Plenarprotokoll 17/217 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 217. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Lena Strothmann, Sylvia Kotting-Uhl, Klaus Hagemann, Staatsminister Bernd Neumann, Bernd Scheelen, Friedrich Ostendorff, Norbert Geis und Dr. Gregor Gysi Begrüßung der neuen Abgeordneten Susanne Kieckbusch und Hagen Reinhold Absetzung des Tagesordnungspunktes 24 Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Nachträgliche Ausschussüberweisungen Begrüßung des Direktors beim Deutschen Bundestag, Herrn Dr. Horst Risse Tagesordnungspunkt 9: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Jahreswirtschaftsbericht 2013 – Wettbewerbsfähigkeit – Schlüssel für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und Europa b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 2013 der Bundesregierung (Drucksache 17/12070) c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresgutachten 2012/13 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache 17/11440) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMWi Hubertus Heil (Peine) (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Dr. Hermann Otto Solms (FDP) Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Michael Schlecht (DIE LINKE) Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) Wolfgang Tiefensee (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Ernst Hinsken (CDU/CSU) Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Peer Steinbrück, Joachim Poß, Ingrid Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte – Für eine starke europäische Bankenunion zur Beendigung der Staatshaftung bei Bankenkrisen (Drucksache 17/11878) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Klaus-Peter Flosbach, Peter Aumer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Daniel Volk, Holger Krestel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Schärfere und effektivere Regulierung der Finanzmärkte fortsetzen (Drucksache 17/12060) Peer Steinbrück (SPD) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF Richard Pitterle (DIE LINKE) Dr. Volker Wissing (FDP) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD) Björn Sänger (FDP) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Peter Aumer (CDU/CSU) Dr. Carsten Sieling (SPD) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 34: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes (Bevölkerungsstatistikgesetz – BevStatG) (Drucksache 17/9219) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 35 und 87 a) (Drucksache 17/11591) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. Januar 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des grenzüberschreitenden Missbrauchs bei Sozialversicherungsleistungen und -beiträgen durch Erwerbstätigkeit und bei Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie von nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit und illegaler grenzüberschreitender Leiharbeit (Deutsch-Niederländischer Vertrag zur Bekämpfung grenzüberschreitender Schwarzarbeit) (Drucksache 17/12015) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Holzhandels-Sicherungs-Gesetzes (Drucksache 17/12033) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften (Drucksache 17/12046) f) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nationale Stelle zur Verhütung von Folter stärken (Drucksache 17/11207) Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zu dem Abkommen vom 21. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt in der Fassung vom 5. April 2012 (Drucksachen 17/10059, 17/11093, 17/11096, 17/11635, 17/11693, 17/11840) Thomas Oppermann (SPD) b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts (Drucksachen 17/10774, 17/11180, 17/11189, 17/11217, 17/11634, 17/11694, 17/11841) Dr. Michael Meister (CDU/CSU) c) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zum Abbau der kalten Progression (Drucksachen 17/8683, 17/9201, 17/9202, 17/9644, 17/9672, 17/11842) Dr. Michael Meister (CDU/CSU) d) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden (Drucksachen 17/6074, 17/6251, 17/6358, 17/6360, 17/6584, 17/7544, 17/11843) Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) e) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Jahressteuergesetz 2013 (Drucksachen 17/10000, 17/10604, 17/11190, 17/11191, 17/11220, 17/11633, 17/11692, 17/11844) Thomas Oppermann (SPD) Namentliche Abstimmung Ergebnis Zusatztagesordnungspunkt 5: Vereinbarte Debatte: zu steuerpolitischen Beschlüssen Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Patrick Döring (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Antje Tillmann (CDU/CSU) Johannes Kahrs (SPD) Antje Tillmann (CDU/CSU) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Volker Wissing (FDP) Johannes Kahrs (SPD) Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Steuerbeschlüsse der SPD sowie Steuererhöhungspläne des SPD-Kanzlerkandidaten und ihre Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) Joachim Poß (SPD) Dr. Volker Wissing (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Olav Gutting (CDU/CSU) Dr. Carsten Sieling (SPD) Dr. Daniel Volk (FDP) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) Franz Obermeier (CDU/CSU) Norbert Schindler (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heiner Kamp, Dr. Martin Neumann (Lausitz), Sylvia Canel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Das deutsche Berufsbildungssystem – Versicherung gegen Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel – zu dem Antrag der Abgeordneten Willi Brase, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Jugendliche haben ein Recht auf Ausbildung – zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Alpers, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Perspektiven für 1,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss schaffen – Ausbildung für alle garantieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Brigitte Pothmer, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit DualPlus mehr Jugendlichen und Betrieben die Teilnahme an der dualen Ausbildung ermöglichen (Drucksachen 17/10986, 17/10116, 17/10856, 17/9586, 17/12089) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF Willi Brase (SPD) Heiner Kamp (FDP) Agnes Alpers (DIE LINKE) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) Uwe Schummer (CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Michael Gerdes (SPD) Heiner Kamp (FDP) Agnes Alpers (DIE LINKE) Uwe Schummer (CDU/CSU) Sylvia Canel (FDP) Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) Ewa Klamt (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten gewährleisten (Drucksache 17/11880) Karin Binder (DIE LINKE) Mechthild Heil (CDU/CSU) Petra Crone (SPD) Hans-Michael Goldmann (FDP) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Marlene Mortler (CDU/CSU) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Rainer Erdel (FDP) Karin Binder (DIE LINKE) Rainer Erdel (FDP) Carola Stauche (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zusätzlichen Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Drucksache 17/12057) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Detlef Scheele, Senator (Hamburg) Pascal Kober (FDP) Diana Golze (DIE LINKE) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dorothee Bär (CDU/CSU) Caren Marks (SPD) Nicole Bracht-Bendt (FDP) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 14: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU – Lateinamerika: Partnerschaft für eine sozial-ökologische Transformation (Drucksachen 17/11838, 17/12093) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Friedensdialog in Kolumbien aktiv unterstützen (Drucksachen 17/11839, 17/12094) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sozialen Fortschritt und regionale Integration in Lateinamerika unterstützen (Drucksachen 17/3214, 17/12087) d) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: CELAC-EU-Gipfel in Santiago de Chile – Neue Zusammenarbeit mit neuen Partnern (Drucksache 17/12061) Hans-Werner Ehrenberg (FDP) Dr. Sascha Raabe (SPD) Anette Hübinger (CDU/CSU) Heike Hänsel (DIE LINKE) Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme (Drucksachen 17/11513, 17/12086) Stephan Thomae (FDP) Sonja Steffen (SPD) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Rudolf Henke (CDU/CSU) Dr. Edgar Franke (SPD) Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Carsten Schneider (Erfurt), Uwe Beckmeyer, Klaus Brandner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Privatkundengeschäft der Finanzagentur Deutschland GmbH fortsetzen (Drucksache 17/12062) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) Alexander Funk (CDU/CSU) Harald Koch (DIE LINKE) Otto Fricke (FDP) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) Bettina Hagedorn (SPD) Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags (Drucksache 17/12058) Antje Tillmann (CDU/CSU) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) Dr. Florian Toncar (FDP) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) Johannes Kahrs (SPD) Tagesordnungspunkt 18: a) Antrag der Abgeordneten Michael Gerdes, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Starke Forschung für die Energiewende (Drucksache 17/11201) b) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Energieforschung konsequent am Atomausstiegsbeschluss des Deutschen Bundestages ausrichten (Drucksache 17/11688) Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms Kreatives -Europa – KOM(2011) 785 endg.; Ratsdok. 17186/11 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes (Drucksachen 17/8227 Nr. A.51, 17/11107) Tagesordnungspunkt 20: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Dr. Martina Bunge, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs (Drucksachen 17/7196, 17/11556) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gesundheitliche Risiken des Drogengebrauchs verringern – Drugchecking ermöglichen (Drucksachen 17/2050, 17/11911) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) Karin Maag (CDU/CSU) Frank Tempel (DIE LINKE) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes (Drucksache 17/12059) Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Ulrich Schneider, Katja Dörner, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eigenständige -Jugendpolitik – Selbstbestimmt durch Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Emanzipation (Drucksache 17/11376) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Stefan Schwartze, Sönke Rix, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Mit einer -eigenständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben (Drucksache 17/12063) Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen (Tiergesundheitsgesetz – TierGesG) (Drucksache 17/12032) Alois Gerig (CDU/CSU) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen Bilger, Peter Götz, Armin Schuster (Weil am Rhein), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Werner Simmling, Birgit Homburger, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Projektbeiratsbeschluss bei der Rheintalbahn umsetzen (Drucksachen 17/11652, 17/11932) Steffen Bilger (CDU/CSU) Ulrich Lange (CDU/CSU) Ute Kumpf (SPD) Werner Simmling (FDP) Karin Binder (DIE LINKE) Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Durch Humanarzneimittel bedingte Umweltbelastung reduzieren (Drucksache 17/11897) Ingbert Liebing (CDU/CSU) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Horst Meierhofer (FDP) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 28: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Spahn, Dietrich Monstadt, Michael Grosse-Brömer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Jens Ackermann, Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP: Revision der europäischen Medizinprodukte-Richtlinien: Vertrauen wieder herstellen – Patientensicherheit bei Medizinprodukten muss erste Priorität sein – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherheit, Wirksamkeit und gesundheitlichen Nutzen von Medizinprodukten besser gewährleisten (Drucksachen 17/11830, 17/8920, 17/12088) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Mehr Sicherheit bei Medizinprodukten (Drucksachen 17/9932, 17/11312) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Kathrin Vogler, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Opfer des Brustimplantate-Skandals unterstützen – Keine Kostenbeteiligung bei medizinischer Notwendigkeit (Drucksachen 17/8581, 17/12092) Dietrich Monstadt (CDU/CSU) Dr. Marlies Volkmer (SPD) Jens Ackermann (FDP) Harald Weinberg (DIE LINKE) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke, Britta Haßelmann, -weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine angemessene Praxis bei Anträgen auf Kindergeldabzweigung durch die Sozialhilfeträger (Drucksachen 17/10863, 17/11748) Maria Michalk (CDU/CSU) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Pascal Kober (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – PStRÄndG) (Drucksache 17/10489) Helmut Brandt (CDU/CSU) Gabriele Fograscher (SPD) Manuel Höferlin (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Tagesordnungspunkt 29: a) Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, Sabine Stüber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kohleausstiegsgesetz nach Scheitern des EU-Emissionshandels (Drucksachen 17/12064, 17/9780) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Drucksachen 17/156, 17/9780) Jens Koeppen (CDU/CSU) Dr. Michael Paul (CDU/CSU) Ute Vogt (SPD) Michael Kauch (FDP) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Auf europäischer Ebene ein betrugssicheres, transparentes und bürokratiearmes Mehrwertsteuersystem schaffen (Drucksache 17/12065) Manfred Kolbe (CDU/CSU) Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) Holger Krestel (FDP) Richard Pitterle (DIE LINKE) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 32: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jens Petermann, Jan Korte, Agnes Alpers, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz (Drucksache 17/11701) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jens Petermann, Jan Korte, Agnes Alpers, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz (Drucksache 17/11703) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Dr. Edgar Franke (SPD) Marco Buschmann (FDP) Jens Petermann (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 33: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Hans-Christian Ströbele, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Prüfkriterien für Auslandseinsätze der Bundeswehr entwickeln – Unterrichtung und Evaluation verbessern (Drucksachen 17/5099, 17/8697) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) Johannes Pflug (SPD) Dr. Rainer Stinner (FDP) Inge Höger (DIE LINKE) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nächste Sitzung Berichtigung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Thomas Oppermann (SPD) zur Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zu dem Abkommen vom 21. September 2011 zwischen der Bundesrepublik und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt in der Fassung vom 5. April 2012 (Zusatztagesordnungspunkt 4 a) Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) zur Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden (Zusatztagesordnungspunkt 4 d) Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Thomas Oppermann (SPD) zur Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Jahressteuergesetz 2013 (Zusatztagesordnungspunkt 4 e) Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Jahressteuergesetz 2013 (Zusatztagesordnungspunkt 4 e) Michael Kauch (FDP) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) Patrick Meinhardt (FDP) Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) Marina Schuster (FDP) Manfred Todtenhausen (FDP) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Inge Höger und Ulla Jelpke (alle DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Jahressteuergesetz 2013 (Zusatztagesordnungspunkt 4 e) Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Frank Heinrich, Dr. Stefan Kaufmann, Jürgen Klimke, Dr. Rolf Koschorrek, Dr. Jan-Marco Luczak, Jens Spahn, Sabine Weiss (Wesel I), Elisabeth Winkelmeier-Becker, Dagmar G. Wöhrl und Dr. Matthias Zimmer (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Jahressteuergesetz 2013 (Zusatztagesordnungspunkt 4 e) Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Aschenberg-Dugnus, Florian Bernschneider, Sebastian Blumenthal, Claudia Bögel, Nicole Bracht-Bendt, Klaus Breil, Angelika Brunkhorst, Marco Buschmann, Reiner Deutschmann, Rainer Erdel, Jörg van Essen, Otto Fricke, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Manuel Höferlin, Heiner Kamp, Pascal Kober, Sebastian Körber, Harald Leibrecht, Dr. Erwin Lotter, Oliver Luksic, Horst Meierhofer, Gabriele Molitor, Petra Müller (Aachen), Dr. Martin Neumann (Lausitz), Gisela Piltz, Jörg von Polheim, Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Dr. Birgit Reinemund, Christoph Schnurr, Jimmy Schulz, Judith Skudelny, Joachim Spatz, Stephan Thomae, Serkan Tören, Johannes Vogel (Lüdenscheid) und Dr. Daniel Volk (alle FDP) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Jahressteuergesetz 2013 (Zusatztagesordnungspunkt 4 e) Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags (Tagesordnungspunkt 17) Roland Claus (DIE LINKE) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Starke Forschung für die Energiewende – Antrag: Energieforschung konsequent am Atomausstiegsbeschluss des Deutschen Bundestages ausrichten (Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) Michael Gerdes (SPD) Klaus Breil (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Vorschlag: für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms Kreatives Europa (Tagesordnungspunkt 19) Christoph Poland (CDU/CSU) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) Siegmund Ehrmann (SPD) Reiner Deutschmann (FDP) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes (Tagesordnungspunkt 21) Robert Hochbaum (CDU/CSU) Lars Klingbeil (SPD) Christoph Schnurr (FDP) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Eigenständige Jugendpolitik – Selbstbestimmt durch Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Emanzipation – Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben (Tagesordnungspunkt 22 und Zusatztagesordnungspunkt 6) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) Norbert Geis (CDU/CSU) Sönke Rix (SPD) Stefan Schwartze (SPD) Florian Bernschneider (FDP) Diana Golze (DIE LINKE) Ulrich Schneider (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 14 Amtliche Mitteilungen 217. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und fange dabei mit den Schriftführerinnen an. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Guten Morgen, Herr Präsident!) Bevor wir in unsere heutige Tagesordnung eintreten, gibt es eine Reihe von Geburtstagen zu würdigen. Heute begeht die Kollegin Dr. Rosemarie Hein ihren 60. Geburtstag, zu dem ich ihr ganz herzlich gratulieren möchte. (Beifall) Das krönt gewissermaßen die Reihe der Geburtstage, die in der Weihnachtspause und unmittelbar danach stattgefunden haben: am 20. Dezember die Kollegin Marlene Rupprecht, am selben Tag die Kollegin Lena Strothmann und am 29. Dezember die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl. Sie alle haben ihren 60. oder 65. Geburtstag gefeiert. Wer dies ganz präzise haben möchte, den verweise ich auf den Kürschner, in dem Sie all die Informationen finden, wenn Sie diese nicht ohnehin im Kopf haben. (Beifall) – Ich bin noch nicht durch. – Am 31. Dezember hat der Kollege Klaus Hagemann seinen 65. Geburtstag gefeiert, am 6. Januar der Staatsminister Bernd Neumann seinen 71., am 7. Januar der Kollege Bernd Scheelen seinen 65., am 12. Januar der Kollege Friedrich Ostendorff seinen 60., am 13. Januar der Kollege Norbert Geis seinen 74. und gestern der Kollege Gregor Gysi seinen 65. Geburtstag. (Beifall) Ihnen allen einzeln und gemeinsam alle denkbar guten Wünsche für das neue Lebensjahr. Wir freuen uns auf eine weitere gute, bewährte und hinreichend eingeübte Zusammenarbeit. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Hatte der Kollege Steinbrück nicht auch Geburtstag? – Gegenruf des Abg. Peer Steinbrück [SPD]: Steinmeier auch!) Der Kollege Fritz Kuhn hat, wie den meisten von Ihnen aufgefallen sein wird, eine neue Aufgabe übernommen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und deswegen mit Wirkung vom 7. Januar 2013 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Heiterkeit) Ich habe mir fast gedacht, dass die Begeisterung über die beiden Hälften dieser Mitteilung unterschiedlich ausfällt. (Heiterkeit) Für ihn ist die Kollegin Susanne Kieckbusch nachgerückt, die ich herzlich begrüße. (Beifall) Auch der Kollege Christian Ahrendt, der zum Bundesrechnungshof gewechselt ist, hat mit Wirkung vom 8. Januar 2013 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. An seiner Stelle begrüße ich als neuen Kollegen Hagen Reinhold in der FDP-Fraktion. (Beifall) Ihnen beiden ein herzliches Willkommen und gute Zusammenarbeit. Schließlich möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, den Tagesordnungspunkt 24 abzusetzen. Die Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen rücken entsprechend vor. Außerdem soll die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte erweitert werden: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Steuerbeschlüsse der SPD sowie Steuererhöhungspläne des SPD-Kanzlerkandidaten und ihre Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b GO-BT zu den Antworten der Bundesregierung auf die Frage 8 auf Drucksache 17/12041 (siehe 216. Sitzung) ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Klaus-Peter Flosbach, Peter Aumer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Daniel Volk, Holger Krestel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Schärfere und effektivere Regulierung der Finanzmärkte fortsetzen – Drucksache 17/12060 – ZP 4 Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses a) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zu dem Abkommen vom 21. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt in der Fassung vom 5. April 2012 – Drucksachen 17/10059, 17/11093, 17/11096, 17/11635, 17/11693, 17/11840 – Berichterstattung: Abgeordneter Thomas Oppermann b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts – Drucksachen 17/10774, 17/11180, 17/11189, 17/11217, 17/11634, 17/11694, 17/11841 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Michael Meister c) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zum Abbau der kalten Progression – Drucksachen 17/8683, 17/9201, 17/9202, 17/9644, 17/9672, 17/11842 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Michael Meister d) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden – Drucksachen 17/6074, 17/6251, 17/6358, 17/6360, 17/6584, 17/7544, 17/11843 – Berichterstattung: Abgeordneter Stefan Müller (Erlangen) e) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Jahressteuergesetz 2013 – Drucksachen 17/10000, 17/10604, 17/11190, 17/11191, 17/11220, 17/11633,  17/11692, 17/11844 – Berichterstattung: Abgeordneter Thomas Oppermann ZP 5 Vereinbarte Debatte zu steuerpolitischen Beschlüssen ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Stefan Schwartze, Sönke Rix, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben – Drucksache 17/12063 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Kathrin Vogler, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Opfer des Brustimplantate-Skandals unterstützen – Keine Kostenbeteiligung bei medizinischer Notwendigkeit – Drucksachen 17/8581, 17/12092 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Marlies Volkmer Dabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Schließlich darf ich noch auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam machen: Der am 29. November 2012 (211. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts – Drucksache 17/11468 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Ich frage Sie, ob Sie mit all diesen Vereinbarungen einverstanden sind. – Das ist offenkundig der Fall. Dann haben wir eine einvernehmliche Tagesordnung. Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, darf ich Sie über eine weitere Veränderung in Kenntnis setzen. Mit Beginn des Jahres hat Herr Dr. Risse die Position des Direktors beim Deutschen Bundestag eingenommen. (Beifall) Den meisten wird er hinreichend bekannt sein; aber wir begrüßen ihn heute das erste Mal in dieser neuen Aufgabe und freuen uns auf die Zusammenarbeit. Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Jahreswirtschaftsbericht 2013 – Wettbewerbsfähigkeit – Schlüssel für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und Europa b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 2013 der Bundesregierung – Drucksache 17/12070 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2012/13 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – Drucksache 17/11440 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eine Debattenzeit von 90 Minuten vorgesehen. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Philipp Rösler. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Schauen wir uns die Zahlen des Jahreswirtschaftsberichts doch einfach einmal an: (Klaus Barthel [SPD]: Gerne!) 0,7 Prozent Wachstum waren im letzten Jahr zu verzeichnen, und das, obwohl die Wirtschaft im übrigen Teil der Euro-Zone seit mehr als vier Quartalen schrumpft. (Klaus Barthel [SPD]: Dafür haben Sie ja gesorgt! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wie die FDP!) Wir liegen damit bei den Wachstumswerten europaweit an der Spitze. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nicht so die FDP!) In der Folge gibt es mehr Chancen für mehr Menschen, Rekordbeschäftigung, höhere Einkommen, niedrigere Schulden. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist los? Hohe Einkommen?) Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Es ist kein Zufall, dass Deutschland europaweit am besten durch die Krise gekommen ist. Es ist kein Zufall, dass wir wirtschaftlich gut dastehen. Es ist auch kein Zufall, dass jeden Tag neue Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden. Das ist ein Verdienst der Menschen in unserem Lande, aber es ist auch ein Verdienst der Politik dieser Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen des Abg. Rolf Hempelmann [SPD]) Während die Opposition ihre eigenen Leute und ihre eigenen Mitarbeiter mit Hausbesuchen beglückt, arbeiten Union und FDP weiter an der nächsten Etappe dieser deutschen Erfolgsgeschichte: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP arbeitet vor allem daran, wieder auf 5 Prozent zu kommen!) für die Unternehmen, auf dem Arbeitsmarkt, für die öffentlichen und für die privaten Haushalte. Ich sage Ihnen: Die deutsche Wirtschaft hat alle Chancen. Für das Jahr 2013 erwarten wir ein Wachstum von 0,4 Prozent. (Klaus Barthel [SPD]: Wahnsinn!) Diese technische Zahl darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir für das Jahr 2013 natürlich ein starkes Wachstum und für das Jahr 2014 mit 1,6 Prozent ein noch viel stärkeres Wachstum erwarten. Auch in diesem und in den nächsten Jahren bleibt Deutschland der Stabilitätsanker in Europa und der Wachstumsmotor in Europa und für Europa, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Warum haben wir reduzierte Wachstumszahlen? Der Grund dafür liegt allein in der Wachstumsdelle im Winterhalbjahr 2012. (Manfred Zöllmer [SPD]: Wir haben weniger Wachstum, weil wir weniger Wachstum haben!) Diese wiederum hat ihre Ursache zum einen in der weltwirtschaftlichen Lage, zum anderen aber auch in der Verunsicherung innerhalb der Euro-Zone. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Herr Rösler! Was war denn mit Griechenland?) Insofern ist es richtig, dass wir alles dafür tun, die Euro-Zone weiter zu stabilisieren. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sagt der Richtige!) Wenn Sie sich die entsprechenden Zahlen und die Stimmung auch auf den europäischen Märkten ansehen, dann werden Sie feststellen: Wir sind auf einem ausgesprochen guten Weg. Die Märkte fassen wieder Vertrauen in die Euro-Zone; das sieht man an den niedrigeren Zinsen. Vor allem aber fassen auch die Unternehmen und die Menschen wieder Vertrauen in unsere gemeinsame Währung. Das ist ein Verdienst unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel, des Finanzministers Wolfgang Schäuble, aber auch der gesamten Regierungskoalition. Wir haben Schluss gemacht mit Schulden. Wir haben für einen neuen Stabilitätspakt, für eine Stabilitätsunion gesorgt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deswegen vertrauen die Menschen unserer gemeinsamen Währung, dem Euro. Vergessen wir nicht, wie verheerend Ihre Europapolitik war: Sie waren es doch, die den Stabilitätspakt I willentlich aufgelöst haben. Jetzt wollen Sie eine Vergemeinschaftung der Schulden durch Euro-Bonds, und Sie wollen an die Einlagensicherung der kleinen Sparer in Deutschland gehen. Wenn wir uns Ihre Europapolitik ansehen, angefangen bei Gerhard Schröder und Joschka Fischer bis hin zu Ihrer Trümmer-Troika, dann wissen wir doch eines: Die rot-grüne Europapolitik war auch das historische Versagen von Rot und Grün in Deutschland und in Europa. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir müssen und wir werden gemeinsam die Währung stabilisieren, und wir sind dabei auf einem guten Wege. Wir sind bereit, einen Preis dafür zu zahlen; denn wir alle kennen den Wert Europas für unser Land. (Klaus Barthel [SPD]: Vergemeinschaftung, oder was?) Den Preis, den die Sozialdemokraten offensichtlich gerne zahlen würden, sind wir aber nicht zu zahlen bereit: Das ist der Preis der Geldwertstabilität. (Burkhard Lischka [SPD]: Holen Sie hier jetzt Ihr verkorkstes Dreikönigstreffen nach?) Eine Schwächung der Währung, Inflation, ein Zusammenbruch der Währung träfe nicht die Reichen und die Superreichen. Durch eine Inflation oder einen Zusammenbruch der Währung würde die Mitte in unserer Gesellschaft enteignet, diejenigen, die ihr Leben lang hart gearbeitet und sich für das Alter etwas zur Seite gelegt haben. Einer solchen Enteignung dürfen wir niemals zustimmen. Deswegen kämpfen wir für die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Ihr macht aber das Gegenteil!) Wir kämpfen (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Um das eigene Überleben!) auch für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Die beste Basis für eine starke Wirtschaft (Manfred Zöllmer [SPD]: Wäre ein besserer Wirtschaftsminister!) sind solide Haushalte im Bund und in den Ländern. Deswegen treten wir für eine wachstumsorientierte Konsolidierungspolitik ein. Wir sind dabei sehr erfolgreich. (Ulrich Kelber [SPD]: Deswegen geht das Wachstum in jedem Jahr Ihrer Ministerzeit zurück!) Vier Jahre früher, als es die Schuldenregel vorgibt, haben wir im Rahmen der Schuldenbremse solide Haushalte auf den Weg gebracht. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Wo denn? – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Ihr Konsolidierungsbeitrag?) Wir haben gemeinsam vor, für das Jahr 2014 einen strukturell ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen. Damit gerät das Ziel, das wir uns vorgenommen haben – einen ausgeglichenen Bundeshaushalt für 2016 –, in greifbare Nähe. Das wäre dann, meine Damen und Herren, der erste ausgeglichene Bundeshaushalt seit mehr als 50 Jahren. Das zeigt die Solidität, die Stabilität in der Haushalts- und Finanzpolitik dieser Regierungskoalition. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Schauen wir uns nun Ihre Politik an: Sie sind gegen eine Schuldenbremse in den Bundesländern. Das beste Beispiel ist Niedersachsen, wo die Sozialdemokraten gerade eine entsprechende Verfassungsänderung abgelehnt haben. In Nordrhein-Westfalen hat Rot-Grün gerade beschlossen, die Schuldenbremse bis zum Jahre 2020 nicht einhalten zu wollen. Das, meine Damen und Herren, ist Verfassungsbruch mit Ansage. (Manfred Zöllmer [SPD]: Was ist das für ein Blödsinn?) Die Schulden in Deutschland, die Schulden im Bund und in den Ländern, haben zwei Farben, nämlich Rot und Grün. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Belegen Sie das! – Ulrich Kelber [SPD]: Wir halten die Schuldenbremse schneller ein als geplant! Das ist eine Lüge! – Burkhard Lischka [SPD]: Wer schreibt Ihnen so einen Quatsch auf?) Sie belasten nicht nur die nachfolgenden Genera-tionen, Sie wollen schon heute den Menschen in die Tasche greifen. Nach dem Steinbrück-Papier, nach den Steinbrück-Thesen würden, wie im Tagesspiegel zu lesen war, nicht nur Familienunternehmer, sondern auch Angestellte um bis zu 16 Prozent stärker belastet. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ach Gott! – Weiterer Zuruf von der SPD: Mövenpick!) Wenn man das, was die Grünen vorschlagen, hinzurechnet, erkennt man: Rot und Grün sind gut für 40 Milliarden Euro Mehrbelastung der Menschen. Sie können gar nicht genug kriegen vom Abkassieren. Das ist Ihre Politik: Entweder Sie machen Schulden, und/oder Sie holen sich das Geld bei den Menschen. Das Gegenteil ist notwendig: Sie müssen daran arbeiten, die Menschen zu entlasten. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das sagt die FDP mit ihrer Klientelpolitik! Mehrwertsteuer! Mövenpick! – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das falsche Manuskript!) Ich sage Ihnen: All das, was Sie sich vorgenommen haben, was Sie sich erträumen für Deutschland, das können wir in Europa schon heute umgesetzt sehen, sei es die Einführung einer Vermögensteuer, die Erhöhung der Erbschaftsteuer oder ein hoher Spitzensteuersatz. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, Sie reden über Wirtschaft in Deutschland!) Es wäre egal, wenn dann einige Schauspieler unser Land verlassen. (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber wenn dank Ihrer Politik mittelständische Unternehmen darüber nachdenken, Deutschland zu verlassen, dann müssen wir aufmerksam werden; denn es sind unsere Mittelständler, die neue Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen. Dafür müssen wir gemeinsam kämpfen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Weil Sie nichts für den Mittelstand tun! – Zurufe von der SPD) Anstatt die Menschen zu belasten, wie Sie das gemeinsam vorhaben, wäre es klug, diejenigen zu entlasten, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ihre Klientel, ja! – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mövenpick!) die uns das Wachstum und den Wohlstand in Deutschland erarbeiten. Kommen wir einmal zu der Entlastung. In diesem Jahr, 2013, hat ein durchschnittlicher Angestellter laut Gesellschaft für Konsumforschung 550 Euro mehr Netto. 550 Euro mögen für Sozialdemokraten nicht viel sein – dafür bekommt man vielleicht ein paar Flaschen Pinot Grigio; ich weiß es nicht genau –, (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das reicht für eine halbe Minute Steinbrück-Rede! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll das?) aber für die Menschen da draußen ist das verdammt viel Geld. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was ist mit den Strompreisen?) Fast 7 Milliarden Euro Entlastung durch die Senkung des Rentenversicherungsbeitrages, fast 1 Milliarde Euro Entlastung durch die Anhebung des Grundfreibetrages und 1,8 Milliarden Euro Entlastung durch die Abschaffung der Praxisgebühr in Deutschland: (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das war nicht Ihre Entscheidung!) Das ist Politik für die Mitte in unserem Lande, das ist Politik, die bei den Menschen ganz konkret ankommt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Und die Belastung durch die Strompreise durch Ihre Politik!) Kommen wir zu den Energiepreisen. Es bedeutet eine Belastung und eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit, wenn wir es nicht schaffen, die Energiepreise in den Griff zu bekommen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie tun aber nichts!) Deswegen brauchen wir eine grundlegende Reform des Gesetzes zur Förderung der erneuerbaren Energien. (Rolf Hempelmann [SPD]: Warum macht ihr es denn nicht?) Das, was wir jetzt haben, ist ein planwirtschaftliches System. Damit kennt sich vielleicht die Linkspartei aus, aber damit werden wir die Preise nicht in den Griff bekommen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Fragen Sie einmal Frau Aigner!) Deswegen haben wir uns vorgenommen, diese Reform anzugehen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wann denn?) Wir wollen drei Dinge gemeinsam: Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie für 4 Millionen Unternehmen in Deutschland, vor allem aber auch für 40 Millionen Haushalte, die alle unter den Strompreisen zu leiden haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dann tun Sie doch etwas! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn hier?) Schauen Sie sich die Ergebnisse dieser Politik auf dem Arbeitsmarkt doch einmal an: die höchste Beschäftigungszahl seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, 41,6 Millionen Erwerbstätige, die niedrigste Arbeitslosenquote seit der deutschen Wiedervereinigung, die Arbeitslosigkeit im Vergleich zu rot-grünen Zeiten abgebaut, 2 Millionen Menschen mehr in Lohn und Brot, 2 Millionen Chancen mehr für Menschen und ihre Familien. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur 29 Millionen sozialversicherungspflichtig!) Schauen Sie sich die Zahlen wirklich an! 117 Seiten Jahreswirtschaftsbericht. Was die Menschen wirklich spüren: Sie bemerken die Verbesserungen nicht anhand der Kennzahlen, aber in ihrem eigenen persönlichen Leben. Ich sage Ihnen: Deutschland geht es gut, den Menschen in unserem Lande geht es gut, und wir als Regierungskoalition stehen dafür, dass genau dies auch in Zukunft so bleibt. Das ist unser gemeinsamer Auftrag, und das sagt der Jahreswirtschaftsbericht für 2013. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es wird der richtige Weg sein, alles dafür zu tun, die Euro-Zone weiter zu stabilisieren, damit das Vertrauen der Menschen und der Unternehmen noch weiter zunehmen kann, (Rolf Hempelmann [SPD]: Was heißt das?) damit sie wieder anfangen, zu investieren, und die Investitionsbereitschaft zunimmt, für stabiles Geld zu sorgen – für Menschen und Unternehmen gleichermaßen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss man etwas dafür tun!) Es wird der richtige Weg sein, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, neben Rohstoffversorgung und Fachkräftesicherung vor allem dafür zu sorgen, dass Energie auch in Zukunft bezahlbar bleibt, und diejenigen am Ende zu entlasten, die uns diesen Wohlstand erwirtschaften, nämlich die Menschen in unserem Lande. Das ist die Politik, die Deutschland braucht, um Wachstum zu verstetigen und für Wohlstand und Beschäftigung zu sorgen. Der Jahreswirtschaftsbericht drückt das nicht nur in seinen Zahlen aus, sondern er zeigt auch, dass dieser Politikansatz richtig ist. Sie denken nur ans Abkassieren, Weitergeben und Umverteilen. (Lachen des Abg. Rolf Hempelmann [SPD]) Es muss eben auch eine Koalition geben, so wie wir, die an diejenigen denkt, die uns all das erwirtschaften. (Rolf Hempelmann [SPD]: Deshalb seid ihr auch so beliebt im Land!) Sie gilt es zu stärken und zu entlasten. Das ist unsere politische Botschaft für das Wirtschaftsjahr 2013. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Anhaltender Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne nun die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister für Wirtschaft, der Sie ja sein sollen, Herr Rösler, (Zuruf von der CDU/CSU: Er ist es!) ich finde einen Satz in Ihrer launigen Rede von eben sehr bemerkenswert, nämlich den schönen Satz, es sei nicht schlimm, wenn Schauspieler Deutschland verließen. Ich sage Ihnen, es wäre gut, wenn schlechte Laiendarsteller diese Regierung verließen. Das sage ich Ihnen ganz deutlich (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ha, ha, ha!) Wenn es wirklich so wäre, Herr Rösler, dass die Wachstumsentwicklung in diesem Land etwas mit Ihnen zu tun hätte, (Volker Kauder (CDU/CSU): Mann, war das eine tolle Nummer! Ha, ha, ha! dann müssten wir einmal einen Blick auf die Wachstumsentwicklung in Ihrer Amtszeit werfen: Sie sind mit 3 Prozent gestartet, haben dann 0,7 Prozent gehabt, und müssen jetzt auf 0,4 Prozent herunter. Wenn es so wäre, dass Sie mit dem Wirtschaftswachstum in Deutschland etwas zu tun hätten, dann müsste man sagen: Durch Sie ist das Wachstum in Deutschland noch stärker geschrumpft als die Wahlergebnisse der FDP. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben hier keine Rede eines Bundeswirtschaftsministers erlebt, sondern die eines FDP-Vorsitzenden, der um sein nacktes Überleben als Politiker kämpft. (Unruhe bei der CDU/CSU) Das, Herr Rösler, ist angesichts der wirtschaftlichen Lage in diesem Land nicht angemessen. Gucken wir uns die wirtschaftlichen Daten an! Sie mussten die Wachstumserwartung für dieses Jahr auf 0,4 Prozent herunterschrauben. Das hat nicht nur Gründe in Deutschland, sondern das hat vor allen Dingen damit zu tun, dass die Krise, die wir bis dato besser überstanden haben als andere Volkswirtschaften in Europa, jetzt nach Deutschland zurückkommt. Wir als Exportnation erleben, dass die Nachfrage im Ausland, vor allen Dingen in der Euro-Zone, zusammengebrochen ist. Das hat Folgen für die deutsche Wirtschaft. Deshalb müssen Sie sich nicht zurechnen lassen, dass in anderen Ländern tatsächlich auch Fehler gemacht wurden – das ist nicht Ihr Problem –, aber Sie, Frau Merkel, haben in den letzten drei Jahren die Krise in -Europa nicht gelöst, sondern mit der Art und Weise, wie Sie sie gemanagt haben, diese Krise verschärft. Daher tragen Sie, Frau Merkel, die Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung, die jetzt nach Deutschland zurückkommt. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Heil, das glauben nicht einmal Ihre Wohnzimmerfreunde! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh, oh!) Wir haben erlebt, dass Sie sich drei Jahre lang in Deutschland auf guten konjunkturellen Entwicklungen, auf Entscheidungen der Vorgängerregierung ausgeruht haben. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben keine Zukunftsvorsorge getroffen. Sie haben tatsächlich von dem Mut Ihrer Vorgängerregierungen für Veränderungen in diesem Land profitiert. Sie haben davon profitiert, dass die Große Koalition mit Olaf Scholz veränderte Regeln zur Kurzarbeit eingeführt hat, Sie haben davon profitiert, dass wir Konjunkturprogramme auf den Weg gebracht haben. Das hat Deutschland in den letzten drei Jahren stabilisiert. (Beifall bei der SPD) Aber Sie, Herr Rösler, haben in diesen Jahren die Chance verpasst, sich für schwierigere Zeiten zu wappnen. Ich kann Ihnen das an einzelnen Stellen nachweisen. Sie haben es ja geschafft, nach drei Jahren guter konjunktureller Entwicklung und nach recht positiven Entwicklungen am Arbeitsmarkt jetzt bei der Bundesagentur für Arbeit ein Milliardendefizit in die Kasse zu reißen. (Zuruf von der FDP: Quatsch!) Sie müssen sich fragen lassen, ob das tatsächlich das ist, was wir brauchen; denn möglicherweise brauchen wir wieder veränderte Regeln zur Kurzarbeit, und zwar weit über das hinaus, wie Sie jetzt zaghaft einräumen, was in diesem Land notwendig ist. Es ist sinnvoller, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Deshalb werden wir entsprechende Vorschläge in den Deutschen Bundestag einbringen. (Beifall bei der SPD) Was haben Sie in drei Jahren guter konjunktureller Entwicklung mit der Art und Weise, wie Herr Schäuble mit dem Haushalt umgegangen ist, gemacht? Sie hätten die Neuverschuldung in diesem Land stärker senken können, aber Sie haben mit Buchungstricks versucht, Ihre Haushaltszahlen zu schönen, indem Sie beispielsweise die Kasse der Kreditanstalt für Wiederaufbau plündern, und zwar gegen die über Jahrzehnte hinweg praktizierte Übung. (Ulrich Kelber [SPD]: Bankraub ist das! – Patrick Döring [FDP]: SPD-Vorschläge!) Die KfW, die Kreditanstalt für Wiederaufbau, wird in Zukunft dringend gebraucht, und die braucht tatsächlich Unterstützung in diesem Land und keinen Bundesfinanzminister, der seine klebrigen Finger in das Portfolio der KfW steckt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Mann, sind Sie ein primitiver Kerl!) Nein, meine Damen und Herren, Zukunftsvorsorge sieht anders aus. Wir brauchen eine aktive Wirtschaftspolitik, die jetzt anpackt, (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hände weg von der KfW!) die auch dafür sorgt, dass das, was strukturell in diesem Land notwendig ist, stattfinden kann. Die deutsche Wirtschaft muss wettbewerbsfähig bleiben, gar keine Frage. Dafür brauchen wir stärkere Unterstützung für Investitionen in Deutschland, beispielsweise steuerliche Forschungsförderung; die haben Sie versprochen, aber an dieser Stelle eben nicht geliefert. Wir brauchen nicht nur eine stärkere Wettbewerbsfähigkeit, sondern wir bleiben in Deutschland auch hinsichtlich der Binnennachfrage weit unter unseren Möglichkeiten. Der Schlüssel dazu sind nicht irgendwelche Stellschrauben allein im Steuersystem, der Schlüssel dazu ist, dafür zu sorgen, dass wir eine faire Entwicklung bei Löhnen und Gehältern in diesem Land bekommen. Wir brauchen eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt, damit die Menschen tatsächlich faire Löhne bekommen. Das stützt die Kaufkraft und die Binnennachfrage in diesem Land. Auch das verweigert diese Bundesregierung. (Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: Ihr wollt doch mehr Inflation!) Ich schaue einmal in diesen Jahreswirtschaftsbericht, in dieses Dokument Ihrer Untätigkeit, und zitiere mit der Erlaubnis des Herrn Präsident aus dem Bericht, Seite 47. Frau Merkel, hören Sie gut zu; denn das ist kennzeichnend für Ihre Regierung. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie arroganter Kerl, Sie! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) – Sie werden erlauben müssen, dass eine Opposition einer Regierung aus Ihrem eigenen Bericht vorliest. Oder macht Sie schon das nervös? (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Führen Sie sich nicht auf wie ein Oberlehrer! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aufgeblasener Kerl! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Niveau von Eierlikör!) Ich lese Ihnen einen Satz auf Seite 47 vor – Zitat –: Die Meinungsbildung zu einer allgemeinen gesetzlichen Lohnuntergrenze ist innerhalb der Regierungskoalition nicht abgeschlossen. Wie lange diskutieren wir in Deutschland über den gesetzlichen Mindestlohn? Sie müssen hier vorankommen. Sie sind eine Koalition der wechselseitigen Blockade. Aber Sie schaffen keinen gesetzlichen Mindestlohn in diesem Land. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Heil, darf Ihnen der Kollege Lindner eine Zwischenfrage stellen? Hubertus Heil (Peine) (SPD): Bitte schön. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Herr Kollege Heil, ich stelle Ihnen eine Frage, weil Sie uns gerade erzählten, dass diese Koalition nicht für Schuldenabbau steht. – Haben Sie heute den General-Anzeiger Bonn gelesen? Minister Walter-Borjans – kennen Sie den? – sagt: Schulden sind kein Drama. – Das ist die Überschrift. – Er sprach davon, dass es in Deutschland ein gesundes Verhältnis von Schulden, Vermögen und Einkommen gebe. Die gesamten Schulden beliefen sich auf etwa 6 Milliarden Euro. Er wolle damit nicht sagen, dass die Landesschulden nicht zurückgezahlt werden müssten. Aber das sei alles gar kein Problem. Problematisch sei es, wenn die Menschen das Gefühl hätten, dass sie das Geld nicht mehr zurückbekämen, das sie dem Staat liehen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie uns hier erzählen. Dort, wo Sie Verantwortung tragen, in Nordrhein-Westfalen und anderswo, machen Sie genau das Gegenteil dessen, was Sie gesagt haben: noch mehr Schulden und eine Aushebelung der Schuldenbremse. Sie wollen Inflation, Sie bekennen sich zur Inflation. Aber das ist genau das Gegenteil von dem, was der Mittelstand, die Mittelschicht braucht. Die Mittelschicht in Deutschland legt ihr Geld in Lebensversicherungen und Barvermögen an. Das unterscheidet übrigens die Mittelschicht in Deutschland von der US-Mittelschicht. Wenn Sie hier diesen Kurs in Deutschland realisieren, sei es in Niedersachsen oder sonst wo, dann entwerten Sie das Vermögen der ganz normalen Menschen in der Mittelschicht, die hart für dieses Geld gearbeitet haben. Das ist die Wahrheit. Das ist der große Unterschied zu dem, was Sie uns hier erzählen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sind Sie zu Ende, Herr Lindner? (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Ich kenne den Artikel aus dem General-Anzeiger! Das ist ein falsches Zitat!) Herr Dr. Lindner, ich danke Ihnen für die Gelegenheit, auf diese – ich sage es einmal so – Zwischenbemerkung (Jörg van Essen [FDP]: Zwischenintervention!) – auf diese Zwischenintervention – zu antworten. Das mache ich sehr gern. Ich will Ihnen Folgendes sagen: Was den Bundeshaushalt betrifft, so haben Sie die Chance verpasst, tatsächlich dafür zu sorgen, dass wir von der hohen Neuverschuldung in Deutschland herunterkommen. In Zeiten guter konjunktureller Entwicklung haben Sie Folgendes gemacht: Sie haben mit Ihrer Hotelsteuer Klientelinteressen bedient. (Zurufe von CDU/CSU und FDP: Ah!) Sie haben gleichzeitig mit dem unsinnigen Betreuungsgeld 2 Milliarden Euro verschleudert. Sie verschleudern Steuergeld, weil Sie den Mindestlohn nicht einführen. Was ist denn die Realität? Die Realität ist, dass immer mehr Menschen in Deutschland zwar Vollzeit arbeiten, aber sich dann ergänzend dazu Arbeitslosengeld II, also Steuergeld, vom Amt abholen müssen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sagen Sie mal etwas zu dem, was ich gesagt habe!) Wir sagen: Mit einem Mindestlohn hätten wir Steuermehreinnahmen für Investitionen. Diese Investitionen sind bei Kommunen, Ländern und im Bund notwendig: in Schulen, in Bildung, in Infrastruktur. Diese Möglichkeiten verspielen Sie mit der Art und Weise, wie Sie Politik gemacht haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben das Ergebnis von drei Jahren guter Konjunktur verfrühstückt. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb, Herr Lindner, herzlichen Dank für diese Gelegenheit. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie sagen nichts zu Ihrem Minister!) Wenn wir über die wirtschaftspolitische Bilanz von Herrn Rösler und dieser Bundesregierung reden, dann müssen wir auch über Energiepolitik in diesem Land reden. Herr Rösler, Sie haben eben gesagt: man müsste einmal, man sollte einmal. Deutschland könnte mit einer gelungenen Energiewende, die im Kern eine Riesenchance für dieses Land ist, in einer Welt, die einen großen Energiehunger hat, Ausrüster der Welt sein: bei erneuerbaren Energien, bei Energieeffizienz, bei modernen Energieversorgungssystemen. Sie haben in Ihrer Amtszeit aus der Chance der Energiewende ein wirtschaftliches und ein soziales Risiko für Deutschland gemacht. Die Strompreise steigen, die Versorgungssicherheit ist gefährdet, und Rösler und Altmaier als Mitglieder dieser Bundesregierung zanken sich wie zwei Kinder um – – (Zurufe von der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Der Streit ist so schlimm! Da kann man sich mal verhaspeln!) – Das passiert Ihnen natürlich nie. Herr Hinsken, es regt mich wirklich auf, wie sich Herr Altmaier und Herr Rösler wechselseitig blockieren, wenn es um die notwendigen Maßnahmen geht. – Wo ist denn Ihr Masterplan zur Energiewende? Die Art und Weise, wie Sie die Energiewende gegen die Wand fahren, wird zu einem wirtschaftlichen Risiko in diesem Land. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Strompreise sind dramatisch gestiegen, insbesondere für Unternehmen, die nicht von den Ausnahmeregelungen profitieren, die Sie auf eine Art und Weise ausgeweitet haben, die nur noch unsinnig zu nennen ist. Die Stromzahler, die Verbraucher und diese Unternehmen, haben die Kosten dafür zu wuppen. Wir erleben, dass es zum sozialen Problem wird, wenn Strompreise steigen. Wo sind Ihre Sofortmaßnahmen, und wo ist Ihr Masterplan, um die Energiewende zum Erfolg zu führen? Nein, Herr Rösler, das nenne ich Energiewendeversager. In der Art und Weise, wie Sie das machen, werden Sie zum wirtschaftlichen Risiko. Wenn Sie das nicht glauben, dann fahren Sie einmal in unsere niedersächsische Heimat und informieren sich darüber, wie gerade die SIAG Nordseewerke in die Insolvenz getrieben wurden, weil Sie die Planungs- und Investitionssicherheit für die Energieversorgung in Deutschland kaputtgemacht haben. Das ist die Schadensbilanz Ihrer Energiepolitik. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unterm Strich erleben wir zurzeit eine Situation, die wir realistisch einschätzen müssen. Deutschland hat gute Voraussetzungen, aus dieser schwierigen Situation herauszukommen. Aber das liegt nicht an dieser Bundesregierung, sondern daran, dass wir in diesem Land eine breite industrielle Wertschöpfungskette haben: von den Grundstoffindustrien über die kleinen und mittelständischen Unternehmen bis zu den Hightechschmieden. Wir haben in Deutschland die Möglichkeit, mit der Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, die es bei uns gibt, vernünftige Lösungen zu finden. Was wir brauchen, ist eine politische Rahmensetzung und eine aktive Wirtschaftspolitik, die diese Voraussetzungen und Chancen nutzt. Wir dürfen nicht zugucken, wie die Energiepreise steigen und eine Spaltung von Gesellschaft und Arbeitsmarkt entsteht. Zum Thema Fachkräftesicherung habe ich eben nur warme Worte gehört, Herr Rösler. Was ist denn notwendig, um die Spaltung am Arbeitsmarkt abzuwenden? Wir haben zurzeit die Situation, dass auf der einen Seite immer mehr Unternehmen, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, in einzelnen Regionen händeringend qualifizierte Fachkräfte suchen und auf der anderen Seite Menschen in prekärer Arbeit und Langzeitarbeitslosigkeit abgehängt sind. Diese Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, wäre Aufgabe dieser Bundesregierung. Aber Sie legen nichts vor. Im Gegenteil: Sie vertiefen die Spaltung, weil Sie die prekäre Arbeit in Deutschland mit Ihren unsinnigen Maßnahmen zu den Minijobs noch ausweiten, weil Sie sich dem Mindestlohn verweigern und weil Sie keinen gleichen Lohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen und für Stamm- und Leihbelegschaften in Unternehmen ermöglichen. Das ist der Zusammenhang. Sie haben nicht begriffen, dass wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit keine Gegensätze, sondern wechselseitige Bedingungen sind. Wir brauchen eine vorausschauende Wirtschaftspolitik, die die Chancen dieses Landes nutzt, statt zuzugucken, wie die Gesellschaft dabei zerfällt. Herr Rösler, wenn ich daran denke, welche Gesetzgebungsinitiativen Sie in den letzten drei Jahren an die Wand gefahren oder gar nicht erst ergriffen haben, (Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Um Gottes willen!) dann muss ich sagen: Wir haben leider Gottes im Moment einen Totalausfall im Bundeswirtschaftsministerium, der zum Risiko für dieses Land wird. Deshalb brauchen wir den Politikwechsel in der Wirtschaftspolitik in Deutschland. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben einen Totalausfall ganz woanders! Schauen Sie mal Ihre Totalausfälle an! Die sitzen heute hier!) – Herr Kauder, angesichts Ihrer Zwischenrufe müssen Sie heute wirklich sehr nervös sein. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Ich bin ganz fröhlich!) Ich sage Ihnen, Herr Kauder: Wenn wir ernsthaft über die wirtschaftliche Situation in diesem Land diskutieren wollen, dann werden auch Sie in diesem Zusammenhang nicht bestreiten können, dass wir einen Bundeswirtschaftsminister haben, der ein Problem für diese Koalition geworden ist. Er ist mehr mit der Krise seiner Partei als mit der Krise der Wirtschaft beschäftigt. Das nimmt viel Arbeitskraft weg. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Er macht das ausgezeichnet!) Wenn andere Teile der Regierung das kompensieren würden, wäre es gut. Aber die Wahrheit ist: Sie sind eine Koalition, die sich bei den Themen wechselseitig blockiert. Beim Mindestlohn sagen die einen hü, die anderen hott. Bei der Fachkräftesicherung gibt es keine Initiative, bei der Energiewende wechselseitige Blockaden, bei der steuerlichen Forschungsförderung einen Totalausfall, und bei der Krise, die wir in Europa zu bewältigen haben, gab es – daran sei erinnert – das unverantwortliche Gerede durch den Bundeswirtschaftsminister im vergangenen Jahr, das die Krise eher verschärft hat. Nein, meine Damen und Herren, wir brauchen den Politikwechsel in der Wirtschafts- und in der Sozialpolitik in Deutschland. (Beifall bei der SPD) Der Jahreswirtschaftsbericht ist ein Dokument der Handlungsunfähigkeit dieser Regierung. Wir müssen darüber reden, wie wir in dieser Gesellschaft die Chancen, die wir haben, tatsächlich nutzen können. Deutschland ist bisher Gott sei Dank ein starkes Land. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Dank dieser Regierung! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Weil Sie auf der Oppositionsbank sitzen, sind wir stark!) – Deutschland ist ein starkes Land trotz dieser Regierung, Herr Hinsken. – Wir brauchen schleunigst den Wechsel im Land. Wir brauchen veränderte Mehrheitsverhältnisse. Durch die Niedersachsenwahl am Sonntag ist das im Bundesrat schon möglich. Aber wir brauchen sie auch im Bund, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wird nicht funktionieren!) damit Deutschland wirtschaftlich wieder auf Erfolgskurs kommt, statt bei 0,4 Prozent Wachstum weiterzudümpeln. Sie nehmen Wirtschaftspolitik nicht ernst. Genau das ist Ihr Problem. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ha, ha, ha!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sagt ihr noch was zu Excel-Tabellen und Nebenverdiensten?) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Heil, ich kann durchaus verstehen, dass Sie aufgeregt sind. Ich kann auch durchaus verstehen, dass Sie bei den Umfrageergebnissen der letzten Tage von 23 Prozent meinen, hier etwas retten zu können. So werden Sie das aber nicht erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Bevölkerung hat schon lange kapiert, dass diese Koalition die richtige Arbeit macht, und deswegen sind die Umfrageergebnisse so gut, wie sie sind. Deutschland geht es gut. Diese Koalition war erfolgreich und hat dazu beigetragen, dass die Wirtschaftsleistung steigt. Wir hatten in den letzten drei Jahren ein Wirtschaftswachstum von kumuliert 8 Prozent, Herr Heil. Das ist eine exzellente Zahl. Zahlen wie diese finden Sie in keinem einzigen Land in Europa; die finden Sie in fast keinem anderen Industrieland der Welt. Bei einem Bruttoinlandsprodukt von circa 2,5 Billionen Euro hat Deutschland in den letzten drei Jahren ein Wachstum in Höhe von gut 200 Milliarden Euro zustande gebracht. Das entspricht beispielsweise dem Bruttoinlandsprodukt von Hongkong, von Singapur oder auch von Finnland. Das ist doch eine Erfolgsstory. Dies können Sie auch mit noch so viel dümmlichem Geschrei nicht bestreiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Erwerbstätigenzahl ist – der Bundeswirtschaftsminister hat völlig zu Recht darauf hingewiesen – auf 41,6 Millionen gestiegen. Eine so hohe Zahl hatten wir noch nie in Deutschland. Das heißt ganz konkret – ich liebe es, solche Zahlen herunterzubrechen, weil man das dann wesentlich besser versteht –, dass in Deutschland pro Tag im Durchschnitt 1 000 Menschen mehr erwerbstätig sind. Noch beachtlicher ist die Entwicklung bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen. Deren Zahl ist um 1,5 Millionen, von 27,5 Millionen auf jetzt 29 Millionen, angestiegen. Das sind deutlich mehr als 1 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze pro Tag, seitdem diese Regierung an der Macht ist, Herr Heil. Der BDI hat vor kurzem bekannt gegeben, dass von diesen 1 000 Arbeitsplätzen allein 500 industrielle Arbeitsplätze sind. Daher können Sie nicht behaupten, dass das alles prekäre Arbeit sei. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich denke nicht, dass die deutsche Industrie prekäre Arbeitsplätze anbietet. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit deutlich gesunken. Pro Tag sind über 400 Menschen in Arbeit gekommen, die vorher nicht in Arbeit waren, seitdem Angela Merkel diese christlich-liberale Regierung führt. (Zuruf von der LINKEN: Da war es wieder!) In der gesamten EU ist Deutschland die Wachstumslokomotive. Eines muss ich Ihnen sagen – ich empfehle die Lektüre des Handelsblatts; Sie haben es ja vor sich liegen –: In den Ländern, wo Sie etwas zu sagen haben, sieht die Situation schlecht aus. Heute wird bekannt gegeben, dass Hamburg ein Nettonehmerland wird. Das reiche Hamburg war über Jahrzehnte ein Geberland. Jetzt wird es ein Nehmerland. Das haben Sie mit Ihrer Politik in Hamburg fertiggebracht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es gibt überhaupt nur noch drei Geberländer: Das ist an allererster Stelle Bayern, das ist Hessen, und das ist Baden-Württemberg; ich befürchte, das kriegen Sie auch noch kaputt. Sie arbeiten ja daran. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Meine Damen und Herren, das alles ist kein Selbstläufer, das alles ist nicht selbstverständlich. Da sind mit der Politik der Bundeskanzlerin vernünftige Weichenstellungen vorgenommen worden. Wir stehen vor strategischen Voraussetzungen für unseren Standort. Wir sind lange noch nicht am Ende. Wir brauchen wettbewerbsfähige Energiepreise, und vor allen Dingen müssen wir freien Zugang zu den Rohstoffmärkten der Welt haben. Beides sind Faktoren, die sich immer mehr zu ganz wichtigen Standortfaktoren entwickeln. Mir macht die Situation mit Blick auf die Amerikaner erhebliche Sorge. Ich hatte vor kurzem ein längeres Gespräch mit amerikanischen Senatoren, die mir gesagt haben, dass sie eine Reindustrialisierung der USA erwirken möchten. Wie wollen sie das machen? Indem sie für die niedrigsten Energiepreise in der ganzen Welt sorgen. Und wie machen sie das? Indem sie Schiefergas und Schieferöl ausbeuten und sich von jeglichen Importen unabhängig machen. Sie können sich überlegen, was das für uns bedeutet. Dann werden energieintensive Unternehmen in die USA abwandern. Das darf nicht passieren. Wenn wir heute unsere Wertschöpfungsketten kaputtmachen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dann haben wir à la longue Probleme mit unseren Arbeitsplätzen. Deswegen sollten wir alle daran arbeiten, dass die Industriestrompreise niedriger werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Unsere Industriestrompreise sind 40 Prozent höher als die Frankreichs; ich will jetzt gar keine anderen Vergleiche ziehen. Das zeigt, wie notwendig es ist, dass wir eine Energiepolitik betreiben, die dafür sorgt, dass zumindest unsere exportintensive Wirtschaft von Schwankungen der Industriestrompreise nicht betroffen ist. Der nächste Punkt betrifft das gesamte Thema Rohstoffsicherheit. Ich empfinde es als völlig richtig, dass die Bundeskanzlerin in die Mongolei gereist ist, um dort ein Rohstoffabkommen abzuschließen. Ich halte es auch für notwendig, dass wir das noch viel intensiver machen. Die Chinesen zum Beispiel tun das in vielen Ländern bereits sehr intensiv, besonders in Schwarzafrika. Das kann uns nicht egal sein. Wir sind sehr gut im Recycling; da sind wir vermutlich das Land, das in der Welt an der Spitze steht. Wenn man weiß, dass schon heute über 50 Prozent unserer Kupfervorkommen aus recyceltem Material stammen, dann sieht man die Erfolgsstory. Man kann der deutschen Wirtschaft nur dazu gratulieren, dass sie das hinbekommen hat. Aber das reicht nicht. Wir müssen zusätzlich sicherstellen, dass alle Rohstoffe zu beschaffen sind; denn die sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Meine Damen und Herren, auch den Menschen geht es gut unter dieser Koalition, zumal ich weiß, dass es in den letzten drei Jahren erstmalig dreimal hintereinander jeweils rund 3 Prozent Lohnerhöhung gab. Das war unter Rot-Grün nie der Fall. Unter Rot-Grün gab es viel niedrigere Lohnerhöhungen. Jetzt zeigt sich, dass die von der Koalition betriebene Politik in einer Zeit, in der die Wirtschaft wächst und stärker wird, auch dazu führt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr in der Tasche haben. Darüber können wir froh sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Unternehmen haben ausreichende Mittel für Investitionen. Es wird viel mehr investiert als in den Jahren zuvor, und der Staat hat deutlich höhere Steuereinnahmen. Jedes Jahr gab es ein neues All-Time High; im letzten Jahr waren es über 600 Milliarden Euro. Das zeigt – das haben Sie alle nicht kapiert –, dass in Ländern, in denen eine vernünftige Haushaltspolitik gemacht wird, Wachstum möglich ist. Sie behaupten ja immer, mit unserer Sparpolitik würden wir Wachstum verhindern. Das ist völliger Unsinn. Mit einer vernünftigen Haushaltspolitik ist Wachstum möglich, und das muss auch so sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: In Deutschland machen Sie ja keine Sparpolitik!) Der Bundeswirtschaftsminister hat es gesagt: Zu Anfang dieses Jahres haben wir die Bürger erneut entlastet, nämlich um 12 Milliarden Euro. Wenn Sie die Senkung des Rentenversicherungsbeitrags, die Abschaffung der Praxisgebühr – das war ja einer der wenigen Beschlüsse, denen Sie zugestimmt haben – und die Erhöhung des Grundfreibetrags – das konnten Sie im Bundesrat nicht verhindern – zusammenrechnen, dann stellt dies eine deutliche Entlastung der Bürger dar. Alle anderen Entlastungsschritte, die wir darüber hinaus in die Wege leiten wollten, haben Sie doch im Bundesrat verhindert. Das ist eine Schande; (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) denn gerade die Mittelschicht hätte weitere Entlastungen verdient gehabt. Sie aber haben dies verhindert. Trotzdem – auch da haben Sie eben wieder Unsinn geredet, Herr Heil – sind die Sozialversicherungen sehr gut aufgestellt. In allen Versicherungen haben wir Überschüsse. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie mal mit der BA!) Die Bundesagentur für Arbeit hat im letzten Jahr ein Plus in Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro gemacht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: In diesem Jahr droht ein Minus!) Das liegt daran, dass wir wesentlich weniger Arbeitslose haben als noch zu Ihrer Zeit. Angela Merkel hat von Gerhard Schröder 5 Millionen Arbeitslose übernommen. Im letzten Jahr sind es im Jahresdurchschnitt 2,8 Millionen gewesen. Das zeigt, dass wir die richtige Politik gemacht haben, dass wir einen guten Schritt weitergekommen sind. (Rolf Hempelmann [SPD]: Die Vorarbeiten dafür sind aber vorher gemacht worden!) Genau auf diesem Wege werden wir weitergehen. Es macht keinen Sinn, in dem Maße, in dem Sie das geplant haben, Steuern zu erhöhen. Ich nenne nur die Einkommensteuer. Die können Sie natürlich erhöhen. Aber was bedeutet das denn? Bei allen Personengesellschaften ist die Gesellschaftsteuer die Einkommensteuer. Das heißt, Sie belasten im Falle einer Erhöhung der Einkommensteuer die Mittelständler ganz gewaltig. Wir werden das verhindern. Ich gehe davon aus, dass wir die erfolgreiche Politik fortführen können. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das glaube ich auch!) Sie werden das am Sonntag merken. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rösler, ich habe Ihrem Bericht zugehört. Aber wissen Sie, was mich am meisten ärgert? Bevor Sie Ihren Bericht dem Kabinett zeigen und bevor Sie ihn gestern dem Ausschuss gezeigt haben und heute dem Plenum, beraten Sie mit allen Wirtschaftsbossen, ob der Jahreswirtschaftsbericht so in Ordnung sei. Mein Gott! Brauchen Sie immer die Genehmigung der Wirtschaftsbosse? Wann stellen wir denn endlich wieder das Primat der Politik über die Wirtschaft her statt des Primats der Wirtschaft über die Politik? Das wird wirklich höchste Zeit. (Beifall bei der LINKEN) Ihr Bericht ist schöngefärbt; das wissen Sie. Das liegt natürlich an der Wahl in Niedersachsen. Deshalb sprechen Sie auch heute hier. Aber nun muss ich Ihnen eines sagen, meine Damen und Herren von der FDP: Willy Brandt hat bei einer Bundestagswahl damit angefangen, seine Wählerinnen und Wähler aufzufordern, mit den Zweitstimmen der FDP zu helfen, damit sie über die 5-Prozent-Hürde kommt. McAllister und die CDU in Niedersachsen machen jetzt dasselbe. Ich weiß nicht, ob Frau Merkel und die CDU bei der Bundestagswahl auch dasselbe machen werden. Das heißt, Ihr Ergebnis basiert nicht auf eigener Leistung, sondern auf Leihstimmen. Wir haben es viel schwerer, weil weder Union noch SPD ihre Wählerinnen und Wähler jemals aufrufen würden, mit der Zweitstimme die Linke zu wählen. Wir müssen das ganz alleine schaffen. Ich will nur darauf hinweisen, dass wir hier eine größere Leistung erbringen. (Beifall bei der LINKEN) Noch etwas: Das Ding hat eine Kehrseite. Wenn Union und FDP in den Landtag Niedersachsen einziehen – damit rechnen jetzt viele –, haben Sie von Rot-Grün in Niedersachsen höchstwahrscheinlich keine Mehrheit. Jetzt müssten Sie Ihre Wählerinnen und Wähler doch aufrufen, mit der Zweitstimme die Linke zu wählen. Da Sie das aber nicht machen werden, ersetze ich Sie und sage es ihnen selbst. (Beifall bei der LINKEN) Kommen wir einmal zu dem Bericht. Das Brutto-inlandsprodukt ist immer der Gradmesser für die Leistungsfähigkeit einer Wirtschaft. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts sinkt von 3 Prozent im Jahr 2011 über 0,7 Prozent im letzten Jahr nach Ihrer Einschätzung, Herr Rösler, 2013 auf 0,4 Prozent. Darf ich vielleicht noch an etwas erinnern? Sie haben den Fiskalpakt beschlossen. Im Fiskalpakt steht, dass ein Staat nicht mehr als 60 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts als Schulden haben darf. Gleichzeitig ist geregelt, dass man, wenn man darüber liegt – wir liegen bei über 80 Prozent –, die Schulden pro Jahr um 5 Prozent zu senken hat. Ich weiß noch, dass ich, als Herr Schäuble und ich beim Bundesverfassungsgericht saßen, gefragt habe, welche Kürzungen eigentlich geplant sind; denn die Regelung bedeutet ja, dass wir die Schulden jährlich um 25 Milliarden Euro senken müssen. Darauf hat er geantwortet, dass das, was ich sage, völlig falsch sei, weil ja die Wirtschaftsleistung, das Bruttoinlandsprodukt, so zunehmen kann, dass der Schuldenstand gemessen daran geringer wird; ich will das gar nicht weiter erklären. (Zuruf von der FDP: Da hat er recht!) – Ja, das stimmt. – Nur, das Problem ist: Dann brauchen wir eine Wirtschaftsleistungssteigerung von 1 Prozent pro Jahr. Sie gehen in Ihrer Prognose aber von einem Wachstum von 0,4 Prozent aus. Wir hatten auch schon einmal Jahre mit Minuswerten. Was ist denn dann? Sie müssen die Schulden abbauen. Das heißt, dann werden Sie wieder Sozialkürzungen vornehmen. Man hört ja auch schon von Geheimplänen im Bundesfinanzministerium, Stichwort „Witwenrente“ und vieles andere. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: -Richtig!) Genau so geht es nicht! (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen auch: Sie dürfen nicht vergessen, dass das sinkende Wachstum der Wirtschaftsleistung – 0,4 Prozent Wachstum in 2013 ist doch wirklich nicht erheblich – damit zu tun hat, dass wir in einer Euro-Finanzkrise sind und dass Sie eine völlig falsche Politik gegenüber Südeuropa machen. Sie bauen Südeuropa ab. Die Wirtschaftsleistung nimmt dort ab. Die Steuereinnahmen nehmen ab. Von „sozial“ kann man gar nicht mehr reden. Es wird immer extremer unsozial. Die Folge ist, dass die Exporte Deutschlands in diese Länder zurückgehen. Ich habe mir das bei Opel angesehen. Bei Opel ist die Krise angekommen; die Opelaner in Bochum werden aus diesen Gründen kaputtgemacht. Übrigens: Ich habe auch mit dem Betriebsratsvorsitzenden von VW gesprochen. Der hat gesagt, VW habe einen dramatischen Rückgang der Verkäufe nach Italien, Portugal usw., aber könne das noch ausgleichen durch eine Steigerung des Exports nach China, nach Brasilien und in die USA. Wir leben doch über unsere Verhältnisse. Dieses Ungleichgewicht zwischen Export und Import innerhalb der Euro-Zone kann nicht funktionieren. Wir alle wissen, dass der Export wahrscheinlich nachlassen wird. Dann gibt es nur eine mögliche Gegenmaßnahme: Sie müssen die Binnenwirtschaft stärken. Die können Sie nur stärken, wenn Sie sich endlich sozialer verhalten und die Renten, Löhne und Sozialleistungen erhöhen. Es gibt keinen anderen Weg, um die Binnenwirtschaft zu stärken; das wissen Sie auch. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Arbeitsmarkt. Herr Rösler, was mich am meisten ärgert, ist, wenn Sie überall sagen: Es gibt jetzt eine wunderbare Arbeitslosenstatistik. Im nächsten Jahr wird es nur 60 000 Arbeitslose mehr geben. – Immerhin sagen Sie ja, dass es mehr geben wird. Wissen Sie, was mich daran so stört? Wenn man es sich genauer ansieht, stellt man fest: Das Problem ist, dass die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze in den letzten zehn Jahren abgenommen hat, Herr Kauder. Es sind 1,6 Millionen weniger geworden. Wenn Sie sagen könnten, dass es mehr geworden sind, dann könnten Sie stolz sein. Es sind aber weniger geworden. Das Einzige, was zugenommen hat, ist die prekäre Beschäftigung. Deshalb können Sie eine bessere Statistik vorweisen. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sie haben mir nicht zugehört!) Ein Viertel aller Beschäftigten arbeitet im Niedriglohnsektor; das sind 7,9 Millionen. Davon sind 4,66 Millionen Vollzeitbeschäftigte. Diese Zahl hat seit 2005 um 677 000 zugenommen. Die Leiharbeit weitet sich aus. Machen Sie etwas, um diese zu begrenzen? Nein, nichts! Sie lassen alles laufen. Im Jahre 2003 hatten wir einmal 5,5 Millionen Minijobs. Jetzt sind es 7,4 Millionen. Sie weiten dies noch aus, indem Sie die Verdienstgrenze von 400 Euro auf 450 Euro erhöht haben. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten stieg um 1,6 Millionen; jetzt haben wir 8,7 Millionen. Zudem haben wir 1,3 Millionen Aufstockerinnen und Aufstocker. Wissen Sie, was die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler über die Jobcenter jährlich für die Aufstockerinnen und Aufstocker zahlen? 10 Milliarden Euro. Man muss sich das einmal vor Augen führen: Herr Brüderle, da geht ein Arbeitnehmer eine ganze Woche, einen Monat, ein Jahr den ganzen Tag arbeiten und verdient damit so wenig, dass er zum Jobcenter gehen muss, um zusätzlich Steuergelder zu erhalten. Das ist ein Skandal. Wer einen Vollzeitjob hat, muss Anspruch auf einen Lohn haben, von dem er in Würde leben kann. Das wird höchste Zeit. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dafür brauchen wir den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Ich garantiere Ihnen, dass der flächen-deckende gesetzliche Mindestlohn trotz des Widerstandes der FDP spätestens im Jahre 2014 beschlossen wird. Darum kommen Sie gar nicht umhin. Man kann sich einem solchen Trend auf Dauer nicht widersetzen. Auf der anderen Seite müssen wir uns mit den Reallöhnen beschäftigen. Die Reallöhne sind in den letzten zehn Jahren um 4,5 Prozent gesunken. Bei den 10 Prozent, die am schlechtesten verdienen, ist der Reallohn sogar um 9 Prozent gesunken. Die Armut nimmt zu. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Quatsch!) – Natürlich nimmt sie zu. – Zwar ist die Arbeitslosenquote von 11,7 auf 7,1 Prozent gesunken; doch in derselben Zeit, so das Statistische Bundesamt, ist das Armutsrisiko von 14,6 Prozent auf 15,3 Prozent gestiegen. Wie kommt das, wenn Sie doch eine so tolle Arbeitslosenstatistik haben? Wieso nimmt die Armut zu? Ich sage Ihnen: Dass Vollzeitbeschäftigte von Armut bedroht sind, hat es früher nicht gegeben. Jetzt aber ist es Realität. Mich interessiert auch die andere Seite. Man könnte darüber diskutieren und sagen: Na gut, das Vermögen in Deutschland nimmt insgesamt ab. Wenn das Vermögen abnimmt, muss man sich überlegen, wie man es gerechter verteilen kann. – Aber das Gegenteil ist der Fall. 1992 hatten wir in Deutschland ein Vermögen von 4,6 Billionen Euro; im Jahre 2012 betrug es 10 Billionen Euro. Seit der Finanzkrise im Jahre 2007 gab es eine Zunahme von 1,4 Billionen Euro. Hier hat eine gigantische Umverteilung von unten nach oben stattgefunden. Darum kommen Sie nicht herum. 0,6 Prozent der Haushalte in Deutschland besitzen ein Vermögen von 1,9 Billionen Euro; das sind 20 Prozent. Die unteren 50 Prozent der Haushalte besaßen 1998 einen Anteil von 4 Prozent am Gesamtvermögen; heute ist es nur noch ein Anteil von 1 Prozent. Erklären Sie doch einmal diesen 50 Prozent der Haushalte, weshalb sie immer stärker in Armut gestürzt werden? Warum berichten Sie so etwas nicht, Herr Rösler? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Weil das nicht stimmt!) Sie betreiben nur Schönfärberei. Das ist meines Erachtens nicht hinzunehmen. Sie weigern sich, Vermögen zu besteuern. Meinen Sie nicht, dass es Zeit wird, dass die Kosten für die Finanzkrise von denjenigen getragen werden, die sie erstens verursacht haben und die zweitens davon profitieren? (Beifall bei der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Welcher Mittelständler hat das denn verursacht?) – Ich rede nicht vom Mittelständler. Ich rede von den wirklich Vermögenden. – Herr Fuchs, wir fordern eine Vermögensteuer von 5 Prozent auf ein privates Vermögen von mehr als 1 Million Euro. Mein Gott, die merken gar nicht, wenn das abgebucht wird. Es würde aber ein Stück weit mehr Gerechtigkeit in Deutschland entstehen. (Beifall bei der LINKEN) Dasselbe gilt übrigens auch für Griechenland. Sie müssen einmal den griechischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Rentnerinnen und Rentnern, den Frauen, die entbinden wollen, erklären, warum sie die Krise zu bezahlen haben. Welchen Schuldanteil haben diese Menschen an der Krise? Ich erinnere mich daran, wie Herr Schäuble begründet hat, dass zur Sanierung des Haushaltes das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger gestrichen wird. Da habe ich Sie gefragt, Herr Kauder, was die Hartz-IV-Empfänger falsch gemacht haben. Sie sollten sich hier hinstellen und die fünf Gründe nennen, warum die Hartz-IV-Empfänger die Krise verursacht haben. Das konnten Sie nicht. Es waren nämlich doch die Ackermänner, die die Krise verursacht haben. Aber genau die werden nicht herangezogen. Das ist das Problem der sozialen Ungerechtigkeit bei uns. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Hartz-IV-Empfänger werden immer weniger wegen der guten Wirtschaftspolitik!) Jetzt steuern wir auf eine Altersarmut zu, und Sie von der CSU und der FDP weigern sich, etwas dagegen zu unternehmen. Selbst der Vorschlag von Frau von der Leyen zur Zuschussrente wird abgelehnt. Das Renten-niveau soll bei 43 Prozent liegen. Viele verdienen nur noch 1 000 Euro. Ich sage Ihnen, hier entsteht eine Armut, die nicht zu rechtfertigen ist. (Beifall bei der LINKEN) Herr Rösler, Sie haben den Jahreswirtschaftsbericht geschönt und ein bisschen frisiert. Dasselbe haben Sie schon mit dem Armuts- und Reichtumsbericht gemacht. Der bleibt trotzdem skandalös. Ich will gar nicht sagen, an welche Zeiten mich das erinnert, in denen Berichte derart getürkt wurden. Das haben Sie doch nicht nötig. Präsident Dr. Norbert Lammert: Da haben Sie aber fast Glück, dass dafür auch gar keine Zeit mehr besteht. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Bundestagspräsident, ich werde mir jetzt einmal notieren, wann Sie Geburtstag haben. Dann werde ich Ihnen eine neue Uhr schenken. (Heiterkeit) Ich muss Ihnen Folgendes erklären: Es gibt hier Leute, die elf Minuten reden, und das kommt mir dann wie eine halbe Stunde vor. Bei mir rennt Ihre Uhr immer. Aber ich danke Ihnen trotzdem. Alles Gute. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Für mich waren das jetzt 30 Minuten!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Gysi, falls Sie den verwegenen Gedanken mit der Uhr weiterverfolgen wollen, bitte ich herzlich darum, die Wertgrenzen einzuhalten, da Sie mich ansonsten zwingen würden, zunächst beim Bundestagspräsidenten die Genehmigung einzuholen. (Heiterkeit) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Gysi, ich gratuliere Ihnen nachträglich zu Ihrem 65. Geburtstag; (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber nicht zur Rede!) aber das ist alles, was ich Ihnen an Nettigkeiten sagen kann. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Oh, Herr Solms!) Ihre Reden hier haben einen hohen Unterhaltungswert; (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: -Unterirdisch!) aber das kommt dadurch zustande, weil sie mit Fakten überhaupt nichts zu tun haben. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich will Sie auf zwei Fakten hinweisen. Sie sprachen davon, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten in den letzten zehn Jahren abgenommen hätte. Sie vergessen jedoch, dass die Union seit 2005 und die FDP seit 2009 an der Regierung sind und seitdem die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um rund 2 Millionen gestiegen ist. Das ist ein wichtiges Faktum, wenn Sie sich mit dieser Regierung auseinandersetzen und nicht mit der Vorgängerregierung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Außerdem möchte ich Sie auf Folgendes hinweisen: Wenn Sie sich einmal die Statistik der Länder anschauen, die einen Mindestlohn haben, und einen Vergleich mit den Ländern anstellen, die keinen Mindestlohn haben, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass in den Ländern mit Mindestlohn die Arbeitslosigkeit signifikant höher ist als in den Ländern ohne Mindestlohn. So viel in diesem Zusammenhang. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte ausdrücklich bestätigen, was der Bundeswirtschaftsminister eben vorgetragen hat: Deutschland geht es gut. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völliger Unsinn! Erzählen Sie nicht solch einen Quatsch!) Wir haben Wirtschaftswachstum, wir haben Preisstabilität, wir haben ein steigendes Einkommen der Arbeitnehmer, wir haben einen hohen Beschäftigungsstand. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: -Weniger Hartz-IV-Empfänger!) In anderen Ländern Europas fragt man mich: Wie macht ihr das? Wir wären froh, wenn wir in der Situation wären, in der Deutschland jetzt ist. – Diese Bundesregierung hat die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Entwicklung so positiv verlaufen konnte. Das ist ein Faktum. Jetzt sorgen wir dafür, dass auch in Zukunft die Entwicklung positiv verläuft. Das ist doch das Entscheidende. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auf dem Arbeitsmarkt verzeichnen wir einen Rekordstand. Die Einkommen steigen. Die Schuldenbremse wird eingehalten, und das vier Jahre, bevor sie eingehalten werden müsste. Im Jahr 2014 werden wir einen strukturell ausgeglichenen Haushalt haben. Das war doch gar nicht vorauszusehen. Ich möchte daran erinnern, was der Kollege Lindner vorhin zitiert hat: Der fabelhafte Herr Walter-Borjans in Nordrhein-Westfalen wirbt jetzt dafür, die Schulden durch Inflation zu bekämpfen. Das ist die unsozialste Politik, die man sich vorstellen kann. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Inflation belastet diejenigen, die fixe Einkommen haben, die ihre Einkommen nicht anpassen können. Inflation belastet außerdem die Sparer, deren Sparvermögen entwertet wird. Das können wir doch nicht zulassen. Das kann auch gar nicht ernst gemeint sein. Obwohl es im Umfeld, insbesondere in Europa, aber in den letzten Monaten auch in Asien und in den USA, zu einer schwachen Rezession gekommen ist – in Europa schon zu einer stärkeren –, geht es Deutschland gut. Das ist doch das Herausragende. Und jetzt zieht die Konjunktur in Asien, in China und neuerdings auch in den Vereinigten Staaten wieder an, sodass wir eine steigende Exportnachfrage und damit eine positive Entwicklung erwarten können. Das wird dazu beitragen, dass wir aus der leichten Depression, in der wir im letzten Quartal waren, wieder herauskommen und in ein steigendes Wachstum hineinkommen. Wo liegen eigentlich die Risiken? Die Risiken liegen in der zu geringen Investitionsquote in Deutschland. Investiert wird nur, wenn man Vertrauen hat. Es gelingt der Bundesregierung mit vereinten Kräften – insbesondere der Bundeskanzlerin in Europa –, Stabilität wiederherzustellen, was den Euro anbetrifft, und das wird Vertrauen zurückbringen. Das zweite Risiko liegt in den Bundestagswahlen. Denn die Menschen haben die Sorge, (Zuruf von der SPD: Dass ihr gewählt werdet!) dass das, was Sie ihnen versprechen, nämlich Steuererhöhungen in voller Bandbreite, realisiert wird. Das, was der Kollege Fuchs gesagt hat, stimmt genau: Die Einkommensteuer ist die Betriebsteuer für den Mittelstand. Wenn Sie die Einkommensteuer anheben – man muss bedenken, dass die mittelständischen Unternehmen fast die gesamten Gewinne reinvestieren –, dann geht das zu 100 Prozent zulasten der Investitionsquote. Die Investitionen von heute sind die Arbeitsplätze von morgen. Wenn Sie die Investitionen erschweren, dann sorgen Sie für Arbeitslosigkeit in der Zukunft. Das können Sie sich einmal hinter den Spiegel stecken. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man muss erreichen, dass die Unternehmen investieren. Das erreicht man nicht durch Belastung, sondern durch Entlastung und Flexibilisierung der Rahmenbedingungen für Investitionen in der Wirtschaft. Weil Ihnen jetzt nichts anderes mehr einfällt, Herr Steinbrück, kommen Sie jetzt auf die Steuerhinterziehung, (Peer Steinbrück [SPD]: Nicht erst jetzt, lieber Herr Solms!) als ob Deutschland ein Land von Steuerhinterziehern wäre. Also, das muss ich mit allem Nachdruck zurückweisen. Die Deutschen zahlen ehrlich ihre Steuern. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn jetzt wieder für eine Nummer? – Zurufe von der SPD) Es gibt wie immer und überall Ausnahmen. Aber die Leute, die Geld beispielsweise in die Schweiz gebracht haben, werden jetzt von Ihnen geschont: (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Sie haben das Abkommen mit der Schweiz verhindert. (Peer Steinbrück [SPD]: Zu Recht!) Wenn das realisiert worden wäre, hätten sie nicht nur in Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit Steuern zahlen müssen. Weil Sie das verweigert haben, sind Sie der Schutzpatron der Steuerhinterzieher. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wenn Sie sich jetzt hingegen in der Öffentlichkeit als derjenige präsentieren, der die Steuerhinterziehung bekämpfen will, dann ist das nun wirklich doppelte Moral; das ist doppelzüngig. (Peer Steinbrück [SPD]: Sie sind doch sonst ein seriöser Mensch!) – Sie wissen genau, dass das ein Fehler war; denn Sie sind in diesem Zusammenhang viel zu informiert und gescheit. Da hat Ihnen Herr Walter-Borjans wirklich einen Tort angetan. (Ulrich Kelber [SPD]: Das so umzudrehen, wie Sie das machen, das haben Sie doch nicht nötig in den letzten Wochen!) Das ist nicht nur falsch; das ist eine absolute Dummheit. Es perpetuiert die Steuerungerechtigkeit, mit der wir es hier zu tun haben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Kerstin Andreae ist die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Rösler, der Titel des Jahreswirtschaftsberichts lautet: „Wettbewerbsfähigkeit – Schlüssel für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und Europa“. Und was ist das Hochrelevante für unsere Wettbewerbsfähigkeit in den nächsten Jahren? Es ist die Frage, ob wir in der Lage sind, die Energiewende zu schaffen. Das Energieeinspeisegesetz, das EEG, schuf die Grundlage für das große industrielle Projekt der letzten Dekade. Das ist zukunftsorientierte Industriepolitik, wie wir sie brauchen. Das schafft Arbeitsplätze, das schafft neue Märkte, das schafft Zukunft, und das ist vor allem auch umweltpolitisch sinnvoll. Deswegen sage ich: Ja, wir müssen das EEG reformieren; aber wir müssen es nicht abschaffen und vor allem nicht durch ein Quotenmodell ersetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Anstatt dass der Wirtschaftsminister hergeht und sagt: „Wir nutzen die Energiewende als großen Konjunkturpush, um hier wirklich etwas voranzubringen“, stellt er das Quotenmodell in den Raum, das in anderen Ländern gescheitert ist und dessen Umsetzung zur Folge hätte, dass Windenergie onshore gefördert würde, was einen gigantischen Netzausbau nach sich ziehen würde und vor allem unseren Vorsprung bei Innovationen, unseren technologischen Vorsprung bei weltweit nachgefragten Energieprodukten, kaputtmachen würde. Das ist nicht das, was ein Wirtschaftsminister leisten muss. Er muss vorangehen bei diesem Thema. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich sind die Kosten der Energiewende ein äußerst wichtiges Thema. Nichts treibt die Unternehmen gerade mehr um als die Frage der Entwicklung der Energiepreise. Im Übrigen ist das auch für die privaten Haushalte ein großes Problem. Dann muss man aber fair bleiben und für eine faire Verteilung sorgen. Was erleben wir aber? Wir erleben eine enorme Schieflage. Die Großunternehmen werden immer weiter befreit, während die kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie die Privaten diese Befreiung bezahlen müssen. Gleiches gilt für die Netzentgelte. Wir haben es ausgerechnet, und das können Sie sich genau anschauen. Wenn wir das zurückfahren und die Ausnahmen auf die Unternehmen begrenzen, die energieintensiv produzieren und die wirklich im internationalen Wettbewerb stehen, dann können wir ein Einsparvolumen von 4 Milliarden Euro erzielen. Das senkt die Energiepreise für Mittelständler und Privathaushalte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach wie vor herrscht große Unsicherheit aufgrund der europäischen Entwicklung. Die Krise hat und hatte Europa fest im Griff. Dann griff die EZB ein. Das war nicht die beste Lösung. Die EZB musste aber eingreifen, weil die Bundesregierung nicht zu einem entschiedenen gemeinsamen europäischen Vorgehen in der Lage war. Erst durch das Eingreifen der EZB haben sich die Finanzmärkte beruhigt. Überwunden ist die Eurokrise aber noch lange nicht. Das weiß auch der Wirtschaftsminister. Denn im Jahreswirtschaftsbericht steht als Begründung für diese Wahlkampfzahl „1,6 Prozent im nächsten Jahr“: Als zentrale Annahme über den Fortgang der Schuldenkrise wird unterstellt: Es kommt zu keiner weiteren negativen Entwicklung, in deren Folge die Verunsicherung der Marktteilnehmer steigt. (Dr. Philipp Rösler, Bundesminister: Zum Beispiel!) Diese Annahme wird zugrunde gelegt für die Prognose des Wirtschaftswachstums von 1,6 Prozent. Wenn man das aber zugrunde legt, dann muss man auch etwas dafür tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie sprechen vom Fiskalpakt. Zentral bei den Verhandlungen des Fiskalpakts war aber nicht nur, dass die Schuldenbremse in den Ländern implementiert wird, sondern zentral war vor allem, dass wir gesagt haben: Wir brauchen Investitionen zur wirtschaftlichen Entwicklung in den Ländern. Wir – SPD und Grüne – haben in zähen Verhandlungen mit Ihnen durchgesetzt, dass die Finanztransaktionsteuer kommt, dass Investitionen in Schiene, Energienetze und Datentransfer getätigt werden, dass Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit und Maßnahmen für mehr Energieeffizienz ergriffen werden. Was sehen wir jetzt aber? Vereinbarte Maßnahmen werden nicht oder nur schleppend umgesetzt. Am eklatantesten zeigt sich das meines Erachtens bei der Frage der Energieeffizienzrichtlinie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Alle – vor allem Mittelstand und Handwerk – wollen die Energieeffizienzrichtlinie. Was aber unternimmt das Wirtschaftsministerium? Es arbeitet an Studien, die der Frage nachgehen, wie man um diese Energieeffizienzrichtlinie herumkommen kann, anstatt zu sagen: Ja, wir nehmen das als Konjunkturpush zur wirtschaftlichen Entwicklung für unseren Mittelstand und für unser Handwerk. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt wende ich mich den Linken zu. Dabei bitte ich dringend um Ihre Aufmerksamkeit. Für die Menschen in den Krisenländern ist die Situation teilweise wirklich eine Katastrophe. Die Probleme wie zum Beispiel die hohe Arbeitslosigkeit und massive Einsparungen treiben uns alle um. Wir müssen aufpassen, dass die Menschen ihre Hoffnung in Europa und ihren Glauben an die Wirkung von Strukturreformen nicht verlieren. Es geht aber nicht an, dass Ihr Oskar Lafontaine im Morgenmagazin uns alle in Haftung nimmt für persönliche Dramen bis hin zu Selbstmorden. Das ist schäbiger Populismus und absolut inakzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Herr Rösler, Sie sagen, Haushaltskonsolidierung sei zentral für Wettbewerbsfähigkeit. Das stimmt. Die Bundesregierung lobt sich für eine weiter sinkende Neuverschuldung. Damit haben Sie aber gar nichts zu tun. Tatsache ist, dass Sie erstens viel weniger eingespart haben, als Sie Zuwächse an Einnahmen hatten. Zweite Tatsache ist, dass Sie im Augenblick nur aufgrund der niedrigen Zinsen einen solchen Haushalt vorlegen können, wie Sie ihn vorlegen. Dritte Tatsache ist, dass Sie die Kassen der Sozialversicherung um fünf Milliarden Euro geplündert haben. Die Bundesagentur für Arbeit sagt Ihnen: Uns fehlen die Gelder, um die Kurzarbeit zu finanzieren, uns fehlen die Gelder für die Förderung der Langzeitarbeitslosen. – In Bezug auf den Konsolidierungsbeitrag gibt es nichts, wofür Sie sich auf die Schulter klopfen könnten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) In Zukunft wird es nicht mehr nur um die Frage gehen: Wie hoch ist die Neuverschuldung? Vielmehr geht es um die Frage: Sind wir in der Lage, den Schuldenberg abzubauen? Sie sagen immer – nicht nur sonntags, sondern auch montags bis samstags –: Der Abbau von Schulden ist wichtig. Dann verraten Sie uns doch einmal, wie Sie das machen wollen. Wo ist denn Ihr Vorschlag, wie wir von diesem Schuldenberg herunterkommen können? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben kein Konzept. Aber Sie wagen es allen Ernstes, uns für den Vorschlag, eine Vermögensabgabe einzuführen, anzugreifen. Zum ersten Mal legt jemand ein Konzept vor, das zeigt, wie man von dem Schuldenberg von über 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts herunterkommt. Wir reißen die Kriterien von Maastricht doch jedes Jahr. Sie haben keinen Vorschlag, was man dagegen tun könnte. Hören Sie also auf, uns Vorschriften zu machen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das nächste Sparschwein, das Rösler schlachten will, ist die KfW. Sie wollen ohne Rücksicht auf die anstehenden Aufgaben, die auf die KfW zukommen, im nächsten Jahr 1 Milliarde Euro herausnehmen. Ich warne Sie: Öffnen Sie nicht die Büchse der Pandora! Sie dürfen es gar nicht. Es ist gesetzlich nicht erlaubt, dass Sie sich an den Erträgen der KfW bedienen. Das ist auch richtig so. Lernen Sie von Mappus! Mappus hat irgendwann in der Endphase seiner Regierungszeit als Ministerpräsident in Baden-Württemberg sogar unterjährig die Förderbank in Baden-Württemberg geschröpft. Sie wissen, was aus Mappus geworden ist. Grundsätzlich ist es einfach falsch: Wir brauchen diese Förderbank für die Mittelstandsfinanzierung und für Energiemaßnahmen. Ich sagen Ihnen: Hände weg von der KfW! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Über Weihnachten hat der Wirtschaftsminister noch eine Sau durchs Dorf getrieben: Privatisierung. Ganz toll! Durch Privatisierung die Neuverschuldung schneller abzubauen, das ist ein Märchen aus Absurdistan. Ein Teil der Privatisierung, die Sie in den Raum gestellt haben, wird schon seit langem gemacht. Aber entscheidend ist doch, dass wir hier – im Übrigen in einem, wie ich wahrgenommen habe, sehr breiten Konsens – dafür entschieden haben, dass die Bahn nicht privatisiert wird, weil es eine Aufgabe der Daseinsvorsorge ist und weil das Schienennetz ein natürliches Monopol ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Lassen Sie die Hände weg! Da irrt der Ordnungspolitiker Rösler gewaltig. Mich interessiert, ob die Sozialministerin in diesem Bericht ebenso herumgestrichen hat, wie Sie es im Armutsbericht getan haben. (Heiterkeit des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Was Sie sich da geleistet haben, das war schon grandios. Man kann Armut nicht dadurch bekämpfen, indem man sie aus einem Bericht herausstreicht. Das funktioniert nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was wurde denn verändert zwischen Entwurf und Abschluss? Die Lohnuntergrenze ist raus, der Schutz von atypischen Beschäftigungsverhältnissen ist raus, es wird nicht mehr überprüft, wie sich das Betreuungsgeld auf die Erwerbstätigkeit von Frauen auswirkt, und es soll auch nicht mehr geprüft werden – nicht einmal nur geprüft werden! –, ob privater Reichtum stärker zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden sollte. All das ist draußen. Dabei wissen wir: 1,4 Millionen Menschen beziehen ergänzendes Arbeitslosengeld II. Statt hier sinnvoll gegenzusteuern, weiten Sie die Niedriglohnfalle Minijobs weiter aus. Der Gedanke, dass Menschen von ihrem Lohn leben können müssen und dass das etwas mit Menschwürde zu tun hat, trägt sich inzwischen auch weit in diese Koalition hinein. Wer es verhindert, ist die FDP mit ihrem Wirtschaftsminister. Machen Sie den Weg frei für eine gesetzliche Lohnuntergrenze! Das werden Ihnen im Übrigen auch viele Mittelständler danken. Eines kann ich Ihnen versprechen: Nach der Bundestagswahl 2013 werden wir einen Mindestlohn einführen, und vor allem werden wir die Energiewende zum Konjunkturprogramm für Deutschland und für Europa machen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Schlecht. Michael Schlecht (DIE LINKE): Frau Andreae, Sie sind auf die Folgen der deutschen Politik in den südeuropäischen Ländern wie Griechenland eingegangen. Ich selbst war im Oktober in Athen. Das war der Tag, an dem auch die Kanzlerin dort unterwegs war. Wir haben ein Kinderkrankenhaus besucht. In diesem Kinderkrankenhaus ist uns vom Leiter der psychiatrischen Abteilung mitgeteilt worden, dass eine der Folgen der Veränderungen des desaströsen Kurses, der dort gefahren wird, darin besteht, dass die Anzahl der Kinder, die bei ihnen mit Depressionen und anderen -derartigen psychiatrischen Erkrankungen eingeliefert werden, dramatisch gestiegen ist. Uns ist auch berichtet worden, dass der Anteil der Kinder – wohlgemerkt: Kinder –, die Suizid begehen, deutlich angestiegen ist. Das ist wirklich eine der skandalösesten und dramatischsten Folgen dieser Politik. Das, was in den südeuropäischen Ländern, vor allen Dingen in Griechenland, passiert ist, ist Folge der Kürzungsauflagen, ist Folge der bestialischen Politik, die maßgeblich von Deutschland, auch vom Deutschen Bundestag ausgeht. Sie drückt sich in solch zugespitzten Situationen aus. Für diese Folgen trägt die Regierung, aber auch SPD und Grüne, die diesen ganzen sogenannten Maßnahmen mit übergroßer Mehrheit zugestimmt haben, Verantwortung. Insofern zieht die deutsche Politik mittlerweile mindestens durch Südeuropa eine breite Blutspur, und das ist ein Skandal. Präsident Dr. Norbert Lammert: Zur Erwiderung Frau Andreae, bitte sehr. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, ich hatte eigentlich gehofft, dass Sie sagen, dass Sie durchaus anerkennen, dass uns dies alle umtreibt. Mit Ihrem letzten Satz haben Sie das aber kaputtgemacht. Ja, uns alle treibt um, wie es den Menschen in Griechenland und in den anderen Krisenländern geht. Und ja, diese Berichte sind erschreckend. Aber stellen Sie sich bitte die Frage: Was wäre gewesen, wenn wir Griechenland nicht geholfen hätten? Und stellen Sie sich die Frage: Wie bekommen wir die griechische Regierung dazu, dass sie in ihrem Land endlich Strukturreformen vollzieht, dass sie bessere Einnahmen erzielt, dass sie an die Besitzer der Jachten herangeht, dass sie die Steuerpolitik überarbeitet? All das müssen wir jetzt machen, und zwar gemeinsam. Mit diesem populistischen Vortrag spalten Sie. Man kann sich in der Sache streiten: Ist das die richtige oder die falsche Maßnahme? Was man aber nicht machen darf, ist, auf dem Rücken der Menschen, die wirklich extrem leiden, billigen Wahlkampf zu machen. Wer von „Blutspur“ und Haftung für Selbstmorde spricht, macht billigen Wahlkampf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jahreswirtschaftsbericht 2013 – das klingt trocken, wissenschaftlich und abstrakt. Das klingt nach Zahlen und Diagrammen. An der lebhaften Debatte heute Morgen merkt man aber, dass mehr dahintersteckt, dass das ein besonderer Bericht ist. Das Besondere an diesem Bericht ist, dass er ein Indikator dafür ist, wie es den Menschen in unserem Land geht. Er lässt Rückschlüsse zu, wie die Menschen in unserem Land konkret leben, wie sich die Lebensbedingungen verändern, wie wir im Konzert der europäischen Nachbarstaaten dastehen. (Klaus Barthel [SPD]: Warum steht da nichts drin über Löhne?) Hinter all den abstrakten Zahlen, die dem Bericht zugrunde liegen, stehen Menschen. Dahinter stehen Lebensbedingungen und reelle Lebenssituationen. Hinter all den Zahlen und Diagrammen steht eine Botschaft – auch wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, diese Botschaft nicht gerne hören –: Seit diese Koalition regiert, (Ulrich Kelber [SPD]: Gehen die Wachstumsraten runter!) geht es den Menschen besser. Seit Angela Merkel in diesem Land Verantwortung trägt, geht es den Menschen besser. Es hat sich vieles zum Besseren verändert. Genau deswegen vertrauen die Menschen dieser Koalition und dieser Bundeskanzlerin. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist das! – Klaus Barthel [SPD]: Die oberen Zehntausend!) 41,6 Millionen Beschäftigte – (Klaus Barthel [SPD]: Erwerbstätige!) das sind 41,6 Millionen Menschen, die wissen, dass sie sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können, die selbst ihres Glückes Schmied sind. Diese Menschen wissen, weshalb sie morgens aufstehen. Das sind 41,6 Millionen Menschen, so viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Die Jugendarbeitslosigkeit war im November mit 8,1 Prozent die geringste in ganz Europa. Die meisten jungen Menschen in Deutschland haben einen Job. Das sind Tausende junger Menschen, die sich ihre Zukunft selbst aufbauen, die sich mit ihrem eigenen Geld ihre Wünsche, ihre Träume erfüllen können. (Klaus Barthel [SPD]: 300 000 in der Warteschleife!) 500 Milliarden Euro – auch diese Zahl ist wichtig. In dieser Höhe exportiert unser Land Güter in alle Welt, Güter und Produkte, die von klugen Köpfen in unserem Land entwickelt worden sind, die von fleißigen Menschen produziert worden sind. Dahinter stehen Tausende Unternehmer. Das sind Unternehmer, die den Weg in die Selbstständigkeit gegangen sind und Verantwortung für sich und für ihre Mitarbeiter übernommen haben. Sie haben Mut, Risiken in Kauf zu nehmen, die Zukunft zu gestalten und anderen Menschen einen Arbeitsplatz zu ermöglichen. Hinter all diesen Zahlen stehen Menschen, Schicksale und Lebensbedingungen. Diese Zahlen sagen: Den meisten Menschen in unserem Land geht es gut. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kollegen, gerade weil es um Menschen geht, muss man bei der Betrachtung der wirtschaftlichen Lage selbstverständlich auch kritisch auf das schauen, was nicht so gut ist; denn auch davon sind Menschen betroffen. So etwa die Beschäftigten im Niedriglohnbereich. Natürlich sind das noch zu viele. Weiter gilt das für die Einkommensunterschiede zwischen Mann und Frau. Die sind noch zu groß. Das kann uns nicht zufriedenstellen, und deshalb arbeitet diese Regierung mit Hochdruck daran, dass das weiter besser wird. (Lachen des Abg. Klaus Barthel [SPD]) Falsch ist es allerdings, die Zahlen zu verallgemeinern. Es war wirklich ärgerlich, dass Sie sich heute Morgen hier hingestellt und ein Bild von Deutschland gemalt haben, das – nur weil Sie alles verallgemeinern – rabenschwärzer nicht sein könnte. Es ist falsch, zu sagen, dass vorwiegend prekäre Beschäftigung geschaffen wird und dass überwiegend Minijobs dazugekommen sind. Im Gegenteil: In Deutschland entstehen in erster Linie sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In erster Linie entsteht gute Arbeit in Deutschland. Dabei geht es um gute Jobs, nicht um Minijobs. Natürlich steigt auch die Zahl der Minijobs, wenn die Anzahl der Beschäftigten insgesamt steigt. In weit überwiegendem Maße aber entstehen zur Zeit sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse. Das sind gute Arbeitsplätze, echte Jobs. Darauf können wir stolz sein. Es ist auch falsch, zu sagen, dass der Niedriglohnsektor explodiert. Das Gegenteil ist der Fall. Die Wahrheit ist nämlich, dass unter Gerhard Schröder der Niedriglohnsektor zugenommen hat. Seit die CDU regiert, geht er zurück. Das ist die Wahrheit. Sie sollten da auch mit Ihren Darstellungen bei der Wahrheit bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Übrigen ist nicht alles, was Sie als prekär bezeichnen, wirklich prekär. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Reden waren prekär!) Wollen Sie etwa dem Studenten, der einen Minijob hat, sagen, dass er prekär beschäftigt sei? Oder können Sie das etwa dem Rentner sagen, der sich nebenher noch etwas dazuverdient, indem er beim Nachbarn den Rasen mäht? (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die müssen dazuverdienen, weil die Renten sinken, ohne Ende!) Ich will die Probleme, die es im Niedriglohnsektor, bei Zeitarbeit und bei geringfügiger Beschäftigung gibt, nicht kleinreden. Das Horrorszenario aber, das Sie, liebe Kollegen der Opposition, hier heute gemalt haben, entspricht schlicht nicht der Realität. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Noch ein Wort zum Thema Löhne. Auch hierzu haben Sie wieder Horrorszenarien gemalt. Die Wahrheit ist: Seit wir an der Regierung sind, steigen die Löhne in Deutschland. Jahrelang sind sie immer nur gesunken. Seit drei Jahren aber steigen die Löhne in Deutschland. Die Frankfurter Rundschau hat gestern getitelt: „Aufschwung begünstigt Arbeiter“. Das ist wahr. Vom Aufschwung in Deutschland profitieren die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Für den Arbeitnehmer ist allerdings nicht nur interessant, was er verdient, sondern vor allem auch, was er davon später in der Tasche hat. Seit die CDU an der Regierung ist, haben die Menschen mehr in ihrer Tasche. Der Arbeitnehmer hat im letzten Jahr durchschnittlich 550 Euro mehr verdient. Er hätte im nächsten Jahr noch mehr in der Tasche haben können. Das wäre nämlich der Fall gewesen, wenn Sie im Bundesrat unsere Pläne zur Bekämpfung der kalten Progression nicht verhindert hätten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn heute ein Arbeitnehmer eine Lohnerhöhung bekommt, wird sie nicht selten durch die kalte Progression bei der Steuer komplett aufgefressen. Das ist es, was wir gerne abschaffen wollen, was Sie aber im Bundesrat verhindert haben. Wegen Ihrer Blockadehaltung im Bundesrat sind Sie dafür verantwortlich, dass die Lohnerhöhungen derjenigen, die sich anstrengen, weiter von der Steuer aufgefressen werden. Wir wollten Leistung belohnen, Sie haben das verhindert. Auch diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen. Sie können sich deshalb nicht hier hinstellen und über kleine Löhne sowie mangelnde Möglichkeiten klagen, in diesem Land Geld auszugeben. Mit der Blockadehaltung im Bundesrat haben Sie auch verhindert, dass die Binnenkonjunktur weiter gestärkt wird. Sie haben sich heute Morgen hier hingestellt und haben gesagt: Wir müssen unbedingt etwas für die Stärkung der Binnenkonjunktur machen. Auf der anderen Seite verhindern Sie im Bundesrat aber alles, was die Binnenkonjunktur stärken würde, etwa die Abschaffung der kalten Progression oder auch das Gebäudesanierungsprogramm. Das wäre ein wirkliches Konjunkturprogramm für unser Handwerk gewesen. Sie aber haben sich dazu im Bundesrat verweigert. Deshalb kann ich an Sie nur appellieren: Es bringt nichts, hier nur zu reden und zu sagen, dass wir die Binnenkonjunktur stärken müssen. Wenn es konkret wird, müssen Sie auch mit dabei sein. Sie müssen da mitmachen. Damit können Sie etwas für unser Land tun. Vielleicht, liebe Kollegen, lenkt das dann auch ein wenig von Redehonoraren, Weinpreisen oder auch Eierlikör ab. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es ist Fakt, dass Deutschland zurzeit sehr gut dasteht. Fakt ist aber auch, dass wir zurzeit konjunkturell in einer Schwächephase sind. Das ist auch klar; denn als exportstarke Nation bleiben wir nicht unverschont von den Entwicklungen auf den Weltmärkten und in Europa. Deshalb stehen wir vor zwei Herausforderungen: Zum einen müssen wir in Europa wieder auf Wachstumskurs kommen; die Kollegen haben einiges dazu gesagt. Es ist richtig, dass wir die Euro-Stabilisierung und auch die Strukturmaßnahmen in der EU vorantreiben. Zum anderen müssen wir selbst stark bleiben. Die Parameter dafür sind genannt. Wir brauchen einen soliden Haushalt. Denn auf Schulden kann man keine Zukunft bauen. Wir brauchen eine gute Infrastruktur, Rohstoffe und bezahlbare Energie. (Rolf Hempelmann [SPD]: Dann macht doch Politik dafür!) Wir brauchen wachstumsfördernde Rahmenbedingungen. Wir brauchen Fachkräfte: Junge, Alte, Frauen und Männer, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Um sie alle müssen wir werben. (Klaus Barthel [SPD]: Auf geht’s! – Rolf Hempelmann [SPD]: Das kann man am Anfang einer Legislaturperiode sagen! Jetzt muss man machen!) Wir brauchen kluge Köpfe, und wir machen dazu die richtige Politik. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Schließlich brauchen wir Innovationen. Denn der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Innovation. Deutschland ist das Land der Ideen, der Innovationen. Deutschland war schon immer eine Innovationsschmiede in der Welt. Aus Deutschland kommen der Hybrid und das MP3-Format. Der Computer wurde in Deutschland erfunden. Unser Maschinenbau ist weltweit bekannt. Wir sind das Land der Ideen, und wir wollen, dass aus den Ideen Produkte werden, dass aus den Ideen Wertschöpfung wird. Mir fehlt die Zeit, noch länger darauf einzugehen. Daher nur so viel: Ideen und Innovationen entstehen dort, wo investiert wird. Auch das tun wir. Noch nie wurde so viel in Bildung und Forschung investiert wie unter dieser Regierung. Gerhard Schröder hatte es zwar groß angekündigt und sich vorgenommen, gemacht hat er es aber nicht. Gemacht hat es erst die CDU-geführte Bundesregierung. Wir investieren mittlerweile 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung. Damit liegen wir im Spitzenbereich in Europa. Das ist wirklich Investition in Köpfe. Das ist Investition in Ideen. Das ist Investition in unsere Zukunft, und das ist die richtige Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bin überzeugt: Wir haben die richtigen Weichen gestellt, dass es Deutschland und den Menschen in unserem Land gut geht, dass es ihnen besser geht. Der Jahreswirtschaftsbericht gibt Zeugnis davon. Ich bin sicher, dass wir diesen Kurs auch in Zukunft weiterfahren werden. Wir nehmen die Herausforderungen an. Ich kann Ihnen nur empfehlen, uns auf diesem Weg zu begleiten. Denn er ist gut für Deutschland und gut für die Menschen in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Wolfgang Tiefensee für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Wolfgang Tiefensee (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 115 Seiten Bundeswirtschaftsbericht – ich will ihn einmal in fünf Schlagworten zusammenfassen. Deutschland geht es gut. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Stimmt!) Die Bundesregierung hat daran keinen Anteil. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Falsch! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und drittens?) Die Konjunktur trübt sich in Europa und zunehmend auch in Deutschland ein. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Falsch! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Bisschen!) Die Bundesregierung hat kein Konzept, wie sie dagegen vorgehen soll. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Falsch!) Fünftens. Es wird Zeit, dass wir eine aktive Wirtschaftspolitik mit einer anderen Regierung machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das kann man nur als Bedrohung empfinden!) Sehr verehrter Herr Minister, ich habe Sie zum ersten Mal in Niedersachsen, in Hannover erlebt. Wir hatten auf der Hannover Messe ein gutes Gespräch geführt; Sie entsinnen sich vielleicht. Ich persönlich bin erschrocken darüber, welche Wandlung in Ihnen vorgegangen ist. Wir haben einen Wirtschaftsbericht, der schönfärbt, der die Probleme nicht beim Namen nennt (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schon wieder falsch!) und der vor allen Dingen voll von Zielstellungen ist und keine Konzeption aufweist, wie wir dieses Land dort, wo es im Umfeld schwieriger wird, tatsächlich stabilisieren können. Fehlanzeige! Ein Wirtschaftsbericht ist eine Momentaufnahme. Entscheidend ist: Wo kommen wir her, und wo gehen wir hin? Ist es eine aufsteigende oder eine absinkende Linie? Darauf muss man reagieren. Zuerst bedarf es einer Analyse, warum es Deutschland gut geht. Es geht Deutschland gut – Sie schreiben es in Ihrem Geleitwort –, weil wir leistungsstarke Menschen und Unternehmen haben. Deutschland hat aber keine leistungsstarke Bundesregierung. Sie bauen mit Ihrer Politik auf den Maßnahmen auf, die unter Rot-Grün und in der Großen Koalition eingeleitet worden sind, und heften sich den Erfolg ans Revers. Was waren das für Maßnahmen? Zunächst einmal haben die Unternehmen umstrukturiert. Von dieser Stelle aus sollte man noch einmal denjenigen danken, die die Zeichen der Zeit Anfang der 2000er-Jahre erkannt haben. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nein!) Wir haben Arbeitsmarktreformen durchgeführt und dafür gesorgt, dass in der schwierigen Zeit 2008/2009 das Kurzarbeitergeld eingeführt wurde; das hat die Unternehmen stabilisiert. Ich durfte damals die Konjunkturprogramme für den Bereich Verkehr und Bau schreiben, und wir haben sie gemeinsam durchgesetzt. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Der Applaus bei den Sozialdemokraten war deutlich hörbar!) Das sind die Grundlagen dafür, dass es uns jetzt gut geht. (Beifall bei der SPD) Sie sind die Nutznießer der Vorräte, die andere angelegt haben; das ist das Erste. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ach, das ist doch albern! Das kann man doch nach zehn Jahren wirklich nicht mehr sagen!) Das Zweite. Wir befinden uns momentan in einer kritischen Situation, und zwar deshalb, weil Deutschland in Europa eingebettet ist und es Deutschland selbst in diesem und im nächsten Jahr nicht so gut geht. Denken Sie zum Beispiel an die Aussagen des DIW. Das DIW sagt, dass es frühestens 2014 wieder zu einer Konjunkturbelebung kommen wird. Fragen Sie auch einmal Unternehmer – und zwar nicht nur Verantwortliche in großen Unternehmen, sondern auch Mittelständler –, wie sie die Zukunft sehen. Sie prognostizieren ein Dreijahrestief. Oder nehmen Sie die Aussagen der Weltbank. Die Weltbank spricht davon, dass bis 2014 ein deutlicher Abschwung zu verzeichnen sein wird. Was tut die Bundesregierung dagegen? Nichts! Sie ruht sich aus und hofft, dass der lange Bremsweg durch die vorangegangenen Maßnahmen schon ausreichen wird. Von einer Delle bzw. einer vorübergehenden Schwäche zu sprechen, wie Sie, Herr Minister Rösler, es in Ihrem Bericht tun, hilft hier nicht weiter. Ich will kurz einige Bereiche aufzählen, in denen wir dringend ein Umsteuern brauchen. Zunächst zur Investitionstätigkeit. Wir stellen fest – es ist bereits angeklungen –: Die Ausrüstungsinvestitionen sind im Laufe des letzten Jahres um 4,4 Prozent gesunken. Das, so schreiben Sie ehrlich in Ihrem Bericht, hat etwas mit mangelndem Zutrauen zu tun. Was tun Sie also, um eine Exportnation zu stabilisieren und Investitionen zu ermöglichen bzw. zu festigen? Sie gehen an die GRW. Die Mittel für diese Gemeinschaftsaufgabe wurden gekürzt. Dabei geht es um die Förderung strukturschwacher Regionen und die Förderung von Unternehmen, die dringend investieren müssen. Sie wissen, dass die Strukturförderung der EU zurückgeht. Sie wissen auch, dass wir dunkle Wolken am Horizont sehen, nicht zuletzt in Ostdeutschland. Aber was tun Sie? Sie kürzen diese Mittel. Ein anderes Beispiel ist die in Ihrer Koalitionsvereinbarung verankerte steuerliche Forschungsförderung. Fehlanzeige! Es ist nichts zu sehen. Zu einem weiteren schwierigen Thema, Herr Rösler. Investitionen kommen zustande, wenn wir exportieren. Wenn Sie aber die südeuropäischen Länder verunsichern (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: „Verunsichern“ ist gut! Abwürgen!) und in Griechenland, Spanien, Italien und Portugal keine Wachstumsimpulse setzen, sondern über einen Ausstieg dieser Länder aus der Euro-Zone schwadronieren, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass dort keine Kaufkraft entsteht und dass dort nicht investiert wird. Ein solches Verhalten ist sträflich, auch für Deutschland, und es ist eines Wirtschaftsministers nicht würdig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum Stichwort „Investitionen“ gehört ein weiterer Aspekt. Dabei geht es nämlich auch um die Arbeitskräfte, die unsere Werte schaffen. In dem Bericht, den Sie uns vorgelegt haben, steht nahezu nichts zu der für Deutschland – aber nicht nur für Deutschland – elementaren und existenziellen Frage: Wie gehen wir eigentlich mit unserem Fachkräftebedarf um? Auch dies ist ein wichtiges Thema. Sie wissen genau, dass wir in Zukunft Frauen und Männer, junge Leute und ältere Arbeitnehmer brauchen. Aber was tun Sie, damit Familie und Beruf besser zu vereinbaren sind? Sie führen ein Betreuungsgeld ein und belasten damit die Kassen. Das Betreuungsgeld muss weg! Es ist das genaue Gegenteil dessen, was wir brauchen, um Fachkräfte für unsere Wirtschaft zu gewinnen. (Beifall bei der SPD) In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht lese ich, dass die Meinungsbildung über eine einheitliche gesetzliche Lohn-untergrenze noch nicht abgeschlossen sei. Das ist eine fromme, eine kindliche Umschreibung für die Tatsache, dass Sie sich in einem für Deutschland wichtigen Thema, nämlich der Frage eines gesetzlichen Mindestlohns, nicht einigen können. (Beifall der Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] und Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Lösen Sie endlich die Blockaden und führen Sie als unterste Haltelinie einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in Ost und West ein! Dann kann die unsägliche Praxis der Aufstockerei, die ja eine Belastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit sich bringt, ein Ende haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jedes Jahr verlassen 50 000 Jugendliche die Schule ohne Ausbildung. Die Bundesagentur für Arbeit prognostiziert, dass wir mit relativ einfachen Maßnahmen 5,2 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte generieren könnten. In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht steht dazu nichts. Lassen Sie mich schließlich zu einem weiteren wichtigen Thema kommen, der Energiewende. Dieses Megaprojekt, das von Rot-Grün angeschoben wurde, ist bei Ihnen in schlechten Händen. Sie haben von den drei wichtigen Zielen gesprochen: Wir wollen zum Ersten den CO2-Ausstoß minimieren, den Klimawandel verhindern, erneuerbare Energien einführen. Wir wollen zum Zweiten die Versorgungssicherheit garantieren, und wir wollen zum Dritten, dass die Energiewende bezahlbar bleibt. Fangen wir am Ende an: Sie haben es mit einer unsäglichen Politik geschafft, dass die Risiken des Netzausbaus beim Privatkunden und beim kleinen Mittelstand landen. Ihre Ministerin Aigner – Bayern, CSU – hat jetzt, wie ich hören musste, den Vorschlag gemacht, wir sollten die Netze nationalisieren. Hat nicht gerade der sehr verehrte Herr Kollege Glos die Netze verkauft, zum Beispiel an TenneT? TenneT, ein niederländisches Unternehmen mit staatlicher Eigentümerschaft, hat nicht genug Eigenkapital, um den Ausbau der Netze zu bezahlen. Wer bezahlt diesen Unsinn? Die Privatkunden und der Mittelstand. Das muss sich ändern, und das werden wir ab 2013 ändern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wie sieht es mit der Versorgungssicherheit aus? Im letzten Jahr hat die Bundesnetzagentur zehnmal so oft wie sonst eingreifen müssen, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Sehr verehrter Herr Rösler, Sie werden sich darum kümmern müssen, dass es nicht zu Stromabschaltungen kommt. Wir brauchen endlich eine Art Masterplan, damit die Länder nicht untereinander streiten. Es muss Koordination zwischen Bund und Ländern stattfinden, und es darf nicht sein, dass in der Bundesregierung zwei Minister ein Hü und Hott, ein Links und Rechts, ein Vor und Zurück praktizieren. Damit wir einerseits unsere Energieziele erreichen und andererseits mit neuen Produkten und Technologien Arbeitsplätze schaffen, brauchen wir für die Energiewende zwingend einen Fahrplan. Auch hier ist bei Ihnen auf der gesamten Linie Fehlanzeige. Dieser Jahreswirtschaftsbericht stellt entlarvend dar, dass wir in der Wirtschaftspolitik eine Umkehr brauchen. Auf allen Feldern – sei es Europa, seien es Investitionen, sei es die Demografie, sei es die Energiewende, seien es die Finanzen, sei es die Wirtschaftsförderung –, überall ist nur das Minimale getan. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben einen guten Stand in Deutschland. Mit der Regierung hat das nichts zu tun. Die aufkommende Konjunkturschwäche gilt es zu bekämpfen – aber nicht mit dieser Regierung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Martin Lindner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Es gibt Dinge, die jährlich wiederkehren, zum Beispiel Neujahrsfeste und -empfänge (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Weihnachten! – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Jahreswirtschaftsbericht!) – sowie der Jahreswirtschaftsbericht. Seit Januar 2010 ist es ein immer wiederkehrendes Erlebnis, dass sich Vertreter der Opposition, der SPD, wie Herr Heil und Herr Tiefensee, hier hinstellen und sagen: Die wunderbaren Zahlen, die der Bundeswirtschaftsminister vorstellen kann, haben mit allem zu tun, nur nicht mit der aktuellen Bundesregierung – sie hätten etwas mit der SPD zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir hier im kommenden Jahr über den nächsten Jahreswirtschaftsbericht sprechen, werden – das verspreche ich Ihnen – Herr Tiefensee und Herr Heil wieder hier stehen (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir dann mit denen regieren! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist Ihre Abschiedsrede, Herr Lindner!) und erklären, die guten Zahlen hätten mit der alten SPD zu tun. Gewisse Traditionen muss man einfach bewahren. Derzeit entstehen in Deutschland jeden Tag 500 Industriearbeitsplätze. Mit 6,5 Prozent haben wir die niedrigste Arbeitslosenquote seit vielen Jahren. 1,6 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze sind unter Schwarz-Gelb geschaffen worden – keine Spur von Dumpinglöhnen und ähnlichem Kokolores, (Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Die sind wirklich Kokolores! Die sollten Sie abschaffen!) den wir vom ewigen Herrn Gysi – der ist auch so ein Murmeltier, das immer wiederkehrt – hier hören. Unsere Zahlen können sich nicht nur in Europa, sondern auch weltweit wirklich sehen lassen. Auch die Armut ist gesunken; auch das muss man sehen. Alleine die Kinderarmut ist von 2006 bis 2011 um 13,5 Prozent gesunken. (Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Wo haben Sie das Märchen aufgeschnappt?) Es gibt in Deutschland eine Zunahme an Armutsberichten, aber keine Zunahme an Armut. Das muss man an dieser Stelle auch klarmachen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo leben Sie? – Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Märchenstunde!) Wir versuchen nicht nur, den Menschen zu helfen, in sozialversicherungspflichtige Arbeit zu kommen, sondern sie parallel dazu auch zu entlasten. Wenn Sie sich diesen Jahreswirtschaftsbericht anschauen, dann können Sie genau lesen, wie dramatisch die Reallöhne gerade in den letzten Jahren seit 2010 gestiegen sind. Das hat Ursachen. Das hat mit der jüngst abgeschafften Praxisgebühr zu tun, und das hat mit der zweimaligen Absenkung des Rentenbeitragssatzes auf 18,9 Prozent zu tun, trotzdem wir übrigens dafür gesorgt haben, dass sowohl in der Kranken- als auch in der Rentenversicherung Rücklagen in zweistelliger Milliardenhöhe gebildet wurden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Lindner, lassen Sie nun auch eine Zwischenfrage zu, und zwar des Kollegen Birkwald? Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Gerne. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Lindner, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Sie haben eben behauptet, die Armut in Deutschland sinke und steige nicht. Ich tue jetzt einmal etwas Ungewöhnliches und zitiere einfach. Der Paritätische Gesamtverband sagt zum Beispiel in seinem Statement zur regionalen Armutsentwicklung 2012: „Deutschland ist, was Armut anbelangt, ein tief zerrissenes Land“. Ein weiteres Zitat: „Die Krise ist in Deutschland angekommen. Die Armut ist auf Rekordhoch.“ Weiter heißt es: „Die Armutsgefährdungsquote übersprang erstmals die 15-Prozent-Schwelle und befindet sich damit auf einem absoluten Rekordhoch seit der Vereinigung. Es sind 12,4 Millionen Menschen betroffen – vier Prozent, rund eine halbe Million mehr als noch im Vorjahr.“ Mehr, nicht weniger, Herr Kollege! (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie wird das denn berechnet? Das ist absoluter Unsinn! Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!) Hier steht weiter: Interessanterweise stieg die Armutsgefährdungsquote in den letzten fünf Jahren trotz sinkender Arbeitslosigkeit und trotz sinkender Hartz-IV-Quoten. … Viele Menschen haben Arbeit, aber immer weniger können von ihrer Arbeit leben. Das alles sind Originalzitate des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der bekanntermaßen keine Vorfeldorganisation der Linken ist. Deutschland ist dreigeteilt. Mittlerweile hat sich auch die Ost-West-Spaltung verändert: Bremen hat die Rote Laterne übernommen usw. Ein wichtiger Punkt kommt hinzu: Am schlimmsten sind die Befunde in Nordrhein-Westfalen und Berlin. Das ist das Letzte, was ich Ihnen jetzt noch vortragen will: In Nordrhein-Westfalen stieg die Armutsgefährdungsquote von 15,4 Prozent auf 16,6 Prozent und in Berlin von 19,2 Prozent auf 21,1 Prozent, und im Ruhrgebiet ist die Entwicklung dramatisch. Erkennen Sie also bitte an, dass das, was Sie hier gerade eben gesagt haben, eine falsche Aussage war! (Beifall bei der LINKEN) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Herr Kollege, zunächst einmal hat die Situation in Berlin vielleicht damit zu tun, dass die Linke und die SPD von 2001 bis vor kurzem dort gemeinsam regiert haben. Alles hat seine Wirkungen; nichts ist ohne Wirkung und Gegenwirkung. (Beifall bei der FDP – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb seid ihr bald draußen!) Zweitens. Wenn man bei Ihren Ausführungen gerade die Ohren spitzte, dann hat man natürlich die Differenzierung zwischen Armut und Armutsgefährdung zur Kenntnis nehmen müssen. Ich sage Ihnen: In diesem Lande gibt es eine Armutsdefinition, die aus sich heraus dafür sorgt, dass Armut niemals abgeschafft werden kann. „Armut“ wird nämlich so definiert, dass jeder, der weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens bezieht, in Armut lebt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Falsch! 60 Prozent!) – Es sind 60 Prozent! D’accord! Das ändert aber nichts an dem Umstand, dass Menschen, die im Jahr vorher noch nicht in der Armutsstatistik waren, automatisch in die Armut rutschen, wenn der Volkswohlstand, der Reichtum, in der Breite relativ steigt. (Rolf Hempelmann [SPD]: Das sind die Reichen!) Das ist ein relativer und kein absoluter Armutsbegriff. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist liberale Sozialpolitik!) Hinzu kommt: Nachdem die Armut in den letzten Jahren gesunken ist, gibt es jetzt einen neuen Armutsbegriff, nämlich die „Armutsgefährdung“. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Man kann Armut nicht wegrechnen!) Vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband und anderen wird jetzt der Begriff Armutsgefährdung verwendet. Das weitet den Kreis noch aus. Das kann man natürlich tun, aber das alles hat nichts damit zu tun, dass wir hier dafür gesorgt haben, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze – sie sind keine Aufstocker oder das, was Sie immer propagieren – dramatisch gestiegen ist. Das ist das, was ich vorhin meinte: Die Anzahl der Berichte über Armut oder Armutsgefährdung ist gestiegen, aber nicht die Armut unter dieser Regierung. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das hat eben Ursachen, die ich gerade genannt hatte. Wenn Sie – zu Recht – einfordern, dass wir etwas für die Binnenkonjunktur tun müssen, warum tun Sie denn eigentlich in Ihren Parteiprogrammen genau das Gegenteil? Warum veranstalten Sie denn geradezu eine Orgie von Vorschlägen zu Steuererhöhungen? Jeden Tag werden Ihre Vorschläge radikaler, sie beschränken sich ja nicht auf Vermögensteuer, auf Substanzbesteuerung, die natürlich kleine und mittlere Unternehmen angreifen. Herr Gysi, (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Ja!) Sie werden uns doch nicht ernsthaft weismachen wollen, dass man Privatvermögen und betriebliches Vermögen systematisch trennen kann. Das gibt es doch gar nicht. Die kleinen und mittleren Betriebe – das geht beim Handwerksunternehmen los und geht bis zum Mittelstand – thesaurieren einen erheblichen Teil ihrer Gewinne und belassen sie im Unternehmen. Da gibt es gar keine Differenzierung zwischen betrieblichem Vermögen und privatem Vermögen. Sie glauben immer, das seien alles Dagobert Ducks, die zu Hause einen Goldspeicher haben, in dem sie baden gehen und aus dem man einfach einmal 5 Prozent Goldbarren herausschaffen könnte. Das ist doch nicht die Wahrheit, das ist doch nicht die Realität in Deutschland. Das Vermögen ist in den kleinen und den mittleren Betrieben, und da muss es auch bleiben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der Staat darf nicht versuchen, seine Probleme – es ist erstaunlich, Kollegin Andreae, dass das ausgerechnet von Ihnen kommt – durch die Wegnahme von schon zehnmal versteuertem Vermögen zu lösen und so seine Schulden abzubauen. Schauen Sie sich doch einmal Ihren Großmeister Hollande an, der ja nicht ohne Grund beim 150. Geburtstag der SPD gesprochen hat. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Na ja, ich fasse Sie da jetzt einfach einmal zusammen; denn das ist doch alles eine Soße, was Rot-Grün hier produziert. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schauen Sie sich doch einmal an, was der in Frankreich macht! Der hat eine wunderbare Reichensteuer eingeführt, und nach eigener Einschätzung (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommen dabei gerade einmal 230 Millionen Euro heraus. Das Einzige, was er produziert hat, ist eine großflächige Flucht. Da rede ich gar nicht von einzelnen Schauspielern, die nach Russland oder Belgien flüchten, sondern von kleinen und mittleren Unternehmen, die gerade aus Frankreich abhauen. Damit geht dem Staat nicht nur der erhöhte Steuerbetrag verloren, sondern er verliert die gesamten Steuern und Abgaben, die diese Unternehmen vorher geleistet haben. Dieser Weg ist ein Irrweg. Es ist in den letzten 100 Jahren mindestens schon 80- bis 100-mal bewiesen worden, dass das nicht funktioniert. Der Staat muss seine Ausgaben reduzieren. So kann er die Haushalte konsolidieren, aber nicht dadurch, dass er glaubt, er könne immer mehr kassieren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Aber Sie wollen ja auch die Familienfreibeträge reduzieren, höre ich von Herrn Gabriel. Das wird auch immer radikaler. Sie glauben, überall zuschlagen zu können, und meinen, Sie könnten Ihre Probleme, die wir in Nordrhein-Westfalen und anderswo sehen, auf Kosten der Mittelschicht lösen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das, sage ich Ihnen, wird nicht funktionieren. Das werden wir auch nicht zulassen, und das wird vor allen Dingen der Bürger nicht zulassen. Ich möchte zum Schluss auf ein paar Gefahren hinweisen, die ich natürlich sehe und über die wir ernsthaft reden müssen. Wir haben eine Situation, die ich so einschätze: Viele Bürgerinnen und Bürger in diesem Land vergessen manchmal, dass der Zuwachs an Wohlstand in den letzten 50, 60 Jahren natürlich auch etwas mit Infrastruktur zu tun hat und dass es kein freies Mittagessen gibt. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Heute haben wir beispielsweise in normalen Supermärkten ein Angebot von bis zu 20 000 Produkten. In den 70er-Jahren lag das Angebot noch bei 700 Produkten. Die Leute vergessen manchmal – darin werden sie durch Sie bestärkt –, dass diese Waren auch transportiert werden müssen, dass Straßen, Schienen und auch der Luftverkehr ausgebaut werden müssen. Dieser Ausbau in den vergangenen Jahren hat in der Breite für Mobilität gesorgt. Menschen, die es sich in den 70er-, 80er-Jahren noch nicht leisten konnten, mit dem Flugzeug in den Urlaub zu fliegen, können es jetzt. Aber das hat seinen Preis, und das führt natürlich auch zu Belästigungen. Dazu muss man als Regierung, als Partei, als Koalition stehen, und man darf sich nicht bei jeder Gelegenheit, wenn irgendwo Flugrouten geschaffen werden, wenn irgendwo Flugplätze ausgebaut werden, wenn irgendwo Schienen verlegt werden, populistisch hinter lokale Protestbewegungen stellen und sich gegen den Ausbau der Infrastruktur wenden. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen diese Infrastruktur. Ohne Infrastrukturausbau wird es in diesem Land keinen Wohlstand geben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Eine Regierung, die verantwortungsbewusst ist, muss dafür sorgen, dass das gemacht wird. Ein anderer Punkt ist die Investitionsquote. Wir reden oft über Mieten oder Ähnliches: Die teilweise zu hohen Mietpreise sind doch nicht die Folge von zu viel Marktwirtschaft, sondern von zu wenig Marktwirtschaft. Wir haben einen völlig überregulierten Wohnungsbau in Deutschland. Die Anforderungen, vom Bürgermeister über den Ministerpräsidenten bis hin zur Bundesebene, an das Bauen sind einfach zu hoch. Das Geld steht zur Verfügung, wird aber nicht in den Wohnungsbau investiert. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Ich komme zum Schluss. – Wenn Sie jetzt glauben, man könne das Problem der hohen Mieten durch dramatische Mietpreisdeckelungen lösen, dann werden Sie genau das Gegenteil erleben: Es wird noch weniger in den Wohnungsbau investiert, und es wird noch mehr spekuliert. Damit sind diejenigen, die Eigentum besitzen, besser gestellt. Aber wir wollen doch, dass alle Menschen in einer vernünftigen Wohnung mit einer bezahlbaren Miete wohnen können. Daher müssen wir dafür sorgen, dass Investitionen in diesem Lande weiterhin möglich sind und ausgebaut werden können. Deswegen ist es gut, dass wir regieren. Deswegen ist es gut, wenn wir weiterregieren, egal auf welcher Ebene. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Ernst Hinsken. Ernst Hinsken (CDU/CSU): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn des Jahres ist jeder von uns bei vielen Veranstaltungen und wird gefragt: Wie geht es dir? – Die meisten antworten: Mir geht es gut. Die Bundesregierung unter Angela Merkel arbeitet hervorragend. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutschland ist auf einem guten Weg, die anstehenden Probleme zu lösen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Selbst-gespräche!) Wir haben Vertrauen in diese Regierung. – Recht haben die, die so argumentieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Das ist ja eine Argumentation!) Ich meine auch, gerade die hervorragende Rede des Bundeswirtschaftsministers Herrn Dr. Rösler – das war heute eine Regierungserklärung – (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wäre es wert gewesen, dass sie auch die Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Frau Künast und Herr Trittin, gehört hätten. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht!) Beide glänzen durch Abwesenheit. Vielleicht befinden sie sich im Moment in Niedersachsen. Hier spielt die Musik. Hier geht es um Deutschland. Hier geht es um weitreichende Entscheidungen. Hier geht es darum, dass der Jahreswirtschaftsbericht beraten wird, der uns als Ganzes vorliegt und den wir heute teilweise durchleuchten möchten, um daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen, um weiterhin voranzukommen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Wo ist denn die Frau Merkel?) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Heil, ich schätze Sie sehr. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn Herr Kauder?) Aber heute haben Sie ein bisschen überzogen. Schwarzmalerei und Panikmache sind wahrlich nicht angebracht. Genauso wenig ist es angebracht, in Euphorie zu verfallen; denn es gibt natürlich einige Probleme. Es gibt einige kleine dunkle Wolken am Himmel. Aber ich bin der festen Überzeugung: Wir werden im Laufe des Jahres zu besseren Ergebnissen kommen. Es wird sich zeigen, dass die deutsche Wirtschaft in der Lage ist, das, was sie bisher erarbeitet hat, nicht aufzugeben, und die Projekte, die sie bisher nur aufgeschoben hat, jetzt umzusetzen. Die Wirtschaft wird Gas geben, damit wir auch in diesem Jahr nach vorne kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Es ist doch unbestreitbar: Vieles wurde in den letzten Jahren erreicht, auch in der Großen Koalition; das möchte ich nicht beiseiteschieben. Deutschland steht im Vergleich zu anderen Nationen wirklich und wahrlich blendend da. Ich darf ergänzen, weil ich davon überzeugt bin: Wir haben zurzeit die beste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung Deutschlands. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es gibt einige Probleme, die gelöst werden müssen. So ist zum Beispiel die Staatsschuldenkrise noch nicht bewältigt. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns, um diese Herausforderungen zu meistern. Auf das Geleistete sollten wir alle stolz sein. Dabei gilt es, die guten Zahlen zu würdigen, weil sie insbesondere auf die Leistungsfähigkeit und Robustheit unserer Wirtschaft, unseres Mittelstandes und der deutschen Arbeitnehmer zurückzuführen sind. Deutscher Arbeitnehmerfleiß, deutscher Unternehmergeist und vernünftige Rahmenbedingungen, die diese Bundesregierung setzt, sind die Grundlagen dafür, dass es weiter aufwärtsgeht und dass Deutschland ein Hort von Stabilität nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt bleiben wird; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) denn in keinem anderen Land funktioniert das Ganze besser als bei uns. Überall im Ausland werden wir gefragt: Wie macht ihr Deutschen das bloß? Denn wir haben, wie heute schon mehrmals gesagt worden ist, 41,6 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Wir können darauf verweisen – darauf können wir stolz sein –, dass wir so gut durch die Krise gekommen sind wie kein anderes Land und dass sich Deutschland in einer sehr guten Verfassung präsentiert, und das trotz des schwierigen Umfelds weltweit und in Europa. Die Auftragseingänge zeigen eine Stabilisierung, und das Geschäftsklima hellt sich von Tag zu Tag mehr auf. Auch wenn in den letzten Monaten des vergangenen Jahres die Wirtschaft schwächelte, erreichte unser Land anders als die Euro-Zone insgesamt auch in 2012 ein beachtliches Wachstum von 0,7 Prozent. Für 2013 werden derzeit 0,4 Prozent Wachstum erwartet. Ich wiederhole mich: Ich meine, dass diese Zahl zu niedrig angesetzt ist und höher ausfallen wird. Ich bin überzeugt, dass, wenn die außenwirtschaftlichen Unsicherheiten und die Belastungen durch die Vertrauenskrise im Euro-Land nachlassen, erwartet werden kann, dass sich die derzeitige Investitionszurückhaltung nach und nach auflösen wird. Dann wird sich zeigen, dass die Investitionen der Unternehmen nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben sind. Dazu dürfte beitragen, dass die Wachstumsraten im Verlauf des Jahres zunehmen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere Wirtschaft ist aber auch auf stabile Rahmenbedingungen im Euro-Raum angewiesen. Die Euro-Mitgliedstaaten müssen jetzt Strukturreformen nachholen und ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken. Deutschland ist solidarisch. Aber Solidarität darf keine Einbahnstraße sein. Unsere Unterstützung ist Hilfe zur Selbsthilfe; sie ist kein Ersatz für Reformen. Ich darf erwähnen, dass der Export von Waren made in Germany eine tragende Säule dieser Entwicklung ist. Bereits im November 2012 übertraf der Wert deutscher Exporte die Schwelle von 1 Billion Euro. Damit wurde zum zweiten Mal nach 2011 die Schwelle von 1 Billion Euro geknackt, nur dieses Mal weit früher als in früheren Jahren. Die außenwirtschaftlichen Impulse werden erheblich schwächer sein als im Vorjahr. Deshalb wird die Konjunktur durch die Binnennachfrage getragen. Diese gilt es zu stärken. Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen werden deshalb 2013 um 8 Milliarden Euro entlastet. Dass die Binnenkonjunktur angekurbelt werden muss, ist aber leider bei Ihnen von Rot-Grün und Knallrot nicht angekommen. Sagen Sie uns doch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, warum Sie im Bundesrat wichtige steuer- und wirtschaftspolitische Maßnahmen wie den Abbau der kalten Progression, die energetische Gebäudesanierung, das Jahressteuergesetz, die 8. GWB-Novelle usw. blockieren! (Widerspruch der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist in dieser Zeit erforderlich, dass wir diese Maßnahmen durchsetzen. Aber Sie treten auf die Bremse und wollen den Erfolg ausschließen. Sie wollen ihn nicht haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Denn ein Erfolg ist dann gegeben, wenn die gute Konjunktur aufbauend auf Reformen sich weiter entwickeln kann. Eine der größten Herausforderungen seit der Wiedervereinigung ist die Bewältigung der Energiewende. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah!) Dazu ist eine grundlegende Reform des EEG erforderlich. Diese muss Investitionssicherheit, ein besseres Zusammenspiel der erneuerbaren Energien mit den Stromnetzen und den grundlastfähigen Kraftwerken sowie günstige Strompreise für die Bürger und die Betriebe gewährleisten. Ich möchte noch eines in die Debatte mit einführen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ja, aber ganz knapp, Herr Kollege Hinsken. Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ja, sehr wohl, Herr Präsident. (Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Es trifft Gerechte und Ungerechte, Herr Kollege Gysi. Ernst Hinsken (CDU/CSU): Was zum Beispiel BASF in der Bundesrepublik Deutschland an Strom benötigt, ist genauso viel wie das, was das ganze Land Dänemark an Strom pro Jahr verbraucht. Da können wir doch nicht zuschauen! Da muss etwas gemacht werden, (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Die Effizienz!) damit die Betriebe bei uns in der Bundesrepublik Deutschland auch weiterhin bereit sind, mitzuhelfen und zu investieren, und Arbeitsplätze vorhalten. Denn davon profitieren nicht nur die Firmen und der Staat, sondern zu guter Letzt auch der Arbeitnehmer, der einen Arbeitsplatz erhält, den er sich immer sehnlichst wünschte, als er keinen hatte. Und der Arbeitnehmer, der einen solchen hat, möchte ihn behalten. Dafür sorgen wir. Das wird gewährleistet. Das weist gerade dieser Jahreswirtschaftsbericht aus. Ich wünsche, dass die Bundesregierung mit Wirtschaftsminister Rösler und Herrn Bundesfinanzminister Schäuble so erfolgreich bleibt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Ernst Hinsken (CDU/CSU): Dann ist mir nicht bange, dass es mit der Bundesrepublik Deutschland unter Angela Merkel weiterhin aufwärtsgeht. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Heinz Riesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Ende dieser faszinierenden Debatte stellen wir fest: Von zwei Seiten werden wir angegriffen. Die einen sagen: Wir sparen nicht entschieden genug. Die anderen sagen: Wir geben nicht genug Geld für Wachstum aus. (Zuruf der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ja, Freunde, das ist immer ein Zielkonflikt. Geld hat man nur einmal. Aber ob es gelingt, diesen Zielkonflikt aufzulösen, zeigen die Resultate. Das, was der Wirtschaftsminister und die anderen glanzvollen Redner der Koalition mit wohlerwogenen Argumenten hier vorgetragen haben, zeigt eindeutig, dass die Ergebnisse in allem, was die handfesten Zahlen hergeben, von überzeugender Standfestigkeit sind. Ich rede jetzt nicht davon, dass wir Jahre vor dem angezeigten Termin die Konsolidierung der Haushalte erreichen. Ich rede nicht davon, dass wir die höchste Zahl von Arbeitsplätzen haben. Ich rede nicht davon, dass wir die seit vielen Jahren niedrigste Zahl von Arbeitslosen haben. Ich rede nicht von all den Zahlen, die der Jahreswirtschaftsbericht so triumphal und mit wohlbegründeten Argumenten vorträgt. Das ist das eine. Das andere ist: Herr Tiefensee, den ich mag, weil er ein netter Mensch ist, sagt, die Bundesregierung habe kein Konzept. Ja, lieber Herr Tiefensee, wie sieht die Welt aus? Wir sind nicht einem majestätischen und hektischen Aktionismus verfallen, sondern wir machen eine verlässliche, vertrauenschaffende, stetige Politik, die Schritt für Schritt das Richtige aufbaut. Das haben wir schon gemacht, als Sie, Herr Steinbrück, noch mit in der Regierung gewesen sind. Gell, längst vergangene Zeiten! Schon damals hat Angela Merkel eine klare Linie gefahren, und wir alle haben mit Freude gesehen, wie erfolgreich sie sich auf den Märkten niedergeschlagen hat. Was mich in dieser Debatte gefreut hat: Es hat niemand den durchaus entschlossenen Titel des Jahreswirtschaftsberichts „Wettbewerbsfähigkeit – Schlüssel für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und Europa“ angegriffen. Das heißt, unser Ziel ist, dass wir so tüchtig sind, wie wir sein können. Da haben wir noch nicht alles erreicht, was wir wollen; aber wir haben die richtigen Instrumente. Dort, wo es notwendig ist, haben wir sehr viel Geld in die Hand genommen. In der Forschung kommt es nicht nur darauf an, dass wir hohe Milliardenbeträge – mehr als jemals zuvor – ausgegeben haben. (Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Es kommt auch darauf an, dass man die Mittel intelligent ausgibt. Und wir haben deshalb mehr und mehr Gelder im Wettbewerb vergeben. Die Vergabe der Mittel im Wettbewerb ist auch ein Instrument. Ich verweise auf die Exzellenzinitiative, den Spitzencluster-Wettbewerb, den früheren „BioRegio“-Wettbewerb und den Leibniz-Preis. Einst waren die orthodoxen Finanzer hier überzeugt, dass Preise wie dieser unsittliche Anschläge seien. Wir sind in vielen relevanten Bereichen dank unserer Politik stetig weitergekommen. Wir sind nicht fertig, sonst könnten wir aufhören. Und weil wir nicht fertig sind, müssen wir weitermachen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben hier in einer Vielzahl von Bereichen noch große Arbeitspakete vor uns, auch wenn wir vorangekommen sind. (Zuruf des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Es gab die Diskussion, ob wir es uns erlauben könnten, auf tüchtige Frauen im Arbeitsleben zu verzichten. Vor wenigen Tagen kam die Nachricht, 72 Prozent der Frauen seien jetzt schon in Arbeit, mehr als die Hälfte in Vollzeit. Von dem Rest wollen vier Fünftel oder mehr nicht mehr als Teilzeit arbeiten. Um Frauen im Beruf noch besser zu unterstützen, müssen wir einiges tun. Deshalb gibt die Bundesregierung für Kinderbetreuung bis 2014 5,4 Milliarden Euro aus und wird sich danach an den Betriebskosten in einer Größenordnung von 845 Millionen Euro jährlich beteiligen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine Voraussetzung nicht nur für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes, sondern auch für Freude an der Arbeit, damit die Menschen die Chance haben, auch das, was sie wünschen, aus ihrem eigenen Leben zu machen. Da gibt es die Frage, wie weit die Älteren im Beruf bleiben. Ich kann Ihnen versichern: Es gibt hier Leute auch über 60, die mit Freude ihre Arbeit machen. Gell, Herr Gysi? (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie aber auch! – Zuruf von der SPD: Man sieht es!) Es gibt hier Leute über 60, die mit fröhlicher Entschlusskraft jeden Morgen aufstehen und in das einsteigen, was zu tun ist. (Rainer Brüderle [FDP]: Sehr gut!) Die Tatsache, dass sich die Zahl der über 60-Jährigen in Arbeit in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat, die Tatsache, dass wir heute schon fast die Hälfte der über 60-Jährigen in Arbeit haben, ist eine exzellente Geschichte, auf der wir weiter aufbauen können. Das ist wichtig für die Rente; das ist wichtig für die Wirtschaft; das ist aber auch wichtig für die Lebenserfülltheit, den Lebenssinn, die Freude daran, täglich aufzustehen und wieder in die Arbeit einzusteigen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist insoweit in den verschiedensten Bereichen tätig geworden. Wenn wir versuchen, das zu bewerten, kann ich auf die Zahlen des Jahreswirtschaftsberichts verweisen. Es gibt natürlich auch eine Reihe von qualitativen Indikatoren in sensiblen Bereichen. Unsere entsprechende Enquete-Kommission arbeitet hier an einem umfassenden ganzheitlichen Wohlstandsindikator. Das ist ein bisschen schwierig, aber schauen wir uns einmal die einzelnen Bereiche an: Der Nachhaltigkeitsindikator 2012 der KfW, der uns im Dezember auf den Tisch geflattert ist, zeigt, dass Deutschland in den relevanten Bereichen noch nie so nachhaltig war. Der Nachhaltigkeitsindikator insgesamt hat den höchsten Wert seit sechs Jahren erreicht. Der Nachhaltigkeitsindikator im Teilbereich Wirtschaft hat den höchsten Wert. Im Teilbereich Umwelt hat er den höchsten Wert. Im Teilbereich des sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalts hat er den höchsten Wert. Das alles bedeutet nichts anderes, als dass diese Bundesregierung nicht nur eine Politik betreibt, die ökonomisch erfolgreich ist – jawohl, das wollen wir –, sondern auch eine Politik, die den Menschen weitere Lebenschancen eröffnet, die das Vertrauen der Menschen in einer Weise gewonnen hat, dass man mit dieser Politik auch gerne in die Zukunft schreitet, im Bund, in den Ländern oder wo auch immer darüber zu entscheiden ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bericht, den Sie, Herr Rösler, hier vorgelegt haben, handelt von Deutschland und von Europa. Mit den gleichen Ideen, auf deren Grundlage wir in Deutschland arbeiten, versuchen wir mit allen Kräften, in Europa zu helfen. Aber auch unsere Kraft als starke Industrienation ist nicht unbegrenzt. Wo wir jedoch helfen, beruht die Hilfe auf der Idee, dass die Länder, die in Schwierigkeiten sind, die Möglichkeit erhalten, sich selber zu helfen. Wir unterstützen sie dabei, dass sie Reformen in Gang bringen, dass sie neue Strukturen schaffen, dass sie die Idee der Wettbewerbsfähigkeit in ihre eigene Wirklichkeit umsetzen, und das nicht nur, damit die Zahlen stimmen, sondern weil das die eigentliche Art ist, menschlich mit der Wirklichkeit und mit dem Leben umzugehen: sich in seinen Leistungen gefordert zu sehen, sich in seinen Fähigkeiten gefordert zu sehen, zugleich aber zu wissen, dass andere dann helfen, wenn es schwierig ist, wenn es hängt, wenn man nicht mehr so kann, wie man will. Wenn wir aus diesem Geist heraus – das ist der Geist der sozialen Marktwirtschaft – unsere Politik auch in den kommenden Jahren aufbauen, dann werden wir in einer schwierigen Zeit mit einer klaren Linie Deutschland voranbringen und unseren Beitrag dazu leisten, dass Europa steht. Da vertrauen wir auf unsere tatendurstige Regierung und ihre hohe Kompetenz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Da vertrauen wir auf die faire Begleitung durch unsere tüchtige Opposition. Möge sie uns noch lange so begleiten, wie sie uns heute begleitet hat! Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Riesenhuber. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Wir vertrauen auch darauf, dass wir hier in diesem Geist in einem neuen Jahr wieder das hinbekommen, was wir uns vorgenommen haben: dass uns Deutschland gelingt, dass uns mit unseren Partnern Europa gelingt und dass wir frohgemut in das nächste Jahr schreiten – mit einem Erfolg, den wir gemeinsam erarbeitet haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, die Vorlagen auf den Drucksachen 17/12070 und 17/11440 an die Ausschüsse zu überweisen, die Sie in der Tagesordnung angegeben finden. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 10 sowie Zusatzpunkt 3 auf: 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peer Steinbrück, Joachim Poß, Ingrid Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte – Für eine starke europäische Bankenunion zur Beendigung der Staatshaftung bei Bankenkrisen – Drucksache 17/11878 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Klaus-Peter Flosbach, Peter Aumer, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Daniel Volk, Holger Krestel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Schärfere und effektivere Regulierung der Finanzmärkte fortsetzen – Drucksache 17/12060 – Es ist hierzu verabredet, eineinhalb Stunden zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Ich gebe das Wort dem Kollegen Peer Steinbrück für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt mal los hier! Jetzt rückt die Kavallerie aus!) Peer Steinbrück (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Riesenhuber, ich glaube, wir kennen uns seit der zweiten Hälfte der 70er-Jahre. Nehmen Sie mir deshalb das folgende Kompliment als aufrichtig ab: Sie sind mit Abstand der eleganteste Tänzer am Podium dieses Deutschen Bundestages. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der gerade debattierte Jahreswirtschaftsbericht, meine Damen und Herren, zeigt sehr deutlich eine Verunsicherung der deutschen Wirtschaft hinsichtlich der Perspektiven für dieses Jahr und wahrscheinlich auch noch für das nächste Jahr. Diese Verunsicherung ist natürlich ganz maßgeblich geprägt von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen wir es in Europa mit Blick auf die Situation in vielen europäischen Partnerländern zu tun haben. Das ist kein Wunder, kein Wunder bei den wirtschaftlichen Verflechtungen, mit denen wir es zu tun haben, und kein Wunder bei einem so exportgetriebenen Wachstums- und Wirtschaftsmodell, wie wir es in Deutschland haben. Fünf Jahre nach Ausbruch der internationalen Finanzkrise, 2007/08 eskalierend, haben wir es immer noch mit deren nicht bewältigten Folgen zu tun. Die Krise stellt die Frage nicht nur nach dem Zusammenhalt in Europa, sondern auch nach der Zukunft in Europa. Sie hat einige Länder nicht nur in eine Rezession, ja in eine Depression, sie hat einige Länder in eine Situation der Austerität getrieben, angesichts der sich die Frage nach der sozialen und politischen Stabilität dieser Länder stellt. (Beifall bei der SPD) Deshalb bleibe ich dabei, dass diese Krise sehr viel mehr kosten könnte als Geld. Das wird gelegentlich unterschätzt in all den europapolitischen Debatten, die wir führen. Die ungelöste Krise hat auch etwas mit der Ursachenanalyse gerade dieser schwarz-gelben Bundesregierung zu tun. Viel zu lange hat die Regierung von Frau Merkel so getan, als ginge es im Wesentlichen um eine Verschuldungskrise anderer Länder, einzelner Staaten. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Die fällt Ihnen und den deutschen Steuerzahlern jetzt auf die Füße; denn die Konsequenz dieser Ursachenanalyse ist, dass wir mit unserem politischen Gewicht, mit unserer ökonomischen Kraft in Europa einen Sparkurs, Konsolidierungszwänge durchgesetzt haben, was von den betroffenen Ländern zunehmend nicht nur als nachteilig, sondern sogar als gefährlich empfunden wird. (Zuruf von der LINKEN: Stimmt!) Diese Länder fragen sich, ob das Spardiktat, für das wir verantwortlich sind, eine lebensbedrohende Dosis oder eine lebensfördernde Dosis enthält. Das ist exakt die Frage, vor der wir stehen. Die Krise in Europa ist also nicht maßgeblich auf eine Verschuldungskrise zurückzuführen, sondern sie ist in weiten Teilen nach wie vor eine Krise labiler Banken und ungezähmter Finanzmärkte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das lässt sich leicht belegen; denn in der sehr kurzen Zeit zwischen Oktober 2008 und Dezember 2010 wurden die Banken europaweit mit insgesamt – stellen Sie sich das einmal vor! – 1,6 Billionen Euro Staatshilfen gerettet. Das entspricht ziemlich exakt dem Jahreseinkommen aller Deutschen zusammen. Hier liegt deshalb der Hase im Pfeffer. Es gibt Finanzinstitute in Europa, denen es gelungen ist, Infektionskanäle in die Staatshaushalte zu legen. Sie haben ein Drohpotenzial, das lautet: Wenn ihr mich nicht rettet, bricht eure Volkswirtschaft zusammen; und im Übrigen bin ich so groß, dass ich gar nicht scheitern darf, und deshalb werden mich die Staaten finanzieren müssen. – Diejenigen, die die Haftenden in letzter In-stanz sind, sind die Steuerzahler in diesen Staaten. Die Folge ist die steigende Schuldenlast gewesen, die jetzt aber als Ursache dargestellt wird, obwohl sie eine Konsequenz, eine Folge dieser Entwicklung ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das beste Beispiel ist übrigens Irland. Irland galt einmal als Musterknabe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Ich kann mich erinnern, dass es vor über zehn Jahren Empfehlungen aus den Reihen der FDP gab, wir sollten uns an Irland ein Beispiel nehmen, (Thomas Oppermann [SPD]: Genau! – Weiterer Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) auch und gerade ordnungspolitisch, auch und gerade hinsichtlich der Deregulierung und der Privatisierung. Es ist erstaunlich, dass das Kurzzeitgedächtnis einigen Parteien mehr nützt als anderen, wenn man sich daran erinnert, dass die FDP uns dieses Irland in mehreren Reden im Deutschen Bundestag als nachahmenswert vorgehalten hat. Irland musste inzwischen Mittel in der sagenhaften Größenordnung von 269 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung aufwenden, um seine Banken zu stützen – fast 270 Prozent; das entspricht fast dreimal seiner jährlichen Wirtschaftsleistung –, um die irischen Banken vor einem Kollaps zu bewahren. Deshalb war es kein Wunder, dass die irische Staatsverschuldung, die im Jahre 2007 mit 25 Prozent, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, relativ niedrig war, nun inzwischen über 100 Prozent beträgt. Die Finanzmarktkrise als Verursacher der Staatsverschuldung kommt aber in der Analyse der Bundesregierung schlichtweg nicht vor. Ich zitiere die Bundeskanzlerin aus einer Regierungserklärung vom Oktober des letzten Jahres: … die Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben, … sind auf eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, – nicht falsch – sie sind auf die Überschuldung einzelner Mitgliedstaaten sowie auch auf Gründungsfehler des Euro zurückzuführen. Das alles ist nicht zu dementieren. Der Punkt ist aber: Der labile Bankensektor und die Finanzmarktkrise kommen dabei nicht vor. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Gegenteil stimmt aber nicht nur für Irland, wie Sie wissen. Das Gegenteil stimmt auch für Spanien, das übrigens vorher eine günstigere Verschuldungsquote hatte als Deutschland. Und der nächste Fall, der uns hier im Deutschen Bundestag beschäftigen dürfte, wird, wie ich befürchte, im März Zypern sein. Es hat einen Bankensektor, dessen Bilanzsumme so aufgebläht ist, dass sie fünf- bis sechsmal so hoch wie die jährliche zypriotische Wirtschaftsleistung ist. Auch andere Faktoren, die im Fall von Zypern eine Rolle spielen, werden uns in den Debatten hier noch sehr stark beschäftigen. Das Ergebnis dieser Politik ist, dass sich die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sowie auch die anderer europäischer Länder in einer riesigen Haftungsunion befinden und vom Geschäftsgebaren einzelner Banken abhängig sind. Sie sind abhängig von Fehlentscheidungen der Risikoignoranz, der Renditejagd dieser Banken und haften in letzter Instanz. Das ist grotesk und verletzt zunehmend das Gerechtigkeitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das berührt eine Gretchenfrage der sozialen Marktwirtschaft, nämlich, ob in einer sozialen Marktwirtschaft Haftung und Risiko zusammenfallen. Deshalb sage ich häufiger, dass diese Krise nicht nur Geld und Vertrauen kosten kann, sondern eventuell auch das Vertrauen in unsere wirtschaftliche Ordnung, weil viele Menschen den Eindruck haben, dass sie die Geschädigten sind und für Schäden haften müssen, die andere verursacht haben, die aber zu deren Folgekosten nicht herangezogen werden. Bei der Bundesregierung wird die neue Bankenunion zu einer Umwälzanlage von Kapital aus den Staatshaushalten in Bankbilanzen; denn anstatt beim Europäischen Rat Ende Juni 2012 endlich einen europäischen Abwicklungsmechanismus zu etablieren und damit die Staatshaftung zu beenden oder zumindest deutlich einzugrenzen, haben die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen zugestimmt, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus in Zukunft – jetzt kommt es – Banken direkt rekapitalisieren kann, und das, obwohl weite Teile von Ihnen im Haushaltsausschuss vorher aus einer richtigen Erkenntnis heraus explizit das Gegenteil beschlossen haben. Jetzt haften die Steuerzahler in Deutschland nicht nur für die Banken im eigenen Land – siehe das Finanzmarktstabilisierungsgesetz und Folgegesetze, die wir hier gemeinsam beschlossen haben –, sondern auch für Banken in der gesamten Euro-Zone. Richtig ist, Sie haben eine Konditionierung vorgenommen, Herr Schäuble und Frau Merkel. Sie haben die Konditionierung vorgenommen, dass vorher eine Bankenunion geschaffen werden muss. Es fällt auf, wie lange Sie die Schaffung der Bankenunion vor sich herschieben, sodass diese Union garantiert nicht vor dem magischen Datum im September 2013 gegeben sein wird – das hätte nämlich zur Folge, dass Banken dann direkt rekapitalisiert werden könnten und eine gewisse Empörungswelle auch bei deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zu erwarten wäre –, sondern erst im Folgejahr nach der Bundestagswahl. Das ist das, was ich als Schleiertanz bezeichne, Herr Kauder. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was, so frage ich, nützt eine bessere Bankenaufsicht auf europäischer Ebene, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist und der Steuerzahler weiterhin der Haftende in letzter Instanz ist? Sagen Sie den Bürgerinnen und Bürgern im Sinne von Wahrhaftigkeit endlich, was Sie im Juni beschlossen haben. Sie haben mit Ihrer Zustimmung auf dem Europäischen Rat Ende Juni 2012 eine Staatshaftung für Bankenrisiken in Europa geschaffen. Wir brauchen, meine Damen und Herren, einen klaren Blick auf den Kern dieser Krise. Fünf Jahre nach dem Bankrott von Lehman sind die Infektionskanäle aus den Bankenbilanzen in die Staatshaushalte immer noch nicht trockengelegt. Das heißt, wir brauchen endlich einen Schutz der öffentlichen Haushalte vor den Gefahren der Finanzmärkte. Wir brauchen ein Ende der Staatshaftung, und wir brauchen eine Beendigung des Erpressungs-potenzials großer, systemrelevanter Banken, die uns auch hier im Deutschen Bundestag Entscheidungen abnötigen, weil wir wissen, dass ein Scheitern dieser Banken Konsequenzen hätte, die wir dem öffentlichen Wohl schlechterdings nicht mehr zumuten können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen einen wirksamen Schutz der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler als Haftende in letzter Instanz. Sie legen heute einen Antrag vor mit dem Titel: „Schärfere und effektivere Regulierung der Finanzmärkte fortsetzen“. Nehmen Sie es mir nicht übel – fern jedes Florettangriffs –, aber Sie haben sich mit dem Begriff „fortsetzen“ einfach vergriffen. (Beifall bei der SPD) Sie erwecken nämlich den falschen Eindruck, als hätten Sie bereits in den letzten drei Jahren Grundlegendes oder gar Wegweisendes zur Regulierung der Finanzmärkte unternommen. Das haben Sie nicht! (Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch, doch! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dazu haben wir eine Broschüre! Ich schicke sie Ihnen zu!) – Ihre Broschüre oder Ihre Anträge mögen ja schön sein. Das ist ja alles in Ordnung. In denen muss man auch nicht wahrhaftig sein. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie haben behauptet, Sie hätten alles getan!) – Gemach, Gemach, keine Aufregung, keine Blutdrucksteigerung. – Das, was Sie in diesem Antrag aufführen, ist ganz interessant. Sie führen beispielsweise das Restrukturierungsgesetz auf, weiterhin die Bankenabgabe, die Reform der Vergütungssysteme und ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe. Das sind jedoch Reformmaßnahmen, die aus der Zeit der Großen Koalition resultieren. Dafür haben Sie gar kein Urheberrecht. (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Albern, was Sie hier erzählen!) Sie sollten mit dem Urheberrecht vorsichtiger sein. Die Maßnahmen sind alle in der Großen Koalition angelegt worden. Die Vorarbeiten zum Restrukturierungsgesetz in Deutschland stammen noch aus der Feder von Frau Zypries und von mir. Die Bankenabgabe ist angelegt worden in der Großen Koalition. Dem Thema des Verbots von Leerverkäufen habe ich mich erstmals zugewandt. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Für ein paar Monate!) – Entschuldigen Sie, Sie haben das dann nachgemacht, und das werfe ich Herrn Schäuble auch gar nicht vor. Das hat er ja richtig gemacht. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir waren die ersten in Europa, die es durchgesetzt haben! Erzählen Sie doch keinen Müll hier!) – Entschuldigen Sie, ich würde sehr vorsichtig sein; denn ich hatte mich auch mit anderen Ländern darüber abgestimmt, dass das Ganze nicht nur auf Deutschland zu begrenzen ist, sondern sich auch auf Europa erstreckt. Unbenommen dessen: Das, was Sie hier betreiben, ist schlicht und einfach die Verletzung von Copyrights. Die Reformen stammen alle aus der Großen Koalition. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Im Übrigen verweisen Sie auf Initiativen, die durchaus richtig sind: die Regulierung von Ratingagenturen, Hedgefonds und Derivatemärkten – nur, dies sind alles Initiativen der Europäischen Kommission, und Sie kommen gar nicht darum herum, diese nach europäischem Recht umzusetzen. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: So ist es! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]) Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Gemeinsam mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben wir hier einen Antrag zu einem Aspekt vorgelegt. Die weiteren Aspekte finden sich in umfangreicheren Papieren, zu denen ich auch etwas gesagt oder beigetragen habe. Wir äußern uns hier in unserem Antrag ganz gezielt zu einer europäischen Bankenunion und zeigen die wirklichen Probleme und Lösungen auf. Wir fordern eine europäische Abwicklungsbehörde, ein europäisches Abwicklungsregime und einen Restrukturierungsfonds, meine Damen und Herren, der nicht von den Steuerzahlern gespeist wird – nein! –, sondern von den Banken selber und damit die deutschen Steuerzahler entlastet. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine europäische Bankenaufsicht ist wichtig. Ich sage kein böses oder kritisches Wort dazu. Selbstverständlich ist es richtig, dass die europäische Bankenaufsicht befördert wird. Ich bin sehr froh darüber, dass die Lösung herausgekommen ist, die sich jetzt anbahnt, die sich jedenfalls in einem ersten Schritt auf die systemrelevanten, großen Banken erstreckt. Es ist auch richtig, die Bankenaufsicht bei der EZB anzusiedeln, wenn es eine klare Trennung der Zuständigkeiten gibt. Aber in der Haftungsfrage verbessert sich durch die Verbesserung der Bankenaufsicht zunächst einmal gar nichts. Vielmehr entspricht der Umgang mit der Haftungsfrage dem Satz des von Herrn Schäuble und mir sehr respektierten Chefs der Bank of England, Mervyn King, der gesagt hat: „Global in life, but national in death.“ Das gilt für die Banken: Sie sterben immer noch auf nationaler Ebene, mit der Folge, dass Steuerzahler und Steuerzahlerinnen dafür aufkommen müssen. Wir brauchen eine europäische Abwicklungsbehörde, um künftig die von der EZB beaufsichtigten systemrelevanten Banken in einem grenzüberschreitenden Verfahren geordnet restrukturieren oder auch abwickeln zu können. Das ist übrigens eine Forderung, die gar nicht so originell ist; sie ist in den Reihen meiner Fraktion schon vor drei, vier Jahren geäußert worden. Ich würde gerne wissen: Was haben Sie denn seitdem gemacht, um das auf der europäischen Ebene durchzusetzen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Oppermann [SPD]: Ja, nichts haben sie gemacht!) Meine Damen und Herren, unsere Aufgabe in diesem Haus ist es, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Europa zu schützen, vor den Risiken in Europa, aber auch vor Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Herr Solms ist vorhin darauf eingegangen. Ich will Ihnen die Zahlen in Erinnerung rufen: Allein in Deutschland fehlen aufgrund illegaler Steuerpraktiken nach seriösen Schätzungen jährlich bis zu 150 Milliarden Euro; in ganz Europa, sagen einige Fachleute, sind es 900 Milliarden Euro. Das heißt, eine Reihe von Problemen, mit denen wir uns hier beschäftigen, gäbe es nicht, wenn wir bei der Erzielung dieser Steuerzahlungen erfolgreicher wären. Wenn ein so traditionsreiches Haus wie die Schweizer Wegelin-Bank offen zugeben muss: „Wir haben betrogen“, wenn Beihilfe zum Steuerbetrug zum Geschäftsmodell geworden ist, dann ist der Weckruf in meinen Augen unüberhörbar. In meinen Augen gehört es zur Wiederherstellung der Grundprinzipien der Marktwirtschaft – darum geht es –, das Thema der Bekämpfung des Steuerbetruges sehr ernst zu nehmen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und uns nicht durch den Entwurf eines deutsch-schweizerischen Steuerabkommens ablenken zu lassen, das nichts anderes als einen Ablasshandel darstellen würde – mehr nicht. Sie wedeln mit Mehreinnahmen; aber Sie sind bereit, dafür Grundprinzipien über Bord zu schmeißen. Was Sie verschweigen, ist, dass Steuerstraftäter laut diesem Entwurf nach dem Willen der Bundesregierung auch noch Rabatt bekommen sollten. Was Sie verschweigen, ist, dass diese Steuerstraftäter anonym bleiben sollten, dass sie der Strafverfolgung entzogen werden sollten. Sie von der Bundesregierung wollten Steuerbetrüger entkriminalisieren und zugleich der deutschen Steuerfahndung Fesseln an die Füße legen, um zu verhindern, dass sie auch mithilfe von Steuer-CDs das tut, wozu sie da ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Steinbrück, Sie müssten zum Ende kommen. Peer Steinbrück (SPD): Steuergerechtigkeit, meine Damen und Herren, ist nicht nur eine Frage der Staatseinnahmen – darauf will ich hinaus –, sondern sie ist, ebenso wie die Bändigung des Raubtierkapitalismus, von dem Helmut Schmidt schon vor über zehn Jahren gesprochen hat, sehr viel mehr: Steuergerechtigkeit ist eine Demokratiefrage. Sie betrifft die Balance und das Gleichgewicht in unserer Gesellschaft. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble hat das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Steinbrück, wir haben gut zusammengearbeitet in der Regierung der Großen Koalition. Ich habe ein Grundverständnis – das mag altmodisch sein – einer gewissen Solidarität zwischen Amtsvorgängern und Amtsinhabern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das macht es mir ein bisschen schwer, auf Sie einzugehen. Da ich Protestant bin, habe ich auch ein bisschen Mitleid. Das macht es mir darüber hinaus schwer, auf Sie einzugehen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was war denn an der Bemerkung christlich?) Was werfen Sie uns eigentlich vor? Im ersten Teil Ihrer Rede werfen Sie uns vor, wir hätten alles falsch gemacht. Im zweiten Teil Ihrer Rede werfen Sie uns vor, wir hätten nur das gemacht, was Sie gemacht haben. Entweder das eine oder das andere, aber doch nicht beides zusammen und das auch noch in einer Rede. Das geht doch nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Natürlich sind Lehren zu ziehen aus der Finanz- und Bankenkrise, die ihren Ursprung übrigens in Amerika, bei Lehman Brothers, und nicht im Euro-Raum hatte. Daran muss man auch einmal erinnern. Natürlich ist das Ziehen der Konsequenzen mit dem Ziel einer besseren Regulierung des Finanzmarkts eine große Aufgabe, die übrigens nicht über Nacht bewältigt werden kann. Vielmehr müssen in einem langwierigen beharrlichen Prozess auf globaler, europäischer und nationaler Ebene die richtigen Konsequenzen gezogen werden. Angesichts der Volatilität in den modernen Finanzmärkten geht es doch gar nicht anders. Ich kann hier jede Regel einführen, aber wenn mit einem Knopfdruck alle Aktivitäten aus Deutschland heraus verlagert werden, habe ich nichts erreicht. Infolgedessen geht es doch nicht so einfach, wie Sie es hier gesagt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es hat doch keinen Sinn, den Menschen, wie es die Linken in Ihrer Partei tun, mit uralten klassenkämpferischen Parolen einzureden, nur die Banken seien an allen Problemen schuld. Das haben wir schon 100 Jahre lang gehört, und das war schon immer falsch. (Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben es selbst erlebt!) Das hat schon einmal Deutschland und Europa geteilt, und das ist überwunden. Das sind so alte Hüte, dass ich mich eigentlich wundere, dass Sie uns das hier vorgetragen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Deswegen ist Ihre Politik schlecht, weil Sie das glauben!) Ursache der Euro-Krise ist, dass wir in der gemeinsamen europäischen Währungsunion unterschiedliche -Finanzpolitiken in den Ländern haben. Das ist nicht nur im Euro-Raum, sondern überall in der Welt der Fall. Im Übrigen ist die Staatsverschuldung außerhalb des Euro-Raums höher als innerhalb des Euro-Raums. Großbritannien hat eine höhere Staatsverschuldung als der Durchschnitt des Euro-Raums. Die Vereinigten Staaten von Amerika will ich gar nicht erwähnen. Ich füge hinzu, dass mir die Politik der neu gewählten japanischen Regierung ziemlich große Sorgen bereitet. Wir haben ein Übermaß an Liquidität in den globalen -Finanzmärkten. Dieses wird durch ein falsches Verständnis von Notenbankpolitik weiter geschürt. Das alles sind unsere Herausforderungen und unsere Aufgaben, denen wir uns stellen. Wir haben ein unterschiedliches Maß an Wettbewerbsfähigkeit in den europäischen Volkswirtschaften. Das ist in einer gemeinsamen Währungsunion natürlich ein Riesenproblem, das in Angriff genommen werden muss. Natürlich haben wir den Fehler gemacht – wir alle, sowohl in der Regierung als auch in der Opposition; ich war auch lange genug dabei –, zu glauben: Je weniger Regulierung, umso besser für den Finanzplatz Deutschland. Am Schluss hatten wir überall auf der Welt so wenig Regulierung, dass die Finanzmärkte begonnen haben, sich ohne Regeln und Grenzen selbst zu zerstören. So ist die Wirklichkeit, und das müssen wir ändern. Es ist aber nicht getan mit einer einfachen Beschimpfung der Banken oder mit der Behauptung, dass die -Finanzinstitute Infektionskanäle in die Staatshaushalte in Europa gelegt hätten. Das ist eine Verschwörungstheorie, die nun wirklich zum Himmel schreit, und zwar schreit sie nach Erbarmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peer Steinbrück [SPD]: Selbstverständlich! Das ist doch Fakt! Das ist doch Tatsache! Spanien!) – In Spanien haben wir eine Immobilienkrise, (Beifall des Abg. Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]) ausgelöst übrigens möglicherweise durch ein falsches Verständnis von Wachstumsförderung, indem man nämlich glaubt, dass man mit schuldenfinanzierten Anreizprogrammen in den Immobiliensektor eingreifen kann. Das Entstehen der spanischen Immobilienblase können Sie doch exakt verfolgen. Diese wiederum hat den spanischen Sparkassensektor so infiziert, dass sich daraus weitere Probleme ergeben haben. Irland ist ein Sonderproblem. Die spanische Immobilienkrise hat übrigens ziemlich viel Ähnlichkeit mit dem Entstehen der Subprimekrise in den Vereinigten Staaten von Amerika – um auch daran zu erinnern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich sage noch einmal: Wir sind auf dem richtigen Weg, Schritt für Schritt. Wir sind nicht über den Berg, aber wir sind auf dem richtigen Weg, die Vertrauenskrise in Bezug auf den Euro – denn aus all dem ist eine Vertrauenskrise entstanden – Schritt für Schritt zu lösen. (Johannes Kahrs [SPD]: Die Europäische Zentralbank muss Sie doch retten! Sie lösen doch gar nichts!) Die realen Zahlen um den Jahreswechsel belegen dies. Die Haushaltssituation in allen Ländern – mit Programm oder auch in solchen Ländern ohne Programm – hat sich verbessert. Die Unterschiede bei den Lohnstückkosten sind geringer geworden. Das betrifft das Thema Wettbewerbsfähigkeit und die zu großen Verzerrungen. Die Zinsdifferenzen werden geringer. Das Vertrauen in die Finanzmärkte kommt Schritt für Schritt zurück. Wir sind nicht über den Berg, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Aber eines dürfen wir nicht machen – und das ist der grundlegende Unterschied –: exakt die Fehler fortsetzen, die zu der Krise geführt haben. Sie haben einen richtigen Satz gesagt. Die Gretchenfrage jeder wirtschaftlichen Ordnung ist: Haftung und Entscheidung, Risiko und Chance dürfen nicht auseinanderfallen. Das ist im -Finanzsektor so – „too big to fail“, das kennen wir –, und das gilt natürlich auch für eine Politik der Vergemeinschaftung in Europa: keine Vergemeinschaftung von Haftung, wenn wir nicht auch eine Vergemeinschaftung der Entscheidung beschließen. Wer Schulden machen kann, für die andere das Risiko tragen, macht sie. Deswegen ist Ihr Weg der Vergemeinschaftung von Haftung ein Weg, der die Krise verschlimmert, statt sie zu lösen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peer Steinbrück [SPD]: Davon habe ich gar nicht geredet! – Thomas Oppermann [SPD]: Sie bauen einen Popanz auf!) Ich habe mit dem Sachverständigenrat darüber diskutiert. Sie übernehmen ja den Vorschlag des Sachverständigenrates. Ein Altschuldentilgungsfonds, wie vom Sachverständigenrat vorgeschlagen, setzt, um es rechtlich zu sagen, zumindest eine Vertragsänderung voraus, denn mit dem Bail-out-Verbot ist er nicht zu vereinbaren; dafür müsste man die Verträge ändern. Aber unterstellen wir einmal, dass wir das Risiko der zusätzlichen Haftung – das sind über 60 Prozent der Gesamtverschuldung der Mitgliedsländer in der Euro-Zone – in einer Größenordnung des deutschen Bruttoinlandsprodukts zulasten der deutschen Wirtschaft übernehmen würden. Die unmittelbare Folge wäre, dass die deutsche Wirtschaft die Last nicht mehr tragen könnte, dass wir heruntergeratet werden würden und dass das Vertrauen in die Solidität der deutschen Wirtschaft zerstört würde. Damit zerstören Sie übrigens Europa; denn wir sind der Anker für Europa. Das dürfen wir schon aufgrund unserer Verantwortung für Europa nicht machen. Deswegen ist Ihr Vorschlag nicht zu verwirklichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nächstes Beispiel. Sie schlagen in Ihrem Antrag einen europäischen Bankenfonds mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro vor, den die Banken schnell auflegen sollen. Sie wissen genau: Wenn die Banken zu den Anforderungen – zusätzliches Eigenkapital, Umsetzung von Basel III; wir sind ja in der Endphase der Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament; es geht in -Europa halt nicht so schnell, wie ich mir das wünschen würde, aber das Parlament muss seine Rolle wahrnehmen – noch 200 Milliarden Euro zusätzliches Kapital aufbringen sollen, (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt doch nicht am Parlament!) dann wird das eine dramatische Kreditverknappung für die gesamte europäische Wirtschaft zur Folge haben; das heißt, wir erleben einen weiteren wirtschaftlichen Absturz, und das, wo wir gerade dabei sind, uns aus der weltwirtschaftlichen Konjunkturdelle herauszubewegen. Das wäre das Dümmste, was man machen kann, völlig unverantwortlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Sie müssen sich inzwischen schon so weit nach links bewegen, dass Sie von Herrn Trittin rechts überholt werden. (Johannes Kahrs [SPD]: Weil Sie versagen, müssen die Steuerzahler wieder ran!) – Reden Sie doch nicht andauernd dazwischen, das nützt sowieso nichts. (Johannes Kahrs [SPD]: Trotzdem ist es falsch!) Selbst Herr Trittin hat gesagt, es wird einige Zeit dauern, bis die 200 Milliarden Euro aufgebracht werden können. Daraufhin haben Sie einen noch intelligenteren Vorschlag gemacht. Sie haben gesagt: Der europäische Bankenfonds soll für diese 200 Milliarden Euro Anleihen ausgeben. Wer nimmt die? Wie werden sie refinanziert? Durch die EZB. Sagen Sie doch gleich: Wir lösen die Probleme, indem wir die Banknotenpresse anwerfen und so viel Geld drucken, wie wir brauchen. Sie untergraben jedes Vertrauen in die Stetigkeit unserer wirtschaftlichen Entwicklung. Exakt deswegen werden wir das nicht machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Unverschämtheit! Machen Sie Ihre Politik nicht zu unserer!) – Das ist ein grundlegender Unterschied. Darüber werden wir noch öfter streiten. Wenn Sie wollen, dass die Notenbank nicht nur für die Stabilität des Geldes, in erster Linie für die Preisstabilität, verantwortlich ist, sondern wir mit der Banknotenpresse alle unsere wirtschaftspolitischen, sozialpolitischen und sonstigen Probleme lösen, (Peer Steinbrück [SPD]: Das tun Sie doch -gerade!) dann schaffen Sie Inflation als Grundlage aller politischen Entscheidungen. Aus genau diesem Grund haben wir schon vor 60 Jahren, zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland, den politischen Mehrheiten die Banknotenpresse entzogen, die Unabhängigkeit der Notenbank beschlossen und eine Beschränkung auf das eng ausgelegte geldpolitische Mandat vorgenommen. Dabei hat uns die Erkenntnis geleitet, dass politische Mehrheiten lieber Geld ausgeben, als den Bürgern die Rechnung für die Ausgaben zu präsentieren. Wenn Sie das ändern wollen, können wir darüber streiten. Ich sage Ihnen: Die große Mehrheit der Deutschen weiß, dass Inflation die schlimmste soziale Ungerechtigkeit ist (Johannes Kahrs [SPD]: Aber Sie machen es doch!) und wir nachhaltiges Wirtschaftswachstum nur auf der Grundlage von Stabilität erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jeder internationale Vergleich belegt doch inzwischen, dass die Länder, die eine einigermaßen verantwortliche Finanzpolitik betreiben, wirtschaftlich sehr viel besser dastehen als die anderen. Warum lassen Sie sich durch diese Tatsache nicht belehren? (Johannes Kahrs [SPD]: Belehren von Ihnen schon mal gar nicht!) Wir wissen inzwischen – das hat selbst der frühere Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Herr Rogoff, nachgewiesen –, dass ab einer bestimmten Höhe der Staatsverschuldung eine weitere Erhöhung der Staatsverschuldung Wachstum nicht mehr fördert, sondern mittelfristig behindert. Genau deswegen machen wir das nicht. Weil wir das nicht machen, sind wir im europäischen Vergleich diejenigen mit den besten Stabilitäts-erfolgen und den besten nachhaltigen Wirtschaftserfolgen. Genau diese Politik werden wir fortsetzen. (Johannes Kahrs [SPD]: Das haben Ihre Vorgänger vernünftig geregelt, nur Sie nicht!) – Ich weiß, warum Sie dauernd dazwischenreden. (Johannes Kahrs [SPD]: Ja, weil Sie Unsinn reden!) – Oh Gott, Sie sind ja sowieso – – Das lohnt ja gar nicht. (Johannes Kahrs [SPD]: Das hatten wir alles schon mal!) – Sie wollen das nicht hören. Wir hören uns Ihre Auffassungen doch auch mit großer Ruhe an. Wir hören aufmerksam zu, setzen uns damit auseinander und sagen, warum wir Ihre Auffassungen für falsch halten. Das ist der Sinn einer parlamentarischen Debatte. Es ist nie angenehm, wenn man gesagt bekommt, dass ein anderer nicht die eigene Meinung teilt. Trotzdem sage ich Ihnen: Wir können mit realen ökonomischen Zahlen und mit Erfolgen belegen, dass unser Weg zwar anstrengend ist, er uns aber Schritt für Schritt voranführt. Das ist auch in der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht sichtbar geworden. Deswegen werden wir exakt diesen Weg weitergehen. Wir haben jetzt einen einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus für die systemrelevanten Institute geschaffen. Dieser Mechanismus macht aber nur Sinn, wenn die Bankenaufsicht mindestens die gleiche Qualität wie die in Deutschland hat. Natürlich gibt es Länder in Europa, in denen die Bankenaufsicht nicht die Qualität unserer Bankenaufsicht erreicht. Deswegen sage ich Ihnen: Der Mechanismus einer europäischen Bankenaufsicht ist mit Blick auf grenzüberschreitende Problematiken richtig, aber nur unter der Voraussetzung, dass die Bankenaufsicht so gut ist wie die, die wir haben. Es kann nicht sein, dass wir auf europäischer Ebene ein schlechteres Niveau haben. Das ist auch die Position der Europäischen Zen-tralbank. Daher müssen die Regeln für die Trennmauer zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht so streng wie möglich sein. Wir haben auf der Grundlage der geltenden Verträge – das haben Sie anerkannt – das Bestmögliche, das Optimale herausgeholt. Deswegen werden wir das Schritt für Schritt umsetzen. Im Übrigen bleibt es dabei: Die Interpretation der Beschlüsse zur direkten Bankenrekapitalisierung war falsch, Herr Steinbrück. Auch in der Entscheidung der Staats- und Regierungschefs vom frühen Morgen des 29. Juni 2012 – ich habe den Tag noch gut in Erinnerung – steht ausdrücklich: (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wir waren ja nicht eingebunden!) Wenn eine europäische Bankenaufsicht die Arbeit aufgenommen hat, unter Beteiligung der EZB, dann können die Banken bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen des ESM-Vertrages direkt Kapital bekommen. Die übrigen Voraussetzungen sind: Der ESM bleibt Lender of Last Resort, das heißt subsidiär. Nur wenn die Banken sich das Kapital nicht selbst besorgen können und auch der Mitgliedstaat das Kapital nicht besorgen kann, kann der Mitgliedstaat beim ESM einen Antrag stellen. (Thomas Oppermann [SPD]: Und dann -kriegen die Banken das Geld!) Dann muss ein Anpassungsprogramm vereinbart werden, ein Memorandum of Understanding. Nur so und nicht anders geht es. Würden wir es anders machen, wäre der ESM innerhalb von vier Wochen völlig leer-gelaufen. Damit würden wir alles vergemeinschaften. Das wäre exakt der falsche Weg; es wäre eine Fehlinterpretation der Beschlüsse. Es gibt manche in Europa, die das wollen. Deswegen muss ich hier klarstellen: Wir werden es nicht machen. Die Verträge sind völlig anders zu verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ein letztes Wort, weil Sie auch in dieser Debatte noch auf das Thema der Steuerhinterziehung zu sprechen -gekommen sind. Herr Kollege Steinbrück, Steuerhinterziehung ist – das wissen Sie – ein Riesenproblem. Auch Sie haben in Ihrer Amtszeit – das habe ich Ihnen nie vorgeworfen – an der Wirklichkeit nicht sehr viel ändern können. Die moderne Verflechtung der Wirtschaft bringt unglaubliche Möglichkeiten mit sich. Denken Sie an die Mehrwertsteuer. Für die organisierte Kriminalität ist die Ausnutzung der Tatsache, dass wir die Mehrwertsteuer notwendigerweise nach vereinbarten Entgelten erheben, ein unglaubliches Geschäftsmodell. Denken Sie daran, dass mit der großen Mobilität der Geschäftsaktivitäten im Internet – ich habe das Thema zum ersten Mal auf-gegriffen und auf die G-20-Ebene gehoben – eine starke Erosion der Steuerbasis verbunden ist. Ich muss jetzt aber noch etwas zur Schweiz sagen. Das Abkommen ist gescheitert; es konnte nicht zum 1. Januar in Kraft treten. Sie haben dazu aber schon wieder etwas gesagt, was mit meinem Respekt vor Ihnen einfach nicht zu vereinbaren ist. Sie sagen etwas, von dem ich nicht glaube, dass das von dem „richtigen Steinbrück“ stammt. Sie waren federführend dafür zuständig und verantwortlich, dass bei der Besteuerung von Kapitalerträgen eine Abgeltungsteuer eingeführt wurde. Wenn ein deutscher Steuerpflichtiger bei deutschen Banken und Sparkassen bzw. Raiffeisenbanken Kapitalerträge erzielt, behalten diese von den Kapital-erträgen – von den Zinsen, Dividenden etc. – die Kapitalertragsteuer ein und führen sie an das Finanzamt ab. Gäbe es das Abkommen, dann hätten wir seit dem 1. Januar in der Schweiz exakt dieselbe Praxis; dann würden auch Schweizer Banken das machen. Wir haben das -Abkommen jetzt aber nicht. Sie haben es blockiert und verhindert. Deswegen sind wir seit dem 1. Januar darauf angewiesen, dass uns die Schweizer Banken freiwillig die Daten nennen – oder auch nicht. Wenn Sie Steuerhinterziehung bekämpfen wollen, (Johannes Kahrs [SPD]: Sie privilegieren sie doch!) müssen Sie zu internationaler Kooperation bereit sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Internationale Kooperation kann nur heißen, dass die Regeln, die bei uns gelten, auch im Nachbarland gelten. Das genau haben Sie zerstört. (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unsinn!) Es gibt nur einen Grund dafür: parteipolitisch motivierten Missbrauch. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Richard Pitterle das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die IWF-Chefin, Madame Lagarde, urteilte Ende letzten Jahres – ich zitiere –: „Das Finanzsystem als Ganzes ist noch nicht viel sicherer, als es zur Zeit des Zusammenbruchs von Lehman Brothers war.“ Die Koalition hingegen hat in ihrem gestern hastig vorgelegten Antrag aufgezählt, was die Bundesregierung alles getan habe. Ein Großteil des Reformprogramms sei abgearbeitet, heißt es dort. Außerdem habe Deutschland eine Vorreiterrolle übernommen. Wesentliche Ursachen der Finanzkrise seien beseitigt worden. Ich sage Ihnen: Eigenlob stinkt. (Beifall bei der LINKEN) Wie sieht Ihre Bilanz tatsächlich aus? Die von Ihnen genannten Vorschriften bezüglich eines höheren Eigenkapitals für Banken sind Vorgaben von europäischen Gremien. Ich nenne nur die Stichworte Basel III und CRD IV. Sie sind aber doch nicht das Ergebnis Ihrer -Regierungspolitik. Sie loben sich wegen des neuen gesetzlichen Selbstbehalts von 5 Prozent bei Verbriefungen, also bei der Umverpackung schlechter und besserer Kredite zu neuen Bündeln, deren Verteilung rund um den Globus als eine der Hauptursachen für den Ausbruch der Finanzkrise gilt. Doch schon vor Ihrem Gesetz lag der sogenannte Selbstbehalt in der Praxis bei mindestens 10 bis 15 Prozent der Kreditforderungen. Sie preisen die neuen Vergütungsregeln für Manager und Mitarbeiter von Banken. Doch wie die Bankenaufsicht selber zugibt, sind sie nur sehr schwer bei ausländischen Tochtergesellschaften deutscher Banken durch-zusetzen, bei ausländischen Banken ohnehin nicht. Ratingagenturen tragen, wie Sie richtig erkannt haben, eine große Mitverantwortung an der Finanzkrise. Seit 2010 müssen sich Ratingagenturen registrieren und beaufsichtigen lassen. Wo ist da ein Fortschritt? (Beifall bei der LINKEN) Kannten wir vorher ihre Anschrift nicht? Wussten wir vorher nicht, wer Geschäftsführer ist? Wie soll die deutsche bzw. europäische Aufsicht bei den drei dominierenden Ratingagenturen mit Sitz in den USA stattfinden? Die Koalition verkündet stolz: Kundeneinlagen sind bis zu einem Betrag von 100 000 Euro gesetzlich geschützt. Schön. Aber die Sparkassen und Genossenschaftsbanken hatten schon immer die Institutssicherung, und die privaten Banken haften seit Jahrzehnten mit 30 Prozent ihres Eigenkapitals für die Einlagen der Bürgerinnen und Bürger. Ich frage Sie: Wo bitte sind Einschränkungen beim spekulativen Eigenhandel, also den Geschäften, die -Banken im eigenen Namen und auf eigene Rechnung -tätigen? Die Finanzkrise hat gezeigt, dass in diesen -Geschäften enorme Risiken liegen. Etliche große Banken gerieten ins Schlingern und wurden mit Milliardenbeträgen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gerettet. Die Linke ist daher für ein grundsätzliches Verbot des spekulativen Eigenhandels. (Beifall bei der LINKEN) Denn im Gegensatz zu diversen Vorschlägen der EU-Kommission oder der Anhänger eines Trennbankensystems wollen wir den Spekulanten nicht einen Extraraum zur Verfügung stellen, in dem sie sich austoben können, sondern wir wollen, dass das Zocken der Banken endlich aufhört. (Beifall bei der LINKEN) Wir halten von einem Trennbankensystem gar nichts. Lehman Brothers war eine reine Investmentbank in einem grundsätzlichen Trennbankensystem. Die großen US-Investmentbanken sind bis auf eine Ausnahme unter das Dach von Geschäftsbanken geschlüpft. Das soll für Deutschland die Zukunft sein? Wie man gestern im -Handelsblatt lesen konnte, liebäugelt Herr Schäuble gerade mit der französischen Trennbankenreform. Doch das ist ein Reförmchen. Das hochspekulative Handels-geschäft soll nicht unterbunden, sondern lediglich in eine Tochtergesellschaft ausgegliedert werden. Nein, da gehen wir nicht mit. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke will das bewährte Universalbankensystem behalten. Sie behaupten in Ihrem Antrag außerdem, dass Sie die Eingriffsbefugnisse der Bankenaufsicht gestärkt hätten. Doch auch hier sind Sie wieder auf halber Strecke stehen geblieben. Gestern in der Anhörung zum Hochfrequenzhandel hat die Bankenaufsicht einräumen müssen, dass ihr das Personal für eine echte Kontrolle fehlt. Markt-manipulationen finden statt, ohne dass die BaFin sie überhaupt entdecken könnte. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist doch politisch so gewollt!) Das ist doch keine Erfolgsgeschichte. Die Bundesregierung schmückt sich mit fremden -Federn und zündet Nebelkerzen. Ihr Antrag ist mit „Schärfere und effektivere Regulierung der Finanzmärkte fortsetzen“ überschrieben. Was heißt hier „fortsetzen“? Fangen Sie doch erst einmal richtig an! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Volker Wissing (FDP): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Steinbrück, zwei Dinge zeichnen Sie aus: Erstens wissen Sie hinterher immer alles besser, und zweitens wurden alle erfolgreichen Gesetze, die CDU/CSU und FDP hier im Bundestag – im Übrigen mit Gegenstimmen der SPD-Fraktion – durchgesetzt haben, heimlich von Peer Steinbrück geschrieben. Das haben wir heute dazu-gelernt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist, Herr Steinbrück, im besten Falle lächerlich. Aber sich hier hinzustellen, nachdem Ihre eigene -Fraktion und Sie persönlich das Restrukturierungsgesetz abgelehnt haben, nachdem Sie unsere Regulierungs-gesetze hinsichtlich Leerverkäufen und anderer Dinge abgelehnt haben, und zu sagen, Sie hätten sie eigentlich geschrieben (Peer Steinbrück [SPD]: Weil es fehlerhaft ist!) und wir hätten bei Ihnen abgeschrieben, das ist, Herr Steinbrück, wirklich eine maßlose Täuschung der -Öffentlichkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie haben hier die Probleme der Finanzwirtschaft in den letzten Jahren eindringlich beschrieben. Es ist wahr: Es gab dramatische Exzesse mit erheblichen Problemen. Aber man fragt sich doch: Wie konnte sich der Bankensektor unter einem nordrhein-westfälischen Finanzminister Peer Steinbrück eigentlich so entwickeln? Wie konnte sich der Finanzsektor unter einem Ministerpräsidenten Peer Steinbrück so weiterentwickeln? (Peer Steinbrück [SPD]: Na, wie in den anderen Ländern auch!) Wie konnte sich der Finanzsektor unter einem Bundesfinanzminister Peer Steinbrück so weiterentwickeln, dass es zu einer Zuspitzung der Krise kam? Ja, wie war denn das alles möglich? Wollen Sie der Öffentlichkeit das vielleicht irgendwann einmal sagen? Das ist eine Frage des Anstands und der Aufrichtigkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie stellen sich hier hin und sagen, dass Sie gemeinsam mit den Grünen einen neuen Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte unternehmen wollen. Wo ist denn Ihr damaliger Anlauf gewesen? (Peer Steinbrück [SPD]: Und das sagt ausgerechnet einer von der FDP!) Sie haben damals, vom Zeitgeist geprägt – Herr Schäuble hat das richtig ausgeführt –, Hedgefonds zu-gelassen und die Deregulierung der Finanzmärkte be-trieben. (Peer Steinbrück [SPD]: Und die FDP? Wie hat die damals abgestimmt?) Das war ein breiter Konsens. (Peer Steinbrück [SPD]: Oh nein! Das war überhaupt kein Konsens! Sie wollten weiter gehen als jeder andere in diesem Haus!) Das war damals aber auch die Auffassung von Rot-Grün. Es war Ihre Regierung, die das betrieben hat. Sie haben die Finanzmärkte dereguliert. Sie haben also gar keinen ersten Anlauf unternommen. In Ihrer ganzen Amtszeit haben Sie kein einziges Gesetz zur Regulierung der Finanzmärkte auf den Weg gebracht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Peer Steinbrück [SPD]: Sie sind ein Heuchler!) Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben mit ansehen müssen, dass Finanzminister Peer Steinbrück, als die Krise in Amerika eskalierte, der deutschen Öffentlichkeit – selbstbewusst wie immer – mitgeteilt hat, das sei ein amerikanisches Problem, das in Deutschland nicht ankommen werde. Wir haben im Rahmen eines Untersuchungsausschusses herausarbeiten müssen – sonst hätten Sie auch das verschwiegen –, dass Peer Steinbrück die Berichte der Finanzaufsicht im Jahre 2008, also mitten in der Krise, noch nicht einmal gelesen hat; (Peer Steinbrück [SPD]: Was? Wie kommen Sie denn jetzt darauf?) das war eine eklatante Fehleinschätzung der Bedrohungs- und Gefährdungslage. Aber Sie stellen sich hier hin und sagen, man müsse den Steuerzahler schützen. Was haben Sie denn letztlich anderes gemacht, als die Banken auf Steuerzahlerkosten zu rekapitalisieren? Sie haben ja noch nicht einmal die warnenden Hinweise der Bankenaufsicht in Deutschland gelesen, Herr Steinbrück. Das ist die Wahrheit. Das ist die Bilanz Ihrer Verantwortung als Bundesfinanzminister. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir als christlich-liberale Regierung haben die richtige Reaktion auf die Krise gezeigt. Wir haben einen Selbstbehalt bei Verbriefungen eingeführt. Wir haben ein Leerverkaufsverbot durchgesetzt, das im Übrigen in ganz Europa Schule macht. Wir haben die Beaufsichtigung von Ratingagenturen umgesetzt. Wir haben ein Hochfrequenzhandelsgesetz auf den Weg gebracht. Wir setzen strenge Eigenkapital- und -Liquiditätsvorschriften für Banken durch. Wir haben die nationale Bankenaufsicht reformiert und sie unabhängiger von der Wirtschaft gemacht; in Zukunft wird es das rot-grüne Modell, nach dem die Beaufsichtigten selbst als Mitglieder in den Gremien der Bankenaufsicht sitzen, nicht mehr geben. Wir haben für Unabhängigkeit von der Wirtschaft gesorgt. Wir haben in Deutschland ein Restrukturierungsregime aufgebaut, einen Banken-restrukturierungsfonds geschaffen und eine Banken-abgabe durchgesetzt. Wir haben uns dafür starkgemacht, dass wir auch auf europäischer Ebene eine schlagkräftige Bankenaufsicht bekommen. Das alles ist christlich-liberale Politik zur Stabilisierung der Finanzmärkte, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie, Herr Steinbrück, haben hier gesagt, wir bräuchten einen europäischen Bankenrestrukturierungsfonds. (Peer Steinbrück [SPD]: Richtig!) Dann haben Sie der Öffentlichkeit erklärt, er sei notwendig, um den deutschen Steuerzahler vor Risiken zu schützen. Ich sage Ihnen: Wir müssen einen europäischen Restrukturierungsfonds verhindern, um den deutschen Steuerzahler und die deutsche Steuerzahlerin zu schützen. Das Gegenteil von dem, was Sie vorschlagen, ist richtig. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: So ein Blödsinn!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie vergessen etwas – Herr Schäuble hat es Ihnen eben schon gesagt –: (Peer Steinbrück [SPD]: Nein, hat er nicht! – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Erklären Sie uns das doch mal!) Sie vergessen, dazuzusagen, woher das Geld für die Bankenrekapitalisierung aus einem europäischen Fonds am Ende kommen soll. (Peer Steinbrück [SPD]: Das kann ich Ihnen sagen!) Wir sagen: Wir wollen die Stabilisierung des Finanzsektors in Europa, die in unserem nationalen Interesse ist, unterstützen, aber nur dann, wenn auch ein Auf-lagenprogramm durchgesetzt wird, damit die Wett-bewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften, die heute nicht wettbewerbsfähig sind, gestärkt wird. Das muss man -allerdings über den ESM machen, und das darf man auf keinen Fall über einen europäischen Restrukturierungsfonds machen. In diesem Rahmen kann man nämlich keine Auflagen durchsetzen, sondern muss am Ende in Notaktionen bedingungslos helfen und Risiken für den deutschen Steuerzahler übernehmen, die man überhaupt nicht kontrollieren kann. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ach was! Das sollen doch die Banken bezahlen!) Sie wollen die Kasse öffnen. Das wollen wir verhindern. Wir setzen uns für Stabilität in der Euro-Zone ein. Sie hingegen suchen – auch in den Papieren, die Sie vorlegen – immer wieder nach Auswegen, um letzten Endes die Notenpresse anwerfen zu können. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! Sie wollen doch nur, dass wieder die Steuerzahler bluten müssen!) Genau das unterscheidet Sie von dieser christlich-liberalen Regierung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das, was Herr Steinbrück in seinen Papieren sonst so vorschlägt, sind entweder Dinge, die längst umgesetzt sind oder auf europäischer Ebene auf dem Weg sind, (Peer Steinbrück [SPD]: Nein!) oder es sind Nebelkerzen. (Peer Steinbrück [SPD]: Auch nicht!) Das beste Beispiel für eine Ihrer Nebelkerzen, Herr Steinbrück, ist diese Braunschweiger Erklärung, in der Sie vorgeschlagen haben, das Kreditwesengesetz so zu ändern, dass Banken die Lizenz entzogen werden kann, wenn sie fortgesetzt Beihilfe zum Steuerbetrug leisten. Herr Steinbrück, ich weiß nicht, ob Sie das nicht wissen oder ob Sie die Öffentlichkeit bewusst täuschen; aber das, was Sie herbeiführen wollen, ist in Deutschland bereits geltendes Recht: Nach dem Kreditwesengesetz kann die Bankenaufsicht bei fortgesetztem Verstoß gegen deutsches Recht schon heute Managern die Zulassung und Banken die Lizenz entziehen. Wir brauchen dazu keine SPD und keinen Peer Steinbrück und keine Braunschweiger Erklärung. Die Neue Zürcher Zeitung hat Ihnen bescheinigt, dass es offenbar selbst Ihrer eigenen Partei peinlich ist, dass Sie Dinge vorschlagen, die längst geltendes Recht in Deutschland sind. Das, was Sie in der Vergangenheit beigetragen haben, war kein sinnvoller Beitrag zur Stabilisierung des Finanzsektors, und was Sie heute vorschlagen, sind Nebelkerzen. Ich sage Ihnen: Sie liegen in allen Punkten falsch. Sie sind in diesem Sektor nicht Vorreiter, sondern hinken hinterher. Vorreiter in Europa ist die christlich-liberale Koalition, die zur Stärkung des Wettbewerbs die Finanzmärkte reguliert – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Wissing. Dr. Volker Wissing (FDP): – ich komme zum Ende, Frau Präsidentin – und mit strengen Auflagen dafür sorgt, dass die Wettbewerbsfähigkeit zu- und nicht abnimmt. Wir sind stolz auf diese Regierung und haben da, wo Sie die Dinge haben schleifen lassen, vieles erreicht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Es gibt auch in der Frage der Finanzmarktregulierung verschiedene Punkte, bei denen man unterschiedlicher Auffassung sein kann. Das hört allerdings da auf, wo die Fakten, die Sie schildern, Herr Bundesfinanzminister, genau das Gegenteil sind von dem, was in der Wirklichkeit stattfindet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) So war es gerade beim Thema Inflation. Natürlich gibt es Blasen an den Finanzmärkten, die uns Sorgen bereiten müssen. Aber es gibt zurzeit nur zwei Berufsgruppen, die mit der Angst der Menschen vor Inflation unverantwortlich spielen: Das sind windige Anlageberater und das sind Politiker der Koalition wie der Wirtschaftsminister heute morgen und Sie, Herr Bundesfinanzminister. Das ist unverantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Lesen Sie, was die Europäische Zentralbank zu diesem Thema schreibt: Es gibt im Moment keine konkrete Inflationsgefahr in dieser Form. – Das ist genau die Stellungnahme. Natürlich müssen wir aufpassen, dass nicht die Europäische Zentralbank die entscheidenden Aufgaben übernimmt. Aber da war das, was Sie erzählt haben, Herr Schäuble, faktisch falsch: Nicht die Vorschläge, die wir machen, führen dazu, dass die Europäische Zentralbank die Märkte mit Geld flutet. Wenn die Europäische Zen-tralbank in den letzten Monaten mit Billionen auf den Märkten interveniert hat, dann deswegen, weil die Bundesregierung die entscheidenden Reformen in Europa blockiert. Sagen Sie den Menschen die Wahrheit, sagen Sie ihnen, wie die Zusammenhänge sind, und machen Sie ihnen nicht etwas vor! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das Ziel unseres Antrages ist klar: Wir müssen den Automatismus brechen, dass immer dann, wenn eine Bank in Europa ein Problem hat, der Steuerzahler einspringen muss. – Man könnte meinen, das müsste eigentlich selbstverständlich sein. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Eigentlich ja!) 2008, als die Banken mit Milliarden gerettet wurden, gaben alle politischen Akteure das Versprechen, dass so etwas nie wieder passieren soll. Dieses Versprechen wurde gebrochen. Die Logik einer Bankenrettung durch den Steuerzahler geht unvermindert weiter, nicht nur über die Bilanz der Europäischen Zentralbank. Was passiert denn in Zypern? Der Steuerzahler muss einspringen, um Banken zu retten. Was passiert denn in Spanien? Der spanische Steuerzahler muss sich mit Milliarden beteiligen, um die Banken zu retten. Was passierte denn im September 2012 – das ist gar nicht so lange her – in unserem Nachbarland Frankreich? Wieder musste eine Bank, Crédit Immobilier de France, vom Steuerzahler gerettet werden. Das sind doch alles keine Petitessen. Hier werden in den verschiedenen europäischen Staaten Milliarden aufgewendet. Muss das so sein? Nein, das muss nicht so sein; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) denn wir wissen aus den USA, dass es anders geht. Das sind ja keine Riesenbanken, die man nicht retten könnte, sondern das sind Banken – nehmen wir als Beispiele die Crédit Immobilier de France, eine Bank mit einem Kreditvolumen von 33 Milliarden Euro, die Alpha Bank in Griechenland mit einem Kreditvolumen von 70 Milliarden Euro und die spanische Banco de Valencia mit einem Kreditvolumen von 20 Milliarden Euro –, die in den USA selbstverständlich abgewickelt werden würden. Über 400 Banken sind in den USA seit Ausbruch der Krise ohne Kosten für den Steuerzahler abgewickelt worden. Wir wollen dasselbe endlich auch für Europa erreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Warum gelingt das denn in den USA und bei uns nicht? Es gibt zwei Vorgehensweisen, wenn eine Bank in der Schieflage ist. Die eine ist, dass Aktionäre, Gläubiger und Investoren daran beteiligt werden, die Kosten zu tragen, der andere Weg ist, dass dies die Steuerzahler tun. Die Kanzlerin hat im November 2010 beim G-20-Gipfel gesagt, die privaten Gläubiger sollen das tun. Ich zitiere: Die Lasten der Krisenbewältigung dürfen nicht einfach wieder dem Steuerzahler aufgebürdet werden. – Auch dieses Versprechen wurde gebrochen; denn genau das passiert doch. In Irland hat man den Staat daran gehindert, die Investoren zu beteiligen. Wenn Sie die Leute in Irland fragen, wer sie denn daran gehindert hat, dann sagen sie: the Germans. Die Tatsache, dass die europäischen Staaten Irland daran gehindert haben, die Investoren zu beteiligen, sollten wir ernst nehmen. In Spanien gelingt die Beteiligung der Investoren auch nicht. Insgesamt können wir sagen, dass sich die Investoren bei der gesamten Bankenrettung in Europa nirgends mit mehr als 10 Prozent beteiligt haben. Das Gros hat der Steuerzahler getragen. Das ist falsch; das müssen wir ändern; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) denn es geht um eine massive Umverteilung weg von den Steuerzahlern hin zu den Menschen, die in Banken investiert und diese finanziert haben. Man muss jetzt einmal die Frage stellen, warum das in Europa nicht gelungen ist. Liegt das daran, dass wir das in einer Finanzkrise nicht tun können? Es wird uns ja immer weisgemacht, die Finanzmärkte würden dann erschüttert. Warum sollte das aber in Europa nicht gehen, wenn das doch in den USA geht? Es ist doch ein Ammenmärchen, dass das nicht gehen könnte – oder sagen wir vielleicht eher: Es ist ein Merkel-Märchen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: MM!) Die Vorschläge lagen auf dem Tisch: schon im Oktober 2009 von der Europäischen Kommission und im Juli 2010 vom Europäischen Parlament. Der Vorschlag des grünen Berichterstatters Sven Giegold, einen europäischen Abwicklungsfonds für Banken einzurichten, der von den Banken finanziert wird, wurde vom Europäischen Parlament aufgenommen. Wer hat das verhindert? Der Rat der Europäischen Union. Wer ist die führende Kraft im Rat der Europäischen Union? Das ist diese Bundesregierung. Aufgrund ihrer Blockade eines Bankenabwicklungsfonds, mit der sie den Weg der Abwicklung und der Investorenbeteiligung versperrt hat, trägt die Bundesregierung die direkte Verantwortung für die Bankenrettungen der letzten zwei Jahre in Europa, für die Milliarden Steuergelder gezahlt wurden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Hier passiert jetzt etwas sehr Krasses. Unter Mitwirkung der Bundesregierung arbeiten Sie schon konkret daran, dass der Steuerzahler über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, einspringt, der die Banken direkt kapitalisieren soll. Den anderen, besseren Weg, dass nämlich die Investoren beteiligt werden, wenn eine Bank in Schieflage gerät, bringen Sie aber nicht voran, sondern den blockieren Sie. Das ist doch genau falsch herum. Genau das ist das gebrochene Versprechen der Bundeskanzlerin Merkel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jens Ackermann [FDP]: Sie haben dem ESM doch zugestimmt!) Manche Krokodilsträne, die Sie gerade vergießen, muss man hier schon noch einmal erwähnen. Herr Schäuble, Sie haben gesagt, es sei schwierig, dass jetzt dieselben Personen über die Geldpolitik und über die Bankenrettung entscheiden sollen. Es ist doch der persönliche Vorschlag von Angela Merkel gewesen, das auf Art. 127 (6) des EU-Vertrages zu stützen. Daraus folgt das doch. Übernehmen Sie die Verantwortung für das, was Sie in Europa tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Glauben Sie denn, wir würden nicht über die Telefonapparate mit Brüssel verbunden sein und nicht mitbekommen, was Sie in Europa tun? Ich glaube, man muss ernsthaft darangehen. Sie haben jetzt schnell und in aller Kürze selber noch einen Antrag zur Finanzmarktregulierung vorgelegt. Hier wird ein zentraler Unterschied zwischen der Regierung und der Opposition deutlich: (Björn Sänger [FDP]: Wir handeln, Sie reden!) Für Sie ist diese Finanzkrise ein Betriebsunfall, nach dem man ein paar Schrauben anziehen muss, (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Da haben Sie nicht zugehört!) für uns ist diese Finanzkrise die Folge einer systematischen Fehlentwicklung, die wir korrigieren müssen. Da reichen ein paar Schrauben nicht aus; denn der Finanzsektor ist insgesamt zum Kostgänger der Realwirtschaft geworden. Er kostet uns mehr, als er bringt. Das sehen wir in den Bilanzen. Deswegen müssen wir wesentlich fundamentaler herangehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben Sie getrieben. Wir haben Sie in den letzten Jahren getrieben und werden das weiter tun. Sie wollten die Finanztransaktionsteuer nie. Wir haben sie in die Verhandlungen eingebracht. Sie wollten nie über das Trennbankensystem nachdenken. Sie haben den Antrag der Grünen noch vor Jahresfrist abgelehnt. Plötzlich heißt es, man sei offen für die Gedanken. Ja, warum? – Weil wir das als SPD und Grüne hier zum Thema machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Im Herbst wollten Sie noch einmal die Versicherungsgesellschaften retten – Sie haben das jetzt noch auf dem Tisch liegen – zulasten von vielen Kundinnen und Kunden. Wir haben es geschafft, Sie daran zu hindern, und werden jetzt schauen, dass wir endlich einmal eine richtige Versicherungsregulierung hinkriegen; denn die Versicherungen dürfen bei der Finanzmarktregulierung nicht ausgespart werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn man sich Ihren Antrag einmal genau anschaut, dann stellt man ein Muster fest, und wenn man sich anschaut, was in den letzten Jahren gelaufen ist, dann stellt man ein schönes Muster fest: Sie regulieren – darum geht es in dem Antrag, den Sie uns vorgelegt haben – den Hochfrequenzhandel. (Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) – Ja, ja. Da soll ein bisschen reguliert werden, aber das Zentrale fehlt: ein Tempolimit, mit dem endlich diese Wahnsinnsgeschwindigkeit am Finanzmarkt beendet wird. Das ist notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Sie reden davon, dass die Beratung am Bankschalter besser werden muss. Das ist ja richtig. Aber an den Kern, an die provisionsorientierte Fehlberatung, wollen Sie nicht herangehen. Deswegen bleibt das Grundpro-blem. Sie machen wieder den Fehler, nicht an die Ursachen heranzugehen. Genauso ist es beim Trennbankensystem. Sie sagen jetzt, wir wollen ein wenig prüfen, aber gleichzeitig si-gnalisieren Sie, es soll sich am Universalbankenmodell nichts ändern, und für die Deutsche Bank soll alles bleiben, wie es ist. Ja, wenn alles bleibt, wie es ist, dann wird sich an den Märkten auch nichts ändern, und dann wird die nächste Finanzkrise kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Volker Wissing [FDP]) In Deutschland und in Europa muss eine sehr wichtige Sache geändert werden; wir haben dazu unseren gemeinsamen Antrag vorgelegt. Das Thema Finanzmarktregulierung muss endlich bei Ihnen einmal aus der Abteilung Marketing in die Abteilung Produktion wandern, und wir werden Sie darauf festlegen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Regierung in die Produktion!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die CDU/CSU hat jetzt der Kollege Klaus-Peter Flosbach das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier in den letzten drei Jahren über 50-mal über die Finanzmarktregulierung gesprochen. Ich bin froh, dass Herrn Steinbrück hier heute auch einmal dabei ist. (Heiterkeit des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]) Nach dieser Rede, in der er sich einen schlanken Fuß mit Blick auf die Vergangenheit gemacht hat, möchte ich doch auf Folgendes hinweisen: Ich empfehle jedem Bürger, jedem SPD-Anhänger, sich einmal den WDR-Film von Klaus Balzer im Internet anzusehen, der die Geschichte der Westdeutschen Landesbank und die Verquickung mit der SPD darstellt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peer Steinbrück [SPD]: Ich bin seit 2002 raus aus den Gremien!) Da geht es nämlich unter dem Titel „Größenwahn und Selbstbedienung“ um die Entwicklung von einer Provinzbank zu einer Zockerbude. Vor allen Dingen werden, Herr Steinbrück, einmal die Jahre dargestellt, in denen Sie Finanzminister und Ministerpräsident waren. (Peer Steinbrück [SPD]: Lächerlich!) Denn in dieser Zeit ist der gesamte Schrott von der Westdeutschen Landesbank gekauft worden, für den wir heute bürgen müssen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Volker Wissing [FDP]: Alles unter Steinbrück! – Peer Steinbrück [SPD]: Das ist unter Rüttgers passiert!) Sie haben hier gesagt, die ganze Krise habe mit der Staatsschuldenkrise nichts zu tun. Dazu sage ich Ihnen: Hypo Real Estate war bisher unser größter Fall. Sie hatte 80 Prozent ihrer gesamten Darlehen kurzfristig finanziert. Deswegen musste sie damals durch unsere Bürgschaften aufgefangen werden. Aber der größte konkrete Schaden, der entstanden ist, ist durch die Abschreibung der Griechenland-Anleihen erfolgt. Dass Griechenland in der Euro-Zone ist, fällt in Ihre Verantwortung, in die von Rot-Grün. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch wohl nicht wahr!) – Reden Sie nicht daran vorbei. Ich komme jetzt zu dem Bankenthema. Das größte Problem, das wir heute in Europa haben, ist, dass Sie von Rot-Grün den Stabilitätspakt gebrochen haben. So entstanden die Probleme in der Euro-Zone, auf die wir heute hinweisen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben einen Antrag zur Bankenunion gestellt. Es geht darin um neue Wege. Es ist für die Antragsteller von SPD und Grünen die schlimmste Strafe in den letzten Tagen gewesen, dass bis auf zwei Zeitungen im Grunde genommen niemand über diesen Antrag berichtet hat. Warum hat niemand über diesen Antrag berichtet? Erstens geht es darin entweder um Dinge, die wir längst umgesetzt haben oder die sich im Umsetzungsprozess befinden. Zweitens sind in diesem Antrag keine neuen Ideen enthalten, die uns auf den Gedanken bringen könnten, etwas besser zu machen. Drittens ist in dem Antrag von einem Abwicklungsfonds und einem Altschuldentilgungsfonds die Rede, über die wir schon längst diskutiert haben. Der Bundesfinanzminister hat genau auf den entscheidenden Punkt hingewiesen: Sie haben in keiner Weise gesagt, was das für die Haftung der deutschen Steuerzahler bedeutet. Um die Antwort auf diese Frage haben Sie sich geschickt gedrückt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es ist eben kein neuer Anlauf zur Bankenregulierung, stattdessen laufen Sie der gesamten Entwicklung hinterher. Schon der G-20-Beschluss 2009 hat gezeigt, dass die systemrelevanten Banken reguliert werden müssen. Der Financial Stability Board, also der internationale -Finanzstabilitätsrat, hat Standards vorgegeben. Unsere Koalition war in der Tat die Erste, die das -Restrukturierungsgesetz umgesetzt hat. Wir waren schon zum 1. Januar 2011, vor zwei Jahren, so weit, Banken zu sanieren oder auch abzuwickeln. Wir können nach den Regeln dieses Gesetzes ein pleitegegangenes Unternehmen abwickeln. Wir haben ein Abwicklungsregime geschaffen, was sonst noch keiner in Europa gemacht hat. Hier sind wir Vorreiter. Wir haben die Blaupause für die anderen Länder in Europa geliefert. Das ist der Erfolg dieser Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir waren natürlich, Herr Steinbrück, auch bei dem Verbot der ungedeckten Leerverkäufe die Ersten. Wir haben diesen Beschluss damals in der Großen Koalition gemeinsam gefasst. Aber auch in dieser Frage waren wir in Europa diejenigen, die die anderen gezwungen haben, diesen Weg mitzugehen, damit gewisse Spekulations-geschäfte mit Aktien, mit Kreditversicherungen oder Staatsanleihen aufhören. Das war unser Erfolg. Wir -waren hier wieder die Ersten in Europa. Hier wurde eben der Hochfrequenzhandel angesprochen und uns vorgeworfen, wir würden ihn nicht richtig regulieren. Natürlich sind wir auch hier wieder die Ersten, die das machen, die Ersten, die einen unregulierten Markt regulieren. Sie aber werfen uns vor, wir würden nicht richtig regulieren. Wir haben als Erste diese Regelungen eingeführt. Das gibt Stabilität in diesem Lande. Das gibt Stabilität für unsere Bürger. Dafür steht unsere Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir stehen für eine Bankenunion. Wir unterstützen unseren Finanzminister bei der Errichtung einer Bankenunion darin, ein neues Aufsichtsregime zu schaffen. Wir wollen Qualität vor Schnelligkeit. Wir wollen auch eine klare Trennung von Geldpolitik und Aufsicht. Es geht uns vor allen Dingen darum, dass die großen system-relevanten Banken richtig kontrolliert werden. Darum geht es uns. Es geht uns nicht um die kleinen Volks-banken, die Sparkassen oder die kleinen Privatbanken. Aber in allen Bereichen spielt immer ein Begriff eine zentrale Rolle: Wo ist die Haftung, die Verantwortung? Auch bei der Bankenunion können wir die anderen Länder nicht aus der Verantwortung lassen. Wenn Sie einen europäischen Abwicklungsfonds mit 200 Milliarden Euro gründen wollen, dann müssen Sie nicht nur so -nebenbei sagen: Das kann man doch einmal finanzieren. – Wir haben einen Abwicklungsfonds in Deutschland eingerichtet. Wir wollen aber in Europa die anderen -Länder nicht aus der Verantwortung lassen. Wir wollen unsere Einlagensicherung nicht einfach auf Europa übertragen. Wir wollen nicht den Bürger für alles haften lassen. Das ist die Linie dieser Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Kollege Wissing hat eine Liste vorgelegt, was in den letzten Jahren alles umgesetzt worden ist. Das sind 15 große Maßnahmen gewesen. Die Finanzmarkt-regulierung, Herr Steinbrück, war das zentrale Thema in allen Debatten hier im Deutschen Bundestag. Sie haben daran nicht teilgenommen. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Ist das billig!) Sie sind heute zu uns Finanzpolitikern gekommen, um mit uns gemeinsam zu diskutieren. Ich halte das für wichtig. Aber hier erfahren Sie auch, was in den letzten Jahren alles geschehen ist. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist ganz dünn!) Diese Regierung mit Angela Merkel an der Spitze und mit unserem Finanzminister Wolfgang Schäuble hat mit Abstand das Beste für Europa getan, indem wir -wieder gemeinsame Regeln einhalten, indem wir auch die deutschen Interessen vertreten. Wir wissen alle ganz genau: Nur wenn alle die Regeln einhalten, haben wir wieder ein stabiles Europa. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. – Gestern hat die Weltbank die Wachstumsprognose für dieses Jahr abgegeben und deutlich gemacht: Die Europäische Zentralbank und die europäischen Regierungen sind auf dem richtigen Weg dahin, dass von Europa am ehesten keine Finanzmarktkrise mehr ausgeht, weil wir am stärksten reguliert haben. Das ist der Erfolg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Manfred Zöllmer das Wort für die SPD-Fraktion. Manfred Zöllmer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Wissing, lieber Herr Flosbach, wenn es eine Technische Anleitung „Heiße Luft“ gäbe, dann müssten Sie beide schon längst stillgelegt sein. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ha, ha, ha!) Herr Flosbach, ich bin es wirklich leid, von Ihnen immer wieder diese Griechenland-Lüge zu hören. Es ist eine Lüge. Lesen Sie einmal nach, wie es damals war und wer Griechenland aufgenommen hat! Im Mai 1998 hat der Europäische Rat die Aufnahme von Griechenland beschlossen – der Europäische Rat, Bundeskanzler Helmut Kohl und Finanzminister Waigel. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Erster Punkt. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber nicht in den Euro-Raum! – Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Euro! Den Euro gab es 1998 noch gar nicht!) – Beschäftigen Sie sich einfach einmal mit den Fakten! Ich kann Ihnen die Materialien zur Verfügung stellen. Das wäre hilfreich. Nächster Punkt: Sie haben völlig vergessen, die Sachsen LB mit aufzuzählen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: In NRW müssen Sie die WestLB ansprechen!) Was ist mit Bayern und dem Desaster der Bayerischen Landesbank? Das haben Sie leider auch vergessen. Noch etwas zu Nordrhein-Westfalen. Die Verbrie-fungen und Probleme, die in die Bilanzen aufgenommen worden sind, sind unter Herr Rüttgers aufgenommen worden. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: 2005 folgende!) Auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. So viel zu den „Wahrheiten“, die Sie hier verkünden. (Beifall bei der SPD) Wer verspricht, die Verursacher der Finanzkrise an den Kosten der Krise zu beteiligen, wie Sie und Frau Merkel es gemacht haben, dies dann aber nicht einlöst, dessen Regulierungspolitik ist gescheitert. Sie können auf noch so viele Gesetzentwürfe verweisen: Sie haben das zentrale Versprechen von Frau Merkel nicht ein-gelöst. Diese Koalition ist bei der Regulierung schwach gestartet und hat dann ganz stark nachgelassen. (Beifall bei der SPD) Ein Blick in Ihren Antrag zeigt sehr deutlich, wie sehr Sie die Vorschläge von Peer Steinbrück und die Vorschläge unseres rot-grünen Antrages getroffen haben. Sie haben bisher immer behauptet, alles sei von Ihnen bestens geregelt und unsere Vorschläge zur Bankentrennung seien schädlich. Jetzt wollen Sie diese Vorschläge prüfen. Man sollte natürlich niemandem vorwerfen, klüger werden zu wollen. Das Handelsblatt hat geschrieben: Schäuble freundet sich mit Trennbanken-Idee an. Union und FDP wollen so Steinbrücks Wahlerfolg verhindern. Eines ist immerhin klar: Die Aussage der Regierungsfraktionen, man habe bereits alle richtigen Lehren aus der Krise gezogen, wird nun von Ihnen selbst widerlegt. Schauen wir uns doch einmal die wichtigen Punkte an. Der ganz zentrale Punkt ist die Beteiligung an den Kosten der Krise bzw. die Frage, wie in Zukunft zu verhindern ist, dass die Steuerzahler daran beteiligt werden. Das ist Ihnen nicht gelungen. Sie verlagern die Risiken auf den ESM. In Zukunft wird die Bankenrekapitalisierung durch den ESM erfolgen. Das heißt, letztendlich haftet der Steuerzahler wieder. Frau Merkel hat die üblichen Nebelkerzen geworfen. Erst hieß es: „Mit uns überhaupt nicht! Nein, das -machen wir nicht.“ Dann hat sie der Bankenunion zu-gestimmt und damit auch explizit der Situation, dass der ESM zukünftig Banken retten wird. Das heißt, die -Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sind wieder in der Verantwortung. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Ich empfehle Ihnen: Lesen Sie unseren Antrag gründlich durch. Darin stehen viele Vorschläge, wie das zu verhindern ist. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die FDP hat jetzt Björn Sänger das Wort. (Beifall bei der FDP) Björn Sänger (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Gute an der Debatte ist vor allen Dingen, dass sie zu einer Tageszeit stattfindet, zu der diesem wichtigen Thema noch ein gewisser Grad an Aufmerksamkeit gewidmet wird. Das war nicht bei allen der zahlreichen Debatten zur Finanzmarktpolitik der Fall. Insofern begrüße ich das außerordentlich; denn es wird auch dem Thema gerecht. Die Finanzmarktregulierung in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte; das kann man festhalten. Der entscheidende Punkt bei der Bewältigung der Finanzkrise ist, dass im Zuge der Finanzkrise 2007/2008 ein erheblicher Vertrauensverlust in der Finanzindustrie stattge-funden hat und dass insbesondere das Vertrauen, dass kein einzelnes Institut das gesamte System destabilisieren kann, wiederhergestellt worden ist. Dazu brauchte es einen Ordnungsrahmen. Ihn zu schaffen, das ist – das kann man hier feststellen – dieser Regierungskoalition gelungen. Ein zentraler Baustein für die Herstellung dieses -Vertrauens ist das Bankenrestrukturierungsgesetz, das in einem feinstufigen Prozess die Rettung von Banken bis hin zur Abwicklung vorsieht. Die Finanzierung, die -dafür notwendig ist, wird durch einen Fonds sichergestellt. Das heißt, wir schirmen den Steuerzahler vor den Risiken ab und bringen die Haftung wieder dahin, wo sie hingehört, nämlich zum Eigentümer. Handlung und -Haftung werden wieder zusammengeführt – ein zentrales Prinzip der sozialen Marktwirtschaft, das wir in der Finanzindustrie neu zur Geltung gebracht haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gleichzeitig haben wir Anreize, die zu Fehlverhalten führen, verringert. Wir haben die Vergütungsregeln neu gestaltet. Wir haben dafür gesorgt, dass Boni zurück-gefordert werden können, wenn Banken in Schieflage kommen. Die Vergütungs- und Boniregeln müssen nachhaltig ausgestaltet sein. Wir haben die Kreditverbrie-fungen – sie waren das Epizentrum der Krise – geregelt, indem wir einen Selbstbehalt eingeführt haben. Das Ganze ist ein bisschen wie bei der Kfz-Versicherung: Man schaut genau hin, was in die Bücher aufgenommen wird. Wir haben ungedeckte Leerverkäufe verboten. Das Gleiche gilt im Übrigen für den Verkauf ungedeckter Kreditausfallversicherungen. Wir haben auch in diesem Bereich für Transparenz gesorgt. Wir haben die Ratingagenturen, die während der Krise eine ungute Rolle gespielt haben, einer Regulierung zugeführt. Sie stehen jetzt unter Aufsicht. Sie müssen sich registrieren lassen. Auch hier haben wir für Transparenz gesorgt. Trans-parenz ist übrigens ein Leitgedanke in dieser gesamten Regulierung; denn nur wenn man weiß, wer was wann macht und wie hält, kann der Markt darauf entsprechend reagieren und werden die Selbstregulierungskräfte entsprechend geweckt. Wir haben den Derivatemarkt reguliert. Indem wir zentrale Gegenparteien eingeführt haben, haben wir auch dort für neues Vertrauen gesorgt. Denn auch da weiß man, wer welches Derivat wie lange hält. Auch das fördert die Transparenz. Wir haben eine Eigenkapitalunterlegung eingeführt. Wir haben die Finanzaufsicht neu geordnet, indem wir dafür gesorgt haben, dass die -Akteure besser miteinander kommunizieren und die Aufsicht unabhängiger von der Wirtschaft wird. Damit ist insgesamt eine effizientere Aufsicht aufgebaut -worden. Wir haben noch weitere Maßnahmen in der Pipeline; wir diskutieren bereits darüber. Ich denke an die Regulierung alternativer Investmentfonds, also an Hedgefonds, und insbesondere an deren Manager. Den -Hochfrequenzhandel – dazu hatten wir erst gestern eine interessante Anhörung – werden wir als erste Nation überhaupt regulieren. Wir haben die nationale Umsetzung von Basel III, also der notwendigen Kapital- und Liquiditätsvorschriften für Banken, vor uns. Der Versicherungsbereich wird mit Solvency II reguliert werden. Viele Maßnahmen wurden auf EU-Ebene angestoßen, unter anderem durch deutsche Initiativen. Beispielsweise kamen Initiativen zu Regulierungen wie das -Bankenrestrukturierungsgesetz oder auch das Verbot von Leerverkäufen aus Deutschland. Die deutschen Interessen sind hierbei auf EU-Ebene sehr wirkungsvoll vertreten worden. In diesem Zusammenhang möchte ich -einmal der Bundesregierung dafür Dank sagen, dass dies so geschehen ist. Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass wir einen Finanzmarkt haben, der sich in der Krise als stabiler als andere Finanzmärkte gezeigt hat und deswegen einer etwas anderen Regulierung bedarf. Wir unterstützen die Bundesregierung auch bei den Maßnahmen hinsichtlich der Bankenunion, wenn sie sagt: Für uns geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit, wir wollen die unabhängige Geldpolitik der EZB bewahren, und wir wollen, dass Verwaltungsakte demokratisch kontrolliert werden und insbesondere subsidiär erfolgen. Insofern hat die schwarz-gelbe Regierungskoalition immer auch die Wettbewerbssituation im Finanzmarkt vor Augen. Sie denkt vom Ende her und fragt: Welche Auswirkungen hat eine Regulierungsmaßnahme? Es nutzt nämlich nichts, wenn Geschäfte außerhalb Deutschlands stattfinden, die Risiken aber in Deutschland verbleiben, weil die deutschen Akteure natürlich weiterhin solche Geschäfte tätigen, diese nur eben im Ausland ausführen. Insofern: Wir überlegen genau und handeln; wir reden nicht nur und machen keinen Unfug. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Axel Troost hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ursachenanalyse der Euro-Krise im Antrag von SPD und Grünen ist nur begrenzt richtig; denn sie lässt einen wichtigen Teil außen vor. Natürlich hat die Finanz- und Bankenkrise seit 2008 einen großen Anteil an der Krise im Euro-Raum. Aber Sie blenden die mindestens genauso wichtige zweite Ursache aus, und das ist kein -Zufall. Die zweite Ursache – das sind die Konstruktionsfehler der Währungsunion selbst. In einer Währungsunion hätte man die Mitgliedsländer darauf verpflichten müssen, sich in wichtigen Schlüsselbereichen ständig abzustimmen, zum Beispiel in der Wirtschafts-, in der Steuer-, in der Lohn-, in der Inflations- und in der Arbeitsmarktpolitik. (Beifall bei der LINKEN) Wenn in einer Währungsunion eine Zielinflationsrate von 2 Prozent vereinbart ist, dann ist es nicht nur Aufgabe der Zentralbank, sich darum zu kümmern. Vielmehr hätte sich eine deutsche Bundesregierung selbstverständlich darum bemühen müssen, dass die Löhne oder, genauer gesagt, die Lohnstückkosten, entsprechend steigen. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, Ihre letzte Bundesregierung von 2002 bis 2005 hat das nicht nur ignoriert. Viel schlimmer: Sie hat in Deutschland mit der Agenda 2010 ganz bewusst einen Niedriglohnsektor, eine Prekarisierung von Arbeit, Erwerbslosigkeit und Rente eingeführt und hat damit die Reallöhne auf breiter Front gesenkt. (Beifall bei der LINKEN) Das – deswegen ist das hier Thema – war nicht nur Verrat an den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Erwerbslosen sowie Rentnerinnen und Rentner, sondern es war auch eine Sabotage an der Europäischen Währungsunion; denn Sie haben die Lohnentwicklung in Deutschland zugunsten der deutschen Unternehmer und Aktionäre auf Kosten von Rest-Europa unter 2 Prozent gedrückt. (Beifall bei der LINKEN) Unter Rot-Grün wurde der Euro eingeführt, und ohne die rot-grüne Agenda 2010 stünde die Euro-Zone heute weit weniger nahe am Abgrund. (Beifall bei der LINKEN) Natürlich müssen die Griechinnen und Griechen ihre hausgemachten Probleme anpacken, aber einen wichtigen Beitrag müssen auch wir in Deutschland leisten. Wir müssen die ausschließliche Exportorientierung eindämmen, uns von der Agenda-Politik verabschieden und endlich die Binnenwirtschaft stärken, das Lohnniveau in Deutschland anheben und uns für einen leistungsfähigen deutschen Sozialstaat einsetzen. (Beifall bei der LINKEN) Ohne diese Maßnahmen gibt es keine Chance, dass die südeuropäischen Länder ihre Wirtschaft wieder auf Kurs bringen und sich aus der Schuldenfalle befreien können. Nun zum Hauptgegenstand Ihres Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, zur Finanzregulierung. Viele Ihrer Einschätzungen und Forderungen können wir unterstützen. Wir freuen uns auch, dass Sie Anteilseigner und Gläubiger in Zukunft stärker bei der Bekämpfung der Bankenkrise heranziehen wollen. Wir wissen aber natürlich auch alle: Das gilt für die Zukunft, also für die nächste Bankenkrise. Die Kosten der heutigen Krise sind aber längst da. Peer Steinbrück hat darauf hingewiesen, dass alleine in der Euro-Zone insgesamt über 1,6 Billionen Euro für die Bankenrettung aufgewendet worden sind. Man kann sagen – das ist zugegebenermaßen etwas einfach –: Die Reichen und Superreichen sind trotz der Krise immer reicher geworden, weil die Staaten großzügig für ihre Verluste aufgekommen sind. Wir sehen daher die Zeit gekommen, durch eine einmalige Vermögensabgabe die Profiteure der Bankenrettung auch rückwirkend an den Krisenkosten zu beteiligen. (Beifall bei der LINKEN) Erfreulicherweise gibt es bei den Grünen in dieser Richtung auch klare Beschlüsse. In der SPD sieht das ganz anders aus. Insofern wird es in einer rot-grünen Regierung unter Leitung von Peer Steinbrück dazu sicherlich nichts geben. Unter einer Regierung von Rot-Rot-Grün, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, hätten Sie bestimmt bessere Karten. (Beifall bei der LINKEN) Auch in Sachen Finanzmarktregulierung und Bankenunion bleibt die Liste Ihrer Forderungen hinter vielem zurück, was nottut. Hier ist mehrfach gesagt worden: Die SPD will ein Trennbankensystem. – In Ihrem Antrag steht davon überhaupt nichts. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das kommt noch!) Wir wollen bekanntlich auch, dass das spekulative Investmentbanking-Geschäft vom seriösen Bankengeschäft getrennt wird. (Beifall des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Aber wir wollen auch, dass, wenn es dann einen Bankenteil und einen Spielbankenteil gibt, der Spielbankenteil restlos geschlossen wird und nicht weiterarbeiten kann. (Beifall bei der LINKEN – Joachim Poß [SPD]: Schicken Sie mal Ihre Fraktion in die Spielbank!) Aus unserer Sicht braucht die Welt keine hochkomplexen, gefährlichen Finanzprodukte, die selbst Bankenvorstände nicht mehr verstehen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aus unserer Sicht muss der ganze Finanzsektor so grundlegend entrümpelt und zurechtgestutzt werden, dass am Ende keine Großbank mehr übrig bleibt, die ein Risiko für die Gemeinwirtschaft darstellt. (Beifall bei der LINKEN) Aus unserer Sicht muss die Gesellschaft viel stärker in die Banken hineinwirken. Banken gehören unter gesellschaftliche Kontrolle (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) durch demokratisch legitimierte Verwaltungs- und Aufsichtsräte, wie es heute am besten noch im Bereich der Sparkassen und Volksbanken der Fall ist. (Beifall bei der LINKEN) Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, glauben wir, dass Ihr gemeinsamer Forderungskatalog sich eher liest wie eine mäßig aufgepeppte Presseerklärung der EU-Kommission. Wir brauchen mehr und stärkere Regulierung, andere Einflussnahmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie im Herbst nicht nur die Regierung übernehmen, sondern wirklich einen neuen Kurs einschlagen wollen, dann ist wesentlich mehr Mut bei den Alternativen erforderlich. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Da hat er recht!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Peter Aumer hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Aumer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Axel Troost, ich gebe dir vollkommen recht: Mehr Mut wäre bei diesen Themen angesagt. (Joachim Poß [SPD]: Eine neue Koalition: CSU und Linkspartei! Das ist ja hochinteressant!) „Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte“ ist ein gemeinsames rot-grünes Projekt, das Sie uns vorgelegt haben, meine sehr geehrten Damen und Herren der SPD und der Grünen. Ein neuer Anlauf für was? Seit ich im Deutschen Bundestag sein darf, habe ich Ihre Anläufe in diesem Bereich vermisst. Herr Steinbrück wollte uns vorhin klarmachen, dass er der Verantwortliche für all die Finanzmarktregulierungsmaßnahmen ist, die wir in der christlich-liberalen Koalition auf den Weg gebracht haben. Aus meiner Sicht und auch im Kontext der europäischen Entscheidungen sind es sehr wohl gelungene Finanzmarktregulierungsmaßnahmen, die unser Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, getragen von der christlich-liberalen Koalition, in Deutschland auf den Weg gebracht hat; zudem hat er gemeinsam mit der Bundeskanzlerin die Mehrheiten auch auf europäischer Ebene organisiert. Nun kommen Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von Rot-Grün, wollen den ersten Aufschlag machen und beweisen, welches große Regierungshandeln Sie denn an den Tag legen werden in Ihrer Politik, die nach der Bundestagswahl hoffentlich nicht Realität werden wird, weil der Mut fehlt, wie Axel Troost das vorhin gesagt hat. „Übernehmen Sie Verantwortung!“, hat Herr Dr. Schick vorhin gesagt. Wir haben in diesen dreieinhalb Jahren Verantwortung übernommen mit all den Maßnahmen, die der Bundesfinanzminister, unser finanzpolitischer Sprecher und auch die Kollegen von der FDP dargestellt haben. Wir haben ein Motto ausgegeben: Kein Risiko darf mehr ausgehen von einem Finanzprodukt, kein Risiko darf mehr ausgehen von Finanzmarktakteuren, und vom Finanzmarkt an sich darf auch kein Risiko mehr für die Wirtschaft in unserem Land, für die Wirtschaft in Europa ausgehen. – Das ist uns bisher gelungen. Für die Krise ist mittlerweile politische Verantwortung übernommen worden. Wir haben diese Verantwortung übernommen und keinen Schleiertanz aufgeführt, so wie das Ihr Kanzlerkandidat uns weismachen wollte. Herr Poß, diesen Schleiertanz hat vielmehr Ihr Kanzlerkandidat aufgeführt. Wenn er solche Worte im Munde führt, fallen die auch auf ihn zurück. Er hat den Blick auf die Krise verstellt. Das ist keine verantwortungsvolle Politik der Opposition. Wir haben in den dreieinhalb Jahren gezeigt, was verantwortungsvolle Politik heißt, was auch Wahrhaftigkeit in der Politik heißt. Ich habe mir Stichworte aus der Rede Ihres Kanzlerkandidaten aufgeschrieben. Herr Steinbrück hat von Wahrhaftigkeit gesprochen. Was er in seiner Rede gesagt hat, gehörte aus meiner Sicht nicht dazu. (Joachim Poß [SPD]: Die CSU in Regensburg ist für ihre Wahrhaftigkeit bekannt!) – Herr Poß, ich komme aus Regensburg, genau. (Joachim Poß [SPD]: Da ist Ihre Partei für Aufrichtigkeit bekannt!) Deswegen ist es für mich ein großer Auftrag und eine große Verantwortung, dass wir die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft beachten. Wir sind der Garant für die soziale Marktwirtschaft, nicht Herr Steinbrück. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Er möchte das vielleicht für sich in Anspruch nehmen. Aber das, meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen wir ihm als christlich-liberale Koalition nicht durchgehen. Wir haben Haftung und Risiko zusammengebracht, nachdem es zuvor – das ist vorhin schon angesprochen worden – eine Politik der Deregulierung gegeben hat, eine Politik, die von einer breiten Mehrheit dieses Hauses und der Gesellschaft getragen war. Uns allen ist klar geworden, dass man einen anderen Weg gehen muss, einen Weg der Verlässlichkeit und der Nachhaltigkeit. Wir sind uns dieser Verantwortung bewusst geworden. Wolfgang Schäuble hat in seiner Rede Deutschland als Anker für Europa bezeichnet. Mich wundert es, wenn die Opposition versucht, diese kräftige Wirtschaft schlechtzureden. Das ist nicht der richtige Weg. (Joachim Poß [SPD]: Nein!) – Ihr Kanzlerkandidat hat das doch vorher gemacht. (Joachim Poß [SPD]: Auf vorhandene Probleme hingewiesen!) – Auf die Probleme hingewiesen hat eher Herr Dr. Troost als Herr Steinbrück. Er hat gesagt, all das, was wir umgesetzt haben, hat eigentlich er gemacht. Ansonsten gab es keinen Hinweis auf einen neuen Regulierungsrahmen für die Finanzinstitute und die Finanzmärkte. (Joachim Poß [SPD]: Wir waren doch in der Großen Koalition zusammen, oder reicht Ihr Gedächtnis nicht so weit? Sie sind nicht in der Lage, sich zu erinnern!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind der Verantwortung nachgekommen. Die Bundeskanzlerin hat für uns auf europäischer Ebene intensiv verhandelt, sodass ein neuer Regulierungsrahmen eingezogen wird. Es ist ein Erfolg, dass wir in der christlich-liberalen Koalition hart geblieben sind. Wenn Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, an der Regierung gewesen wären, wären Haftung und Risiko in Europa schon lange nicht mehr im Einklang, sondern es wären mittlerweile Euro-Bonds eingeführt worden. Sie hätten genau das Gegenteil von dem gemacht, wovon Ihr Kanzlerkandidat gesprochen hat, nämlich dass Haftung und Risiko in Einklang gebracht werden müssen. Das ist keine verantwortungsvolle Politik. (Beifall des Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]) Für uns ist der Dreiklang der Finanzmarktregulierung wichtig, nämlich dass wir umfangreich regulieren, dass wir den Verbraucherschutz verbessern und dass die Aufsicht verbessert wird. Das wollen wir im letzten halben Jahr vor der Bundestagswahl auf den Weg bringen, und das können wir den Bürgerinnen und Bürgern erfolgreich vermitteln. Von uns kommt keine heiße Luft, sondern von uns kommt verantwortungsvolle Politik für die Zukunft unseres Landes. Ich lade Sie ein, diese verantwortungsvolle Politik nicht schlechtzureden, sondern mit uns gemeinsam dieses Land in eine starke Zukunft zu führen. Dazu gehört auch, dass der Regulierungsrahmen gemeinsam gestaltet wird. Wir sind der Garant dafür, dass dieser Regulierungsrahmen in die richtige Richtung geht, dass auch in Europa Solidität und Solidarität in Einklang gebracht werden. Das ist der Weg, den wir in unserer Koalition gegangen sind und den Sie durch solche Anträge kurz vor irgendwelchen Wahlen nicht schlechtreden können. Die Menschen in unserem Land wissen, wer verantwortungsvoll in die Zukunft geht. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Carsten Sieling hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten anderthalb Stunden haben wir nahezu eine Großkundgebung für die Regulierung von Finanzmärkten erlebt, an der sich offensichtlich jeder oder jede beteiligen will. Was sind die Ergebnisse? Darüber möchte ich mit Ihnen vor dem Hintergrund reden, dass Sie in der Tat in den letzten drei Jahren regiert haben. Schauen wir auf die europäische Politik und den europäischen Kontext. Seit 2010 ist die Frage der Stabilisierung des Euros, die Rettung von Griechenland und anderen Ländern ständig Thema. Die Kanzlerin und der Finanzminister hecheln von europäischem Gipfel zu europäischem Gipfel. Der Bundestag wird mit immer neuen Fakten und Wahrheiten konfrontiert. Gelöst ist verdammt wenig. (Beifall bei der SPD – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Bei euch werden nur die Probleme größer!) Wenn es in Europa zu einer Stabilisierung gekommen ist, dann ist das nicht das Ergebnis irgendwelcher Gipfelbeschlüsse, erst recht nicht von Beschlüssen dieser Bundesregierung oder dieser Koalition, sondern bestenfalls des Handelns der Europäischen Zentralbank, die das im Herbst mit ihrem Stabilisierungsprogramm gemacht hat – unter Billigung dieser Bundesregierung und bei Kritik aus Ihren Reihen. Das nenne ich verfehlt und scheinheilig. (Beifall bei der SPD – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: So ist das! Das ist wahr!) Die Krönung des Ganzen ist, wenn hier auch noch der verantwortliche Bundesfinanzminister entgegen dem Rat sämtlicher Ökonomen von Inflation redet. Die EZB und selbst das Institut der deutschen Wirtschaft sagen: Es wird keine Inflation geben. – Was der Bundesfinanzminister dazu bemerkt hat, halte ich für fahrlässig und für eine große Gefährdung der Stabilität in unserem Volk. (Beifall bei der SPD) Zum Schluss darf ich noch sagen: Sie kommen hier mit einem Antrag zur Finanzmarktregulierung. Sie erzählen uns darin in 15 Punkten, was Sie alles gemacht haben wollen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: 15 Gesetze, nicht Punkte!) Leider haben Sie das Problem nicht gelöst. Das erkennen Sie auch selber, wenn Sie einen Blick auf die Überschrift Ihres Antrags werfen. Sie wollen eine „schärfere und effektivere Regulierung“. Bravo! Das ist ein Eingeständnis, dass Ihre Maßnahmen nicht gereicht haben, und zugleich eine Unterstützung unserer Vorschläge. (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Schluss, zwei Minuten sind rum!) Ich sage Ihnen auch: Wir haben ein Interesse daran – Herr Kollege Brinkhaus, Sie können gleich darauf eingehen –, dass diese Beratung fortgeführt wird. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Dr. Carsten Sieling (SPD): Wir wollen, dass die beiden Anträge – das darf ich noch sagen, weil es sich auf das Verfahren bezieht, Frau Präsidentin – an die Ausschüsse überwiesen werden und sich der Deutsche Bundestag weiterhin ernsthaft mit ihnen auseinandersetzt. Sie jedoch wollen gleich in der Sache abstimmen. Das halte ich für einen großen Fehler. Das zeigt Ihr Demokratieverständnis und Ihre Angst vor diesem Thema. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Sie waren am Ende Ihrer vorgesehenen Redezeit. – Das Wort hat der Kollege Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Der Kanzlerkandidat der SPD hat gerade 16 Minuten geredet. Zwei Minuten hat er damit verbracht, die Blockade des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz zu rechtfertigen. Etwas mehr als 14 Minuten hat er sich an einer Vergangenheitsbetrachtung ergötzt, und circa 30 Sekunden hat er über die Zukunft geredet. Das spricht Bände. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dieser Kanzlerkandidat hat in dem politischen Sabbatical, das er sich genommen hat, den Anschluss an die Finanzpolitik und an das, was in der Zwischenzeit geschehen ist, verpasst. Das hat man heute in dieser Rede wieder gemerkt. Wenn man sich dann Ihren Antrag anschaut – das Einzige, wovon er geredet hat, war ja, dass er einen Restrukturierungsfonds haben möchte –, muss man sich fragen: Warum wollen Sie denn nicht eigentlich schon früher ansetzen? Warum beginnen Sie mit der Regulierung erst zu einem Zeitpunkt, zu dem das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist? Wir haben einen anderen Ansatz. Wer Finanzmärkte bändigen will, der muss zunächst einmal dafür sorgen, dass in den Finanzinstitutionen weniger Fehler gemacht werden. Genau das haben wir gemacht. Wir haben Vergütungsregeln angepasst, wir haben die Ratingagenturen und die Verbriefungen reguliert und vieles andere mehr. Wer die Finanzmärkte bändigen will, der muss dafür sorgen, dass die Fehlertragfähigkeit der Institute erhöht wird. Er muss dafür sorgen, dass mehr Eigenkapital vorhanden ist, und dafür, dass es mehr Liquidität gibt. Er muss auch dafür sorgen, dass die Derivatemärkte sicherer sind. Genau das haben wir gemacht, bzw. wir sind gerade dabei. (Manfred Zöllmer [SPD]: Erzählen Sie doch nichts!) Wer dafür sorgen will, dass die Finanzmärkte gebändigt werden, der muss sich darum kümmern, dass es eine bessere Aufsicht gibt. Genau das haben wir gemacht. Wir haben die deutsche Aufsicht reformiert. Wir haben die europäische Aufsicht reformiert, und wir haben überhaupt erst die Basis für Aufsicht geschaffen, indem wir durch viele Meldefristen für die notwendige Transparenz gesorgt haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Erst dann, wenn wir sehen, dass die Fehlervermeidung scheitert, dass die Fehlertragfähigkeit nicht gegeben ist, dass die Aufsicht nicht geklappt hat, kommt die Restrukturierung. Genau diese Restrukturierung haben wir auf den Weg gebracht. (Rolf Hempelmann [SPD]: Was haben Sie denn restrukturiert? Sagen Sie das doch mal in Einzelheiten! Albern!) Es ist doch albern, jetzt zu fragen, wer denn damit angefangen hat, wer zuerst diese Idee hatte oder wem das Copyright gehört. Diese Dinge interessieren den Bürger in diesem Lande überhaupt nicht. Wir haben es durchgesetzt, und dafür bin ich auch sehr dankbar. Wir waren die ersten in Europa, die es gemacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wer die Banken bändigen will, der muss auch sehen, dass es nicht nur Investmentbanker und Hedgefondsmanager gibt, sondern auch Verbraucher. Deshalb war uns der Gedanke sehr wichtig, dass Bankenregulierung zugleich Verbraucherschutz ist. Keine Bundesregierung hat im Bereich des finanziellen Verbraucherschutzes so viel getan wie diese Bundesregierung. Auch dafür bin ich dankbar. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Man muss eines sehen: Wir können das nicht allein in Deutschland machen – der Bundesfinanzminister hat es angesprochen –, wir brauchen einen europäischen Konsens. Wir müssen uns mit den anderen Ländern in Europa und – noch besser – mit dem Rest der Welt einigen. Das haben wir gemacht. Das ist mühsame Kleinarbeit. Da gibt es keine schnellen Erfolge. Da muss man versuchen, die Menschen, die anderen Länder, die anderen Regierungen mitzunehmen. Genau das haben wir gemacht. Die Alternative dazu hat uns Ihr Kanzlerkandidat gezeigt: die Fortsetzung der Kanonenbootpolitik von Kaiser Wilhelm mit verbalen Mitteln. Das wird nicht funktionieren, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen jetzt weitergehen und ganz klar anerkennen, dass natürlich noch nicht alles erledigt ist, dass vieles noch offen ist. Es gibt Projekte, die hängen. Dazu zählt die Umsetzung der Eigenkapital- und Liquiditätsregeln gemäß Basel III; denn insbesondere unsere Kollegen im Europäischen Parlament kommen nicht zu Potte. Dazu zählt Solvency II, ein ganz wichtiges Projekt im Versicherungsbereich. Dazu zählt auch die Finanztransaktionsteuer, bei der wir noch mehr Druck machen müssen. Genau das schreiben wir in unserem Antrag: Wir wollen Druck machen, wir wollen an der Stelle weitermachen. Meine Damen und Herren, es reicht nicht, uns nur mit den bestehenden Projekten zu beschäftigen, sondern wir müssen ganz klar feststellen: Wo sind denn unsere offenen Flanken? (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Ganz viele!) Eine offene Flanke haben wir ganz eindeutig bei der „too big to fail“-Problematik. Das heißt, es gibt Großbanken, die uns alle hier in diesem Haus noch immer beunruhigen. Wir schreiben in unserem Antrag, dass wir da herangehen müssen. (Joachim Poß [SPD]: Ihre ganze Politik ist eine -offene Flanke!) Wir müssen auch an das Schattenbanksystem herangehen, das uns sehr viel Anlass zur Sorge gibt. Ich denke, insofern ist es richtig und gut, was wir in unseren Antrag geschrieben haben. Ich kann Sie nur auffordern, diesen Antrag zu unterstützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wenn ich alles zusammenfasse, erkenne ich, dass diese Bundesregierung und diese Regierungskoalition mehr als 20 Maßnahmen und Initiativen auf den Weg gebracht haben, dass wir einen wesentlichen Teil unserer Zeit im Finanzausschuss – und nicht nur dort – damit verbracht haben, die Finanzmärkte zu regulieren. Ich schaue mir dann an, wie hier heute diskutiert worden ist: Die Schärfe, mit der die Argumente vorgebracht wurden, stand in keinem Verhältnis zur Begründetheit der Vorwürfe. Ich schaue mir dann an, was in Ihrem Antrag steht. Darin steht das Versprechen: Wir werden die Finanzmärkte bändigen. – Wenn man aber den Antrag von SPD und Grünen durchschaut, dann erkennt man, dass ganz wenig übrig bleibt. Ich schaue mir dann an, was im Papier des Kanzlerkandidaten Steinbrück steht, das die Visitenkarte im Kampf gegen Sigmar Gabriel um die Kanzlerkandidatur war. Darin kündigt er ein großes Bankenkonzept an. Mehrere Vorredner haben schon gesagt, was darin steht: Dinge, die schon längst umgesetzt worden sind, Dinge, die in der Umsetzung sind, und Dinge, die wir auf internationaler Ebene diskutieren. Ich schaue mir dann an – ich habe das gestern Abend einmal gemacht –, was Sie in den letzten dreieinhalb Jahren an Anträgen vorgelegt haben. Ich kann da weder eine Handschrift noch einen roten Faden noch eine Linie oder ein Konzept erkennen. Das ist, ehrlich gesagt, zu wenig. Ich erwarte eigentlich von der Opposition, dass sie kreativ und inspirierend ist und innovative Vorschläge macht, dass sie einen Gegenentwurf zu dem liefert, was die Regierung macht. Da muss man ganz ehrlich sagen, meine Damen und Herren: Man könnte auf die Idee kommen, dass es sich um Arbeitsverweigerung handelt. Es waren in finanzpolitischer Hinsicht verlorene Jahre für die Opposition; auch auf diese Idee könnte man kommen. Aber man könnte auch auf eine andere Idee kommen, nämlich darauf, dass die Politik der Bundesregierung so gut war, dass ihr überhaupt nichts Essenzielles hinzuzufügen war. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Wenn sich der Kollege Steinbrück nicht schon – wahr-scheinlich zu Hausbesuchen im niedersächsischen Wahlkampf – verabschiedet hätte, wenn er noch hier in der Debatte wäre, die er angestoßen hat – – (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Wo ist der Finanzminister? Was soll das eigentlich?) – Der Finanzminister ist hier im Saal. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Kein einziger Minister ist anwesend!) Wenn sich der Kollege Steinbrück hier nicht schon vom Acker gemacht hätte und sich nicht aus den Tiefen der Fachdiskussion weggestohlen hätte, dann hätte ich ihm jetzt gesagt: Lieber Herr Kollege Steinbrück, wenn der Wähler Ihnen die Gunst erwiesen hätte, noch länger Finanzminister sein zu können – die große Mehrheit der Wähler hat das im Übrigen nicht getan –, dann hätten Sie wahrscheinlich nicht viel anders gemacht als der Finanzminister Schäuble; das gehört zur Wahrheit dazu. Meine Damen und Herren, das Thema der Regulierung der Finanzmärkte ist zu ernst und zu wichtig, um es für Wahlkampfklamauk zu missbrauchen. Beim Thema der Regulierung der Finanzmärkte geht es um eine der essenziellen Fragen. Dementsprechend eignet sich das Thema nicht dafür, es zum Wahlkampfthema hochzu-pushen. Ich will Ihnen auch sagen, warum es sich dafür nicht eignet: Bei all den Widersprüchen, die wir haben, und all den Diskussionen, die wir führen, ist es richtig, dass uns an dieser Stelle, bei der Regulierung der Finanzmärkte, mehr vereint als trennt. Der Gegner sitzt nicht hier im Saal; der Gegner sind die Akteure an den Finanzmärkten, die es immer noch nicht kapiert haben, die großen Teile der Finanzmärkte, die immer noch nicht kooperieren, die Teile der Finanzmärkte, die weiterhin die Geschäfte machen, die die Stabilität unseres Systems, das wir in den letzten 50 Jahren aufgebaut haben, gefährden. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das sind doch Ihre Freunde!) Dementsprechend rufe ich dazu auf: Lassen Sie uns die Sache zusammen angehen! Machen Sie daraus keinen Wahlkampfpopanz! Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11878 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf der Drucksache 17/12060 mit dem Titel „Schärfere und effektivere Regulierung der Finanzmärkte fortsetzen“. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Abstimmung in der Sache. Die SPD-Fraktion, die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünschen Überweisung an dieselben Ausschüsse, an die die Vorlage auf Drucksache 17/11878 überwiesen worden ist. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das Erste war die Mehrheit! – Zurufe von der CDU) Wer enthält sich? (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Genau gucken! Ganz klar! Deutlich die Mehrheit! Ein bisschen Fairness! Bei so einer Frage! Überweisung an den Ausschuss! Hier geht es ums Verfahren! – Zuruf von der CDU – Gegenruf des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Moment, die Abstimmung ist gelaufen! Also, bitte! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das Erste war die Mehrheit! Eindeutig! – Zuruf von der CDU: Noch einmal abstimmen! – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Ein kleines bisschen Fairness!) – Wir sind uns im Präsidium nicht darüber einig, wo die Mehrheiten sind. Insofern werden wir an dieser Stelle -einen Hammelsprung durchführen müssen. (Unruhe) Deswegen muss ich Sie bitten, den Saal zu verlassen, damit wir das tun können. Ich könnte noch einmal einen Hinweis geben, wo genau die Türen sind; es gibt mehrere. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn der letzte Sozi den Saal verlassen hat, gehe ich auch! – Gegenruf des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das realisieren wir schneller, als Sie glauben!) Sind die Türen jetzt zu? – Noch nicht. Es fehlen noch Schriftführer an den Türen. Wer die Abstimmung gern beschleunigen möchte und zugleich Schriftführerin oder Schriftführer ist, könnte sich in den Innenraum begeben. – Es fehlen noch Kolleginnen und Kollegen Schriftführer von der Regierungskoalition. – Wunderbar, Frau Michalk, danke, dass Sie da sind. Jetzt fehlt nur noch -einer. – Sind wir jetzt vollständig? – Alle Türen sind besetzt. Dann beginnen wir mit dem Zählen. Vielen Dank. Ich weise alle, die jetzt im Saal sind, schon einmal -darauf hin, dass wir gleich auch noch eine namentliche Abstimmung durchführen werden. Sind noch Kolleginnen und Kollegen draußen? – Das scheint der Fall zu sein. Dann können wir die Abstimmung noch nicht beenden. Ich frage noch einmal: Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen vor der Tür, die den Wunsch haben, in den -Plenarsaal zu kommen? Kann ich einmal ein Signal -bekommen? – Leider kann man das von hier aus nicht sehen, weil so viele Kolleginnen und Kollegen innen vor den Türen stehen. – Jetzt kommt das Signal. Die Türen werden geschlossen, und die Abstimmung mit dem Hammelsprung ist beendet. Wir warten auf das Ergebnis. Wir haben ein Ergebnis. Zur Erinnerung: Es ging um die Frage der Überweisung. Der Überweisungsantrag wurde abgelehnt. Es gab 280 Nein-Stimmen, 241 Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen. Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 17/12060. Wer stimmt für diesen Antrag? – Es irritiert mich, dass niemand dafür stimmen möchte. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Wo-rüber stimmen wir jetzt ab?) – Wir stimmen über den  Antrag  auf  Drucksache 17/12060 ab. Es geht um den Antrag mit dem Titel „Schärfere und effektivere Regulierung der Finanzmärkte fortsetzen“. Es handelt sich um einen Antrag der CDU/CSU und der FDP. (Heiterkeit bei der SPD) Er steht auf Drucksache 17/12060 und sollte nicht überwiesen werden. Das haben wir per Hammelsprung festgestellt. Deswegen frage ich jetzt noch einmal: Wer ist für diesen Antrag? – Wer ist dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag angenommen. Darüber sind wir uns hier auch einig. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 f auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes (Bevölkerungsstatistikgesetz – BevStatG) – Drucksache 17/9219 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 35 und 87 a) – Drucksache 17/11591 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Verteidigungsausschuss (f) Rechtsausschuss Federführung strittig c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. Januar 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des grenzüberschreitenden Missbrauchs bei Sozialversicherungsleistungen und -beiträgen durch Erwerbstätigkeit und bei Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie von nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit und illegaler grenzüberschreitender Leiharbeit (Deutsch-Niederländischer Vertrag zur Bekämpfung grenzüberschreitender Schwarzarbeit) – Drucksache 17/12015 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Holzhandels-Sicherungs-Gesetzes – Drucksache 17/12033 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften – Drucksache 17/12046 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Rechtsausschuss f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nationale Stelle zur Verhütung von Folter stärken – Drucksache 17/11207 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Tagesordnungspunkt 34 b. Wir kommen zunächst zu einer Überweisung, bei der die Federführung strittig ist. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11591 zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 35 und 87 a, an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Innenausschuss, die Fraktion Die Linke beim Verteidigungsausschuss. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsantrag der Fraktion Die Linke, Verteidigungsausschuss. Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die Fraktion Die Linke. Alle anderen waren dagegen. Jetzt stimmen wir ab über den Überweisungsvorschlag von CDU/CSU und FDP, Innenausschuss. Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung so beschlossen. Dagegen war die Fraktion Die Linke, alle anderen waren dafür. Wir kommen jetzt zu unstrittigen Überweisungen. Tagesordnungspunkte 34 a sowie c bis f. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen zu den Zusatzpunkten 4 a bis 4 e. Hier geht es um die Beratung von fünf Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Über die Beschlussempfehlung zum Jahressteuergesetz 2013 werden wir später namentlich abstimmen. Ich beginne mit Zusatzpunkt 4 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zu dem Abkommen vom 21. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt in der Fassung vom 5. April 2012 – Drucksachen 17/10059, 17/11093, 17/11096, 17/11635, 17/11693, 17/11840 – Berichterstattung: Abgeordneter Thomas Oppermann Mir ist mitgeteilt worden, dass das Wort zur Berichterstattung gewünscht ist. – Bitte schön, Herr Oppermann. Thomas Oppermann (SPD): Frau Präsidentin! Bei dem Steuerabkommen mit der Schweiz, das den Vermittlungsausschuss beschäftigt hat, ging es darum, eine Lösung dafür zu finden, dass in der Schweiz noch immer rund 150 Milliarden Euro unversteuertes Vermögen lagern. Der Vermittlungsausschuss sieht in dem ausgehandelten Vertrag ganz erhebliche Mängel und empfiehlt deshalb, diesem Gesetz nicht zuzustimmen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Diskussion im Vermittlungsausschuss spiegelt sich am besten in der verabschiedeten Begleiterklärung wider, aus der ich auszugsweise zitiere: Der Vermittlungsausschuss … fordert die Bundesregierung auf, die Verhandlungen mit der Schweizer Regierung wieder aufzunehmen, um ein gerechtes Steuerabkommen mit der Schweiz abzuschließen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein Steuerabkommen mit der Schweiz darf die Steuerbetrüger der vergangenen Jahrzehnte nicht belohnen. … Bund und Länder sind sich einig, dass in Deutschland ehrlich und gerecht Steuern gezahlt werden. – Es darf keine Steuerbürger erster und zweiter Klasse geben. – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Durch das Abkommen dürfen Steuerhinterzieher nicht bessergestellt werden als ehrliche Steuerzahler. Aus Gründen der Steuergerechtigkeit muss daher eine höhere Belastung derjenigen erfolgen, die sich in der Vergangenheit besonders hartnäckig ihren steuerlichen Verpflichtungen entzogen haben. Der Vermittlungsausschuss lehnt es ab, bei Steuerbetrügern auf Strafverfolgung zu verzichten und eine anonyme Amnestie vorzunehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Vermittlungsausschuss empfiehlt daher, das Gesetz über das Schweizer Steuerabkommen aufzuheben und den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Diese Begleiterklärung nehmen wir zu Protokoll.1 Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 17/11840. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Gegenstimmen waren die Mehrheit. Die Beschlussempfehlung ist damit abgelehnt. Zusatzpunkt 4 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts – Drucksachen 17/10774, 17/11180, 17/11189, 17/11217, 17/11634, 17/11694, 17/11841 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Michael Meister Ich erteile dem Kollegen Dr. Michael Meister sogleich das Wort zur Berichterstattung. Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungsfraktionen haben ein Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts auf den Weg gebracht. Die beiden Fraktionen wollen damit einen Beitrag zur Vereinfachung des Steuerrechts leisten. Einfache, gerechte und zeitgemäße Regelungen für die steuerliche Organschaft sollen den Standort Deutschland stärken und wettbewerbsfähig machen. Zur Gerechtigkeit gehört natürlich, dass alle Steuerpflichtigen die Gelegenheit bekommen, ihre Steuern zu entrichten, unabhängig von der Frage, ob sie ihre Erträge im Inland oder im Ausland erwirtschaften. Die Chance, das noch in diesem Gesetz zu regeln, wurde leider vertan. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollen Bericht erstatten und nicht werten!) Bei der Organschaft erfolgt ein Verweis auf das Ak-tienrecht. Der Höchstbetrag des Verlustrücktrags wird verdoppelt. Damit wird gerade in schwierigen Zeiten die Liquidität der mittelständischen Unternehmen verbessert. Wir vereinfachen das Reisekostenrecht bei den Fahrtkosten, bei den Verpflegungsmehraufwendungen und in der Frage, wie oft und wie weit man von der Arbeitsstätte entfernt sein muss. Bei der Besteuerung versuchen wir, dem Gerechtigkeitsempfinden der Arbeitnehmer entgegenzukommen. Wenn, wie gerade geschehen, ein kompletter Steuerjahrgang wegen Verjährung aus der Steuerpflicht entlassen werden musste, wirkt das, glaube ich, nicht im Sinne des Gerechtigkeitsempfindens. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir zeigen mit diesem Gesetz, dass mit geringem finanziellen Aufwand – es handelt sich um 290 Millionen Euro – ein wesentlicher Beitrag zur Steuervereinfachung möglich ist. Ich glaube, dass es sinnvoll ist, diesen Aufwand zu leisten, um bei der Steuervereinfachung voranzukommen. Bei der Frage von Organträgern und Organgesellschaftenbesitz in der Europäischen Union bzw. im EWR-Ausland hat der Vermittlungsausschuss eine Änderung vorgenommen, und er hat kleinere Änderungen am Reisekostenrecht vorgenommen. Ich glaube, dieses Gesetz ist – wie der Vorgänger, der leider keine Zustimmung fand – ein Beitrag, um die Steuergerechtigkeit in Deutschland zu verbessern und Steuervereinfachungen herbeizuführen. Ich würde mir wünschen, dass wir für dieses Vermittlungsergebnis eine Mehrheit bekommen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Dies gilt auch für die noch folgenden drei Beschlussempfehlungen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 17/11841? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen. Wir kommen jetzt zu Zusatzpunkt 4 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zum Abbau der kalten Progression – Drucksachen 17/8683, 17/9201, 17/9202, 17/9644, 17/9672, 17/11842 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Michael Meister Ich erteile erneut dem Kollegen Dr. Michael Meister das Wort zur Berichterstattung. Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem Punkt geht es um einen Gesetzentwurf der Bundesregierung vom Dezember 2011, mit dem die kalte Progression in Deutschland abgebaut werden soll. Zudem soll das Existenzminimum für Erwachsene auf die im Grundgesetz geforderte Höhe gebracht werden, und zwar in zwei Schritten: mit einem ersten Schritt im Jahr 2013 und mit einem zweiten Schritt im Jahr 2014. Um die kalte Progression abzubauen, umfasst der Gesetzentwurf drei Teile: zum Ersten die eben erwähnte Anhebung des Existenzminimums, zum Zweiten die Entzerrung der dadurch erfolgten Stauchung des Tarifs, damit der Grenzsteuersatz nicht ansteigt, und zum Dritten eine Abmilderung der kalten Progression. Diesen dritten Teil – das hatte die Bundesregierung vorgeschlagen – sollte der Bund alleine finanzieren. Die ersten beiden Teile hätten gemäß der Aufteilung der Einkommensteuer durch Bund, Länder und Kommunen finanziert werden sollen. Der Vermittlungsausschuss hat den ersten Teil, die Anhebung des Existenzminimums, angenommen, und schlägt, wie vorgetragen, die Anhebung des Existenzminimums in den Jahren 2013 und 2014 in zwei Stufen vor. Die Beseitigung der dadurch eintretenden stärkeren Belastung aufgrund des höheren Grenzsteuersatzes fand im Vermittlungsausschuss leider keine Mehrheit. Sozialdemokraten und Grüne konnten sich dem nicht anschließen, sodass es nun durch den Beschlussvorschlag des Vermittlungsausschusses zu einem höheren Grenzsteuersatz kommt. Die Regelung zur Abmilderung der kalten Progression sollte dazu dienen, dass Lohnerhöhungen, die lediglich die Inflation ausgleichen, nicht zu einer stärkeren Belastung durch die Einkommensteuer führen. Auch dies fand keine Zustimmung. Sie wird also aus dem Gesetz herausgenommen, sodass Lohnerhöhungen, die lediglich einen Inflationsausgleich bedeuten, nach wie vor stärker steuerlich belastet werden. Als Gegenvorschlag wurde eine Anhebung des Eingangssteuersatzes in die Diskussion im Vermittlungsausschuss eingebracht, was insbesondere bei Beziehern kleinerer Einkommen zu einer stärkeren Belastung geführt hätte. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Erhöhung, sondern eine Beibehaltung des jetzigen Eingangssteuersatzes!) Dies fand ebenfalls keine Mehrheit und wird deshalb hier nicht vorgeschlagen. Wir hätten uns eine Anhebung des Eingangssteuersatzes gerade mit Blick auf kleinere und mittlere Einkommen auch nur schwer vorstellen können. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie senken den Eingangssteuersatz, und wir stimmen trotzdem zu!) Meine Damen und Herren, ich darf zusammenfassen: Die Entlastung bis zum Jahr 2014 fällt niedriger aus als ursprünglich geplant. Bei einem verheirateten Arbeitnehmer mit zwei Kindern und einem Einkommen von 35 000 Euro sinkt sie von geplanten 198 Euro auf 134 Euro; das heißt, die Entlastungswirkung ist geringer. Damit wir uns verfassungsgemäß verhalten, schlage ich dennoch vor, den so veränderten Gesetzentwurf gemeinschaftlich zu beschließen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank für die Erklärung. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 17/11842? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist wiederum bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Wir kommen jetzt zum Zusatzpunkt 4 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes -(Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden – Drucksachen 17/6074, 17/6251, 17/6358, 17/6360, 17/6584, 17/7544, 17/11843 – Berichterstattung: Abgeordneter Stefan Müller (Erlangen) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Der Kollege Müller hat das Wort. Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zur energetischen Gebäudesanierung enthält ausschließlich Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes. Es handelt sich dabei um die Umsetzung der europäischen Elek-trizitäts- und Gasrichtlinie. Nicht in der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses enthalten ist die besagte steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Hierzu war im Vermittlungsausschuss keine Einigung möglich. Der ursprüngliche Vorschlag der Bundesregierung und auch der Beschluss des Bundestages sahen vor, dass energetische Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden, die vor 1995 errichtet worden sind, in einer Größenordnung von insgesamt 1,5 Milliarden Euro steuerlich gefördert werden sollten. Nach Einschätzung vieler Experten – das haben auch die Anhörungen im Bundestag deutlich gemacht – hätte dies zu einem nicht unwesent-lichen Einnahme- und Beschäftigungseffekt geführt, der insbesondere dem deutschen Handwerk und den mittelständischen Unternehmen und deren Arbeitnehmern zugutegekommen wäre und ihnen gutgetan hätte. Diese Einschätzung haben – jedenfalls nach dem, wie ich die Beratungen im Vermittlungsausschuss in Erinnerung habe – alle Mitglieder des Vermittlungsausschusses geteilt, also sowohl die A- als auch die B-Seite. Leider war trotzdem keine Einigung in diesem Sinne möglich. Der Vermittlungsausschuss hat sich in insgesamt acht Sitzungen mit diesem Gesetz befasst. Darüber hinaus hat es Gespräche unter Federführung des Bundesumweltministers gegeben, wonach der Bund bereit gewesen wäre, den Ländern entgegenzukommen. Leider aber sahen sich SPD- und Grünen-geführte Bundesländer nicht in der Lage, sich an diesem wichtigen Projekt zu beteiligen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Vermittlungsvorschlag von Baden-Württemberg abgelehnt!) Nachrichtlich sei noch hinzugefügt, dass die Bundesregierung nach dem Scheitern des Vorschlags zur energetischen Gebäudesanierung deutlich gemacht hat, dass sie bereit ist, dennoch das entsprechende KfW-Programm aufzustocken. Ich darf darauf hinweisen, dass die Bundesregierung ihre Zusage zwischenzeitlich einge-halten hat. Der Vermittlungsausschuss hat eine Begleiterklärung dazu beschlossen. Ich bitte Sie jetzt also um Zustimmung zu den Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank für den Bericht. – Der Kollege Stefan Müller hat darüber hinaus gebeten, im Rahmen seiner Berichterstattung eine Protokollerklärung der Bundesregierung sowie eine Begleiterklärung des Vermittlungsausschusses zu Protokoll zu nehmen.2 Dem folgen wir gern. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 17/11843? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist wiederum bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Ergänzend möchte ich bemerken, dass zu all diesen Punkten zahlreiche persönliche Erklärungen vorliegen, die wir zu Protokoll nehmen.3 Damit kommen wir zum Zusatzpunkt 4 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes -(Vermittlungsausschuss) zu dem Jahressteuergesetz 2013 – Drucksachen 17/10000, 17/10604, 17/11190, 17/11191,  17/11220,  17/11633,  17/11692, 17/11844 – Berichterstattung: Abgeordneter Thomas Oppermann Bitte schön, Herr Oppermann. Thomas Oppermann (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Es geht hier um die letzte Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses. Insgesamt werden mit dem vorliegenden Jahressteuergesetz 30 Gesetze geändert. Vieles davon ist Routine; einiges hat zu Auseinandersetzungen geführt. Es geht unter anderem um die Besteuerung der Musikschulen und die Besteuerung des Wehrsolds, um Steuerschlupflöcher bei Goldkäufen und die Förderung von Elektroautos. Zu allen Punkten haben wir im Vermittlungsausschuss eine Einigung zwischen Bund und Ländern erzielt. Das Gesetz ist richtig, das Gesetz ist auch notwendig. Nur in einem Punkt haben wir uns im Vermittlungsausschuss nicht einigen können, nämlich bei der steuerlichen Gleichstellung von homosexuellen Lebenspartnerschaften mit Ehen. Hier war eine breite Mehrheit dafür, sie endlich gleichzustellen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leider konnte sich dem die Mehrheit der Vertreter der Koalition nicht anschließen. Wie ich höre, will die Koalition deswegen das Jahressteuergesetz blockieren. Das halte ich für falsch. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe ist überfällig. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gehört das zur Berichterstattung?) – Ich muss bei der Berichterstattung auch auf Zwischenrufe reagieren. – Sie von der Koalition haben in Ihrem eigenen Koalitionsvertrag angekündigt, eine steuerliche Gleichstellung voranzubringen. Heute haben Sie dazu die Gelegenheit, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Uns ist doch ohnehin klar, dass das Bundesverfassungsgericht diese Gleichstellung mit großer Wahrscheinlichkeit schon in Kürze einfordern wird. Ich halte es im Übrigen nicht für verantwortbar, dass das Jahressteuergesetz jetzt blockiert wird. Dafür sind zu viele Materien betroffen, die geregelt werden müssen. Deshalb appelliere ich an die Koalition: Geben Sie sich einen Ruck! Wenn Sie heute gegen das Jahressteuergesetz 2013 stimmen, dann blockieren Sie Ihr eigenes Gesetz, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und zwar nur, weil in dieses Gesetz eine Regelung aufgenommen werden soll, die endlich die Diskriminierung homosexueller Lebenspartnerschaften in Deutschland beendet. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Oppermann, Sie sind über eine Berichterstattung weit hinausgegangen, indem Sie in der Sache argumentiert haben. (Beifall bei der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kollege Meister hat damit angefangen!) Das ist nicht zulässig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das hätten Sie bei Herrn Meister auch feststellen können!) Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident, ich bitte um Nachsicht. Aber ich bin aus der Koalition durch Zwischenrufe herausgefordert worden. Dem habe ich Rechnung getragen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Auch wenn Sie Beifall spenden: Es ist nicht zulässig, in eine Sachargumentation einzutreten. (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist parteiisch! – Joachim Poß [SPD]: Das hat Herr Meister auch gemacht! Parteiisch! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt auch für Herrn Meister!) Der Kollege Oppermann hat darum gebeten, im Rahmen der Berichterstattung die zwei Begleiterklärungen des Vermittlungsausschusses zu Protokoll zu nehmen, was wir selbstverständlich machen.4 Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11844 namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Schriftführer an den Urnen? – Ich eröffne die Abstimmung und bitte, die Stimmkarten einzuwerfen. Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte eingeworfen? – Dann schließe ich den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.5 Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Vereinbarte Debatte zu steuerpolitischen Beschlüssen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Michael Grosse-Brömer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über die Ergebnisse des Vermittlungsausschusses in ungewöhnlicher Transparenz. Normalerweise sind die Berichterstattungen, die wir vorhin gehört haben, nicht üblich. Aber ich kann verstehen, warum sie notwendig wurden. Sonntag ist Landtagswahl in Niedersachsen, ich bin sehr zuversichtlich für diesen Tag. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir auch!) Wir haben deshalb jetzt auch noch eine persönliche Aussprache zu diesem Thema, weil das von der Opposition so gewünscht ist. Ich glaube, es ist auch bei den Berichterstattungen deutlich geworden, um welches Problem es geht. Ein klein wenig ist auch deutlich geworden, dass dabei auch eine politische Aussage vermittelt werden musste. Leider war das – jedenfalls nach meinem Eindruck – im Vermittlungsausschuss auch schon so. Er wird dem Namen nicht mehr richtig gerecht. Eigentlich geht es um die Vermittlung von Bundespolitik und Landespolitik. In letzter Zeit erscheint es allerdings so, als würde der Vermittlungsausschuss zum Verhinderungsausschuss. Es hat aus meiner Sicht nicht mehr das Gemeinwohl im Mittelpunkt gestanden; wir haben es vorhin beim Steuerrecht gehört. Wer darauf verzichtet, zweistellige Milliardenbeträge aus der Schweiz erstattet zu bekommen, und das offensichtlich nur aus parteipolitischen Gründen ablehnt, macht etwas falsch, liebe Kollegen von der Opposition. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Erst das Land und dann die Partei, müsste es heißen. Zurzeit ist es aber ein Stück weit umgekehrt – auch bei Ihnen, Herr Beck –: erst die Partei und dann das Land. Ich hoffe, Sie werden wieder vernünftiger. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Haben Sie etwas gegen Partei?) – Überhaupt nichts. Aber eine richtige Reihenfolge ist vielleicht klug. Man sollte übergeordnete Interessen nicht Parteiinteressen opfern. Das war mein Vorwurf. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wer definiert die? – Joachim Poß [SPD]: Das müssen Sie gerade sagen!) Ich möchte schlussendlich darauf hinweisen, dass bei den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss bei Rot-Grün deutlich wurde: Es geht Ihnen offenkundig nicht um Steuergerechtigkeit; das haben wir vorhin gehört. Es geht nicht einmal um das Interesse an unteren und mittleren Einkommen. – Es wäre eine schöne Gelegenheit gewesen, durch die Annahme des Antrags der Regierung und der Koalitionsfraktionen mittlere und geringfügige Einkommen von der kalten Progression zu entlasten und den Menschen mehr Geld zu lassen, wenn sie schon einmal eine Gehaltserhöhung bekommen. Aber nein, auch da geht es um Ideologie. Es ist mir völlig unverständlich, wie es gerade Ihnen als sozialer Partei möglich war, zu sagen: Nein, da machen wir nicht mit; wir entlasten die kleinen Leute in Deutschland nicht. – Aber da war die Parteipolitik eben wichtiger. Ich bedauere das sehr. Was die Schweiz angeht, macht es Sinn – das haben wir auch heute Vormittag gehört –, internationale Abkommen zu schließen, damit Steuerhinterziehung weltweit verhindert wird. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss die deutsche Seite auch unsere Interessen wahrnehmen!) Es bestand die Gelegenheit dazu. Es gab eine exzellente Verhandlung des Bundesfinanzministers. Es gab die Möglichkeit eines Abkommens, das hinterzogenes Geld auch rückwirkend nach Deutschland zurückgeführt hätte und dauerhaft eine Rechtsgrundlage geschaffen hätte, um Steuerhinterziehung den Boden zu entziehen. Aber Sie haben nicht mitgemacht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie nicht die Konditionen, die die USA bekommen haben, mit der Schweiz ausgehandelt?) Wenn Sie weiterhin darauf setzen, Datendealerei zu betreiben, irgendwelche CDs aufzukaufen (Johannes Kahrs [SPD]: Was Sie selber ja auch machen! Sie machen doch mit!) und sich von Zufallsfunden abhängig zu machen, dann ist doch die Frage: Ist das wirklich eine dauerhafte Lösung, oder ist es sinnvoller, eine seriöse Rechtsgrundlage zu schaffen, die Steuerhinterziehung langfristig, also dauerhaft, verhindert? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Aber der Bund bezahlt bei jeder CD die Hälfte!) Das wäre unser Vorschlag gewesen. Meine Damen und Herren, auch im Bereich der energetischen Gebäudesanierung wäre eine steuerliche Entlastung sinnvoll gewesen. Alle Experten, egal von wem sie benannt sind, auch die von Sozialdemokraten oder Grünen, bestätigen: Das ist der größte Bereich, in dem Energiesparprogramme umgesetzt werden können. Energetische Gebäudesanierung ist der beste Weg, um dem Umweltschutz zu dienen. Sie allerdings verfolgen wieder parteipolitische Interessen, nach dem Motto: Wir machen nicht mit; wir gönnen euch den Erfolg nicht. – Das ist kleingeistig und nicht am Allgemeinwohl orientiert. Wir bedauern das sehr. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben versucht, das meiste zu retten. Wir haben ja auch manches geschafft. Das Jahressteuergesetz ist traditionell ein sogenanntes Omnibusgesetz; es enthält zahlreiche steuerfachliche Änderungen. Es wurde aufgelistet, worum es dabei insgesamt geht: Aufbewahrungsfristen, Umstrukturierungen von Konzernen. Das alles sind wichtige Aspekte, auf die sich die Kollegen fraktionsübergreifend nach langer Debatte verständigt hatten. Aber dann kam wieder die Parteipolitik ins Spiel. Sie mussten trotz des Parteitagsbeschlusses der Union hier noch einen Punkt einbringen, nämlich die Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften mit Ehen. Dieser Punkt ist strittig. Darüber wird sicherlich gerichtlich entschieden, was wir gut finden. Auch bei uns in der Fraktion gibt es genügend Kollegen, die das anders sehen als die Mehrheit der CDU-Parteitagsdelegierten. Aber das parteipolitisch auszuschlachten, nicht zu sehen, dass zahlreiche andere Regelungen vereinbart waren, stattdessen wieder einen populistischen Aufschlag zu machen, das ist schade. Der Vermittlungsausschuss wird durch Sie aus parteipolitischen Gründen zum Verhinderungsausschuss. