auf mein Schreiben hat die Bundesregierung mit der Europäischen Kommission Kontakt aufgenommen, um die Möglichkeit zur Verlängerung der bestehenden Derogationsregelung zu erörtern. Dabei ist klar, dass die EU-Kommission die Derogationsregel grundsätzlich infrage stellt. Weder den Betrieben noch der Umwelt wäre damit geholfen, dass die bis Ende 2013 befristete Ausnahmeregelung in der Düngeverordnung weiter verlängert wird. Diese Antwort ist typisch für die konservative Landwirtschaftspolitik: keine Strategie, wegsehen und nicht handeln. Weder bietet diese Bundesregierung Orientierung noch schafft sie Planungssicherheit. Stattdessen speist sie die betroffenen Landwirte mit lauwarmen Worten ab. Als niedersächsischer Bundestagsabgeordneter bewegt mich insbesondere die Situation in den Veredelungsregionen in Nord- und Nordwestniedersachsen. Dort haben wir massive Probleme mit Stickstoffeinträgen ins Grundwasser. Und die Situation hat sich nicht geändert, das kann man im Nitratbericht 2012 nachlesen. Leider muss ich feststellen, dass die schwarz-gelbe Landesregierung im Agrarland Nummer 1 ihre konservative Landwirtschaftspolitik genauso wie im Bund durchzieht. Seit ein paar Monaten ist die niedersächsische Verordnung über Meldepflichten in Bezug auf Wirtschaftsdünger in Kraft. Seit dem 1. Juli 2012 müssen die in den Verkehr gebrachten Mengen an Wirtschaftsdünger sowie von Stoffen, die als Ausgangsstoff oder Bestandteil Wirtschaftsdünger enthalten, an eine zentrale Datenbank der Landwirtschaftskammer Niedersachsen gemeldet werden. Die Datenbank mit der Bezeichnung „Meldeprogramm Wirtschaftsdünger Niedersachsen“ ist ein erster Schritt, um eine Übersicht zu erhalten, wo welche Mengen an Wirtschaftsdüngern verbracht werden. Scheinbar war die bisherige Erfassungsmethode auf Landkreis-ebene nur unzureichend. Die Landesregierung hat gezwungenermaßen Aktivitäten entwickelt, die leider nur halbherzig sind; denn ohne effektive Kontrollen bleiben die Dokumentationspflichten ein Placebo. In diesem Zusammenhang muss auch auf die grundsätzliche Aussage der EU hingewiesen werden, die sich vorbehält, alle Rechtsregeln im Zusammenhang mit der EU-Nitratrichtlinie zu notifizieren. Dies betrifft auch Länderregelungen. Und das ist auch richtig so; denn scheinbar nehmen die Mitgliedstaaten einige Vorgaben nicht wirklich ernst. Gerade in den Problemregionen, in denen der Viehbesatz pro Hektar teilweise weit über dem erträglichen Maß liegt, müssen wir dauerhaft neue Lösungen finden. Eine SPD-geführte Landesregierung wird dieses seit Jahren in Niedersachsen verschleppte Problem mit aller Kraft angehen. Unsere Agrarpolitik unterscheidet sich maßgeblich von der Klientelpolitik der CDU, der CSU und der FDP: Die SPD schafft Klarheit und Planungssicherheit, während die schwarz-gelben Koalitionen zaudern und unsystematisch rumwursteln. Wir wollen eine nachhaltige, tiergerechte und klimaschonende Landwirtschaft voranbringen. Wir sagen den Landwirten klar und deutlich, was wir von Ihnen erwarten, und wir sagen ihnen im gleichen Atemzug auch, was sie dafür von uns erwarten können. Wir bieten Orientierung und schaffen Planungssicherheit. Bundesagrarministerin Ilse Aigner hat Anfang letzten Jahres einen Dialogprozess um die Charta für Landwirtschaft und Verbraucher auf den Weg gebracht. Ihr Ziel war es, ein Bild einer verbraucherorientierten Landwirtschaft zu entwickeln. Dieses Ziel unterstütze ich voll und ganz. Verbraucherinnen und Verbraucher wollen Antworten auf die drängenden Fragen beispielsweise in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung. Leider bleiben die Dialogprozesse auf halber Strecke stecken. Verbraucher und Landwirte werden von dieser Regierung im Regen stehen gelassen. Auf Bundes- und auf Landesebene produzieren schwarz-gelbe Regierungen Sprechblasen. Im besten Fall kann man von Schwarz-Gelb erwarten, dass sie Missstände und Herausforderungen dokumentieren und beforschen lassen. Statt politische Lösungen anzubieten, schleichen Sie sich aus der politischen Verantwortung und scheuen den Konflikt mit den Lobbyverbänden. Sie verzögern die erforderliche und zeitnahe Anpassung an die sich ändernden Rahmenbedingungen. Dies sieht man ganz deutlich an der Novelle der Düngeverordnung. Ich finde es mittlerweile mehr als beschämend, wie Sie mit wichtigen Zukunftsfragen der Landwirtschaft umgehen. Wir diskutieren heute ja nicht nur den SPD-Antrag zur Novelle der Düngeverordnung, sondern auch zu später Stunde die Novelle des Tierschutzgesetzes. Am heutigen Tag zeigt sich deutlich: Ihre Agrarpolitik, Ihre Tierschutzpolitik und am Ende Ihre Verbraucherpolitik sind nicht tageslichttauglich. Verantwortliches politisches Handeln sieht anders aus. Leider muss die SPD wieder einmal die Versäumnisse einer verfehlten konservativen Agrarpolitik ausbügeln. Wir Sozialdemokraten werden die erforderlichen Diskussionsprozesse ab dem 21. Januar 2013 in Niedersachsen und ab Herbst 2013 in Berlin moderieren und am Ende auch die richtigen politischen Entscheidungen treffen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Der Schutz unseres Grundwassers hat hohe Priorität, denn Trinkwasser ist ein wertvolles Grundnahrungsmittel. Mit der Verabschiedung des Abwasserabgabengesetzes 1978 wurde im Umweltschutz eine Wende eingeleitet. Der Kläranlagenbau wurde vorangetrieben, unsere Gewässer sind seither deutlich sauberer geworden. Der Lachs steigt den Rhein auf, und die Stinte aus der Elbe können wieder gegessen werden. Dennoch können wir uns nicht zurücklehnen. Während Nährstoffeinträge in unsere Gewässer aus Punktquellen durch die verbesserte Reinigungsleistung der Kläranlagen stark gesunken sind, sind die Einträge aus diffusen Quellen weniger stark zurückgegangen. Die diffusen Quellen haben somit an Bedeutung gewonnen. Nach Angaben des Umweltbundesamts stammen 62 Prozent der diffusen Einträge aus der Landwirtschaft. Wir haben im Dreijahresmittel einen Stickstoffüberschuss von etwa 95 Kilogramm pro Hektar und Jahr. Das ist deutlich mehr als die Bundesregierung in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen hat. Auch wenn es in vielen Regionen gelungen ist, den Stickstoffeintrag ins Grundwasser deutlich zu mindern, gibt es andere, in denen er nach wie vor zu hoch ist. Der Antrag des Kollegen Priesmeier spricht daher ein wichtiges Thema an. Die Faktenlage ist vom Umweltbundesamt gut aufgearbeitet worden, darüber dürfte es kaum Dissens geben. Deutschland ist aufgrund der europäischen Wasserrahmenrichtline, WRRL, verpflichtet, Oberflächen- und Grundwässer zu schützen und bis 2015 in einen guten chemischen Zustand zu versetzen. Dazu zählt nach der geltenden Trinkwasserverordnung, dass die Nitratgehalte im Trinkwasser eine Konzentration von 50 Milligramm pro Liter im Grundwasser nicht überschreiten dürfen. Umfangreiche Messungen haben gezeigt, dass Stickstoffeinträge in Oberflächengewässer hauptsächlich durch das Grundwasser erfolgen, und die Hauptquelle für Nitrate und ähnliche Stickstoffverbindungen ist inzwischen die Landwirtschaft. Insgesamt ist laut Nitratbericht der Bundesregierung an den meisten Messstellen eine deutliche Verringerung der Nitratkonzentrationen zu verzeichnen. Vergleichsmaßstab kann dabei aus Sicht der FDP jedoch nicht der Stand aus den 1980er-Jahren sein, wir müssen uns auf die jüngste Entwicklung konzentrieren. Die Dynamik der Abnahme hat sich in letzter Zeit deutlich verringert, in Regionen mit starker Viehhaltung und vielen Biogasanlagen jedoch umgedreht. Dasselbe muss man auch für einige Messwerte in den Küstengewässern, insbesondere der Nordsee und der östlichen Ostsee, feststellen. Laut Nitratbericht ist der ökologische Zustand dort unbefriedigend. Dem kann nicht tatenlos zugesehen werden. Der Indikatorenbericht 2012 des Statistischen Bundesamtes zur nachhaltigen Entwicklung in Deutschland weist für den Teilindikator 12 a, Stickstoffüberschüsse der Gesamtbilanz Deutschland, im gleitenden Dreijahresdurchschnitt immer noch eine deutliche Abweichung vom Ziel 80 Kilogramm pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche aus. Die Bundesregierung hat Maßnahmen unternommen, um die Überschüsse zu reduzieren und gleichzeitig die wissenschaftliche Datengrundlage zu verbessern. Dennoch wurden Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie bisher nicht erreicht, und eine Erfüllung ist in absehbarer Zeit fraglich. Der Antrag der SPD enthält durchaus einige richtige Ansatzpunkte, die auch aus Sicht der FDP mitgetragen werden könnten. So ist eine Berechnung der Stickstoffbilanz ab dem Hoftor, die Einrechnung der ausgebrachten Gärreste und die Anrechnung auf den Wirtschaftsdünger notwendig, um aussagekräftige Zahlen zu erhalten. Bund und Länder arbeiten hier an einer sachgemäßen Umsetzung. Es wäre aus Sicht der FDP wünschenswert, wenn die Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode erfolgen könnte. Die Bundesregierung und die Länder sind aufgefordert, hier möglichst schnell zu einer konstruktiven Lösung zu gelangen. Der Antrag enthält jedoch einige Allgemeinplätze, wie die Forderung nach verschärften Kontrollen, die vom Bund nur bedingt direkt umgesetzt werden können. Hier sind insbesondere die Länder gefordert. Dies soll insbesondere bei den Betrieben erfolgen, die von der Ausnahmeregelung Gebrauch machen, auf Grünland maximal 230 statt 170 Kilogramm Stickstoff pro Hektar einzusetzen. Allerdings ist der Ruf nach einem Monitoring bei diesen Betrieben wenig sinnvoll, da diese bereits deutlich schärfer kontrolliert werden als andere. Bevor weitere pauschale Grenzwerte eingeführt werden und vorhandene Vorschriften verschärft werden, sollten wir die bereits vorhandenen Instrumente effizienter einsetzen. Die FDP hält es allerdings nicht für sinnvoll, diese Ausnahmeregelung festzuschreiben. Der Schutz unserer Gewässer und eine gute Wasserqualität sind für die Bürgerinnen und Bürger ein wichtiges Anliegen. Zukunftsfähig ist letztlich nur eine Regelung, die zu einer zielgenauen Düngung führt und Einträge von überschüssigen Stickstoffverbindungen weitestgehend verhindert. Beispiele aus der Praxis zeigen, dass bereits eine Vielzahl moderner Technologien bereitsteht, um zu einer zielgenaueren und bedarfsangepassten Düngepraxis zu gelangen. Nicht zuletzt deutsche Unternehmen der -Agrartechnik sind hier gut aufgestellt. Unsere Nachbarstaaten Dänemark und die Niederlande zeigen, dass der großflächige Einsatz von modernen Methoden wie dem „precision farming“ zu besseren Ergebnissen führen kann. Die Ergebnisse des DLG-Kolloquiums „Nitrateinträge aus der Landwirtschaft – Problem von gestern und Hypothek für morgen“, das am letzten Mittwoch hier in Berlin stattgefunden hat, haben gezeigt, dass durch gute Beratung und Umsetzung der Empfehlungen eine Effizienzsteigerung der Stickstoffnutzung und damit eine Minderung des Austrags möglich ist. Die Forderung nach einer gezielten Weiterbildung der Landwirte ist ebenfalls sinnvoll, um die neuesten technischen Entwicklungen in die Praxis zu überführen. Wir haben in Deutschland ein beispielhaftes System der Beratung und der Aus- und Weiterbildung, das wir nutzen sollten. Die Landwirtschaftskammern, die Bauernverbände und ebenso die DLG mit ihren Testprogrammen und Fortbildungsangeboten können unseren Landwirten die vielen Verbesserungsansätze nahebringen. Wir Liberale freuen uns darauf, den sachlichen und faktenbasierten Antrag in den weiteren parlamentarischen Beratungen zu diskutieren, auch wenn die Forderungen nicht in allen Punkten von uns geteilt werden. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Die SPD fordert in ihrem Antrag eine Verschärfung der Düngeverordnung. So soll der in der derzeit gültigen Verordnung bestimmte Wert für Stickstoffüberschüsse von 60 Kilogramm Nitrat pro Hektar auf 50 Kilogramm Nitrat pro Hektar gesenkt werden. Weitere Forderungen sind die angemessene Berücksichtigung von Gärresten in den Stickstoffbilanzen sowie die Einführung einer obligatorischen Hoftorbilanz. Neben diesen vorgeschlagenen dramatischen Verschärfungen sollen die Beratung der Landwirte verstärkt und die Kontrolle der Einhaltung der Düngeverordnung intensiviert werden. Für mich stellt sich die Frage, ob das wirklich die Maßnahmen sind, die zum Ziel einer geringeren Stickstoffbelastung aus der Landwirtschaft beitragen und ob überhaupt eine weitere Verschärfung der Düngeverordnung an den von der SPD vorgeschlagenen Stellen etwas bringt? Die Senkung um 10 Kilogramm Nitrat pro Hektar kann eigentlich nur symbolisch gemeint sein. Sie wird keinen nennenswerten Beitrag zur Senkung der landwirtschaftlichen Stickstofffracht leisten, solange noch nicht einmal der vor drei Jahren geltende Wert von 80 Kilogramm erreicht wird. Es wäre also schon viel erreicht, wenn der jetzt in der Düngeverordnung geltende Wert von maximal 60 Kilogramm Nitrat pro Hektar erreicht werden würde. Landwirtschaftsbetriebe, die Gärreste aus Biogasanlagen als Dünger einsetzen, müssen schon jetzt die Gärreste in den flächenbezogenen Stickstoffbilanzen ausweisen. Für mich stellt sich schon die Frage, was konkret mit der im Antrag formulierten Forderung erreicht werden soll? Dass die Hoftorbilanz wirklich zu einer Verbesserung der Effizienz der Düngereinsätze führen wird, halte ich für fraglich. Grundsätzlich ist klar, dass in der Landwirtschaft die Sensibilität für die Umweltbelastungen durch zu hohe Stickstoffverluste gesteigert werden muss. Bewährt haben sich einige Maßnahmen, die über die Düngeverordnung nicht geregelt werden können, die aber politisch weiter gestärkt und verfolgt werden müssen. Dazu gehört zum Beispiel die gezielte Kooperation zwischen der Land- und der Wasserwirtschaft. Gerade die Betreiber der Wasserwerke in Deutschland haben gute Datengrundlagen, um die Verursacher von Stickstoffbelastungen zielgenauer einzugrenzen. Bereits existierende -Kooperationen zeigen die Potenziale, die weitaus höher sind als Verbesserungen, die möglicherweise durch eine teure Intensivierung der betrieblichen Kontrollen -erreicht werden können. In einer funktionierenden -Kooperation zwischen Land- und Wasserwirtschaft wird automatisch die Beratung und auch die Kontrolle der Düngeverfahren in der Landwirtschaft verbessert. Vielleicht ist es angeraten, derartige Kooperationen politisch stärker zu fördern. Ein weiterer Bereich wäre der weitere Ausbau von Lagerkapazitäten zur Gülle- und Gärrestelagerung. Auch dieses ist nicht Bestandteil der Düngeverordnung, -ermöglicht aber die Erweiterung der Möglichkeiten, -betrieblich anfallende organische Düngemittel pflanzenbaulich optimal einzusetzen. Auch würde ein besserer Schutz, besser noch Wiederherstellung von Grünland -erheblich zu einer Reduzierung der Nitrateinträge in die Umwelt beitragen. Letztlich ist aus Sicht der Linken auch die agrarpolitische Rahmensetzung wichtig. Mit dem Durchsetzen des obligatorischen Greenings in der ersten Säule der Agrarförderung der EU kann die landwirtschaftliche Intensität, vor allem an umweltsensiblen Standorten, gemindert werden, ohne dass das betriebswirtschaftlich untragbar wird. Um hier nicht missverstanden zu werden: Die Forderungen der SPD in ihrem Antrag sind nicht falsch. Ob sie aber einen nennenswerten Beitrag zur Verminderung der Umweltprobleme aufgrund der Düngepraxis leisten können, wage ich zu bezweifeln. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Nitratbelastung des Grundwassers durch die Landwirtschaft ist weiterhin alarmierend. 36 Prozent der Grundwassermessstellen in Deutschland weisen deutlich bis stark erhöhte Nitratwerte auf. Bei 15 Prozent der Messstellen werden die Nitratgrenzwerte sogar überschritten. Die signifikant höchsten Werte treten dabei im Einzugsbereich von Agrarflächen auf. Alarmierend ist, dass Fachleute inzwischen wieder deutliche Anstiege der Nitratgehalte genau dort feststellen, wo es in den letzten Jahren zum Ausbau der Massentierhaltung gekommen ist. So lag zum Beispiel im Münsterland die Zahl der Messbrunnen, bei denen der Nitratgrenzwert von 50 Milligramm pro Liter überschritten wurde, im Zeitraum 2008 bis 2011 bei 32,5 Prozent, während es 2000 noch 28,6 Prozent waren. 2002 wurde in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung das Ziel verankert, im Bilanzjahr 2010 einen Stickstoffüberschuss von höchstens 80 Kilogramm pro Hektar zu erreichen. Tatsächlich lagen wir 2010 mit 96 Kilogramm pro Hektar deutlich jenseits dieses ohnehin schon sehr hohen Zielwertes. Die Gründe für diese Situation sind bekannt: über 1 000 neue Großställe in den letzten Jahren, explodierender Import von Futtermitteln, sprich Nährstoffen, die dann in Form von Gülle auf den abnehmenden Flächen landen, Grünlandumbruch und damit Stickstoffmobilisierung in tieferen Bodenschichten und eine regional hohe Konzentration von Gärresten aus Biogasanlagen. Die Bundesregierung ist nicht nur untätig, was die Novellierung der Düngeverordnung betrifft, sondern auch politisch verantwortlich dafür, dass die Belastung des Wassers und des Klimas durch die Landwirtschaft weiter zunimmt. Denn die Expansion der Massentierhaltung ist politisch gewollt und gefördert. Die Bundesländer Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein haben die Bundesregierung bei der Agrarministerkonferenz in Schöntal aufgefordert, bis Ende November 2012 einen Entwurf für eine Novelle der Düngeverordnung vorzulegen. Bisher hat die Bundesregierung jedoch leider nichts geliefert. Auch die EU-Kommission hat die Bundesregierung aufgefordert, die Umsetzung der Nitratrichtlinie in Deutschland zu verbessern. Aber auch darauf hat die Bundesregierung bisher nicht reagiert. Dabei liegen die Fakten auf der Hand. Die Düngeverordnung soll zum Erreichen folgender politischer Ziele beitragen: Sie soll bzw. sollte die Stickstoffüberschüsse der deutschen Landwirtschaft bis 2010 auf 80 Kilogramm pro Hektar senken, um das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie zu erreichen. Sie soll bzw. sollte die Ammoniakemissionen in Deutschland ab 2010 auf 550 Kilotonnen pro Jahr senken. Sie soll zur Erreichung der Qualitätsziele der Wasserrahmenrichtlinie beitragen. Und sie soll helfen, den Klimaschutz in der Landwirtschaft zu verbessern. Keines dieser Ziele wurde in einem Maße erreicht, das uns zufriedenstellen könnte. Deshalb muss die Düngeverordnung novelliert werden. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Evaluierung der Düngeverordnung nennt 24 Punkte, an denen die Düngeverordnung nachgebessert werden müsste. Einige wichtige Änderungen wie die Begrenzung der Stickstoffüberschüsse auf 50 Kilogramm pro Hektar und die Einführung einer Hoftorbilanz werden im Antrag der SPD genannt. Daneben bedarf es weiterer technischer Vorgaben und Anwendungsvorschriften zur Vermeidung gasförmiger Verluste bei der Ausbringung von Düngern und wirksamer Sanktionsinstrumente. Zudem fordern wir die Einführung einer EU-weiten Stickstoffüberschussabgabe. Das können Sie alles auch in unserem Antrag „Klimaschutz im Ackerbau verbessern“ von 2010 nachlesen. Die Probleme bei der Umsetzung der Düngeverordnung stehen stellvertretend für die negativen ökologischen Folgen, die Landwirtschaft überall da hat, wo -industrielle Produktion und Massentierhaltung vorherrschen. Was wir brauchen, ist daher eine grundlegende Agrarwende weg von der Agrarindustrie, hin zu einer bäuerlich-ökologischen Landwirtschaft. Nur so werden wir den großen Herausforderungen beim Klima- und Umweltschutz gerecht werden können. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Steuerfreie Risikoausgleichsrücklage für Landwirtschaftsbetriebe ermöglichen (Tagesordnungspunkt 18) Norbert Schindler (CDU/CSU): Zum aktuellen Antrag der Linken möchte ich deutlich hervorheben, dass ich in meiner Eigenschaft als Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes über die Forderung meiner Präsidentenkollegen und der Landesbauernverbände nach einer steuerfreien Risikoausgleichsrücklage für Landwirtschaftsbetriebe hervorragend im Bilde bin. Ich persönlich bin jedoch überhaupt nicht überzeugt, dass dies eine wirkungsvolle Hilfe für unsere landwirtschaftlichen Betriebe wäre. Ich verstehe, dass man zur Sicherung der innerbetrieblichen Liquidität wegen möglicher Witterungskapriolen Risikovorsorge betreiben möchte. Wenn wir hier einen Ausnahmetatbestand für die Landwirtschaft schaffen, würden sofort andere mittelständische Betriebe, die ebenfalls vom Wetter abhängig sind – von Unternehmen der Tourismusbranche, Betreibern von Seilbahnen und Skiliften bis hin zur Ausflugsschifffahrt – ebenfalls Vergünstigungen fordern. Der monetäre Glättungseffekt würde kurzfristig auch nur für circa 10 Prozent der Betriebe eine gewisse Liquiditätshilfe darstellen, so kann ich Herrn Professor Enno Bahrs von der Universität Hohenheim zitieren, der als fachkundiger Branchenkenner gilt. Für die Masse der Betriebe würde der mit der Risikoausgleichsrücklage verbundene Steuerspareffekt nicht merklich zur Stabilisierung beitragen. Zudem wäre im Rahmen der Steuergerechtigkeit – man würde dem gesamten Mittelstand die Möglichkeit einer steuerfreien Risikoausgleichsrücklage einräumen – gerade in den ersten beiden Jahren einer solchen Lösung ein Steuerausfall von circa 2 Milliarden Euro zu erwarten. Diese 2 Milliarden Euro als Steuererleichterung zu sehen, wäre vom Steuerzahler sehr kurzsichtig gedacht. Denn wenn man dann noch berücksichtigt, dass bei der Nachversteuerung nach fünf Jahren seitens der Finanzbehörden 6 Prozent Zinsen erhoben werden, ist die Rechnung für den überwiegenden Teil der Betriebe beim derzeitigen Marktzins eine negative. Die einzigen, die sicher glückliche Gewinner einer solchen Lösung wären, sind die Steuerberater, die über zusätzliche Arbeit und Gebühren ein dickes Plus auf ihrer Seite hätten. Deshalb ist dieser gut gemeinte Ansatz – ich bilde mir ein, etwas von Steuerfragen zu verstehen – unter dem Strich für alle Beteiligten nicht vorteilhaft. Im Übrigen haben wir hier in diesem Hause vor einigen Wochen mit der Mehrgefahren- und Sonderversicherung bereits einen Ausnahmetatbestand für die Landwirte beschlossen. Ich denke, wir sorgen durchaus mit Augenmaß für unsere Landwirte. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Wir beraten heute über einen Antrag der Fraktion die Linke, in dem sie die Einführung einer steuerfreien Risikoausgleichsrücklage für landwirtschaftliche Betriebe vorschlägt. Damit soll Betrieben geholfen werden, die sich angesichts des Klimawandels und unvorhersehbarer, spekulationsinduzierter Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten mit wachsenden unternehmerischen Risiken konfrontiert sehen. Deshalb sollte im Jahressteuergesetz 2013 für Landwirtschaftsbetriebe die Möglichkeit geschaffen werden, eine steuerfreie betriebliche Risikoausgleichsrücklage anzulegen, von der sie in schlechten Zeiten zehren können. Die Rücklage soll dabei helfen, Einkommensverluste infolge wetterbedingter Ernteausfälle oder Marktextreme zu kompensieren. Die Höhe der Rücklage soll sich aus den betrieblichen Umsätzen der vorangegangenen drei Wirtschaftsjahre errechnen und bis zu 20 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen. Bei betrieblichen Neugründungen soll die beantragte Agrarförderung aus den Direktzahlungen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, GAP, als Bemessungsgrundlage zur Berechnung der Rücklagenhöhe herangezogen werden. Die SPD-Fraktion lehnt diesen Vorschlag einer weiteren steuerlichen Subvention, den der Bauernverband schon seit Jahren immer wieder erfolglos vorbringt, ab, weil er seine Ziele nicht erreicht und zudem sehr ungenau und selektiv – man könnte auch sagen: ungerecht – wirkt. Wenn wir es nicht besser wüssten, könnte man fast auf den Gedanken kommen, die Linken würden sich vor den Karren der Bauernlobby spannen lassen. Ich komme darauf nochmals zurück. Eine steuerliche Subventionierung landwirtschaft-licher Betriebe ist nach unserer Einschätzung nicht erforderlich angesichts der Tatsache, dass die ertragsteuer-liche Belastung in diesem Sektor insgesamt gering ist und eine zusätzliche steuerliche Verlustkompensation bzw. Glättung von Ertragsschwankungen – über die bestehenden Möglichkeiten im Steuerrecht hinaus; ich denke an die Investitionsabzugs- und die Thesaurierungsrücklage – nicht angemessen erscheint. Das lesen wir auch in einem Gutachten, das vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Auftrag gegeben worden war. Es kommt zu dem Ergebnis, dass eine steuerfreie Risikoausgleichsrücklage „keinen wesentlichen Beitrag zur Abfederung von markt- und wetterbedingten Risiken in der Landwirtschaft“ leisten würde. Mit der Rücklage werde im Vergleich mit einer Versicherung keine wirkliche Entlastung erreicht, da die Steuerzahlung lediglich in die Zukunft verschoben werde. Die Linke hält ihren Vorschlag zwar für „eine relativ einfache und für die öffentlichen Haushalte kalkulierbare Unterstützungsmaßnahme mit geringem bürokratischem Aufwand“ – in der Tat belaufen sich die Mindereinnahmen für die öffent-lichen Haushalte auf 35 Millionen Euro pro Jahr; eine überschaubare Zahl – aber 35 Millionen Euro für unwirksame Steuersubventionen ist immer noch ziemlich viel Geld. In dem Gutachten wird zudem dargelegt, dass eine steuerfreie Rücklage sehr selektiv wirken und lediglich einer kleinen Gruppe landwirtschaftlicher Großbetriebe helfen würde, während der überwiegende Teil der kleinen und mittelgroßen Höfe nicht oder nur in geringem Umfang davon profitieren könnte. Etwa 30 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland ziehen überhaupt keinen Nutzen aus einer Risikoausgleichsrücklage. Für weitere 30 Prozent beliefe sich die steuerliche Entlastung auf etwa 100 bis 500 Euro pro Jahr – keine Größenordnung, bei der man von einer wesent-lichen Erleichterung für den Steuerpflichtigen sprechen würde. Die Hälfte der steuerlichen Entlastung entfiele auf 10 Prozent der Betriebe, insbesondere Veredlungs-betriebe. Der Vorschlag verfehlt somit seine Lenkungsabsicht einer Stabilisierung der Liquiditätsausstattung. Bei kleinen und mittelgroßen Betrieben, bei denen in Phasen angespannter Rohstoffpreise oder infolge von Wetterkapriolen vielleicht ein tatsächlicher Bedarf an Liquiditätsverbesserungen auftreten kann, wirkt die Steuersubvention nicht oder kaum. Großbetriebe hingegen, in denen der Bedarf gering ist, profitieren überproportional. Diese Logik – eine kleine Gruppe freut sich sehr über Steuergeschenke, die von einer großen Gruppe bezahlt werden – erinnert mich an Beschlüsse, die uns die FDP in ähnlicher Weise zu Beginn der Legislaturperiode vorgesetzt hatte. Wenn Sie jetzt an Hotels denken, erkennen Sie den systematischen Denkfehler, den uns die Linke heute vorträgt. Der Antrag folgt einem Schema, das sich die Linken in vielen Fragen zu eigen gemacht zu haben scheinen, nämlich alle Probleme in der Welt mit steuerlichen Mitteln lösen zu wollen. Eine überzeugende Begründung, warum die Steuerzahler Ernteausfälle, Schlechtwetterphasen oder Preisschwankungen auf den globalen Rohstoffmärkten aus dem nationalen Steueraufkommen kompensieren sollen, habe ich in dem Antrag nicht gefunden. Es wäre viel wichtiger, den Agrarmarkt vom Kopf auf die Füße zu stellen, Subventionen, Steuererleichterungen und jede Menge Sonderregelungen auslaufen zu lassen und stattdessen im Markt faire Preise zu verlangen. Wir haben uns daran gewöhnt, zu glauben, ein Bauer könne mittels einer Kuh einen Liter Milch für 20 oder 30 Cent produzieren und das auch noch bei hoch volatilen Preisen: 23,9 Cent im Mai, 35,3 Cent im Oktober; aktuell liegt der Erzeugerpreis bei knapp 35 Cent. Kein Wunder, dass der Deutsche Bauernverband, DBV, schon wieder eine klare Politik zur Stärkung der Milcherzeuger in Deutschland fordert. Durch jahrzehntelange Agrarsubventionspolitik ist das Gefühl für einfache Marktgesetze verlorengegangen. Deshalb bin ich für faire Löhne, faire Endverbraucherpreise und damit auch für faire Erzeugerpreise. Damit lassen sich dann auch branchenspezifische Risiken versichern oder durch eine aus den Erträgen gebildete Risikoausgleichsrücklage abfedern. Aber scheinbar ist der Linken selbst nicht so wohl in ihrer Haut; denn sonst hätte sie im Finanzausschuss kaum auf die Erläuterung ihres eigenen Antrags verzichtet, um bei den Kolleginnen und Kollegen für diese Vorschläge zu werben. Was sollen wir davon halten? Traut die Linke ihren eigenen Argumenten nicht? Will sie sich den Vorwurf ersparen, Klientelpolitik auf Kosten der Allgemeinheit zu betreiben? Beides wäre verständlich. So erklärt es sich, warum wir diesen Vorschlag einer weiteren steuerlichen Subvention ablehnen. Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Wer sich in der Landwirtschaft auskennt, weiß: Die Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft sind völlig andere als in der Wirtschaft allgemein. Im Unterschied zur gewerblichen Wirtschaft tragen Landwirte Risiken, die aus dem Umgang mit lebenden Pflanzen und Tieren sowie der Abhängigkeit von Witterung und Klima resultieren. Sie sind ständig höherer Gewalt ausgesetzt, die zu massiven Ertragsschwankungen führt und den Fortbestand der Betriebe gefährden kann. Neben Wetterextremen sind dies Tierkrankheiten bzw. -seuchen, Schädlingsbefall oder Kontamination in der Lebensmittelkette. Wetterkapriolen mit einem extrem trockenen Frühjahr und massiven Regenfällen zur Haupterntezeit haben vielen Landwirten die Erntebilanz 2011 buchstäblich verhagelt. Und auch dieses Jahr war das Ergebnis mehr als durchwachsen. Aber nicht nur angesichts des Klimawandels, auch zur Abfederung der immer stärker schwankenden Preise an den liberalisierten Agrarmärkten ist das Risikomanagement für die Landwirte entscheidend. Nicht ohne Grund lautet denn auch eine Bauernweisheit: Drei Ernten soll ein Bauer haben: Eine auf dem Feld, eine in der Scheune und eine auf der Bank. Vor diesem Hintergrund erscheint die Forderung einer steuerfreien Risikoausgleichsrücklage für Landwirtschaftsbetriebe erst einmal attraktiv – auch wir haben uns damit schon intensiver auseinandergesetzt. Aber – wie immer – steckt auch hier die Tücke im Detail. Im April vergangenen Jahres hat der Wissenschaftliche Beirat beim BMELV eine Stellungnahme zur Risikoausgleichsrücklage abgegeben. Darin äußern die Fachleute grundlegende Bedenken, die auch von verschiedenen Wissenschaftlern geteilt werden. Lassen Sie mich die wichtigsten aufführen: Es wird ein neuer steuerrechtlicher Sondertatbestand eingeführt, zumal die Möglichkeiten der Einkommensglättung in Form der zweijährigen Durchschnittsbesteuerung und des Verlustabzugs nach § 13 a EStG schon bestehen. Problematisch wird die Behandlung unterschiedlicher Rechtsformen und Gewinnermittlungsarten, eine weitere Verkomplizierung der Besteuerung landwirtschaftlicher Betriebe ist kaum vertretbar und auch vom Berufsstand nicht gewünscht. Die Einführung wird zu Problemen bei der Vereinbarkeit mit den EU-Beihilferegeln und im WTO-Kontext führen. Und nicht zuletzt ist fraglich, ob der Großteil der Landwirte überhaupt von den Vorteilen der Rücklage profitieren kann, zumal der Landwirt in der Lage sein muss, sein Einkommen der Folgejahre möglichst genau abschätzen zu können. Der Wissenschaftliche Beirat kommt zu dem Ergebnis, dass die Risikoausgleichsrücklage höchstens als ergänzendes Instrument der Einkommensglättung infrage käme, dann aber auch nicht sektorspezifisch, sondern als generelle steuerpolitische Maßnahme. Die Vermeidung einer existenzbedrohenden wirtschaftlichen Situation werde damit aber nicht erreicht, hier seien Versicherungslösungen besser geeignet. Vor diesem Hintergrund haben wir uns als Regierungskoalition entschlossen, durch die Änderungen bei der Versicherungsteuer die Möglichkeiten der betrieblichen Risikovorsorge zu verbessern. Bislang sind etwa zwei Drittel der Acker- und Gartenbauflächen gegen Hagelschlag versichert. Landwirte müssen sich aber gegen weitere Wetterrisiken wie Sturm, Starkregen, Spätfrost, Auswinterung, Überschwemmung oder Trockenheit absichern. Die hierdurch verursachten Schäden können sich auf ein Vielfaches des durch Hagelschlag verursachten Ertragsausfalls belaufen. Deshalb benötigen landwirtschaftliche Betriebe kombinierte Versicherungslösungen, sogenannte Mehrgefahrenversicherungen. In den meisten EU-Ländern fällt überhaupt keine Versicherungsteuer für die Absicherung gegen Wetterrisiken an, vielfach werden sogar staatliche Zuschüsse zu solchen Versicherungen gewährt. Es kann nicht sein, dass unsere heimischen Landwirte und Gartenbauer erneut mit einem Wettbewerbsnachteil zu kämpfen haben. Deshalb haben wir uns entschieden, auch Versicherungen gegen Starkregen, Sturm und Frost mit einer abgesenkten Versicherungsteuer von 0,3 Promille zu belegen. Um den Haushalt nicht unnötig zu belasten, haben wir die Steuer für Hagel um 0,1 Promille auf jetzt ebenfalls 0,3 Promille angehoben. Landwirte haben somit verbesserte Möglichkeiten, die Risiken zunehmender Wetterextreme individuell abzusichern und ein auf ihren Betrieb zugeschnittenes Risikomanagement einzuführen. Damit stärken wir die Eigenvorsorge und reduzieren die Abhängigkeit von staatlicher Ad-hoc-Hilfe. Wir müssen jetzt aber auch die Verhandlung über die Weiterentwicklung der GAP abwarten – hier machen einige Mitgliedstaaten Druck, mit EU-Mitteln Versicherungen staatlich fördern zu lassen. Dann werden wir prüfen, ob und welche politischen Rahmenbedingungen zusätzlich nötig sind, um den Landwirten das Risikomanagement zu erleichtern. Möglicherweise benötigen sie weitere Instrumente, die zur Einkommenssicherung in schwierigen Jahren beitragen können. Eine allgemeine, aus EU-Geldern finanzierte Ernteversicherung lehnt die FDP jedoch ab. Sie belastet alle Landwirte und Steuerzahler in Deutschland und führt nicht zu einem adäquaten Ausgleich wirtschaftlicher Risiken. Mitnahmeeffekte sind so vorprogrammiert. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Der Sparstrumpf ist ein beliebtes Symbol. In guten Zeiten soll man ihn füllen, damit man in schlechten Zeiten ein paar Groschen aus dem Strumpf herausholen kann. Ein uraltes Prinzip. Den gleichen Zweck haben Sparkonten, nur dass sich in diesem Sparstrumpf der Neuzeit das Geld auch noch vermehrt, zumindest im günstigsten Fall. Die Linksfraktion schlägt nun vor, dieses Prinzip bei Agrarbetrieben staatlich zu unterstützen. Bei ihrem existenzsichernden Notgroschen soll auf Versteuerung verzichtet werden, wenn er in den modernen Sparstrumpf kommt. Das nennt sich „steuerfreie Risikoausgleichsrücklage“, und ihre Einführung fordert Die Linke im Antrag 17/10099, der heute abschließend beraten wird! Dabei geht es uns ausdrücklich nicht um ein staatlich finanziertes Rundum-Sorglos-Paket, sondern um notwendige Hilfe zur Selbsthilfe, und das nicht nur im finanziellen Sinne. Denn damit wird aktive und effektive Risikovermeidung unterstützt. So bleibt mehr Geld im Sparstrumpf für die Notfälle, die nicht zu vermeiden sind. Das wiederum entlastet die öffentlichen Haushalte, die in solchen Notfällen dann nicht mehr einspringen müssten. Das ist eine klassische Win-win-Lösung, von der sowohl die Agrarbetriebe als auch die öffentlichen Kassen profitieren würden. Allerdings ist ein solcher konditionierter Steuerverzicht nur unter zwei Voraussetzungen gerechtfertigt: Erstens, wenn es ein herausgehobenes gesellschaftliches Interesse an der Absicherung der Leistungserbringung gibt, und zweitens die unvermeidlichen Risiken so hoch sind, dass der Staat immer wieder zur Notfallregulierung einspringen müsste. Beide Voraussetzungen sieht Die Linke bei den Agrarbetrieben erfüllt. Die Versorgung mit Lebensmitteln und zunehmend auch mit Energie sehen wir als eine strategische Aufgabe der einheimischen Agrarwirtschaft, die im Interesse der Gesellschaft gesichert sein muss. Damit hat die Agrarproduktion eine höhere Priorität als viele andere Bereiche in Industrie und Dienstleistung. In der aktuellen Situation eines realen oder scheinbaren Überflusses scheint dieses Grundverständnis manchmal in den Debatten verloren zu gehen. Aber wir tun alle gemeinsam gut daran, das nicht zu vergessen. Im Gegenteil. Aus Sicht der Linken muss die Agrarwirtschaft wieder viel deutlicher auf die strategische Aufgabe dieser Versorgungsleistung für die Gesellschaft ausgerichtet werden, statt sich auf die Rohstoffzulieferung für einen globalisierten Weltagrarmarkt zu reduzieren. Damit ist die erste Voraussetzung für den konditionierten Steuerverzicht erfüllt. Zur zweiten Voraussetzung: Die Notfallrisiken haben deutlich zugenommen. Damit meinen wir nicht jene, die durch eigenes vorsorgliches Handeln vermieden werden können, sondern die nahezu oder gar nicht vermeidbaren. Bisher ist es so, dass in schwierigen Zeiten die Agrarbetriebe oft um staatliche Finanzhilfe bitten. Beim lang-anhaltenden Binnenhochwasser in Brandenburg war das so, während der Milchkrise oder auch, als die EHEC-Krise tausende Gemüsebetriebe unverschuldet in Existenznot gebracht hat. Schnell sind dann mehr oder weniger namhafte Agrarpolitikerinnen und -politiker in den Medien und lassen sich für Rettungsmaßnahmen feiern. Dabei kann das ganz einfach vermieden werden: keine Steuern auf das Geld erheben, das für bestimmte Risiken in den Sparstrumpf gesteckt werden soll. Aber die Frage ist ja legitim: Was geht dieses Sparmodell den Staat an? Die Bundesregierung verweist auf die unternehmerische Verantwortung, auch der Wissenschaftliche Beirat des BMELV sieht das so. Aber der Bundesrat teilt unsere Position und hat im Jahr 2009 von der Bundesregierung gefordert, „für landwirtschaftliche Betriebe die Möglichkeit zu schaffen, steuerfreie Rücklagen zur Glättung der zukünftig aufgrund der Marktliberalisierung noch stärker schwankenden Gewinne zu schaffen“. Und der Bundesrat ist alles andere als ein von den Linken dominiertes Gremium. Die unwägbaren Risiken werden für Landwirtinnen und Landwirte immer größer. Klimawandel, internationale Handels- und Personenströme, neue Tierseuchen oder starke Preisschwankungen. Die Auswirkungen treffen die Agrarbetriebe oft hart. Meist können sie sich dagegen gar nicht wehren oder darauf vorbereiten. Wir halten es auch nicht für sinnvoll, solche kaum kalkulierbaren Produktionsrisiken über Versicherungen abzufangen. Sie wären kaum finanzierbar, und profitieren würden wahrscheinlich nicht Bäuerinnen und Bauern, sondern die großen Versicherer. Das will ich nicht! Die internationalen Agrarmärkte sind ständig in Bewegung. Das unvorhersehbare Auf und Ab wird durch das Machwerk von Spekulantinnen und Spekulanten an den Rohstoffbörsen noch verstärkt. Die Agrarbetriebe haben oft das Nachsehen, und sie müssen hilflos dabei zusehen, wie der Preis ins Bodenlose fällt. Hier knüpft die Idee der Linksfraktion an. Es geht eben nicht um Steuergeschenke, wie leider manchmal behauptet wird, sondern um mehr Stabilität für die Betriebe. Im Interesse der Ernährungssicherung und des Erhalts von Arbeitsplätzen in den ländlichen Räumen macht die Einführung einer steuerfreien Risikoausgleichsrücklage für Landwirtschaftsbetriebe also Sinn. Die Höhe sollte sich aus den betrieblichen Umsätzen der vorangegangenen drei Wirtschaftsjahre errechnen und bis zu 20 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen. Für die öffentlichen Haushalte ist das eine kalkulierbare Unterstützungsmaßnahme und der bürokratische Aufwand hält sich in Grenzen. Die bereits erwähnten, alljährlichen Debatten über Hilfspakete würden mit Ausnahme von Großschadenslagen entfallen. Leider werden die anderen vier Fraktionen des Deutschen Bundestages heute unseren Antrag nicht unterstützen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die Debatten weitergehen werden und dass diese Unterstützung für die einheimische Landwirtschaft gewährt werden muss und wird. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wettereinflüsse wie längere Trockenheit, ein harter Winter oder auch Überschwemmungen oder Hagel beeinflussen in hohem Maße den Ernteerfolg. Klima- bzw. wetterbedingte Missernten und Ernteverluste führen nicht nur zum Verdienstausfall für Landwirte, sondern bedeuten Knappheit an Lebensmitteln für viele Menschen in den betroffenen Regionen. Es steht außer Frage, dass die Solidargemeinschaft der Menschen sich immer wieder und verstärkt darum kümmern muss, dass Hunger in der Welt eingedämmt werden muss. Wir Grünen setzen uns an vielen Stellen dafür ein, dass mit entsprechenden Maßnahmen dieser Hunger bekämpft wird. Dies sollte aber nur dort geschehen, wo es Sinn macht, also vor Ort. Der Wohlstand und die technische Entwicklung in den westlichen Ländern haben dazu geführt, dass die Bevölkerung in diesen Ländern wetter- und klimabedingte Missernten in keiner Weise mehr zu spüren bekommt. Lediglich die heimische Landwirtschaft ist durch wetterbedingte Ernteschwankungen betroffen, sie führen zu entsprechenden Schwankungen der Einnahmen. Dabei gibt es ein System von Versicherungen und direkten Hilfen, um Verdienstausfälle von Landwirten aufgrund von Wetterereignissen oder Schädlingsbefall und Krankheiten abzufedern. Die Linke will nun über die schon bestehenden Sicherungssysteme hinaus mit einer steuerfreien Risikoausgleichsrücklage für Landwirte eine weitere Risikoabsicherung organisieren. Auch gegen Einnahmeausfälle durch Schwankungen am Markt und sinkende Agrarsubventionen sollen Landwirte zusätzlich geschützt werden. Eine Risikoausgleichsrücklage würde bedeuten, dass Landwirte in guten Zeiten einen Teil des Gewinns in eine Rücklage einbringen, die durch Nichtversteuerung begünstigt wird und gegebenenfalls zur Kostendeckung bei wetterbedingten Verlusten herangezogen werden kann. Damit kein Missbrauch mit einer solchen Regelung betrieben würde, müsste das Finanzamt in die Bewertung von Höhe und Art eines möglichen wetterbedingten Verdienstausfalles eingebunden werden, diesen Sachverhalt der Sache und der Höhe nach prüfen. Dabei zeigt sich, dass es ordnungspolitisch höchst fragwürdig ist, eine Risikoabsicherung durch eine steuerliche Regelung zu bewerkstelligen. Natürlich ist das Regelwerk einer Versicherung oft kompliziert, aber das Problem kann nicht einfach dadurch gelöst werden, dass es vom Versicherungsbereich in die Finanzämter verlagert wird. Dieses wäre ein vollkommen untaugliches Mittel und ist deshalb strikt und aus prinzipiellen Gründen abzulehnen. Es ist kaum vorstellbar, dass der Bauernverband eine solche Initiative stützt, und wenn dann nur deshalb, weil er ein Steuerschlupfloch für seine Mitglieder vermutet. Weiter im Antrag wird die Forderung nach der Gewinnrücklage auch mit gestiegenen Schwankungen der Agrarmärkte und sinkenden Agrarsubventionen begründet. Damit wird deutlich, dass die Linke die Mechanismen eines funktionierenden Marktes gerne komplett ausschalten würde. Aber auch in der Landwirtschaft bestehen unternehmerische Risiken, die nicht vom Staat übernommen werden können. Und wir wollen doch zum Beispiel Landwirten mit einer Massenproduktion von Schweinefleisch mit dem Zielmarkt Russland oder China nicht auch noch das unternehmerische Risiko abnehmen. Zudem erhalten Landwirte bei wetterbedingten Problemen bereits Unterstützung. Die Bundesländer übernehmen oft unwetterbedingte Ernteausfälle. Auf die Hagelversicherung gibt es eine Ermäßigung bei der Versicherungsteuer, und die Grundsteuer A kann bei nachgewiesenen Ernteausfällen erlassen werden. Warum daneben noch eine weitere Förderung entstehen soll, ist nicht ersichtlich. Statt neue steuerliche Sonderregelungen zu schaffen, sollte man eher bestehende Regelungen überdenken. So ist die Grundsteuer A in ihrer derzeitigen Form eher ein Relikt vergangener Tage, das einen erheblichen Erhebungsaufwand bedeutet. Auch die Besteuerung nach Durchschnittssätzen in der Einkommen- und Umsatzsteuer kann kritisch hinterfragt werden, weil sie zum Teil erhebliche Vorteile für Umsätze aus dem landwirtschaftlichen Betrieb bedeutet. Wir sollten nicht den Fehler machen, die industriell geprägte Landwirtschaft in der Bundesrepublik aus der Verantwortung zu entlassen, nachhaltig unternehmerisch zu handeln. Zudem sollten wir nicht in Aktionismus verfallen und, weil es gerade in Mode ist, ständig neue steuerliche Subventionen einführen. Deswegen lehnen wir den vorgelegten Antrag strikt ab. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 19) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Das Recht der -Sicherungsverwahrung beschäftigt seit Ende der 90er-Jahre Gesetzgeber und Rechtsprechung fortwährend. Das ist zunächst einerseits aus der Sicht der Betroffenen nachvollziehbar. Es ist ihr gutes Recht, jedwedes Rechtsmittel zu nutzen und sämtliche Instanzen bis zum -Bundesverfassungsgericht und zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Andererseits ist es zur Daueraufgabe des Gesetzgebers geworden, die Entscheidungen der Rechtsprechung in gesetzliche -Regelungen zu übersetzen, um auch weiterhin dem Schutzauftrag des Staates gegenüber der Bevölkerung nachkommen zu können. Denn darum geht es: die Bürgerinnen und Bürger bestmöglich vor hochgefährlichen Straftätern zu schützen. Erinnern wir uns: Im Dezember 2009 – rechtskräftig geworden im Mai 2010 – hatte der Europäische -Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die Sicherungsverwahrung vom Verbot der Rückwirkung nach Art. 7 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, EMRK, erfasst sei. Damit wurde unser bewährtes zweispuriges System aus Strafen – als Sanktion für individuelle Schuld – und Maßnahmen – die nicht an die Schuld anknüpfen und wie die Sicherungsverwahrung auch präventiven Charakter haben können – auf den Prüfstand gestellt. Das Bundesverfassungsgericht ist der Linie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit seiner Entscheidung im Mai 2011 zwar grundsätzlich gefolgt, hat aber einerseits die Tür für unser zweispuriges System weiter offen gelassen und gleichzeitig andererseits festgestellt, dass trotz des Rückwirkungsgebots in einigen Fällen besonders hochgradiger Gefährlichkeit eine Freiheitsentziehung weiterhin möglich sein muss. Daraufhin hat die christlich-liberale Koalition zusammen mit der SPD-Fraktion mit dem Therapie- und Unterbringungs-gesetz, ThUG, zunächst eine gesetzliche Lösung für eine große Zahl von Fällen geschaffen, für die eine Unterbringung auf Grundlage des Rechts der Sicherungsverwahrung nicht mehr möglich war. Außerdem ist der Deutsche Bundestag vor wenigen Wochen dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen und hat das Recht der Sicherungsverwahrung mit Blick auf das Abstandsgebot zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung neu geregelt. Insgesamt kommt man dabei allerdings an zwei Feststellungen nicht vorbei: Erstens haben der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht leider den zweispurigen Weg zu einem immer schmaleren Grat werden lassen. Hoffen wir, dass er auch für die Zukunft breit genug ist, an der Sicherungsverwahrung grundsätzlich weiterhin verfassungskonform festhalten zu können. Und zweitens ergeben sich aus minimalen Differenzen zwischen den unterschiedlichen Gerichtsentscheidungen gelegentlich Lücken, die zwar nur für wenige Fälle einschlägig, aber gleichwohl von großer Bedeutung sind. Wir nehmen unseren Schutzauftrag ernst. Deshalb -haben wir nicht nur das Therapie- und Unterbringungsgesetz sowie die Neuregelung des Abstandsgebots zügig auf den Weg gebracht. Wir sind ebenso entschlossen, auftretende Lücken aufgrund der oben beschriebenen Kongruenzmängel rasch zu schließen. Und um eine solche Lücke geht es beim vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, EGStGB. Es geht darum, dass zwischen den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von Dezember 2009 und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Mai 2011 eine zeitliche Lücke klafft, die zu Entscheidungsunsicherheiten führen konnte und in einzelnen Fällen wohl auch geführt hat. Solche Lücken wollen wir nun schließen. Es geht hierbei um Fälle, in denen ein Antrag auf Anordnung einer Sicherungsverwahrung vor dem 4. Mai 2011 ausschließlich deshalb abgelehnt wurde, weil das zuständige Revisionsgericht dies aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EGMR, für zwingend ansah, unabhängig von sonstigen Kriterien wie insbesondere dem Grad der Gefährlichkeit des Täters. Diese Konstellation konnte dadurch entstehen, dass bis zum Urteil des Bundes-verfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 noch nicht -abschließend geklärt war, ob die Vorgaben der Euro-päischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte den nationalen Gerichten von vornherein jede rückwirkend verschärfende Rechtsanwendung im Recht der Sicherungsverwahrung ausschlossen oder dies – unter erhöhten Voraussetzungen – doch noch möglich war, so wie es das Bundesverfassungsgericht schlussendlich entschieden hat. Um einen solchen Fall handelt es sich beim sogenannten Saarland-Fall. Dabei wurde im November 2006 von der Staatsanwaltschaft die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung beantragt und vom Landgericht ein Unterbringungsbefehl zur vorläufigen Unterbringung erlassen. Im April 2007 hat das Landgericht Saarbrücken auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet, die vom Bundesgerichtshof im Februar 2009 allerdings aus formaljuristischen Gründen aufgehoben werden musste und in der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken zurückverwiesen wurde. Im Juli 2009 ordnete das Landgericht Saarbrücken erneut die nachträgliche Sicherungsverwahrung an. Aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat der Bundesgerichtshof im Mai 2010 jedoch entschieden, dass das Landgericht Saarbrücken die gesetzlichen Voraussetzungen für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zwar rechtsfehlerfrei bejaht habe, das Urteil des Landgerichts Saarbrücken aber dennoch aufgehoben werden müsse, weil die Anordnungsnormen zum -Tatzeitpunkt noch nicht in Kraft waren und gemäß der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus Dezember 2009 das Rückwirkungsverbot greife. Der Betroffene wurde daraufhin freigelassen. Aufgrund der Tatsache, dass der Betroffene damit nicht endgültig, sondern zuvor nur vorläufig in der -Sicherungsverwahrung untergebracht war, hat der Bundesgerichtshof im Juli 2012 zudem im Verfahren um eine Unterbringung nach Therapie- und Unterbringungsgesetz festgestellt, dass eine Unterbringung aufgrund des Therapie- und Unterbringungsgesetzes ebenfalls nicht möglich sei, da es nicht auf Personen anwendbar sei, die nur vorläufig in der Sicherungsverwahrung untergebracht waren. Vergegenwärtigen wir uns aber einmal, mit welchem Täter wir es hier zu tun haben: Erstmals wurde er im -Dezember 1970 wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt, weil er ein 16 Jahre altes Mädchen zum Geschlechtsverkehr zwang und dabei erwürgte. Im Juni 1979 wurde er aus der Haft entlassen und drängte bereits im Juli 1979 in einem Treppenhaus eine ihm unbekannte Frau in ihre dortige Wohnung, fasste sie an den Hals und würgte sie, bis ihr schwindlig wurde. Die Frau konnte sich durch Gegenwehr befreien und flüchten. Im Mai 1980 wurde er deswegen wegen gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Nach seiner Haftentlassung im Februar 1982 verließ er Deutschland zunächst und kehrte im Februar 1988 ins Saarland zurück. Schon Mitte Februar 1988 verfolgte er dann eine Frau, griff sie an den Hals, würgte sie und zerrte sie in ein Waldgelände, wo er sie auszog und auf sie einschlug. Da es nicht zum Geschlechtsverkehr kam, ließ er die Frau unbekleidet bei Temperaturen um 0 Grad Celsius im Wald zurück. Hierfür wurde er zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs -Monaten sowie zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt. Von dort entwich er im Februar 1990 und beging unmittelbar während der Flucht seine nächste Straftat, indem er in einem Bordell eine Prostituierte von hinten ansprang, ihr den Mund -zuhielt und sie am Hals würgte. Mehrfach floh er im -Anschluss daran aus der Unterbringung und verbüßte ab Dezember 2005 seine restliche Strafhaft. Dieser Fall zeigt, dass die Lücken, die sich durch die verschiedenen Gerichtsentscheidungen ergeben haben, schnellstmöglich zu schließen sind. Der beschriebene Täter ist ein erschreckendes Beispiel für die Folgen, die die entstandene Regelungslücke mit sich bringen kann. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) soll diese Lücke nun rasch geschlossen -werden, um keine Schutzlücke entstehen zu lassen. So bedauerlich es einerseits ist, dass dies nun in einem eigenen Gesetzgebungsverfahren geschehen muss und eine Regelung nicht schon mit dem vor einigen Wochen -verabschiedeten Gesetz zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung erfolgen konnte, so wichtig ist es andererseits, dass wir dieses Gesetzgebungsverfahren nun zügig durchführen. Hier gilt mein Dank allen Fraktionen, die sich konstruktiv in das Verfahren einbringen. Abschließend möchte ich, da dies in der vorbereitenden Diskussion bereits Erwähnung gefunden hat, darauf hinweisen, dass eine Neuregelung der nachträglichen -Sicherungsverwahrung die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu erfassenden Fälle nicht umfasst hätte. Ohne Frage: Wir hätten uns im Gesetzgebungsverfahren zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung als CDU/CSU-Fraktion gewünscht, auch in Zukunft die Möglichkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung zu haben. Dies ist nach wie vor nicht geregelt. Die Fälle, die Grundlage dieses heute beratenen Gesetzentwurfs sind, wären aber davon, ich betone dies noch einmal, nicht erfasst. Daher bedarf es einer eigenständigen gesetzlichen Regelung. Der entsprechende Gesetzentwurf liegt vor, und wir wollen ihn heute endgültig beschließen. Burkhard Lischka (SPD): Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung vom Mai 2011 haben sowohl die SPD-Bundestagsfraktion als auch die Länder immer wieder auf die Notwendigkeit einer möglichen nachträglichen Therapieunterbringung gefährlicher Gewalt- und Sexualstraftäter hingewiesen. Die Anhörung des Rechtsausschusses hat unsere Forderung eindrücklich bestätigt. Die von den Sachverständigen zur Illustrierung genannten Beispiele aus der gerichtlichen Praxis gingen unter die Haut. Die Bundesjustizministerin hat sich jedoch aus nicht nachvollziehbaren Gründen bis zuletzt gesträubt, die nachträgliche Therapieunterbringung zu ermöglichen. Und die Union? Sie hat sich zähneknirschend und wider besseres Wissen der Koalitionsdisziplin gebeugt. Mulmig wurde der Koalition, als kurz vor dem längst überfälligen Abschluss der parlamentarischen Beratungen des Regierungsentwurfs ein BGH-Beschluss publik wurde, nach dem ein hochgefährlicher Sexualstraftäter im Saarland hätte entlassen werden müssen, da der Gesetzesvorschlag keine Handhabe zu seiner Unterbringung bietet. Aber auch hier endete das Koalitionsgezerre wie in den vielen Monaten zuvor: Es wurde viel debattiert, aber ohne Ergebnis. Erst im Bundesrat ist die Bundesregierung dem Druck der Länder gewichen und hat per Protokollerklärung eine teilweise Nachbesserung zugesichert. Anstatt diese jedoch mit offenem Visier zu präsentieren, versteckte die Koalition die Änderung zunächst verschämt als Anhang im Bilanzrechtsänderungsgesetz. Zu peinlich war ihr wohl das Eingeständnis, bereits wenige Wochen nach Verabschiedung ihres Gesetzes zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung die ersten Nachbesserungen vornehmen zu müssen. Mittlerweile ist die letzte Schleife gedreht, die Koalition hat die Nachbesserung in Form eines eigenen Gesetzentwurfs präsentiert. Wir begrüßen dies im Ergebnis, da diese Regelung zumindest den saarländischen Fall erfasst. Aus Bayern ist jedoch ein weiterer Fall bekannt worden, der möglicherweise nicht unter den Regelungsgehalt fällt. Mit anderen Worten: Der Entwurf bleibt Stückwerk; die nächsten Nachbesserungen sind absehbar. All dies wäre uns erspart geblieben, hätte die Bundesjustizministerin unsere Forderung nach Ermöglichung einer nachträglichen Therapieunterbringung aufgegriffen. Ihr diesbezüglicher Kommentar „Die Wirkung der nachträglichen Therapieunterbringung wird überschätzt“ macht deutlich, dass sie die Dimension der Problematik immer noch nicht erkannt hat. Jörg van Essen (FDP): Es ist selten, dass sich der Deutsche Bundestag mit Regelungen möglicherweise eines einzigen Einzelfalles befassen muss. Aber es geht hier um hochgradig gefährliche Personen, bei denen die Anordnung der Sicherungsverwahrung an sich noch möglich gewesen wäre, dies aber nach den Vorgaben einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr erfolgt ist. Es ist deshalb richtig, in diesem Fall durch eine Übergangsregelung den Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes geringfügig zu -erweitern. Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt dem -Gesetzentwurf deshalb zu. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Die Linke lehnt das Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch ab. Wie ich bereits bei unserer letzten Beratung sagte, begrüßen wir, dass CDU und SPD sich mit ihrer Forderung nach der Einführung einer nachträglichen Therapieunterbringung nicht durchsetzen konnten. Die Koalition hatte ihr Anliegen ursprünglich auf merkwürdigen Wegen in eine parlamentarische Form gebracht: erst als Änderungsantrag zum MicroBilG – ohne dass es auch nur den geringsten Zusammenhang zwischen dem MicroBilG und dem Thema Sicherungsverwahrung gab. Dieser Änderungsantrag wurde anschließend zurückgezogen, da die Linke angekündigt hatte, im Rechtsausschuss eine Abstimmung darüber herbeizuführen, ob der nach § 62 Abs. 1 Satz 2 Geschäftsordnung notwendige unmittelbare Sachzusammenhang gegeben ist. Daraufhin wurde der Inhalt nunmehr als eigenständiger Gesetzentwurf eingebracht. Immerhin. Zum Inhalt selbst kann ich nur wiederholen, was ich bereits in unserer ersten Beratung dazu gesagt habe: Mit dem Gesetzentwurf, der den § 1 ThUG ändert, wird der Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes erweitert und damit die rückwirkende Verschärfung im Recht der Sicherungsverwahrung perpe-tuiert. Mit diesem Gesetzentwurf soll ein Mensch, gegen den die Sicherungsverwahrung erstinstanzlich angeordnet wurde, wo die Entscheidung aber nicht rechtskräftig geworden ist und er sich deshalb derzeit nicht in Sicherungsverwahrung befindet, nunmehr nach dem Therapieunterbringungsgesetz in einer „geeigneten geschlossenen Einrichtung“ untergebracht werden. Dies lehnen wir als Umgehung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Dezember 2009 ab. Die richtige Konsequenz aus dem Urteil, die nachträgliche Sicherungsverwahrung, unabhängig von einer neuen Betitelung als Therapieunterbringung, für Alt- und Neufälle abzuschaffen, wird so umgangen. Wir halten das Therapieunterbringungsgesetz außerdem für verfassungswidrig. Es versieht – menschenrechtlich problematisch – bisher nicht als psychisch krank befundene Menschen nun mit dem unbestimmten Begriff „psychisch gestört“, und zwar allein mit dem Ziel, sie weiterhin der Freiheit berauben zu können. Neben dieser unzulässigen Umetikettierung ergeben sich kompetenzrechtliche Bedenken. Im Rechtsausschuss wurde ausdrücklich erwähnt, dass die angedachte Gesetzesänderung einen derzeit bekannten Fall betreffe. Mithin würde nach derzeitigem Kenntnisstand der Bundesregierung die Gesetzesänderung konkret bei einer Person zur Anwendung kommen. Angesichts dessen geht dieser Vorschlag trotz abstrakt-genereller Formulierung ziemlich nah in Richtung eines unzulässigen Einzelfallgesetzes. Die Linke hat bereits das Therapieunterbringungsgesetz abgelehnt, einer Verschlechterung eines schlechten Gesetzes können wir unmöglich zustimmen. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des EGStGB ist bereits am 29. November 2012 ausführlich diskutiert worden (Plenarprotokoll 17/211). Neue Argumente sind meines Wissens nicht hinzugekommen, neue Sachverhalte erfordern kein Überdenken der Bewertung, die wir bereits im Plenum am 29. November 2012 vorgenommen haben. Ich möchte deshalb zur Schonung der Ressourcen des Bundestages beitragen und darf auf meine Ausführungen in der Debatte vom 29. November 2012 verweisen (Plenarprotokoll 17/211, Anlage 13). Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Neuntes Buch Sozialgesetzbuch im Sinne des Selbstbestimmungsrechts der Menschen mit Behinderung weiterentwickeln (Tagesordnungspunkt 20) Maria Michalk (CDU/CSU): Seit nunmehr elf Jahren ist das Rehabilitations- und Schwerbehindertenrecht als Neuntes Buch im Sozialgesetzbuch verankert. Mit dem SGB IX hat die Politik einen wichtigen Meilenstein in der behindertenpolitischen Gesetzgebung markiert und einen Paradigmenwechsel eingeläutet. Der Mensch steht mit seiner Behinderung und seinen individuellen Bedürfnissen im Mittelpunkt. Es soll nicht mehr allein der Bedarf betrachtet werden. Im Zentrum stehen die Fähigkeiten. Die Orientierung liegt auf der Chancengerechtigkeit. Das Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“, Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, ist seitdem fest im Sozialrecht verankert. Wir wollen, dass Menschen mit Behin-derung und diejenigen, die von einer Behinderung bedroht sind, solidarische Leistungen erhalten, um selbstbestimmt und gleichberechtigt am Leben in unserer Gesellschaft teilhaben zu können. Das SGB IX wurde mit den Stimmen einer parlamentarischen Mehrheit von SPD und Grünen, CDU/CSU, FDP beschlossen. Es hat jedoch nicht nur eine breite Zustimmung im Parlament erfahren, sondern ist auch bei den Rehabilitationsträgern und Verbänden im Gesundheits- und Sozialwesen positiv aufgenommen worden. Ihnen wurde deutlich mehr Spielraum zur eigenverantwortlichen Gestaltung gesetzlicher Vorgaben eingeräumt. Jeder Mensch ist ein Individuum und braucht eine individuell zugeschnittene Lösung. Zur besseren praktischen Handhabung hat der Gesetzgeber unter Beibehaltung des gegliederten Systems der sozialen Sicherung das bis dahin auf alle Sozialgesetzbücher verteilte Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen in einem Buch des Sozialgesetzbuchs zusammengefasst. Auf dieser Basis sollen durch Koordination, Kooperation der Rehabilitationsträger und Konvergenz der Leistungen ein gemeinsames Recht und eine einheitliche Praxis der Rehabilitation und Behindertenpolitik erreicht werden. Die weitgehende Einheitlichkeit des Leistungsrechts ist ein hohes Gut. Wir wollen, dass der behinderte, pflegebedürftige und chronisch kranke Mensch losgelöst von der Zuständigkeit des Rehaträgers und der Ursache für den individuellen Rehabedarf von jedem zuständigen Träger die nach Art, Umfang sowie Struktur- und Prozessqualität gleich wirksame und bedarfsgerechte Leistung erhält. Die Intention des Gesetzgebers war und ist es bis heute, den Hilfebedarf von Menschen mit Behinderung möglichst schnell zu klären und die entsprechenden Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderung, vor allem für das Arbeitsleben, unbürokratisch auf den Weg zu bringen. Dabei sollten die beteiligten Akteure gut vernetzt Hand in Hand arbeiten. Die bestehenden Schnittstellenprobleme des gegliederten Sozialleistungssystems im Bereich des Rehabilitations- und Teilhaberechts sollten überwunden werden. Zentral war vor allem auch das Ziel, die Selbstbestimmung und die Rechte der Menschen mit Behinderung zu stärken und zu fördern. Dazu wurden das Recht auf ein Persönliches Budget, das Wunsch- und Wahlrecht sowie die Verpflichtung zur Berücksichtigung der besonderen Belange behinderter Frauen, seelisch behinderter Menschen oder von Eltern und Kindern eingeführt. Heute erkennen wir: Elf Jahre haben noch nicht gereicht, um ein über Jahrzehnte hinweg gewachsenes System der Fürsorge in ein modernes Teilhabesystem umzuwandeln. Vieles konnte erreicht werden, aber mit manchem können wir noch nicht zufrieden sein. Der uns heute zur Debatte vorliegende Antrag greift vieles von dem auf, was bisher in der Umsetzung noch nicht klappt. Er blendet jedoch die erreichten Fortschritte aus, was bedauerlich ist, denn insgesamt hat sich das SGB IX bewährt. Die Weiterentwicklung des SGB IX ist ein Prozess, der seit geraumer Zeit im Gange ist. So hat er mit dem Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention neue Impulse erhalten. Zwischen 2013 bis 2015 wird die Bundesregierung prüfen, welche der Regelungen wirken und wo genau nachjustiert werden muss. Aus Sicht der CDU/CSU darf die Frage nicht lauten, was am Gesetz geändert werden muss, damit die betroffenen Menschen effizient und schnell ihre Hilfen erhalten. Wir brauchen vielmehr eine klare Antwort darauf, was in der Praxis geändert werden muss, damit die Umsetzungsdefizite abgebaut werden. Das betrifft das Persönliche Budget, die Frühförderung von Kindern mit Behinderung und die Arbeit und Struktur der Gemeinsamen Servicestellen. Die Kooperationen der verschiedenen Rehabilitationsträger funktioniert nur schleppend. Aber die gemeinsame Verantwortung steht nicht zur Disposition. Aus unserer Sicht ist die Idee der Gemeinsamen Servicestellen, also eine trägerübergreifende und unabhängige Beratung aus einer Hand, eine „Anlaufstelle für alles“ sozusagen, nach wie vor der optimale Weg, um die Rehabilitation zu steuern. Doch für die meisten Kunden endet er heute meist noch in einer Sackgasse. Denn viele Träger haben ihre Gemeinsamen Servicestellen zwischenzeitlich aufgegeben. Doch einige wenige Anlaufstellen reichen nicht, um potenziell rund 10 Millionen Menschen mit Behinderung, die in ganz Deutschland leben, umfassend beraten zu können. Ich erwarte von den Ergebnissen der Evaluierung durch die Bundesregierung Klarheit darüber, was verändert werden muss, damit die Gemeinsamen Servicestellen so funktionieren, wie wir es im Gesetz vorgesehen haben. Wir müssen dazu die Rehaträger wieder stärker in die Beratungspflicht nehmen. Der Aufbau einer neuen Beratungseinheit nach dem Vorbild einer unabhängigen Patientenberatung würde wieder neue Kosten erfordern, die zu zahlen die Träger mit Sicherheit nicht bereit sind. Als fast schon „revolutionäre“ Neuerung wurde das Persönliche Budget eingeführt, damit Menschen mit Behinderungen ihre Leistungen individuell und selbstständig „einkaufen“ und auswählen können. Bis heute ist dieses Instrument des SGB IX eine Errungenschaft, auf die wir auch in Zukunft weiterhin setzen müssen. Die Gründe, warum dieses neue Instrument bislang so selten zur Anwendung kam, sind vielfältig. Zum einen ist es die teilweise lückenhafte Beratung durch die Rehaträger, zum anderen kommt die Unwissenheit und vor allem die Unsicherheit bei einigen Antragstellern hinzu. Dies hat dazu geführt, dass in der Vergangenheit nur wenige positive Budgetbescheide registriert wurden. Zunehmend ist es so, dass die Betroffenen deutlich besser informiert sind als die Kostenträger. Langsam geht es aufwärts. Die Fallzahlen des Persönlichen Budgets steigen. In diesem Zusammenhang möchte ich der neu gegründeten Bundesarbeitsgemeinschaft Persönliches Budget viel Erfolg für ihre Beratungsarbeit wünschen und dass es auch mit ihrer Hilfe gelingt, das Persönliche Budget in der Praxis durchzusetzen. Nach dem Vorbild des Persönlichen Budgets wurde vor einigen Jahren modellhaft in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz das Budget für Arbeit eingeführt. Voraussetzung ist, dass die Beschäftigten einen Platz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden bzw. dass ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zustande kommt. Ziel ist es, Menschen mit Behinderung, die voll erwerbsgemindert im Sinne des SGB II und SGB VI sind, außerhalb einer Werkstatt für behinderte Menschen eine Anstellung zu vermitteln. Damit soll der Übergang von der Werkstatt für behinderte Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt erleichtert werden. Entsprechend des Leistungsvermögens der behinderten Menschen zahlen die Arbeitgeber 30 vom Hundert des Tariflohns. Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz können darüber einen Lohnkostenzuschuss in Höhe von bis zu 70 Prozent des Tariflohns erhalten, in Niedersachsen sogar bis zu 100 Pro-zent. Beide Modellprojekte haben bislang nur wenig Resonanz. Im September dieses Jahres haben in Rheinland-Pfalz 209 und in Niedersachsen nur 40 Personen das Budget für Arbeit tatsächlich in Anspruch genommen. Das liegt wohl vor allem daran, dass sich viele Betroffene nicht trauen, den Schritt in ein neues Erwerbsleben zu gehen. Allerdings sind diejenigen, die den Schritt gemacht haben, sehr zufrieden und fühlen sich als „vollwertiges Mitglied der Gesellschaft“. Als diskussionswürdig erachte ich auch ein umfassendes Recht zur Rückkehr in Werkstätten für behinderte Menschen, um darüber möglicherweise mehr Anreize zu schaffen, eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt anzutreten. Insgesamt möchte ich feststellen, dass das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen hinsichtlich der Frage, ob sie in oder lieber außerhalb einer Werkstatt arbeiten möchten, in der heutigen Praxis noch nicht ausreichend berücksichtigt wird. Fakt ist, dass die Umsetzungsdefizite des SGB IX erkannt sind und dass nach Lösungen gesucht wird, um die praktische Anwendung effizienter im Sinne der Menschen mit Behinderung zu gestalten. Ich stelle fest, dass wir dafür auf dem richtigen Weg sind und bin der festen Überzeugung, dass dies nur schrittweise und in enger Abstimmung mit den Ländern erreichet werden kann. Hubert Hüppe (CDU/CSU): Welche Bilanz kann nach über 10 Jahren SGB IX gezogen werden und welcher Änderungsbedarf besteht noch? Wir haben das SGB IX ja mit großer Mehrheit 2001 hier im Deutschen Bundestag gemeinsam mit fast allen Fraktionen beschlossen. Als Erfolg kann sicherlich gewertet werden, dass das SGB IX einen Sichtwechsel unterstützt hat: Menschen mit Behinderungen nicht als Fürsorgeempfänger zu sehen, sondern ihr Recht anzuerkennen, selbstbestimmt und gleichberechtigt in der Gesellschaft teilzuhaben. Einige Instrumente, wie das betriebliche Eingliederungsmanagement, funktionieren dort, wo engagierte Leute es umsetzen, auch gut, beispielsweise in der Automobilindustrie. Allerdings gilt es auch, die Ziele des SGB IX zu benennen, die bisher noch nicht erreicht werden konnten. Ein Hauptanliegen des SGB IX war es, Leistungen aus einer Hand zu leisten, eine schnelle Zuständigkeitsklärung zu erreichen und das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderungen zu stärken. Allerdings erreichen mich zu diesen Themen viele Bürgeranfragen, die zeigen, dass das Ziel hier offensichtlich nicht erreicht ist. Hierfür gibt es unterschiedliche Gründe. Es kommt etwa immer wieder vor, dass Kostenträger sich trotz Leistungspflicht aus ihrer Verantwortung ziehen. Die Zusammenarbeit der Träger funktioniert noch nicht so, wie vom SGB IX angedacht. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um sogenannte Komplexleistungen geht, wie etwa in der Frühförderung. Mir wird auch immer wieder berichtet, dass Anliegen behinderter Menschen von Trägern teilweise nicht ernst genommen werden. Sie werden von einer Stelle zur nächsten geschickt. Manchmal beschleicht mich der Verdacht, dass man darauf spekuliert, dass die Menschen aufgeben. Leider ist es auch so, dass oft die als Erstes aufgeben, die der Unterstützung am dringendsten bedürfen. Hinzu kommt, dass Leistungen im SGB IX teilweise zu sehr auf Einrichtungen bezogen sind, etwa im Bereich der Teilhabe am Arbeitsleben. Bekanntermaßen ist es so, dass derzeit rund 300 000 Menschen mit Behinderung in Werkstätten für behinderte Menschen tätig sind. Die Zahl der Menschen in Werkstätten hat sich damit innerhalb von 15 Jahren fast verdoppelt, und jedes Jahr kommen Tausende noch hinzu. Gemeinsame Servicestellen sind in vielen Regionen kaum bekannt und funktionieren oft nicht. Oder Möglichkeiten wie das Persönliche Budget werden von vielen Kostenträgern ignoriert oder im Einzelfall so kompliziert ausgestaltet, dass es für behinderte Menschen fast unmöglich ist, sie zu nutzen. Meine Damen und Herren, was ist zu tun, um dem Anliegen des SGB IX auf Selbstbestimmung und wirksame Teilhabe stärker Rechnung zu tragen? Die Kompetenzen der Gemeinsamen Servicestellen müssen gestärkt werden. Solange sie aber wie derzeit von einzelnen Kostenträgern verantwortet werden, erfüllen sie ihre Aufgaben oft nicht. Träger stehen weiter in der Pflicht, zusammenzuarbeiten, um die Rechte von Menschen mit Behinderungen unbürokratisch zu verwirklichen. Möglichkeiten des SGB IX, wie das Persönliche Budget, müssen entbürokratisiert werden. Die Leistung muss hier dem Menschen folgen und nicht umgekehrt, der Mensch der Leistung. Dies gilt auch für das Arbeitsleben. Leistungen müssen auch ohne Anbindung an eine Werkstatt für behinderte Menschen ermöglicht werden. Das ist auch grundsätzlich Beschlusslage der zuständigen Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Eingliederungshilfe. Wenn es dann allerdings konkret wird und man in das erarbeitete Grundlagenpapier der Arbeitsgruppe hereinschaut, wird man enttäuscht sein. Da bleibt von der grundsätzlichen Unterstützung für Leistungen, die an die Person gebunden sind, nicht mehr viel übrig. Die Leistungen müssen aber so gestaltet werden, dass Menschen mit Behinderungen sie in Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes mitnehmen können, etwa mit einem Budget für Ausbildung und Arbeit, aus dem Menschen mit Behinderung notwendige Unterstützungsleistungen ohne großen bürokratischen Aufwand bezahlen können. Es gilt, bei den anstehenden Verhandlungen über ein Bundesleistungsgesetz hierauf zu achten. Hier müssen auch andere wichtige Aspekte, wie etwa die Elternassistenz, also die notwendige Unterstützung für Eltern mit Behinderung, berücksichtigt werden. Auf dem Weg zu einem Bundesleistungsgesetz sind Bund und Länder gefordert. Hier hoffe ich auch darauf, dass die Antragsteller in den Ländern, in denen sie mitregieren, ihre Forderungen ebenfalls vorbringen. Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Die Debatte um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in diesem Hause wird weiter fortgesetzt. Das begrüße ich an dem vorliegenden Antrag der Grünen-Fraktion ausdrücklich! Es darf aber nicht sein, dass die UN-Behindertenrechtskonvention so ignoriert wird, wie die Bundesregierung das tut. Sie laufen der Entwicklung hinterher, das sage ich Ihnen ganz deutlich, und das sieht man auch an den Ergebnissen der letzten Konferenz der Ländersozialminister. Dort ist einstimmig entschieden worden, was wir schon lange fordern und die Regierungsfraktionen bei den Ausschussberatungen zu dem vorliegenden Antrag für unmöglich erklärt haben: die Herauslösung der Eingliederungshilfe aus dem Sozialhilferecht und die weitestmögliche Freistellung der Betroffenen vom Einsatz ihres Einkommens und Vermögens. Gleiches gilt für die schulische Inklusion: Die Länder mit den nennenswert hohen Inklusionsquoten sind nicht die CDU/CSU-geführten Länder. Hier gibt es für uns alle noch viel zu tun. Uns kommt es darauf an, dass der Aktionsplan der Bundesregierung nun zügig umgesetzt, kontinuierlich weiterentwickelt und für die Beteiligung der Betroffenen geöffnet wird. Leider gibt es bisher keine konkreten Maßnahmen oder Initiativen der Bundesregierung, die für Menschen mit Behinderung konkret etwas verbessert hätten. Bei dem einzigen konkreten Vorhaben, der Ausweitung des Assistenzpflegebedarfsgesetzes, sind Sie wieder auf halbem Wege stehen geblieben. Das reicht nicht. Es gibt gar keinen Grund dafür, eine wichtige Leistung wie die Mitnahme der Assistenzpflege ins Krankenhaus nur für das sogenannte Arbeitgebermodell zuzulassen. Sie haben dazu wieder von allen Verbänden und den Betroffenen gehört, wie man es machen sollte. Allein der Wille zum Umsetzen dieser Expertenmeinungen fehlt bei Ihnen. Ich habe es bei der Einführung dieses Antrags im Dezember 2011 schon einmal gesagt, und es hat sich auch leider wenig geändert: Die Bundesregierung hat mit ihrem Aktionsplan die Zusammenarbeit mit den Betroffenen aufgekündigt und die gestalterische Kraft bisher nicht gefunden, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Es kommt darauf an, nicht nur anzuhören oder zuzuhören, sondern das Gehörte auch aufzunehmen, zu verarbeiten und in konkrete Vorhaben zu gießen. Das scheint mir kein Grundsatz dieser Koalition zu sein, denn bisher kam nichts als heiße Luft und sogar Verschlechterungen für die Betroffenen. Anträge wie der vorliegende oder auch die Anträge der SPD und der Linken sind Anlass, um Sie immer wieder auf diesen Umstand hinzuweisen. Viel lieber würden wir sehen, dass sich etwas tut und dass konkrete Schritte unternommen werden, denn die Vorschläge liegen auf dem Tisch! Sie jedoch lehnen einfach alle Anträge ab, ohne eigene zu unterbreiten. Der Aktionsplan – das wissen Sie so gut wie ich, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen –, ist allenfalls der Anfang der Entwicklung. Auf ihn immer nur gebetsmühlenartig zu verweisen, kann nicht aus der Verantwortung entlassen, tätig zu werden. Und da gibt es so vieles, was gemacht werden muss. Es ist unwürdig, dass Menschen ihre Rechte einklagen müssen, obwohl die UN-Konvention bereits geltendes Recht in Deutschland ist. Nachhaltigkeit und Menschenrechte finden nach wie vor nicht statt. Es schadet jedoch nicht nur unserer Demokratie, wenn eine ganze Gesellschaft die rechtlichen Ansprüche von Menschen mit Behinderung ignoriert. Je länger diese Menschenrechte vorenthalten werden, umso mehr Kosten entstehen. Wenn wir hier schon über das SGB IX reden, dann müssen wir über das Persönliche Budget reden. Das Persönliche Budget ist seit 2008 verbindlicher Rechtsanspruch. In der Realität muss es nun neu belebt werden. Die Zahl Persönlicher Budgets lag 2008 bei knapp 7 000 bundesweit. Davon ist die überwiegende Anzahl in einem SPD-regierten Land vereinbart worden. Vorreiter ist hier Rheinland-Pfalz. Die Mehrzahl sind alleinige Budgets der Eingliederungs- bzw. Sozialhilfe. Das war und ist bundesweit gesehen viel zu wenig Trotz schwach steigender Tendenz besteht massiver Handlungsbedarf. Wir kennen die vielen Beispiele dafür, wie das Budget von den Rehaträgern blockiert wird und die Menschen jahrelang dafür kämpfen müssen. Das Budget für Arbeit ist erst durch ein Urteil des Bundessozialgerichts etwas in Fahrt gekommen. Gerichte sind aber nicht dafür da, bestehende gesetzliche Instrumente zu aktivieren. Dass es diese braucht, ist eine Niederlage für diese Regierung. Der übergreifende Ansatz des SGB IX ist in Gefahr und muss neu belebt werden, diese Legislatur blieb dafür leider völlig ungenutzt. Ich hätte mir bei dem vorliegenden Antrag den Mut gewünscht, die Herauslösung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen aus der Sozialhilfe mit aufzunehmen. Dies scheint mir zentral zu sein, will man dem Anspruch der UN-Behindertenrechtskonvention und dem Anspruch des SGB IX – Teilhabe statt Fürsorge – gerecht werden. Daher kann es vonseiten der SPD auch nur eine Enthaltung zu diesem Antrag geben. Wir freuen uns aber über jeden Antrag, der dieser Regierung und der Öffentlichkeit aufzeigt, welcher konkrete Handlungsbedarf besteht und dass sich ein Regierungswechsel für die mehr als 9 Millionen Menschen mit Behinderung wirklich lohnen würde! Gabriele Molitor (FDP): Seit über elf Jahren gibt es das Neunte Sozialgesetzbuch für Menschen mit Behinderungen. Die bis dahin geltenden Rechte der Rehabilitation und Teilhabe wurden mit dem SGB IX zusammengefasst und weiterentwickelt. Der Gesetzgeber hat ein systematisches und umfassendes Leistungsspektrum für Menschen mit Behinderungen geschaffen. Darüber hinaus wurde der Fürsorgegedanke, der den Menschen mit Behinderung hilflos und schwach erscheinen lässt, abgeschafft und durch das Recht auf Selbstbestimmung ersetzt. Das SGB IX leitete damit ein neues Verständnis der Politik für Menschen mit Behinderung ein: statt Bevormundung und übertriebener Fürsorge hin zu einem selbstbestimmten Leben. Wer selbst über sich bestimmen soll, muss die Wahl haben. Deshalb wurde das Wunsch- und Wahlrecht bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, bei Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und bei unterhaltssichernden und anderen ergänzenden Leistungen des SGB IX gestärkt. Besonders hervorzuheben sind dabei die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Das Recht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ist Basis liberaler Sozialpolitik. Bei vielen Menschen mit Behinderung ist die Möglichkeit zur Selbstbestimmung trotz der Fortschritte im SGB IX aber nach wie vor eingeschränkt. Sie sind auf besondere Hilfen angewiesen, um sich frei und selbstbestimmt in unserer Gesellschaft bewegen zu können. Daher ist es an der Zeit, die bestehenden Regelungen zu überprüfen. Die Frage ist: Kann das SGB IX wirklich umfassend Benachteiligungen vermeiden? Denn die Realität sieht leider zu oft anders aus: Noch viel zu oft müssen Menschen mit Behinderungen ihr Recht einklagen, weil Hilfsmittel nicht bewilligt oder berechtigte Ansprüche zwischen den Leistungsträgern hin- und hergeschoben werden. Das liegt dann aber nicht an dem Gesetz. Denn es ist die Pflicht der Rehabilitationsträger, die trägerübergreifende Koordination und Kooperation zu optimieren. Sie müssen die Strukturen und Instrumente im SGB IX stärker nutzen und wahrnehmen. Eine zentrale Aufgabe des Staates ist die Sicherung von Chancen- und Leistungsgerechtigkeit für alle Menschen. Menschen mit Behinderungen steht dabei das gleiche Recht auf Selbstbestimmung zu wie allen anderen Menschen. Sie dürfen aufgrund ihrer Behinderung keine Benachteiligung erfahren. Ich finde es deshalb gut, dass das Thema „Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung“ im Antrag der Grünen thematisiert wird. Der Antrag gibt uns Anlass, über die Selbstbestimmung und mehr Teilhabe zu diskutieren. In dem Weg, um diese Ziele zu erreichen, unterscheiden wir uns aber. So halten wir Liberale es für ein falsches Signal der Grünen, die UN-Behindertenrechtskonvention dafür zu instrumentalisieren, unerfüllbare Versprechungen zu machen. Unrealistische und noch dazu volkswirtschaftlich nicht umsetzbare Forderungen schaffen nicht mehr Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, sondern Enttäuschung und Frustration. Hauruck-Aktionen werden nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Wir setzen uns hingegen dafür ein, dass der bereits bestehende inklusive Ansatz des Rechts der Rehabilitation und Teilhabe im SGB IX weiterentwickelt wird. Auch das Ziel, bestehende Regelungen weiter zusammenzufassen, zu vereinfachen und somit leichter anwendbar zu machen, ist richtig. Dabei muss vor allem die Beantragung des „Persönlichen Budgets“ vereinfacht und praktikabel gemacht werden. Hier müssen dann auch die Ergebnisse der „Wissenschaftlichen Begleitforschung zur Umsetzung und Akzeptanz des Persönlichen Budgets“ mit einbezogen werden, sobald sie vorliegen. Es darf nicht sein, dass drei Sachbearbeiter benötigt werden, um einen Antrag auf das „Persönliche Budget“ auszufüllen. Die Inanspruchnahme von sozialen Leistungen soll dabei auf die Bedürfnisse der anspruchsberechtigten Personen ausgerichtet sein. Forderungen nach Teilhabeleistungen, die unabhängig vom Einkommen und Vermögen erbracht werden müssen, können aus der UN-Behindertenrechtskonvention nicht abgeleitet werden. Es ist auch wichtig, zunächst durch die zielgerichtete Evaluation des SGB IX Lösungsmöglichkeiten für Umsetzungsdefizite zu finden. Anstatt unrealistische Forderungen zu stellen, wie es die Grünen in ihrem Antrag tun, plädiere ich dafür, realistische Ziele zu verfolgen. Um diese Ziele klar benennen zu können, benötigen wir als Grundlage für unsere Entscheidungen eine bessere Datensammlung zur Situation von Menschen mit Behinderungen. Im Nationalen Aktionsplan sind Studien genannt, deren Ergebnisse die Grundlagen für die richtigen politischen Entscheidungen liefern werden. Hier werden behindertenpolitische Maßnahmen evaluiert und auf ihre Wirksamkeit hin geprüft. Für uns Liberale sind Inklusion, Teilhabe und Selbstbestimmung Eckpfeiler einer freien und demokratischen Gesellschaft. Was viele noch nicht begriffen haben: Inklusion wächst nicht allein durch Sonntagsreden über Selbstbestimmung und Menschenrechte. Dazu braucht es mehr. Die Vision einer inklusiven Gesellschaft muss nicht nur in Reden, sondern im Leben ankommen. Dafür braucht es die Beteiligung aller. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): In den letzten Monaten gab es mehrere Veranstaltungen, in denen zehn bzw. elf Jahre nach dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – über die Wirkungen dieses Gesetzes diskutiert wurde. Dazu ein kurzer Rückblick: Das SGB IX wurde von der Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebracht und am 6. April 2001 mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP verabschiedet. Die Linke – damals noch die PDS-Fraktion – hatte in die abschließende Debatte fünf Änderungsanträge sowie einen Entschließungsantrag – Bundestagsdrucksache 14/5823 – eingebracht. In meiner Rede sowie meiner Erklärung zur Abstimmung – Plenarprotokoll 14/165 – begründete ich im Namen der PDS, warum wir uns der Stimme enthalten. Der Kern linker Kritik – bei gleichzeitiger Würdigung vieler positiver Dinge –: In vielen Punkten konnte sich der Bundestag nicht durchringen, einen tatsächlichen -Paradigmenwechsel vorzunehmen. Es gibt in dem Gesetz keinen Bezug zum Art. 3 des Grundgesetzes. Der Behindertenbegriff ist weiterhin defizitär angelegt. Das SGB IX ist ein Rehabilitations-, aber kein Leistungs-gesetz. Das Damoklesschwert des Heimeinweisungs-paragrafen, der Kostenvorbehalt in § 13 des SGB XII, blieb bestehen. Die Bedürftigkeitsprüfungen und die Abhängigkeit der Leistungsgewährung von Einkommen und Vermögen wurden nicht angetastet. Dies bekräftig-te auch der Deutsche Behindertenrat, als er am 4. Dezember 2004 zwölf Thesen symbolisch an die Tür der Berliner Nikolaikirche heftete. Selbst die damals opposi-tionelle CDU/CSU forderte ein eigenständiges, bundesfinanziertes Leistungsgesetz, mit dem die Eingliederungshilfe aus dem Sozialhilferecht herausgelöst werden soll. Nun, zehn Jahre später, fordern die Grünen, das SGB IX weiterzuentwickeln. Das unterstützt die Linke ausdrücklich. Aber wir reden heute nicht nur über die Überschrift, sondern auch über den Inhalt des Antrags. Im Feststellungsteil standen die Antragsteller vor der schwierigen Aufgabe, einerseits ihr damaliges Tun zu würdigen, andererseits auch die damaligen und neu entstandenen Defizite aufzuzeigen. Diese Herausforderung haben sie nur zum Teil gemeistert. Wichtiger sind aber die Forderungen an ein Gesetz zur Weiterentwicklung des SGB IX. Und auch hier ist mein Fazit: Es ist wie 2001, nur dass die Grünen damals regierten und sich heute in Wartestellung befinden: Es gibt viele Punkte in dem Antrag, die die Linken unterstützen können. Aber mehrere entscheidende Fragen werden überhaupt nicht bzw. nur sehr vorsichtig angesprochen, obwohl spätestens seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention im März 2009 unstrittig sein müsste, dass wir ein Leistungsgesetz brauchen, welches Menschen eine umfassende Teilhabe am Leben in der Gesellschaft durch den einkommens- und vermögensunabhängigen Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile ermöglicht. Viele Abgeordnete der Grünen unterstützten vor der Bundestagswahl 2009 ebenso wie Abgeordnete der Linken und der SPD die Forderung der Behindertenbewegung nach einem Gesetz zur sozialen Teilhabe, darunter auch Claudia Roth und Markus Kurth. Nach der Bundestagswahl hatten behinderte Juristinnen und Juristen dazu sogar einen Gesetzentwurf erarbeitet. Die Linke hat diese Vorschläge und Forderungen mit einem Antrag für ein Teilhabesicherungsgesetz im Bundestag zur Diskussion gestellt. Und Bündnis 90/Die Grünen? In diesem Antrag – und hier hätte es hineingepasst – ist leider nichts davon zu spüren. Deswegen werden wir uns – wie schon 2001 – bei der Abstimmung über diesen Antrag der Stimme enthalten. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung lässt sich Zeit mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, BRK, in deutsches Recht – viel Zeit. Während Ministerin von der Leyen nicht müde wird, von Inklusion zu sprechen, hält sich ihr Ministerium mit Gesetzesinitiativen in diese Richtung vornehm zurück. Der Ruf nach einem Teilhabeleistungsgesetz wird jedoch – ganz zu Recht – immer lauter. Erkennbare Schritte in diese Richtung sind aber von dieser Bundesregierung wohl nicht mehr zu erwarten. Vor mittlerweile fast zwölf Jahren, einige Jahre vor Inkrafttreten der BRK, hat die damalige rot-grüne Bundesregierung mit dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch SGB IX die Selbstbestimmungsrechte von Menschen mit Behinderungen gestärkt. Die Bedeutung des Wunsch- und Wahlrechts wurde deutlich unterstrichen; die neue Leistungsform „Persönliches Budget“ ermöglichte es, die Leistungserbringung individueller und passgenauer zu gestalten. Das SGB IX macht klare Vorgaben zur Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger. Indes: Dass dieses Gesetz nur unzureichend umgesetzt wird, das wissen wir alle. Zahlreiche Klagen vor den Sozialgerichten zeugen davon. Als hier in diesem Hohen Hause im Oktober 2012 etwa 300 Menschen mit Behinderungen mit uns Abgeordneten über Maßnahmen zur Umsetzung der BRK diskutierten, konnte die weit überwiegende Zahl unserer Gäste von haarsträubenden Auseinandersetzungen berichten, die sie durchstehen mussten, bevor sie bekamen, was ihnen von Rechts -wegen zusteht. Und es scheint keine wirkliche Verbesserung in Sicht zu sein. Mehr oder weniger ungeniert richten sich die Rehabilitationsträger darin ein, Anträge mit Verweis auf die Zuständigkeit anderer Träger abzulehnen. Angesichts des hohen Kostendrucks ist dieses -Verhalten nicht überraschend; trotzdem ist es hochgradig ärgerlich und nicht zu rechtfertigen. Ich glaube, es gibt nur wenige Gesetze, die derart ignoriert werden wie das SGB IX. Ein historisch einmaliger, sehr beunruhigender Trend zu fehlender Rechtstreue ist festzustellen. Nun sollte man meinen, die Bundesregierung würde die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen und diese Verweigerungshaltung offensiv angehen – zum Beispiel über ihre Instrumente der Rechts- und Fachaufsicht. Ich muss sagen: Davon habe ich bisher nicht viel bemerkt. Und auch in den relevanten Strukturfragen sind wir kein Stück weitergekommen. Die Regierung verweist unablässig auf ihren Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der BRK; sie schaffte es nicht, den Staatenbericht zum Stand der Umsetzung rechtzeitig fertigzustellen, und kann auch darüber hinaus keine nennenswerten Fortschritte vorweisen. Wenn wir die BRK konsequent umsetzen möchten, brauchen wir letztlich ein Teilhabeleistungsgesetz, um die Schwächen des gegliederten Systems der sozialen -Sicherung zu überwinden. Eine menschenrechtsbasierte Ausgestaltung etwa der Eingliederungshilfe kann nicht funktionieren, solange diese Form der Unterstützung im Recht der Sozialhilfe angesiedelt ist. Uns ist doch aber sicher allen klar, dass diese Reform, so bedauerlich das ist, nicht von heute auf morgen zu machen ist. Wenn wir nächstes Jahr eine rot-grüne Bundesregierung haben, die der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention einen höheren Stellenwert einräumen wird – und dafür werde ich streiten –, selbst dann wird es dauern, bis eine politische Lösung gefunden wird. Es gibt aber auch Aspekte, die wir zügig verbessern können. Schon verhältnismäßig kleine Änderungen des SGB IX könnten die Situation behinderter Menschen erheblich verbessern. Es gibt keinen Grund, dies weiter auf die lange Bank zu schieben. Meine Fraktion hat mit dem Antrag sehr konkrete Vorschläge hierzu vorgelegt. Ich habe sie an dieser Stelle vor einem Jahr vorgestellt; wir haben sie im Ausschuss und im Rahmen einer öffentlichen Anhörung diskutiert. Dass die Koalitionsfraktionen diese Schritte ablehnen, war zu erwarten. Sie sind naturgemäß der Ansicht, selbst bereits ausreichend etwas zu unternehmen. Dass sie keine wesentlichen Verbesserungen vorzuweisen haben, tut dieser Überzeugung keinen Abbruch. Aber auch Sozialdemokraten und Linke konnten sich nicht durchringen, unserem Antrag zuzustimmen. Beiden gehen die Forderungen nicht weit genug. So schön es ist, dass die SPD, die sich ansonsten gern auf Prüfaufträge zurückzieht, den Vorschlag meiner Fraktion für nicht weitreichend genug hält – nachvollziehbar ist es nicht. Die Sozialdemokraten hatten während der vergangenen Wahlperiode genug Gelegenheit, weitreichende Veränderungen zum Beispiel in der Eingliederungshilfe oder beim SGB IX vorzunehmen; schließlich stellten sie den Sozialminister in der Großen Koalition. Vor diesem Hintergrund ist die Nichtzustimmung der SPD besonders fadenscheinig, wenig glaubwürdig und ein klares Zeichen, dass es in der Behindertenpolitik auf Bündnis 90/Die Grünen ankommt. Ich bin zuversichtlich, dass betroffene Leistungsberechtigte, Angehörige sowie Angestellte in Einrichtungen und Diensten dies am 22. September 2013 in ihre Wahlentscheidung einfließen lassen werden. Ich freue mich, wenn zunehmend mehr Menschen von Inklusion sprechen – wie zuletzt in überzeugender Weise der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück. Ebenso erfreulich ist die Tatsache, dass sich der Gedanke eines Teilhabeleistungsgesetzes zunehmender Beliebtheit erfreut. Aber: Von schönen Worten kann man sich nichts kaufen. Wir brauchen konkrete Schritte, von denen sich zahlreiche auch im bestehenden Rechtsrahmen umsetzen lassen. Mit einer trägerunabhängigen Beratung beispielsweise, bei der Menschen mit Behinderungen nach dem Peer-to-Peer-Prinzip von Menschen mit ähnlichem -Erfahrungshintergrund beraten werden, kann die Verhandlungssituation der Leistungsberechtigten bereits jetzt gestärkt werden. Wir haben das in unserem Antrag gefordert. Über eine Ausweitung der Kompetenzen der Gemeinsamen Servicestellen wäre es bereits jetzt möglich, die Rehabilitationsträger zur verbesserten Zusammenarbeit anzuhalten. Auch dazu machen wir mit unserem Antrag konkrete Vorschläge. Es ist und bleibt mir ein Rätsel, warum sich die Kolleginnen und Kollegen von SPD und Linken nicht durchringen konnten, Forderungen nach einer einheitlichen und trägerübergreifenden Bedarfserhebung, nach verbesserter Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Rehabilitationsträger und der bundesweiten Einführung eines Budgets für Arbeit zuzustimmen. Wir möchten alle in möglichst großen Schritten zum Erfolg. Wenn das nicht möglich ist, sind es die kleinen Schritte, auf die es ankommt. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Zulassungsverfahrens für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Einsatz privater Sicherheitsdienste im Kampf gegen Piraterie zertifizieren und kontrollieren – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Private Sicherheitsfirmen umfassend regulieren und zertifizieren – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Internationale Ächtung des Söldnerwesens und Verbot privater militärischer Dienstleistungen aus Deutschland (Tagesordnungspunkt 21 a bis c und Zusatz-tagesordnungspunkt 6) Uwe Beckmeyer (SPD): Das Risiko fährt mit. Piraten machen die Passage durch den Golf von Aden zu einem Risiko für die Seeschifffahrt. Mit dem Zusammenbruch des somalischen Staates und dem seit 1991 andauernden Bürgerkrieg wurde insbesondere das Horn von Afrika zum Operationsgebiet moderner Seeräuber, verläuft doch entlang der Küstenlinie eine der weltweit wichtigsten seewärtigen Handelsstraßen. Pro Jahr gibt es allein rund 1 700 Passagen deutscher Schiffe durch den Golf von Aden, und so sind es auch immer wieder -deutsche Handelsschiffe, die von den Piraten überfallen werden. Zwar hat die militärische Präsenz in den betroffenen Gebieten offenbar Wirkung gezeigt – bis Ende November 2012 gab es 261 Piratenangriffe auf internationale Seehandelsschiffe, so wenig Überfälle wie seit 2007 nicht mehr –, aber die internationalen Streitkräfte allein können keinen 100-prozentigen Schutz vor Piratenüberfällen bieten. Letztendlich kann die somalische Piraterie nur ausgeschaltet werden, wenn das Land wieder eine starke Regierung erhält, der es gelingt, die verfeindeten Clans zu einen und eine gesunde Wirtschaft und funktionierende staatliche Strukturen aufzubauen. Doch diese Bedingungen dürften in naher Zukunft kaum erfüllt sein. Die entscheidende Frage ist daher inzwischen, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um das Risiko -einer Entführung zu minimieren und der Besatzung die besten Überlebenschancen im Falle eines Überfalls zu geben. Die Bundesregierung hat ein Konzept zur Zulassung von privaten bewaffneten Sicherheitskräften an Bord von Schiffen unter deutscher Flagge vorgelegt und will mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die rechtlichen Grundlagen dafür schaffen. Zu klären bleibt jedoch insbesondere die Ausgestaltung des Zulassungsverfahrens für die privaten Sicherheitsdienste. Details werden von der Bundesregierung auf eine im Einzelnen noch auszuarbeitende Verordnung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle verschoben. Durch diesen gesetzgeberischen Kunstgriff können diese erst später geregelt werden. Doch eines ist schon jetzt klar: Es bleibt noch eine Reihe offener -Fragen. Die Zahl privater Sicherheitsanbieter steigt, aber es fehlt ein internationaler Standard. Derzeit sind mehr als 200 Firmen auf dem maritimen Sicherheitsmarkt aktiv. Dabei bestehen große Qualitätsunterschiede unter den privaten Sicherheitsdiensten. Daher muss der rechtliche Rahmen für den Einsatz privater Sicherheitskräfte im Kampf gegen Piratenübergriffe am Horn von Afrika insbesondere die Themen Qualitätssicherung und Zertifizierung umfassend regeln. Es muss geklärt werden, ob diese Firmen über Erfahrung im maritimen Einsatz verfügen, ob sie die Gesetze des jeweiligen Flaggenstaats kennen und ob sie unterscheiden können zwischen einem Kampfeinsatz und einer angemessenen Notwehr-situation. In den inzwischen vorliegenden Eckpunkten der drei zuständigen Ressorts BMWi, BMI und BMVBS für eine Rechtsverordnung wird unter anderem auf die Frage der Kommunikations- und Entscheidungswege zwischen Schiffsführung und der Leitung der privaten Sicherheitskräfte an Bord Bezug genommen, die in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung bisher nicht angesprochen waren, was wir kritisieren. Allerdings werden diese -Aspekte aus unserer Sicht auch in den Eckpunkten -bisher nur unzureichend beschrieben. Kosten, Ordnungswidrigkeiten, Zuständigkeit, Haftpflicht und vor allem Zuverlässigkeit sind noch ausgeklammert. Zulassungen aus EU-Staaten sollen, Zulassungen aus Nicht-EU--Staaten können bei „Gleichwertigkeit“ anerkannt -werden. Ausländische Unternehmen dürften vor dem Problem stehen, Mitarbeiter erst in deutschem Recht schulen zu müssen. Der vorgelegte Gesetzestext lässt also wesentliche Fragen unbeantwortet. Das sehen offenbar auch die -Koalitionsfraktionen so, die jetzt einen umfänglichen Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf der Bundes-regierung vorgelegt haben, um im parlamentarischen Verfahren nachträgliche Änderungen vorzunehmen. So weit, so schlecht. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf den Einsatz privater Sicherheitskräfte auf Schiffen deutscher Eigner unter fremder Flagge überhaupt keine Regelungen treffen kann. Nach dem Völkerrechtsprinzip der Flaggenhoheit ist dies nur für Schiffe unter deutscher Flagge möglich. Die Bundesregierung bleibt deshalb weiterhin aufgefordert, gegenüber deutschen Reedereien für eine verstärkte Rückflaggung des Schiffsbestandes unter deutsche Flagge einzutreten. Von den rund 3 500 Schiffen deutscher -Eigner sind derzeit nur 492 mit deutscher Flagge unterwegs. Die anderen fahren aus Kostengründen unter der Flagge anderer Staaten, deren Sicherheitsbestimmungen mitunter einen niedrigeren Standard haben als in Deutschland. Es liegt daher im eigenen Interesse der deutschen Reeder und in ihrer Verantwortung für die Schiffsbesatzungen, ihre Schiffe zurückzuflaggen. Genauso wichtig ist aber, dass die internationale Gemeinschaft das Problem der Piraterie an der Wurzel packt. Das heißt: Mit Entwicklungshilfe die Lebensbedingungen der Menschen verbessern und Somalia beim Aufbau staatlicher Strukturen und dem wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes zu unterstützen. Der Einsatz privater Sicherheitskräfte zum Schutz deutschflaggiger Handelsschiffe darf auch in Zukunft nicht die Regel sein. Mit der Piraterie haben nicht nur somalische Clans ein neues Geschäftsfeld entdeckt, mit dem sie viele -Millionen Euro verdienen, sondern auch die westlichen Sicherheitsfirmen. Doch Sicherheit darf nicht zu einem Marktgut werden. Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Das staatliche Gewaltmonopol gilt zu Recht als wichtige zivilisatorische Errungenschaft. Als staatliche Einrichtungen sollen Polizei und Militär sicherstellen, dass der mögliche Einsatz von Gewalt strikt an Recht und Gesetz gebunden ist, dass die Verantwortlichen gegebenenfalls auch für ihr Tun haftbar gemacht werden können, dass er der öffentlichen Kontrolle unterliegt und dass für die Sicherheitsgewährleistung nur entsprechend ausgebildete Fachkräfte zuständig sind. Leider ist seit den 90er-Jahren ein Prozess in Gang gekommen, diese besonders sensiblen hoheitlichen Funktionen des Staates auszulagern – nicht nur im Inland. Immer mehr übernehmen die sogenannten Private Security oder Private Military Companies auch polizei-liche und militärische Aufgaben außerhalb der Staatsgrenzen. Das Spektrum reicht von Ausbildungs- und Aufklärungsdiensten über den Betrieb von Gefängnissen bis zur Gefechtsunterstützung. Hier werden inzwischen dicke Geschäfte gemacht, und dieser Boom hält an, obwohl die „Einsatzerfahrungen“ mit solchen Söldnerfirmen in Afrika oder im Irak eher skeptisch machen sollten. Das neueste Geschäftsfeld dieses privaten Sicherheitssektors ist die Bekämpfung der Piraterie. Auch deutsche Firmen sind hier bereits unterwegs. In der Wochenzeitung Freitag vom 15. November 2012 wird ein Mitarbeiter dieser neuen „Sicherheitsfirmen“ wie folgt zitiert: „Es steckt eine Menge Kohle dahinter. Jeder will ein Stück vom Kuchen abhaben. Unternehmen aus Deutschland sind ganz vorne mit dabei.“ Genau darum geht es bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung. Auch in Deutschland soll der Weg in diesen „Zukunftsmarkt“ endgültig geöffnet werden – natürlich lizensiert, zertifiziert, reguliert, erst einmal nur für Sicherheitsdienste auf Schiffen. Aber es liegt auf der Hand, dass dies nur der erste Schritt ist. Wir lehnen das entschieden ab, und wir finden uns mit dieser quasi-unvermeidlichen Privatisierung nicht ab. Erstens ist die Vorstellung, dass man dieses Geschäftsfeld völlig transparent gestalten und lückenlos öffentlich kontrollieren könne, naiv und unrealistisch. Sicherheitsfirmen, sagen wir es deutlicher: Söldnerfirmen, zeichnen sich durch einen hohen Grad von Schachtelkonstruktionen aus. Sie entziehen sich öffentlicher Kontrolle – und sei es durch Firmenneu- bzw. -umgründungen. Beispiel Blackwater: nach Rechtsstreit mit der US-Regierung vorübergehend in XeServices umbenannt und heute als, welch schöner Name, Academi aktiv. Das aktive Personal, das heißt die Leute mit den Waffen, sind in der Regel keine ordentlich angestellten Personen. Sie werden in Zeitverträgen eingesetzt. Woher sie kommen, was sie gemacht haben, was sie danach machen werden: Das bleibt im Verborgenen. Und dort ausgestellte Führungszeugnisse sollen von öffentlichen Behörden verlässlich beurteilt werden? Der zweite Grund ist die – auch trotz des hier vorliegenden Gesetzes – nicht gewährleistete konsequente Haftbarkeit der Unternehmen und ihres Personals. Ein Ermittlungsverfahren bei Waffeneinsatz an Bord ist quasi nur vorgesehen, wenn sich die mutmaßlichen Täter selber anzeigen. Und das soll funktionieren? In diesen Tagen kann man die Frage auch so stellen: Glauben Sie an den Weihnachtsmann? In ihrer Antwort auf Fragen meiner Fraktion vom -April dieses Jahres räumt die Bundesregierung selber ein, dass eine fortlaufende Beaufsichtigung dieser Unternehmen auf See nicht möglich ist. Drittens. Der Einsatz privater Sicherheitskräfte am Horn von Afrika ist eine Art Komplementärmaßnahme für die misslungene Atalanta-Militärmission der EU zur Pirateriebekämpfung. Ein nachhaltiger Erfolg wurde trotz großem Aufwand nicht erreicht. Jetzt sollen die Söldnerfirmen dabei mithelfen, diese Bilanz entscheidend aufzubessern, ohne dass man an der bisherigen allzu schlichten Strategie, Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen, etwas ändern müsste. Eine wirksame Ursachenbekämpfung sieht anders aus. Ihr Gesetzentwurf ist bestenfalls Stückwerk; sie legalisieren damit ein Gewerbe, das wir in der Form nicht brauchen. Die Linke stellt deswegen hier den klar formulierten Antrag, solche Dienstleistungen im Ausland nicht zu gestatten. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Antrag zu den Sicherheitsdiensten auf Schiffen war überfällig. Der internationalen Handelsschifffahrt macht seit mehreren Jahren die Passage am Horn von Afrika vor der somalischen Küste schwer zu schaffen. Vor allem die Seeleute leiden darunter. Piraterie beschäftigt uns bereits seit Jahrhunderten, seit Bestehen der Seefahrt. So wie die Seeschifffahrt sich verändert hat, hat sich auch die Piraterie verändert. Es mussten immer wieder neue Maßnahmen gefunden werden, um Piratenangriffen auf Handelsschiffe vorzubeugen. Bei den heutigen Piratenattacken werden Schiffe samt Ladung gekapert, Besatzungen als Geisel genommen und es wird Lösegeld gefordert. Die Piraten gehen dabei nicht zimperlich vor. Auch vor Kreuzfahrtschiffen machen die Piraten nicht halt. 2011 wurden vor der Küste Somalias knapp 450 Schiffe Opfer von Piratenangriffen sowie über 50 Millionen Euro Lösegeld gefordert. Die Piraterie ist für Teile des schwer gebeutelten Landes Somalia zu einem lukrativen Geschäft geworden. Die Überfälle sind wirtschaftlich-kriminell oder sogar mafiös organisiert. Die Piraterie ist aber auch Lebensgrundlage für einige ehemalige Fischer; denn ihnen wurde durch die Raubfischerei ihre bisherige Lebensgrundlage entzogen. Bis 2011 stieg die Zahl der Piratenangriffe vor dem Horn von Afrika Jahr für Jahr stark an. Das hatte für die betroffenen Reeder starke finanzielle Auswirkungen, ganz zu schweigen von den betroffenen Schiffsbesatzungen, die an einer der meistbefahrenen Welthandelsrouten dramatische Situationen durchstehen müssen. Wir müssen daher dringend politische Maßnahmen zum Rückgang der Piraterie ergreifen und Somalia politisch stärken. Die internationale Staatengemeinschaft hat die Vorfälle zum Anlass genommen und mit der Operation Atalanta eine verstärkte Marinepräsenz installiert. Die deutschen Reedereien müssen die Möglichkeit bekommen, auch an Bord Sicherheitsdienste mitzuführen. Das wird bisher zwar bereits praktiziert. Doch das geschieht alles in einer juristischen Grauzone – mit allen Risiken für Kapitäne und Besatzungen. „Djangos“ haben an Bord nichts zu suchen! Ich habe den Wissenschaftlichen Dienst zu den Risiken des Einsatzes von privaten Sicherheitsdiensten auf Seeschiffen befragt. Von dort kam eine deutliche Aussage: Kapitäne eines Schiffes können sich nach der bisherigen Rechtslage strafbar machen. Richtig brisant wird es, wenn in der Gefahrenabwehr unterschiedliche Anweisungen von privaten Sicherheitsleuten und dem Kapitän kommen. Dann könnte sich ein Kapitän wegen fahrlässiger Körperverletzung beziehungsweise Tötung sogar strafbar machen. Auf diese Fragestellung wird im Gesetzentwurf der Bundesregierung endlich eingegangen. Die Sicherheitskräfte müssen jetzt entsprechend geschult werden. Grundsätzlich bringt der Gesetzentwurf Verbesserungen für die Verantwortlichen an Bord. Wir Grüne haben das gesamte Verfahren konstruktiv begleitet. Dennoch gibt es eine Reihe von Kritikpunkten. Meine Fraktion kann dem vorliegenden Gesetzentwurf deswegen auch nicht zustimmen: Es findet zwar eine Zertifizierung der Sicherheitsdienste statt, das eingesetzte Personal wird aber nicht einzeln geprüft. Verschiedene Forderungen des Bundesrats wurden nicht aufgegriffen, etwa die Forderung, auch deutsche Seeschiffe mit ausländischer Flagge mit einzubeziehen. Es hat viel zu lange gedauert, bis der Entwurf vorlag. Selbst dann finden noch Notreparaturen statt. Und: Bis heute hat keine richtige Abstimmung zwischen den einzelnen Ressorts stattgefunden Daher: Erst mit dem Vorliegen der angekündigten Rechtsverordnung wird sich erweisen, wie ernst es die Koalition mit der Regulierung der Sicherheitsdienste meint! Wir werden uns bei der Abstimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf deswegen enthalten. Grundsätzlich ist ein guter Wille der Koalition erkennbar. Doch bei der Abstimmung in der schwarz-gelben Regierung knirscht es nur noch. Die Ressortabstimmung für die Verordnungen ist noch in vollem Gange. Reißen Sie sich zusammen! Legen Sie jetzt endlich die Umsetzung vor, damit die Seeleute mehr Sicherheit bekommen! Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Deutschland besitzt die drittgrößte Handelsflotte der Welt. Wir verfügen über die weltweit größte Containerschiffsflotte. Allein in der Seeschifffahrt sind rund 95 000 Menschen beschäftigt. Eine starke maritime Wirtschaft ist für ein so außenhandelsorientiertes Land wie Deutschland von gesamtwirtschaftlicher, von strategischer Bedeutung. Maritime Sicherheit hat für uns deshalb höchste Priorität. Die Piraterie stellt eine erhebliche Bedrohung für die maritime Wirtschaft dar. Ich will dies anhand einiger Zahlen verdeutlichen: 2011 fanden 439 Piratenübergriffe weltweit statt. Davon entfielen über die Hälfte, 236, auf Gebiete vor den Küsten Somalias. 64 Überfälle erfolgten auf Schiffe in Besitz deutscher Reeder. 2011 fuhren 1 243 Schiffe unter deutscher Flagge im Hochrisikogebiet am Horn von Afrika – 2010: 688. Die starke Steigerung 2011 gegenüber 2010 ist vor allem auf die Ausweitung des Hochrisikogebietes bis zur indischen Küste im Jahre 2011 zurückzuführen. Die durch Piraterie entstehenden Kosten für die Reedereien sind enorm: Eine Studie der One Earth Future Foundation beziffert die Kosten auf 6,6 bis 6,9 Milliarden US-Dollar pro Jahr – Horn von Afrika und gesamter Indischer Ozean. Der Lösegeldanteil in Höhe von 160 Millionen US-Dollar ist dabei noch der geringste Teil. Viel stärker ins Gewicht fallen die Folgekosten wie steigende Bunkerkosten durch höhere Durchfahrtsgeschwindigkeiten in gefährdeten Gebieten oder für Umwege sowie die Anschaffung von Sicherheitsausrüstungen auf Schiffen. In der jüngsten Zeit können wir einen deutlichen Rückgang an Überfällen verzeichnen. Dies hat im Wesentlichen drei Ursachen: Erstens werden die Schiffe mit immer effektiveren Abwehrmechanismen ausgestattet: Stacheldraht an der Reling, Schallkanonen, Schleppleinen. Zweitens die starke internationale militärische Präsenz. Auch die deutsche Marine ist im Rahmen der EU-geführten Operation Atalanta erfolgreich engagiert. Drittens wird immer häufiger bewaffnetes Sicher-heitspersonal als ergänzende Schutzmaßnahme auf den Schiffen eingesetzt. Es wird berichtet, dass Piraten ihre Angriffe abbrechen, sobald sie bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord bemerken. Nach Schätzungen wurden 2011 über 20 Prozent der Schiffe im somalischen Gefahrengebiet von privaten Sicherheitskräften begleitet, die Dunkelziffer dürfte sogar noch höher sein. Wir wollen keine Desperados, sondern nur zuverlässige Sicherheitsunternehmen mit qualifiziertem Personal auf Schiffen unter deutscher Flagge. Daher hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem ein neues Zulassungsverfahren für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen eingeführt werden soll. Damit schaffen wir die notwendige Rechtssicherheit. Dies ist auch ein Anliegen der Reeder, die eine solche Regelung fordern. Das vorgesehene Zulassungsverfahren orientiert sich eng an den Anforderungen, die die Internationale Schifffahrtsorganisation, IMO, in ihren Empfehlungen aufgestellt hat. Die Bewachungsunternehmen müssen im Rahmen des Zulassungsverfahrens darlegen, dass sie die vorgeschriebenen Anforderungen an die betriebliche Organisation und Verfahrensabläufe erfüllen. Organisation und Verfahrensabläufe müssen hierbei so ausgestaltet sein, dass nur fachlich und persönlich geeignetes sowie zuverlässiges Personal an Bord von Seeschiffen eingesetzt wird. Es ist damit ein unternehmensbezogenes Zulassungsverfahren. Die Zulassungen werden vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA, im Benehmen mit der Bundespolizei erteilt und sind für die Dauer von zwei Jahren befristet. Wichtig ist, dass die eingesetzten privaten Sicherheitskräfte keine staatlichen Hoheitsrechte haben. Ihnen stehen zur Abwehr von Piratenangriffen nur die sogenannten Jedermannsrechte wie Notwehr und Nothilfe zu. Neben den vorgesehenen Änderungen in der Gewerbeordnung sieht der Gesetzentwurf eine Änderung des Waffengesetzes vor. Danach wird künftig die Waffenbehörde Hamburg zentrale Behörde für die Erteilung der erforderlichen waffenrechtlichen Erlaubnisse an ausländische Bewachungsunternehmen. Gerade für ausländische Bewachungsunternehmen, auf deren Dienstleistungen die deutschen Reeder angewiesen sind, ist diese Bündelung der Zuständigkeit wichtig. Die hohen Anforderungen des deutschen Waffenrechts gelten weiter, genauso wie der Einsatz von Kriegswaffen nicht erlaubt werden wird. Mit diesem Zulassungsgesetz sind wir international Vorreiter bei der Regelung des Einsatzes von Bewachungsunternehmen an Bord von Seeschiffen. Wir beseitigen derzeit noch bestehende Rechtsunsicherheiten und sichern eine hohe Qualität bei diesen Sicherheitsdienstleistungen. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Geschlechtergerechtigkeit im Lebensverlauf – Zeit zwischen den Geschlechtern gerecht verteilen – Partnerschaftlichkeit stärken – Unterrichtung: Erster Gleichstellungsbericht; Neue Wege – Gleiche Chancen; Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf (Tagesordnungspunkt 22) Dorothee Bär (CDU/CSU): Der Erste Gleichstellungsbericht, den das Kabinett am 15. Juni 2011 verabschiedet hat, zeigt strukturelle Ungleichheiten im Lebensverlauf von Frauen und Männern auf und arbeitet so die gleichstellungspolitischen Erfordernisse in Deutschland systematisch heraus. Es wird ausgelotet, wie eine Gesellschaft auszusehen hat, in der Frauen und Männer während ihres gesamten Lebens die gleichen Teilhabe- und Verwirklichungschancen haben. Der Bericht ist unterteilt in fünf Kapitel: Rollenbilder und Recht, Bildung, Erwerbsleben, Zeitverwendung, Alter und Bilanzierung des Lebensverlaufs. In allen Kapiteln lässt sich sehr schön ablesen, wie Nachteile, die in einer bestimmten Lebenssituation entstehen – etwa der Einkommensverlust während einer familienbedingten Auszeit, eine Ehescheidung oder die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung – über den Lebensverlauf hinweg kumulieren können. Gesetzliche Regelungen können diese Nachteile mitunter verstärken, zum Beispiel, indem die Unterstützung, die eine Regelung in einer Lebensphase gewährt, in der darauffolgenden Phase abbricht. Unser Antrag erläutert daher anlässlich des Ersten Gleichstellungsberichts die Bedeutung der Gleichstellungspolitik für unsere Gesellschaft und verknüpft dies mit aktuellen gleichstellungspolitischen Forderungen. Denn die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Etappen des Lebensverlaufs ist noch immer keineswegs selbstverständlich gewährleistet: Frauen steigen weitaus seltener als Männer in Führungspositionen auf; sie unterbrechen ihr Berufsleben häufiger und länger als Männer, um sich um die gemeinsamen Kinder oder um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern. Ein besonderes Problem stellt die Alterssicherung von Frauen dar. In Betrachtung der heutigen Generation Rentner zeigt sich, dass die Lücke in den eigenen Alterssicherungseinkommen zwischen Frauen und Männern gravierend ist. Unsere gleichstellungspolitischen Forderungen zielen daher insbesondere darauf ab, die Erkenntnisse des Ersten Gleichstellungsberichts auszuwerten und auf Grundlage dessen einen Rahmenplan zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in allen Phasen des Lebensverlaufs vorzulegen; die Ursachen der sich im Lebensverlauf verbreiternden Entgeltunterschiede zwischen Frauen und Männern weiter zu erforschen; Programme wie Girls’ Day, Boys’ Day, die darauf abzielen, das Berufswahlspektrum von Jungen und Mädchen zu verbreitern, fortzusetzen und konkret zu evaluieren; Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten und umzusetzen, die Karrierewege für Frauen systematisch öffnen, um die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen zu überwinden; in jeder Legislaturperiode einen Gleichstellungsbericht vorzulegen; die Zeitsouveränität von Frauen und Männern nach deren Bedürfnissen im Lebensverlauf zu stärken, – zum Beispiel durch die Förderung flexibler Arbeitszeiten statt überkommener Anwesenheitskulturen. Meine Damen und Herren, Chancengleichheit für Frauen und Männer ist als Längsschnittaufgabe zu betrachten. Sie ist nur zu erreichen, wenn die kurz- und langfristigen Folgen individuell und partnerschaftlich getroffener Entscheidungen konsequent bedacht werden – und die Politik dafür Sorge trägt, dass die Chancen und Risiken dieser Entscheidungen nicht bereits strukturell ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt sind. Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Heute debattieren wir abschließend den Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung hier im Deutschen Bundestag. Diese Debatte passt sehr schön in die letzte Sitzung des Jahres, denn er hat uns das ganze Jahr 2012 hindurch im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend begleitet. Wir haben mehrmals im Ausschuss über den Bericht und seine Folgerungen gesprochen, wir haben eine Expertenanhörung durchgeführt, die Fraktionen haben Anträge dazu erarbeitet und auch in zahlreichen Fachgesprächen, Dialogen und Foren haben die Gleichstellungspolitiker aller Fraktionen umfassend über den Bericht debattiert, und das mit gutem Grund. Denn dieser Bericht bietet viel Interessantes für unsere politische Arbeit: Auf knapp 250 Seiten finden wir erstmalig eine umfassende wissenschaftliche Bestandsaufnahme über die gleichstellungspolitische Situation in Deutschland. Besonders bemerkenswert ist dabei der neue und interessante Ansatz, der neue Blickwinkel, aus dem auf dieses Thema geschaut wird. Es ist der Ansatz der Lebensverlaufsperspektive. Betrachtet man das Thema aus der Lebensverlaufsperspektive, dann schauen wir nicht mehr statisch auf die Lebenssituationen im Moment und auf Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in einem speziellen Themenfeld, sondern wir stellen die Frage, welche Entscheidungen im Leben von Frauen und Männern zu welchen Konsequenzen im Laufe ihres Lebens führen können. Problemstellungen und Lösungen werden in ihren Ursachen und Wirkungen über den ganzen Lebensverlauf analysiert und auch politische Weichenstellungen werden in diesem Kontext beleuchtet. Das ist ein wirkliches Novum, hier setzen wir international Maßstäbe, und dies möchte ich deshalb auch heute noch einmal ausdrücklich positiv erwähnen. Kern des Berichtes ist die Frage, wie wir gleiche Teilhabe- und Verwirklichungschancen für Frauen und Männer sichern können. Dabei spielt das Erwerbsleben eine Schlüsselrolle genauso wie die unterschiedlichen Rollenvorstellungen, die zur Zeit massiv im Wandel sind. Wie beides miteinander zusammenhängt, sieht man am Wandel des klassischen Ernährermodells. Während früher der Mann das Familieneinkommen verdiente und die Frau sich um Haus und Kinder kümmerte, werden heute die unterschiedlichsten Modelle gelebt: In zunehmendem Maße nehmen beide Partner gemeinsam die Rolle des Ernährers wahr, es gibt innerhalb einer Beziehung wechselnde Schwerpunkte, und immer öfter ist auch die Frau die Familienernährerin. Dieser Wandel bringt es umgekehrt mit sich, dass auch Männer sich immer mehr um die Familie kümmern. Die so wechselnden Rollenbilder sind eine Tatsache, die vieles in unserer Gesellschaft verändern wird. Aus diesen neuen Entwicklungen die richtigen Schlüsse zu ziehen, das ist mein Appell, den ich heute hier formuliere: Für Männer und Frauen muss es möglich sein, Familie zu leben und im Erwerbsleben zu stehen. Beide wollen beides, beide müssen beides, und beiden muss die Möglichkeit gegeben sein, die Schwerpunkte innerhalb des Lebensverlaufs zu ändern, ohne dass sie einseitig negative Folgen haben. Diese Flexibilität zu ermöglichen, das ist Aufgabe von Politik, aber auch von Wirtschaft und Gesellschaft. Deshalb gibt es etwa die Initiative „Familienfreundliche Arbeitswelt“. Damit werden Betriebe sensibilisiert, etwa 30/35-Stunden-Arbeitszeit-Modelle für beide Partner anzubieten, Karrierewege mit Familienplanung gemeinsam zu gestalten, Mitarbeiter auch an den Betrieb zu binden, wenn sie sich in einer Familienphase befinden, und vieles mehr. Ziel ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Berufstätigkeit und Karriere ermöglichen ohne auf Familie zu verzichten, und zwar für beide Partner. Genau deshalb ist das Programm aus gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten so wichtig. In diesen Zusammenhang passen auch die Elternzeit und die Familienpflegezeit. Der Staat bietet den Rahmen und Modelle an, auf die die Menschen zugreifen können. Bei der Elternzeit bietet er den notwendigen Schonraum nach der Geburt eines Kindes, ermöglicht aber eine reibungslose Rückkehr in den Beruf. Bei der Familienpflegezeit hilft er, Arbeitszeit eine Zeit lang zugunsten der Pflege eines Angehörigen zu reduzieren, ohne ganz auf Berufstätigkeit zu verzichten. Diese Modelle sind erfolgreich, und sie müssen zugunsten von mehr Flexibilität ausgebaut werden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Kinderbetreuungsinfrastruktur. Eine Empfehlung der Kommission, die den Gleichstellungsbericht erarbeitet hat, ist es, die Kinderbetreuungsmöglichkeiten quantitativ und qualitativ weiter auszubauen. Und das ist genau das, was wir in dieser christlich-liberalen Koalition tun. Ich rufe den Kolleginnen und Kollegen gerne noch einmal ins Gedächtnis: Für den Ausbau eines bedarfsgerechten Angebots mit dem Ziel der Schaffung von 750 000 Kitaplätzen – das entspricht 35 Prozent im Bundesdurchschnitt – übernimmt der Bund bereits mit 4 Milliarden Euro ein Drittel der Gesamtkosten. Um den Ausbau zu forcieren und ein hochwertiges Angebot machen zu können, haben wir zusätzliche 580 Millionen Euro an Investitionszuschüssen in die Hand genommen, die ab dem 1. Januar 2013 zur Verfügung stehen sollen. Darüber hinaus wird es Betriebskostenzuschüsse geben: 18,75 Millionen Euro in 2013, 37,5 Millionen Euro in 2014 und 75 Millionen Euro ab 2015. Das ist trotz Schuldenbremse ein eindeutiges Bekenntnis und ein sehr starkes Signal! Zusätzlich gibt es Unterstützung bei Betriebskindergärten, Tagespflegepersonen und durch KfW-Kredite. Auch das wird zu mehr Wahlfreiheit führen, mehr Gleichberechtigung bei der Verteilung von Familienpflichten und Erwerbstätigkeit und somit zu mehr Gleichstellung. Der Staat, und zwar Bund, Länder und Kommunen, kann also gemeinsam mit der Wirtschaft vieles tun, um im Erwerbsleben Weichen zu stellen, die gleiche Chancen ermöglichen. Allerdings ist es mit Entscheidungen von Politik und Wirtschaft allein nicht getan. Gleichstellung fängt nicht zuletzt bei den individuellen Entscheidungen des Einzelnen an. In der Lebensverlaufsperspektive sehen wir genau, welche Auswirkungen diese Entscheidungen jeweils haben. Wenn sich beispielsweise eine Schülerin dazu entscheidet, eine Ausbildung in einem Beruf anzutreten, der in Betätigungsfeld, Aufstiegschancen und Entlohnung sehr eingeengt ist, dann zementiert eine solche Entscheidung die von uns hier kritisierten Strukturen. Gleiches gilt für die Wahl des Studienfachs, oder den Arbeitsplatz nach dem Abschluss. Auch hier kann der Staat Angebote machen und in gewissem Sinne Aufklärungsarbeit leisten, welche Folgen die ein oder andere Entscheidung mit sich bringt – nicht nur für den Moment, die kommenden Monate, sondern für eine recht lange Zeit im Leben. Und hier findet sich wieder der Ansatz der Lebensverlaufsperspektive als Grundlage gleichstellungspolitischer Entscheidungen. Ich bin deswegen sehr gespannt, wie sich der nächste Gleichstellungsbericht äußern wird, den wir in unserem Antrag gefordert haben. Denn nach und nach stoßen immer mehr Frauen und Mädchen in klassische Männersphären vor, der demografische Wandel birgt gewaltiges gesellschaftliches Veränderungspotenzial, und die Firmen werden nicht umhin kommen, ihre internen Strukturen zu flexibilisieren. Wir vonseiten der Politik werden das Unsrige beisteuern, hier mitzuhelfen. Der Gleichstellungsbericht ist eine gute Handlungsgrundlage für die kommenden Jahre, die Lebens-verlaufsperspektive der richtige Ansatz, und ich fordere alle dazu auf, dies zu nutzen und den Wandel mitzugestalten. Christel Humme (SPD): Es ist schade, dass ein so wichtiges Thema, nämlich die Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland, erst zu so einer sehr späten Tageszeit auf der Tagesordnung steht. Das zeigt erneut: Diese schwarz-gelbe Bundesregierung nimmt das Thema nicht ernst und kehrt es, genauso wie den tollen Gleichstellungsbericht, unter den Tisch. Mit dem Sachverständigengutachten für den ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung ist der Beweis erbracht: Frauen sind nicht selber schuld an ihrer Situation, wie es die Frauenministerin Schröder und die Kanzlerin Merkel gerne unterstellen. In Deutschland sind es nach wie vor die Strukturen, die Frauen benachteiligen. Kein anderes europäisches Land hat so konservative Rollenbilder wie Deutschland. Die viel zitierte „gläserne Decke“ ist in Deutschland nach wie vor aus Panzerglas. Nicht nur der Bericht, sondern vor allem die Lebenswirklichkeit zeigen: Frauen streben immer mehr nach ökonomischer Unabhängigkeit, und sie wollen sich beruflich frei entfalten können und eine Familie haben. Männer wollen neben dem Beruf auch mehr Verantwortung in der Familie übernehmen. Auf diese Veränderungen in den Lebensentwürfen muss sich die Politik einstellen. Das Sachverständigengutachten gibt uns darauf viele Antworten. Aber vor allem gibt es uns Politikerinnen und Politikern Handlungsempfehlungen für eine in sich konsistente Gleichstellungspolitik. Dafür können wir den Sachverständigen gar nicht genug danken. Mittlerweile liegt das Gutachten seit fast zwei Jahren vor. Passiert ist seitdem nichts. Im Gegenteil sogar: Die Bundesregierung setzt Dinge um, die entgegen den Handlungsempfehlungen der Sachverständigenkommission sind, so zum Beispiel die Ausweitung der Minijobs von 400 auf 450 Euro, die Einführung des unsinnigen Betreuungsgeldes oder die Lebensleistungsrente von Arbeitsministerin von der Leyen, von der Frauen keinerlei Vorteil zu erwarten haben. Damit verschärft die Bundesregierung die Problemlagen von Frauen in unserem Land und macht neue Widersprüche in der Gleichstellungspolitik auf. Besonders deutlich wird das bei dem Thema Minijobs. Erst vor wenigen Wochen hat das Delta-Institut eine vom Bundesfrauenministerium in Auftrag gegebene Studie zu „Frauen im Minijob“ veröffentlicht. Die Studie bestätigt erneut, wie schädlich Minijobs für Frauen sind: „Minijobs pur entfalten eine schnell einsetzende und hohe Klebewirkung und keine Brückenfunktion“. Sie reichen, salopp gesagt, weder zum Leben noch zum Sterben! Wie reagiert die Bundesregierung darauf? So, als ob es diese Studie gar nicht geben würde; sie beschließt die Ausweitung der Minijobs von 400 auf 450 Euro. Das ist unlogisch, falsch und erweist den Frauen einen Bärendienst. Gleiches gilt für das Betreuungsgeld. Es ist ein Geschenk für die CSU (und nur für sie), aber ein Stolperstein für Eltern und ihre Kinder. Denn das Betreuungsgeld bindet wichtige finanzielle Mittel, die für den stockenden Ausbau der Kinderbetreuung dringend gebraucht werden. Vor allem im Bereich der U-3-Betreuung klaffen Wunsch und Realisierung eines Betreuungsplatzes weit auseinander. In der Regel ist es dann die Frau, die zu Hause bleibt und sich um die Betreuung der Kinder kümmert. Wir wissen aber alle, dass junge Frauen und Männer beides wollen: Familie und Beruf. Je länger jedoch die Auszeit aus dem Beruf andauert, desto wahrscheinlicher arbeiten Mütter anschließend in kürzerer Teilzeit (als gewünscht), zu einem niedrigeren Lohn und schaffen den beruflichen Aufstieg seltener. Das ist ganz klar eine Absage an ein modernes Familien- und Frauenbild. Das hat übrigens auch der Bundesparteitag der CDU vor knapp zwei Wochen erneut bestätigt: Die Union hat ein völlig überholtes und realitätsfremdes Bild von Lebensgemeinschaften. Offensichtlich sind ihr nicht alle Ehen und Lebensmodelle gleich viel wert. Auch die Lebensleistungsrente von Frau von der Leyen gibt keine Antwort auf die drohende Altersarmut von Frauen. Denn Voraussetzung zum Erhalt dieser Rente sind 40 Beitragsjahre und eine private Altersvorsorge. Mir ist nicht klar, wie Frauen, die überwiegend in Teilzeit und zu niedrigen Löhnen gearbeitet haben, und solche, die aufgrund fehlender Kinderbetreuungsangebote längere Zeit aus dem Beruf ausgestiegen sind, auf 40 Beitragsjahre und eine zusätzliche private Altersvorsorge kommen sollen. Dieses Modell unterstützt nicht die Frauen und ist reine Augenwischerei. Die SPD hat hingegen ein gleichstellungspolitisches Gesamtkonzept und bereits zwei wichtige Gesetzentwürfe in den Deutschen Bundestag eingebracht. Wir wollen keine Rollen rückwärts. Wir wollen eine eigenständige Existenzsicherung von Männern und von Frauen; denn das ist für uns echte Gleichstellung (und zukunftsweisend). Wir wollen eine gesetzliche Regelung für gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit und kein auf Freiwilligkeit beruhendes Lohnmessverfahren. Wir wollen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und keine Niedriglöhne für Frauen und Männer. Wir wollen eine verbindliche Quote von mindestens 40 Prozent für Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen und keine auf Freiwilligkeit basierende Flexi-Quote, hinter der sich jedes Unternehmen verstecken kann. Wir wollen die Minijobs eindämmen und keine Ausweitung von 400 auf 450 Euro. Wir wollen den Ausbau der Kinderbetreuung voranbringen und kein verantwortungsloses Betreuungsgeld. Wir wollen armutsfeste Renten und keine Lebensleistungsrente, von der Frauen nicht profitieren können, weil die Zugangsvoraussetzungen schlichtweg von den meisten nicht erfüllt werden. Wir wollen das Elterngeld partnerschaftlich weiterentwickeln und nicht für bestimmte Familien kürzen. Für all das haben wir Konzepte vorliegen – im Gegensatz zur schwarz-gelben Bundesregierung. Die SPD hat eine gleichstellungspolitische Vision und wird diese nach der Bundestagswahl 2013 umsetzen. Nicole Bracht-Bendt (FDP): Der Erste Gleichstellungsbericht mit dem Gutachten der Sachverständigenkommission zeigt deutlich, dass wir noch nicht am Ziel sind. Wir haben schon gute Maßnahmen entwickelt. Es gibt auch Erfolge, aber nicht genug. Bei der Gleichstellung muss der Weg das Ziel sein. Wir können uns nicht erlauben, nicht langfristig zu handeln. Wir müssen umfassend und konsistent agieren. Was bedeutet Gleichstellung für die unterschiedlichen Altersgruppen? In den Köpfen der Kinder und Jugendlichen ist „Gleichberechtigung“ kein Thema. Sie kennen die Statistiken nicht. Vermutlich können sie auch nicht viel mit dem Begriff Geschlechtergleichstellung anfangen. Und dennoch weiß jedes Mädchen und jeder Junge, dass für beide Geschlechter dieselben Rechte gelten müssen. Und in der Schule würden alle protestieren, wenn einer von ihnen aufgrund seines Geschlechts schlechter benotet werden würde – oder besser. Es ist ja bekannt, dass junge Frauen heutzutage durchschnittlich die besseren Abschlüsse an Schule und Universität machen. Doch wenn sie ins Berufsleben kommen, sieht es leider schon anders aus: Die richtige Denkweise der jungen Menschen stößt auf die bittere Realität. Schon bei einigen Studiengängen ist ein Ungleichgewicht im Geschlechterverhältnis deutlich zu sehen. Hier sind natürlich keineswegs die Männer schuld. Frauen sollten motiviert werden, sich nicht unbedingt auf traditionelle Frauenberufe zu konzentrieren. Nicht nur Frauen, auch Männer müssen sich erst durchsetzen, wenn sie sich für einen geschlechtsuntypischen Beruf entscheiden. Es gibt immer noch erhebliche, sich mit dem Alter vergrößernde Lohnunterschiede. Und nicht zuletzt beobachten wir einen zwar steigenden, aber zu geringen Frauenanteil in Führungspositionen der Unternehmen. Hier sind wir uns alle einig: Das muss sich ändern. Vergessen wir nicht den Spagat zwischen Familie und Beruf. Es sind meistens die Frauen, die die Berufstätigkeit unterbrechen, um sich um die Kinder zu kümmern, aber auch, um pflegebedürftige Angehörige zu pflegen. Frauen ermöglichen ihren Männern den beruflichen Aufstieg. Das können sie natürlich tun; der Staat hat sich da rauszuhalten. Frauen sollte aber klar sein, dass jedes Jahr, das sie aus dem Beruf aussteigen, weniger Rente im Alter bedeutet. Der Gleichstellungsbericht macht deutlich, dass wir Gleichstellungspolitik aus der Lebensverlaufsperspektive betrachten sollten, dass wir die unterschiedlichen Lebensphasen unter die Lupe nehmen müssen, vor allem die Übergänge im Lebenslauf. Und wir müssen dafür sorgen, dass der nächste Gleichstellungsbericht uns bessere Ergebnisse darstellen kann. Was wir brauchen, ist eine klare Linie. Was wir aber nicht brauchen, sind Fehlanreize, die uns kurzfristige Vorteile überbewerten lassen. Das gilt beispielsweise für eine gesetzliche Frauenquote. Ich sagte es bereits: Der Weg ist das Ziel. Und möglichst schnell eine bestimmte Anzahl an weiblichen Vor-ständen zu sammeln, ist nicht die Lösung. Die Lösung des Problems ist auch nicht, dafür Männer zu entlassen oder wenn Unternehmen versuchen, Sanktionen zu entgehen, so wie es in Norwegen passiert ist. Nein, wir brauchen einen langfristigen Wandel mit einer gesunden Basis. Das fängt mit dem Studium an. Es mangelt hier nicht an Qualifikation von Frauen für bestimmte Fachrichtungen. Wir müssen Anreize schaffen, um Studiengänge für alle gleichermaßen attraktiv zu machen. Dabei hilft ein Abbau von Klischees. Auch bei Berufen müssen wir verhindern, dass sich jemand wegen seiner Berufswahl in Bezug auf sein Geschlecht rechtfertigen muss. Vielmehr sollten wir darauf hinarbeiten, dass es so etwas wie geschlechtsuntypische Berufe gar nicht erst gibt. Wenn es um Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, müssen wir die Familien unterstützen, Frauen wie Männer. Viele Frauen wollen ihr Kind auch nicht sofort in eine Kita geben. Das ist ihr gutes Recht. Dagegen dürfen wir keine Gesetze erlassen; das wäre nur ein Einschnitt in ihre Freiheit. Konzentrieren wir uns lieber -darauf, wie wir es den Menschen ermöglichen, frei zu wählen, wie sie ihre Familie organisieren und dazu ihren Beruf ausüben können! Tatsächlich beschäftigen sich 90 Prozent der Unternehmen mit Vereinbarkeit. Auch sie müssen hier flexibel sein und kooperativ, sowohl während der Auszeit als auch beim Wiedereinstieg. Ein erfolgreiches Pilotprojekt der Arbeitsagentur ermöglichte bereits über 1 000 Frauen, aus einem Minijob in eine Teilzeitstelle zu gehen. Das müssen wir ausbauen; denn jahrelange Minijobs können der Einstieg in die Altersarmut werden. Das muss jeder wissen! Gestaltungsfreiheit bedeutet auch, dass wir von unserer jetzigen Präsenzkultur wegkommen und Alternativen durchsetzen. Es gibt Konzepte wie das Jobsharing oder Telearbeit. In Verbindung mit flexiblen Arbeitszeiten und Teilzeitmodellen, auch für Führungskräfte, müssen Familie und Beruf nicht länger ein Dilemma bedeuten. Dadurch werden auch Männer ermutigt, eine Auszeit zugunsten der Familie zu nehmen. Laut Gleichstellungsbericht lehnte 2008 noch fast die Hälfte aller befragten Väter es ab, die Arbeitszeit zu reduzieren. Ich bin mir sicher, dass sich das mit den genannten Konzepten und Modellen ändert. Verstaubte Geschlechterrollen gehören abgeschafft! Das gleiche gilt für Pflege. Wir nähern uns stetig dem Punkt, an dem wir mehr pflegebedürftige Menschen in Deutschland haben als jemals zuvor. Und wir nähern uns dem Punkt, an dem wir mehr pflegebedürftige Menschen in Deutschland haben, als wir überhaupt pflegen können. Jemanden im privaten Umfeld zu pflegen, ist nicht nur ein Zeitproblem. Es ist eine schwere körperliche und psychologische Last. Dennoch sind viele darauf angewiesen, und wir müssen einen guten Austausch von professioneller und privater Pflege ermöglichen, um das im Griff zu haben. Wir müssen den Menschen die Hand reichen, und dann können wir auch erwarten, dass die Gesellschaft das nutzt. Mit „Nutzen“ meine ich breite Diskussionen, ein neues Bewusstsein und auch die Inanspruch-nahme der Angebote und Modelle. Das ist der Weg. Dazu gehört zum Beispiel die Familienpflegezeit, die die Koalition letztes Jahr verabschiedet hat. Wir beraten ja heute nicht nur den Bericht der Bundesregierung, sondern auch einen Antrag der Koalition und einen Antrag der SPD-Fraktion. Darin greifen Sie Thesen auf, denen wir uns in der FDP-Fraktion in vielen Punkten anschließen können. Wir sind uns einig, dass die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Etappen des Lebensverlaufs noch immer keineswegs selbstverständlich gewährleistet ist. Allerdings sind wir anderer Auffassung über den Weg dahin. Deshalb ist es keine Überraschung, dass Sie, Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, mal wieder nach dem Gesetzgeber rufen. Zur Verwirklichung der Arbeitszeitwünsche ist also nicht nur, so wie wir in den Koalitionsfraktionen sagen, die Flexibilität der Unternehmen gefragt. Nein, Sie fordern gleich konkrete Vorgaben des Gesetzgebers. Ich finde, hier machen Sie es sich zu einfach. Da machen wir nicht mit. Aber: Wir alle verfolgen das gleiche Ziel. Und deshalb möchte ich Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dazu auffordern, zu versuchen, hier einen gemeinsamen Weg einzuschlagen, und zwar nicht den bequemsten Weg, sondern den nachhaltigsten. Heidrun Dittrich (DIE LINKE): „Die gegenwärtige Minijobstrategie muss aus Perspektive der Geschlechtergleichstellung als desaströs bezeichnet werden.“ (Presseinfo der Geschäftsstelle Gleichstellungsbericht vom 25. Januar 2011) So kritisiert Frau Prof. Dr. Ute -Klammer, die Vorsitzende der Sachverständigenkommission, den Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung . Diese Kritik interessiert die Bundesregierung nicht, sie macht das Gegenteil und erhöht die 400-Euro-Jobs auf 450 Euro. Durch den Ausbau von Minijobs werden Vollzeitstellen vernichtet. Ungefähr 1,5 Millionen Vollzeitstellen wurden nach Angaben von Verdi seit 1991 in Teilzeitstellen umgewandelt. Vor allem Frauenarbeitsplätze sind davon betroffen. Somit verfügen Frauen nicht über ein existenzsicherndes Einkommen für sich selbst und ihre Kinder. Sie bleiben vom Einkommen des Ehegatten oder von der Aufstockung durch Hartz IV abhängig. Eine eigene Rente kann damit nicht aufgebaut werden. Voraussetzung für die Aufnahme einer Beschäftigung von Müttern sind Kindertagesstätten. Der Ausbau der Kindertagesstätten ist aber gescheitert: Denn mit den bereitgestellten Finanzmitteln der Bundesregierung können nur Baumaßnahmen gefördert werden und nicht Personalkosten. Erzieherinnen werden aus den Haushalten der Kommunen bezahlt. Gerade dort aber fehlen die Mittel! 70 000 Erzieherinnen fehlen für die Betreuung der Kinder unter drei Jahren. Aus diesem Grund will die Bundesregierung mit dem Betreuungsgeld den Eltern den Anspruch auf einen Kitaplatz abkaufen. Der gescheiterte Ausbau der Kinderbetreuung wirkt sich wie ein Verbot der Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen aus. Dadurch können Frauen keine Ernährerposition für sich und ihre Kinder aufbauen. Dies verhindert eine Gleichstellung von Müttern und vor allem von Alleinerziehenden mit den Berufschancen der Männer. Frauen verdienen insgesamt 23 Prozent weniger als Männer und können ihre Familien damit nicht versorgen. Eine steuerliche Besserstellung fordert die Linke mit der Individualbesteuerung. Dort, wo Kinder oder Pflegebedürftige im Haushalt versorgt werden, soll geringer besteuert werden. Mit einer Individualbesteuerung, wie sie die Linke fordert, wird einem Erwachsenen das Kind oder eine pflegebedürftige Person im Haushalt zugerechnet, und eine günstige Steuerklasse (III/V) ist nicht mehr vom Trauschein abhängig. Die Bevorzugung der Hausfrauenehe durch das Ehegattensplitting nutzt den verheirateten erwebstätigen Männern. Die Alleinerziehenden und ledigen Eltern werden bisher steuerlich benachteiligt. Der Abbau des Sozialstaats wirkt sich durch Abbau von Arbeitsplätzen im öffentlichen und privaten Dienstleistungsbereich verheerend aus: 80 Prozent der Beschäftigten im sozialen Bereich sind Altenpflegerinnen, Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen, Krankenschwestern. In diesen Bereichen wird privatisiert und Personal entlassen. Damit werden Frauenarbeitsplätze vernichtet. In Kliniken wird Outsourcing betrieben, und dieselbe Krankenschwester kommt wieder – als Leiharbeiterin mit geringerem Lohn. Deshalb fordern wir das Verbot der Leiharbeit. Der Ersatz der Fachkräfte in der sozialen Arbeit wird mit der Dienstverpflichtung im Bundesfreiwilligendienst und einer Aufwandsentschädigung von 330 Euro monatlich von der Bundesregierung betrieben. Mit der staatlichen Bezuschussung des Bundesfreiwilligendienstes werden sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im sozialen Bereich abgebaut. Es ist keine Gleichstellung, Frauen als billige Arbeitsmarkt- und Engagementreserve einzusetzen. Das ist diskriminierend! Die Entgeltangleichung von Männer- und Frauenlöhnen kann damit nicht erreicht werden Wir benötigen den gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde. Solange die Steuergelder aus dem Sozialstaat abgezogen werden, um die Verluste der Zockerbanken zu finanzieren, wird keine Änderung eintreten Es müssen eine Millionärsteuer und eine einmalige Vermögensabgabe erhoben werden, um den Sozialstaat wieder aufzubauen. Die Gemeinden könnten nach Vorstellung der Linken eine Gemeindewirtschaftsteuer von Selbstständigen erheben. 730 Millionen Euro hat die Bundesregierung durch die Rettung der Banken jetzt den Steuerzahlern aufgebürdet. Statt bei der Rüstung zu kürzen, wird im sozialen Bereich gekürzt. Wir benötigen eine solidarische Rentenversicherung, in die alle Berufsgruppen wie Selbstständige, Beamte, Abgeordnete einzahlen und nicht nur die Angestellten. Da die Frauen in den alten Bundesländern eine erheblich geringere Erwerbsbeteiligung durch die Unterbrechung wegen Kindererziehung aufweisen, muss eine steuerfinanzierte Mindestrente über die Rentenversicherung zur Verfügung gestellt werden, damit keine Frau mehr Angst vor Altersarmut haben muss und 1 050 Euro Mindestrente erhält. Die durchschnittlichen Erwerbsjahre für Frauen in Westdeutschland liegen bei 28 Jahren; damit erhalten sie einen Rentenanspruch von 526 Euro und fallen in die Grundsicherung. Das bedeutet Leben auf Hartz-IV-Niveau. Das ist keine Gleichstellungspolitik – im Gegenteil: Die Bundesregierung betreibt die Verarmung der Mütter! Selbst wenn eine junge Frau keinen Ausbildungsplatz findet, sollte sie niemals auf die Werbung der Bundeswehr hereinfallen: Sogar die Ausbildung zur Krankenschwester bei der Bundeswehr setzt eine militärische Grundausbildung als Feldwebel voraus und führt im Kriegsfall zum Einsatz in Kriegsgebieten. Es ist keine Gleichberechtigung für die Linke, wenn nun auch Frauen den Soldatentod sterben dürfen. Der Abbau von Lohnungleichheit ist nur im Frieden möglich. Daher müssen unsere Steuergelder für den Aufbau sozialer Leistungen verwandt werden. Das kommt allen Menschen zugute. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Januar 2008 beauftragte die damalige Große Koalition eine hochkarätige Sachverständigenkommission mit der Erarbeitung eines Gleichstellungsberichtes. Der Auftrag lautete, handlungsorientierte Empfehlungen zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Lebensverlaufsperspektive zu entwickeln. Im Januar 2011 sollte die Übergabe im Ministerium an Ministerin Schröder erfolgen. Diese war zwar im Hause, schickte aber zur Annahme lieber ihren Staatssekretär – ein deutliches Zeichen, für wie wichtig – oder eben nicht – sie das Gutachten ansah. Dementsprechend umfasst auch die Stellungnahme der Bundesregierung zum Gleichstellungsbericht gerade einmal 14 Seiten und enthält inhaltlich wenig bis nichts. Das ist vor allem vor dem Hintergrund des sehr detaillierten und durchaus meinungsfreudigen Sachverständigengutachtens auffällig. Die Bundesregierung äußert sich weder zu Minijobs noch zu Entgeltgleichheit, geschweige denn zu einer Quote für Aufsichtsräte und Vorstände, weder zum Mindestlohn noch zum Ehegattensplitting oder zu der kostenfreien Mitversicherung in der Krankenversicherung. Sie sagt nichts zum Elterngeld oder dem Ausbau der Kinderbetreuung. Stattdessen werden mehrfach eher kleinteilige Initiativen wie der Boys Day oder „Mehr Männer in Kitas“ gelobt. Selbst wenn die Bundesregierung nicht alle Schlussfolgerungen der Sachverständigen teilt, wie sie offen schreibt, hätten wir doch zumindest eine Auseinandersetzung mit den Handlungsempfehlungen der Kommission erwartet. Die Kommission diagnostiziert, dass es zwar in den vergangenen Jahren Fortschritte in der Gleichstellungspolitik gegeben habe, aber ein klares Leitbild in der Gleichstellungspolitik nach wie vor fehle. Das führt dazu, dass die Politik gleichzeitig Anreize für ganz unterschiedliche Lebensmodelle setzt. Unterstützung, die in einer Lebensphase gewährt wird, bricht in der nächsten ab oder ändert die Richtung. Mit dem Ehegattensplitting oder der kostenfreien Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung werden Anreize für einen Ausstieg oder eine deutliche Reduzierung von Erwerbstätigkeit gesetzt. Ob Kinder zu versorgen sind oder nicht, ist dabei unerheblich. Gleichzeitig setzt das Unterhaltsrecht auf eine zügige finanzielle Eigenständigkeit der Partner nach einer Scheidung. Mit der Einführung des Elterngeldes fördert der Staat finanziell die baldige Rückkehr von Müttern ins Erwerbsleben, allerdings ohne die dafür nötige Betreuungsinfrastruktur aufzubauen. Der Rechtsanspruch umfasst nur einen Betreuungsanspruch von vier Stunden täglich – damit lässt sich selbst eine Halbtagsstelle kaum realisieren. Das Betreuungsgeld wiederum konterkariert einen zügigen Wiedereinstieg, weil es Anreize für ein längeres Zuhausebleiben setzt. Eine Politik für eine wirkliche Chancengleichheit muss Fehlanreize wie diese vermeiden. Im Gutachten wird die Lebensverlaufsperspektive als zentrale Analysekategorie verwandt. „Wirkungsketten und Abfolgedynamiken“ werden dabei stärker in den Blick genommen. Ein Ergebnis: Gerade Übergänge und „Knotenpunkte“ – wie Ausbildungsentscheidung, Kinder, Erwerbsunterbrechung, Teilzeit, Scheidung – müssen gestützt werden. Gemeinsam getroffene Entscheidungen von Paaren, wie zum Beispiel eine familienbedingte Erwerbsunterbrechung und Erwerbsreduzierung der Frau, können weitreichende Auswirkungen auf das weitere Leben haben: Wenn eine Frau ihre Erwerbstätigkeit wegen Familienarbeit unterbricht und reduziert, hat dies finanzielle Einbußen zum Beispiel bei der Rente zur Folge. Auch Einkommenseinbußen aus Gründen der Erwerbsunter-brechung, wegen Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen, sind in späteren Jahren nicht wieder einzuholen. Die langfristigen und oft nicht mehr veränderbaren Auswirkungen dieser Entscheidungen haben deutliche Konsequenzen für die eigenständige Existenzsicherung von Frauen. Punktuelle Entscheidungen resultieren in späteren kumulativen geschlechtsspezifischen Benachteiligungen. Für Männer können die Auswirkungen anders sein; eine starke Berufsfixierung als Haupternährer kann eine starke Belastung sein, ebenso wie nur als Zaungast am Leben und der Entwicklung der Kinder teilzuhaben. Die Sachverständigen fordern eine konsistente Gleichstellungspolitik über den Lebensverlauf, die gleiche Chancen ermöglicht, dabei aber auch Raum für individuelle Wahlfreiheit lässt. Sie formulieren ein neues Leitbild, das eine Gesellschaft mit Wahlmöglichkeiten anstrebt. Die Menschen werden befähigt, durch eine gute Ausbildung für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen und eine eigene soziale Sicherung aufzubauen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erfordert eine ausreichende Infrastruktur für Kinderbetreuung und Pflege. Erwerbstätigkeit kann unterbrochen werden, Arbeitszeitverkürzungen sind ebenso möglich wie die Rückkehr zu Vollzeit. Anreize zur Übernahme von Sorgearbeit werden für Frauen wie für Männer gesetzt, ohne dass es zu Nachteilen in der Alterssicherung kommt. Für den Arbeitsmarkt heißt das konkret, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse nicht mehr zu fördern, Individualbesteuerung und Mindestlohn einführen. Die Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern muss beseitigt werden. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sind Maßnahmen zur Gleichstellung im Unternehmen zu berücksichtigen. Mit einer Quote für Aufsichtsräte und Führungspositionen soll die Stagnation in diesem Bereich aufgebrochen werden. Auch für den Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf macht die Kommission Vorschläge, wie den Ausbau der Kinderbetreuung, die Verbesserung der Verzahnung von familiärer und professioneller Pflege, eine Verlängerung der Partnermonate beim Elterngeld. Das Interesse an dem Bericht war riesig. Dreieinhalb Jahre lang koordinierte die Geschäftsstelle den Austausch zwischen Kommission und Interessierten. Die Rückmeldung aus den Fachveranstaltungen und Gesprächen lautet unisono, dass das Gutachten „Neue Wege – Gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf“ einen Meilenstein darstelle und dass die Empfehlungen jetzt auch konkret umgesetzt werden müssen. Da die Forderungen des Gutachtens vielen Forderungen von Bündnis 90/Die Grünen entsprechen, unterstützen wir das Gutachten ausdrücklich. Denn Gleichstellungspolitik kommt allen zugute. Die Sachverständigen haben es klar und deutlich formuliert: Die Kosten des gegenwärtigen Nichtstuns übersteigen die einer zukunftsweisenden Gleichstellungspolitik bei weitem. Die Koalition sollte die ihr verbleibende Zeit also dafür nutzen, sich an den Forderungen des Gutachtens ein Beispiel zu nehmen und endlich zu handeln! Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) – KOM(2012) 11 endg.; Ratsdok. 5853/12 – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes – Europäische Harmonisierung im Datenschutz auf hohem Niveau sicherstellen – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – EU-Datenschutzreform unterstützen (Tagesordnungspunkt 32) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Deutschland kann auf eine lange und erfolgreiche Tradition im Bereich des Datenschutzes zurückblicken. Dies liegt sowohl an der Vielzahl als auch an der Differenziertheit der gesetzlichen Regelungen zum Schutz personenbe-zogener Daten, sei es im öffentlichen wie im nichtöffentlichen Bereich. Es liegt aber natürlich auch an der starken und unabhängigen Rechtsprechung, die seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts den Schutz personenbezogener Daten in einer Vielzahl von Entscheidungen sehr detailliert herausgearbeitet hat. Zu Recht wird daher das in Deutschland vorhandene Schutzniveau als das höchste in Europa angesehen. Dieses hohe Schutzniveau wollen wir auch nach dem -Inkrafttreten der EU-Datenschutz-Grundverordnung erhalten – ein Ziel, welches sicherlich alle Fraktionen dieses Hohen Hauses verfolgen. Auch begrüßen wir alle den Schritt zu einer Harmonisierung des Datenschutzrechts im nichtöffentlichen -Bereich. Die fehlende Harmonisierung hat in vielen Wirtschaftszweigen zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt geführt. Nicht wenige Unternehmen haben ihre Standortwahl von der örtlichen -Regelungs- und Vollzugslage abhängig gemacht. Die angestrebte Harmonisierung kann daher zu mehr Klarheit und vor allem auch Wettbewerbsgleichheit zwischen den einzelnen Standorten führen. Dies wird zudem helfen, europäische Standards gegenüber Drittstaaten besser durchzusetzen. Allerdings sehen wir alle auch noch mehrere offene Fragen, die der von der EU-Kommission am 25. Januar 2012 vorgelegte Entwurf aufwirft. So verbindet uns beispielsweise die Sorge über die Vielzahl der delegierten Rechtsakte in dem vorgelegten Entwurf. Grundsätzliche Regelungen, insbesondere dann, wenn sie grundrechts-relevant sein können, gehören in den Text der Verordnung und nicht in einen delegierten Rechtsakt. Dies ergibt sich auch bereits aus den Art. 289 und 290 AEUV. Wesent-liche materielle Festlegungen dürfen nicht auf den abgeleiteten Rechtsakt übertragen werden. An dieser Stelle muss es daher aus meiner Sicht zu einer deutlichen -Reduzierung der bisher vorgesehenen knapp 50 delegierten Rechtsakte bzw. weiterführenden Ermächtigungen kommen. Auch der betriebliche Datenschutz würde durch die Datenschutz-Grundverordnung einen deutlichen Rückschritt erleben. Während für die Bestellung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten gemäß § 4 f Abs. 1 BDSG niedrigschwellige Grenzen von 20 bzw. 9 Beschäftigten gelten, sieht der Entwurf der EU-Kommission in Art. 35 Nr. 1 b eine solche regelmäßige Verpflichtung zukünftig erst ab einer Zahl von 250 Beschäftigten vor. Ich würde mir an dieser Stelle eine stärkere Annäherung an unsere Regelung in § 4 f BDSG und eine stärkere Ausprägung eines risikobasierten Ansatzes wünschen. Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages haben auch Bedenken gegen den von der EU-Kommission -vorgesehenen Kohärenzmechanismus geäußert. Selbstverständlich muss die Verordnung auch Maßnahmen für den Fall enthalten, dass die Harmonisierung in einzelnen Fallkonstellationen durch die jeweilige Umsetzung in den Mitgliedstaaten beeinträchtigt wird. Nur darf dies nicht dazu führen, dass die Unabhängigkeit der jeweiligen nationalen Datenschutzbehörden in den Mitgliedstaaten gefährdet wird. Das von der EU-Kommission vorgesehene Selbsteintrittsrecht stellt allerdings eine solche Gefahr dar. Daher bedarf es auch an dieser Stelle noch einer Überarbeitung des Verordnungsentwurfs. Die vorgelegten Anträge machen allerdings auch wesentliche Unterschiede zwischen der christlich-liberalen Koalition und den Oppositionsfraktionen deutlich. Auf diese möchte ich nachfolgend detaillierter eingehen. So fordert der Antrag der SPD-Fraktion beispielsweise eine Anhebung der in Art. 8 des Entwurfs festgelegten Altersgrenze von 13 Jahren auf 18 Jahre, mindestens jedoch auf 16 Jahre. Diese Forderung ist nicht nur völlig praxisfern, sondern zugleich auch völlig systemwidrig zu den bisher in Deutschland geltenden Regelungen. Sicher kann man über das „richtige“ Alter für die Abgabe einer informierten Einwilligung in die Erhebung und Verarbeitung der eigenen personenbezogenen Daten streiten. Daher haben wir im Bundesdatenschutzgesetz auch nicht auf eine starre Altersgrenze, sondern auf die Einsichtsfähigkeit des jeweiligen Kindes abgestellt. Die von Ihnen vorgeschlagene Heraufsetzung des Alters halte ich schlicht für realitätsfern. Selbst das BGB geht in § 106 davon aus, dass Minderjährige ab dem 7. Lebensjahr beschränkt geschäftsfähig sind und gemäß § 110 BGB eigene Rechtsgeschäfte eingehen können, wenn die dafür aufgewendeten Mittel zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung von den Eltern oder einem -Dritten überlassen worden sind. Aus meiner Sicht sollte daher eher über eine Absenkung der in Art. 8 vorgesehenen starren Altersgrenze nachgedacht werden und nicht über eine Anhebung. Ebenfalls systemfremd ist die von Ihnen geforderte Erweiterung eines Verbandsklagerechts für Gewerkschaften. Bereits das von der EU-Kommission vorgesehene Verbandsklagerecht widerspricht aus meiner Sicht dem Rechtsverständnis des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als höchstpersönliches Recht. Dieses Recht sollte daher auch jeder selbst einklagen und sich dabei nicht von den möglicherweise sachfremden -Interessen eines Verbandes oder gar einer Gewerkschaft leiten lassen. Auch die von Ihnen geforderte Pauschalisierung des Schadensersatzes im Falle einer Rechtsverletzung widerspricht einem angemessenen Umgang mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als höchstpersönliches Recht. Ein Verstoß gegen die unerlaubte Veröffentlichung einer Adresse oder eines Geburtsdatums sollte nicht pauschal mit einem Betrag X abgefunden werden. Bei der Festsetzung des Schadensersatzanspruches -müssen die Umstände des Einzelfalles Berücksichtigung finden. Sie gilt es zu würdigen, und dann ist die angemessene Höhe festzusetzen. Ich halte auch nichts von einer Gleichsetzung der möglichen Höchstsummen mit den bisherigen Beträgen aus dem Wettbewerbsrecht. Verstöße im Wettbewerbsrecht wirken sich in der Regel nicht nur auf einzelne Personen bzw. Personengruppen aus, sondern beeinflussen generell den gesamten Markt. Zudem geht es dabei in erster Linie um die Kompensation von wirtschaftlichen Schäden und nicht den Ausgleich von höchst-individuellen Rechten. Es fehlt aus meiner Sicht daher bereits an einer Vergleichbarkeit. Auch die von Ihnen erhobene Forderung, dass kommerzielle Werbung bzw. Direktwerbung nur mit einer Einwilligung des Betroffenen zulässig sein soll, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Noch im Jahr 2009 haben wir gemeinsam die hierfür maßgeblichen Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes ausführlich geprüft und anschließend novelliert. Die nunmehr geltenden Regelungen haben sich aus meiner Sicht bewährt. Sie stellen einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des Einzelnen auf Schutz seiner personenbezogenen -Daten und dem wirtschaftlichen Interesse von Unternehmen dar. Wir können somit an dieser Stelle auf Regelungen zurückgreifen, die den Praxistest bestanden haben. Dies müssen die Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung erst noch zeigen. Wir setzen uns daher dafür ein, dass die bisherigen Regelungen einer Datenverarbeitung im Drittinteresse nach dem bewährten deutschen Datenschutzrecht beibehalten werden. Auch eine Übertragung der Regelungen des Listenprivilegs in die Datenschutz-Grundverordnung sollte geprüft werden. Abschließend möchte ich noch kurz auf den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen eingehen. So sehr ich das Ziel eines höchstmöglichen Datenschutzniveaus durch die neue Verordnung unterstütze, sollte aus meiner Sicht auch immer berücksichtigt werden, dass gemäß Art. 16 AEUV auch der freie Verkehr von personenbezogenen Daten innerhalb der Europäischen Union möglich -bleiben muss. Beide Ziele müssen bei einer Neuregelung angemessen zur Geltung kommen. Eine Überhöhung lediglich eines Ziels berücksichtigt dies aus meiner Sicht nicht. Auch fehlt mir in Ihrem Antrag eine differenzierte Auseinandersetzung mit anderen ebenfalls zu schützenden Grundrechten. Schließlich geben uns das Grundgesetz und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, dass widerstreitende Rechtsgüter abzuwägen und in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind. Hierauf verweist der Entwurf der Verordnung zwar teilweise in Art. 80 Nr. 1, indem er die Mitgliedstaaten dazu auffordert, das Recht auf Meinungsfreiheit mit dem Recht auf Schutz der Privatsphäre durch nationale Regelungen in Einklang zu bringen. An dieser Stelle fehlt aber nicht nur die Auseinandersetzung mit anderen möglicherweise betroffenen Grundrechten, sondern auch eine Konkretisierung, wie und in welcher Form ein solcher Ausgleich zu erfolgen hat. Dabei haben sowohl die nationalen Gerichte als auch den EuGH in den vergangenen Monaten immer wieder Fragen der Abgrenzung von einzelnen Grundrechten im Internet beschäftigt. Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass die -Datenschutz-Grundverordnung noch an vielen Stellen einer grundlegenden Überprüfung und auch Veränderung bedarf. Die christlich-liberale Koalition hat viele dieser Stellen in ihrem Antrag bereits aufgezeigt. Wir werden uns auch weiterhin konstruktiv in die laufenden Beratungen auf europäischer Ebene einbringen. Gerold Reichenbach (SPD): Am Anfang dieses Jahres stellte die Europäische Kommission den Entwurf einer Datenschutzreform vor. Dieser aus zwei Teilen -bestehende Entwurf, nämlich der sogenannten Datenschutz-Grundverordnung sowie einer Richtlinie über die justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit, soll – so wünscht sich dies die Europäische Kommission – als Gesamtpaket verabschiedet werden. Die Datenschutz-Grundverordnung, um die es hier in den drei Anträgen der Regierungskoalition, der SPD -sowie der Grünen geht, würde unmittelbar und ohne Umsetzungsrechtsakt für Deutschland gelten. Für Deutschland bedeutet dies, dass ein Großteil der deutschen Datenschutzregelungen ersetzt werden würde. Bitte lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede noch meine Empörung darüber äußern, dass dieses wichtige und weitgehende Thema Datenschutz erst um 2.30 Uhr in der Nacht zu Freitag auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Also zu einer Zeit, zu der die Bürger schlafen. Die SPD-Bundestagsfraktion billigt dies auf keinen Fall. Aber das ist ja wohl auch Ihre Absicht, ähnlich wie bei der Debatte um das Meldegesetz. Sie wollen verhindern, dass die Bürger mitbekommen, wie die Koalitionsfraktionen wieder einmal im Interesse der Wirtschaft ihren Datenschutz aushöhlen wollen. Ich werde das noch darlegen. Aber ich prophezeie Ihnen, Sie werden auch diesmal damit nicht durchkommen. Die SPD hat versucht, das Thema auf einen prominenteren Tagesordnungsplatz zu verschieben, leider ohne Erfolg. Um diese Uhrzeit macht es keinen Sinn mehr, die Debatte zu nachtschlafender Zeit ohne Zuhörer zu führen. Deshalb werden auch wir zu Protokoll geben, was ausdrücklich keine Billigung Ihres Verhaltens ist. Nun zum Thema: Ich will vorab klarstellen, dass die SPD-Bundestagsfraktion das Ziel der Kommission -begrüßt, mit den vorgelegten Entwürfen die bisher -geltende und – darin stimmen Sie sicherlich mit mir überein – auf das digitale Zeitalter nicht mehr passende Datenschutz-Richtlinie aus dem Jahr 1995 zu ersetzen und ein weitgehend einheitliches europäisches Datenschutzrecht in der Europäischen Union zu erreichen. Wir sehen in den Entwürfen der Kommission die Chance für einen besseren Datenschutz sowie mehr Rechtssicherheit innerhalb Europas. Wir brauchen auch dringend einen besseren Datenschutz und mehr Rechtssicherheit innerhalb Europas. Denn das Internet macht nicht an Ländergrenzen Halt, und innerhalb Europas haben wir es ohnehin mit einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zu tun. Das setzt den nationalen Durchsetzungsmöglichkeiten für den Datenschutz Grenzen, wie wir in der Vergangenheit bereits mehrfach schmerzlich erfahren haben. Wichtig ist darum, dass wir in Europa nicht nur ein einheitliches, sondern auch ein hohes Datenschutzniveau sowie einen bürgernahen Rechtsschutz erreichen. Dabei sind für uns die vom Bundesverfassungsgericht geschaffenen Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme unverzichtbare Grundlagen. Dieser Grundrechtsschutz ist unser Maßstab auch für die europäische Ebene. Zumal dieses Grundrecht explizit Eingang in den europäischen Verfassungsvertrag gefunden hat. Wenn ich mir allerdings die von Ihnen vorgelegte Stellungnahme nach § 23 betrachte, sehr geehrte Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen der Union und der FDP, dann habe ich meine Zweifel, ob dieses Ziel, das Sie ja laut eigener Bekundung teilen, damit erreicht würde. Ich halte eher das Gegenteil für gegeben. Würde die Bundesregierung ihre Vorstellungen auf europäischer Ebene durchsetzen, dann würden wir unsere Daten doch auch europaweit in die Hände der Wirtschaft geben und es die digitale Wirtschaft weitgehend allein regulieren lassen. Was aber bei der sogenannten Selbstkontrolle und Selbstregulierung herauskommt, das erleben wir gerade bei der Deutschen Bank. Mit Ihrer Politik auf europäischer Ebene führen Sie und das zuständige und CDU-geführte Ministerium -unter dem Deckmantel, das hohe deutsche Niveau zu verteidigen, doch nichts anderes im Sinn, als den – sicherlich noch stark verbesserungswürdigen Verordnungsentwurf – eher weiter zu durchlöchern und dann auch deutsche Datenschutzgesetze außer Kraft zu setzen. Und da muss ich meinem Kollegen Dr. von Notz -beipflichten: Sie betreiben auf EU-Ebene gezielt den Rückbau des Datenschutzes und nebenbei auch gleich noch heftigen Lobbyismus für die Wirtschaft. Wie wir jetzt vernommen haben, will der Ministerrat tatsächlich auf den Vorschlag unseres CDU-Bundes-innenministers Friedrichs eingehen und den Erlaubnisgrundsatz, also die grundsätzliche Zustimmung des Betroffenen, streichen. Dies darf auf keinen Fall erfolgen. Denn in Zeiten des digitalen Zeitalters gibt es keine risikofreien und unbedeutenden Datenverarbeitungen mehr. Jedes Datum kann in Verknüpfung oder durch Verbindung bzw. Übermittlung zu einem persönlichen und damit zu einem schützenswerten Datum werden. Ohne den Schutz eines Erlaubnisvorbehalts werden die Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger erheblich verschlechtert. Sicherlich wollen auch wir nicht, dass der Bäcker -anfängt, Datenschutzerklärungen einzuholen, nur weil er über seine Stammkunden eine Adressliste anlegt. Aber wir wollen auch nicht, dass Kundendaten einfach so -weitergegeben oder verkauft werden können. Denn mittlerweile ist daraus ein Big Business geworden, welches die Lobbyisten auf den Plan ruft. Entsprechend wird Brüssel auch im Zuge seines hier diskutieren Verordnungsvorschlages von der digitalen Wirtschaft überrannt. Hier müssen wir eingreifen und die Kommission in ihrem Vorhaben unterstützen und insbesondere darauf hinwirken, dass wichtige Punkte im Verordnungsentwurf zum Schutz der persönlichen Daten nicht verwässert oder gar gestrichen werden. Wie schon die Verbraucherschutzkommissarin Kuneva 2009 feststellte, sind „persönliche Daten das neue Öl des Internets und die neue Währung der digitalen Welt. Datenschutzgesetze bestimmen deshalb, nach -welchen Regeln ein Unternehmen die Datenvorkommen erschließen und ausbeuten kann. Dadurch kommt ihnen eine enorme gesellschafts- und wirtschaftspolitische -Bedeutung zu“. Deshalb müssen Sie die vorgelegte Verordnung umgekehrt als Chance begreifen, den Schutz der persönlichen Daten auf ein einheitlich hohes Niveau in Europa zu setzen. Dabei muss der Schutz der Daten und nicht der Profit aus Daten im Vordergrund stehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses neue Öl zum Spielball von Unternehmen und Konzernen wird, die das Öl unter sich aufteilen und nach dem Absaugen, Speichern, Analysieren und Verkaufen der Daten nur noch Gewinnerzielung im Sinn haben. Denn hier geht es nicht um irgendeinen Rohstoff, sondern, wie das Bundes-verfassungsgericht in mehreren Urteilen deutlich gemacht hat, um den Kernbereich der Würde des Menschen. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass mit der -Verordnung die Datenkraken – und das sind nicht nur Google oder Facebook – dazu gezwungen werden sollen, europaweit einheitliche Schutz- und Sicherheitsmaßstäbe einzuhalten. Wir befürworten ausdrücklich die Notwendigkeit einer vorab zu erteilenden Zustimmung. Wir befürworten ausdrücklich die Notwendigkeit der Vereinheitlichung der Betroffenenrechte, wie den Einspruch gegen die Verarbeitung oder gegen Werbung sowie die Korrektur oder Löschung der Daten. Sicherlich bedürfen die Regelungen der Verordnung noch der Überarbeitung und Ergänzung. Aber die positiven Ansätze müssen erhalten bleiben und dürfen nicht verschlechtert werden. Sie argumentieren gerne mit dem von der betroffenen Wirtschaft geprägten Begriff des „praktikablen“ Datenschutzes. Das ist der gleiche Mechanismus, den ich vom Frankfurter Flughafen kenne, wo die Luftverkehrswirtschaft vom „praktikablen“ Nachtflugverbot sprach und damit faktisch eine Nachtflugerlaubnis meinte. Ähnlich sieht es mit ihrem „praktikablen“ Datenschutz auf -hohem Niveau aus, faktisch heißt es aber Aushöhlung und Absenkung des Datenschutzniveaus. Diesen von der Datenverarbeitungslobby geprägten Etikettenschwindel werden wir Sozialdemokraten nicht mitmachen. Wir haben deshalb einen eigenen Antrag zur Datenschutz-Grundverordnung eingebracht. Hier machen wir ganz konkrete Vorschläge – und nicht so auslegungs-fähige und das eigentliche Ziel verschleiernde Formulierungen wie Union und FDP – zu den einzelnen Regelungen, so wie dies auch von Paul Nemitz von der Kommission für die weitere Diskussion eingefordert wurde: am konkreten Text, an der konkreten Norm zu arbeiten. Daran haben wir uns gehalten. Wir fordern unter anderem, dass in der Verordnung fest verankert wird, dass besonders sensible Daten von der Verordnung auszunehmen sind und dass, sollte in den Mitgliedstaaten ein höheres Datenschutzniveau vorliegen, dieses zur Anwendung kommt. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Kommission den Anwendungsbereich auch hinsichtlich der Unternehmen festlegt, die ihren Sitz nicht innerhalb der Europäischen Union haben, aber in der EU Waren oder Dienstleistungen anbieten bzw. Verhaltensbeobachtungen durchführen. Diese Festlegung auf das Territorialprinzip erleichtert auch den Kontroll- bzw. Aufsichtsbehörden die Arbeit. Oft kann Datenschutzverstößen nicht nachgegangen werden, weil die Unternehmen keinen Sitz innerhalb des jeweiligen Mitgliedstaates bzw. innerhalb der EU -hatten. Der Anwendungsbereich der Verordnung bedarf einer weiteren Überarbeitung. Die Institutionen der Europäischen Union, selbst große Datenverarbeiter, dürfen nicht von der Verordnung ausgenommen werden. Wir machen uns dafür stark, dass soziale Netzwerke und Suchmaschinen, die ihre Einnahmen hauptsächlich aus Werbung generieren und personenbezogene Daten sammeln, um diese kommerziell zu nutzen, ebenfalls von der Verordnung erfasst werden. Dies muss explizit aufgenommen werden, damit keine Missverständnisse entstehen können. Gemeint sind natürlich Facebook und Co. Bislang sind die Nutzer den willkürlichen und häufigen Änderungen der Nutzungsbedingungen hilflos -ausgesetzt. Wir müssen diesen Datensammelriesen klare Regeln geben. Und das kann nur erfolgen, wenn wir -ihnen zeigen, dass wir das Absaugen von Daten europaweit nicht mehr einfach so zu lassen. Wir begrüßen den Ansatz, dass die Einwilligung Voraussetzung für die Datenverarbeitung ist. Dennoch muss hier nachgebessert werden. Insbesondere muss festgehalten werden, dass die Einwilligung im Beschäftigungs- bzw. Beschäftigungsanbahnungsverhältnis keine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten sein darf. Es kann nicht sein, dass in diesem Abhängigkeitsverhältnis Arbeitnehmer/Arbeitgeber eine Datenverarbeitung aufgrund einer Einwilligung erfolgen darf, die in den meisten Fällen nur gegeben wird, weil der Arbeitnehmer Angst hat, dass sich dies nachteilig auf sein Arbeitsverhältnis auswirkt, bis hin zur -Kündigung. Darüber hinaus müssen die Rechtsfolgen bei Verstößen gegen diese Regelung eindeutig in der Verordnung geregelt sein. Wir fordern ebenso, dass der besondere Schutz von Kindern und Jugendlichen im Bereich der Datenverarbeitung hervorgehoben wird. Und in eine Verordnung, die auch die Datenverarbeitung gerade dieser besonders schützenswerten Gruppe regeln soll, gehören auch gesonderte Regelungen, die dem besonderen Gefährdungspotenzial für diese Gruppe Rechnung tragen. Besonders wichtig ist es uns, dass eine Weitergabe oder Übermittlung an Drittstaaten oder internationale Organisationen nur dann zulässig sein darf, wenn auch dort ein vergleichbares ausreichendes Schutzniveau gewährleistet ist. Was nützen uns denn die schönsten europäischen -Datenschutzregeln, wenn wir zulassen, dass die Daten dann legal sozusagen „über die Grenze“ dahin transferiert werden, wo dem Unternehmen die Gesetze oder Kontrollen genehm sind und es tun und lassen kann, was es will? Gerade in diesem Abschnitt muss die Verordnung noch erheblich nachgebessert werden. Auch für die Geltendmachung der Rechte und beim Rechtsschutz sehen wir noch erheblichen Änderungs- bzw. Ergänzungsbedarf. Es muss grundsätzlich so sein, dass der Betroffene seine Rechte gegenüber jedem geltend machen kann, der mit der Datenverarbeitung befasst ist, und nicht erst mühsam nach der zuständigen Stelle im Gewirr der bei der Verarbeitung Beteiligten und deren jeweiligen Hauptsitz suchen muss. Gleichzeitig muss es den Mitgliedstaaten möglich bleiben, über die in der Verordnung genannten Rechte der Betroffenen positiv hinauszugehen. Wir fordern weiter, dass die Unabhängigkeit der nationalen und europäischen Datenschutzbehörden gewährleistet bleibt – wie dies auch das Urteil des EuGH aus dem Jahre 2010 fordert. Dies bedeutet, dass es eine klare Trennung gegenüber den Exekutivorganen der Union geben muss. Es kann nicht sein, dass die Kommission selbst sich bei Auslegungsfragen gegenüber den Datenschutzbeauftragten zur letzten Instanz erklärt. Ebenso sehen wir Regelungen, die besonders schützenswerte Daten ausnehmen, Regelungen zum Profiling, zur Umsetzung des Prinzips „privacy by default“, die -Regelungen zum Datenschutzbeauftragten sowie die Regelungen zu den Sanktionen als zwingend erforderlich an – um nur einige aufzuzählen. Wir möchten den Vorschlag der Kommission im Sinne des Datenschutzes verbessern, Ihr Antrag von der Koalition zielt darauf ab, ihn im Interesse der Wirtschaftslobby zu verschlechtern. Aber das passt ja zum Gesamtbild der schwarz-gelben Koalition und zum Verhalten von Bundesinnenminister Friedrich beim Datenschutz: Es wird blockiert, pausiert, gemauert, ausgesessen und gewartet, und am besten können Sie sich doch selbst darin überbieten, dass der eine noch weniger tut als der andere, bis gar nichts mehr getan wird. Um nur einige Beispiele aufzuzählen, wo nicht mal irgendein Schritt in irgendeine Richtung erkennbar ist, geschweige denn dass von Fortschritt die Rede sein kann: Die so hoch gepriesene Stiftung Datenschutz wächst sich nach der Absage der Verbraucher- und Datenschützer zum Desaster aus und hat den Namen nicht verdient. Das mit großem Trara angekündigte Rote-Linie-Gesetz wurde niemals vorgelegt. Und auch beim Beschäftigtendatenschutz herrscht Fehlanzeige, im Gegenteil: Sie -suchen jede Gelegenheit, ihn auszuhöhlen. So auch in Ihrem vorliegenden Antrag zur EU-Datenschutzgrundverordnung. Nachdem Sie mit Ihrem nationalen Gesetzesvorhaben einen Entrüstungssturm bei -Arbeitnehmern und Betriebsräten verursacht haben, versuchen Sie nun durch die Hintertür über die EU den Schutz der Beschäftigten im Interesse der Arbeitgeber auszuhöhlen. Sie fordern nicht nur, dass die individuelle Einwilligung des Arbeitnehmers auch im durch das ungleiche Machtverhältnis geprägten Beschäftigtenverhältnis wirksam ist. Sie wünschen sich gleichzeitig auch noch die „Aufnahme von Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen innerhalb einzelner Branchen als Rechtfertigungsgrundlage für die Datenverarbeitung neben der bislang vorgesehenen Einwilligung und gesetzlichen Ermächtigungsnormen“. Das soll offensichtlich nicht nur gelten, wenn die Abweichung vom gesetzlichen Datenschutz durch den Tarifvertrag zugunsten der Betroffenen erfolgt, sondern auch, wenn es zulasten der Betroffenen erfolgt. Damit wollen Sie die Wahrung der elementaren Datenschutzrechte der Bürger im Beschäftigungsverhältnis zum Spielball der Machtverhältnisse im Betrieb machen. Das entspricht den Forderungen der Arbeitgeberlobby pur, meine sehr verehrten Kolleginngen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP. Und ansonsten singen Ihre schwarz-gelben Minister das übliche Lied mit Strophen wie die Wirtschaft formell nicht zu sehr zu belasten, Regeln können Innovations-potenzial hemmen, nicht zu sehr regulieren, sondern die Wirtschaft soll lieber selbst regulieren, und erwarten von Europa, dass es in das Lied mit einstimmt. Nein, wir wollen und sollten die Frage des Schutzes der Daten unserer Bürger nicht von kurzfristigen -Gewinn- und Geschäftsinteressen in der Wirtschaft und denen einzelner Unternehmen abhängig machen. Diese kurzgedachte Liebesdienerei gegenüber Einzelinteressen von Unternehmen und Wirtschaft ist auch nicht im -Gesamtinteresse einer zukunftsfähigen Entwicklung. Die modernen Möglichkeiten der Kommunikation und Datenverarbeitung bieten vielfältige Chancen für innovative Produkte und Dienstleistungen, bei denen auch immer mehr Daten anfallen und verarbeitet werden. Die Bürger werden diese Produkte aber nur annehmen und für immer weitere Bereiche ihres Lebens nutzen, wenn sie darauf vertrauen können, dass ihre Daten geschützt sind und dass sie nicht umfassend beobachtet und manipuliert werden können. Dafür muss der Staat nicht nur gegenüber den staatlichen Organen, sondern auch gegenüber der Wirtschaft ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht schützen. Dazu bietet die Europäische Datenschutz-Grund-verordnung die Chance, wenn wir sie im Sinne des -Datenschutzes verbessern und nicht verwässern. Mit unserem Antrag wollen wir der Regierung in -diesem Sinne klare Vorgaben für die weiteren Verhandlungen geben, darum werben wir für die Zustimmung. Gisela Piltz (FDP): Manchmal gibt es im Parlament ja Sternstunden. Sternstunden, in denen Debatten von Fachwissen und Klugheit geprägt sind. Keine Sternstunde war – das muss man leider mal sagen – die Beratung dieses Themas in der Sitzung des Innenausschusses in der vorigen Sitzungswoche. Da durfte man doch in der Tat von der SPD hören, dass der Datenschutz nicht gegen andere Grundrechte abgewogen werden könne. Man kann das übrigens in der Beschlussempfehlung (Bundestagsdrucksache 17/11810) nachlesen. Das ist eine Aussage, die umso erstaunlicher ist, als sie von einer Fraktion kommt, nämlich den Sozialdemokraten, die für(!) die Vorratsdatenspeicherung sind. Wenn Sie, lieber Kollege Reichenbach, im Ausschuss vortragen, dass nach Ihrer Ansicht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung abwägungsfest sei, dann frage ich Sie, wie Sie das mit Ihrer Forderung nach der anlasslosen Speicherung aller Telekommunikationsverbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger für sechs Monate in Einklang