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Durch Sie wird er das!) Hören Sie damit bitte auf! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Insofern bleibt mir leider nur das Fazit: Künftig müssen Vermittlungsergebnisse wieder das Ziel verfolgen – das richtet sich an Rot-Grün und die Linken –, eine sinnvolle, im Interesse des Landes ausgestaltete Politik zu vereinbaren und durchzusetzen. Es darf nicht darum gehen, Politik mit Blick auf parteipolitische Interessen zu machen, eine Politik, die zulasten mittelständischer Unternehmen und zulasten der kleinen Leute in Deutschland geht. Das ist nicht dauerhaft erträglich. (Johannes Kahrs [SPD]: Können Sie alles regeln! Stimmen Sie heute zu!) Ich setze nach wie vor auf Ihre Einsicht. Irgendwann wird aus Ihrer Sicht nicht die Wahl, sondern die Sach-politik wieder das Maßgebende sein. Jedenfalls gebe ich diese Hoffnung nicht auf. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, -verkünde ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz 2013: abgegebene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt 256, mit Nein haben gestimmt 306, Enthaltungen 5. Die Beschlussempfehlung ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 567; davon ja: 256 nein: 306 enthalten: 5 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Michael Kauch DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Nicole Gohlke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Harald Koch Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Dorothée Menzner Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Susanne Kickbusch Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Neškovi? Nein CDU/CSU Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Hagen Reinhold Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Enthalten CDU/CSU Dr. Stefan Kaufmann DIE LINKE Heidrun Dittrich Wolfgang Gehrcke Inge Höger Ulla Jelpke (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wieder keine Kanzlermehrheit!) Jetzt hat das Wort der Kollege Lothar Bindung von der SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte bis zuletzt gehofft, dass Sie sich vielleicht doch noch eines Besseren besinnen, gerade nachdem Sie so oft das Wort „Parteipolitik“ in den Mund genommen haben. Lassen Sie uns einmal ehrlich sein: Sie haben eine Koalitionsvereinbarung, auf die Sie sich oft berufen. Diese Koalitionsvereinbarung brechen Sie heute, indem Sie – offensichtlich wegen Uneinigkeiten der CSU mit der FDP und einer zerstrittenen CDU – auf dem Rücken der eingetragenen Lebenspartnerschaften ein komplettes Jahressteuergesetz zerreiben. Das ist ein großes Problem. Ich glaube, der Vorwurf der Parteilichkeit, der parteipolitischen Orientierung fällt da auf Sie zurück. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dabei brauchen wir das Jahressteuergesetz 2013. Nehmen wir ganz einfache Dinge: Wir müssten natürlich die Cash-GmbHs abschaffen, eine Steuergestaltung, bei der man quasi Bargeld in beliebiger Höhe in einen GmbH-Mantel legt, um anschließend über erbschaftsteuerrechtliche Regelungen Steuern zu sparen. Das ist ein Riesenproblem. Ein praktischer Aspekt, wichtig für die Steuerberater: Wir brauchen eine Rechtsgrundlage dafür, dass es ab Beginn dieses Jahres keine Lohnsteuerkarten mehr gibt; denn bei dem ELStAM-System gibt es Verzögerungen. Das ist eine ganz praktische und ganz dringende Sache. Denken Sie auch an das Stichwort „Aktion Goldfinger“, den Handel mit Gold, bei dem ich einfach eine Personengesellschaft gründe, die mit Rohstoffen handelt, dort meinen Goldpreis als Verluste eintrage und über entsprechende DBA plötzlich riesige Steuersparmodelle habe. Das ist ein Riesenproblem. Wir bräuchten unbedingt dieses Gesetz; aber Sie blockieren es genau aus den Gründen, von denen Sie eben vorgaben, diese bei anderen zu finden. Es ist ein Riesenerfolg – Gott sei Dank –, dass das Schweizer Abkommen verhindert werden konnte; denn sonst würde der Betrüger geschützt und der Ehrliche bestraft. Stellen Sie sich einmal vor, wir würden jetzt ein Gesetz verabschieden, das in etwa auf Folgendes hinauslaufen würde: Künftig werden in jedem Finanzamt pro Jahr nur noch zwei Einkommensteuererklärungen von Arbeitnehmern geprüft. – So ungefähr war die Bedingung für die Steuerbetrüger in der Schweiz. Das ist die Form von Gerechtigkeit, für die Sie mit der Entschlussfreudigkeit, die Sie heute an den Tag gelegt haben, eine Basis legen. Das ist ein ganz großes Problem. Nun zum Stichwort „kalte Progression“. Sie tun immer so, als wollten Sie den Leuten etwas Gutes tun, indem Sie sagen, Sie wollten die kalte Progression abschaffen. Bleiben wir einen kleinen Moment fachlich. Wollten Sie wirklich die kalte Progression abschaffen, müssten Sie den Tarif indexieren. Sie müssten die Steuersätze also an die Inflation anpassen. Sie wissen genau, was das bezogen auf die Inflation und die Löhne für einen gefährlichen Treibsatz in der Wirtschaft bedeuten würde, und deshalb machen Sie das nicht. Seien Sie ehrlich! Sagen Sie doch, dass die Grundfreibeträge schon immer so angepasst worden sind, dass es keine kalte Progression für die kleinen Bürger gab. Es gab Steuervorteile; die kleinen Leute wurden bisher fair entlastet. Wenn Sie es genau wissen wollen, dann lesen Sie es in der entsprechenden Antwort von Herrn Schäuble nach, die er uns mit Blick auf die Steuerprogression der vergangenen Jahre gegeben hat. Das war schon immer, vo-rauseilend unter Rot-Grün, sehr gut geregelt. Ich möchte noch auf einen kleinen Widerspruch hinweisen, der vielleicht ein bisschen andeutet, warum Ihr Tag heute so schlecht verlaufen ist. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unser Tag ist gut!) Ihre Koalition hat ja heute Morgen Ihre Regierung – ich will es kurz zitieren – zu „Qualität vor Schnelligkeit“ aufgefordert. Es ist interessant, wenn diese Koalition ihre eigene Regierung auffordern muss, Qualität vor Schnelligkeit zu setzen. Sie haben aber noch etwas getan. Sie haben Ihre eigene Regierung aufgefordert, die Vorschriften um frühzeitige Vorkehrungen für den Krisenfall zu ergänzen, und gleich hinzugefügt, das sei aber alles schon passiert. Das heißt, Sie fordern heute, am 17. Januar 2013, Ihre eigene Regierung dazu auf, solche Vorkehrungen zu treffen, von denen Sie gleichzeitig behaupten, diese seien in den letzten drei Jahren schon erledigt worden. Daran erkennt man die Widersprüchlichkeit Ihrer Politik. Ich glaube, es ist heute gelungen, das deutlich werden zu lassen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Döring von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Patrick Döring (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat hat sich in seiner langjährigen Praxis als Schlichter bewährt. Er findet auf einer politischen Ebene Lösungen, auf die sich die Fachpolitiker in den Ländern und im Bund nicht haben einigen können. So jedenfalls sollte es sein. Was allerdings diese Opposition aus Sozialdemokraten und Grünen dargeboten hat, ist weit von dieser Schlichtungsfunktion entfernt. Sie haben den Bundestagswahlkampf über den Vermittlungsausschuss eingeleitet, frei nach dem Motto: Wenn wir schon mit unserem Kandidaten nicht punkten können, dann gönnen wir wenigstens dieser Koalition keinen Erfolg, vor allem aber den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland keine Entlastung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie wollen die zusätzliche Belastung der arbeitenden Mitte der Bevölkerung. Sie haben sich dazu in Ihrem Programm und auf Ihren Parteitagen bekannt. Deshalb sind Sie nicht bereit, notwendige Kompromisse einzugehen. Kommen wir zur eben angesprochenen kalten Progression. Verehrter Herr Kollege Binding, wenn Sie hier sagen, den kleinen Leuten gehe es bei unserem derzeitigen Tarifverlauf gut, dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie haben von der Progression nichts verstanden. Sie haben jetzt die Erhöhung des Grundfreibetrages nach den Verfassungsgerichtsvorgaben mittragen müssen. Da Sie aber zu dem zweiten Schritt, nämlich der Verschiebung des Verlaufs des Tarifs, nicht bereit waren, führt das am Ende zu einer Verschärfung der Progression für untere und mittlere Einkommen. Das ist der Effekt sozialdemokratischer Politik. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Jetzt übersetze ich das einmal, Herr Binding. Sie sagen: Es geht den Leuten gut. – Im Gegensatz zu vielen anderen hier bin ich Unternehmer und habe auch schon einmal Arbeitsplätze geschaffen. Ich sage Ihnen: Wenn heute jemand in Steuerklasse I  2 200 Euro verdient und sich vom Arbeitgeber 100 Euro Lohnerhöhung erkämpft, erstreitet und erleistet, dann bleiben ihm im nächsten Monat von diesen 100 Euro 54 Euro netto auf seinem Konto. Wenn Sie bei der SPD das sozial gerecht finden, dann machen Sie so weiter! Wir finden das nicht sozial gerecht. Wir wollen, dass die Menschen mehr haben von ihren hart erkämpften Lohnerhöhungen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Kommen wir zum Steuerabkommen mit der Schweiz. Es ist nachgerade absurd, was da passiert. Peer Steinbrück und Walter-Borjans werben weiter dafür, dass von dubiosen Gestalten illegal erlangte Daten und Steuer-CDs erworben werden, anstatt dass wir klare rechtsstaatliche Verfahren einleiten. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie privilegieren Steuerhinterzieher!) Dann werden Sie auch noch dreist und stellen zu Beginn dieser Woche aus lauter Verzweiflung einen Vorschlag zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung vor, obwohl Sie selbst das Vorhaben blockiert haben, für jene, die -illegal und zu Unrecht Mittel in die Schweiz gebracht haben, neue rechtsstaatliche Instrumente zu schaffen. -Bigotter geht es nicht. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Sie schonen die! Die bleiben anonym! Die haben Millionen hinterzogen! Der Schutzpatron der Steuerhinterzieher spricht da!) Selbst wenn es bei Ihnen rechtsstaatliche Bedenken gäbe: Brechen wir das doch einmal herunter auf ein Land wie Niedersachsen. 928 Millionen Euro zusätz-liche Steuereinnahmen werden einem Land wie Niedersachsen durch Ihre Blockade vorenthalten. Sie sind der Schutzpatron der Steuerhinterzieher in Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Sie wollen die Anony-mität!) Der Effekt ist ganz einfach: Nicht Barack Obama und Mitt Romney haben den teuersten Wahlkampf in der Geschichte geführt, sondern die SPD hat sich für 10 Milliarden Euro ein Thema gekauft – zulasten der Bürgerinnen und Bürger. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Da lacht selbst der Präsident!) Dann kommen wir zum Jahressteuergesetz. Nach meiner festen Überzeugung, geschätzter Kollege Oppermann, haben Sie das Institut der Berichterstattung missbraucht; denn Sie haben nicht alles vorgetragen. Sie hätten vortragen müssen, dass die Mehrheit von Rot-Grün im Vermittlungsausschuss gleichzeitig die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Unterlagen für jene, die ein mittelständisches oder kleines Unternehmen führen, blockiert hat. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Herr Meister uns doch vorgeschlagen! Sie waren gar nicht dabei!) Sie hätten sagen müssen, dass Sie massive Verletzungen des Gleichbehandlungsgebots bei der Erbschaftsteuer für mittlere und kleine Unternehmen vorgeschlagen haben, dass Sie für die Familienunternehmen massive Erbschaftsteuererhöhungen vorgeschlagen und durch-gesetzt haben. Sie hätten sagen müssen, dass alle Ihre Vorschläge zur Grunderwerbsteuer am Ende dazu geführt hätten, dass die öffentliche Hand steuerfrei agiert, während es für Private immer teurer wird. Das waren Ihre Vorschläge. Deshalb ist es so: Sie haben das von uns vorgelegte Gesetz erst entkernt und dann mit Ihren Steuerer-höhungsvorschlägen garniert: insgesamt eine Mehr-belastung von 500 Millionen Euro für die arbeitende Mitte der Bevölkerung. Das haben Sie vorgelegt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lügen!) Bei allem, was Sie zur Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht Richtiges angeführt haben, sage ich: Wir Liberale wollen das, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie tun bloß nichts dafür! Sie stimmen dauernd dagegen!) wir haben das mehrfach bekundet, wir haben das mehrfach beschlossen, und wir tun sehr viel dafür. Aber, sehr geehrter Herr Beck, wir erkaufen uns die notwendige Gleichstellung der Lebenspartnerschaft im Steuerrecht nicht mit 500 Millionen Euro Steuermehrbelastung für die arbeitende Mitte der Bevölkerung. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Keine Sachkenntnis!) Deshalb werben wir weiter für eine gute Lösung, aber nicht zulasten der breiten Mitte der Bevölkerung, -sondern indem wir alle entlasten, die fleißig sind, alle entlasten, die sich anstrengen, dieses Land nach vorn zu bringen; denn dafür ist jedenfalls diese Koalition -gewählt. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die Koalition heute bietet, ist wahrlich ein Stück aus dem Tollhaus. (Johannes Kahrs [SPD]: Allerdings!) Es ist ein Skandal, dass Sie sich schlicht aus ideologischen Gründen weigern, die steuerliche Ungleichbehandlung der eingetragenen Lebenspartnerschaft und der Ehe endlich zu beenden. Ich sage Ihnen: Viele von Ihnen haben heute grundgesetzwidrig gehandelt. Wir sind frei gewählte Abgeordnete, die nach dem Grundgesetzartikel 38 nur unserem Gewissen verpflichtet sind. Etliche von Ihnen, die FDP eigentlich insgesamt, haben öffentlich erklärt, dass diese steuerliche Ungleichbehandlung endlich beendet werden muss. Sie haben heute also wirklich nicht nach Ihrem Gewissen gehandelt. Das halte ich für einen Skandal. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wollen Sie doch nicht prüfen, oder?) – Ja, das ist einfach skandalös. In die Verhandlungen des Vermittlungsausschusses brachte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion, Dr. Dagmar Enkelmann, den Änderungsantrag ein, dass wir das -Jahressteuergesetz jetzt gemeinschaftlich nutzen, um die steuerliche Ungleichbehandlung endlich zu beenden. Diese Ungleichbehandlung hält seit der Einführung des Gesetzes am 1. August 2001 an. Sie alle wissen, dass das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich bis zum Sommer entscheiden wird, dass wir diese steuerliche Gleichsetzung vollziehen müssen. Aber Sie verweigern sich einfach. Sie sind nicht aktiv. Sie nehmen Ihre Rolle als Gesetzgeber nicht wahr. Wir sollen die Gesetze verabschieden und sollen nicht warten, bis das Bundes-verfassungsgericht sagt: Das müsst ihr endlich machen. – Das ist einfach skandalös. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also: Die Rechtsprechung ist Ihnen egal, oder?) Das Ganze würde uns sage und schreibe 30 Millionen Euro jährlich kosten. Ich sage Ihnen: Das ist unmöglich. Wir dürfen hier natürlich nicht stehen bleiben. Jetzt gilt es, dass wir die Ungleichbehandlung beenden. Prinzipiell geht es natürlich darum, dass wir das Problem des Ehegattensplittings endlich auf den Tisch des Hauses -legen. (Beifall bei der LINKEN) Schauen Sie sich einmal die Bild von gestern und heute an. Ich habe sie Ihnen mitgebracht. „Die sieben Wahrheiten über das Ehegatten-Splitting“. Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich daraus: Die Nazis nutzten das Splitting, um Arbeiten für Frauen unattraktiv zu machen! 1891 reformierte der preußische Finanzminister Johannes von Miquel die Einkommenssteuer: Ehepaare wurden gemeinsam veranlagt. 1920 wurde wieder eine Individualbesteuerung eingeführt. Die Nazis führten 1934 wieder die gemeinsame Veranlagung ein, weil sie verhindern wollten, dass Frauen einer bezahlten Arbeit nachgehen. Die jetzige Regelung gilt seit 1958. Seit 55 Jahren. Aber Steuerpolitik ist Gesellschaftspolitik. Haben Sie immer noch dieses Bild von Frauen im Kopf? Ich glaube, ein bisschen Veränderung haben wir schon spüren können. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Worüber sprechen Sie denn?) Wir haben inzwischen den Rechtsanspruch auf Kita-betreuung. Dann seien Sie bereit und gehen einen Schritt weiter. Packen wir das Problem des Ehegattensplittings an. (Beifall bei der LINKEN) Herr Döring, Ihre 500 Millionen – ich bitte Sie. Das Goldfingerprivileg lassen Sie bestehen. Wenn man also ganz viel Geld hat, gründet man eine Personengesellschaft im Ausland und kauft Gold für 1 Million Euro. Das ergibt einen Verlust, den man in seiner Steuererklärung geltend machen kann. Im nächsten Jahr verkauft man das Gold. Es gibt ja Doppelbesteuerungsabkommen. Somit schlägt es nicht zu Buche. (Ewa Klamt [CDU/CSU]: Daran sind Sie doch Schuld! Wir hatten doch eine Lösung! Haben Sie abgelehnt!) Topverdiener können also pro Jahr etwa 425 000 Euro einsparen. Nach Berechnungen ist das ein Verlust von jährlich 500 bis 700 Millionen Euro. Darauf verzichten Sie. Das ist die Wahrheit. Zur kalten Progression. Sie haben Angst, die kalte Progression anzugehen, den Waigel-Buckel endlich zu beenden. (Patrick Döring [FDP]: Nein! Das hätte man mit uns machen können!) Machen Sie einen durchgehend linear progressiven Tarif, dann haben wir das Problem der kalten Progression erst einmal gelöst. (Beifall bei der LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Das ist Ihr Vorschlag?) Dann können wir in Ruhe überlegen, wie man später mit Inflationsraten umgeht. (Patrick Döring [FDP]: In welcher Höhe denn?) Ich finde dies einen Skandal. Ich fordere Sie auf: (Patrick Döring [FDP]: In welcher Höhe fordern Sie die Flat Tax? 50 Prozent oder etwas darunter?) Ändern Sie Ihr gesellschaftliches Bild und nutzen Sie die nächste Gelegenheit, dass wir die steuerliche Ungleichbehandlung beenden und endlich das Problem des Ehegattensplittings angehen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Falsch, falscher, am falschesten!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Kollege Volker Beck. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ach du meine Güte!) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, so ist es im Parlament. Man muss auch den politischen Gegner oder Konkurrenten in der Debatte ertragen, Herr Kollege. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuss hat die Aufgabe, zwischen den Mehrheiten des Bundestages und des Bundesrates, der Vertretung der Länder, zu vermitteln. Vermitteln heißt aber nicht politisches Diktat, Herr Grosse-Brömer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vermitteln heißt: Kompromisse finden. Die rot-grüne Mehrheit hat damals bei zustimmungspflichtigen Gesetzen zum Teil schwierige Kompromisse gegen eine schwarz-gelbe Bundesratsmehrheit gefunden. Ich -erinnere nur an das Thema Spitzensteuersatz im Einkommensteuerrecht. Die 42 Prozent, die jetzt im Gesetz stehen, standen nicht im Gesetzentwurf der rot-grünen Koalition, sondern es war die Bedingung der schwarz-gelben Mehrheit des Bundesrates, damit die Einkommensteuerreform durchgesetzt werden konnte. Zweites Thema: Staatsbürgerschaftsrecht. Die absurde Optionsregelung war die Trophäe des Landes-ministers Brüderle aus Rheinland-Pfalz, damit überhaupt eine Mehrheit für eine Staatsbürgerschaftsreform erreicht werden konnte. Wir waren immer dagegen, haben das immer als Zumutung empfunden, haben die bittere Pille aber geschluckt, um voranzukommen. Im Vermittlungsausschuss geht es nämlich darum, Kompromisse zu finden. Das heißt, man gibt auch etwas und nimmt nicht nur. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Das allerdings ist nicht Ihre Methode, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir mit unserer Mehrheit im Vermittlungsausschuss und mit der Mehrheitssituation im Bundesrat verstehen dies aber nach wie vor anders. Ich hoffe, wir können am Sonntag verkünden, dass wir auch im Bundesrat über eine Mehrheit von Rot-Grün verfügen. Wir haben beim Grundfreibetrag gemeinsam eine -Reform beschlossen. Wir haben beim Energiewirtschaftsgesetz gemeinsam eine Reform beschlossen. Wir haben beim Unternehmensteuerrecht und beim Reisekostenrecht Reformen miteinander beschlossen. Bei dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen haben wir Ihnen gesagt, dass wir da nicht mitmachen; denn ein solches Abkommen entzieht das Steuersubstrat, das in der Schweiz liegt, dauerhaft einer fairen und gerechten Besteuerung bei der Vermögensteuer und bei der Erbschaftsteuer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Patrick Döring [FDP]: Jetzt wird es gar nicht besteuert! Jetzt ist es -komplett steuerfrei!) Warum – das müssen Sie schon erklären – bekommt die Bundesrepublik Deutschland nicht die Konditionen, die die Vereinigten Staaten von Amerika mit der Schweiz ausgehandelt haben? Da haben Sie einfach schlecht verhandelt, oder Sie wollten die Steuerhinterziehung legalisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: Das ist nicht wahr! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist unwahr, was Sie erzählen!) Und nun, Herr Döring, zu Ihren Worten zum Jahressteuergesetz. Was Sie hier gesagt haben – Sie waren ja beim Vermittlungsausschuss nicht dabei –, ist die schlichte Unwahrheit. (Patrick Döring [FDP]: Falsch! – Joachim Poß [SPD]: Gelogen!) Herr Meister hat im Vermittlungsausschuss einen Vorschlag zur Einigung gemacht. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie kriegen doch jetzt die Dankschreiben der Schweizer Banken!) – Wir sind jetzt schon beim nächsten Thema, Herr Kollege. Wenn Sie mir folgen wollen? Wir sind jetzt beim Jahressteuergesetz. – Nach zwei Arbeitsgruppensitzungen gab es einen Vermittlungsvorschlag, den Herr Meister vorgetragen hat. Außerdem gab es einen Antrag von der Linksfraktion, den Vorschlag des rot-grünen Landes Nordrhein-Westfalen zum Splitting bei den -Lebenspartnerschaften einzubringen. Dann habe ich den Antrag gestellt, die beiden Anträge miteinander zu einem Vermittlungsvorschlag zu verbinden. Dieser Vorschlag, eins zu eins ausgehandelt zwischen Schwarz-Gelb und der Bundesratsmehrheit, plus dem Punkt aus dem Koalitionsvertrag der schwarz--gelben Regierungskoalition im Bund, die Benachteiligung der Lebenspartnerschaft im Einkommensteuerrecht zu beseitigen, lag uns heute vor. All dem hatten Sie bereits zugestimmt. (Patrick Döring [FDP]: Das stimmt doch nicht! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Doch!) – Natürlich, Sie hatten bereits allem zugestimmt. Wir haben kein Jota draufgelegt, außer diesem einen Punkt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Patrick Döring [FDP]: Verschlechterung bei der Einkommensteuer, Grunderwerbsteuer!) Ich muss sagen: Ein Punkt aus dem eigenen Koalitionsvertrag, für den ein Koalitionspartner angeblich sogar ganz heftig kämpft, bedeutet keine Zumutung seitens der Mehrheit des Vermittlungsausschusses an die Koalition, sondern das ist eine minimale Bewegung, die wir hier von der CDU verlangen, die in dieser Frage ja selbst gespalten ist, wie ihr Parteitag gezeigt hat. Ihnen ist die Benachteiligung der Lebenspartnerschaft ideologisch offensichtlich so viel wert, dass Sie ein notwendiges Jahressteuergesetz blockieren, (Patrick Döring [FDP]: Unnötige Steuer-erhöhung!) dass Sie die Einführung der elektronischen Steueranmeldung verhindern, dass Sie das Stopfen von Schlupf-löchern verhindern und dass Sie ein Gesetz verhindern, das Sie selber im Lösungsteil des Gesetzentwurfs wie folgt anpreisen: Das Jahressteuergesetz 2013 dient der Umsetzung dieses fachlich notwendigen Gesetzgebungs-bedarfs. Der Regelungsbedarf besteht insbesondere zur Anpassung des Steuerrechts an Recht und Rechtsprechung der Europäischen Union. (Patrick Döring [FDP]: Das ist doch nicht mehr das Gesetz!) Das wollen Sie jetzt alles in die Tonne treten? Das heißt, Sie wollen keinen Kompromiss zwischen den Häusern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: Weil Sie alles blockieren!) Sie sind als Koalition dann aber auch steuerrechtlich nicht mehr handlungsfähig. Sie haben Ihre Handlungskompetenz verloren, weil Sie wegen innerer Streitigkeiten bei keinem Thema zu einer gemeinsamen schwarz-gelben Verhandlungsposition finden können. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Beck! Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist mein letzter Satz. – Herr Döring, beim Thema Gleichstellung haben wir Ihnen den Ball auf den Elf-meterpunkt gelegt. Herr Rösler hätte nur noch Anlauf nehmen und den Ball ins Tor schießen müssen, in dem schon kein Torwart mehr stand. (Patrick Döring [FDP]: Nicht zulasten -Dritter!) Nachdem Sie nichts unternommen haben, um heute zu einer Mehrheit zu finden, (Patrick Döring [FDP]: Nicht zulasten -Dritter!) brauchen Sie sich bei den Lesben und Schwulen in -diesem Land sicher nicht mehr blicken zu lassen. (Patrick Döring [FDP]: Wir machen keine -Verträge zulasten Dritter!) Ich weiß, Sie haben andere Prioritäten, Herr Döring. Das haben wir heute verstanden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Wir machen keinen Vertrag zulasten Dritter!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Tillmann von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Antje Tillmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen und vor den Bildschirmen! In sitzungsfreien Wochen bin ich viel in Schulen unterwegs und diskutiere mit Schülerinnen und Schülern über Punkte, über die wir auch im Parlament diskutieren. Zu Recht legen die Lehrerinnen und Lehrer Wert darauf, dass ich auch die Argumente der Opposition parteineu-tral darstelle. Das fällt mir in der Regel gar nicht schwer, weil ich durchaus auch an Argumenten der Oppositionsparteien etwas finde und nicht jedes Mal zu dem Eindruck komme, dass das, was Sie diskutieren, völlig -absurd ist. Im Hinblick auf das Ergebnis der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss ist mir das, ehrlich gesagt, nicht gelungen. Selbst wenn ich versuche, mich in Sie hineinzudenken, ist das, was Sie da vertreten haben, für mich absolut nicht schlüssig. Fangen wir mit der Schweiz an. In Hinblick auf das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz waren Sie wenigstens berechenbar. Da haben Sie lange vorher angekündigt, dass Sie dem nicht zustimmen. Herr Oppermann – er ist gar nicht mehr da; er hat für die Diskussion keine Zeit mehr – (Johannes Kahrs [SPD]: Er ist im Ältestenrat!) hat versucht, den Bürgerinnen und Bürgern, auch Ihnen auf den Tribünen, klarzumachen, dass die bösen Steuerhinterzieher aufgrund der Ablehnung des Abkommens durch die SPD jetzt höhere und gerechtere Steuern zahlen müssen. Wahr ist, dass die Steuerhinterzieher am 1. Januar 2013 die Sektkorken haben knallen lassen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) weil nämlich ein weiteres Jahr ihrer Steuerhinterziehung verjährt ist, (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie hätten es auf alle Zukunft ausgeweitet! – Johannes Kahrs [SPD]: Sie privilegieren Steuerhinterzieher!) weil sie für 2012, 2013 und 2014 wieder gar keine Steuern zahlen werden, und das dank der Unterstützung durch die SPD, die nämlich verhindert hat, dass auch die Schweizer Steuerhinterzieher einer vernünftigen Besteuerung, ähnlich dem bestehenden deutschen Steuerrecht, unterzogen werden. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie privilegieren sie! Sie schützen Steuerhinterzieher!) – Herr Kahrs, ich weiß, dass Ihnen das nicht gefällt; aber das ist die Wahrheit. (Johannes Kahrs [SPD]: Nein! Es ist glatt -gelogen! Es ist einfach falsch!) Welcher Steuerzahler hat aufgrund Ihrer Entscheidung jetzt seine Steuern bezahlt? Keiner. Zum Grundfreibetrag. Ihr Verhalten im Zusammenhang mit der Erhöhung des Grundfreibetrags ist auch nicht gerade sozialdemokratisch. Zwar konnten wir Sie im Dezember davon überzeugen, dass es verfassungsrechtlich zwingend ist, den Grundfreibetrag zu erhöhen, weil der Steuerfreibetrag das Existenzminimum darstellt; (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist schon immer so gewesen! Das ist doch Verfassung!) aber Sie haben sich nicht einmal entblödet, vorzuschlagen, (Johannes Kahrs [SPD]: „Entblödet“?) zur Gegenfinanzierung der Erhöhung des Grundfreibetrags den Eingangssteuersatz zu erhöhen. (Patrick Döring [FDP]: So ist es!) Das heißt, der Polizist, der ein höheres steuerfreies Existenzminimum erhielte, müsste die eigene Steuervergünstigung über einen erhöhten Eingangssteuersatz selbst bezahlen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist auch rechnerisch falsch! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viel Unsinn Sie erzählen! Es ist unglaublich! Wie hoch ist denn der bisherige Eingangssteuersatz?) Das kann ich aus sozialdemokratischer Sicht nicht nachvollziehen, so sehr ich mir auch Mühe gebe. Gott sei Dank haben Sie im Vermittlungsausschuss nach der Pause verstanden, dass das Unfug ist, und haben den Antrag abgelehnt und unserem zugestimmt; aber nachvollziehen konnte ich Ihr Verhalten nicht. Zur kalten Progression. Herr Binding, Sie haben gesagt, dass das, was wir machen wollen, nur halbherzig sei, weil wir keine Indizierung wollten. Sie haben das Gesetz wohl nur bedingt gelesen; denn darin steht sehr wohl, dass wir die Besteuerung der kalten Progression alle zwei Jahre überprüfen wollen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist aber nicht das System der Abschaffung der kalten Progression!) Folgendes kann ich wiederum nicht nachvollziehen: Weil die Regelung nicht so gut ist, wie Sie es sich gewünscht hätten, machen Sie auch nicht den ersten Schritt. Das heißt, der kleine Steuerzahler hat jetzt gar keinen Vorteil, weil Sie ihm nicht gönnen, dass er einen Teil der nächsten Lohnerhöhung behält. (Johannes Kahrs [SPD]: Getretener Quark wird breit, nicht stark!) Wegen des höheren Steuersatzes bezahlt er für jeden zusätzlichen Euro mehr, als er bisher hätte zahlen müssen. Was daran sozial oder sozialdemokratisch ist, kann ich auch nicht verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Sie haben ein Verständnisproblem, Frau Kollegin!) Vieles kann ich also einfach nicht nachvollziehen, zumal die Einnahmen aus der Schweizer Schwarzgeldsteuer von bis zu 10 Milliarden Euro dicke gereicht hätten, um die Begrenzung der kalten Progression gegenzufinanzieren. (Patrick Döring [FDP]: So ist es! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Hätten Sie das unterschrieben?) Sie sagen also: Der Schwarzgeldbesitzer in der Schweiz behält sein Geld, aber der Empfänger eines kleinen Gehalts muss mehr Steuern zahlen. Das ist irgendwie nicht so richtig sozial. Deshalb findet es auch nicht unsere Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Daniel Volk [FDP]: Das ist die Gerechtigkeit der SPD!) Zum Jahressteuergesetz. Da fängt irgendwie die selektive Wahrnehmung an. Herr Oppermann hat eben dargestellt, dass uns das Jahressteuergesetz wichtig gewesen sei und wir es deshalb auf Biegen und Brechen hätten durchbringen müssen. Wenn ich mich richtig erinnere, sind über 18 Änderungsanträge, die die SPD-Länder eingebracht haben, in das Jahressteuergesetz eingeflossen; wir haben dort Kompromisse gefunden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur die SPD-Länder! Ihre eigenen Länder! Auch die CDU-Länder!) – Auch die grünen Länder, auch die eigenen Länder. – Jedenfalls ging es um Punkte, die auch der SPD wichtig waren. Wir haben über Wochen und Monate hinweg Kompromisse gefunden und waren uns dann in allem einig. Herr Beck, da liegen Sie falsch: Das Vermittlungs-ergebnis ist so lange offen – – (Johannes Kahrs [SPD]: Ja! Sagen Sie es Herrn Döring: „in allem einig“!) – Wenn Sie so laut schreien, kann ich mich selber nicht mehr verstehen. Vielleicht warten Sie einfach, bis Sie gleich dran sind. (Johannes Kahrs [SPD]: Herr Döring, „in allem einig“!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Kahrs, bitte! Frau Tillmann hat das Wort. Antje Tillmann (CDU/CSU): Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Herr Beck, im Verfahren des Vermittlungsausschusses ist es Sitte, dass alles offen ist, bis alles geschlossen ist, weil wir natürlich Kompromisse suchen und weil wir natürlich die eine oder andere Kröte geschluckt hätten, wenn das Gesamtergebnis gut geworden wäre. Das heißt, von den 18 Punkten der Länder haben mindestens 17,5 Punkte die Länder eingebracht. Wir haben uns darauf eingelassen, weil wir das teilweise vernünftig fanden. Auch wenn ich persönlich sogar Verständnis für die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften habe, ich selbst dem auch zugestimmt hätte, war Ihnen völlig klar, dass alle diese Verhandlungen vor die Wand gehen, wenn Sie das zwingend koppeln mit der Abstimmung über die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Das ist Ihnen recht. Das kann ich auch verstehen. Nach außen kann man das gut verkaufen. Damit haben Sie aber natürlich wieder Steuergestaltung möglich gemacht. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie können den Vermittlungsausschuss doch nochmals anrufen, wenn Sie wollen!) Die SPD als Schutzpatron der Steuergestalter. Sie haben selbst die Cash-GmbH angesprochen. Sie haben selbst die Goldfingergeschichten angeführt. Mit dieser Abstimmung zum Jahressteuergesetz machen Sie es möglich, dass wieder die Steuerpflicht gestaltet wird und Steuern hinterzogen werden. (Joachim Poß [SPD]: Dann verwechseln Sie Ursache und Wirkung!) Der kleine Mann zahlt, die Großen kommen davon, weil Sie dem Vermittlungsergebnis nicht zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun zu meinem letzten Punkt, zur steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, es passiert sehr selten, dass wir einen Brief erhalten, der sowohl vom DGB als auch vom Arbeitgeberverband unterschrieben worden ist. Gewerkschaften und Arbeitgeber waren sich also einig und haben mehr oder weniger flehentlich die SPD aufgefordert, die energetische Gebäudesanierung durchgehen zu lassen, weil wir damit Arbeitsplätze sichern, weil wir damit Energiekosten reduzieren. (Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Präsident, schlafen Sie nicht!) – Ich möchte gern zu Ende reden, Herr Beck. Dadurch machen wir es möglich, dass jemand sein privates Einfamilienhaus saniert und damit Kosten spart. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind sich einig. Die SPD war aber nicht dazu zu bewegen. Damit haben Sie nicht nur dem Häuslebauer einen erheblichen Schaden zugefügt, sondern Sie haben auch die Handwerker benachteiligt. (Johannes Kahrs [SPD]: Die SPD ist auch dafür! Wir sind dagegen, die Länder zu belasten!) Sie haben verhindert, dass der Mieter demnächst in -erheblichem Umfang Energiekosten sparen kann. Außerdem haben Sie verhindert – das war nämlich ein -Kompromiss –, dass wir 350 Millionen Euro für die Sanierung öffentlicher Gebäude in den Kommunen zur Verfügung stellen. Dabei sehe ich überhaupt keine Nutznießer, sondern nur Schaden, den Sie verursacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Sie bitte zum Schluss. (Joachim Poß [SPD]: Es wird auch langsam Zeit!) Antje Tillmann (CDU/CSU): Ja. – Ich glaube, dass die Berechenbarkeit der Politik ein ganz wesentliches Kriterium ist. Ich wünsche und hoffe, dass Sie ab Montag wieder berechenbar sind, dass wir Kompromisse schließen können zugunsten der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land und zulasten derjenigen, die in diesem Land ihre Steuern nicht ordnungsgemäß zahlen wollen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU] zur SPD gewandt: Am Montag sind Sie führungslos! Sie haben am Montag keinen Kanzlerkandidaten mehr!) Wir wollen, dass alle ihre Steuern zahlen und dass die Kleinen prozentual nicht mehr belastet werden als die Großen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Johannes Kahrs. (Beifall bei der SPD) Johannes Kahrs (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ganze Debatte war etwas seltsam. Ich möchte mich auf den Punkt konzentrieren, der das Jahressteuergesetz betrifft. Herr Döring hat erklärt, dem Jahressteuergesetz könne man nicht zustimmen, weil es in ganz vielen Punkten Unsinn enthalte, und das habe man alles nicht gewollt. Dass das glatt geschwindelt war – um es einmal freundlich zu formulieren –, hat Frau Tillmann vorhin bestätigt, indem sie gesagt hat: Man war sich in allen Punkten einig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn man sich in allen Punkten einig war und wenn es am Ende nur um eine einzige Frage ging, nämlich um die steuerliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen – das war der einzige Punkt, bei dem man sich nicht einig war –, (Patrick Döring [FDP]: Stimmt nicht!) dann heißt das: CDU, CSU und FDP lassen das Jahressteuergesetz platzen, weil sie nicht wollen, dass Lesben und Schwule gleichgestellt werden. (Patrick Döring [FDP]: Weil wir nicht wollen, dass Millionen andere mehr Steuern bezahlen müssen!) Jetzt kann man natürlich der Meinung sein: Wir schaffen das Ehegattensplitting ab. Dann braucht man das auch nicht. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Erst mal kleine Schritte!) Das ist aber nicht der Punkt. Solange es das Ehegattensplitting gibt, gibt es auch den Bedarf an Gleichstellung. (Patrick Döring [FDP]: Aber nicht zulasten -anderer!) Jetzt hat sich die FDP hier hingestellt, die eigentlich – der Kollege Kauch muss sich gerade kreiselnd durch die Gegend bewegen – (Patrick Döring [FDP]: Ich habe gesagt, wir sind dafür!) immer dafür gekämpft hat, dass Lesben und Schwule gleichgestellt werden. Dann kommt Herr Döring hierher, lügt, um seine eigene Position zu verteidigen, (Patrick Döring [FDP]: Wir sind dafür!) und hat Frau Tillmann auf der anderen Seite, die ganz klar herausgearbeitet hat, dass man sich bei allem einig war, nur bei diesem einen einzigen Punkt nicht. (Patrick Döring [FDP]: Stimmt doch nicht!) – Herr Döring, dann sollten Sie zumindest den Anstand haben, zu erklären, dass Sie für Schwule und Lesben nichts unternehmen und auch nichts erreichen wollen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege. Johannes Kahrs (SPD): Was wir hier veranstalten, ist traurig. Das ist traurig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Nicht zulasten Dritter!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Kahrs, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Tillmann? Johannes Kahrs (SPD): Aber selbstverständlich, wenn ich sie schon zitiere. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Frau Tillmann. Antje Tillmann (CDU/CSU): Danke für die Fairness, Herr Kahrs. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fairer als Sie, zumindest!) Sie haben nur die eine Hälfte meines Satzes zitiert. Ich habe begonnen mit dem Satz, dass im Vermittlungsausschuss die Sitte gilt, dass alles offen ist, bis alles geschlossen wird. Das bedeutet ganz klar – es wäre schön, wenn Sie nicht widersprechen würden bzw. zur Kenntnis nehmen würden –, dass Kompromisse erst dann gelten, wenn man abgestimmt hat. Da aber nicht alles abgestimmt werden konnte, weil wir uns nicht in jedem Punkt einig waren, war unser grundsätzliches Vorhaben, einen Kompromiss zu finden, den Sie aber durch Ihre Koppelung an die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften verhindert haben. Sie waren derjenige, der das Vermittlungsergebnis verhindert hat, nicht wir. (Patrick Döring [FDP]: So ist es!) Sie hätten problemlos einzeln über die gleichgeschlechtliche Ehe abstimmen lassen können, dann hätten wir das Jahressteuergesetz verabschiedet, und Sie hätten trotzdem politisch zeigen können, dass Sie auf der Seite der Schwulen und Lesben stehen. Das haben Sie aber nicht getan. Sie haben es an die Gleichstellung gekoppelt, und Sie wussten, dass damit alle andere Kompromisse vom Tisch sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wussten wir nicht! Das steht im Koalitionsvertrag!) Johannes Kahrs (SPD): Frau Tillmann, erstens wäre es nett, wenn Sie stehen bleiben würden. Zweitens liebe ich Ihre Klarstellung, weil sie von einer erfrischenden Ehrlichkeit ist und Sie damit Herrn Döring ein zweites Mal an die Wand geklatscht haben, (Patrick Döring [FDP]: So ist es doch nicht!) so schwierig das auch ist. Im Ergebnis ist es so: Sie haben gesagt: Wir waren uns in der Sache einig; aber ein Vermittlungsergebnis gilt erst dann, wenn man sich in allen Punkten einig ist, (Patrick Döring [FDP]: Wir haben doch gar nicht über alle Punkte abgestimmt!) und bei dem Punkt „Schwule und Lesben“ war man sich nicht einig. Sehen Sie: In allen anderen Punkten war man sich also einig. (Patrick Döring [FDP]: Die sind doch gar nicht abgestimmt worden!) – Herr Döring, schämen Sie sich! Frau Tillmann hat Ihnen hier zweimal gesagt, dass Sie gelogen haben. Sie sollten sich schämen. – Frau Tillmann, vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Nein! Die Punkte sind doch gar nicht abgestimmt worden! Das ist doch unwahr!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Kahrs, der Kollege Beck würde auch gerne noch eine Zwischenfrage stellen. Johannes Kahrs (SPD): Aber selbstverständlich. (Gisela Piltz [FDP]: Jetzt kommt eine Showfrage! Super! – Joachim Poß [SPD]: Wir hatten Einigung in der Arbeitsgruppe! – Patrick Döring [FDP]: Die sind nicht abgestimmt worden im Vermittlungsausschuss, die Punkte!) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Kahrs, ich wollte Sie fragen, ob Sie mir bestätigen können, dass diese Koalition gerade durch ihre eigenen Gesetzgebungsakte Blockadepolitik betreibt. Denn wenn sie jetzt unbedingt wollte, das Ganze ohne die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften zu beschließen, dann hätte sie heute die Möglichkeit gehabt, selber mit der Mehrheit des Bundestages den Vermittlungsausschuss anzurufen. Die Koalition trägt also alleine die Verantwortung dafür, dass das Jahressteuergesetz vollständig gegen die Wand fährt. (Patrick Döring [FDP]: Es gab keine Einigung in der Arbeitsgruppe!) Können Sie mir das bestätigen, Herr Kollege? Johannes Kahrs (SPD): Herr Kollege Beck, Sie haben natürlich Recht: Wenn die Koalition mit ihrer Mehrheit heute beschlossen hätte, den Bundesrat anzurufen, dann hätte sie das Ganze noch einmal in den Bundesrat einbringen können. (Patrick Döring [FDP]: Mit welchem Ergebnis? Es gab keine Einigung in der Arbeitsgruppe!) Das hat sie aber nicht getan. Das zeigt natürlich, Herr Beck – auch in der Geschichte der CDU –, dass die CDU keine Gleichstellung von Lesben und Schwulen will. Ich bin seit 1998 im Deutschen Bundestag. Das habe ich bisher so erlebt. (Gisela Piltz [FDP]: Ja, und haben nichts -erreicht!) Wir von SPD und Grünen sind dabei gewesen. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Und wir!) Hier sieht man, dass einfach nichts getan wurde. (Patrick Döring [FDP]: Es gab keine Einigung in der Arbeitsgruppe! Das ist einfach gelogen!) Wir haben ein Lebenspartnerschaftsgesetz Teil 1 und Teil 2. (Gisela Piltz [FDP]: Nur weil Sie es nicht auf die Reihe gekriegt haben! – Patrick Döring [FDP]: Sie kriegen es einfach nicht fertig! Genau!) Die Trennung war notwendig, weil sich die CDU geweigert hat, mitzumachen, das heißt, es konnten nur die Pflichten beschlossen werden, aber nicht die Rechte. Im Bundesrat ist das immer von der CDU verhindert worden. Seit 1998 erlebe ich, dass CDU und CSU – entweder in der Regierung, in der Koalition oder im Bundesrat – die Rechte von Schwulen und Lesben blockiert, wo es geht. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das gehört aber nicht mehr zur Beantwortung der Frage. Wir befinden uns wieder in der Aussprache. Johannes Kahrs (SPD): Ohne Not hat Frau Merkel im niedersächsischen Landtagswahlkampf in ihren Wahlkampfreden gesagt: Sie will keine Gleichstellung von Lesben und Schwulen. Das ist peinlich, das ist beschämend, und das ist unanständig. Das kann nicht die Politik dieser Koalition sein; denn Sie haben einen Koalitionsvertrag, und im Koalitionsvertrag steht, dass Sie die steuerliche Gleichsetzung von Lesben und Schwulen wollen. (Patrick Döring [FDP]: Aber nicht zulasten Dritter!) Sie setzen es aber nicht um. (Patrick Döring [FDP]: Nicht zulasten -Dritter!) Nun hatten Sie es vorliegen. Man war sich, Herr Döring, in allen Punkten einig, wie Sie eben von Frau Tillmann gehört haben. (Patrick Döring [FDP]: Nein! Das ist gelogen! Es gab keine Einigung in der Arbeitsgruppe!) – Auch wenn Sie noch so laut brüllen, Herr Döring: Das funktioniert nicht, (Patrick Döring [FDP]: Sie sind lauter, weil Sie das Mikrofon haben!) gegen mich schon einmal gar nicht. (Patrick Döring [FDP]: Es gab keine Einigung in der Arbeitsgruppe!) Deswegen haben Sie hier ein Problem. In der Sache hätte die FDP etwas für Lesben und Schwule erreichen können, aber sie hat es nicht getan. (Patrick Döring [FDP]: Das ist einfach -gelogen!) Der Kollege Beck hat es freundlich formuliert: Der Ball lag da, das Tor war nicht weit entfernt, es gab keinen Torwart, und Herr Rösler hat trotzdem nicht verwandelt. Er ist nicht einmal angelaufen, und das ist unanständig. Wir haben erlebt, dass CDU und CSU die Gleichstellung von Lesben und Schwulen nicht will, dass sie sie an jeder Kurve und Kante blockiert. Dass die FDP das mitmacht – und das, obwohl es sie nichts, aber auch gar nichts gekostet hätte –, ist erstens unverständlich und zweitens unanständig. Das passt nicht zu dem, was sie sonst sagen. (Patrick Döring [FDP]: So denken Sie also über die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland! Das spricht auch Bände! Zulasten Dritter!) – Herr Döring, als Sprecher für Lesben und Schwule der SPD-Bundestagsfraktion höre ich seit 1998 die Worthülsen der FDP. Heute haben Sie jede Berechtigung verloren, zu diesem Thema irgendetwas beizutragen. (Patrick Döring [FDP]: Bestimmt nicht!) Das, was Sie sagen, ist peinlich und falsch. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE] – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Umfallerpartei! – Patrick Döring [FDP]: Nicht zulasten Dritter, Herr Kahrs!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Volker Wissing. (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommt mehr Sachlichkeit in die Debatte!) Dr. Volker Wissing (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem in dieser Debatte mehrfach wahrheitswidrig behauptet worden ist, man habe sich in der Arbeitsgruppe auf diese Punkte verständigt, möchte ich zur Klarstellung hier Folgendes erklären: Ich finde es ungeheuerlich, dass Sie das hier immer wieder behaupten. Es gab keine Einigung! Insbesondere der Punkt „Ungleichbehandlung von öffentlicher Hand und Privatwirtschaft im Bereich der Grunderwerbsteuer“ wurde in den vorbereitenden Gruppensitzungen, an denen ich teilgenommen habe, von mir immer wieder ausdrücklich streitig gestellt. – Ich halte dies für ungeheuerlich. (Joachim Poß [SPD]: „Ungeheuerlich“ ist Ihre Darstellung!) Dass Sie das Jahressteuergesetz nach Ihren Vorstellungen verändern wollten – Sie haben unglaublich dreiste Forderungen, auch Steuererhöhungsforderungen, gestellt –, war für uns nicht hinnehmbar. Wir hatten im Vermittlungsausschuss noch viele andere Gesetzentwürfe zu beraten. Ziel war immer, eine Einigung zu finden. Sie haben ganz offensichtlich einen anderen Weg vorgezogen, nämlich den, hier billigen Populismus zu betreiben. Sie haben am Ende überraschenderweise die Thematik der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe bei der Einkommensteuer in dieses Feld aufgenommen, obwohl es dort sachlich gar nicht hineingehört, (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Doch!) und Sie haben Steuererhöhungen zur Bedingung für Ihre Zustimmung gemacht, weil Sie genau wussten, dass die FDP diese Steuererhöhungen von Anfang an abgelehnt hat. Ich finde – ich sage das, weil Sie hier so lautstark und selbstbewusst sprechen –, es wird den Menschen, die sich in Deutschland nach einer Gleichstellung im Bereich der Einkommensteuer sehnen, nicht gerecht, wenn man das so verknüpft, obwohl man genau weiß, dass Steuererhöhungen hier nicht mehrheitsfähig sind. Wenn Sie glauben, Sie könnten Steuererhöhungen auf so miese Art und auf dem Rücken der Betroffenen durchsetzen, dann irren Sie sich. Dann können Sie mit der Zustimmung der FDP nicht rechnen. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten den Mut aufgebracht, den Menschen hier deutlich zu sagen, was Sie im Vermittlungsausschuss tatsächlich betrieben haben. So, wie es in dieser Debatte dargestellt worden ist, war es schlicht und einfach nicht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zur Erwiderung Kollege Kahrs. Johannes Kahrs (SPD): Herr Wissing, die Verzweiflung in der FDP muss groß sein. (Gisela Piltz [FDP]: Über Sie schon!) Frau Tillmann hat nun zweimal bestätigt, dass es in der Sache eine Einigung gegeben hat, (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Es gab keine Einigung!) mit Ausnahme der Gleichstellung von Lesben und Schwulen. (Gisela Piltz [FDP]: Sie waren gar nicht dabei!) – Es gab genug von uns, die dabei waren. (Gisela Piltz [FDP]: Aber Sie nicht! Sie waren doch gar nicht dabei!) Herr Meister hat die Einigung vorgetragen. Über den einen Punkt, der übrig blieb, kann man sich aufregen – ich verstehe ja, dass CDU und CSU das nicht wollen –, aber in allen anderen Punkten gab es eine Einigung. Das hat Frau Tillmann hier zweimal bestätigt, alle Anwesenden auch. (Patrick Döring [FDP]: Aber nicht mit der FDP! Nicht mit uns!) Die Verzweiflung muss wirklich groß sein. Ich finde das bedauerlich, Herr Wissing. Sie sollten bei der Wahrheit bleiben. Dass die Schwulen und Lesben von der FDP nichts zu erwarten haben, ist ab heute klar. Das ist leider so. Es tut mir wirklich leid für den Kollegen Kauch, ernsthaft. Der Kollege Kauch rödelt seit Jahren für dieses Thema. (Patrick Döring [FDP]: Und wir sind seiner Meinung! Wir unterstützen ihn!) Dass Sie ihm so in den Rücken fallen, ist unanständig. (Patrick Döring [FDP]: Das tut keiner!) Das gehört sich nicht. (Beifall bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Der FDP ist am Ende einfach die Stimme ausgefallen! Stimmlos! Tonlos!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir sind am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Steuerbeschlüsse der SPD sowie Steuererhöhungspläne des SPD-Kanzlerkandidaten und ihre Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Hans Michelbach von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Land verdankt es der Politik der bürgerlichen Koalition und der Leistungsbereitschaft seiner Arbeitnehmer und Unternehmer, dass es die vielfältigen Schwierigkeiten der Krisen gut gemeistert hat. Sicherlich sind nicht alle Schwierigkeiten überwunden. Auch in diesem Jahr geht es um Aufschwung oder Abschwung, um Wachstum oder Stillstand. Mit uns stehen die Zeichen auf Wachstum und weiteren Wohlstandsgewinn für unsere Menschen. Wir stehen für Aufschwungsdividende, Wachstum und Arbeitsplätze. Rot-Grün dagegen mutet den Menschen Stillstand und sogar Abschwung durch neue Steuererhöhungen zu. Das darf es nicht geben, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Steuerbeschlüsse der SPD sind so etwas wie ein Bußgeldkatalog für die arbeitenden Menschen, die Leistungswilligen, die Mittelschicht und den gewerblichen Mittelstand. Sie von Rot-Grün wollen den gefräßigen Steuerstaat, den einkommenfressenden Staat, damit Sie Ihre unsoziale und ungerechte Verteilungspolitik finanzieren können. Das unterscheidet uns. Wir trauen den Menschen etwas zu und gönnen ihnen die Früchte ihrer Leistung. Sie von Rot-Grün kennen nur eines: Bevormundung der Bürger und Enteignung der Leistung durch immer neue Steuern. Das ist der Unterschied zu unserer Politik, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ihnen fehlt die richtige Balance, die für ein erfolgreiches und wettbewerbsfähiges Land notwendig ist. Wir wollen Freiräume für die Menschen durch Entlastungen, soziale Leistungen für Bedürftige und Konsolidierung der Haushalte. Dieser Dreiklang ist das Erfolgsrezept, mit dem unser Land bisher sicher durch die gewiss schwierigen Zeiten geführt wurde und auch weiter geführt werden wird. Im Dezember haben wir in der christlich-liberalen Koalition um mehr Steuergerechtigkeit durch die Reduzierung der kalten Progression gerungen und natürlich auch dafür geworben, für die Bekämpfung der Steuerhinterziehung eine Mehrheit zu bekommen. Gerade haben wir in der Debatte gehört, wie Sie das letzten Endes umgekehrt haben. Sie nehmen eine gesellschaftliche Gruppe als Werkzeug. Ich muss mich für diese Debatte schämen, Herr Kahrs. Es ist unsäglich, was Sie mit dieser gesellschaftlichen Gruppe hier gemacht haben. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Was haben Sie im Koalitionsvertrag? Menschen nennen Sie „Werkzeug“!) Ist es – das sollten Sie sich einmal vor Augen halten – an einem Staat gerecht, wenn der Fiskus das abkassiert, was die Menschen durch ihre Leistung mehr verdienen? Was ist gerecht daran, wenn Sie den Betrieben – vor allem dem Mittelstand – mit Höchststeuerpolitik die Spielräume für die Schaffung neuer Arbeitsplätze nehmen? Was ist gerecht an einem Staat, der mit seiner Steuerpolitik den Leuten die Arbeit nimmt? Nichts, gar nichts und noch einmal nichts! Sie von Rot-Grün müssen endlich einmal lernen: Die Einkommen gehören zunächst den arbeitenden Menschen und sind – das ist so – nicht das politische Spielgeld von Rot-Grün. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ihre Steuerpläne sind eindeutig. Sie wollen den Menschen 28 bis 40 Milliarden Euro mehr an Steuern abpressen. Das sind Ihre Vorschläge. Die Leute müssen das erkennen. Sie wollen den Steuertarif auf 49 Prozent erhöhen, also jeden zweiten verdienten Euro vom Fiskus abkassieren lassen. Weiter wollen Sie Ehepaare mit der Abschaffung des Ehegattensplittings geradezu bestrafen. Außerdem wollen Sie die kalte Progression verschärfen, was nicht nur Spitzenverdiener trifft, sondern auch die Masse der Facharbeiter, Angestellten, Freiberufler oder mittelständischen Unternehmen. Bereits heute erbringen diese Gruppen der Gesellschaft bzw. diese Steuerpflichtigen 95 Prozent des Einkommensteueraufkommens. Ich glaube, das Schlimmste bei Ihren Steuervorschlägen ist die Substanzbesteuerung, die Sie aus ideologischen Gründen mit der Erbschaftsteuer und der Vermögensteuer vornehmen wollen. Dies trifft 80 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Deutschland, die Personengesellschaften sind. Das hat Auswirkungen auf das Volksvermögen insgesamt. Substanzbesteuerung verhindert Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen und damit letzten Endes die Entwicklung. Deswegen kann ich nur sagen: Dies ist der verkehrte Weg für unser Land. Ihr Kanzlerkandidat jongliert jetzt mit Zahlen und sagt, wir hätten durch Steuerhinterziehung 150 Milliarden Euro Steuerverluste. Dafür gibt es keine Beweise. Das ist für mich reines Maulheldentum. Das ist unsäglicher Sozialneidpopulismus. (Zuruf des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD]) Das ist Sprechblasenpolitik. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiter! Aber nicht platzen!) Es setzt die Peinlichkeiten geradezu fort, wenn man aus Populismus einfach eine Zahl in die Welt setzt und nicht bereit ist, diese zu belegen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Michelbach. Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Präsident, ich habe hier eine halbe Minute überzogen, aber ich war so in Fahrt. Entschuldigen Sie bitte. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohin fahren wir denn? – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Er ist betroffen!) Ich kann nur sagen: Diese Steuerpolitik und diese Steuerpläne von Rot-Grün dürfen in Deutschland nicht umgesetzt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort der Kollege Joachim Poß für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Joachim Poß (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sprach zu uns gerade der Spezialist für Gespensterdebatten Hans Michelbach. (Beifall bei der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Ich dachte, das sind Sie!) Ich glaube, das ist eine ausreichende Beschreibung der Qualität Ihres Vortrags, Herr Michelbach. Ich persönlich freue mich für Sie, dass Sie als erfolgreicher Mittelständler die so schwierigen Regierungsjahre von Helmut Kohl mit dem Spitzensteuersatz von 53 Prozent und mit dieser schrecklichen Vermögensteuer überstanden haben. Dass Sie in diesen Kohl-Jahren so erfolgreich waren, ist für Sie sehr erfreulich. (Beifall des Abg. Klaus Hagemann [SPD]) Wenn man die Realität mit dem, was Sie hier erzählt haben, kontrastiert, dann wird den Menschen deutlich, dass es Ihnen nur um Diffamierung geht und nicht um eine realistische Beschreibung der Lage. Wir können festhalten: Wir haben zumindest ein Finanzkonzept für die nächsten Jahre. Wir haben Steuerpläne. Sie haben es in den letzten dreieinhalb Jahren trotz einer Koalitionsvereinbarung nicht einmal geschafft, sich überhaupt auf eine gemeinsame Wirtschafts- oder Steuerpolitik zu einigen. Sie haben überhaupt nichts bewegt. Sie haben noch nicht einmal eine Reform der Mehrwertsteuer hinbekommen. Hinbekommen haben Sie nur die berühmte zusätzliche Ausnahme für die Hoteliers. Das war Ihre Steuerpolitik der letzten dreieinhalb Jahre. (Beifall bei der SPD) Wer eine solche erbärmliche Bilanz vorzuweisen hat, der sollte hier wirklich nicht die Backen aufblasen, wie Herr Michelbach es getan hat und andere es sicherlich wiederholen werden. Wir befinden uns in einer ganz bestimmten wirtschaftlichen und finanziellen Ausgangssituation. Dazu gehört, dass in den Ländern und Kommunen die Decke überall und damit insgesamt zu kurz ist. Der Investitions-stau in den Kommunen ist mittlerweile auch für die Bürgerinnen und Bürger – von den Kleinkindern bis zu den Senioren – deutlich zu spüren. Dass unsere Bildungsausgaben nicht ausreichend sind, bekommen wir Jahr für Jahr auch von der OECD bescheinigt. Es muss doch allen klar sein: Die Kommunen vor Ort haben wesentliche Leistungen zu erbringen, die mit über die Lebensqualität der Menschen entscheiden. Wir brauchen ein gutes Bildungssystem und einen modernen Sozialstaat als Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands. Ihre letzten Regierungsjahre haben uns und Ihnen gezeigt, dass sich das alles durch Einsparungen an anderer Stelle offenkundig nicht finanzieren lässt; Sie hatten die Gelegenheit dazu. Daher müssen wir auch andere Maßnahmen ins Auge fassen. Was haben Sie denn in Wirklichkeit gemacht? Sie haben in guten Zeiten weiter auf Pump gewirtschaftet und trotzdem die Infrastruktur verkommen lassen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. (Beifall bei der SPD) Nach der Regierungsübernahme im September wollen wir nicht so weitermachen. Insofern sind maßvolle Steuererhöhungen notwendig, und zwar nicht für alle, sondern nur für Spitzenverdiener und Vermögende. Das ist auch gerechtfertigt, wenn man sich anschaut, wie sich das Einkommensgefälle und auch die Unterschiede bei Vermögen in den letzten Jahrzehnten – es ist keine kurzfristige Entwicklung – entwickelt haben. Das heißt, die soziale Spaltung in Deutschland hat dramatisch zugenommen. Deswegen müssen diejenigen mit den besonders starken Schultern – dies entspricht auch dem Verfassungsgebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – ein wenig mehr zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen. Das ist zur Gestaltung der weiteren positiven Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich vertretbar und sozial notwendig. Es besteht überhaupt kein Anlass, diese Vorhaben so zu diffamieren, wie es von Ihrer Seite und von einigen Wirtschaftsverbänden getan wird. Sie sollten sich der Realität, die im Armuts- und Reichtumsbericht beschrieben ist, stellen. Die Realität passte Ihnen aber nicht. Also haben Sie Ihren Armuts- und Reichtumsbericht manipuliert und das, was Ihnen nicht gepasst hat, gestrichen. Anstatt Ihre Steuerpolitik zu ändern, versuchen Sie, die Realität anders darzustellen. Das ist die Methode von Schwarz-Gelb. Damit muss Schluss sein. (Beifall bei der SPD) Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass wir uns den vielfältigen Herausforderungen in unserer Gesellschaft stellen. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Aha! Haben Sie deshalb dem Abbau der kalten Progression nicht zugestimmt?) Das tun wir, auch mit unseren Steuerplänen und unseren Finanzierungsvorschlägen. Wir fordern Sie zu einer konstruktiven Diskussion auf. Mit Realitätsverweigerung ist niemandem gedient. (Beifall bei der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Ach, echt? Sie machen das doch die ganze Zeit vor! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Verhaltener Applaus bei der SPD!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Volker Wissing (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verzweiflung bei der SPD muss sehr groß sein, (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Riesengroß!) wenn Herr Poß sich noch nicht einmal traut, hier über das zu sprechen, was Herr Steinbrück vorgeschlagen hat. (Joachim Poß [SPD]: Über was denn?) Er hat nämlich nicht vorgeschlagen, die Steuern nur für ganz Vermögende zu erhöhen, sondern er hat vorgeschlagen, sie auch für Facharbeiter und die Mitte in Deutschland zu erhöhen. (Dr. Daniel Volk [FDP]: So ist es!) Für den Mittelstand will Herr Steinbrück also die Steuern erhöhen. Aber das traut sich die SPD im Deutschen Bundestag nicht zu sagen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Was ist das für ein Quatsch!) Heimlich wollen Sie das machen, weil Sie wissen, dass die Öffentlichkeit Sie dafür abstrafen wird, und zwar zu Recht. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Können Sie das mal erläutern?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerecht wäre es doch gewesen, im Bundesrat dem Abbau der kalten Progression zuzustimmen, (Dr. Daniel Volk [FDP]: So ist es!) damit hart erarbeitete Lohnerhöhungen bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen. Stattdessen haben Sie zu einem gerechteren Steuertarif für untere und mittlere Einkommen Nein gesagt. Ja, Sie haben den Tarifverlauf mit Ihrer Macht im Bundesrat sogar verschlechtert und ihn gestaucht. So haben Sie dafür gesorgt, dass der Anstieg für die untersten Einkommen steiler wird. Herr Kollege Poß, ich wiederhole es: für die untersten Einkommen! Das ist die größte Ungerechtigkeit bei der Einkommensteuer, die in den letzten Jahren von einer Partei auf den Weg gebracht worden ist. Das ist sozialdemokratische Realpolitik: Abkassieren bei den untersten Einkommen in Deutschland. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Sie lügen doch, wenn Sie den Mund aufmachen!) Gerecht wäre es gewesen, dem Steuerabkommen mit der Schweiz zuzustimmen, damit dort künftig gleich hohe Kapitalertragsteuern fällig werden wie in Deutschland. (Beifall der Abg. Gisela Piltz [FDP]) Ich frage Sie: Warum sollten Kapitalerträge in der Schweiz anders als in Deutschland oder gar nicht besteuert werden? Sie aber haben dazu Nein gesagt – das war billiger Populismus – und in Kauf genommen, dass der ehr-liche Steuerzahler in Deutschland die Milliardenlücken, die Steuerhinterzieher hinterlassen, füllen muss. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na!) Sie haben zu verantworten, dass Steuersünder unbestraft und auch noch völlig kostenlos davonkommen, weil die Straftaten und die Steuerschuld verjähren. Man muss sich das einmal vorstellen: Jeder Steuerhinterzieher wäre von diesem Abkommen erfasst worden, und zwar lückenlos. Aber die SPD sagt dazu Nein und mutet den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland zu, die Lücke, die dadurch entsteht, zu füllen. Das ist Ungerechtigkeit hoch zehn. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es wäre auch gerecht gewesen, wenn Sie nur ein einziges Mal in dieser Legislaturperiode an die Mitte in Deutschland gedacht hätten, statt immer wieder Einkommensteuererhöhungen für diese Gruppe zu fordern. Die Vorschläge von Herrn Steinbrück – die FU Berlin hat das berechnet – würden für Facharbeiter und mittlere Unternehmen zu einer Mehrbelastung in Höhe von 11 bis 12 Prozent führen. Diese Forderungen hätten Sie hier verteidigen sollen, Herr Kollege Poß. Aber Sie wollen sie verheimlichen. In Wahrheit wollen Sie an die Kasse der Mitte: der Facharbeiterinnen und Facharbeiter und des Mittelstands. Um das deutlich zu machen, haben wir eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sie wissen, dass Sie die Unwahrheit sprechen!) Was Deutschland sicherlich nicht hat, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Steuersystem mit zu niedrigen Steuersätzen. Die Kasse des Finanzministers ist heute voller als jemals zuvor. Die Kasse des deutschen Finanzministers ist auch voller als die Kasse der Finanzminister aller anderen europäischen Länder, und das, obwohl diese die Steuersätze zum Teil erheblich angehoben haben. Es gilt nämlich eine Kette, die Sie den Menschen immer wieder verschweigen: Maßvolle Steuersätze lösen Wachstum aus, Wachstum führt zu hohen Steuereinnahmen, und Wachstum reduziert zugleich die Staatsausgaben, weil die Zahl der Beschäftigten zu- und die Zahl der Transferleistungsempfänger abnimmt. So machen wir erfolgreiche Politik. Erfolgreiche Politik macht man aber nicht, indem man den Menschen ohne ersichtlichen Grund in die Tasche greift, wie Sie es vorhaben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der Tagesspiegel schrieb Ende Dezember 2012 über die Steuerpläne von Herrn Steinbrück folgenden Satz: Wenn er wirklich meint, was er sagt, will er eine andere Republik. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, trifft den Nagel auf den Kopf. Aber was für eine Republik wollen Sie von der SPD? So eine wie in Frankreich? Eine Republik, die von Ratingagenturen herabgestuft wird? Eine Republik mit steil ansteigender Jugendarbeitslosenquote und immer leereren Staatskassen? Eine Republik, um die Investoren einen Bogen machen und die Wohlhabende verlassen, anstatt in ihrem Heimatland zu investieren? Das wollen Sie offenbar. Dass die Herren Gabriel, Steinmeier und Steinbrück nach Frankreich gefahren sind und Herrn Hollande für seine Steuererhöhungspläne die Glückwünsche der deutschen Sozialdemokratie überbracht haben, hat das eindrucksvoll demonstriert. Wir sagen: Das ist geballte Ungerechtigkeit, und davor wollen wir Deutschland bewahren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: „Ungerechtigkeit“ – wissen Sie überhaupt, was das Wort bedeutet?) Eine solche Politik – das haben die Sozialdemokraten immer noch nicht verstanden – ist Unsinn. Sie erzählen den Menschen Unsinn und schüren Neiddebatten, die unsere Gesellschaft spalten, anstatt dass wir die Kräfte bündeln. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das zeigt zu deutlich, was Ihr Geist ist!) Die Rheinische Post kommentiert die Lage in Deutschland wie folgt – ich zitiere –: Dennoch zeigt ein positiver Finanzierungssaldo bei schwierigem außenwirtschaftlichen Umfeld vor allem eines: Das Land braucht offenkundig keine Steuererhöhungen. SPD und Grüne liegen falsch. Schöner und klarer kann man es nicht ausdrücken, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Wer sagt das? – Gegenruf des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD]: Die Rheinische Post!) Während Sie durch dieses Land ziehen und den Menschen einreden, der Staat müsse eine Vermögensabgabe, eine Vermögensteuer, höhere Einkommen- und Kapitalertragsteuern einführen, während Sie auf Ihren Partei-tagen höhere Erbschaftsteuern beschließen und im -Bundesrat über die kalte Progression heimliche Steuererhöhungen durchsetzen, in dieser Zeit schaffen CDU, CSU und FDP es trotz laufender Krise und in einem wahrhaft schwierigen außenwirtschaftlichen Umfeld, ohne Steuererhöhungen auszukommen und auch noch einen Etatüberschuss vorzulegen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr macht halt Schulden!) Das ist der Unterschied zwischen Ihrer schlechten Politik und unserer Politik. (Joachim Poß [SPD]: Jetzt muss sich Herr Wissing schon auf die Rheinische Pest abstützen!) Was wir leisten, ist Gerechtigkeit gegenüber den hart arbeitenden Menschen in unserem Land. Das ist der Weg zum Erfolg aller in einer sozialen Marktwirtschaft: -höhere Investitionen in Bildung und Forschung, mehr Wachstum, mehr Beschäftigung und weniger Schulden. Als wir im Rahmen der Föderalismuskommission II die Schuldenbremse beschlossen und uns darauf verständigt haben, dass der Bund im Jahr 2016 bei der Neuverschuldung die Grenze von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts einhalten muss, haben viele gesagt: Das schafft ihr nie, das ist unmöglich. – Ich kann mich noch an die Presseartikel erinnern. Es hieß überall: Da gibt es eine Ausnahme, und am Ende werden sie versuchen, über die Ausnahme doch höhere Schulden zu machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition hat ohne Steuererhöhungen die Grenze von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wie sie im Grundgesetz steht, bereits 2012 eingehalten. Trotz laufender Finanzkrise und höheren Investitionen in Bildung und Forschung haben wir die Schuldenbremse in diesem Punkt vier Jahre früher eingehalten als ursprünglich vorgesehen. Hören Sie auf, dem Land einzureden, dass wir Steuererhöhungen brauchten! Das ist absurd, und Sie wissen es besser: Man darf den Menschen nicht in die Tasche greifen; denn das würde das Wachstum abwürgen und eine erfolgreiche Politik beenden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Steuererhöhungen, die Sie anpeilen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind der falsche Weg; sie sind ebenso überflüssig wie ungerecht. Durch Ihre Weigerung, im Bundesrat mitzuarbeiten, sind Sie schuld daran, dass sich die kalte Progression zulasten der Arbeitnehmer verschärft. Aber dass Ihre Politik an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbeigeht, wundert einen schon nicht mehr; denn als Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Oppermann gefragt wurde, wo denn die zweite Wohnzimmerrede von Herrn Steinbrück stattfinde, hat er spontan festgestellt, dass dieser Bürger natürlich kein Sozialdemokrat, sondern ein Mann aus dem Leben sein werde. – Herzlichen Glückwunsch, Sie haben den Unterschied verstanden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Herbert Behrens von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Werter Genosse und Kollege – nein, Genosse ist falsch: Werter Kollege Wissing, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wir haben völlig unterschiedliche Vorstellungen von Gerechtigkeit; das haben Sie eben noch einmal ausgesprochen deutlich gemacht. Sie sagen: Wenn es Maßnahmen gibt, die dazu beitragen, das Steueraufkommen zu er-höhen, wenn es Maßnahmen gibt, die dazu beitragen, die Beschäftigung zu erhöhen, dann sei das der einzige Maßstab. Das ist falsch. Wir müssen uns nur anschauen, was Sie mit Ihrer Politik verursacht haben. In dem Entwurf Ihres eigenen Armuts- und Reichtumsberichts stand zunächst – Sie haben das später herauskorrigiert –, dass die Schere zwischen Arm und Reich in diesem Lande dramatisch auseinandergeht, dass es auf der einen Seite eine Konzentration von Vermögen in den Händen weniger gibt und auf der anderen Seite eine große Zahl von armen Menschen, die ihr Leben nicht so gestalten können, wie sie es gerne möchten. Insofern kommt es schon darauf an, dass wir nicht nur auf die wirtschaftliche Entwicklung schauen, sondern eben auch darauf, wie es um die Steuergerechtigkeit bestellt ist. Die SPD hat ihr Konzept vorgelegt – der Kollege Poß hat davon gesprochen –, und die Regierung ist tief getroffen von diesem Konzept. Ich kann das nicht in Gänze teilen. Wir wissen, am Sonntag wird in Niedersachsen gewählt. Darum ist vieles von dem, was hier gesprochen wird, auch unter diesem Aspekt zu sehen. Im Herbst steht dann die Frage an, ob Rot-Grün künftig die politischen Maßstäbe setzen kann oder ob es weiter einen desaströsen schwarz-gelben Kurs geben soll. Deshalb wird es nötig sein, dass wir nicht nur einen kurzen Blick zurückwerfen, sondern uns einmal die gesamte Entwicklung angucken, die wir hier in den letzten Jahren erlebt haben. Gucken wir uns aber auch Ihre Steuerpolitik an, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD. Vor vielen Jahren – vielen Menschen ist das aber noch ganz präsent – hat die Agenda 2010 dazu beigetragen, dass Grundannahmen einer demokratischen, solidarischen Gesellschaft in Deutschland aufgehoben worden sind. Sie wollten mit Ihrer Steuerpolitik beispielsweise dazu beitragen, dass die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung im Vergleich zu anderen Ländern das am besten für den gnadenlosen Wettbewerb aufgestellte Land ist. Sie haben den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt. Sie haben den Körperschaftsteuersatz von 40 Prozent zunächst auf 25 Prozent und später auf 15 Prozent gesenkt. Sie haben eine Niedriglohnpolitik betrieben, Sie haben Minijobs und Leiharbeit befördert, und Sie haben zu insgesamt – ich addiere die Zahlen von 1999 bis zum Jahr 2013 – 490 Milliarden Euro an Steuermindereinnahmen beigetragen. Innerhalb eines Zeitraums von 14 Jahren haben Sie Steuermindereinnahmen von fast 500 Milliarden Euro zu verantworten, die für staatliche Ausgaben zur Verfügung stehen könnten. Das soll mit dem Kanzlerkandidaten Steinbrück wieder anders werden. Er kennt sich ja aus, war er doch auch maßgeblich an dieser Politik beteiligt. Sie sagen jetzt, die Schieflage in der Gesellschaft solle beseitigt und die große Kluft zwischen Arm und Reich wieder geschlossen werden. Na ja, ein bisschen jedenfalls; denn die steuerpolitischen Vorschläge der SPD werden nicht dazu beitragen, dass die grundlegenden Fehler der vergangenen Jahre korrigiert werden. Wir als Linke haben uns die realen Auswirkungen dieser Steuersenkungspolitik und in diesem Zusammenhang auch die Einnahmeverluste für Niedersachsen -angeschaut. In einem Gutachten wird festgestellt, dass diesem Land jedes Jahr 2 Milliarden Euro an Steuereinnahmen fehlen, mit denen eine vernünftige, soziale Politik gemacht werden könnte. Den Kommunen fehlt -zusätzlich 1 Milliarde Euro, mit der die hier vielfach besprochenen Maßnahmen für die Bildung der Kinder und für bessere Chancen der Kleinsten und Schwächsten unserer Gesellschaft bezahlt werden könnten. Wir legen dagegen Vorschläge vor, mit denen den Ländern wirksam geholfen werden könnte. Unsere Vorschläge würden dazu beitragen, dass dem Land Niedersachsen pro Jahr 3,6 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen. Wir fordern auf der Bundesebene eine Finanzpolizei, die in der Lage ist, Steuerhinterziehung, Subventionsbetrug und auch Geldwäsche wirklich wirksam zu verhindern. Ja, wir wollen die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, weil die Starken der Gesellschaft für die Schwachen der Gesellschaft eintreten müssen. Wir fordern eine Vermögensteuer, die den Namen verdient und auch rechtskonform ist. Wir wollen dafür sorgen, dass die Schwächeren in dieser Gesellschaft wirklich in der Lage sind, ein vernünftiges Leben zu führen. Dazu gehören insbesondere die Kinder, die eine gute Bildung, gute Lehrkräfte und auch gute Schulen brauchen. Das geht nur, wenn wir eine Finanzpolitik machen, die auch die Kommunen stärkt und dazu führt, dass diese Bildungseinrichtungen finanziert werden können. Vielen Dank. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort die Kollegin Kerstin Andreae für Bündnis 90/Die Grünen. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aktuellen Stunden, die die Koalition beantragt, sind manchmal auch dazu da, andere Aktuelle Stunden zu verdrängen. Ehrlich gesagt: Bei der Showdebatte, die wir hier gerade führen, habe ich den Eindruck, dass Sie irgendetwas gesucht haben, über das wir heute reden können, damit an diesem Donnerstag auch ja alles Ihren Vorstellungen entspricht. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sind Ihre Vorschläge keine Realität? – Joachim Poß [SPD]: Jetzt ist der Michelbach kurz vor dem Herzinfarkt!) Deswegen reden wir jetzt eben zum vielfachen Male über Steuerpolitik und sind Teil der von Ihrer Seite initiierten Show. Sie sagen, die Steuereinnahmen reichen aus. Deshalb würde mich einmal interessieren: Wo bleibt eigentlich die steuerliche Forschungsförderung, von der Sie sagen, dass Sie sie nicht bezahlen können? Dann würde mich einmal interessieren, warum Sie den Rechtsanspruch für Kinderbetreuung nicht umsetzen können. – Weil Sie es nicht bezahlen können. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!) Dann würde mich einmal interessieren, warum die Kommunen 48 Milliarden Euro Kassenkredite aufgenommen haben, um das laufende Geschäft zu finanzieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Weil Sie sie belastet haben!) Dann würde mich einmal interessieren, wie Sie den Investitionsstau in den Griff bekommen wollen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der Staat ist doch nicht dafür da, um Ihre Spielwiese zu bezahlen!) Schließlich würde mich interessieren, warum Sie zwischen 2009 und 2013 100 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen haben, wenn Sie sagen, die Steuereinnahmen reichten aus. Nein, anscheinend reichten sie nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Es wird bei Ihnen nie reichen!) – Oh, aber wir stellen uns dem. (Gisela Piltz [FDP]: Man muss Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden!) Deswegen – und da können wir wirklich in eine ernsthafte Debatte kommen – glaube auch ich, dass jede Steuererhöhung hinterfragt und auch gut begründet werden muss. Steuererhöhungen sind nicht dazu da, damit wir alles machen können. Wir dürfen nicht sagen, wir drehen einfach einmal die Schraube, damit wir mehr Mittel haben. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Machen Sie doch! Sie machen doch das Abkassieren, Frau Kollegin!) Deswegen steht vor theoretischen Steuererhöhungen: Erstens. Unsinnige Ausgaben wie Hotelsteuer, Betreuungsgeld müssen weg; das sind Sachen, die uns jedes Jahr Milliarden Euro kosten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Zweitens. Subventionen müssen abgebaut werden. Gehen Sie doch endlich einmal an die ökologisch schädlichen Subventionen. Dann täten Sie ja noch etwas für die Umwelt. Erst dann geht es um die Frage: Welche Einnahmen kann und soll man verbessern? – Da sind zwei Sachen zu berücksichtigen. Der eine Punkt ist gerechte Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Die Vorrednerin – nein, es waren ja nur Männer; nach mir sind es auch nur Männer –, also die Vorredner haben klar gesagt: Wir haben ein ungerechtes Steuersystem. Die hohen Einkommen werden, relativ gesehen, weniger belastet als die niedrigen Einkommen. (Olav Gutting [CDU/CSU]: Hä? – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was heißt das denn? Was ist das für eine Mathematik: Die zahlen relativ weniger?) Deswegen muss man bei den Themen Einkommensteuer und Spitzensteuer noch einmal genau schauen. (Zurufe von der CDU/CSU) Liebe Union – bei der FDP brauche ich es nicht zu sagen –, ich würde den Mund nicht so voll nehmen. Ich sage Ihnen: Es ist ganz egal, wer nach 2013 regiert. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie nicht!) Ich bin mir ganz sicher, es wird nach 2013 eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes geben, auch unter Ihnen – also Vorsicht bei dem, was Sie hier versprechen, Vorsicht! –, weil die Mittel nicht ausreichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) und weil Sie Infrastruktur nicht mehr finanzieren können. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das -genau stimmt überhaupt nicht!) Der zweite Punkt. Man muss an den Mittelstand denken. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Den wollen Sie besonders schröpfen!) Es ist absolut richtig: Personengesellschaften zahlen Einkommensteuer, und deswegen spielt jede Frage der Einkommensteuer auch immer bei den Personengesellschaften eine Rolle. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Und bei der Erbschaftsteuer und bei der Vermögensteuer!) Da geht es um die Frage: Was ist mit einbehaltenen Gewinnen? Kriege ich attraktivere Gestaltungsmöglichkeiten bei Thesaurierung hin? Habe ich das im Blick? Ist mir das klar? Und wie ist es mit der Substanzbesteuerung? Das grüne Konzept der Vermögensabgabe (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Aua! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) – dann lesen Sie es halt einmal durch! – ist ein Konzept, das ganz klar Substanzbesteuerung ausschließt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Vermögensabgabe fällt nämlich nur an, wenn auch Ertrag fließt. (Widerspruch bei der CDU/CSU) – Ja, das ist ein großer Unterschied. Das müssten Sie sich vielleicht einmal anschauen. Sie werden um die Frage des Schuldenabbaus – darüber habe ich heute Morgen länger geredet – nicht he-rumkommen. Sie schlagen kein Konzept vor, wie wir die Schulden abbauen; wir schlagen ein Konzept vor. Wenn Sie etwas anderes auf den Tisch legen, können wir ja darüber reden. Das Problem ist nur, dass Sie nichts auf den Tisch legen, wir aber mit der Vermögensabgabe ein Konzept haben. Jetzt noch die Erbschaftsteuer. Natürlich werden wir an die Erbschaftsteuer heran müssen, allein schon deswegen, weil der Bundesfinanzhof sagt: Sie ist verfassungswidrig. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das entscheidet immer noch das Bundesverfassungsgericht! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nicht die Grünen!) Wir werden uns über die Frage, wie die Erbschaftsteuer in Zukunft aussieht, Gedanken machen, und ein ganz großer Punkt dabei ist die Gerechtigkeitsfrage. Wenn nun einmal 1 Prozent aller Erben 25 Prozent des gesamten Vermögens erbt, dann ist das zumindest einmal eine Schieflage, über die man nachdenken kann. Meistens sind es dann auch noch Kinder, deren Eltern die Möglichkeit hatten, ihnen gute Chancen zu ermöglichen, bei denen Startchancen gegeben waren, bei denen Bildungsmöglichkeiten gegeben waren. Gleichzeitig sagen alle: Wir wollen Startchancen für alle, (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der schafft mit seinem Kapital doch Arbeit!) wir wollen höhere Gerechtigkeit, wir wollen Durchlässigkeit im System, wir wollen, dass Bildung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern wird. Vor diesem Hintergrund werden Sie die Frage thematisieren müssen: Ist es sinnvoll, die Erbschaftsteuer zu erhöhen und mit diesen Mitteln zum Beispiel Bildungsausgaben zu finanzieren? Wir sagen: Ja, das ist sinnvoll. Wir brauchen mehr Mittel für die Bildung. Das Kapital, das wir in Deutschland haben, ist Wissen und Bildung. Das ist unterfinanziert. Hier bedarf es mehr Mittel, und deswegen die Erbschaftsteuer. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Olav Gutting für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Olav Gutting (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in Deutschland im abgeschlossenen Jahr seit langer Zeit wieder einen vollständig ausgeglichenen Staatshaushalt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mitten in der europäischen Schuldenkrise ist es unter der Führung von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble gelungen, dass die Kassen von Bund, Kommunen, Ländern und Sozialversicherungen zusammengerechnet ohne Defizit auskommen. Wir haben im abgelaufenen Jahr Rekordsteuereinnahmen von über 600 Milliarden Euro. In dieser Situation fällt Rot-Grün – den Linken sowieso – nichts anderes ein, als nach weiteren Steuererhöhungen zu rufen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: So ist das!) Schauen wir uns die einzelnen Punkte einmal an. Sie sprechen von einer Erhöhung der Einkommensteuer um 7 Prozentpunkte. Sie sagen, es gehe nur um den Spitzensteuersatz, Sie wollten damit nur die Reichen treffen. Aber Sie führen damit die Menschen hinter die Fichte. Wir haben in Deutschland nämlich einen linear-progressiven Tarif. Wir haben einen Eingangssteuersatz und einen Spitzensteuersatz. Dazwischen steigt die Kurve zu Recht mit steigenden Einkommen an. Wenn aber nun der Spitzensteuersatz erhöht wird, dann steigt die ganze Kurve viel steiler an. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Zuruf des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Es bildet sich ein Delta, das dazu führt, dass Sie gerade auch die mittleren Einkommen, die Facharbeiter, belasten und nicht nur die Reichen, wie Sie vorgeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie sehen Gespenster! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das stimmt doch nicht!) Nicht genug also, dass Sie mit der rot-grünen Mehrheit im Bundesrat den hart arbeitenden Menschen in diesem Land eine Entlastung bei der kaltem Progression versagen, nicht genug, dass Sie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land, gerade mit mittleren und niedrigen Einkommen, voll in die heimliche Steuererhöhung der kalten Progression laufen lassen: Nein, das ist nicht genug. Sie bringen es mit Ihren Steuerplänen – Erhöhung der Einkommensteuer, Wegfall des Ehegattensplittings – sogar fertig, aus dem Mittelstand, den Facharbeitern, zusätzlich 28 Milliarden Euro herauszupressen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn die Mehrwertsteuer 2005 erhöht, obwohl er es vorher verneint hatte?) Rot-Grün hat in seiner Regierungszeit zu Recht die Einkommensteuer reformiert. Sie haben den Spitzensteuersatz dem internationalen Niveau angepasst. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben aus Fehlern gelernt!) Sie haben das damals richtig begründet; ich zitiere Ihre Begründung. Sie haben das damals zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gemacht. Sie haben das zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung gemacht. Sie haben das für mehr Steuergerechtigkeit, mehr Transparenz und Planungssicherheit gemacht. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Schröder lässt grüßen!) Sie haben das als Steuerentlastung für Arbeitnehmer, Familien und Unternehmen gemacht. Das war Ihre Begründung für Ihre Einkommensteuerreform. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 53 Prozent waren zu hoch!) All das gilt jetzt nicht mehr. Jetzt geht es Ihnen nur noch darum, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Das machen wir nicht mit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Auf 53 Prozent wollen wir nicht zurück!) Sie behaupten, Sie wollten die Reichen schröpfen, aber Sie treffen mit Ihren Maßnahmen vor allem den Mittelstand und vor allem die Arbeitnehmer. Das Perfide an der ganzen Geschichte ist: Gleichzeitig blockieren Sie im Bundesrat Maßnahmen, die zu mehr Steuergerechtigkeit führen. Sie stellen ein Konzept gegen Steuerhinterziehung vor und sorgen gleichzeitig dafür, dass eine wirksame Verfolgung von Steuerflüchtlingen nicht möglich ist. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist anders!) Wenn Sie Ihre Vorschläge ernst meinen würden, dann hätten wir in diesem Land seit zwei Wochen eine Regelung mit der Schweiz, nach der keiner mehr aus Deutschland sein Geld illegal in die Schweiz bringen könnte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Aber Sie blockieren das genauso wie das Jahressteuergesetz. Wir wollten mit dem Jahressteuergesetz das sogenannte Goldfinger-Steuersparmodell austrocknen, ein Steuersparmodell, mit dem vor allem Spitzenverdiener ihre Steuerlast senken können. Was macht Rot-Grün im Bundesrat? Dreimal dürfen Sie raten: Blockieren, blockieren, blockieren! (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Anwalt der Steuerhinterzieher!) Meine Damen und Herren, angesichts dieser Verhinderungspolitik frage ich Sie: Wer soll Ihnen da den von Ihnen angekündigten Kampf gegen Steuerhinterzieher abnehmen? Sie von der Opposition, insbesondere von der SPD, sind mit diesen Ankündigungen genauso unglaubwürdig wie Ihr Kanzlerkandidat, der bis heute nicht verstanden hat, dass es in der Politik nicht ums Verdienen geht, sondern ums Dienen. (Zuruf von der SPD: Ist das albern!) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Carsten Sieling hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich in dieser Aktuellen Stunde erst einmal bei der Koalition bedanken, (Zuruf von der FDP: Bitte! Bitte!) nämlich dafür, dass Sie uns die Gelegenheit geben – das Thema sagt es schon deutlich –, Ihnen die Steuerbeschlüsse der SPD im Deutschen Bundestag zu erläutern und nahezubringen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So kann man es auch sagen! – Dr. Volker Wissing [FDP]: Sie tun es ja nicht! Sie reden nur drumherum! Reden Sie mal über Ihre Vorschläge für niedrige Einkommen!) Das ist umso notwendiger nach dem, was wir bisher gehört haben, nach dem Durcheinander, das Sie produzieren, und nach all dem Sand, den Sie uns in die Augen streuen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU) Ich will erstens sagen, dass man vor den Notwendigkeiten, die wir in Deutschland haben, nicht die Augen verschließen darf. Natürlich nimmt jeder zur Kenntnis, dass es Anstrengungen gibt, den Schuldenabbau voranzubringen. Aber bei der hohen Neuverschuldung und den Verschuldungsgraden, die wir haben, muss man deutlich sagen: Die öffentlichen Haushalte müssen gestärkt werden, damit das Ziel des Schuldenabbaus erreicht wird. Das ist der Wille der SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Wir haben doch einen ausgeglichen Staatshaushalt!) Zweiter Punkt: Die Situation im Bildungssektor und in der Kinderbetreuung ist frappierend. Wir wissen, dass wir da mehr machen müssen. Dafür möchten wir Geld in den Kassen haben, um diese gute Politik auch umsetzen zu können. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: -Haben! Haben! Haben!) Das Dritte ist die Tatsache, dass wir ein Problem mit der Infrastruktur in Deutschland haben. Gerade in dieser Woche ist ein Bericht der OECD erschienen – das ist in der deutschen Presse nachzulesen –, wonach Deutschland bei den Straßeninvestitionen 134 Euro pro Jahr und Einwohner ausgibt – vorletzte Stelle. Schlimmer noch im Bereich des Schienenverkehrs: letzte Stelle mit 53 Euro pro Einwohner und Jahr. Meine Damen und Herren, es gibt einen Bedarf, etwas dafür zu tun, dass unser Land zukunftsfähig ist. Deshalb schlagen wir unsere steuerpolitischen Maßnahmen vor. (Beifall bei der SPD) Jetzt komme ich zu den Maßnahmen. Ich fange mit der Spitzensteuer an, weil hier Unsinn erzählt worden ist. Ich nutze das Handelsblatt, um deutlich zu machen, was wir wollen. Das Handelsblatt stellt sehr deutlich dar, was die SPD-Vorschläge bedeuten. Sie bedeuten nämlich, dass der Anstieg des Spitzensteuersatzes erst bei einem Jahreseinkommen von 64 000 Euro einsetzt. Darunter wird – ich glaube, das hat Herr Kollege Gutting angesprochen – die Kurve gar nicht verändert. Bevor ich es Ihnen in Zahlen erläutere, will ich eine Zahl vorwegschicken. Das Durchschnittseinkommen der Deutschen liegt bei 2 700 Euro im Monat. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ist das ein Superreicher?) Ich hoffe, die Kollegen von CDU/CSU und FDP können sich überhaupt vorstellen, wie man davon lebt. 50 Prozent haben nicht mehr als 2 700 Euro. Die Umsetzung der SPD-Vorschläge würde bedeuten, dass eine Mehrbelastung von Alleinstehenden bei einem Einkommen ab 7 000 Euro im Monat beginnt. Für diese wird es laut Handelsblatt-Berechnung, die auch unseren Zahlen entspricht, eine Belastung von 12,48 Euro geben. Das steigt dann. Wer 50 000 Euro im Monat hat, der wird allerdings mit 2 300 Euro mehr belastet. Das ist auch richtig und gerecht. Diese Personen können das aufbringen. (Beifall bei der SPD) Bei Verheirateten und Familien – damit auch das klar ist – gibt es bei einem Einkommen von 7 000 Euro natürlich keine Mehrbelastung. Erst ab 13 000 Euro Einkommen einer Familie im Monat kommt es zu einer Mehrbelastung. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und wenn jemand seine Arbeitnehmer bezahlen muss?) Erst bei diesem Einkommen setzt Mehrbelastung ein. Wenn bei einem Monatseinkommen von 15 000 Euro 50 Euro anfallen, dann wird das den Mittelstand nicht kaputtmachen; wir können aber mehr Mittel für gute Bildung und die Anstrengungen einsetzen, die wir angehen müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Genauso ist es mit der Vermögensteuer. Auch das muss man klar sagen. Die Verteilung in Deutschland zeigt, wie es in der Spitze aussieht. Wir wissen, dass der größte Teil des Gesamtvermögens von nur 1 Prozent der Bürgerinnen und Bürger besessen wird. Das sind 800 000 Menschen, die ein Gesamtvermögen von 3 Billionen Euro haben. Da greifen wir in der Tat zu. Auch das ist richtig. Das werden wir für Bildung in den Ländern einsetzen. Deshalb sind wir auch damit auf dem richtigen Weg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt kommt ein letztes Argument. Es heißt immer wieder: Damit werdet ihr aber dazu beitragen, dass die Wirtschaftsentwicklung nicht vorangeht. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: So ist es! – Weiterer Zuruf von der FDP: Ja genau!) Auch das ist ein großer Unsinn, Herr Kollege. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Dann gucken Sie mal nach Frankreich! Hören Sie auf mit dem Blabla!) Zunehmende Ungleichheit schwächt Wirtschaftswachstum. Das ist kein sozialdemokratischer Programmsatz, sondern das können Sie unter anderem in den Untersuchungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der OECD, nachlesen, die ausdrücklich auch Deutschland ins Stammbuch schreibt: „Zunehmende Ungleichheit schwächt die Wirtschaftskraft eines Landes“. (Beifall bei der SPD) Unsere Politik wird die Infrastruktur stärken, wird die unteren Einkommen stärken, wird die Konsumnachfrage in Deutschland stärken, wird dafür sorgen, dass es den Menschen bessergeht, und wird unsere Wachstumskräfte voranbringen. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich noch ein letztes Wort sagen. Die Vorschläge, die ich hier mache, haben durchaus tagespolitische Relevanz. Der Oberbürgermeister Hannovers und Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten Niedersachsens hat sehr deutlich angekündigt, dass wir nicht bis September warten wollen. Er sagte im Wahlkampf sehr deutlich: Wir werden mit unseren Vorschlägen zur Erhöhung des Spitzensteuersatzes, zur Steuerbetrugsbekämpfung, zur Steuerkriminalitätsbekämpfung – es geht nicht um Sozialneid, Kollege Michelbach – sofort in den Bundesrat gehen. Wenn es am Sonntag in Niedersachsen eine Mehrheit für Rot-Grün gibt, dann wird es in Deutschland eine neue Politik geben. Dafür sollten wir uns in der Tat einsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist das Rufen im Wald! – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Für das tote Pferd kommt jedes Heu zu spät!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Dr. Daniel Volk für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Dr. Daniel Volk (FDP): Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sieling, das ist ja eine wunderbare Ankündigung Ihres Kandidaten im Rahmen des niedersächsischen Wahlkampfs. Daran sieht man auch, dass Sie hier im Bundestag tatsächlich im Wahlkampfmodus sind. Das haben Sie, die Opposition, auch im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss gezeigt. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sie haben uns doch gebeten!) Die Steuerbetrugsbekämpfung ist aber auch nach der Föderalismusreform immer noch Aufgabe der Bundesländer im Rahmen des Verwaltungsvollzuges. Deswegen muss man nicht über den Bundesrat Initiativen starten, sondern Steuerbetrugsbekämpfung muss in den Bundesländern durch die Steuerverwaltungen vorgenommen werden. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Unsere Bundesländer kaufen Steuer-CDs!) Ich sehe momentan eigentlich keine Anzeichen dafür, dass die Steuerverwaltungen den Steuerbetrug nicht ausreichend bekämpfen. Ich sehe eher Anhaltspunkte dafür, dass der Steuerbetrug auf politischer Ebene leider Gottes teilweise unterstützt wird. Zum Beispiel ist ein Abkommen wie das deutsch-schweizerische Abkommen aus rein parteipolitischen Gründen abgelehnt worden, obwohl es wirklich das effektivste Instrument zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gewesen wäre und gleichzeitig ein effektives Instrument für eine Verbesserung der Steuerbasis und der Steuereinnahmen, insbesondere der Bundesländer, dargestellt hätte. Deswegen erscheint es mir völlig abwegig, dass gerade dieses Abkommen von Ihnen, von der SPD, abgelehnt wurde. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Als Mitglied des Finanzausschusses sollten Sie es besser wissen!) Es ist immer sehr schön, wenn gesagt wird, wir benötigten höhere Steuereinnahmen. Dabei leben wir doch im Jahr der höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland! Das gilt übrigens auch für die Bundesländer. Trotzdem stellen Sie sich hier hin und sagen, wir bräuchten höhere Steuereinnahmen, um damit weitere Staatsausgaben zu finanzieren. Das Erstaunliche ist, dass insbesondere in den Bundesländern, wo Sie von der SPD, wo Sie von den Grünen Verantwortung tragen, genau diese Aufgaben nicht zusätzlich finanziert werden. Vielmehr kürzen Sie im Verkehrsetat, im -Infrastrukturetat, im Bildungsetat. Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg hat als erste Amtshandlung in ihrer Regierungsverantwortung 11 000 Lehrerstellen gestrichen. Das ist keine zukunftsfähige Bildungspolitik; das ist bildungspolitischer Wahnsinn. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, nee! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD]) Ich kann ja nachvollziehen, dass Sie aufgrund Ihrer ideologischen Denkrichtung fordern, dass der Staat immer mehr Aufgaben übernehmen soll, dass Sie sich hinstellen und zunächst sagen, was alles an weiteren Ausgaben erfolgen müsse, um dann zu begründen, warum die Steuern erhöht werden müssten. Was Sie aber natürlich völlig vergessen, sind die Kollateralschäden, die Sie anrichten werden, wenn Sie tatsächlich eine solche Steuerpolitik fahren. Frau Kollegin Andreae, Sie haben gerade gesagt, die Vermögensabgabe stelle keine Substanzbesteuerung dar, weil sie nur greifen würde, wenn ein Ertrag erzielt würde. Das ist eine sehr reizvolle, charmante Argumentation; aber sie ist falsch. Ähnlich falsch wäre es, zu sagen: Ich vergifte dich nur, wenn du mir dafür Geld gibst, und wenn du mir dafür Geld gibst, dann ist es keine Vergiftung. – Das ist völlig abwegig. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Vermögensteuer ist aber ein Segen!) Natürlich ist eine Vermögensabgabe eine Substanzbesteuerung. Dazu sollten Sie auch stehen. Ihre Idee der Vermögensabgabe hat ja den meiner Meinung sogar verfassungswidrigen Aspekt, dass Sie das sogar rückwirkend machen wollen. Ich glaube, das werden Sie vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht gar nicht begründen können. Aber abgesehen davon vergessen Sie, dass jede Form der Substanzbesteuerung, zumindest bei betrieblichem Vermögen, zwangsläufig Arbeitsplatzabbau nach sich ziehen wird. Wenn Sie sagen, dass Sie eine Vermögenssubstanzbesteuerung auch auf betriebliches Vermögen wollen – (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) und es geht ja auch gar nicht anders, als dass eben auch die betrieblichen Vermögen besteuert werden –, dann müssen Sie auch die Verantwortung dafür tragen, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland im Zweifel wieder steigt. Die christlich-liberale Koalition hat in ihrer Regierungsverantwortung seit 2009 genau den umgekehrten Weg und auch den richtigen Weg eingeschlagen. Wir haben nämlich die Steuerbelastung zu Beginn der Legislaturperiode moderat gesenkt und haben damit erreicht, dass Wirtschaftswachstum funktioniert bzw. die Wirtschaft stärker wächst, dass die Arbeitslosenquote deutlich sinkt, und zum Ende der Legislaturperiode haben wir einen ausgeglichenen Gesamtstaatshaushalt. Das ist die Bilanz einer vernünftigen Finanz-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Das jedoch, was Sie vorschlagen, ist wirtschaftspolitischer, finanzpolitischer und haushaltspolitischer Wahnsinn. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Ich hätte gern einmal Argumente gehört!) Ich glaube, dass dann, wenn wir in der Wahlauseinandersetzung stehen werden, die Mehrheit der Bevölkerung erkennen wird, was Sie tatsächlich vorhaben. Sie werden deswegen im Wahlkampf nicht überzeugend auftreten können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – -Zuruf von der SPD: 2 Prozent!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Lothar Binding hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Volk hat sich gerade darüber beschwert, dass der Kollege Sieling das gemacht hat, was Sie beantragt haben. Nun wollen wir doch mal schauen, was auf der Tagesordnung steht. Da geht es um eine Aktuelle Stunde zu den Steuerbeschlüssen der SPD. Er hat also seine Aufgabe exzellent gelöst. (Beifall des Abg. Bernd Scheelen [SPD]) Allerdings reflektiert Herr Volk ja mit seiner Aussage auf etwas anderes, nämlich auf die falsch gewählte Überschrift. Es geht ja heute eigentlich gar nicht um die Überlegungen, die die SPD anstellt, sondern es geht darum, ob die Regierung, die seit drei Jahren im Amt ist, ob die Koalition, die seit drei Jahren Politik in Deutschland macht, wirklich die richtige Politik gemacht hat. (Franz Obermeier [CDU/CSU]: Ja, natürlich!) Ich glaube, dass Sie, als Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben, vergessen haben, was Sie in den letzten drei Jahren bewirkt haben. Schauen wir mal: Herr Wissing hat gesagt, es gebe eine geballte Ungerechtigkeit. Ich nenne ein paar Beispiele. 10 Prozent der Menschen verfügen über 50 Prozent der Vermögen, 50 Prozent der Menschen verfügen über nur 4 Prozent der Vermögen. Es gibt Menschen, die im Durchschnitt vielleicht 30 000 Euro im Jahr verdienen, was aus unserer Sicht natürlich wenig ist. Es gibt Leute, die im Jahr 48 000 Euro verdienen; das finden wir auch zu wenig. Bundestagsabgeordnete verdienen ungefähr das Doppelte; das ist sicherlich mehr als angemessen. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Das Entscheidende ist nur, was netto übrig bleibt!) Aber es gibt auch Leute, die 48 000 Euro am Tag verdienen. Wenn man bei denen die Steuer ein bisschen anzieht, könnte es sein, dass wir damit Gerechtigkeit erreichen und diese eben nicht verletzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU) Deshalb hat Herr Wissing in gewisser Weise durchaus recht. Es gibt, nachdem Sie drei Jahre an der Regierung sind, eine geballte Ungerechtigkeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das setzt sich aber noch fort. Schauen wir einmal, was Sie in Richtung Abschaffung prekärer Beschäftigung erreicht haben. Das Ergebnis lautet in der Zusammenfassung: nichts. Sowohl im Teilzeitbereich als auch im Leiharbeitsbereich, im Aufstockerbereich und ebenso bei der Beschäftigungsförderung sieht man ein Versagen der von Ihnen eingeführten Instrumente par excellence. Auch beim Mindestlohn wurde nichts erreicht. Hans Michelbach hat interessanterweise von der Hochsteuerpolitik von Rot-Grün gesprochen. Schauen wir einmal genauer hin. Wir haben damals – das stimmt – den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt; die Begründung dafür wurde vorhin schon gegeben. Wir haben aber auch den Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent unter Kohl auf 15 Prozent, heute sogar 14 Prozent gesenkt. Dies wird gelegentlich vergessen zu sagen. Herrn Behrens, der die Körperschaftsteuer ansprach, möchte ich sagen: Es stimmt, die Körperschaftsteuer wurde auf 15 Prozent gesenkt, allerdings definitiv. Das ist ein völlig anderes Modell als früher. Früher war die Körperschaftsteuer anrechnungsfähig, heute nicht. Es ist also ein bisschen zu einfach, lapidar zu sagen: Ihr habt den Unternehmen die Steuern gesenkt. Schauen wir uns aber noch einmal die Arbeitsergebnisse dieser Koalition an. Sie haben den Kommunen durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz zunächst 1,6 Milliarden Euro weggenommen. (Zuruf von der FDP) Bernd Scheelen, unser Kommunalpolitiker und Spezialist für diese Fragen, hat mich noch einmal darauf hingewiesen, dass selbst mit der Regelung zur Grundsicherung, die Sie heute feiern, diese Kürzung gegenüber den Kommunen noch nicht einmal kompensiert wird. Das heißt, im Ergebnis haben Sie die Kommunen geschröpft. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Kindergelderhöhung!) Um das Versagen der entsprechenden Arbeitsgruppe zur Neuordnung der Mehrwertsteuer zu kaschieren, haben Sie die Hotelsteuer gesenkt. Das Thema darf hier nicht fehlen; denn das ist wirklich ein echtes Arbeits-ergebnis dieser Koalition. Leider sind die von Ihnen erhofften Investitionen nicht gekommen. Bei Kosten von 1 Milliarde Euro wurden nur 200 Millionen Euro investiert. (Widerspruch bei der FDP) Hätten Sie die Milliarde den Kommunen gegeben, hätten Sie Investitionen von 7 Milliarden Euro erreicht. – Ich rede ein bisschen laut; das ist immer so, wenn ich mich engagiere. Bei der Regierung muss man das manchmal machen. (Beifall bei der SPD) Im Ergebnis überlegen jetzt viele Kommunen, eine Bettensteuer einzuführen. Da sieht man einmal, welche Verteilungseffekte Ihre Politik da bewirkt hat. Während wir unter Rot-Grün und auch noch unter der Großen Koalition die Gewerbesteuer gestärkt haben, haben Sie in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass sie abgeschafft werden soll. Gott sei Dank ist die dazugehörige Kommission gescheitert. Mit Blick auf die Drohungen aus dem Bundesrat, dass nämlich die Bemühungen, die Gewerbesteuer abzuschaffen, scheitern würden, sind Sie mit Ihrem Vorhaben gar nicht erst ans Tageslicht gegangen. Das ist ein kleiner Erfolg. Wir haben halt Ihre Koalitionsvereinbarung nicht immer so ernst genommen, wie sie es vielleicht verdient hätte; aber Sie nehmen sie ja selber nicht einmal ernst. Insofern ist das keine Referenzgröße. Die Diskussion um das Bildungs- und Teilhabepaket hat auch eine interessante Folge gehabt, nämlich dass dank des Einsatzes der A-Länder im Vermittlungsausschuss die Kommunen dadurch entlastet wurden, dass Kosten der Grundsicherung im Alter durch den Bund übernommen wurden. Das ist etwas, was Sie sich so ein bisschen auf die Fahnen schreiben. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ja! Dafür hätten wir die A-Länder gar nicht gebraucht!) Blicken Sie einmal zurück und schauen Sie nach, welcher Debattenprozess im Bundesrat dazu geführt hat. Sie können daran sehen, dass die Maßnahmen, die die SPD in ihren Steuerbeschlüssen festgelegt hat, sehr gute Maßnahmen sind, um die vielen Mängel, die als Ergebnis Ihrer Politik feststellbar sind, in einer ordentlichen Weise zu kompensieren und die Gesellschaft nach vorn zu bringen. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie haben doch die Kommunen mit der Grundsicherung belastet!) Das ist wirklich ein Zukunftsmodell. Das, was Sie konkret erreicht haben, ist eigentlich blamabel. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Christian von Stetten hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Allein schon die Debatte heute Morgen zum Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass diese Aktuelle Stunde jetzt nicht nur sinnvoll, sondern auch dringend notwendig ist. Es ist ja abenteuerlich, was die Opposition schon heute Morgen und auch jetzt in dieser Debatte zum Besten gegeben hat. In einem ist sich die Opposition aber einig – das haben wir heute gemerkt –: Obwohl der Staat zurzeit die höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat – das ist angesprochen worden –, (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Warum machen wir denn dann noch Schulden?) wollen Sie die Bürger zusätzlich mit einer irrwitzigen Zahl von Steuern zur Kasse bitten. In der Debatte ist auch deutlich geworden, wo Sie abkassieren wollen. Herr Sieling, Sie haben uns mitgeteilt, dass die Erhöhung des Spitzensteuersatzes nicht nur, wie bisher in der Öffentlichkeit vertreten, die Bürger mit einem Einkommen ab 100 000 Euro trifft. Sie haben an diesem Pult gerade vorgerechnet, dass es bereits die Bürger ab einem Einkommen ab 64 000 Euro trifft. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Trifft sie nicht! 7 000 mal 12 ist 84 000!) Es sind doch die Mittelständler, die Freiberufler und die Facharbeiter, die aufgrund ihrer guten Qualifikation voll getroffen werden. (Zuruf des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das haben Sie vorgeschoben, um Ihre Klientel zu schützen!) – Nein, das täuscht. Wenn Sie das bezweifeln, dann gehen Sie einmal nach Baden-Württemberg und schauen sich an, was dort die Facharbeiter in der Automobil-industrie verdienen! (Joachim Poß [SPD]: Haben wir alles geprüft!) Ich würde übrigens auch Ihrem SPD-Kollegen Wolfgang Thierse empfehlen, dass er sich, bevor er sich unqualifiziert und unsachlich zur Volksgruppe der Schwaben äußert, dort einmal umschaut. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Locker bleiben!) Wenn er das täte, würde er sehen, wie durch Fleiß, Disziplin und Sparsamkeit Vermögen geschaffen wird. Vermögenswerte, die durch Konsumverzicht geschaffen wurden, (Joachim Poß [SPD]: Nach Konsumverzicht sehen Sie gar nicht aus!) wollen Sie von der Sozialdemokratie jetzt noch durch eine Erbschaftsteuer belasten. Sie sehen die Wiedererhebung der Vermögensteuer und fast eine Verdopplung des Erbschaftsteueraufkommens vor. Sie wollen also nicht nur, was aus Ihrer Sicht theoretisch verständlich wäre, eine Erhöhung der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer, sondern Sie wollen auch die Substanzsteuern erhöhen, die selbst dann fällig werden, wenn überhaupt kein Ertrag anfällt. Das heißt, Sie wollen die Vermögensteuer auch dann ansetzen, wenn ein Vermieter eine Wohnung überhaupt nicht nutzen kann, weil sie renoviert wird oder leer steht, und keine Mieteinnahmen hat. Die Vermögensteuer, die Sie planen, ist nicht nur weltfremd, sondern – das verstehe ich bei den Sozialdemokraten überhaupt nicht – auch unsozial. Denn wer zahlt die Vermögensteuer, wenn diese Wohnung vermietet ist? In der Regel sind das die Mieter, weil der Vermieter wie bei der Grundsteuer versuchen wird, diese Mietnebenkosten auf den Mieter umzulegen. Bei einer 1-prozentigen Vermögensteuer auf den Verkehrswert bedeutet das eine glatte -Erhöhung von 20 Prozent auf die jetzigen Mietkosten. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Aha! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Was ist das denn für eine Milchmädchenrechnung?) Wenn Sie die Erbschaftsteuer verdoppeln, so wird ein vorsichtiger Vermieter das Geld, das fällig wird, wenn er stirbt, für seine Nachkommen ansparen. Auch dies wird er auf die Miete umlegen. Das bedeutet eine weitere Mieterhöhung von 20 Prozent. Wenn man das alles weiß, wird auch klar, warum Sie plötzlich eine Debatte zur Begrenzung der Mietkosten und der Mieterhöhungen fordern: (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Ja, ist doch richtig! Dann wissen Sie es doch!) Sie wissen genau, dass, wenn Ihre Pläne umgesetzt -werden, die Mieter die Leidtragenden Ihrer Gesetzes-vorhaben sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Mieter und die Familienbetriebe sind die Opfer einer Steinbrück-Regierung. Die Familienbetriebe können und wollen den Standort Deutschland nicht verlassen, weil sie das Land unterstützen wollen und treu zu ihren Mitarbeitern stehen. Fragen Sie die Belegschaften in den Familienunternehmen einmal, wo sie lieber arbeiten: in einem Familienunternehmen, wo der Chef oder Seniorchef täglich in die Firma kommt und sich um die Belange des Unternehmens kümmert, oder in einem -vermögen- und erbschaftsteuerfreien anonymen Groß-betrieb, von dem niemand weiß, wo der Inhaber wohnt, ob im Ausland oder Inland; auf jeden Fall kennt ihn die Belegschaft nicht persönlich. Das ist die SPD-Logik, die heute in der Aktuellen Stunde deutlich geworden ist: Derjenige, der sich zu Deutschland bekennt und hier wohnt, zahlt in Zukunft Ihre Substanzsteuern. Derjenige, der Deutschland verlässt, wird von der Steuer befreit. Das ist ein Wegzugprogramm. Die Bürger aus Niedersachsen müssen wissen, was auf sie zukommt, wenn die Opposition im Bundesrat in Zukunft eine noch deutlichere Mehrheit hat. Mancherorts ist das schon jetzt Realität. Sie brauchen nur über die Grenze nach Frankreich zu schauen. Dort wird der Feldversuch, den Sie in Deutschland starten wollen, schon lange praktiziert. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das sind Ihre -Vorbilder!) Ihr sozialistischer Genosse, der französische Präsident, sorgt durch seine Gesetzgebung dafür, dass in Frankreich keine Investitionen mehr getätigt werden. Sie können mit Ihren Kollegen aus Frankreich in der nächsten Woche hier in diesem Parlament darüber reden, welche katastrophalen Folgen diese sozialistische Gesetzgebung und allein die Ankündigung in Frankreich haben. Wir wollen das in Deutschland verhindern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Franz Obermeier das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Franz Obermeier (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, wir haben heute in der Aktuellen Stunde eine sehr spannende Debatte. Ich möchte eingangs auf die Frage eingehen, wie sich die christlich-liberale Koalition die Staatsfinanzierung der Zukunft vorstellt. In Deutschland wurden im Jahr 2010 insgesamt 530 Milliarden Euro Steuern bezahlt. Im Jahr 2012 waren es schon über 600 Milliarden Euro. In der mittelfristigen Finanz-planung ist in Deutschland eine Steuersumme von deutlich über 700 Milliarden Euro enthalten. Alles, was wir darüber hinaus an Gedankenspielen anstellen, ist in -hohem Maße unseriös. Schaue ich mir das SPD-Programm an, finde ich – das ist ein echter Querschuss – (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Was?) den Vorschlag einer Erhöhung der Kapitalertragsteuer von 25 Prozent auf 32 Prozent. Wissen Sie, wen Sie -damit treffen? Sie treffen damit die breite Masse der Leute, die sich anstrengen, etwas zu sparen. Sie treffen beispielsweise diejenigen, die Bausparverträge haben, (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Die bleiben doch unter den Freibeträgen!) diejenigen, die sich etwas für das Alter angespart haben. Und wenn Sie für diejenigen mit einem Jahreseinkommen ab 64 000 Euro den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent erhöhen wollen, dann ist das ein Anschlag auf den Mittelstand in Deutschland. Als Wirtschaftspolitiker will ich jetzt einmal auf den Mittelstand eingehen. Ich komme aus einer Region, in der es sehr viele kleine und mittelständische, zugleich sehr erfolgreiche Unternehmen gibt. Zumeist handelt es sich um Personengesellschaften. Was glauben Sie, wie die auf solche Vorschläge reagieren? Wir wissen doch alle miteinander aus unseren eigenen Erfahrungen: Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist in erster Linie Vertrauenssache. Mit dem, was Sie in Ihren Beschlüssen vorlegen, zerstören Sie das Vertrauen unserer Mittelständler. Unsere Mittelständler werden bereits erheblich belastet. Sie haben allein dadurch enorme Lasten zu tragen, dass sie sämtliche Umweltgesetzgebungen umsetzen müssen und die gestiegenen Energiepreise kompensieren müssen. Denn die Mittelständler haben in aller Regel nicht den Vorteil der reduzierten Sätze bei den Stromkosten. Sie müssen die vollen Kosten tragen. Und dann drohen Sie ihnen auch noch mit der Vermögensteuer. Die Region, aus der ich komme, ist eine Hochpreis-region. Wenn Sie dort Betriebsschätzungen durchführen ließen, würden Sie staunen, welche Beträge dabei herauskommen. Das liegt eben daran, dass die Preise so hoch sind. Wenn Sie hier mit der Vermögensteuer kommen wollen, dann gratuliere ich Ihnen. Das Gleiche gilt für die Erbschaftsteuer. Unsere Mittelständler stehen in aller Regel sowieso schon vor der Frage, ob sich jemand aus der Familie findet, der den Betrieb übernimmt. Wenn Sie jetzt mit einer Verdoppelung der Erbschaftsteuer daherkommen, dann gratuliere ich Ihnen ebenfalls. Lassen Sie mich etwas zu dem Vorschlag zur Mehrwertsteuer sagen. Wenn die Mehrwertsteuer sektoral verändert werden soll, dann ist die Allgemeinheit betroffen. Bei den Verbrauchsgütern haben wir ohnehin schon die Problematik, dass die Mehrkosten über die Strompreisentwicklung aufzufangen sind. Das ist ein echtes Problem. Zum Thema „Agrardiesel“ müssen Sie sich auch -etwas einfallen lassen. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Da schlagen wir gar nichts vor, Herr Kollege! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Worüber reden Sie eigentlich?) – Das sind Ihre Vorschläge, soweit ich sie kenne. Das Gleiche gilt für die Kerosinbesteuerung. Hier gibt es schon ein Riesenproblem mit der Luftverkehrswirtschaft, weil wir durch die Luftverkehrsabgabe enorm -abschöpfen. Gleichzeitig wollen wir aber, dass die Luftverkehrswirtschaft mit neuestem Fluggerät ausgestattet wird, zumindest die Triebwerke lärmärmer und emis-sionsärmer gestaltet werden. Die Airlines sagen jedoch: Wovon sollen wir das denn bezahlen, wenn wir schon jetzt Hunderte von Millionen Euro an Luftverkehrs-abgabe entrichten müssen? – Und Sie kommen jetzt noch einmal mit der Kerosinsteuer daher. Das, was Sie hier betreiben, wird den gleichen Effekt haben, wie es ihn schon in den sieben Jahren Rot-Grün gab: Sie werden den Mittelstand entmutigen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Mit den Steuersenkungen damals, oder was? Das ist ja wirklich großer Unsinn!) Der Bürger in Deutschland wird so schlau sein, im Herbst dieses Jahres dem Spuk ein Ende zu machen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat der Kollege Norbert Schindler das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Norbert Schindler (CDU/CSU): Ich sage jetzt schönen guten Nachmittag, weil ich mich beim letzten Mal vertan habe. Liebe Frau Präsidentin! Liebe Gäste auf den Tribünen! Meine Damen und Herren hier im Plenum! Es war nötig, vor der Wahl in Niedersachsen am kommenden Sonntag darauf hin-zuweisen – das war ja auch der aktuelle Anlass –, was die Braunschweiger Erklärung der SPD, angeführt vom Kanzlerkandidaten Herrn Steinbrück, in der Konsequenz bedeutet. Zu einigen Thesen, die heute aufgestellt wurden, möchte ich kurz Stellung nehmen. Vorhin wurde der Armutsbericht erwähnt, der vor einigen Wochen auf unserer Tagesordnung stand. (Willi Brase [SPD]: Der geschönt wurde!) Ich möchte darum bitten, den Armutsbericht in Zukunft auf die europäische Ebene zu stellen. Dann würde man sehen, dass es uns in Deutschland im europäischen und internationalen Vergleich gut geht. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Warum habt ihr ihn dann manipuliert?) Es geht uns gut. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Und eure Ministerin hat gelogen, oder was?) Wenn man derzeit die Umfragen liest – die Zustimmung tut uns von der Koalition gut –, dann erkennt man: Ihr habt da ein besonderes Problem. Warum hat die SPD, warum haben Rot und Grün insgesamt da ein Problem? Weil der Kanzlerkandidat nicht mehr authentisch ist. Wenn man den Spitzenkandidaten der SPD derzeit hört und ihn in den letzten Wochen erlebt hat, dann stellt man fest: Nachdem er als Finanzminister eigentlich die richtigen Thesen vertreten hat, muss er jetzt nach seiner -Bochumer Erklärung die Kurve kriegen; er driftet deutlich nach links. Man glaubt, man könne durch Neid-debatten an Zustimmung gewinnen; aber das findet Gott sei Dank nicht statt. Die Bürgerinnen und Bürger, die Wählerinnen und Wähler sind klüger, als manche Parteistrategen glauben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Lieber Lothar Binding, du hast vorhin angeführt, dass jemand 48 000 Euro am Tag verdient. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ja, so ist das!) Es gibt Leute in dieser Republik, die verdienen mit zwei Vorträgen an einem Tag 50 000 Euro. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Auch die müssen es dann versteuern!) Von Neiddebatten zu reden, ist ja derzeit eure vornehme Aufgabe. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wir geben gern!) Meine Damen und Herren, schauen wir es uns an: Ihr wollt das Ehegattensplitting abschaffen und die Kapitalertragsteuer erhöhen. Steinbrück sagte vor gut fünf Jahren: Mir ist es lieber, dass 25 Prozent Kapitalertragsteuer hier, am Wirtschaftsstandort Deutschland, gezahlt werden; dann bleibt das Geld hier, und das tut der Wirtschaft gut. – Jetzt kommt der gleiche Mann und sagt: Wir brauchen eine Steuer auf Kapitalerträge von durchschnittlich 32 Prozent. – Er will also einleiten, dass sich der Wirtschaftsstandort in unserem Staatsgebiet verflüchtigt, und das wird von Ihnen, meine Damen und Herren, auch noch bejubelt. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: So viel zur Glaubwürdigkeit!) Ich denke an das Steuerabkommen mit der Schweiz. Wir haben da 10 Milliarden Euro weggeschmissen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nein! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Was?) Wir hatten da in Bezug auf Steuerehrlichkeit auch im Vergleich zu England und den USA einen guten Kompromiss mit den Schweizern erreicht – die Schweiz ist immerhin ein souveräner Staat –, der vor zehn Jahren unter Hans Eichel unvorstellbar gewesen wäre. Welche Amnestien hatte er den Schweizern angeboten? Wenn man vergleicht, was Wolfgang Schäuble bei den Verhandlungen im Ergebnis erreicht hat und was Hans Eichel damals der Schweiz angeboten hat, dann erkennt man: Es ist eine politische Bankrotterklärung, wie ihr euch derzeit verhaltet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ihr wollt, dass die Erbschaftsteuer angehoben wird. Frau Andreae, Sie haben in diesem Zusammenhang die mangelnde Gerechtigkeit beklagt. Ich sage Ihnen: Wenn es einmal ganz gerecht zugeht, haben Sie und ich schon lange keine Zahnschmerzen mehr. Der Bundesrat hat seinerzeit einer Senkung der Erbschaftsteuer zugestimmt, weil man zu der Überzeugung gekommen ist, dass man nur den Ertrag eines mittelständischen Leistungsträgers, der eine Firma übernommen hat, besteuern solle, aber nicht so sehr in die Substanz gehen solle. Denn es bestand nun einmal die Sorge: Wer übernimmt bei der hohen Steuerbelastung, die sich aus einer Berücksichtigung des Verkehrswerts bei der Besteuerung ergäbe, die mittelständischen Unternehmen? Beim Thema Vermögensteuer möchte ich zur geschichtlichen Aufklärung beitragen. Herr Kollege Poß – er ist leider nicht mehr da, aber es wird ihm sicher mitgeteilt – hat vorhin gesagt, bei Helmut Kohl habe es eine Steuerbelastung in Höhe von 53 Prozent gegeben. -Insgesamt war es so: Wir brauchten die Mittel für die -Finanzierung der deutschen Wiedervereinigung. Wir haben die Steuererhöhung damals mit Stolz beschlossen, und wir haben sie mit Stolz vertreten. Später konnte man Steuerentlastungen vornehmen. Gerhard Schröder war damals klug genug – er wurde auch von der Union im Bundesrat getrieben –, dafür zu sorgen, dass der Steuer-standort Deutschland international wieder attraktiv wird. Diesen erfolgreichen Weg wollen Sie jetzt mit Ihren Vorschlägen verlassen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Thema Vermögensteuer. Sie wollen da für einen bürokratischen Wust sorgen. Wir, die Union, haben die Vermögensteuer 1997 abgeschafft, verbunden mit dem Hinweis, dass -allein 50 Prozent des Ertrags aus dieser Substanzsteuer in die Verwaltung flossen. Und wenn man die Vermögensteuer jetzt wieder neu aufzöge, dann ergäben sich wieder ähnliche Problemlagen wie damals bei der Familie Engelhorn; Rot-Grün hatte damals damit zu kämpfen. Diese Familie hatte eine Holding auf den Bermudas oder in der Karibik, die den Erlös von 10 Milliarden aus dem Verkauf einer Firma in Mannheim verwaltete; ich will jetzt nicht den Namen nennen. In der Konsequenz war bei den Superreichen, die nicht bereit waren, die Spitzensteuern in Deutschland zu zahlen, eine Vermögensverlagerung, eine Kapitalflucht angesagt, wie man sie derzeit in Frankreich erlebt. Das wollen Sie wieder. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Norbert Schindler (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Liebe Freunde von der Opposition, schön, dass Sie diese Erklärung abgegeben haben. Die erste Abrechnung findet am kommenden Sonntag statt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Stellen Sie doch einfach das Mikrofon ab!) Norbert Schindler (CDU/CSU): Sie sind nicht fähig, diesen Staat wirtschafts- und ertragsorientiert zu führen. Deswegen wird Ihnen auch nicht die Verantwortung übertragen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heiner Kamp, Dr. Martin Neumann (Lausitz), Sylvia Canel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Das deutsche Berufsbildungssystem – Versicherung gegen Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel – zu dem Antrag der Abgeordneten Willi Brase, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Jugendliche haben ein Recht auf Ausbildung – zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Alpers, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Perspektiven für 1,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss schaffen – Ausbildung für alle garantieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Brigitte Pothmer, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit DualPlus mehr Jugendlichen und Betrieben die Teilnahme an der dualen Ausbildung ermöglichen – Drucksachen 17/10986, 17/10116, 17/10856, 17/9586, 17/12089 – Berichterstattung: Abgeordnete Uwe Schummer Willi Brase Heiner Kamp Agnes Alpers Kai Gehring Hierüber soll eine Stunde debattiert werden. – Damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so verfahren. Als erster Rednerin gebe ich der Bundesministerin Dr. Annette Schavan das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Sicherung der Zukunftschancen der jungen Generation gehört zu den vornehmsten Aufgaben einer Gesellschaft und der Politik. Wir erfahren es immer deutlicher: Einen wesentlichen Beitrag zu diesen Zukunftschancen der jungen Generation leisten die berufliche Bildung, die duale Ausbildung, die Kooperation der Lernorte, die Unternehmen und die Schule. Deshalb gehört an den Beginn jeder Rede zur beruflichen Bildung der Dank an die vielen, die in unseren Unternehmen ausbilden, sowie der Appell, dass wir diese Erfolgsgeschichte der Ausbildung in Deutschland fortschreiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Oktober haben wir hier schon einmal darüber diskutiert. Dabei ist auch die ganze Palette der Einzelfragen debattiert worden. Wir haben gute Zahlen: Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge liegt bei 551 271. Die Zahl junger Leute im Übergangssystem ist seit dem Jahr 2005 um 30 Prozent zurückgegangen. Bei der Benachteiligtenförderung sind wir erfolgreich; die Bildungsketten finden eine große Akzeptanz. Das zeigt, dass wir uns um Jugendliche, die sich schwertun, zu einem frühen Zeitpunkt kümmern, sie begleiten und Sorge dafür tragen, dass sie in eine Ausbildung kommen. Außerdem haben wir eine Reduzierung der Zahl derjenigen zu verzeichnen, die keinen Schulabschluss haben. Wir wissen – Herr Brase hat es damals schon gesagt –, dass gute Zahlen viele Gründe haben. Dazu gehört die Demografie. Dazu gehört aber auch kluge Politik, meine Damen und Herren. Was ist also bisher erreicht worden? Was liegt noch vor uns? Was wollen wir bewältigen? Erreicht worden ist in allen Bereichen und in allen Regionen Deutschlands eine deutliche Verbesserung der Situation von jungen Leuten und deren Chancen. Die Einstellung hat sich sowohl international als auch in Europa geändert. Die Zeiten sind vorbei, in denen der Eindruck erweckt werden konnte, dass der Prozentsatz derer, die einen Hochschulabschluss erreicht haben, über die Leistungsfähigkeit eines Bildungssystems entscheidet. Wir wissen heute: Die Leistungsfähigkeit eines -Bildungssystems ist ganz wesentlich abhängig von der Korrespondenz zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem. Deshalb ist die Internationalisierung der beruf-lichen Bildung voll im Gang. Das ist ebenfalls ein großer Erfolg, auch mit Blick auf die Veränderung der Mentalität. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was wird wichtig? Woran arbeiten wir? Ziel ist die Europäisierung. Im Dezember hat hier eine Konferenz unter Beteiligung von sechs europäischen Ländern stattgefunden. Wir brauchen das EU-Starter-Programm. Wir brauchen eine Strategie aller Länder, um den 7,5 Millionen Jugendlichen im Alter von bis zu 25 Jahren in Europa eine Chance auf einen Einstieg in Qualifizierung und in Ausbildung zu geben. Viele Ausbildungsplätze sind in Deutschland zur Verfügung gestellt worden. Das ist aber nur ein kleiner Teil. Der größere Teil ist in den entsprechenden Ländern zur Verfügung gestellt worden. Es gilt für südeuropäische Länder ebenso wie für Länder im Norden Europas wie Dänemark, Voraussetzungen zu schaffen, um diesen Teil eines leistungsfähigen, modernen Bildungssystems aufzubauen. Die Europäisierung der beruflichen Bildung wird uns in den nächsten Monaten – und ich behaupte, auch in den nächsten Jahren – noch stark beschäftigen. Zweiter Punkt. Ich habe von dem 30-prozentigen Rückgang der Zahl junger Leute im Übergangssystem gesprochen. Unser Ziel muss sein, in den nächsten zwei, drei Jahren das Übergangssystem auf null zu bringen, das heißt, eine wirkliche Korrespondenz zu gewährleisten: Schulabschluss und dann Einstieg in die duale Ausbildung. (Beifall bei der CDU/CSU) Drittens. Wir wollen erreichen, dass die guten Erfahrungen mit den Bildungsketten dazu führen, dass überall, flächendeckend, entsprechende Angebote gemacht werden. Die Initiative hat jetzt 450 000 Jugendliche erreicht. 18 000 Jugendliche werden durch Berufseinstiegsbegleiter eng betreut. Schon der Titel „Berufseinstiegsbegleiter“ macht deutlich: In der Benachteiligtenförderung, also im Umgang mit denen, die sich schwertun, dürfen wir nicht mit großen Gruppen arbeiten, sondern wir müssen immer stärker individuell begleiten. Das ist anspruchsvoll – es gibt übrigens viele, die das nahezu ehrenamtlich tun –, aber es zeigt sich: Das ist der wirksamste Weg, junge Menschen zu ermutigen und ihnen eine Art Navigationsmöglichkeit an die Hand zu geben. Das soll überall in Deutschland möglich werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Viertens. Wir arbeiten weiter an der Durchlässigkeit zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung. 16 Länder haben formal die bisher beim Übergang von der beruflichen Bildung zu einem Hochschulstudium bestehende Hürde abgebaut. Es sind viele konkrete Voraussetzungen, etwa bei der Studieneingangsphase, notwendig, damit derjenige, der aus dem Berufsleben kommt, im Studium tatsächlich erfolgreich sein kann. Ich bin zutiefst davon überzeugt: Wenn es um Weiterbildung geht, dann werden die Institutionen der beruflichen und der allgemeinen Bildung immer stärker zusammenarbeiten. Herzlichen Dank an alle, auch im Ausschuss, die ihren Schwerpunkt auf die berufliche Bildung legen. Deutschland spielt nicht nur nach innen, sondern immer stärker auch nach außen – zunächst in Europa, aber auch in Ländern wie Indien, China und anderen – eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Möglichkeiten der Teilnahme an moderner, weiterentwickelter beruflicher Bildung zu eröffnen. Damit leisten wir einen gewichtigen Beitrag für die Sicherung der Zukunftschancen der jungen Generation. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Willi Brase hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Willi Brase (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben im Moment, dass die Bereitschaft der Unternehmen, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, offensichtlich aufgrund der sich abschwächenden Konjunktur etwas nachlässt. Das BIB hat das untersucht – die Zahlen -haben Sie selber gelesen –: Wir haben circa 14 500 weniger angebotene Ausbildungsplätze, und wir haben 14 200 weniger Bewerberinnen und Bewerber. Frau Ministerin – Sie haben es eben angesprochen –, wir haben hier schon mehrfach darüber diskutiert, was wir mit den immer noch fast 300 000 jungen Menschen im sogenannten Übergangsbereich machen. Ich will gar nicht von „Übergangssystem“ sprechen, weil es eigentlich kein System sein soll, sondern ein Übergangsbereich. Sowohl im nationalen Bildungsbericht als auch im Berufsbildungsbericht wurde deutlich aufgeführt, dass 80 Prozent der dort verweilenden Jugendlichen entweder einen Hauptschul- oder einen mittleren Abschluss haben; teilweise haben sie die Zugangsberechtigung für Fachhochschulen oder sogar für Hochschulen. Das muss man sich einmal vorstellen. Auf der anderen Seite wird derzeit darüber debattiert, dass immer mehr Jugendliche nicht ausbildungsreif sind. Ich finde, wenn so viele junge Menschen mit einer so guten schulischen Qualifikation in diesem Bereich verharren, dann läuft etwas schief. Dann sind die Maßnahmen, die wir bisher ergriffen haben, offensichtlich nicht ausreichend. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben das Problem der Unternehmen, die Ausbildungsplätze nicht besetzen können, im Berufsbildungsbericht beschrieben. Sie empfehlen den Unternehmen, die Ausbildungsplätze, die nicht besetzt sind, der Agentur für Arbeit zu melden. Das kennen wir. Sie wollen erst einmal abwarten und beobachten. Ich glaube, es hilft uns an der Stelle nicht weiter, wenn wir nur abwarten und beobachten. Wir müssen uns schon überlegen, warum von den 56 oder 57 Prozent der Betriebe, die ausbildungsfähig sind – der Rest ist nicht ausbildungsfähig –, nur 22 oder 23 Prozent ausbilden. Wenn der Pakt für Ausbildung und Qualifikation einen Sinn haben soll, dann müssen im Rahmen dieses Paktes endlich Maßnahmen beschlossen werden, damit mehr Unternehmen betriebliche Ausbildungsplätze anbieten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir führen eine Fachkräftedebatte. Wir brauchen wesentlich mehr junge Leute, die eine duale, betriebliche Ausbildung absolvieren. Gleichzeitig wird über den europäischen Zusammenhalt diskutiert. Es gibt ein neues Programm dazu. Leider habe ich die Unterlagen am Platz liegen lassen. (Abg. Michael Gerdes [SPD] übergibt dem Redner ein Schriftstück) – Das ist aber toll. – Entschuldigung, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bewegung tut uns allen immer gut. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Willi Brase (SPD): Ich weiß. Ich rede dafür etwas schneller. Das Arbeitsministerium hat uns Informationen zu einem wunderbaren Programm auf den Tisch gelegt, mit dem junge Leute aus Spanien, aus Portugal und aus Griechenland für eine Ausbildung in Deutschland gewonnen werden sollen. Es geht um 130 Millionen Euro. Wenn man sich das durchliest, denkt man: Donnerwetter! Da ist man mit großer Gründlichkeit vorgegangen: Finanzierung eines Deutschsprachkurses im Herkunftsland, Anreisekostenpauschale fürs Bewerbungsgespräch, Anreisekostenpauschale für die Aufnahme des ausbildungsvorbereitenden Praktikums, Rückreisekostenpauschale nach Beendigung des ausbildungsvorbereitenden Praktikums, Anreisekostenpauschale für die Aufnahme der betrieblichen Berufsausbildung, Reiserücktrittskostenpauschale bei vorzeitiger Beendigung usw. usf. – Das hört sich wunderbar an. Wenn man alles zusammenrechnet, kommt man auf eine Summe zwischen 27 000 und 32 000 Euro für drei Jahre. Das hört sich erst einmal gut an. Ich habe mit verschiedenen Leuten aus dem Bereich der Industrie- und Handelskammern gesprochen. Sie schlagen die Hände über dem Kopf zusammen und sagen: Warum sollen wir jetzt wieder Ausbildungsplätze alimentieren, wenn wir es noch nicht einmal schaffen, den jungen Leuten, die mit einem guten Schulabschluss im Übergangsbereich hängen, eine Perspektive zu geben? Es schlägt doch dem Fass den Boden aus, wenn ein Unternehmen einfach sagen kann: Ich nehme mir schnell einen jungen Spanier. Der wird wunderbar vorbereitet, und ich gebe ihm eine geringe Ausbildungsvergütung; denn bis zu 818 Euro bezahlt der Staat. – Dazu kann ich nur sagen: Wenn wir den Betrag, der zur Förderung eines solchen Ausbildungsplatzes vorgesehen ist, mal zwei nehmen, können wir dafür einen Schulsozialarbeiter einstellen. Das wäre angesichts der Probleme, die wir in manchen Schulen haben, wesentlich sinnvoller. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich fordere Sie dringend auf, zu überlegen, ob eine derartige Alimentierung von Ausbildungsplätzen vor dem Hintergrund der aktuellen Zahlen in unserem Land tatsächlich der richtige Weg ist. Wir wollen alle jungen Leute in unserem Land mitnehmen. Deshalb schreiben wir als SPD in unserem Antrag, dass wir so etwas wie eine Ausbildungsgarantie für einen richtigen und guten Weg halten. Wenn es richtig ist, dass wir zukünftig Fachkräfte brauchen werden, wenn es richtig ist, dass wir zahlreiche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen, die eine duale Ausbildung absolviert haben, dann müssen entsprechende Anstrengungen unternommen werden. Wir wollen den jungen Leuten signalisieren: Wir sorgen mit dafür, dass ihr eine bessere Chance erhaltet. Mittlerweile bemühen sich 16 Ministerien aus neun Bundesländern darum, die jungen Leute im Übergangsbereich wesentlich besser, schneller und zielgerichteter auf die Ausbildung vorzubereiten, damit sie eine bessere Chance erhalten. Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, der mittlerweile eine große Rolle spielt, den man beobachten muss. Wir haben hier vor einigen Jahren über die doppelten Abiturjahrgänge diskutiert. Wenn man das Ganze betrachtet, auch die Erfolgsgeschichte des dualen Ausbildungssystems, stellt man fest, dass das duale System an zwei Stellen ein Stück weit in die Zange genommen wird, wie ich glaube. Warum profitiert das duale System eigentlich nicht von den doppelten Abiturjahrgängen? Müssen wir dieser Frage nicht einmal nachgehen? Warum haben wir das nicht erreicht, obwohl der Präsident des Deutschen Handwerkskammertages seit drei Jahren sogar mit großen Anzeigen um gute junge Leute – sprich: Abiturienten – wirbt? Warum ist das nicht gelungen? Darauf haben Sie bisher keine Antwort. Es gibt auch in Bezug auf den Ausbildungspakt keine Antwort von Ihnen bzw. von der Bundesregierung. Ich glaube, wenn wir das so weiterlaufen lassen, laufen wir möglicherweise Gefahr, dass das duale Ausbildungssystem zerrieben wird. Zweitens geht es um den Übergangsbereich. Ich kann und werde niemanden daraus entlassen, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Es gibt 300 000 junge Leute im Übergangsbereich – im Prinzip sind das 300 000 zu viel –, die dort ohne Perspektive begleitet, bevormundet, betüttelt, manchmal auch ein bisschen qualifiziert werden und danach immer noch nicht wissen, wo sie landen. Wenn wir beide Bereiche – einmal betrifft das den Eingangsbereich, wo es hin zur dualen Ausbildung geht, und zum anderen den Ausgangsbereich, wo es hin zur Hochschule geht – nicht in den Griff bekommen, wird unser duales System nicht mehr so gut weiter nach vorne kommen, wie wir das allgemein – ich glaube, das ist überall Konsens – in der Diskussion hier wünschen und als gut ansehen. Über die von der Ministerin angesprochenen Punkte kann man sehr trefflich und gut diskutieren. Darüber hinaus will ich noch einmal deutlich sagen: Wenn wir die Chancen der dualen Ausbildung weiter verbessern wollen, dann müssen wir endlich dafür sorgen, dass die jungen Leute schneller und besser in dieses System hineinkommen. Ich meine, die Bundesregierung sollte – darauf wurde mehrfach hingewiesen – mit ihren Ressorts dafür sorgen, die Vielfalt der Maßnahmen in dieser Legislaturperiode zu reduzieren. Etwas anderes wäre nicht förderlich. Sie selber sagen, dass die Vielfalt im Übergangsbereich falsch ist. Dazu gibt es einen Kommentar, der lautet: Wir wollen schauen, dass die Bundesressorts – angefangen vom BMBF bis hin zum BMAS – das zukünftig beachten. – Das ist zu wenig. An dieser Stelle hat die Bundesregierung ihre Hausaufgaben nicht genügend gemacht, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum letzten Punkt, über den auch immer wieder diskutiert wird. Dabei geht es – ich habe das schon einmal angesprochen – um die fehlende Ausbildungsreife. Wir sollten uns, glaube ich, davor hüten, pauschal zu sagen: Wir erleben jetzt Jahrgänge mit jungen Leuten, die nicht genügend ausbildungsreif sind. -Immer mehr Bundesländer nehmen dieses Problem in Form von Berufsorientierung und Potenzialberatung in der achten Klasse – teilweise auch in der siebten Klasse – in Angriff. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man 80 Prozent der jungen Leute im Übergangsbereich sagt: Du bist nicht ausbildungsfähig. Vielleicht macht es, wenn wir bei den Betrieben eine Verbesserung erreichen wollen, Sinn, diese einmal zu fragen: Wie groß ist eigentlich eure Ausbildungsfähigkeit? Seid ihr immer in der Lage, die ausreichende Qualität zur Verfügung zu stellen? Werden die Ausbildungspläne tatsächlich eingehalten? Wie kommt es, dass der gesamte HOGA-Bereich, das Fleischereihandwerk, das Nahrungs- und Genussmittelhandwerk echte Probleme haben, Auszubildende zu -bekommen? Hat das nicht auch etwas mit Betriebsstrukturen zu tun? Hat es nicht auch etwas mit konkreten Ausbildungsbedingungen – mit Überstunden etc. – zu tun? Wenn man das Bildungssystem und die duale Ausbildung nach vorne bringen will, dann muss man auch das Kreuz durchdrücken, mit den Unternehmen reden und dort, wo es notwendig ist, Verbesserungen bzw. mehr Qualität auf den Weg bringen. Denn nur mit Qualität wird dieses gute duale System auch in Zukunft eine Chance haben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Heiner Kamp hat das Wort für die FPD-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Heiner Kamp (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Brase, möchten Sie mir einmal kurz zuhören? Ich lade Sie herzlich in meinen Wahlkreis Gütersloh ein. Ich komme aus Versmold. Dort ist man unter anderem in der Ernährungswirtschaft sehr stark. Es gibt da hervorragende Ausbildungsbetriebe, die super strukturiert sind. Diese haben einfach Schwierigkeiten, Auszubildende zu bekommen. Die Auszubildenden, die dort ihre Ausbildung absolvieren, machen das mit sehr großem Erfolg. Die Aus-bildungsbetriebe geben sich allergrößte Mühe, diesen -Jugendlichen den besten Übergang in ihren Beruf zu ermöglichen. Ich finde, das sollte man auch einmal anerkennen, und nicht alles sollte schlechtgeredet werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Berufsbildungsbericht unterstreicht erneut, dass das duale Ausbildungssystem ein Erfolgsmodell ist. -Darüber haben wir uns in den vergangenen Monaten ausgiebig ausgetauscht. Wir sind uns da fraktionsübergreifend einig. Deutschland geht es gut. Die hervorragend ausgebildeten Fachkräfte, die unser Ausbildungssystem hervorbringt, sind eine zentrale Stütze für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes. In der bisherigen Debatte hat mich gestört – das missfällt mir auch sonst im Alltag oft –, dass es mangelnde Anerkennung für Menschen mit beruflicher Ausbildung und für unser deutsches Berufsbildungssystem als solches gibt. Der durchschlagende Erfolg des dualen Ausbildungssystems wird erst langsam sichtbar. Es gab und gibt immer noch diejenigen, die behaupten, eine akademische Ausbildung sei die „Krone der Schöpfung“, das -Nonplusultra. Doch es ist einfacher geworden, die Vorzüge des Berufsbildungssystems darzustellen und sich für diesen Pfad der Qualifizierung einzusetzen. Das war leider beileibe nicht immer so. Mittlerweile haben auch die großen Freunde der reglementierten, monolithisch verschulten Bildungs-systeme mitbekommen, welchen Vorteil es in sich birgt, ein differenziertes System der Qualifizierung, die duale Berufsausbildung und die Hochschule, zu besitzen. Wir sind Vorbild für Europa. Das zeigt das ungebrochene -Interesse der Besuchergruppen aus aller Welt, die zu uns kommen. Deshalb gilt es, das große Engagement aller in der beruflichen Bildung Aktiven ausdrücklich zu würdigen. Viel zu selten erkennen wir die guten Leistungen in unserem Land an. Wenn gute Reden sie begleiten, Dann fließt die Arbeit munter fort. So sagte es schon Schiller. Deshalb lassen Sie mich allen, die zum Erfolg der beruflichen Bildung in Deutschland beitragen, ein herzliches Dankeschön und „Weiter so!