bringen. Aber vielleicht meint die SPD ja, dass man Datenschutz nur nicht mit anderen Grundrechten von Grundrechtssubjekten abwägen darf und gleichzeitig für ausufernde Überwachung gar keine Abwägung erforderlich ist, sondern man dann den Datenschutz einfach ignorieren kann. Getreu dem Motto: Der Staat darf alles; die Grundrechte Privater etwa auf Eigentum sind nichts wert. Anders ist das nämlich kaum zu erklären, was Sie hier abliefern. Selbstverständlich ist es nämlich so, dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung mit anderen Grundrechten kollidieren kann und dann eine Abwägung stattfinden muss. Das findet man in einschlägigen Grundrechtskommentaren unter „praktische Konkordanz“, falls Sie es einmal nachschlagen möchten. Zum Glück steht aber heute hier nicht nur ein Antrag der SPD zur Debatte, sondern auch einer der schwarz-gelben Koalition. Dieser stellt ganz richtig fest, dass wir eine Abwägung brauchen. Wir brauchen eine Ausgewogenheit, damit wir den Datenschutz nicht missbrauchen. Denn Missbrauch wäre es, wenn der Datenschutz das entscheidende Grundprinzip unserer Verfassung infrage stellte: die Selbstbestimmung des Einzelnen. Wir verstehen Datenschutz nicht als Schutz des Menschen vor sich selbst. Wir verstehen Datenschutz auch nicht als „Über-Grundrecht“, das alle anderen verdrängt und damit quasi als Zensurmittel missbraucht werden kann. Wir verstehen Datenschutz in dem Sinne, in dem das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht vor mehr als einem Vierteljahrhundert aus der Taufe gehoben hat: als Recht, „selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen“. Das schließt die Preisgabe ebenso ein wie die Nichtpreisgabe. Wir trauen den Menschen zu, selbst zu entscheiden. Wir trauen ihnen zu, selbstbewusst und frei zu sein. Deshalb wollen wir keine Verbotspolitik, sondern einen Datenschutzrahmen, dessen Dreh- und Angelpunkt die Datenautonomie ist. Und das schließt die Entscheidung ein, Daten preiszugeben, ebenso wie die Entscheidung, sie zurückzuhalten. Wir wollen nicht, dass diese Entscheidung vorgegeben ist. Vielmehr setzen wir darauf, den Rechtsrahmen so zu gestalten, dass der freien Verfügungsgewalt des Betroffenen größtmöglicher Raum gegeben wird. Damit das funktioniert, bedarf es klarer Vorgaben, wer die Daten des Einzelnen erheben, verarbeiten und speichern darf – und vor allem, unter welchen Voraussetzungen. Zudem setzen wir darauf, dass für die autonome Entscheidung ausreichend Information zur Verfügung steht, um eine wirklich mündige Entscheidung treffen zu können. Zur Freiheit in unserem Land gehört nicht nur das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern unter anderem auch das Recht auf Eigentum. Art. 14 GG ist auch kein minderes Grundrecht oder ein Grundrecht mit Igitt-Faktor. Nein: Das Recht auf Eigentum und davon abgeleitet auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist ein zentrales Grundrecht in unserer sozialen Marktwirtschaft. Deshalb muss auch hier eine Abwägung stattfinden. Es wäre falsch, wenn wir so täten, als sei jede Datenverarbeitung in der Wirtschaft oder zu wirtschaftlichen Zwecken Teufelszeug. Dass der Arbeitnehmer am Ende des Monats Geld auf sein Konto bekommt, funktioniert nur, wenn der Arbeitgeber bestimmte Daten über ihn hat, unter anderem eine Bankverbindung. Dass die Weihnachtsgeschenke pünktlich von Amazon geliefert werden, geht nur, wenn man dort Daten hinterlegt, zum Bezahlen und zum Liefern. Um sich über soziale Netzwerke auszutauschen – wie das ja seit neuestem auch Herr Steinbrück tut, der in der SPD ist, wenn ich recht informiert bin –, muss man dort Daten einstellen und – mehr noch – sie anderen zur Verfügung stellen. Abwägung bedeutet, dass man weder den Datenschutz über alle anderen Grundrechte stellt, noch ihn gegenüber anderen Grundrechten zu kurz kommen lässt. Deshalb darf man auf der einen Seite nicht jede Datenverarbeitung, die heute schon nach unserem strengen deutschen Datenschutzrecht legitim ist, verdammen und verbieten wollen, noch darf man auf der anderen Seite uferlose Datenverarbeitung erlauben und damit das Selbstbestimmungsrecht untergraben. In unserer Stellungnahme der Koalitionsfraktionen ist daher eine vernünftige Abwägung getroffen. Wir fordern deshalb auch eine differenzierte Herangehensweise. Die Informationsgesellschaft hat den Umgang mit Daten radikal verändert. Heute haben schon einfache Mobiltelefone eine Rechenkapazität, die früher selbst Rechenzentren nur mit Mühe erreichten. Durch das Internet wird vieles, was früher flüchtig war, als digitales Datum längerfristig verfügbar. Wie wir mit dieser Datenflut umgehen, wie wir sicherstellen, dass nicht aufgrund der Verknüpfungsmöglichkeiten all dieser Daten und Datenschnipsel die absolute und – dann auch tatsächlich nicht mehr der Abwägung zugängliche – unantastbare Grenze überschritten und der gläserne Mensch geschaffen wird, das ist die große Herausforderung, vor der wir stehen. Als das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil feststellte, dass es kein belangloses Datum mehr geben könne, da waren wir weit davon entfernt, dass in Sekundenschnelle irrwitzige Datenmengen verarbeitet und miteinander in Verbindung gesetzt werden können. Auch wenn kein Datum mehr belanglos ist, muss doch klar sein, dass nicht jedes Datum gleichermaßen schwerwiegend ist. Natürlich ist es denkbar, dass von Atlanten bis Zuschauerquoten alle Daten mit allen Daten verknüpft und schlussendlich auch mit einer Person in Verbindung gebracht werden könnten. Niemand würde bestreiten, dass darin auch Gefahren liegen. Aber umgekehrt kann auch niemand wollen, jedem, der etwa eine Fernsehsendung moderiert, zuzurechnen, dass denkbar ist, über die Verbindung mit Zuschauerzahlen und andere Daten herauszufinden, ob jemand ein Fan von Samstagabendunterhaltungsshows ist. Hier muss man also abgrenzen, wer wofür verantwortlich sein soll und bis wohin noch jemandem etwas zugerechnet werden kann, was einmal mit Daten passiert. Das ist eine der größten Herausforderungen, die ein modernes Datenschutzrecht bereithält. Wichtig ist, dass nicht tatsächlich personenbezogene Daten schlechterdings schutzlos gestellt werden. Deshalb ist es konsequent, ein differenziertes Schutzniveau zu fordern, bei dem es darauf ankommt, welches Gefährdungspotenzial in einer bestimmten Datenverarbeitung liegt. Wenn der Kellner einen Namen in sein Reservierungsbuch schreibt, ist das mit Sicherheit weniger eine Gefahr für die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen, als wenn seine Daten in einer Smartphone-App, die ihm aufgrund der in Echtzeit übermittelten Standortdaten die Restaurants in seiner Umgebung anzeigt, verarbeitet werden. Angemessen können Regelungen auch nur dann sein, wenn sie auf den Sachverhalt passen. Das Beispiel zeigt es ja ganz deutlich: Was für Internetgiganten gilt, muss nicht notwendigerweise für den Handwerker um die Ecke gelten. Die Koalition fordert deshalb von der Bundesregierung, sich bei der EU dafür einzusetzen, dass nicht eine Lex Internet geschaffen wird, die gegen Facebook, Google und Co. eine feste Datenschutzfirewall errichtet, die dann zur unüberwindbaren Hürde für kleine und mittlere Unternehmen wird, die nicht von der Datenverarbeitung leben, sondern bei denen Datenverarbeitung nur anlässlich ihrer tatsächlichen Geschäftsausübung notwendig wird, die also beispielsweise in ihrer Kundendatenbank Name und Rechnungsanschrift speichern. Dabei ist Datenschutz für alle Unternehmen natürlich ein wichtiger Punkt auch und gerade im Wettbewerb. Guter Datenschutz ist ein Pluspunkt bei den Kunden. Datenschutzskandale und Pannen beim Schutz von persönlichen Daten hingegen führen zu rapidem Vertrauensverlust in das Unternehmen. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass es im ureigensten Interesse der Wirtschaft liegt, ein hohes Datenschutzniveau einzuhalten. Deshalb setzen wir eben auch auf Selbstregulierung und betrieblichen Datenschutz. Ein falscher Ansatz ist es hingegen, funktionierende Selbstregulierung durch staatliche Allzuständigkeit ersetzen zu wollen. Das bewährte deutsche System der betrieblichen Datenschutzbeauftragten muss unbedingt erhalten bleiben. Die Koalitionsfraktionen fordern deshalb von der Bundesregierung, sich in der EU dafür einzusetzen, den viel zu hohen Schwellenwert von 250 Mitarbeitern abzusenken. Zudem ist es uns wichtig, dass Instrumente des Selbst- und Systemdatenschutzes – wie etwa ein Datenschutzgütesiegel und zertifizierte Datenverarbeitungen – Eingang in das europäische Recht finden. Viele Punkte, die es zum Vorschlag der Kommission zu sagen gibt, sind ja auch schon von anderen vorgetragen worden, nicht zuletzt in der Anhörung, die der Innenausschuss dazu durchgeführt hat. Die Koalitionsfraktionen haben aber – das unterscheidet uns von der SPD – sich eigene Gedanken dazu gemacht und schließen sich nicht einfach Stellungnahmen Dritter an, Dritter wohlgemerkt, die immer nur einen bestimmten Blickwinkel vertreten und natürlich interessengeleitet sind. Das gilt für Gewerkschaften nicht anders als für Arbeitgeberverbände, lieber Kollege Reichenbach. Ein Punkt, der wohl unstreitig von allen, die sich mit der Materie befasst haben, geteilt wird, ist, dass die zahllosen delegierten Rechtsakte inakzeptabel sind. Auch in Europa gilt, dass Wesentliches im Rechtsakt selbst zu regeln ist – und nicht nach Gusto der Kommission ohne parlamentarische Beteiligung. Auch die Forderung, differenzierte Regelungen für den öffentlichen und den nichtöffentlichen Bereich zu schaffen, weil man das Standesamt nicht gleichbehandeln kann mit Facebook, ist schon zu Recht von vielen erhoben worden. Ebenso halten die Koalitionsfraktionen wie viele andere klare, unmissverständliche und praktikable Vorgaben zum Schutz von besonders sensiblen Daten, insbesondere Gesundheits- oder Sozialdaten, für erforderlich. Natürlich teilen auch die Koalitionsfraktionen die Forderung nach der Wahrung der Unabhängigkeit der Datenschutzaufsichtsbehörden, die nach dem von der Kommission vorgeschlagenen Verfahren am Ende ihre Unabhängigkeit eben gerade bei der Kommission abgeben und sich deren Diktat unterwerfen müssten. Dass Profilbildung nur mit Einwilligung möglich sein darf, um den besonderen Gefahren einer umfassenden Verknüpfung zahlreicher Einzeldaten ein starkes Recht des Betroffenen entgegenzustellen, ist den Koalitionsfraktionen ebenso ein Anliegen wie effektive Rechtschutzmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger, die sich trotz gebündelter Zuständigkeit der Datenschutzaufsicht am Sitzland des Unternehmens an „ihren“ nationalen bzw. lokal zuständigen Datenschutzbeauftragten wenden können müssen. Und schließlich halten wir auch die Einbeziehung der EU-Institutionen in die Verordnung für erforderlich, weil es nicht sein kann, dass sich in der EU alle daran halten müssen außer der EU selbst. Die Reform des EU-Datenschutzrechts ist eine Herausforderung und eine Chance zugleich. Dass in diesem wichtigen Bereich der Bundestag von seinen Rechten nach Art. 23 Grundgesetz Gebrauch macht und der Bundesregierung eine Stellungnahme mit auf den Weg gibt, an die sie in der EU gebunden ist, zeigt, dass uns der Datenschutz ein wichtiges Anliegen ist. Denn wir reden hier über nichts anderes als die Ablösung des Bundesdatenschutzgesetzes durch eine neue, bindende und unmittelbar geltende EU-Verordnung. Damit das neue Recht den Anforderungen an einen modernen, effektiven und zukunftsfesten Datenschutz auf höchstem Niveau genügt, muss in Brüssel noch einiges gearbeitet werden. Für den Beitrag Deutschlands geben wir der Bundesregierung heute ein klares Mandat. Jan Korte (DIE LINKE): Formales Ziel der Datenschutz-Grundverordnung, über die wir hier heute einmal mehr unsere Positionen nur mit zu Protokoll gegebenen Reden austauschen, ist die Ablösung der bisherigen Richtlinie 95/46/EG und die Schaffung eines unionweiten einheitlichen Datenschutzniveaus. Wichtig und in der Öffentlichkeit unbestritten war von Anfang an, dass es eine inzwischen nicht mehr aufzuschiebende Notwendigkeit zu einer verbindlichen, einheitlichen und möglichst hohen Standards genügenden Regelung für alle Mitgliedstaaten gibt. Jeder weiß es und alle sagen es, dass aufgrund der heutigen längst grenzüberschreitenden supranationalen Kommunikations-, Verwaltungs- und Informationsstrukturen überhaupt kein Weg mehr daran vorbeiführt, auch die Schutzstandards und gesetzlichen Regelungen international anzugleichen und anzuheben. Doch da endet dann auch schon weitgehend die Einigkeit. Wie die Grundverordnung im Detail ausgestaltet werden soll, ist heftig umstritten. In der Bundesrepublik begann die Auseinandersetzung über die Datenschutz-Grundverordnung schon im Januar diesen Jahres gleich mit einem Donnerschlag, als nämlich Bundesverfassungsrichter Masing einer großen, interessierten Öffentlichkeit für den Fall einer Realisierung der Grundverordnung den „Abschied von den Grundrechten“ in Deutschland in Aussicht stellte. Prompt hatte auch Bundesinnenminister Friedrich große Bedenken, „EU-eigenes Recht“ – und das wäre eben eine Verordnung – „an die Stelle von nationalen Vorschriften“ zu setzen. Unter diesem Vorwand – und darauf zielt auch der Antrag der Koalitionsfraktionen – sollen wirtschaftsliberale Lockerungen im Unternehmens- und Verbraucherbereich durchgesetzt werden. Ich nenne dazu nur mal die Stichworte Bürokratieabbau, Wettbewerbsfähigkeit, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und natürlich Gleichgewichtigkeit von Verbraucher- und Unternehmerinte-ressen. In der ersten Lesung nannte dieses Vorgehen der Union der Kollege Mayer euphemistisch einen „schonenden Ausgleich“ der Interessen von Verbrauchern und Wirtschaft. Die Kritik der Union lautet, dass die Verordnung datenschutzrechtliche Fragestellungen nur aus der Sicht von Verbrauchern abhandle. Schließlich versuchen die Koalitionsfraktionen mit ihrem Antrag auch noch, Einwilligungsregelungen im Bereich des Beschäftigtendatenschutzes beizubehalten, die die ungleichen Machtverhältnisse in den Unternehmen schlichtweg ignorieren. Das gehört nun allerdings auch deshalb zu den Treppenwitzen der Geschichte, weil es diese Regierung bis heute nicht fertiggebracht hat, einen nationalen Beschäftigtendatenschutz einzuführen, der diesen Namen verdiente. Wir wissen, dass die Auseinandersetzung um diese Verordnung exemplarisch für eine kritische Europapolitik ist, in der Unterstützung für eine weitergehende -Europäisierung, eine „Vertiefung“ und Harmonisierung, bei der durchaus begründete, scharfe Kritik nicht zur Selbstblockade bei schwierigen Initiativen führen darf. Die Sachverständigenanhörung hat eine Fülle von Anregungen an die Bundesregierung gebracht, in den Anträgen von SPD und Grünen findet man unterschiedlich akzentuiert einen großen Teil davon wieder, ganz im Gegensatz zu den Koalitionsfraktionen, die hinter schönen Worten über deutsche Standards ihre über Europa gespielte Absenkung derselben in vielen Bereichen kaum verstecken können. Und zum wiederholten Mal weise ich, weil es auch immer wieder zu allerlei demagogischen Verrenkungen benutzt wird, darauf hin, dass die Standards hierzulande keineswegs durchgängig so hoch sind, wie es Koalitionsfraktionen und Regierung gerne glauben machen wollen. Einige der Sachverständigen haben darauf in der Anhörung deutlich hingewiesen. Ich nenne nur Ausstattung und Unabhängigkeit der Datenschutzbehörden in der Bundesrepublik als Beispiel. Und auch die Artikel-29-Gruppe, die Datenschützerrunde der EU sozusagen, ist nicht untätig geblieben und hat in einem ausführlichen Bericht vom Oktober einige der umstrittenen Punkte noch einmal aufs Korn genommen und zahlreiche wichtige Verbesserungsvorschläge gemacht. Sie müssen für konstruktive Kritiker als Richtschnur für die weiteren Verhandlungen gelten. Insbesondere geht es dabei um die unbedingte Beibehaltung einer „weiten“ Definition von personenbezogenen Daten. Auch Daten mit technischen Identifizierungsmerkmalen und Daten zur Lokalisierung sollen als personenbezogene Daten geschützt werden, das heißt auch eine indirekt identifizierbare Person bzw. deren Daten gelten als „personenbezogen“. Eine Absicherung der Definition in diesem Sinne wäre ein Riesenschritt vorwärts beim Schutz personenbezogener Daten, denn genau in diesem Punkt setzen alle Versuche an, eine enge Definition durchzusetzen. Damit soll zukünftig einem Großteil der bei alltäglichen Verrichtungen anfallenden Daten, die nicht unmittelbar, sondern indirekt einer Person zuzuordnen sind, der besondere Schutz entzogen werden. Eine weitere wichtige Forderung ist die Konkretisierung der Bedingungen für wirksame Einwilligungsregelungen. Durchaus im positiven Gegensatz zu dem am 12. Dezember 2012 erneut im Vermittlungsausschuss gescheiterten deutschen Melderecht soll die für die Verarbeitung personenbezogener Daten verantwortliche Stelle über den Nachweis einer Einwilligung entscheiden. Schon jetzt sieht der Entwurf vor, dass „bei wesentlichen Ungleichgewichten zwischen der verantwortlichen Stelle und dem Betroffenen mangels tatsächlicher Freiwilligkeit die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht auf Basis der Einwilligung erfolgen darf“, zitiert der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar die erwähnte Artikel-29-Stellungnahme. Einigkeit herrscht – auf dem Papier zumindest – zwischen allen Fraktionen darüber, dass der Umfang der sogenannten delegierten Rechtsakte drastisch beschränkt werden muss, das heißt, dass die Ermächtigungen der Kommission zu einer Vielzahl von Regelungen, die einer Rechtsverordnung hierzulande gleichkommen, sollen, wie das die Konferenz der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern schon länger fordert, auf das „unbedingt erforderliche Maß“ zurückgefahren werden. Das heißt, dass alle für den Grundrechtsschutz „wesentlichen Regelungen“ in der Verordnung selbst konkret ausgeführt oder in den Mitgliedstaaten durch Gesetz bestimmt werden müssen. Dass Koalitionsfraktionen und Bundesregierung solche Anmaßungen der Kommission zum Anlass nehmen, besonders lautstark aufzutreten, entbehrt nicht ganz der Ironie – denn das sind Folgen undemokratischer Regelungen im Vertrag von Lissabon, den sie gerade in diesem Sinne ja so haben wollten. Wir bleiben also bei dem Motto des obersten EU-Datenschützers Peter Hustinx, das schon ganz am Anfang der Diskussionen stand, dass diese Verordnung nämlich „ein kleiner Schritt für Deutschland, aber ein großer für Europa“ ist. Wie groß der Spielraum für wirksame Verbesserungen tatsächlich ist, bleibt abzuwarten, und Skepsis ist durchaus angebracht. Das darf aber nicht zum Zerreden und „Spiel auf Zeit“ bei einem dringend notwendigen europäischen Projekt werden, das es diese Grundverordnung trotz allem immer noch ist, vor allem aber, das sie werden könnte. Wenn …! Ein erster Schritt für die Stärkung des Datenschutzes bei den weiteren Verhandlungen im Jahr 2013 wäre die Unterstützung für die beiden Stellungnahmen der Opposition. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alle Äußerungen der Regierung und der schwarz-gelben Koalition zum EU-Datenschutz-Reformprojekt wirken wenig herzlich, wenig authentisch. Es ist Ihnen ganz offensichtlich nicht so wichtig und schon gar kein Herzensanliegen, wenn es um den Erhalt von Grund- und Bürgerrechten, aber auch um die Zukunft des digitalen Verbraucherschutzes geht.  Zu wenig hat die individuelle Freiheitsdimension noch Heimat in Ihren Reihen, zu sehr haben sich bei Ihnen diejenigen kurzsichtigen Bedenkenträger aus Wirtschaft und Verwaltung breitgemacht, die das Einzelinte-resse oder den Markt in den Vordergrund stellen, nicht aber die Grundrechte und die Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger. Dabei zählt die EU-Datenschutzreform zu den bedeutendsten gesellschaftspolitischen Projekten unserer Zeit. Die Wirtschaft hat das längst verstanden und läuft mit einer wahren Armada von Anwälten und Verbänden gegen einzelne, vermeintlich belastende Bestimmungen Sturm.  Die Reform soll eine Antwort liefern auf die zunehmend ubiquitäre Präsenz digitaler Medien. IT-Technologie verschiebt, manchmal kaum wahrnehmbar, manchmal überdeutlich, die bestehenden Grenzen der Privatheit und die damit verbundenen Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger. Im schlimmsten Fall droht dann auf staatlicher Seite der technisch problemlos realisierbare Überwachungsstaat.  Auf privatwirtschaftlicher Seite, die sich davon aus vielerlei Gründen nicht mehr klar trennen lässt, droht Manipulation bis hin zum strafbaren Datenmissbrauch, aber auch Willkür, Prangerlogik und Stigmatisierung.  Alle modernen Industriestaaten sind sich dieser quer zu ihren Werten und Grundrechtsidealen liegenden Ambivalenz moderner Datenverarbeitung längst bewusst. Der Neujustierung des privaten Datenschutzrechts im EU-Raum kommt im globalisierten Weltmarkt eine weltweite Bedeutung zu. Hätte die Bundesregierung diese Zusammenhänge erkannt, hätte sie weitaus früher reagiert. Es ist deshalb nicht eben überzeugend, wenn Sie, verehrte Koalitionsabgeordnete, in Ihrem Antrag schreiben, „sie wünschten sich eine breite und öffentliche Diskussion.“ Die ersten Konsultationsverfahren der EU-Kommission zur Datenschutzreform fanden bereits vor vier Jahren statt. Weder die damalige noch die heutige Regierung hat sich bemüßigt, etwa Stellungnahmen abzugeben. Dies war der erste und zentrale Fehler, dessen Folgen derzeit leider alle EU-Mitgliedstaaten auszubaden haben. Sie müssen nun das späte Erkennen der Bedeutung des Themas durch die Bundesrepublik – vormals führend im Bereich des Datenschutzes – ertragen, das nach wie vor und ohne Rücksicht auf das angesichts der knappen Zeit mögliche Scheitern des Gesamtprozesses im Rat weiterhin Grundsatzfragen zu klären wünscht. Das könnte am Ende auch die europäische Wirtschaft teuer zu stehen kommen. Denn für diese wurde das Reformpaket maßgeblich mitgestrickt. Gerade die strenge Form der Verordnung belegt den Harmonisierungswillen und damit das Ziel des aus Wirtschaftssicht so wichtigen Level Playing Field. Interessant finde ich hier, dass der Antrag der Koalitionsparteien samt seiner uneingeschränkten Anerkennung des gewählten Rechtsinstruments in offenem -Widerspruch zur Verhandlungsposition der Bundesregierung steht, die nach wie vor keine Festlegung in diesem Punkte wünscht. Hinsichtlich der insbesondere von Deutschland betriebenen Forderung nach einer pauschalen Herausnahme des öffentlichen Bereiches aus der Verordnung bleibt schleierhaft, weshalb sich die EU in dieser Frage so pauschal zurückhalten sollte. Wir teilen ja Ihre Bedenken hinsichtlich einzelner Teilbereiche wie etwa dem Melderecht, dem Sozial- oder Medizindatenschutz und wollen das für diesen Bereich zum Teil etablierte hohe bereichsspezifische Niveau erhalten. Doch eine völlige Herausnahme würde einen Rückschritt hinter die Richtlinie 95/46 bedeuten, für den es einfach keinen sachlichen Grund gibt. Der heikelste der übergreifenden Diskussionspunkte, bei denen die Bundesregierung „erheblichen Erörterungsbedarf auch in grundsätzlicher Hinsicht“ sieht, betrifft aber die auch im Antrag der Koalition erneut aufgestellte Forderung nach einer stärker risikoangepassten, abgestuften Regelung der Datenverarbeitung. Dabei wurde auch das unglückliche Wort von der „Bagatelldatenverarbeitung“ reanimiert, und es wurde von einigen Sachverständigen der Koalition immer und immer wieder gegen den ach so bürokratischen sogenannten Verbotsgrundsatz gewettert. Diese Debatten haben dem Datenschutz erheblich geschadet, sie sind weit von der Realität entfernt und dienten ersichtlich allein der Stimmungsmache. Bereits heute sieht das Bundesdatenschutzgesetz durch seinen in mehrerlei Hinsicht hochproblematischen und auch ärgerlichen § 28 ein breites Feld an Legitimationen für Datenverarbeitungen vor. Die Realität des Datenschutzes ist damit nicht der in § 4 BDSG niedergelegte Erlaubnisvorbehalt, sondern die unbestimmte und uferlose Rechtfertigung über die Erlaubnistatbestände des § 28. Schon diese Realität ist mehr als unbefriedigend. Sie führt zu den berechtigten Forderungen nach einer Reform des Bundesdatenschutzgesetzes, die ja auch die Koalition noch in ihrer Koalitionsvereinbarung stehen hat, um in den letzten drei Jahren in diesem Bereich gar nichts zu tun. Noch schwerer wiegt aber, was unter anderem beim Deutschen Juristentag und durch den von ihm beauftragten Professor Spindler zu den Forderungen nach Abschaffung des Verbotsgrundsatzes vorgetragen wurde: Wer am Erlaubnisvorbehalt rütteln will, muss sagen, was angesichts der uferlosen Freigabe von Datenverarbeitungen ex post an Absicherungen, zum Beispiel Sanktionen, kommen soll. Und genau hier schweigen alle Papiere der Bundesregierung besonders auffällig, weil man die damit verbundene Diskussion mit der Wirtschaft offenbar scheut wie der Teufel das Weihwasser. Und auch der heutige Antrag der Koalition geht hier genau in die entgegengesetzte Richtung: Anstatt die Effektivierung des unter Druck geratenen Datenschutzes im Privatrecht durch entsprechende zivilrechtliche Instrumente zu suchen, wird gegen die Verbandsklage votiert – von Haftungsregeln, Sanktionen oder gar Gewinnabschöpfungsansprüchen wird gar nicht gesprochen. Erlauben Sie mir nun noch einige wenige Kommentare zum Antrag der Koalition und dem darin aufgestellten Forderungskatalog. Schon Ihrer Ziffer 2 können wir nicht ohne Weiteres beipflichten. Selbstverständlich wünschen auch wir eine sachgerechte Differenzierung zwischen dem öffentlichen und nichtöffentlichen Bereich des Datenschutzes. Aber diese Differenzierung ist nicht allein und ausschließlich auf die Verfassungslage zurückzuführen. Schon gar nicht stimmen wir mit der pauschalisierenden Sichtweise überein, wonach sich in Datenschutzfragen des nichtöffentlichen Bereiches stets kollidierende Grundrechte gegenüberstehen. So einfach ist es denn doch nicht. Denn immerhin bedürfte es dazu klarer Linien, wie etwa aus einem Art. 14 oder auch dem vielzitierten Art. 12 Grundgesetz die Rechtfertigung einer konkreten Verarbeitung personenbezogener Daten hergeleitet werden soll. Dazu liegt aber kaum Material vor, weil eben das eine nicht zwingend aus dem anderen folgt!  Um so deutlicher hingegen sind die Konturen der Geltung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung auch im Bereich der Privatwirtschaft. Nur ein Beispiel: Es war das Bundesverfassungsgericht, das unter Verweis auf die Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht und das erhebliche Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien die Formularpraxis der Versicherungswirtschaft zur Schweigepflichtentbindung für unzulässig erklärte. Einer Reihe von Ziffern Ihres Antrages scheint man zustimmen zu können. Doch es bleibt bei Ihnen wie auch bei der Positionierung der Bundesregierung der Eindruck, dass man sich letztlich mit allgemeinen Formeln um eine konkrete Positionierung herumdrücken möchte. Man bleibt so unkonkret wie an vielen Stellen der so kritisierte Text der Kommission. Das ist leider nicht genug, nicht angesichts einer Debatte von dieser Dimension. Der Entwurf der Kommission für eine DatenschutzGrundverordnung ist stark verbesserungsbedürftig. Das ist so. Das leugnet doch auch niemand. Doch sowohl hinsichtlich der „Delegated Acts“ als auch hinsichtlich der bizarren Selbstermächtigung für Letztentscheidungen hat die Kommission längst Gesprächsbereitschaft signalisiert. Was uns allen viel mehr Sorgen machen sollte, ist die Frage, ob der Entwurf an den für die Modernisierung entscheidenden Stellen die hinreichende Präzision und Entschiedenheit aufbringen wird: Gelingt es uns beispielsweise, einen starken und verbindlichen präventiven Technikansatz im Gesetz zu verankern? Kommt das Gütesiegel als europäische Vorgabe und weiches Steuerungsinstrument? Kommt ein weites Verbandsklagerecht und wird es einen hinreichend effektiven Sanktionsrahmen für die Aufsichtsbehörden geben?  Hier wie auch bei einigen anderen Punkten braucht es endlich mehr Klarheit und Bestimmtheit. Ansonsten würde dem Reformansatz das nötige Profil fehlen, dessen es bedarf, um die veränderte IT-Wirklichkeit im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu gestalten. Auch wir Grünen werden erst am Ende der Verhandlungen in Brüssel entscheiden können, ob wir es in der Summe mit einer zufriedenstellenden, also zustimmungswürdigen Reform zu tun haben. Bis dahin werden wir konstruktiv an ihrem guten Gelingen mitwirken. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Hilfsfonds für die am -stärksten von Armut betroffenen Personen – KOM(2012) 617 end.; Ratsdok. 15865/12 – hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsi-diaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) (Zusatztagesordnungspunkt 7) Max Straubinger (CDU/CSU): Im Rahmen der -Europa-2020-Stratgie hat sich die Europäische Union das Ziel gesetzt, die Anzahl der in Armut lebenden oder von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen bis 2020 um mindestens 20 Millionen zu senken. Deutschland erfüllt seine nationalen und europäischen Verpflichtungen und setzt die EU-2020-Kernziele um. Wir leisten einen außerordentlichen Beitrag für mehr Stabilität, Wachstum und Beschäftigung in Europa. Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise halte ich es für legitim, dass auf europäischer Ebene Überlegungen angestellt werden, wie Armut und soziale Ausgrenzung nachhaltig bekämpft werden können. Mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen“ wird diesem Ansinnen aber nicht Rechnung getragen. Bei dem Vorschlag geht es im Kern um die Weiterführung des bisherigen EUNahrungsmittelprogramms „Abgabe von Nahrungsmitteln aus Interventionsbeständen an Bedürftige in der Gemeinschaft“. Das Programm wurde 1987 von der -Europäischen Gemeinschaft ins Leben gerufen und wird Ende 2013 auslaufen. Deutschland hat seit 1989 keinen Gebrauch mehr von dem Programm gemacht. Aus meiner Sicht bestehen erhebliche Subsidiaritätsbedenken gegen den Vorschlag der Europäischen Kommission. Die Gewährung von sozialen Hilfen ist grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten und kann von den Mitgliedstaaten effektiver und erfolgreicher betrieben werden. Nur der einzelne Mitgliedstaat kann am jeweils eigenen System ansetzen und Maßnahmen einführen, die individuell passend sind. Eine EU-Bedürftigenhilfe ist systemfremd, verwaltungsaufwendig und kontrollintensiv. Die Aussage der Kommission, dass angesichts des Ausmaßes der Armut und sozialen Ausgrenzung in der Union und der inakzeptablen Unterschiede Maßnahmen auf EU-Ebene notwendig seien, trägt mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip nicht. Ungleiche Verhältnisse allein führen nicht zu einem europäischen Mehrwert. Auch die Tatsache, dass der Hilfsfonds von der EU finanziert werden soll und von den Mitgliedstaaten nur zu einem geringen Anteil kofinanziert werden muss, ändert an dieser Einschätzung nichts. Denn Finanzmittel erzeugen nicht schon aufgrund der Tatsache, dass sie aus dem EU-Haushalt stammen, einen europäischen Mehrwert. Zudem habe ich erhebliche Zweifel an der Rechtsgrundlage für den Vorschlag der Europäischen Kommission. Der Hilfsfonds ist zur Armutsbekämpfung weder geeignet noch erforderlich im Sinn von Art. 175 Abs. 3 AEUV, weil er ausschließlich punktuelle materielle Hilfe in Form von Nahrungsmitteln oder grundlegenden Konsumgütern leisten soll. Um Menschen tatsächlich aus der Armut zu befreien, sind jedoch nachhaltige Maßnahmen erforderlich, wie sie insbesondere über den Europäischen Sozialfonds erfolgen. Vor diesem Hintergrund lehne ich den Vorstoß der Europäischen Kommission ab. Auch die Bundesregierung steht dem Vorschlag ablehnend gegenüber. Der Bundesrat wird in seiner morgigen Sitzung ebenfalls eine kritische Stellungnahme abgeben. Ich hoffe, dass die für eine Subsidiaritätsrüge erforderliche Stimmenzahl der nationalen Parlamente zusammenkommt. Der Deutsche Bundestag leistet heute mit seiner Stellungnahme vom 11. Dezember 2012 seinen Beitrag dazu. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die Europäische Kommission hat im Oktober dieses Jahres einen Verordnungsvorschlag vorgelegt. Die Kommission will einen neuen Hilfsfonds auf europäischer Ebene einrichten, der die am stärksten von Armut betroffenen Personen mit Nahrungsmitteln und anderen Konsumgütern unterstützen soll. Damit soll das bisherige Nahrungsmittelprogramm der Europäischen Union fortgeführt werden, das 1987 von der Europäischen Gemeinschaft ins Leben gerufen wurde. Mithilfe dieses agrarpolitischen Programms wurden anfangs Nahrungsmittel aus sogenannten Interventionsbeständen an Bedürftige in der EU verteilt. Die damals für die Verteilung bestimmten Lebensmittel durften ausschließlich aus landwirtschaft-lichen Überschussbeständen – auch als „Milchseen“ und „Butterberge“ bekannt – bezogen werden. Im Zuge der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik wurden diese Überschüsse allerdings Schritt für Schritt abgebaut. Um dennoch weiterhin Nahrungsmittel an Bedürftige verteilen zu können, ging man dazu über, diese am Markt käuflich zu erwerben. Nachdem nun der Europäische Gerichtshof im April letzten Jahres diese Marktkäufe für unzulässig erklärt hat und weil darüber hinaus für das Jahr 2013 voraussichtlich gar keine Interven-tionsbestände mehr verfügbar sein werden, startete die Kommission den Versuch, eine neue rechtliche Grundlage für ihre Bedürftigenhilfe zu schaffen. Dies erscheint auf den ersten Blick auch begrüßenswert. Menschen, die in Armut leben oder davon bedroht sind, brauchen Unterstützung. Daran gibt es über alle Länder- und Parteiengrenzen hinweg keinen Zweifel. In Bezug auf die Frage, wie diese Unterstützung konkret aussehen kann, gibt es klare Zuständigkeiten, die die EU-Kommission achten sollte. Moderne Sozialpolitik bedeutet, von Armut betroffene Menschen durch strukturelle Hilfen zu unterstützen, die auf Prävention und Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. Abhängigkeiten, die durch das bisherige Nahrungsmittelhilfeprogramm geschaffen wurden, müssen abgebaut werden. Almosenpolitik statt Sozialpolitik mit ausreichender finanzieller und sozialer Sicherung wäre ein Rückschritt in Zeiten, die wir in Europa doch längst für überwunden hielten. Die Politik der Europäischen Kommission, so sehr ich diese grundsätzlich in weiten Teilen schätze, setzt in diesem konkreten Fall an der falschen Stelle an. Was wir hier brauchen ist eine solide Sozialpolitik, aber nicht die Verteilung von Almosen. Und zum anderen liegt die Kompetenz im Bereich der sozialen Sicherung bei den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Solange sozialpolitische Maßnahmen auf der Ebene der Europäischen Union nicht besser umgesetzt werden können als auf nationaler Ebene, liegt die Zuständigkeit bei den EU-Mitgliedstaaten, und einen entsprechenden Nachweis kann die Kommission an dieser Stelle nicht erbringen. Die Bedürftigenhilfe ist im politischen Ordnungssystem der EU systemfremd, wohingegen diese Hilfe nicht nur eine Pflicht, sondern auch ein Recht der Mitgliedstaaten darstellt. Die EU-Mitgliedstaaten allein sind in der Lage, Maßnahmen und spezielle Programme für Bedürftige aufzustellen, die in das jeweilige nationale Rechtssystem eingepasst und mit anderen sozialpolitischen Instrumenten und Hilfesystemen abgestimmt sind. Darüber hinaus kann auf nationaler oder sogar regionaler und kommunaler Ebene bedeutend schneller und effizienter auf wirtschaftliche Veränderungen reagiert werden. Der Apparat der Europäischen Union ist in dieser Hinsicht verständlicherweise träger. Wir sehen somit den Kommissionsvorschlag in seiner aktuellen Form als unvereinbar mit dem Subsidiaritätsprinzip an. Ebenso fragwürdig stellt sich der Vorstoß der Kommission vor dem Hintergrund der Frage des Verwaltungs- und des finanziellen Aufwands dar. Um den Hilfsfonds einzurichten, wäre ein völlig neues Verwaltungs- und Kontrollsystem erforderlich. Dies bedeutet natürlich personellen und finanziellen Mehraufwand. Das allein wäre schon bedenkenswert. Nun kommt aber noch hinzu, dass die hierfür benötigten Mittel zum größten Teil aus dem Bereich der Kohäsionspolitik, genauer gesagt aus dem Budget des Europäischen Sozialfonds, ESF, abgezweigt werden sollen. Wie wir alle wissen, werden mit den Mitteln des ESF unzählige Projekte auf verschiedenen Ebenen gefördert. Wenn man von einem Erfolgsmodell sprechen kann, dann sicherlich im Falle des ESF-Programms. Seit über 50 Jahren werden Menschen unter dem Dach des ESF gefördert, insbesondere zur Integration auf dem Arbeitsmarkt, aber auch zur Vermeidung und Bekämpfung von Armut und zur Förderung der sozialen Integration. Davon profitieren Arbeitslose, Auszubildende, behinderte Menschen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Gründerinnen und Gründer in Deutschland und Europa. Der Europäische Sozialfonds hat sich im Laufe der Zeit zu dem zentralen arbeitsmarktpolitischen Förderinstrument in der Europäischen Union entwickelt. Um die Ziele der Europäischen Beschäftigungsstrategie – Vollbeschäftigung, Arbeitsplatzqualität und -produktivität sowie sozialer Zusammenhalt – zu erreichen, sind wir auch auf den Fortbestand des ESF angewiesen. Wenn man nun ausgerechnet aus diesem Fonds Mittel entnimmt, also die Mittel des ESF kürzt, dann muss man sich die Sinnfrage stellen lassen. Außerdem hätte dies zur Konsequenz, dass der neue Hilfsfonds und das ESF-Programm in Konkurrenz zu-einander treten würden. Anstatt Mittel und Kräfte an bewährter Stelle zu bündeln, würde man dieses Modell schwächen und ein zusätzliches Modell mit erhöhtem Kostenaufwand als Parallelkonzept schaffen. Unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten würden wir also mit dem Kommissionsvorschlag ebenfalls schlecht fahren. Wägt man also ab, welches Ziel mit den hier vorgeschlagenen Mitteln und unter Einsatz eines enormen Verwaltungs- und Kontrollaufwandes verfolgt wird, aber zu wessen Lasten dieser Fonds konzipiert ist, kann man doch nur zu einem Schluss kommen: Die Relationen und damit die Verhältnismäßigkeit sind bei dem Verordnungsvorschlag leider nicht gewahrt. Auch wir in der Union verfolgen selbstverständlich den Anstieg der Zahl der von Armut bedrohten Personen in der Europäischen Union mit großer Sorge. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat deutliche Spuren in vielen Ländern hinterlassen. Aber gerade Deutschland hat unter der Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel durch eine kluge Wirtschafts- und Sozialpolitik viel dazu beigetragen, diese Folgen abzumildern und den Menschen in unserem Land, die davon betroffen waren, eine neue Perspektive zu bieten. Die christlich-liberale Koalition wird sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass diejenigen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, nicht allein gelassen werden. Auch mit Blick auf das in der Europa-2020-Strategie gesetzte Ziel, den Anteil der Menschen unterhalb der jeweiligen nationalen Armutsgrenze bis zum Jahr 2020 um 25 Prozent zu verringern, ist es uns ein großes Anliegen, möglichst viele Menschen aus der Armut herauszuholen und in Beschäftigung zu bringen. Dafür bedarf es aber, wie eben dargelegt, nachhaltiger und maßgeschneiderter Maßnahmen. Mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission zur Errichtung des neuen Hilfsfonds kommen wir den selbst gesteckten Zielen nicht näher. Daher spreche ich mich gegen diese Initiative aus und hoffe, dass der Deutsche Bundestag mit breiter Mehrheit unseren Antrag unterstützt. Anton Schaaf (SPD): Mit Ihrem Vorhaben, ein Verfahren der Subsidiaritätsrüge anzustreben, setzen Sie die Spur der Verwüstung fort, die Sie bisher in der Behandlung von Menschen in Armut gegangen sind. Ein wenig wird noch rumgeeiert, dass Sie das Ziel durchaus richtig finden, Menschen zu unterstützen, die von gravierender materieller Armut betroffen oder bedroht sind. Aber wie immer folgen den Worten keine Taten. Die Wirtschaftskrise ist mal wieder schuld, dass sich nichts machen lässt. Man kann sicherlich über wirksame Mittel der Armutsbekämpfung streiten, aber ausgerechnet an dieser Stelle eine Rüge wegen Subsidiarität zu fordern, zeigt, dass diese Bundesregierung Europa nur als Wirtschaftsgemeinschaft und nicht als soziale Union sieht; dies wurde auch in der Debatte um die Renten-und Pensionsfonds sehr deutlich. Bedürftige Banken erhalten alle erdenkliche Hilfe, bedürftige Menschen eben nicht. Sie führen mit Ihrer restriktiven Politik immer mehr Menschen in die Bedürftigkeit, sperren sich aber gegen direkte Hilfen für von Armut betroffene Menschen. Das hat schon Ihr Umgang mit dem 4. Armuts- und Reichtumsbericht deutlich gemacht, wo Sie die Armut in Deutschland mit dem Radiergummi bekämpfen, indem Sie einfach ganze Kapitel des Berichtes verschwinden lassen. Anstatt nach dem Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung endlich neue Wege der Armutsbekämpfung zu beschreiten, treten wir in Deutschland in eine armselige Debatte ein, dass die akute Hilfe für Bedürftige zu hohen Bürokratieaufwand bedeuten würde. Da fallen mir ganz andere Bereiche an, wo dies nicht problematisiert wird. Ich teile die Kritik, dass dieses Programm keine strukturelle Armutsbekämpfung bedeutet, an dieser Stelle behaupte ich ganz einfach: das eine tun, das andere nicht lassen, und zwar direkte Hilfe für Bedürftige und Zeichen setzen gegen Lebensmittelverschwendung. Essen für Menschen und nicht Nahrungsreste für die Biogas-anlagen und Energiewirtschaft! Wir lehnen ihr Ansinnen der Subsidiaritätsrüge ab! Besonders interessant ist, dass Sie das vor der Frankreichwahl auch noch getan haben. Nun aber, Frau Merkel, mit einem Präsident Hollande sehen Sie sich nicht mehr verpflichtet. Ihr Handeln ist für die deutsch-französische Freundschaft eine Belastung. Worum geht es eigentlich im Kern der Sache? Das bisherige Programm für direkte Lebensmittelhilfe aus dem Agrarbereich wird 2013 beendet, weil Agrarmittel nicht sozialen Zwecken dienen sollten. Es wurde aus dem Gedanken der Lebensmittelüberproduktion in Europa geschaffen (zum Beispiel Milchseen, Obst- und Gemüsehalden, Butterberge). Man sieht aber den Bedarf. Daher sollte es in den Sozialbereich überführt werden. Der vorgeschlagene EU-Hilfsfonds dient der Verwirklichung des Ziels der Europa-2020-Strategie, die Zahl der in Armut lebenden oder von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen bis 2020 um mindestens 20 Millionen zu verringern. Konkret sollen Nahrungsmangel, Obdachlosigkeit und materielle Kinderarmut bekämpft werden. Nach Angaben der Kommission will man mit dem zusätzlichen Instrument bestehende Kohäsionsinstrumente, insbesondere den Europäischen Sozialfonds (ESF), ergänzen. Der neue Hilfsfonds beruht nicht mehr – wie das laufende EU-Nahrungsmittelhilfeprogramm – auf der Verteilung von vorhandenen Überschüssen aus landwirtschaftlicher Produktion, sondern nunmehr auf der Verteilung von zur Sicherung einer materiellen Grundausstattung benötigten Waren jeglicher Art (zum Beispiel auch Kleidung). Als Partnerorganisationen sollen öffentliche Stellen oder gemeinnützige Organisationen (wie zum Beispiel Verbände und Tafeln) von der Förderung profitieren. Vorgesehen ist auch, dass eventuell vorhandene EU-Interventionsbestände unter bestimmten Bedingungen auch zukünftig den Bedürftigen im Rahmen des Programms zur Verfügung gestellt werden können. Die Kommission begründet die Erforderlichkeit des vorgeschlagenen EU-Hilfsfonds mit der hohen Zahl der Unionsbürger, die armutsgefährdet oder von sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Im Rahmen des EU-Hilfsfonds könnten nach Vorstellungen der Kommission die Mitgliedstaaten Unterstützung für ihre nationalen Programme beantragen und über Partnerorganisationen Hilfen an Bedürftige leisten. Diese Initiative zu verhindern, ist darüber hinaus noch unsäglich arrogant, weil andere EU-Länder nicht über ein so tragfähiges System von Transfer- und Sozialleistungen verfügen wie Deutschland. Auch darüber sollten Sie nachdenken. Wir als Sozialdemokraten haben uns immer dafür stark gemacht, in Europa den sozialen Zusammenhalt zu fördern. Wir wollen eine harmonische Entwicklung der Union als Ganzes, wollen den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete verringern, einen Beitrag zur Verbesserung der sozialen Bedingungen leisten, indem Grundbedürfnisse besonders bedürftiger Menschen erfüllt werden. Was kann man eigentlich dagegen haben? Ich sage es ihnen: Ihnen sind die inakzeptablen Unterschiede der einzelnen Mitgliedstaaten schlichtweg egal. Ich teile durchaus die Auffassung, dass Armut auf nationaler, teilweise sogar auf lokaler Ebene besser bekämpft werden kann als auf europäischer Ebene, weil die Ursachen dieses Problems in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich sind. Aber die europäische Hilfe kann als zusätzliche Komponente ergänzt werden, weil wir damit zugleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich sage Ihnen auch warum: Es geht nämlich nicht nur darum, dass Bedürftige nicht mehr hungern sollen. In Europa werden jedes Jahr rund 89 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet. Dementsprechend haben die europäischen Institutionen der Reduzierung von Lebensmittelverschwendung hohe Priorität eingeräumt. Das Europäische Parlament hat sofortige gemeinschaftliche Maßnahmen zur Halbierung der Lebensmittelverschwendung bis 2025 vorgesehen. Zur Erreichung dieser ehrgeizigen Ziele sind koordinierte Bemühungen des gesamten Lebensmittelsektors erforderlich. Vielleicht sollten Sie im Kabinett mal nicht nur mit Herrn Minister Rösler, sondern auch mit Ihrer Verbraucherministerin Aigner sprechen; die kennt sich da ganz gut aus. Es ist im Artikel 191 und 192 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sogar geregelt, dass sie sich auf die Erhaltung, den Schutz und die Verbesserung der Qualität der Gesundheit des Menschen und der Umwelt beziehen soll. Es gibt zahlreiche Studien, wie durch mehr Effizienz und Fairness auf dem Einzelhandelsmarkt der weltweiten Verschwendung von Lebensmitteln begegnet werden kann. Es ist möglich, etwas zu tun, damit Lebensmittel nicht zu Abfall werden und Bedürftigen geholfen wird – aber Sie wollen nichts davon wissen. Lebensmittelverschwendung betrifft aber nicht nur ethische, wirtschaftliche, soziale Fragen und die Ernährung und Gesundheit, auch die Umwelt leidet unter weggeworfenen Lebensmittelbergen, die in erheblichem Maße zur Erderwärmung beitragen. Aus Lebensmittelabfällen entsteht bekanntlich Methan, dessen Wirkung als Treibhausgas allen hinreichend bekannt sein müsste. So, wie diese Bundesregierung handelt, funktioniert Nachhaltigkeit nicht. Aber es war schon immer Sache der Sozialdemokraten, die Förderung eines Denkens und Handelns in Wissenschaft und Gesellschaft, die an den Grundsätzen der Nachhaltigkeit und der Solidarität ausgerichtet werden, zu stärken. Wir sehen, dass in der Ernährungssicherheit ein grundlegendes Menschenrecht gewahrt wird. Wir wollen, dass gesunde, ausreichende, angemessene und nahrhafte Lebensmittel verfügbar und zugänglich sind; dies auch für die ärmsten Bevölkerungsschichten. Deswegen räumen wir der geplanten Hilfe auch Vorrang gegenüber einer kritischen Betrachtung ein. Für uns hat die Armutsbekämpfung mit vielseitigen Mitteln Priorität. Nur mit einer koordinierten Strategie auf europäischer und nationaler Ebene können Effizienz der Lebensmittelversorgung und das ehrgeizige Ziel, die Lebensmittelabfälle bis 2025 zu halbieren, erreicht werden, dies mit kluger Verteilung und einer Würdigung der Verbände und Institutionen, die dies bereits ehrenamtlich mit Spendenaufkommen tun – wie die Wohlfahrtsverbände und Tafeln in Deutschland. Aber auch in Österreich, Dänemark, Italien, Spanien und Großbritannien gibt es akute Direkthilfe. Wirklich erfolgreich wären wir, wenn die Arbeit der oben Genannten überflüssig wäre. Dieses Ziel werden wir in der nahen Zukunft aber wohl nicht erreichen. Die Politik der Bundesregierung mit der Duldung prekärer Arbeit, der Verweigerung eines Mindestlohns und ihrer Haltung gegenüber Mini-Jobs hat dafür gesorgt, dass die Anzahl bedürftiger Menschen in Deutschland gewachsen ist. Ebenso ist die Zahl derer, die vom wirtschaftlichen Aufschwung und vom Predigen von Lebensleistung in Ihren Rentenvorstellungen nie profitieren werden, gestiegen. Ich möchte enden mit den Worten von George Bernard Shaw, der gesagt hat: „Das größte Übel, das wir unseren Mitmenschen antun können, ist nicht, sie zu hassen, sondern, ihnen gegenüber gleichgültig zu sein.“ Pascal Kober (FDP): Mit dem vorliegenden Antrag möchten FDP und CDU/CSU eine Subsidiaritätsrüge gegen den Kommissionsvorschlag zum Europäischen Hilfs-fonds erheben. Durch den Vertrag von Lissabon ist es die Aufgabe der nationalen Parlamente, also auch des Deutschen Bundestages, darauf zu achten, dass der Grundsatz der Subsidiarität von europäischer Ebene beachtet wird. Dort heißt es: „Die nationalen Parlamente tragen aktiv zur guten Arbeitsweise der Union bei, indem sie dafür sorgen, dass der Grundsatz der Subsidiarität gemäß den in dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit vorgesehenen Verfahren beachtet wird.“ Genau von diesem Recht werden wir heute Gebrauch machen, da der Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission dem Subsidiaritätsprinzip widerspricht. Der vorgeschlagene Fonds soll der Verwirklichung des Ziels der Europa-2020-Strategie dienen. Konkret ist vorgesehen, dass Nahrungsmangel, Obdachlosigkeit und materielle Kinderarmut bekämpft werden sollen. Hierfür sollen Mittel aus dem Budget des Europäischen Sozialfonds in Höhe von 2,5 Milliarden Euro entnommen und dem neuen Hilfsfonds zur Verfügung gestellt werden. Geld, das für andere Projekte des Europäischen Sozialfonds fehlen wird. Geld, das im Übrigen nicht mehr der demokratischen Kontrolle des Parlaments unterliegen wird. Auf der Ebene der einzelnen EU-Mitgliedstaaten gibt es bereits leistungsfähige Systeme der Daseinsfürsorge, die die gleiche Aufgabe und Zielrichtung wie der neue Europäische Hilfsfonds haben. Auf diese Leistungen besteht in den Mitgliedstaaten zudem ein Rechtsanspruch, was bei den geplanten Leistungen des Hilfsfonds nicht der Fall ist. Es geht bei diesen nur um einzelne punktuelle Unterstützung. Die Menschen können sich darauf nicht berufen, und es dürfte eher Zufall sein, wer Hilfen bekommt und wer nicht. Die Sozialpolitik, insbesondere im Bereich der Daseinsfürsorge, obliegt eindeutig den Mitgliedstaaten und nicht der Europäischen Union. Im Verordnungsentwurf fehlt auch eine substanzielle Begründung, weshalb im vorliegenden Fall die Sozialpolitik der EU besser geeignet sei als die der Mitgliedstaaten. Eine Begründung für die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips fehlt sogar vollkommen. Wir stehen mit dieser Skepsis auf europäischer Ebene nicht alleine. In der zuständigen Ratsarbeitsgruppe haben sich am 23. November 2012 auch Schweden, Großbritannien und Dänemark klar gegen den Fonds ausgesprochen. Ihre Bedenken geäußert haben zudem Öster-reich, Luxemburg, die Niederlande, Tschechien, die Slowakei, Polen und Ungarn. Für uns als christlich-liberale Regierungskoalition ist klar, dass Armut auf nationaler beziehungsweise auch auf lokaler Ebene besser bekämpft werden kann als auf europäischer Ebene, weil die Ursachen dieses Problems in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich sind. Hinzu kommen zudem zusätzliche Bürokratiekosten, die anfallen würden, wenn man dem Vorschlag der Kommission folgen würde. Ein neues Verwaltungs- und Kontrollsystem wäre mit einem erheblichen zusätzlichen Kostenaufwand verbunden, den wir als unverhältnismäßig erachten. Diese Bundesregierung hat große Erfolge im Bereich der Armutsbekämpfung erzielt, wie nicht zuletzt der Rückgang der Kinderarmut sowie der Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit zeigen. Wir sind in Deutschland erfolgreich mit christlich-liberaler Politik, die auf Wachstum setzt und so mehr Menschen in Beschäftigung bringt. Ich halte es auch für richtig, dass Nationalstaaten beim Kampf gegen Armut zuständig sind. Daher werden wir heute mit diesem Antrag ein klares Zeichen für die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips setzen. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Der Vorschlag für einen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen zeigt, wie dramatisch die sozialen -Verhältnisse in der Europäischen Union sind. Es gibt massenhaft Probleme bei der Versorgung der Menschen mit den notwendigsten Gütern: Nahrung, Wohnung, Kleidung und Ausstattung von Kindern. Es ist ungeheuerlich, dass die Bundesregierung diesem Hilfsfond seine Zustimmung verweigert. Nach Ausführungen der EU-Kommission hatten 8,7 Prozent der europäischen Bevölkerung 2010 keinen Zugang zu ausreichenden Mengen von Nahrungsmitteln. Besorgniserregend ist, dass die Anzahl der betroffenen Personen seit 2009 durch die Krise wieder ansteigt. Knapp 6 Prozent der Kinder in der EU können sich keine neue Kleidung leisten; 4,5 Prozent der Kinder besitzen nicht einmal zwei Paar Schuhe in der richtigen Größe – dies entspricht etwa 6 Millionen Kindern. Es ist ein Armutszeugnis für die nationalen Sozialstaaten, dass die Europäische Union überhaupt eingreifen muss. Der-artige Defizite dürften in einem Sozialstaat nicht vorkommen. Für die Linke liegt der Fehler im System: Die zunehmend kapitalistisch organisierte Verteilung der gesellschaftlich produzierten Güter und Dienste verschärft die Armut in Europa. In der aktuellen sozialen Entwicklung haben sich Armut und soziale Ausgrenzung jedoch nicht verringert, sondern im Gegenteil verschärft. Die neoliberalen Kürzungsprogramme für die südeuropäischen Staaten hinterlassen massenhafte Armut. Im Lichte dieser Krise ist der vorgeschlagene Fonds leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Er erhält 2,5 Milliarden Euro für den Zeitraum 2014 bis 2020. Jetzt den Hilfsfonds auch noch abzulehnen, bedeutete die offene Verweigerung von europäischer Solidarität zulasten der schwächsten Menschen in den ärmsten Ländern der EU. Im Rahmen der Europa-2020-Strategie hat sich die Europäische Union zum Ziel gesetzt, die Anzahl der Personen, die in Armut leben oder von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind, um mindestens 20 Millionen Personen zu senken. Die Bundesregierung hatte sich diesem Ziel angeschlossen. Aber Papier ist ja bekanntlich geduldig. Für die Linke geht der Hilfsfonds nicht weit genug: Er ist nicht darauf angelegt, soziale Rechte von Einzelnen zu garantieren. Hier geht es um die Verteilung von Hilfen, auf die kein rechtlicher Anspruch besteht; es handelt sich hier um die eigentlich überwundene Form der Mildtätigkeit. Insofern ist der Vorschlag ein Beitrag zur „Vertafelung“ der Sozialpolitik. Das kritisieren wir. Gleichwohl macht die Dramatik der sozialen Lage – die Daten sind genannt – politisches Handeln notwendig. Der vorgeschlagene Hilfsfonds ist das Mindestmaß an europäischer Solidarität, das geleistet werden sollte. Es kann nicht sein, dass Sie als Abgeordnete in Ihren Wahlkreisen die Tafeln begrüßen und etwas Ähnliches den Menschen in Europa verweigern. Für die Linke muss ein demokratisches und soziales Europa auf sozialen Rechten basieren, und diese müssen einklagbar sein. Insofern befürwortet die Linke, bei aller Kritik an dem Instrument, den vorgeschlagenen Hilfsfonds und fordert die Bundesregierung zu einem entsprechenden Handeln auf europäischer Ebene auf. Die Einlegung eines Subsidiaritätsvorbehalts unterstützt die Linke nicht. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der europäische Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen wird von der Europäischen Kommission als neues Instrument im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2014 bis 2020 vorgeschlagen. Dafür sind 2,5 Milliarden Euro eingeplant, mit denen extreme Formen von Armut und Ausgrenzung bekämpft werden sollen. Der neue Fonds soll auch dazu beitragen, die Armutsreduktionsziele der Europa-2020-Strategie zu erreichen. Hierfür ist ein Zukauf von zur Sicherung einer materiellen Grundausstattung benötigten Waren jeglicher Art, zum Beispiel auch Kleidung, vorgesehen. Als Partnerorganisationen sollen öffentliche Stellen oder gemeinnützige Organisationen, wie zum Beispiel Tafeln, von der Förderung profitieren. Bündnis 90/Die Grünen teilen zwar die grundsätzliche Kritik an direkten Nahrungsmittelhilfen. Aber nicht einmal die wohlhabenden Staaten Europas können darauf verzichten, wie das Beispiel der Tafeln in Deutschland zeigt. Es wäre natürlich besser, diese mit sozialstaatlicher Politik überflüssig zu machen. Aber solange beispielsweise in Griechenland die Menschen nicht auf eine funktionierende Sozialhilfe zurückgreifen können, muss man ihnen auf anderem Wege, notfalls auch mit Nahrungsmittelhilfe, helfen. Es ist allerdings fragwürdig, dass dies auf Kosten der über den Europäischen Sozialfonds, ESF, geförderten Vorhaben geschehen soll. Der Hilfsfonds muss vielmehr in den ESF integriert werden. Als gute Ideen in der Verordnung können der hohe Fördersatz der EU von 85 Prozent, die Vorfinanzierung mit EU-Mitteln und die Übertragung der Umsetzung auf Nichtregierungsorganisationen angesehen werden. Ziel der EU muss es grundsätzlich sein, den Mitgliedstaaten zu helfen, Abhängigkeiten, die durch das Nahrungsmittelprogramm seit 1987 geschaffen wurden, abzubauen: weg von direkter Essensverteilung, hin zu einer auf strukturelle Hilfe und Prävention angelegten Unterstützung der Ärmsten in Europa. Union und FDP wollen mit dem vorliegenden Antrag eine Subsidiaritätsrüge erteilen. Die Argumente des Antrages sind grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen, wie auch die Information des Europareferats sowie die Stellungnahme des Bundesrates zeigen. Die Erforderlichkeit des Hilfsfonds ist ebenso infrage zu stellen wie die erfüllte bzw. nicht erfüllte Begründungspflicht der Kommission. Es ist richtig, dass es den nationalen Parlamenten nicht möglich war, sich mit Argumenten der Kommission auseinanderzusetzen. Es ist auch richtig, dass die Kompetenz im Bereich der Sicherung des Existenzminimums eindeutig den Mitgliedstaaten obliegt. Trotz dieser grundsätzlichen Zustimmung können wir dem Antrag insgesamt nicht zustimmen, da wir diese Nothilfe in gewisser Weise als Teil der Förderung des sozialen Zusammenhalts verstehen, die durchaus auf EU-Ebene zu verorten ist. Hierfür aber einen eigenständigen, wohl auch verwaltungsaufwendigen Fonds zu -installieren, halten wir, wie auch die grüne Europaparlamentsfraktion, für schädlich. 1Anlage 4 2Ergebnis Seite 26299 D 3Anlagen 5 bis 9 4 Ergebnisse Seite 26312 D und Seite 26315 A 5Ergebnis Seite 26327 D 6Ergebnis Seite 26330 A 7Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2 . 8Anlage 11 9Anlage 12 10Anlage 13 11Anlage 14 12Anlage 15 13 Anlage 16 14Die Ergebnisliste wird im Stenografischen Bericht der 215. Sitzung abgedruckt. 15Ergebnis Seite 26406 B 16Anlage 17 17Die Ergebnisliste wird im Stenografischen Bericht der 215. Sitzung abgedruckt. 18Anlage 18 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 214. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 214. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2012 III Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 26528 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 214. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 214. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2012 26529