“ zurufen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die FDP steht an ihrer Seite und wird sich vehement dagegen wehren, dass Sand in das gut geölte Räderwerk gestreut wird. Sie merken, damit bin ich bei den rot-grünen Vorstellungen. Die Grünen werden ja gemeinhin als Propheten des Weltuntergangs gehandelt. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echt? Von wem?) Wovor hat man nicht alles gewarnt? Faxgerät, Internet, Biotechnik und künstliche Verfahren, zum Beispiel bei der Herstellung von Insulin. Das Risiko wird von den Grünen immer höher bewertet als die Chance. Nur bei Experimenten mit unserem Bildungssystem und den Chancen unserer Kinder und Jugendlichen trauen sich die Grünen plötzlich ganz viel zu. Da werden gut funktionierende Bildungszweige zerstört. Ein wunderbares Beispiel vom grünen Schrottplatz der Zukunft: Unser herausragendes und international zelebriertes Modell der Berufsausbildung soll durch das grüne DualPlus-Konstrukt zerstört werden. Niemand – ich muss es in jeder Rede wiederholen, damit Sie es vielleicht irgendwann verstehen –, wirklich niemand will diesen grünen Quark. Dennoch wird er uns immer wieder von Ihnen aufgetischt. Selbst beim aktuellen Kanzlerkandidaten der SPD bin ich mir unsicher, ob er diese grüne Plörre löffeln würde, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Das Prädikat „schädlich“ trägt auch die SPD-Forderung nach einem Recht auf Ausbildung. Wir brauchen keine Ausbildungsplatzgarantie. Der erfolgreiche Ausbildungspakt ist ein Beispiel dafür, dass die Unternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden. Dass es auch im ureigenen Interesse der Wirtschaft liegt, den Fachkräftenachwuchs zu sichern, klingt zumindest im Ansatz aus Ihrem Antrag heraus. Doch ziehen Sie insgesamt wiederum die falschen Schlüsse. Gut für das berufliche Bildungssystem und gut für unser Land ist, dass Union und FDP in Deutschland die Regierungsverantwortung haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das heißt, wir brauchen weder Zwangsabgaben noch Strafen für Ausbildungsbetriebe. Wir benötigen auch kein schulisches Ergänzungsmodell zu unserer erfolgreichen dualen Ausbildung. Basis für den Erfolg der beruflichen Bildung in Deutschland ist, dass Jugendliche -solche Ausbildungsberufe ergreifen, die von den Unternehmen angeboten werden und in denen sie Beschäftigte benötigen. Das sichert den Fachkräftenachwuchs und sorgt für die ausgezeichneten Übergangsquoten in Beschäftigung. Deshalb blickt man aus Europa bewundernd auf unsere niedrige Jugendarbeitslosigkeit. (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Hört! Hört!) In unserem Antrag benennen wir die Herausforderungen und machen sachgerechte Vorschläge für eine -zukunftsgerichtete Weiterentwicklung der beruflichen Bildung in Deutschland. Insbesondere sind dies der Ausbau der Berufsorientierung, die Steigerung der Auslands-erfahrung während der Ausbildung – sie ist wichtig in -einer globalisierten Welt –, die weitere Stärkung der -Einstiegsqualifizierung als Brücke in Ausbildung für Leistungsschwächere, die Steigerung der Begeisterung für MINT-Fächer und die Ausbreitung der internationalen Akzeptanz der deutschen Berufsbildung. Dafür werden wir gemeinsam arbeiten. Dafür werden wir im Herbst bestätigt, und dafür wird am Sonntag die erfolgreiche niedersächsische Landesregierung bestätigt. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Agnes Alpers hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Agnes Alpers (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei Herrn Kamp haben wir es gerade wieder erlebt: Kaum taucht das Wort Berufsbildungspolitik auf, klopfen Sie sich auf die Schultern und erzählen uns, wie gut die duale Ausbildung ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]) Da sind wir uns doch alle einig, Herr Kamp, da gibt es doch gar keinen Widerspruch. Als Linke wollen wir das duale System stärken und vor allem Ausbildung für alle garantieren. (Beifall bei der LINKEN) Denn immer noch erhalten nur zwei Drittel der ausbildungsinteressierten Schulabgängerinnen und Schulabgänger einen Ausbildungsplatz. Immer noch befinden sich 300 000 junge Menschen im sogenannten Übergangssystem. Allein in Niedersachsen waren im letzten Jahr 48 000 junge Menschen dort untergebracht; das entspricht 37,5 Prozent der Schulabgänger. Niedersachsen belegte damit direkt hinter Baden-Württemberg Spitzenplatz zwei. Das ist doch ein Armutszeugnis, meine -Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Immer noch haben wir 2,2 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne Berufsabschluss zu verzeichnen. (Zuruf von der CDU/CSU: Und warum?) Nur die Hälfte von ihnen ist erwerbstätig. Ohne Ausbildung werden sie ihre Lebenssituation nicht verändern können. Auch das ist ein Armutszeugnis. Wir fordern in unserem Antrag ein umfangreiches -Sofortprogramm, um Ausbildung für alle zu garantieren. Vor drei Monaten hat die Koalition einen Antrag vorgelegt, den sie als – ich zitiere – „Versicherung gegen Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel“ bezeichnet hat. Dieser Antrag ist ein Sammelsurium von Absichtserklärungen. So wollen Sie beispielsweise die Anzahl der Azubis mit Auslandserfahrung erhöhen; (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja! Das ist doch eine gute Sache!) aber wie, das wird nicht gesagt. Die informell erwor-benen Kompetenzen sollen gemessen und anerkannt werden. Das ist gut; aber wie, das wird nicht gesagt. Die Bildungsprämien wollen Sie weiterentwickeln. Auch das ist gut; (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja! Das ist -alles gut!) aber wie, dazu sagen Sie nichts. In diesem Antrag benennen Sie keine Programme und keine Konzepte, wie die Ausbildungskrise bewältigt und überwunden werden kann. Einen solchen Antrag als „Versicherung gegen -Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel“ zu bezeichnen, das sind nur fromme Wünsche. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Nichts gegen fromme Wünsche, Frau Kollegin!) Die Ausbildungsmisere will die Koalition nun folgendermaßen lösen: Erstens. CDU/CSU und FDP setzen auf den demo-grafischen Wandel. Für sie hat sich bereits in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel auf dem Ausbildungsstellenmarkt vollzogen. Es gebe mehr Stellen als Ausbildungsinteressierte, sagen Sie. Ich sage Ihnen: Das stimmt nicht; denn es gibt noch 2,2 Millionen Menschen bis 34 Jahre ohne Berufsabschluss. Oder wollen Sie uns hier und heute weismachen, dass all diese Menschen kein Ausbildungsinteresse haben? (Heiner Kamp [FDP]: Ach, Frau Alpers, was soll denn das? Also bitte!) Frau Schavan sagte gerade, dass sie das Übergangssystem in den nächsten Jahren auf null herunterfahren will. Das Bundesinstitut für Berufsbildung stellte allerdings fest, dass sich dort trotz des demografischen -Wandels langfristig noch über 200 000 junge Menschen befinden werden. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man nichts ändert! Richtig!) Fakt ist, dass die soziale Herkunft nach wie vor die Zukunft dieser jungen Menschen bestimmt. Hauptsächlich handelt es sich um junge Menschen mit niedrigem Schulabschluss, Menschen mit Behinderung, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund. Diese Ausgrenzung müssen wir endlich stoppen. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens wollen CDU/CSU und FDP gemeinsam mit der Wirtschaft Formen finden, mit denen man die – ich zitiere – „soziokulturellen Milieus“ ansprechen kann. Das ist verlogen; denn gleichzeitig bezeichnen Sie in Ihrem Antrag alle Menschen mit Migrationshintergrund als Ausländer, bei denen die mangelnde Ausbildungsreife klar auf der Hand liege, da die Hälfte von ihnen im Übergangssystem beginne. Mit anderen Worten: Die ethnische Herkunft, der Migrationshintergrund, ist schuld. Meine Damen und Herren, all diese jungen Menschen sind in Deutschland geboren. Ihre Familien leben oft schon seit Generationen hier. Viele haben einen deutschen Pass. Sie wollen hier leben und sich beteiligen. Aber Sie bezeichnen all diese Menschen trotz jahrzehntelanger Integrationspolitik immer noch als Ausländer. Das ist unfassbar! (Beifall bei der LINKEN – Ewa Klamt [CDU/CSU]: Ihre Rede ist unfassbar!) Zwei Drittel dieser Menschen bekommen keinen Ausbildungsplatz, weil sie Ali oder Aische heißen, (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Was? Ich glaube, ich bin im falschen Film!) selbst dann nicht, wenn sie einen guten Realschul-abschluss oder sogar Abitur haben. Meine Damen und -Herren von der Koalition, wer Diskriminierung und -Vorurteile in einem eigenen Antrag schürt, verschärft die soziale Ausgrenzung. Wir Linken lehnen eine solche Politik ab. (Beifall bei der LINKEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Und wir machen sie nicht!) Drittens. Auch das Argument, eine wesentliche Ur-sache der Misere sei die mangelnde Ausbildungsreife der jungen Menschen, nehmen wir Ihnen nicht ab. Wir haben gehört, dass sich 80 Prozent dieser jungen Menschen deshalb in dem sogenannten Übergangssystem befinden, weil keine passenden Ausbildungsplätze vorhanden sind. Das kann doch nicht sein. Was die anderen 20 Prozent angeht, sagen wir ganz klar: Jeder muss individuell so unterstützt werden, dass er nach der Maßnahme verlässlich in Ausbildung geht. Es kann doch nicht sein, dass Hauptschüler im Durchschnitt zweieinhalb Jahre im Übergangssystem verbringen und danach vielleicht doch keinen Ausbildungsplatz erhalten und als ungelernte Kräfte in prekärer Arbeit landen. Damit müssen wir Schluss machen. (Beifall bei der LINKEN) Viertens. Frau Schavan, in Ihrer letzten Rede zum Berufsbildungsbericht im Oktober 2012 haben Sie Ausbildungsgarantie und Umlagefinanzierung als – ich zitiere – „alte Klamotte“ bezeichnet. Sie setzen auf das freiwillige und hochverantwortliche Engagement der Unternehmen. Heute haben 2,2 Millionen Menschen bis 34 Jahre keinen Berufsabschluss. Dennoch haben die Betriebe im letzten Jahr 10 000 Ausbildungsplätze weniger angeboten als 2011. In diesem Zusammenhang verweisen Sie auf gute Zahlen bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen. Laut BIBB hat die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge seit der Wende jedoch einen neuen Tiefstand erreicht. Frau Schavan, Ihre freiwillige Selbstverpflichtung hat noch nie funktioniert. Mit unserem Antrag wollen wir nicht nur das Recht auf eine qualifizierte Ausbildung für alle garantieren, wir sagen auch: Wir wollen kleine Betriebe fördern, wenn sie zum ersten Mal ausbilden, wenn sie zusätzliche Ausbildungsplätze anbieten, wenn sie im Verbund ausbilden. Wir wollen alle Betriebe unterstützen, die genau die in Ausbildung bringen, die häufig ausgegrenzt sind: Menschen mit niedrigen Schulabschlüssen, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung, Frauen. Ich komme zum Schluss. Fest steht doch: Ausbildung für alle ist nur mit einem Recht auf Ausbildung und mit einer Ausbildungsumlage umzusetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kai Gehring hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die katastrophale Jugendarbeitslosigkeit ist eines der drängendsten Probleme in Europa. Dass in Spanien und Griechenland jeder zweite Jugendliche arbeitslos ist, ist zutiefst beunruhigend. Eine Jugend ohne Perspektive birgt sozialen Sprengstoff. Diese alarmierende soziale Krise ist eine Folge der Finanzkrise. Als solidarische Europäer muss es uns umtreiben, dass eine ganze Generation junger Europäer abgehängt zu werden droht. (Anette Hübinger [CDU/CSU]: Wir waren die ersten, die sich darum gekümmert haben!) Die Bundesregierung hat die Hiobsbotschaften viel zu viele Monate auf die leichte Schulter genommen, die Probleme treiben lassen. Für ein soziales Europa steht Schwarz-Gelb sicherlich nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass jetzt endlich, angetrieben aus Brüssel, reagiert wird und versucht wird, die berufliche Bildung europaweit zu stärken, ist richtig und war lange überfällig. Das breite Interesse anderer Länder an unserer dualen Ausbildung zeigt, dass sie geschätzt wird. Unser Be-rufsbildungssystem ist aber kein Allheilmittel, zu einer kurzfristigen Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Krisenländern taugt es nicht. Ohne mutige Investitionsprogramme zur Ankurbelung der Wirtschaft, ohne Beschäftigungsimpulse für Jugendliche und ohne einen -fairen Einstieg in den Arbeitsmarkt nutzt den Krisenländern der bloße Import unserer dualen Ausbildung wenig; dann bliebe die ausgerufene Europäische Jugendgarantie ein hohles Wort. Das zu sagen, gehört zur Redlichkeit in dieser Debatte dazu, Frau Ministerin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Hochloben des Exportschlagers duale Ausbildung darf nicht von den vielen Herausforderungen ablenken, die die Bundesregierung hierzulande endlich anpacken muss. Auch hier ist nicht alles Gold, was die Regierung als solches verkaufen will. Ja, Bund und Länder haben in den letzten Jahren die Zahl der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher verringert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber welche Chancen haben denn die 50 000 in jedem Jahr, die die Schule ohne Schulabschluss verlassen? Hamburg und Nordrhein-Westfalen zeigen strukturelle und nachhaltige Initiativen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Was hat Frau Schavan seit 2005 getan? Fast nichts. Bildungsketten, Frau Schavan, sind gut; aber sie sind viel zu kurz. Tausend hauptamtliche Berufsbegleiter bei 16 000 Schulen und 4,5 Millionen Schülerinnen und Schüler, die sie brauchen könnten – das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Uwe Schummer [CDU/CSU]: 3 000!) Mit welchen Maßnahmen senkt die Bundesregierung die Zahl derjenigen, die ihre Ausbildung abbrechen? Die Abbruchquote ist zuletzt sogar auf 23 Prozent gestiegen. In einzelnen Berufen liegt sie bei über 40 Prozent. Das wirft Fragen nach der Ausbildungsqualität auf. Denen müssen Sie sich endlich stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was wird aus den noch immer knapp 300 000 Jugendlichen, die nach der Schule in Maßnahmen des Übergangssektors feststecken? Diese Maßnahmen haben sich doch vor allem als Warteschleifen ohne Mehrwert für diese Jugendlichen erwiesen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sehe weit und breit kein Konzept dafür, wie die Regierung diese Jugendlichen zügig zum Berufsabschluss führen will. Nur auf demografische Effekte zu hoffen, reicht nicht. Sie müssen handeln! Auch infolge dieses Maßnahmendschungels stehen hier inzwischen mehr als 2 Millionen bis 34-Jährige ohne Berufsabschluss da. Das ist skandalös. Das sind ungelöste Probleme hierzulande. Die Bildungs- und die Arbeitsministerin müssen hier endlich eine Initiative vorlegen, statt die Mittel für die Arbeitsförderung zu kürzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Gehring, der Kollege Feist würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen? Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, bitte. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte. Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Kollege Gehring. – Immer wieder ist in den Reden von der Schwierigkeit des Übergangssystems gesprochen worden. Natürlich ist uns allen klar, dass eine gute duale Ausbildung besser ist. Einige Redner haben heute die Maßnahmen im Übergangssystem aber als Ausgrenzung und Sackgasse bezeichnet und in diesem Zusammenhang von Perspektivlosigkeit gesprochen. Ich finde, damit wird die Leistung derjenigen, die sich im Übergangssystem gerade um die Schwächsten in der Gesellschaft kümmern, einfach in den Schmutz gezogen. Ich möchte von Ihnen wissen: Ist das Übergangssystem für Sie ohne jede Perspektive? Ja oder nein? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe es so verstanden, dass inzwischen selbst Union und FDP sagen, wir müssten diese Warteschleifen verringern und den Übergangssektor reduzieren. Ich habe inzwischen auch wahrgenommen – wir Grüne haben sehr viele Jahre entsprechend argumentiert –, dass dieses Übergangssystem nicht als System, sondern als Sektor bezeichnet wird, in dem es auch viel Wildwuchs gibt. Selbstverständlich findet dort auch viel zur Integration von Jugendlichen statt, aber die allermeisten Maßnahmen sind eben nicht geeignet, um echte Perspektiven zu schaffen, sondern Warteschleifen, die den Einstieg in die Ausbildung verzögern. Die Ministerin hat hier gesagt, diesen Übergangssektor auf null reduzieren zu wollen. Das setzt politisches Handeln voraus. Deshalb kann das nicht einfach so weiterlaufen. Wenn Sie an diesem Übergangssektor nichts ändern – das zeigen verschiedene Studien, zum Beispiel auch vom BIBB –, dann werden auch in den nächsten Jahren noch über 200 000 junge Menschen in diesem Übergangssektor verbleiben. Das kann ja wohl nicht das Ziel sein, sondern wir wollen so schnell wie möglich so viele Jugendliche wie möglich in reguläre Ausbildung bringen. Es muss das Ziel sein, den Übergangssektor tatsächlich auf null zu senken. Dafür haben wir mit DualPlus auch ein gutes Konzept. Darauf komme ich gleich noch einmal zurück. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ungelernte und Geringqualifizierte haben ein höheres Erwerbslosigkeitsrisiko als Menschen mit Berufsabschluss. Deshalb ist auch klar: Unser Bildungssystem spaltet in Gewinner und Verlierer. Das darf diese Regierung nicht länger hinnehmen. Deshalb muss eine Jugendgarantie in Deutschland lauten: keinen Jugendlichen ohne anständigen Abschluss lassen, keinen Jugendlichen in Perspektivlosigkeit und Abhängigkeit von Sozial-transfers schicken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich danke für meine gesamte Fraktion an dieser Stelle allen Betrieben in Deutschland, die ausbilden; das ist doch selbstverständlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich danke vor allem den Betrieben, die bildungsfernen und benachteiligten Jugendlichen eine Chance geben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Es müssen aber noch deutlich mehr werden. Daher appelliere ich an die Wirtschaft: Geben Sie Jugendlichen mit schlechten Startvoraussetzungen eine Chance. Es hilft niemandem, über Ausbildungsreife zu lamentieren. Sehen und wecken Sie die Potenziale in jedem Jugend-lichen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Nur so bewältigen wir auch eine derzeit völlig absurde Situation: Es mangelt an Fachkräften, es mangelt vor allem in kleinen und mittleren Betrieben an Nachwuchs. Aber selbst 2012 suchten noch 76 000 junge Menschen einen Ausbildungsplatz. Besonders betroffen ist mit dem Handwerk auch ein Herzstück unseres dualen Ausbildungssystems. Ich sage Ihnen, Frau Schavan: Wenn Sie Fachkräftemangel bekämpfen wollen, dann dürfen Sie sich nicht auf demografischen und konjunkturellen Effekten ausruhen. Sie müssen die ausbildungspolitischen Herausforderungen anpacken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiner Kamp [FDP]: Lesen Sie unseren Antrag, Herr Gehring! Darin steht alles!) Die Frage ist doch: Wie können wir die Lücke zwischen den Anforderungen der Betriebe und den vielfältigen Voraussetzungen junger Menschen schließen und echte Brücken in Ausbildung bauen? Unser grünes Ausbildungskonzept DualPlus beantwortet diese Frage. Es zeigt, wie durch individuell angepasste Bausteine alle Jugendlichen die einzelnen Schritte bis zu einem Berufsabschluss schaffen können – ohne Warteschleifen und ohne Maßnahmendschungel. Es zeigt, wie gerade im Markt benachteiligte Jugendliche ergänzend zum dualen Lernen in Berufsschule und Betrieb in überbetrieblichen Ausbildungsstätten individuell gefördert und über die gesamte Ausbildung begleitet werden. Das hilft auch kleinen und spezialisierten Betrieben und solchen ohne Ausbildungstradition. Sie können auch ausbilden, indem sie einzelne betriebliche Module anbieten. Für Jugend-liche und für Betriebe ist DualPlus ein ausbildungspolitischer Mehrwert, den wir nutzen sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung in Europa ist das eine, das andere ist, eine schlüssige Antwort auf die Probleme hierzulande zu finden. Leider muss ich sagen, auch in der beruflichen Bildung hat diese Bundesregierung wenig bis nichts vorangebracht, sie hat nur von der guten Konjunktur profitiert. Es wird höchste Zeit für einen bildungspolitischen Wechsel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ungeheuerlich!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Uwe Schummer hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Uwe Schummer (CDU/CSU): Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Die Harmonisierung des Übergangssystems von der Schule zum Beruf ist genau das, was Annette Schavan und wir gemeinsam in der christlich-liberalen Koalition mit den Bildungsketten angeschoben haben. Wir haben gesagt, dass wir möglichst in allen Schulen – Haupt- und Realschulen, in den Gesamtschulen – drei Jahre vor der Entlassung so etwas wie eine Potenzialanalyse durchführen wollen. Wir wollen ermitteln, wo die Stärken und die Schwächen der Schüler sind. Dabei wollen wir auch mit externer Kompetenz arbeiten, mit Menschen, die in die Schule kommen und diese Analyse mit den Lehrern gemeinsam durchführen. Wir wollen, dass bereits zwei Jahre vor der Entlassung in den Schulen über überbetriebliche Werkstätten bestimmte Berufsfelder durchlaufen werden können. Das geht zwar nicht in allen 342 Berufsbildern, aber es sollte zumindest möglich sein, beim Kolpingwerk oder beim Handwerk schauen zu können, welche Berufsfelder in den Bereichen Holz, Metall, Hauswirtschaft, Gesundheit, Verwaltung für den Einzelnen spannend sind. Am Ende sollen dann die Schüler mit den Lehrern, mit den Eltern und mit den Einstiegsbegleitern überlegen, welche betrieblichen Praktika zum richtigen Beruf führen können. Das ist genau die Glättung, die Harmonisierung, die wir mit den Bildungsketten umsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dafür finanzieren wir, Kollege Gehring, eben nicht nur 1 000 Einstiegsbegleiter, wie Sie es sagten, sondern 3 000. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An 16 000 Schulen!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Schummer, Entschuldigung! Frau Alpers würde Ihnen gern eine Frage stellen. Uwe Schummer (CDU/CSU): Frau Alpers, Sie haben eben lange geredet und falsche Zahlen genannt. Ich werde jetzt meine Rede zu Ende führen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lesen Sie erst einmal die richtigen Zahlen, damit wir darüber dann auch miteinander diskutieren können. Das Berufsbildungsinstitut hat errechnet, dass die Ausbildungsvergütungen um 4,6 Prozent in diesem Jahr auf 730 Euro angestiegen sind. Das zeigt auch für die Unternehmen: Hier ist der Wert der beruflichen Ausbildung gestiegen. Es sind insgesamt 30 Milliarden Euro, die neben den öffentlichen Mitteln des Bundes, der Länder und der Kommunen von der Wirtschaft für Ausbildungsvergütungen, für Ausbildungswerkstätten und für Ausbilder mobilisiert werden. Für diese besonderen Finanzierungsleistungen in Deutschland sollten wir der Wirtschaft – neben dem Personal – danken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben 342 Berufe, wir müssen aber feststellen, dass sich 88 Prozent der Schüler um etwa 149 Berufe bewerben. Also ist auch die Überlegung: Warum haben wir allein 54 verschiedene kaufmännische Berufsbilder? Lassen Sie uns doch einmal mit den Sozialpartnern und den Kammern überlegen, wie wir eine Zusammenführung von Berufsfeldern erreichen können. Nach dem Konzept „Dual mit Wahl“ sollten wir eine gemeinsame Grundausbildung – beispielsweise im kaufmännischen Bereich – einführen, die anderthalb oder zwei Jahre dauert. Darauf bauen dann die Spezialisierungen wie Reiseverkehrskaufmann, Industriekaufmann, Groß- und Außenhandelskaufmann bis hin zum Fitnesskaufmann auf. Wir wollen die Gleichwertigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung in einem europäischen Bildungsraum. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Europäische Kommission hat in ihrem Bericht zur Situation in Deutschland formuliert: Garant für die Heranziehung qualifizierter Arbeitskräfte und eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit ist das duale Ausbildungssystem. – Gleichzeitig führen wir eine Debatte mit der Europäischen Kommission darüber, dass beispielsweise für den Pflegeberuf das Abitur erforderlich sein soll. Das ist ein Stück weit doppelzüngig, auch vonseiten der Sozialdemokratie. Während hier Willi Brase, alter, lieber Kollege, das Hohe Lied der dualen Ausbildung singt, will die Berichterstatterin der Sozialdemokraten im Europaparlament all diejenigen, die nicht das Abitur haben, aus der Pflegeberufsausbildung ausgrenzen, die Tür für all diejenigen zuschlagen, die vor der Pflegeausbildung kein Abitur gemacht haben. Von den 40 000 Auszubildenden derzeit in Deutschland im Gesundheitsbereich – ob sie nun eine Hebammen-, ob sie eine Pflegeausbildung absolvieren – haben 15 000 das Abitur. Alle anderen würden durch die Sozialdemokraten, und zwar durch ihre Berichterstatterin im Europaparlament zu dieser Thematik, Evelyne Gebhardt, ausgegrenzt. Am 24. Januar wird hierüber im Europaparlament entschieden. Ob sie es mit der Stärkung der dualen Ausbildung im europäischen Bildungsraum ernst meinen, das werden wir bei den Sozialdemokraten im Europaparlament am 24. Januar feststellen, je nachdem, wie sie dann abstimmen werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Schummer, möchten Sie Herrn Rossmann die Gelegenheit zu einer Zwischenfrage geben? Uwe Schummer (CDU/CSU): Herr Rossmann hat in der Regel richtige Zahlen. Deshalb lasse ich die Frage gerne zu. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Von mir dann nicht, oder?) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Schummer, es soll nicht um Zahlen gehen, sondern um den Konsens, den Sie am Anfang angesprochen haben. Ist es richtig, dass es in der deutschen Sozialdemokratie im Bundestag und in den Ländern sehr viele andere Stimmen gibt als die einzelne Stimme von Frau Gebhardt aus dem Europaparlament? Schließen Sie aus, dass es genauso einzelne Stimmen auch im konservativ-liberalen Lager im Europaparlament gibt, ohne dass wir Sie dafür in Haft nehmen? Uwe Schummer (CDU/CSU): Geschätzter Kollege Rossmann, das Problem ist, dass die Sozialdemokratin Evelyne Gebhardt im Europaparlament die Berichterstattung zu diesem Thema hat und dass entsprechend ihrem Votum die gesamte Sozialdemokratie im Europaparlament abstimmen wird. Das ist dann keine einzelne Stimme mehr. Das ist dann die Mehrheitsmeinung der Sozialdemokraten im Europaparlament. Aber Sie können bis zum 24. Januar missionieren. Unsere guten Wünsche werden Sie begleiten. (Beifall bei der CDU/CSU – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Was ist mit euren Leuten? Stimmen die alle richtig ab?) Wir haben im April letzten Jahres ein Gesetz verabschiedet, auf dessen Grundlage die im Ausland erworbenen Berufskenntnisse anerkannt werden sollen. Ich habe mir eine Aufstellung dazu geben lassen, in welchen Bundesländern dieses Bundesgesetz, das ein Stück weit die Integration von Menschen fördert, die aus anderen Staaten und Kontinenten kommen und unter uns leben, durch entsprechende Landesregelungen umgesetzt worden ist. Es gibt ein Bundesland, in dem seit April letzten Jahres überhaupt nichts passiert ist. Dieses Bundesland wird grün-rot regiert. Baden-Württemberg unter grüner Regentschaft ist das einzige Land, das dazu noch überhaupt keine Regelung vorgelegt hat. Auch das ist nicht der richtige Weg: hier nett schwätze, aber in Baden-Württemberg nix tun, sondern laufen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU – Willi Brase [SPD]: Das sind noch die schwarzen Schatten!) Letztendlich ist die Wahrheit immer konkret. Ich bin dankbar, dass wir mit der finanziellen Förderung des Jugendwohnens mehr Mobilität für die duale Ausbildung europaweit entwickeln können. Die Grünen wollen vom dualen zum trialen System mit mehr verschulten Einheiten. Die Sozialdemokraten im Europaparlament schlagen innerhalb der beruflichen Bildung die Tür für diejenigen zu, die kein Abitur haben. Und die Linken wollen mit einer Zwangsabgabe die zentrale Berufsbildungssteuerung. Nur die christlich-liberale Koalition steht treu und fest zur dualen Ausbildung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Deshalb bitte ich Sie: Unterstützen Sie unseren Antrag! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Michael Gerdes hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Michael Gerdes (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Schummer, wir wollen jetzt wieder zur Bundespolitik zurückkommen. Es stimmt: Viele Länder haben Interesse an unserer dualen Ausbildung und wollen von uns lernen. Und ja: In Deutschland sind weniger Jugendliche arbeitslos als in Europa. Unsere Azubis sind auf den Arbeitsmarkt gut vorbereitet. Trotzdem wünsche ich mir, dass die schwarz-gelbe Regierung das Eigenlob, das wir auch heute wieder hören konnten, nicht allzu hoch hängt und sich endlich auch um diejenigen kümmert, die durch das Raster fallen. Richtig wäre es, wenn wir heute diejenigen in den Mittelpunkt stellen, die keinen Schulabschluss und keine Berufsausbildung haben. Kollege Brase und auch Kollegin Alpers haben bereits die Zahl genannt. Ich wiederhole sie, Herr Schummer, weil sie unglaublich hoch, aber auch korrekt ist: In Deutschland sind 2,2 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 ohne Berufsabschluss. Ich meine, das ist ein Skandal. Wir müssen uns fragen, wie wir dieser Gruppe helfen können. Wie verringern wir die Orientierungslosigkeit im Maßnahmendschungel? (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Welche Chancen und Perspektiven bieten wir jungen Erwachsenen, die bisher keine Qualifikation erwerben konnten? Hierzu äußern Sie sich selten, meine Damen und Herren in den Regierungsfraktionen. Stattdessen werden unsere Ideen lapidar abgefertigt. Auch ich erinnere mich an die Debatte im Oktober 2012, als Sie, Frau Ministerin Schavan, die Forderung der SPD nach einer Ausbildungsgarantie als alte Klamotte bezeichnet haben. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist es auch!) Die junge Generation verdient mehr Respekt, zumindest mehr Unterstützung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wer Jahr um Jahr keine Chance sieht, für den Arbeitsmarkt ausgebildet zu werden, der verliert jegliche Lern- und Arbeitsmotivation. Wer ohne Perspektive ist, resigniert. Das darf unsere Gesellschaft nicht zulassen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie reden nicht von diesem Land, oder?) – Ich rede von Deutschland. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Stärke unserer Berufsausbildung ist die Praxisnähe, das Lernen im Betrieb. Gerade deshalb muss es uns Sorge bereiten, dass die Zahl der Ausbildungsplätze so gering ist wie nie. Das passt mit dem Ruf nach Fachkräften nicht zusammen. Wer Fachkräfte braucht, muss dazu beitragen, dass junge Menschen das benötigte Wissen und die gesuchte Fähigkeit auch erwerben können. (Beifall bei der SPD) Tendenziell haben kleine und mittlere Unternehmen wenig Kapazitäten, um umfassend auszubilden. In den Großbetrieben ist das einfacher. Aber wenn Großbetriebe schließen oder abwandern, entsteht logischerweise eine große Lücke, und zwar nicht nur auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern auch auf dem Ausbildungsmarkt. Manche Regionen in Deutschland bekommen das sehr stark zu spüren. Speziell in meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, sind die Wunden groß. Ich erinnere an -Nokia und Opel in Bochum. Die Situation wird sich durch den Rückbau des Steinkohlenbergbaus noch verschärfen. Die letzte Zeche schließt zwar erst 2018, aber ab 2014 wird es schon keine neuen Azubis geben. Allein in meiner Heimatstadt Bottrop fallen auf der Schachtanlage Prosper-Haniel 2018 auf einen Schlag 300 Ausbildungsplätze weg. Das ist katastrophal. Sie sind unwiederbringlich weg. Deswegen frage ich: Wo werden in den Regionen im Ruhrgebiet unsere Jugendlichen zukünftig ausgebildet? (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das müssen Sie im Ruhrgebiet fragen!) – Ja, ja. Mit dem Ruhrgebiet haben wir wohl nichts zu tun. Das ist nicht Deutschland. Europa machen wir, aber das Ruhrgebiet ist nicht so wichtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kamp zulassen? Michael Gerdes (SPD): Ja, gerne. (Zuruf von der CDU/CSU – Gegenruf der Abg. Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das ist ein schlagendes Argument, mein Lieber!) – Darauf komme ich gleich noch, Frau Schieder. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte. Heiner Kamp (FDP): Lieber Kollege Gerdes, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass gerade solche Fälle, die Sie uns geschildert haben, wie bei Nokia und im Bergbau, die alle schlimm sind, uns dazu zwingen, darüber nachzudenken – wir tun das in dem Antrag – und darüber zu reden, dass wir an Jugendliche die Forderung nach Mobilität stellen müssen. Jugendliche müssen mehr Mobilität beweisen und sich mehr vom Elternhaus und ihren Freunden abnabeln, damit es auf dem Markt zu einem Ausgleich kommen kann. Ich habe heute bei uns in der AG Handwerk von drei Mittelständlern gehört, die Schwierigkeiten haben, Auszubildende zu bekommen, die keine Aufträge annehmen können, weil sie keine Fachkräfte haben und keine Auszubildenden zu Fachkräften ausbilden können. Wenn man Betriebe und Jugendliche zusammenbringen kann – das versuchen wir mit unserem Antrag hinzubekommen, indem wir darauf hinweisen –, dann kann es gelingen, in den Regionen, in denen Fachkräftemangel, Ausbildungsplatzmangel und auch Auszubildendenmangel herrscht, einen Ausgleich zu schaffen. Aber wir müssen davon abkommen, immer nur davon zu reden, dass die Jugendlichen in bestimmten Regionen keinen Ausbildungsplatz kriegen. Es gibt genügend Regionen, wo Auszubildende gesucht werden. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis, und verbreiten Sie das in Ihren Reden. Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. Danke. Michael Gerdes (SPD): Ich nehme das sehr wohl zur Kenntnis. Aber ich nenne Ihnen noch einmal – ich habe gerade die 300 Ausbildungsplätze, die allein in meiner Heimatstadt wegfallen werden, erwähnt – die Stichwörter: Opel, Nokia. Opel wird definitiv schließen. Der Bergbau wird definitiv schließen. Sagen Sie mir bitte, wo die Angebote für die Jugendlichen waren, als Nokia geschlossen hat. Ich rede jetzt ganz bewusst nicht von Arbeitsplätzen, sondern nur von Ausbildungsplätzen. Glauben Sie mir, dass bereits heute viele Jugendliche, gerade im Ruhrgebiet, bereit sind, Mobilität zu zeigen und in andere Regionen zu gehen. Gerade habe ich hier gehört, dass andere Regionen, etwa Thüringen, im Grunde genommen das Problem hinter sich haben, das wir im Ruhrgebiet noch vor uns haben. Dazu sage ich: Das kann doch nicht das Argument sein. Das ist doch genau das, was ich hier einfordere: dass wir unseren Jugendlichen Perspektiven geben. Ich habe gerade gefragt: Wo werden unsere Jugendlichen zukünftig ausgebildet? Wenn Sie mir die Antwort geben können, dass sie in Deutschland in genügender Anzahl und mit genügender Qualifikation ausgebildet werden, dann beruhigt mich das ein wenig. Aber Sie müssen auch gestatten, dass ich daran nicht so recht glauben kann. (Beifall bei der SPD) Ich will noch einmal zum Thema Ausbildungsreife kommen, weil das auch für mich ein Begriff ist, der relativ umstritten ist; seine Definition ist aus meiner Sicht sehr diffus. Ich frage: Wissen die Bewerber von heute wirklich weniger, und sind sie weniger leistungsbereit als vor 20 oder 30 Jahren? Passen die Qualifikationen unserer Schüler nicht mehr mit den Anforderungen des heutigen Berufsalltags zusammen? Das sind einerseits Fragen für die Bildungsforschung. Andererseits müssen wir uns aber auch als Politik fragen, ob wir die Jugend-lichen ausreichend auf das Leben nach der Schule vorbereiten. Eine Teilantwort haben wir bereits gefunden: Wir müssen die Berufsorientierung in den Schulen stärken, und zwar frühzeitig. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Machen wir doch!) – Wir sind dabei, ja. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Nein, wir!) Ich begleite beispielsweise ein Ausbildungspatenprojekt in meinem Wahlkreis. Die Begegnungen mit den Schülern zeigen mir, wie sehr junge Menschen auf Ratschläge rund um das Thema Berufsfindung angewiesen sind. Bei manchen fehlt schlichtweg die Information. Auch da lautet die Frage leider Gottes: Welche Jobs gibt es denn überhaupt? – Andere können sich selbst nicht einschätzen. Da hören die Paten dann: Ich weiß nicht, was ich kann. Ich weiß nicht, wo meine Stärken und Schwächen liegen. Meine Damen und Herren, Schulen, Unternehmen und Eltern sind stark gefordert, wenn es um die frühe Vernetzung von Lernalltag und Berufsvorbereitung geht. Wir brauchen eine qualifizierte Einstiegsvorbereitung auf den Beruf. Wir brauchen eine individuelle Berufswegeplanung. Das Land Nordrhein-Westfalen geht diesbezüglich neue Wege, wie wir bereits von Kollege Brase gehört haben. Der Übergang von Schule und Beruf ist nunmehr Teil der Lehrpläne. Im Mittelpunkt stehen die Schülerinnen und Schüler und ihre Lebensläufe. Die Leitlinie heißt: Die Berufs- und Studienorientierung ist Aufgabe aller allgemeinbildenden Schulen, und in dem Prozess der Berufs- und Studienorientierung durchlaufen alle Schülerinnen und Schüler verbindliche Phasen, um ihre Potenziale zu erkennen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Nur das Geld fehlt!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Michael Gerdes (SPD): Hoffen wir, dass Nordrhein-Westfalen und auch Hamburg im Sinne unserer jungen Generation mit ihren Ansätzen erfolgreich sein werden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Michael Gerdes (SPD): Jugendliche haben ein Recht auf Ausbildung. – Ich bin am Ende mit meinen Ausführungen, Frau Präsidentin. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Arfst Wagner [Schleswig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Alpers hatte sich gemeldet, um mit einer Kurzintervention auf die Rede von Herrn Schummer zu reagieren. Ihr möchte ich jetzt die Gelegenheit dazu geben. Agnes Alpers (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Schummer, hätten Sie den Berufsbildungsbericht intensiv gelesen, würden Sie die regelmäßigen Veröffentlichungen des Bundesinstitutes für Berufsbildung lesen, wüssten Sie genau, woher meine Zahlen kommen. Das als Aufklärung über die Behauptung, ich benutzte falsche Zahlen. Interessant fand ich: In Ihrem Antrag legen Sie einen Schwerpunkt darauf, dass auch leistungsstarke Jugend-liche – vielleicht gehen sie auf ein Gymnasium – tatsächlich mehr in die duale Ausbildung integriert werden; dazu gibt es einen Spiegelstrich in Ihrem Antrag. Ein anderer Spiegelstrich besagt, Berufsorientierung für möglichst viele Schülerinnen und Schüler sei nötig, gerade im Theorie-Praxis-Verhältnis. Die Wirtschaft sagt: Wir wollen keine Gymnasiasten, wir wollen keine Absolventen; wir wollen Persönlichkeiten. Aber – das beantworten Sie mir bitte – warum hat die Koalition alle Gymnasien aus der Berufsorientierung herausgenommen, wo doch klar ist, dass alle Schüler dieses Theorie-Praxis-Verhältnis kennenlernen sollen? Erklären Sie mir das bitte noch einmal. Vielen Dank. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Schummer zur Antwort. Uwe Schummer (CDU/CSU): Erstens. Alle Zahlen, die Sie aus dem Berufsbildungsbericht zitiert haben, sind richtig; alle anderen waren verkehrt. Nun zum Thema Übergangssystem. Wir haben bei den begrenzten finanziellen Mitteln natürlich eine Entwicklung in Stufen. Die Bildungsketten, die seit drei Jahren zur Glättung des Übergangssystems entwickelt werden – vorgesehen ist mehr Vorlaufzeit; ich habe das zu Beginn geschildert –, sollen bei den Hauptschulen, bei den Realschulen und bei den Gesamtschulen starten. Natürlich brauchen wir, da auch hier die Abbrecherquote groß ist, beispielsweise beim Übergang von der Schule in die Universitäten, eine Studienvorbereitung; dort liegt die Abbrecherquote in einigen Bereichen bei 40 Prozent, in der beruflichen Ausbildung bei etwa 23 oder 24 Prozent. Das wird man nacheinander entwickeln. Ich überlege mit Blick auf meinen Heimatkreis derzeit: Welche Maßnahmen werden im Kreis Viersen an welchen Schulen durchgeführt? Das sind zum Beispiel Potenzialanalysen, die in den Werkstätten durchgeführt werden; das sind Berufseinstiegsbegleiter für diejenigen, die einen besonderen Förderbedarf haben, und letztlich sind das die betrieblichen Praktika. Auf der Bundesebene besteht die Aufgabe, dieses in die Regionen zu transportieren und zu schauen, dass dort kein Kind verloren geht. Da beziehen wir wahrscheinlich auch mit -Ihnen eine gemeinsame Position. Aber das ist die konkrete Politik, die wir mit Annette Schavan seit einigen Jahren praktizieren und die wir weiter ausfeilen werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Agnes Alpers [DIE LINKE]: Warum keine Berufsbildungspolitik an Gymnasien?) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Sylvia Canel das Wort für die FDP. (Beifall bei der FDP) Sylvia Canel (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich eine schwere Stunde für unsere Opposition. Ich leide in Solidarität ein bisschen mit Ihnen; denn der -Berufsbildungsbericht ist ein echtes Highlight, und all Ihre Bemühungen, mit parteipolitischer und rhetorischer Profilierung zu punkten, sind leider wirklich nicht richtig am Platz. (Willi Brase [SPD]: Was machen Sie denn anders? Sie machen doch auch nur parteipolitische Profilierung! Das ist doch Quatsch! Das ist furchtbar!) Sie müssen doch jetzt zur Kenntnis nehmen: Es geht hier um junge Menschen. Diese jungen Menschen haben in viel größerem Umfang als vorher einen Ausbildungsplatz bekommen. Der Berufsbildungsbericht 2012 belegt auf hervorragende Art und Weise, wie sich die Ausbildungsbedingungen in Deutschland dank unserer richtigen Bildungspolitik, der Bildungspolitik dieser Regierung, stetig verbessert haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Weil die Jugendlichen weniger geworden sind!) Nach den Diskussionen, die wir hier gehört haben, müssen wir wieder auf das Wesentliche zurückkommen, nämlich auf den Kern des Berichts. Vor allem die duale Ausbildung wird in der Gesellschaft hoch angesehen. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das war aber schon vor Ihrer Zeit so!) Da dies letztlich der entscheidende Faktor ist für die geringe Jugendarbeitslosigkeit, dürfen wir auch stolz auf diesen Bericht sein; denn die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland liegt gerade einmal bei 8,1 Prozent – im Vergleich zum europäischen Durchschnitt, der nämlich bei 23,4 Prozent liegt. Das sind Zahlen, die sich sehen lassen können, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Folglich wird das Konzept der dualen Ausbildung in manche europäische Nachbarländer und auch in Länder auf der ganzen Welt exportiert, und dies völlig zu Recht. Wir sehen, dass beispielsweise in Spanien eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit besteht. Jeder zweite Jugendliche dort hat keinen Ausbildungsplatz. Deshalb ist es gut und richtig, wenn unsere Kammern Initiativen ergreifen, den betroffenen Jugendlichen zu helfen. Ich habe das – ich weiß gar nicht, wer das hier genannt hat – mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Aber wenn jeder zweite Jugendliche keine Ausbildung hat, ist es gut und richtig, wenn von Deutschland geholfen wird. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Insgesamt geht aus dem Berufsbildungsbericht hervor, dass die Zahl der betrieblichen Ausbildungsverträge weiter zugenommen hat, nämlich um 1,8 Prozent. Es sind etwas mehr als 570 000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. Das ist eine gute Zahl. (Willi Brase [SPD]: Das war mal mehr, Frau Kollegin!) Es gibt mehr unbesetzte Ausbildungsplätze als unversorgte Bewerber. Vielleicht mögen Sie die Zahlen nicht, aber sie sind richtig, und sie müssen genannt werden: Es gibt knapp 30 000 unbesetzte Ausbildungsstellen, denen nur 11 550 unversorgte Bewerberinnen und Bewerber gegenüberstehen. Meine Damen und Herren, wir haben es hier mit einer guten wirtschaftlichen Entwicklung und damit auch mit einem guten Angebot an Ausbildungsplätzen für junge Leute zu tun. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Zahl der Altbewerber hat sich zunehmend verringert: 5,7 Prozent sind es weniger. Auch diese Zahl ist ein Parameter für eine erfolgreiche Politik. Es gibt weniger Jugendliche im Übergangsbereich. Wir haben diesen Übergangsbereich hier völlig zu Recht relativ intensiv diskutiert. Natürlich ist das ein Problem, an dem gearbeitet werden muss. Aber, meine Damen und Herren, dabei dürfen Sie doch nicht vergessen, zu erwähnen, dass sich dieser Bereich um 8 Prozent verringert hat. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Ja, die Jugendlichen werden weniger! Des-wegen!) Also, die Richtung der Regierung stimmt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, Frau Alpers würde Ihnen eine Frage stellen wollen. Möchten Sie die zulassen? Sylvia Canel (FDP): Nein. Danke. Dennoch steht das duale Ausbildungssystem in Deutschland vor neuen Herausforderungen, und diese Herausforderungen müssen wir annehmen. Das tun wir in der Regierung. Sie haben es hier gehört. Auch unsere Bildungsketten sind dabei, zu greifen. Meine Damen und Herren, wenn Sie schon kein Haar in der Suppe finden, dann sagen Sie doch einfach einmal: Klasse, dass wir in Deutschland so gut vorankommen! Gut, dass Frau Annette Schavan, unsere Ministerin, und die Regierung aus FDP und CDU/CSU so vieles geleistet haben! Hier geht es um Jugendliche. Wir finden das richtig. Danke sehr. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Agnes Alpers [DIE LINKE]: Es geht hier nicht um das Haar in der Suppe, sondern es geht um Millionen von jungen Menschen!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Albert Rupprecht hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Natürlich ringen wir um jeden Jugend-lichen, und natürlich darf kein Jugendlicher auf dem Weg verloren gehen. Aber das ist nur eine Seite. Die andere Seite der Geschichte ist, dass das duale Bildungssystem nicht primär ein soziales Auffangbecken ist, (Michael Gerdes [SPD]: Das hat niemand -behauptet!) sondern dass es das qualitativ beste Ausbildungssystem für Fachkräfte auf dieser Welt ist. Deswegen ist es zu wenig, ausschließlich den Jugendlichen mit Problemen zu helfen; wir müssen auch überlegen, wie wir das gesamte System dauerhaft für die breite Masse der Jugendlichen attraktiv erhalten. Nur dann werden die Betriebe ein Interesse haben, dauerhaft auszubilden, wenn sie leistungsfähige und leistungsbereite Jugendliche für das System gewinnen können. Die Zahl wurde genannt: Die Unternehmen leisten derzeit bei der Ausbildung von 1,5 Millionen Aus-zubildenden mit beinahe 30 Milliarden Euro einen Riesenkraftakt. Das ist mehr Geld, als Länder und Bund gemeinsam für die Lehre an den Hochschulen investieren. (René Röspel [SPD]: Das ist doch deren -ureigenste Aufgabe!) – Ja, das ist ihre ureigenste Aufgabe, aber es ist trotzdem eine herausragende Leistung, die immer wieder gelobt und genannt werden muss, sehr geehrte Damen und -Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen, dass die Betriebe dauerhaft ausreichend leistungsstarke Jugendliche für das duale System gewinnen können; das ist auch notwendig. In Zeiten aber, in denen aufgrund der demografischen Entwicklung immer weniger Jugendliche da sind und in denen immer mehr Jugendliche an die Hochschulen drängen, besteht die Gefahr, dass das duale System ausgehöhlt wird. Herr Kollege Brase, Sie haben die richtigen Fragen gestellt. Nur, das Problem ist, dass Sie mit den Antworten in Ihrem Antrag, wie ich finde, letztendlich zu kurz springen. Im Jahr 2000 hatten wir noch doppelt so viele Ausbildungsverträge wie Studienanfänger. Im Jahr 2012 war die Zahl der Jugendlichen, die eine Ausbildung begonnen haben, und derjenigen Jugendlichen, die an die Hochschulen gegangen sind, beinahe gleich hoch. Ja, wir brauchen Ärzte, wir brauchen Ingenieure, wir brauchen Lehrer, aber gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass wir das Fundament unseres Wirtschaftssystems – das ist auch das duale System – nicht kaputtmachen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir brauchen auch künftig ausgebildete Fachkräfte. Es geht uns um das Element der beruflichen Handlungskompetenz, die in der dualen Ausbildung erworben wird. Deswegen müssen wir nicht nur die duale Ausbildung, sondern auch das duale Bildungssystem als solches in Gänze weiterentwickeln. Wir brauchen nicht, Kollege Brase, ein Entweder-oder, eine berufliche oder eine akademische Ausbildung. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das hat kein Mensch gesagt! Zuhören!) – Das habe ich auch nicht unterstellt; ich beziehe mich nur auf Ihre Fragestellung. – Ich glaube, dass die Weiterentwicklung darin liegt, dass wir sowohl beruflich als auch akademisch ausbilden müssen. Das heißt, wir brauchen ein Sowohl-als-auch. Wenn das der Schlüsselsatz ist, wenn das das Leitbild für die Zukunft sein muss und sein wird, dann heißt das: Wir müssen duale Bildung und Hochschulen zusammenbringen, zum Beispiel mit dualen Studiengängen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, haben seit dem Dresdner Bildungsgipfel 2008 sehr wohl einiges erreicht. Zum Ersten haben die Länder ihre Hochschulgesetze geöffnet. Fast jeder beruflich Qualifizierte hat nun die Möglichkeit, fachbezogen zu studieren. Das ist Durchlässigkeit. Zum Zweiten brauchen wir aber auch einen weiteren Ausbau der dualen Studiengänge. Zurzeit gibt es über 60 000 Studierende in dualen Studiengängen. Ich bin der Meinung, dass das erst der Anfang sein kann. In diesem Bereich gibt es in der Tat erhebliches Potenzial. Es ist kein Randbereich – so wird das Thema duales Studium oft eingeordnet –, sondern es ist eine substanzielle, wichtige Weiterentwicklung, die den Anforderungen des demografischen Wandels entspricht. Zu den Anträgen der Opposition. Es waren durchaus vernünftige Vorschläge dabei. Bei den Linken erlaube ich mir, zu sagen: wenige. Bei den Grünen und der SPD gab es, wie gesagt, durchaus vernünftige Vorschläge. Ich glaube aber trotzdem, dass es allen diesen Vorschlägen an einem mangelt: Sie sind zu rückwärtsgewandt. Sie geben auf die Frage, wie wir das duale System auf Dauer attraktiv erhalten können, keine Antwort. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Zeiten haben sich vollkommen geändert. Wenn wir während der Regierungszeit von Rot-Grün einen dramatischen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit verzeichneten und eine schlimme Lehrstellenkrise erlebten, so stellen wir heute, Jahre später, fest, dass wir seit fünf Jahren mehr freie Lehrstellen als unversorgte Bewerber haben. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Die Zahl der jungen Menschen geht doch auch -zurück!) – Kollegin Schieder, das ist richtig. Die demografische Entwicklung gibt es auch in Spanien. Trotzdem haben in Spanien 50 Prozent der Jugendlichen keinen Arbeitsplatz. Die Entwicklung bei uns hat sich natürlich auch durch die demografische Entwicklung ergeben. Aber wenn man den Vergleich zu anderen Ländern zieht, sieht man, dass das überhaupt keine Selbstverständlichkeit ist, dass es vielmehr hausgemacht ist. Es liegt an der Kraft Deutschlands in einer Zeit internationaler Krisen und auch an der Kraft des dualen Ausbildungssystem, dass wir so erfolgreich sind. Lassen Sie mich abschießend auf einen erstaunlichen Vorgang hinweisen, der bisher nicht erwähnt worden ist. Die SPD hat jahrelang populistisch eine allgemeine -Ausbildungsplatzabgabe gefordert. Wir haben dieses Ausbildungsplatzvernichtungskonzept all die Jahre – Gott sei Dank – verhindern können. Im heute vorliegenden Antrag hat die SPD die Forderung nach dieser Ausbildungsplatzabgabe klammheimlich beerdigt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich finde es gut, Herr Kollege Brase, dass die SPD eingesehen hat, dass sie jahrelang auf dem Holzweg war. Es wurde Zeit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Willi Brase [SPD]: Dann stimmen Sie doch unserem Antrag zu!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Ewa Klamt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ewa Klamt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das deutsche Berufsbildungssystem ist ein Erfolgs-modell, um das wir weltweit beneidet werden. Kai Gehring, wir teilen es gerne mit unseren europäischen Nachbarn. Frau Ministerin hat es gesagt: Es fand vor kurzem die Berufsbildungskonferenz mit Vertretern von sechs Mitgliedstaaten statt. Umsetzen müssen diese -Länder es schon selber. Gerade unser deutsches Ausbildungssystem hat dazu beigetragen, dass bei uns die Jugendarbeitslosigkeit bei 8,2 Prozent liegt, während sie im europäischen Durchschnitt 22,4 Prozent beträgt. Wir wollen dieses erfolgreiche Modell der dualen Ausbildung weiter stärken und es an die künftigen Herausforderungen anpassen. Dass der Bund seit 2005 gerade mit Blick auf benachteiligte Jugendliche, mit Blick auf die Weiterentwicklung der beruflichen Bildung etwas auf den Weg gebracht hat, zeigen die Fakten. Deutlich zurückgegangen, nämlich um 5,7 Prozent, ist die Zahl derer, die noch 2010 unversorgt geblieben sind. Das waren 10 000 junge Menschen. Ebenso können wir konstatieren, dass es im Jahr 2011 10 000 neue Ausbildungsplätze gegeben hat. Frau Alpers, dies ist im Bundesbildungsbericht nach-zulesen. Trotzdem beträgt die Zahl der Unversorgten jetzt noch 174 000, um die wir uns besonders kümmern müssen. Vor vier Jahren waren dies allerdings noch 100 000 mehr. Das zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Brase und Herr Gehring, auch die Zahl der Eintritte in das Übergangssystem sinkt kontinuierlich: um 8 Prozent im Jahr 2011. Und ganz entscheidend ist: Seit 2005 sank die Zahl um knapp 30 Prozent. Das ist keine Konsequenz der demografischen Entwicklung, sondern es ist das Resultat zahlreicher Maßnahmen unter Teilnahme vieler Akteure. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Gefordert sind hier nämlich Bund und Länder gleichermaßen. Mein Bundesland Niedersachsen zeigt, wie man es richtig macht, und zwar durch die Weichenstellung, die die CDU-FDP-Regierung 2003 getroffen hat. Das geschieht nicht nur durch Lösungen, die erst dann ansetzen, wenn es um den Übergang in die Berufsausbildung geht. Lösungen müssen viel früher ansetzen, nämlich schon im vorschulischen und im schulischen Bereich. Deshalb haben wir in Niedersachsen für eine frühzeitige Feststellung der Sprachfertigkeit und eine gezielte Sprachförderung vor Schuleintritt gesorgt. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Sehr gut!) Dafür sind auch finanzielle Prioritäten gesetzt worden. In Niedersachsen geht heute jeder dritte Euro des Landeshaushaltes in die Bildung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Und so, liebe Kolleginnen und Kollegen, schafft man es in Niedersachsen, jungen Menschen eine Versicherung gegen Jugendarbeitslosigkeit zu bieten. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Dann sollte man die Regierung auch wieder wählen!) 2003, am Ende der Amtszeit der SPD-geführten Regierung in Niedersachsen, sah das noch ganz anders aus. Der Anteil der Jugendlichen ohne Schulabschluss lag bei 10,4 Prozent – eine desaströse Hinterlassenschaft. Heute, zehn Jahre später, haben wir diese Zahl dank vieler erfolgreicher Maßnahmen praktisch halbiert, wir liegen jetzt bei 5,4 Prozent. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Seit 2003 sanken in Niedersachsen die Schülerzahlen um 100 000. Wir haben in diesem Zeitraum jedoch die Anzahl der Lehrkräfte erhöht. Wir haben eine engere -Zusammenarbeit von Haupt- und Realschulen mit den berufsbildenden Schulen geschaffen, die mittlerweile bundesweit als führend gilt. Damit verbessern sich nachweislich die Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Heute gibt es ein flächendeckendes Kompetenzfeststellungsverfahren ab Klasse acht, das für eine frühzeitige Orientierung der Jugendlichen sorgt. Das alles zeigt: Wenn man die guten Programme des Bundes mit guten Maßnahmen und innovativen Aktivitäten vor Ort zusammenführt, dann kann man für unsere jungen Menschen sehr viel schaffen. Darum würde ich mich erstens sehr freuen, wenn Sie unserem Antrag heute zustimmen könnten, und zweitens, wenn wir die Regierung in Niedersachsen fortsetzen könnten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Das war unsere Kollegin Ewa Klamt für die Fraktion der CDU/CSU. Wir sind am Ende unserer Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 17/12089. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/10986 mit dem Titel „Das deutsche Berufsbildungssystem – Versicherung gegen Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/10116 mit dem Titel „Jugendliche haben ein Recht auf Ausbildung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? – Das sind die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/10856 mit dem Titel „Perspektiven für 1,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss schaffen – Ausbildung für alle garantieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen, die sozialdemokratische Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! – Das ist die Fraktion Die Linke. Enthalten hat sich infolgedessen niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9586 mit dem Titel „Mit DualPlus mehr Jugendlichen und Betrieben die Teilnahme an der dualen Ausbildung ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Linksfraktion. Gegenprobe! – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe somit den Tagesordnungspunkt 12 unserer heutigen Beratungen auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten gewährleisten – Drucksache 17/11880 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Dem widerspricht niemand. Dann haben wir dies gemeinsam so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Karin Binder. Bitte schön, Frau Kollegin Karin Binder. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Kind soll mit knurrendem Magen die Schulbank drücken; da werden Sie mir sicherlich alle zustimmen. Aber im bundesdeutschen Schulalltag sieht es leider anders aus. Dazu eine kurze Situationsbeschreibung: Ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler geht morgens ohne Frühstück aus dem Haus. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was?) Wer sich das Mittagessen nicht leisten kann, bekommt oft erst wieder am Abend zu Hause eine anständige Mahlzeit. Die Eltern sind oft an ihrer Leistungsgrenze. Die Anforderungen der heutigen Arbeitswelt im Hinblick auf Flexibilität und Mobilität, weite Wege zum Arbeitsplatz und ständige Verfügbarkeit lassen es nicht zu, dass Mutti oder Vati kocht und um eins das Mittagessen auf dem Tisch steht. Außerdem verbringen Kinder immer mehr Zeit des Tages in Schule oder Kindergarten. Auch häufiger Nachmittagsunterricht führt zu längeren Schultagen. Immer mehr Kinder besuchen eine Ganztagseinrichtung. Wir alle wissen, welche Folgen eine Fehlernährung mit Fastfood bei Kindern haben kann. Deshalb gehören ein gutes Mittagessen und eine vernünftige Pausenverpflegung, für alle Kinder und kostenfrei, zum guten Lernen im Schulalltag dazu. (Beifall bei der LINKEN) Warum ist das so wichtig? Alle Kinder und Jugendlichen brauchen eine Chance, unabhängig von ihrer Herkunft und vom Geldbeutel der Eltern. Um gesund aufwachsen und Bildung wahrnehmen zu können, braucht man eine vernünftige Verpflegung über den Tag hinweg. Wir hier im Bundestag können dazu beitragen, Bildungsunterschiede abzubauen und allen Kindern eine gesunde Entwicklung und einen guten Schulabschluss zu ermöglichen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Kinder und Jugendliche in der Lage sind, eine Ausbildung aufzunehmen und einen vernünftigen Beruf auszuüben, damit sie später ihre Existenzgrundlage eigenständig erwirtschaften können. Darum ist Schulverpflegung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der Bund hat die Verantwortung und die Pflicht, sich um die Finanzierung zu kümmern. (Beifall bei der LINKEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wieso das denn?) In Firmen und Behörden, auch hier im Bundestag, wird die Kantine wie selbstverständlich eingeplant. In vielen Schulen gibt es aber nicht einmal einen Pausenraum. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Warum nicht?) Kinder werden häufig in Kellerräumen, bestenfalls in der Aula mit einem aufgewärmten oder lange warmgehaltenen Essen abgespeist. Viele Schulen bieten gar kein warmes Mittagessen an – trotz der deutlichen Zunahme der Zahl der Ganztagsschulen. Es fehlt an qualifiziertem Personal und Räumlichkeiten. Kommunen bzw. Schul-trägern stehen manchmal nur 1,60 Euro pro Essen zur Verfügung. Das ist die traurige Realität. Damit müssen wir Schluss machen. (Beifall bei der LINKEN) Das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung ist dabei leider keine Hilfe. Kinder und Eltern müssen als Bittsteller bürokratische Hürden überwinden, um einen Zuschuss für eine Schulmahlzeit zu bekommen. (Carola Stauche [CDU/CSU]: Das stimmt überhaupt nicht!) Das ist unwürdig und obendrein unsinnig. Allein der Verwaltungsaufwand schluckt Mittel, die viel sinnvoller direkt in die Schulspeisung investiert werden könnten. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Sehr richtig!) In Sachen Schul- und Kitaverpflegung ist Deutschland leider ein Entwicklungsland. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Ernährung und Lernerfolg unbestritten. Im Laufe eines Schul- oder Kitatages sollten Kinder und Jugendliche mit dem Essen rund 40 Prozent ihrer Tagesenergie aufnehmen. Ist das nicht gewährleistet, sind Konzentrations- und Lernschwächen vorprogrammiert. Aus diesem Grund müssen schon bei der Planung einer Schule oder Kita die Kantine und im Lernalltag die Verpflegung in den Mittelpunkt gerückt werden. Dass so etwas geht, haben uns Schülerinnen und Schüler der Offenen Schule Kassel-Waldau im Rahmen einer Veranstaltung der Fraktion Die Linke im Oktober 2012 eindrucksvoll dargestellt. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Vom Bund finanziert?) Dort ist die Schulverpflegung fester Bestandteil des Unterrichtstages. Die Kinder und Jugendlichen planen gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern sowie mit den Eltern ein vielfältiges Angebot und abwechslungsreiche Menüs – bio und möglichst aus regional erzeugten Produkten. Das wird von allen gerne angenommen. Damit kommen wir zum Kern der Sache, nämlich zu den Kosten und zur Finanzierung. Unabhängig von der Frage, wer am Ende das Schul- und Kitaessen bezahlt: Für eine hochwertige und leckere Verpflegung sollten mindestens 4 Euro pro Tag und Kind angesetzt werden. Da die Länder aber mit der Schuldenbremse und viele Kommunen mit einer Haushaltssperre belastet sind, fordert die Linke, dass die Bundesregierung bundesweit und flächendeckend eine hochwertige und unentgeltliche Schul- und Kitaverpflegung auf den Weg bringt und die Finanzierung dafür übernimmt. (Beifall bei der LINKEN) Der Bund trägt die gesamtgesellschaftliche Verantwortung und ist zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland verpflichtet. Dafür hat er auch die Finanzierung sicherzustellen. Nun zu weiteren Punkten in unserem Antrag. Die Umsetzung muss gemeinsam mit den Ländern, den Kommunen bzw. den Schulträgern, den Lehrerinnen und Lehrern, den Schülerinnen und Schülern und den Eltern erfolgen. Ein weiterer wichtiger Punkt unseres Antrags: Das Fachwissen und das Engagement der Vernetzungsstellen Schulverpflegung werden dafür dringend benötigt. Deshalb sind sie im Rahmen des Aktionsplans „IN FORM“ dauerhaft abzusichern. Ein weiterer Punkt unseres Antrags: Qualitätsstandards, wie sie zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Ernährung herausgibt, müssen verbindlich in Schul- und Kitagesetze aufgenommen werden, damit die Kinder nicht nur abgespeist werden. „Hauptsache satt“ führt nicht zum Erfolg. Ernährung ist kein Thema für den Frontalunterricht. Schülerinnen und Schüler sollen selbst kochen, einkaufen und vielleicht auch in einem Schulgarten Obst und Gemüse selbst anbauen und ernten. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig, aber das hat nichts mit Verpflegung zu tun!) Schul- und Kitaverpflegung soll möglichst mit Erzeugnissen aus der Region frisch vor Ort zubereitet werden. Das Essen soll abwechslungsreich, ohne Geschmacksverstärker, Aromen und andere Zusatzstoffe sein. Finanziell klamme Kommunen brauchen Investitionshilfen des Bundes, um geeignete Kantinen und Essräume einzurichten. In einem ersten Schritt soll es auch um die Mehrwertsteuer gehen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ist ja gar kein Problem!) Zumindest eine Reduzierung oder nach Möglichkeit der Erlass der gesamten Mehrwertsteuer wäre sinnvoll und hilfreich. (Beifall bei der LINKEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben keine Ahnung!) Um es noch einmal deutlich zu machen: Das gemeinsame Frühstück und das gemeinsame Mittagessen schaffen Erfahrungswerte und unterstützen eine gute Ernährungsweise und den Lernerfolg bei allen Kindern. In Ländern mit hohen Bildungserfolgen, wie zum Beispiel in Finnland und Schweden, ist das unentgeltliche Schulessen eine Selbstverständlichkeit. Ich frage Sie also: Was ist Ihnen die gesunde Ernährung und Entwicklung und der Lernerfolg der Kinder in Deutschland wert? Nehmen Sie gemeinsam mit der Linken die Verantwortung für die Kinder in Deutschland wahr. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Karin Binder. – Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Frau Mechthild Heil. Bitte schön, Frau Kollegin Mechthild Heil. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mechthild Heil (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir über das wichtige Thema „Gesunde Ernährung und Schulverpflegung“ sprechen; denn wir haben im wahrsten Sinne des Wortes ein schwerwiegendes Problem in Deutschland. 15 Prozent der 3- bis 17-Jährigen sind übergewichtig, und 6 Prozent unserer Kinder leiden bereits an Adipositas. Das ist nicht nur ein individuelles Problem, sondern auch ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es geht dabei nicht um ein Modeideal, das Schlankheit diktiert. Vielmehr geht es darum, dass aus den vielen übergewichtigen Kindern auch übergewichtige Erwachsene werden, die an den Folgen wie Diabetes, Bluthochdruck oder an Problemen mit dem Bewegungsapparat leiden werden. So weit wollen wir es nicht kommen lassen. Deshalb gilt es, präventiv tätig zu werden. Der Schlüssel für eine gesunde Lebensweise liegt in ausreichender Bewegung und in guter Ernährung. Die Grundlagen dafür werden schon in ganz jungen Jahren gelegt. An erster Stelle ist deswegen die Familie zu nennen. Die Eltern und die Geschwister leben die Bewegungs- und Ernährungsgewohnheiten vor, an denen sich die Kinder orientieren. Diese festigen sich dann im weiteren Leben. Das Frühstück, liebe Frau Binder, gehört natürlich zunächst in den Rahmen der Familie. (Karin Binder [DIE LINKE]: Faktisch sieht es anders aus!) Neben den Familien werden aber auch die Kitas und die Schulen immer wichtiger bei der täglichen Verpflegung unserer Kinder. Die Zahl der Ganztagsschulen – um ein Beispiel zu nennen – hat sich seit 2003 verdreifacht, das heißt, Ernährung findet nicht mehr nur zu Hause statt, sondern einige Kinder werden hauptsächlich in öffentlichen Einrichtungen ernährt. Damit wächst -natürlich die Verantwortung der Schulen und der Kindergärten für das Ernährungsverhalten der Kinder. Die Fakten sind also klar. Aber was machen die Kollegen von der Linken daraus? Sie stellen einen absurden Antrag. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Karin Binder [DIE LINKE]: Was ist daran -absurd? Ihre Reaktion ist absurd!) Ihr Antrag ist absurd, weil Ihre Forderungen erstens zum großen Teil schon umgesetzt wurden, (Lachen des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE]) und zweitens ist er an die komplett falsche Adresse gerichtet; denn der Bund ist nicht zuständig. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Es sollen sich immer die anderen darum kümmern!) Das Grundgesetz steht einer vollen, direkten Finanzierung der Schulverpflegung durch den Bund entgegen. Das schreiben Sie auch selbst im Antrag. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das ist keines der Zehn Gebote! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Lieber mal lesen!) Bildung ist nun einmal klassische Länderaufgabe. Was können wir auf Bundesebene tun, ohne den Ländern ins Handwerk zu pfuschen? Informieren, informieren und noch einmal informieren. In diesem Fall gilt -ausnahmsweise: Viel hilft viel. Vielleicht hilft auch an dieser Stelle der Hinweis an die Linken, endlich zu -erkennen, dass wir in Deutschland schon sehr gut auf-gestellt sind und dass ihr Antrag nicht nur absurd, sondern auch völlig überflüssig ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Gut, dass die Eltern es besser wissen als Sie!) Erstens. Seit 2008 gibt es den nationalen Aktionsplan „IN FORM“, Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung. Im Rahmen von IN FORM unterstützt unser Ministerium, das BMELV, in allen Bundesländern Vernetzungsstellen zur Schulverpflegung. Diese Vernetzungsstellen wiederum unterstützen die Schulen und die Kitas. Sie bieten umfassende Informationen über eine bedarfsgerechte und gesunde Verpflegung an, organisieren Fortbildungsveranstaltungen und vermitteln Fachkräfte für die Beratung vor Ort. Die Grundlage hierfür bietet der „DGE-Qualitätsstandard für die Schulverpflegung“, der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entwickelt wurde. Für die Verantwortlichen vor Ort ist das eine sehr große Hilfe; denn jetzt gibt es erstmals wissenschaftlich gesicherte, praxisbezogene bundesweite Standards. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig! – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist wichtig!) Allerdings entscheiden die Bundesländer und je nach Landesregierung sogar die Schulträger oder die Schulen selbst, in welcher Weise die Standards in den Schulen umgesetzt werden. Die Bundesländer entscheiden das, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Über IN FORM werden zum Beispiel gefördert: der „aid-Ernährungsführerschein“ für Grundschüler, das Unterrichtskonzept „SchmExperten“ für weiterführende Schulen sowie die von der Verbraucherzentrale durch-geführte „Ess-Kult-Tour“. Übrigens mehr als eine halbe Million Kinder haben den Ernährungsführerschein schon erworben. Das Projekt erreicht die Kinder also tatsächlich. Das ist kein Papiertiger. Die Kinder geben ihr -Wissen und ihre Begeisterung an ihre Familien weiter. So muss man das machen. Das ist der richtige Weg, meine Damen und Herren von der Linken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Karin Binder [DIE LINKE]: Und die Kinder essen dann den Ernährungsführerschein? – Gegenruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]: Frau Binder, Sie haben keine Ahnung!) Zweitens. Seit Herbst 2009 stellt die Europäische Union Mittel für Schulfruchtprogramme zur Verfügung. In mehreren Bundesländern gibt es mittlerweile Schulobstprogramme, die sehr positiv aufgenommen werden. In Deutschland stehen dafür pro Jahr 12,5 Millionen Euro zur Verfügung. Drittens. Mit dem Schulmilchprogramm stellt die -Europäische Union weitere 6,3 Millionen Euro an -Zuschüssen für Deutschland bereit. Milch und Milch-produkte werden damit in den Schulen angeboten. Bei der Mittagsverpflegung wird der Fokus ferner auf Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen -Familien gelegt. Im Rahmen des Bildungs- und Teil-habepaketes des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erhalten sie das Mittagessen in Kitas, Schulen und Horten. Das Angebot wird sehr gut angenommen. (Diana Golze [DIE LINKE]: Wenn es Mittagessen gibt! Die meisten Schulen bieten das nicht einmal an!) Das ist die am häufigsten genutzte Komponente des Bildungspakets. Frau Binder, wir haben das gemacht. Sie meckern immer nur herum, während wir handeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Karin Binder [DIE LINKE]: Was kommt denn davon bei den Leuten an?) Was können wir darüber hinaus noch tun? Ich plädiere für die Integration des Themas „Gesunde Er-nährung und Bewegung“ in das bestehende Fächerangebot aller Bildungseinrichtungen. (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Ländersache, Frau Kollegin!) – Das ist Ländersache. Deswegen appelliere ich. Sonst würden wir das ja selber tun. Danke! – Wir brauchen einen fächerübergreifenden Ansatz. Es reicht eben nicht, den Kindern wortlos einen Apfel oder ein Glas Milch in die Hand zu drücken, garniert mit der Aussage: Bewegt euch ruhig mal! Wir müssen ein Bewusstsein für gesunde Verhaltensweisen schaffen – konstruktiv und vor allen Dingen positiv –, über Spaß und ein gutes Selbstgefühl. Wir können alle als gute Vorbilder für unsere Kinder und Jugendlichen vorangehen; denn Heranwachsende lernen die Muster und ahmen Verhalten nach. Das gilt für Bewegungsabläufe genauso wie für den sprachlichen Ausdruck, aber eben auch für die Ernährungsgewohnheiten. Allerdings gilt frei nach dem Motto „Die Alten joggen, die Jungen hocken!“ auch – das gebe ich zu –, dass sich die Alterseinsicht nicht zwangsläufig auf die Kinder überträgt. Deshalb hat unsere Regierung diese tollen Projekte gestartet. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was war Ihr Motto?) – Die Alten joggen, und die Jungen hocken. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ihr Motto?) – Das ist mein Motto, ja. Wir wollen die Kinder direkt erreichen und zu einer gesunden und bewegten Lebensweise motivieren. Jetzt sind die Länder in der Pflicht: Bleiben Sie also nicht -hocken. Nutzen Sie diese Angebote noch besser, als Sie das bisher getan haben. Das ist eine Investition in die Zukunft. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollegin Mechthild Heil. – Als Nächste spricht für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Petra Crone. Bitte schön, Frau Kollegin Petra Crone. (Beifall bei der SPD) Petra Crone (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Die Geschichte der Schulverpflegung in Deutschland kann man nur im -Zusammenhang mit der Geschichte der Ganztagsschule erzählen. Viele unserer europäischen Nachbarn haben seit jeher eine Ganztagsschultradition. In Deutschland gab erst der PISA-Schock den Anstoß. Die rot-grüne -Bundesregierung legte vor zehn Jahren das Programm „Zukunft Bildung und Betreuung“ vor. Investiert wurden 4 Milliarden Euro in den Aus- und Umbau von über 7 000 Schulen. (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Jetzt stehen die Küchen leer!) Damals wurde von der Kultusministerkonferenz auch festgelegt, dass den Schülern der Ganztagsschule ein Mittagessen bereitgestellt wird. Auf das erfolgreiche Programm folgte Anfang 2009 – wieder kam die Initiative von der SPD – das Konjunkturpaket II. Erneut kam es zu Investitionen im Bildungsbereich in Milliardenhöhe. Heute bietet die Hälfte aller Schulen einen Ganztagsbetrieb an, der von jedem dritten Schüler bzw. jeder dritten Schülerin genutzt wird. Der Ausbau geht weiter. Er muss weitergehen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat hierfür das Projekt „Gute Ganztagsschule“ entwickelt. Bei Ganztagsschulen geht es um bauliche Notwendigkeiten, aber auch um Methodik und Didaktik in Verbindung mit außerschulischem Engagement. Das sind zweifellos bedeutende Themen. Haben wir aber auch über das per Definition vorgeschriebene Mittagessen und über die Bedeutung der Fakten nachgedacht, dass unsere Kinder nämlich 40 Prozent ihrer Energie durch Schulverpflegung decken müssen? Haben wir zu sehr auf den Kopf geschaut und dabei den Magen vergessen? Gehört die Ernährung nicht unerlässlich zur ganzheitlichen Bildung? Hinzu kommt die überstürzte Einführung des Abis nach zwölf Jahren. G 8 ergibt Stress bei den Kindern plus Groll bei den Eltern. (Beifall bei der SPD) Obwohl die Schüler nachmittags mit einer Fülle an Stoff kämpfen, sind Cafeterien oder gar Mensen Mangelware oder mangelhaft. Liebe Kollegen und Kolleginnen, bei der Vorbereitung dieser Rede sind mir zwei Schlagzeilen aus dem Jahr 2012 in den Sinn gekommen. Eine lautete: „Erdbeeren aus China verursachen eine Epidemie unter Tausenden Schülern“, eine andere: „Der Ernährungsbericht 2012 vermeldet einen Rückgang des Übergewichts bei Kindern in nahezu allen Bundesländern.“ Was ziehen wir daraus für Lehren? Erstens. In vielen Schulkantinen ist nichts gut. Zweitens. Eine intensive Aufklärungsarbeit zeigt Wirkung. Darum müssen wir mit gemeinsamer Kraftanstrengung die Verpflegung für unsere Kinder an den Schulen etablieren und verbessern. Das wird nicht leicht sein, es ist aber auch kein Ding der Unmöglichkeit. Liebe Kollegen und Kolleginnen, in Schweden und Finnland ist das Essen für alle Kinder kostenlos, Standards inklusive. Ob Schulverpflegung gesellschaftlich akzeptiert wird, ist an Rahmenbedingungen geknüpft. Hier sind die Gleichstellungs- und Familienpolitik gefragt. In Schweden existiert das Leitbild der in Vollzeit erwerbstätigen Frau. Da ist es überhaupt keine Frage, dass die staatliche Verantwortung die Kinderbetreuung und die Mittagsverpflegung umfasst. Das ist bei uns traditionell immer noch anders, ändert sich aber peu à peu. Immer weniger Eltern können oder wollen es sich leisten, die Mittagsversorgung der Kinder im Alleingang zu Hause zu organisieren. Berufstätige Mütter und Väter werden durch eine vernünftige Schulverpflegung organisatorisch deutlich entlastet. Das ist doch eine schöne -Sache für die Eltern und ein weiterer Schritt hin zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Unser -aller Antrieb, unser aller Ansporn sollte sein, zu sagen: Eure Kinder sind in unserer Verantwortung in guten Händen. Ein gesundes Mittagessen ist für Kinder und Jugendliche genauso wichtig wie guter Deutsch- und Mathe-unterricht. Glücklicherweise – das ist eben auch schon -gesagt worden – können wir auf die vorbildliche Arbeit der „Vernetzungsstellen Schulverpflegung“ zurückgreifen. Die müssen aber dringend finanziell und personell gestärkt werden. Ich erlebe viele gute Konzepte in Städten und Gemeinden, wo die Schulverpflegung vorbildlich funktioniert. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aha!) „Einmal satt für 2,10 Euro“ oder „Matsche und Pampe“ – auf solche Überschriften sollten wir zukünftig wirklich verzichten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]) Wie erreichen wir das? Dazu nenne ich drei Forderungen: Erstens. Nur die Caterer erhalten einen Zuschlag, die nach den Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zertifiziert sind und deren Einhaltung kontrolliert wird. Das Land Berlin hat gerade den Wechsel vom Preis- zum Qualitätswettbewerb beim Schul-essen initiiert. Das lädt zur Nachahmung ein. (Mechthild Heil [CDU/CSU]: Es ist trotzdem Ländersache!) Zweitens. Wir brauchen die Partizipation der Eltern- und – was viel wichtiger ist – die der Schülerschaft. Drittens. Wir müssen eine intelligente Ernährungs- und Verbraucherbildung etablieren. Gutes kann nicht billig sein. Ich weiß natürlich auch um die schwierige Gemengelage im föderalen System. Selbst wenn wir es wollten, steht das Grundgesetz einer vollen direkten Finanzierung durch den Bund entgegen. Zwei Anmerkungen möchte ich dazu machen. Erstens: Weg mit dem Kooperationsverbot! (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Für eine bessere Zusammenarbeit von Bund und Ländern im schulischen Bereich! – Ich erinnere an dieser Stelle an unseren Nationalen Pakt für Bildung und Entschuldung: 20 Milliarden Euro im Jahr allein für Bildung plus eine deutliche Entlastung der Kommunen, die zumeist ja auch Schulträger sind. Das Ganze soll durch Einsparungen und den Abbau von überflüssigen Subventionen finanziert werden. Das, Herr Staatssekretär, ist konkrete Politik. Der Ministerin fiel Ende letzten Jahres bei dem Skandal leider nur ein, dass in Ländern und Kommunen darüber diskutiert werden solle. Ihr fiel nur ein: Wir sprechen einmal darüber. – Nein, es gehört genau hier hin. Das sage ich an die Adresse der Ministerin. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Zweitens. Die SPD-Bundestagsfraktion ist bereit, den Einstieg des Bundes in die Schulverpflegung zu prüfen, nicht nur bei den notwendigen Investitionen, sondern auch durch einen tatsächlichen Beitrag pro Kind. Auch der Bund ist Nutznießer von gutem Ernährungsverhalten. Abseits der einzelnen Person profitieren Krankenkassen, öffentliche Haushalte und Sozialversicherer. Fazit: Eine qualitativ hochwertige Schulverpflegung für alle Schüler ist Investition und Ersparnis zugleich, und sie ist realisierbar. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Petra Crone. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Hans-Michael Goldmann. Bitte schön, Kollege Hans-Michael Goldmann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hans-Michael Goldmann (FDP): Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Binder, ich habe eben überlegt, wie lange Sie schon im Ausschuss sind. Ich bin für mich zu dem Ergebnis gekommen, dass Sie noch nicht lange im Ausschuss sein können oder dass Sie vielleicht manchmal nicht zugehört haben. (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn mit diesem Thema hat sich der Ausschuss schon sehr lange und sehr konstruktiv beschäftigt. (Karin Binder [DIE LINKE]: Ja, aber es ist nichts passiert!) Wir haben Anhörungen und Fachgespräche dazu durchgeführt, und wir haben jede Menge Berichterstattergespräche darüber geführt. Wir haben eine Menge in Bezug auf dieses Thema gemacht. Wir waren uns, glaube ich, bei einem immer im Klaren: Das kann nicht von oben verordnet werden, sondern das muss vor Ort realisiert werden. (Karin Binder [DIE LINKE]: Von wem?) Sie verraten sich ein bisschen mit der Überschrift Ihres Antrags. Dort sprechen Sie von Verpflegung. Mir geht es in diesem Bereich nicht nur um die Verpflegung in der Schule, sondern um die Integration eines Ernährungsbewusstseins. Mir geht es darum, dass die Schüler Kochen können und beim Kochen darauf achten, welche Inhaltsstoffe die Produkte haben und woher diese -kommen. Das sollte in die schulische Arbeit integriert werden. Das ist viel mehr, als unentgeltlich zu verpflegen. Ich glaube, liebe Frau Binder, dieses Ziel sollten wir nicht aufgeben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass wir durch die Umstrukturierung in der Gesellschaft und die nachfolgende Umstrukturierung im Bildungssystem große Chancen haben, diese Ziele beim Mittagessen und auch beim Frühstück in den Bildungseinrichtungen zu realisieren. Dies habe ich in meiner Berufsschulzeit schon mit Schülerinnen und Schülern nebenbei realisiert, und ich versuche, dies auch in meiner evangelischen Kirchengemeinde vor Ort zu realisieren. Hier haben wir eine große Chance. Es geht, wie ich schon beschrieben habe, nicht um Verpflegung, sondern im Grunde genommen darum, die Mahlzeiten miteinander zu erleben, um den Austausch zwischen den Lehrern, den Schülern und den Eltern. Sie waren sicherlich auch auf der letzten didacta und haben sich darüber informiert, dass es in diesem Bereich mittlerweile ein breites Angebot mit sehr guten Lösungen gibt. Sie alle haben regionale Wurzeln. Ich bin froh, dass Sie angesprochen haben, dass es Schüler gibt, die in dieser Hinsicht etwas machen. Ich war in Schulen in Berlin. In meinem Büro saß ein Schüler, der erzählt hat, was er an einem Gymnasium in Berlin auf den Weg bringt. Aber er würde sich schwer dagegen verwahren, dass ich ihm sage, was er dort zu tun hat. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Sie haben in Ihrer Rede genau das Gegenteil gesagt!) Er möchte dies mit den Eltern und mit den Unternehmen vor Ort regeln. Sie wollen, dass es wie im alten planwirtschaftlichen System von oben finanziert wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) – Sie können ruhig noch ein bisschen lauter schreien. Ich bin das durchaus durch meine schulische Arbeit -gewohnt. – Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das ist schlicht der falsche Weg. Liebe Frau Binder, wir dürfen und sollten die Schulen, von der Grundschule an – Sie sprechen sogar vom Kindergarten –, nicht aus der kommunalen Verantwortung entlassen. Dort, wo es Probleme gibt, können wir sicherlich darüber nachdenken, wie wir speziell helfen können. Natürlich setzen wir bei den Eltern an. Ich bin sehr wohl bereit – das gilt für viele von uns –, auch -Patenschaften in diesem Bereich zu übernehmen. Allerdings bin ich entschieden dafür, deutlich zu machen, was ein kommunaler Auftrag und was ein Landesauftrag ist. Problematisch ist, dass Sie sich um die Frage nach den Kosten gedrückt haben. Sie wissen hoffentlich, dass es 11 Millionen Schüler in Deutschland gibt, die Kindergartenkinder einmal außen vor gelassen. Wenn das Essen 4 Euro pro Kind kostet, verursacht Ihr Modell Kosten in Höhe von 8,8 Milliarden Euro, und das nur im schulischen Bereich. Angesichts dessen bin ich schon dafür, auch einmal darüber nachzudenken, ob das verantwortlich ist; denn auf Schuldenbergen können Kinder ganz sicher nicht lernen und nicht spielen. Deswegen bleibe ich bei meiner Position. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege, geben Sie dem Präsidenten die Chance, Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Karin Binder zulassen? Hans-Michael Goldmann (FDP): Ich lasse diese Zwischenfrage nicht zu, (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Angsthase!) weil Frau Binder genau weiß, dass wir eigentlich schon seit geraumer Zeit an der Eröffnung der Internationalen Grünen Woche teilnehmen sollten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Das liegt nicht an uns! – Diana Golze [DIE LINKE]: Sie sind Parlamentsmitglied! Das ist ja unerhört!) Bei manchen Themen haben Sie übrigens gar keine Ahnung. Sie wissen doch – oder wissen Sie das nicht? –, dass es einen reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent gibt. (Karin Binder [DIE LINKE]: Aber doch nicht für Schulverpflegung! Für Katzen- und Hundefutter!) Natürlich muss man zur Realisierung dieses Mehrwertsteuersatzes – hören Sie doch zu; dann erfahren Sie die Lösung – eine Stiftung oder einen Verein gründen. Aber Sie wollen doch wohl nicht von oben die Gründung von Vereinen und Stiftungen verordnen. Deswegen muss ich ganz klar sagen: Ihr Modell ist nicht geeignet. Die vielfältigen Aktivitäten, die es mittlerweile auf allen Ebenen gibt, nehmen Sie nicht zur Kenntnis. Das ist ignorant. (Diana Golze [DIE LINKE]: Sie sind Ab-geordneter und kein professioneller Messe-besucher! Das ist unerhört!) Die Schulverpflegung ist eine wertvolle und wichtige Sache. Sich mit dem Thema Ernährung zu beschäftigen, ist ebenfalls eine wertvolle Sache. Es ist sicherlich möglich, ein solches Vorhaben vonseiten der Bundesebene anzustoßen und zu begleiten. Aber wenn die Realisierung Erfolg haben soll, muss dabei das Regionalprinzip zum Tragen kommen. (Karin Binder [DIE LINKE]: Das steht alles in unserem Antrag!) Man muss dieses Problem regional lösen (Diana Golze [DIE LINKE]: Sie hätten den Antrag lesen sollen! Ganz einfach!) und darf nicht die bundespolitische Weiche auf Subvention stellen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Gehen Sie zur Agrarlobby! Da sind Sie ja lieber als hier! – Gegenruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was bin ich?) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Hans-Michael Goldmann. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wenn Sie zur Agrarlobby wollen, gehen Sie doch! – Gegenruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie sind ja nicht ganz gesund im Kopf! – Weiterer Zuruf: Hallo, hallo, hallo?) – Bitte Vorsicht! (Diana Golze [DIE LINKE]: Bitte? – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Die Agrarlobby und die Grüne Woche haben aber nichts miteinander zu tun! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, das geht so nicht!) Ich würde sagen, wir machen in einem kollegialen Miteinander weiter. Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist die Frau Kollegin Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Diana Golze [DIE LINKE]: Unglaublich! Gehen Sie lieber zu Ihrer Messe! Herr Goldmann, das ist unparlamentarisch! Und so einer ist Ausschussvorsitzender! Sie sollten sich schämen! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Schämen Sie sich! – Gegenruf von der FDP: Kriegen Sie sich mal ein!) Frau Kollegin Maisch, Sie haben das Wort. (Diana Golze [DIE LINKE]: Unparlamentarisch ist so etwas! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie gehören wirklich auf die Grüne Woche! – Gegenruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das Traurige ist, dass Sie meinen, da müssten Sie nicht hin!) – Wir sind hier in der Debatte. – Frau Kollegin, lassen Sie sich nicht irritieren. Sie haben das Wort. (Diana Golze [DIE LINKE]: Wir haben im Parlament zu arbeiten und nicht Messen zu besuchen! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir sind hier im Bundestag! Sie sind Parlamentarier und kein Agrarlobbyist!) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank. Ich bemühe mich, es mir zu nehmen. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Ganztagsschule und zur umfassenden Betreuung von Kleinkindern in Kitas und Krippen gehört ein qualitativ hochwertiges, bezahlbares Essensangebot. Es ist Voraussetzung für Lernerfolg. Es stärkt den sozialen -Zusammenhalt und die Esskultur. Es ist gelebte Prävention von Fehlernährung und Übergewicht. Es gibt insbesondere Kindern, die aus schwierigen Verhältnissen kommen, die Chance, gesund aufzuwachsen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In diesem Punkt herrscht weitgehend Konsens, bei uns im Ausschuss und, wie ich zu wissen glaube, auch im Parlament insgesamt. Wir haben im Ausschuss eine Anhörung durchgeführt und uns in verschiedenen Berichterstattergesprächen ausgetauscht. Die Reden waren gut. Leider ist es bei Schwarz-Gelb bisher beim Reden geblieben. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Stimmt doch überhaupt nicht!) Frau Crone hat ausgeführt, dass sich bei anderen Farbkombinationen etwas mehr Aktivität entfaltet hat; ich nenne nur das Ganztagsschulprogramm, das unter Rot-Grün auf den Weg gebracht worden ist. Man könnte hier also mehr machen. Ilse Aigner und die schwarz-gelbe Koalition haben das Thema „Gesundes Essen für alle Kinder“ aber nie zu ihrem Herzensanliegen, nie zu ihrem Projekt gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir erinnern uns zwar an das von Ursula von der Leyen rührselig heraufbeschworene warme Mittagessen, auf das die Kinder warten. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja, genau! Wir haben eine finanzielle Grundlage dafür geschaffen, anders als Sie! Denken Sie nur mal an das Bildungs- und Teilhabepaket! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! Das kommt doch überhaupt nicht an! Das wissen Sie doch! Das kommt nicht an, weil die Konstruktion falsch ist!) Aber Ihr bürokratisches Bildungs- und Teilhabepaket hat dazu geführt, dass ein Großteil der Kinder immer noch darauf wartet, weil die Eltern keine Anträge gestellt -haben, weil an den Schulen vor Ort oft kein Angebot -besteht oder weil die Familien, Schulen und Behörden vor Ort mit dem Bürokratiemonster, das Sie mit dem -Bildungs- und Teilhabepaket geschaffen haben, überfordert sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Für einen Teil der Einrichtungen, nämlich für die -Kinderhorte, läuft die Förderung Ende dieses Jahres aus. Da fragt man sich schon, ob die Union glaubt, dass die Kinder nach 2013 nicht mehr hungrig sind. Eine ähnliche Entwicklung gibt es bei den Schulvernetzungsstellen. Sie wollen die Schulvernetzungsstellen finanziell austrocknen. Schon im Haushalt 2013 wurden die entsprechenden Mittel um 170 000 Euro gekürzt, und in den nächsten fünf Jahren sollen die Schulvernetzungsstellen in den einzelnen Bundesländern nach und nach auslaufen. Ich finde das absurd. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Einhergehend mit der zunehmenden Berufstätigkeit von Müttern werden wir immer mehr Ganztagsschulen haben, immer mehr Krippen und immer mehr Kitas, die nicht nur Halbtags-, sondern auch Ganztagsbetreuung anbieten. Diese Einrichtungen werden händeringend nach Beratung über gute Schulverpflegung oder gute -Kitaverpflegung suchen. Deshalb darf man die Schul-vernetzungsstellen nicht austrocknen, sondern muss sie zu Kompetenzzentren für Gemeinschaftsverpflegung ausbauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der -LINKEN) Wir haben vorhin einen kleinen Streit über die Internationale Grüne Woche ausgefochten. In diesem Zusammenhang möchte ich sagen: Ich finde, Schulernährung sollte auch als agrarpolitisches Thema gesehen werden. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das tun wir ja!) Es ist mir unbegreiflich, warum über 11 Millionen Schülerinnen und Schüler, Kindergartenkinder und Krippenkinder, die an 200 Tagen im Jahr gesund und schmackhaft bekocht werden wollen, von der schwarz-gelben Bundesregierung nicht als relevanter Absatzmarkt für hochwertige, regionale, ökologische Erzeugnisse erkannt werden und keine entsprechenden politischen Konsequenzen für die verschiedenen europäischen und nationalen Förderinstrumente, zum Beispiel bei der GAP, gezogen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was Sie -sagen, stimmt doch gar nicht, Frau Maisch! Das machen wir doch vor Ort!) – Herr Goldmann, es ist gut, wenn in Ihrem Heimatort offensichtlich alles in Ordnung ist. In einem Großteil der Schulküchen in diesem Land werden jedoch nicht einmal die DGE-Standards eingehalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Es mag gute regionale Kooperationen geben, und wir finden das toll. Frau Heil hat dies am Beispiel des Nationalen Aktionsplans „IN FORM“ vorgetragen. Aber die politische Aufgabe, vor der wir stehen, ist doch, aus diesen Projekten Programme für die Fläche zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wir haben genug Beispiele, die sich für das Schau-kochen auf der Internationalen Grünen Woche eignen. Was wir brauchen, sind gutes Essen, Vielfalt, ein hoher Bioanteil, regionale Produkte für alle Kinder. Wir Grüne wollen Qualität für alle. Das heißt aber nicht, dass alles umsonst sein muss. „Alles umsonst für alle“ halten wir Grüne nicht für sinnvoll. Herr Goldmann, Sie haben gesagt, die Linken drückten sich um die Kosten. Das ist nicht richtig. Wenn man den Antrag der Linken bis zum Ende liest – was sich empfiehlt, wenn man darüber redet –, findet man die Kosten genau beziffert mit 8,3 Milliarden Euro allein für die Schul-kinder. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wo ist denn die Deckung?) Ich glaube, dass man dieses Geld besser anlegen kann. Was wird faktisch passieren? Leute wie ich werden den Überweisungsauftrag für die Krippe ändern, sodass 60 Euro weniger überwiesen werden. Man sollte aber die, die wirklich bedürftig sind, die kein Geld haben, um sich das Schulessen zu leisten, unterstützen. Warum jemand wie ich 60 Euro weniger im Monat für Essensgeld überweisen soll, ist mir unter sozialpolitischen Gesichtspunkten nicht verständlich. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Sie dürfen ja dann bei uns mehr Steuern zahlen!) – Natürlich werde ich mehr Steuern zahlen – das ist ganz klar –, wenn es eine andere Mehrheit in diesem Land gibt. Aber ich sage Ihnen jetzt einmal, wofür ich diese Milliarden lieber ausgegeben sehen will: Wir brauchen, wenn wir das Kooperationsverbot abgeschafft haben, Geld für ein neues Ganztagsschulprogramm. Wir brauchen dringend Geld für Qualitätsverbesserungen in den Kindertagesstätten, in den Kinderkrippen. Wir brauchen Geld – das ist in Ihrem Antrag nicht in Milliarden oder Millionen beziffert – für eine bessere Infrastruktur für die Schulverpflegung. Das sind alles unglaublich teure Maßnahmen; aber wir sagen eben: In einem neuen Ganztagsschulprogramm, in Infrastrukturverbesserungen, in Qualitätsverbesserungen auch bei den pädagogischen Konzepten und in einer Erhöhung der Regelsätze für arme Kinder sind die Milliarden besser angelegt als in „alles für alle umsonst“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir teilen das Anliegen der Linken, gutes Essen für alle zu bezahlbaren Preisen bereitzustellen, (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da stimme ich zu!) und finden es gut, dass Sie diesen Antrag auf die Tagesordnung gesetzt haben. Diese Debatte zu führen, ist richtig; über den Zeitpunkt mag man meinetwegen streiten. Den Weg, den Sie vorschlagen, finden wir allerdings so nicht zustimmungsfähig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Nicole Maisch. – Nächste Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU ist unsere Kollegin Marlene Mortler. Bitte schön, Frau Kollegin Marlene Mortler. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Marlene Mortler (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es zwar naheliegend, dass wir parallel zur Eröffnung der Grünen Woche über Ernährung reden; aber ich finde es ziemlich daneben, dass wir hier über ein Thema reden, für das wir überhaupt nicht zuständig sind, und schlechte Gastgeber für alle unsere ausländischen Gäste und Delegationen sind, die schon den ganzen Tag auf uns warten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Es ist natürlich ärgerlich, dass Sie hier arbeiten müssen!) Der Finanzierungsbedarf für Ihre Forderung nach hochwertiger und unentgeltlicher Verpflegung für alle Schüler, Kinder und Jugendlichen beziffert sich laut Ihrem Antrag auf 8,3 Milliarden Euro. Ja, wenn es das schon wäre! Sie fordern auch ein sofortiges Investitionsprogramm für die Kommunen, um Mensen und Schulküchen neu zu bauen bzw. zu renovieren. (Abg. Karin Binder [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin. Marlene Mortler (CDU/CSU): Herr Präsident, ich möchte gerne zu Ende reden. Wenn am Schluss noch Zeit bleibt, lasse ich die Zwischenfrage gerne zu. Vizepräsident Eduard Oswald: Schauen wir einmal. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die Zeit wird doch angehalten!) Marlene Mortler (CDU/CSU): Außerdem fordern Sie, dass der Mehrwertsteuersatz für die Caterer von 19 Prozent auf 7 Prozent gesenkt wird und nicht wirtschaftlich agierende Zulieferer bzw. Caterer von der Umsatzsteuer befreit werden. – Das ist Politik nach Ihrem Geschmack. Sie tischen munter wünschenswerte Wohltaten auf, und der Bund koordiniert und zahlt. Wohltaten für alle via Gesetz! (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Nicht für die Reichen und die Aktienbesitzer! Nein, für die Kinder! – Ulrich Kelber [SPD]: Das sagt eine Abgeordnete, die für die Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers gestimmt hat!) Mich schüttelt schon, mit welcher Leichtigkeit Sie hier zweistellige Milliardenbeträge mit teils abenteuerlichen Begründungen einfordern. (René Röspel [SPD]: Der Caterer kann durch Sie Geld sparen!) Ihrem Rezept fehlt ein entscheidender Passus. Es enthält keinen Satz zur Gegenfinanzierung. Sie verteidigen die Bundesländer, weil diese mit der Schuldenbremse überfordert wären. Aber hallo! Auch der Bund muss die Schuldenbremse einhalten. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ein Bremschen, ja!) Es kann nicht sein, dass der Bund immer mehr Dinge bezahlen muss, obwohl er nicht zuständig ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die Kommunen bezahlen unheimlich viele Dinge, die Sie ihnen zugewiesen haben!) Das hieße, dass wir immer öfter von unseren grundgesetzlichen Regelungen abweichen. (René Röspel [SPD]: Ich fühle mich zuständig!) Das Bildungs- und Teilhabepaket, liebe Gitta Connemann, war eine Ausnahme, und sie muss es auch bleiben. Meine Kolleginnen und Kollegen, auch wenn der Satz in diesem Haus schon oft gesagt wurde: Politik beginnt beim Betrachten der Realitäten. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dann fangen Sie damit doch einmal an!) Als Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft weiß ich um die Bedeutung und den Wert einer ausgewogenen Ernährung. Hier muss mir also keiner etwas vormachen. Bleiben wir aber doch bitte auf dem Boden! Ganz abgesehen von den Zuständigkeiten: Was ist wünschenswert? Was ist machbar? Wie können wir sichern, dass sich unsere Kinder gesund und ausgewogen ernähren? Ein gesundes Angebot bedeutet übrigens nicht automatisch auch eine gesunde Ernährungsweise. Damit komme ich zu den Eltern. Diese kommen in Ihrem Antrag nur zwei Mal vor, und das in einer kleinen Nebenrolle. Ich sage Ihnen: Elternverantwortung ist Eigenverantwortung; (Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]) denn wenn sich die Eltern nicht genügend kümmern, dann bleiben die Kinder auf Dauer auf der Strecke; sie bleiben schlecht ernährt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also sollen die Eltern jetzt in der Schule kochen? Die Kinder sind den ganzen Tag in der Schule! Kennen Sie die Realitäten nicht?) Der Staat und die Politik können das auf Dauer nicht alleine richten. Das heißt, wir dürfen die Eltern nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. 1 Euro ist für mich ein symbolischer Betrag; er muss aus meiner Sicht immer leistbar sein. Welches Selbstverständnis und welches Gesellschaftsbild haben Sie eigentlich, dass Sie alles auf den Staat abschieben wollen? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Auch zu Hause kann man seine Kinder nicht zum Nulltarif ernähren! (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Skandinavien! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinder sollen also die Schule schwänzen, um zu Hause zu essen?) Essen ist für mich auch Nahrungsaufnahme, (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) und zwar im Sinne von Erleben. Da gebe ich Ihnen sogar recht; denn Sie haben in Ihrem Antrag sehr ausführlich formuliert, dass das Essverhalten als Kind das Essverhalten als Erwachsener entscheidend prägt. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wenn Sie uns schon recht geben, wird es schwierig!) Meine Damen und Herren, das Essen in der Familie, das Essen mit der Schulfamilie muss aus meiner Sicht wieder mehr zu einem sozialen Ereignis werden. Es ist so wichtig, dass sich die Kinder auf das gemeinsame, abwechslungsreiche Essen freuen, wie es in meiner großen Familie ganz selbstverständlich ist, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer kocht denn bei Ihnen mittags? Sollen Ihre Kinder die Schule schwänzen?) dass Erzieherinnen und Erzieher und Lehrerinnen und Lehrer auch Vorbilder sind, mitessen und zeigen, dass es schmeckt und dass sich Kinder in einer angenehmen Atmosphäre wohlfühlen. Der Nationale Aktionsplan „IN FORM“ des Bundeslandwirtschaftsministeriums ist mehrfach angesprochen worden; es ist nur eines von vielen Projekten und Programmen. Aber mit Blick auf Bayern und aus Bayern möchte ich Ihnen mitgeben: Es liegt in absoluter Zuständigkeit der Bundesländer, das Beste aus diesem Programm zu machen. Das gilt auch für die Aktivitäten und für die Aktivierung der sogenannten Vernetzungsstelle Schulverpflegung. Selbstverständlich erwarten wir DGE-Standards, also die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Darüber hinaus versuchen wir, über Coaching die Akteure an den Tisch zu holen und mit ihnen die Schulverpflegung zu optimieren. Das ist der richtige Ansatz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herzlichen Dank an das BMELV, stellvertretend an Staatssekretär Bleser, für dieses Programm. Leider hat der Lernort Familie an Bedeutung verloren. Mangelnde Alltagskompetenz hat für uns alle weitreichende Folgen. Deshalb fördere und unterstütze ich eine Unterschriftenaktion der bayerischen Landfrauen für die Einführung eines Unterrichtsfaches für Alltags- und Lebensökonomie. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist sehr gut!) Das würde uns übrigens nichts kosten und im Ergebnis unserer Volkswirtschaft viel Geld, also Ausgaben, ersparen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) – Danke. – Mit diesem Geld können wir dann tatsächlich und gezielt bedürftige Kinder unterstützen. Aus den vielen genannten guten Gründen lehnen wir Ihren Antrag aus Überzeugung ab. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin Binder, Sie haben gemerkt, dass für Ihre Zwischenfrage keine Zeit geblieben ist. – Vielen Dank, Frau Kollegin Marlene Mortler. Nächste Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unsere Kollegin Frau Marianne Schieder. Bitte schön, Frau Kollegin Marianne Schieder. (Beifall bei der SPD) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! … Speisen haben vermutlich einen sehr großen Einfluss auf den Zustand der Menschen, … wer weiß, ob wir nicht einer gut gekochten Suppe die Luftpumpe und einer schlechten den Krieg oft zu verdanken haben. So der Physiker Georg Christoph Lichtenberg im 18. Jahrhundert über das Essen. „Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen“, so lautet ein altes Sprichwort. Diese Feststellungen ließen sich fortsetzen; aber wir wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig gute Ernährung und gemeinsames Essen für Geist und Seele sind. Dabei – auch das wissen wir aus eigener Erfahrung – geht es eben nicht nur um das Stillen des Hungers. Gerade für Kinder ist ein gesundes und ausgewogenes Essen sowohl für die körperliche wie auch für die geistige Entwicklung von ganz besonderer Bedeutung. Noch dazu – darauf wurde schon mehrmals hingewiesen – werden Lebensstil und Ernährungsgewohnheiten geprägt, die ihre Spuren oft ein Leben lang hinterlassen. Blickt man auf die Essensversorgung in unseren Schulen und Kindertagesstätten – es stimmt, was dazu schon gesagt worden ist –, ergibt sich wirklich ein besorgniserregendes Bild. Die Hochschule Niederrhein hat im vergangenen Jahr im Rahmen einer deutschlandweiten repräsentativen Umfrage feststellen müssen, dass die Qualität des Essens an 200 untersuchten Schulen überwiegend mangelhaft und ungesund war. Über 90 Prozent der Schulen erfüllen die Ansprüche der Deutschen Gesellschaft für Ernährung an gesundes Essen nicht. In der Tat, da kann man nur sagen: Wir brauchen dringend eine Verbesserung dieser Situation. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Union und der FDP, schon seit längerem viele Vorschläge unterbreitet. Greifen Sie unsere Vorschläge auf, und tun Sie endlich etwas! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es reicht nicht aus, wenn die Bundeskanzlerin die Bildungsrepublik ausruft. Wir brauchen dazu schon die entsprechenden Rahmenbedingungen. Doch da erleben wir bei Ihnen wenige Aktivitäten. Sie handeln beharrlich nach der Methode: nichts tun, aussitzen, blockieren. Ein gutes Beispiel für die Blockadehaltung der schwarz-gelben Koalition sehen wir in der dringend erforderlichen Aufhebung des Kooperationsverbotes im Bereich Bildung. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer nämlich wirklich etwas für bessere und mehr Bildung tun will, muss das Grundgesetz ändern und es ermöglichen, dass Bund und Länder miteinander die wichtigen Aufgaben und Herausforderungen in Angriff nehmen und bewältigen. Dazu gehören das Schulessen und die Verpflegungssituation in Schulen und Kitas insgesamt. Der Vorschlag aber, den Sie uns seitens der Bundesregierung vorgelegt haben, ist das Papier nicht wert, auf dem er steht. Sie nehmen doch nur die Hochschulen in den Blick und da auch nur einen ganz kleinen Bereich. Von Schulen und Kitas ist überhaupt nicht die Rede. Noch unproduktiver ist der Vorschlag des bayerischen Kultusministers, das Ganze über einen Staatsvertrag regeln zu wollen. Diese Staatsvertragsidee ist maximal ein öffentlichkeitswirksames und geschicktes Ablenkungsmanöver. Es wird natürlich der Eindruck erweckt, als sei man an einer besseren Zusammenarbeit der Bundesländer in Sachen Bildung interessiert, weil man natürlich weiß, dass die Bevölkerung dies dringend erwartet. Aber in Wahrheit denkt man doch gar nicht daran, mehr Absprachen zu treffen. In Wahrheit will der bayerische Kultusminister weiter sein eigenes Süppchen kochen. (Beifall bei der SPD) Dabei wäre es auch für den vergleichsweise gut situierten Freistaat Bayern von großem Vorteil, wenn man über die finanzielle Unterstützung des Bundes zum Beispiel den weiteren Ausbau der Ganztagsschulen und die Schulsozialarbeit vorantreiben könnte. Natürlich könnte dann auch mehr getan werden für Verbesserungen bei der Schulverpflegung. Warum sich die Staatsregierung in Bayern so beharrlich weigert, das Geld des Bundes zu nehmen, das weiß der Himmel. Ein vernünftiger Mensch kann dafür keine Argumente finden. Die Finanzsituation der Kommunen ist mehr als angespannt. Das führt dazu, dass auch sehr Wünschenswertes im Bereich Bildung nicht realisiert werden kann, weil den Sachaufwandsträgern finanziell die Hände gebunden sind. Was tut hier die Bundesregierung? (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Prioritäten setzen!) Sie machen doch mit Ihrer Politik den Kommunen das Leben noch schwerer, anstatt endlich dafür zu sorgen, dass deren finanzielle Ausstattung verbessert wird. Ich nenne hier nur das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, die Einschnitte im Bereich der Städtebauförderung und bei dem Programm „Soziale Stadt“; die Liste ließe sich fortsetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich fordere Sie auf: Folgen Sie der SPD-Fraktion! Wir haben schon vor über einem Jahr den Vorschlag gemacht, einen Art. 104 c ins Grundgesetz einzufügen. Dann könnte der Bund den Ländern dauerhaft finanziell unter die Arme greifen, auch im Bildungsbereich. Die Bildungshoheit der Länder bliebe gewahrt. Mit diesem grundlegenden Schritt könnte natürlich auch die Verpflegung in Schulen und Kitas verbessert werden. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf den Ganztagsschulen, wo der Verpflegung natürlich grundlegende Bedeutung zukommt. Es ist schon angesprochen worden, dass es da und dort noch Bedarf geben wird, was den Bau von Mensen betrifft. Aber noch viel mehr müsste uns die Frage umtreiben, wie wir denn dafür sorgen können, dass in diesen Mensen gesundes und ausgewogenes Essen gewährleistet wird. Es gilt die Chance zu ergreifen, Kindern und Jugendlichen mit der Verpflegung in den Schulen grundlegendes Wissen über ausgewogene und gesunde Ernährung zu vermitteln. Mit unserem Zukunftsprogramm „Deutschland 2020“ haben wir da als SPD-Bundestagsfraktion schon die ersten Pflöcke eingeschlagen. (Beifall bei der SPD) Wir wollen, dass bis 2020 jedem Kind die Möglichkeit eröffnet wird, eine gute Ganztagsschule zu besuchen. Dazu gehört natürlich auch gesundes und ausgewogenes Essen, das eben nicht nur von Großküchen angeliefert und womöglich auch noch verteilt wird. Die Sorge um die Verpflegung muss aber auch in die Gesamtorganisation des Schulbetriebs einbezogen werden. Da gibt es in der Tat noch mehr zu tun. Ich bitte Sie noch einmal: Lassen Sie mit sich reden! Sorgen Sie mit uns dafür, dass das Kooperationsverbot aufgehoben wird, (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Laden Sie uns doch einmal zum Essen ein!) damit Bund, Länder und Kommunen zusammen überlegen können, wie wir im Bereich der Essensversorgung in unseren Schulen und Kitas vorankommen. Es ist nämlich höchste Zeit, richtig auf den Tisch zu hauen, damit die Tafeln in unseren Schulen besser gedeckt werden. Wie schon der Schriftsteller Peter Maiwald sagte: Das Mit-der-Faust-auf-den-Tisch-Schlagen nimmt ab, wenn er gedeckt ist. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollegin Marianne Schieder. – Nächster Redner ist unser Kollege Rainer Erdel für die Fraktion der FDP. Bitte schön, Kollege Rainer Erdel. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rainer Erdel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Schieder, auch ich lebe in Bayern, aber anscheinend lebe ich in einem anderen Bayern als Sie. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: In Franken! Das ist ganz klar!) – Ach, Sie machen ganz bewusst die Unterscheidung zwischen Bayern und Franken. (Ulrich Kelber [SPD]: Darauf bestehe ich als gebürtiger Franke auch!) Ich will aber nicht auf das eingehen, was Sie eben geäußert haben. Der Antrag der Linken beschäftigt sich mit einem sehr wichtigen Thema. Dieses Thema beschäftigt vor -allen Dingen Landes- und Kommunalpolitiker, aber auch Schüler und Elternverbände, und es war auch Bestandteil einer öffentlichen Anhörung im Ernährungsausschuss. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Obwohl er nicht zuständig ist!) Leider liegen die Linken bereits mit dem Titel -krachend daneben, wenn sie meinen, dass Unentgeltlichkeit der Schulverpflegung Lernerfolg und Konzentration der Schüler fördert. Ich bin zweiter Bürgermeister einer Gemeinde, die sehr erfolgreich Mittagsverpflegung anbietet. Ich lade Sie gerne in meine Gemeinde ein und werde auch dafür sorgen, dass Sie unentgeltlich Mittagsverpflegung bekommen, wenn es dann auch bei Ihnen den Lernerfolg fördert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Bayerische Arroganz!) Es wird die Behauptung aufgestellt, Kinder von Hartz-IV-Empfängern könnten sich in diesem Land nicht richtig ernähren. Das kann ich nicht nachvollziehen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist klar!) Sie meinen, dass das Essen unentgeltlich sein soll. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie sich schon mal von 1,90 Euro -ordentlich ernährt?) Seit einigen Wochen wissen wir, dass Sparkassendirektoren durchaus zu den Besserverdienern gehören. Aber Sie sind der Meinung, dass auch die Kinder von Besserverdienenden ihr Essen kostenlos erhalten sollten. Dies kann ich nicht nachvollziehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie behaupten in Ihrem Antrag allen Ernstes, Kommunen und Länder sähen sich für das Thema Schul-verpflegung nicht in der Verantwortung. Ich kann Ihnen versichern: Wir sehen uns als Kommunalpolitiker sehr wohl in der Verantwortung. Das geht sogar so weit, dass Eltern anfragen, ob es nicht möglich ist, dass sie von dieser Schulverpflegung Portionen käuflich erwerben und mit nach Hause nehmen können, was allerdings rechtlich nicht zulässig ist. Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege Erdel, die Frau Kollegin Binder probiert es jetzt auch bei Ihnen. Rainer Erdel (FDP): Auch bei mir ist es so, dass ich das auf den Schluss der Rede verschieben möchte. Vizepräsident Eduard Oswald: Auch mit der Begründung, dass Sie zur Grünen Woche müssen? Rainer Erdel (FDP): Ja. Vizepräsident Eduard Oswald: Also, Frau Kollegin Binder, Sie haben es gehört. Rainer Erdel (FDP): Wir haben sehr viele Elternbeiräte, und wir haben Schülerbeiräte, die durchaus bereit und in der Lage sind, den Speisezettel zusammenzustellen. Sie fordern in Ihrem Antrag übrigens die Beteiligung einer Kommission, eines Ministeriums, einer Behörde, was auch immer, der Kultusministerkonferenz, der Länder und Kommunen, Forschungseinrichtungen, Gewerkschaften, Schüler- und Elternvertretungen, Schulen, des Bildungspersonals, der Regionalbewegung und der Verbraucherverbände. Sie vergessen ganz offensichtlich Kirchen und Religionsgemeinschaften. Ich weiß, das passt nicht in Ihr Weltbild. Aber später kommen Sie doch darauf. Ich kann Ihnen versichern, dass auch die Bedürfnisse und Belange von Religionsgemeinschaften in den Speiseplänen berücksichtigt werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Mittags-verpflegung in den Schulen ist nicht entstanden, weil die Verpflegung notwendig ist – damit hat Frau Kollegin Crone durchaus recht –, sondern weil sich unser Bildungssystem und die Ansprüche an die Ausbildung bei uns verändert haben. Deswegen nehmen die Verantwortlichen, denke ich, ihre Aufgabe sehr ernst. Der Bund unterstützt dies. Mit 1,1 Millionen Euro werden die Vernetzungsstellen Schulverpflegung unterstützt. Das ist auch gut so. Sie haben in Ihrem vierseitigen Antrag letztendlich in einem Abschnitt einen wichtigen und richtigen Punkt aufgegriffen. In Punkt II 2 a und b gehen Sie nämlich auf die Wichtigkeit einer guten Ernährung und auf die Wichtigkeit von Lernküchen ein, die in den Lernalltag einbezogen werden müssen. Das ist sehr richtig. Deswegen rate ich Ihnen auch, Kontakt mit Frau Scherb vom Deutschen Landfrauenverband aufzunehmen. Sie kann Ihnen hier sicherlich gute Empfehlungen geben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass Qualitätsvorgaben nicht zur Bevormundung der Kinder führen sollen, dass eine selbstbestimmte Ernährungsweise möglich sein soll. Aber Sie weisen auch darauf hin, die Ernährung müsse ohne Aromen und ohne Geschmacksverstärker sein. Die Speisen seien bisher häufig zu fett und zu süß. Als Getränke würden oftmals nur süße Limonaden angeboten. Zu bevorzugen seien regionale, saisonale Produkte, und das Ganze müsse ökologisch produziert werden. Das solle die Basis der Schulernährung sein. – Es gibt also „keinerlei“ Vorgaben Ihrerseits. (Lachen bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Ich denke, man sollte den vielen ehrenamtlich Engagierten an unseren Schulen dankbar sein. Man sollte das Thema Ernährungskunde wesentlich intensiver behandeln. Ich meine, wir sollten in Deutschland Vielfalt zulassen und es den Kommunen, den Elternbeiräten, den Schulen vor Ort überlassen, wie sie die Schulverpflegung am besten organisieren. Deshalb, glaube ich, wird Ihr Antrag abgelehnt werden. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt hat das Wort zu einer Kurzintervention unsere Kollegin Karin Binder. Karin Binder (DIE LINKE): Herr Kollege Erdel, Sie stimmen mir sicherlich zu, dass Ihr Bundesland Schulen hat, in denen die Verhältnisse relativ geordnet sind. Möglicherweise sind sogar Freundesvereine von Eltern vorhanden, die ein Stück weit dazu beitragen, dass tatsächlich eine qualitativ hochwertige Verpflegung möglich ist. Aber stimmen Sie mir auch zu, dass in Deutschland leider nicht jede Schule in einer günstigen Situation ist, dass es Brennpunktstadtteile gibt, Schulen, in denen Elternarbeit quasi gar nicht vorkommt, weil die Eltern sich gar nicht dessen bewusst sind, wie wichtig diese Arbeit ist, und in denen eine vernünftige, qualitativ hochwertige Verpflegung schlichtweg an Kosten scheitert? Das heißt, der Lernerfolg ist für viele Kinder eine Frage der Kosten, die ihre Eltern decken müssten. Mir geht es darum, für alle Kinder die gleiche Grundlage zu schaffen, damit Kinder reicher Eltern die gleiche qualitativ hochwertige Ernährung bekommen wie Kinder armer Eltern. Ich frage mich schon, welche Rolle das Thema Kosten bei Ihnen spielt; schließlich sind Sie bereit, in Kauf zu nehmen, dass im Gesundheitssystem pro Jahr aufgrund ernährungsbedingter Krankheiten Kosten von 70 Milliarden Euro anfallen. Dem stelle ich die 8,3 Milliarden Euro für Schulessen entgegen. Was ist denn da für die Gesellschaft die günstigere Variante? Ich denke, die ernährungsbedingten Kosten im -Gesundheitssystem langfristig zu reduzieren, wäre ein weiterer Vorteil einer flächendeckenden, kostenfreien Schulverpflegung. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank. – Herr Kollege Rainer Erdel zur Gegenrede. Rainer Erdel (FDP): Frau Binder, ich gebe Ihnen sehr recht: Es gibt sicherlich Schulen, wo dieses System nicht funktioniert. Aber Sie selbst schreiben in Ihrem Antrag, dass es möglich ist, für 4 Euro gesunde und entsprechend zubereitete -Lebensmittel den Schülern zur Verfügung zu stellen. Deswegen bin ich der Meinung, es ist am besten, vor Ort und nicht hier im Deutschen Bundestag zu entscheiden, welche Nahrungsmittel – da gebe ich Ihnen ebenfalls recht: „regional“ ist durchaus ein Ziel – den Schülern -angeboten werden. Es kommt zum Beispiel in urbanen Gebieten mit einem hohen Migrationsanteil sehr häufig vor, dass das Essen anders zusammengestellt sein muss als in anderen Bereichen. Deswegen ist es wichtig, dass die Lösung vor Ort gefunden wird, aber nicht hier im Deutschen Bundestag. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank. – Wir setzen unsere Aussprache fort. Nächste Rednerin ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Frau Carola Stauche. Bitte schön, Frau Kollegin. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Carola Stauche (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir ein Thema – ich bin die letzte Rednerin in dieser Debatte –, das jeden Einzelnen von uns berührt, egal ob man selbst ein Kind hat, das in eine Kindertagesstätte oder in eine Schule geht. Gesunde Ernährung für Kinder gehört in das Bewusstsein jeder Bürgerin und jedes Bürgers, aber besonders der Eltern. (Christoph Poland [CDU/CSU]: Richtig!) Darüber sind wir uns über Fraktionsgrenzen hinweg einig. Nicht erst im September, als durch den Norovirus im Schulessen Kinder gesundheitlich geschädigt wurden – ich komme aus einer Region, die besonders betroffen war –, ist dieses Thema von großer Bedeutung. Fettsüchtige und zuckerkranke Kinder sind zu einem Problem geworden, dem es entgegenzuwirken gilt. Eine gesunde und ausgewogene Verpflegung in der Schule oder Kindertagesstätte, aber auch zu Hause muss ein Teil der Lösung dieses eben geschilderten Problems sein. Verantwortung hierbei tragen Länder, Kommunen, Eltern. Aber auch die Agrarwirtschaft kann hierbei helfen; ich werde das an einem Beispiel aufzeigen. Darüber, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist sich nicht nur die Unionsfraktion bewusst, sondern dessen sind wir uns alle bewusst. Aber auch die Bundesregierung, namentlich Frau Aigner als Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, hat ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Tragweite der Problematik, auch wenn die Linke heute durchaus etwas anderes behauptete. Dass die Ministerin an einer Lösung dieses Problems interessiert ist, kann man nicht von der Hand weisen. Wer daran zweifelt – Sie haben ja heute gezweifelt –, kann sich eines Besseren belehren lassen. Schauen Sie auf die Homepage des Ministeriums, schauen Sie auf die Homepage von „IN FORM“. Das alles ist hier heute schon genannt worden. Allein auf diesen beiden Seiten wird deutlich, dass viele der im Antrag der Linken aufgestellten Forderungen bereits umgesetzt sind. Ich nenne Ihnen stichwortartig einige Beispiele. Auf der Seite des Bundesministeriums finden wir unter der Überschrift „Kita und Schule“ bereits eine Menge Wissenswertes und Interessantes zum Antrag und zum diskutieren Thema. Angefangen bei der Bedeutung von Schulgärten und eines gesunden Frühstücks erfahren wir im nächsten Absatz, dass die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung als Orientierung verstanden werden sollen, also genau wie im Antrag gefordert. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: 90 Prozent der Schüler praktizieren die nicht!) – Ja, aber das liegt nicht an der Bundesregierung. Bei weiterem Durchsehen der Homepage findet man Ernährungswettbewerbe, Kinderkochbuch, Ernährungsleitfäden und vieles mehr. Hingewiesen wird auch auf die „IN FORM“-Projekte, die sich an Kinder und Jugendliche richten. Wendet man sich dieser Homepage zu, findet man noch detailliertere Informationen. Aber sie müssen angewendet werden. Man kann dies nicht mit dem Hinweis auf Gefängnisstrafen oder was weiß ich verordnen. Wem das nicht genügt, dem kann ich nur empfehlen, wenn wir hier fast zum Ende gekommen sind und wir alle zur Grünen Woche gehen: Gehen Sie in die Länderhalle der Grünen Woche und gehen Sie dabei bitte an den Thüringen-Stand. Dort sehen Sie in Umsetzung -einer zukunftsbeständigen und integrierten Landentwicklung das Thema „Schulessen – Regional – Gesund – Gut“. Es kann gutgehen; aber die Verantwortungsträger vor Ort müssen sich einig sein und müssen miteinander arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU) Hier wird auch den Eltern und Schülern eine interessante Ausstattung an die Hand gegeben. Wenn Sie nicht wissen, wie es funktioniert, dann kaufen Sie sich dort das Buch; denn darin können Sie lesen, wie der Prozess des Schulessens abläuft, wie die Zuständigkeiten geregelt sind und an welchen Stellen insbesondere die Eltern mit welchen Mitteln eingreifen können. Das sollte man sich durchaus mal angucken. Wir haben dieses Projekt, und dort wird das Schulessen regional von den Landwirtschaftsbetrieben gewuppt, regional, frisch, gesund, und das Essen in der Schule kostet 2,50 Euro. 4 Euro sind nicht einmal notwendig. Es gibt auch Tage, an denen es Obst und Gemüse gibt. Dort ist alles vorgesehen, aber es muss zusammengearbeitet werden. Aber wissen Sie, an den Schulen, die das Norovirus hatten, haben es die Eltern abgelehnt, das Essen für 2,50 Euro zu beziehen; sie wollten es für 2,30 Euro haben. Darauf kann man keinen Einfluss nehmen, denn dies unterliegt der Selbstbestimmung. So etwas kann man den Eltern doch nicht verordnen. Frau Aigner und die Bundesregierung sind also auf einem sehr guten Weg, was die gesunde Ernährung der Kinder angeht. Nun diskutieren wir hier über den Antrag der Linken, der nach außen hin sehr schön aussieht und dem man eigentlich zustimmen könnte. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Eigentlich. Aber bei einer genaueren Betrachtung des Antrags sieht man deutlich, dass dieser Antrag nichts weiter als populistisches Aufblähen ist. (Lachen bei der LINKEN) Wie eben kurz geschildert, sind sich sowohl die christlich-liberale Koalition als auch die Bundesregierung der Wichtigkeit gesunder Ernährung von Kindern bewusst. (Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]) Die Forderung nach unentgeltlicher Verpflegung mag schön klingen. Aber ist sie zielführend? Würden sich denn tatsächlich mehr Kinder und Jugendliche – abgesehen vom Mittagessen – besser ernähren? Oder ist es vielmehr so, dass aufgrund des fehlenden Preisbewusstseins – das ist nämlich ein ganz wichtiger Aspekt – noch mehr Lebensmittel weggeworfen würden, als das eh schon getan wird, frei nach dem Sprichwort: „Was nichts kostet, taugt nichts“? Wir haben es oft genug erlebt. Die Lebensmittel sind zu gut für die Tonne. Interessant finde ich, was in Ihrem Antrag zum Bildungs- und Teilhabepaket steht. Unabhängig davon, dass man auch hier erkennt, dass sich die Bundesregierung der Wichtigkeit der Verpflegung von Kindern und Jugendlichen bewusst ist, möchte ich etwas zu den Erfahrungen sagen, die ich mit dem Bildungs- und Teilhabepaket gemacht habe. Ich weiß aus meinem Wahlkreis, dass das für die Schulspeisung zur Verfügung gestellte Geld völlig unbürokratisch und problemlos an die Schulen ausgegeben wird. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ach, ganz unbürokratisch?!) Hier haben die Eltern und die Kinder nicht viel mit der Abwicklung zu tun. Das Geld wird von der Schulbehörde in Absprache mit der Arge direkt an die Schulen überwiesen. Es ist Sache der Verwaltung vor Ort, festzulegen, wie sie arbeitet. Es ist wichtig, dass die Verwaltung – Kommune und Arge – gut zusammenarbeitet; dann funktioniert es auch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich verstehe ja, dass die Damen und Herren von der Linken die sinnvollen sozialstaatlichen Veränderungen, welche die schwarz-gelbe Koalition durchgeführt hat, verteufeln. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da gibt es nichts zu verteufeln! Sie haben ja nichts Sinnvolles gemacht!) Aber sehen Sie doch bitte ein: Vernünftige Sozialpolitik heißt nicht, das Geld fremder Leute mit vollen Händen auszugeben. Aber genau das beinhaltet Ihr Antrag. Es ist nicht notwendig, dass wir den Eltern, die sich das selbst leisten können, das Geld für die Schulspeisung bezahlen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist Ausdruck einer Politik, welche die Bürger bevormundet unter dem Deckmantel, dass alles und jeder der Hilfe bedarf und diese auch empfangen will. Dem ist nicht so. Die Menschen in unserem Land wissen ganz genau, was gut und was schlecht für sie ist. (Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Denjenigen, die sich nicht selbst helfen können, hilft der Staat. So handelt die Union seit Gründung der Bundesrepublik. Das sieht man am Beispiel der Schulspeisung ganz deutlich. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Diesen Bogen hinzukriegen: Wahnsinn!) Vizepräsident Eduard Oswald: Wenn Sie bitte auf die Zeit achten! Carola Stauche (CDU/CSU): Ja. – Hierbei geht es um das Prinzip des mündigen Bürgers und des Verbrauchers, der selbst am besten weiß, was für ihn und seine Familie gut und wichtig ist. Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin Stauche, Sie sind am Ende der Redezeit. Aber Sie haben jetzt die Möglichkeit, noch eine Zwischenfrage zuzulassen. Carola Stauche (CDU/CSU): Nein, jetzt nicht mehr. Wir wollen zur Grünen Woche. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Jawohl. Aber ich habe die Bitte, dass noch ein paar hierbleiben. – Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe nun die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11880 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie alle sind damit einverstanden. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zusätzlichen Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege – Drucksache 17/12057 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Sie alle sind damit einverstanden. So haben wir dies gemeinsam beschlossen. Ich eröffne nun die Aussprache. Das Wort hat unsere Bundesministerin, Frau Dr. Kristina Schröder. Bitte schön, Frau Bundesministerin Dr. Schröder. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Lieber Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Am 14. Dezember haben die Länder im Bundesrat das Fiskalvertragsumsetzungsgesetz abgelehnt und damit auch 580 Millionen Euro, die der Bund im Juni 2012 zusätzlich für den Bau von 30 000 neuen Kitaplätzen bereitgestellt hat. Wir beraten heute kurzfristig den Entwurf eines Kinderzusatzförderungsgesetzes, weil wir wollen, dass die neuen Bundesmittel schnellstmöglich in den Bau von Kitaplätzen fließen, und weil wir wollen, dass die Kommunen und die Träger vor Ort endlich Rechts- und Planungssicherheit haben. Der vorliegende Gesetzentwurf schafft die Grundlagen dafür, dass die im Bundeshaushalt bereitgestellten Mittel abgerufen und eingesetzt werden können. An dieser Stelle ist es angebracht, einen besonderen Dank an die Mitarbeiter des Ministeriums auszusprechen. Sie haben kurz vor Weihnachten alle Hebel in -Bewegung gesetzt und innerhalb eines einzigen Tages diesen Gesetzentwurf erarbeitet und mit mir am Wochenende abgestimmt, damit wir trotz des straffen Zeitplanes dieses Gesetz so schnell wie möglich auf den Weg bringen können. Vielen Dank dafür. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dabei gilt nach wie vor, dass wir den Wünschen der Länder weit entgegenkommen. Wir haben zugestimmt, dass die Mittel rückwirkend zum 1. Juli 2012 eingesetzt werden können. Wir haben zugestimmt, dass die Zahl der unter Dreijährigen zum 31. Dezember 2010 für die Verteilung der Mittel ausschlaggebend ist und nicht der Finanzbedarf. (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Wir haben alles getan!) Aber Priorität haben für uns nicht die Wünsche der Länder, sondern die Wünsche der Eltern. (Beifall der Abg. Ewa Klamt [CDU/CSU]) Deshalb ist es wichtig, dass Gelder, die bis zu bestimmten Terminen nicht für konkrete Bauprojekte gebunden sind, anderen Ländern zur Verfügung stehen. Das ist ganz klar im Sinne der Eltern. Die Gelder müssen dem Bedarf folgen und nicht dem Proporz. Darauf hatten wir uns mit den Ländern geeinigt. Die Länder haben außerdem zugesagt, dass sie ihren Eigenanteil nachweisen, bevor neue Mittel bewilligt werden. Das soll sicherstellen, dass aus den 580 Millionen Euro tatsächlich 30 000 zusätzliche Plätze entstehen. Ein dritter Punkt ist im Sinne der Eltern, nämlich mehr Transparenz. Wir brauchen endlich konkrete Informationen über Ausbaustand, Planung und Bedarf vor Ort. Nur das liefert einen Überblick, den wir für eine effiziente Ausbauplanung auf allen Ebenen brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Bund hat die Unterstützung für eine Aufgabe zugesagt, für die verfassungsrechtlich allein die Länder zuständig sind. Der Bund hat sich im Jahr 2007 bereit erklärt, den Kitaausbau mit 4 Milliarden Euro zu unterstützen. Grundlage dafür waren Planungszahlen für den bundesweiten Bedarf. 2007 ging man von 35 Prozent aus, und heute gehen wir von 39 Prozent aus. Wir alle wissen, dass diese Zahlen deutschlandweite Durchschnittszahlen sind und dass es die Aufgabe der Kommunen ist, den konkreten Bedarf vor Ort zu ermitteln. Trotzdem wird mir immer wieder empört entgegengehalten, dass der Bedarf in vielen Großstädten, wie zum Beispiel Hamburg, weitaus höher ist. Ja, natürlich ist er das. Es ist das Wesen von Durchschnittszahlen, dass dahinter höhere und niedrigere Werte stehen. (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Genau so ist es! Wunderbar erklärt!) Das ist im Grunde wie bei der SPD. Wenn sie bei der letzten Forsa-Umfrage auf 23 Prozent gekommen ist, dann findet sie ein Dorf, wo sie noch auf 30 Prozent kommt, aber sie findet auch noch Gemeinden, wo sie nur auf 20 Prozent kommt. (Dorothee Bär [CDU/CSU], an die SPD gewandt: Habt ihr das jetzt kapiert? – Markus Grübel [CDU/CSU]: Jetzt haben wir es kapiert!) So ist das auch mit dem Bedarf an Kitaplätzen. Deshalb müssen sich die Kommunen vor Ort um die Erfüllung des Rechtsanspruchs kümmern. Das bedeutet, dass jede Stadt, jede Gemeinde selbst ermitteln muss, wie hoch der Bedarf an U-3-Plätzen ist, und dass sie dann diese Plätze zur Verfügung stellen muss. Genau deshalb ist es auch so wichtig, dass wir endlich Transparenz haben, wo noch wie viele Plätze konkret benötigt werden. Es gibt gute Kommunen, die die Prioritäten rechtzeitig gesetzt haben. Es gibt aber leider auch Kommunen, die erst jetzt erkennen, dass sie sich an den Wünschen der Eltern orientieren müssen und nicht an bundesweiten Durchschnittszahlen. Bei den Ländern wiederum liegt die Steuerungsverantwortung. Sie müssen sowohl ihren finanziellen Beitrag leisten als auch dafür sorgen, dass Bundesmittel und Landesmittel in den Kommunen dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Dabei ist klar: Ohne das Geld des Bundes, ohne die Weiterleitung der Mittel durch die Länder und ohne eigene Mittel der Länder können die Kommunen ihre Aufgabe nicht erfüllen. Nur wenn alle Beteiligten ihrer Verantwortung gerecht werden, dann ist der Rechtsanspruch auch zu schaffen. Wir als Bund haben unseren Teil der Abmachung erfüllt. Wir haben unsere Finanzverpflichtung erbracht und mit den 580 Millionen Euro sogar noch eine ordentliche Schippe draufgelegt. Wir haben unseren Teil der Vereinbarung zu jedem Zeitpunkt auf Punkt und Komma, auf Euro und Cent erfüllt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dennoch sehen wir, dass mancherorts die Ausbaudynamik nicht hoch genug ist. Deshalb mischen wir uns ein, auch über unseren Teil der Abmachung hinaus. Diese Bundesregierung, diese christlich-liberale Koalition tut alles in ihrer Macht stehende, um den Rechtsanspruch zum 1. August 2013 zu erfüllen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Blasphemie!) Wo es Ausbauhemmnisse gibt, helfen wir, diese zu beseitigen. Dazu dient auch der 10-Punkte-Plan, den ich im Mai 2012 vorgelegt habe. Die Maßnahmen daraus sind angelaufen oder laufen gerade an. Am 1. Februar startet das neue KfW-Förderprogramm: Kommunen und Träger können verbilligte Kredite für den Kitaausbau aufnehmen. Damit übernehmen wir de facto eine Aufgabe der Länder. Mit dem neuen Aktionsprogramm Kindertagespflege ist bereits wenige Wochen nach dem Start der Grundstein für 1 000 neue Betreuungsplätze gelegt worden. Das neue Programm zur Förderung betrieblicher Kinderbetreuung ist gestartet und nimmt die Unternehmen besonders in die Pflicht. Als Bund haben wir damit für die Erfüllung des Rechtsanspruchs alle Voraussetzungen geschaffen. Mein Anliegen ist, dass das am 1. August 2013 auch alle Länder und alle Kommunen von sich sagen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Nun spricht für den Bundesrat Senator Detlef Scheele. Senator Detlef Scheele ist Senator der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration der Hansestadt Hamburg. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort. (Beifall bei der SPD) Detlef Scheele, Senator (Hamburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Krippenausbau ist eine große Herausforderung für die Länder und Kommunen. Die Länder und Kommunen nehmen diese Herausforderung auch an. Ich will gerne richtigstellen, dass die Länder das Fiskalpaktgesetz nicht wegen des Krippenausbaus abgelehnt haben, sondern aus anderen Gründen. Das ist, glaube ich, auch allgemein bekannt. Wie das Beispiel Hamburg zeigt, ist das ambitionierte Ziel, den Rechtsanspruch bis zum August dieses Jahres umzusetzen, gut zu erreichen. Das ist mit erheblichen Anstrengungen verbunden; aber es funktioniert, wenn alle Beteiligten konstruktiv zusammenarbeiten. In Hamburg haben wir in den letzten zwei Jahren, seit dem Beginn unserer Regierungszeit, mehr als 4 000 zusätzliche Krippenplätze geschaffen. Kinder in Betreuung zu bringen, das kostet Geld, Zeit und Geduld. Von 2011 bis 2013 werden die Ausgaben für die Kinderbetreuung in der Stadt Hamburg von etwa 400 Millionen Euro auf mehr als eine halbe Milliarde Euro steigen. Wir werden eine Betreuungsquote im U-3-Bereich von rund 43 Prozent erreichen können. Das entspricht dem, was man in einer Großstadt wie Hamburg braucht. Alle Städte erheben den Bedarf, den sie haben und sie wissen auch, was sie brauchen. Das jetzt vom Bund endlich in Aussicht gestellte Geld ist daher eine wichtige und willkommene Hilfe. Aber das Hauptengagement – da gebe ich der Ministerin recht – liegt bei den Ländern und bei den Kommunen. (Beifall der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU]) Sie sind für die Kindertagesbetreuung zuständig und erfüllen diese Aufgabe auch. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Länder haben frühzeitig, zum Beispiel auf der Jugend- und Familienministerkonferenz im Jahr 2011, darauf hingewiesen, dass die beim Krippengipfel 2007 unterlegten Annahmen von der Wirklichkeit überholt worden sind. Die damals getroffene Verabredung, dass Bund, Länder und Kommunen jeweils ein Drittel der Investitions- und Betriebskosten tragen, wird nicht eingehalten. Hamburg erhält ab dem Jahr 2014 – wenn die neue Zusatzförderung kommt – vom Bund rund 20 Millionen Euro für den Betrieb der Kitas. Das sind jedoch nur 15 Prozent der laufenden Ausgaben. Der Bund müsste allein für Hamburg noch einmal 25 Millionen Euro im Jahr oben drauflegen, um der vereinbarten Drittelregelung nachzukommen, (Markus Grübel [CDU/CSU]: Denkfehler!) und das Jahr für Jahr. Trotz verschiedener Initiativen der Länder hat die Bundesregierung die Probleme beim Krippenausbau lange Zeit ignoriert. Nur durch die Initiative der Länder hat der Bund weitere 580 Millionen Euro Investitionsmittel bereitgestellt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nur durch die Initiative der Länder ist es gelungen, Geld für zusätzliche 30 000 Plätze zu erhalten. Ohne die Ministerpräsidenten Kurt Beck und Olaf Scholz hätte dies bei den Verhandlungen zum Fiskalpakt gar nicht zur Debatte gestanden; denn die Bundesregierung hatte dieses Thema nicht auf die Tagesordnung gesetzt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Notwendigkeit einer stärkeren Beteiligung des Bundes zur Erreichung des 2007 auf dem Kitagipfel von allen gewollten und beschlossenen Rechtsanspruches war bereits seit vielen Jahren bekannt. Stattdessen haben Sie von der Bundesregierung das Betreuungsgeld eingeführt. Sie halten damit Frauen vom Arbeitsmarkt fern, verschärfen die Ungleichgewichte am Arbeitsmarkt, schließen Kinder von früher Bildung in Kitas aus und stecken viel Geld in ein Projekt, das auf veralteten Vorstellungen vom Familienleben basiert. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Diana Golze [DIE LINKE] – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nicht nur ablesen, selber denken!) Dieses Geld wäre besser in den Ausbau und die qualitative Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung investiert worden; (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) allein in Hamburg hätte man damit 3 000 zusätzliche Plätze schaffen können, die einen Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit geleistet hätten. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Für die Rede hätten Sie nicht aus Hamburg herkommen müssen! Das ist ja furchtbar!) Die Länder waren vor dem Hintergrund der Probleme beim Ausbau der Kindertagesbetreuung immer zu pragmatischem Handeln bereit. Aber die Idee vom August 2012, die zugesicherten Mittel nur an die westdeutschen Bundesländer zu verteilen, die bei der Erreichung der Ausbauziele noch hinterherhinkten, war besonders bemerkenswert. Die neuen Bundesländer, aber auch alte Bundesländer wie Bayern und Hamburg, die bereits massiv eigene Mittel investiert hatten, sollten leer ausgehen. Mit den Ministerpräsidenten war verbindlich verabredet, dass der Verteilungsschlüssel der alte bleibt. Der Versuch, die Länder gegeneinander auszuspielen, war sehr durchsichtig und nicht erfolgreich. In den Verhandlungen zum Fiskalpakt wurde den Ländern eine unbürokratische und schnelle Regelung zugesagt. Wenn das so gewesen wäre, dann hätte schon längst mit der Auszahlung begonnen werden können. Aber was sich den Ländern dann bot, war alles andere als unbürokratisch und schnell: Plötzlich wurden monatliche detaillierte Berichte zum Ausbaustand verlangt, obwohl es bereits konkrete Nachweise für jeden Euro des Bundesgeldes gab und bis heute gibt; die Länder haben das nie abgelehnt. Pragmatismus und klare Regeln hätten stattdessen weitergeholfen. Dazu waren und sind wir bereit, alle 16 Länder gemeinsam. Erst im November, nach energischem Drängen aller Länder, hat die Bundesregierung endlich damit aufgehört, die notwendigen Verbesserungen für Familien und ihre Kinder zu blockieren. Wir werden uns den Schwarzen Peter nicht zuschieben lassen. Denn die Realität sieht gänzlich anders aus: Für Hamburg gilt, dass wir den Rechtsanspruch für alle zweijährigen Kinder bereits im letzten August erfolgreich umgesetzt haben. Nordrhein-Westfalen hat – erst nach dem Regierungswechsel im Sommer 2010 – zusätzliche Landesmittel in Höhe von fast einer halben Milliarde Euro in den Ausbau der Kinderbetreuung im U-3-Bereich investiert. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist eigentlich irgendwo Wahlkampf, oder berichten Sie neutral?) Fast überall wird der Ausbau vorangetrieben. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns mit dem Klein-Klein aufhören; (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) das können wir uns nicht länger leisten. Es sind noch sieben Monate; dann muss der Rechtsanspruch gewährleistet sein. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann müssen Sie mit der Rede noch mal neu anfangen!) – Kommen Sie nach Hamburg und gucken Sie, wie das geht. Das wäre ganz hilfreich. (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sagt derjenige, der vom Länderfinanzausgleich profitiert! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Fangen Sie noch mal neu an, wenn Sie mit dem Klein-Klein aufhören wollen!) Wir haben nicht mehr viel Zeit: Es sind noch sieben Monate; dann soll der Rechtsanspruch gelten. Die Eltern sollen arbeiten können, wenn sie wollen. Es soll frühe Bildung für alle Kinder geben. Das wäre ein Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit. Die Politik sollte sich jetzt zusammenraufen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Senator. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Pascal Kober. Bitte schön, Herr Kollege Pascal Kober. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Pascal Kober (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bund, Länder und Kommunen haben sich darauf verständigt, 12 Milliarden Euro in das wichtige gesamtgesellschaftliche Ziel einer verbesserten Kinderbetreuung zu investieren. (Caren Marks [SPD]: Die FDP hat dagegen gestimmt!) Davon trägt der Bund 4 Milliarden Euro. Mit dem heutigen Gesetzentwurf legt er weitere 580,5 Millionen Euro nach. Das bedeutet: Keine Bundesregierung zuvor hat je so viel in den Ausbau der Infrastruktur in der Kinderbetreuung investiert. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hat der Vorredner nicht verstanden!) Wir, die christlich-liberale Koalition, stehen zu unserem Teil der Verantwortung und zum Rechtsanspruch auf Betreuung für unter dreijährige Kinder, der zum 1. August in Kraft treten wird. Wir stehen dazu, weil wir wissen, dass eine gute Familienpolitik Paare ermutigt, Kinder zu bekommen. Für eine gute Familienpolitik bedarf es dreierlei: Erstens. Es bedarf der richtigen Rahmenbedingungen, sowohl bestimmter rechtlicher Rahmenbedingungen, zum Beispiel eines Rechtsanspruchs, als auch guter Bedingungen im Bereich der Infrastruktur, zum Beispiel für Kindertagesstätten, Horte, Tagesmütter und Tagesväter. Zweitens. Es bedarf einer finanziellen Unterstützung. Internationale Vergleiche besagen, dass Deutschland hier weltweit in der Spitzengruppe liegt. Drittens. Es bedarf dessen, was die Bundesministerin Kristina Schröder „Zeit für Familie“ nennt: die Möglichkeit, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, ein verlässliches Umfeld in der Betreuung und gute Aussichten am Arbeitsmarkt; denn wir wissen, dass Unsicherheit hinsichtlich des Arbeitsplatzes bei vielen dazu führt, bei der Verwirklichung des Kinderwunsches abzuwarten. Manche warten dann viel zu lange. Ich denke, niemand kann bestreiten, dass die gute Konjunkturlage der letzten drei Jahre unter dieser Regierungskoalition zu mehr Verlässlichkeit auf dem Arbeitsmarkt geführt hat. (Caren Marks [SPD]: Du lieber Himmel!) Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren so viele Menschen erwerbstätig. In der heutigen Debatte geht es um zusätzliche Mittel in Höhe von 580,5 Millionen Euro, die der Bund bereitstellt, und darum, warum wir dieses schon beschlossene Finanzpaket heute noch einmal in den Bundestag einbringen müssen. Wir müssen das tun, weil die Bundesländer ihren Teil der Verantwortung beim Ausbau der Kinderbetreuung nur sehr schleppend wahrgenommen haben. Es hat sich gezeigt, dass einige Bundesländer die 4 Milliarden Euro nur sehr zögerlich abgerufen haben und die Umsetzung des Kitabauprogramms mit den zeitlichen Vorgaben nicht Schritt gehalten hat. An dieser Stelle darf man auch einmal darauf hinweisen – der Kollege Christian Lange aus Baden-Württemberg war eben noch anwesend –, dass das grün-rot regierte Baden-Württemberg mit nur 61,7 Prozent das Schlusslicht beim Mittelabruf bildet. (Caren Marks [SPD]: Das hat Schwarz-Gelb lange genug verpennt!) Das ist schade und ein eindeutiger Aufruf an das grün-rote Baden-Württemberg. (Dagmar Ziegler [SPD]: In einem halben Jahr schafft man nicht, was über Jahre versäumt wurde!) Die Länder haben den Fiskalpakt abgelehnt, in dem auch die zusätzlichen 580,5 Millionen Euro für den Kitaausbau enthalten waren. Wir müssen den Ländern heute das Geld quasi hinterhertragen. (Caren Marks [SPD]: Das ist eine Frechheit!) Dabei haben Bund, Länder und Kommunen den Ausbau der Kinderbetreuung einstimmig beschlossen. Deshalb ist es ärgerlich, wenn die Länder einerseits ihrer Verantwortung nicht in ausreichendem Maße nachkommen, sich aber gleichzeitig beklagen, wenn sich der Bund in ihre Kompetenzen einmischt. Wenn zum Beispiel schärfere Berichtspflichten vorgeschlagen werden, gibt es Kritik. Die Eltern der Kinder erwarten von den Landesregierungen aber keine taktischen Spielchen, (Dagmar Ziegler [SPD]: Aber auch nicht vom Bund!) sondern die Umsetzung dessen, was sie selbst mit beschlossen haben. Um echte Wahlfreiheit zu erreichen, brauchen wir auch in den nächsten Jahren erhebliche Anstrengungen. Jeder – auch Bund, Länder und Kommunen – sollte dabei den eigenen Verpflichtungen nachkommen. Ich vermisse zum Beispiel Initiativen der Landesregierungen zur Entrümpelung der Landesbauordnungen, um nicht den Ausbau durch überzogene Standards bei der Höhe von Kleiderhaken und Toilettenbecken zu verzögern. Ich vermisse Initiativen der Landesregierungen, um die EU-Hygieneverordnungen in der Tagespflege großzügig auszulegen. Hierbei haben die Länder einen erheblichen Spielraum, den sie im Sinne der Kinderbetreuung nutzen sollten. (Beifall bei der FDP) Wir haben mit unserem Antrag zur Stärkung der Tagespflege unseren Teil dazu beigetragen. Wenn es um die Kinderbetreuung geht, liegt aber vieles in der Zuständigkeit der Länder. Insofern kann ich nur an die Länder und die Kommunen appellieren, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und beim Ausbau der Kindertagesbetreuung einen Zahn zuzulegen. Packen Sie mit an und verhindern Sie nicht! Die Eltern und die Kinder warten darauf. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Pascal Kober. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist unsere Kollegin Frau Diana Golze. Bitte schön, Frau Kollegin Golze. (Beifall bei der LINKEN) Diana Golze (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon verwunderlich. Wenn man den Gesetzentwurf durchliest und wenn man die Rede unserer Ministerin dazu hört, dann gewinnt man den Eindruck, die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen hätten das Gefühl, den beschlossenen Rechtsanspruch locker umsetzen zu können, und es ginge nur noch um diese kleine Differenz zwischen den Plätzen für 37 Prozent bzw. 39 Prozent der Kinder. Diese 30 000 Plätze könne man den Ländern gerne auch noch hinterhertragen, wie es Herr Kober vorhin sagte. Sie nehmen überhaupt nicht zur Kenntnis, dass diese 37 Prozent bzw. 39 Prozent von Anfang an bewusst zu niedrig angesetzt waren und dass es einen deutlich höheren Bedarf geben wird, den das Statistische Bundesamt vor wenigen Wochen deutlich beziffert hat. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) 220 000 Plätze fehlen derzeit bundesweit. Frau Ministerin, da helfen keine Zahlenspiele. Da helfen auch keine statistischen Berechnungen. Es helfen auch keine Erklärungen, wie Umfragen oder statistische Mittelwerte zustande kommen. Das zu wissen, können Sie einem durchschnittlichen Bundestagsabgeordneten durchaus zutrauen. Das Problem ist, dass der Bedarf deutlich größer ist als die Zahl, die Sie beschlossen haben. Dieses Problem haben die Kommunen. Die Realitätsverweigerung, die Sie dabei an den Tag legen, hilft den Kommunen nicht weiter. Das Problem ist auch, dass Sie nicht nur fehlende Krippenplätze in einer nennenswerten Größenordnung ignorieren, sondern dass Sie auch ignorieren, dass derzeit aus einer Verzweiflung heraus eine Debatte über das Absenken von Qualitätsstandards geführt wird, nur um vielleicht doch noch den Rechtsanspruch einlösen zu können. Genau das dürfen wir aber nicht zulassen. Das dürfen wir auch nicht auf Bundesebene zulassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen bundesweit qualitative Standards. Auf die muss man sich endlich verständigen. Deswegen fordere ich an dieser Stelle zum wiederholten Male: Bund, Länder und Kommunen müssen an einen Tisch. Es muss einen neuen Krippengipfel geben, (Beifall bei der LINKEN) und bei diesem Krippengipfel muss man sich mindestens über folgende drei Punkte Klarheit verschaffen. Erstens. Wir brauchen realistische Zahlen, wie groß der Bedarf tatsächlich sein wird. Ich erinnere daran: Wir reden über einen Rechtsanspruch für Kinder ab dem ersten Lebensjahr, der in diesem Sommer greifen soll. Das heißt, die zukünftigen Kitakinder, um die es geht, sind schon geboren. Die Eltern können heute tatsächlich beurteilen, ob sie einen Kitaplatz brauchen oder nicht. Vor einigen Jahren war das vielleicht noch nicht der Fall. Das muss endlich eruiert, erforscht und erfragt werden. Das bringt dann die Zahlen des Familienministeriums vielleicht etwas näher an die Wirklichkeit. Zweitens muss auf diesem Krippengipfel über verbindliche Qualitätsstandards und deren Umsetzung gesprochen werden. Wie groß dürfen Gruppen in der Kita maximal sein? Wie viele Erzieherinnen und Erzieher werden noch gebraucht? Welche Qualifikationen brauchen diese Fachkräfte? Wie können wir gewährleisten, dass es genügend Erzieherinnen und Erzieher gibt? Das in einem halben Jahr zu schaffen, ist kaum noch möglich. Wir haben die Bundesregierung mehrfach dazu aufgefordert, einen Maßnahmenplan vorzulegen; geschehen ist nichts. Drittens muss bei diesem Krippengipfel festgestellt werden – und man muss sich darauf verständigen, wie man damit umgeht –, dass es trotz aller noch vorzunehmenden Anstrengungen Kommunen geben wird, die im Sommer nicht genügend Betreuungsplätze zur Verfügung stellen können. Das werden nicht nur die Großstädte sein, es wird auch Regionen im ländlichen Raum geben, die diese Plätze nicht vorhalten können. Der Städte- und Gemeindebund warnt nicht zu Unrecht schon jetzt vor einer Klagewelle, die auf die Kommunen zurollt. Frau Ministerin, sich dann hinzustellen und zu behaupten, Sie hätten Ihren Teil getan und jetzt müssten die Kommunen die Schadenersatzklagen bewältigen, das kann nicht sein. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für die Umsetzung dieses Rechtsanspruches. Der Bundestag darf die Kommunen, die Städte und Gemeinden nicht mit diesen Schadenersatzklagen alleine lassen, nur weil sie das letzte Glied in der Kette und Opfer dieses Missmanagements sind. (Beifall bei der LINKEN) Man kann also zusammenfassen: Mit diesem Gesetzentwurf haben die Regierenden wohl die letzte Chance vertan, in Richtung einer guten Tagesbetreuung für alle Kinder umzusteuern. Krisenmanagement sieht anders aus. Sie geben keine Antworten auf die wirklich drängenden Fragen, sondern sie spielen Blindekuh, was den Bedarf betrifft, und Schwarzer Peter, was die Folgen dieses Spiels betrifft. Das muss ein Ende haben. Sie wollen in der nächsten Sitzungswoche den Gesetzentwurf verabschieden. In der vorliegenden Form können wir ihm keinesfalls zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Golze. – Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Frau Katja Dörner. Bitte schön, Frau Kollegin Dörner. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Ministerin hat heute Abend offensichtlich ein bisschen Kreide gefressen. (Zuruf von der CDU/CSU: Was?) Aber dann kam doch wieder die alte Leier, das alte Schwarzer-Peter-Spiel, was auch bei Herrn Kober sehr schön zu beobachten war. Es wird mit dem Finger auf die anderen gezeigt: Die anderen sind schuld, die Länder sind schuld, die Kommunen sind schuld. (Ewa Klamt [CDU/CSU]: Sie sind nicht schuld, sie sind zuständig!) Ich kann Ihnen sagen: Die Eltern, die verzweifelt auf der Suche nach einem Kitaplatz sind, haben diese Debatte einfach satt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir sind hier im Deutschen Bundestag, und deshalb spreche ich über die Verantwortung der Bundesregierung. Fakt ist: Die Bundesregierung und diese Familienministerin sind ihrer Verantwortung beim Kitaausbau nicht gerecht geworden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Pascal Kober [FDP]: Mehr als gerecht geworden!) Was hat im Bundestag stattgefunden? Schwarz-gelbe Vogel-Strauß-Politik, und das seit Jahren. Wir wissen doch schon lange, dass der Bedarf im U-3-Bereich oberhalb der ursprünglich avisierten 35 Prozent liegt. Wir müssen auch davon ausgehen, dass der Bedarf weiter steigt. Was tut die Ministerin? Was hat sie getan? Sie steckt den Kopf in den Sand. Drei Jahre lang hat die Familienministerin es nicht vermocht, dem Finanzminister einen einzigen zusätzlichen Cent für den Kitaausbau aus den Rippen zu leiern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn es jetzt überhaupt eine Chance gibt, den Rechtsanspruch im August zu gewährleisten, dann haben wir diese Chance doch den rot-grünen Bundesländern im Bundesrat zu verdanken, (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Total lustig! Das glauben Sie doch selber nicht!) die die zusätzlichen 580 Millionen Euro im Rahmen der Fiskalpaktverhandlungen erstritten haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die Bundesregierung und diese Familienministerin haben mit diesen 580 Millionen Euro überhaupt nichts zu tun. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich!) Und was macht die Ministerin? Sie schmückt sich mit fremden Federn. Sie setzt das Schwarzer-Peter-Spiel fort. Sie meint, den Ländern kleinteilige und unerfüllbare Vorschriften machen und sie mit Detailregelungen schikanieren zu können. 580 Millionen Euro zusätzlich für den Kitaausbau, erstritten von den Bundesländern, nachdem die Ministerin drei Jahre lang nichts gebacken bekommen hat, und was behauptet Frau Schröder? Zitat: Dass „manche Länder den Kita-Ausbau aus Parteitaktik vor die Wand fahren lassen“. Im Herbst beschwerte die Ministerin sich in der breiten Öffentlichkeit, die Länder würden die Bundesgelder nicht abrufen. Nun lese ich in dem Gesetzentwurf, der uns hier vorgelegt wurde, dass 99 Prozent der Bundesmittel bereits durch Bewilligungen gebunden sind. Herr Kober, an Ihre Adresse sage ich: Heute haben wir die neuen Zahlen bekommen. Baden-Württemberg hat 99,9 Prozent der Gelder beantragt, und sie sind auch bewilligt worden. Das sind die relevanten Zahlen. Sie sollten hier nicht solche Taschenspielertricks machen. Diese Tatsachenverdrehung ist einfach nur dreist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir könnten heute schon viel weiter sein. Die zusätzlichen Mittel könnten schon dort angekommen sein, wo sie dringend gebraucht werden, in den Kommunen, in den Kitas, wenn die Ministerin darauf verzichtet hätte, sich zulasten der Länder und auf Kosten der Eltern zu profilieren. Jetzt müssen wir alle gemeinsam zusehen, dass wir überhaupt noch die Kurve bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich finde es richtig, dass der Bund Forderungen nach einer Beteiligung des Bundes an der Befriedigung eventueller Schadenersatzansprüche der Eltern aufgrund fehlender Kitaplätze zurückweist. Das wäre definitiv ein falsches Signal. Aber es reicht nicht, sich auf diese Forderung der Kommunen einfach nur nicht einzulassen, nach dem Motto: Das geht uns alles überhaupt nichts an. Es muss darum gehen, zu vermeiden, dass diese Schadenersatzansprüche überhaupt erst entstehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Diana Golze [DIE LINKE]) Diesbezüglich ist der Bund ganz klar in der Pflicht. Wir brauchen ein Sofortprogramm, insbesondere für die Kommunen, die in den letzten Jahren in den Kitaausbau investiert haben, aber einen Bedarf haben, der deutlich über 35 Prozent liegt. Wir Grüne haben das in den Haushaltsberatungen beantragt. Wir haben einen Antrag vorgelegt. Wir haben dokumentiert, wie man das solide finanzieren kann. (Otto Fricke [FDP]: Mit Steuererhöhungen!) Dieser Antrag wurde von Schwarz-Gelb einfach abgelehnt. Wenn der Bund jetzt nicht schnell mehr tut, dann wird das mit dem Rechtsanspruch im August nicht funktionieren. Aber nicht nur das; es ist auch klar, dass der Ausbau der Kitaplätze dann zulasten der Qualität in den Einrichtungen gehen wird. Ich finde das absolut unverantwortlich. Deshalb erneut mein Appell an die Bundesregierung, an die Familienministerin, endlich die Verantwortung für einen bedarfsgerechten Platzausbau und die Qualität der Angebote zu übernehmen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Katja Dörner. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Frau Dorothee Bär. Bitte schön, Frau Kollegin Bär. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dorothee Bär (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt ein Spiel, das bei Kindergartenkindern sehr beliebt ist. Sie machen wahnsinnig gern einen „Umgekehrttag“. Dann heißt es: Ich meine immer genau das Gegenteil von dem, was ich sage. Wäre die Rede von Frau Dörner Teil eines solchen Spiels gewesen, wäre sie absolut richtig gewesen; denn für jeden Satz, den Sie hier von sich gegeben haben, gilt: Das Gegenteil davon wäre richtig gewesen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nur mit einem Satz haben Sie recht, Frau Kollegin, nämlich mit dem Satz: Wir haben es satt. – Auch wir haben es satt. Wir haben es satt, dass Sie hier dauernd alles schlechtreden, was diese Bundesregierung in den letzten Jahren an hervorragender Arbeit für die Familien in diesem Land geleistet hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir haben es auch satt, dass wir uns hier immer wieder mit Themen beschäftigen müssen, die schon längst auf einem guten Weg wären, wenn Rot-Grün bzw. Grün-Rot in diesen Bereichen keine Dauerblockade betreiben würde. Sehr geehrter Herr Senator, für die Rede hätten Sie nicht aus Hamburg herkommen müssen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie einfach Ihre Arbeit im Bundesrat gemacht hätten, wäre die Debatte heute Abend überhaupt nicht notwendig. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!) Am 20. November 2012 haben wir hier im Deutschen Bundestag mit der Verabschiedung des Gesetzespakets zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrages 580 Millionen Euro – sprich: 30 000 zusätzliche Betreuungsplätze – auf den Weg gebracht. Am 14. Dezember 2012 wurde das großzügige Angebot des Bundes aber ohne Not und völlig überraschend im Bundesrat abgelehnt. Es stellt sich schon die Frage, was dahintersteckt; denn das Vorgehen der Länder ist – vor allem vor dem Hintergrund, dass beispielsweise Bayern dem Paket zugestimmt hat – wirklich unbegreiflich. Daran sieht man, meine Kolleginnen und Kollegen, dass es in keiner Weise um inhaltliche Punkte geht. Hier spielen nur parteitaktische Gründe eine Rolle. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ach so! An Bayern soll die Welt genesen!) Das wird auf dem Rücken von Familien bzw. Kindern ausgetragen. Ich finde das sehr schofel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Seit Jahren drängen die Länder uns, den Bund, dass wir uns noch stärker beteiligen. Wir als Bund tun das schon, obwohl wir in keiner Weise zuständig sind. Trotzdem sagen wir: Wir nehmen Geld in die Hand. Die Haushaltspolitiker werden bestätigen, dass es nicht einfach ist, Geld für Aufgaben in die Hand zu nehmen, für die eigentlich die Länder und Kommunen zuständig sind. Zusätzlich hat unsere Ministerin in den Verhandlungen noch einmal Geld herausgeholt. Die Kollegin von den Grünen – Frau Dörner, die jetzt nicht zuhört – behauptet, sie habe es gemacht. Nein. Wer war es? Frau Ministerin war es. Auch das gehört zur Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die war noch nicht einmal dabei!) – Sie wissen doch überhaupt nicht, in wie vielen Gesprächen die Frau Ministerin darauf gedrängt hat, dass noch zusätzliches Geld kommt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Haßelmann ist in dem Ausschuss!) Ich muss sagen, sie hat nicht nur das Ganze versprochen, sondern auch gehalten. Deswegen sage ich ein ganz herzliches Dankeschön an das Haus, besonders aber an die Ministerin und an den Staatssekretär. Herzlichen Dank an Sie beide! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen unserer Verantwortung gerecht werden. Deswegen müssen wir unser Vorhaben heute noch einmal diskutieren. Wir wollen das in der nächsten Sitzungswoche abschließen. Auch von den Ländern erwarten wir Kooperationsbereitschaft. Sie kommen aus einem Land, das jetzt wieder Empfänger im Rahmen des Länderfinanzausgleichs wird. Von daher wäre ich sowieso ganz vorsichtig mit solchen Forderungen und würde nicht von Hamburg nach Berlin reisen. Ich würde erst einmal versuchen, zu Hause meine Hausaufgaben zu machen. Ich möchte – dazu nutze ich gerne meine Redezeit – noch einen weiteren Punkt ansprechen, weil mir das wichtig ist. Wesentlich wichtiger, als solche unnötigen Debatten aufgrund von Blockadehaltungen zu führen, ist es, finde ich, dass wir uns über solche Punkte unterhalten, die die Ministerin gestern im Rahmen der Vorstellung des Familienreports vorgestellt hat. Dabei geht es darum, dass wir jungen Frauen und Männern im Land Mut machen, sich für Kinder zu entscheiden. Ich freue mich sehr, dass im gestern von der Ministerin vorgestellten Familienreport eine Trendwende zu erkennen ist, dass unter anderem auch Akademikerinnen in diesem Land wieder mehr Kinder bekommen. Solch positive Debatten müssen wir hier führen. Es sollten keine Debatten wie die sein, die der Senator hier geführt hat. Er selber hat leider dazu beigetragen, dass wir uns im Klein-Klein verlieren. Wir müssen diejenigen sein, die sagen: Es lohnt sich, eine Familie zu gründen. An der Befragung sieht man auch – das war gestern das Spannende –, dass der Bund seine Hausaufgaben gemacht hat. Denn von den Eltern wird nicht gesagt: Wenn wir uns nicht bewusst für ein Kind entscheiden, liegt das an fehlenden Plätzen. – Das wird weiter hinten erwähnt. Es liegt auch nicht daran, dass zu wenig Geld da ist, sondern in erster Linie daran, dass beispielsweise der richtige Partner fehlt. Dazu können wir kein Gesetz verabschieden. Wir können aber mit unserer Politik bzw. mit unseren Reden hier für ein positives Klima sorgen. Dieses positive Klima vermisse ich in Ihren Reden und bei Ihrer Arbeit. Das finde ich sehr schade. Deswegen ist es gut, dass CDU/CSU und FDP im September diese erfolgreiche Politik weiterführen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Dorothee Bär. – Nächste Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unsere Kollegin Frau Caren Marks. Bitte schön, Frau Kollegin Marks. (Beifall bei der SPD – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Jetzt die Dinge wieder zurechtrücken!) Caren Marks (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den vergangenen Jahren immer wieder darauf gedrängt, dass sich Familienministerin Schröder beim Krippenausbau engagiert und vor allem endlich einmal konkret handelt. Auch wenn Frau Schröder sich hier heute mit fremden Federn schmückt: Es ist gut, dass die Bundesregierung nun endlich unseren Forderungen nachgibt und mehr Mittel für den Krippenausbau bereitstellen will. Ich sage an dieser Stelle aber auch ganz deutlich: Es wäre sinnvoll gewesen, wenn Sie, Frau Schröder, sich schon viel früher auf den Weg gemacht, auf uns gehört und eine solche Initiative auf den Weg gebracht hätten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Ministerin, es ist bereits fünf vor zwölf. Sie müssen jetzt dafür sorgen, dass diese Mittel zügig dort ankommen, wo sie dringend gebraucht werden, nämlich vor Ort. In diesem Zusammenhang will ich aber auch noch einmal erwähnen, wie absurd es ist, dass Schwarz-Gelb hier vor einigen Wochen das Betreuungsgeld durchgeboxt hat, womit ein Anreiz geschaffen wird, genau diese Infrastruktur, die mit Bundesmitteln gefördert wird, nicht zu nutzen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das war doch von Anfang an geplant!) Das ist nicht nur bildungs- und integrationspolitisch eine Katastrophe, sondern das ist auch eine völlig widersinnige und widersprüchliche Gesetzgebung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Caren, was erwartest du von denen?) – Nichts. – Zudem wird mit der milliardenteuren Einführung dieses unsinnigen Betreuungsgeldes langfristig viel Geld dem so dringend notwendigen Ausbau der frühkindlichen Bildung entzogen. Das ist umso schlimmer, je näher das Inkrafttreten des Rechtsanspruches rückt. (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal etwas zur Blockade im Bundesrat!) Frau Merkel und diese schwarz-gelbe Koalition setzen völlig falsche Anreize in der Familienpolitik. Immer wieder hat die eigentlich zuständige Bundesfamilienministerin beim Krippenausbau den Ländern und den Kommunen die alleinige Verantwortung zugeschoben. Sie, Frau Schröder, haben mit der gesamten Bundesregierung wertvolle Zeit mit Nichtstun verstreichen lassen. Aber auch Sie haben eine Verantwortung, vor der Sie nicht weglaufen können. (Beifall bei der SPD) Wir, die SPD, hingegen haben in der Zeit unserer Regierungsverantwortung andere familienpolitische Akzente gesetzt und den Krippenausbau mit Finanzhilfen in Milliardenhöhe forciert. Aber Geld ist nur eine Seite der Medaille. Das gilt auch für den Krippenausbau. Es gibt noch viele andere Maßnahmen, die diese Regierung eigentlich endlich anpacken müsste. An verschiedenen Orten Deutschlands werden die Klagen über fehlende pädagogische Fachkräfte immer lauter. Die Zeit drängt. Sie müssten in enger Zusammenarbeit mit den Ländern, den Kommunen und den Trägern eine bundesweite Fachkräfteoffensive starten, um den steigenden Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern zu decken. Der wachsende Fachkräftebedarf wird aber nur zu decken sein, wenn die Arbeitsbedingungen im Erzieherberuf verbessert werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei der aktuellen Diskussion – das lief gestern und vorgestern über den Ticker –, in der einige Akteure größere Kitagruppen und auch zusätzlich ungelerntes Personal in Kitas fordern, hat man den Eindruck, dass frühkindliche Bildung nicht wirklich hoch gewertet wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es geht hier um nichts weniger als um die frühe Förderung von Kindern. Hier wird ein wirklich wichtiger Grundstein für das weitere Leben gelegt. Wir, die SPD, fordern seit Jahren, dass sich diese Bundesregierung mit Ländern und Kommunen bei einem Krippengipfel an einen Tisch setzt und konkrete Schritte zur Forcierung des Krippenausbaus sowie für eine Fachkräfteoffensive verabredet. Solche Initiativen sind zusätzlich auch auf Länderebene notwendig. Wir haben eben gehört: SPD-geführte Länder machen vor, wie es geht. Hamburg ist es gelungen, den Rechtsanspruch für Kinder unter drei Jahren um ein Jahr vorzuziehen. Er wirkt dort schon seit dem 1. August 2012. (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Alles mit unserem Geld!) Nordrhein-Westfalen hat nach der Regierungsübernahme durch Hannelore Kraft schnell einen Krippengipfel einberufen, nachdem die CDU-geführte Vorgängerregierung unter Beteiligung der FDP den Krippenausbau verschlafen hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das rot-grün geführte Bundesland NRW unterstützt auch ganz gezielt notleidende Kommunen, damit auch sie den Ausbau schaffen. In Niedersachsen hingegen sieht es im wahrsten Sinne des Wortes schwarz aus. Selbst CDU-Bürgermeister beklagen die mangelnde finanzielle Beteiligung des noch schwarz-gelb regierten Landes beim Krippenausbau. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Nur noch bis Sonntag!) Wenn ich den Krippenausbau mit dem Bau eines Hauses vergleiche, bleibt nur zu sagen: Das Fundament für den Kitaausbau hat Rot-Grün vor Jahren gelegt. (Lachen der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU]) Der heute vorgelegte Gesetzentwurf und die in Aussicht gestellten Mittel sind ein Erfolg der rot-grünen Bundesländer. Damit wird ein weiteres Stockwerk zur Fertigstellung dieses Hauses gebaut. Es fehlen noch Fenster und Türen und ein Dach über dem Kopf, damit es trocken bleibt, wenn es regnet. Lassen Sie uns gemeinsam auf allen Ebenen dafür sorgen, dass sich alle Familien in diesem Haus wohlfühlen und vor allem, dass Kinder in unserem Land optimal gefördert werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Nicole Bracht-Bendt von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nicole Bracht-Bendt (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Laut einer Agenturmeldung hat der Deutsche Städte- und Gemeindebund gestern gedroht, bei möglichen Schadenersatzklagen wollten Städte und Gemeinden den Bund in die Pflicht nehmen. Als Grund heißt es, der Bund sei ja schließlich Urheber des Rechtsanspruchs und trage eine politische Mitverantwortung. Das ist Sarkasmus. Keine Bundesregierung hat so viel in den Ausbau der Kinderbetreuung investiert. Wie Sie wissen, liegt dem kein einsamer Beschluss des Bundes zugrunde, sondern ein einstimmiger Beschluss von Bund, Ländern und Kommunen beim Krippengipfel im Jahre 2007, auf dem die Strategie festgeklopft wurde. Dann hat der Bund, wie beschlossen, erst 4 Milliarden Euro lockergemacht, und heute legen wir weitere 580 Millionen Euro drauf. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Fakt ist: Der Bund hat seine Hausaufgaben gemacht, und den Ländern müssen wir das Geld sozusagen aufdrängen. An die Adresse des Städte- und Gemeindebundes kann ich da nur sagen: Nun dem Bund den Schwarzen Peter zuzuschieben, während Städte und Gemeinden mit dem Ausbau der Kinderbetreuung nicht rechtzeitig losgelegt haben, ist unfair und auch unseriös. (Pascal Kober [FDP]: So ist es!) Mit der Erfüllung des Rechtsanspruches wird die Aufgabe nicht beendet sein. Wir Liberale halten es für dringend notwendig, immer auch die Qualität der Betreuung im Blick zu haben und hier kontinuierlich Verbesserungen zu erreichen. Die Frage, in welchem Maße ein Kind – gerade aus bildungsfernen Schichten – von der Kinderbetreuung profitiert, hängt unmittelbar mit der Qualität der Betreuung zusammen. Wir wollen, dass die Gruppengrößen, wie heute hier gesagt wurde, nicht erhöht werden, sondern dass die Betreuungsrelation verbessert wird. Wir haben mit dem Programm zu Schwerpunktkitas über 4000 Kitas in sozialen Brennpunkten finanziell unterstützt. Der Bund macht auch hier seine Hausaufgaben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden auch nach 2015 einen quantitativen Ausbau brauchen. Denn Eltern wünschen sich die Betreuung ihrer Kinder zu Zeiten, die ihren Arbeitszeiten entsprechen. Das heißt, auch nach 18 Uhr, vor 8 Uhr und, für einige, auch nach 20 Uhr und am Wochenende. Die große Nachfrage nach der 24-Stunden-Kita in Schwerin zeigt, dass Alleinerziehende oder Schichtarbeiter, Ärzte, Busfahrer oder Polizisten auf Betreuung außerhalb der Kernzeiten angewiesen sind. Dass sie sie brauchen, wissen wir, und das nehmen wir ernst. Wir werden gespannt beobachten, wie sich die Opposition verhält. Im Haushaltsverfahren haben Sie milliardenschwere zusätzliche Programme für den Ausbau gefordert. Wir werden auch darauf achten, ob Sie den Bundesrat als Blockadeinstrument gegen Eltern- und Kinderinteressen benutzen oder ob Sie sich konstruktiv verhalten. Ich wünsche mir, dass wir uns am 1. August dieses Jahres alle gemeinsam – Bund, Länder, Kommunen – darüber mit den Eltern und Kindern freuen können, dass wir der Wahlfreiheit der Lebensgestaltung der Familien in Deutschland wieder ein Stück näher gekommen sind. Daran werden wir arbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt das Wort der Kollege Marcus Weinberg von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Debatten zur Familienpolitik sind immer schön; da weiß man, wo man hingehört, (Beifall der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU]) und da weiß man auch, was man geleistet hat. Denn in diesen Debatten sprechen wir nicht nur über die Kindertagesbetreuung, sondern auch über die Familienpolitik insgesamt. Da werden die Unterschiede deutlich, Frau Marks, und zwar zwischen einer einseitigen, ideologiegeprägten Grundposition und einer familienorientierten Grundhaltung. Ich glaube, dieser Unterschied ist auch heute wieder deutlich geworden. Wir haben die familienorientierte Grundhaltung und trauen den Familien etwas zu. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aus Grundhaltungen werden gelegentlich Haltungen. Eine solche Haltung bezieht sich auf die Fragen: Was hat der Staat zu leisten? Was können wir Familien zutrauen? Wo geben wir Familien Chancen der Entwicklung? Wenn man über Lösungsansätze spricht, nimmt man dies mit auf. Lösungen muss man dann familienbezogen entwickeln und sich genau überlegen: Welche Bedarfe gibt es? Vor diesem Hintergrund, Herr Senator – das sei unter uns Hamburgern kurz gestattet –, möchte ich die Geschichte, die Sie erzählt haben, mit dem Anfang und dem Ende verknüpfen. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Ja!) Ja, es stimmt, Hamburg hat im Bereich der Kindertagesbetreuung hervorragende Daten vorzuweisen. Weil der CDU-Senat den Etat in zehn Jahren von 298 Millionen Euro auf über 450 Millionen erhöht hat, (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Aha!) deswegen erzielt Hamburg so hervorragende Ergebnisse im Bereich der Kindertagesbetreuung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das war der Anfang der Geschichte. Es wurde ein Rechtsanspruch ins Gesetz geschrieben. Bei Berufstätigkeit gibt es für den Krippenbereich sogar einen Gutschein, auf dessen Umsetzung ein Rechtsanspruch besteht. – Ich sehe Sie nicken, Sie stimmen zu. Das ist gut für die Kinder in der Stadt. Jetzt komme ich zum Ende der Geschichte: Sie haben richtigerweise gesagt: Der Etat wird jetzt noch einmal erhöht. – Sie müssen dann aber auch erzählen, dass Sie bei der Rahmenzuweisung für die offene Kinder- und Jugendarbeit 10 Prozent einsparen. Das ist nicht gut für die Kinder in der Stadt. (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Oh, oh!) Das heißt nämlich, Sie sparen bei den Schwächeren, in den Stadtteilen, in denen die Kinder Unterstützung bräuchten. Das ist der Unterschied in der Herangehensweise: Will ich die Gießkanne, das Gleichheitsprinzip, oder will ich im Bereich der Kindertagesbetreuung differenzieren? – Es gab da ja nun den Krippengipfel und das KiföG. Hier muss gegenüber aller Feinkritik – ob das jetzt 35 Prozent oder 39 Prozent sind – und allen Forderungen, hier und dort noch nachzujustieren, möglicherweise zu Recht, festgehalten werden: Man muss auch mal Dinge machen. Es gibt Menschen, die Fische fangen, und solche, die nur das Wasser trüben. (Dagmar Ziegler [SPD]: Das sagen Sie einmal Ihrem Minister!) – Entschuldigung, es ist diese Regierung unter Bundeskanzlerin Merkel, die den Rechtsanspruch umsetzt und 4 Milliarden Euro plus x bereitgestellt hat. Bei aller feinfühligen Diskussion über die Auswirkungen muss man einfach einmal zur Kenntnis nehmen: Wir haben es gemacht. Wie heißt es immer so schön? Wenn jeder auf seinem Platz das Beste tut, wird es in der Welt bald besser aussehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Frage ist also: Wer macht eigentlich was in den Ländern? Schauen wir uns das einmal an: Es gibt viel Geschimpfe über Bayern, Stichwort Betreuungsgeld. Wenn Sie sich aber die Differenz anschauen zwischen dem tatsächlichen Bedarf an Kinderbetreuung und dem momentanen Ausbaustand, dann sehen Sie, dass Bayern auf Platz 1 ist; denn die Differenz beträgt in Bayern nur 10 Prozent. Bayern ist also ein positives Beispiel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Und die müssen den Finanzausgleich noch bezahlen!) – Hamburg ist beim Länderfinanzausgleich mittlerweile leider auch zu einem Nehmerland geworden. Das war früher einmal anders. Aber so ist es halt gekommen. Ich bitte um Verzeihung. Neben dem positiven Beispiel Bayern gibt es aber auch Länder, bei denen man sich fragen muss: Was ist denn da los? So muss man feststellen, dass im Osten in Mecklenburg-Vorpommern die höchste Diskrepanz zwischen Ausbaubedarf und tatsächlichem Ausbau besteht. (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Da ist doch Frau Schwesig zuständig!) Das Entscheidende ist nicht, dass es sich um Mecklenburg-Vorpommern handelt. Das würde ich auch gar nicht erwähnen, wenn die zuständige Ministerin nicht landauf, landab auf den Straßen verkünden würde, was sie will, während sie in dem Land, in dem sie die Verantwortung trägt, den Ausbau nicht umsetzt. Man muss sagen: Da läuft etwas schief, (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sie kriegt es nicht auf die Reihe!) und fragen: Was hat Frau Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern eigentlich die ganze Zeit gemacht? Wie hat sie ihre eigene Verantwortung wahrgenommen? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nichts!) Es gäbe noch einiges zu erzählen über das, was der Bund alles beisteuert. Wir reden dabei nicht nur über die 4 Milliarden Euro und über die 580 Millionen Euro. Zu all dem ist etwas gesagt worden. Frau Bär hat uns darüber aufgeklärt, worin die Nachsteuerung bestand und wie die Länder sich verhalten haben. Wir müssten auch über die 400 Millionen Euro reden, die bis 2014 für den Bundeskongress „Frühe Chancen“ bereitgestellt werden. Genauso müssten wir über die Weiterbildungsinitiative, das Aktionsprogramm Kindertagespflege und die Initiative „Mehr Männer in die Kitas“ reden. Das alles sind Dinge, die der Bund, weil wir ein föderatives System haben, eigentlich nicht machen müsste. Es sind aber Dinge, die wir gemacht haben, auch wenn die Konstruktion teilweise nicht ganz einfach war, weil sie uns wichtig sind. Auch diese Geschichte muss erzählt werden. Ich glaube, dass es im August im Ergebnis eine sicherlich schwierige, ambitionierte Phase geben wird, in der man schauen muss, wo was noch nicht umgesetzt ist. Aus dieser Debatte und aus vielen anderen Debatten sind aber drei Dinge deutlich geworden: Erstens. Wir trauen den Familien etwas zu. Zweitens. Wir sind die, die fischen. Drittens. Wir haben dabei eine Haltung. Wie hat Thomas Paine einmal gesagt? Haltung lässt sich leichter bewahren als wiedergewinnen. – Ich glaube, das zeichnet auch diese Debatte aus. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12057 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 d auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU – Lateinamerika: Partnerschaft für eine sozial-ökologische Transformation – Drucksachen 17/11838, 17/12093 – Berichterstattung: Abgeordnete Anette Hübinger Dr. Sascha Raabe Harald Leibrecht Heike Hänsel Thilo Hoppe b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Friedensdialog in Kolumbien aktiv unterstützen – Drucksachen 17/11839, 17/12094 – Berichterstattung: Abgeordnete Anette Hübinger Dr. Sascha Raabe Harald Leibrecht Heike Hänsel Thilo Hoppe c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sozialen Fortschritt und regionale Integration in Lateinamerika unterstützen – Drucksachen 17/3214, 17/12087 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Egon Jüttner Dr. Rolf Mützenich Dr. Rainer Stinner Wolfgang Gehrcke Hans-Christian Ströbele d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE CELAC-EU-Gipfel in Santiago de Chile – Neue Zusammenarbeit mit neuen Partnern – Drucksache 17/12061 – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Hans-Werner Ehrenberg für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hans-Werner Ehrenberg (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kolumbien leidet seit fast 50 Jahren unter einem blutigen Bürgerkrieg zwischen der Regierung, paramilitärischen Organisationen und mehreren kommunistischen Guerillagruppen. Dies ist ein schrecklicher Konflikt, der bis heute deutlich mehr als eine halbe Million Menschenleben gefordert hat. Die FARC, die „bewaffneten revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“, wie sie sich selber nennen, spezialisierten sich neben dem Töten auch auf das Drogengeschäft. Spätestens ab diesem Moment ist es kaum noch möglich, eine saubere Trennung zwischen der organisierten Drogenkriminalität, kriminellen Entführungen und dem sogenannten Freiheitskampf der FARC zu ziehen. Für diese Mischung aus Terrorismus, Drogenhandel und Entführungen haben die Kolumbianer schon seit langem den Begriff „Narco Terrorismo“ erfunden, den Drogenterrorismus. Als ob dies alles nicht schon genug wäre, den kommunistischen Guerillagruppen jegliche Unterstützung zu verweigern! Es ist kein großes Geheimnis, dass der venezolanische Staatspräsident Hugo Chávez offenkundig mit dieser Guerillagruppe sympathisiert. Der kolumbianische Ex-Präsident Uribe hat unermüdlich darauf hingewiesen, dass Chávez den FARC Venezuela als Rückzugsgebiet zur Verfügung gestellt hat. Tatsächlich sieht man Mitglieder der FARC bei den venezolanischen Regierungsmitgliedern ein- und ausgehen. Venezuela, ein Land, das mit dem iranischen Präsidenten Ahmadinedschad befreundet ist, der, wie wir alle wissen, das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, unterhält enge Kontakte zu den FARC. Diese Terrororganisation wollen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken, von der Terrorliste der EU streichen? – Wer mit den FARC sympathisiert, der sympathisiert auch mit dem Iran. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Forderungen von Freunden des iranischen Regimes wollen wir nicht unterstützen – und die Bundesregierung sicherlich auch nicht. Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Zeitpunkt Ihres Kolumbien-Antrages verlieren: Nach internationalen und diplomatischen Gepflogenheiten ist es völlig unüblich, während laufender Verhandlungen Forderungen von außen zu stellen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist so, als ob man während eines laufenden Fußballspiels die Spielregeln ändern würde. Wer sind wir denn, dass wir uns eine solche Verhaltensweise anmaßen? Das ist nicht konstruktiv. Man sollte sich noch einmal die Fakten der aktuellen Situation in Kolumbien deutlich vor Augen führen: Da erklärt eine demokratisch gewählte Regierung, dass sie bereit sei, mit einer Terrorgruppe zu verhandeln und sogar ein Referendum über den Ausgang dieser Verhandlung abzuhalten. Als ob das nicht schon Zugeständnis genug wäre! Die von Ihnen geforderte Anerkennung dieser Terrorgruppe nenne ich Einmischung in innere Angelegenheiten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich denke, wir sind gut beraten, wenn wir erst einmal abwarten, bis die Friedensverhandlungen zum Abschluss gebracht worden sind, und uns dann positionieren. Alles andere wäre dem Friedensprozess sicherlich nicht dienlich. Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir noch, auf einige Aspekte in den anderen Anträgen kurz einzugehen: Da werden angebliche Verdienste Kubas gewürdigt, ohne auch nur im Geringsten darauf einzugehen, dass Kuba nach wie vor eine menschenverachtende Diktatur ist, die die eigenen Bürger einsperrt, bespitzelt und in ihren Gefängnissen verhungern lässt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Auch Ihre Kritik am Lateinamerika-Konzept, das von Außenminister Westerwelle erstellt wurde, ist einseitig und läuft ins Leere. Das Konzept umreißt einen ausgewogenen Ansatz für eine breite Zusammenarbeit zu beiderseitigem Vorteil. Darüber hinaus wird es von einem neuen und effektiven entwicklungspolitischen Konzept flankiert, das nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum in den Vordergrund stellt. Minister Niebel hat nicht nur frühzeitig erkannt, dass Entwicklungszusammenarbeit ohne die Wirtschaft nicht nachhaltig sein kann. Er hat vor allem auch die Tatkraft besessen, diese Tatsache endlich in die Praxis umzusetzen und das unsägliche Gießkannenprinzip seiner Vorgängerin abzuschaffen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch der Abbau von wirtschaftlichen Hindernissen und die Förderung von Freihandelsabkommen wirken sich positiv auf die Menschen in Lateinamerika aus. Freihandelsabkommen unterstützen die wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Länder. Das schafft -Arbeitsplätze und trägt zum Wirtschaftswachstum bei. Dadurch werden soziale Spannungen nachhaltig gelindert. Des Weiteren fördert die Bundesregierung schon seit langem Klima- und Umweltschutz in der Region intensiv, vor allem mit Mitteln der Entwicklungs- und Umweltpolitik und in der Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Forschung. Ebenso sind Themen wie Menschenrechte und -Medienunabhängigkeit in jedem Dialog mit unseren lateinamerikanischen Freunden präsent. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Länder Lateinamerikas und die Menschen dort haben weit mehr Aufmerksamkeit verdient, als wir ihnen derzeit zukommen lassen. Das Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung und die vielen in diesem Rahmen durchgeführten Maßnahmen sind ein guter und erfolgreicher Anfang. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bitte aber ausdrücklich alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Hohen Hause, sich dafür einzusetzen, dass der Fokus auf unsere Partner in Lateinamerika noch weiter verstärkt wird. Wir alle sollten ein ureigenes Interesse daran haben, dass die Menschen in Lateinamerika in Wohlstand und Freiheit leben können. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Ehrenberg, ich darf Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag herzlich gratulieren. (Beifall – Hans-Werner Ehrenberg [FDP]: Ich bedanke mich!) Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Sascha Raabe von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der weiß es besser!) Dr. Sascha Raabe (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da es parlamentarischer Brauch ist, dass man einen Redner, der seine erste Rede gehalten hat, inhaltlich nicht zu scharf kritisiert, werde ich das auch lassen und deswegen auch nichts zu den Passagen zu Niebel und der Vorgängerin sagen. Es ist ja so: Er kennt Herrn Niebel noch nicht so lange. Wenn er ihn länger kennt, wird er bestimmt auch zu einem anderen Urteil kommen. (Klaus Barthel [SPD]: Viel Zeit hat er nicht mehr!) Ich möchte viel lieber über Lateinamerika reden; denn wir stehen heute wenige Tage vor dem 7. Gipfeltreffen der Europäischen Union mit Lateinamerika. -Einige Kolleginnen und Kollegen von mir, die hier -sitzen, haben ja schon viele Gipfeltreffen als Parlamentarier erlebt. Zum Teil haben wir die Gipfeltreffen mit Anträgen begleitet, waren dort auch selbst vor Ort. Es gibt doch schon einen ganz wesentlichen Unterschied hinsichtlich der Wahrnehmung, aber auch der Presseberichterstattung zwischen dem bevorstehenden Gipfel und den Gipfeln, die vor fünf, sechs oder acht oder zehn Jahren stattfanden. Ich zitiere einmal aus der Süddeutschen Zeitung: Ein Kontinent greift nach den Sternen Vor dem großen Gipfeltreffen mit der EU strotzt Lateinamerika vor Selbstbewusstsein. In einer Meldung von dpa heißt es: „Verkehrte Welt: Spanien bittet Lateinamerika um Hilfe.“ Da heißt es, dass der spanische Regierungschef Lateinamerika bittet, in Spanien zu investieren. Er sagt, sie werden „mit offenen Armen empfangen“ werden, und weiter: „Ich ermutige Euch, Eure Präsenz in Spanien und Europa zu erweitern.“ Auch die FAZ schreibt: Ein Blick nach Lateinamerika lohnt sich, und: Es ist schon sehr beeindruckend, was sich in den letzten Jahren auf diesem Kontinent getan hat, was die Wirtschaftskraft angeht, was den Rückgang der Arbeitslosigkeit angeht. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren – da spreche ich vor allem die Entwicklungspolitiker heute an, die hier in großer Zahl vertreten sind und auch die meisten der Anträge, über die wir heute diskutieren, -federführend vorbereitet haben –, wir sind auch bei den sogenannten MDGs, den Millennium Development Goals, also den Millennium-Entwicklungszielen, bei -allen acht, in Lateinamerika hervorragend vorangekommen. Ich möchte einmal das wichtigste Ziel, die Armutsreduzierung, nennen. Da haben wir uns ja verpflichtet, dazu beizutragen, dass sich bis zum Jahr 2015, gemessen am Stand von 1990, die Anzahl der Hungernden und -Armen auf der Welt halbiert. In Lateinamerika lebten 1990 noch 48,4 Prozent – also fast die Hälfte – der Menschen in Armut, und fast ein Viertel lebten in absoluter Armut. Bereits im Jahr 2011 leben nur noch 29 Prozent der Menschen in Armut und nur noch 11,5 Prozent in absoluter Armut. Das heißt, bereits im Jahr 2011 ist eine Halbierung der Zahl erreicht worden, sodass Lateinamerika insgesamt dieses MDG schon vier Jahre vor dem Zieljahr 2015 erfüllt hat. Dazu können wir nur sagen: Herzlichen Glückwunsch, Lateinamerika! (Beifall der Abg. Klaus Barthel [SPD], Anette Hübinger [CDU/CSU] und Heike Hänsel [DIE LINKE]) Auch in anderen Kategorien gibt es große Erfolge, etwa beim Rückgang von Krankheiten, Kinder- und Müttersterblichkeit. Ich möchte einmal die Zahl derjenigen nennen, die die Sekundarschule besuchen – in anderen Ländern wäre man schon froh, wenn alle Kinder die Grundschule besuchen würden –: Dieser Anteil lag 1990 noch bei unter 50 Prozent und ist jetzt auf 75 Prozent gestiegen. Also fast drei Viertel aller Kinder in Lateinamerika besuchen heute eine Sekundarschule. Im Bereich Gleichberechtigung – auch eines der MDGs – ist der Anteil der Frauen an Universitäten von 24 Prozent im Jahr 2000 jetzt auf knapp 50 Prozent gestiegen. 1990 lag dieser Anteil bei nur 16 Prozent. Von 16 Prozent auf 50 Prozent ist der Anteil von Frauen an Universitäten gestiegen. Ich glaube, da kann man wirklich sagen: „Ein Kontinent greift nach den Sternen. “ Jetzt kann man sich natürlich zu Recht fragen: Wessen Erfolg ist das? Natürlich ist das in erster Linie der Erfolg der Menschen in Lateinamerika, (Klaus Barthel [SPD]: Das konnte auch Niebel nicht verhindern!) der Zivilgesellschaft und auch all der Nichtregierungsorganisationen. Sie haben sich auf einem eigentlich schon immer reichen Kontinent erfolgreich dafür eingesetzt, dass in vielen Ländern Regierungen an die Macht gekommen sind, die das Thema Armut und Sozialpolitik oben auf die Agenda gesetzt haben. Dass die Wahlentscheidungen entsprechend ausgefallen sind, war früher eben nicht der Fall gewesen. An dieser Stelle möchte ich als Entwicklungspolitiker, der seit 2002 im Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit ist, sagen, weil wir auf anderen Kontinenten zu oft nur auf die Negativbeispiele schauen: Das hat natürlich auch ein kleines Stück mit erfolgreicher Entwicklungszusammenarbeit zu tun. Seitens der deutschen Entwicklungszusammenarbeit haben wir über viele Jahre unsere Schwerpunkte in Lateinamerika ganz stark auf Rechtsstaatlichkeit, Justiz, Partizipation und Bürgerprozesse gesetzt. Sie finden heute kaum ein erfolgreiches -lateinamerikanisches Land, in dem nicht in der Regierung an verantwortlichen Stellen Politiker sitzen, die entweder von den politischen Stiftungen teilweise in Deutschland mit ausgebildet wurden oder für unsere Durchführungsorganisationen gearbeitet haben. Ich nenne als bekanntestes Beispiel Lula da Silva, der mit der Friedrich-Ebert-Stiftung zusammen lange Jahre, bevor er Präsident wurde, zusammengearbeitet hat, dem wir dort helfen konnten. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Beispiele. Ich glaube, das zeigt: Wenn die Entwicklungszusammenarbeit bei den Menschen ansetzt, die Menschen ermutigt und dadurch die Kräfte im Inneren dieser Länder für Demokratie und Partizipation gestärkt werden, dann kann diese Zusammenarbeit erfolgreich sein. Das ist ein ermutigendes Signal für uns. Lassen Sie uns so weitermachen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In diesem Sinne: Der Antrag der Grünen legt sicherlich zu Recht den Finger auf ganz viele Wunden, die noch zu heilen sind. Ich sage nicht: Es ist alles gut in -Lateinamerika. – Der Antrag der Grünen hat auch das große Verdienst, dass er all die Stellen, an denen es noch klemmt, benennt. Natürlich haben wir in manchen Ländern auf der einen Seite großes Wirtschaftswachstum und auf der anderen Seite Regionen im ländlichen Raum, wo sich nicht viel getan hat. Gleichwohl muss man aber zur Kenntnis nehmen, dass auch die Weltbank in einer Studie vom November 2012 zu dem Schluss kommt, dass sich die Ungleichheit bei den Einkommen in der Mehrzahl der lateinamerikanischen Staaten vermindert hat, während sie in den USA und in Europa weiter zugenommen hat. Auch das muss man einmal erwähnen. Wir werden dem Antrag der Grünen allerdings nicht zustimmen, sondern uns enthalten, weil uns in diesem Antrag die positive Seite etwas fehlt. Wir können heute nicht einen Antrag so machen, wie wir ihn vor zehn Jahren geschrieben haben, nach dem Motto: Seid endlich einmal sozial und gut! – Da hat sich gerade in Brasilien, einem Land mit einer hohen Steuerquote, sehr viel getan. Aber an einer Stelle – das möchte ich für die SPD betonen – stimmen wir ausdrücklich zu: Auch wir wünschen uns eine Änderung der Haltung der Europäischen Union auf dem Gipfeltreffen. Natürlich müssen Freihandelsabkommen mit menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Mindeststandards versehen werden. Die Kernarbeitsnormen der ILO müssen überall garantiert werden können. Ich möchte dazu ein Beispiel erzählen. Der Kollege, der vor mir gesprochen hat, hat sich ja der Auffassung des Bundesentwicklungsministers angeschlossen, der immer sagt, wie toll Wirtschaftswachstum alleine ist und wie sehr es allen hilft. Ich war vor zwei Jahren mit Herrn Westerwelle in Kolumbien. Dort haben wir mit Vertretern deutscher Firmen gesprochen, die gesagt haben: -Alles läuft gut in Kolumbien, aber wir haben eine Bitte an Sie, Herrn Außenminister, wenn Sie jetzt mit dem Präsidenten reden. Die Kolumbianer wollen uns die Steuern um 0,2 oder 0,3 Prozent erhöhen, um damit -Sozialprogramme zu finanzieren. Uns wurde aber von den Vorgängerregierungen zugesichert: Wenn wir in -Kolumbien investieren, dann kriegen wir 30 Jahre keine Steuererhöhung. Das, meine ich, kann es auch nicht sein. Wenn wir zu Recht einfordern, dass die Sozialpolitik in lateinamerikanischen Ländern gefördert und die Steuerquote erhöht werden soll, dann müssen wir auch dazu beitragen, dass unsere deutschen Firmen und die Europäische Union sich entsprechend verhalten. Das wäre meine Bitte an die Adresse der Europäischen Union. Ansonsten würde ich mich freuen, wenn die Folge der Feststellung „Ein Kontinent greift nach den Sternen“, die ich eingangs zitierte, wäre, dass die Menschen auf diesem Kontinent die Sterne auch erreichen und dass wir in jedem lateinamerikanischen Land irgendwann einen hellen Stern am Himmel haben werden. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Hugo Chávez!) Wenn wir dann in den Himmel schauen, lauter funkelnde Sterne über Ländern sehen, wo die Menschen ohne Hunger und Armut glücklich leben können, dann wären wir, glaube ich, ein ganzes Stück weiter. Das wünsche ich mir. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Hugo Chávez und Fidel Castro! Das sind ja schon zwei Sterne!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Anette Hübinger. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Anette Hübinger (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute mehrere Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und von der Linken. Sie thematisieren die politische und wirtschaftliche Situation in Lateinamerika wie auch die Rolle Deutschlands und der Europäischen Union in ihren partnerschaftlichen Beziehungen zu Lateinamerika. Anlass ist der Gipfel, der am 26. und 27. Januar in Chile zum siebten Mal stattfinden wird, diesmal quasi unter einem neuen Logo. Die lateinamerikanischen Staaten haben sich nämlich zu dem Bündnis CELAC zusammengeschlossen. Die Anträge tragen alle Überschriften, die auf den ersten Blick nicht schlecht klingen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie klingen gut!) Denn wer kann schon dagegen sein, wenn es darum geht, Gesellschaften sozial und ökologisch zu gestalten, oder wenn es um Frieden, Dialog und Zusammenarbeit mit unseren Partnern in Lateinamerika geht? Die Bundesregierung, so heißt es auf der ersten Seite des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen, soll den anstehenden Gipfel zum Anlass nehmen, die Beziehungen zu Lateinamerika grundsätzlich zu verändern. In den Augen der Grünen heißt das: weniger Wirtschaft, mehr Soziales, mehr Ökologie, mehr Menschenrechte. Ähnlich klingt es auch bei den Linken. (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] und Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist jedoch die Frage: Was verbirgt sich hinter dieser wohlklingenden Rhetorik, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört sich doch gut an!) und sind die aufgestellten Forderungen auch praxistauglich, das heißt, gibt es in allen Staaten Lateinamerikas und der Karibik auch den Willen, danach zu handeln? (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum müssen wir uns kümmern!) Dass Menschenrechte in Wirtschaft und Politik großgeschrieben werden müssen und dass in diesem Punkt in einzelnen Ländern Lateinamerikas viele Defizite herrschen, steht außer Frage. Aber Wirtschaft und wirtschaftliches Interesse stehen nicht per se im Gegensatz zu Menschenrechten (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber häufig schon!) und sind auch kein Hindernis für den Aufbau sozialer Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen. Das sehen wir am Beispiel Deutschlands. Die soziale Marktwirtschaft ist der Garant unseres Wohlstandes, den keiner von uns mehr missen möchte. Dafür sollten wir in Lateinamerika werben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Lateinamerika kann man derzeit drei Trends feststellen. Erstens. Lateinamerika agiert international zunehmend als selbstbewusster Akteur. Dieser Region werden Wachstumszahlen vorausgesagt, von denen die Europäische Union nur träumen kann. Politisch sehen sich -gerade auch die großen Länder auf Augenhöhe mit den anderen Großen dieser Welt. Zweitens. Die Heterogenität der Region ist nach wie vor groß. Die Länder unterscheiden sich nicht nur in Größe und Wirtschaftsleistung, sondern vor allem auch in ihrer politisch-ideologischen Ausrichtung. Chile, -Kolumbien, Peru und Mexiko betreiben erfolgreich eine Politik der offenen Märkte und der Integration in den Weltmarkt. Venezuela, Bolivien, Ecuador und Argentinien bevorzugen hingegen staatszentrierte Wirtschaftskonzepte. Bei dieser Spannbreite ist eine multilaterale Verständigung schwierig. Drittens. Die regionale Integration ist ins Stocken geraten. Zwar bestehen eine Reihe von Bündnissen, es ist aber die Frage, wie belastbar diese wirklich sind. In diesem Jahr wurde wieder ein neues Bündnis geschlossen: Chile, Kolumbien, Peru und Mexiko haben sich zu einer Pazifik-Allianz zusammengeschlossen, wohl als Gegengewicht zu den linkspopulistisch ausgerichteten Bündnissen und Ländern. Das britische Magazin The Economist sieht für das Bündnis Mercosur schon das Ende nahen. Der Grund: zu viel Protektionismus. Wie passt das nun mit den vorliegenden Anträgen zusammen? Es überrascht wahrscheinlich niemanden, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich sage: meiner Ansicht nach gar nicht oder nicht wirklich. Ich darf daran erinnern, dass wir es in der Region mit souveränen Nationalstaaten zu tun haben, mit denen wir in einem partnerschaftlichen Dialog stehen. Da passt es nicht dazu, ihnen vorzuschreiben, wie sie ihre Energiepolitik, Rohstoff- oder Umweltpolitik auszurichten haben. Vielmehr geht es darum, gemeinsam Lösungen für die anstehenden Probleme zu finden und unsere Partner in der Umsetzung zu unterstützen. (Klaus Barthel [SPD]: Dann brauchen Sie hier auch nicht am Anfang Zensuren zu verteilen!) Dazu gehören konkrete Projekte der Entwicklungs-zusammenarbeit genauso wie der Austausch in Wissenschaft und Forschung. Darüber hinaus sind die Forderungen in den Anträgen in Teilen widersprüchlich. Unter Punkt 6 Ihres Antrages fordern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, das Assoziierungsabkommen der EU mit Zentralamerika sowie das Freihandelsabkommen mit Peru und Kolumbien nicht zu unterzeichnen. (Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Auch entspricht es Ihrer Vorstellung von internationalen Verhandlungen, dass die Bundesregierung andere EU-Staaten dazu bewegen soll, es ihr gleichzutun. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Nachdem die Entscheidungen hierzu auf europäischer Ebene gefallen sind, würde ein solches Verhalten das Ansehen Deutschlands als verlässlicher Partner erheblich beschädigen. Das entspricht nicht der Politik der christlich-liberalen Koalition und liegt auch nicht in unserem Interesse. Weiterhin bezichtigen Sie die EU, ein unsozialer Akteur in Lateinamerika zu sein – mal direkt, mal indirekt. Das kann man so nicht stehen lassen; denn die EU ist der größte Geber in der Entwicklungszusammenarbeit auf diesem Kontinent. Außerdem sind es gerade der wirtschaftliche Austausch und die Direktinvestitionen, die Arbeitsplätze und damit Wachstum und Wohlstand bringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Logik ist für jedermann ersichtlich, schlägt sich in Ihrem Antrag aber nicht nieder. Ihre Forderung, den Menschenrechten in Handels- und Assoziierungsabkommen mit den lateinamerikanischen Staaten ein stärkeres Gewicht zu geben, unterstreiche ich ebenso wie die Forderung, die beiden Säulen des Assoziierungsabkommens, nämlich Entwicklungszusammenarbeit und Dialog, gegenüber dem Handelsteil zu stärken. Leider ist die Europäische Union bei den Verhandlungen damit nicht durchgedrungen. Allerdings ist ihre Schlussfolgerung unlogisch, nämlich das Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika nicht zu ratifizieren; denn dann bliebe der Handelsteil bestehen, aber die Entwicklungszusammenarbeit und der Dialog wären nicht im erforderlichen Maße möglich. Damit würden wir dieses Abkommen schwächen. Auch das liegt nicht in unserem Interesse. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Bleibt die Frage, wie es weitergehen soll. Denn die strategische Partnerschaft ist trotz aller Erfolge etwas ins Stocken geraten. Die EU ist sehr mit dem eigenen -Krisenmanagement beschäftigt. Das bindet Kapazitäten. Die Krise im Innern erschwert den strategischen Blick nach außen. Der Europäische Auswärtige Dienst hat, so scheint es, noch nicht richtig Tritt gefasst. Dabei ist -Europa auf gute Partnerschaften und funktionierende Absatzmärkte mehr denn je angewiesen. Die Länder Lateinamerikas hingegen haben an Selbstbewusstsein gewonnen; Herr Raabe hat es schon gesagt. Sie schauen sich ganz genau an, wo und mit wem sie ihre Interessen verfolgen können – und wenn nicht in oder mit Europa, dann mit Asien oder in Afrika. Nach Ansicht der christlich-liberalen Koalition benötigen die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika keine überfrachteten Wunschlisten. Notwendig ist vielmehr die schrittweise und kluge Intensivierung der Partnerschaft, und dies in Bereichen, die für eine nachhaltige Entwicklung sorgen, wie es auch im Thema des Gipfels „Bündnis für eine nachhaltige Entwicklung: Förderung von Investitionen in Umwelt- und Lebensqualität“ zum Ausdruck kommt. Dazu bietet der Gipfel in Santiago de Chile eine geeignete Plattform. Was meine ich damit konkret? Zunächst möchte ich wieder etwas grundsätzlich -werden: Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die biregionale Integration zwischen EU und Lateinamerika sowie Karibik auf Schwierigkeiten stößt. Die Gründe sind auch in der Fragmentierung der interregionalen -Beziehungen auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu sehen. Ziel muss sein, diese Fragmentierung zu überwinden. Gleichzeitig sind vertiefende Abkommen zwischen EU und den einzelnen Staaten, wie zum Beispiel Kolumbien und Peru, machbar und von beiderseitigem Interesse. Ich plädiere deshalb dafür, den auf dem Gipfel von Madrid vor zwei Jahren eingeschlagenen Weg der -flexiblen Ausgestaltung von Partnerschaften weiterzuverfolgen und die geschlossenen Abkommen auch für Beitrittswillige offenzuhalten. Auch wäre es äußerst wünschenswert, wenn die Verhandlungen des anstehenden Gipfels in konkreten Handlungsempfehlungen enden würden, die von der Lateinamerika-Stiftung konzeptionell umgesetzt und weiterentwickelt werden könnten. Die christlich-liberale Koalition ist der Auffassung, dass gesunde und enge Wirtschaftsbeziehungen ein starkes Fundament der strategischen Partnerschaft bilden müssen. Deshalb ist es wichtig, den Handel und seine -Liberalisierung zu intensivieren und den Umfang der ausländischen Direktinvestitionen gerade auch im -Bereich von klein- und mittelständischen Unternehmen zu steigern. Dass Unternehmensfreiheit und Unternehmensverantwortung dabei die zwei Seiten einer Medaille sind, muss genauso selbstverständlich werden wie die Erkenntnis, dass Korruption und Protektionismus nachhaltigem Wachstum und Wohlstand entgegenstehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eine vertiefte Zusammenarbeit in Bildung und Wissenschaft, im Technologieaustausch, insbesondere für die Bereiche Energie und Energieeffizienz, im Sicherheitsbereich und im Bereich Rohstoffmanagement und Umweltmanagement ist für eine nachhaltige Partnerschaft von großer Bedeutung. Dazu sind funktionierende Netzwerke erforderlich. Wir als Parlamentarier können unseren Teil zur Lebendigkeit der strategischen Partnerschaft beitragen. Natürlich sollen und werden die Menschenrechte innerhalb des politischen Dialogs ihren Platz finden. Es wäre jedoch fatal, wenn wir als Deutsche oder als Europäer den lateinamerikanischen Staaten gegenüber mit -erhobenem Zeigefinger wie ein Oberlehrer auftreten würden. Leider vermitteln die Anträge der Grünen und der Linken diesen Eindruck. In unserer Verantwortung liegt es, die strategische Partnerschaft mit Leben zu erfüllen, und zwar in allen Bereichen, die sie hergibt, mit Bedacht und Augenmaß, aber besonders in Respekt vor unseren Partnern. Der diesjährige Gipfel gibt uns dazu die Möglichkeit. Zum Schluss möchte ich noch kurz auf den Antrag der Linken eingehen, der den Friedensprozess in Kolumbien betrifft. Ich teile die Hoffnung, dass der seit vielen Jahren andauernde Konflikt endlich zu einem Ende kommen kann. Der eingeschlagene Verhandlungskurs der Regierung wird von zwei Dritteln der kolumbianischen Bevölkerung befürwortet. Es ist ein positives Signal, dass die ländliche Entwicklung als erster Punkt auf der Verhandlungsliste steht, da dies eine zentrale Frage für eine friedliche Beilegung des Konflikts und der Stabilität des Friedens ist. Ihrer Forderung, dass eine möglichst große Zahl zivilgesellschaftlicher Akteure in die Friedensverhandlungen einbezogen werden müsste, kann ich nicht folgen. In der Vergangenheit war solch ein inklusiver Ansatz bei Friedensverhandlungen auch in Kolumbien nicht von Erfolg gekrönt. Mir scheint es in diesem Zusammenhang weniger auf die Höhe der Teilnehmerzahl anzukommen als auf das Vertrauen, das gegenseitig aufgebaut wird. Ziel ist es, die gefundenen Lösungen in einem breiten Konsens mit der Zivilbevölkerung umzusetzen. Ihre Anträge lehnen wir ab. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ihr seid nicht christlich, und ihr seid nicht liberal! Das muss einmal festgestellt werden!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Heike Hänsel das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der kommenden Woche treffen sich in Santiago de Chile zahlreiche Staats- und Regierungschefs aus Europa und Lateinamerika, in diesem Jahr erstmals mit dem Staatenbündnis CELAC. Dieser Gipfel findet ja alle zwei Jahre statt. Lateinamerika ist in der Tat selbstbewusster geworden. Das ist unter anderem auch vielen Mitte-Links--Regierungen zu verdanken, die sich massiv gegen das aufgedrückte neoliberale Wirtschaftsmodell aus der -Europäischen Union wehren. Die Linke hat diese Regierungen bei dieser Politik in vielerlei Hinsicht unterstützt, und das wird sie auch weiterhin tun. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Beigetragen haben dazu natürlich auch die sozialen Bewegungen. Sie organisieren kommende Woche einen Gegengipfel unter dem Titel „Enlazando Alternativas“, um eine alternative Politik zu entwickeln – und das in einem Land wie Chile, in dem im letzten Jahr Millionen von Studierenden, Schülern und Gewerkschaftern auf die Straße gingen, um gegen den Neoliberalismus und gegen den Ausverkauf von Bildung, Wasser und alldem zu protestieren. Das war, glaube ich, eine eindrückliche Bewegung, und auch sie braucht unsere Unterstützung. (Beifall bei der LINKEN) Frau Hübinger, diese Bewegungen mobilisieren auf diesem Gegengipfel vor allem gegen die Freihandels-abkommen, die die EU mit Kolumbien, mit Peru, mit Zentralamerika abschließt. Weshalb? Es gibt viele Gründe. Ich will Ihnen nur zwei Beispiele nennen. Erstens. Die EU kann laut Vertrag unter anderem -jährlich über 60 Millionen Liter Milch nach Kolumbien -exportieren – hochsubventioniert, spottbillig. Die kolumbianischen Kleinbauern können mit ihren zwei bis drei Kühen, die jeweils nur 5 Liter pro Tag produzieren, bei weitem nicht mit der Billigmilch aus der EU konkurrieren. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Mehr als 500 000 Kleinbauern, die bisher von ihrer Arbeit leben konnten, werden ihre Existenz verlieren. Jetzt frage ich Sie von der Bundesregierung: Wie wollen Sie eigentlich der Bevölkerung hier erklären, dass Sie Steuergelder für Entwicklungsprojekte in aller Welt ausgeben, auch in Kolumbien, wenn Sie gleichzeitig eine Politik betreiben, die wieder zu neuer Armut beiträgt? Das ist eine kontraproduktive Politik. Schon deshalb können Sie diesen Abkommen nicht zustimmen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – -Zuruf von der CDU/CSU: Unsinn, was Sie da erzählen!) Zweitens. Alle reden von der Regulierung der Finanzmärkte. Erst heute im Bundestag haben wir über den Antrag von CDU/CSU und FDP zur schärferen Regulierung der Finanzmärkte diskutiert. Was haben Sie aber in die Freihandelsabkommen hineingeschrieben? Eine weit-gehende Liberalisierung der Finanzdienstleistungen! Es gibt Studien aus der EU; auch der Wissenschaftliche Dienst hat es sich angeschaut. Die Verträge sind völkerrechtlich bindend. Die EU wird eine geringere Handhabe haben, Finanzdienstleistungen zu kontrollieren und strenger zu regulieren. Für Kolumbien und Peru ist das besonders brisant, weil das auch die Geldwäsche bei Drogengeschäften erleichtern wird. Deshalb kann ich Ihnen nur raten: Schauen Sie sich diese Handelsabkommen an, und bedenken Sie, was Sie damit wirklich verantworten. Ich kann Sie nur auffordern – das wird hier im Bundestag diskutiert werden –: Stimmen Sie gegen die Ratifizierung dieser Freihandelsabkommen! Sonst brauchen Sie nicht von Armuts-bekämpfung und Regulierung der Finanzmärkte zu sprechen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum Schluss komme ich zu Kolumbien, weil es wirklich eine historische Zeit in Kolumbien ist und endlich neue Friedensverhandlungen aufgenommen werden. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Warum schreien Sie eigentlich so?) Ich kann nicht nachvollziehen, dass Sie von der FDP erzählen, die Unterstützung von Friedensprozessen sei kontraproduktiv. Ich sage Ihnen: Die Unterstützung von Friedensprozessen ist allemal besser, als Militärinterventionen zu starten und Soldaten in alle Welt zu schicken. (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Mein Gott!) Das können Sie von der Regierung sich wirklich hinter die Ohren schreiben. Noch ein zweiter Punkt. Sie sprachen von Narcoguerilla, Unterstützung der Drogenhändler. Es gibt auch den Begriff der Narcopolitik. Da geht es um Politiker in -Kolumbien, die massiv in Drogengeschäfte und paramilitärische Strukturen verstrickt sind. Dazu gehört der ehemalige Präsident Uribe, der deswegen gerade vor -Gericht steht. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Und Herr Ehrenberg hat ihn gelobt!) Wer hat Uribe die Hand geschüttelt? Das waren doch die Regierungen auf Ihrer Seite! Sie haben Uribe unterstützt, beste Beziehungen gepflegt. Jetzt ist er in Kolumbien als ein Drogenpolitiker angeklagt. Da machen Sie Ihre Politik total unglaubwürdig. (Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Die Unschuldsvermutung gibt es bei Ihnen wohl nicht! – Hans-Werner Ehrenberg [FDP]: Denken Sie an den Iran!) Normale Beziehungen zu Kuba sind im 21. Jahrhundert mehr als überfällig. Dazu kann ich nur aufrufen. Wenn Sie Kuba kritisieren und gleichzeitig Waffen an Diktaturen in aller Welt liefern, dann haben Sie eine Doppelmoral. Kümmern Sie sich lieber einmal um die Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien, Herr Ehrenburg! (Otto Fricke [FDP]: Man sollte wenigstens den Namen eines Kollegen wissen!) Sie sind in meinen Augen ein alter Krieger, ein alter Kalter Krieger. (Widerspruch bei der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Heike Hänsel (DIE LINKE): Ich würde sagen: Viele in der FDP, die eine liberale Tradition gepflegt haben, werden sich bei Ihrer Rede im Grabe umgedreht haben. (Beifall bei der LINKEN – Hans-Werner Ehrenberg [FDP]: Viele Grüße aus dem Iran!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Thilo Hoppe für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Otra alianza es posible“: So lautete das Motto eines großen grünen Lateinamerikakongresses, den wir Ende letzten Jahres veranstaltet hatten. Otra alianza es posible! Eine andere Partnerschaft ist möglich – und nötig – zwischen Europa und Lateinamerika; denn die derzeitige offizielle strategische Partnerschaft zwischen der EU und Lateinamerika ist sehr einseitig an den Exportinteressen beider Kontinente orientiert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und für soziale und ökologische Belange leider blind. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht wahr!) In wenigen Tagen treffen sich die Regierungschefs in Santiago de Chile. Es bahnt sich eine Wiederholung -dessen an, was ich vor fast drei Jahren als einziger parlamentarischer Beobachter aus Deutschland auf dem letzten EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid verfolgen konnte. Da wurden die Freihandelsabkommen beschworen und als Wirtschaftswachstumsmotor gefeiert. Die große Vision: Verfünffachung der Fleischexporte von Lateinamerika nach Europa gegen die Verdoppelung der Automobil- und Automobilteilexporte von Europa nach Lateinamerika. Eine prima Agenda, die vielleicht das Wirtschaftswachstum anheizt, aber mit Sicherheit auch den Klimawandel. Eine solche Agenda blendet -Menschenrechtsfragen ebenso aus wie die Zerstörung wertvoller Wälder. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir fordern in unserem Antrag eine neue Partnerschaft zwischen Europa und Lateinamerika, die wirklich einer menschenrechtsbasierten nachhaltigen Entwicklung dient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe heute einiges gehört, was man in unseren Antrag, der diese Debatte bewirkt hat, hineininterpretiert. Bitte zitieren Sie richtig, und bleiben Sie bei der Wahrheit! Wir fordern nichts anderes als das, was der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltfragen, der WBGU, dieser Bundesregierung fordert: eine sozialökologische Transformation bei uns, in Europa, in Lateinamerika und weltweit. Denn nur wenn wir nach den Prinzipien wirtschaften, die bereits 1992 auf dem ersten Weltnachhaltigkeitsgipfel in Rio beschlossen und -proklamiert wurden, lassen sich der Klimawandel eindämmen, die Welternährungskrise überwinden und mehr soziale Gerechtigkeit verwirklichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch Wirtschaft und Handel brauchen soziale und ökologische Leitplanken, die verhindern, dass wir auf Kosten anderer oder auf Kosten nachfolgender Gene-rationen leben. Aber in den Freihandels- und Assoziierungsabkommen, die in Santiago unterschrieben und gefeiert werden sollen, sucht man vergeblich nach diesen sozialen und ökologischen Leitplanken. Die Kollegin Hänsel hat zwei Beispiele aufgezählt: Deregulierung im Bankenbereich – Geldwäsche wird erleichtert – und das Abkippen von hochsubventioniertem Milchpulver, wodurch die kleinbäuerliche Milchwirtschaft in den Ländern Zentralamerikas zerstört wird. Das ist keine Agenda für eine nachhaltige Entwicklung. Dies sind zwei von vielen Gründen, die uns Grüne bewogen -haben, sowohl im Europaparlament als auch hier im Bundestag diese Freihandels- und Assoziierungsabkommen der EU mit Kolumbien, Peru und den Staaten Zen-tralamerikas in den nächsten Wochen abzulehnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Unser Antrag atmet den Geist einer sozialen und -ökologischen Marktwirtschaft. Schade, dass die Regierungskoalition diesen Antrag ablehnt. Eigentlich war es nicht anders zu erwarten. Wir finden es aber auch enttäuschend, dass sich SPD und Linke enthalten. Die Argumente, die Sie vorgetragen haben, waren nicht überzeugend. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Der Antrag ist nicht überzeugend!) Natürlich gibt es auch Anerkennung für die sozialen Fortschritte in einigen Ländern Lateinamerikas. Aber die Schattenseiten dürfen nicht übersehen werden; denn auch die linkeren Regierungen Lateinamerikas finanzieren ihre durchaus lobenswerten Sozialprogramme überwiegend durch den Verkauf von Bodenschätzen, von Agrarrohstoffen, von Produkten der Plantagenwirtschaft. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Weil die Alternativen fehlen!) Bei diesem Extraktivismus lassen sie ökologische und soziale Menschenrechtsfragen in der Ecke stehen. (Klaus Barthel [SPD]: Sozial sind die nicht! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber die Alternativen müssen erst entwickelt werden!) Zu unserem großen Lateinamerikakongress hatten wir viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingeladen. Die sozialen Fragen werden zwar von einigen, aber bei weitem nicht von allen Regierungen Lateinamerikas angepackt. Die ökologischen Fragen werden ganz ausgeblendet. Das führt zur Verdrängung von Indigenen, von Kleinbauern. Minderheiten geraten unter die Räder. Wertvolle Wälder werden zerstört. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Hoppe. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. – Es ist nicht alles schlecht; es gibt auch positive Ansätze, derzeit noch überwiegend durch die Umwelt-bewegung, durch soziale Bewegungen und durch -Menschenrechtsaktivisten. Wir arbeiten daran, dass diese Bewegungen mehr an Bedeutung gewinnen und dass sie sich auch in den Regierungen abbilden werden. Dann kann man eines Tages wirklich sagen: Otra alianza es posible! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „EU – Lateinamerika: Partnerschaft für eine sozial-ökologische Transformation“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12093, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11838 abzu-lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung von SPD und Linken und Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Friedensdialog in Kolumbien aktiv unterstützen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 17/12094, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11839 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen und Enthaltung der SPD-Fraktion. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Sozialen Fortschritt und regionale Integration in Lateinamerika unterstützen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12087, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3214 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/12061 mit dem Titel „CELAC-EU-Gipfel in Santiago de Chile – Neue Zusammenarbeit mit neuen Partnern“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung von SPD und Grünen gegen die Stimmen der Linken. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme – Drucksache 17/11513 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/12086 – Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Silberhorn Sonja Steffen Stephan Thomae Jörn Wunderlich Ingrid Hönlinger Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Stephan Thomae von der FDP--Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – -Unruhe) – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen, falls Sie an der -Aussprache nicht teilnehmen wollen. – Bitte, Herr -Kollege Thomae. Stephan Thomae (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident! – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit zwei -Entscheidungen vom 20. Juni 2012, die im Juli veröffentlicht worden sind, hat der BGH der ärztlichen Zwangsbehandlung etwas überraschend die Rechtsgrundlage entzogen. Zuvor hatte man die Rechtsgrundlage für ärztliche Zwangsmaßnahmen im § 1906 BGB gesehen. Diese Vorschrift regelt jedoch genau genommen nur die zwangsweise Unterbringung in einer Anstalt. Mit dieser Entscheidung gab es also keine Rechtsgrundlage mehr für eine ärztliche Zwangsbehandlung, für eine zwangsweise Behandlung. Nun könnte man sagen, das ist richtig; denn es gibt nun einmal keine Pflicht, sich ärztlich behandeln zu -lassen; es gibt bei uns keinen Arztzwang, es gibt die Freiheit zur Krankheit. Wenn jemand sagt: „Das heilt auch so wieder“, dann kann man ihn nicht zwangsweise zum Arzt schicken. Ein Problem taucht aber dann auf, wenn jemand aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung, beispielsweise einer Persönlichkeitsstörung, außerstande ist, zu erkennen, dass die ärztliche Behandlung eines Leidens möglich ist, dass er behandelt werden kann und behandelt werden muss. Wenn er sich nun gegen diese Behandlung wehrt, dann kann ein Problem auftreten. Genau dieses Problem lösen wir mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nehmen wir das Beispiel, dass sich jemand gegen eine Dialyse wehrt, obwohl er vielleicht einen Nierenschaden oder nur eine Niere hat. Er bräuchte die Dialyse, aber er glaubt vielleicht, dass er vergiftet werden soll oder dergleichen, und wehrt sich deshalb gegen eine solche Dialysebehandlung. Deswegen kommt zu dem Aspekt, dass es keine Pflicht gibt, sich ärztlich behandeln zu lassen, jetzt der andere Aspekt, dass eine ärztliche Zwangsbehandlung in manchen Fällen als letztes Mittel notwendig ist. Der Gang des Verfahrens war folgender: Am Anfang bestand der Eindruck, dass eine große Eile notwendig sei; es gab Nachrichten über unhaltbare Zustände in Krankenhäusern, über Patienten, die eingesperrt und am Bett fixiert werden mussten, über Pfleger, die sich weigerten, solche Krankenzimmer und -stationen zu betreten, über verzweifelte Angehörige, die das Leiden ihrer Angehörigen nicht mehr mit anschauen konnten. Das hat uns anfangs dazu veranlasst, dieses Thema in großer Eile zu beraten. Aber dann gab es eine ganze Reihe von Gesprächen, die wir Berichterstatter – auch ich persönlich – mit Betroffenen und Betroffenenverbänden geführt -haben. Das hat, wie es manchmal so ist, einen neuen Blickwinkel auf das Thema eröffnet. Das hat mich und viele Kollegen und Kolleginnen nachdenklich gemacht, beispielsweise Berichte über die Wirkungen und Nebenwirkungen von Neuroleptika. So war es richtig, dass wir uns Zeit für intensive Beratungen genommen haben, dass wir sogar mehr als die üblichen parlamentarischen Beratungsstufen genommen haben. Das Ergebnis der Abwägungen entspricht dem, was wir heute beschließen wollen: Wir brauchen in bestimmten Fällen als letztes Mittel die Möglichkeit zur zwangsweisen Behandlung, weil es eine Schutz- und Fürsorgepflicht des Staates nach Art. 2 Grundgesetz gibt. Wie können wir aber auf der anderen Seite den exzessiven Gebrauch der Möglichkeit zur ärztlichen Zwangsbehandlung eindämmen? Das war die Frage, die wir zu beraten hatten. Wir haben fünf Punkte des ursprünglichen Regierungsentwurfs in der parlamentarischen Beratung nachgearbeitet: Der erste Punkt ist, dass der Arzt oder Betreuer versuchen muss, den Betreuten ohne Druck und, wo es möglich ist, ohne zeitliche Not vom Sinn und von der Notwendigkeit der Maßnahme zu überzeugen, sodass der Betreute eine auf Vertrauen gründende Entscheidung treffen kann und dann vielleicht doch in die ärztliche Maßnahme einwilligt. Der zweite Punkt, den wir in der parlamentarischen Beratung nachgearbeitet haben, war, dass wir in jedem Einzelfall einen Verfahrenspfleger bestellen wollen, der die Rechte des Betreuten auch gegenüber dem Betreuer wahrnimmt. Der dritte Punkt ist, dass wir das Vieraugenprinzip gestärkt haben, indem vor jeder ärztlichen Zwangsmaßnahme ein ärztlicher Gutachter bestellt werden muss, der nicht zugleich der behandelnde Arzt sein darf. Der vierte Punkt hat auch mit dem Vieraugenprinzip zu tun. Bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen, deren Gesamtdauer mehr als zwölf Wochen beträgt, soll ein externer Gutachter bestellt werden, der erstens nicht schon früher als Gutachter oder behandelnder Arzt mit dem -Patienten, dem Betreuten befasst war und zweitens auch nicht der Einrichtung angehört, in der der Betreute unterzubringen wäre. Der fünfte Punkt, den wir in der parlamentarischen Beratung nachbearbeitet haben, ist, dass sich das ärztliche Gutachten nicht nur über den Zustand des Betroffenen äußern muss, sondern auch über die Notwendigkeit der konkreten ärztlichen Maßnahme. Ich meine, dadurch wird deutlich, dass wir in dieser intensiven parlamentarischen Beratung bewiesen haben, wie ernst wir das Thema nehmen, dass wir sehr wohl versucht haben, beide Seiten abzuwägen, dass wir also Sicherheitsfilter eingebaut haben. Deshalb ist am Ende ein guter Gesetzentwurf dabei herausgekommen. Ich möchte mich an dieser Stelle bei den Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern aller Fraktionen -bedanken. Ich finde, das war eine sehr konstruktive, eine ernsthafte und eine oft auch nachdenkliche Beratung -dieses Gesetzentwurfs. Ich bitte um Nachsicht, dass wir den Entschließungsanträgen der Linken und der Grünen heute nicht zustimmen wollen, weil wir der Auffassung sind, dass den -notwendigen Punkten Genüge getan worden ist. Ich bedanke mich noch einmal bei allen. Außerdem freue ich mich besonders, dass die SPD dem Vernehmen nach heute dem Gesetzentwurf zustimmen wird. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Sonja Steffen das Wort. (Beifall bei der SPD) Sonja Steffen (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder von uns kann einmal in eine psychische Krise geraten. Angststörungen, Depressionen, Sucht und Psychosen sind weit verbreitete Erkrankungen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2011 treffen sie rund 38 Prozent der Bevölkerung Europas. Das heißt, dass jeder Dritte, auch jeder Dritte von uns, in eine Situation geraten könnte, die eine so-genannte Einweisung und eine Zwangsbehandlung zur Folge hat. In Deutschland werden derzeit jedes Jahr 1,2 Millionen Menschen in staatlichen Einrichtungen therapiert. Ich bin überzeugt, dass wir uns alle nicht wünschen, hilflos in einer Klinik und nicht mehr in der Lage zu sein, zu entscheiden, ob und welche Behandlung wir wünschen, und im schlimmsten Fall keine Entscheidungskraft mehr darüber zu haben, ob wir gegen unseren Willen Medikamente verabreicht bekommen, deren -Wirkung und vor allem deren Nebenwirkungen wir erst recht nicht überblicken können. In einer solchen Situation wünsche ich mir behutsame und kompetente Ärzte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich wünsche mir, dass Personen mit Sachverstand und Einfühlungsvermögen für mich entscheiden. Ich wünsche, dass erkannt wird, wann eine medizinische Behandlung – auch gegen meinen Willen – notwendig ist, um einen schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden zu verhindern. Vor allem aber wünsche ich, dass man mir hilft, möglichst bald wieder ein gesundes und selbstbestimmtes Leben führen zu können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir sind uns an dieser Stelle alle einig, dass es besonders wichtig ist, seelische Störungen möglichst frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Eine Einweisung und erst recht eine Zwangsbehandlung sollte möglichst vermieden werden. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Dazu müssen ambulante Hilfesysteme ausgebaut werden, um in Krisensituationen schnell und frühzeitig -helfen zu können. Patienten sind darüber hinaus rechtzeitig auf die Möglichkeiten einer Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht hinzuweisen, damit ihr freier Wille dokumentiert ist, bevor es zu spät ist. Es gibt eine ganze Reihe von Bereichen, die einer Überprüfung oder vielleicht sogar einer neuen gesetzlichen Regelung bedürfen. In Anbetracht der rechtsfreien Situation nach den schon erwähnten Entscheidungen des BGH – Herr Thomae hat bereits darauf hingewiesen – war es aktuell jedoch notwendig, eine gesetzliche Regelung für medizinische Zwangsbehandlungen zu schaffen; denn seit diesen Entscheidungen sind Behandlungen von Betroffenen gegen ihren Willen nicht mehr möglich. Ärzte hängen derzeit in der Luft, wenn sie einem Patienten in einer bedrohlichen Situation helfen wollen, dieser aber nicht einwilligt. In diesem Zusammenhang sind bereits Beispiele genannt worden. Meine Damen und Herren, es ist letztlich auch der SPD-Fraktion zu verdanken, dass wir den Gesetzentwurf in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beraten und eine öffentliche Expertenanhörung durchgeführt -haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Für uns war es besonders wichtig, die Betroffenenverbände anzuhören; denn als gesunder Mensch kann man sich nicht vorstellen, welche Leidenswege die Betroffenen auch im Zusammenhang mit Zwangsbehandlungen zum Teil gegangen sind. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens haben wir viele Berichterstattergespräche -geführt und viele Änderungen des ursprünglichen Regierungsentwurfs diskutiert und auch erreichen können, die die Rechte der Betroffenen besser schützen. Heute entscheiden wir nun über einen, wie ich meine, ausgewogenen Gesetzentwurf, der die Vorgaben der Rechtsprechung beachtet und vor allem einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Recht auf freie Selbst-bestimmung auf der einen Seite und dem Schutz vor einer erheblichen gesundheitlichen Gefährdung auf der anderen Seite schafft. (Beifall des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Im Gesetzentwurf sind die Bedingungen für eine Zwangsbehandlung genau formuliert. Voraussetzung ist zunächst, dass dem Patienten ohne ein Eingreifen ein erheblicher Gesundheitsschaden droht. Anders als bisher muss der Richter zukünftig nicht nur in die Einweisung einwilligen, sondern auch in die Behandlung selbst und ihre Ausgestaltung im Einzelnen genehmigen. Eine Zwangsbehandlung darf tatsächlich nur das allerletzte Mittel sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stephan Thomae [FDP]) Zuvor muss versucht werden, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Der behandelnde Arzt muss also zunächst mit dem nötigen Zeitaufwand und dem erforderlichen Einfühlungsvermögen versuchen, den Patienten von einer freiwilligen Behandlung zu überzeugen. Ganz wichtig ist, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers aufgenommen wurde. Der Verfahrenspfleger ist sozusagen der Anwalt des Betreuten, und er hat die Aufgabe, seine Rechte bei der anstehenden Entscheidung über eine Zwangsbehandlung deutlich zu vertreten. Im Ausschuss, aber auch in meiner Fraktion, hat uns besonders die Frage der ärztlichen Begutachtung des Betroffenen beschäftigt. Wir haben eine Regelung getroffen, die vorsieht, dass der Sachverständige, der einschätzt, ob die Behandlung medizinisch notwendig ist, nicht der behandelnde Arzt sein soll. Falls die Maßnahme länger als zwölf Wochen erfolgt, muss eine externe Begutachtung erfolgen. Der Arzt soll den Patienten noch nicht behandelt haben und außerdem nicht Arzt der Unterbringungsklinik sein. Nur ausnahmsweise – deswegen gibt es diese Sollvorschrift – darf von diesen Grundsätzen abgewichen werden; denn in ländlichen Bereichen kann es zu personellen Engpässen kommen. Nur dann, wenn ein externer Arzt nachweislich nicht zur Verfügung steht, kann die Begutachtung durch einen Arzt der Klinik erfolgen. Wir gehen davon aus, dass in Zukunft von der Sollvorschrift in der Praxis nur sehr restriktiv Gebrauch gemacht wird. Es wird darüber hinaus gesetzlich vorgeschrieben, dass die ärztlichen Zeugnisse nur von Sachverständigen erstellt werden, die über die notwendigen Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychia-trie verfügen. Wir entscheiden heute über einen ausgewogenen Gesetzentwurf. Sie haben recht, Herr Thomae, wir werden dem Gesetzentwurf heute zustimmen. Trotzdem ist das Thema der medizinischen Behandlung psychisch erkrankter Menschen noch lange nicht ausreichend behandelt. Der Bundes- und auch die Landesgesetzgeber sind gefragt, weitere Maßnahmen zu ergreifen, durch die den Patienten frühzeitig Hilfe angeboten wird und menschenwürdige, zugleich aber auch heilende Maßnahmen ermöglicht werden. Noch einen Satz: Das ist ein dickes Brett, das wir hier bohren müssen. Ich bin überzeugt, dass wir mit präventiven Maßnahmen schon bei unseren Kindern beginnen können. Durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Lebensverhältnisse können wir dazu beitragen, dass die Menschen gar nicht erst krank werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Stephan Thomae [FDP]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Silberhorn von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir eine klare Rechtsgrundlage. Wir setzen zugleich enge Grenzen für die Einwilligung des Betreuers in eine medizinisch notwendige Behandlung, die der Betreute selbst ablehnt. Wir schließen damit eine Lücke im Betreuungsrecht, die aufgrund der Rechtsprechung entstanden ist; denn -danach fehlt es gegenwärtig an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für eine Zwangsbehandlung von psychisch Kranken, die in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht sind. Der Gesetzentwurf der Koalition gewährleistet, dass eine solche Zwangsbehandlung nur als letztes Mittel eingesetzt werden darf, nämlich wenn sie erforderlich ist, um schwerwiegende gesundheitliche Schäden vom Patienten abzuwenden. Der Gesetzentwurf orientiert sich eng an den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Dabei müssen wir einerseits das Selbstbestimmungsrecht des psychisch kranken -Patienten im Blick behalten, andererseits auch seinen Schutz vor schweren Gesundheitsschäden. Das muss sorgfältig abgewogen werden. Es geht ausschließlich um Fälle, in denen der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer seelischen oder geistigen Behinderung die Notwendigkeit einer ärztlichen Maßnahme nicht erkennen kann oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Das ist etwa ein Patient, der aufgrund einer manischen Depression verkennt, dass er eine Dialyse bräuchte, oder es ist ein Patient, der dringend eine Blinddarmoperation benötigt, aber aufgrund einer Wahnvorstellung irrigerweise annimmt, gar keinen Blinddarm mehr zu haben. Das sind die Fälle, von denen wir hier reden. Der psychisch Kranke kann also in eine notwendige medizinische Maßnahme nicht selbst einwilligen. Das ist auch der Grund, weshalb er einen rechtlichen -Betreuer hat, der für ihn handelt. Wir reden außerdem nur von Fällen, in denen der psychisch Kranke mit -richterlicher Genehmigung in einer geschlossenen -Einrichtung untergebracht ist. Hier muss der Staat seiner Fürsorgepflicht gerecht werden. Deshalb müssen wir im Interesse der Betroffenen die Möglichkeit für eine psychiatrische Behandlung gegen den Willen des Patienten schaffen; aber wir müssen zugleich auch sicherstellen, dass eine solche Zwangsbehandlung nur in Ausnahmefällen stattfindet. Natürlich ist eine medizinische Behandlung, die mit -Zustimmung des Betroffenen durchgeführt wird, immer vorzuziehen; denn das stärkt das Vertrauen zwischen Arzt und Patient und dient am Ende auch dem Behandlungserfolg. Deshalb müssen alle milderen Mittel aus-geschöpft werden, die in Betracht kommen, um die drohende gesundheitliche Gefahr abzuwenden, bevor eine Zwangsbehandlung überhaupt erwogen wird. Um das klarzustellen, führen wir zusätzlich zu den bestehenden Grundsätzen des Betreuungsrechts die neue Regelung ein, dass die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur dann zulässig ist, wenn zuvor versucht worden ist, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Dieser Versuch – das ist schon angesprochen worden – muss ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne unzulässigen Druck unternommen werden. Das haben wir in der Begründung des Gesetzentwurfs im Einzelnen explizit aufgeführt, sodass wir den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts in vollem Umfang gerecht werden. Wenn der Versuch misslingt, den Patienten von der Notwendigkeit der medizinischen Behandlung zu überzeugen, dann greift ein Katalog mit strengen Voraussetzungen, die allesamt erfüllt sein müssen, um den Patienten gegen seinen Willen behandeln zu können: Die ärztliche Zwangsmaßnahme muss zum Wohl des Betreuten erfolgen, sie muss erforderlich sein, um einen -drohenden, erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden – dieser erhebliche Gesundheitsschaden darf durch keine andere, dem Betreuten zumutbare Maßnahme abgewendet werden können –, und der zu erwartende Nutzen der Maßnahme muss gegenüber den zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen. Diese engen Voraussetzungen garantieren einen größtmöglichen Schutz des Betroffenen. Wir verknüpfen diese materiellen Voraussetzungen im Interesse des Patienten mit einer ganzen Reihe von verfahrensrechtlichen Sicherungen: Nur wenn das Betreuungsgericht nach sorgfältiger Prüfung die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme genehmigt, darf die Behandlung durchgeführt werden. Das müssen Sie zusammen lesen mit dem Umstand, dass sich diese Patienten bereits in Betreuung, in Unterbringung befinden, die ihrerseits bereits gerichtlich genehmigt worden sein muss. Somit gewährleisten wir eine umfassende gerichtliche Prüfung. Weil der Betroffene seine Rechte im Verfahren vor dem Betreuungsgericht allerdings regelmäßig nicht selbst wahrnehmen kann – er hat deshalb einen rechtlichen Betreuer –, haben wir uns dazu entschlossen, dass immer ein Verfahrenspfleger bestellt werden muss, um dem besonderen Schutzbedürfnis des Betroffenen zusätzlich Rechnung zu tragen. Das bedeutet: Der Patient hat außerhalb der Beziehung zum Arzt zwei Personen, die auf seiner Seite stehen und seine Interessen wahrnehmen, zum einen den rechtlichen Betreuer und zum anderen in jedem Fall – das ist neu – einen Verfahrenspfleger. Hinzu kommt, dass das Gericht sich einen persönlichen Eindruck vom Patienten verschaffen muss und den -Patienten persönlich anhören muss. Schließlich muss auch die ärztliche Begutachtung des Betroffenen der gerichtlichen Entscheidung vorausgehen. Der ärztliche Sachverständige mit einschlägiger psychiatrischer Erfahrung soll dabei nicht der behandelnde Arzt sein. Wenn es um eine Zwangsbehandlung oder um eine -Unterbringung für mehr als zwölf Wochen geht, setzen wir die Anforderungen, was die Auswahl des Sachverständigen angeht, noch höher. Dann soll das Gericht -keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bereits behandelt oder begutachtet hat oder in der Einrichtung tätig ist, in der der Betroffene untergebracht ist. Ich sehe zwar, dass die Grünen hier noch weitergehende Vorschläge haben und ohne Ausnahme außenstehende Sachverständige heranziehen wollen. Diesen Vorschlag halte ich allerdings offen gestanden für nicht verantwortbar; denn dann könnte eine medizinisch notwendige Behandlung daran scheitern, dass es ein so dichtes Netz an Psychiatern in Deutschland gar nicht gibt. Wir stellen mit der Sollvorschrift sicher, dass im Regelfall externe Sachverständige eingesetzt werden müssen. Nur im Ausnahmefall kann davon abgewichen werden. Das muss vom Gericht im Genehmigungsbeschluss auch so begründet werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, wir setzen im Ergebnis die Hürden für eine psychiatrische Zwangsbehandlung deutlich höher als bisher. Genau das ist auch Ausdruck des Ultima-Ratio-Gedankens. Die ärztliche Zwangsbehandlung ist nur als letztes Mittel zulässig, wenn es gar nicht mehr anders geht. Leider gibt es aber eben immer wieder Fälle, in denen eine Zwangsbehandlung zum Wohle des Betroffenen erforderlich ist. Es gibt Angehörige und auch Patienten, die darunter leiden, dass nach gegenwärtiger Rechtslage nicht behandelt werden darf. Keine akzeptable Alternative ist es, meine Damen und Herren, wenn stattdessen Patienten dauerhaft fixiert oder erst im Rahmen eines rechtfertigenden Notstands behandelt werden, wenn nämlich der Gesundheitszustand bereits akut lebensbedrohlich geworden ist. Damit können wir uns im Interesse der Betroffenen nicht zufriedengeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in den letzten Wochen und Monaten eine umfassende Diskussion geführt. Mit sechs Sachverständigen haben wir ein ausführliches Expertengespräch im Kreise der Berichterstatter gehabt, einschließlich der Kolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss. Zusätzlich haben wir – das ist außergewöhnlich für unsere Gesetz-gebungsverfahren – eine öffentliche Anhörung durchgeführt, sodass wir zwei Expertengespräche hatten. Ich will betonen, dass es uns gelungen ist, die Sachverständigen für die öffentliche Anhörung von allen Fraktionen einvernehmlich zu benennen. Mir war wichtig, dass insbesondere auch Vertreter der Betroffenen und der Angehörigen dabei gehört wurden. Die Sachverständigen haben uns nahezu durchgehend bestätigt, dass unsere Vorschläge zielführend sind. Es ist auch deutlich geworden, dass ein vollständiger Verzicht auf Zwangsbehandlung kein gangbarer Weg wäre. Wir brauchen sie als letztes Mittel zum Schutz der Betroffenen selbst. Das gilt umso mehr, als sich diese Patienten bereits in Unterbringung und damit in staatlicher Obhut befinden. Die Schutzpflicht des Staates gebietet es hier, dass wir diesen Patienten eine notwendige medizinische Behandlung nicht generell versagen. Aus den Expertengesprächen sind aber auch eine Reihe von Änderungsvorschlägen entwickelt worden, die im Ergebnis das Schutzniveau für die Betroffenen substanziell erhöhen. Das Gesetz bietet Rechtssicherheit für Ärzte, Patienten und Betreuer. Insbesondere aber bietet es auch für die Betroffenen Hilfe, die notwendig ist, bei gleichzeitig bestmöglicher Wahrung ihrer Rechts-position. Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetzentwurf -zuzustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort der Kollege Jörn Wunderlich. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts ist eine gesetzliche Neuregelung Voraussetzung dafür, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen – Fixieren am Bett oder Zwangsmedikation mit Psychopharmaka etc. – stattfinden können. Hier ist schon wiederholt gesagt worden: Ärztliche Zwangsmaßnahmen dürfen aufgrund des damit verbundenen erheblichen Grundrechtseingriffs wirklich nur das allerletzte Mittel sei. Um eine Zwangsbehandlung durchführen zu können, hat die Regierung in diesem Gesetzentwurf die Voraussetzungen für Zwangsmaßnahmen verschärft, wird jedoch den Bedürfnissen nach einer wirklichen Lösung nicht gerecht. (Beifall bei der LINKEN) Insgesamt gibt es nach dem Gesetzentwurf fünf Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung: Uneinwilligungsfähigkeit des Patienten; vorheriger Versuch, von der Behandlung zu überzeugen; sie muss zum Wohle des Betreuten erfolgen, um erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden; keine andere zumutbare Maßnahme darf möglich sein; ihr Nutzen muss die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen. Fast könnte man geneigt sein, zu sagen: Wunderbar, das alles ist zum Wohle der Patienten geregelt. – Aber weit gefehlt. Darum geht es der Regierung auch nicht. Sie möchte die alte Rechtslage möglichst wenig verändert beibehalten. Das ergibt sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs. Dort heißt es unter anderem – ich zitiere –: „Der Entwurf bildet … die bis zu den jüngsten Beschlüssen … bestehende Rechtslage möglichst nah ab.“ Laut dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen Zwangsmaßnahmen unter verschärften Voraussetzungen ermöglicht werden. Es wird nicht versucht, sie möglichst zu vermeiden. Das lässt der Gesetzentwurf vermissen. Die Linke möchte gerade das ändern. (Beifall bei der LINKEN) Jeder von uns, der sich damit befasst, hat unzählige Schreiben von Psychiatrieerfahrenen bekommen. Immer wieder wird von Behandlungen berichtet, die als traumatisierend und entwürdigend empfunden worden sind und noch so empfunden werden. Insoweit ist der Nutzen von Zwangsbehandlungen schon infrage zu stellen. Die Behauptung der Regierung, dass Betroffene ohne eine Zwangsbehandlung schwerwiegende gesundheitliche Schäden nehmen, ist mit nichts belegt. (Beifall bei der LINKEN) Im Gegenteil: Wir alle kennen das Schreiben des Chefarztes der psychiatrischen Kliniken Heidenheim, Dr. Zinkler, welcher seit mehr als einem Jahr genau gegenteilige Erfahrungen macht. Die Kliniken nehmen jährlich circa 1 200 psychisch kranke Patienten auf, Patienten, die freiwillig in die Kliniken kommen, und auch Patienten, die eingewiesen werden. Dadurch, dass nicht zwangsweise Psychopharmaka verabreicht werden und dies dem Patienten auch sofort erklärt wird, verliert die Unterbringung einen Großteil ihres Schreckens. Die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, dass vor einer Zwangsbehandlung ernsthaft versucht werden muss, eine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zur Behandlung zu erreichen, wird durch den Gesetzentwurf nicht exakt geregelt. Hier heißt es lediglich, dass zuvor versucht werden muss, „den Betreuten von der Notwendigkeit der Maßnahme zu überzeugen“. Art und Weise, wie sie im Urteil näher umschrieben werden, bleiben im Gesetzestext außen vor. Das macht die Linke nicht mit. (Beifall bei der LINKEN) Das Argument, den Leuten müsse geholfen werden – dieses Argument wurde auch hier wieder zusammen mit seltsamen Beispielen genannt –, kann als solches nicht gelten. Denn Psychopharmaka – um diese geht es hier primär – heilen ja nicht, sondern sie stellen ruhig. Die Nebenwirkungen von Psychopharmaka sind – das ist unbestritten – ganz erheblich. Dennoch sollen sie weiterhin gegen den Willen der zu behandelnden Menschen eingesetzt werden. Inzwischen wird festgestellt: Der Gesetzentwurf wurde in zig Anhörungen und mit vielen Sachverständigen ganz ausgiebig und gut beraten. Ja, aber warum? Das liegt an der Linken und der SPD. Ursprünglich sollte dieser Gesetzentwurf als ein Änderungsantrag an einen anderen Gesetzentwurf gehängt werden und einfach so blitzschnell durchgewunken werden. Erst durch Intervention der Opposition wurde daraus ein eigener Gesetzentwurf, und auf Antrag der Linken und der SPD wurde eine Anhörung dazu durchgeführt. (Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir waren doch auch dabei!) Die Regierung wollte den Gesetzentwurf schnell durchwinken. Ich kann mir auch denken, warum. Die alte Rechtslage sollte, wie gesagt, mehr oder weniger unverändert fortbestehen. Es sollte – so ergibt es sich aus dem Gesetzestext bzw. aus der Begründung – keine Kostenbelastung für Unternehmen entstehen. Anders gesagt: Es sollen keine Umsatzeinbußen bei den Pharmakonzernen verursacht werden. Es bleibt dabei: Zwangsmaßnahmen sind ein außergewöhnlich schwerer Eingriff in die Grund- und Menschenrechte. Zu prüfen ist und bleibt, ob nicht auf medikamentöse Zwangsbehandlung grundsätzlich verzichtet werden kann. Gesundheit ist keine Ware. (Beifall bei der LINKEN) An der Grundlage der Probleme zu arbeiten, liegt der Regierung fern. Wir brauchen – Frau Steffen hat es schon angesprochen – ambulante Hilfesysteme, belastbare Fallzahlen, Modellversuche von Selbsthilfegruppen in den Krankenhäusern, eine angemessene Einbeziehung Betroffener, Aufklärung zu Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Behandlungsvertrag, ordentliche Honorierung und nicht fallpauschalenbasierte Bezahlung in der Psychiatrie. Da ist unser Gesundheitsminister einmal gefordert; das konterkariert das Ganze. Ich weiß ja, wie die Abstimmung zu diesem Gesetzentwurf ausgehen wird. Daher sage ich: Stimmen Sie zumindest unserem Entschließungsantrag, in dem diese Probleme angegangen werden, oder auch dem der Grünen zu. Tun Sie dies zum Wohle der Betroffenen. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Hönlinger von Bündnis 90/Die Grünen. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ein Mitglied dieses Parlaments erkranken sollte, dann ist es doch selbstverständlich, dass dieses Mitglied frei darüber entscheidet, welche Medikamente es zu sich nimmt. Für uns alle hier im Saal ist dies genauso wie für die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Bestandteil unserer Grundrechte auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt jedoch Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer geistigen oder seelischen Behinderung nicht in der Lage sind, über eine ärztliche Behandlung eigenverantwortlich zu entscheiden. Hier stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine rechtliche Betreuerin oder ein rechtlicher Betreuer stellvertretend für sie in eine Behandlung einwilligen kann. Konkret geht es darum, ob ein rechtlicher Betreuer über die ärztliche Behandlung eines anderen Menschen, der sich in einer Einrichtung wie der Psy-chiatrie befindet, entscheiden kann. Der Bundesgerichtshof hat im Juni 2012 zu Recht festgestellt, dass die ärztliche Zwangsbehandlung im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung nur unter engen Voraussetzungen möglich sein kann und dass die bestehenden Gesetze keine ausreichende Grundlage hierfür bieten. Im November 2012 hat uns die Bundesregierung hier im Parlament einen Regelungsvorschlag unterbreitet. Als Anhängsel eines anderen Gesetzentwurfes sollte das Betreuungsrecht ergänzt werden, also sang- und klanglos im Eilverfahren und ganz nebenbei. Nun kann man der Regierung zugutehalten, dass sie möglichst rasch Rechtssicherheit für die Betroffenen, die Betreuerinnen und Betreuer und die Ärztinnen und Ärzte schaffen wollte. Aber mit einem solchen Schnellverfahren wären wir der schwierigen Situation von Menschen, die unter Betreuung stehen und in einer Einrichtung untergebracht sind, nicht gerecht geworden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ohne eine erste Lesung im Plenum, ohne die Einbeziehung von Sachverständigen oder Betroffenenverbänden und ohne Beteiligung des Gesundheitsausschusses können nicht alle Aspekte ausreichend abgewogen werden. Da fehlt es an Expertise und Transparenz. Ein Schnellverfahren ist unangemessen. Wir sind betreuten Menschen ein ordentliches parlamentarisches Verfahren schuldig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grünen haben, ebenso wie die beiden anderen Oppositionsfraktionen, von Anfang an dagegen protestiert. Ich begrüße es sehr, dass wir nun den Weg zu einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren eingeschlagen haben. Die Gutachten, die wir eingeholt haben, haben dazu geführt, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung in wesentlichen Punkten verbessert worden ist. Dazu gehört: Die Entscheidungsbefugnisse des Betreuers bzw. der Betreuerin sind klar definiert. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist gut umgesetzt. Der oder die Betroffene bekommt einen Verfahrenspfleger oder eine Verfahrenspflegerin zur Seite gestellt. Jetzt erst erfüllt der Gesetzentwurf die strengen Voraussetzungen des Bundesgerichtshofes – aus meiner Sicht aber leider noch immer nicht vollständig. In § 1906 BGB soll es nun heißen: Der Betreuer kann in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur dann einwilligen, „wenn zuvor versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen“. Das greift zu kurz. Wir müssen sicherstellen, dass die Gespräche zwischen Betreuer, Arzt und Betreutem mit angemessenem Zeitaufwand und ohne Druck erfolgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieses Schutzniveau müssen wir im Gesetzestext verankern und nicht lediglich in der Gesetzesbegründung; denn hier bewegen wir uns in einem sehr grundrechtssensiblen Bereich. Deshalb, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, können Sie auch nicht argumentieren, dass dies den Gesetzestext unnötig aufbläht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch im Verfahrensrecht haben Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wichtige Punkte nicht berücksichtigt. Sie haben geregelt, dass vor Beginn einer Zwangsbehandlung eine Überprüfung durch einen unabhängigen Sachverständigen notwendig ist. Dieser Sachverständige kann aber ein Arzt sein, der in derselben Einrichtung arbeitet wie der Arzt, der die Behandlung durchführt. Das reicht nicht aus. Von einer wirklichen Unabhängigkeit können wir erst dann sprechen, wenn der Sachverständige nicht in der Einrichtung arbeitet, in der der Betroffene untergebracht ist. Arzt und Sachverständiger müssen unterschiedlichen Einrichtungen angehören. Anderenfalls kann eine Interessenkollision entstehen. Der müssen wir vorbeugen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch Eilmaßnahmen dürfen nach meiner Überzeugung nur dann zulässig sein, wenn durch den Aufschub der Zwangsmedikation die Gefahr droht, dass der Betreute stirbt oder einen schweren und länger andauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Diese wichtige Einschränkung fehlt in Ihrem Gesetzentwurf. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, ärztliche Zwangsmaßnahmen im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung sind schwere Grundrechtseingriffe. Wichtig ist und bleibt, dass wir den Dialog zwischen Betroffenen und Professionellen weiter fördern, mehr Transparenz schaffen und die Versorgungssituation in den Einrichtungen verbessern. Unser Ziel muss sein, dass eine Zwangsbehandlung der Ausnahmefall bleibt. Wir brauchen rechtliche Sicherheit und ein überzeugendes Verfahren, um einen sensiblen Umgang mit Menschen, die in sehr schwierigen Lebenssituationen sind, zu garantieren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort der Kollege Rudolf Henke von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Rudolf Henke (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Vorbemerkung. Herr Wunderlich, wenn Sie im Zusammenhang mit diesem Gesetz von einer Umsatzsicherung für die pharmazeutische Industrie sprechen, kann ich nur sagen: Das mag vielleicht in der Vergangenheit so gewesen sein, wenn nach Gesprächen mit der pharmazeutischen Industrie eigentlich geplante Gesetzesmaßnahmen einer rot-grünen Koalition vom Bundeskanzler kassiert wurden. Wenn Sie einen solchen Vorwurf nun ausgerechnet gegenüber der Koalition erheben, die das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz beschlossen hat und von der pharmazeutischen Industrie wegen der erlittenen Umsatzrückgänge angegriffen wurde, muss man schon sagen: Da sind Sie irgendwie in die falsche Spur geraten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das glaube ich nicht!) – Doch, das ist schon so. Aber jetzt zu der Frage: Warum am Anfang diese Schnelligkeit? Ich glaube, das hat viel mit den beiden Beschlüssen zu tun, die der Bundesgerichtshof am 20. Juni 2012 gefasst hat. Seitdem fehlte für ärztliche Zwangsmaßnahmen die Rechtsgrundlage, die vorher existiert hatte. Dann hat sich eine Situation eingestellt, die uns Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde und andere Behandler an Beispielen ausgiebig geschildert haben. Wenn man sich diese Beispiele vergegenwärtigt, wird, jedenfalls aus dem Blickwinkel der gesundheitlichen Versorgung, deutlich, dass Handlungsbedarf von Anfang an bestand. Nun braucht das parlamentarische Verfahren seine Zeit. Aber ich will – auch mit Blick auf das, was Sie, Frau Hönlinger, an dem jetzt zur Abstimmung stehenden Gesetz noch einmal kritisiert haben – zwei Beispiele der DGPPN in Erinnerung rufen: Erstens. Da leidet eine 18-jährige Frau seit ihrem 11. Lebensjahr an schwerer Anorexia nervosa, also Magersucht. Bei einem lebensbedrohlichen Untergewicht von 31 Kilogramm lehnt sie eine Zwangsernährung ab und gibt an, den Tod einem Zwang zur Nahrungsaufnahme und damit einer Gewichtszunahme vorzuziehen. Ihr gesamtes Denken zentriert sich auf das Thema „Nahrungsaufnahme und Gewicht“. In zahlreichen Gesprächen mit viel Zeitaufwand wird klar, dass die Patientin zu einer abwägenden, freien Entscheidung nicht in der Lage ist. Jetzt verlangen die Eltern unter Androhung rechtlicher Schritte, dass alles getan wird, damit ihr Gewicht zumindest stabil bleibt. Nach der Rechtslage, die im Anschluss an die BGH-Beschlüsse bestand, war eine Zwangsbehandlung unter Rückgriff auf den rechtfertigenden Notstand nur noch möglich, wenn die Patientin bzw. der Patient das Bewusstsein verloren hatte. In diesem Zustand misslingt eine Lebensrettung jedoch meistens. Deswegen kann man verstehen, dass Psychiater von Anfang an, ab dem Bekanntwerden des Gesetzentwurfes, gesagt haben: Mit der Lage, in der wir da sind, können wir uns nicht anfreunden. Zweitens. Ein 64-jähriger Bauingenieur wird wegen einer rheumatischen Gelenkentzündung einige Wochen mit Cortison behandelt. Darunter entwickelt er einen ausgeprägten Verfolgungswahn und rast mit stark überhöhter Geschwindigkeit durch ein Wohngebiet – auf der vermeintlichen Flucht vor Geheimdienstagenten. In der Notaufnahme eines Allgemeinkrankenhauses ist er der Erklärung, dass seine Wahrnehmungen infolge der Cortisonbehandlung verzerrt sind, nicht zugänglich. Er will das Krankenhaus sofort wieder verlassen, um mit dem Auto seinen Verfolgern zu entkommen. Der Patient leidet unter einer Cortison-induzierten Psychose, einer Komplikation, die einen kleinen, aber bestimmten Prozentsatz dieser Patienten betrifft. Da das, was der Mann erlebt, für ihn Realitätscharakter hat, kann er den Darlegungen, es handele sich um ein akutes Krankheitsgeschehen, nicht folgen. Nach Beendigung der Behandlung mit Cortison – man könnte jetzt ja sagen: Setzt das ab! – kann es Wochen dauern, bis diese Symptomatik abklingt. Bei einer adäquaten antipsychotischen Behandlung klingt die Symptomatik in Stunden bis Tagen ab. Diese Behandlung war nach den beiden Beschlüssen des Bundesgerichtshofs aber nicht möglich. Die Konsequenz einer unter Umständen unbehandelten Symptomatik ist eine mehrere Wochen dauernde Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung gegen den Willen des Betroffenen; denn diese Unterbringung gegen seinen Willen – ohne Behandlung – war ja weiter möglich und ist im Rahmen der entsprechenden rechtlichen Grundlagen für die Unterbringung auch vollzogen worden. Ich habe Verständnis dafür, dass die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, die solches und anderes – wir kennen die Beispiele – erlebt haben, gesagt haben: Es ist auch für uns eine würdelose Situation, in der wir zuschauen müssen, wie jemand gegen seinen Willen zwangsweise untergebracht wird, während wir gleichzeitig die Möglichkeit nicht nutzen können, ihm diese Unterbringung zu ersparen, indem wir die Symptomatik durch Behandlung beenden. Das gehört zu seinen Rechten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ferner habe ich Verständnis dafür, dass die Bundesregierung zwar allmählich Handlungsbedarf gesehen hat, aber warten musste – das hat draußen niemand verstanden; keiner meiner ärztlichen Kolleginnen und Kollegen hat das verstanden –, bis das Gericht seine Urteilsbegründung vorgelegt hatte, weil erst dann Konsequenzen gezogen werden konnten und es natürlich zur Sorgfaltspflicht einer Bundesregierung gehört, erst dann mit einem Gesetzentwurf zu reagieren, wenn man die Begründung eines relevanten Urteils kennt. Darüber sind aber Monate vergangen. Die Bundesregierung hat dann Gespräche geführt – auch mit den Betroffenenorganisationen: beispielsweise mit dem Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener und mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener. Man muss die Bundesregierung also vor dem falschen Vorwurf in Schutz nehmen, dass nicht mit den Betroffenen gesprochen worden wäre. Das Verfahren, das dann gewählt wurde, hat im Sinne all dessen, was wir in der Ausschussanhörung und in den vielen Gesprächen innerhalb der Fraktionen diskutiert haben, noch einmal zu einer erheblichen Verbesserung des Gesetzentwurfes geführt. Um die notwendigen Voraussetzungen für eine Zwangsmaßnahme noch einmal festzuhalten: Der Betreute kann aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln. Die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen der Unterbringung muss zum Wohle des Betreuten erforderlich sein, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden. Und: Der erhebliche gesundheitliche Schaden kann durch keine andere zumutbare Maßnahme abgewendet werden. Deswegen sage ich: Der Vorwurf, dies würde die Rechte der Betroffenen nicht wahren, geht fehl. Es ist so: Die Rechte der Betroffenen werden gewahrt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass eine Oppositionsfraktion wie die SPD dem Gesetzentwurf zustimmen würde, wenn dies nicht der Fall wäre. Ich muss sagen: Das Schwierigste, was wir heute hier gehört haben, war für mich in der Tat der Vortrag von Ihnen, Herr Wunderlich. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das glaube ich, dass das schwierig war!) Mit den beiden Positionen, dass man da noch Änderungsbedarf sieht, kann ich mich aber anfreunden. Auch ich sehe Änderungsbedarf: Ich finde es schwierig, dass wir jetzt auch die Patienten, die eigentlich keine Unterbringung brauchen, sondern ambulant versorgt werden könnten, unterbringen müssen, wenn eine Zwangsbehandlung nötig ist, um sie möglich zu machen. Ein Beispiel: Mir hat der Vater eines durch das Down-Syndrom beeinträchtigten Jungen, dessen Zähne immer wieder vereitern, erzählt, dass er, weil der Junge nicht gerne zum Zahnarzt geht, immer den Weg über die Unterbringung gehen muss, damit eine Zwangsbehandlung nicht erst dann möglich wird, wenn eine lebensbedrohliche Infektion mit Ausbreitung auf den Körper, gegebenenfalls verbunden mit einer Todesgefahr, entstanden ist. Ich finde, darüber hätten wir vielleicht auch noch etwas länger diskutieren müssen. Aber diese Frage war auch dagegen abzuwägen, – Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Henke, in Ihrer Redezeit, nicht außerhalb. Rudolf Henke (CDU/CSU): – dass eben der Handlungsbedarf bestand. – Ja, ich will uns durch längere Ausführungen auch nicht davon abhalten, dass wir jetzt dieses Gesetz, bei dem ich ja Handlungsbedarf registriert habe, beschließen. Deswegen beende ich meine Rede. Ich bedanke mich für den freundlichen Hinweis beim Präsidenten, und Ihnen danke ich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der Kollege Dr. Edgar Franke von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Edgar Franke (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Medizinische Zwangsbehandlungen von psychisch Kranken sind ein Thema – das haben wir, glaube ich, heute in der Diskussion gesehen –, das uns alle betrifft. Viele von uns kennen sicherlich in ihrem persönlichen Umfeld Personen, die von einer psychischen Erkrankung betroffen sind. Frau Steffen hat eben gesagt: Es werden mehr als 1 Million Menschen – diese Zahl war mir nicht bekannt – jedes Jahr in Deutschland therapiert. Gerade die Anforderungen aus der Gesellschaft oder der Arbeitswelt, die in der heutigen Zeit immer komplexer werden, sind auch eine Ursache – das ist sicherlich nicht entscheidend, aber eben auch ein Beispiel – für die Zunahme psychischer Erkrankungen. Dazu, was das im sozialen Umfeld auslöst, haben sicherlich viele von uns Zuschriften – gerade im Rahmen der Diskussion dieser Thematik – in den Wahlkreisbüros bekommen. Ich darf vielleicht noch eine persönliche Anmerkung machen. Ich bin seit 30 Jahren Betreuer meines Bruders. Mein Bruder ist in jungen Jahren psychisch erkrankt. Er musste einmal sogar psychiatrisch zwangsbehandelt werden. Er lebt heute in einer Einrichtung, in einer Wohngemeinschaft, in der er betreut wird und in der er ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen kann. Ich habe selbst als Betreuer, als Bruder, als Familienangehöriger erfahren, dass es Situationen geben kann, in denen jemand, der einem besonders nahe ist, der für einen wichtig ist, krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden, und zumindest für sich selber eine Gefahr darstellt. Ich denke, in diesen Fällen ist der Staat aufgefordert, den Betroffenen auch vor sich selbst zu schützen. Wir wissen: Das kann nur unter ganz engen Voraussetzungen geschehen; das haben wir ja auch besprochen. Aber es muss jetzt natürlich eine Regelung gefunden werden – ich glaube, das ist der entscheidende Punkt, Herr Wunderlich –, sodass im Detail klar ist, unter welchen Voraussetzungen das gemacht werden kann. Hier gilt das Ultima-Ratio-Prinzip – der Begriff ist ja schon mehrmals gefallen –: Es muss eben das allerletzte Mittel sein. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Zwangsmaßnahmen – auch das ist natürlich schon mehrmals von verschiedenen Rednern in dieser rechtspolitischen Debatte erwähnt worden – verstoßen gegen Grundrechte, sind ein Grundrechtseingriff. Das ist das Schlimmste – Herr Thomae, Sie haben es auch gesagt –, was einem Menschen geschehen kann – insofern, als man in das Grundrecht der körperlichen Integrität eingreift. Wir brauchen eine Regelung, die über den § 1906 BGB hinausgeht, wir brauchen auch Regelungen im Familienverfahrensgesetz. Was man aber nicht vergessen darf – da, Herr Wunderlich, gebe ich Ihnen durchaus recht –, ist, dass bei der Behandlung von Menschen, die gegen ihren Willen untergebracht werden, in der Regel Psychopharmaka eine bedeutende Rolle spielen. Das ist sicherlich Ihnen gegenüber im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens von vielen auch schriftlich dokumentiert worden. Da gibt es viele Schicksale. Wenn man diese Briefe liest, sieht man, dass auch in der heutigen Psychiatrie viele gravierende psychische Störungen mit Medikamenten behandelt werden und dass die Psychotherapie nur begleitend ist. Was bewirkt die Psychotherapie, was bewirkt eine Zwangsbehandlung? Sie bewirken sicherlich, dass Patienten apathisch werden; die sogenannten Neuroleptika bewirken das natürlich. Das ist ein schwerwiegender Eingriff, Herr Thomae. Es kommt auch zu irreversiblen Nebenwirkungen; das muss man sagen. Deswegen war es wichtig, dass wir uns Mühe gegeben haben, dass wir nicht nur ein erweitertes Berichterstattergespräch geführt haben, sondern dass wir uns mit der Materie wirklich intensiv auseinandergesetzt und diese Anhörung auf Druck – Frau Steffen hat es gesagt – der SPD und auch der Linken durchgesetzt haben. (Beifall bei der SPD) Wir haben bis zur zweiten und dritten Lesung vieles verändert. Herr Thomae, Sie haben zu Recht gesagt: Auch die Koalitionsfraktionen sind in dem Verfahren schlauer geworden. Damit haben wir auch hier dem Struck’schen Gesetz Rechnung getragen. Die beschlossenen Maßnahmen sind sicherlich die Ultima Ratio. Dass man vor der Zwangsmaßnahme mit dem Betreuten intensiv redet und alles probiert, haben wir besprochen. Dies wurde berücksichtigt. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers, den Frau Steffen erwähnt hat, ist in das Gesetz gekommen. Gerade wir SPD-Gesundheitspolitiker haben durchaus, Frau Hönlinger, Sympathie für Ihren Vorschlag gehabt, dass der Arzt, der über die Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme entscheidet, eher nicht der zwangsbehandelnde Arzt sein soll. Auch soll es sich immer um einen Facharzt für Psychiatrie handeln. Viele Gesundheitspolitiker bei uns haben in diese Richtung diskutiert. Fairerweise muss man allerdings hinzufügen – das haben auch Sie, Herr Thomae, im Ausschuss gesagt –, dass praktische Erwägungen der Länder, etwa Versorgungskapazitäten, eine Rolle dabei gespielt haben, aus dieser Muss- eine Sollvorschrift zu machen. Aber, Herr Stadler, zumindest aus Sicht der SPD-Fraktion sollte man diese Vorschrift daraufhin evaluieren, wie das in der Praxis mit der Sollvorschrift aussieht, dass man diese Sollvorschrift wirklich nur in atypischen Fällen, ähnlich wie Ermessensvorschriften im Verwaltungsrecht, als Ausnahme anwendet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Franke, das wäre ein schöner Abschluss Ihrer Rede. Sie sind schon weit über Ihre Redezeit. Dr. Edgar Franke (SPD): Noch ein Abschlusssatz, Herr Präsident. – Aber gleichwohl muss ich sagen, dass der jetzt vorliegende Gesetzentwurf mit den Änderungen, die auch auf Anregung der SPD eingefügt wurden, ein sachgerechter Gesetzentwurf ist, der das Vertrauen der Betroffenen verdient und mit dem auch die Grundrechte der Betroffenen respektiert werden. Ein Gesetzentwurf, mit dem die Grundrechte respektiert werden, ist immer ein guter Gesetzentwurf. Gerade in einer rechtspolitischen Debatte kann man das sagen, Herr Stadler. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt ist es Ihnen gelungen, die Redezeitüberschreitung von Herrn Henke zu übertreffen. Insofern haben wir wieder Gerechtigkeit hergestellt. Ich schließe die Aussprache. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da haben wir aber noch ein bisschen was gut!) – Die Aussprache ist leider beendet. Das tut mir leid; das war auch nicht vorauszusehen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir denken da perspektivisch! – Heiterkeit) Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12086, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/11513 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/12090. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung von SPD und Grünen. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12091. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen und Enthaltung der SPD-Fraktion. Ich rufe jetzt auf den Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten Schneider (Erfurt), Uwe Beckmeyer, Klaus Brandner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Privatkundengeschäft der Finanzagentur Deutschland GmbH fortsetzen – Drucksache 17/12062 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion beantragt heute, einen schwerwiegenden Fehler von Herrn Minister Schäuble zu korrigieren. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Er macht keine Fehler!) Herr Minister Schäuble – mit ihm die Bundesregierung, und ich vermute, auf Druck der Fraktion – hat entschieden, dass die über Jahrzehnte geübte Praxis beendet wird, dass der Staat, der Bund, also wir, uns direkt beim Bürger verschulden können, dass wir Bundesschatzbriefe, eines der Hauptprodukte in diesem Zusammenhang, direkt an den Bürger geben können, um die notwendige Kreditaufnahme zu finanzieren. Wir haben über 2  Billionen Gesamtschulden, davon rund 1,3 Billionen beim Bund. Sie haben entschieden, dass diese über Jahrzehnte geübte Praxis, sich nicht gänzlich von Banken und Finanzmärkten abhängig zu machen, beendet wurde. Sie haben entschieden, dass es nicht mehr möglich ist, seinem Staat selbst Geld zu leihen; das soll nur noch über Bankgeschäfte mit hohen Provisionen möglich sein. Das, meine Damen und Herren, ist ein schwerwiegender Fehler, und wir fordern Sie auf, ihn zu korrigieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesfinanzagentur, die dafür zuständig ist, durfte nicht einmal mehr Werbung machen. Die Begründung, warum Sie es einstellen, ist, dass Sie Gelder zur Finanzierung von fast 99 Prozent der gesamten Staatsschulden an den Kapitalmärkten bei Investoren aufnehmen wollen. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Der Rechnungshofbericht!) Wenn man für ein Produkt keine Werbung mehr macht und den Vertrieb von Bundesschatzbriefen mehr oder weniger torpediert, dann braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn diese nicht mehr in dem Maße nachgefragt werden. Ich finde, insbesondere auch angesichts der Schuldenkrise in anderen Ländern, wo man wie in Italien froh ist, eine Inlandsverschuldung von 50 Prozent zu haben – in Deutschland ist die Zahl viel schlechter – (Otto Fricke [FDP]: Ach! Italien ist jetzt das Beispiel? Super!) – Inlandsverschuldung, sehr geehrter Herr Fricke –, sollten wir uns nicht gänzlich von an der Börse gehandelten Wertpapieren abhängig machen, die von amerikanischen Investoren, den Scheichs in Arabien, norwegischen Ölfonds oder der chinesischen Zentralbank geführt werden. Dass Sie die Möglichkeit beenden, dass der Staat selbst in der Lage ist, auch bei seinen Bürgern Geld zu leihen, ist purer Marktideologie geschuldet. Die FDP hat das immer gefordert. Ich gebe Ihnen recht: Sie haben jetzt eine klare Entscheidung in der Koalition durchgesetzt. Aber dass die CDU/CSU – das finde ich fast unpatriotisch – (Otto Fricke [FDP]: Es ist kurz vor 9! Komm mal runter!) dem Bürger nicht mehr die Möglichkeit einräumt, dem Staat direkt Geld zu leihen, sondern dies nur noch über die Banken geschehen kann, ist ein schwerwiegender Fehler. Das zeigt den Charakter dieser Koalition. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir lehnen dies ab und fordern Sie auf: Besinnen Sie sich! Geben Sie nicht nur dem Markt, sondern auch dem Staat und dem Bürger die Chance, sich selbst zu helfen und sich nicht von Dritten abhängig zu machen. Deswegen: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Sie haben die Gelegenheit dazu! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Es ist 9 Uhr abends und nicht 9 Uhr morgens! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ich finde, das Wort „unanständig“ hat gefehlt!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Alexander Funk von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Alexander Funk (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die SPD möchte also, dass das Privatkundengeschäft der Finanzagentur fortgesetzt wird. Wenn ich ehrlich bin, irritiert mich der Antrag – sowohl der Zeitpunkt als auch der Inhalt. (Harald Koch [DIE LINKE]: Uns auch!) Zum Zeitpunkt. Bereits am 2. Juni 2012 wurden die Mitglieder des Finanzierungsgremiums über die Entscheidung, das Privatkundengeschäft einzustellen, informiert. Wieso Sie dann erst heute dieses Thema diskutieren, bleibt Ihr Geheimnis. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So sind die!) Wenn es Ihnen um die Sache gehen würde, müssten Sie einsehen: Dieser Antrag kommt mindestens ein halbes Jahr zu spät. Aber auch der Inhalt verwirrt. Sie fordern ein Unternehmen auf, weiter ein Produkt zu vertreiben, das jedes Jahr Verluste bringt, immerhin 50 bis 70 Millionen Euro. Jeder wirtschaftlich normal denkende Mensch kann da nur mit dem Kopf schütteln. (Johannes Kahrs [SPD]: Na, na, na, na!) Sie glauben dies tun zu können, weil der Bund Eigentümer ist – nach dem Motto: Ist ja nicht unser Geld. – Für uns als christlich-liberale Koalition ist ein solches Finanzgebaren absolut unverständlich. Unsere Aufgabe ist es, sparsam und verantwortungsvoll mit dem Geld der Steuerzahler umzugehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir sind auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt. Solide Staatsfinanzen sind unser Markenkern. (Johannes Kahrs [SPD]: Seit wann?) Deshalb überprüfen wir unwirtschaftliche Geschäftszweige auch bei Unternehmungen des Bundes und handeln, zumal es Alternativen gibt. Es ist ja nicht so, dass Anleger nun nicht mehr in Bundeswertpapiere investieren könnten. Sie können komfortablere und häufig preisgünstigere Erwerbswege als den Kauf über die Finanzagentur nutzen. Das ist doch das Problem, das zu der Entscheidung, das Privatkundengeschäft einzustellen, geführt hat: Banken haben vielfach preiswertere Angebote im Sortiment, und sie haben der Finanzagentur hier den Rang abgelaufen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Aha!) Genau darauf hat auch der Bundesrechnungshof mehrfach kritisch hingewiesen. Ich hätte ja noch Verständnis gehabt, wenn Sie den Rechnungshofbericht zum Thema gemacht und die Verluste der vergangenen Jahre kritisiert hätten. (Otto Fricke [FDP]: Ja, das wäre doch mal was gewesen!) Aber heute so zu tun, als gäbe es diesen Bericht nicht, ist schon mehr als seltsam. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Die Zeiträume sind komisch, die betrachtet werden!) – Ja, die Zeiträume. Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich aus den Bemerkungen 2012 des Bundesrechnungshofes: Das Bundesfinanzministerium stellt auf Empfehlung des Bundesrechnungshofes bis zum Ende des Jahres 2012 den Verkauf von Wertpapieren ein, die es für Privatanleger anbietet. Dieses Privatkundengeschäft ist für die Kreditaufnahme des Bundes bedeutungslos geworden, weil Privatanleger seit über 20 Jahren immer weniger Wertpapiere des Bundes kaufen. Und weiter: Das Verkaufsvolumen im Privatkundengeschäft sank im Zeitraum von 1990 bis 2011 von 28 Milliarden Euro auf unter 2 Milliarden Euro. Sein Anteil an der gesamten Kreditaufnahme des Bundes reduzierte sich damit von 40,9 Prozent auf 0,7 Prozent. (Otto Fricke [FDP]: 0,7 Prozent!) Zudem entstanden im Privatkundengeschäft in den letzten Jahren Verluste, teilweise in zweistelliger Millionenhöhe. Weiter: Der Bundesrechnungshof hat bezweifelt, dass sich das Privatkundengeschäft mit neuen Produkten oder bei einem höheren allgemeinen Zinsniveau deutlich ausweiten und kostendeckend betreiben lässt. Abschließend: Privatanleger sind damit nicht von einer Geldanlage beim Bund ausgeschlossen. Sie können weiterhin Wertpapiere des Bundes über Kreditinstitute erwerben. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dafür Gebühren bezahlen!) Meine Damen und Herren, damit ist eigentlich schon alles gesagt. Es stellt sich für mich nur die Frage, ob Sie den Bericht nicht gelesen oder was Sie an diesem Bericht nicht verstanden haben. Denn wie sonst ist es zu erklären, dass Sie alle Bürgerinnen und Bürger für diejenigen zahlen lassen wollen, die Geld verleihen können. (Otto Fricke [FDP]: Genau so ist es!) Seien Sie sicher: Ihr Kanzlerkandidat kann mit seinen Honoraren auch weiterhin den sicheren Hafen deutscher Anleihen anlaufen. (Johannes Kahrs [SPD]: Was für ein Tiefschlag!) Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich ankündige, dass wir Ihren Antrag ablehnen werden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sehr gute Rede!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Harald Koch von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Koch (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuhörer! „Günther“ verzieht sich in seinen Panzer! Die Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH, deren Maskottchen die Schildkröte Günther war, hat sich mit Beginn des Jahres aus dem Privatkundengeschäft mit Bundeswertpapieren zurückgezogen. Seit längerem meckerte der Bankenverband darüber, dass Privatanleger direkt über die Finanzagentur Bundeswert-papiere erwerben und gebührenfrei auf dem Schuldbuchkonto verwahren lassen können. Schon eilt die Regierung der Bankenlobby willfährig zu Hilfe, statt sich eine verbraucherfreundliche Regelung auszudenken. Verbraucherschutz bleibt bei dieser Regierung eine Worthülse. (Beifall bei der LINKEN) Anleger müssen ab jetzt zum Beispiel Bundesanleihen bei ihrer Hausbank kaufen. Dafür und für die Aufbewahrung werden jedoch Gebühren fällig. Privatkunden sind zudem nun stärker gefährdet, entgegen der eigenen Risikoneigung und Anlageabsicht unpassende Finanzinstrumente von „Bankberatern“, also Verkäufern, aufgedrückt zu bekommen; denn an sicheren Tages- oder Festgeldkonten verdient eine Bank nichts. Provisionen für den Verkäufer würden dabei schon gar nicht sprudeln. Natürlich muss man zugeben: Das Privatkundengeschäft war am Ende nicht mehr sehr erträglich, (Otto Fricke [FDP]: Es war nicht ertragreich! Erträglich war es immer!) dafür aber arbeitsintensiv und teuer. Dennoch sollten wir uns nicht vom Privatkundengeschäft der Finanzagentur verabschieden. Zum einen bleibt viel zu vage, was mit dem Personal geschieht. Rund 200 Mitarbeiter könnten ihren Job verlieren. Die Linke ist auch hier gegen eine Schrumpfkur im öffentlichen Dienst. (Beifall bei der LINKEN) Zum anderen sollte man sich neben einer Kompensation anfallender Mehrkosten besser überlegen, wie man ohne Risikozunahme Bundeswertpapiere für Privatanleger attraktiver gestalten könnte und damit langfristiges Denken bei der Anlage unterstützt. In Ihrem Antrag schreibt die SPD, dass Deutschland von der Finanzmarktkrise dadurch profitiert hat, dass Schuldtitel des Bundes stark nachgefragt worden sind. Dies springt viel zu kurz. In Wahrheit profitierte Deutschland auf Kosten anderer Staaten vor allem durch Lohn-, Sozial- und Steuerdumping infolge der von der SPD beschlossenen Agenda 2010. In Wahrheit profitiert Deutschland von den exorbitanten Außenhandelsungleichgewichten. Es stimmt: Der Bund wird etwas unabhängiger von Großinvestoren, und der Fiskus gewinnt, wenn das Privatkundengeschäft blüht. Aber es reicht nicht aus und ist naiv, wenn Sie vorrangig Spareinlagen der einfachen Bürger mobilisieren wollen, um in Not geratene Staaten besser refinanzieren zu können. Auch das ist hier heute schon einmal festgestellt worden. (Otto Fricke [FDP]: Das ist aber eine schöne mathematische Rechnung!) Sie entlassen so Auslöser und Profiteure der Finanzkrise aus ihrer Verantwortung. Sie ignorieren mit Ihrem Antrag Forderungen nach einer sozial gerechten Steuer- und Lohnpolitik, die eine Umverteilung von oben nach unten vorantreibt. Und Sie ignorieren Forderungen nach einer europaweiten Vermögensabgabe von Millionären. (Otto Fricke [FDP]: Was hat das damit zu tun?) Die Staatsfinanzierung muss endlich der Willkür der Finanzmärkte entzogen werden. Wir haben alle noch die Jahre 2008 und 2009 in Erinnerung. Neben einer rigorosen Regulierung der Finanzmärkte brauchen wir Euro-Bonds. Die Europäische Zentralbank muss ermächtigt werden, den Euro-Staaten günstige Kredite zu geben, und zwar direkt oder über eine zwischengeschaltete europäische Bank für öffentliche Anleihen. (Beifall bei der LINKEN) Der Staat darf sich nicht zum Vorteil der Bankenlobby und zum Nachteil der Verbraucher und seiner eigenen Finanzierung in einen Schildkrötenpanzer zurückziehen. Das wäre wieder einmal nicht nur ein falsches, sondern auch ein gefährliches Signal. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat nun Otto Fricke für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Otto Fricke (FDP): Geschätzter Herr Vizepräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was will die SPD eigentlich mit dem Antrag bewirken? Der Kollege Funke hat es so schön gesagt: Es geht um etwas ganz anderes. Carsten Schneider hätte hier ehrlicherweise sagen sollen: Unser ganz großes Projekt „Wir gegen die Banken“ wollen wir heute fortsetzen, und jetzt machen wir es auch noch bei der Finanzagentur. Wissen Sie, wer eigentlich das Opfer Ihres Antrages wäre, wenn nicht die Koalition wüsste, was sich gehört? Das wären Genossen. Sie als Sozialdemokraten gehen hier nämlich insbesondere gegen die Genossenschaftsbanken vor. Sie als Sozialdemokraten gehen gegen die Sparkassen vor; denn das sind gerade diejenigen, die in Konkurrenz mit einer staatlich subventionierten Finanzagentur arbeiten. Denen wollen Sie das Geschäft wegnehmen. Nur darum geht es Ihnen und um nichts anderes. Das zu sagen, wäre eigentlich auch Ihre Aufgabe gewesen. (Bettina Hagedorn [SPD]: Quatsch!) Meine Damen und Herren, was will eigentlich ein Staat mit einem Privatkundengeschäft? (Bettina Hagedorn [SPD]: Ihr wart schon immer dagegen! Das ist nichts Neues!) Warum soll er das machen? Na ja, vielleicht deswegen, weil er so günstiger an Finanzmittel herankommt. Wenn das der Fall wäre, dann sollten wir als Staat auch überlegen, ob wir diesen Weg wählen. Dann sollte man als Erstes der Frage nachgehen – das sollten Haushälter eigentlich tun –: Wie viel kostet uns denn ein solches Privatkundengeschäft pro Privatkunde, und wer sind eigentlich die Privatkunden, denen wir hier möglicherweise etwas aus dem Steuersäckel, also aus dem Bundeshaushalt, schenken? Dann müssen wir feststellen: Es sind Leute, die als Privatmenschen Geld haben und dieses Geld anlegen wollen. Jedem, der ein Konto bei der Finanzagentur hat, geben wir pro Jahr – das können Sie ja leicht ausrechnen – 200 Euro. Das heißt nichts anderes, als dass Sie wollen, dass der Staat Leuten, die Geld haben, die über Vermögen verfügen, auch noch Geld aus dem Steuersäckel gibt. Wie Sie das bei den Aufgaben, die der Staat hat, begründen wollen, frage ich mich. Das müssen Sie den Bürgern erst einmal erklären. Ein nächster Punkt. Der Kollege Schneider hat es genau gesagt: Er möchte das wie in Italien haben. Ich füge dazu: Er möchte dann wahrscheinlich auch die Verschuldung wie in Italien haben. – Er möchte mit seiner Partei, dass im Endeffekt möglichst viele private Bürger sich zu – ich will es vorsichtig formulieren – Komplizen der Verschuldungspolitik machen, (Bettina Hagedorn [SPD]: Das nennst du „vorsichtig ausgedrückt“?) dass sie persönlich und direkt an der Verschuldungspolitik des Staates hängen. Das wollen wir eben nicht. Jetzt könnte man als zweiten Punkt zu dem Antrag sagen: Na ja, aber wir sind doch der Meinung, dass der Bürger eine sichere Anlage braucht, eine Anlage, bei der er ganz sicher ist, dass er sein Geld zurückbekommt. – Dann fragen Sie einmal andere Bürger in Europa, ob sie noch glauben, dass ihr Geld, wenn sie es direkt beim Staat anlegen, auch nur ein Jota sicherer ist als woanders, wenn der Staat sich zu sehr verschuldet. Nein, meine Damen und Herren, es geht um etwas anderes. Es geht hier um die Frage: Wo ist das Geld der Privatanleger eigentlich sicher? (Bettina Hagedorn [SPD]: Bei uns ist es das! – Zuruf von der LINKEN: Das kommt auf die Regierung an! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Da geht es um die Einlagensicherung!) Es war doch bisher die Meinung der Sozialdemokraten, der Grünen und auch der Linken: Gerade bei den Sparkassen und gerade bei den Genossenschaftsbanken ist das Geld aufgrund der eigenen Sicherungssysteme viel sicherer als irgendwo anders. Jetzt wollen Sie den Bürgern sagen: Geht nicht in die sicheren Formen, sondern geht lieber zum Staat; denn dann können wir als Staat viel stärker regulieren. (Johannes Kahrs [SPD]: Seit wann ist denn der Staat unsicher? Unglaublich!) Nein, meine Damen und Herren, das ist nicht das, was die Koalition an der Stelle will. Wir müssen überlegen, warum der Staat an dieser Stelle noch Geld ausgeben muss. (Johannes Kahrs [SPD]: Warum ist der Staat unsicher, Herr Fricke?) Sie haben keinen einzigen Grund genannt, warum wir auch künftig noch einen zweistelligen Millionenbetrag – das mag für Sie ja wenig sein – für Privatkunden ausgeben müssen. Diese Koalition sagt – der Kollege Funke hat all die Punkte genannt –: Warum sollen wir bei abnehmendem Interesse, bei abnehmendem Volumen – 0,7 Prozent Anteil an der gesamten Kreditaufnahme des Bundes –, dafür dann noch Geld ausgeben? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zu den Äußerungen, das wären norwegische Fonds und irgendwelche Finanzhaie, die hier die Staatsanleihen tätigen: Das ist doch gar nicht so. Kollege Schneider, Sie wissen es besser. Die betriebliche Altersvorsorge, Versorgungswerke, Riester-Sparer und Lebensversicherungen sind hier ganz wesentlich beteiligt. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Kosten alle Provision!) Sie sagen an der Stelle: Die sind alle schlimm. – Das Verständnis habe ich nicht. Hier versucht doch die SPD, einen Weg zu gehen, den sie meinetwegen für sich einschlagen kann, aber der vollkommen dem widerspricht, was wir als Koalition als richtig ansehen. Sie vertrauen dem Staat und glauben, dass der Staat das richtig macht. (Johannes Kahrs [SPD]: Klar! Wir halten den Staat für sicher!) Wir setzen darauf, dass der Staat eine Kernaufgabe hat, ein schlanker Staat sein muss, der die Kernaufgabe wahrnehmen muss; denn erst dadurch sorgt er für etwas, was wir eigentlich am liebsten hätten, nämlich dass wir überhaupt keine Finanzagentur bräuchten, dass wir weniger Schulden machten. Ein nächster Punkt. Es wird hier gesagt, dass das Geld, wenn die Bürger immer nur zu Sparkassen und Genossenschaftsbanken gingen, so wenig Zinsen brächte und nur Kosten verursachen würde. Erstens. Eine Kostensubvention über den Steuerzahler wollen wir sicherlich alle nicht. Zweitens. Es ist doch ein Irrglaube, wenn Sie hier weismachen wollen, dass das Geld dann irgendwo auf dem Konto liegt. Warum brauchen denn Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Privatbanken auch Geldeinlagen? Warum brauchen sie das Geld des Sparers? Weil wir auf der anderen Seite – ich hatte das immer so verstanden, dass Sie das auch so sehen; das scheinen Sie inzwischen aufgegeben zu haben – die Banken auch zur Finanzierung des Mittelstands und der Wirtschaft brauchen, damit sie denen, die investieren wollen, die Arbeitsplätze sichern wollen, Kredite geben können. Dahinter steckt noch eine andere Ideologie. Sie wollen die Möglichkeiten der Banken, selber Kredite zu vergeben, immer weiter einschränken. À la WestLB, à la NRW Bank, à la KfW (Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt werfen Sie aber Verschwörungstheorien auf!) wollen Sie auf allen möglichen Wegen lieber dafür sorgen, dass es der Staat ist, der die Kredite gibt. Wir vertrauen auf eine funktionierende Marktwirtschaft. Wir sind deswegen auch klar und deutlich der Meinung, dass die Bürger auf einen Staat vertrauen können müssen, in Brunsbüttel und auch an anderer Stelle, der in der Lage ist, ihre Einlagen zu sichern, eben da, wo sie liegen, weil es ein stabiler und sparsamer Staat ist und nicht ein Staat, der einfach nur mehr Geld ausgeben will und deswegen noch mehr Geld vom Bürger bekommen will. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Priska Hinz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, die Verbliebenen im Saal kennen alle Günther Schild, die Schildkröte, die für die Bundeswertpapiere geworben hat. Wenn nicht, ist es schade; denn Sie werden sie nun nicht mehr kennenlernen. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Hat sie den Kopf eingezogen?) Ich weiß nicht, ob sie sich nach Brunsbüttel zurückgezogen hat. Auf jeden Fall wird sie nicht mehr auftauchen. Das Problem ist doch unter anderem, dass die Finanzagentur seit 2006 fast 36 Millionen Euro für Werbung ausgegeben hat, weil die Zahl der Anlagen in Bundeswertpapiere durch Privatanleger zurückging. Am Anfang setzte man auf die falsche Werbestrategie, die dann noch einmal geändert wurde. Dann wurde richtig geklotzt, richtig viel Geld ausgegeben, um dann dennoch 2011 zu entscheiden, das Privatkundengeschäft auszusetzen. Ich finde, diese Strategie seitens der Bundesregierung – erst bewerben, dann einstampfen – merkwürdig. Sie passt aber in das Chaoshandeln dieser Regierung. Viel ärgerlicher ist, dass ein zweites wichtiges Standbein zur Aufrechterhaltung der deutschen Schuldenverwaltung gekappt wird. Ein Grund ist, dass es eine günstige Refinanzierung in der Euro-Krise gibt und große Investoren nach Deutschland kommen. Das kann aber ins Auge gehen. Wenn die Euro-Krise abflacht, wollen wir vielleicht wieder die Privatanleger haben. Aber dann werden sie nicht mehr zurückkommen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: So weit denken die nicht! Das kapieren die nicht!) Es ist ein echter strategischer Nachteil, wenn man den Kreis der Anleger so begrenzt. Lieber Otto Fricke, es geht nicht darum, dass man den Genossenschaftsbanken und den Sparkassen ihre Kunden wegnimmt. Bislang war es so, dass die Privatkunden hier und dort waren, aber auch bei der Finanzagentur gekauft haben. Das ist die richtige Strategie. Wir wissen doch auch, dass die Berater der Sparkassen und Genossenschaftsbanken nicht nur für Bundeswertpapiere oder ihre eigenen Papiere werben, sondern vor allen Dingen auch für Investmentfonds, die in der Welt gestreut sind. Das ist der eigentliche Grund, warum die FDP schon immer dagegen war, dass es eine Direktvermarktungsstrategie der Finanzagentur gibt. Ihr wollt den Banken auf jeden Fall die Provisionsgebühr sichern, und zwar zulasten der Privatanleger. Wir finden, das ist der falsche Weg und der falsche Schritt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Bettina Hagedorn [SPD]: So ist es!) Insofern ist das wieder ein Klientelgeschenk der FDP. Leider hat die CDU mitgemacht. Die Banken machen Gewinn und der Konkurrent, der Mitbewerber – das gehört zu einer Marktwirtschaft, auch wenn es in dem Fall der Staat ist – wurde von euch ausgeschaltet. (Otto Fricke [FDP]: Der Staat als Wettbewerber?) – Für die Direktvermarktung eines eigenen Produktes, das es nicht auf dem Markt gibt, ist der Staat in dem Fall ein Mitbewerber und ein Konkurrent. (Otto Fricke [FDP]: Da gehen wir auseinander!) Dieser wurde von euch ausgeschaltet. Wir bedauern das sehr und werden dem Antrag der SPD zustimmen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bartholomäus Kalb für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Hinz, ich weiß nicht genau, warum Sie die Schildkröte nach Brunsbüttel verorten wollen. Vermutlich deswegen, weil wir dort die Schleuse sanieren und eine neue Schleuse bauen. Da wird jeder Einsatz willkommen geheißen. Hoffentlich zieht die Schildkröte dann nicht den Kopf ein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte der SPD ausdrücklich danken. Im Vorspann zu diesem Antrag hat sie in bemerkenswerter Objektivität die Probleme mit dem Privatkundengeschäft beschrieben. (Bettina Hagedorn [SPD]: So sind wir!) Ich darf zitieren: Bundesschatzbriefe der Typen A und B sowie die ein- und zweijährigen Finanzierungsschätze, die das „traditionelle“ Privatkundengeschäft der Finanzagentur bilden, sind ökonomisch unattraktiv geworden. Der Anteil des Privatkundengeschäfts an der Kreditaufnahme des Bundes liegt derzeit unter ein Prozent. – Objektiv richtig. (Harald Koch [DIE LINKE]: Der nächste Satz ist auch richtig!) Ich nenne Ihnen ein zweites Zitat: Die Finanzagentur leistet sehr erfolgreiche Arbeit. Dem können wir uns in der Bewertung ausdrücklich anschließen und freuen uns, dass dies zutreffenderweise so geschildert wird. Ich will noch ein drittes Zitat nennen: Grundlage – für diese Entscheidungen – seien Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen, die auf der Basis der Entwicklung seit 2006 und der geschätzten Entwicklung über die kommenden fünf Jahre hinweg durchgeführt worden seien. Ergebnis sei, dass das Privatkundengeschäft etwa 50 bis 70 Millionen Euro Mehrkosten verursache … Dann wird korrekterweise noch darauf hingewiesen, dass auch der Bundesrechnungshof nach eigenen An-gaben seit zehn Jahren dieses Privatkundengeschäft beobachtet und zu eindeutigen Empfehlungen gekommen ist. Ich denke, dass all das, was im Vorspann zu diesem Antrag gesagt wird, zutreffend ist, dass Sie aber zu falschen Schlussfolgerungen kommen. Sie stellen fest, dass das Privatkundengeschäft rückläufig sei, dass es an Bedeutung verloren habe und dass es an Bedeutung auch für uns, für die Bundesseite, verloren habe. Wenn der Gesamtbestand weniger als 1 Prozent der Finanzierungen des Bundes ausmacht, dann kann man das nicht ignorieren wollen. (Johannes Kahrs [SPD]: Aber etwas dagegen tun!) Ohne aus dem Gremium, dem der Kollege Carsten Schneider vorsteht, Geheimnisse auszuplaudern, darf ich ganz offen sagen, dass wohl alle Kolleginnen und Kollegen – so jedenfalls mein Eindruck in den Beratungen – es gerne gesehen hätten, wenn das Privatkundengeschäft fortgeführt worden wäre, wenn es sich denn rechtfertigen ließe. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!) Allerdings haben sich die Dinge völlig anders entwickelt als erwartet. So haben die Geldanleger – ganz offensichtlich auch die Privatkunden – neue Anlagemöglichkeiten für sich erschlossen. Wir meinen daher, dass 50 bis 70 Millionen Euro Mehrkosten einfach nicht zu rechtfertigen sind. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Zwangsbeglückung!) – Wir wollen aber keine Zwangsbeglückung, wie es der Kollege Norbert Barthle dazwischenruft, vornehmen, sondern den Menschen die Wahlfreiheit geben (Bettina Hagedorn [SPD]: Warum macht ihr das dann nicht?) und nicht krampfhaft ein Produkt vorhalten, das so nicht mehr nachgefragt wird. Da ich dem Bundestag schon ziemlich lange angehöre, weiß ich, dass in den 90er-Jahren das Privatkundengeschäft – im Übrigen bei einem völlig anderen Zinsniveau – eine sehr viel größere Bedeutung für uns hatte. Es war nicht nur für die Kunden, sondern auch für uns auf der Bundesseite von Interesse, da wir uns auf dem Privatkundensektor abstützen konnten. Diese Funktion ist nicht mehr in dem Maße gegeben, wie es sein sollte oder wie wir es gerne hätten und wie wir meinen, dass eine Fortführung dieses Geschäfts unter dann obwaltenden Umständen noch vertretbar wäre. Darum können wir die Entscheidung des Bundesfinanzministers und des Bundesfinanzministeriums nicht kritisieren. Auch von uns bedauert es der eine oder andere, dass es so gekommen ist. Es gibt aber keinen Anlass zur Kritik. Das sollten wir so auch hinnehmen. Der beste Gradmesser dafür, ob politisches oder administratives Handeln richtig oder falsch ist, ist immer noch die Reaktion der Bürger bei uns in den Bürgersprechstunden. Wenn ich zu einer Entscheidung keine einzige Mail erhalte und zu dieser Sache keinen einzigen Bürger in der Sprechstunde empfangen darf, dann kann die Entscheidung so falsch eigentlich nicht sein und wird von den Betroffenen zumindest akzeptiert. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Harald Koch [DIE LINKE]: Oder die haben die Hoffnung aufgegeben!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bettina Hagedorn für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Bettina Hagedorn (SPD): Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Präsident! Wenn man ein bisschen genauer hingehört hat, hat man bei dem Kollegen Bartholomäus Kalb, dem Kollegen der Union aus dem Haushaltsausschuss, gerade eben herausgehört, dass ihm dieser Schritt doch schwerer fällt als zum Beispiel dem Kollegen Fricke von der FDP. So muss ich denn sagen: Wir wissen, dass es in der Union viele Sympathisanten für den Antrag der SPD gibt. Es ist nämlich in der Tat ein Fehler, dass Sie das Privatkundengeschäft aufgeben. Sie verbrämen diesen Fehler immer mit dem Hinweis auf den Bundesrechnungshof. Darauf möchte ich kurz eingehen. Der Bundesrechnungshof hat dieses Geschäft in der Tat über lange Jahre, genauer seit 1990, kritisch begleitet. Der Zeitraum, der da betrachtet worden ist, hat allerdings mit dem Zeitraum seit 2008, mit den Dingen, mit denen wir es seitdem in diesem Lande und weltweit zu tun haben, wenig gemein; er ist der falsche Maßstab. Selbstverständlich haben wir im SPD-Antrag ehrlicherweise die derzeitige schwierige Situation geschildert; Herr Kollege Kalb, Sie haben das zu Recht zitiert. Die Frage ist dennoch, welche Konsequenzen man daraus zieht. Weil das Zitieren hier heute Abend so modern ist, -zitiere ich jetzt aus einem Schreiben des Finanzministeriums vom April 2010, (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ist schon lange her! Schnee von gestern!) in dem sich das Finanzministerium mit den Bemerkungen des Bundesrechnungshofs zu diesem Thema auseinandergesetzt hat. Darin werden drei Varianten genannt: die Einstellung des Privatkundengeschäfts, die marktschonende Modernisierung und die unveränderte Fortführung der Neupositionierung. Das BMF begründete damals ausführlich, warum es nicht für die Einstellung, sondern für die marktschonende Modernisierung votiert. Sie sollten vielleicht einmal überlegen, ob Sie das heute wirklich ganz anders sehen oder ob das vielleicht eher mit der FDP zu tun hat als mit allem anderen. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das hat mit dem Markt zu tun!) Das BMF plädierte dafür, … eine marktschonende Modernisierung … weiterzuverfolgen, um das Privatkundengeschäft des Bundes in nachhaltiger Weise auf eine wirtschaftlich gesicherte Grundlage zu stellen. In Gesprächen mit der Kreditwirtschaft sollte die Finanzagentur unter Aufsicht des BMF unter Beteiligung der … Bundesbank die Möglichkeit des Abschlusses einer Rahmenvereinbarung sondieren, die es der Kreditwirtschaft ermöglicht, sich auf die inhaltliche und zeitliche Planung, welche die Finanzagentur bei der Modernisierung des Privatkundengeschäfts verfolgt, einzustellen. Gut gebrüllt, Löwe! Aber leider ist das Ministerium vom Kurs abgewichen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Susanne Kieckbusch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Weil in den Unterlagen immer gern davon die Rede ist, dass sich das alles nicht rechne, dass es ein altmodisches Instrument sei, das es schon so lange gebe, (Otto Fricke [FDP]: Nee! „Altmodisch“ hat keiner gesagt!) will ich einmal sagen, dass wir hier sehr wohl über etwas reden, das mit einer Wertedebatte, mit Tradition zu tun hat. (Johannes Kahrs [SPD]: Genau!) Es hat damit zu tun, wie die Menschen, deren Glaube in seinen Grundfesten ein Stück weit erschüttert wurde, eigentlich auf die Finanz- und Wirtschaftskrise reagieren. Wahr ist doch, dass uns nicht etwa die Staaten in die Krise geführt haben, (Otto Fricke [FDP]: Ja, ja, die Staaten haben keine Schulden gemacht! Nein, überhaupt nicht!) sondern die Banken, die Manager, die eine falsche Geschäftspolitik betrieben haben, solche, die geglaubt haben, dass Haftung und Risiko nicht zusammengehören; aber sie gehören zusammen. Viele Bürgerinnen und -Bürger, die in die falschen Geschäftsmodelle investiert haben, haben mit ihrem Privatvermögen bitter dafür -bezahlt. Die falsche Erwartung einer schnellen Rendite hat sie um Kopf und Kragen gebracht. (Otto Fricke [FDP]: Vor allem die, die griechische oder spanische Staatsanleihen hatten!) – Nein, wir reden über deutsche Anleger und nicht über griechische. – (Otto Fricke [FDP]: Über Deutsche, die griechische Staatsanleihen hatten!) Der Staat musste eingreifen, um das Schlimmste zu vermeiden. Es ist heute modern, an die Bonität des Staates zu glauben. Darum könnten die Instrumente, die Sie hier gerade einstampfen, sehr wohl tragfähige Zukunftsmodelle sein. Nicht nur ich bin sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger in dieser Zeit der Unsicherheit im Grunde genommen nicht die schnelle Mark machen wollen; sie wären schon froh, wenn sie ihr hart Erspartes sicher anlegen könnten. Sie vertrauen in Zeiten der Unsicherheit glücklicherweise gerade und vor allen Dingen dem Staat. Wir sollten als Demokraten gemeinsam stolz darauf sein und denjenigen widersprechen, liebe Damen und Herren der FDP, die es auch in dieser Zeit noch für klug halten, den Staat verächtlich zu machen. (Otto Fricke [FDP]: Es gibt auch Grenzen der Formulierung! Wissen Sie, was „verächtlich“ heißt? „Verächtlich“ ist das falsche Wort!) Das entsprach einmal dem Zeitgeist; aber dieser -Zeitgeist hat sich überholt. Ich weiß, Otto, dass du dich darüber aufregst. Aber du kannst mir eine Zwischenfrage stellen. (Otto Fricke [FDP]: Nein! Aber „verächtlich“ gehört sich nicht!) Die SPD ist der Auffassung, dass dies der richtige Antrag zum richtigen Zeitpunkt ist. Wir freuen uns, dass die Kolleginnen und Kollegen der Opposition zustimmen. Wir wissen, dass es viele in der Union auch gerne tun würden und dass es nur eine Fraktion in diesem Hause gibt, die diesen Antrag wirklich von Herzen schlecht findet, und das ist die FDP. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12062 an die in der Tagesordnung auf-geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 17 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines -Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags – Drucksache 17/12058 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Antje Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Antje Tillmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon zum zweiten Mal diskutieren wir heute das Fiskalvertragsumsetzungsgesetz. Wir tun das gerne – auch um diese Uhrzeit –, weil wir davon überzeugt sind, dass es ein gutes Gesetz ist und dass wir unsere Verpflichtungen, die wir gegenüber der Europäischen Union eingegangen sind, jetzt endlich zeitnah umsetzen sollten. (Lachen der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Sie lachen. Wir sind aber nicht schuld daran, dass es erst heute dazu kommt. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Nach der verfassungsrechtlichen Verankerung der Schuldenbremse und der Schaffung des Stabilitätsrats gehen wir mit dem Fiskalpakt den nächsten Schritt hin zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik und zu tragfähigen Staatsfinanzen. Peer Steinbrück plante im Haushaltsentwurf 2010 noch mit einer Neuverschuldung von über 86 Milliarden Euro. Der Haushaltsabschluss 2011 unter Finanzminister Schäuble sah nur noch ein Defizit von 17,3 Milliarden Euro vor. Selbst unter Berücksichtigung der zwei Raten an den Euro-Rettungsschirm und der Erhöhung des deutschen Kapitalanteils an der Europäischen Investitionsbank schließt der Haushalt 2012 mit einem Defizit von 22,5 Milliarden Euro ab. Bereits in diesem Jahr wird der Bund trotz Fälligwerdens zweier weiterer ESM-Raten die erst ab 2016 durch die Schuldenbremse vorgegebene Grenze für die strukturelle Neuverschuldung von 0,35 Prozent des Brutto-inlandsprodukts unterschreiten. Wir sind damit für die europäische Schuldenregel gut aufgestellt. Im Zuge der Einführung der Schuldenbremse haben wir nach sehr intensiven Diskussionen eine Möglichkeit geschaffen, um eine kreative Gestaltung, nämlich die besonders positive Schätzung von Haushaltsdaten, zusätzlich zu verhindern. So haben wir der Gefahr der unerlaubten Verschuldung durch besonders optimistische Schätzung der Einnahmen und Ausgaben bei der Haushaltsaufstellung ein Kontrollkonto gegenübergestellt, bei dem sich derartige Schätzfehler rächen, weil diese nämlich zeitnah in den nächsten Haushaltsjahren ausgeglichen werden müssen. Damals haben wir nicht ernsthaft damit gerechnet, dass wir einmal noch besser sein werden, als wir es bei der sowieso schon ambitionierten Schuldenbremse sein müssen. Deshalb gibt es bis heute keine befriedigenden Regelungen, die vorschreiben, was mit positiven Salden auf diesem Kontrollkonto passieren soll. Nach unserer Auffassung – ich bin froh, dass die Haushälter diese Auffassung immer geteilt haben – dürfen Positivsalden nicht als Ausgleichsmassen für schlechtere Haushaltsjahre genutzt werden, um damit eine höhere Neuverschuldung zu rechtfertigen. Deshalb danke ich dem Finanzminister und dem Staatssekretär, dass wir heute mit diesem Gesetz klarstellen, dass der kumulierte Saldo des Kontrollkontos am Ende des Übergangszeitraums, also zum 31. Dezember 2015, gelöscht wird. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das können wir doch gleich machen!) – Das können Sie gleich in Ihrer Rede vorschlagen. Hätten Sie seit dem Jahr 2005 den Haushalt ausgeglichen, dann wären wir ein gutes Stück weiter vorangekommen. (Johannes Kahrs [SPD]: Wer macht denn Schulden ohne Ende?) – Herr Kahrs ist wieder da. Darüber freue ich mich. (Johannes Kahrs [SPD]: Die ganze Zeit, -gnädige Frau!) Dann habe ich wieder einen Gesprächspartner. Er ist jetzt auch viel leiser als zuvor. Noch entscheidender sind die Auswirkungen auf die Kommunen. Während die Länder im Zusammenhang mit der Schuldenbremse innerhalb Deutschlands nach außen noch signalisiert haben, dass sie sich für die Schulden der Kommunen nicht zuständig fühlen, ist das aufgrund dieses Fiskalvertragsumsetzungsgesetzes endlich Geschichte. Mit § 51 Abs. 2 Satz 1 Haushaltsgrundsätzegesetz sollen die Länder ganz klar in die Pflicht genommen werden: Das strukturelle gesamtstaatliche Finanzierungs-defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen darf eine Obergrenze von 0,5 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten. Das ist eine sehr große Erleichterung für die Kommunen, die seit der Einführung der Schuldenbremse in Deutschland natürlich befürchten, die Länder könnten sich auf ihre Kosten entschulden. Hierfür ist Nordrhein-Westfalen ein gutes Beispiel. Es macht nämlich gar -keinen Sinn, wenn ein Land zwar keine zusätzlichen Schulden macht, aber gleichzeitig die Schulden der Kommunen steigen. Genau das ist nicht Sinn unserer Schuldenbremse. Dieser Gesetzentwurf bedeutet einen zweiten Quantensprung für die Kommunen, weil sie noch intensiver als bisher in die Überwachung der Einhaltung der Schuldenbremse in Deutschland einbezogen werden. Über einen unabhängigen Beirat des Stabilitätsrats können Kommunen mitentscheiden. Dieser Beirat tagt öffentlich und fasst auch Beschlüsse. Diese werden auch im Parlament und in den Unterausschüssen diskutiert, sodass die Kommunen bei uns ein Ohr finden. Darüber hinaus werden die vom Stabilitätsrat beschlossenen Empfehlungen an die Landesregierungen weitergeleitet, die dann wiederum an die Parlamente weitergeleitet werden. Die Landtagskollegen hatten sich bereits bei der Einführung der Schuldenbremse darüber beschwert, dass sie nicht hinreichend einbezogen wurden. Wir werden das nun verändern. So werden auch die Landtagskollegen und damit auch die kommunalen Vertreter bei der -Begrenzung der Schulden angehört. Das ist eine weitere wesentliche Verstärkung der Beteiligung der Kommunen. Wir haben aber nicht nur die Kommunen im Auge. Den Bundeshaushalt haben wir Gott sei Dank weitgehend saniert. Wir achten auch darauf, dass die Länder nicht überfordert werden. Denn natürlich stehen die Länder durch die Fiskalpaktgrenze vor einer noch größeren Herausforderung: nicht nur durch die Verschuldung der Kommunen, sondern auch durch die strengere Schuldenbremse bis 2020. Wir haben den Ländern zugesagt, dass wir etwaige Sanktionen der Europäischen Kommission komplett tragen, obwohl sie nach unserer Verfassung anteilig von Bund und Ländern zu tragen wären. Darüber hinaus überweisen wir regelmäßig Geld an die Länder für Aufgaben, für die wir gar nicht zuständig sind. Wir haben intensiv das Thema Kitaausbau besprochen. Neben den 4 Milliarden Euro, die wir sowieso schon zur Verfügung gestellt haben, kommen heute noch einmal 580,5 Millionen dazu. Wir haben für die Kommunen die Kosten für die Grundsicherung in Höhe von 18,5 Milliarden Euro übernommen. Wir haben in dieser Woche sichergestellt, dass auch 2014 mehrere Milliarden Euro Entflechtungsmittel an die Länder fließen, und zwar für Aufgaben, die eigentlich Ländersache sind. Aus unserer Sicht gibt es überhaupt keinen Grund mehr – weder für die Opposition noch für die Vertreterinnen und Vertreter des Bundesrates – diesem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Fiskalpakts nicht zuzustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir sind in Europa sowieso schon spät dran, was ich mittlerweile peinlich finde. Es gibt für Sie keinen Grund, sich wieder aus der Verantwortung zu stehlen. Hören Sie mit dem Pokern um noch mehr Bundesgelder auf; denn ausschließlich darum geht es Ihnen ja. Sie sehen zu, wo Sie vom Bund noch mehr Geld für die Länder bekommen können. Hören Sie auf damit, und kommen Sie endlich Ihrer Verantwortung nach, die Sie gegenüber der Europäischen Union eingegangen sind! Ich fordere Sie auf, unserem Gesetzentwurf endlich zuzustimmen, (Lachen der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Johannes Kahrs [SPD]) damit wir unseren Verpflichtungen gerecht werden. Ich danke Ihnen. Ich freue mich, dass meine Rede zu so viel Erheiterung geführt hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat nun Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schon einmal über diesen Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Fiskalvertrags diskutiert. Es wurden auch Anhörungen im Haushaltsausschuss dazu durchgeführt. Im Bundesrat gab es keine Einigung, weswegen Sie den Gesetzentwurf heute erneut einbringen. Wir als SPD-Fraktion haben eine klare Haltung: Wir wollen keine Schulden. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wie in Nordrhein-Westfalen! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So wie in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg!) – Jetzt warten Sie einmal! Ich bin doch noch gar nicht fertig, ganz ruhig. – So wie wir die nationale Schuldenregel in Deutschland 2009 hier im Deutschen Bundestag beschlossen haben, wollen wir auch den europäischen Fiskalvertrag goutieren und implementieren. Was bedeutet das? Durch den Fiskalvertrag wird die Schuldenregel in die nationalen Gesetze in Europa aufgenommen, ob nun in Athen, in Madrid – oder in Brunsbüttel. (Heiterkeit der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das bedeutet aber nicht, dass deren Einhaltung kontrolliert wird. Das ist ein großer Fehler. Warum kann die Einhaltung nicht im Rahmen des Fiskalvertrages kontrolliert werden? Sie kann nicht kontrolliert werden, weil es nicht um europäisches Sekundärrecht geht, sondern um einen zwischenstaatlichen Vertrag. Das ist der grundsätzliche Fehler, den die Regierung – vorneweg Frau Merkel – gemacht hat. Es ist nicht gelungen, eine einheitliche Regelung zu schaffen. Das europäische Recht ist ein Flickenteppich. Das trägt nicht zu Glaubwürdigkeit und Transparenz bei. Nun zu Deutschland. Wir als SPD-Fraktion haben im Zuge der letzten Beschlussfassung gemeinsam mit den Grünen – bei den Linken bin ich mir nicht mehr ganz sicher – einen Änderungsantrag eingebracht. Wir haben auch eine Anhörung dazu durchgeführt. Ich möchte das hier und heute im Deutschen Bundestag noch einmal aufgreifen. Es geht um die Frage: Welche Rolle spielt das Parlament, der Deutsche Bundestag, eigentlich bei der Kontrolle der nationalen Haushalte, sowohl angesichts der zunehmenden europäischen Vernetzung als auch angesichts der stärkeren Gouvernementalisierung? Das bedeutet, dass immer mehr Aufgaben auf die Regierung ausgelagert werden, ohne dass die Parlamente – sowohl was die Personalausstattung als auch die eigenen Rechte betrifft – in der Lage sind, ihrer Haushaltsverantwortung gerecht zu werden. Das Ergebnis der Anhörung war so eindeutig, wie ich es noch nie erlebt habe. In diesem speziellen Punkt, in der Frage, ob es ein unabhängiges Gremium gibt, das die Finanzpolitik der Regierung auswertet, ihr keine Empfehlungen gibt, aber ihre Politik bewertet, waren alle Sachverständigen, auch die von der Union berufenen, eindeutig der Auffassung, dass das, was vorgelegt wurde, nicht ausreichend ist. (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) Ich gehe sogar so weit, zu sagen: Sie implementieren ein von der Kommission gefordertes unabhängiges Gremium mit neun Mitgliedern, von denen sechs einer Partei angehören und daher bestimmte Interessen verfolgen, also mehr oder weniger weisungsgebundene Beamte sind. Im Endeffekt sind es die Finanzminister selbst, die über Strafzahlungen oder andere Interventionen entscheiden. Letztendlich bleiben wir mit dieser Vereinbarung weit hinter den europäischen Vereinbarungen zurück, die wir mit dem Six-Pack korrigiert haben. Das ist ein Rückschritt. So wird die Finanzpolitik nicht glaubwürdig. Auf dieser Basis kann das Parlament nicht vernünftig im Bundestag diskutieren. So kann das Parlament keine Auswertung vornehmen und keine Alterna-tiven aufzeigen. Deshalb wäre es im Interesse des Haushaltsausschusses und des gesamten Parlaments klug, so meine ich, diese Chance zu nutzen und im Gesetzgebungsverfahren auf die Vorschläge der Sachverständigen einzugehen. Es wäre klug, dem Bundestag die notwendigen Mittel an die Hand zu geben, (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Du wolltest doch keine Schulden machen!) damit wir über die Finanzpolitik – schließlich tragen wir die Hauptverantwortung für die Budgetpolitik – diskutieren können, damit wir auf einer breiten, fundierten Grundlage eine öffentliche Diskussion führen können. Ich glaube, das wäre in unserem eigenen Interesse. Ich hoffe, dass es uns gelingt, dies zu implementieren. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Florian Toncar für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Florian Toncar (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eine der wichtigsten Reformen in Deutschland in den letzten Jahren war die Schuldenbremse, die wir 2009 in das Grundgesetz eingefügt haben. Das war mitten in der Krise mutig. Ich glaube, das ist nicht nur Anlass, stolz auf unser Land zu sein, sondern durchaus auch Anlass, stolz auf das politische System in Deutschland zu sein, das zumindest früher als viele andere erkannt hat, dass zu viele Schulden eine Gefahr für Staaten, für Gesellschaften darstellen können. Wir können stolz darauf sein, dass Deutschland sich früher als andere Länder dafür entschieden hat, etwas dagegen zu tun. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben in der Bundesregierung und der Koalition seit 2010 gewaltige Anstrengungen unternommen, um den Haushalt zu konsolidieren. (Johannes Kahrs [SPD]: Na ja!) In der Krise stand eher das Geldausgeben im Vordergrund. Ich will das gar nicht kritisieren; aber es sind damals immerhin 80 Milliarden Euro für Konjunkturprogramme ausgegeben worden. Viele dieser Ausgaben waren durchaus richtig; aber trotzdem mussten wir das Geld in den Folgejahren wieder einsammeln, wieder einsparen. Wir mussten die Haushalte wieder konsolidieren. Wenn man fragt, was die eigentliche politische Leistung ist, dann muss man sagen – für mich jedenfalls ist das so –, dass Einsparen immer schwerer ist als Ausgeben. Einsparen ist die eigentliche Leistung. Die haben wir erbracht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Ergebnis ist, dass wir bereits im abgelaufenen Jahr 2012 die Zielmarke der Schuldenbremse in Deutsch-land eingehalten haben: 0,32 Prozent Neuverschuldung beim Bund. Dieses Ziel haben wir vier Jahre früher erreicht, als das Grundgesetz es von uns verlangt. Darauf sind wir stolz. Ich glaube, vor drei, vier Jahren hätte es niemand für möglich gehalten, dass wir das bereits im Jahr 2012 erreichen würden. Das ist erfreulich. Das ist eine gute Nachricht, auch für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das haben wir geschafft, obwohl wir neue und gute Schwerpunkte gesetzt haben – im Bereich Bildung und Forschung beispielsweise haben wir 12 Milliarden Euro mehr ausgegeben –, obwohl wir die Kommunen um annähernd 20 Milliarden Euro entlastet haben und obwohl wir mit dem ESM infolge der Staatsschuldenkrise eine Verpflichtung übernommen haben, die uns bisher 17 Milliarden Euro gekostet hat. Trotz dieser ganzen Sonderbelastungen haben wir es geschafft, den Haushalt weitgehend zu konsolidieren. Jedenfalls sind wir auf einem sehr guten Weg. Das Volumen, um das wir die Neuverschuldung schneller gesenkt haben, als es das Grundgesetz von uns verlangt, wurde auf einem sogenannten Kontrollkonto gebucht. Auf dieses Konto wird kein Geld eingezahlt, aber dort wird gebucht: Wenn man weniger Schulden gemacht hat, als erlaubt, darf man in den folgenden Jahren etwas mehr Schulden machen. – Ein Vorwurf der Opposition lautete immer – ich habe das für eine Verschwörungstheorie gehalten; aber ich erinnere mich gut, Kollege Schneider, dass auch Sie das hier gesagt haben –: Sie beschreiten diesen Abbaupfad, um sich eine Kriegskasse für das Wahljahr 2013 anzulegen. 2013 werden Sie dieses Kontrollkonto nutzen. Dann wird noch einmal richtig Geld ausgegeben. Dann werden Sie mehr Schulden machen, um Wahlprogramme finanzieren zu können. – Sie müssen jetzt, 2013, feststellen: Die Ausgaben sind konstant. Wenn dieser Gesetzentwurf nach der Beratung im Ausschuss vom Plenum beschlossen wird, dann wird das Kontrollkonto, das Sie für unsere Wahlkampfkasse gehalten haben, gelöscht. 2016 beginnt das Ganze wieder von vorne; dann beginnt man wieder bei null. Das ist eine sinnvolle Regelung. Das zeigt aber auch, dass Verschwörungstheorien oft einfach nur Verschwörungstheorien sind und eben nicht richtig. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bettina Hagedorn [SPD]: Betreuungsgeld!) Mit dem Fiskalpakt haben wir es geschafft, diese Politik der Konsolidierung, der finanziellen Stabilität auf Europa zu übertragen. Lange galt eine Neuverschuldungsgrenze von 3 Prozent in Europa. Das wurde mit dem Maastricht-Vertrag festgelegt, den Sie maßgeblich mit ausgehöhlt haben, den Sie mit kaputtgemacht haben, als Sie regiert haben. Das musste repariert werden. Wir sind das angegangen. Das Wort „Fiskalpakt“ ist letzten Endes nur ein Begriff dafür, dass es uns, dieser Regierung, zusammen mit unseren europäischen Partnern gelungen ist, die Fehlentscheidungen von damals zu korrigieren und in Europa wieder strenge Regeln gegen Verschuldung einzuführen, damit Staaten nicht wieder in die Situation kommen, in der sich einige Länder Europas zurzeit befinden. Wir haben das übertragen. Dieser Fiskalpakt ist ein großer europapolitischer Erfolg der Bundesregierung. Er enthält strenge Regeln, klare Sanktionen und auch ein Bekenntnis zum Abbau der bestehenden Verschuldung. Das wird jetzt mit diesem Gesetz – zumindest teilweise – ins deutsche Recht umgesetzt, sofern das erforderlich ist. Im Haushaltsgrundsätzegesetz wird noch einmal klargestellt, dass neben der Schuldenobergrenze von 0,35 Prozent die etwas anders berechnete Grenze nach dem Fiskalpakt gilt, nämlich 0,5 Prozent. Der sogenannte Stabilitätsrat überwacht die Einhaltung des Fiskalpakts, damit das transparent und unabhängig geschieht. Ein besonders wichtiger Punkt sind die Strafzahlungen der Länder. Der Bund hat sich im Rahmen eines Kompromisses – um einen für Deutschland und Europa elementar wichtigen Beitrag zur Krisenbewältigung, nämlich den Fiskalpakt, zu retten – auch den Ländern gegenüber verpflichtet, deren Strafzahlungen mit zu übernehmen, wenn sie dazu beitragen, dass Deutschland gegen den Fiskalpakt verstößt. Das war meines Erachtens eine sehr großzügige Geste des Bundes, mit der er noch einmal gezeigt hat, dass ihm außenpolitische und europapolitische Interessen sowie finanzielle Stabilität wichtiger sind als das Klein-Klein um Zuständigkeiten in unserem Föderalismus. Dafür muss man denen, die das verhandelt haben, ein Kompliment machen. Wenn der Fiskalpakt daran gescheitert wäre, wäre das für Deutschland und Europa unverantwortlich gewesen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich fasse zusammen: Europa denkt um – solide Finanzen statt Strohfeuer, ausgeglichene Haushalte als Ziel für alle. Das ist ein Beitrag zur Lösung dieser Krise und auch ein Beitrag für eine stabile Währungsunion in der Zukunft. Mit dem heutigen Gesetz sorgt auch Deutschland für noch mehr finanzielle Solidität, von Berchtesgaden bis Brunsbüttel. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Der Kollege Roland Claus hat seine Rede zu Protokoll gegeben.6 – Damit sind wir wieder bei Priska Hinz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Tillmann, ich kann gleich aufklären, warum ich mich über Ihre Rede gefreut habe. Ich finde es nämlich lustig, dass wir hier zum zweiten Mal innerhalb eines Monats ein Gesetz, dem auch wir zugestimmt haben, lesen und Sie uns nun auffordern, diesem Gesetz doch endlich die Zustimmung zu geben. Sie halten uns hier erst einen Grundsatzvortrag, als wüssten wir gar nicht, worum es geht. Dann fordern Sie uns auf, einem Gesetz zuzustimmen, das Sie im Bundesrat versenkt haben, weil die Bundesregierung nicht in der Lage war, ihre Vereinbarung mit den Ländern einzuhalten. Es ist Ihr handwerklicher Fehler, dass wir dieses Gesetz hier noch einmal lesen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Es würde noch nicht einmal in Brunsbüttel vorkommen, dass man etwas einbringt, es dann aufgrund handwerklicher Fehler versenkt und hinterher die Opposition auffordert, sie solle doch, bitte schön, alles reparieren und über das Ganze dann im Gleichschritt noch einmal mit abstimmen. Ich komme zu meinem Kollegen Toncar, den ich eigentlich sehr schätze. (Otto Fricke [FDP]: Aber?) Aber auch bei ihm habe ich mich ein wenig gewundert. Ich habe mich gewundert, dass Sie hier am späten Abend so aufs Klötzchen hauen und erstens so tun, als hätten Sie die Schuldenbremse erfunden bzw. eingeführt. Soweit ich mich erinnere, hat die FDP damals auch nicht zugestimmt. (Johannes Kahrs [SPD]: Stimmt!) Zweitens tun Sie so, als hätten Sie mit Schuldenmachen nichts zu tun. Die wahren Schuldenkönige und -königinnen in diesem Land sind die Liberalen und CDU/CSU. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE] – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben, gesamtstaatlich gesehen, über 2 Billionen Euro Schulden. Allein unter der Kanzlerschaft Merkel sind die Schulden um 500 Milliarden Euro gewachsen. Aber Sie stellen sich hier hin und sagen: Jetzt endlich werden mit diesem Gesetz die Schulden abgebaut. – Das Gegenteil ist der Fall: Auch in diesem Jahr ist die Nettokreditaufnahme viel zu hoch. Es ist zu befürchten, dass die Nettokreditaufnahme, wenn die Konjunktur lahmt, noch höher wird als geplant. (Bettina Hagedorn [SPD]: So ist es!) Jetzt will ich darauf zu sprechen kommen, warum wir dieses Gesetz zum zweiten Mal lesen. Wir wurden gehetzt. Uns wurde gesagt, es müsse im Dezember gleich nach unserer Anhörung beschlossen werden, obwohl klar war, dass wir eigentlich eine bessere parlamentarische Beteiligung beim Prozess der Umsetzung brauchen, dass wir eine Art Budget Office brauchen. Danach ging die Bundesregierung mit dem beschlossenen Gesetz in den Bundesrat. Dort stellte sich heraus, dass das Entflechtungsgesetz, das die Bundesregierung den Ländern im Oktober letzten Jahres zugesagt hatte, schlicht und einfach nicht vorhanden war. Darüber war noch nicht einmal im Kabinett entschieden. Trotzdem wundern Sie sich, dass die Länder das Gesetz haben durchfallen lassen. Ich verstehe Sie überhaupt nicht. Sie haben dieses Thema heute weiträumig umschifft. Deswegen bringe ich es hier so klar zur Sprache. Sie halten Grundsatz-reden und sprechen darüber, dass alle anderen Schulden machen, nur nicht Sie. Es geht aber darum, dass Sie das Gesetz im Bundesrat versenkt haben und jetzt nachbessern müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Erstaunlich ist, dass Sie das Umsetzungsgesetz jetzt einbringen, das Entflechtungsgesetz aber immer noch nicht vorliegt. Es soll erst im Februar oder März in den Bundestag kommen und im Mai verabschiedet werden. Ich bin gespannt, ob sich die Länder darauf einlassen oder ob Sie es schon wieder versenken, weil Sie seit Oktober nicht in der Lage waren, ein Entflechtungsgesetz vorzulegen, zumindest mit der Krücke „Weiterfinanzierung bis 2014“; eigentlich müsste es bis 2019 finanziert werden. Sie schaffen es noch nicht einmal, dies zeitgleich mit dem zweiten Gesetzgebungsverfahren zum Entwurf eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags einzubringen. So eine dilettantische Regierung und so eine dilettantische Koalition hat dieses Land nicht verdient. (Johannes Kahrs [SPD]: Abwählen!) Auch an diesem Punkt zeigt sich wieder: Wir brauchen eine neue Regierung. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Nein!) Wir sind bereit, diese zu übernehmen, damit so etwas künftig nicht mehr passiert. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bartholomäus Kalb. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Eindruck: Brunsbüttel ist hier noch nie so zur Geltung gekommen wie in dieser Debatte. Deshalb grüßen wir die Bürgerinnen und Bürger von Brunsbüttel sehr herzlich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) und natürlich auch die Mitarbeiter der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, zum Beispiel die Schleusenwärter, all das Personal, das sich heute Abend noch mit Problemen herumschlagen muss. Herzliche Grüße! Ich hoffe, dass die finanziellen Schleusen nicht wieder von der Opposition geöffnet werden, sondern dass wir die Schleusen schließen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) damit die finanzpolitische Stabilität gewährleistet bleibt. Mittlerweile hat sich ja nicht nur bei uns im Land, bei unseren Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch in ganz Europa und zum Teil weltweit die Erkenntnis durchgesetzt, dass nachhaltige Haushaltspolitik, also Haushaltskonsolidierung und finanzielle Disziplin, die Grund-voraussetzung dafür ist, dass in einem Land, in einer Region, auf einem Kontinent Finanzstabilität gewährleistet werden kann, dass Wohlstand gewährleistet werden kann, dass die Beschäftigung auf ein hohes Niveau gebracht werden kann und damit letztlich auch die soziale Sicherheit garantiert werden kann. Das sind ganz hohe Güter, für die es sich lohnt, sich einzusetzen. Deutschland ist hier, wie ich meine, mit gutem Beispiel vorangegangen. Deutschland hat viele Diskussionen und Beschlüsse auf europäischer Ebene und im Bereich der G 20 angestoßen und vorangebracht. Wir haben uns damit nicht nur Freunde gemacht; aber in der Zwischenzeit hat sich diese Erkenntnis allgemein durchgesetzt. Carsten Schneider hat vorhin gesagt, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das war richtig!) dass wir darin übereinstimmen, dass wir keine Schulden wollen. (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) Aber rufen wir uns einmal die Debatte von heute Morgen in Erinnerung. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Welche?) Dort habe ich gehört, wie sich der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen dazu eingelassen hat. Wenn ich mir auch noch vor Augen halte, Kollege Norbert Barthle, was die grün-rote Koalition in Baden-Württemberg veranstaltet, dann stelle ich fest: Das ist alles andere als das, was Carsten Schneider hier zum Ziel erklärt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Haushaltsabschluss, den wir in diesen Tagen vom Bundesfinanzministerium bekommen haben, zeigt, dass wir auf genau dem richtigen Weg sind. Wir konnten den Haushalt 2012 mit einem noch besseren Ergebnis abschließen, als in den Planungen vorgesehen war. Wenn man um 5 Milliarden Euro besser abschneidet, als erwartet, ist das zumindest eine Erwähnung wert. Wenn man eine niedrigere strukturelle Neuverschuldung ausweisen kann, als vorgesehen, dann ist auch das eine besondere Erwähnung wert. Es muss betont werden – die Kollegin Tillmann hat das schon erwähnt –, dass wir die Vorgaben der Schuldenbremse viel schneller werden einhalten können. Das schaffen wir bereits 2013, also drei Jahre früher als geplant. Dazu waren große Anstrengungen erforderlich. Insgesamt ist das natürlich sehr gut, nicht nur für unsere Haushalte, sondern auch im Hinblick auf die Stabilität der Finanzmärkte in Deutschland und Europa. Die gewisse Beruhigung, die wir derzeit feststellen können, hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Finanzmärkte zur Kenntnis nehmen, dass die Situation in Deutschland und, von Deutschland ausgehend, in Europa besser ist, als bisher zu vermuten war. Ganz offensichtlich werden von den Finanzmärkten die Probleme in den USA und in anderen Regionen der Welt wieder stärker zur Kenntnis genommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Kollegin Tillmann hat vorhin darauf hingewiesen, dass dieser Gesetzentwurf auch vorsieht, dass das sogenannte Kontrollkonto zum 31. Dezember 2015 gelöscht wird. Das heißt, dann gibt es keine – wenn auch verfassungsrechtlich zulässige – heimliche Möglichkeit mehr, eine höhere Verschuldung einzugehen. Auch das unterstreicht, dass wir es sehr ernst meinen. Die Kollegin Tillmann und der Kollege Toncar haben darauf hingewiesen, dass wir den Ländern sehr weit entgegengekommen sind und ihnen sehr viel Hilfestellung gegeben haben, sodass sie jetzt in der Lage sind, die Vorgaben des Fiskalpaktes innerstaatlich umzusetzen. Erwähnt wurden auch andere Maßnahmen: vom Kinderbetreuungsangebot über das Entflechtungsgesetz, den Hochschulpakt, die Grundsicherung bis hin zu der In-Aussicht-Stellung, dass wir im Rahmen des Bundesleistungsgesetzes, also für die Behinderten in dieser Republik, noch mehr tun wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben seit 2008 die richtigen Maßnahmen zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise ergriffen. Dadurch sind auch für die Länder und die Kommunen Windfall Profits angefallen, (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Nicht nur diese!) die es ihnen erlauben, ihre Haushalte schneller zu konsolidieren – Gott sei Dank. Allerdings muss in diesem Hause auch gesagt werden: Die Lasten hat hauptsächlich – sogar fast alleine – der Bund getragen. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!) Das Statistische Bundesamt hat letzte Woche Zahlen veröffentlicht. Bei der Zahl der erwerbstätigen Personen in Deutschland ist der Höchststand in der gesamten Nachkriegsgeschichte zu verzeichnen; (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) das muss erwähnt werden, und darüber sollten wir uns freuen. Außerdem hat die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter einen Höchststand erreicht. Das ist ein Garant dafür, dass die Situation unserer Sozialkassen, wie heute in einer anderen Debatte bereits erwähnt wurde, besser ist, als wir es noch vor ein, zwei Jahren befürchten mussten. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Richtig!) Letztlich sind all das Umstände, über die wir uns freuen sollten. Denn dadurch werden die Menschen in die Lage versetzt, aus eigener Kraft und durch eigene Anstrengung ein Einkommen zu erzielen und für sich und ihre Familien ein Auskommen zu sichern. Ich denke, das ist etwas, worüber man sich freuen kann und darf, auch wenn die Zeit heute Abend schon etwas fortgeschritten ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie sollten mit dieser Freude zum Schluss kommen. Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Damit darf ich, Herr Präsident, zum Schluss kommen. Ich wünsche Ihnen, wenn das erlaubt ist zu dieser späten Stunde, dass es mit diesen schwäbischen Wecken keine weiteren Probleme mehr gibt, (Beifall des Abg. Norbert Barthle [CDU/CSU]) dass sie wohlschmeckend sind, auch in Berlin. Herzlichen Dank und einen schönen Abend. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Johannes Kahrs für die SPD-Fraktion. Johannes Kahrs (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier eine Debatte gehört, die mit dem eigentlichen Thema nicht mehr viel zu tun hatte. Aber ich möchte an den Kollegen Kalb anschließen: Es ist leider so, dass CDU/CSU und FDP dem Thema Brunsbüttel nie genug Bedeutung zugewiesen haben. Das sieht man daran, dass, obwohl der Haushaltsausschuss das Geld für den Bau der fünften Schleuse bewilligt hat, noch immer kein einziger Bagger rollt. Das ist tragisch. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wenn die Brunsbütteler das nicht können – wie die Berliner –, sind wir doch nicht schuld daran! Wir haben das Geld zur Verfügung gestellt!) Wenden wir uns jetzt wieder der Sachebene zu. Im Kern ist es doch so, dass Sie hier sagen: Der Haushalt ist saniert, die wirtschaftliche Lage ist gut, die Koalition hat etwas geleistet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Otto Fricke [FDP]) Dass das nicht richtig ist, weiß jeder. Sie alle kennen den schönen Spruch: Getretener Quark wird breit, nicht stark. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eines von zwei Sprichworten, die Sie immer wieder benutzen!) So ist das mit der Lobhudelei, die Sie ständig betreiben. Warum ist die Lage denn gut? Das ist doch ganz einfach: Rot-Grün hat unter Gerhard Schröder Reformen durchgesetzt, die dieses Land nach vorne gebracht haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Alte Kamellen! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) Rot-Grün hat es geschafft, etwas durchzusetzen, was der FDP noch nie durchzusetzen gelungen ist: eine anständige Steuerreform. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Rot-Grün hat es geschafft, Sozialreformen durchzusetzen, von denen wir heute noch profitieren. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und von denen ihr gar nichts mehr wissen wollt!) CDU/CSU und FDP haben so etwas in den letzten Jahren nicht geschafft. Sie sollten sich alle bei Rot-Grün, bei Gerhard Schröder bedanken; (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) denn Sie kassieren die Windfall Profits, Sie profitieren von den Entscheidungen, die damals getroffen worden sind. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben Sie schon einmal eine Umfrage gemacht, wer das in Ihrer Fraktion auch so sieht?) Wir werden in vier, fünf oder sechs Jahren das Problem haben, dass das, was Sie alles nicht geschafft haben, uns auf die Füße fällt. Deswegen sollten Sie sich einmal besinnen, wem Sie die gute Lage verdanken, und sich bedanken. Gerhard Schröder wird sich bestimmt freuen. Frau Tillmann hat in der Debatte gesagt, dass Sie darauf achten, dass die Länder nicht überfordert werden. (Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) Diese Aussage muss Science-Fiction sein; denn selbst die von Ihnen regierten Länder haben das überhaupt nicht so gesehen. Beim Thema Entflechtungsmittel verdienen Sie eine Fünf minus. Sie haben die Gewährung um ein Jahr verlängert. Das Entflechtungsgesetz, auf das die Länder warten, liegt bis heute nicht vor. Die Kollegin Priska Hinz hat wunderbar dargestellt, was Sie nicht gebacken bekommen haben. Im Bereich der Kinderbetreuung geben Sie die Mittel für dieses unsinnige Betreuungsgeld aus. Deswegen gibt es nicht genug Kitaplätze, deswegen haben Sie die Probleme. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen haben die Länder Probleme, den Rechtsanspruch umzusetzen. Das sollten Sie irgendwann einmal zur Kenntnis nehmen! (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube, dass das ein wichtiger Punkt ist; aber das werden auch Sie noch merken. Kommen wir zu einem weiteren Punkt. Die Länder wollten Bund-Länder-Anleihen. Es wurde lange darüber geredet und verhandelt. Sie haben die Länder dann hinter die Fichte geführt. Sie haben nicht getan, was abgesprochen war, Sie haben keine Anleihe gemacht, bei der sich der Bund das Geld leiht und es an die Länder weitergibt. Entsprechend sind die Ergebnisse; deswegen springen die Länder alle ab. (Otto Fricke [FDP]: Die Länder sagen: Wir wollen mehr Geld!) Wundern Sie sich nicht, wenn Sie mit diesem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Fiskalvertrages wieder in den Bundesrat gehen und die Länder Ihnen vorwerfen: Sie haben uns alleingelassen; wir sind nicht gefördert worden. – Frau Tillmann hat unrecht; denn die Länder werden hier überfordert. Deswegen kann es gut sein, dass Sie im Bundesrat wieder Probleme bekommen. Dann dürfen Sie sich aber nicht bei uns beschweren, sondern müssen in den Spiegel schauen und – nachdem Sie Gerhard Schröder gedankt haben – sich schämen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/12058 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Gerdes, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Starke Forschung für die Energiewende – Drucksache 17/11201 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Energieforschung konsequent am Atomausstiegsbeschluss des Deutschen Bundestages ausrichten – Drucksache 17/11688 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Federführung strittig Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.7 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11201 und 17/11688 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführungen sind jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung jeweils beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Federführung beim Ausschuss für Bildung und Forschung. Ich lasse zuerst über die Überweisungsvorschläge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen – Federführung beim Ausschuss für Bildung und Forschung – abstimmen. Wer stimmt für diese Überweisungsvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die beiden Überweisungsvorschläge sind mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und der Linken gegen die Stimmen von SPD und Grünen abgelehnt. Ich lasse nun über die Überweisungsvorschläge der Fraktionen von CDU/CSU und FDP – Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – abstimmen. Wer stimmt für diese Überweisungsvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die beiden Überweisungsvorschläge sind mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und der Linken gegen die Stimmen der beiden anderen Fraktionen angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms Kreatives Europa KOM(2011) 785 endg.; Ratsdok. 17186/11 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes – Drucksachen 17/8227 Nr. A.51, 17/11107 – Berichterstattung: Abgeordneter Christoph Poland Siegmund Ehrmann Reiner Deutschmann Dr. Lukrezia Jochimsen Agnes Krumwiede Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.8 Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11107, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung gemäß Art. 23 Abs. 2 des Grundgesetzes anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Dr. Martina Bunge, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabisklubs – Drucksachen 17/7196, 17/11556 – Berichterstattung: Abgeordnete Angelika Graf (Rosenheim) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesundheitliche Risiken des Drogengebrauchs verringern – Drugchecking ermöglichen – Drucksachen 17/2050, 17/11911 – Berichterstattung: Abgeordnete Karin Maag Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann haben wir das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Christine Aschenberg-Dugnus von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Cannabis ist und bleibt eine gefährliche Droge, die gravierende Schäden verursachen kann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Studien zeigen, dass Cannabiskonsum und -missbrauch zu erheblichen geistigen Störungen führt. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wie Alkohol!) Die Herausgeber der Zeitschrift SUCHT betonen – Heft 3 aus Juni 2011 –, dass die gesundheitlichen Probleme, die sich aus Cannabismissbrauch ergeben, weder verschwinden noch abnehmend sind. Für Verharmlosung ist an dieser Stelle also überhaupt kein Raum. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ganz im Gegenteil: Die Zahl der Behandlungssuchenden wegen cannabisbezogener Störungen steigt weiterhin an. Eine Langzeitstudie an der Duke University in Durham in North Carolina hat nachgewiesen, dass Cannabiskonsum das zentrale Nervensystem unwiderruflich schädigen und den IQ senken kann. Cannabiskonsum ist also schädlich für das Gehirn und kann unter anderem zu Schizophrenie führen. Sehr erschreckend ist auch – das hat diese Studie ergeben –, dass besonders der frühe Cannabiskonsum schwerwiegende Folgen hat. Denn offenbar – so die Autoren der Studie – nimmt der IQ umso stärker ab, je früher die Menschen beginnen, Cannabis zu konsumieren. Man hat festgestellt, dass sich bestimmte Areale des Gehirns von Dauerkonsumenten deutlich und irreversibel verschlechtert haben. Darüber hinaus zeigten die Untersuchungen, dass Langzeitkiffer Erinnerungsprobleme haben und sich auch schlechter konzentrieren können. Als Gegenargument wird nun oft angeführt, man wolle doch nur den Gelegenheitskonsum entkriminalisieren. Das funktioniert aber nicht. Denn insbesondere Jugendliche laufen Gefahr, zu dauerhaften Konsumenten zu werden, je früher sie in Kontakt mit der Droge kommen, auch wenn das nur gelegentlich passiert. Eine Cannabislegalisierung hätte also gesundheitliche und psychosoziale Folgen, die aus meiner Sicht nicht hinnehmbar sind. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn, wie gesagt, das Gehirn der Jugendlichen ist offenbar nicht in der Lage, sich von den Folgen des Konsums völlig zu erholen. Hier gibt es keinen Reset-Knopf. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wie beim Alkohol!) Konkret bedeutet das: Dauerkiffen macht Jugendliche dümmer. Dies dürfen wir durch eine Legalisierung nicht auch noch befördern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Jugendschutz muss in der Sucht- und Drogenpolitik eine ganz zentrale Rolle einnehmen. Aber wie können wir Kinder und Jugendliche effektiv schützen, wenn Cannabis wesentlich leichter, weil ja legal, verfügbar ist? Elementar ist dabei auch die Frage: Wie soll der fließende Übergang vom legalen Eigengebrauch, den Sie ja fordern, zur illegalen Herstellung und zum illegalen Handel überhaupt kontrolliert werden? Glauben Sie denn wirklich ernsthaft, dass in Cannabisklubs keine Kriminellen auftauchen, die dann unter dem Deckmantel der staatlichen Legitimation den Stoff anbauen und dann auf dem nächsten Schulhof an Jugendliche weiterverkaufen? Das können Sie doch überhaupt nicht verhindern. Der reine Wunsch nach streng kontrolliertem und legalem Umgang wird nicht dafür sorgen, dass in der Realität auch tatsächlich so verfahren wird. Der niederländische Schwarzmarkt verdeutlicht das leider auf sehr bittere Weise. Meine Damen und Herren, den Realitätscheck hat Ihr Antrag auf Rauschsozialismus bereits beim ersten Lesen leider nicht bestanden. (Lachen bei der LINKEN) Ihr Antrag ist deshalb nicht mehr als ein utopisches Wunschdenken. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ausdruck von utopischem Wunschdenken ist auch der Antrag der Fraktion der Grünen zum Drugchecking. Sie wünschen sich, dass man die gesundheitlichen Risiken des Drogengebrauchs durch Drugchecking verringern könnte. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Was ist das? Ich habe da keine Ahnung!) Das ist aber ein gefährlicher Trugschluss. Denn beim Drugchecking wird immer nur auf einzelne Substanzen geprüft. Wenn zum Beispiel eine Partypille auf Rattengift überprüft und diesbezüglich für negativ befunden wurde, heißt das noch lange nicht, dass darin nicht andere schädliche Substanzen wie zum Beispiel die bei Ihnen im Antrag erwähnten Milzbranderreger sind. Einmal abgesehen davon, dass schon die reine Pille an sich sehr schädlich ist: Ein Drugchecking wiegt den Konsumenten deshalb nur in einer gefährlichen, in einer trügerischen Sicherheit. Besonders bei Jugendlichen kann damit der völlig falsche Eindruck entstehen, ein unbedenkliches und ein von offizieller Stelle geprüftes Produkt erworben zu haben. Bei illegalen Drogen handelt es sich aber keinesfalls um standardisierte und in einem kontrollierten Verfahren hergestellte Produkte. Die vermeintliche Unbedenklichkeit sagt doch zum Beispiel auch überhaupt nichts über andere zum Beispiel nicht getestete Verunreinigungen in dieser Pille oder andere gesundheitsgefährdende Beimischungen aus. Meine Damen und Herren, ein Drugchecking würde nur suggerieren, es gäbe gesunde, unbedenkliche Sub-stanzen in den Drogen. Das ist aber nicht so. In der Anhörung hier im Bundestag wurde das ganz klar deutlich: Drogenkonsumenten können sich keineswegs darauf verlassen, dass die getesteten Drogen frei von Beimengungen sind und keine überdosierten Stoffe enthalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte die Drogenpolitik, wie sie mit Ihrem Antrag formuliert wird, für schizophren. Auf der einen Seite verbieten Sie in NRW, dass Raucher in von Rauchern betriebenen Eckkneipen das legale Produkt Zigarette konsumieren dürfen, und auf der anderen Seite fordern Sie hier mit Ihrem Antrag gleichzeitig das Einführen von einem Drugchecking, also einer regelmäßigen Analyse illegaler psychoaktiver Substanzen in Diskotheken. (Beifall bei der FDP) Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Nach der Schicht ist in der Kneipe die Zigarette zum Bier verpönt und verboten, aber in der Disco steht jemand vom staatlichen Drogen-TÜV bereit und bescheinigt einer möglicherweise verunreinigten Pille eine trügerische Unbedenklichkeit. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Das ist Unsinn. Die vorgelegten beiden Anträge sind daher nicht zielführend, sind völlig realitätsfremd und stellen auch die Drogenprävention, so wie wir sie wollen, komplett infrage. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Angelika Graf für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer Drogen- und Suchtpolitik macht, der bekommt viel Post, oft von Menschen, die sich aus persönlicher Betroffenheit für eine Legalisierung von Cannabis einsetzen. Ich bin mir sicher, dass die Briefe- und Mailschreiber diese Debatte aufmerksam verfolgen. Ich hätte mir aber schon vorstellen können, den Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Wenn das mit einem Tagesordnungspunkt zur Forschung für die Energiewende möglich ist, geht das auch mit diesem Tagesordnungspunkt. (Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) Man hätte den Saaldienern damit einen großen Gefallen getan. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und Ihnen wahrscheinlich auch!) Doch nun zum Thema. Klar ist, dass wir den medizinischen Gebrauch, zum Beispiel im Rahmen einer Schmerztherapie, von strafrechtlichen Konsequenzen ausnehmen, den Betroffenen den Zugang zu Cannabisprodukten erleichtern und die Forschung in diesem Bereich verstärken müssen. Allerdings wird im Antrag der Linken die Droge Cannabis und deren psychischen und physischen Auswirkungen auf den Menschen aus meiner Sicht bagatellisiert. Sie führen nämlich eine drogenpolitische Debatte nach dem Motto: Alkohol versus Cannabis. Dabei reden Sie einer Benachteiligung der Cannabiskonsumenten gegenüber Alkoholkonsumenten das Wort. Übrigens sind Sie dabei auch nicht konsequent. Wenn Sie wirklich keinen Unterschied zwischen der schädlichen Wirkung von Alkohol und der von Cannabis sehen: Warum wollen Sie dann laut Antrag am Verbot des Handelns festhalten? (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das erkläre ich Ihnen noch!) Warum soll man dann Cannabis nicht wie Bier oder Zigaretten im Supermarkt kaufen können? Ich habe so das Gefühl, dass Sie Ihren eigenen Vorschlägen nicht trauen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Ich erkläre Ihnen das dann ganz langsam!) Ich möchte darauf hinweisen, dass es gerade im legalen Bereich bei Tabak und Alkohol Bemühungen gibt, die Verfügbarkeit und die Attraktivität zu reduzieren, und zwar mit gutem Recht. Bei Cannabis nun den umgekehrten Weg gehen zu wollen, halte ich für falsch. Vielleicht sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, darüber nachdenken, ob Suchterkrankungen nicht auch durch die Begrenzung des Angebotes vermieden werden können. (Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) So wünsche ich mir als Drogenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion – hören Sie mir zu –, dass es künftig eine EU-weite restriktivere Politik bei Alkohol und Tabak gibt. Der Europäische Rat hat sich auf seiner Tagung vom 7. Dezember in Brüssel mit den wachsenden Problemen des gesundheitsschädlichen Alkoholkonsums beschäftigt. Er fordert deshalb eine neue Alkoholstrategie mit Einschränkungen in der Werbung, Warnhinweisen und einer anderen Preispolitik. (Zuruf von der FDP: Unerhört!) Ich denke, Sie als Linke sitzen dem Irrglauben auf, sich über eine liberale Drogenpolitik ein jugendliches Image geben zu können. Dabei kommen dann Forderungen wie die nach der Einrichtung von Cannabisklubs oder die von 2011 auf Ihrem Parteitag nach einer Legalisierung aller Drogen heraus. Ich behaupte: Man kann nicht EU-weit an der Reduzierung der Attraktivität von Alkohol oder Nikotin arbeiten und gleichzeitig mindestens eine, lieber auch alle Drogen legalisieren. Das widerspricht doch jeder Logik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ich bedaure wirklich, dass Sie bei den Anhörungen des Deutschen Bundestages offenbar recht selektiv wahrnehmen. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja!) Dort wurde eben nicht ausgeschlossen, dass der Cannabiskonsum die Wahrscheinlichkeit für einen späteren Konsum härterer Drogen erhöhen kann oder regelmäßiger Konsum von größeren Mengen von Cannabis die Gesundheit gefährdet. Im Gegenteil wurde von den Suchtmedizinern – das ist schon erwähnt worden – sehr deutlich gesagt, dass der Gebrauch von Cannabis, insbesondere im Kinder- und Jugendalter, ganz verheerende Folgen für die geistige und körperliche Entwicklung mit sich bringen kann. Die Erfahrungen in den Niederlanden und in Spanien mit Cannabisklubs und ähnlichen Einrichtungen sind auch nicht so positiv, wie Sie uns das in Ihrem Antrag glauben machen wollen. Ich vermisse zudem Angaben darüber, wie der Anbau zum Eigenverbrauch definiert bzw. kontrolliert werden soll. Auch auf Folgeprobleme wie die Kontrolle des THC-Grenzwerts von Konsumenten im Straßenverkehr wird lediglich ein kurzer Satz verschwendet, der zudem vermeidet, sich auf irgendeine Höchstgrenze festzulegen. Ich habe das Gefühl, die Linksfraktion macht sich bei den aufkommenden ernsthaften Fragen einen schlanken Fuß und will diese nicht beantworten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sucht bekämpft man nicht mit der Strafverfolgung von Süchtigen. Basierend auf der grundsätzlichen Strafbarkeit des Besitzes von Cannabis bin ich daher für eine bundesweit einheitliche Regelung im Bereich der geringen Mengen für den Eigenbedarf. Hierfür müssen wir meines Erachtens in § 31 a des Betäubungsmittelgesetzes die Grenze festlegen. Die derzeitige Regelung überlässt dies den Ländern. Sie überlässt ihnen auch, ab wann sie strafrechtlich relevante Verfahren einstellen. Ich denke, nur die konkrete Festlegung im Bundesgesetz schafft eine Entkriminalisierung, Rechtssicherheit, eine bundeseinheitliche Gerichtspraxis und den Abbau der sinnlosen Beschäftigung von Staatsanwaltschaften. Die geringe Menge aber auf 30 Gramm getrocknete Teile der Cannabispflanze, also die fünffache Dosis des in einigen Bundesländern bislang Erlaubten, zu erhöhen, ist für mich ein weiteres Zeichen der Bagatellisierung, die ich am Anfang schon angesprochen habe. Ich glaube, Sie nehmen die Droge Cannabis nicht ernst. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. Zum Schluss noch eine Bemerkung zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Er fordert vor dem Hintergrund, dass Drogen manchmal giftige Verunreinigungen und Beimengungen enthielten, die Zulassung und Einführung von Drugchecking-Projektmodellen. Ich erkenne sehr an, dass Ihnen das Wohl der User am Herzen liegt. So verstehe ich übrigens auch die Koalitionsverträge in Schleswig-Holstein und Berlin, in denen das auch zumindest Erwähnung findet. Ich befürchte aber, dass das Signal, das von dieser Maßnahme ausgeht, falsch ist. Erstens sind Drogen, denke ich, auch ohne zusätzliche giftige Beimengungen gefährlich und schädlich. Zweitens kann man von der untersuchten Droge nicht zwingend auf die Reinheit der gesamten erworbenen Drogen rückschließen. Davon abgesehen wären für eine seriöse Analyse aufwendige Verfahren notwendig, die zum Beispiel im Rahmen eines mobilen Drugcheckings, wie es angedacht ist, gar nicht möglich sind. (Zuruf von der FDP: Sehr richtig!) Ich denke, dass wir dabei vor der Frage stehen, ob wir mit dem Stempel des Drugcheckings nicht das Signal aussenden, dass die Droge im Ganzen ungefährlich ist. Das ist der Grund, weshalb wir nach ausführlicher interner Debatte innerhalb der SPD auch diesen Antrag ablehnen. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Karin Maag für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist aber eine Schwäbin, Herr Präsident!) – Ich ertrage es mit Fassung. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Karin Maag (CDU/CSU): Wir reden nachher noch einmal darüber. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere von den Linken, ich empfinde es als starkes Stück, dass kein einziger Gesundheitspolitiker bei diesem gesundheitspolitischen Thema anwesend ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Wo sind denn die Gesundheitspolitiker der Linken? – Gegenruf von der FDP: Champagner schlürfen! Austern schlürfen!) Das halte ich mit dem Verständnis von Politik in diesem Hause für schwer vereinbar. Cannabisklubs und Drugchecking haben nur bedingt etwas miteinander zu tun. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Typisch Linke! Klamauk, Klamauk, Klamauk!) Die Klammer sind wahrscheinlich die illegalen Drogen, aber nun gut. Ich beginne mit Cannabis, und zwar vor allem mit den Erkenntnissen aus der Anhörung. Dazu hat die Kollegin Graf schon das Richtige gesagt. Die Anhörung scheint von Ihnen nur sehr selektiv wahrgenommen worden zu sein. Strafrechtlich ist die Situation eindeutig: Es gibt kein Recht auf Rausch – Ausrufezeichen! Unser Betäubungsmittelstrafrecht schützt eben nicht nur die Gesundheit des Einzelnen, sondern auch die der Allgemeinheit, insbesondere der Jugendlichen. Es geht um den Schutz vor organisierter Kriminalität, und es geht um die Gewährleistung der internationalen Zusammenarbeit bei der Suchtstoffkontrolle. Genau deswegen – weil es dieses Recht auf Rausch nicht gibt – hat das Bundesverfassungsgericht 2005 bestätigt, dass es richtig ist, die von Cannabis ausgehenden Gefahren mit den Mitteln des Strafrechts zu begrenzen. Es ist auch kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, dass Alkohol und Nikotin erlaubt sind, Cannabis aber verboten ist. Genau das hat das Bundesverfassungsgericht auch so gesehen. Der bloße Konsum ist straffrei. Genau deshalb lässt auch unser Strafrecht bei der Strafverfolgung mit vielen Ermessensvorschriften, ob ein Verfahren überhaupt eingeleitet werden soll, eine auf jeden Einzelfall abgestimmte Entscheidung und Beurteilung zu. Es funktioniert in der Praxis; auch das hat die Anhörung ergeben. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die weit überwiegende Zahl der Fälle des bloßen Konsums von Cannabisprodukten eingestellt wird. Allein in Hessen waren es über 70 Prozent. Herr Tempel, auch Sie wissen, dass Deutschland die Suchtstoffkonvention der Vereinten Nationen unterzeichnet hat. Wir haben uns damit verpflichtet, die Verwendung von Cannabis und von anderen Suchtstoffen auf ausschließlich medizinische und wissenschaftliche Zwecke zu beschränken. Logischerweise ist in Deutschland wie übrigens auch in allen anderen europäischen Staaten, die Vertragsstaaten dieser Suchtstoffkonvention sind, der Verkehr mit Cannabis grundsätzlich strafbar. Strafbar sind also Herstellung, Handel, Einfuhr, Abgabe, Veräußerung, Erwerb, Besitz von entsprechenden Pflanzen und Pflanzenteilen. Stichwort „Anhörung“, Herr Tempel: Die Produkte sind in den letzten Jahren deutlich gefährlicher geworden. Zum einen wurde kontinuierlich der THC-Gehalt – das ist der Wirkstoffgehalt im Cannabis – hochgezüchtet und intensiviert. Zum anderen hat das Kriminalwissenschaftliche Institut des LKA Niedersachsen in einer anderen Anhörung darauf hingewiesen, dass es allein in den letzten Monaten drei gefährliche Beimischungen nachgewiesen hat, die allesamt zu Gewichtserhöhung eingesetzt wurden. Diese Beimischungen sind Bleistaub, Glas und Haarspray. Da können Sie nur schwer behaupten, dass das alles so ungefährlich ist, wie Sie es in Ihrem Antrag darstellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Kollegin Aschenberg-Dugnus hat schon darauf hingewiesen: Die Gesundheitsgefahren beim Cannabismissbrauch sind erwiesen. Der Einzelsachverständige Professor Thomasius, immerhin der Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, hat dargelegt, dass vor allem der regelmäßige und intensive Gebrauch zu körperlichen und psychischen Erkrankungen führen kann. Cannabiskonsum steigert auch, wie wir gehört haben, das Risiko für Schulversagen und Entwicklungsstörungen. Außerdem erhöht der frühe Cannabiskonsum die Wahrscheinlichkeit eines späteren Drogenmissbrauchs. Das hat nicht nur der Herr Professor Thomasius festgestellt; auch die Begleitforschung zu den niederländischen Coffeeshops, die Sie sicher kennen, zeigt, dass niederländische Jugendliche im europäischen Vergleich überdurchschnittlich viel Cannabis konsumieren und früher einsteigen als der europäische Durchschnitt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus unserer Sicht ist eins klar: Mit uns ist keine Freigabe denkbar und kein Cannabisklub zu realisieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ein schönes Schlusswort!) Der Antrag auf Ermöglichung des Drugcheckings war deutlich differenzierter. Nichtsdestotrotz werden wir auch diesen Antrag ablehnen. Nur für die Kollegen, die in diesen Themen nicht drin sind: Beim Drugchecking geht es, kurz gesagt, um die Analyse illegaler Drogen auf Verunreinigungen, entweder mobil in Discos oder bei Veranstaltungen oder immobil in Drogenberatungsstellen. Auch davor hat der Internationale Suchtstoffkontrollrat der Vereinten Nationen gewarnt, vor allem mit dem Argument, dass ein Testergebnis „Probe enthält keine Verunreinigung“ von Jugendlichen als Aufmunterung zum weiteren Konsum verstanden werden könnte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber auch dieser Hinweis des Suchtstoffkontrollrats wurde in der Anhörung eindrucksvoll bestätigt. Man sollte nicht glauben, wenn man zuhört, was man aus Anhörungen lernen kann. Mit dem Drugchecking wird suggeriert, es gebe die gesundheitlich unbedenkliche Droge. Genau das ist der falsche Zungenschlag. Drogen sind generell gefährlich. Beim Drogenkonsum geht es dem Konsumenten doch gerade um deren toxische Wirkung. Dabei wird eine Sicherheit vorgespiegelt, die es nicht gibt. Drogen werden nicht in standardisierten Verfahren hergestellt. Die vermeintliche Unbedenklichkeit hinsichtlich einer Tablette sagt nichts über andere, nicht getestete Einheiten aus. Selbst identisch aussehende Drogen, die aus dem gleichen Labor stammen, haben oftmals einen unterschiedlichen Wirkstoffgehalt und unterschiedliche Beimengungen. Es müsste also jede einzelne Partie, jede einzelne Tablette getestet werden. Heute werden auch die unterschiedlichsten Drogenarten gleichzeitig konsumiert, auch kombiniert mit Alkohol oder mit freiverkäuflichen Medikamenten. Das heißt, die Wirkungen potenzieren sich und sind kaum oder gar nicht vorauszusehen. Der heutige Drogenmarkt ist dynamisch. Um den Nachweis zu erschweren, wird täglich etwas Neues erfunden, es werden Moleküle ausgetauscht, die Bestandteile in Nuancen verändert. Ich habe bereits bei Cannabis darauf hingewiesen, dass auch die Beimischungen laufend variiert werden und ständig neue Produkte auftauchen. Schließlich wird durch Drugchecking der Eindruck vermittelt, der Drogenbesitz sei legalisiert. Das ist eine völlig falsche Zielrichtung. Das wird bei uns so nicht funktionieren. Ein Schmankerl am Rande. Bei einer Droge, die untersucht und bei entsprechendem Befund anschließend wieder an den Verbraucher herausgegeben werden müsste, würde sich derjenige, der die Droge herausgibt, jetzt strafbar machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit all dem Wissen lehnen wir beide Anträge ab. Ich bedanke mich insbesondere bei meiner Fraktion für das zahlreiche Erscheinen bei diesem Thema. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Bravo!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Frank Tempel für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Damit es wenigstens eine Gemeinsamkeit gibt, möchte auch ich mich für das Erscheinen bedanken; denn das Wichtigste, das diese Debatte braucht, ist eine gesellschaftliche und breite Debatte. (Beifall bei der LINKEN) Insofern finde ich es ausgezeichnet, dass Sie zu so später Stunde heute noch einmal hergekommen sind. Es wäre doch schade gewesen, wenn wir die Reden zu genau diesem Thema zu Protokoll gegeben hätten. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Besser wäre Versenkung!) Ich bin übrigens stellvertretendes Mitglied des Gesundheitsausschusses, der sich genau mit dieser Thematik beschäftigt. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Und die ordentlichen?) Deshalb bin ich auch ganz bewusst mit dieser Thematik beauftragt worden. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Wie oft waren Sie denn da?) – Ich komme jedes Mal, wenn es um dieses Thema geht, weil es mein Thema ist. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja, aber wo sind die anderen?) Ich möchte Ihnen auch gerne sagen, warum dies so ist. Ich komme als Kriminaloberkommissar aus der Rauschgiftbekämpfung. Meine Fraktion hat vor drei Jahren einfach den Neustart bei dieser Thematik gemacht. (Zurufe von der CDU/CSU) – Sie können ruhig mal zuhören. – Man kann auch mal, ohne gleich in Ohnmacht zu fallen, das Thema Rauschgiftkriminalität, Rauschgiftkonsum und Drogenpolitik diskutieren, indem man sich die Argumente anguckt und wenn man sich vielleicht auch mal anguckt, was dazu aufgeschrieben worden ist. Ich habe von meiner Fraktion den Auftrag bekommen, einfach einmal zu ermitteln, wie ich es in 16 Jahren Polizeidienst gelernt habe, was für ein Verbot spricht und was gegen ein Verbot spricht. Ich habe zum Konsum selbst keinerlei Affinität und bin das Thema völlig offen angegangen. Hier geht es eben nicht darum, infrage zu stellen, ob Cannabis mehr oder weniger gefährlich ist. Das spielt in unserer ganzen Debatte überhaupt keine Rolle. Es ist schön, dass Sie dieses Thema ausführlich behandelt haben, es spielt aber bei uns keine Rolle. Ich habe das Thema deswegen zu vertreten, weil es um die Frage geht: Ist ein Verbot erfolgreich, funktioniert ein Verbot? Wenn der Staat mit einem Verbot und entsprechender Strafverfolgung in die Grundrechte seiner Bürger eingreift, dann ist das ein sehr empfindlicher Eingriff in die Rechte eines Bürgers, und dann muss man gucken, wie das funktioniert. Gucken wir uns doch an, ob es funktioniert. Die Niederlande sind angesprochen worden. Ich habe hierzu Zahlen aus den Niederlanden mitgebracht, auch für Sie, Frau Maag, zur Lebensprävalenz bei Cannabis. Dies sind bei den 15- bis 64-Jährigen in Deutschland 25,6 Prozent, in den Niederlanden 22,6 Prozent, also weniger. Sie sprachen von den jungen Leuten, von denen es angeblich mehr in den Niederlanden gibt. Es sind in Deutschland bei den 15- bis 24-Jährigen 34,6 Prozent, in Holland 28,3 Prozent. Wo ist denn da die Logik? In Holland geht man in seinen Coffeeshop um die Ecke, kauft sich unbehelligt seinen Eigenbedarf und wird nicht strafverfolgt. Trotzdem funktioniert offensichtlich selbst der Jugendschutz unter diesem Modell besser. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Damit Sie auch wissen, woher ich die Zahlen habe: Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht hat diese Zahlen 2011 bekannt gegeben. Die können Sie nachlesen. Das kann man googeln. Auch über Drogenpolitik kann man sich kundig machen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Wo sind jetzt die Gesundheitspolitiker?) – Ich spreche über den Sinn oder Unsinn. Es gibt auch Hörhilfen, wenn man da Schwierigkeiten hat. (Beifall bei der LINKEN) Ich spreche über den Erfolg oder Nichterfolg der Strafverfolgung. Wir haben mit keinem Wort – mit keinem Wort! – die Gesundheitsgefährdung durch Cannabis in Abrede gestellt. Da sind wir d’accord. Da ist überhaupt kein Problem. Es geht vielmehr darum: Funktioniert ein Verbot? Schauen wir auf weitere Länder in Europa: Die Schweiz verzichtet bei geringen Mengen auf Strafverfolgung; das ist eine Ordnungswidrigkeit, wesentlich niederschwelliger. Was sich nicht verändert hat, ist die Zahl der Konsumenten. Überall da, wo man auf eine Strafverfolgung, auf ein Verbot verzichtet, steigt die Anzahl der Konsumenten nicht. Das ist enorm wichtig. Ein Verbot ist nur wirklich wirksam, wenn es dann auch eine Veränderung in den Zahlen gibt. Also muss man sagen: Wenn Sie hier mit dem Mittel der Strafverfolgung arbeiten, dann arbeiten Sie mit einem ungeeigneten Mittel. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie sagen, dass mit dem Ziel „Verringerung von Nachfrage und Angebot“ gearbeitet werden muss. Die Frage ist bloß, wie. Deswegen sagt die Linke: Aufklärung statt Verfolgung, Hilfe statt Ausgrenzung. Dann -bekommt man übrigens auch Fragen wie die des THC-Gehalts in den Pflanzen geregelt. Streckmittel gibt es dann nicht mehr. Ganz zum Schluss für Sie, Frau Graf, noch zu der Frage, warum der Handel nicht legalisiert werden soll, aber der Eigenanbau: Handel bedeutet immer Gewinnerzielung. Einem illegalen Markt, der eine gewaltige Kriminalität erzeugt – die Kriminalität, die wir hier haben, ist ein Nebenprodukt der Strafverfolgung –, entziehen wir 3 bis 4 Millionen Kunden, Kunden, die auch nicht auf einen legalen Markt kommen. Ein Verkäufer braucht Absatz, neue Kunden, mehr Kunden, Kunden, die immer mehr nehmen. Das fällt beim Eigenanbau weg und ist auch im legalen Handel nicht zu finden. Deswegen -haben wir extra ein Modell gewählt – das ist eine Ausnahmeregelung für Cannabis –, bei dem Handel nicht legalisiert wird, sondern Kunden sich selbst versorgen und dann nicht mehr auf Leute angewiesen sind, die wollen, dass immer mehr Menschen Cannabis konsumieren. -Lediglich die 2 bis 4 Millionen, die jetzt schon Konsumenten sind, bekommen die Gelegenheit, ihren Bedarf durch Eigenanbau zu decken. Sie müssen Anträge auch dann lesen, wenn Sie sie -ablehnen wollen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Harald Terpe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir Hochachtung angesichts der großen Teilnahme an der Diskussion! Ich fange an mit einem Zitat von Dr. Gaßmann, dem Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Sucht-fragen, die den größten Teil der Suchtkrankenhilfe vertritt. Zitat: Nach so vielen Jahrzehnten ergebnisloser Diskussionen sind wir nicht mehr an Glaubenssätzen, Meinungen und Allgemeinplätzen zur Prohibition interessiert. Wir erwarten Beweise. Für die Vorteile von Prohibition wurde noch kein einziger vorgelegt. Diejenigen dagegen mehren sich von Jahr zu Jahr. Ob uns das gefällt oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle. Es sei denn, Suchtpolitik wäre eine Geschmacksfrage. Ich denke, die Suchtkrankenhilfe steht nicht in dem Ruf, die Risiken psychoaktiver Substanzen zu vernied-lichen, und das machen wir auch nicht. Aber was Dr. Gaßmann und auch wir einfordern, ist nichts weniger als eine sachliche und faktenbasierte Auseinandersetzung mit den Folgen der herrschenden Drogenpolitik für Konsumenten und für unsere Gesellschaft, im Übrigen auch für andere Staaten. Stattdessen erleben wir ideologische Ablenkungs-manöver; ein Teil davon ist heute zur Sprache gekommen. Da geht es dann um Fragen wie: Ist der THC--Gehalt gestiegen? Ist Cannabis eine Einstiegsdroge? Dient Drugchecking der Förderung des Drogen-konsums? Einmal abgesehen davon, dass man alle diese Fragen faktenbasiert klar verneinen muss, finde ich sie im Kern irrelevant. (Zuruf von der FDP: Ach was?) Worauf es mir ankommt, ist: Wir müssen grundsätzlich darüber diskutieren. Sie sind irrelevant, weil die eigentliche Kernfrage lauten muss: Was müssen wir tun, um die Folgen riskanter Formen des Drogengebrauchs für den Einzelnen und die Gesellschaft zu minimieren? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Also nicht „Drogengebrauch, ja oder nein?“, sondern „Riskanter Drogengebrauch, ja oder nein?“ ist die Frage. Sicher sind die von Union, FDP und – wie ich heute gehört habe – SPD befürwortete Drogenprohibition und Repression als Antwort und Lösung gänzlich ungeeignet und gestrig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es gibt keinen einzigen seriösen wissenschaftlichen Beleg für den Nutzen der Prohibition. Wir wissen das auch aus der Geschichte, beispielsweise der amerikanischen. Stattdessen wird mit der Prohibition ein Schwarzmarkt geschaffen, auf dem keine Regeln gelten und der die -roheste Form eines Marktes darstellt. Dort gibt es keinen Jugendschutz, keine Öffnungszeiten, keinen Verbraucherschutz, keine Preisregulierung. Das findet alles nicht statt. Nur in einem legalen Markt mit vernünftiger Regulierung der Substanzen können Sie die gesundheitlichen und gesellschaftlichen Schäden verringern. Prohibitive Politik schafft zusätzliche Risiken und kriminalisiert die Konsumentinnen und Konsumenten, mit häufig schlimmen Folgen gerade für junge Menschen. Sie hat auch erhebliche Folgen für unsere Gesellschaft. Mehr als zwei Drittel der gesamten drogenbezogenen Ausgaben des Staates werden für repressive Maßnahmen ausgegeben, gehen in die Verfolgung von Konsumentinnen und Konsumenten. Dadurch fehlt es beispielsweise an Geld für Prävention und Hilfsangebote. Die repressive Säule unserer Drogenstrategie erreicht das angestrebte Ziel überhaupt nicht – in Deutschland nicht und in Europa nicht. Lassen Sie mich zum Abschluss sagen, dass die Drogenpolitik auch ein internationales Problem ist. Viele Beispiele zeigen, dass die Stabilität von Staaten gefährdet wird und elementare Menschenrechte eingeschränkt werden. Beispielsweise gab es in Mexiko 50 000 Tote im Drogenkrieg. Ein weiteres Beispiel ist Kolumbien, wo Korruption und Drogenkartelle den Staat zerstören. -Ähnliche Entwicklungen gibt es in Brasilien, Kenia und in anderen Staaten. Ich frage Sie: Wollen wir auf diesem Weg immer weitergehen? Ich glaube, die Antwort der beiden vorliegenden Anträge von den Grünen und den Linken auf diese Frage ist ganz klar. Nein, so können wir nicht weiter-machen. Das realitätsblinde Weiter-so in der Drogen-politik muss ein Ende haben. Wir brauchen eine ehrliche Analyse der derzeitigen Drogenpolitik und darauf aufbauend eine grundlegende Reform. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und guten Heimweg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 17/11556, den Antrag auf Drucksache 17/7196 -abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die -Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Linken und der Grünen angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Gesundheitliche Risiken des Drogen-gebrauchs verringern – Drugchecking ermöglichen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11911, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2050 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den gleichen Mehrheits-verhältnissen wie zuvor angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes – Drucksache 17/12059 – Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. – Sie sind damit einverstanden.9 Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12059 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt dazu, wie ich sehe, keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 22 sowie zu Zusatzpunkt 6: 22 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Schneider, Katja Dörner, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eigenständige Jugendpolitik – Selbstbestimmt durch Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Emanzipation – Drucksache 17/11376 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Stefan Schwartze, Sönke Rix, Petra Crone, weiterer -Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben – Drucksache 17/12063 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Auch hier wird vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. – Sie sind damit einverstanden.10 Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11376 und 17/12063 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann haben wir das so beschlossen. Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen (Tiergesundheitsgesetz – TierGesG) – Drucksache 17/12032 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Rechtsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Alois Gerig (CDU/CSU): Für die christlich-liberale Koalition hat der Tierschutz einen hohen Stellenwert – wir setzen uns für einen respektvollen Umgang mit Tieren und das Wohl unserer Mitgeschöpfe ein. In diesem Sinne haben wir im vergangenen Jahr das Tierschutzgesetz weiterentwickelt. In diesem Jahr widmen wir uns mit dem gleichen Anspruch der Novelle zum Arzneimittelgesetz und auch dem Tiergesundheitsgesetz, das wir heute in erster Lesung beraten. In der Werbung eines Tiernahrungsherstellers heißt es: „Ist das Tier gesund, freut sich der Mensch.“ In dieser Aussage steckt ein wahrer Kern. Die Erkrankung von Tieren beeinträchtigt das Tierwohl und ruft bei uns Menschen häufig Mitleid hervor. In der Landwirtschaft stellen Tierkrankheiten ein großes wirtschaftliches Risiko für die Betriebe dar. Darüber hinaus können Tierkrankheiten eine große Gefahr für Menschen sein. Wir sehen also: Auch die Gesundheit von Tieren ist ein hohes Gut. Aus diesem Grund ist es richtig, dass die Koalition die Förderung der Tiergesundheit auf eine neue gesetzliche Grundlage stellen will. Die Bundesregierung hat deshalb den Entwurf für ein Tiergesundheitsgesetz vorgelegt. Mit dem Tiergesundheitsgesetz wollen wir das Tierseuchengesetz ersetzen. Das Tierseuchengesetz, dessen Ursprünge ins Jahr 1909 zurückreichen, ist vom Aufbau und Regelungsansatz her veraltet. Es stellt die Bekämpfung von ausgebrochenen Krankheiten und Seuchen in den Vordergrund. Das neue Tiergesundheitsgesetz hingegen zielt neben der Krankheits- und Seuchenbekämpfung auch darauf ab, Erkrankungen und Seuchen vorzubeugen. Zahlreiche Neuregelungen sorgen dafür, dass bei der Tiergesundheit die Prävention größeres Gewicht erhält. So können künftig zu Präventionszwecken in Betrieben mit Tierbeständen eigenbetriebliche Kontrollen und verpflichtende hygienische Maßnahmen angeordnet werden. Der Personenkreis, der zur Anzeige einer Tierseuche verpflichtet ist, wird erweitert. Neben Amtsveterinären sollen auch Tiergesundheitsaufseher, Veterinäringenieure, amtliche Fachassistenten und Bienensachverständige bestimmte Erkrankungen melden. Große Bedeutung kommt dem geplanten Monitoring zu. Durch systematische Beprobungen sollen die zuständigen Behörden die Möglichkeit erhalten, Gefahren für die Tiergesundheit frühzeitig zu erkennen und gezielt Abwehrmaßnahmen einzuleiten. Die Intention dieses Gesetzes lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: „Vorbeugen ist besser als Heilen.“ Die Vermeidung von Krankheiten dient nicht nur unmittelbar dem Tierwohl. Gesunde Tiere schonen auch den Geldbeutel des Tierhalters, weil beispielsweise weniger Ausgaben für Tierarzneimittel erforderlich sind. Durch bessere Prävention ist zu erwarten, dass weniger Tierarzneimittel eingesetzt werden müssen – dies gilt auch hinsichtlich Antibiotika. Das Tiergesundheitsgesetz unterstützt das Ziel der Koalition, den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung zu reduzieren und Antibiotikaresistenzen zu vermeiden. Eine Schlüsselrolle bei der Prävention von Krankheiten und Seuchen kommt Impfungen zu. Das Tiergesundheitsgesetz sieht vor, am Friedrich-Loeffler-Institut eine Ständige Impfkommission Veterinärmedizin einzurichten – vergleichbar mit der Ständigen Impfkommission für die Humanmedizin am Robert-Koch-Institut. Aufgabe der Kommission ist es, auf wissenschaftlicher Grundlage Impfempfehlungen abzugeben. Durch die amtlichem Empfehlungen wird es für Tierärzte und Tierhalter, aber auch für Behörden und für die Öffentlichkeit verständlicher, welche Impfungen erforderlich sind und welche nicht. Mehr Transparenz kann einen Beitrag dazu leisten, die Impfbereitschaft zu erhöhen und auch die Akzeptanz von Impfungen bei Nutztieren zu verbessern. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Fleisch von geimpften und freigetesteten Tieren genauso sicher ist wie Fleisch von nicht geimpften Tieren. Durch Impfungen kann vermieden werden, dass bei der Eindämmung von Seuchen nicht auch noch gesunde Tiere getötet werden müssen – so wie es bei der Bekämpfung der Klassischen Schweinepest leider viel zu häufig geschehen ist. Auf europäischer Ebene muss in den Beratungen zum EU-Tiergesundheitsrechtsakt erreicht werden, dass unbedenkliches Fleisch von geimpften Tieren keinen Handelsrestriktionen unterliegt. Der Handel mit Tieren und tierischen Erzeugnissen, die Träger von Tierseuchenerregern sein können, nimmt sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch mit Drittstaaten zu. Zunehmende Handelsverflechtungen bringen die Gefahr mit sich, dass Tierseuchen nach Deutschland eingeschleppt werden. Um Seuchengefahren frühzeitig erkennen zu können, sieht das Tiergesundheitsgesetz sinnvollerweise vor, das Friedrich-Loeffler-Institut zu beauftragen, das weltweite Seuchengeschehen zu beobachten – so können wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, um präventiv Gegenmaßnahmen einzuleiten. Der zunehmende Handel mit Tieren und tierischen Erzeugnissen macht neben der Auswertung des weltweiten Seuchengeschehens noch eine weitere Schlussfolgerung erforderlich. Wir müssen in Europa sowohl bei der Bekämpfung von Tierseuchen als auch bei der Prävention effektiv und auf der Grundlage gemeinsamer Standards zusammenarbeiten. Ich begrüße es sehr, dass die Bundesregierung in Brüssel für eine Harmonisierung des Tierseuchenbekämpfungsrechts eintritt. Mit dem geplanten EU-Tiergesundheitsrechtsakt sollen nicht nur bestehende Vorschriften zur Tiergesundheit zusammengefasst werden, auch das Prinzip „Vorbeugen ist besser als Heilen“ wird größeres Gewicht erhalten. Dem tragen wir mit dem neuen Tiergesundheitsgesetz Rechnung. Lassen Sie uns im parlamentarischen Verfahren prüfen, ob an dem guten Gesetzentwurf weitere Verbesserungen vorgenommen werden sollten. Ich wünsche mir dabei von der Opposition sachlichere Beiträge als in den zurückliegenden Debatten über die landwirtschaftliche Tierhaltung. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf -eines Gesetzes zur Vorbeugung und Bekämpfung von Tierseuchen (Tiergesundheitsgesetz – TierGesG). Die Neufassung und Überarbeitung des bestehenden Tierseuchengesetzes ist längst überfällig. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und den Änderungs-vorschlägen des Bundesrates, denen die Bundesregierung auch in weiten Teilen folgen will, soll das Tierseuchenrecht den gestiegenen Herausforderungen auf europäischer Ebene angepasst werden. Der Gesetzentwurf ist im Hinblick auf die erforderlichen Regelungen zum Tierseuchenrecht in seinem Kern unstrittig. Dem Anspruch eines Tiergesundheitsgesetzes wird dieser Gesetzentwurf jedoch nicht gerecht. Es handelt sich um einen klaren Fall von Etikettenschwindel. Das Gesetz will mit seiner Bezeichnung mehr versprechen, als es tatsächlich einhalten wird. Tiergesundheit ist mehr als nur das Ziel, Tierseuchen zu vermeiden und zu bekämpfen. Tiergesundheit erfordert einen ganzheitlichen Ansatz. Tiergesundheit in einem Tierbestand bedeutet vor allen Dingen ein gutes betriebliches -Hygienemanagement im Bestand. Und daher sage ich der Bundesregierung ausdrücklich: Es reicht nicht aus, ein paar Vorbeugemaßnahmen ins Gesetz zu schreiben, die der Erhaltung und der Förderung der Tiergesundheit dienen – und schon haben wir auf Bundesebene ein Tiergesundheitsgesetz. So einfach geht es nicht! Wir müssen bestehende Regelungen der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung und Schweinehaltungs-hygieneverordnung durch weitere Rechtsgrundlagen zum betrieblichen Hygienemanagement ergänzen und weiterentwickeln. Ich bin der Meinung, dass die Pflichten der Tierhalter, der Tierärzte und anderer Beteiligter vom Stall bis zur Schlachtung zu einem einheitlichen Rechtsrahmen zusammengefasst werden. In diesem Rechtsrahmen sollten die unabdingbaren hygienischen und baulichen Voraussetzungen erfasst werden, die eine Übertragung von Tierseuchen verhindern sollen. In diesem Zusammenhang wären auch die daraus resultierenden Vorgaben und Bestimmungen zur Stallhygiene zu erfassen. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse – beispielsweise zu den Anforderungen an das Stallklima, zu Schadgaskonzentrationen und zu Luftwech-selraten – sollten ergänzt werden. Eine Dokumentationspflicht für regelmäßig vorzunehmende Desinfektionsmaßnahmen in Tierhaltungsbeständen ab einer bestimmten -Betriebsgröße wäre in diesem Rechtsrahmen ebenfalls zu regeln. Auch im Hinblick auf eine Antibiotikaminimierungsstrategie und die dazu aktuell geführte Diskussion über die Anwendung von Antibiotika in der Tierhaltung ist eine weitergehende gesetzliche Regelung dringend notwendig. Das hat auch die Anhörung zum Arzneimittelgesetz gezeigt. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die Zahl der Verordnungen und damit die Menge der eingesetzten Antibiotika überwiegend von der Stall-hygiene abhängen. Die Mehrzahl der Antibiotika-verordnungen erfolgt aufgrund von Atemwegserkrankungen. Hier gilt es, das Übel an der Wurzel zu packen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen im Gesetz so geregelt werden, dass wir ein effizientes Tiergesundheits- und Hygienemanagement auch im Hinblick auf die Krankheitsverhütung und das Wohl-befinden der Tiere erreichen. Die Leitlinien des tierärztlichen Berufsstandes zur Bestandsbetreuung -zeigen vorbildlich, wie es geht. Ein regelmäßiges -Monitoring des Tierhygienestatus sowie die tierärzt-liche Bestands- und Hygieneberatung sind also zwingend vorzuschreiben. Eine Rechtsgrundlage für das Monitoring über den Gesundheitszustand der Tiere findet sich zwar im -Gesetz, aber am Ende reicht dies alleine nicht aus. Ich vermisse wesentliche Durchgriffsrechte und Anordnungsbefugnisse für Kontrollbehörden, wenn sie gravierende Hygiene- und Haltungsmängel in tierhaltenden Betrieben feststellen. Warum berücksichtigen Sie nicht vorhandenes Wissen und legen ein Gesetz vor, das dem anspruchsvollen Titel „Tiergesundheitsgesetz“ in vollem Umfang gerecht wird? In der Anhörung des Deutschen Bundestages zur Novelle des Tierschutzgesetzes spielten Tierwohlindikatoren eine große Rolle. Auf europäischer Ebene gibt es bereits weitreichende Vorarbeiten zur Definition von Tierwohl. Der Gesundheitsstatus innerhalb einer Tierhaltung kann anhand weniger Parameter beurteilt werden: Ich nenne in diesem Zusammenhang Mortalitäts- und Morbiditätsraten sowie physiologische Kenngrößen, Verhalten und Leistungswerte. Die Mortalitätsrate wird bisher als wichtigstes Kriterium nicht erfasst. Auch die Zahl erkrankter Tiere kann objektiv bestimmt und kontrolliert werden. Die Dokumentation von Behandlungen findet heute schon statt. Jedoch werden Organbefunde bei der Schlachtung und erkennbare äußerliche Verletzungen nicht ausreichend erfasst. Auch sie geben Auskunft über die Tiergesundheitsstatus des Herkunftsbetriebes. Und schließlich geben Leistungsdaten wie tägliche Zunahmen, Futterverwertung und Fruchtbarkeit Auskunft über den Gesundheitsstatus der Tiere. Diese Erkenntnisse werden bereits seit langem wissenschaftlich belegt. Hier hätte die Bundesregierung Anknüpfungspunkte für ein ganzheitliches Tiergesundheitsgesetz finden können. So hat die Bundesregierung ihre Hausaufgaben nur teilweise erledigt. Die tierseuchenrechtlichen Regelungen gehen zwar so weit in Ordnung. Die Bundesregierung muss zur Tiergesundheit jedoch noch nacharbeiten. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Das alte Tierseuchengesetz hat ausgedient. Es wurde 1909 im Kaiserreich beschlossen und geht auf ein Gesetz aus dem Jahr 1880 zurück. Trotz einiger Änderungen besteht es in seinen Grundzügen noch heute. Es wird den aktuellen Herausforderungen nicht mehr gerecht, die entstanden sind durch globale Handelsströme, durch umfangreiche Reiseaktivitäten der Menschen über Kontinente hinweg und sich ändernde klimatische Bedingungen. Tierseuchenerreger können so über unzählige Wege nach Deutschland gelangen. Vor diesem Hintergrund und angesichts eines stetig zunehmenden internationalen Handels mit Tieren und tierischen Erzeugnissen werden wirksame Vorbeugung und schnelle Krisenreaktion immer wichtiger. Das Auftreten völlig neuer, unbekannter Krankheitserreger wie des Schmallenberg-Virus und des Blauzungenvirus, die afrikanischen Virenstämmen ähneln, haben uns das deutlich vor Augen geführt. Wir Liberale haben bereits im März letzten Jahres gefordert, das Tierseuchengesetz zu modernisieren. Im Hinblick auf die umfangreichen Änderungen, die das BMELV und die christlich-liberale Koalition in den letzten Monaten erarbeitet haben, ist der Begriff „Tiergesundheitsgesetz“ wesentlich angemessener. Denn mit der Namensänderung verbindet sich ein neuer, verbesserter Ansatz. Wir wollen auftretende Seuchen und neue Krankheiten nicht erst dann bekämpfen, wenn sie bei uns in Erscheinung treten, sondern wir wollen ihnen mit dem neuem Gesetz wirkungsvoll vorbeugen. Das Gesetz dient damit der Erhaltung und Förderung der Tiergesundheit. Mittelfristig sollte das Tiergesundheitsgesetz auch um den Bereich der Tierarzneimittel ergänzt werden, um alle Aspekte der Tiergesundheit in einem Gesetz zu vereinen. Eine der wichtigsten Neuerungen ermöglicht es jetzt, für neue Tierseuchen sehr zügig eine Anzeigepflicht ohne vorherige Zustimmung des Bundesrates einzuführen. Entsprechenden Verordnungen musste bisher immer der Bundesrat zustimmen. Dies kann jetzt auch nachträglich erfolgen. Die Anzeigepflicht ermöglicht es den Landwirten, von der Tierseuchenkasse finanzielle Hilfen für ihre erkrankten und verstorbenen, aber auch für vorsorglich gekeulte Tiere zu erhalten. Ebenso wird es durch eine Anzeigepflicht einfacher, das epidemiologische Geschehen zu verfolgen und Strategien gegen die weitere Ausbreitung und zukünftige Ausbrüche zu entwickeln. In dem neuen Gesetz stehen die Vorbeugung und der Schutz vor Tierseuchen im Vordergrund. Aber auch die Bekämpfung und die Überwachung des Seuchengeschehens werden optimiert. Dazu wurde der Personenkreis, der zur Anzeige einer anzeigepflichtigen Tierseuche verpflichtet ist, erweitert. Es wurden die Befugnisse ausgedehnt, vorbeugende Maßnahmen anzuordnen, beispielsweise eigenbetriebliche Kontrollen und die Durchführung hygienischer Maßnahmen. Dazu gehört auch die Einführung einer Ständigen Impfkommission Veterinärmedizin. Dem Grundsatz „Impfen statt Töten“, den wir Liberale auch bereits seit langem fordern, wird damit noch stärker Rechnung getragen. Dieses Ziel wird von allen Fraktionen im Deutschen Bundestag gemeinsam verfolgt. Ein weiterer Schwerpunkt des Tiergesundheitsgesetzes ist die Möglichkeit eines Monitorings über den -Gesundheitsstatus von Tieren. Das beginnt mit einer ständigen Beobachtung der weltweiten Tiergesundheitslage, die zukünftig vom Friedrich-Loeffler-Institut, FLI, mit Blick auf eine mögliche Einschleppung von Tierseuchenerregern durchgeführt wird. Es setzt sich fort mit einer Bewertung der möglichen Gefahrensituation beim Auftreten einer Tierseuche und mit der Beratung der zuständigen Behörde und des neuen Zentralen Krisenstabs „Tierseuchen“ zur Vorbeugung, Erkennung und Verhinderung der Verschleppung. Wir -Liberale begrüßen es, dass die Bundesregierung diese sinnvolle Forderung des Bundesrates im weiteren Verfahren umsetzen wird. Auch wenn das FLI diese Aufgaben grundsätzlich bereits jetzt wahrnimmt, werden sie nun rechtlich bindend festgeschrieben und den aktuellen Entwicklungen angepasst. Bei diesem Monitoring setzen wir auf die freiwillige Mitarbeit von Schwerpunktbetrieben, welche sich in Gebieten mit erhöhtem Gefährdungspotenzial befinden. Diese können beispielsweise in der Nähe internationaler Flughäfen, der Landesgrenze, in Gebieten mit klimatischen Besonderheiten oder anderen Hotspots liegen. So liegen die Orte des ersten Auftretens der Blauzungenkrankheit und des Schmallenberg-Virus nicht weit voneinander entfernt. Das neue Monitoring soll Erkenntnisse darüber bringen, wo neue Krankheiten zuerst auftreten und wie sie sich verbreiten. Auch können mit Schwerpunktbetrieben die Folgen des Krankheitsgeschehens auf den Bestand insgesamt und mögliche Immunisierung erkrankter aber nicht verstorbener Tiere effizienter und langfristig untersucht werden. Die FDP setzt sich für eine bestmögliche Ausstattung der Forschung auf diesen Gebieten ein. Denn Vorsorge ist langfristig immer besser als die Bekämpfung von Epidemien und zahlt sich aus. Grundsätzlich begrüßenswert ist das Ziel der Bundesregierung, Nachweismethoden für Tierseuchen, insbesondere sogenannte In-vitro-Diagnostika, erst zuzulassen, wenn deren Qualität nachgewiesen ist. Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich im parlamentarischen Verfahren dafür einsetzen, dass eine praktikable Ausgestaltung des Zulassungsverfahrens erfolgt. Wir setzen uns dafür ein, dass vor allem kleine und mittelständische Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die häufig bei neuen oder seltenen Erregern besonders schnell und innovativ reagieren, nicht ausgegrenzt werden. Eine bessere Tiergesundheit ist im Interesse der gesamten Gesellschaft. Zusammen mit der Novellierung des Arzneimittelgesetzes schaffen wir beim Tiergesundheitsgesetz gute rechtliche Grundlagen zur stetigen Verbesserung der Tierhaltung. Vorbeugen statt heilen, impfen statt keulen, dies sind wichtige Grundsätze nicht nur in der christlich-liberalen Koalition. Wir stärken die Tierhaltungsbetriebe, erleichtern die Hilfen über die Tierseuchenkassen und mindern den Medikamenteneinsatz. So können wir den kommenden Herausforderungen durch alte und neue Tierseuchen gestärkt und energisch entgegenwirken. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Im Jahr 2012 trat eine neue Tierseuche mit großen Schäden vor allem in Schafbeständen auf. Als Ursache wurde später ein bislang völlig unbekanntes Virus identifiziert, das nach dem ersten Ort benannt wurde, wo die Erkrankung auftrat: das Schmallenberg-Virus. Aber auch in den Jahren davor erkrankten Nutztierbestände an neuen oder bislang hier unbekannten Krankheiten. Erinnert sei an die Blauzungenkrankheit bei Schafen und Ziegen oder das Blutschwitzen der Kälber. Das sogenannte Vogelgrippe-Virus verbreitete sich in einer bislang nicht gekannten Geschwindigkeit von Asien bis nach Europa und löste eine Debatte über das Risiko von Pandemien aus, also Infektionserkrankungen, die sich ohne zeitliche und räumliche Beschränkungen ausbreiten und damit besonders riskant sind. Es gibt auch Bestandserkrankungen, deren Ursache sehr lange ungeklärt bleiben, wie beim sogenannten chronischen Botulismus der Rinder. Fazit: Tiererkrankungen und Tierseuchen sind unterdessen zu existenzbedrohenden Risikofaktoren für Landwirtinnen und Landwirte geworden, ganz davon abgesehen, dass solche Situationen Bäuerinnen und Bauern auch emotional stark belasten. Auch deshalb muss das Thema Tiergesundheit in der Politik viel höhere Priorität bekommen. Das gilt selbstverständlich auch für Kontrollbehörden und Tierärzteschaft. Gemeinsam tragen wir die Verantwortung für gesunde landwirtschaftliche Nutztierbestände und ihren Schutz vor Erkrankungen und Tierseuchen. Dazu werden auch tiergerechtere Haltungsbedingungen gebraucht und eine integrierte tierärztliche Bestandsbetreuung. Das hat die Linksfraktion auch im Zuge der Diskus-sionen zur Novelle zum Arzneimittelgesetz und den zu Recht kritisierten hohen Antibiotikaverbrauch in Deutschland gefordert. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen seit langem vor steigenden Infektionsrisiken durch den globalisierten Handel und Personenverkehr. Auch die Folgen des Klimawandels tragen zu neuen Risiken bei, insbesondere wenn Infektionskrankheiten durch Insekten oder andere Vektoren übertragen werden. So haben unterdessen selbst die Afrikanische Pferdepest, African Horse Sickness, AHS, die Chikungunya-Infektion, die Afrikanische Schweinepest und das West-Nil-Virus, WNV, ein Gefährdungspotenzial für europäische Tierbestände. Ein „Einfach weiter so“ kann es deshalb aus meiner Sicht nicht geben. Die Agrarforschung, insbesondere die epidemiologische Forschung, muss dringend gestärkt werden, um die Ausbruchs- und Verbreitungsrisiken besser zu kennen und Handlungskonzepte zu ihrer Vermeidung bzw. zur Schadensbegrenzung zu entwickeln. Doch leider handeln seit vielen Jahren die Bundesregierungen aller Farbenspiele jenseits richtig Rot entweder nicht oder genau entgegengesetzt. Gerade weil die Bedrohungen immer größer werden, fordert die Linksfraktion ein epidemiologisches Zentrum, das sich mit den drängenden angewandten Fragestellungen befasst, die sich in den Tierhaltungsbetrieben stellen. Die Linksfraktion hat sich im Jahr 2012 intensiv mit der problematischen Tiererkrankungssituation beschäftigt und einen eigenen Antrag dazu vorgelegt, Bundestagsdrucksache 17/9580. Immer häufiger sehen sich tierhaltende Betriebe unverschuldet und ungeschützt mit bisher unbekannten oder zurückkehrenden Infektionsrisiken konfrontiert. Zusätzlich tragen hohe Bestandsdichten in den Ställen und in einigen Regionen zum steigenden Tierseuchenrisiko bei, deren Folge das Töten großer Bestände aus Gründen des Seuchen- und Verbraucherschutzes bedeuten kann. Klimawandel und Globalisierung erhöhen das Risiko von Tierseuchen und -erkrankungen, die existenzgefährdend für landwirtschaftliche Betriebe sind. In solchen bedrohlichen, aber kaum vermeidbaren oder zumindest nicht selbst verschuldeten Situationen greifen die bisher verfügbaren Regularien – staatliche Feststellung, Tierseuchenkassen – nicht oder zu spät. Daher hält die Linksfraktion einen Notfonds für tierhaltende Betriebe für dringend notwendig. Der Antrag wurde leider abgelehnt. Der heute vorliegende Entwurf eines Tiergesundheitsgesetzes geht aus Sicht der Linksfraktion in die richtige Richtung. Viele Forderungen der Tierärzteschaft wurden in den Gesetzentwurf eingearbeitet. Das ist gut so. Die Kritikpunkte der Agrarwirtschaft sollten wir im Ausschuss diskutieren. Dem Ansatz der Vorbeugung wird im Tiergesundheitsgesetz eine neue, ebenso wichtige Priorität gegeben. Im bisherigen Tierseuchengesetz war dies nicht so. Das ist ein Fortschritt. Der Schutz der Menschen vor Zoonosen sollte allerdings auch im Gesetzeszweck festgehalten werden, finde ich. Unverständlich ist, warum die umfangreichen Änderungsvorschläge des Bundesrates so wenig berücksichtigt werden. Das wird im Agrarausschuss noch zu diskutieren sein. Für die Linksfraktion geht es darum, weiterhin eine möglichst hohe Effektivität bei der Verhütung und Bekämpfung von Tiererkrankungen zu sichern. Dabei sind auch Tierhalterinnen und Tierhalter stärker in die Pflicht zu nehmen. Sie haben direkten Einfluss auf ihre Tiere und die Haltungsbedingungen. Gesunde Tierbestände sind ein Gemeinschaftswerk. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Immer mehr lebende Tiere und tierische Produkte werden innerhalb der EU transportiert, und auch der Handel mit Drittländern nimmt stetig zu. Damit steigt auch die Gefahr der Übertragung von Tierseuchen. Das Tiergesundheitsgesetz – für mich eigentlich immer noch besser das Tierseuchengesetz – rückt die Prävention in den Mittelpunkt. Das ist richtig. Das wollen wir Grüne. Und auch die geplante Möglichkeit für Monitoring-programme sowie die ständige Impfkommission am Friedrich-Loeffler-Institut sind prinzipiell sinnvoll. Vor allem aber ist es richtig, „Impfen statt Töten“ endlich zum Grundsatz zu erheben. Dafür haben wir uns bereits in einem fraktionsübergreifenden Antrag im Bundestag ausgesprochen. Gleiches fordert nun der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Tiergesundheitsgesetz. Dem müssen wir folgen. Jeder von uns sieht noch die grauenvollen Bilder von Bergen in Großbritannien gekeulter, brennender Tiere mit Vogelgrippe oder Maul- und Klauenseuche vor sich. Dieses unnötige Töten Zighundert, Tausender Tiere müssen wir verhindern. Bei vielen Tierkrank-heiten wird die Impfung längst als völlig selbstverständlich angesehen, auch bei lebensmittelerzeugenden Tieren. Das muss, wo immer möglich, zum Normalfall werden. Und wir müssen überlegen, wie wir die in den Verordnungen festgelegten, oft übergroßen Sperrkreise, die um den Seuchenherd gezogen werden, flexibler handhaben können. Bei aller Hygiene und Prävention müssen wir uns aber auch fragen: Wohin führt unsere Art der immer weiter industrialisierten tierischen Produktion? Längst ist bekannt, dass Regionen mit viel zu hohen Tierdichten übermäßig anfällig sind für Tierseuchen. Damit gefährden sie auch Regionen mit vernünftigen Viehdichten. Trotzdem geht der Aufwuchs an Ställen in den völlig überlasteten Regionen weiter. Alleine im Kreis Vechta wurden in den letzten drei Jahren 3 Millionen Tierplätze für Masthühnchen beantragt, und das, obwohl Vechta bereits zu den viehdichtesten Regionen Deutschlands gehört. Betriebe mit mehreren Hunderttausenden Tieren stellen potenzielle Brandherde für Tierseuchen dar. Trotz aller bekannten Fakten will die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht steuernd eingreifen oder -wenigstens den Kommunen brauchbare Instrumente zur Steuerung von Tierfabriken an die Hand geben. Auch Tiertransporte verbreiten Tierkrankheiten. Trotzdem hat die Zahl der Tiertransporte in den letzten Jahren immer weiter zugenommen. Innerhalb der EU nimmt Deutschland bei den Lebendtiertransporten eine wichtige Rolle ein: 70 Prozent der in der EU transportierten Schweine gehen nach Deutschland. Viele Zehntausende lebende Schweine, die bis zum Ural transportiert werden, führen dazu, dass jede -lokale Epidemie zur globalen Gefahr wird. Es ist also eine zweifelhafte Strategie, die die Bundesregierung betreibt. Ebenso sieht es bei der Antibiotikaproblematik aus. Gerne wird betont, dass Schutzimpfungen auch die Gaben von Arzneimitteln, insbesondere Antibiotika, senken können. Das ist zwar richtig, aber auch hier -ignoriert die Bundesregierung beharrlich, dass vor allem die Haltungsbedingungen in der Nutztierhaltung verbessert werden müssen, wenn wir den Antibiotikaeinsatz wirksam senken wollen. Tatsache ist: Tiere, die artgerecht mit ausreichend Platz, Auslauf und artgerechtem Futter gehalten -werden, sind widerstandsfähiger und gesünder. In bäuerlichen Betrieben mit ein paar Hundert Tieren ist der Tier-Mensch-Kontakt größer als in automatisierten Anlagen mit Tausenden von Tieren, und Krankheiten werden schneller erkannt. Tritt eine Tierseuche auf, kann sie sich nicht so rasch verbreiten wie in einer -Intensivtierhaltung mit mehreren Hunderttausend Tieren. Das Tiergesundheitsgesetz kann daher nur ein Baustein in einer Strategie für gesunde Tierbestände sein. Wichtiger ist, dass wir die Haltungsbedingungen grundsätzlich ändern, unter dem Motto: Für eine neue Haltung. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12032 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt dazu, wie ich sehe, keine anderweitigen Vorschläge. Dann haben wir die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 26: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen Bilger, Peter Götz, Armin Schuster (Weil am Rhein), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Werner Simmling, Birgit Homburger, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Projektbeiratsbeschluss bei der Rheintalbahn umsetzen – Drucksachen 17/11652, 17/11932 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Valerie Wilms Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Steffen Bilger (CDU/CSU): Die Rheintalbahn ist eines der ganz besonders wichtigen deutschen Schienenprojekte – auch international gesehen: Immerhin gibt es bereits seit 1998 eine Vereinbarung mit der Schweiz darüber; dazu führt die Strecke von Rotterdam bis nach Genua über diesen Abschnitt. Es war und ist in unseren Beratungen immer unstrittig gewesen: Besondere Projekte verdienen besondere Behandlung. Für dieses Verständnis bin ich allen Kollegen sehr dankbar. Nicht zuletzt deshalb gibt es jetzt bereits den zweiten Antrag der Koalitionsfraktionen zur Rheintalbahn in dieser Wahlperiode. An der Umsetzung dieses Bahnvorhabens sind die Bürgerinnen und Bürger vor Ort maßgeblich beteiligt. Ich bin froh darüber, wie konstruktiv die Anwohner sich in Bürgerinitiativen oder über ihre kommunalen Vertreter einbringen. Dafür möchte ich mich an erster Stelle ganz herzlich bedanken. Die berechtigten Anliegen der Anwohner und deren Engagement für die Umsetzung der Rheintalbahn verdienen und erhalten unsere Unterstützung aus der Politik. Auch deshalb haben CDU/CSU und FDP diesen Antrag eingebracht. Mit der Verabschiedung des Antrags machen wir den Weg frei dafür, dass das Bundesverkehrsministerium die im Projektbeirat besprochenen Mehrkosten für den Bund umsetzen kann. Dazu haben wir diesen Antrag schnell – und im Einvernehmen mit der Opposition – durch die parlamentarischen Gremien gebracht. So herrscht nun für alle Beteiligten Klarheit. Viele haben daran gezweifelt, dass die Rheintalbahn tatsächlich Modellprojekt für die Abschaffung des Schienenbonus werden wird, ja sogar daran, dass der Schienenbonus insgesamt abgeschafft wird und dass die Mehrkosten für den menschen- sowie umwelt-verträglichen Ausbau der Rheintalbahn wirklich von Bund und Land übernommen werden. Aber der Bund hat geliefert. Die christlich-liberale Koalition steht zu ihren Zusagen und hat sie umgesetzt. Der sogenannte Schienenbonus wurde im letzten Jahr abgeschafft. Nun ist auch gesetzlich klar: Lärm ist Lärm, es gibt keinen Unterschied mehr zwischen gutem oder schlechtem. Die bereits beschlossenen und angekündigten Verbesserungen sind auch ein Erfolg der Region für die Region. Hieran haben einen maßgeblichen Anteil die Bürgerinitiativen entlang der Rheintalbahn. Mit ihrer Rückendeckung haben sich in Berlin meine Kollegen vor Ort eingesetzt. Stellvertretend möchte ich hier vor allem Armin Schuster und Peter Weiß erwähnen. Daneben waren es viele andere Kollegen aus der CDU-Landesgruppe Baden-Württemberg und die Verkehrspolitiker der Koalition. Dieser geballte Einsatz machte den Erfolg möglich. Vielen Dank auch an dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit. Durch dieses gemeinsame Vorgehen konnten dringend notwendige Nachbesserungen in Weil am Rhein und Eimeldingen erreicht werden. Nach der Optimierung des kürzlich fertiggestellten Katzenbergtunnels erfolgt jetzt die Umsetzung der Kernforderungen 3 und 4, auf die mein Kollege Ulrich Lange in seinem Beitrag im Detail eingehen wird, wobei der die Gemeinde Riegel betreffende Bereich nochmals gesondert betrachtet werden soll. Doch nun zum Katzenbergtunnel. Er ist der längste zweiröhrige Tunnel im deutschen Netz, und Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer hat diesen persönlich im letzten Dezember in Betrieb genommen. An dieser Stelle gilt mein Dank auch ihm und seinem Haus – besonders den Staatssekretären Professor Klaus-Dieter Scheurle und Michael Odenwald – für die große Unterstützung bei der Rheintalbahn. Staatssekretär Odenwald wird übrigens am kommenden Montag die Region bereisen, um mit den betroffenen Städten, Gemeinden und Bürgermeistern zu sprechen. Dankbar bin ich auch für die kooperative Haltung der Deutschen Bahn AG. Bei den besprochenen Nachbesserungen gegenüber der ursprünglichen Planung bei der Rheintalbahn war immer klar, dass sich Bund und das Land Baden--Württemberg die Kosten je zur Hälfte teilen. Nur durch dieses gemeinsame Vorgehen konnte dieser Erfolg erreicht werden. So war es mit der CDU-Landesregie-rung abgesprochen gewesen, und so waren die Signale der grün-geführten Nachfolgeregierung – und so sieht es der einstimmige Landtagsbeschluss vom 8. De-zember 2011 ebenfalls vor. Nun bin ich mit meinen Unionskollegen etwas irritiert darüber, dass sich die Begeisterung über diesen Landtagsbeschluss bei Ministerpräsident Kretschmann offensichtlich in Grenzen hält. Zumindest war der Presse zu entnehmen, dass er sich beim Bürgerempfang in Heitersheim dahin gehend äußerte, „nicht glücklich“ über die Kofinanzierung zu sein. Was heißt das für die kommenden Abschnitte? Sollte ein Kompromiss am fehlenden Engagement des Landes scheitern, so wissen wir bereits, an wen sich die Bürger wenden müssen – das Land Baden-Württemberg und seine Regierung. Das übliche Spielchen von Herrn Kretschmann, immer nur nach einer Finanzierung durch den Bund zu rufen, ist ein Offenbarungseid seiner Politik, wie wir es auch bei Fragen der Bildung, Betreuung, Energiepolitik und fast in jedem anderen Bereich erleben. Wir werden Herrn Kretschmann jedenfalls an den Landtagsbeschluss erinnern, wenn er nichts mehr davon wissen will. Es ist schließlich noch viel zu tun. Eine Lösung für Offenburg muss noch genauso her wie für den Abschnitt zwischen Offenburg und Freiburg und für die niveaufreie Verknüpfung bei Buggingen. Bedauerlicherweise bekommen die Kollegen im Stuttgarter Landtag keine vernünftigen Antworten, wie sich die Landes-regierung hier verhalten will. Das Verhalten der Landesregierung ist umso merkwürdiger, da es immer die Grünen im Bundestag gewesen waren, die am lautesten eine Mitfinanzierung des Landes gefordert haben. Nun, da Landesverkehrsminister Winfried Hermann nicht mehr Oppositionspolitiker im Bundestag, sondern Regierungspolitiker im Land ist, zeigt sich mal wieder: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Sprich: Regieren ist schwerer als opponieren. Die Koalition mit unserer Mehrheit im Bundestag und die von uns getragene Bundesregierung jedenfalls stehen weiterhin zu ihren Zusagen, um die Menschen entlang der Rheintalbahn bestmöglich bei ihren berechtigten Forderungen zu unterstützen. Ein schönes Zeichen für die Anwohner war zumindest schon einmal, dass der federführende Ausschuss des Deutschen Bundestages, der für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, in seiner Sitzung am 12. Dezember 2012 einstimmig dem vorliegenden Antrag der Regierungsfraktionen zugestimmt hat. Die Ausschüsse für Haushalt und Tourismus haben sich ebenso verhalten. Merkwürdigerweise haben sich im Finanzausschuss SPD und Grüne enthalten sowie in den Ausschüssen für Wirtschaft und Umwelt die Grünen. Ich hoffe und werbe dafür, dass der Deutsche Bundestag sich dem Votum des federführenden Verkehrsausschusses anschließt und einstimmig unserem CDU/CSU-FDP-Antrag zustimmt. Ulrich Lange (CDU/CSU): Wir sind uns alle darin einig, dass wir mehr Güter auf die Schiene bringen wollen. Damit wollen wir auf der einen Seite unser Straßennetz entlasten, gleichzeitig aber auch den CO2-Ausstoß reduzieren. Die Ausbau- und Neubaustrecke Karlsruhe–Basel ist Bestandteil des wichtigsten europäischen Güter-korridors Rotterdam–Köln–Basel–Mailand–Genua. Die Verkehrsachse zwischen den holländischen Häfen und dem Mittelmeer zählt zu den durch die EU-Verkehrs-politik als vorrangig eingestuften transeuropäischen Netzen, TEN, die mit modernster Technologie Europa näher zusammenbringen sollen. Die genannte Strecke ist der wichtigste nördliche Zulauf zur Neuen Eisenbahn-Alpentransversale, NEAT, mit ihren zentralen Projekten Gotthard- und Lötschberg-Basistunnel. Mit der Fertigstellung der NEAT in der Schweiz wird die Strecke zu einem der wichtigsten Schienenstränge in Europa, der über -Mailand bis nach Genua führt. Die Realisierung der leistungsfähigen Alpenquerung schafft die Voraussetzungen, um im Eisenbahnverkehr zwischen der Schweiz und Deutschland den Schwerlastverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Die Aus- und Neubaustrecke Karlsruhe–Basel ist damit auch eines der wichtigsten Verkehrsinfrastrukturprojekte des Bundes. Die 182 Kilometer lange -Strecke gehört zu den am stärksten befahrenen Magistralen im Netz der Bahn. Die Fertigstellung der Aus- und Neubaumaßnahme ist für 2020 geplant. Wir sind uns natürlich auch darüber im Klaren, dass dieser Ausbau zu einer Zunahme des Schienenlärms führen wird. Für 2025 werden bis zu 335 Güterzüge täglich auf der Strecke prognostiziert. Aus diesem Grund wurden viele Bürgerinitiativen gegen den Bau gegründet. Um zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, wurden die Bürgerinnen und Bürger bei den Planungen einbezogen. Hierzu wurde am 5. September 2009 der sogenannte Projektbeirat gegründet. Im Projektbeirat sitzen neben Vertretern der Bundesregierung, der Deutschen Bahn AG, der Landesregierung und Landkreise auch Mitglieder der IG BOHR, dem Dachverband der Bürgerinitiativen entlang der -Rheintalbahn. Im Projektbeirat einigte man sich darauf, dass -zusätzlich zu den geplanten Schutzmaßnahmen im Zuge der Ausbaumaßnahmen weitere Investitionen, die über das gesetzlich erforderliche Maß hinausgehen, durchgeführt werden sollen. Die letzte Sitzung des Projektbeirates fand am 5. März 2012 statt. Schwerpunktthemen waren die sogenannten Kernforderungen 3 und 4, die Güterumfahrung Freiburg sowie die Bürgertrasse. Im Rahmen der Güterumfahrung Freiburg ist die Realisierung von Einhausungen und Galerien sowie von zusätzlichen Schall- und Habitatschutzwänden in einer Größenordnung von maximal 84 Millionen Euro beschlossen worden. Die weitere Kernforderung betrifft im Bereich der Bürgertrasse im Markgräflerland die Realisierung einer ebenerdig geplanten Antragstrasse in Tieflage durch Trogbauwerke und steil geböschte Polsterwände mit Überführungen als Landschaftsbrücken sowie einer, soweit rechtlich möglich, westlichen Umfahrung Buggingen mit einem Kostenaufwand von maximal 166 Millionen Euro. Bund und Land Baden-Württemberg haben sich bei der Finanzierung von zusätzlich maximal 250 Millionen Euro darauf geeinigt, die Kosten jeweils zur Hälfte zu tragen. Abschließend möchte ich noch betonen, dass die Bildung des Projektbeirates ein sehr gutes Beispiel für die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an Verkehrsprojekten ist. Den gewachsenen Ansprüchen nach mehr Teilhabe an Infrastrukturentscheidungen wurde ausgezeichnet nachgekommen. Es führt zu einer Akzeptanzverbesserung bei den kommenden vor uns liegenden Infrastrukturmaßnahmen. Ein Danke an -dieser Stelle an unseren Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer, der sich die größere Bürgerbeteiligung auf die Fahnen geschrieben hat! Ute Kumpf (SPD): Großprojekte müssen nicht aus dem Ruder laufen, es geht auch anders. Ein positives Beispiel ist der Ausbau der Rheintalbahn. Dank mehr Bürgerbeteiligung und einer Politik des Zuhörens wird es transparenter und sachorientierter. Dank auch den Menschen vor Ort in Südbaden: Seit Jahren begleiten sie konstruktiv den viergleisigen Ausbau von Karlsruhe bis Basel. Sie haben sich sachkundig gemacht, Gespräche mit Politikern und Verantwortlichen geführt und Überzeugungsarbeit geleistet. Mit großem Engagement und Sach-verstand wurden Vorschläge gemacht und das Konzept „Baden 21“ erarbeitet. Wenn die Bahn und die Politik auf Landes- und -Bundesebene diesen Weg weiter verfolgen, kann der Ausbau der Rheintalbahn eine Geschichte erfolgreicher Bürgerbeteiligung werden, ein Beispiel aktiver Zivilgesellschaft: Bürgerinnen und Bürger, Vertreter von Kommunen entlang der Bahnstrecke, Bürgerinitiativen wie die Interessengemeinschaft Bahnprotest an Ober- und Hochrhein „IG BOHR“ Gemeinderäte, Stadträte und Bürgermeister wie zum Beispiel aus Lahr, Kenzingen, Herbolzheim, Riegel, Hohberg, -Ettenheim, Kappel-Grafenhausen und Meißenheim, die Anfang März 2012 nach Berlin gereist sind, um mit Mitgliedern des Verkehrsausschusses zu diskutieren. Alle setzen sich über Parteigrenzen hinweg ein für ihr -Anliegen, für ihre Region. Sie wollen mitreden, haben eigene Ideen. Die Menschen im Südwesten stehen zu einem menschen- und umweltverträglichen Ausbau der Rheintalbahn. Sie bekennen sich zur Verlagerung der Güter von der Straße auf die Schiene und unterstützen den Ausbau der Schiene. Das ist wichtig. Nur der viergleisige Ausbau verhindert den -Verkehrskollaps entlang der Rheinschiene. Nur mit mehr Kapazitäten auf der Schiene wird eine Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene erreicht. Nur so gibt es eine Entlastung auf den Straßen in -Baden-Württemberg und somit weniger Staus und -Abgase. Dies steht im Einklang mit der EU-Verkehrspolitik, mehr Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern. Der Neu- und Ausbau der Rheintalbahn für den Güterverkehr ist nicht nur für Baden-Württemberg von zentraler Bedeutung, sondern auch für Deutschland und unsere europäischen Nachbarn. Mehr Güter von der Straße auf die Schiene zu bringen, ist so möglich. Und Deutschland ist in der Pflicht gegenüber der Schweiz. Die Bundesregierung muss den Vertrag von Lugano 1996 umsetzen. Sie hat sich verpflichtet, die Rheintalstrecke zwischen Karlsruhe und Basel als -Zulaufstrecke zu den NEAT-Tunneln, Neue Eisenbahn- Alpentransversale, Gotthard und Lötschberg viergleisig auszubauen. Wir, die SPD auf kommunaler, Landes- und Bundesebene, unterstützen die alternative Trassenführung „Baden 21“, ein Konzept, das Kommunen und die IG BOHR entwickelt haben, eine Alternativplanung, die über 90 Kilometer von Offenburg bis südlich von -Buggingen im Markgräflerland reicht, eine Alternativplanung, die von den Menschen selbst erarbeitet wurde, die akzeptiert wird am Oberrhein, wovon ich mich selbst bei zahlreichen Terminen vor Ort, bei vielen Gesprächen überzeugen konnte. „Baden 21“ -bedeutet ein Güterzugtunnel durch Offenburg; eine -autobahnparallele Trasse von Offenburg bis Riegel, die Lärm meidet und Ackerland schont; Mittel- und Teiltieflagen mit lokal verstärkten Lärmschutzmaßnahmen von Riegel bis Mengen; eine teilgedeckelte Tieflage von Mengen bis südlich Buggingen. Beim Ausbau der Rheintalbahn werden bei der -Planung neue Wege gegangen. Im Juli 2009 wurde in der Großen Koalition von Bundesverkehrsminister Tiefensee der Projektbeirat Rheintalbahn ins Leben gerufen. Darin diskutieren Vertreterinnen und Vertreter der Deutschen Bahn AG, der Bundes- und der -Landesregierung, Landräte, Bürgermeister und Mitglieder der Bürgerinitiativen. Gemeinsam führen der Bund und das Land Baden-Württemberg den Vorsitz. Der Projektbeirat bewertet noch vor dem jeweiligen Planfeststellungsbeschluss die vorgeschlagenen Varianten, schlägt alternative Lösungen vor und lässt Verbesserungen zum Beispiel zum Lärmschutz einfließen. Für viele Streckenabschnitte zwischen Karlsruhe und Basel wurden bereits Lösungen gefunden, bei manchen mussten Kompromisse gemacht werden, bei manchen wird noch verhandelt. Der Projektbeirat Rheintalbahn ist ein gelungenes Beispiel für Beteiligung, ein -Beispiel wie Konflikte im Vorfeld geklärt werden können, ein Beispiel, wie Bürgerinnen und Bürger in die Planungen einbezogen werden und ein Projekt gesellschaftlich akzeptiert und mitgetragen wird. Bürgerbeteiligung ist für die SPD kein Modethema. Willy Brandt hat seine 1. Regierungserklärung 1969 unter das Motto gestellt: „Mehr Demokratie wagen“. Beteiligungsformen müssen daher künftig so gestaltet sein, dass sie möglichst vielen Menschen die Teilnahme ermöglichen. Dies bedeutet einen grundlegenden Wechsel in der Planungskultur: Transparenz statt Diskussionen hinter verschlossenen Türen, eine -umfassende Öffnung der Planungsverfahren und ein neues, auf Dialog ausgerichtetes Selbstverständnis von Politikern und Verwaltungen. Informationen müssen rechtzeitig offengelegt, Verfahren und Planungen verständlich gemacht, die Öffentlichkeit frühzeitig und umfassend eingebunden, die Anliegen, Ideen und -Bedenken von Betroffenen vor Ort ernst genommen werden. Verfahren müssen gestrafft und zusammen-gelegt, Bürgerbeteiligung durch Bürgeranwälte ein-geführt sowie die Informationspflichten von Verwaltung und Vorhabenträger ausgebaut und verbindliche Standards bei den Verfahren festgelegt werden. Allein kosmetische Änderungen sind zu wenig, ein grundlegend neuer Politikansatz ist notwendig. Beteiligung ist nicht Mittel zum Zweck, um nachträglich -Akzeptanz zu schaffen für Beschlüsse, die vorher unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefasst worden sind. Die Bürgerinnen und Bürger müssen von Anfang an mit-genommen werden, nicht erst wenn die wesentlichen Entscheidungen gefallen sind. Vor allem kann man es Behörden und öffentlichen Planungsträgern nicht freistellen, ob sie die Bürgerinnen und Bürger beteiligen wollen oder nicht. Manche befürchten, dass der Bau neuer Großprojekte dann noch länger braucht als -bisher. Das Gegenteil ist richtig: Planungs- und Umsetzungszeiten lassen sich gerade für umstrittene Projekte am besten dadurch verkürzen, dass frühzeitig alle eingebunden werden und Transparenz hergestellt wird. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, teilen die Forderung, beim Ausbau der Rheintalbahn Karlsruhe–Basel im Abschnitt von Kilometer 187,8 – Gemeinde Teningen – bis Kilometer 235,5 – Gemeinde Hügelheim – der Planfeststellungsabschnitte 8.1 Riegel–March, 8.2 Freiburg–Schallstadt, 8.3 Bad Krozingen–Heitersheim und 9.0 a Buggingen–Müllheim die Maßnahmen der Kernforderungen 3 und 4 entsprechend den Fest-legungen zwischen Bund und dem Land Baden--Württemberg als expliziten Teil des Bedarfsplan-vorhabens umzusetzen. Wir stimmen dem Antrag „Projektbeiratsbeschluss bei der Rheintalbahn umsetzen“ zu und begleiten den Ausbau der Rheintalbahn weiterhin konstruktiv. Der Ausbau der Rheintalbahn muss Modell für Bürger-beteiligung, Lärm- und Landschaftsschutz werden. Werner Simmling (FDP): Die Rheintalbahnstrecke ist eine der wichtigsten Ausbaumaßnahmen der Schieneninfrastruktur der Bundesrepublik. Seit 25 Jahren steht der Ausbau der Rheintalbahn auf der Agenda des Bundesverkehrsministeriums. Anfangs ging es darum, den Personenzugverkehr zu beschleunigen. Aber als die Schweiz in den 90er-Jahren den Bau der Neuen Alpentransversale, NEAT, beschloss, bekam der Ausbau der Rheintal-strecke eine neue Dimension. Als nördlicher NEAT--Zubringer ist sie Teil der wichtigsten europäischen Transitstrecke für Güterverkehr, die die Häfen von -Genua und Rotterdam miteinander verbindet. Die Schweiz und Deutschland schlossen im Jahr 1996 einen Staatsvertrag, in dem sie sich verpflichten, „den grenzüberschreitenden Eisenbahnpersonen- und -güter-verkehr zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland durch aufeinander abgestimmte Maßnahmen der Schieneninfrastruktur in seiner Leistungsfähigkeit zu sichern“. Doch während der Bau der NEAT zügig voranschritt und der Gotthard-Basistunnel voraussichtlich schon vor dem anvisierten Termin im Jahr 2017 fertiggestellt sein wird, verzögerte sich der Ausbau auf deutscher Seite immer wieder. Gründe sind Finanzierungsengpässe, aber auch Proteste seitens der An-wohner. Denn die gesellschaftliche Akzeptanz des Schienenverkehrs ist geringer geworden, und das aus verständlichen Gründen. Es geht hier vor allem zum einen um den sensiblen Eingriff in die Landschaft. Zum anderen ist der Lärm von Güter- und Personenzügen für Anwohner an Gleisstrecken schwer zu ertragen. Und perspektivisch wird dieser Lärm speziell an der Rheintalbahn nicht abnehmen, sondern stetig zunehmen. Insbesondere für die geplante viergleisige Strecke Karlsruhe–Basel wird die höchste Belastung durch den Güterzugverkehr im gesamten deutschen Güterverkehr erwartet. Für das Jahr 2025 sind Zugzahlen von bis zu 490 pro Tag prognostiziert – alle drei Minuten ein Zug. Auf diese Entwicklung gehen wir mit dem vorliegenden Antrag ein und bekräftigen so auch noch einmal unser Vorhaben der Reduzierung von Lärmimmissionen beim wichtigen Ausbau der Rheintalbahn. Im Zuge dessen konnten im Projektbeirat durch die konstruktive Zusammenarbeit von Bund, Land, der Bahn, regionalen Vertretern und der Bürgerinitiativen am 5. März 2012 Beschlüsse gefasst werden, welchen wir mit diesem Antrag entsprechen wollen. Denn nur dann erhalten die betroffenen Anwohner den Lärmschutz, der ihnen nach den Verhandlungen im Projektbeirat zusteht. Somit werden den Kernforderungen 3 und 4 Rechnung getragen. Das bedeutet, dass man sich bei der Güterumfahrung Freiburg für die Realisierung von Einhausungen und Galerien sowie für zusätzliche Schall- und Habitatschutzwände ausgesprochen hat. Hier werden konkret Kosten in Höhe von 84 Millionen Euro angesetzt. Bei der Bürgertrasse im Markgräflerland soll die Realisierung der ebenerdig geplanten Antragstrasse in Tieflage durch Trogbauwerke und steil geböschte Polsterwände mit Überführungen als Landschaftsbrücken sowie einer – soweit rechtlich möglich – westlichen Umfahrung Buggingen erfolgen. Hier werden Kosten von maximal 166 Millionen Euro erwartet. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 250 Millionen. Das Land Baden-Württemberg hat am 8. Dezember 2011 beschlossen, dass die Landesregierung sich mit bis zu 50 Prozent an den Mehrkosten, die über das gesetz-liche Erfordernis hinausgehen, an der Rheintalbahn zur Sicherstellung eines menschen- und umweltgerechten Ausbaus beteiligt. Für diese Entscheidung bin ich dankbar, vor allem, dass wir uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg einig sind und so den Ausbau der Rheintalbahn unter weitgehendem Schutz der Bevölkerung voranbringen. Karin Binder (DIE LINKE): Die Linke begrüßt die politische Umsetzung der Beschlüsse des Projektbeirats bei der Rheintalbahn. In Absprache mit unseren Gesprächspartnern in der Region können wir dem vorliegenden Koalitionsantrag zustimmen. Mit dem heute gefassten Beschluss des Bundestages verbinden wir aber auch die Erwartung, dass weitere Kernforderungen der Interessengemeinschaft Bahnprotest an Ober- und Hochrhein ebenso ernst genommen werden. Der Projektbeirat hat bisher eine her-vorragende Arbeit geleistet und entscheidend zur Beseitigung der Konflikte zwischen Bahn und Bevölkerung vor Ort beigetragen. Eine weitere positive Begleitung durch den Bundestag, mit entsprechenden Beschlüssen, wäre ein Anliegen der gesamten Region am südlichen Oberrhein und kann helfen, weitere Verzögerungen bei diesem so wichtigen Projekt zu verhindern. Uns ist klar, dass insbesondere durch die Kernforderung einer zweigleisigen Tunnelröhre im Raum Offenburg mit zusätzlichen Kosten zu rechnen ist. Wer die Lage Offenburgs aber kennt und wem die enorme Bedeutung der Rheintalbahn bewusst ist, der muss diese Forderung ernst nehmen. Den oft in diesem Zusammenhang verwendeten Begriff „Mehrkosten“ halte ich zudem für irreführend. Es handelt sich vielmehr um Realkosten; denn die tatsächlichen Erfordernisse der Region wurden bisher nur unzureichend berücksichtigt. Angesichts stetiger Baupreissteigerungen fordern wir die Projektbeteiligten auf, für das ganze Projekt eine transparente Kostenplanung vorzunehmen. Notwendige Mittel in Höhe der zu erwartenden Baupreissteigerungen sind vorzuhalten und etwaige Risiken bereits jetzt zu berücksichtigen. Die sicher zu erwartende Projektteuerung bis zur Fertigstellung darf nicht dazu führen, dass die heute bewilligten Mehrkosten von 166 Millionen Euro zu einer Kürzung der Bauleistungen führen. Auf ein Desaster wie bei Stuttgart 21 und dem neuen Berliner Flughafen kann und will die Region gut und gerne verzichten. Die Kostenübernahme durch Bund und Land muss sofort durch klare Beschlüsse geklärt werden. Sosehr wir es begrüßen, dass hier am Oberrhein auch der Schienenbonus für die überarbeiteten Planungen nicht mehr angewendet werden soll, so sehr bedauern wir, dass dies nur hier und nicht bundesweit jetzt schon erfolgen soll. Andernorts besteht ebenfalls der verständliche Wunsch, den Schienenbonus sofort zu streichen. Hier war die Koalition bestenfalls halbherzig. Immerhin ist das Land Baden-Württemberg bereit, die Mehrkosten, die ein besserer Lärmschutz bedingt, zu tragen. Aber das darf nur die Ausnahme sein; denn Lärmschutz nach Kassenlage ist keine Lösung. Wie man am Beispiel des Oberrheintals sieht, wird der Schienengüterverkehr nur dann akzeptiert, wenn alles für den Lärmschutz der Anwohnerinnen und Anwohner Notwendige getan wird. Daran hapert es bei den meisten Schienen- und Straßenbauprojekten leider noch ganz erheblich. An dieser Stelle möchten wir als Linke noch einmal festhalten, dass ein guter Lärmschutz an der Rheintalbahn auch mit einer klugen Streckennutzung zu tun hat. Unseres Erachtens darf es nicht sein, dass der Neubau im Wesentlichen dem schnellen Fernverkehr vorbehalten sein soll. Die Strecke muss auch dazu genutzt werden, laute sowie gefährliche Güterverkehre aus den Ortschaften herauszubekommen. Denn auch mit dem vorliegenden Antrag sind Entlastungen der durch die Orte verlaufenden Altstrecke nicht zu erwarten. Die von der DB gewünschte Verkürzung der Reisezeiten zwischen Karlsruhe und Basel ordnen wir diesem Ziel nach. Auch eine optimale Nutzung der gesamten Strecke für den regionalen Bahnverkehr sollte Vorrang haben. Das unmissverständliche Signal muss sein, nicht zu feilschen, sondern fertig zu werden. Das Projekt Rheintalbahn soll endlich im Einvernehmen mit den Menschen in der Region umgesetzt werden, damit es nicht am Ende heißt, die Planungs- und Bauzeit war länger als die prognostizierte Nutzungsdauer der neuen Rheintalbahn von circa 100 Jahren. Mit dem Wechsel der Landesregierung, aber auch im Zusammenhang mit den bevorstehenden Bundestagswahlen ist nun die Bewegung in das Projekt gekommen, die sich die Menschen in der Region seit Jahren gewünscht haben und für die sie zu Tausenden auf die Straße gegangen sind. Für die Linke ist klar, dass sich die Zehntausenden Stunden ehrenamtliche Arbeit in den Initiativen vor Ort jetzt auszahlen und auch als eine Investition in die Zukunft verstanden werden sollten. Großprojekte dieser Dimension müssen immer zusammen mit den Menschen vor Ort entwickelt werden, müssen sich den räumlichen, sozialen und ökologischen Interessen einer Region fügen – von Anfang an und nicht erst dann, wenn der Widerstand in einer Region zu groß wird. Zudem muss von Anfang an kostentransparent und ehrlich geplant werden. Wenn sich mit dem heutigen Beschluss auch diese Erkenntnis im Bundestag durchsetzt, sind wir endlich auch grundsätzlich einen wichtigen Schritt weitergekommen – nicht nur am Oberrhein. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eines unserer wichtigsten verkehrspolitischen Ziele ist eine stärkere Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Nicht nur aus umweltpoltischen, sondern auch aus verkehrspolitischen Zwängen müssen wir umdenken, weg vom Gütertransport auf der Straße, denn unsere Straßeninfrastruktur ist nicht beliebig erweiter- und finanzierbar, wie uns ja auch Herr Minister Ramsauer mittlerweile täglich in den Medien erläutert. Gut, dass diese Erkenntnis damit auch bei der Union angekommen ist. Der zügige Ausbau der Rheintalbahn, darin besteht bei uns allen Einigkeit, zählt zu den wichtigsten Schieneninfrastrukturprojekten in der Bundesrepublik Deutschland. Die herausragende Bedeutung der Rheintalschiene im Hinblick auf den europäischen Güterverkehrskorridor wird durch unsere Pflichten aus dem Staatsvertrag mit der Schweiz zusätzlich betont. Deshalb ist es wirklich erfreulich, dass es nun auch der Koalition endlich gelungen ist, einen Antrag vorzulegen, der die Bedeutung des Projekts aufgreift und die Beschlüsse des Projektbeirates vom März des vergangenen Jahres unterstützt. Die fraktionsübergreifende Zustimmung für die Forderungen des Antrages ist daher richtig, sie ist wichtig und sie setzt ein deutliches Signal an die lärmbetroffenen Bürgerinnen und Bürger der Region. Das heißt aber nicht, dass sich das Parlament auf dem bisher Erreichten ausruhen und die Augen vor den noch vielen offen Fragen und Problemen beim lärmarmen Ausbau der Rheintalbahn verschließen darf. Der Durchbruch bei der Optimierung der Güter-zugumfahrung Freiburg und der Bürgertrasse im Markgräflerland, also den Kernforderungen 3 und 4 der Region, konnte im Wesentlichen aus zwei Gründen erreicht werden. Zum Ersten ist das Engagement der vielen Bürgerinnen und Bürger in den Initiativen an dieser Stelle zu nennen. Gerade die Beteiligung zu einem frühen Zeitpunkt unterscheidet dieses Projekt von Stuttgart 21, wo erst in äußerster Not eine Art -Schlichtung versucht wurde, aber viel zu spät, nämlich nachdem alle entscheidenden Planfestlegungen bereits erfolgt und die wesentlichen Finanzierungsvereinbarungen getroffen waren. Stuttgart 21 zeigt, wie notwendig, die Rheintalbahn zeigt, wie sinnvoll und erfolgreich es sein kann, wenn betroffene Bürgerinnen und Bürger rechtzeitig eine umfassende Mitsprache bei der Realisierung von Großprojekten einfordern und bekommen. Und zum Zweiten, weil sich das Land Baden-Württemberg bereit erklärt hat, einen Teil der Mehrkosten für einen angemessenen Lärm- und Landschaftsschutz zu zahlen, und somit das Land an dieser Stelle Verantwortung für seine Bürgerinnen und Bürger übernommen hat. Langfristig kann es aber sicher nicht die Aufgabe der Bundesländer sein, die Kosten für einen menschenverträglichen Ausbau der Bundesschienenwege zu übernehmen, denn hier ist und bleibt der Bund in der Pflicht. Ja, Lärmschutz kostet Geld, und ja, unsere finanziellen Mittel sind begrenzt. Daher muss es endlich eine Konzentration auf die wichtigen Verkehrsprojekte wie den Ausbau der Rheintalbahn geben. Es kann doch nicht sein, dass wir ständig über fehlende Finanzen klagen und gleichzeitig zusehen, wie die Kosten für den überflüssigen und wahnsinnig teuren Tiefbahnhof in Stuttgart exorbitant, nämlich in mehrfacher Milliardenhöhe aus dem Ruder laufen und wirklich notwendige Infrastrukturprojekte deshalb bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Hier müssen Worten auch Taten folgen, statt weiter an teuren Prestigeobjekten mit unkalkulierbarem Ausgang festzuhalten, ganz abgesehen davon, dass die Bahn ganz offenbar nicht einmal in der Lage zu sein scheint, das Projekt Stuttgart 21 ordnungsgemäß, sicher und im avisierten Zeitraum durchzuführen. Die vom Projektbeirat für die Rheintalbahn beschlossenen Lösungen für die Kernforderungen 3 und 4 dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor wichtige Punkte im nördlichen Verlauf der Trasse ungeklärt sind. Insbesondere die sogenannten Kernforderungen 1 und 2, also die Untertunnelung in Offenburg und der Trassenverlauf südlich davon. Denn hier ist der Lärmschutz für die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner bislang nicht annähernd befriedigend gewährleistet. Hier ist eine offene Prüfung notwendig, um die wirklich beste Lösung für Mensch und Natur zu finden. Jede der denkbaren Trassen betrifft ökologisch höchst wertvolle und sensible Gebiete, auch Natura-2000-Flächen, deren Schutzbedürfnisse nicht hintanstehen dürfen. Denn der Schutz der ökologischen Lebensgrundlagen ist auch ein Schutz der Menschen. Gerade deshalb ist darauf zu achten, dass die Naturschutzbelange objektiv bewertet werden. Es dürfen nicht die vom Vorhabenträger bisher ungewollten Trassenvarianten mit fiktiv hohen Kosten für die Bewältigung der Naturschutzbelange künstlich hochgerechnet und damit verhindert werden. Der Projektbeirat steht hier vor weiteren Herausforderungen. Wir erwarten an dieser Stelle von der Bundesregierung, dass sie sich weiterhin ernsthaft im Projektbeirat für gute und vor allem lärmarme Lösungen für die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner einsetzt. Denn nur mit wirksamen Lärmschutzmaßnahmen werden wir die allgemeine Akzeptanz der Bevölkerung für den Ausbau der Rheintalbahn und auch anderer Schieneninfrastrukturprojekte erhalten können. Eine sehr wirksame Lärmschutzmaßnahme wäre die sofortige Abschaffung des Schienenbonus, statt diese Abschaffung erst in einigen Jahren wirksam werden zu lassen. Was Sie als Gesetzentwurf noch am Ende des vergangenen Jahres vorgelegt haben, widerspricht doch ihren Forderungen im vorliegenden Antrag. Einerseits mehr Schallschutzmaßnahmen über das gesetzliche Maß hinaus fordern und anderseits den -Anwohnerinnen und Anwohnern einen sofortigen Rechtsanspruch für den Bau leiser Schienenwege im Rheintal verwehren, das ist scheinheilig und nimmt die Sorgen, Ängste und Anliegen der Betroffenen nicht ernst. In diesem Sinne lassen Sie uns den Ausbau der Rheintalbahn gemeinsam als ein Modellprojekt für lärmarmes, umweltverträgliches, zügiges Bauen ohne Schienenbonus mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger gestalten. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11932, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/11652 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 25: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ralph Lenkert, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Durch Humanarzneimittel bedingte Umweltbelastung reduzieren – Drucksache 17/11897 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Gesundheit Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Ingbert Liebing (CDU/CSU): Wasser ist unser wichtigstes Lebensmittel, unsere gesamte Nahrung und unser Leben hängen davon ab. Als Lebensmittel Nummer eins muss Trinkwasser hohen Anforderungen genügen. Dank der nachhaltigen und konsequenten Maßnahmen der Bundesregierung wird dem seit Jahren Rechnung getragen. Bereits seit den 70er-Jahren hat die Bundesrepublik Deutschland unbestreitbare Erfolge im Wasserschutz erzielt und die Wasserqualität konsequent verbessert. Auf der anderen Seite hat die SED-Vorgängerpartei der Antragsteller sich sprichwörtlich einen Dreck um die Qualität ihrer Gewässer und der Umwelt geschert, was wir nach der Wende flächendeckend erfahren mussten. Deshalb sind Sie von den Linken als Antragsteller die Letzten, die sich so zu Wasserschutz melden dürfen. Doch auch dieses Defizit aus der Zeit der DDR haben wir aufgeholt. Die qualitativen Eigenschaften unseres Trinkwassers bekommen nach wie vor ausschließlich Bestnoten; denn die Trinkwasserverordnung gibt diese verbindlich vor. Es dürfen zum Beispiel keine Krankheitserreger, Schwermetalle oder andere gesundheitsschädigenden Stoffe im Trinkwasser enthalten sein. Unser Ziel ist es, Wasser als ein großes Gut in ausreichender Menge und Qualität weiterhin flächendeckend zu garantieren. Hier ist Deutschland beispielgebend für viele Länder. Durch eine konsequente Ausweitung und Modernisierung von Kläranlagen und die innovativen Entwicklungen der Analyseverfahren der Spurenstoffe im Wasser ist eine bessere Untersuchung der Wasserqualität möglich geworden. Verfahren, die vor Jahren nicht bekannt waren, werden heute erfolgreich zur Qualitätsverbesserung unseres Trinkwassers angewendet. Dies waren übrigens in vielen ostdeutschen Kommunen mit die ersten Infrastrukturmaßnahmen, die mit dem Aufbau Ost angepackt worden sind, meine Kolleginnen und Kollegen der Opposition. Mit dem gleichen wissenschaftlichen Eifer arbeiten unsere Pharmakologen an hochwirksamen Arzneimitteln, die wir als Verbraucher und Patienten in einer alternden Gesellschaft einfordern. Der medizinische Fortschritt dient uns, den Menschen. Aber es handelt sich auch um Arzneimittel, die als biologisch aktive Stoffe nicht nur bei Mensch und Tier ihre Wirkung zeigen, sondern auch bei ihren Ausscheidungen und der Entsorgung ins Abwasser- bzw. Grundwassersystem eindringen. Diesen Konflikt gilt es aufzulösen. Diese hocheffizienten medizinischen Wirkstoffe sind uns am Ende der Kette bei ihrer Abscheidung in der genauen Wirkung von Kleinstelementen, wie wir sie heute wissenschaftlich analysieren können, bedingt durch Tier- und Humanarzneimittel, noch unzureichend bekannt. Auch die Frage, ob von den in Gewässern gemessenen Stoffkonzentrationen ein grundsätzliches oder tatsächliches Risiko ausgeht, kann bis heute nicht eindeutig für jeden Stoff beantwortet werden. Der Antrag der Linken befasst sich mit dem Risiko von Verunreinigungen der Abwässer durch Humanarzneimittel, also einem hinlänglich bekannten Sachverhalt. Liest man den Antrag der Linken, entsteht das Gefühl, dass dem Thema Schutz der Umwelt vor Risiken aufgrund von Arzneimitteleinträgen bislang kein ausreichendes Gewicht beigemessen wird. Das ist aber nicht der Fall. Nicht erst seit heute haben wir klare -europäische und nationale Regelungen für die Zulassung von Arzneimitteln zum Schutz der Patienten und zum besseren Schutz der Umwelt. Hier werden im Rahmen von Zulassungsverfahren Umweltauswirkungen abgeschätzt und bewertet. Bereits in der Amtszeit unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel als Bundesumweltministerin wurde das Umweltbundesamt, UBA, -federführend seit 1997 als mitprüfende Behörde eingesetzt. Man unterscheidet von der Systematik her allerdings zwischen Tier- und Humanarzneimitteln. Bei Tierarzneimitteln ist das Umweltbundesamt als sogenannte Einvernehmensbehörde tätig. Das heißt, es kann bei der Zulassung von Tierarzneimitteln Auflagen bestimmen, wenn es Gefahren für die Umwelt sieht, die sogar bis zur Versagung der Zulassung gehen können. So weitgehende Befugnisse gelten jedoch nicht für Humanarzneimittel. Bei diesen gibt es seit 2001 entsprechende Vorschriften zur Umweltprüfung, die allerdings nur für neue Arzneimittel gelten, während ältere auf dem Markt befindliche Arzneimittel erst einmal außen vor bleiben. Über die Machbarkeit einer solchen rückwirkenden Prüfung von etablierten Arzneimitteln kann man diskutieren. Rückstände von Arzneistoffen und Kosmetikrückständen, Waschmittelinhaltstoffe, Rückstände von Pflanzenschutz- und Düngemitteln oder Nanopartikeln gelangen ins Abwasser und damit in die Umwelt, und dies alles selbstverständlich grenzüberschreitend. Deshalb werden derzeit anthropogene Spurenstoffe in Gewässern bzw. im Trinkwasser zunehmend wegen der Vielfalt an Stoffen, deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zum großen Teil noch nicht bekannt sind, als komplexes Problem erkannt und diskutiert. Dieses Thema hat in den letzten Jahren sowohl die Fachwelt, die Medien als auch die Öffentlichkeit zunehmend beschäftigt. So war gerade die Belastung von Gewässern durch Arzneimitteleinträge Gegenstand einer sechs-jährigen Beratung einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für Chemikalien-sicherheit. Hier wurden richtungsweisende Messverfahren entwickelt. Aber es gibt noch Einiges zu tun; das ist uns allen bewusst. Uns muss aber auch allen klar sein, dass eine Lösung nur im europäischen Rahmen Sinn macht. Nicht nur Deutschland hat mittlerweile umfangreiche gesetzliche Regelungen im Bereich des Emissionsschutzes bzw. im Bereich der Chemika-lienbewertung, sodass genau geprüft werden kann, ob und welche Schadstoffe ins Wasser gelangen. Wir sind uns alle einig, dass die Belastung von Gewässern so gering gehalten werden muss wie nur möglich, aber gerade im Kleinstpartikelbereich lässt sich dies noch nicht überall realisieren. Was die Prüfung von gefährlichen Stoffen angeht, so ist der Standard auf europäischer Ebene weitgehend harmonisiert worden. Ständig werden die Bedingungen für eine sichere Nutzung im Rahmen des Stoffrechtes geprüft. So führt die REACH-Verordnung dazu, dass bis 2018 für einen Großteil der chemischen Stoffe Einstufungen und Kennzeichnungen verfügbar sind. Schon heute sind über 100 000 Stoffe so in einem Datenpool erfasst. Die bestehenden Informationslücken bei den sogenannten Altstoffen im Bereich Biozide, Industriechemikalien und Arzneimittel, werden bis 2020 abgebaut sein. Aber auch der Grundsatz der Verringerung der Spurenstoffe an der Quelle ist für uns die Basis zur Vermeidung der Umweltverschmutzung durch Spurenstoffe. Unser primäres Ziel muss also sein, diese Stoffe erst gar nicht in den Wasserkreislauf gelangen zu lassen. Die Information der Verbraucher über den verantwortungsvollen Umgang mit Produkten, die solche Stoffe enthalten, gilt es ständig zu verbessern, und es sollen Umweltverträglichkeit und mögliche Substitution kritischer Stoffe sowie Verwendungsbeschränkungen vorangetrieben werden. Um mögliche toxische Stoffe nicht in den Wasserkreislauf gelangen zu lassen, müssen alle wichtigen Informationen für den Patienten bzw. Bürger über den Umgang mit Produkten zugänglich gemacht werden. Daran arbeiten wir. Um die Bevölkerung zu sensibilisieren und die Bürgerinnen und Bürger aufzuklären, damit Verhaltensveränderungen in der Entsorgung von Arzneimitteln eintreten, stellt die Bundesregierung ein breites Angebot an Informationsmedien zur Verfügung. Hier möchte ich als Beispiel den Blauen Engel erwähnen oder auf die Informationen zur Vermeidung von Biozideinsatz seitens des Umweltbundesamtes aufmerksam machen. Außerdem werden von der Bundesregierung zahlreiche Institutionen im Rahmen der Verbändeförderung gefördert, die die Bürger zum Thema Chemikalien in Produkten aufklären. Sie sehen, das Bundesumweltministerium und die Bundesregierung wirken konstruktiv daran mit, die relevanten Fakten zu erfassen, zu analysieren und potenzielle Risiken zu bewerten und Lösungswege zu erarbeiten. Aber damit nicht genug: Die Bundesregierung sieht weiterhin Forschungsbedarf bei anthropogenen Stoffen in Gewässern und Böden durch Arzneimittelrückstände. Es werden derzeit mehrere Projekte gefördert oder sind in Planung. Da sind zum Beispiel Forschungsarbeiten, die sich mit der Frage befassen, ob die Belastung durch endokrine Disruptoren, das heißt Umwelthormone zunehmen oder nicht. Mit einem anderen Forschungsvorhaben soll das Biomonitoring von Arzneimitteln vorangetrieben werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert im -Rahmen seines Förderschwerpunktes „Nachhaltiges Wassermanagement“ insgesamt zwölf Verbundforschungsprojekte mit einem Finanzvolumen von 30 Millionen Euro. Hier werden Fragen zu den ökotoxiko-logischen Folgen von Gewässern und Böden durch Arzneimittelrückständen angegangen und beantwortet. Außerdem gibt es Bemühungen, eine bessere Datengrundlage hinsichtlich der Belastung von Umweltmedien mit Arzneistoffen zu erhalten. In diesem Zusammen-hang hat auch die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für Chemikaliensicherheit das Thema „Umweltrisiken durch Arzneimittel“ wieder aufgegriffen und wird weiteren Handlungsbedarf prüfen. Des Weiteren fördert das Bundesumweltministerium regelmäßig aus Mitteln des Umweltforschungsplans Vorhaben, die das Thema Erkennung der Risiken durch Arzneimittel für die Umwelt und Möglichkeiten der Risikominderung zum Gegenstand haben. Der vorliegende Antrag der Linken fordert die Einführung einer gesetzlichen Verpflichtung für Zulassungsnehmer und ein umfassendes Messprogramm zum Nachweis von Arzneistoffen in Umweltmedien durchzuführen. Grundsätzlich ist gegen ein solches Nachzulassungsmonitoring nichts einzuwenden. Es geht aber in der Form, wie der Antrag es vorschlägt, zu weit und wäre nicht gerechtfertigt. Selbst bei Pflanzenschutzmitteln gibt es keine Vorschriften, die so weit reichen. Des Weiteren fordert der Antrag eine gesetzliche Rücknahmeverpflichtung der nicht verbrauchten Arzneimittel durch die Apotheken. Dies wäre viel zu aufwendig und würde einen enormen bürokratischen Aufwand bedeuten. Auch hier sei auf die umfangreichen abfallrechtlichen Vorschriften verwiesen, die wir in den letzten Jahren in diesem Haus auf den Weg gebracht haben. Schließlich fordert der Antrag eine Änderung des deutschen Rechtes dahin gehend, dass bislang nicht durchgeführte Umweltprüfungen von Altarzneimitteln in der Verantwortung und auf Kosten der Zulassungsnehmer nachgeholt werden. Auch diese Forderung ist schlichtweg unrealistisch; denn eine solche Gesetzesänderung hätte nur auf EU-Ebene eine Chance auf Durchsetzung und Erfolg. Deshalb setzt sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene für eine bessere Vernetzung von Wasserrecht und Stoffrecht ein. Aus allen diesen Gründen wird die Unionsfraktion den Antrag der Fraktion der Linken ablehnen. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Ungefähr 3 500 Arzneimittelwirkstoffe sind in Deutschland zugelassen. Etliche davon werden im Körper nicht abgebaut. Über die Toilettenspülung gelangen sie in Bäche, Seen und Flüsse. Ungefähr 150 Arzneimittelwirkstoffe wurden bisher in den Gewässern nachgewiesen. Bereits 2003 hat das Monitoringprogramm der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für Chemikaliensicherheit, BLAC, ein realistisches Bild der Belastung der Umwelt mit Arzneimitteln geliefert. Arzneimittel wurden flächendeckend in den Oberflächengewässern nachgewiesen. Röntgenkontrastmittel haben die höchsten Konzentrationen, gefolgt von Diclofenac und dem Antiepileptikum Carbamazepin. Das Rheuma- und Schmerzmedikament Diclofenac – auf Nummer zwei dieser Liste – hat nachgewiesene ökotoxikologische Effekte: Am Bayerischen Landesamt für Umwelt wurde 2004 untersucht, wie in der Realität vorkommende Konzentrationen auf Forellen wirken. Das Ergebnis: Nach vier Wochen waren die Kiemen verändert und die Nieren geschädigt. Diclofenac soll daher – so hat es die EU-Kommission vorgeschlagen – auf die Liste der prioritären Stoffe, also auf die Liste der Stoffe, die langfristig nicht mehr in die Gewässer gelangen sollen. Sowohl im -Europäischen Parlament als auch im Bundesrat hat die Debatte darüber deutlich gemacht: Es ist unklar, ob die wissenschaftliche Bewertung so weit ist, für -Gewässer Umweltqualitätsnormen für Arzneimittel festzulegen. Außerdem müssen den Patientinnen und Patienten weiterhin wirksame Medikamente zur Verfügung stehen. Dies entbindet uns aber nicht davon, den Eintrag von Arzneimitteln in die Gewässer zu vermindern. Das Umweltbundesamt hat dazu ja Vorschläge gemacht. Letztendlich schlägt das UBA eine Minimierungsstrategie vor, die von einem umfassenden Umweltmonitoring begleitet wird. Das ist ein vernünftiges Konzept. Eine Umweltbewertung ist mittlerweile für neu zuzulassende Arzneimittel vorgesehen. Bei Tierarzneimitteln kann die Umweltbewertung zur Nichtzulassung führen, bei Arzneimitteln für den Menschen können Auflagen festgelegt werden. Dies ist ein wichtiger Schritt. Kümmern müssen wir uns um die Medikamente, die noch ohne Umweltbewertung zugelassen wurden. Eine nachträgliche Umweltbewertung für all diese Medikamente schießt aber über das Ziel hinaus. Eine Kombination aus Umweltmonitoring und Bewertung der Wirkstoffe mit Umweltrelevanz scheint mir angemessen. Wir wollen, dass weniger Arzneimittel in die Gewässer gelangen. Problematisch ist, dass es sich vielfach um diffuse Einträge handelt. Während Rönt-genkontrastmittel in Krankenhäusern herausgefiltert werden können, bevor sie ins Abwasser gelangen, wird Diclofenac zu Hause eingenommen. Das macht es schwer, die Wirkstoffe wieder aus dem Wasser zu filtern. Eine vierte Reinigungsstufe bei kommunalen Kläranlagen ist nicht zu finanzieren, sie macht nur Sinn bei Punkteinträgen – wie zum Beispiel den Kon-trastmitteln im Krankenhaus. Was kann man tun? Das UBA empfiehlt eine Informationskampagne, um die Bevölkerung über die richtige Entsorgung von Arzneimitteln zu informieren und einheitliche Entsorgungswege zu schaffen. Es muss klar sein: Altmedikamente gehören in die graue Tonne. In den Müllverbrennungsanlagen werden die arznei-lichen Wirkstoffe so zerstört, dass kein Eintrag in die Umwelt mehr erfolgen kann. Sie gehören nicht ins Klo gespült. Das UBA empfiehlt weiter, Ärzte und Apotheker über die Umweltwirkungen von Arzneimitteln zu informieren und ein Klassifikationssystem zu schaffen. Damit könnte die Umweltwirkung in die Auswahl der Medikation einfließen. Zusätzlich müssen wir den Eintrag von Arzneimitteln aus der Tierhaltung minimieren. Mit der Umweltbewertung von neuen Arzneimitteln ist bereits ein wichtiger Schritt gemacht. Es geht – und das mahnt die Linke in ihrem Antrag zu Recht an – jetzt darum, weiterzugehen. Das bedeutet für mich: Wir brauchen ein Umweltmonitoring, und wir brauchen eine umsetzbare und finanzierbare Minimierungsstrategie, die auch den Interessen der Patienten und Patientinnen gerecht wird. Das müssen wir anpacken. Horst Meierhofer (FDP): Die Linke macht einen Vorschlag, und – wie sollte es anders sein – der Vorschlag ist unreif, weil er einfach nicht zu Ende gedacht wurde. Sie werfen ein Problem auf, das die Koalition und die Bundesregierung seit einiger Zeit bereits beschäftigt. Es ist richtig, dass Altarzneimittel in relevanten Größenordnungen fälschlicherweise über Toiletten und Spülbecken ins Abwasser gelangen. Es ist auch richtig, dass einige Wirkstoffe zum Teil unverändert über Ausscheidungen ins Abwasser gelangen. Diese Fakten haben dazu geführt, dass wir in Europa auf Bestreben der Bundesregierung Hormone zum Beispiel bei der Antibabypille oder auch Wirkstoffe wie Diclofenac als prioritäre Stoffe stärker beobachten und entsprechende Maßnahmen wie zusätzliche Reinigungsstufen in besonders betroffenen Gebieten durchführen lassen. Jetzt geht es Ihnen aber natürlich nicht darum, sich mit unseren Maßnahmen auseinanderzusetzen. Sie bringen zwei Vorschläge, mit denen Sie das Wasser noch stärker von Medikamenten befreien wollen. Das eine ist die verpflichtende Einführung eines Medikamentenrücknahmesystems für Apotheken, und das andere die Einführung eines ständigen Umweltmonitorings für jeden zugelassenen Arzneistoff. Beide Vorschläge überzeugen mich nicht. Neben der Rücknahmepflicht alter Medikamente durch die Apotheken wollen Sie auf diese Abgabemöglichkeit auf jedem Beipackzettel hinweisen. Dadurch hoffen Sie, das Gegenargument zu entkräften, dass eine solche Rücknahmepflicht nichts bringt. Ich muss Sie leider trotzdem darauf hinweisen: Diese Rücknahmepflicht bringt nichts. Sie schaffen zusätzliche Vorschriften und erzielen keine positive Wirkung. Wie Sie sicherlich wissen, machen die Apotheken mit den Medikamenten nichts anderes als das, was passiert, wenn man sie über den Hausmüll entsorgt. Sie werden verbrannt. Gelegentlich gibt es sogar Apotheker, die Chemikalien und Medikamente nicht sachgerecht entsorgen. So hat zuletzt im Mai vergangenen Jahres ein Apotheker in Memmingen durch die Entsorgung über das Abwasser für einen Großeinsatz der Polizei und Feuerwehr gesorgt. Der entscheidende Punkt ist aber: Einige von denjenigen, die bereits jetzt Medikamente sachgerecht im Hausmüll entsorgen, machen sich dann vielleicht die Mühe, alte Arzneimittel tatsächlich zur Apotheke zu bringen. Die meisten anderen tun dies aber vermutlich nicht. Mit Ihrem Vorschlag werden Sie diese meisten anderen jetzt aber nicht mehr darüber informieren können, dass die Entsorgung über den Hausmüll die richtige Alternative ist. Damit steigt mangels Information voraussichtlich der Anteil derjenigen, die Medikamente falsch entsorgen. Unser größtes Interesse ist aber vor allem, die Berührung mit Wasser weitgehend zu vermeiden. Ihr Vorschlag führt damit nicht nur dazu, dass überhaupt kein Vorteil erzielt wird. Er birgt sogar das Risiko, dass das Gegenteil von dem passiert, was Sie sich wünschen. Ich bin dafür, im Beipackzettel auf die richtige Entsorgungsart hinzuweisen: die Restmülltonne. Ihr Vorschlag ist allerdings kontraproduktiv. Auch für die andere Frage liefert die Linke eine falsche Antwort. Sie glauben, durch ein umfassendes Umweltmonitoring die Gewässer besser zu schützen. Ich glaube, Sie verrennen sich. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, der Gewässerschutz steht für mich an oberster Stelle. Und dennoch: Ihr Vorschlag wird der Sache nicht gerecht. In Deutschland führt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinforschung momentan 91 482 zugelassene Arzneimittel auf. Darunter sind Arzneimittel und Wirkstoffe, die in großer Menge abgesetzt werden, und solche, die nur in sehr geringen Stückzahlen und ausschließlich in Krankenhäusern eingesetzt werden. Bei jedem neu zugelassenen Arzneimittel findet eine Umweltbewertung statt. Sie wollen nach der Zulassung für jede Substanz eine Überwachung der Auswirkungen einführen. Mir ist nicht klar, ob Sie den Umfang dieser Überwachungsmaßnahmen richtig einschätzen können. Für fast 100 000 Medikamente sollen ständige Prüfungen im Wasser und Boden durchgeführt werden. Die dafür erforderlichen Laborkapazitäten und Kosten sind gigantisch. Für viele der Wirkstoffe bestehen noch überhaupt keine Messverfahren. Wie gehen Sie mit diesen um? Und was ist dann? Einmal angenommen, Sie hätten für jeden erdenklichen Wirkstoff eine belastbare, natürlich unter Berücksichtigung der regionalen Besonderheiten erstellte Aussage über die Konzentration in den verschiedenen Gewässern. Dann wollen Sie einen Auftrag an das Umweltbundesamt erteilen, inwieweit stärkere Auflagen für die Anwendung von Arzneimitteln zu einer Verbesserung der Wasserqualität führen. Und dann? Dann ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Wenn es sich nämlich um ein nutzbringendes Medikament handelt – und genau das wird in der Zulassung bekanntlich geprüft –, dann hilft Ihnen die Aussage, dass es wassergefährdend ist, nicht weiter. Sollte etwa ein wassergefährdendes, aber hochwirksames Krebsmedikament erlaubt oder nicht erlaubt werden? Sie müssten dann zwischen Gesundheit und Umwelt abwägen. Denn das kann das Umweltbundesamt mit Sicherheit nicht. Ich finde unseren Weg deutlich besser. Wir konzentrieren unsere Kapazitäten auf die Wirkstoffe, die wir aufgrund der Menge und durchgeführten Umweltbewertungen für besonders problematisch halten, und suchen nach sinnvollen Lösungen, um den Eintrag in das Wasser effektiv zu verringern. Damit erreicht man schneller und besser Ergebnisse als mit Ihrem Vorschlag. Die Linke will ein bürokratisches Monster erschaffen, Unsummen finanzieller Mittel der Hersteller aufwenden und wird am Ende dabei nichts erreichen. Ich halte Ihren Vorschlag für das gut gemeinte und schlecht gemachte Unterfangen, durch viel zu viele Aufgaben die Verwaltung zu erdrosseln und damit für niemanden einen Vorteil zu erzielen. Das ist bedauerlicherweise ein Wesenszug Ihrer Politik. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Proben aus unseren Flüssen erschrecken Fachleute, immer mehr Reste von Arzneimitteln, Kontrastmitteln und Hormonpräparaten finden sich im Wasser. Das Umweltbundesamt stellte fest: Einer unserer beliebtesten Speisefische, der Zander, hat Probleme. Den Zanderfamilien gehen die Männer aus, es gibt nur noch halb so viele Kerle wie üblich und nötig. Damit die Zanderpopulation überleben kann, braucht es wieder mehr Männer unter der Wasseroberfläche. Der Zander ist nur ein Beispiel. Viele Tierarten leiden unter den Abfällen der Wirtschaft und in diesem Fall unserer Gesundheitswirtschaft. Die Naturfreunde und Umweltschützer in EU und UBA haben auch sofort die passende technische Lösung parat: Die vierte Reinigungsstufe für Klärwerke muss her. Anfangen will man in den Großstädten und dann das Problem Klärwerk für Klärwerk abarbeiten. Die Projektbüros frohlocken, die Bauindustrie reibt sich die Hände, und die Klärwerkslobby träumt von neuen Rekorden. Zwischen 2 und 3 Euro Mehrkosten je Kubikmeter Abwasser würden entstehen, schätzte man im Schweriner Umweltministerium. Ich will das mal für eine Thüringerin hochrechnen. Also, wir brauchen im Thüringer Durchschnitt etwa 80 Liter Wasser am Tag. Das sind bei 365 Tagen im Jahr 29 200 Liter oder 29 Kubikmeter. Da wir Politiker uns bei Preisen, wie zum Beispiel bei Stuttgart 21, eher zu niedrig orientieren, rechne ich mit 3 Euro weiter. 29 Kubikmeter mal 3 Euro pro Kubikmeter sind 87 Euro Mehrkosten im Jahr. Für uns 2,4 Millionen Thüringerinnen und Thüringer ergibt das ein zusätzliches jährliches Geschäftsvolumen von 210 Millionen Euro allein in Thüringen. Wer soll das bezahlen? Die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen im Freistaat? Schon jetzt zahlt die Thüringer Landesregierung jährlich über 73 Millionen Euro, damit die Kostenexplosion bei Abwassergebühren und Beiträgen, durch die zweite und dritte Reinigungsstufe und zentralisierte Abwasserbehandlung ausgelöst, sozialverträglich abgemildert wird. Vor dem Thüringer Verfassungsgericht liegt der Antrag eines Volksbegehrens, von mehr als 25 000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern getragen, der sich gegen überhöhte Kommunalabgaben richtet, auch und insbesondere beim Abwasser. Wer in dieser Situation eine weitere Gebührenerhöhung auslöst, gefährdet den sozialen Frieden unserer Republik und im Übrigen auch seine eigene Wiederwahl. Was tun? Die Umwelt schreit nach Hilfe, und viele Bürgerinnen und Bürger können diese nicht mehr schultern. Keine Medikamente sind auch keine Lösung. Die Linke hat deshalb ein Konzept ausgearbeitet, wie es gelingen könnte, die Flüsse vom Medikamentencocktail zu entlasten, ohne dass der Abwasserpreis explodiert. Heute sprechen wir über unseren Antrag im Bundestag, der die Bundesebene umfasst, und meine Kolleginnen und Kollegen werden ergänzende Anträge auf Länderebene einbringen. Die Langzeitwirkungen von Arzneimitteln in Gewässern müssen besser bekannt werden, die Wirkung ihrer Substanzen und Zerfallsprodukte auf Tiere und Pflanzen müssen wir kennen. Deshalb fordern wir, dass die Bundesregierung dies zum Bestandteil der Zulassung von Medikamenten auf der EU-Ebene macht. Auch national müssen die Überwachung und Unter-suchung der Verbreitung und Wirkung von Medikamenten in der Umwelt entsprechend dem geschätzten Gefahrenpotenzial erfolgen. Als Ziel wollen wir erreichen, dass Wirkstoffe und Medikamente, welche keinen medizinischen Extranutzen im Vergleich zu anderen Mitteln haben, aber die Umwelt stärker belasten als andere wirkungsgleiche Medikamente, die Zulassung verlieren. Das ist ein Schritt, der langfristig für Entlastung in den Gewässern sorgen wird. Bis zur Änderung der Verpackungsverordnung im Jahr 2009 gab es ein herstellerfinanziertes Rücknahmesystem für Altarzneimittel. Dies wurde abgeschafft. Wohin also mit den Medikamenten, die übrig sind oder deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist? Dies fragen sich viele, wenn die Apotheke deren Annahme verweigert. Einige werfen Altarzneimittel in den Hausmüll – dies ist meistens richtig. Aber einige fabrizieren Mülltrennung: Die Verpackungen zu Verpackungen – und die Tabletten, die Tropfen ab in den Ausguss. Unendlich viele Punkte stehen auf den Beipackzetteln, aber der Entsorgungsweg von Resten fehlt zumeist. Eine gesetzliche Verpflichtung für ein erneutes herstellerfinanziertes Rücknahmesystem, das 2015 funktioniert, und eine Verpflichtung, dass der Entsorgungsweg auf der Verpackung und auf dem Beipackzettel steht, wäre ein erster, zwar kleiner, aber schneller Schritt, um einen Teil der Arzneimittelfracht aus dem Wasser zu bekommen. Auf der Länderebene fordert die Linke eine gezielte Vorreinigung oder getrennte Erfassung und Entsorgung der besonders mit Arzneimitteln belasteten Abwässer zum Beispiel aus Kliniken und Pflegeeinrichtungen. Das reduziert die Mengen des zu reinigenden Abwassers und erleichtert wegen der höheren Konzentration von Schadstoffen die Klärtechnik. Als Mann, Vater und Liebhaber von gebratenem Zanderfilet habe ich Angst, Angst, dass wir uns über das Essen selbst vergiften, Angst, dass die Männer, wie die Zander, zeugungsunfähig werden und ich vielleicht keine Enkel erlebe. Und als Vater und Bürger habe ich Angst, dass für viele Mitbürger das Leben unbezahlbar wird und es deshalb zu sozialen Unruhen mit unabsehbaren Folgen kommt. Deshalb bitte ich Sie: Folgen Sie unseren Vorschlägen, notfalls kopieren Sie diese. Wir stellen diese Vorschläge nicht unter das Urheberrecht. Helfen Sie bitte mit, damit sich die Zanderfamilien gesund in sauberem Wasser vermehren und sich alle die Abwassergebühren leisten können, damit wir ohne den Wahnsinn einer vierten Reinigungsstufe in kommunalen Klärwerken die Umwelt und unsere Gesundheit schützen und ich ohne Angst und Gewissensbisse Zander genießen kann. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verbraucherinnen und Verbraucher wissen derzeit nicht, wohin mit abgelaufenen Arzneimitteln. Uns allen ist bekannt, dass eine sachgerechte Entsorgung derzeit nicht sichergestellt ist. Viele Apotheken verweigern seit einer Änderung der Verpackungsverordnung die Annahme von Altmedikamenten. Bis 2009 gab es ein etabliertes Rückgabesystem bei den Apotheken, organisiert durch Hersteller und Handel. Heute gibt es kein flächendeckendes Entsorgungssystem; nur einige wenige Apotheken nehmen Altmedikamente weiterhin an und sorgen für die sichere Entsorgung – meist auf eigene Kosten. Die Bundesregierung empfiehlt, Altmedikamente über den normalen Hausmüll zu entsorgen. Der Minister scheint dies als ausreichend anzusehen, zumindest ergibt dies die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Juni 2011. Wie wir ist auch das Umweltbundesamt anderer Ansicht. Es empfiehlt auf seiner -Internetseite nachdrücklich: „Medikamentenreste NICHT über den Ausguss und das Klo oder den Hausmüll entsorgen!“ Das UBA fordert weiterhin, „unverbrauchte Arzneimittel über Apotheken und Schadstoffsammelstellen zu entsorgen“. Zu viele Altmedikamente, insbesondere flüssige Arzneien, werden jetzt über die Toilette entsorgt. Viele Wirkstoffe können aber in den Kläranlagen nicht abgebaut werden. Diese finden wir anschließend in unseren Gewässern wieder – mit unangenehmen Folgen. So wurden unterhalb der Kläranlagen bereits Verweiblichungen bei männlichen Fischen nachgewiesen. Außerdem endet der giftige Cocktail im Trinkwasser. Ursache sind letztlich auch die Unklarheiten bei der Entsorgung. Es gab bis 2009 einen gut funktionierenden Entsorgungsweg, der von der Bevölkerung angenommen wurde: die kostenlose Annahme in den Apotheken. Weil dieses vernünftige System abgeschafft wurde, haben wir jetzt einen Flickenteppich an „Lösungen“. Diese sind von Kommune zu Kommune unterschiedlich. Damit nimmt das Ministerium die steigende Gefahr durch unsachgemäße Entsorgung über Toiletten und Abflüsse in Kauf. Wir brauchen die Möglichkeit der Rückgabe in den Apotheken als sinnvolles Angebot an Verbraucherinnen und Verbraucher. Eine Pflicht zur Abgabe in Apotheken, wie von der Fraktion der Linken gefordert, halten wir jedoch für falsch. Wir haben aber noch weitere Probleme; denn Medikamente gelangen auch über andere Wege in die Gewässer. Sie werden zum Beispiel von Menschen und Tieren ausgeschieden, und ihre Bestandteile sind weiterhin wirksam. Gülle und Klärschlamm, die häufig als Dünger eingesetzt werden, enthalten neben Nährstoffen auch Substanzen wie Schwermetalle und Arzneimittelrückstände. Dringend notwendig ist daher die Begrenzung von Schadstoffeinträgen in Böden und Grundwasser in den verschiedenen Verordnungen, die Gewässer-, Bodenschutz-, Landwirtschafts- und Abfallpolitik betreffen. Über den heute zur Beratung anstehenden Linken-Antrag hinaus sehen wir die Notwendigkeit, auch das Chemikalien- und das Arzneimittelrecht auf diese Probleme einzustellen. Es sind neben den Rückständen von Arzneimitteln auch Chemikalien aus Alltagsprodukten, die die Gewässer massiv belasten. Ein bekanntes Beispiel sind die perfluorierten Tenside (PFT). PFT sind langlebige organische Chemikalien, die in der Natur nicht vorkommen. Sie werden in einer Vielzahl von Alltagsprodukten verwendet. Bei jedem Waschen aber lösen sich kleinste PFT-Partikel von den Produkten und gelangen über kurz oder lang in die Umwelt. Lange wurde das Problem unterschätzt und negative Auswirkungen der PFT auf verschiedenste Organismen negiert. Mittlerweile sind diese nachgewiesen. Im Rahmen des europäischen Chemikalienrechts wurde der Einsatz von zumindest einer PFT-Stoffgruppe weitgehend verboten. Was bleibt, sind jedoch weiterhin die Belastungen durch das sich bereits in der Umwelt befindliche PFT und andere PFT-Stoffgruppen. Wir brauchen einen vorsorgenden Gewässerschutz, bevor sich die Umweltprobleme massiv ausweiten. Wir Grüne wollen ein fachrechtübergreifendes Vorsorgekonzept mit strengen Grenzwerten für Stoffeinträge aller Art in unsere Gewässer und ein systematisches, bundesländerübergreifendes Arzneimittelmonitoring. Dies geht über den Antrag der Linken noch deutlich -hinaus. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11897 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann haben wir das so beschlossen. Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b sowie Zusatzpunkt 7: 28 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Spahn, Dietrich Monstadt, Michael Grosse-Brömer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Jens Ackermann, Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP Revision der europäischen Medizin-produkte-Richtlinien: Vertrauen wieder herstellen – Patientensicherheit bei Medizinprodukten muss erste Priorität sein – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherheit, Wirksamkeit und gesundheitlichen Nutzen von Medizinprodukten besser gewährleisten – Drucksachen 17/11830, 17/8920, 17/12088 – Berichterstattung: Abgeordneter Dietrich Monstadt b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mehr Sicherheit bei Medizinprodukten – Drucksachen 17/9932, 17/11312 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Harald Terpe ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Kathrin Vogler, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Opfer des Brustimplantate-Skandals unterstützen – Keine Kostenbeteiligung bei medizinischer Notwendigkeit – Drucksachen 17/8581, 17/12092 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Marlies Volkmer Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Wenn man die aktuelle öffentliche Debatte zur Sicherheit von Medizinprodukten verfolgt, soll man den Eindruck gewinnen, die Politik wäre erst durch einen Skandal um schadhafte Brustimplantate aus dem Dornröschenschlaf erwacht und würde dem Thema keine Aufmerksamkeit schenken. Dies ist unzutreffend. Wir handeln. Wir haben in der letzten Legislaturperiode das Medizinproduktegesetz, MPG, welches die Umsetzung dreier europäischer Richtlinien in nationales Recht darstellt, überarbeitet. Unter anderem trat im Frühjahr 2010 die Medizinprodukte-Klinische-Prüfungsverordnung, MPKPV, in Kraft, welche eine Vereinheitlichung des Einreichungsverfahrens von klinischen Prüfungen und eine Bündelung in den einzelnen Bundesländern beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI, brachte. Dieses System hat sich bewährt und stellt eine bürokratische Erleichterung dar. Seit der zweiten Jahreshälfte 2011 arbeitete man in Brüssel an einer Überarbeitung der europäischen Medizinprodukterichtlinien, die auch in Deutschland mit Spannung erwartet wurde, regeln diese Richtlinien doch die deutsche Medizinproduktegesetzgebung weitgehend durch harmonisierte Rechtsvorschriften. Es wurde der Probebetrieb eines von der Industrie und den Krankenkassen finanzierten Endoprothesenregisters aufgenommen, welcher von der Bundesregierung finanziell unterstützt wurde. Durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Medizinproduktegesetzes wird die Überwachung im Medizinproduktebereich durch die zuständigen Behörden der Bundesländer ab dem 1. Januar 2013 zentralisiert und spürbar optimiert. Ende Dezember 2011 wurde der Fall des französischen Herstellers für Brustimplantate Poly Implant Prothese, PIP, bekannt. Wie man heute weiß, hatte die Firma Brustimplantate, die auch nach Deutschland geliefert wurden, nicht mit Silikon medizinischer Qualität, sondern mit billigerem Industriesilikon befüllt, welches ein zwei- bis sechsfach erhöhtes Risiko für Rupturen, Risse, aufweist. Die Folge war, dass Frauen sich aufgrund drohenden oder bereits erfolgten Sili-konaustritts die Implantate explantieren lassen mussten. Dieser für die Betroffenen äußerst bedauernswerte Fall ist nun Ausgangspunkt einer Debatte über die Sicherheit von Medizinprodukten und deren Markteinführung und Marktüberwachung generell geworden. Es ist in der Sache richtig, dass wir uns mit dem Thema Sicherheit von Medizinprodukten beschäftigen. Deshalb erörtere ich hier den Antrag der Regierungskoalition. Ich möchte aber betonen, dass es nicht zielführend ist, einen kriminellen Fall wie PIP zu emotionalisieren und die Fakten aus dem Blick zu verlieren. Wir brauchen kein hastiges Rufen nach Verschärfungen im Zuge eines aufgetretenen Skandals, sondern müssen eine an der Sache orientierte Debatte führen. Welches sind die großen Streitfragen beim Thema Medizinproduktesicherheit? Erstens. Marktzugangsvoraussetzungen. Für die CDU/CSU-Fraktion hat -Patientensicherheit oberste Priorität, weshalb wir kurzfristig eine spürbare Verbesserung der Sicherheit erreichen wollen – hauptsächlich im Bereich der Marktüberwachung. Dem Patienten soll dabei gleichzeitig weiterhin der schnelle Zugang zu innovativen Medizinprodukten erhalten bleiben. Auch die Oppositionsfraktionen haben den Vorfall PIP zum Anlass genommen, Änderungen an bestehenden gesetzlichen Regelungen bei Medizinprodukten zu fordern. In einigen Punkten, die den Bereich Marktüberwachung tangieren, stimmen diese Anträge der Koalitionsmeinung zu. Die Regierungskoalition ist sich jedoch einig, dass wir eine staatliche oder behördliche Zulassung von Medizinprodukten der hohen Risikoklassen II b und III mit einer Nutzenbewertung wie bei Arzneimitteln – anders als die Opposition – ablehnen. An dieser Stelle sei in Kürze der Antrag der Fraktion Die Linke erwähnt, der weniger weitreichend ist. Hier wurde lediglich gefordert, die Folgekosten des PIP-Skandals nicht den Betroffenen und den Krankenkassen in Rechnung zu stellen wie aktuell nach § 52 Abs. 2 SGB V. Wir lehnen diesen Antrag ab. Schon eine oberflächliche Betrachtung zeigt die Unzulänglichkeiten. Der PIP-Hersteller, der laut der Fraktion Die Linke zu belangen wäre, ist längst insolvent. Ginge es nach der Fraktion Die Linke, wäre den Opfern noch heute nicht geholfen. Dem deutschen Steuerzahler die Kosten für Explantationen für in der Mehrzahl freiwillige Schönheitsoperationen aufzubürden, entspricht ebenfalls nicht meinem Weltbild. Die Lösungsansätze der Regierungskoalition suchen wir primär innerhalb des derzeitigen Marktzugangs- und Überwachungssystems. Damit Medizinprodukte auf dem europäischen Markt in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden können, müssen sie mit einer CE-Kennzeichnung versehen werden. Die CE-Kennzeichnung darf nach europäischem Recht nur angebracht werden, wenn das Produkt die in den einschlägigen Richtlinien vorgegebenen grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfüllt hat. Diese sind umfangreicher als offensichtlich manch einem Kritiker bekannt ist. Durchgeführt werden muss eine Risikobewertung, ein Verfahren des Risikomanagements zur Minimierung von Risiken, eine klinische Bewertung auf der Grundlage klinischer -Daten, eine Analyse des Verhältnisses von Patientennutzen zu vorhandenen Risiken. Zudem muss ein der Risikoklasse des Produkts angemessenes Konformitätsbewertungsverfahren erfolgreich durchgeführt werden. Bei Produkten mit höherem Risiko muss der Hersteller eine unabhängige Prüforganisation, eine benannte Stelle, in Deutschland zum Beispiel Dekra oder TÜV, in die Konformitätsbewertung des Produktes einbeziehen. Die benannten Stellen werden durch staatliche Behörden zugelassen und überwacht. Einfluss auf den Marktzugang von Medizinprodukten übt der Staat damit über die Akkreditierung, Benennung und Überwachung der benannten Stellen aus. Daneben unter-liegen die Hersteller der Marktüberwachung, die in Deutschland von den Behörden der Bundesländer ausgeführt wird. Der Unterschied in der Zulassung zwischen Medizinprodukten und Arzneimitteln ist somit kleiner als häufig von der Opposition behauptet. Dass bei Medizinprodukten eine benannte Stelle die Einhaltung der strengen Kriterien überprüft, hat gute Gründe. Die Bandbreite bei Medizinprodukten ist -wesentlich größer als bei Arzneimitteln. Rollstühle, Beatmungsgeräte, Kontaktlinsen, Endoskope, Herzschrittmacher, Gefäßklemmen oder Stents sind in den Anforderungen an Bewertungsexpertise sehr verschieden voneinander. Somit müsste im Vergleich eine staatliche Behörde einen Personalstab vorhalten, der nicht finanzierbar wäre. Eine staatliche Behörde müsste als Beispiel einen Experten für künstliche Herzklappen ganzjährig in Vollzeit anstellen, wobei er wahrscheinlich nur zwei Produkte pro Jahr zulässt. Gleichzeitig interagieren Medizinprodukte in der Regel nicht chemisch mit dem menschlichen Körper, weshalb die Studien oft technischer angelegt sind. Darüber hinaus kommen bei Medizinprodukten oft viel kleinere Stückzahlen im Verkauf zum Einsatz und die Modellspanne ist sehr groß. Ein Arzneimittel kann, einmal getestet, jahrelang unverändert und in hoher Anzahl verkauft werden. Medizinprodukte hingegen werden ständig weiterentwickelt. Kniegelenksprothesen oder Herzschrittmacher beispielsweise werden permanent minimal optimiert und den Patientenbedürfnissen angepasst, noch dazu oft von kleinen bis mittelständischen und sehr innovativen Unternehmen. Für diese wäre es schlicht nicht leistbar, wenn bedeutend längere Zulassungsdauern, Innovationszyklen und höhere Studienkosten wie bei Arzneimitteln etabliert würden. Weiterhin gestaltet sich ein randomisiertes und doppelt verblindetes Studiendesign wie bei Arzneimitteln als nicht durchführbar. Einen Placebo-Herzschrittmacher habe ich jedenfalls noch nicht zu Gesicht be-kommen. Und ich denke, Sie können mir nicht viele -gesunde Freiwillige zeigen, die sich für Studien ein künstliches Kniegelenk einsetzen lassen. Selbstverständlich soll die Sicherheit und der Nutzen für den Patienten überprüft werden – dies geschieht bereits jetzt. Jedoch kann die Arzneimitteltestung nicht eins zu eins auf Medizinprodukte übertragen werden. Zweitens. Marktüberwachung. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP sieht grundsätzlich keinen Änderungsbedarf am New Approach mit Konformitätsbewertung als Marktzugangsvoraussetzung. Teilweise erheblichen Nachbesserungsbedarf gibt es jedoch im Rahmen der Marktüberwachungsprozesse. Erst der jüngst im British Medical Journal veröffentlichte Fall, bei dem benannte Stellen in Ungarn, der Tschechischen Republik und der Slowakei bereit gewesen sein sollen, Medizinprodukte zu zertifizieren, die kein CE-Kennzeichen hätten erhalten dürfen, macht deutlich, dass eine stärkere Kontrolle der benannten Stellen durch die Zulassungsbehörden der einzelnen Mitgliedstaaten erfolgen muss. Vollzugsdefizite müssen aufgehoben werden und eine Reakkreditierung sollte erfolgen. Es ist deshalb zwingend erforderlich und richtig, die Marktüberwachung EU-weit zu vereinheitlichen, die Zulassung der benannten Stellen besser zu überwachen und der Kommission Kontrollrechte einzuräumen, sodass die Möglichkeit eines Einschreitens besteht. Deshalb begrüßen wir den Entwurf einer EU-Verordnung, der dies so vorsieht und in Verordnungsform das richtige Rechtsmittel darstellt. Gleichzeitig benötigen die benannten Stellen weitergehende Rechte, Stichproben beim Hersteller zu nehmen. Die Kontroll- und Überwachungsbehörden der Länder müssen Kontrollen von im Markt befindlichen Medizinprodukten in Form von Stichprobennahmen durchführen. Auch das von der Opposition ins Feld geführte Argument, Medizinprodukte könnten zu einfach über die Regelung der Substantial Equivalence bzw. Produktgleichheit in den Markt kommen, ist streng genommen kein Problem der Zulassung. Teilweise wird diese Regelung zu großzügig bei der Überprüfung von Produkten durch die benannten Stellen herangezogen, für die sie nicht ausgelegt ist – Beispiel Metall-auf-Metall-Hüftendoprothesen. Scheinbar besteht hier bei den -benannten Stellen Ermessensspielraum. Dies gilt es zu konkretisieren oder abzuschaffen. Die sich hieraus ergebenden Forderungen der Koalition: Mit dem Antrag der Koalition aus CDU/CSU und FDP, der als einziger im Gesundheitsausschuss eine Mehrheit gefunden hat, fordern wir eine Beibehaltung des New Approach und insbesondere eine Verbesserung der Marktüberwachung. Wir begrüßen den Entwurf einer Verordnung – Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Medizinprodukte und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 –, der im Duktus mit unseren Forderungen übereinstimmt, an einigen Stellen jedoch einiger Präzisierung bedarf. Unsere Forderungen zur Umsetzung im EU-Recht in einzelnen Punkten sind: bessere Überwachung der benannten Stellen, Sanktionsmöglichkeiten der Kommission bei Nichteinhaltung, mehr Rechte für unangemeldete Kontrollen und Produktprüfungen durch benannte Stellen beim Hersteller, obligatorische, unangemeldete Kontrollen durch nationale Behörden bei Produkten der Klassen II b und III im Handel und bei Gesundheitseinrichtungen, Einführung eines Systems zur eindeutigen Identifizierung von Medizinprodukten mit weltweit einheitlichem Mindestdatensatz, obligatorisches Aushändigen eines Implantatepasses mit relevanten Identifizierungsdaten und Patienten-informationen wie Haltbarkeit und Termine der Kon-trolluntersuchungen an Patienten durch die entsprechende Gesundheitseinrichtung, Verpflichtung aller Mitgliedstaaten zur Etablierung eines Implantatregisters mit einem einheitlichen Mindestdatensatz, im Sinne des Patientenschutzes Gleichbehandlung von Einmal- und Mehrfachprodukten bei der Inverkehrbringung, Weiterentwicklung des CE-Kennzeichens in ein medizinproduktspezifisches Gütesiegel, beispielsweise CE-med. Im nationalen Recht muss die bereits bestehende Aufzeichnungs- und Meldepflicht gemäß Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung durch eine Sanktion bewehrt werden. Sollten die Verdachtsfälle bestätigen, dass in einigen europäischen Ländern Mängel bei der Überwachung der benannten Stellen bestehen, fordern wir die Bundesregierung auf, sich bei den Verhandlungen einer EU-Verordnung für eine zeitnahe Lösung einzusetzen. In einem europäischen Binnenmarkt mit freiem Warenverkehr wäre ein solcher Zustand unhaltbar. Gleichzeitig fordern wir die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass bei der Umsetzung einer EU-Verordnung das bestehende hohe Regelungsniveau im deutschen Medizinprodukterecht nicht unterschritten werden darf. Wie ich dargelegt habe, besteht kein Anlass, grundsätzlich vom bewehrten Zulassungssystem der Konformitätsbewertung und CE-Zertifizierung Abstand zu nehmen. Kriminelles Handeln wie beim PIP-Skandal verhindert man bedauerlicher Weise auch durch das strengste Gesetz nicht. Es besteht allerdings ein Regelungs- und Vollzugsdefizit im Bereich der Marktüberwachung. Um eine schnelle und spürbare Verbesserung der Patientensicherheit zu erreichen, unterstützen wir den Entwurf einer Verordnung der Europäischen Kommission, MDD, und fordern die Bundesregierung auf, diese Ziele bei den Verhandlungen in Brüssel umzusetzen. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Vor etwa einem Jahr sorgte der Vorfall um Brustimplantate der französischen Firma PIP für umfassende Diskussionen über das bestehende Medizinprodukterecht. Das Unternehmen hatte illegalerweise billiges Industriesilikon zur Herstellung verwendet. Die Implantate zersetzten sich im Körper und standen im -Verdacht, das Krebsrisiko zu erhöhen. Bereits vorher hatte es Vorfälle mit gebrochenen Endoprothesen oder Absonderungen von Schwermetallen bei Implantaten gegeben. Die Betroffenen erhielten oft keinerlei Unterstützung und die Kosten für den Austausch wurden von den Herstellern auf die Sozialversicherung oder – noch schlimmer – auf die Patientinnen und Patienten abgewälzt. Es ist offensichtlich, dass es nicht nur bei der Marktüberwachung und Schadensregulierung von Medizinprodukten deutliche Defizite gibt, die Patientinnen und Patienten gefährden. Obwohl das potenzielle Gesundheitsrisiko einiger Medizinprodukte mit dem von Arzneimitteln durchaus vergleichbar ist, gelten für den Marktzugang von Produkten hoher Risikoklassen bislang andere Anforderungen als für Medikamente. Sie werden als technische Güter angesehen und nicht als medizinische, -daher wird ein CE-Siegel als ausreichend betrachtet, wie es zum Beispiel auch Toaster und andere Haushaltsgeräte erhalten. Mit dem Kennzeichen erklärt der Hersteller, dass sein Produkt den geltenden Anforderungen genügt. Dafür hat er in einem Konformitätsverfahren einer benannten Stelle gegenüber nach-gewiesen, dass die grundlegenden Anforderungen des Medizinproduktegesetzes eingehalten werden, dass das Medizinprodukt sicher ist und dass es die ihm zugeschriebenen medizinischen Leistungen erbringt. Dieses Zulassungsverfahren ist anfällig für Manipulationen. Die benannten Stellen sind private Unternehmen und verdienen an Beratung sowie Zulassung. Sie stehen zueinander in einem europaweiten Wett-bewerb und konkurrieren um den Preis, die Geschwindigkeit und Erfolgsaussichten einer Zertifizierung. Eine Undercover-Recherche des British Medical Journal hat aufgedeckt, wie bereitwillig benannte Stellen über fehlende Unterlagen und sogar Konstruktionsmängel hinwegsehen. Bereits im Juni vergangenen Jahres haben wir von der SPD daher mit dem heute ebenfalls vorliegenden Antrag Vorschläge gemacht, wie die Situation für die Patientinnen und Patienten wirksam verbessert werden kann. Eine sichere Behandlung mit sicheren -Medizinprodukten ist aus unserer Sicht ein essenzielles Patientenrecht. Neben einer Vielzahl anderer wichtiger Aspekte fehlt auch dieser Punkt im aktuellen Patientenrechtegesetz vollkommen. Unser Ziel ist, dass nur solche Medizinprodukte zugelassen werden, für die der Patientennutzen im Verhältnis zu den Risiken wissenschaftlich nachgewiesen und vertretbar ist. Daher setzen wir uns für eine europaweite amtliche Zulassung für die Medizinprodukte höherer Risikoklassen, also beispielsweise Implantate und Herzschrittmacher, ein. Um schnell einen besseren Schutz der Patientinnen und Patienten in Deutschland zu erreichen, sollen die Kosten für neu auf den Markt kommende Medizinprodukte der hohen Risikoklassen von den gesetzlichen Krankenkassen nur dann getragen werden, wenn ihr Patientennutzen im Verhältnis zu den Risiken nach-gewiesen und vertretbar ist. Zudem muss auch die Sicherheit von schon auf dem Markt befindlichen Medizinprodukten verbessert werden. Unter anderem müssen die Fertigungsstätten durch die benannten Stellen bei unangekündigten Besuchen kontrolliert werden. Auch ist es notwendig, Stichproben von Medizinprodukten aus dem Produktionsprozess zu ziehen und zu überprüfen. Durch ein Medizinprodukt geschädigte Patientinnen und Patienten müssten dadurch abgesichert werden, dass -Hersteller zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung verpflichtet werden und der Austausch von -fehlerhaften Implantaten bei Serienfehlern auf Kosten der Hersteller erfolgt. Zur schnellen Ermittlung betroffener Patientinnen und Patienten im Falle des -Bekanntwerdens von Problemen ist zudem ein entsprechendes Verzeichnis notwendig. Damit für Medizinprodukte Versorgungsforschung möglich wird, muss ein Implantateregister geschaffen werden. Dieses gibt Auskunft über regelmäßig auftretende Komplikationen bei Behandlungsmethoden und den dabei verwendeten Medizinprodukten. Um eine Verbesserung der völlig unzureichenden Informationslage zu erreichen, müssen Verstöße gegen bestehende Meldeverpflichtungen bei fehlerhaften -Medizinprodukten wirksam überwacht und spürbar sanktioniert werden. Überdies sollte bei unterlassenen Meldungen durch einen Arzt oder ein Krankenhaus eine Beweislastumkehr bei einem vermuteten Behandlungsfehler greifen, sodass Patientinnen und Patienten bei späteren gerichtlichen Auseinandersetzungen besser als heute gestellt werden. Sie sehen, wir haben uns intensiv mit der Thematik beschäftigt. Und was hat die schwarz-gelbe Regierung das ganze letzte Jahr getan? Nichts. Sie blieb das gesamte letzte Jahr über völlig untätig. Auch der von den Fraktionen der Union und FDP vorgelegte Antrag ist ein Schlag ins Gesicht der Patientinnen und Patienten. Die Koalition hält noch immer an dem Irrglauben fest, dass das bestehende System ausreichende Sicherheit für die Patientinnen und Patienten gewährleistet. Die Koalition versteckt sich hinter der EU-Gesetzgebung und bekennt sich zu einem Zulassungssystem, das erwiesenermaßen eine Gefährdung für Patientinnen und Patienten darstellt. Auf nationaler Ebene sehen die Kolleginnen und Kollegen von CDU, CSU und FDP keinerlei Handlungsbedarf. Folglich leistet ihr Antrag nur eins: Er beruhigt die Hersteller von Medizinprodukten. Sie können sich sicher sein, dass sich unter dieser Bundesregierung nichts ändern wird, weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene. Jens Ackermann (FDP): Nicht erst seit dem Aufdecken der skandalösen Betrügereien mit Implantaten im Dezember 2011 ist die Politik angehalten, sinnvolle Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit für Medizinprodukte zu entwickeln. Diese Position wurde im Antrag der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion sehr deutlich. Was sind eigentlich Medizinprodukte? Jeder von uns benutzt sie wahrscheinlich im alltäglichen Gebrauch. Das fängt an bei den immer wieder diskutierten Brustimplantaten, geht über Herzschrittmacher; aber auch Verbandmittel oder Kondome sind Beispiele für Medizinprodukte. In der aktuellen Diskussion geht es aber vor allem um Medizinprodukte der Klasse II b und Klasse III, zu denen die eben bereits erwähnten Herzschrittmacher oder Brustimplantate oder auch künstliche Gelenke gehören. Was uns in diesem Zusammenhang nicht hilft, sind populistische Ansätze zur Eigenprofilierung, die hier auf dem Rücken der Patienten und der Unternehmen ausgetragen werden. Sowohl die Linke-Fraktion als auch die Grünen-Fraktion hatten versucht, im Frühjahr 2012 daraus Kapital zu schlagen. Im vergangenen September machte dann die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Revision der Medizinprodukte-Richtlinie für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika. Die Kommission schlug vor, die Rechtsbestimmungen für Medizinprodukte klarer und breiter zu fassen, die Kontrollen über unabhängige Prüfungsstellen zu verschärfen, den Verbrauchern, Patienten und Mitarbeitern im Gesundheitswesen mehr Schutz zu bieten. Zudem möchte man den Zugriff auf innovative Produkte erleichtern und nur sichere Produkte auf den EU-Markt lassen. Wir haben uns anschließend in den Fachgremien der Koalitionsfraktionen mit dem Vorschlag der Kommission intensiv auseinandergesetzt und konnten im Dezember 2012 den vorliegenden Antrag einbringen. Dieser fordert eine schärfere Medizinprodukte-Richtlinie und soll heute beschlossen werden. Seit dem ersten Bekanntwerden des Skandals im Dezember 2011 wurde zunächst sehr viel, in jüngster Vergangenheit wieder weniger über die Sicherheit von Medizinprodukten in der Öffentlichkeit diskutiert. Es ist genau aus diesem Grund sehr wichtig, den Patienten Sicherheit zu bieten; auf der anderen Seite benötigen Patienten ebenfalls einen schnellen Zugang zu innovativen Medizinprodukten. Man muss doch nur einmal die Entwicklung der Medizin in den letzten zehn Jahren betrachten. Der rasante Fortschritt durch das Nutzen der modernen Informationstechnologie darf nicht durch schärfere Zulassungen behindert werden. Und politischer Aktionismus ist an dieser Stelle überhaupt nicht hilfreich, sondern politische Sacharbeit, die realistische und nachhaltige Lösungsansätze aufbieten kann, beschreibt den richtigen Weg. Die Lösungsansätze sollten innerhalb des bestehenden Systems gesucht werden, da eine Übergangsphase in ein neues System wiederum Jahre dauern könnte. Das heißt, zunächst sollen die bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten ausgereizt werden, bevor man einen vollständigen Systemwechsel in Erwägung zieht. Das heißt aber auch, dass wir keine Verschärfung der Zulassungskriterien möchten, da die Standards bereits heute sehr hoch angesetzt sind. Es geht um einheitliche internationale Standards, letztlich auch bei den Kontrollen und Produktprüfungen, die unangekündigt durchzuführen sind. Es müssen die Anforderungen an die staatlich akkreditierten Überwachungsstellen, die die Herstellung der Medizinprodukte überwachen, deutlich erhöht werden. Es soll zudem eine Verbesserung der Maßnahmen zur Überwachung durch staatliche Behörden geben. Zusätzlich fordern wir eine Verpflichtung zu unangemeldeten Produktprüfungen bei den Herstellern sowie die Einführung europäischer Marktüberwachungsprogramme. Es soll bei entsprechender Umsetzung mindestens für Implantate und andere gefährliche Medizinprodukte ab Klasse II b unangemeldete stichprobenartige Kontrollen im Handel und in den Gesundheitseinrichtungen geben. Das gibt den Bürgerinnen und Bürgern mehr Sicherheit. Die Patienten und das Gesundheitspersonal, beide Seiten müssen sich auf die Zuverlässigkeit eines Herzschrittmachers, eines künstlichen Gelenks oder Ähnlichem verlassen können. Die Lösungsansätze sollen aber nach unseren Vorstellungen primär innerhalb des derzeitigen Marktzugangs- und Überwachungssystems gefunden werden. Wir möchten kein neues staatliches Zulassungssystem. Eine Veränderung bei den Zulassungskriterien kann für die Bürgerinnen und Bürger ein böses Erwachen haben, wenn sie nicht mehr die neuesten innovativen Produkte im Medizinsektor nutzen können, weil gesetzliche Schranken beispielsweise die Einführung einer neuen Generation von Herzschrittmachern verhindern. So eine Politik ist mit der FDP nicht zu machen. Und hier unterscheiden wir uns fundamental von der Opposition; die möchte nämlich am liebsten die Zulassungskriterien verschärfen. Und ich kann Ihnen versprechen, es würde große Probleme bei der Markteinführung neuer Produkte geben. Das hätte, wie eben gesagt, zur Folge, dass die Patienten länger auf innovative Produkte warten müssten. Diese Art von Politik kann man sich im Bereich Gesundheit einfach nicht erlauben. Das kann nicht der richtige Weg sein. Deshalb bieten wir Ihnen hier einen sehr guten Vorschlag zur Beschlussfassung an, der die Sicherheit der Patienten nachhaltig stärken wird und weiterhin Innovation ermöglicht. Man muss auch mal ehrlich sein, liebe Opposition: Bei krimineller Energie helfen Ihre Vorschläge auch nicht. Ein sinnvoller Weg zur Verbesserung der Sicherheit der Patienten sind mehr Kontrollen sowie Sanktionen bei Nichteinhaltung der Regelungen, statt alle Unternehmen unter Generalverdacht zu stellen oder gar die Zulassungsbedingungen zu verschärfen. Wir benötigen hier keinen Systemwechsel, das bestehende System bietet gute Ansätze. Es muss nur besser durch die staatlich akkreditierten Stellen kontrolliert werden. Und da habe ich, ehrlich gesagt, am Markt lieber weniger Institutionen, die kontrollieren, dafür aber im Interesse der Bürgerinnen und Bürger für mehr Sicherheit bei Medizinprodukten sorgen. Zum Abschluss möchte ich noch auf die Wichtigkeit der Weiterentwicklung der CE-Kennzeichnung hin zu einem EU-weiten Prüf- und Qualitätssiegel „CE-Med“ verweisen, womit gekennzeichnet wird, dass Medizinprodukte die höchsten Sicherheitsanforderungen erfüllen, und deren Leistungsfähigkeit nachgewiesen ist. Die Bürgerinnen und Bürger benötigen Medizinprodukte in höchster Qualität. Sie sind Bestandteil unseres Alltags. Deshalb lassen Sie uns für mehr Sicherheit sorgen, und stimmen Sie der Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses zu. Harald Weinberg (DIE LINKE): Der Koalition scheint die Sicherheit der Patientinnen und Patienten, die eine Herzklappe, ein Kniegelenk oder ein anderes Medizinprodukt brauchen, recht egal zu sein. Anders kann ich mir beim besten Willen nicht mehr erklären, was hier veranstaltet wird. Die Debatte um die Sicherheit von Medizinprodukten zieht sich schon lange hin, und immer wieder gibt es -Meldungen, dass Patientinnen und Patienten Gesundheitsschäden davontragen oder gar sterben, weil die Medizinprodukte in Deutschland – und der EU insgesamt – vor und nach dem Verkaufsstart viel zu schlecht geprüft werden. Umso enttäuschender ist es, wenn die Koalition erst jetzt und erstmals eine parlamentarische Initiative dazu vorlegt, und dann noch eine so schlechte und folgenlose. Die Koalition und die Regierung haben die Aufgabe, bei drängenden Problemen zu handeln. Die richtige Methode wäre hier ein Gesetzentwurf, der die -Zulassung von Medizinprodukten strenger reglementiert. Stattdessen finden sich gerade einmal vier Fachpolitiker der Koalition dafür, einen dünnen Antrag zu schreiben, der bloß Forderungen an die Bundesregierung enthält, die so weichgespült sind, dass sie kaum das Papier wert sind, auf dem sie stehen. Außerdem bin ich mir sicher: Niemand in diesem Parlament glaubt ernsthaft, dass in dieser Wahlperiode sich die Bundesregierung dieser schwachen Forderungen annimmt und sie in einen Gesetzentwurf gießen wird. Und dann behandelt die Koalition dieses Thema im Bundestag noch zu einer Zeit, in der die Reden gar nicht gehalten werden, sondern zu Protokoll gehen. Die Menschen draußen bekommen nichts mit, auch weil zu dem Koalitionsantrag keine Anhörung stattfand. Dabei ist die Situation ernst. Ein Beispiel für die -laschen Zulassungsregeln: Stellen Sie sich vor, Sie hatten einen Schlaganfall. Man stellt fest, dass in Ihrem Gehirn ein Blutgefäß verengt ist und dies die Ursache für den Schlaganfall war. Man will nun natürlich alles tun, damit sich der Schlaganfall nicht wiederholt. Die Standardtherapie sind Medikamente, die Blutgerinnsel verhindern. Die Medizinproduktindustrie bietet seit einigen Jahren auch eine Alternative an, nämlich sogenannte Stents. Das sind kleine Röhrchen, die in das verengte Blutgefäß eingesetzt werden, sich dort aufweiten und so das Gefäß offenhalten sollen. Hört sich gut an. Aber ist diese Therapie denn besser als die Gabe von Medikamenten? Sind diese Stents sicher, oder verursachen sie vielleicht Krankheiten oder -Todesfälle? Zum Zeitpunkt der Zulassung wusste man das nicht. Man hat diese Stents aber dennoch, nachdem sie das CE-Zeichen hatten, unbeschränkt zugelassen und alleine von 2008 bis 2010 insgesamt 3 500 Menschen in Deutschland eingesetzt. In den USA gab es auch schon 2005 eine Zulassung, allerdings mit Auflagen, dass zum Beispiel das Blutgefäß zu mindestens 50 Prozent verengt sein muss. Die Krankenkassen waren skeptisch und haben in den USA zudem das Recht zu sagen: „Das bezahlen wir aber nur, wenn das in jedem einzelnen Fall überwacht wird.“ Bei dieser Überwachung hat man festgestellt, dass diese Stents das Risiko, einen erneuten Schlaganfall zu erleiden oder zu sterben, gegenüber der Medikamententherapie um das Zweieinhalbfache erhöht haben. Sofort hat man diese Behandlung eingestellt und darf diese Stents nur noch einsetzen, wenn die Medikamententherapie nachgewiesenermaßen nichts bringt, das Blutgefäß zu mindestens 70 Prozent verengt ist, noch einige -Kriterien erfüllt sind und zudem eine Ethikkommission zugestimmt hat. Was passierte in Deutschland? Nachdem diese furchtbaren Ergebnisse bekannt wurden, hielten die deutschen Aufsichtsbehörden Einschränkungen für nicht nötig. Ein halbes Jahr später, im Februar 2012, gab es eine freiwillige Einschränkung durch den Hersteller auf Patienten, die nicht auf die Medikamente ansprechen und deren Blutgefäß zu 50 Prozent verengt ist. Was fällt auf? Erstens. So weit waren die USA schon 2005, weit bevor man wusste, dass an diesem Stent Menschen sterben können. Zweitens. Der Hersteller ist in Deutschland offensichtlich strenger mit sich selbst als die Aufsichtsbehörden. Das darf nicht sein, und wenn das so ist, ist es die Aufgabe der Bundesregierung, daran etwas zu ändern. Genau das macht sie allerdings nicht. Das verbietet ihr das liebste Kind des Gesundheitsministeriums, die Gesundheitswirtschaft. Und selbst die vier der 20 Gesundheits-experten der Koalition, die sich trauen, einen wirkungslosen Antrag zu stellen, schreiben darin von „pauschalen Verdächtigungen gegen deutsche Medizinproduktehersteller“ und auch, dass „die berechtigten Interessen der Medizinprodukteunternehmen berücksichtigt werden“ müssen. Die Linke hat bereits Ende November einen Entschließungsantrag zum Patientenrechtegesetz gestellt, Bundestagsdrucksache 17/11722, und acht konkrete Forderungen zur Verbesserung der Sicherheit gefordert, so etwa die Zulassung durch eine zentrale Bundesbehörde statt durch den TÜV und andere Stellen, so auch, den Nutzen und die Risiken vor der Zulassung zu prüfen, denn die Patientinnen und Patienten sind keine Versuchsobjekte, so auch, dass nach der Zulassung die Ärztinnen und Ärzte mögliche Nebenwirkungen an eine zentrale Datenbank übermitteln sollen, und noch einiges mehr. Dreimal dürfen Sie raten, ob Schwarz-Gelb diesen Antrag angenommen hat. In den USA schaut man übrigens besorgt nach -Europa, was die Sicherheit der Medizinprodukte angeht. In einer Studie der FDA, der US-amerikanischen Zulassungsbehörde, von Mai 2012, „Unsafe and ineffective devices approved in the EU that were not -approved in the US“, also frei übersetzt „Unsichere und nutzlose Medizinprodukte, die in der EU, aber nicht in den USA zugelassen wurden“, schreibt die FDA als Schlussfolgerung ebenso frei übersetzt: „Stents und andere Medizinprodukte kosten europäische Patienten ihr Leben, ohne dass sie irgendeinen Nutzen hätten.“ Und: „Andere Medizinprodukte wie Brust- und Ellenbogenimplantate oder Roboter für Hüft-OPs verursachen ernsthafte Verletzungen und damit auch kostenintensive Behandlungen, um den -Gesundheitsschaden zu beheben, den sie verursacht haben.“ Für die Linke ist klar: Patienteninteresse geht vor Wirtschaftsinteresse. Die Medizinprodukteindustrie ist kein Selbstzweck, sondern sie ist da, um nützliche und sichere Produkte herzustellen, die den Menschen -helfen. Wir brauchen Zulassungsregelungen, die die Industrie auf diesen Grundsatz verpflichten. Wir brauchen keine Bundesregierung, die im Zweifel gegen die Patienteninteressen entscheidet. Nochmal zur Klarstellung: Die von den Koalitionsabgeordneten geforderten Maßnahmen sind grundsätzlich nicht falsch. Sie würden, wenn man sie auch tatsächlich umsetzte, das Sicherheitsniveau bei Medizinprodukten in Deutschland ein wenig verbessern. Der Antrag ist aber unzureichend und packt viele der Probleme, die wir bei den Medizinprodukten haben, überhaupt nicht an. Deshalb enthalten wir uns. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um es klar zu sagen: Der heute hier neben unserem und anderen Anträgen der Opposition zur Abstimmung stehende Antrag von Union und FDP zu Medizinprodukten ist schwach – nicht wegen der Forderungen, die darin stehen, sondern wegen derer, die nicht darin stehen. In ihrem Antrag listet die Koalition eine Reihe von Vorschlägen auf, die die Bundesregierung bei den laufenden Beratungen um das neue EU-Medizinprodukterecht einbringen soll. Im Kern entsprechen die -Vorschläge weitgehend dem, was ohnehin bereits Gegenstand des EU-Verordnungsentwurfs ist. Insofern ist ihr Antrag eigentlich überflüssig. Der Antrag verdeutlicht aber, dass diese Koalition nicht willens ist, sich darüber hinaus mit einem eigenen Beitrag für die Patientensicherheit bei Medizinprodukten einzusetzen. Ein scheinbar kleines Detail ihres Antrags zeigt dies ganz klar. Im vergangenen Jahr hatte die AG Gesundheit der CDU/CSU-Fraktion ein Positionspapier zu Medizinprodukten beschlossen. Schon dieser Beschluss ist verhältnismäßig dürftig. Immerhin findet sich dort zumindest aber die sinnvolle, im Übrigen seit Jahren als geeignet angesehene Forderung, dass in einem Register für hochriskante Medizinprodukte neben Produkt- und Patientendaten auch besondere Ereignisse, Komplikationen und Nebenwirkungen beispielsweise im Zusammenhang mit Implantaten registriert werden sollen. Das würde zumindest die Möglichkeit schaffen, dass man relativ schnell sieht, wenn sich bei einem bestimmten Implantat Wechseloperationen oder andere Komplikationen häufen. In ihrem hier vorliegenden Antrag fehlt genau diese Forderung. Es ist mir daher absolut rätselhaft, wie mit einem solchen Register ohne die Daten zu Vorkommnissen eine bessere Langzeitüberwachung von Medizinprodukten erreicht werden soll. Besser kann man nicht klarmachen, dass sie hier nicht die Sicherheit der Patientinnen und Patienten, sondern vor allem die Interessen der Medizinproduktehersteller vertreten. Es ist das, was ein zuständiger Mitarbeiter des Bundesgesundheitsministeriums im Sommer des vergangenen Jahres bei einer Veranstaltung des Herstellerverbandes als „Abwehrkampf“ gegen eine grundlegende Reform des Medizinproduktesystems bezeichnet hat. Dabei ist in diesem System so viel im Argen. Erschreckendes dazu war zum Beispiel im Oktober vergangenen Jahres im „British Medical Journal“ über die sogenannten benannten Stellen zu lesen. Die Autoren konnten dort nachweisen, wie einfach es in Europa ist, eine Zertifizierung für ein erfundenes, aber schon nach Aktenlage hochgefährliches Implantat zu bekommen. Es ist unverantwortlich gegenüber den Patientinnen und Patienten, bei Medizinprodukten der höchsten -Risikostufe weiter auf ein Zulassungssystem zu verzichten, bei dem nicht die erforderlichen, staatlich -vorgegebenen Nachweise der Patientensicherheit im Vordergrund stehen. Es ist unverantwortlich, bei Produkten der höchsten Risikostufe keine klinischen Studien durchzuführen, mit dem Nutzen, dass Risiko und Wirksamkeit von Produkten untersucht werden können. Und es ist unverantwortlich, bei derartigen Produkten kein wirksames Stufenplanverfahren zu etablieren, mit dem problematische Produkte schnell vom Markt genommen werden können. Es ist zweifellos nicht falsch, dass es künftig unangemeldete Kontrollen der benannten Stellen bei den Herstellern geben soll. Sie können aber noch so häufig und noch so unangemeldet bei den Herstellern anrücken, sie werden so nichts daran ändern, dass manche Produkte für die Patientinnen und Patienten gefährlich sind. Sie können so nicht mal im Ansatz verhindern, dass Hüftimplantate aus Metall eingesetzt werden, die deutlich häufiger als andere Prothesen wieder ausgetauscht werden müssen und sogar Tumorerkrankungen oder andere Organschäden auslösen können, und auch nicht verhindern, dass etwa Stents in den Umlauf geraten, mit denen das Schlaganfall- oder Infarktrisiko erhöht wird, statt es, wie beabsichtigt, zu verringern. Sie werden mit den von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen nichts dagegen ausrichten, dass Patientinnen und Patienten völlig wirkungslosen oder sogar gefährlichen Behandlungen ausgesetzt werden. Dazu sind anstelle von eher oberflächlichen Produktprüfungen seriöse klinische Studien mit patientenrelevanten Endpunkten nötig. Der Herstellerverband, aber auch diese Koalition verweisen häufig darauf, alles dafür tun zu wollen, dass medizinische Innovationen ohne bürokratische Hürden so schnell wie möglich den Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen. Dann sollten sie sich aber auch der Frage stellen, was überhaupt eine Innovation ist. Wie innovativ ist eigentlich eine Therapie, wenn sie den Patientinnen und Patienten schaden, ihre Gesundheit oder gar ihr Leben gefährden kann? Auch innovative Produkte müssen vor allem sicher sein, auch im Interesse der Hersteller, und für die Patientinnen und Patienten einen Nutzen haben. Sicherheit, Wirksamkeit und Nutzen müssen bei der Markteinführung neuer Medizinprodukte gewährleistet sein. Das kann, wie auch die Untersuchungen im „British Medical Journal“ zeigen, ganz offensichtlich nur durch eine letztlich staatlich verantwortete Zulassung vor allem der riskanteren Medizinprodukte gewährleistet werden. Vor diesem Hintergrund fordere ich die Bundes-regierung und die beiden Regierungsfraktionen auf, nicht länger mit den Herstellern herumzukungeln, sondern sich endlich den Patienteninteressen verpflichtet zu fühlen und sich auf europäischer Ebene für ein wirksames Zulassungs- und Überwachungssystem einzusetzen. Wenn Sie nicht wissen, wie Patientenschutz geht, dann schauen Sie einfach in den grünen Antrag, den SPD-Antrag oder in den Beschluss des Europäischen Parlaments. Dort finden Sie viele hilfreiche Vorschläge. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung zunächst über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 17/12088. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Empfehlung die Annahme des -Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/11830 mit dem Titel „Revision der europäischen Medizinprodukte-Richtlinien: Vertrauen wieder herstellen – Patientensicherheit bei Medizinprodukten muss erste Priorität sein“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – -Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und Grünen bei Enthaltung der -Linken angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8920 mit dem Titel „Sicherheit, Wirksamkeit und gesundheitlichen Nutzen von Medizinprodukten besser gewährleisten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Mehr Sicherheit bei Medizinprodukten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Empfehlung auf Drucksache 17/11312, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9932 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen. Zusatzpunkt 7. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Opfer des Brustimplantate-Skandals unterstützen – Keine Kostenbeteiligung bei medizinischer Notwendigkeit“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Empfehlung auf Drucksache 17/12092, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8581 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 27: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine angemessene Praxis bei Anträgen auf Kindergeldabzweigung durch die Sozialhilfeträger – Drucksachen 17/10863, 17/11748 – Berichterstattung: Abgeordneter Pascal Kober Wie der Tagesordnung zu entnehmen ist, werden die Reden zu Protokoll genommen. Maria Michalk (CDU/CSU): Wir beraten heute abschließend einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der sich für eine angemessene Praxis bei Anträgen auf Kindergeldabzweigung durch die Sozialhilfeträger einsetzt. Hintergrund dieses Antrags ist offensichtlich die in einigen Bundesländern etablierte Praxis, verstärkt und teilweise flächendeckend Anträge auf Kindergeldabzweigung zu stellen. Die Zahl der Abzweigungsanträge ist tatsächlich gestiegen. Was ist die Rechtslage? Für ein Kind mit Behinderung können Eltern auch über das 18. Lebensjahr hinaus und ohne altersmäßige Begrenzung Kindergeld erhalten, wenn das Kind aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage ist, sich selbst zu versorgen. Voraussetzung ist, dass die Behinderung des Kindes vor dem 25. Lebensjahr eingetreten ist. Im Einkommensteuergesetz ist geregelt, dass die Familienkassen das eigentlich den Eltern zustehende Kindergeld an die Stelle auszahlen dürfen, die dem Kind Unterhalt gewährt. Diese Anrechnung kommt dann in Betracht, wenn das Sozialamt dem Kind Unterhalt erbringt. Der unter Umständen lebenslange Anspruch auf die Leistung ist darin begründet, dass der Mehrbedarf der Eltern, der mit dem Kindergeld zum Wohle des Kindes ausgeglichen werden soll, bei Menschen mit Behinderung eben nicht regelmäßig mit ihrer Volljährigkeit endet. Selbst wenn die Unterhaltspflicht nicht mehr voll besteht, geht der Gesetzgeber davon aus, dass den Eltern durch die Beeinträchtigung ihrer Kinder regelmäßig durch zusätzlichen Aufwand Kosten entstehen, die andere Eltern mit Kindern ohne Behinderung in dieser Form nicht haben. Es handelt sich daher um einen indirekten Nachteilsausgleich. Auch mich haben Beschwerden betroffener Eltern erreicht, die sich über die Praxis beklagen, das offensichtlich in der Abzweigung des Kindergeldes ein nicht zu rechtfertigender Automatismus eingetreten ist. Nun muss man aber wissen, dass die Sozialämter nicht nur aufgrund von Sparzwängen so vorgehen, sondern sich auch auf eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 17. Dezember 2008 sowie weitere Entscheidungen des Bundessozialgerichts berufen. Nach diesen Rechtsprechungen darf das Kindergeld an den Sozialleistungsträger, in der Regel die Landkreise, tatsächlich abgezweigt werden. Voraussetzung ist, dass der Kindergeldberechtigte, zumeist die Eltern, nicht zum Unterhalt des volljährigen behinderten Kindes verpflichtet sind, weil das Kind Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII erhält. Grundsätzlich darf das Kindergeld für ein Kind mit Behinderung, das die Eltern beziehen, nicht bedarfsmindernd auf die Grundsicherung angerechnet werden. Eine Anrechnung kann nur erfolgen, wenn das Kindergeld entweder von den Eltern an das Kind weitergeleitet oder direkt an das Kind ausgezahlt wird. Allerdings kam es in der Vergangenheit immer wieder vor, dass Sozialämter trotzdem auch Grundsicherungsempfänger aufgefordert haben, einen Antrag bei der Familienkasse auf Auszahlung des Kindergelds an das Sozialamt zu stellen. Die Begründung lautete, dass dies das Einkommen des Kindes erhöhen würde und die Grundsicherung dementsprechend gekürzt werden müsste. Grundsätzlich sind Sozialhilfeträger, sobald sie für Sozialleistungen von Menschen mit Behinderung aufkommen, auch befugt, bei den Familienkassen diese sogenannten Abzweigungsanträge zu stellen. Bei positiver Entscheidung der Familienkasse über den Abzweigungsantrag wird das Kindergeld dann nicht mehr an die Eltern ausgezahlt, sondern an den Sozialhilfeträger direkt überwiesen. Die Familienkassen haben bei diesen Entscheidungen einen Ermessensspielraum. Für die Entscheidung, ob und in welcher Höhe abgezweigt wird, müssen sowohl die Antragsteller als auch die betroffenen Eltern gewissenhaft angehört und in jedem Einzelfall muss entsprechend den Gegebenheiten eine Einzelfallentscheidung gefällt werden. Wenn die Voraussetzungen für eine Abzweigung vorliegen, hat die Familienkasse bezüglich des „Ob“ einer Abzweigung angesichts der geltenden Rechtsprechung allerdings keinen Spielraum mehr. Dann muss sie der Abzweigung zustimmen. Dies kann auch bei einem volljährigen Kind mit einer Behinderung der Fall sein, das zu Hause bei den Eltern lebt. Als Konsequenz aus der Gesetzeslage und der geltenden Rechtsprechung dürfen Eltern das Kindergeld nur dann vollständig behalten, wenn sie auch nachgewiesene Kosten in Höhe des Kindergeldes haben. Das hat zur Folge, dass für die zusätzlichen Aufwendungen Belege beigebracht werden müssen, zum Beispiel die Kinokarte oder der Beförderungsbeleg. An dieser Stelle ist der bürokratische Aufwand nicht zu leugnen. Aber der Nachweis ist unumgänglich; denn es handelt sich dabei um öffentliche Mittel. Die Rechtslage für den Anspruch des Kindergeldes ist klar. Trotzdem stelle auch ich fest, dass es leider immer wieder Fälle gibt, bei denen die Sozialhilfeträger einen Antrag auf Abzweigung auch dann stellen, wenn die Eltern mit ihren Kindern in einem Haushalt leben und entsprechend hohe Ausgaben für ihre Kinder tragen. Der Ärger ist entsprechend groß, weil Eltern nicht ausreichend über die Belegnachweise informiert werden oder Bescheide ohne Begründung ergehen. In diesen besonderen Fällen ist den Betroffenen zu raten, das direkte Gespräch zu suchen und bei verhärteten Situationen entsprechende Rechtsmittel einzulegen. Fundierte Hilfestellungen für betroffene Familien gibt auch der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen, dem ich an dieser Stelle sehr herzlich für seine wertvolle und fachlich erstklassige Arbeit danken möchte. Hier bekommen die betroffenen Eltern gut verständliche Informationen an die Hand. Sie finden auf der Internetseite ein Musterschreiben, verbunden mit einer ausführlichen Argumentationshilfe. Dies ist konkrete Hilfe zur Selbsthilfe, die für die Betroffenen oftmals schnell zum gewünschten Ergebnis führt und Klageverfahren und damit Kosten vermeiden kann. Grundsätzlich also gilt – und darin sind wir uns sicher alle einig –, dass diese Anträge tatsächlich nur in begründeten Ausnahmefällen gestellt werden dürfen, wo seitens der Behörden der Verdacht besteht, dass Eltern nicht zum Unterhalt ihrer Kinder mit Behinderung beitragen. Das hat das zuständige Bundesministerium noch einmal auch gegenüber den Bundesländern klargestellt. Bereits im Jahr 2011 wurden die Länder von der Bundesregierung dezidiert auf den Sachverhalt aufmerksam gemacht, dass die Abzweigung von Kindergeld für ein volljähriges Kind mit Behinderung nur in begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommt. Daraufhin haben die Länder ihre Sozialhilfeträger entsprechend unterrichtet. Die Praxis hat gezeigt, dass sich vor allem in den Großstädten die Sozialhilfeträger der Rechtsauffassung der Bundesregierung angeschlossen haben und umsichtig im jeweiligen Einzelfall handeln. Dass vonseiten einzelner Sozialhilfeträger auf ihre Pflicht verwiesen wird, Einnahmemöglichkeiten der Sozialhilfe zu realisieren, ist eher die Folge von einem gewissen Druck, Einsparungen angesichts einer angespannten finanziellen Lage der Kommunen bzw. der jeweils zuständigen Behörde zu erzielen. Ich finde diese Argumentation sehr scheinheilig. Was den betroffenen Menschen zusteht, muss ihnen auch gegeben werden. Und da der Bund die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter in erheblicher Größenordnung übernommen hat, ist dieses Argument nicht mehr nachvollziehbar bzw. trägt nicht. Die Antragsteller bekräftigen in ihrem Antrag selbst, dass die in einigen Bundesländern etablierte Praxis mit der bestehenden Rechtslage nicht vereinbar ist. Damit ist einvernehmlich klargestellt, dass wir keine Gesetzesänderung brauchen, wie im Antrag gefordert. Vielmehr brauchen wir eine gesetzestreue Praxis, die „kundenfreundlich“ ist und in den Amtsstuben verantwortet werden muss. Das ist auch der Grund, warum wir den vorliegenden Antrag ablehnen. Allerdings möchte ich versöhnlich hinzufügen, dass wir als Parlament durch diesen Antrag die leider notwendige sowie wünschenswerte Möglichkeit haben, den Sachverhalt als solchen noch einmal öffentlich darzustellen und eine möglichst unbürokratische Umsetzung der rechtlichen Regelung einzufordern. Den betroffenen Eltern wollen wir durchaus den Rücken stärken, damit sie alle Möglichkeiten der Teilhabe ihrer Kinder mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben nutzen, weil ihnen der Ausgleich des Mehraufwandes in genannter Höhe, also des Kindergeldes, zusteht. Wir sind dankbar für die Leistung, die viele, viele Eltern erbringen. Sie leisten de facto mehr an Werten, als ihnen in der Summe je ausgeglichen werden kann. Das liebevolle Zusammenleben ist Tag für Tag eine neue Herausforderung. Das wissen wir. Aber wir wissen ebenso, dass es leider auch gelegentlich eine missbräuchliche Verwendung der für die Kinder zugedachten Leistungen gibt. Vor diesem Hintergrund ist der Nachweis der Mehraufwendungen für erwachsene Kinder durch das Kindergeld im Vergleich zu minderjährigen Kindern gerechtfertigt. Nicht gerechtfertigt sind Automatismen zum Nachteil der Eltern, die sich zu Hause um ihre Kinder kümmern. Sie leben unseren Grundsatz „ambulant vor stationär“ vor. Es ist zu wünschen, dass dies weiterhin viele tun, was vor allem unter dem Aspekt der demografischen Entwicklung eine große Herausforderung bleibt. Und weil dies so ist, will ich noch einmal die Dinge aufzählen, die von dem Kindergeld als Mehraufwand auf Nachweis erstattet werden: der Unterhaltsbeitrag für die Kosten der dem Kind geleisteten Eingliederungshilfe bzw. Hilfen zur Pflege; die Ausgaben für Bekleidung, die aufgrund der Behinderung geändert werden muss oder schneller verschleißt; die Fahrtkosten für Behördengänge oder die Kosten für Therapiebesuche sowie für Arzt- und Therapiebehandlungen, Zahnersatz oder Medikamente, die nicht von der Krankenkasse finanziert werden; die Kosten für Sehhilfen, die grundsätzlich nicht mehr von der Krankenkasse übernommen werden; die Kosten für die Ersatzbeschaffung von Einrichtungsgegenständen, etwa Matratzen bei Kindern mit Inkontinenz; die Kosten für Freizeitunternehmungen; die Unterhaltsgewährung in Form von kostenfreier Unterkunft, wenn das Kind tatsächlich kostenlos bei seinen Eltern lebt und dafür keine Unterkunftskosten im Rahmen der Grundsicherung geltend macht; die Aufwendungen für notwendige Betreuungsleistungen durch andere Personen, die nicht von der Pflegekasse oder dem Sozialhilfeträger erstattet werden; die Aufwendungen für notwendige Betreuungsleistungen durch die Eltern selbst, die nicht von der Pflegekasse oder dem Sozialhilfeträger erstattet werden. Diese Aufzählung zeigt einmal mehr, dass unser Sozialstaat durchaus die Lebenssituationen erfasst und ausgleicht. Sie zeigt aber auch sehr deutlich, mit welchen Mehraufwendungen Eltern von Kindern mit Behinderung alleine fertigwerden müssen und dass sie damit keinerlei Bevorteilung erfahren, wie manch einer leider behauptet. Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Rechtslage ist klar und lebensnah, die Umsetzung ist komplex und manchmal auch kompliziert, weil nicht jeder Einzelfall im Gesetz abgebildet werden kann. Deshalb bitten wir um eine verantwortungsvolle Umsetzung der genannten gesetzlichen Regelungen. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Ein behindertes Kind ist für viele Eltern eine Lebensaufgabe. Sie versorgen es oft bis ins hohe Alter. Als Ausgleich für finanzielle Mehrbelastungen erhalten sie dann auch für ihr erwachsenes Kind noch das Kindergeld, wenn es sich wegen seiner Behinderung nicht selbst unterhalten kann. Dieser Anspruch kann bis zum Tod bestehen. Das betrifft Eltern, deren Kinder im Schwerbehindertenausweis entweder das Merkmal H haben, eine volle Erwerbsminderungsrente beziehen oder wegen der Schwere der Behinderung nicht dem ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Mit dem -lebenslangen Kindergeld sollen Mehrausgaben der -Eltern abgegolten werden. Schauen wir uns einmal an, was das für Ausgaben sein können: zusätzliche Kosten, die anfallen, wenn Eltern mit ihren Kindern in einer gemeinsamen Wohnung leben; Kosten für Begleitfahrten zu Freunden, zu Kultur- und Sportveranstaltungen; zusätzliche Aufwendungen für einen gemeinsamen -Urlaub, der durch die Behinderung des erwachsenen Kindes finanziell oft ganz andere Dimensionen annimmt; günstige Alternativen wie die U-Bahn-Fahrt zum Flughafen oder die Übernachtung auf dem -Campingplatz fallen unter Umständen flach; Kosten, die entstehen, wenn Eltern ihre Kinder zu Behandlungen, Kuren und Arztbesuchen begleiten oder bei Hilfs- und Heilmitteln und Medikamenten Geld aus eigener Tasche zuschießen; zusätzliche Kosten für ein spezielles Auto, um Rollstuhl und Zubehör unterbringen zu können. Das sind nur einige wenige Beispiele. Schon sie zeigen: Diese Eltern leisten Großes – oft auf Kosten ihrer eigenen Bedürfnisse und oft ihr Leben lang. Deshalb ist es gerecht, dass sie einen finanziellen Ausgleich für zusätzliche Kosten erhalten. Ihre Kinder werden nämlich nicht, wie andere, einmal auf eigenen Beinen stehen und sich selbst versorgen können. Aber ist es der richtige Weg, für den Ausgleich dieser Kosten ausgerechnet das Kindergeld zu wählen? Menschen mit schwerer Behinderung haben genauso das Recht auf Respekt wie alle anderen auch. Kinder mit Behinderung bleiben nicht ihr Leben lang Kinder. Auch sie werden erwachsen. Und dieser Umstand muss in unseren Gesetzen nachvollzogen werden. Ich komme zum Antrag der Grünen. Menschen mit Behinderung, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen können, sind häufig auf Sozialhilfe angewiesen. Das trifft auch auf Kinder zu, die als Erwachsene bei ihren Eltern leben oder in Pflegeeinrichtungen von ihnen umsorgt werden. Die Sozialhilfeträger können bei den Familienkassen sogenannte Abzweigungsanträge stellen. Das heißt, das Kindergeld wird dann nicht weiter an die Eltern, sondern an die Sozialhilfeträger ausgezahlt. Somit kommt in diesen Familien kein Kindergeld an. Früher ging dies nur, wenn das Kind in einer vollstationären Einrichtung lebte, die -anfallenden Unterhaltskosten vom Sozialamt übernommen wurden und die Eltern keine oder nur geringe Aufwendungen für das Kind hatten. Seit drei Jahren gibt es eine andere Rechtsprechung. Das Kindergeld kann nun auch Eltern gestrichen werden, die sich nachweislich liebevoll und mit hohem finanziellem -Engagement um ihre Kinder in Pflegeeinrichtungen kümmern, sie oft besuchen und ihnen das Leben verschönern. Und der Sozialhilfeträger kann das Kindergeld jetzt sogar dann abzweigen, wenn das Kind im Haushalt der Eltern lebt, was in der Regel mit -Mehrkosten verbunden ist, die nicht alle ausgeglichen werden. Diese Rechtslage nutzen die Sozialhilfeträger und zweigen immer mehr Kindergeld ab. Sie tun es, um Geld zu sparen. Den Eltern bleibt in diesem Fall nur der Widerspruch. Das darf nicht sein. Es muss dringend darauf hingewirkt werden, dass Sozialhilfeträger keine ungerechtfertigten Abzweigungsanträge stellen. Jetzt muss man überlegen, wie man das hinbekommt. Das haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, ja auch gemacht: rechtlich die Situation noch mal klarstellen und die Beweislast umkehren. Das sind gute Vorschläge, aber sie helfen über das Grundproblem leider nicht hinweg. Natürlich haben Familien mit behinderten Kindern Nachteile und Mehraufwendungen – auch die Eltern –, aber bitte schön: Die behinderten Kinder sind irgendwann erwachsen. Und sie sollten nicht darauf angewiesen sein, dass Mama und Papa zusätzliche Kosten, die durch die Behinderung entstehen, für sie tragen. Und sie sollten genauso wenig darauf angewiesen sein, dass Mama und Papa dafür mit Kindergeld abgespeist werden. Wir stehen für eine Politik, die auf die Selbstbestimmung behinderter Menschen zielt. Nachteilsausgleiche müssen den Menschen mit Behinderung selbst gewährt werden. Mehraufwand der Eltern darf nicht mit einem lebenslangen Kindergeld ausgeglichen werden. Hier brauchen wir neue Konzepte. Die haben wir in unserem Antrag „UN-Konvention jetzt umsetzen – Chancen für eine inklusive Gesellschaft nutzen“, Bundestagsdrucksache 17/7942, beschrieben. Wir wollen weg vom Prinzip der Fürsorge und hin zur Teilhabe, weg vom SGB XII in das SGB IX. Wir wollen die Möglichkeit eines einkommens- und vermögensunabhängigen Teilhabegeldes prüfen. Wir haben unseren Antrag zusammen mit behinderten Menschen erarbeitet. Und die haben ihren Anspruch ganz klar formuliert: Sie möchten unabhängig sein! Das muss der Weg sein. Die vielen unrechtmäßigen Kindergeldabzweigungen müssen wir stoppen, keine Frage. Aber die Problematik jetzt einzelgesetzlich neu zu regeln, wäre Flickschusterei. Wir sollten den großen Wurf wagen und konsequent den Weg hin zu Teilhabe und Selbstbestimmung beschreiten. Das tun Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, mit Ihrem Antrag nicht. Deshalb werden wir uns hier enthalten. Pascal Kober (FDP): Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, den wir hier beraten, spricht ein Problem an, das in der Vergangenheit vereinzelt existierte. Er ist dennoch überflüssig, da diese christlich-liberale Bundesregierung durch ihr schnelles Handeln eine rechtliche -Klarstellung herbeigeführt hat. Das Kindergeld erhält grundsätzlich der Elternteil, der das Kind in seinen Haushalt aufnimmt und ihm Unterhalt leistet. Nur in Ausnahmefällen kann das Kindergeld von der zuständigen Familienkasse an Dritte, entweder das Kind selbst oder den Sozialhilfeträger, ausbezahlt werden. Dies darf jedoch nur dann geschehen, wenn der Elternteil seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind tatsächlich nicht nachkommt. Während der Anspruch auf Kindergeld in der Regel spätestens mit dem 25. Geburtstag endet, kann er bei Menschen mit Behinderung auch über das 25. Lebensjahr hinaus bestehen, wenn sie aufgrund der Beeinträchtigung nicht in der Lage sind, sich selbst zu unterhalten. Die Behinderung muss in diesen Fällen jedoch vor dem 25. Lebensjahr eingetreten sein. Hier haben die Sozialhilfeträger, die für die jeweiligen Sozialleistungen zuständig sind, die Möglichkeit, einen Abzweigungsantrag zu stellen. Diesem ist jedoch nur dann stattzugeben, wenn die Eltern nicht für den Unterhalt des Kindes sorgen. Wenn jedoch einzelne Kommunen mittlerweile -verstärkt Anträge auf Kindergeldabzweigung stellen, dann ist das mit der bestehenden Rechtslage nicht vereinbar. Deshalb hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auch klargestellt, dass sich die Rechtslage nicht geändert hat und dass solche Anträge nur in Ausnahmenfällen positiv beschieden werden können. Die dafür erforderlichen Kriterien haben sich nicht geändert. Diese Rechtsauffassung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Ländern für die Konferenz der obersten Landessozialbehörden am 7. April 2011 mitgeteilt. Seit diesem Zeitpunkt ist festzustellen, dass in der Sozialhilfepraxis, insbesondere in den Großstädten, der Rechtsauffassung der Bundesregierung gefolgt wird. Eine gesetzliche Änderung ist daher nicht notwendig. Im Übrigen möchte ich die Gelegenheit nutzen, um etwas zu den Kindergeldplänen der Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion zu sagen. Sie fordern über die gesamte Legislaturperiode immer wieder, dass statt in das Kindergeld viel mehr in Infrastruktur für Kinder investiert werden müsse. Noch 2010 haben sie sogar eine Senkung des Kindergeldes gefordert. Diese Bundesregierung hat bei der Infrastruktur gehandelt. Wir haben in die Infrastruktur für Kinder zusätzlich investiert. Wir haben über 580 Millionen Euro zusätzlich als Investitionszuschüsse für die Betreuung von Kindern bereitgestellt. So können 30 000 zusätz-liche Plätze für die öffentlich geförderte Betreuung von Kindern unter drei Jahren geschaffen werden. Zusätzlich hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gemeinsam mit der -Kreditanstalt für Wiederaufbau ein zweijähriges Förderprogramm für den Ausbau von Kindertagesstätten aufgelegt. Hier stehen für den Zeitraum 350 Millionen Euro zur Verfügung. Sie sehen, dass diese Regierungskoalition handelt – sowohl bei der Verbesserung der Infrastruktur für Kinder wie auch bei der Entlastung von Familien. Wir haben das Kindergeld pro Kind um 20 Euro im Monat und den Kinderfreibetrag erhöht – und dabei trotzdem den Haushalt konsolidiert. Ich würde mir wünschen, dass die Länder hier genauso handeln würden. Diese haben aber beim Ausbau der Kinderbetreuungsplätze noch Nachholbedarf, und durch die Blockade des Gesetzes zum Abbau der kalten Progression verhindern die von SPD, Grünen und Linken regierten Länder eine Entlastung der Familien. Der Höhepunkt der Unredlichkeit sind dann ihre Pläne zur Umgestaltung des Kindergeldes. Jetzt wollen sie das Kindergeld für bestimmte Familien erhöhen, für andere soll die Förderung hingegen geringer ausfallen. Das zeigt, dass sie nicht wissen, was sie -wollen. Mal fordern sie eine Absenkung, mal eine teilweise Erhöhung. Wir handeln lieber im Interesse der Kinder in unserem Land – und das mit in sich stimmigen Konzepten. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Hat Ihr Kind einen hohen Verschleiß an Kleidung und Schuhen? Wenn ja, legen Sie bitte die Gründe dar, und teilen Sie mit, was im Jahr an Kosten für Schuhe und Kleidung anfallen. Muss Ihr Kind öfters ins Krankenhaus? Bitte teilen Sie mit, wie hoch Ihre gesamten Kosten für die Renovierung des Zimmers des Kindes waren. Wie oft renovieren Sie das Zimmer Ihres Kindes? Eigenartige Fragen. Können Sie sich vorstellen, dass die Familienkasse die Beantwortung solcher und weiterer ähnlich gelagerter Fragen fordert, bevor Sie das Kindergeld bzw. den Kinderfreibetrag gewährt bekommen? Sicher nicht, denn das staatliche Kindergeld soll – zumindest teilweise – die finanziellen Belastungen ausgleichen, die Eltern durch den Unterhalt ihrer Kinder entstehen. Kindergeld ist ein Recht, kein Gnadenakt. Es gibt aber solche Fragen von Familienkassen, -gestellt an Eltern von Kindern über 25 Jahren mit Behinderungen. Und dann bzw. schon zuvor erfolgt die Kindergeldabzweigung. Was das ist? Dazu ein anonymisiertes Beispiel aus dem Landkreis Harz. „Im Oktober 2011 kam Post von der Familienkasse, FK, für die Eltern von Erika Mustermann. Erikas Eltern waren erstaunt, hatten sie doch erst vor kurzem, wie in jedem Jahr, den Bescheid von der FK erhalten, dass sie weiterhin Kindergeld für Erika bekommen. Erika ist auf den Rollstuhl angewiesen. Sie lebt bei ihren Eltern im Haushalt. Da sie wirtschaftlich nicht selbstständig und auf Hilfe angewiesen ist, erhält sie vom Sozialamt des Landkreises Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch XII. Außerdem steht den Eltern entsprechend Einkommensteuergesetz § 32 Kindergeld auch nach dem 25. Lebensjahr ihres Kindes – Erika ist über 30 Jahre alt – auf Dauer zu. Doch in diesem Schreiben der FK steht, dass das Sozialamt des Kreises ab November 2011 das Kindergeld für sich beantragt. Was passierte dann? Der Abzweigungsantrag des Landkreises an die FK bewirkt, dass die Kindergeldzahlung ab 1. November 2011 eingestellt wird, obwohl noch nichts entschieden ist. Innerhalb von 14 Tagen müssen die Eltern der FK mitteilen, welche finanziellen Aufwendungen ihnen für ihr Kind entstanden sind, die über die Grundsicherung oder Leistungen anderer – Kranken- oder Pflegekasse – hinausgehen. Dafür sind der FK Nachweise – Quittungen, Belege usw. – vorzulegen. Dann kommt die Mitteilung von der FK, dass die Belege unzureichend seien, verbunden mit Fragen wie zum Beispiel nach höherem behinderungsbedingten Verschleiß von Kleidung und Schuhen. Nachweise müssen nachgereicht werden, noch weitere werden von der FK gefordert. Monate vergehen. Im Frühjahr 2012 kommt endlich der Bescheid von der FK. Doch was ist das? Erikas Eltern sollen nur noch etwa ein Drittel des bisherigen Kindergeldes von 184 Euro erhalten, der Landkreis bekommt etwa zwei Drittel. Eine Nachzahlung ab November wird den Eltern angekündigt. Doch dazu kommt es nicht. Der Landkreis gibt sich mit einer Teilabzweigung nicht zufrieden und legt Einspruch gegen diesen Bescheid bei der FK ein. Er will alles. Bis zum letzten Herbstmonat des Jahres 2012 ist noch keine Entscheidung gefallen. Erikas Eltern bekommen jetzt bereits seit einem Jahr kein Kindergeld, obwohl sie sich wie seit über 30 Jahren liebevoll um ihre Tochter kümmern. Die natürlich weiterhin anfallenden behinderungsbedingten Mehraufwendungen können sie seit einem Jahr nur noch erbringen, indem sie selbst auf Nötiges für sich verzichten. Der Landkreis hat die Mittel, die er 2012 aus Kindergeldabzweigungen eingenommen hat – 180 000 Euro –, inzwischen als Deckungsquelle für eine überplanmäßige Ausgabe eingesetzt. Das Geld im Haushaltsplan 2012 hat nicht für die Zahlung der Sozialhilfe – dafür ist ebenfalls der Landkreis zuständig – an alte Menschen gereicht, die von ihrer geringen Rente nicht leben können. Sie erhalten jetzt das Geld, das den Eltern erwachsener behinderter Kinder abgezweigt wurde.“ Dies wurde auf Grundlage einer Vielzahl von Gesprächen mit betroffenen Eltern vom Kreistagsabgeordneten Eberhard Schröder, Die Linke, am 16. November 2012 aufgeschrieben. Ähnliche Berichte kenne ich auch aus Gera in Thüringen, Gemeinden in Bayern und anderen Kommunen. Am 5. Dezember 2012 übergab eine Elterninitiative 2 305 Unterschriften an den Landrat Dr. Michael Ermrich anlässlich der Harzer Kreistagssitzung. Inzwischen sind weitere 400 Unterschriften hinzugekommen. Nachfolgend die Worte von Frau Birgit Kortum, Vertreterin der Elterninitiative Quedlinburg, anlässlich der Übergabe der 2 305 Unterschriften gegen die Kindergeldabzweigung: „Sehr geehrter Herr Landrat, sehr geehrte Mitglieder des Kreistages, ich spreche heute für mich und für alle -Eltern, denen der Landkreis per Verfügung das Kindergeld, welches wir für unsere behinderten Kinder von der Kindergeldkasse erhalten haben, abspricht. Der Landkreis unterstellt uns damit, dass wir uns nicht ausreichend um unsere behinderten Angehörigen kümmern. Uns wird weiter unterstellt, dass wir das Kindergeld nicht für unsere Kinder ausgeben, und wir müssen detailliert aufführen, was wir mit dem Kindergeld machen und wie wir es verwenden, damit wir es ganz oder teilweise weiter bekommen. Als seinerzeit das Gesetz erlassen wurde, dass Kindergeld länger für ein behindertes Kind gezahlt werden kann, hat man sicherlich bedacht, dass Eltern, die ihr behindertes Kind zu Hause haben, ständig gefordert sind und mehr Ausgaben haben als mit einem gesunden Kind, welches einmal selbstständig leben kann. Wir fordern deshalb die Rücknahme der Abzweigungsanträge durch den Landkreis. Nicht nur wir, sondern auch viele Bürger unseres Landes unterstützen unsere Forderung mit ihrer Unterschrift, und deshalb möchte ich Ihnen heute einen Teil der Listen unserer Unterschriftenaktion übergeben.“ Auf Antrag der Fraktion Die Linke im Landtag Sachsen-Anhalt gab es am 14. Dezember 2012 dazu eine Debatte in der Landeshauptstadt Magdeburg – „Abzweigung von Kindergeld für erwachsene Behinderte stoppen“, Drucksache 6/1671 –, auch in den Landtagen Bayern und Thüringen stand das Thema schon auf der Tagesordnung. Auch der Bundesregierung ist das Problem seit längerem bekannt. Ich verweise diesbezüglich unter anderem auf meine Anfragen aus den Jahren 2010 und 2011 sowie die abwiegelnden Antworten und äußerst halbherzigen Reaktionen der Bundesregierung dazu. Schon damals erklärte die Bundesregierung, dass hier gegen geltendes Recht verstoßen wird und sie Maßnahmen zur Änderung der kritisierten Praxis ergreift. Und trotzdem wird das Kindergeld Familien mit behinderten Jugendlichen vorenthalten. Deswegen unterstützt die Linke auch den hier zur Abstimmung stehenden Antrag der Grünen. Absurd sind die Begründungen von CDU/CSU, FDP und SPD für ihre Ablehnung bzw. Stimmenthaltung, nachzulesen in der Beschlussempfehlung, Drucksache 17/11748. Selbstverständlich: Es gibt bessere Möglichkeiten für Nachteilsausgleiche als das gegenwärtige Kindergeldsystem. Ich nenne dafür die Vorschläge der Linken, nachzulesen in unserem Antrag für ein Teilhabesicherungsgesetz, Drucksache 17/7889. Aber solange diese Form von bedarfsgerechten, einkommens- und vermögensunabhängigen Teilhabeleistungen nicht verwirklicht ist, muss das vorhandene System im Sinne der -Betroffenen umgesetzt werden. Und das heißt unter anderem, dass Kindergeldabzweigungen nur in wenigen begründeten Ausnahmefällen möglich sein dürfen. Und auf ein weiteres, großes Problem möchte ich an dieser Stelle hinweisen. Wenn Eltern, in deren Haushalt ein erwachsenes behindertes „Kind“ lebt, selbst Hartz IV – SGB II – oder Grundsicherung – SGB XII – beziehen, wird ihnen in jedem Fall das Kindergeld als Einkommen angerechnet und von ihrem Regelsatz abgezogen. Hinzu kam die Einführung der Regelbedarfsstufe 3, mit der die Regelsätze für junge Menschen, die bei den Eltern leben, gekürzt wurden. Hier geht es nicht um den Umgang von einzelnen Kommunen mit Bundesgesetzen, sondern um bestehendes Bundesrecht selbst. Hartz IV und die Agenda 2010 sind Armut per Gesetz. Für mich bleibt es ein Skandal, wenn immer wieder bei den Ärmsten in der Gesellschaft gespart wird, wenn bei Familien mit Kindern und vor allem bei -Familien mit Kindern bzw. Jugendlichen mit Behinderungen Geld abgezweigt wird. Dabei gibt es andere Möglichkeiten, Geld für klamme Haushalte in Bund, Ländern und Kommunen abzuzweigen, denke ich nur an unnötige Ausgaben für Banken, Konzerne, für unsinnige Großprojekte, für Rüstung und Kriegseinsätze. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Niemand hier stellt infrage, dass Eltern, deren erwachsene behinderte Kinder ihren Lebensunterhalt nicht durch Erwerbsarbeit bestreiten können, weiterhin Kindergeld beziehen sollen. Nur in begründeten Einzelfällen, wenn zum Beispiel zwischen Eltern und Kind kein Kontakt besteht, ist eine Kindergeldzahlung nicht gerechtfertigt. Die Diskussion, die wir im Ausschuss über den hier zur Debatte stehenden Antrag hatten, hat die Einigkeit zwischen den Fraktionen in dieser Hinsicht sehr deutlich gemacht. Da angenommen werden kann, dass den Eltern in Folge der Beeinträchtigung ihres Kindes höhere Kosten entstehen als Eltern nichtbehinderter Kinder, erhalten sie auch eine staatliche Leistung länger. Die Einigkeit darüber, dass es bei der Umsetzung dieses Rechtsanspruchs erhebliche Probleme gibt, war im Ausschuss ebenfalls relativ groß. Kein Wunder, denn die Zahl der Klagen ist in dieser Sache hoch, und ich nehme an, dass sich betroffene Familien nicht nur an mich gewandt haben. So hat mir beispielsweise ein Vater aus Thüringen vom Rechtsstreit berichtet, den die Familie im Zusammenhang mit dem Kindergeld für die erwachsene behinderte Tochter hat. Nachdem die Familienkasse nach Prüfung der von den Eltern eingereichten Unterlagen den Antrag des Sozialhilfeträgers auf Abzweigung abgelehnt hatte, klagte der Sozialhilfeträger. Das Sozialamt klagte aber nicht nur in diesem Fall, sondern in dieser Stadt gleich in über zehn Fällen. In meinem Wahlkreis Dortmund hat die Stadt im vorletzten Jahr bei 550 infrage kommenden Fällen 458 Abzweigungsanträge gestellt. Bei nahezu allen von der Familienkasse abgelehnten Fällen hat der Sozialhilfeträger Einspruch eingelegt. Aus anderen Bundesländern ist mir Ähnliches bekannt. Den Eltern entsteht durch diese Praxis der Sozialhilfeträger zum einen der Aufwand, kleinteilig nachzuweisen, in welchem Umfang sie für ihre Kinder aufkommen. Zum anderen entsteht Unsicherheit, inwiefern sie sich auf diese Leistung -finanziell verlassen können. So war diese Leistung nicht gedacht. Ich habe es schon gesagt: Das Kindergeld darf nur in besonders begründeten Ausnahmefällen entzogen werden, in dieser Frage sind sich alle Fraktionen einig. Es ist leicht nachzuweisen, dass die Sozialhilfeträger nicht nach diesem Prinzip agieren. Ich kann das angesichts der prekären finanziellen Lage der Träger auch nachvollziehen. Das ändert aber nichts daran, dass sie mit ihrer Praxis der Intention des Gesetzgebers widersprechen, von den Kosten, die durch die zahlreichen Gerichtsverfahren entstehen, ganz zu schweigen. Eine Klarstellung scheint also tatsächlich geboten zu sein. In Anbetracht der großen interfraktionellen Einigkeit in der Sache würde man annehmen, dass unser Antrag auch auf große Zustimmung stößt. Dies ist leider nicht der Fall. Die Koalitionsfraktionen meinen, die Rechtslage sei klar, und die Bundesregierung steuere der kritisierten Entwicklung bereits entgegen. Warum bei klarer Rechtslage derart viele Prozesse geführt werden, leuchtet mir nicht ein. Aber ich hoffe wirklich, dass dieses Gegensteuern bald positive Effekte zeitigt. Die Probleme sind ja nun lang genug bekannt. Erstaunt haben mich mit ihrem Abstimmungsverhalten zum wiederholten Male die Sozialdemokraten. Denn die SPD kann sich ebenfalls nicht zu einer Zustimmung durchringen. Zwar hat auch die SPD infolge unseres Antrags geprüft, ob es tatsächlich ein Problem gibt mit vermehrten Abzweigungsanträgen, und dabei festgestellt, dass dies der Fall ist. Insbesondere einen Grund hat die Fraktion im Ausschuss genannt, der ihr an unserem Antrag Bauchschmerzen bereitet. Denn das Geld, das jetzt die Familien bekommen, müsse eigentlich an die Menschen mit Behinderung selbst ausgezahlt werden. Ich halte dies ebenfalls für das richtige langfristige Ziel, deshalb haben wir es auch in unseren Antrag aufgenommen. Es „muss eine Lösung gefunden werden, die Menschen mit Beeinträchtigungen entsprechend ihrer behinderungsbezogenen, -individuellen Mehrbedarfe einen einkommens- und vermögensunabhängigen Nachteilsausgleich garantiert. Solange eine solche Neuregelung im Sinne von Menschen mit Behinderungen nicht gefunden ist, muss die Praxis der nicht gerechtfertigten flächenmäßigen Kindergeldabzweigung beendet werden.“ Warum die SPD einem Antrag nicht zustimmen kann, der Familien mit behinderten Kindern entlastet, ohne dabei aus dem Blick zu verlieren, dass langfristig das System der Nachteilsausgleiche für Menschen mit Behinderung neu geordnet werden muss, ist schlicht nicht nachvollziehbar. Es ist die Weigerung, die konkreten Probleme anzugehen, mit denen Menschen mit Behinderung und ihre Familien zu kämpfen haben. Oder anders gesagt: Ich freue mich darauf, die SPD an ihre weitgehenden Forderungen zu erinnern, sollte sie in Regierungsverantwortung kommen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Empfehlung auf Drucksache 17/11748, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/10863 abzulehnen. Wer stimmt für diese Empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und Grünen bei Enthaltung der SPD angenommen. Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – PStRÄndG) – Drucksache 17/10489 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, sind die Reden zu Protokoll genommen. Helmut Brandt (CDU/CSU): In der heutigen Debatte beschäftigen wir uns in erster Lesung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften. Bei Inkrafttreten des Reformgesetzes zum 1. Januar 2009 standen die für die Einführung der elektronischen Registerführung erforderlichen technischen Komponenten und Verfahren noch nicht zur Verfügung. Deshalb wurde für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2013 auch weiterhin die Beurkundung in Papierregistern zugelassen. Die fünfjährige Übergangsphase für die verbindliche Einführung der elektronischen Beurkundungs- und Mitteilungsverfahren im Personenstandswesen gab den Ländern Gelegenheit, erste Erfahrungen der Standesämter und Rechenzentren mit dem neuen Recht und den elektronischen Prozessen auszuwerten und für eine Überprüfung der entsprechenden Vorschriften zu nutzen. Die von den Personenstandsrechtsreferenten der Länder am 25. Februar 2010 beschlossene Evaluierung hat gezeigt, dass das neue Recht sich bei der praktischen Anwendung in den -Standesämtern grundsätzlich bewährt hat. Regelungs-lücken werden durch den jetzt vorgelegten Änderungsentwurf geschlossen. Viele der Änderungen sind lediglich redaktioneller Art. An dieser Stelle möchte ich niemanden mit Details langweilen. Dennoch ist das Thema wichtig, denn es betrifft jeden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin in unserem Land im täglichen Leben. Bei Geburt, Umzug, Hochzeit, Scheidung, Kindern und Tod spielt das Personenstandsrecht eine wichtige Rolle. Deshalb möchte ich insbesondere auf die Änderungen eingehen, die dazu dienen sollen, den betroffenen Menschen das Leben zu erleichtern, und die ich deshalb als besonders hervorhebenswert erachte. Da ist zum einen: Die Antragsberechtigung für -Sterbefälle von Deutschen im Ausland. Diese wird erweitert. Das betrifft einerseits Personen, die nach dem Verstorbenen erbberechtigt sind. Diese Personen haben zwar einen Rechtsanspruch auf Ausstellung einer Sterbeurkunde – § 62 Abs. 1 Satz 2 PStG –, konnten jedoch bisher die Nachbeurkundung eines nicht im Inland beurkundeten Sterbefalls nicht verlangen. Dies kann jedoch – wie die Praxis zeigt – erforderlich sein, wenn der Verstorbene in einem Land verstorben ist, das für ausländische Staatsangehörige keine Sterbeurkunden ausstellt. Darüber hinaus wird den deutschen Auslandsvertretungen insbesondere für Sterbefälle von Bundeswehrsoldaten, Polizeibeamten und sonstigen im Dienst der Bundesrepublik Deutschland stehenden Personen, die im Auslandseinsatz versterben, eine Antragsberechtigung eingeräumt. Besonders wichtig erscheint mir auch, dass der jetzt vorgelegte Änderungsentwurf für Eltern die Möglichkeit schafft, eine Fehlgeburt dem Standesamt gegenüber anzuzeigen und ihr totgeborenes Kind – unabhängig von dessen Gewicht – über den Eintrag in das Personenstandsregister juristisch als Person anerkennen zu lassen. Eine Fehlgeburt ist für die betroffenen Familien schrecklich. Ich kann das Bedürfnis von Eltern, ihrem totgeborenen Kind einen Namen und damit eine Identität geben zu wollen und es beerdigen zu können, gut nachvollziehen. Eine Schutzmöglichkeit eröffnet auch der Änderungsentwurf gemäß § 62 Transsexuellen vor einer Offenbarung ihrer Transsexualität. Durch das Änderungsgesetz zum Transsexuellengesetz vom 17. Juli 2009 ist die Ledigkeit des Antragstellers nicht mehr Voraussetzung für die gerichtliche Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit. Dadurch können verheiratete Trans-sexuelle ihre bestehende Ehe oder Lebenspartnerschaft trotz des Wechsels der Geschlechtszugehörigkeit fortführen. In der Ehe- und Lebenspartnerschaftsurkunde wird in solchen Fällen durch die Anpassung der Leittexte „Ehemann“ und „Ehefrau“ oder durch die Angabe eines geänderten Vornamens mittelbar die Tatsache der Transsexualität eines Partners offensichtlich. Mit der beabsichtigten Regelung wird deshalb der -bisher nur für Geburtsurkunden bestehende Offen-barungsschutz auch auf die Erteilung von Ehe- und Lebenspartnerschaftsurkunden erweitert. Nach § 62 Abs. 3 Personenstandsgesetz gilt diese Beschränkung auch für die Auskunft aus einem und Einsicht in einen Registereintrag sowie Auskunft aus den und Einsicht in die Sammelakten des Standesamts. Der vorliegende Entwurf, der unter Einbeziehung der Länder zustande gekommen ist, ist fachlich und politisch zu begrüßen. Es ist notwendig, das Personenstandsrecht den Anforderungen und den Bedürfnissen unserer Zeit anzupassen und Gesichtspunkte wie Deregulierung, Verwaltungsvereinfachung und Kostenreduzierung zu berücksichtigen. Durch die jetzt vorgesehenen Änderungen wird eine nachhaltige Harmonisierung des Personenstandsrechts in Deutschland und eine -effektive Durchführung des personenstandsrechtlichen Beurkundungsverfahrens erreicht. Soweit an der einen oder anderen Stelle möglicherweise noch Optimierungsbedarf besteht, können wir dies im Verfahren berücksichtigen. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. Gabriele Fograscher (SPD): Im November 2006 haben wir in der Großen Koalition das Gesetz zur Reform des Personenstandsrechts verabschiedet. Dieses Gesetz, das 2007 in Kraft getreten ist, basiert auf einem Entwurf der rot-grünen Koalition aus der 15. Wahlperiode und wurde nur wenig verändert. Es hat das Personenstandsrecht von 1937 in der Fassung von 1957 abgelöst. Die Schwerpunkte der damaligen Reform waren die Einführung elektronischer Personenstandsregister anstelle der bisherigen papiergebundenen Personenstandsbücher, die Begrenzung der Fortführung der Personenstandsregister durch das Standesamt sowie die Abgabe der Register an die Archive, die Ersetzung des Familienbuchs durch Beurkundungen in den Personenstandsregistern, die Reduzierung der Beurkundungsdaten auf das für die Dokumentation des Personenstandes erforderliche Maß, die Neuordnung der Benutzung der Personenstandsbücher sowie die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für eine Testamentsdatei. Da das damalige Gesetz eine tiefgreifende Änderung, nämlich die Umstellung von papiergestützter Beurkundung auf ein elektronisches Register bedeutete, wurde damals eine Übergangsfrist in § 75 PStG aufgenommen. Diese Übergangsfrist endet am 30. Juni diesen Jahres. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass sich die Reform des Personenstandsrechts bewährt hat. Das nun vorliegende Personenstandsrechts-Änderungsgesetz setzt die Ergebnisse der Evaluierung des Personenstandsrechts von 2007 um. Es sind nur punktuelle Verbesserungen notwendig. Leider beschränkt sich dieser Gesetzentwurf nur auf technische und formelle Fragen und lässt Menschen, die Probleme mit der personenstandsrechtlichen Eintragung haben, außer Acht. Der Deutsche Ethikrat hat im Februar 2012 eine Stellungnahme zum Themenschwerpunkt „Intersexualität“ vorgelegt. In dieser Stellungnahme, die der Ethikrat im Auftrag der Bundesregierung erstellt hat, gibt er auch Empfehlungen an die Politik. In den Empfehlungen zum Personenstandsrecht heißt es: „Der Deutsche Ethikrat ist der Auffassung, dass ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Gleichbehandlung vorliegt, wenn Menschen, die sich aufgrund ihrer körperlichen Konstitution weder dem Geschlecht ‚weiblich‘ noch ‚männlich‘ zuordnen können, rechtlich gezwungen werden, sich im Personenstandsregister einer dieser Kategorien zuzuordnen.“ Der Ethikrat schlägt vor, ein sogenanntes drittes Kästchen, zu ermöglichen und auch auf eine Eintragung zu verzichten, bis sich der oder die Betroffene selbst entscheiden kann. Diese Änderungen fordert auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme. Die Bundesregierung hingegen äußert sich wie folgt dazu: „Eine Lösung der komplexen Probleme insbesondere unter Berücksichtigung medizinischer Aspekte kann in diesem schon weit fortgeschrittenen Gesetzgebungsverfahren nicht kurzfristig gefunden werden.“ Diese Aussage ist eine Enttäuschung für die Betroffenen. Die Stellungnahme des Ethikrates ist vom Februar 2012. Im Mai 2012 wurde der Gesetzentwurf dem Bundesrat zugeleitet. Es wäre also hinreichend Zeit gewesen, sich mit diesem Thema zu befassen, die Empfehlungen des Ethikrates aufzunehmen oder einen Änderungsantrag vorzulegen. Offensichtlich nimmt die Bundesregierung die Probleme und Sorgen der Betroffenen nicht ernst. Es wird, wie in vielen anderen Bereichen auch, so zum Beispiel beim Transsexuellengesetz, das durch mehrere Bundesverfassungsgerichtsurteile in vielen Teilen verfassungswidrig ist, nur angekündigt und vertröstet, aber nicht gehandelt. Ein weiteres Problem, das durch diesen Gesetzentwurf nicht gelöst wird, ist das Problem der „Weißen Karteikarten“. Dabei geht es um den Schutz des Erbrechts und der Verfahrensbeteiligungsrechte nichtehelicher und einzeladoptierter Kinder im Nachlassverfahren. Die Standesämter führen in Deutschland seit Ende des 19. Jahrhunderts die Personenstandsregister. Der Staat beurkundet dort den Personenstand jedes Bürgers – und damit seine Stellung innerhalb der Rechtsordnung einschließlich des Namens. Während eheliche Kinder schon ab 1935 beim Heiratseintrag oder im Familienbuch registriert wurden, war die Praxis bei nichtehelichen Kindern uneinheitlich. So gab es zum Beispiel von 1958 bis 1970 keine Hinweise bei den Geburtseinträgen der Eltern, von 1970 bis 2009 wurden die Geburtsregister der Eltern über die Geburt nichtehelicher Kinder mittels Weißer Karteikarten unterrichtet, die von den Geburtsstandesämtern der Kinder übersandt wurden. Im Personenstandsregister der Eltern wurde ein Vermerk angebracht. Nach der Wende galt dieses Verfahren ab 1990 auch in den neuen Bundesländern. Vergleichbare Regelungen gab es über die Jahrzehnte für einzeladoptierte Kinder. Seit 1. Januar 2009 wird einheitlich am Geburtseintrag beider Eltern ein Hinweis auf alle Kinder mit den Kindesdaten angebracht. Eine Unterscheidung zwischen ehelichen, nichtehelichen und einzeladoptierten Kindern findet nicht statt. Die Frage, die sich nun stellt und die der Gesetzentwurf nicht löst, ist der weitere Umgang mit diesen Weißen Karteikarten. Der Bundesrat schlägt in einem Gesetzentwurf vor, die Weißen Karteikarten zusammen mit den sogenannten Gelben Karteikarten, die Verwahrungsnachrichten über Testamente und Erbverträge enthalten, an das zentrale -Testamentsregister der Bundesnotarkammer zu überführen. Dann könnte die Bundesnotarkammer die Nachlassgerichte wenigstens über nichteheliche und einzeladoptierte Kinder, die in den alten Bundesländern zwischen 1970 und 2008 und in den neuen Bundesländern zwischen 1990 und 2008 geboren wurden, unterrichten. Die Bundesregierung lehnt dies ab. Sie kümmert sich leider überhaupt nicht um dieses Problem. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion vom November des vergangenen Jahres hat sie ausgeführt, es sei gar nicht nötig, das Vorhandensein nichtehelicher Kinder im Sterbefall dem Nachlassgericht mitzuteilen. Die Bundesregierung hat weiter mitgeteilt, es sei richtig, dass die Standesämter die Weißen Karteikarten vernichten dürften. Die Bundesregierung habe sich jedoch dieser Problematik angenommen und sei mit den Ländern im Gespräch. Die Bundesregierung gehe davon aus, dass eine angemessene Regelung gefunden wird. Geschehen ist seither nichts. Auch in diesem Gesetzentwurf findet sich kein Wort dazu. Der Bundesrat hat das bemängelt. Jetzt schlägt die Bundesregierung in ihrer Erwiderung vor, dass die Länder selbst in einer Rechtsverordnung die Aufbewahrung und Nutzung der Weißen Karteikarten regeln sollen. Das ist keine ernsthafte Lösung, sondern eine unangemessene Abschiebung des Problems. In der Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD hat die Bundesregierung noch erklärt, die Länder könnten gar keine Schutzregelungen erlassen. Wir brauchen für einen wirksamen Schutz des Erbrechts der betroffenen Kinder einen einheitlichen Standard und Vollzug, und dafür muss der Bundesgesetzgeber sorgen. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass dieser Gesetzentwurf die personenstandsrechtliche Registrierung von sogenannten Sternenkindern vorsieht. Kinder, die mit einem Gewicht von weniger als 500 Gramm tot zur Welt kommen, werden Sternenkinder genannt. Bisher sieht das derzeit gültige Personenstandsrecht keine personenstandsrechtliche Erfassung dieser Kinder vor. Deshalb begrüßen wir als SPD-Bundestagsfraktion es ausdrücklich, dass es hier eine Veränderung gibt. Ich selbst habe von vielen Eltern von Sternenkindern Briefe bekommen, in denen sie mir erklärt haben, dass eine solche Eintragung ihrer Kinder, die sie verloren haben, ein wichtiger Beitrag zur Verarbeitung dieses Verlustes ist. Eine Frage, die mir von Eltern gestellt wurde, ist, ob wir nicht auch eine rückwirkende Eintragung der Sternenkinder ermöglichen können. Den Eltern ist durchaus klar, dass sich aus einer solchen Eintragung keine finanziellen oder sonstigen Ansprüche ergeben. Für sie geht es nur darum, dass ihr Kind nicht einfach nur eine Fehlgeburt ist, sondern auch rechtlich als Kind anerkannt wird. Für viele Eltern von Sternenkindern hat diese Eintragung eine hohe emo-tionale Bedeutung. Auch wenn die Vorschrift des § 31 des Gesetzentwurfes wohl eine rückwirkende Registrierung der Sternenkinder ermöglicht, so wäre für die Betroffenen eine explizite Formulierung in dieser Vorschrift sicherlich ein gutes Signal. Darüber sollten wir in den Beratungen sprechen. Das Gesetz enthält klarstellende und vor allem redaktionelle Änderungen, bringt aber keine Verbesserungen für intersexuelle und transsexuelle Menschen. Deren Anliegen scheinen die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen nicht zu interessieren. Auch wollen sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen ihrer Verantwortung bezüglich der nichtehelichen und einzeladoptierten Kinder nicht stellen. Ich hoffe, dass wir in den anstehenden Beratungen doch noch zu Fortschritten kommen. Manuel Höferlin (FDP): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das Personenstandsgesetz von 2007 durch die christlich-liberale Koalition nachhaltig verbessert. Die Änderung des Gesetzes ist nötig, weil einige Aspekte des Gesetzes sich als nicht zeitgemäß herausgestellt haben und an die Gegebenheiten und an die gesellschaftlich gelebten Realitäten angepasst werden müssen. In unserem Land kommt es tragischerweise immer wieder dazu, dass Kinder tot geboren werden und weniger als 500 Gramm wiegen. Bisher hat das Personenstandsrecht diese Sternenkinder nicht erfasst. Für den Staat haben sie rechtlich sozusagen nicht existiert. Das trifft aber überhaupt nicht die brutale Realität, mit der die Eltern konfrontiert sind, die eine Bindung zu ihrem ungeborenen Kind aufgebaut haben und die mit den Rechtsfolgen des alten Personenstandsgesetzes konfrontiert sind. So kam es in der Vergangenheit leider vor, dass Friedhöfe die Bestattung dieser Kinder verweigerten, so wie es einem Ehepaar aus Hessen geschehen ist. Das ist nicht hinnehmbar. Eltern sollen immer ein Recht auf Anerkennung ihrer Elternschaft haben. Sie sollen die Möglichkeit bekommen, um ihr Kind angemessen trauern zu können, wenn sie es so früh verloren haben, und sie sollen die Möglichkeit bekommen, seiner anständig gedenken zu können. Das möchten wir mit Ihrer Zustimmung im Personenstandsrechts-Änderungsgesetz schaffen. Und darum bitte ich Sie alle herzlich um Ihre Zustimmung. Doch damit hört es nicht auf: Viele Deutsche halten sich immer wieder im Ausland auf. Sie gehen als Entwicklungshelfer oder Katastrophenschützer oder als Freiwillige im Entwicklungsdienst ins Ausland, sie dienen als Bundeswehrsoldaten oder Polizisten. Sie berichten als Korrespondenten aus Krisengebieten, oder sie machen Urlaub auf den Kanarischen Inseln. Immer wieder kommt es dabei zu Todesfällen. Ein Sprengsatz, ein bewaffneter Raubüberfall, ein Verkehrsunfall, ein Badeunfall: All diese Ereignisse haben in der Vergangenheit zum tragischen Tod von Deutschen im Ausland geführt. Die Hinterbliebenen stehen derzeit vor großen Problemen. Sie haben einen schmerzhaften persönlichen Verlust erlitten und müssen sich zusätzlich um die Rückführung ihres verstorbenen Angehörigen kümmern. Und sie haben behördlichen Aufwand, da sie derzeit noch bei ihrem örtlichen Standesamt die Sterbeurkunde des Angehörigen ausfertigen lassen müssen. Dass Menschen in einer solch schwierigen Situation auch noch mit bürokratischem Ärger behelligt werden – ja sogar Probleme bekommen können, da eventuell wichtige Unterlagen nicht sofort beigetrieben werden können –, halte ich für inakzeptabel. Daher passen wir im neuen Personenstandsgesetz die Verwaltungsarbeit an die Realität an. Zukünftig können auch deutsche Auslandsbehörden die Ausstellung der Sterbeurkunde in Auftrag geben und die Angehörigen so entlasten. Das ist eine Verbesserung. Daneben werden wir noch eine Reihe technischer Anpassungen im Gesetz durchführen, um das Personenstandswesen zeitgemäßer und moderner zu machen und es stärker an der Lebensrealität der Bürgerinnen und Bürger zu orientieren. So wollen wir die Erfassung der Geschlechtszugehörigkeit in bestimmten Fällen zukünftig genauer bestimmen und harmonisieren, nicht zuletzt, um damit auch Transsexuellen zukünftig die Möglichkeit zu geben, ihr rechtliches Geschlecht richtig dokumentieren zu lassen. Insgesamt kann man sagen: Mit dem Personenstandsrechts-Änderungsgesetz schaffen wir mehr Möglichkeiten und Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Ich bitte Sie daher, dieses Gesetzesvorhaben zu unterstützen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Im Jahr 2006 hat der Bundestag eine weitreichende Reform des deutschen Personenstandsrechts beschlossen, die 2009 in Kraft getreten ist. Mit dieser Reform wurde das Personenstandsrecht in der Bundesrepublik entschlankt und zugleich auf eine elektronische Führung der Personenstandsdaten umgestellt. Dieses Gesetz soll nun nach den ersten Erfahrungen mit der Einführung der elektronischen Register in den Ländern nochmals gestrafft und klarer formuliert werden. Dem ist zunächst einmal nichts entgegenzuhalten. Doch an den seinerzeit umstrittenen Punkten ändert sich nichts, ohne dass der Gesetzentwurf sich dazu weiter äußert. Diese Punkte seien hier nochmals ins Gedächtnis gerufen. Durch eine Länderöffnungsklausel ist die Schließung einer Lebenspartnerschaft vor dem Standesamt weiterhin nicht in allen Ländern obligatorisch. In Bayern wird die Lebenspartnerschaft immer noch vor dem Notar geschlossen und dann vom Standesamt lediglich eingetragen. Gleichgeschlechtlichen Paaren bleibt damit der feierliche Rahmen, den die Standesämter bieten, verwehrt. Im Übrigen bleibt auch die Übertragung der Daten über die Schließung einer Lebenspartnerschaft an die Kirchen erhalten. In Einrichtungen der katholischen Kirche kann das Bekanntwerden einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zur Kündigung führen. Um bei den Kirchen zu bleiben: Die Aufnahme der Religionszugehörigkeit in die Geburtenregister wurde mit der Reform im Jahr 2009 auf eine freiwillige Basis gestellt. Weiterhin ist aber die Frage offen, wozu dieses Datum denn überhaupt in den Geburtenregistern eingetragen werden soll. Im Sinne der Datensparsamkeit hätte dieses Merkmal nun ganz gestrichen werden können, denn schließlich ist es für keine Behörde außer das Finanzamt von Relevanz. Ich will noch auf einen letzten Punkt eingehen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme von der Bundesregierung gefordert, sie möge die Einführung einer Kategorie „anderes“ als dritte Alternative bei der Angabe des Geschlechts in personenstandsrechtlichen Angelegenheiten prüfen. Es ist bekannt, dass trans- und inter-sexuelle Menschen durch die geltende Rechtslage massiv diskriminiert werden, weil man ihnen verweigert, ihre Geschlechtsidentität in ihrem Pass und weiteren Urkunden amtlich dokumentieren zu lassen. Der Bundesrat schließt sich deshalb mit seiner Stellungnahme einer Empfehlung des Nationalen Ethikrates vom Februar 2012 an. Die Bundesregierung weist dieses Ansinnen mit der Begründung zurück, die mit Intersexualität verbundenen Probleme seien hochkomplex, und man müsse erst Betroffene und Sachverständige anhören. Ich will darauf hinweisen, dass es schon 2007 im Innenausschuss des Bundestages ein öffentliches Fachgespräch zum Thema Transsexuellenrecht gab. Von einzelnen Betroffenen und ihren Verbänden liegen zahlreiche Stellungnahmen vor. Die komplexen Probleme als auch mögliche Lösungs-ansätze sind also schon lange bekannt. Es gibt zahlreiche Modelle, wie die Interessen und Bedürfnisse von Inter- und Transsexuellen im Personenstandsrecht berücksichtigt werden können. So ist es in Australien möglich, statt männlich oder weiblich ein X in den Pass eintragen zu lassen. Staaten rund um die Welt haben ähnliche Lösungsansätze. Die Diskriminierung von inter- und transsexuellen Menschen muss endlich beendet werden. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Für den Protagonisten von B. Travens weltberühmtem Roman „Das Totenschiff“ wird der Verlust seiner Papiere zu einer kafkaesken Reise ins Nichts, gleichbedeutend mit dem Verlust von Identität und Hoffnung. Alles kein Problem, werden Sie ganz nüchtern entgegnen, er kann ja eine neue Geburtsurkunde beantragen. Dafür braucht es aber ein funktionierendes Personenstandswesen. Das moderne bundesdeutsche Personenstandsrecht verfügt die Erfassung und Beglaubigung der Bundesbürger in für rechtlich relevant erklärten Personenstandsereignissen wie Geburt, Heirat, Tod, Adoption, Vaterschaftsanerkennung oder auch Namensänderung, weil an diese Ereignisse wichtige Rechtsfolgen geknüpft werden. Zuständig sind bei uns die Standesämter der Kommunen, die Erfassung erfolgt – das Beurkundungsmedium Papier hat abgedankt – in unterschiedlichen elektronischen Registern. Über den Umfang und Inhalt der Einträge wird regelmäßig gestritten. Die wesentliche Reform des Personenstandswesens erfolgte in der letzten Legislaturperiode. Die schwarz-rote Koalition war in der glücklichen Lage, im Wesentlichen auf die Vorarbeiten der rot-grünen Koalition zu dieser komplexen Fachmaterie zurückgreifen zu können. Im Ergebnis wurden insbesondere die Beurkundung in elektronischen Personenstandsregistern und der standardisierte elektronische Informationsaustausch zwischen den Standesämtern gesetzlich umgesetzt. Für die tatsächliche Umsetzung dagegen wurde eine fünfjährige Übergangsperiode und die Evaluierung der Erfahrungen durch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe festgesetzt. Die Ergebnisse der Evaluierung liegen nach Angaben der Bundesregierung im Wesentlichen dem nun vorgelegten Gesetzentwurf zugrunde. Der heute zu diskutierende Gesetzentwurf umfasst vor allem klarstellende und redaktionelle Änderungen, die wir mittragen können. Hervorzuheben sind die verschiedentlich geforderte neu geschaffene Möglichkeit der Anzeige auch einer Fehlgeburt gegenüber dem Standesamt und die Erlangung einer amtlichen Bescheinigung hierüber. Ferner ausdrücklich zu begrüßen ist die Erweiterung der Antragsmöglichkeiten für die gerichtliche Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit auch auf Verheiratete. Dadurch können verheiratete Transsexuelle ihre bestehende Ehe oder Lebenspartnerschaft fortführen. Bedauerlich bleibt, dass die Bundesregierung im Rahmen dieser Reform keine Bereitschaft zeigt, auf die auch vom Bundesrat unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates angeratene Berücksichtigung von Intersexuellen einzugehen. Wir haben dazu in einem eigenen Antrag, Bundestagsdrucksache 17/5528, und in Übereinstimmung mit dem Ethikrat eine eigene Berücksichtigung Intersexueller im Personenstandsrecht eingefordert bzw. eine Überprüfung der Notwendigkeit der Eintragung des Geschlechts, gegebenenfalls deren Ausdifferenzierung. Das Personenstandswesen wird in dem Maße im Umbruch bleiben, wie der gesellschaftliche Wandel Veränderungen von Ehe, Familie oder auch Identitätsvorstellungen allgemein nach sich zieht. Gerade bei der von uns maßgeblich erstrittenen Lebenspartnerschaft werden wir weiter darauf hinwirken, dass die Gleichbehandlung auch im Rahmen des Personenstandsrechts gewahrt bleibt. Datenschutz und Daten-sicherheit der mittlerweile auf digitale Verarbeitung umgestellten Personenstandsregister bleiben ebenfalls aktuell. Von besonderer Bedeutung bleiben dabei die Einhaltung des Erforderlichkeitsgrundsatzes und die Beschränkung der Erfassung von personenbezogenen Daten auf das zur Zweckerreichung unbedingt Erforderliche. Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Das Bundeskabinett hat im Mai 2012 Änderungen des Personenstandsrechts auf den Weg gebracht. Der Gesetzentwurf ist für eine kleine Gruppe von Eltern ganz besonders wichtig, für Eltern nämlich, deren Kind mit einem Gewicht von unter 500 Gramm tot zur Welt gekommen ist. Er sieht vor, dass sie ihr Kind beim Standesamt namentlich anmelden können. Sie können seine Geburt so dauerhaft dokumentieren lassen und ihm damit offiziell eine Existenz geben. Das war bisher nicht möglich. Sogenannte Fehlgeburten, also Kinder, die mit unter 500 Gramm tot geboren wurden, waren grundsätzlich von der Beurkundung ausgeschlossen. Eltern, die mit einer Fehlgeburt im fortgeschrittenen Schwangerschaftsstadium schon einen schweren Schicksalsschlag erlitten hatten, mussten auch noch hinnehmen, dass ihr totes Kind behandelt wird, als hätte es nie existiert. Ich bin sehr froh, dass ich dem Kabinett zusammen mit meinem Kollegen Herrn Bundesminister Dr. Friedrich einen Regelungsvorschlag vorlegen konnte, der endlich einen würdigen Umgang mit diesen „Sternenkindern“, wie viele Eltern sie nennen, ermöglicht. Das Thema liegt mir sehr am Herzen, weil solche Schicksale mir auch persönlich sehr nahegehen. Immer wieder bekomme ich dazu Briefe betroffener Eltern. Besonders bewegt hat mich der Brief einer Frau, die mir ein Foto ihrer totgeborenen Zwillinge geschickt hat. Sie hatte in der 22. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt. Ihre Zwillinge haben zu diesem Zeitpunkt 420 Gramm und 450 Gramm gewogen. Ich habe dieses Bild gesehen, das zwei winzige und doch so vollständige Menschen zeigt, und konnte das tiefe Bedürfnis der Eltern so gut verstehen, ihren Kindern einen -Namen zu geben und damit auch deutlich zu machen: Wir sind Mutter und Vater, auch wenn unsere Kinder nicht mehr leben. Diesen Brief und das Foto habe ich -damals an meinen Kollegen, Bundesminister Dr. Friedrich, geschickt. Wir waren uns einig, dass wir diesen Eltern helfen müssen. Dieser Meinung sind, wie ich weiß, auch viele Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag, und das ist auch und vor allem ein Verdienst der Familie Martin. Ihre Geschichte hat mich darin bestärkt, dass es richtig war, eine Gesetzesänderung anzustoßen. Das Ehepaar Martin kämpft -unter anderem mit einer Petition an den Deutschen Bundestag um einen würdigen Umgang mit allen Sternenkindern. Sie haben ihre drei Kinder verloren. Nur eines wog über 500 Gramm und zählt im rechtlichen Sinne. Die anderen beiden existieren nur in ihrer Er-innerung. Sie wollen Paaren helfen, die Ähnliches durchleiden müssen wie sie. Ich habe vor ihrem Engagement großen Respekt. Nicht nur aus persönlichem Erleben heraus, sondern auch aus familienpolitischen Erwägungen ist die derzeitige Regelung nicht hinnehmbar: Mütter und Väter haben zu ihrem ungeborenen Kind in einem fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft meistens eine intensive Bindung entwickelt. Wenn sie es verlieren, brauchen sie einen Raum für ihre Trauer und ihren Schmerz. Sie brauchen einen Raum, um Abschied zu nehmen, und sie wollen als Familien wahrgenommen werden. Ich halte die derzeitige Gesetzeslage daher insgesamt für ethisch nicht vertretbar. Deshalb habe ich mich für eine Änderung des Personenstandsrechts eingesetzt. Dabei war es mir wichtig, dass die neue Regelung rückwirkend auch für Mütter und Väter gilt, die diesen schweren Schicksalsschlag bereits erleiden mussten, wie beispielsweise Familie Martin und das Elternpaar, das mir das Foto ihrer toten Zwillinge geschickt hat. Die neue Regelung mag den Schmerz nicht lindern, den der Verlust eines Kindes bedeutet. Aber sie ermöglicht Eltern wenigstens einen würdigen Abschied von ihrem Kind. Deshalb bin ich auch froh, dass viele Bundesländer inzwischen betroffenen Eltern die Möglichkeit geben, ihre zu früh geborenen Kinder zu bestatten, und dass viele Kommunen sich Gedanken machen, wie sie für Eltern würdige Orte der Erinnerung schaffen können. Auf vielen Friedhöfen gibt es zum Beispiel mittlerweile einen „Garten der Sternenkinder“. Personenstandsrecht, Familienrecht und ethische Erwägungen sind eng miteinander verknüpft. Hinter nüchternen Regelungen für Verzeichnisse, Register und Dokumente stehen Familiengeschichten und persönliche Schicksale. Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Deshalb ist die Änderung des Personenstandsrechts zugunsten der vielen Mütter und Väter eines Sternenkindes nicht nur rechtlich und familienpolitisch notwendig, sondern vor allem eine Frage der Menschlichkeit. Und deshalb bitte ich Sie: Begleiten Sie diesen Gesetzentwurf in den parlamentarischen Beratungen konstruktiv. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/10489 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, es gibt keine anderweitigen Vorschläge. Dann haben wir das so beschlossen. Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, Sabine Stüber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kohleausstiegsgesetz nach Scheitern des EU-Emissionshandels – Drucksache 17/12064 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – Drucksache 17/156 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) – Drucksache 17/9780 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Paul Ute Vogt Dr. Lutz Knopek Ralph Lenkert Oliver Krischer Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, sind die Reden zu Protokoll genommen. Jens Koeppen (CDU/CSU): Die Energieversorgung muss sicher, bezahlbar und klimafreundlich erfolgen. Diesem Ziel haben sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen verpflichtet. Zu dieser Zielsetzung bekennt sich auch die Opposition. In der laufenden Legislaturperiode wurden viele wichtige Vorhaben fortgeführt, angeschoben und beschlossen, die eine saubere Energieversorgung der Bürgerinnen und Bürger langfristig absichern. Die erneuerbaren Energien sichern mittlerweile 25 Prozent unserer Stromversorgung ab. Das ist ein großer Erfolg. Wir wären sicherlich in Deutschland auch noch ein Stück weiter, wenn die SPD nicht durch ihre gegenwärtige Mehrheit im Bundesrat richtige Vorhaben behindern würde, Stichwort: Gebäudesanierung. Die Energiewende wäre auch für die Verbraucher deutlich kostengünstiger, wenn wichtige Änderungen und -Anpassungen am Erneuerbaren-Energien-Gesetz nicht von der SPD im Bundesrat torpediert würden. Ich finde es auch bedauerlich, dass die Opposition an ihrem Gesetzesvorschlag aus dem Jahr 2009 festhält. Mit der Gesetzesinitiative wird nicht mehr oder weniger gefordert als der unverzügliche Kohleausstieg. Die im Gesetzesvorschlag genannten Effizienz- und Wirkungsgrade sind von den modernsten Kraftwerken der Welt nicht erreichbar. Mit der modernsten Technologie kann man die geforderten Kriterien nicht erreichen. Gerade vor dem Hintergrund des von uns allen beschlossenen Atomausstiegs und der noch zu -lösenden Herausforderungen beim Umbau der Energieversorgung halte ich den Vorschlag daher für ab-solut falsch. Wir, die Koalitionsfraktionen, wollen, dass unsere Energieversorgung schnellstmöglich durch erneuerbare Energie abgedeckt wird. Es gibt auch vielversprechende Ansätze, bisherige Probleme mit der starken Volatilität zu lösen. Ich halte es aber nicht für verantwortungsvoll, alle bisherigen Säulen der Energie-versorgung aufzugeben, ohne dass wir andere starke und tragfähige Säulen errichtet haben. Die Gesetzesinitiative der Grünen riskiert dunkle und kalte Wohnzimmer genauso wie abgeschaltete Industrieanlagen. So wollen wir die Energiewende nicht gestalten. Die Kohlekraftwerke sind mittlerweile viel flexibler, als oftmals unterstellt, und wir brauchen diese Kraftwerke als Übergang. Wir brauchen auch neue Kohlekraftwerke, um die Energiewende erfolgreich und bezahlbar zu gestalten. Das ist kein uneingeschränktes Ja zur weiteren Kohleverstromung für Jahrzehnte. Ganz im Gegenteil: Wir weisen den Kohlekraftwerken eine klare Funktion zu. Diese Kraftwerke haben eine Brückenfunktion, um vorhandene Schwankungen und Versorgungslücken auszugleichen. Der Ausbau der erneuerbaren Energie ist auf einem guten Weg, und wir setzen Anreize für zügige Innovationen sowohl bei den Erzeugungsanlagen selbst als auch im Bereich der Speichertechnologien. Gleichzeitig wird der Netzaus- und -umbau vorangetrieben. Der heimischen Kohle wollen die Oppositionsfraktionen kurzfristig eine Absage erteilen. Der Gasimport soll zum Ausgleich gesteigert werden. Unsere Abhängigkeit von teurem russischem Gas würde also steigen. Dass Russland gerne weiteres Gas nach Deutschland exportiert und die eigene russische Stromversorgung dann mit Kohle absichert, spielt bei der Betrachtung der Oppositionsfraktionen keine Rolle. Dass die russischen Kohlekraftwerke eine wesentlich geringere Effizienz besitzen als die Anlagen in Deutschland, dürfte aber bekannt sein. Folglich steigt in Deutschland mit den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht nur der Energiepreis, sondern im Ergebnis auch der CO2-Ausstoß. Das können wir nicht befürworten. Die ständigen Attacken auf die Kohle verunsichern die Menschen, die von der Kohle leben. Allein in -meinem Bundesland sind deutlich mehr als 10 000 Arbeitsplätze aufs Engste mit der Braunkohle verbunden. Diese Menschen wissen, dass die Braunkohleverstromung endlich ist, und das ist in den Kohlerevieren auch weitgehend akzeptiert. Die ständigen Nadelstiche und das Drohen mit dem sofortigen Ausstieg schaffen aber Verunsicherung und Zukunftsängste. Diese -Verunsicherung schadet der Energiewende und der notwendigen Akzeptanz für Netzausbau und Anlagen im Bereich der erneuerbaren Energien insgesamt. -Hören Sie bitte damit auf! Sie wissen doch genauso wie wir, dass nicht der schnellstmögliche Kohleausstieg den Erfolg der Energiewende sichert. Durch den Einspeisevorrang für erneuerbare Energien sind Kohlekraftwerke gar keine Konkurrenz für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Der Erfolg der Energiewende ist abhängig von der Verbesserung der Energieeffizienz, vom Ausbau innovativer marktfähiger Erzeugungsanlagen für erneuerbare Energien, von Speicherlösungen und von Fortschritten beim Netzaus- und -umbau. Hierauf sollte auch endlich die Opposition ihre Aufmerksamkeit richten. Dr. Michael Paul (CDU/CSU): „Kohleausstiegsgesetz nach Scheitern des EU-Emissionshandels“, so heißt der Antrag der Linksfraktion, über den wir heute hier beraten. Dadurch wird zumindest klar ausgesprochen, was auch die Grünen schon seit Beginn der Legislaturperiode im Dezember 2009 mit ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verfolgen: Nach den Kernkraftwerken wollen Sie nun auch den Braun- und Steinkohlekraftwerken in Deutschland den Garaus machen. Diese Deutlichkeit ist allerdings auch schon der einzige positive Aspekt an Ihrem Antrag. Denn der schnellstmögliche und vollständige Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland, den Sie im End-effekt anstreben, hätte nicht nur gravierende Nachteile für die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit des Stroms in unserem Land. Er wäre auch ökologisch nachteilig. Linke und Grüne strengen sich zwar auch heute an, den Eindruck zu erwecken, es ginge ihnen um wirksame CO2-Vermeidung und damit um Fortschritte beim Klimaschutz. Tatsächlich aber versagen sie, wenn es um die Realisierung der wirklich großen -Potenziale von CO2-Einsparung geht: Der Wärmebedarf unserer Wohn- und Geschäftsgebäude macht mit 49,8 Prozent beinahe die Hälfte der in Deutschland verbrauchten Energie und damit des freigesetzten CO2 aus. Zum Vergleich werden für die Stromerzeugung „nur“ 20,5 Prozent der Energie verbraucht. Trotz dieses riesigen Potenzials haben sich alle Landesregierungen, an denen die Grünen oder die Linken beteiligt sind, im Bundesrat gegen die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung entschieden. Sie haben damit dem Klimaschutz in diesem Land einen Bärendienst erwiesen. Und nun stellen Sie sich heute hier hin und fordern publikumswirksam, wie Sie glauben, letztlich die Beseitigung von großen Kohlekraftwerken in Deutschland. Aber im Bundesrat haben Sie Ihr wahres Gesicht gezeigt: Es geht Ihnen um politische Machtspiele und nicht darum, wirklich etwas für den Umwelt- und Klimaschutz in diesem Land zu erreichen. Ich bedanke mich deshalb ausdrücklich bei der Bundesregierung, dass sie nun ein Bundesprogramm auflegt, um die energetische Gebäudesanierung – trotz der Blockade im Bundesrat – -voranzubringen. Wie widersprüchlich die Grünen handeln, zeigt ein näherer Blick auf die von Ihnen vorgeschlagene Gesetzesänderung: Noch im Jahr 2004 hat der grüne Umweltminister Trittin die Einführung einer Ausnahme im § 5 Abs. 1 Satz 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes betrieben, die Anlagen von der Anwendung von Mindestwirkungsgraden ausnimmt, die am europäischen Emissionshandel teilnehmen. Das war auch denk-logisch; denn die Verringerung des CO2-Ausstoßes durch Großemittenten wie Kraftwerke sollte europaweit einheitlich in allen Mitgliedstaaten mit demselben Instrument erreicht werden: dem Handel mit CO2-Emissionszertifikaten. Und dieser Emissionshandel hat – allen Anfeindungen zum Trotz – seinen eigent-lichen Zweck bisher erfüllt. Der Treibhausgasausstoß ist in der EU im beabsichtigten Umfang zurückgegangen. Und obwohl es logisch war und ist, die Teilnehmer am Emissionshandel von weitergehenden Verpflichtungen auszunehmen, will die Grünen-Bundestagsfraktion jetzt ihre eigene Regelung wieder streichen. Gradlinige Politik sieht anders aus! Auch die Linke zeigt durch ihren Antrag, dass sie die Notwendigkeit einer globalen Strategie zum Klimaschutz nicht verstanden hat. Dem weltweiten Klimaschutz ist nicht gedient, wenn man ständig alle internationalen Anstrengungen auf diesem Gebiet anzweifelt und alle getroffenen Regelungen – etwa zum EU--Emissionshandel – regelmäßig infrage stellt. Und dem globalen Klimaschutz ist erst recht nicht gedient – gerade wenn man sich vor Augen führt, dass unser Land nur für circa 1 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich ist –, wenn man den deutschen Bürgern und Unternehmen ständig weitere Sonderlasten aufbürdet. Richtig ist, dass Deutschland die größtmöglichen Anstrengungen unternimmt, um unser im Energiekonzept 2010 gestecktes, auch im internationalen Vergleich sehr ehrgeiziges Ziel von 40 Prozent CO2-Einsparung bis 2020 gegenüber 1990 zu erreichen. Mit dieser Vorbildfunktion auch die übrigen EU-Staaten zu größeren Anstrengungen bei der CO2-Einsparung anzureizen, halte ich für sinnvoller, als die in Europa gemeinsam verabredeten Einsparungsziele infrage zu stellen. Das Gleiche gilt für die Kritik des Antrags der -Linken am Zertifikatesystem des Clean Development Mechanism, CDM. Das System sorgt dafür, dass international getätigte Investitionen in den Klimaschutz im nationalen Emissionshandelssystem berücksichtigt werden können. Für das Weltklima ist schließlich unerheblich, wo die CO2-Emissionen vermieden werden. Entscheidend ist, dass für jeden investierten Euro die größtmögliche Menge Treibhausgas eingespart wird. Deshalb ist es richtig, Investitionen dort vorzunehmen, wo mit dem investierten Geld die größte CO2-Einsparung erzielt werden kann. Nationale Scheuklappen sind hier fehl am Platz. Noch viel bedenklicher ist aber, wie leichtfertig durch beide Vorlagen die Stabilität der – derzeit ohnehin durch die Energiewende stark herausgeforderten – Versorgungssicherheit aufs Spiel gesetzt wird. Noch im Herbst des letzten Jahres hat die Bundesnetzagentur auf die äußerst angespannte Versorgungssicherheitslage im Februar 2012 hingewiesen und dabei die wichtige Funktion der grundlastfähigen Kraftwerke – zumeist Kohlekraftwerke – betont. Wer wie die Linken in ihrem Antrag von einer „Verstopfung der Netze durch Kohlestrom“ spricht, zeigt, dass er technische Zusammenhänge nicht begreift oder begreifen will. Wenn beide Vorlagen nun – durch ein direktes Verbot oder mit unerreichbaren Mindestwirkungsgraden – die Stromerzeugung durch Kohlekraftwerke faktisch unmöglich machen wollen, lässt das nur zwei Schlüsse zu: Entweder ist Ihnen die gesicherte Versorgung unserer Bevölkerung und unserer Wirtschaft mit lebenswichtiger elektrischer Energie unwichtig, oder Sie -haben sich jeder realistischen Einschätzung der derzeitigen Lage im Stromerzeugungssektor verschlossen. Dass dieser Gesetzentwurf eher das Ergebnis einer realitätsfernen Sacheinschätzung ist, zeigt sich, wenn man die Folgen der Regelung bis zum Ende denkt. Denn die für alle Kohlekraftwerke im Gesetzentwurf der Grünen vorgesehenen Mindestwirkungsgrade können zurzeit und auch in den nächsten Jahren weder Alt- noch Neuanlagen technisch erreichen. 58 Prozent Wirkungsgrad wird zurzeit nur durch neue hochmoderne Gaskraftwerke erreicht. Modernste Kohlekraftwerke können dies nicht schaffen; so hat das kürzlich in Betrieb gegangene Braunkohlekraftwerk Grevenbroich-Neurath einen Wirkungsgrad von 43 Prozent. Auch die Grünen wollen also den Ausstieg aus der Kohle, obwohl Braunkohle der einzige heimische fossile Energieträger ist, aus dem zu konkurrenzfähigen Preisen subventionsfrei Strom gewonnen wird. Das Gesetz macht den Bau der Anlagen faktisch unmöglich – was im Titel des Linken-Antrags auch deutlich zum Ausdruck kommt. Dasselbe gilt aber auch für die Bestandskraftwerke: Eine Nachrüstung auf das von den Grünen geforderte Niveau von 38 Prozent bei Steinkohle und 36 Prozent bei Braunkohle bis 2015 ist völlig unrealistisch. Wer eine solche Erdrosselung politisch fordert, verkennt sowohl die rechtlichen als auch die tatsächlichen Rahmenbedingungen. Ein – wenn auch nur fak-tisches – Verbot von Kohlekraftwerken muss sich insbesondere mit Blick auf die Altanlagen an der Verfassung messen lassen. An der Zulässigkeit einer solchen Regelung bestehen erhebliche Bedenken. Sie ist aber darüber hinaus auch umweltpolitisch vollkommen widersinnig. Denn durch das faktische Verbot des Kraftwerkneubaus einerseits und den verfassungsrechtlichen Bestandsschutz für Altanlagen andererseits wird erreicht, dass die alten, ineffizienten und stark emittierenden Kraftwerke nicht durch -moderne Anlagen ersetzt werden. Stattdessen setzen sie ihren Betrieb fort, weil dieser für die Stabilität des deutschen Stromnetzes und damit für unsere Versorgungssicherheit unerlässlich ist. Beide Vorlagen sind daher rechtlich sowie umweltpolitisch komplett verfehlt und daher abzulehnen. Ute Vogt (SPD): Seit der Kehrtwende der Bundesregierung hin zum Atomausstieg und dem damit verbundenen Einstieg in die Energiewende sind wir uns in diesem Haus zum Glück zumindest in einer Sache einig: dass Deutschland bis 2050 seine Energieversorgung ausschließlich über regenerative Energien decken soll. Der uns heute vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke und der uns seit längerem bekannte Entwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen versuchen, das Problem unserer Treibhausgasemissionen zu lösen. Beide Anträge schießen jedoch – aus unterschiedlichen Gründen – über das Ziel hinaus. Die Energieproduktion aus Kohlekraftwerken linear zu reduzieren, wie von der Fraktion Die Linke gefordert, ist eine Wunschvorstellung, die so in der Realität nicht umsetzbar ist, auch wenn zugleich die Analyse, dass die einstmals einkalkulierte Lenkungswirkung des Emissionshandels momentan nicht funktioniert, sicherlich richtig ist. Den im Antrag gezogenen Schlussfolgerungen kann ich jedoch nicht folgen. Denn wenn ein von uns eingeführtes Lenkungssystem, also der Handel mit CO2-Zertifikaten, nicht funktioniert, wie ursprünglich vorgesehen, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass das Lenkungssystem an sich falsch ist – was aber der Antrag impliziert. Die Frage der aktuellen Umsetzung des Zertifikatehandels stellt sich mir hier eher, als über andere Reformvorschläge zu diskutieren. Die Forderung der Grünen-Bundestagsfraktion, hohe Effizienzgrade bei Neubauten von Kohlekraftwerken als Mindestwirkungsgradforderung zu formulieren, begrüßen wir grundsätzlich. Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf wird aber de facto eine sofortige Abschaffung von Kohlekraftwerken gefordert. Unserem Ansatz, Kohlekraftwerke (noch) als Back-up-Last zu nutzen, widerspricht dies aber. Bei dem grundsätzlichen Ziel, auf Dauer auf Kohle zu verzichten, sind wir uns sicher alle einig, zumal die in unseren Kraftwerken verwendete Kohle zum Großteil importiert wird und meist unter menschenunwürdigen und umweltschädlichen Bedingungen abgebaut wird. Einig sind wir uns sicher außerdem darin, dass wir bis 2050 ausschließlich regenerative Energien in Deutschland verwenden wollen. Wenn wir jedoch vorher das bestehende System zum unkontrollierten Kollaps bringen, ist dem gemeinsamen Ziel der Energiewende nicht gedient. Unabhängig davon sind die bisher technisch möglichen höchsten Wirkungsgrade – ob bei Gas oder Kohle – nur dann zu erreichen, wenn das entsprechende Kraftwerk möglichst gleichmäßig läuft. Der durch die hohe Volatilität von erneuerbaren Energien geschuldeten aktuellen Anforderung an Kraftwerke, immer flexibler am Netz zu sein, widerspricht der hier formulierte Ansatz. Vielmehr brauchen wir dringend einen funktionierenden Emissionshandel mit angemessenen Zertifikatepreisen. Und es ist allerhöchste Zeit, die groben -Versäumnisse der Bundesregierung in Sachen Emissionshandel zu korrigieren. Denn die Blockadehaltung des Wirtschaftsministers hinsichtlich einer Reform des Emissionshandels zugunsten unserer Umwelt vordergründig zum Schutz der deutschen Wirtschaft schadet dieser langfristig aber mehr, als es nutzt, und widerspricht nebenbei dem Ziel der Energiewende. Wäre das Handeln unserer Bundesregierung so verantwortungsvoll wie das Reden, müssten wir hier nicht über Probleme von steigenden Treibhausgasen durch Kohlekraftwerke diskutieren; denn dann wäre aus Kohle produzierter Strom schlicht und ergreifend zu teuer. Wir enthalten uns der Stimme beim Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Dem Antrag der Fraktion Die Linke über ein Kohleausstiegsgesetz nach Scheitern des EU-Emis-sionshandels werden wir nicht zustimmen. Michael Kauch (FDP): Anders als der Titel des Antrags der Linken nahelegt, ist der EU-Emissionshandel nicht gescheitert, und er steht auch nicht kurz vor dem Scheitern. Zwar ist der Preis für CO2-Emissionszertifikate dramatisch eingebrochen und liegt nun bei ungefähr 6 Euro pro Tonne CO2. Allerdings ist das Ziel des Emissionshandels nicht ein bestimmter Zertifikatepreis, sondern die Einhaltung des Cap, das heißt, der EU-weit gedeckelten Gesamtmenge an CO2, die emissionshandelspflichtige Anlagen ausstoßen. Dieses Ziel wird bislang erreicht; von einem Scheitern kann also keine Rede sein. Ganz unproblematisch ist die Situation allerdings auch nicht. Der niedrige Zertifikatepreis führt zu einem niedrigeren Anreiz, in CO2-arme und nachhaltige Technologien zu investieren. Diesen Anreiz aber benötigen wir, wenn die EU, wie in Doha zugesagt, bis 2014 überprüfen wird, ob ein über die Reduktion von 20 Prozent hinausgehendes Klimaschutzziel übernommen werden kann. Daneben brechen die Einnahmen des Energie- und Klimafonds ein, der eine wesentliche Rolle bei der Finanzierung der Energiewende spielt. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, zur Stabilisierung des CO2-Preises das sogenannte Backloading anzuwenden, das heißt, Zertifikate in der beginnenden Handelsperiode zurückzuhalten. Die Forderung der Linken, diese Zertifikate endgültig stillzulegen, führt in jedem Fall zu weit. Denn die EU-Kommission würde so ein Instrument aus der Hand geben, um bei einer Überhitzung des CO2-Zertifikatemarktes zu reagieren, etwa wenn die europäische Wirtschaft wieder an Fahrt gewinnt. Neben dem Emissionshandel hat der Antrag der Linken noch ein zweites Thema: ein Verbot des Neubaus von Kohlekraftwerken. Dies ist im Übrigen auch der Inhalt des grünen Gesetzentwurfs, der ebenfalls unter diesem Tagesordnungspunkt debattiert wird. Was die Linken klar benennen, wollen die Grünen durch die Hintertür erreichen: Der in ihrem Gesetzentwurf geforderte Mindestwirkungsgrad für neue Kohlekraftwerke lässt sich ohne vorhandene Wärmesenken am Standort rein technisch nicht erreichen. Aber wie der Atomstrom stabil ersetzt werden soll, bis dies auch erneuerbare Energien leisten können, wird nicht erklärt. In Wahrheit werden wir für eine Übergangszeit auf Kohle nicht verzichten können, schon alleine aus Gründen der Netzstabilität. Wer den Bau neuer effizienterer Kohlekraftwerke verhindert, trägt Schuld am Weiterbetrieb alter ineffizienter Dreckschleudern und erweist dem Klimaschutz einen Bärendienst. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die CO2-Emissionen in Deutschland liegen zwar knapp 27 Prozent unter denen von 1990. Das ist gut, wir wissen aber alle, dass daran der Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft einen gehörigen Anteil hat. Natürlich gab es auch echten Klimaschutz, keine Frage; denken wir nur an den rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien. Dagegen hat sich in der Energiewirtschaft insgesamt und in der Industrie seit langer Zeit kaum mehr etwas bewegt. Und das sind ausgerechnet die emissionshandelspflichtigen Sektoren. Diese haben ihre Treibhausgasemissionen seit 2005 – so lange gibt es ja den Emissionshandel – gerade einmal um magere 5 Prozent verringert. Im letzten Jahr stieg gar der Anteil der klimaschädlichen Braun- und Steinkohle am Strommix von 43 auf 45 Prozent. Super Emissionshandel, kann ich da nur sagen. Offenbar stimmt etwas nicht mit dem tollen Handelssystem. Und wir wissen, warum. Es sind schlicht zu viele Emissionsberechtigungen am Markt. Der CO2-Preis liegt dementsprechend im Keller. Unter 6 Euro kostet die Tonne momentan – Ramschware. Sprechen wir es aus: Der Emissionshandel steht am Rande des Scheiterns, weil Massen an windigen Zertifikaten aus dem globalen Süden einflogen, weil die Industrie zu viele Rechte erhielt und auch wegen der Wirtschaftskrise. Anreize, in den Klimaschutz zu investieren, sind aus diesem System nicht mehr zu erwarten. Es sei denn, es würde radikal reformiert. Die Hälfte der überschüssigen Emissionsrechte lediglich für drei Jahre zurückzuhalten, wie es die EU-Kommission als ersten Schritt vorhat, nutzt dem Klimaschutz dabei gar nichts. Nein, Zertifikate über etwa 2 Milliarden Tonnen CO2 müssen verschwinden, und zwar dauerhaft, sonst kracht der EU-Emissionshandel zusammen. Zudem muss der CO2-Ausstoß bis 2020 mindestens doppelt so schnell reduziert werden, wie gegenwärtig im System vorgesehen, sonst purzeln die Zertifikatpreise gleich wieder in den Keller. Darum müssen die Regierungen in Europa die langfristig wirkenden Reformvorschläge des Kohlenstoffmarktberichtes der Kommission aufgreifen. Und genau das fordern wir Linke in unserem Antrag. Die Gesamtmenge der Emissionszertifikate für die kommende Handelsperiode muss um jenes Volumen gekürzt werden, das in der laufenden Handelsperiode entstanden ist. Es geht also um besagte 1,4 Milliarden bis 2 Milliarden Zertifikate, die nicht nur zeitweise, sondern endgültig stillzulegen sind. Die sind übrigens nur in zweiter Linie krisenbedingt oder aufgrund der Überausstattung entstanden. Rund zwei Drittel der Gesamtmenge kommen aus oft zweifelhaften Projekten des Clean Development Mechanism, CDM. Diese dürfen künftig nicht mehr anrechenbar sein. Zudem muss das jährliche Minderungsziel für emissionshandelspflichtige Anlagen in der dritten Handelsperiode von den momentan festgelegten 1,74 auf rund 3,9 Prozent erhöht werden. Das vorbehaltsose Minderungsziel für EU-Treibhausgasemissionen ist entsprechend von 20 auf mindestens 30 Prozent für den Zeitraum 1990 bis 2020 anzuheben. Die Bundesregierung hat sich leider immer noch keine Meinung zu den Optionen der EU-Kommission gemacht. Denn Herr Rösler blockt wieder einmal und steht einmal mehr auf der Bremse beim Klimaschutz. Wahrscheinlich wird das Ganze auch in Europa nicht durchsetzbar sein. Darum fordert die Linke im Falle des Scheiterns der Reformvorschläge ein Kohleausstiegsgesetz. Mit dem Antrag wird also eine Alternative aufgemacht: Entweder die Mitgliedstaaten schaffen es gemeinsam, bis zum Frühjahr den EU-Emissionshandel, ETS, radikal zu reformieren, um ihn klimaschutztauglich zu machen, oder die Bundesregierung muss politisch das Scheitern dieses Instruments feststellen und ein nationales Kohleausstiegsgesetz formulieren. Greenpeace Deutschland hatte im Mai letzten Jahres ein solches Gesetz gefordert, da damals schon klar war, dass der Emissionshandel als Lenkungsin-s-trument versagt. Die Organisation legte gleichzeitig Grundzüge eines entsprechenden Gesetzentwurfs vor. Wir greifen auf diese Idee zurück. Daran angelehnt könnten ab 2014 die jährlichen Strommengen aus Kohlekraftwerken begrenzt und in den Folgejahren stetig und weitgehend linear reduziert werden. Der Neubau von Kohlekraftwerken und der Neuaufschluss von Tagebauen müssten entsprechend verboten werden. Infolge eines solchen Gesetzes könnte spätestens 2040 das letzte deutsche Kohlekraftwerk vom Netz gehen. Die Reststrommengen sind in diesem System an die Betreiber von Kohlekraftwerken anhand von Effizienz-Benchmarks unter Berücksichtigung der bisherigen Laufzeit zu vergeben. Vielfach wurde in den vergangenen Jahren gemahnt: Der EU-Emissionshandel ist die letzte marktwirtschaftliche Ausfahrt im Klimaschutz. Wird sie aufgrund profitorientierter Lobbyinteressen verfehlt, so muss striktes Ordnungsrecht her. Denn wir dürfen nicht zulassen, dass unser Planet verhökert wird. Das Scheitern des Emissionshandelssystems muss also ein Kohleausstiegsgesetz zur Folge haben. Wir erwarten von der Bundesregierung, entsprechend zu handeln. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die europäische Klimapolitik steckt in der Krise. Die Klimaziele der EU hinken der Wirklichkeit hinterher. Der Emissionshandel liegt auf der Intensivstation. Und ausgerechnet die Bundesregierung stellt sich den notwendigen Rettungsmaßnahmen in den Weg. Der Emissionshandel gibt den klimaschädlichen CO2-Emissionen aus Fabriken und Kraftwerken einen Preis. Die Höhe des CO2-Preises ist ein Indikator für den Ehrgeiz der europäischen Klimaschutzpolitik. Und dieser CO2-Preis befindet sich seit Monaten im freien Fall. Wer das Klima mit einer Tonne CO2-Ausstoß belasten will, muss dafür heute nicht einmal 6 Euro bezahlen. Vor anderthalb Jahren waren es noch 17 Euro. Das hat fatale Konsequenzen: Investitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz lohnen sich kaum noch. Klimaverschmutzer kommen billig davon. Und im Bundeshaushalt brechen die eingeplanten Einnahmen aus der Versteigerung der Emissionszertifikate weg, aus denen die Bundesregierung wichtige Projekte der Energiewende finanzieren wollte. Das Problem ist seit Monaten auf dem Tisch. Aber die Bundesregierung findet nicht die Kraft und Geschlossenheit für eine Lösung. Nicht einmal Minischritte wie die von EU-Klimakommissarin Heedegaard geforderte Verschiebung anstehender CO2-Auktionen möchte die Bundesregierung mitgehen. Statt dessen streiten sich Umweltminister Altmaier und Wirtschaftsminister Rösler öffentlich über die Medien. Dieser Streit lähmt derzeit die ganze EU. Das ist eine Blamage für die deutsche Klimapolitik. Notwendig sind schnelle und tiefgreifende Reformen im Emissionshandel. 1,4 Milliarden überschüssige CO2-Zertifikate müssen endgültig vom Markt genommen werden. Der Zufluss billiger und ökologisch fragwürdiger Emissionszertifikate aus China und Indien gehört eingeschränkt. Und wir brauchen einen CO2-Mindestpreis, um drastischen Preiseinbrüchen vorzubeugen. Vor allem muss das überholte EU-Klimaziel von 20 Prozent Emissionsminderung bis 2020 endlich auf 30 Prozent angehoben werden. Dass wir das 30-Prozent-Ziel immer noch nicht haben, liegt nicht nur an polnischen Bedenken. Es liegt auch daran, dass die Bundesregierung die Anhebung nur halbherzig unterstützt. Wenn sich die Kanzlerin mit Nachdruck für den Klimaschutz eingesetzt hätte, könnten wir das 30-Prozent-Ziel längst haben. Die Kohleverstromung ist eine der klimaschädlichsten Formen der Stromerzeugung. Deshalb erfordert der Klimaschutz die Ablösung der Kohlekraft durch erneuerbare Energien, Energieeffizienz und effiziente Gaskraftwerke. Doch der niedrige CO2-Preis hat die gegenteilige Wirkung: Er hat dazu geführt, dass der Anteil der Kohle an der Stromversorgung im letzten Jahr massiv gestiegen ist, während klimaverträglichere Gaskraftwerke stillstanden. Dieser Kohleboom ist kein Ergebnis des Atomausstiegs oder der Energiewende. Er ist die Folge der verfehlten Klimapolitik der Bundesregierung. Die Erfahrung zeigt, dass auch gestärkter Emissionshandel allein nicht genügend Anreize setzt, die Kohle zurückzudrängen. Deshalb brauchen wir dafür weitere Instrumente jenseits des Emissionshandels: ein nationales Klimaschutzgesetz mit strikten CO2-Minderungszielen und verbindliche Mindestwirkungsgrade für fossile Kraftwerke. Der vorliegende Gesetzentwurf der Grünen zeigt, wie man mit ambitionierten Vorgaben an die Effizienz von Kohle- und Gaskraftwerken Ressourcen sparen und gleichzeitig das Klima schützen kann. Ich fordere Sie auf: Stimmen sie diesem Gesetzentwurf zu. Und machen sie endlich den Weg frei für die überfällige Reform des europäischen Emissionshandels. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12064 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9780, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/156 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung von SPD und Linken abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 31: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auf europäischer Ebene ein betrugssicheres, transparentes und bürokratiearmes Mehrwertsteuersystem schaffen – Drucksache 17/12065 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Antrag wollen die Grünen den Bundestag feststellen lassen, die Reformpläne der Europäischen Kommission zur Überarbeitung des europäischen Mehrwertsteuerrechts im Europäischen Rat und im Ministerrat aktiv zu unterstützen. Damit solle ein betrugssicheres und bürokratiearmes Mehrwertsteuersystem geschaffen werden. Es wird hier grundsätzlicher Handlungsbedarf im europäischen Mehrwertsteuerrecht gesehen. Die Grünen fordern in Ihrem Antrag auch wieder einmal Verbote –„Keine Mehrwertsteuerbefreiungen und -ermäßigungen auf umweltschädliche Produkte und Dienstleistungen“– und wollen die Umsatzsteuersätze erhöhen, „dass die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer in der -Europäischen Union … verbreitert wird.“ Wir haben es hier wieder einmal mit einem Schaufensterantrag zu tun, der die Realität nicht richtig darstellt. Aus diesem Grund hier noch einmal einige Gedanken zur Entwicklung der letzten Jahre der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung auf EU-Ebene. Damit möchte ich deutlich machen, dass die EU-Kommission und die Bundesregierung bereits seit langem engagiert für ein effizientes, einfaches und robustes Umsatzsteuersystem einsteht. Die EU-Kommission hat in ihrem Grünbuch vor über drei Jahren bereits analysiert, dass aufgrund der Komplexität der Mehrwertsteuervorschriften den Unternehmen ungeheure Verwaltungslasten aufgebürdet werden. Dadurch besteht die Gefahr, dass die EU ihre wirtschaftliche Anziehungskraft verliert. Anlass zur Besorgnis geben insbesondere verschiedene Kernbestandteile des Systems wie mehrwertsteuerliche Pflichten, Vorsteuerabzug und die unterschiedlich hohen und sehr differenziert anwendbaren Steuersätze. Diese Faktoren, so die Analyse, können KMU stärker belasten, weil es für sie zu kostspielig sein kann, für die zunehmend komplexer werdenden Umsatzsteuerbestimmungen die Hilfe von Fachleuten in Anspruch zu nehmen. Auch Professor Mario Monti sprach in einem Bericht an Kommissionspräsident Barroso im Mai 2010 davon, dass eine „binnenmarktorientierte Reform der Mehrwertsteuervorschriften“ in der EU notwendig sei. Damit soll der Kontinent wirtschaftlich attraktiver werden. Vorgehen in Deutschland. Auch die Bundesregierung stimmt einer Reform des Mehrwertsteuersystems zu, und in einer Antwort an die SPD-Fraktion auf Drucksache 17/8748 vom 27. Februar 2012 stellt sie sich grundsätzlich hinter die Aussage, dass ein EU-Mehrwertsteuersystem einfach, effizient und neutral, robust und betrugssicher sein muss. Dies ist ein deutliches Zeichen gewesen, dass bereits vor einem Jahr deutlich gemacht wurde: Wir sind uns einig, dass nur eine abgestimmte Reform sinnvoll und deswegen eine Zusammenarbeit mit der EU-Kommission wichtig ist. Im Rahmen unserer Möglichkeiten haben wir als CDU/CSU in Deutschland den Umsatzsteuerbetrug bekämpft. Bereits 2009 hat die CDU-geführte Bundesregierung eine Anhebung der Grenze für die Istbesteuerung auf 500 000 Euro durchgesetzt. Damit wurden nicht nur kleine und mittelständische Unternehmen noch besser unterstützt, sondern auch dem Umsatzsteuerbetrug wurde entgegengewirkt. Weiterhin hat sich die Union für Betrugsmöglichkeiten bei der umsatzsteuerfreien Lieferung von Waren und Dienstleistungen -innerhalb der EU eingesetzt. Die erdachte Gelangensbestätigung ist zwar alleine zu bürokratisch, doch gemeinsam mit der Wirtschaft wird und wurde an einer bürokratiearmen und wirtschaftsentlastenden Ausgestaltung gearbeitet. Wir wollen auch die Möglichkeiten des Reverse-Charge-Verfahren ausdehnen, weil wir darin ein effizientes Instrument zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung sehen. Mit dem Jahressteuergesetz 2013 wollten wir dieses sinnvolle Instrument auch auf die Strom- und Gaslieferung von inländischen Unternehmen ausdehnen. Da aber Rot-Grün dieses Gesetz im Bundesrat und Vermittlungsausschuss gestoppt hat, kommt es hier nicht zu einer verbesserten Betrugsbekämpfung. Die Grünen hätten hier zeigen können, dass sie nicht gut im Fordern sind, sondern ihren Worten auch Taten folgen lassen können. Dem war wieder einmal nicht so. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir uns auf EU-Ebene grundsätzlich über grundlegende Maßnahmen zur Reform der Umsatzsteuersystematik in Europa abstimmen und die entsprechende Mehrwertsteuersystemrichtlinie überarbeiten. Mit mehr Einfachheit und Klarheit machen wir die Umsatzsteuer weniger anfällig für Betrug. Dabei müssen nationale Interessen und Unterschiede beachtet werden. Außerdem ist eine Akzeptanz der Reform in den Mitgliedsländern notwendig, damit diese dann auch konsequent umgesetzt werden – alles andere macht keinen Sinn. Schluss und kritischer Ausblick. Aber ich sage auch, dass wir vorher im eigenen Land über die Reform des Umsatzsteuersystems diskutieren müssen. Die christlich-liberale Koalition hat richtigerweise im Koalitionsvertrag die Reform ermäßigter Mehrwertsteuersätze niedergeschrieben. Hier wurde ein Handlungsbedarf -bereits analysiert. Hier bedauere ich, dass die eingesetzte Kommission aus Termingründen noch nicht tagen konnte. Ein wenig mehr Engagement der Beteiligten wäre hier aber sicherlich sinnvoll gewesen. Die Überarbeitung und die Beseitigung von Benachteiligungen bei den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen ist nach über 40 Jahren des Bestehens unserer Umsatzsteuersystematik zwingend geboten. Wir als christlich-liberale Koalition werden weiterhin an einem effizienten, robusten und einfachen Umsatzsteuersystem für Deutschland und Europa arbeiten und müssen uns nicht von überholten Schaufenster-anträgen treiben lassen. Aus diesem Grund werden wir den vorliegenden Antrag ablehnen. Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): Ein betrugssicheres, transparentes und bürokratiearmes Mehrwertsteuersystem, wer wollte das denn nicht? Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der Grünen, es ist ein sehr ehrenwertes Anliegen, zu versuchen, auf ein solches System hinzuwirken. Vielleicht bin ich zu pessimistisch, aber ich -befürchte, es nicht mehr zu erleben, dass wir in ganz Europa ein Mehrwertsteuersystem haben werden, das Betrug verhindert, ohne Bürokratie zu verursachen, und dabei noch für jeden Bürger verständlich ist. Nichtsdestotrotz ist es natürlich richtig, an Verbesserungen zu arbeiten und den Optimismus nicht zu verlieren. Aber wieso muss die Opposition die Regierung darauf hinweisen? Das ist nur deswegen notwendig, weil CDU/CSU und ihr FDP-Anhängsel eine systematische Beschäftigung mit der Mehrwertsteuer sowohl auf nationaler Ebene als auch in der EU scheuen wie der Teufel das Weihwasser. National war die Klientelkoalition mit dem Ansatz gestartet, die Mehrwertsteuer neu zu ordnen. Der Katalog der Mehrwertsteuerermäßigungen sollte durchgearbeitet werden und unnötige Ermäßigungen gestrichen werden. So ist es im Koalitionsvertrag vereinbart. Es kam anders. Statt einer Neuordnung des Systems wurde eine Steuerermäßigung für Hoteliers beschlossen, im Nachhinein doch etwas ganz Besonderes, weil es das Einzige ist, was die FDP in der Regierungszeit erreicht hat. Na, das ist doch mal eine Bilanz. Die Kommission zur Reform der Mehrwertsteuersätze hat nicht ein einziges Mal getagt, ja sie hat sich nicht einmal konstituiert. Lediglich Herr Schäuble deutet nun an, dass für die nächste Legislatur geplant ist, die Mehrwertsteuerermäßigungen komplett zu streichen. Daraus kann man aber wohl nur schließen: Herr Schäuble rechnet nicht mehr damit, 2014 Bundesfinanzminister zu sein. Nun, die Fehler auf nationaler Ebene kann eine rot-grüne Bundesregierung in der nächsten Legislatur korrigieren. Die Vernachlässigung der Arbeit auf EU-Ebene wird jedoch alle in der EU Zeit und Geld kosten. Zum Grünbuch der EU zur Zukunft der Mehrwertsteuer hat die SPD-Fraktion eine inhaltlich detailliertere und umfassendere Stellungnahme geschrieben als die Bundesregierung. Dieser Satz wäre übrigens auch richtig, wenn wir statt von der SPD-Fraktion von Lobbyistengruppen sprechen würden; denn auch diese haben umfassendere Stellungnahmen geschickt als die Bundesregierung. Dies mag mit der Missachtung erklärbar sein, die die Bundesregierung gegenüber den EU-Institutionen vielfach zu haben scheint; es ist aber kurzsichtig. Es wäre ausgesprochen wichtig, deutsche und europäische Interessen bei der EU frühzeitig geltend zu machen und auf eine Fortentwicklung des Mehrwertsteuersystems zu drängen. Mir ist bewusst, dass das ein schwieriger Weg sein wird, weil eine Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie Einstimmigkeit braucht. Aber ist dies ein Grund, sofort von vornherein auf Weiterentwicklung zu verzichten? Die EU zeigt sich bereit, an Verbesserungen zu arbeiten. Solange ein wichtiger Staat wie Deutschland dies blockiert, werden sie nicht möglich sein. Und wenn ich auch nicht alles teile, was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, in ihren Forderungskatalog geschrieben haben, so haben sie recht mit der Aufforderung an die Bundesregierung: Sie müssen jetzt bei der EU handeln. Wir zählen ihre letzten 248 Tage rückwärts. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Holger Krestel (FDP): Liebe Antragsteller: Sie stellen hier einen bunten Strauß an Forderungen zur Behandlung der Mehrwertsteuer auf europäischer Ebene, wie sie zum Teil auch schon von der Europäischen Kommission vorgeschlagen wurden. Einige dieser Punkte sind sinnvoll, verkörpern aber keine Neuigkeiten, da sie sich bereits in der Umsetzung oder Prüfung befinden. Andere greifen zentrale Punkte der Hoheitsrechte von Mitgliedstaaten an und sind daher abzulehnen. SPD und Grüne haben in dieser Legislatur bereits kleine Anfragen zum Umsetzungsstand des von Ihnen aufgeführten Grünbuchs beziehungsweise der allgemeinen Pläne der Europäischen Kommission zu einem europäischen Mehrwertsteuersystem gestellt. An den Positionen der Koalitionsfraktionen beziehungsweise denen der Bundesregierung hat es seitdem keine elementaren Wechsel gegeben und für detaillierte Einzelfragen kann ich Ihnen nur die Lektüre der Antworten der Bundesregierung empfehlen. So ist beispielsweise die Einführung eines EU-Mehrwertsteuer-Forums bereits beschlossen und die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer wird ebenfalls unterstützt, um die Betrugsmöglichkeiten einzudämmen und sich sinnloser und teurer Subventionen zu entledigen. Zudem trägt eine breitere Bemessungsgrundlage zur Haushaltskonsolidierung der Mitgliedstaaten bei, welche höchste Priorität genießt und durch einem guten Mix von Maßnahmen zum einen auf der Einnahme- vor allem aber auch auf der Ausgabenseite erfolgen sollte. Durch Regelungen zu elektronischen Rechnungen auf Unionsebene wurde zudem der Bürokratieaufwand für Unternehmen bereits stark reduziert. Ihre Forderung für die Einführung eines Reverse-Charge-Verfahrens im Business-to-Business-Bereich ist ebenfalls hinfällig, da das geltende Mehrwertsteuerrecht dies bereits für die überwiegende Zahl von grenzüberschreitenden Dienstleistungen zwischen Unternehmen vorsieht und die Bundesregierung des Weiteren eine punktuelle Ausdehnung des Verfahrens stets unterstützt hat. Auch wenn wir schon viel erreicht haben, muss man bei all diesen Maßnahmen jedoch verstehen, dass es bei der Vielzahl der Regelungen der europäischen Einzelstaaten und der Union als Ganzes nicht einfach möglich ist, diese im Tabula-Rasa-Verfahren umzustoßen. Es handelt sich um einen schrittweisen Prozess zur Vereinfachung und Effizienzsteigerung. Wir sind also stets bemüht, den europäischen Wirtschaftsraum durch einfache und klare Regelungen für Unternehmen und Bürger noch attraktiver zu machen. Viele Vorschläge sind jedoch nicht oder nur sehr langsam umsetzbar, da in einer Gemeinschaft auch Einigkeit bei der Durchführung herrschen muss. Projekte wie beispielsweise die Schaffung von nationalen Anlaufstellen für Unternehmen, über die sie ihre mehrwertsteuerlichen Pflichten in diesem Land abwickeln können finden in der Union keinen Konsens. Eine standardisierte europäische Mehrwertsteuererklärung ist unserer Auffassung nach jedoch nicht realisierbar: Art. 113 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union beschränkt den Harmonisierungsauftrag auf die materiell-rechtlichen Mehrwertsteuerbestimmungen. Es mangelt damit an einer primärrechtlichen Rechtsgrundlage. Es liegt ganz in der Hand der souveränen Mitgliedstaaten, wie sie ihr Verfahrensrecht, ihre Steuerverwaltung und Arbeitsweise ausgestalten. Es ist nicht im Interesse der Bundesrepublik diese Hoheit anzugreifen. Das Gleiche gilt für die Vorstöße, ein gemeinsames, grenzübergreifendes Mehrwertsteuerprinzip auf Ursprungslandbasis zu schaffen. Die damit zwingend notwendige Angleichung der Steuersätze, Zulassung eines grenzübergreifenden Vorsteuerabzugs und Einführung eines Clearing-Verfahrens greift abermals massiv in die Souveränität der Mitgliedstaaten ein. Mit der Verabschiedung des – von der deutschen Wirtschaft geforderten – Mehrwertsteuerpakets vom 1. Januar 2010 hat die Bundesrepublik einen Paradigmenwechsel hin zum Bestimmungslandprinzip vollzogen. Eine erneuter Systemwechsel gegen den Wunsch der Betroffenen hätte keinerlei Basis oder Nutzen vorzuweisen. Die FDP ist stets Europapartei gewesen. Der Gewinn einer solchen Gemeinschaft entspringt aber in seiner Diversität und dem Austausch und nicht in der erzwungenen Gleichmacherei und der Untergrabung von Souveränität. Bis zu einem gewissen Maß ist es daher durchaus sinnvoll, gemeinsame Normen zu schaffen, um die Interaktion miteinander zu vereinfachen. Eine Aushöhlung von Hoheitsrechten wie Haushalt, Steuererhebung und -verwaltung gefährdet jedoch unser gemeinsames europäisches Projekt. Kein Staat in der Union darf sich durch die Gemeinschaft gegängelt oder unterworfen fühlen. Die Akzeptanz der Bürger Europas für die Union ist der Nährboden, auf dem sie gedeiht. Europa war stets erfolgreich und ein Garant für Freiheit, weil Barrieren eingerissen und nicht weil neue Regeln geschaffen wurden. Wir werden dem Antrag daher nicht zustimmen. Richard Pitterle (DIE LINKE): Bei der Mehrwertsteuer gibt es ohne Frage noch sehr viel zu tun. Deshalb stand sie völlig zu Recht auf der To-do-Liste der Bundesregierung für diese Legislaturperiode. Doch im Koalitionsvertrag 2009 stand viel – und jetzt nach fast 4 Jahren Regierungszeit steht dort noch immer viel – Unerledigtes. Sie wollten eine Kommission einsetzen, die sich mit der Systemumstellung bei der Umsatzsteuer sowie dem Katalog der ermäßigten Mehrwertsteuersätze befasst. Doch diese Kommission hat noch nicht ein einziges Mal getagt, obwohl sie bereits vor drei Jahren eingesetzt wurde. Dabei gibt es gerade bei der Mehrwertsteuer viel zu tun, wie der vorliegende Antrag noch einmal aufgezeigt hat. Wenn wir nur mal die weit verbreiteten Umsatzsteuer-Karussellgeschäfte herausgreifen. Dabei wird die Umsatzsteuerfreiheit bei grenzüberschreitenden Lieferungen ausgenutzt und dem Lieferanten in Deutschland von dem deutschen Finanzamt die Vorsteuer erstattet, obwohl die Umsatzsteuer im Empfängerland nicht abgeführt wurde. Das wird vor allem -dadurch ermöglicht, dass bundesweit Tausende Steuerfahnderinnen und Steuerfahnder sowie Betriebsprüferinnen und Betriebsprüfer fehlen. Der Abbau von Stellen in den Finanzverwaltungen in den Bundesländern hat dazu geführt, dass Umsatzsteuererklärungen nur unzureichend überprüft werden können. Eine lückenhafte Zusammenarbeit der Steuerbehörden untereinander erleichtert die Betrügereien. Die seit vielen Jahren stattfindenden Karussellgeschäfte führen in Europa zu Steuerausfällen im Milliardenhöhe. Es besteht also nicht nur großer, sondern vor allem auch dringender Handlungsbedarf. Darum fordern wir die Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei, die schlagkräftig nicht nur gegen den Umsatzsteuerbetrug, sondern auch gegen nationale und internationale Geldwäsche tätig sein kann. Zusammen mit dieser und der Aufstockung des Personals der zuständigen Bundesländer ließen sich Milliarden von Umsatzsteuerausfällen vermeiden. Und die Bundesregierung könnte sich ersparen, die Steuerausfälle durch Kürzungen der Sozialleistungen bei den Armen wieder reinzuholen. Bei den Mehrwertsteuersätzen besteht ebenfalls Regelungsbedarf. Doch es ist Streit in Ihrer Regierung angesagt, wenn Sie beispielsweise Korrekturen bei der ermäßigten Mehrwertsteuer angehen würden. Außerdem gäbe es erheblichen Widerstand aus den den Regierungsparteien nahestehenden Kreisen. Bei Kürzungen von Sozialleistungen wird man sich dagegen schnell einig. Einen weiteren Punkt in dem Antrag, den ich ausdrücklich hervorheben möchte, ist der Bürokratie-abbau. Vereinheitlichung der Formulare in Europa und Annäherung der immer noch unterschiedlichen Rechtsvorschriften bei der Mehrwertsteuer stellen einen wesentlichen Beitrag zum Bürokratieabbau dar und sorgen für Kosteneinsparungen sowohl bei Unternehmen als auch bei Behörden. Das hatten die Regierungsparteien 2009 ebenso erkannt und widmeten dem Bürokratieabbau ein eigenes Kapitel in ihrem Koalitionsvertrag. Doch auch hier gilt das Gleiche wie oben: Es ist noch zu erledigen. Es besteht, wie der Antrag aufzeigt, großer und auch dringender Handlungsbedarf auf vielen Feldern der Umsatzbesteuerung. Doch in den letzten Monaten bis zu den Wahlen ist von dieser Bundesregierung nicht mehr viel zu erwarten. Daran ändert auch dieser Antrag nichts, dem wir zustimmen werden. Wir teilen die Auffassung, dass das Mehrwertsteuersystem einer gründlichen Überarbeitung bedarf. Doch das wird nicht mit dieser Bundesregierung erfolgen. Sie wird nicht der Treiber sein, sondern steht auf der Bremse. Die Betrüger und Bürokraten freut es. Und der Koalitionsfrieden ist gesichert, zumindest bei dem Thema Mehrwertsteuer. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine gerechte und ergiebige Steuerpolitik und die Sicherstellung der auf diesen politischen Vorgaben beruhenden Steuereinnahmen sind Kernelemente einer zukunftsfähigen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Und darum geht es uns bei dem vorgelegten Antrag zur -Unterstützung der europäischen Initiative, das Mehrwertsteuerregime betrugssicherer und bürokratieärmer zu machen. EU-Steuerkommissar Semeta hat im Gespräch mit dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages im letzten November die Einnahmeverluste durch Steuerbetrug und aggressive Steuergestaltung mit der gewaltigen Summe von 1 000 Milliarden Euro beziffert. Die Schweizer Bank Wegelin musste kürzlich erklären, gezielt ein Geschäftsmodell verfolgt zu haben, das Steuerhinterzieher aus anderen Ländern anlocken sollte. Und einige Angestellte der Deutschen Bank sind angeklagt, bei sogenannten Karussellgeschäften, also Umsatzsteuerbetrug, Beistand geleistet zu haben. Es ist vollkommen klar, das wir da dringend und zielgerichtet Maßnahmen ergreifen müssen, diesem Treiben nicht nur Einzelner, sondern auch von ganzen Organisationen, Einhalt zu gebieten. Und da klingt es schon wie Hohn und zeigt die Doppelzüngigkeit der Bundesregierung, wenn der Bundesfinanzminister heute Morgen in der Debatte um die Bankenunion seiner Sorge um den Steuerbetrug und die Steuergestaltung Ausdruck verleiht und ganz besonders den Umsatzsteuerbetrug anspricht und gleichzeitig in Brüssel auf der Bremse steht. Das ist einfach nicht hinnehmbar. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, mit einer Zustimmung zu unserem heute vorgelegten Antrag haben Sie Gelegenheit, endlich Farbe zu bekennen und daran zu arbeiten, Ihr völliges Versagen beim Thema Mehrwertsteuer zu korrigieren. Ihr Versagen auf diesem Gebiet ist unverantwortlich. Diesen Schluss ziehen nicht nur wir Grüne, sondern auch der Bundesrechnungshof, wie aus seinem gestern vorgelegten Bericht zur Umsatzsteuer hervorgeht. Und da uns heute Morgen verschiedene Redner der Koalition Besserwisserei vorgeworfen haben: Wer hat denn im Koalitionsvertrag vollmundig die Mehrwertsteuerreform angekündigt? Wer hat denn die Bildung einer Kommission angekündigt, um den Dschungel der Ausnahmeregelungen der Mehrwertsteuer zu lichten, die dann kein einziges Mal getagt hat? Wer hat denn bei der einzigen Änderung der Mehrwertsteuer in die richtige Richtung, nämlich der Abschaffung einzelner ungerechtfertigter Ausnahmeregelungen, sich zu diesen Maßnahmen erst durch den Europäischen Gerichtshof zwingen lassen müssen? Die schwarz-gelbe Koalition. Nicht, dass die Koalition ganz untätig war. Sie hat schon gearbeitet, aber leider auf der falschen Baustelle, und dabei nicht etwa die Staatsfinanzen im Blick gehabt, sondern schlicht ihre Klientel. Denn was hat die Koalition geändert? Die Steuer auf Übernachtungen wurde gesenkt, die Ermäßigung für Pferde wurde, wie gesagt, auf Druck der EU-Kommission abgeschafft, um dann aber zeitgleich über den Weg des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses neue Möglichkeiten zu schaffen, wie Züchter und Landwirte ihre Pferde doch zu 7 Prozent verkaufen können. Und sie hat es fertiggebracht, den Verkauf von Maultieren weiterhin mit dem verminderten Steuersatz zu unterstützen. Ein Hoch auf die unterstützungsbedürftigten Maultierbesitzer in diesem Land! Das ist wirklich alles andere als eine systematische Überarbeitung unserer Ermäßigungen, das ist in manchen Punkten wirklich ein schlechter Witz, in der Substanz ein Offenbarungseid dieser Koalition. Denn es gibt und gab noch einige wirklich wichtige Baustellen, bei denen die Koalition erst einmal gar nichts getan hat. So wurde die Wirtschaft mit der Einführung der Gelangensbestätigung als alleinigem Liefernachweis für EU-Exporte völlig verunsichert. Das BMF hat nach langem Protest diese Neuregelung wieder kassiert. Bei der Reform der Istbesteuerung dagegen musste die Bundesregierung zum Jagen getragen werden. Erst durch unseren Druck wurde die Grenze für die Besteuerung nach tatsächlich vereinnahmten Entgelten auf 500 000 Euro festgesetzt und Unternehmen so wertvolle Liquidität gesichert. Und die Baustelle verminderte Mehrwertsteuersätze wurde zwar ausgeschildert, aber weder Bauleitung noch irgendein Arbeiter wurden je zu dieser Baustelle geschickt. Deutlich mehr als 3 Milliarden Euro ungerechtfertigter Branchensubventionen wurden nicht angepackt, und da reden wir noch nicht einmal über verrückte Regelungen der aktuellen Trüffel- und Mineralwasserbesteuerung. Diese Liste beweist, dass wir steuerpolitisch fast vier Jahre verschenkt haben. Zum nationalen Dilettantismus von Herrn Schäuble und seiner Koalition aus Hotel- und Pferdefreunden kommt auf Ebene der EU das internationale Versagen. Seit Ausbruch der Finanzkrise wird über eine verbesserte Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitiken verhandelt. Gleichzeitig werden Wege gesucht, wie die haushalterisch angeschlagenen Mitgliedstaaten der EU zu einer Erhöhung ihrer Einnahmebasis kommen können. Leider wurde die Mehrwertsteuer in diesem Prozess nicht aufgegriffen. Es ist noch schlimmer: Die Bundesregierung bremst auf europäischer Ebene bei neuen Maßnahmen gegen Mehrwertsteuerbetrug, wie bei einem Schnell-reaktionsmechanismus gegen Betrug, den die Euro-päische Kommission vorgeschlagen hat. So verhindert die Bundesregierung wirksame Änderungen, von denen die Haushalte aller Mitgliedstaaten profitieren würden. Wie bereits ausgeführt, entgehen den Haushalten nach Schätzungen der EU durch Steuerhinterziehung und Betrug jährlich Einnahmen in Höhe von 1 Billion Euro. Auf die Mehrwertsteuer entfällt dabei ein dreistelliger Milliardenbetrag. Es ist mehr als fahrlässig, hier nicht tätig zu werden. Genau aus diesem Grund fordern wir die Bundesregierung auf, die Europäische Kommission bei einer europaweiten Reform der Mehrwertsteuer zu unterstützen. Die Kommission hat 2010 einen Prozess in Gang gesetzt, der die Steuer europaweit stärker harmonisieren soll und so zu mehr Einnahmen für die Mitgliedstaaten und einfacheren Regeln für die Steuerzahler führen soll. Besonders die Themen Betrugsbekämpfung und Vereinfachung durch europäische Harmonisierung sollten ernsthaft vom Deutschen Bundestag und der Bundesregierung unterstützt werden. Durch diese Änderungen wird auch der europäische Binnenmarkt ein Stück weit effektiver. Konkret fordern wir die europaweite Umkehr der Steuerschuldnerschaft bei der Umsatzsteuer, das Reverse-Charge. So fallen Steuerschuld und Vorsteuererstattung an ein Unternehmen. Damit würde besonders Karussellbetrug wirksam erschwert. Fälle wie jüngst bei der Deutschen Bank, die den Betrug mit Emissionszertifikaten zumindest begünstigt haben soll, würden der Vergangenheit angehören. Es ist wichtig, dass europaweit eine einheitliche Regelung für das Reverse-Charge getroffen wird, weil Betrug sonst nicht verhindert würde und das System kompliziert bleiben würde. Aber allein dieser Schritt reicht nicht aus, um Betrug völlig zu verhindern. Wir wollen einheitliche Standards und Formulare für die Mehrwertsteuer in der gesamten EU. Gleichzeitig müssen die Finanzbehörden untereinander enger kooperieren und gemeinsame Datenbanken nutzen. Nur diese bessere Zusammenarbeit kann verhindern, dass Betrüger weiter darauf vertrauen können, dass sie schneller untertauchen können, als ihnen die Finanzbehörden auf die Schliche kommen. Die Harmonisierung der Mehrwertsteuer hat weitere positive Effekte. Für Unternehmen werden Lieferungen von Waren und Dienstleistungen in den europäischen Binnenmarkt erleichtert. Sie müssen nicht mehr für jeden Mitgliedstaat andere umsatzsteuerliche Pflichten und Regeln erfüllen. Auch müssen sie sich nicht mehr überall steuerlich registrieren, um Vorsteuerbeträge erstattet zu bekommen, denn die Steuerschuldnerschaft liegt bei Ihren Abnehmern. Dies wäre die größtmögliche bürokratische Entlastung für exportierende Unternehmen. Die Bundesregierung beschäftigt sich an dieser Stelle leider lieber mit der Gelangensbestätigung, eine Bankrotterklärung. Zum Schluss möchte ich noch auf die Ermäßigungen und Befreiungen eingehen. Auch hier brauchen wir einheitliche Regeln für alle Mitgliedstaaten. Sonder-regelungen für einzelne EU-Mitglieder darf es nicht geben. Nur so kann verhindert werden, dass etwa Luxemburg als Steueroase für Amazon E-Books mit 3 Prozent Mehrwertsteuer belegt, während sie im Rest der EU mit dem normalen Mehrwertsteuersatz des jeweiligen Landes belegt werden müssen. Nur so kann verhindert werden, dass die CSU über den Steuersatz für Übernachtungen in Österreich debattiert und deswegen auch den deutschen Hoteliers Steuergeschenke macht. Gleichzeitig widerspreche ich an dieser Stelle explizit der EU-Kommission, die die Steuerbefreiung für die öffentliche Hand komplett infrage stellt. Es ist ganz klar, dass Leistungen, die zur öffentlichen Daseinsvorsorge zählen, wie etwa Bildung, weiter steuerfrei sein müssen. Nur an Stellen, wo private und kommunale Anbieter im Wettbewerb stehen, müssen Lösungen gefunden werden, die einen fairen Wettbewerb erlauben, aber ohne nachteilige Regelungen für die Kommunen. Sie sehen, bei der Mehrwertsteuer gibt es viele Baustellen. Leider hat die Koalition nicht eine angepackt. Den Schaden haben die Bürger, die – ob sie wollen oder nicht – über die Umsatzsteuer für die Lobbygruppen der Koalition bezahlen. Den Schaden haben die Unternehmen, die mit einem komplizierten Umsatzsteuerrecht leben müssen, und den Schaden haben die Mitgliedstaaten der EU, denen wirksame Instrumente gegen Mehrwertsteuerbetrug vorenthalten bleiben. Diese Bundesregierung hat steuerpolitisch versagt, in Deutschland und in Europa. Zum Glück ist spätestens im September Schluss für Schwarz-Gelb, und so besteht Hoffnung, dass die nächste Bundesregierung die Zeichen der Zeit erkennt und auch bei der Mehrwertsteuer für ein Mehr an Europa kämpft. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12065 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jens Petermann, Jan Korte, Agnes Alpers, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz – Drucksache 17/11701 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jens Petermann, Jan Korte, Agnes Alpers, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz – Drucksache 17/11703 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, sind die Reden zu Protokoll genommen. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Die vorliegenden Gesetzesentwürfe der Fraktion Die Linke zielen auf eine organisatorische Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive und damit auf eine umfassende und tiefgreifende Reform der Justizstrukturen. Neben den dafür notwendigen Änderungen des Grundgesetzes müssten zahlreiche Änderungen auf einfachgesetzlicher Ebene vorgenommen werden. Die in Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz normierte Unabhängigkeit der Richter zählt zu den verfassungsgestaltenden Strukturprinzipien des Grundgesetzes. Die richterliche Unabhängigkeit ist nicht nur Ausdruck des Gewaltenteilungsprinzips, sie gehört auch zum Standard rechtsstaatlichen Handelns. Die Gewährung des grundrechtlich garantierten effektiven Rechtsschutzes ist nur durch unabhängige Richter möglich, es gehört zum Wesen richterlicher Tätigkeit, dass sie durch einen nicht beteiligten Dritten in persönlicher und sachlicher Unabhängigkeit ausgeübt wird. Sie steht, wie der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Dr. Hans-Jürgen Papier, zu Recht beschrieben hat, außerdem in engem Zusammenhang mit der in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz hervorgehobenen Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht. Eine Abhängigkeit, gar inhaltliche Steuerung der richterlichen Tätigkeit durch die Exekutive wäre mit Art. 97 Grundgesetz nicht vereinbar. Aber müssen wir uns Sorgen machen, dass es hier Abhängigkeiten und unzulässige Einflussnahmen gibt, wie uns die Anträge der Linken glauben machen wollen? Gibt es tatsächlich Strukturen, die eine umfassende Reform der Justizstrukturen erforderlich machen? Und sollten uns dafür die Beispiele -anderer europäischer Länder mit organisatorisch selbstständiger Justiz als Vorbild dienen? Als Richterin am Amtsgericht habe ich selbst durchaus erlebt, dass mit dem zuständigen Justizministerium des Landes um knappe Gelder gerungen werden musste, dass hohe Fallzahlen, geringe Personalausstattung im richterlichen Dienst ebenso wie auf den Geschäftsstellen und in der Verwaltung durchaus Wünsche offen ließen. Oft ist es nur ein besonders engagierter Einsatz der Richter, aber auch der Mitarbeiter in der Verwaltung und auf den Geschäftsstellen, der die gewohnte zügige und fachlich hochwertige Bearbeitung der Streitfälle ermöglicht, die nicht zuletzt auch einen echten Standortvorteil Deutschlands im internationalen Vergleich ausmacht. Wir haben uns in dieser Legislaturperiode mit der Dauer von Gerichtsverfahren befasst und erstmals Rechtsmittel gegen überlange Verfahren eingeführt – auch in diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass eine knappe Ausstattung nicht ohne Auswirkung auf die Effizienz der grundgesetzlich geschützten Rechtsgewährung bleibt. Und dennoch kann ich die Analyse der vorliegenden Anträge nicht teilen. Dort wird geradezu der Eindruck vermittelt, dass die Entscheidungsbefugnisse der Exekutive in Bezug auf die Ausstattung der Justiz oder auf  Personalentscheidungen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung infrage stellen und die deutsche Justiz in großem Maße verfassungswidrig agiere. Dies möchte ich klar zurückweisen. Insbesondere habe ich keine Einflussnahme der -Exekutive auf die Justiz bei Personalentscheidungen erlebt: Ich selbst habe mich vor meiner Einstellung in den Richterdienst ausschließlich beim zuständigen OLG-Präsidenten vorgestellt. Beurteilungen wurden selbstverständlich ausschließlich von Richtern der jeweiligen Gerichtsverwaltung vorgenommen. Dass hier Befugnisse der Justizverwaltung, die in Personalunion von den Präsidentinnen und Präsidenten der Gerichte wahrgenommen werden, für eine Beeinflussung der Justiz genutzt werden, wird auch in den vorliegenden Anträgen nicht behauptet. Bei der personellen und sachlichen Ausstattung der Gerichte bleiben immer Wünsche offen; dies gilt für die Justiz ebenso wie für die Exekutive auf allen staatlichen Ebenen, das gilt gleichermaßen auch für die Ausstattung der Verfassungsorgane mit eigenem Haushalt. Oder könnten Sie nicht noch mehr wissenschaft-liches Personal, mehr Hilfe bei der Presseauswertung, bei der Organisation und Vorbereitung von Terminen gebrauchen, wenn es ein noch größeres Personalbudget gäbe? Beim Bundestag, vermutlich ähnlich beim Bundesrat, aber ebenso in jeder Schule, jeder Stadtverwaltung, jeder sonstigen öffentlichen Verwaltung wird es ähnlich sein. Knappe Mittel sind also keineswegs ein Sonderproblem der Justiz. Vor allem ist mir wichtig: Zu keinem Zeitpunkt habe ich erlebt, dass Fragen der Ausstattung mit Personal oder Sachmitteln davon abhängig gemacht wurden, dass inhaltliche Vorgaben für die Rechtsprechung eingehalten wurden, dass bestimmte Verfahren vorgezogen oder anders behandelt wurden, als es die jeweils zuständigen Richter in ausschließlich eigenverantwortlicher Entscheidung bestimmt haben. Hier gab und gibt es keinerlei synallagmatischen Zusammenhang zwischen den Ausstattungs- oder Personalentscheidungen der Justizverwaltung auf der einen und richterlichen Entscheidungen auf der anderen Seite. Das ist nicht nur mein eigener subjektiver Eindruck, sondern das kann objektiv belegt werden. Der Global Competitiveness Report 2012 bis 2013 des Weltwirtschaftsforums kommt zu dem Ergebnis, dass die deutsche Judikative im Bereich der Un-abhängigkeit weltweit auf dem siebten Platz und damit deutlich vor den klassischen Vertretern einer selbstverwalteten Justiz liegt. Die Studie zeigt außerdem, dass die von den Linken vorgeschlagenen Organisationsstrukturen gerade keine Gewähr bieten, zu mehr tatsächlicher Unabhängigkeit der Rechtsprechung zu kommen. Klassische Vertreter einer selbstverwalteten Justiz wie Frankreich, Spanien und Italien liegen auf den Plätzen 39, 60 und 68 dieses Reports deutlich hinter Deutschland. Wenn es in der Antragsbegründung heißt: „Deutschland muss wieder den Anschluss an den aktuellen europäischen Standard der Rechtsstaatlichkeit finden“, ist das demnach – gelinde gesagt – absurd. Ein Missstand, eine Abhängigkeit der Justiz von der Exekutive, die aus verfassungsrechtlichen Gründen eine grundlegende Justizreform erfordern würde, ist also keinesfalls festzustellen. Ob die Länder eine etwaige Grundgesetzänderung mittragen würden, ist eher zweifelhaft. Gleichwohl: Jede Organisationsstruktur muss von Zeit zu Zeit überdacht werden. Vorschläge von Kollegen – schließlich basieren die Vorschläge der Linken auf Positionen der Neuen Richtervereinigung – werden aus Prinzip selbstverständlich ernst genommen. Wir werden dazu ebenso selbstverständlich die Stellungnahmen des Deutschen Richterbundes, der Berufsvertretungen und Kammern im Bereich der Justiz, der Lehre etc. berücksichtigen und dann die einzelnen -Vorschläge bewerten. Das ist uns unsere Justiz wert. Dr. Edgar Franke (SPD): Brauchen wir eine funktionierende oder eine selbstverwaltete Justiz? Nach meiner Meinung brauchen wir eine funktionierende Justiz, die die Kriminalität erfolgreich bekämpft und die Bürgerrechte schützt, eine Justiz, die das Recht überall in der Gesellschaft durchsetzt. Wir wollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von Geld und Vermögen ihre Rechte, auch und gerade im zivilrechtlichen Bereich, in angemessener Zeit durchsetzen können. Bedarf es dazu einer selbstverwalteten Justiz? Sie fordern in Ihrem Gesetzentwurf, dass Deutschland wieder den Anschluss an den europäischen Standard der Rechtsstaatlichkeit finden und die Justiz in Bund und Ländern institutionell unabhängig ausgestalten muss. Dabei verweisen Sie auf eine große Mehrheit anderer europäischer Demokratien. In der Tat wird seit Jahren von einem europäischen Trend zu einer Selbstverwaltung der Justiz gesprochen. Wir dürfen aber nicht einem Trend folgen, sondern haben zu fragen, wie die Stellung der Justiz in -unserer Staatsverfassung zu begreifen ist. So hat das der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, Vorgänger des heutigen Präsidenten Andreas Voßkuhle, schon in einem Vortrag beim Hamburgischen Richterverein am 16. Februar 2004 sinngemäß formuliert. Sie sehen, ich stehe der Einführung einer Selbstverwaltung der Justiz eher kritisch gegenüber. Papier hat schon damals festgestellt, „dass in der Diskussion noch nicht hinreichend geklärt ist, welche Verbesserungen mit einer Selbstverwaltung der Justiz erreicht werden sollen und auch tatsächlich erreicht werden könnten“. Sie schreiben von einer Begünstigung informeller Abhängigkeitsstrukturen. Jetzt frage ich zurück: Gibt es ein Problem in Deutschland mit der Unabhängigkeit der Richter? Im Gegenteil: Es gibt genügend Beispiele, die belegen, dass wir keine willfährigen Richter haben, die auf Beförderungsposten schielen und deshalb regierungs- oder verwaltungsfreundliche Entscheidungen treffen. Bedarf es einer Gewaltentrennung, um die Gewaltenteilung zu sichern, wie Sie meinen? Hierzu wäre dann eine Grundgesetzänderung erforderlich. Doch gerade das Grundgesetz will eine effektive Erfüllung staatlicher Aufgaben durch ein Zusammenwirken der Teilgewalten; das Grundgesetz zeichnet sich gerade durch eine vielfältige Verschränkung aus. Sichert eine selbstverwaltete Justiz die Interessen und Bedürfnisse der Bürger? Es ergeben sich bei mir Zweifel darüber, ob eine selbstverwaltete Justiz diesen Interessen der Bürger folgen würde oder vielmehr den eigenen. Und wie steht es um die demokratische Legitimation der Selbstverwaltungsorgane? Wäre nicht eine selbstverwaltete Justiz der demokratischen Kontrolle mit parlamentarischer Verantwortlichkeit entzogen? Für die SPD-Bundestagsfraktion stelle ich hier fest, dass die richterliche Unabhängigkeit, die verfassungsgarantierte richterliche Unabhängigkeit, nicht von einer Selbstverwaltung der Justiz berührt wird oder von ihr abhängig ist. Eine Selbstverantwortung würde auch den Staat nicht von seiner Pflicht entbinden, die Justiz so zu organisieren und auszustatten, dass diese ihrer verfassungsrechtlichen Verpflichtung entsprechen kann. Marco Buschmann (FDP): Deutschland kann stolz sein auf sein Justizsystem. Unsere Richterinnen und Richter, unsere Staatsanwältinnen und Staatsanwälte leisten hervorragende Arbeit. Die deutsche Justiz zeigt sich im internationalen Vergleich als hochqualifiziert, effektiv, kostengünstig und auch unabhängig. Das zeigen beispielsweise internationale Vergleichsstudien. Die deutsche Justiz belegte etwa im Global Competitiveness Report 2011 bis 2012 den siebten Platz – wohlgemerkt weltweit. Gemeinsam sollten wir hier im Hause jedenfalls festhalten, dass die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen können, dass in Deutschland justizielle Entscheidungen auf Recht und Gesetz beruhen. Wir sollten dem Eindruck entgegentreten, es gebe Gefälligkeitsentscheidungen, wie die Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfes mit Formulierungen wie „informellen Abhängigkeitsstrukturen“ in der Justiz vielleicht anzudeuten versucht. Die Diskussionen um eine weitere Stärkung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz sind grundsätzlich gut und wichtig. Dabei ist die Debatte um eine Selbstverwaltung der Justiz nicht neu. Bereits im Jahr 1953 beschäftigte sich der 40. Deutsche Juristentag mit der Frage: „Empfiehlt es sich, die vollständige Selbstverwaltung aller Gerichte im Rahmen des Grundgesetzes gesetzlich einzuführen?“. Die vorliegenden Entwürfe von Gesetzen zur Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz gehen zudem auf die Gesetzentwürfe der Neuen Richtervereinigung e.V. aus dem Jahr 2010 zurück, die damals bereits ausführlich diskutiert wurden. Zweifelhaft ist aus meiner Sicht jedoch, ob die vorgeschlagenen strukturellen Änderungen in der deutschen Justiz ihren anerkannt hohen Standard wirklich steigern. Der internationale Vergleich weckt daran jedenfalls Zweifel. In dem eingangs erwähnten Global Competitiveness Report -jedenfalls liegen Länder mit ähnlichen Selbstverwaltungsstrukturen, wie sie der Entwurf vorschlägt, wie etwa Frankreich, Italien und Spanien weit hinter Deutschland mit aktuellen Rängen von 37, 60 und 65. Daher ist mein Eindruck nach vielen Gesprächen mit der Richterschaft, dass der eigentliche Treiber der Reformbestrebungen die Hoffnung ist, dass die Selbstverwaltung dringend notwendige Verbesserungen für die Finanz- und damit Personal- und Sachausstattung der Justiz insbesondere in den Ländern erleichtert. Daran habe ich jedoch große Zweifel. Sollten Gerichte und Staatsanwaltschaften nicht mehr durch die Landesjustizministerien verwaltet werden, wird es – so befürchte ich – einen Trend zur Zusammenlegung der „Rumpfkompetenzen“, der dann nur noch sogenannten Justizministerien mit anderen Ministerien, zum Beispiel mit den Innenministerien geben. Das heißt, dass in den Kabinetten dieser Republik bei den Aufstellungen der Haushaltsgesetzentwürfe den Finanzministern kein Interessenvertreter der Justiz mehr mit Kabinettsrang gegenübersteht. Meine große Sorge ist, dass das die Stellung der Justiz in den Haushaltsverhandlungen, also bei der Grundlegung für Finanz- und damit Personal- und Sachmittelausstattung nicht verbessert, sondern enorm schwächen wird. Wir sind gespannt, ob sich diese Sorgen im Rahmen der Ausschussberatungen entkräften lassen, und freuen uns auf konstruktive Beratungen zum Besten der deutschen Justiz mit ihren vielen hochqualifizierten und engagierten Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten. Jens Petermann (DIE LINKE): Mit den Gesetzentwürfen zur Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz hat nun endlich ein Thema den Bundestag erreicht, das auf europäischer Ebene seit vielen Jahren auf der Tagesordnung steht. EU-Beitrittskandidaten müssen eine personell und institutionell unabhängige Justiz vorweisen. Das wäre für Deutschland ein Problem: Würde die Bundesrepublik heute einen Antrag auf Aufnahme in die Europäische Union stellen, müsste Brüssel die Aufnahme verweigern. Grund dafür ist unser Justizsystem, das aus dem 19. Jahrhundert stammt und den heutigen Anforderungen der Europäischen Union an eine unabhängige rechtsprechende Gewalt nicht mehr gerecht wird. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates, in der unsere heutige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger einst als Berichterstatterin agierte, hat am 30. September 2009 explizit von der Bundes-republik Deutschland gefordert, erstens zur Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz in der Zukunft ein System der gerichtlichen Selbstverwaltung unter Berücksichtigung der föderalen Struktur der deutschen Justiz einzurichten, und zwar nach dem Vorbild der bestehenden Justizräte in der überwiegenden Mehrheit der europäischen Staaten, zweitens schrittweise die Gehälter von Richtern und Staatsanwälten sowie die zur Verfügung stehenden Mittel für Prozesskostenhilfe zu erhöhen, drittens die Möglichkeit der Minister, der Justiz für die Strafverfolgung Anweisungen in einzelnen Fällen zu geben, abzuschaffen. Nach mehr als drei Jahren muss sich die Bundesregierung fragen lassen, welche dieser Forderungen erfüllt wurde. Die Antwort lautet: keine. Stattdessen sollen die Ansprüche auf Prozesskostenhilfe erschwert und gekürzt werden. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage aus dem Jahre 2010 macht das Justizministerium im Hinblick auf die notwendige Änderung des Grundgesetzes deutlich, dass es nicht gewillt ist, die Forderungen des Europarates umzusetzen. Die Linksfraktion hat sich des Themas angenommen und zeigt, dass eine Umsetzung der Forderung möglich ist. Gemäß Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz sind die Richterinnen und Richter „unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen“. Bekanntermaßen ist damit die richterliche Unabhängigkeit gemeint. Der preußische Justizminister Leonhardt hatte einst zur Unabhängigkeit der Richter zutreffend bemerkt: „Solange ich über die Beförderung bestimme, bin ich gerne bereit, den Richtern ihre sogenannte Unabhängigkeit zu konzedieren.“ Das Zitat aus dem 19. Jahrhundert ist auch heute noch zutreffend und geeignet, die herrschenden Zustände zu beschreiben. An der Stellung der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte hat sich seither kaum etwas geändert. Auch heute hat die Politik die Justiz fest im Griff. Das geben die Entscheidungsträger in der Justiz natürlich nicht zu. Durch das Leugnen dieses Einflusses funktioniert dieses System seit Jahrzehnten fast reibungslos. Und es sind nicht nur die hohen Justizämter, die nach Parteiproporz vergeben werden. Schon bei den Einstellungen und Beförderungen kann die Parteizugehörigkeit des Kandidaten unter Umständen eine entscheidende Rolle spielen. Nach meinem Verständnis ist damit bereits frühzeitig eine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit möglich und findet auch statt. Es werden zum Beispiel Vorgaben gemacht, nach denen die richterliche Arbeit durch die Gerichtspräsidenten zu bewerten ist. Aufgrund dieser Beurteilungen werden dann die Beförderungsstellen vergeben. Es ist nicht vorstellbar, dass Fachwissen, Denk- und Urteilsvermögen, Verhandlungsgeschick, Kooperationsbereitschaft oder Arbeitseinstellung bemessen werden, ohne gleichzeitig Aussagen über den Umgang mit dem „unabhängigen Amt“ zu treffen. Insofern ist es für die eigene Karriere dienlich, die Rechtsauffassung des Gerichtspräsidenten zu teilen. In der Folge kommt es dazu, dass sich die Fallbearbeitung auch an der Kar-rierenützlichkeit orientiert. Natürlich wird diese Tatsache von den entscheidungsbefugten Personen in den Gerichten bestritten. Man hört indes immer wieder, die Justiz sei, trotz ihrer Abhängigkeit von der Exekutive, leistungsfähig. Das stimmt nur bedingt und liegt ausschließlich an dem hohen Einsatz der Richterinnen, Richter, -Staatsanwältinnen, Staatsanwälte, Rechtspflegerinnen, Rechtspfleger sowie der Angestellten. Personell sowieso chronisch unterbesetzt, sind die meisten Gerichte auf dem baulichen und technischen Stand der 70er-Jahre stecken geblieben. Dafür sind derzeit die Justizministerien zuständig, deren vornehmste Aufgabe es sein müsste, gegenüber der Legislative die hohe Bedeutung der dritten Gewalt auch über die Höhe des geforderten Budgets zu verdeutlichen. Doch hier lässt die Leidenschaft in manchen ministeriellen Amtsstuben allzu oft zu wünschen übrig. Negativbespiele gibt es en masse, beispielsweise die damalige Diskussion um die Auflösung des Bayerischen Obersten Landgerichts durch Herrn Stoiber, um Tatkraft und Sparsamkeit der neuen Landesregierung zu demonstrieren, oder aber das Oberlandesgericht Koblenz in Rheinland-Pfalz, welches aufgelöst werden sollte, weil die Landesregierung ihren Wunschkandidaten für den Präsidentenposten nicht durchsetzen konnte und nun dem Gericht gezeigt werden sollte, dass es nur eine nachgeordnete Behörde sei und die Landesregierung doch am längeren Hebel säße. Ein besonders negatives Beispiel liefert Hessen ab, wo der derzeitige FDP-Justizminister die hessischen Richterinnen und Richter um Verständnis für Einsparungen bittet. Dabei geht es um Stellenabbau und Gerichtsschließungen, und das, obwohl die Justizhaushalte zu den kleinsten in Bund und Ländern gehören und bei hoher Deckungsquote – mindestens 30 Prozent – mit 1 bis 3 Prozent einen geringen Teil des Gesamthaushalts ausmachen. Für eine Haushaltskonsolidierung ist diese Spielwiese der Finanzminister wirklich ungeeignet. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass die selbstverwaltete Richterschaft ein eigenes Budget entwirft und dieses direkt mit dem Parlament verhandelt; den Ministern fehlt dazu in der Regel die unmittelbare Erfahrung. Durch den Einfluss der Exekutive auf die rechtsprechende Gewalt wird der Gewaltenteilungsgrundsatz des Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz ad absurdum geführt. Art. 92 Grundgesetz konkretisiert für die Judikative, dass die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut ist. Diese Verfassungsnormen sollen Machtkonzentration und Machtmissbrauch verhindern. Deshalb darf der, der Gesetze schafft, nicht mit ihrer Durch-setzung betraut sein. Wer Gesetze ausführt, ist ein schlechter Schiedsrichter, wenn es um ihre richtige Anwendung geht. Und das ist auch der Grund, warum wir Legislative, Exekutive und Judikative unterscheiden. Dazu passt es eben nicht, wenn die Exekutive bestimmt, wem in der Judikative die Rechtsprechung übertragen wird, wer dort Karriere macht, wie viel Personal für wie viele Eingangszahlen erforderlich ist, welche technische Ausstattung und welchen baulichen Zustand die Gerichtsgebäude haben. Unsere Kritik richtet sich nicht an die einzelnen Justizminister, die nun langsam erkennen sollten, dass das obrigkeitsstaatliche Modell der Justizverwaltung ein alter Zopf ist, der abgeschnitten gehört. Sie sind nur ein kleines Zahnrad im großen Getriebe. Meine Kritik richtet sich an politische Positionen, die krampfhaft an einem System festhalten, das mittlerweile 135 Jahre weitgehend unverändert als letzte Trutzburg des spätfeudalen Deutschen Kaiserreichs fortbesteht. Die Reformforderungen auch aus den Richterverbänden sind unüberhörbar. Die Zeit für eine gemeinsame Diskussion ist überreif. Mit den vorgelegten Gesetzentwürfen lade ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, herzlich dazu ein. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Rechtsprechung ist als eine der drei Staatsgewalten im Grundgesetz fest verankert. Sie ist unabhängig. Das ist Kern der Rechtsstaatlichkeit. Heute debattieren wir über Maßnahmen zur orga-nisatorischen Stärkung dieser Unabhängigkeit. Die Linke schlägt tiefgreifende Reformen der Justiz vor. Deren Basis ist eine Änderung der Verfassung. Einfachgesetzliche Regelungen sollen sich anschließen. Verfassungsändernde Maßnahmen müssen aber wohl überlegt sein. Über ein Mehr an Autonomie in der Justiz ist schon lange diskutiert worden. Die Debatte hat an Schubkraft gewonnen, als der Deutsche Richterbund ein Eckpunktepapier und einen Landesgesetzentwurf formulierte. Der frühere grüne Justizsenator von Hamburg hat ein eigenes Modell für die Autonomie der Justiz entwickelt und ist dazu in einen Diskursprozess getreten. Die Neue Richtervereinigung hat Diskussionsentwürfe für die Bundesebene vorgeschlagen. Diese Vorschläge hat die Linke ihren Gesetzentwürfen zugrunde gelegt. Allerdings sind die Reformen, die die Linksfraktion vorschlägt, sehr weitreichend. Für solche Umstrukturierungen der Justiz bedarf es neben der Grundgesetzänderung vieler Änderungen einfachgesetzlicher Vorschriften. Dies betrifft sowohl die Bundes- als auch die Länderebene; denn Justiz ist vorwiegend Länder-sache. Wollen wir einen neuen Aufbau der Justiz ermöglichen, so können wir dies sinnvoll nur in Zusammenarbeit mit den Ländern erreichen. Das muss umfassend aufbereitet und diskutiert werden. Wir Grüne stehen Reformen der Justizstrukturen offen gegenüber. Auch die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung zeigen hier Offenheit. So haben in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die Regierungskoalitionen vereinbart, die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken. Die grün-rote Regierung in Baden-Württemberg hat bereits einen Gesetzentwurf erarbeitet, der bald weiter beraten wird und neben der Rechtsprechung auch die Staatsanwaltschaft als Teil der Justiz in den Blick nimmt. Tatsächlich aber wäre es auch Sache des Bundesjustizministeriums gewesen, die Zeichen der Zeit zu -erkennen. Es hätte diese Legislaturperiode nutzen können, um die Autonomie der Justiz thematisch anzupacken. Das ist leider nicht geschehen. Nun zu den Gesetzentwürfen der Linken: Das Richterbild, das unserem Grundgesetz zugrunde liegt, zeichnet sich dadurch aus, dass die Richterschaft gegenüber der Exekutive unabhängig und dem Gesetz verpflichtet ist. Zur Verwirklichung der rechtsprechenden Gewalt ist ein hohes Maß – aber nicht unbedingt ein umfassendes Maß – an Selbstverwaltung notwendig. Verbesserungen der aktuellen Gesetzeslage sind hier sicher möglich. Wir Grünen unterstützen das Anliegen, der Richterschaft im Bund und in allen Ländern ein entscheidendes Mitspracherecht bei der Richtereinstellung und Beförderung zuzusprechen. Gleichzeitig müssen wir aber auch die Grenzen der Unabhängigkeit berücksichtigen. Die Richterschaft kann nicht völlig losgelöst von der Exekutive agieren, mit vollständiger finanzieller, personeller und organisatorischer Selbstständigkeit. Bei den Staatsanwaltschaften stellt sich die Frage, inwieweit diese überhaupt eine justizielle Selbstverwaltung ausüben sollten. Hier spielen ganz andere verfassungsrechtliche Erwägungen eine Rolle. Die Staatsanwaltschaften sind ein Organ der Rechtspflege, aber nicht der Rechtsprechung. Sie sind Teil der Exekutive. Nach Art. 92 des Grundgesetzes ist die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut. Die Linke will daraus jetzt machen: „Die rechtsprechende Gewalt liegt in den Händen der Richter und Staatsanwälte.“ Damit verkennt sie, dass die Tätigkeit von Staatsanwälten funktionell keine Rechtsprechung ist. Staatsanwälte entscheiden eben nicht verbindlich in einem geregelten Verfahren, was im konkreten Fall rechtens ist. Die Staatsanwaltschaft erfüllt einen anderen Zweck als die Rechtsprechung. Sie führt das Recht und damit exekutive Gewalt aus. Die Richter brauchen Unabhängigkeit, weil sie Recht sprechen. Die Staatsanwaltschaften müssen in ihrer Tätigkeit unmittelbare demokratische Rückanbindung haben, bis hin zur politischen Verantwortung der jeweiligen Ministeriumsspitze für die generelle Organisation der Arbeit der Staatsanwaltschaft. Das heißt nicht, dass wir Grünen die Staatsanwaltschaften von der Justizreform ausnehmen wollen. Insbesondere das einzelfallbezogene Weisungsrecht der Politik gegenüber der Staatsanwaltschaft sollte abgeschafft werden. Es darf nicht sein, dass aus politischen Gründen Ermittlungen gegen einzelne Personen blockiert oder forciert werden können. Das widerspricht der Gleichheit aller vor dem Gesetz. Dagegen halten wir es für sinnvoll, ein allgemeines Weisungsrecht der Politik gegenüber der Staatsanwaltschaft zu erhalten. Das ist nötig, um Richtlinien für die Handhabung der Strafverfolgung jenseits von Einzelfällen aufzustellen. Das sichert die Einheitlichkeit des Vorgehens in gleichgelagerten Fällen und ist manchmal erforderlich, um Defizite zu beseitigen. Ich nenne nur als Beispiel den früheren Umgang mit Verfahrenseinstellungen bei Fällen häuslicher Gewalt, in denen allzu leicht ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung verneint wurde. Meine Damen und Herren von der Linksfraktion, eine weitere Kritik kann ich Ihnen nicht ersparen: Bei den Kosten der Gesetzesumsetzung machen Sie es sich zu leicht. Der Gesetzentwurf formuliert lapidar, dass bei den Ländern Kosten entstehen können, deren Höhe „nicht absehbar“ ist. Natürlich hängen die Kosten von der konkreten Ausgestaltung im Einzelnen ab. Aber schaut man in die Vorlagen der Neuen Richtervereinigung hinein, wird erkennbar, dass die Reformvorschläge aufgrund der Änderung der Besoldungsstruktur der Richterschaft auf eine vermutlich ganz erhebliche Kostensteigerung hinauslaufen, zumindest während einer längeren Übergangszeit. In Zeiten knapper Kassen ist das aber nicht realistisch. Da gibt es – auch innerhalb der Justizpolitik – andere Prioritäten. Da müssen wir zum Beispiel für ausreichend Personal in der Justiz und gegen eine Kürzung von Prozesskosten- und Beratungshilfe kämpfen. Außerdem werden wir noch mit der gesamten Richterschaft zu diskutieren haben, ob die angestrebte Einheitlichkeit der Besoldung aller Richterinnen und Richter, unabhängig davon, welche Funktion sie ausüben, welche Qualifikation sie haben – und damit der Wegfall von Leistungsanreizen –, wirklich in ihrem Sinne ist. Das würde ich bezweifeln. Zwar haben Sie nicht die altersdiskriminierende Besoldungsregelung aus dem Gesetzentwurf der NRV übernommen, aber die Ersetzung durch eine reine Dienstaltersregelung stellt keinen Anreiz dar, andere Funktionen anzustreben und sich dafür zu qualifizieren. Wichtig ist mir bei der Justizreform noch ein weiterer Aspekt, der in der Diskussion bisher weder von den Richterverbänden noch von anderen Fraktionen aufgegriffen wurde: Das ist die Durchsetzung der Geschlechtergleichstellung in der Justiz. Der Anteil der Frauen in der höheren Richterschaft ist gering, obwohl an den Amtsgerichten zu über 40 Prozent Richterinnen beschäftigt sind. Hier kann die Politik im Rahmen einer Umstrukturierung neue Bedingungen schaffen. Der Gesetzentwurf der Linken bleibt eine Antwort auf die Frage schuldig, wie der Gleichstellungsauftrag des Grundgesetzes in der Justiz umzusetzen wäre. Wir sollten eine unabhängige und eine diskriminierungsfreie Justiz schaffen. Eine Justizreform muss gründlich beraten werden, vielleicht sogar vorbereitet durch eine Bund-Länder-Kommission, um zu bestmöglichen Ergebnissen zu kommen. Das wird uns in dieser Wahlperiode und mit dieser Regierung nicht mehr möglich sein. Aber wir nehmen die Diskussion als Leuchtturmprojekt mit in die nächste Legislaturperiode. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/11701 und 17/11703 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann haben wir das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Hans-Christian Ströbele, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Prüfkriterien für Auslandseinsätze der Bundeswehr entwickeln – Unterrichtung und Evaluation verbessern – Drucksachen 17/5099, 17/8697 – Berichterstattung: Abgeordnete Roderich Kiesewetter Dr. Rolf Mützenich Dr. Rainer Stinner Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller (Köln) Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, sind die Reden zu Protokoll genommen. Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Die aktuelle Situation in Mali und das Eingreifen französischer Truppen führt uns vor Augen, wie komplex die Lage bei Auslandseinsätzen sein kann. Selbst mit den besten Informationen lassen sich die Gegebenheiten vor Ort oft nicht vollständig einschätzen. Die Ziele der beteiligten Nationen – das haben wir auch in Afghanistan erfahren – müssen deshalb kontinuierlich angepasst werden. In diesem Zusammenhang ist die Forderung nach exakten Prüfkriterien und festgelegten Evaluationsverfahren zwar leicht ausgesprochen, sie bedarf aber einiger grundsätzlicher Überlegungen, die von den Antragstellern bisher nicht gemacht -wurden. Zunächst einmal muss klar festgestellt werden, dass grundsätzliche und sehr starke Kriterien für unsere Auslandseinsätze bereits formuliert sind. Mit den -Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011, dem neuen strategischen Konzept der NATO 2010, dem EU--Vertrag von Lissabon 2009, dem Weißbuch der Bundesregierung zur Bundeswehr 2006 oder der Europäischen Sicherheitsstrategie 2003 verfügen wir über Grundlagendokumente, die – entweder ressortspezifisch ausgerichtet oder auf hohem Abstraktionsgrad – die sicherheitspolitischen Herausforderungen und die Handlungsspielräume der Bundesregierung beschreiben. Das erste entscheidende Kriterium sind für Deutschland immer der völkerrechtliche Rahmen und besonders die Existenz eines Mandats der Vereinten Nationen. Ein Einsatz könnte darüber hinaus nach Art. 1 – Wahrung der internationalen Sicherheit – Art. 2 – Verbrechen gegen die Menschlichkeit – oder im Rahmen der Nothilfe nach Art. 51 – Selbstverteidigungsrecht – der VN-Charta erfolgen. Schließlich ist auch ein Einsatz im Rahmen von Bündnisverpflichtungen einschließlich Art. 5 des NATO-Vertrags möglich. Das zweite herausragende Kriterium ist die Frage, welche anderen Partner aus NATO und/oder EU -teilnehmen. Die multilaterale Ausrichtung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik ist unverzichtbarer -Bestandteil unserer politischen Kultur. Drittes entscheidendes Kriterium ist, den Einsatz militärischer Mittel sorgsamst und im Verbund anderer Möglichkeiten abzuwägen. Wesentlich ist, Konfliktlösung im Vorfeld möglicher militärischer Maßnahmen durch Diplomatie, Nachbarschaftspolitik, abgewogenes Krisenmanagement und Vorsorge zu erreichen. -Militärische Eingriffe können nur als Ultima Ratio gelten. Das schließt möglicherweise abgestimmte präventive Maßnahmen nicht von vornherein aus. Diese Kriterien sind gute Leitlinien für die Entscheidungen über einen Einsatz und den Umfang eines Einsatzes sowie für die anschließende Bewertung. Der Deutsche Bundestag ist bekanntlich über den Einsatzauftrag, das Einsatzgebiet, die rechtlichen Grundlagen des Einsatzes, die Höchstzahl der einzusetzenden Soldaten, die Fähigkeiten der einzusetzenden Streitkräfte, die geplante Dauer des Einsatzes sowie dessen voraussichtliche Kosten und Finanzierung zu informieren. Im Anschluss trifft das Parlament eine Entscheidung. Neben diesem sehr transparenten Verfahren werden zurzeit Maßnahmen ergriffen, um eine neue sicherheitspolitische Gesamtstrategie zu erarbeiten. Die -erfolgreiche Bundesakademie für Sicherheitspolitik soll weiterentwickelt werden und ihre Rolle als höchstrangige und ressortübergreifende Plattform des -Bundes noch stärker ausüben. Schon heute vernetzt sie sicherheitspolitische Akteure und organisiert Diskussionen über strategische Fragestellungen. Ein so-genanntes Nationales Sicherheitsforum soll noch in diesem Jahr erstmalig stattfinden. Des Weiteren arbeiten die distinguierten Think Tanks Stiftung „Wissenschaft und Politik“ und German Marshall Fund an -einem breit angelegten Projekt zu Elementen einer außenpolitischen Strategie für Deutschland. Das -Auswärtige Amt ist hier federführend beteiligt, und einige von uns Abgeordneten auch. Auf dem Gebiet der strategischen Gesamtausrichtung ist sicher noch einiges zu tun, aber die zuständigen Minister haben dies erkannt, und es wird gehandelt. Man könnte in diesem Zusammenhang noch über eine Beteiligung unseres internationalen Personals bei den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und bei der NATO nachdenken. Sie haben sicher auch -einen guten Blick auf die Erwartungen unserer Bündnispartner an die strategische Grundausrichtung Deutschlands. Zum Schluss möchte ich noch einmal konkret auf die Auslandseinsätze zu sprechen kommen und ein Beispiel für eine gelungene Evaluation und ein nachhaltiges Arbeiten aufführen: der Übergang von IFOR über SFOR zu EUFOR ALTHEA im ehemaligen Jugos-lawien. Der erfolgreiche Friedenseinsatz ist ein Beispiel wie koordiniert und nachhaltig ein Auslandseinsatz von A bis Z organisiert wird. Anfangs sorgten unsere Truppen in den NATO-geführten Einsätzen IFOR bzw. SFOR für Schutz und Hilfe, nun sind sie im Rahmen von EUFOR unter der Führung der EU tätig. Zuletzt beschloss das Parlament am 1. Dezember 2011 auf Antrag der Bundesregierung eine Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an -EUFOR ALTHEA im Rahmen der Überwachung und Umsetzung des Dayton-Abkommens. Insgesamt liefen die Übertragung der Verantwortung, die Anpassung der Truppenstärke und die internationale Zusammenarbeit während der Mission bis zur Beendigung der deutschen Beteiligung reibungslos. Der Deutsche Bundestag war zu jedem Zeitpunkt umfassend informiert und hat die entscheidenden Schritte mitentschieden. Wir -sehen an diesem Beispiel, dass wir über ausreichende Einsatzkriterien und transparente Verfahren verfügen und in der Lage sind, Einsätze im Nachgang zu bewerten und gegebenenfalls weiterzuführen. Ein kleinteiliges Evaluationsverfahren des Bundestages, wie in dem Antrag gefordert, war hier nicht notwendig. Dennoch halte ich viel davon, sämtliche bisher durchgeführten Einsätze weiter auszuwerten, um Empfehlungen für die Begleitung künftiger Einsätze zu gewinnen. Insbesondere ist es hierbei vorteilhaft, auch auf die Erfahrungen unserer Partner in NATO und EU zurückzugreifen. Eine Regierung braucht für Einsätze Flexibilität und politischen Handlungsspielraum und wir als Parlament brauchen Hintergrundwissen, um die Einsätze wirksam mandatieren und kontrollieren zu können. Kleinteilige Kriterien wie im Antrag vorgesehen helfen uns da aber nicht weiter. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass die beteiligten Ausschüsse aus guten Gründen den vorliegenden Antrag abgelehnt haben . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Die Entscheidung, deutsche Soldaten in einen Auslandseinsatz zu entsenden, ist wahrlich keine leichte. Sie bedarf in jedem einzelnen Fall einer individuellen, eingehenden Prüfung. Diese jedoch anhand im Vorfeld festgelegter Prüfkriterien für Auslandseinsätze zu -fällen, lehnen wir ab. Ein derartiges pauschalisiertes Vorgehen würde unserer moralischen Verantwortung, die wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages für die Einsätze deutscher Soldaten im Ausland übernehmen, und außerdem der unverzichtbaren konkreten Einzelfallbeurteilung nicht gerecht werden. Auch wenn wir uns in der CDU/CSU-Fraktion nicht auf Prüfkriterien für Auslandseinsätze festlegen wollen bzw. es aufgrund der unüberschaubaren Bandbreite sicherheitspolitischer Herausforderungen gar nicht können, so müssen doch bei jedem einzelnen Auslandseinsatz der Bundeswehr unabdingbare Voraussetzungen erfüllt sein. Sie müssen vor allem als Ultima Ratio einer werteorientierten deutschen Außenpolitik zum Ziel haben, die Einhaltung der Menschenrechte zu gewährleisten und Frieden zu stiften. Ich habe in den letzten Jahren, in denen ich Mitglied im Auswärtigen Ausschuss war, eine ganze Reihe von Mandatierungen neuer Auslandseinsätze und Verlängerungen von bestehenden Einsätzen mitgetragen. -Natürlich wäre es leichter, wenn eine Art Kriterien-katalog einem dabei die Gewissheit geben könnte, die richtige Entscheidung zu treffen. Nur leider kann einem ein steifer Kriterienkatalog eine Gewissensentscheidung – und um eine solche handelt es sich letztlich in diesem Fall – nicht abnehmen. Ich habe mich bei Mandatierungen, genau wie meine Kollegen der Unionsfraktion, immer vor allem von folgenden Erwägungen leiten lassen: Gibt es eine völkerrechtliche Grundlage für den Einsatz? Welchen Zielen dient er? Welches außenpolitische Interesse Deutschlands steht hinter dem Einsatz? Welche Länder bzw. welche Organisationen beteiligen sich? Was kann der Einsatz bewirken? Was wären die möglichen Konsequenzen eines Nichthandelns? Können wir die Verantwortung für unsere Soldaten in diesem Einsatz übernehmen? Ich glaube, wenn man eine Art Komplexitätsreduktion -versucht, dann sind das die wesentlichen Punkte, auf deren Basis man eine derart gewichtige Entscheidung treffen kann. Ich finde es wichtig und richtig, dass diese letzte -Lesung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/die Grünen uns mit der Notwendigkeit konfrontiert, uns noch einmal fraktionsübergreifend über die Werte auszutauschen, die einem solchen Einsatz zugrunde liegen müssen. Denn es ist vor allem auch eine ethische Entscheidung, das Leben unserer Soldaten für die -Sicherheit in mitunter entlegenen Regionen der Welt aufs Spiel zu setzen. Ein Auslandseinsatz deutscher Soldaten ist und bleibt nach der deutschen Staats-raison immer das letzte Mittel. Aktuell stellt sich beispielsweise die Frage, ob wir den französischen Einsatz in Mali unterstützen und Mali mit logistischen und humanitären Mitteln zu Hilfe eilen können. Oftmals muß es nicht gleich ein Einsatz deutscher Soldaten mit Waffengewalt sein, der eine gefährliche Krisenlage entschärfen hilft. Bei diesen Überlegungen müssen wir uns auch immer die Konsequenzen eines Nichteingreifens vor Augen halten. Diese Debatte sollten wir nicht nur unter uns, sondern auch mit einer breiten Öffentlichkeit führen. Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen besser kommuniziert werden. Dies ist auch ein Teil der Verantwortung, die wir gegenüber unseren Soldaten im Auslandseinsatz haben. Sie leisten einen wichtigen Dienst, der in den letzten Jahren fester Bestandteil der deutschen Außenpolitik geworden ist. Diese Leistung gilt es unseren Bürgern deutlich zu machen und entsprechend zu -würdigen. Hilfreich hierzu wären, da stimme ich mit dem -Antrag überein, Evaluierungen der Auslandseinsätze bei Mandatsverlängerungen oder am Ende eines Einsatzes. Gerade abschließende Evaluierungen wären gut geeignet, unter Einbeziehung der Öffentlichkeit die längst fällige Debatte um Kosten und Nutzen von Auslandseinsätzen zu führen. Johannes Pflug (SPD): Das Recht des Deutschen Bundestages, über militärische Auslandseinsätze zu entscheiden, ist ein sehr hohes Gut, das nicht viele Parlamente besitzen. Dieses Recht hat seine historischen Wurzeln in der deutschen Vergangenheit, aus der die Lehre gezogen wurde, dass das Militär niemals wieder „Staat im Staate“ sein darf. Die Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland mit all ihren weitreichenden Konsequenzen für die deutschen Soldatinnen und Soldaten sowie die Menschen vor Ort in den Einsatzgebieten soll durch eine öffentliche Debatte und eine breite politische Willensbildung zustande kommen. Mit diesem Recht geht jedoch eine große Verantwortung für die Abgeordneten einher, die diese Entscheidung zu fällen haben. Wir Abgeordneten bekommen damit eine Verantwortung für die deutschen Soldatinnen und Soldaten, die wir in eine Gefahren-situation schicken, und deren Familien. Ebenso müssen wir der Verantwortung gerecht werden, die wir für die Menschen in den Ländern, in denen die Einsätze stattfinden, haben. Unser ehemaliger Kollege Michael Groschek hatte in seiner Rede zu diesem Thema in der ersten Lesung darauf hingewiesen, dass wir genauso eine Verantwortung für die potenziellen Opfer eines militärischen Einsatzes haben, egal welcher Herkunft sie sind und ob sie in Uniform oder in Zivil umkommen. Es handelt sich hierbei also um Gewissensentscheidungen, die sich sicherlich kein Abgeordneter leicht macht. Um eine solch schwere Entscheidung jedoch guten Gewissens treffen zu können, bedarf es einer guter Entscheidungsgrundlage. Wir Abgeordnete müssen abschätzen, ob ein Einsatz der Bundeswehr im Ausland wirklich geboten und alternativlos ist und ob er voraussichtlich mehr Gutes als Schlechtes bewirken wird. Um diese Einschätzung vorzunehmen, brauchen wir Informationen über die Lage vor Ort und die Möglichkeiten und Grenzen des Militäreinsatzes. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz verpflichtet daher die Bundesregierung, den Abgeordneten zur Wahrnehmung ihrer parlamentarischen Verantwortung und Kontrollfunktion alle erbetenen Informationen zur Verfügung zu stellen. Der Antrag der Grünen ist in einem Punkt vollkommen richtig: In Einklang mit dieser Gesetzesvorschrift fordert er eine verbesserte Unterrichtungspraxis des Bundestages vonseiten der Bundesregierung. Denn es ist wahr, dass diese bislang unzureichend ist. Zwar werden wir wöchentlich über Lagevorfälle in den Einsatzgebieten der Bundeswehr mit der sogenannten Unterrichtung des Parlaments informiert, jedoch besteht hier noch erheblicher Verbesserungsbedarf. Es fängt damit an, dass die Information nicht ganzheitlich genug ist. Der Antrag fordert völlig zu Recht, dass sowohl über militärische als auch über polizeiliche und zivile Entwicklungen in den Einsatzländern in ausreichendem Maße informiert werden muss. Dabei sollte genauso über Entsendungen von Polizisten, unbewaffneten Soldaten und Zivilisten unterrichtet werden. Es geht damit weiter, dass sehr viele Informationen über Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht oder nur an wenige weitergegeben werden mit dem Verweis auf die Qualifizierung der Information als geheim. Dabei ist es oft fraglich, ob diese Qualifizierung tatsächlich immer notwendig ist. Denn diese nimmt nur der jeweilige Autor eines Textes vor, und sie wird in der Regel danach nicht mehr geprüft oder revidiert. Eine Information ist also ruck zuck als geheim eingestuft und bleibt damit für die allermeisten Abgeordneten für immer verborgen. Selbstverständlich gibt es in der Außen- und Sicherheitspolitik sensible Informationen, die durchaus geschützt werden müssen. Jedoch sollten wirklich nur Informationen vorenthalten werden, die handelnde Personen oder die laufende Operation gefährden könnten. Und wenn dieses Gefährdungspotenzial wegfällt, beispielsweise weil die Operation beendet ist, so spricht auch nichts dagegen, die Information freizugeben. Dies gilt ganz genauso für die Einsätze der KSK. Die unzulängliche Informierung des Bundestages wird auch nicht durch die exklusive Unterrichtung der Obleute aufgewogen. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, und das gesamte Parlament trägt die Verantwortung, über Auslandseinsätze zu entscheiden. Also muss auch das gesamte Parlament so weit wie möglich mit den erforderlichen Informationen hierzu versorgt werden. Es darf keine zwei Klassen von Abgeordneten geben. Ich halte es deshalb ebenfalls für eine gute Idee, im Anschluss an die Unterrichtung der Obleute die Aufzeichnungen der Regierungsvertreter in der Geheimschutzstelle des Bundestages für alle Abgeordneten zur Einsicht zu hinterlegen. Was die Evaluierungspraxis von Auslandseinsätzen der Bundeswehr anbelangt, so sehe ich gleichermaßen großes Verbesserungspotenzial. Es ist kaum zu glauben, dass über abgeschlossene Einsätze wie beispielsweise die Operation „Enduring Freedom“ bislang keinerlei Evaluierungsberichte vorliegen. Zwar gibt es seit 2010 den halbjährlichen Fortschrittsbericht „Afghanistan“ der Bundesregierung für das ISAF-Mandat, jedoch weiß jedes Kind, dass eine Selbstbeurteilung niemals so objektiv sein kann wie eine externe Beurteilung. Die SPD-Fraktion fordert deshalb gemeinsam mit der Fraktion der Grünen seit Jahren eine Evaluierung des deutschen Afghanistan-Einsatzes, die von unabhängigen Experten durchgeführt wird und den Zeitraum von 2001 an umfassen soll. Und dies hat nichts mit Outsourcing zu tun, wie es einige Kollegen von der Regierungskoalition behauptet haben. Sicherlich hat die Bundesregierung die Berichtsfunktion inne, sie hat ja gerade die Berichtspflicht. Aber eine unabhängige Evaluierung ist keine Ausgliederung von Regierungsaufgaben, sondern eine wertvolle und nützliche Ergänzung zu den Einschätzungen, die uns die Regierung gibt. Leider haben sich die Koalitionsfraktionen unserer Forderung verweigert und unserem Antrag aus dem Jahr 2010 nicht zugestimmt. Damit wurde eine gute Chance vertan. Nehmen wir die Fortschrittsberichte „Afghanistan“ als Beispiel. Im Allgemeinen fallen diese positiver aus als Lagebeurteilungen von unabhängigen Think Tanks. Aber erst unterschiedliche Perspektiven können uns ein möglichst objektives Bild von der tatsächlichen Lage vor Ort geben. Dabei finde ich den Punkt, den der Kollege Dr. Bijan Djir-Sarai in seiner Rede in der ersten Lesung gemacht hat, einen Evaluierungsbericht zu erstellen, der mittel- bis langfristig ausgerichtet ist, da der Erfolg eines Einsatzes oft erst im Laufe der Zeit erkennbar wird, gar nicht verkehrt. Jedoch heißt dies ja nicht, dass wir nicht sowohl zeitnahe wie auch langfristige Evaluierungen vornehmen können. Nun möchte ich gleichwohl zu unserem Kritikpunkt an dem Antrag der Grünen kommen. Wir halten es für wenig hilfreich, einen statischen Kriterienkatalog aufzustellen, der bei Entscheidungen über künftige Auslandseinsätze herangezogen werden kann. Sich über Ziele eines Einsatzes im Vorfeld zu verständigen, eine umfassende und kohärente Strategie zu erarbeiten, wie diese Ziele erreicht werden sollen, und im Anschluss den Einsatz anhand der Bilanz der erreichten oder eben nicht erreichten Ziele zu bewerten, ist eine Forderung, die auch wir immer wieder machen und die ich ausdrücklich teile. Jedoch muss trotzdem jeder Einsatz individuell betrachtet und politisch entschieden werden. Eine Einsatzentscheidung des Bundestages ist ja nicht nur ein verfassungsrechtlich gebotener Verwaltungsakt. Auch wenn unser Engagement im Ausland in eine außen- und sicherheitspolitische Gesamt-Agenda eingebettet sein sollte, so müssen die jeweiligen Umstände eines jeden Einsatzes für sich betrachtet werden. Die jeweiligen Realitäten, Bedingungsgeflechte und Machtkonstellationen sind zu komplex, als dass die Entscheidung zu einem Auslandseinsatz der Bundeswehr anhand eines Kriterienkatalogs gefällt werden könnte. Ich fasse zusammen: Wir brauchen eine verbesserte Versorgung mit Informationen des gesamten Parlaments – und nicht nur einiger weniger Abgeordneter – mit den relevanten Informationen zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Diese Information muss umfassend alle Gesichtspunkte einer Mission abdecken. Und diese Information muss sowohl laufend als auch in Form einer Gesamtevaluierung nach Beendigung eines Einsatzes geschehen. Die abschließende Eva-luierung sollte dabei von unabhängigen Experten vorgenommen werden. Wir müssen bereit sein, aus Fehlern, die in der Vergangenheit gemacht wurden, zu lernen. Es ist nichts Verwerfliches daran, dass Politik auch immer ein Prozess des „Trial and Error“ ist, solange die Politik sich nicht scheut, Fehler einzugestehen und aus ihnen Lehren zu ziehen. Wir brauchen außerdem endlich eine außen- und sicherheitspolitische Gesamtstrategie, die uns ebenfalls dabei helfen würde, über künftige Auslandseinsätze der Bundeswehr zu entscheiden. Im Vorfeld einer Operation muss sich mit den Partnern über die angepeilten Ziele und eine gemeinsame Strategie zur Erreichung dieser Ziele verständigt werden. Diese festgelegten Ziele sollten dann zur nachgelagerten Beurteilung eines Auslandseinsatzes herangezogen werden. Was wir jedoch nicht brauchen, ist ein starrer Kriterienkatalog für künftige -Auslandseinsätze, den es angesichts der höchst unterschiedlichen Gegebenheiten von jedem einzelnen Einsatz auch nicht geben kann. Deshalb werden wir uns bei dem vorliegenden Antrag der Stimme enthalten. Dr. Rainer Stinner (FDP): Noch nie hat eine Bundesregierung das Parlament so ausführlich, so offen, so präzise und so schnell über Auslandseinsätze der Bundeswehr informiert wie die heute amtierende. Eine so detaillierte und auch selbstkritische Evaluierung eines Einsatzes vorzulegen, wie es der Fortschrittsbericht Afghanistan darstellt, hat keine vorhergehende Bundesregierung gewagt. Ich bedanke mich vor allem bei den zuständigen Ministern, federführend bei Außenminister Westerwelle und Verteidigungsminister de Maizière, die immer für die Information des Parlamentes zur Verfügung stehen und vor allem auch im Vorfeld von Mandatsentscheidungen die enge Abstimmung mit dem Parlament suchen. Natürlich gibt es Einsatzszenarien, bei denen Geheimhaltung notwendig ist, und es kann auch Fälle geben, bei denen Geheimhaltung bezüglich der Details über das Ende des Einsatzes hinaus notwendig ist. Hier müssen wir weiterhin bei der politischen Abwägung bleiben, was darf bekannt werden und was nicht. Hier ist die Obleuteunterrichtung die bewährte und geeignete Form, in der meine Fragen ausnahmslos vollständig beantwortet werden. Die von Ihnen kritisierte Mangelhaftigkeit bei der Unterrichtung kann ich nicht im Mindesten erkennen. Weiter fordern Sie in dem Antrag die Bundesregierung auf, einen Kriterienkatalog zu erarbeiten, nach dem Auslandseinsätze beurteilt werden. Damit habe ich erhebliche Probleme. Erst einmal möchte ich mir als Parlamentarier von keiner Bundesregierung vorschreiben lassen, nach welchen Kriterien ich die Entscheidung treffe, ob ich einem Auslandseinsatz der Bundeswehr zustimme oder nicht. Diese Gedanken müssen wir uns als Parlamentarier schon selber machen. Und wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass es bei diesen Entscheidungen nicht darum gehen kann, einzelne Kriterien abzuhaken. Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen: Wir sind uns wohl alle einig, dass es äußerst wünschenswert ist, als völkerrechtliche Grundlage für einen Einsatz einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates zu haben. Wenn wir das aber ausdrücklich zur Voraussetzung machen würden, hätte Deutschland dem Kosovo-Einsatz nicht zustimmen dürfen. Und wir sind uns wohl auch alle einig, dass die Einbettung eines Einsatzes in eine politische Gesamtkonzeption sehr wünschenswert ist. Wenn wir das aber zur unabdingbaren Voraussetzung machen, dann könnten auch die Kollegen von den Grünen heute nicht fordern, dass sich die Bundeswehr in Mali beteiligt; denn hier sind wir noch nicht so weit. Schon diese beiden Beispiele zeigen, dass jeder Einsatz für sich bewertet werden muss und es mit dem Abhaken von Kriterien nicht getan ist. Ähnlich ist es mit der Evaluierung von Einsätzen. Natürlich muss bei jedem Einsatz geprüft werden: Was war gut, was hätte anders laufen sollen? Die Bundeswehr selber macht das ja auch im Detail. Die Gesamtbewertung eines Einsatzes und die Frage, welche Lehren aus einem Einsatz zu ziehen sind, das sind eminent politische Fragen, auf die es keine objektive Antwort gibt. Aus dem Afghanistan-Einsatz werden sehr unterschiedliche Lehren gezogen: zum einen die, dass solche Einsätze länger dauern und schwieriger sind, als anfänglich gedacht, sodass man sie in Zukunft eher lassen sollte; zum anderen die, dass die anfängliche Strategie falsch war, mit nur sehr geringen Kräften vor Ort zu sein. Auch diese Bewertung kann und darf das Parlament nicht outsourcen. Ich bin seit langem der Ansicht, dass wir eine viel grundsätzlichere Debatte über die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik in der Öffentlichkeit, aber auch hier im Parlament brauchen. Deshalb plädiere ich für die Formulierung einer deutschen außen- und sicherheitspolitischen Strategie, aus der sich dann auch Folgerungen für Einsatzentscheidungen ableiten lassen. Dabei darf es aber nicht nur um Kriterien für Bundeswehreinsätze gehen. Wir müssen im Gegenteil insgesamt unsere Werte und Interessen definieren und uns dann mit der Frage befassen, welche Mittel und Instrumente wir dafür einsetzen wollen und können. Das geht dann von Entwicklungshilfe über Außenpolitik, Außenwirtschaftspolitik bis zur Ultima Ratio eines militärischen Einsatzes. Eine solche umfassende Debatte führen wir gerne, und wir halten sie auch für dringend notwendig. Denn nur wenn wir uns in Deutschland darüber im Klaren sind, was wir wollen, können wir diese Positionierung auch in eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik einbringen. Das Klein-Klein Ihres Antrages wird dieser Aufgabe in keiner Weise gerecht, und deshalb lehnen wir ihn ab. Inge Höger (DIE LINKE): Der Ernstfall Frieden gehört für die Bundeswehr ganz offensichtlich der Vergangenheit an. Die Bundeswehr ist zur globalen Interventionsarmee umgebaut worden. Inzwischen beteiligt sich die Bundeswehr in zahlreichen Regionen dieser Welt an Kriegs- und Besatzungseinsätzen. An dieser Entwicklung waren von Rot-Grün bis Schwarz-Gelb alle Parteien in diesem Parlament gleichermaßen beteiligt. Einzig die Linke hat sich diesem Kriegskurs bisher konsequent verweigert und wird sich ihm auch in Zukunft nicht anschließen. Immer stärker dominiert das Militär die deutsche und europäische Außenpolitik. Etwa 300 000 Solda-tinnen und Soldaten wurden aufgrund von Entscheidungen des Bundestages in Auslandseinsätze geschickt. Alle wesentlichen Entscheidungen in diesem Bereich werden namentlich abgestimmt. Es entspricht durchaus der besonderen Bedeutung einer Abstimmung über Krieg und Frieden, dass Abgeordnete hier jeweils eine individuelle Entscheidung treffen und sich für diese auch öffentlich verantworten müssen. Um eine fundierte Entscheidung treffen zu können, ist eine umfangreiche Information vor, während und nach einem Militäreinsatz notwendig. Den entsprechenden gesetzlichen Anspruch gibt es im Parlamentsbeteiligungsgesetz. Die Umsetzung dieses Informationsanspruchs ist äußerst unzureichend. Es ist zum Beispiel nicht nachvollziehbar, warum nicht alle Abgeordnete die Unterrichtungen des Parlaments über die Lage in den Einsatzgebieten der Bundeswehr bekommen. Aber auch die sogenannten Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker werden meist nur oberflächlich informiert. So ist es absolut inakzeptabel, dass die Abgeordneten wesentliche Informationen über die Tätigkeit von Spe-zialeinheiten wie dem Kommando Spezialkräfte bestenfalls aus den Medien erfahren. Deswegen begrüßen wir jede Initiative, diese Geheimnistuerei zu beenden. Die Linke ist jedoch realistisch genug, um zu wissen, dass das erste Opfer des Krieges immer die Wahrheit ist. Wir vertrauen deswegen nicht darauf, dass eine umfassendere Unterrichtungspflicht die Schattenseiten von Krieg und Militär wirklich angemessen offenlegt. Wir sind davon überzeugt, dass die Risiken und Nebenwirkungen von Militäreinsätzen dem versprochenen Nutzen bei weitem überwiegen. Deswegen halten wir es für nicht erstrebenswert, Prüfkriterien für „gute“ oder „gerechte“ Kriege zu entwickeln. Die entsprechende Forderung in dem hier vorliegenden Antrag der Grünen klingt sehr danach, als sollte hier eine Art Gütesiegel für zukünftige Kriege vorgeschlagen werden. Die Aufstellung vermeintlich neutraler Entscheidungskriterien für einen Krieg halten wir für gefährliche Augenwischerei. Außerdem ist völlig unklar, woher denn tatsächlich zuverlässige und neutrale Informationen kommen sollen, auf die sich diese Kriterien anwenden lassen. Gerade in der wichtigen Zeit vor einer Entscheidung im Bundestag sind die Debatten so geprägt von Lügen und Halbwahrheiten, dass eine objektive Beurteilung der Situation kaum möglich ist. Wesentlich sinnvoller ist deshalb ein grundsätz-liches Nein zu Auslandseinsätzen. Kriegführung und demokratische Ansprüche lassen sich schwer mitein-ander vereinbaren. Deswegen setzt die Linke auf eine rein zivile Außenpolitik. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zunächst möchte ich mich für die lebhafte Debatte zu unserem Antrag in erster Lesung bedanken. Das gilt insbesondere für den Kollegen Kiesewetter. Wir von Bündnis 90/Die Grünen fordern Prüfkriterien für Auslandseinsätze der Bundeswehr. Dies soll keinesfalls, wie vom Kollegen Kiesewetter behauptet, eine Checkliste sein, die einfach abgehakt wird. Vielmehr fordern wir Grundkoordinaten für eine gemeinsame Debatte und gewissenhafte Bewertung. Daher verwundert es mich doch sehr, dass der Kollege Kiesewetter gleich noch weiter hervorprescht und selbst sieben handfeste Prüfkriterien benennen kann, die aus seiner Sicht erfüllt sein müssen. Wir könnten uns auf vieles einigen, Herr Kollege Kiesewetter, beispielsweise auf die Formulierung von realistischen und überprüfbaren Zielen bei künftigen Mandaten, die Berichterstattung über Maßnahmen zur zivilen Krisenprävention und die ganzheitliche Evaluierung von aktuellen Einsätzen. An anderer Stelle wurde kritisiert, dass durch die Einbindung externer und unabhängiger Experten Verantwortung abgegeben wird. Das Gegenteil ist der Fall. Durch die Einbindung von Expertise werden wir als Abgeordnete erst unserer Verantwortung gegenüber den Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern in Uniform genauso wie gegenüber der Öffentlichkeit gerecht. Denn nur umfassendes Informieren, kritisches Hinterfragen und Über-den-Tellerrand-Hinausschauen ist auch verantwortliches Entscheiden. Sie, Herr Kollege Kiesewetter, und andere haben selbst eine umfassendere Unterrichtung der Abgeordneten gefordert. Sehen wir uns deshalb beispielhaft den zweiten sogenannten Fortschrittsbericht der Bundesregierung zu Afghanistan an. Hier hatte die Bundesregierung doch die Möglichkeit, die Öffentlichkeit umfassend zu informieren. Doch wo finden sich in dem Fortschritts-bericht die von Ihnen geforderten entwicklungs- und wirtschaftspolitischen Sichtweisen? Wieder einmal hält der Bericht nicht, was versprochen wurde. Er beinhaltet keinerlei selbstkritische Evaluation des zivilen und militärischen Engagements und schönt in Teilen die entwicklungs- und sicherheitspolitische Lage. Wie soll auf Basis eines solchen Berichts eine umfassende Evaluation möglich sein? Meine Kollegin Katja Keul stellte daher bei unserer letzten Debatte im Plenum zu Recht fest, dass jeder Abgeordnete, der Verantwortung übernimmt, auf eine umfassende Berichterstattung angewiesen ist. Eine umfassende Unterrichtung schließt auch Berichte mit ein, die der Geheimhaltung unterliegen. Gelten die Prämissen „so viele Informationen wie möglich und so wenig Geheimhaltung wie nötig“, besteht kein Konflikt zwischen notwendiger Information und dem Schutz beteiligter Personen. Hierauf weisen wir in unserem Antrag ebenfalls hin. Die Praxis der Berichterstattung im Hinterzimmer führt nicht zu einer konstruktiven Berichterstattung im Parlament und leistet erst recht keinen Beitrag zu einer öffentlichen Debatte, die angesichts der vielen Konflikte weltweit dringend notwendig ist. Gerade aktuelle Umfragen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr bezüglich des Einsatzes in Afghanistan zeigen doch, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland Bedarf an mehr Information haben. Die Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, warum neben Erfolgen auch Misserfolge und Rückschläge zu verzeichnen sind. Was sind die Lehren, um in Zukunft Misserfolge zu verhindern? Aus dieser Verantwortung gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern heraus haben wir aus voller Überzeugung den vorliegenden Antrag gestellt. Doch genau dieser Verantwortung wollen sich CDU/CSU, FDP und die Linke durch eine Ablehnung nicht stellen. Dabei verpflichten gerade die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu einem verantwortungsvollen und selbstbewussten Agieren von uns Parlamentariern. Deshalb bitte ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition und der Linken, unserem Antrag im Gegensatz zum Abstimmungsverhalten in den Ausschüssen zuzustimmen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8697, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5099 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und Grünen bei Enthaltung der SPD angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 30. Januar 2013, ein. An diesem Tag findet um 12 Uhr hier im Plenarsaal die Gedenkveranstaltung des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus statt. Aus diesem Grund beginnt die Plenarsitzung erst um 13.30 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen eine friedliche Nacht. (Schluss: 22.48 Uhr) Berichtigung 216. Sitzung, Seite 26687 B, erster Absatz, der zehnte Satz ist wie folgt zu lesen: „Ab März wird die Luftfrachtkontrolle verändert sein.“ Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aigner, Ilse CDU/CSU 17.01.2013 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 17.01.2013 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 17.01.2013 Brehmer, Heike CDU/CSU 17.01.2013 Da?delen, Sevim DIE LINKE 17.01.2013 Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 17.01.2013 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 17.01.2013 Ernst, Klaus DIE LINKE 17.01.2013 Evers-Meyer, Karin SPD 17.01.2013 Dr. Friedrich, Hans-Peter CDU/CSU 17.01.2013 Gabriel, Sigmar SPD 17.01.2013 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 17.01.2013 Groth, Annette DIE LINKE 17.01.2013 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 17.01.2013 Humme, Christel SPD 17.01.2013 Laurischk, Sibylle FDP 17.01.2013 Maurer, Ulrich DIE LINKE 17.01.2013 Dr. Middelberg, Mathias CDU/CSU 17.01.2013 Möhring, Cornelia DIE LINKE 17.01.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 17.01.2013 Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.01.2013 Ortel, Holger SPD 17.01.2013 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 17.01.2013 Pronold, Florian SPD 17.01.2013 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 17.01.2013 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.01.2013 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 17.01.2013 Schreiner, Ottmar SPD 17.01.2013 Dr. Schwanholz, Martin SPD 17.01.2013 Steinbach, Erika CDU/CSU 17.01.2013 Stier, Dieter CDU/CSU 17.01.2013 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.01.2013 Vogler, Kathrin DIE LINKE 17.01.2013 Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Thomas Oppermann (SPD) zur Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zu dem Abkommen vom 21. September 2011 zwischen der Bundesrepublik und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt in der Fassung vom 5. April 2012 (Zusatztagesordnungspunkt 4 a) Als Berichterstatter des Bundestages zu den abschließenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses am 12. Dezember 2012 mache ich darauf aufmerksam, dass der Vermittlungsausschuss eine Begleiterklärung abgegeben hat. Diese gebe ich nachfolgend zur Kenntnis: Der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Verhandlungen mit der Schweizer Regierung wieder aufzunehmen, um ein gerechtes Steuerabkommen mit der Schweiz abzuschließen. Ein Steuerabkommen mit der Schweiz darf die Steuerbetrüger der vergangenen Jahrzehnte nicht belohnen, daher lehnt der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat das von dem Bundesminister der Finanzen im Auftrag der Bundesregierung ausgehandelte vorliegende Steuerabkommen ab. Bund und Länder sind sich einig, dass in Deutschland ehrlich und gerecht Steuern gezahlt werden müssen. Durch das Abkommen dürfen Steuerhinterzieher nicht bessergestellt werden als ehrliche Steuerzahler. Aus Gründen der Steuergerechtigkeit muss daher eine höhere Belastung derjenigen erfolgen, die sich in der Vergangenheit besonders hartnäckig ihren steuerlichen Verpflichtungen entzogen haben. Eine anonyme Amnestie ist abzulehnen. Die Besteuerung in der Zukunft muss in Einklang stehen mit den europäischen und transatlantischen Bemühungen um einen automatischen Informationsaustausch. Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) zur Beschlussempfehlung des -Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden (Zusatztagesordnungspunkt 4d) Als Berichterstatter des Bundestages zu den abschließenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses am 12. Dezember 2012 mache ich darauf aufmerksam, dass der Vermittlungsausschuss eine Begleiterklärung und die Bundesregierung eine Protokollerklärung abgegeben haben. Diese gebe ich nachfolgend zur Kenntnis: Begleiterklärung des Vermittlungsausschusses Der Vermittlungsausschuss fordert die Bundesregierung auf, zur Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden 1. sicherzustellen, dass für die Jahre 2013 bis 2017 die KfW Bankengruppe mindestens jeweils 1,5 Milliarden Euro für Zinsverbilligungen und Zuschüsse für die Förderung von energetischen Sanierungen zur Verfügung stellt, – Fortführung bestehender Programme – 2. sicherzustellen, dass darüber hinaus die KfW Bankengruppe für die Jahre 2013 bis 2017 Mittel für die energetische Sanierung von selbstgenutztem und vermietetem Wohnraum mindestens in einer Gesamthöhe von 1 Milliarde Euro jährlich zur Verfügung stellt. Selbstgenutzter Wohnraum soll durch Zuschüsse gefördert werden; der Zuschussbetrag soll bis zu 30 Prozent der gedeckelten Aufwendungen betragen; er soll vor Beginn der Maßnahmen ausgezahlt werden. Es sollen sowohl Einzel- als auch Gesamtmaßnahmen berücksichtigt werden, mit denen nach dem 31. Dezember 2012 begonnen wird. Förderfähig sollen nur Maßnahmen sein, durch die mindestens der Standard KfW-Effizienzhaus 70 erreicht wird, die Förderhöhe soll nach zu erreichendem Standard gestaffelt werden. Durch die Förderung von vermietetem Wohnraum durch Zuschüsse oder Zinsverbilligungen sollen die von den Mieterinnen und Mietern zu tragenden umlagefähigen Kosten sinken und bzw. oder Contracting-Modelle wirtschaftlich ermöglicht werden, bei denen den Mieterinnen und Mietern keine zusätzlichen Kosten für die Wärmelieferung entstehen. – Aufstockung bestehender sowie zusätzliche Programme – Protokollerklärung der Bundesregierung zum Gesetz zur Änderung des Energiewirtschafts-gesetzes (ehemals Gesetz zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden) Staatsminister von Klaeden erklärt, dass die Bundesregierung zur Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden ein neues KfW-Programm auflegt. Die KfW soll für die Jahre 2013 bis 2020 Mittel für die energetische Sanierung von selbstgenutztem und gegebenenfalls vermietetem Wohnraum 300 Millionen Euro jährlich zur Verfügung stellen. Selbstgenutzter Wohnraum soll durch Zuschüsse gefördert werden. Es sollen sowohl Einzel- als auch Gesamtmaßnahmen berücksichtigt werden, mit denen nach dem 31. Dezember 2012 begonnen wird. Förderfähig sollen nur Maßnahmen sein, durch die mindestens der Standard KfW-Effizienzhaus 55 erreicht wird; die Förderhöhe soll nach zu erreichendem Standard gestaffelt werden. Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Thomas Oppermann (SPD) zur Beschlussempfehlung des Vermittlungs-ausschusses zu dem Jahressteuergesetz 2013 (Zusatztagesordnungspunkt 4 e) Als Berichterstatter des Bundestages zu den abschließenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses am 12. Dezember 2012 mache ich darauf aufmerksam, dass der Vermittlungsausschuss zwei Begleiterklärungen abgegeben hat. Diese gebe ich nachfolgend zur Kenntnis: Begleiterklärung des Vermittlungsausschusses: Jahressteuergesetz 2013 – „Steuerliche Behandlung von Streubesitzerträgen“ : Mit seinem Urteil vom 20. Oktober in der Rechts-sache C-284/09 hat der Europäische Gerichtshof, EuGH, entschieden, dass die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs nach § 32 KStG für Dividendenzahlungen an bestimmte ausländische Körperschaften gegen die Kapitalverkehrsfreiheit des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV, und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, EWR-Abkommen, verstößt. Aufgrund dieses Urteils besteht dringender Handlungsbedarf, die nationalen Rechtsvorschriften an das europäische Recht anzupassen. Dabei hat der Gesetzgeber die Wahl zwischen zwei grundlegenden Richtungsentscheidungen: 1. Deutschland gewährt die Steuerbefreiung für Dividenden entsprechend § 8 b Abs. 1 KStG auch für ausländische Gesellschaften. 2. Die inländische Steuerbefreiung für Streubesitzerträge – § 8 b Abs. 1 und Abs. 2 KStG – wird aufgehoben. Für die Vergangenheit kommt Deutschland nicht umhin, die Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer an die ausländischen Anteilseigner zu gewähren. Dies hat erhebliche Steuermindereinnahmen zur Folge. Dem trägt der Koalitionsantrag für die Vergangenheit dadurch Rechnung, dass durch das österreichische Modell die Erstattungen ins Ausland reduziert werden. Dennoch ist eine Besteuerung des Streubesitzes unter dem Gesichtspunkt der Haushaltskonsolidierung nicht zu vermeiden. Bei der Erarbeitung einer Regelung sollen insbesondere auch die folgenden Gesichtspunkte berücksichtigt und nach Lösungen für besondere Belastungseffekte -gesucht und der Begriff des Streubesitzes noch genauer definiert werden: – Kaskadeneffekte bei Ausschüttungen über mehrere Beteiligungsebenen, – Verbundstrukturen, in denen zentrale Unternehmen bestimmte Funktionen für einen Unternehmens-verbund übernehmen, und – Business Angels und Start-ups, wenn sich der Investor von seinem Engagement trennt. Eine solche Regelung soll zusammen mit den -Ländern Hessen und Rheinland-Pfalz erarbeitet und im Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 umgesetzt werden. Dieses Gesetzgebungsverfahren sollte nach Möglichkeit bis spätestens März 2013 abgeschlossen sein. Begleiterklärung des Vermittlungsausschusses: Jahressteuergesetz 2013 – „Investmentsteuerreform“ : Die Finanzministerkonferenz hat am 1. Juni 2012 den Bericht einer von ihr am 3. März 2011 eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Neukonzeption der Investmentbesteuerung als Grundlage für ein einfaches und aufkommenssicheres Investmentbesteuerungssystem angesehen. Es sollte jedoch zunächst unter anderem noch geprüft werden, ob die drohende Europarechtswidrigkeit auf andere Weise beseitigt werden kann. Die Prüfung durch das Bundesministerium der Finanzen und die Länder hat gezeigt, dass eine grundlegende Neukonzeption der Investmentbesteuerung der richtige Weg ist, um die drohenden finanziellen Ausfälle in Milliardenhöhe zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund soll eine Gesetzgebung zur Neukonzeption des Investmentsteuerrechts erfolgen. Dieser Gesetzentwurf setzt die Vorschläge der Bund-/Länderarbeitsgruppe zur Neukonzeption der Investmentbesteuerung unter Berücksichtigung des vom Bundesministerium der Finanzen in Auftrag zu gebenden Gutachtens zur Auswirkung der Reformvorschläge auf die Kapitalmärkte und die Altersversorgungssysteme um. Die Vorschläge sehen unter anderem vor, zwei voneinander unabhängige Besteuerungssysteme für Publikumsfonds und für Spezialfonds zu schaffen. Im anonymen Massengeschäft der Publikumsfonds sind dabei stärkere Vereinfachungen erforderlich als bei den Spezialfonds, die in der Mehrzahl nur einen Anleger oder maximal 100 Anleger haben. In beiden Systemen ist es eines der wichtigsten Ziele der Reform, das deutsche Besteuerungsrecht auf inländische Dividenden und Immobilien-erträge zu sichern und europarechtliche Zweifel am -gegenwärtigen System zu beseitigen. Die Bundesregierung wird gebeten, zu Beginn der neuen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zur Investmentsteuerreform vorzulegen. Die Änderungen des -Investmentsteuerrechts sollen schnellstmöglich in Kraft treten. Bis dahin ist es wichtig, weitere Steuerausfälle durch Gestaltungen zu vermeiden. Die vom Bundesrat am 6. Juli 2012 geforderten Änderungen zur Ausschüttungsreihenfolge und zum Werbungskostenabzug haben keinen direkten Bezug zur Neukonzeption und sind noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Jahressteuergesetz 2013 (Zusatztagesordnungspunkt 4e) Michael Kauch (FDP): Die rot-grüne Mehrheit im Vermittlungsausschuss hat das für mich wichtige gesellschaftspolitische Ziel der Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit Steuererhöhungen für den Mittelstand und damit die Belastung von Arbeitsplätzen verbunden. Dies empfinde ich in höchstem Maße als unglücklich. Der Gesamtvorschlag des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz hat unabhängig von der Frage, wie eingetragene Lebenspartnerschaften besteuert werden, erhebliche Schwächen. Die von der FDP seit langem geforderte Verkürzung der Aufbewahrungsfristen ist gestrichen. Die Verkürzung hätte einen wesentlichen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten können. Bei der Grunderwerbsteuer soll es künftig eine Benachteiligung der Privatwirtschaft gegenüber öffentlichen Körperschaften geben. Bei der Erbschaftsteuer sollen die Erleichterungen bei der Unternehmensnachfolge zum Nachteil von Familienunternehmen geändert werden. Insgesamt belastet das Vermittlungsergebnis die Bürgerinnen und Bürger sowie den Mittelstand mit rund einer halben Milliarde Euro zusätzlich. Dennoch habe ich mich in einer Abwägungsentscheidung entschieden, trotz dieser Verschlechterungen dem Vermittlungsergebnis zum Jahressteuergesetz zuzustimmen. Denn die steuerrechtliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften ist für mich ein überragendes Ziel, das im Koalitionsvertrag enthalten ist und dessen Umsetzung vom Koalitionspartner bisher verhindert wird. Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Zur Frage der steuerlichen Gleichstellung von eingetragenen Lebens-partnerschaften insbesondere beim Ehegattensplitting habe ich mich in der Öffentlichkeit und auch beim Bundesparteitag der CDU in meinem Redebeitrag klar positioniert: Ich trete ausdrücklich und mit allem Nachdruck für eine steuerliche Gleichstellung ein. Denn Menschen in eingetragenen Lebenspartnerschaften übernehmen dauerhaft und in gegenseitigem Vertrauen und Zuneigung Verantwortung füreinander. In diesen Beziehungen werden insofern Werte gelebt, die tragend für unser Gemeinwesen sind und die daher unsere Unterstützung verdienen. Das Institut der Lebenspartnerschaft verbindet diese Paare in gleicher Weise wie Eheleute in wechselseitigen Fürsorge- und Einstandspflichten. Ich bin der Auffassung, dass aus gleichen Pflichten auch gleiche Rechte folgen müssen. Ich bin sicher, dass auch das Bundesverfassungsgericht dies so -sehen und den derzeitigen Ausschluss eingetragener -Lebenspartnerschaften vom Splittingverfahren als verfassungswidrig verwerfen wird. Ich glaube, dass der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber seinen Auftrag zu politischer Gestaltung ernst- und wahrnehmen und daher nicht die zu erwartende Entscheidung des Gerichts abwarten sollte. An dieser Auffassung halte ich – auch nach der Diskussion und dem Abstimmungsergebnis auf dem Bundesparteitag der CDU – ausdrücklich fest und werbe weiter mit vielen Kollegen in meiner Fraktion für dieses Ziel. Dessen ungeachtet werde ich beim Jahressteuergesetz 2013 heute mit meiner Fraktion stimmen. Darin liegt in keiner Weise eine Abkehr von meiner Überzeugung. Ich möchte mich allerdings nicht zum Spielball von taktischen und parteipolitisch motivierten Manövern der Opposition machen lassen. Die heute beantragte namentliche Abstimmung hat aber genau das zum Ziel: Die zum Thema steuerliche Gleichstellung in den letzten Monaten im Bundestag erfolgten Abstimmungen haben gezeigt, dass es derzeit keine politische Mehrheit hierfür gibt. Auch wenn ich dies persönlich bedaure, ist es daher sinnlos, das Thema dennoch immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Daran wird deutlich, dass ganz offensichtlich Druck auf diejenigen in meiner Fraktion ausgeübt werden soll, die sich öffentlich für eine steuerliche Gleichstellung ausgesprochen haben. Es wird wie auch an vielen anderen Stellen der Versuch unternommen, die christlich-liberale Koalition als nicht geschlossen, gar als nicht handlungsfähig darzustellen. Das ist das eigentliche Ziel der namentlichen Abstimmung, nicht die Sache selbst. Für dieses parteipolitisch motivierte Manöver lasse ich mich als Mitglied der CDU/CSU-Fraktion nicht instrumentalisieren. Patrick Meinhardt (FDP): Es ist wirklich nicht mehr erträglich, wie Rot-Grün mit der so wichtigen steuerlichen Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften als „strategischer Masse“ umgeht. Selbstverständlich würde ich sofort der Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften im Steuerrecht zustimmen, wie ich das im Deutschen Bundestag auch schon bei der letzten Abstimmung im vergangenen Oktober getan habe. Die FDP hatte schon im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass gleichheitswidrige Benachteiligungen eingetragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht abzubauen sind. Dabei sind wir Liberale als Motor in der Koalition mit der Union ein gutes Stück vorangekommen. Im steuerlichen Bereich haben wir die volle Gleichstellung bei der Erbschaftsteuer und Grunderwerbsteuer erreicht. Dem vorliegenden Gesamtvorschlag des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz kann ich aber unter keinen Umständen zustimmen. Die von der FDP seit langem geforderte Verkürzung der Aufbewahrungsfristen ist gestrichen. Die Verkürzung hätte einen wesentlichen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten können. Bei der Grunderwerbsteuer sollen Regelungen sicherstellen, dass zukünftig auch bei Konzernumstrukturierung immer Grunderwerbsteuer fällig wird. Gleichzeitig sollen aber Umstrukturierungen öffentlicher Gebietskörperschaften grunderwerbsteuerfrei möglich sein. Dies ist eine eklatante Benachteiligung der Privatwirtschaft gegenüber öffentlichen Körperschaften. Bei der Erbschaftsteuer sollen die Erleichterungen bei der Unternehmensnachfolge zum Nachteil von Familienunternehmen geändert werden. Ich setzte mich für eine Erbschaftsteuer ein, die die Unternehmensnachfolge im Interesse des Erhalts von Arbeitsplätzen nicht gefährdet. Insgesamt belastet das durch Rot-Grün erzwungene Vermittlungsergebnis die Bürgerinnen und Bürger sowie den Mittelstand mit rund 500 Millionen Euro zusätzlich. Ich werde mich auch weiterhin konsequent für eine steuerrechtliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften einsetzen. Ich bin aber nicht bereit, dafür den von SPD und Grünen geforderten Steuererhöhungen zuzustimmen. Die Verknüpfung des für mich wichtigen gesellschaftspolitischen Ziels der Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit Steuererhöhungen für den Mittelstand und damit die Belastung von Arbeitsplätzen empfinde ich in höchstem Maße als unseriös! Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Der im Ergebnis des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz 2013 enthaltenen Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht stimme ich ausdrücklich zu. Die FDP hatte schon im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass gleichheitswidrige Benachteiligungen eingetragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht abzubauen sind. Dabei sind wir in der Koalition mit der Union ein gutes Stück vorangekommen. Im steuerlichen Bereich haben wir die volle Gleichstellung bei der Erbschaftsteuer und Grunderwerbsteuer erreicht. Dem Gesamtvorschlag des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz kann ich aber nicht zustimmen: Die von der FDP seit langem geforderte Verkürzung der Aufbewahrungsfristen ist gestrichen. Die Verkürzung hätte einen wesentlichen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten können. Bei der Grunderwerbsteuer sollen Regelungen sicherstellen, dass zukünftig auch bei Konzernumstrukturierung immer Grunderwerbsteuer fällig wird. Gleichzeitig sollen aber Umstrukturierungen öffentlicher Gebietskörperschaften grunderwerbsteuerfrei möglich sein. Dies ist eine eklatante Benachteiligung der Privatwirtschaft gegenüber öffentlichen Körperschaften. Bei der Erbschaftsteuer sollen die Erleichterungen bei der Unternehmensnachfolge zum Nachteil von Familienunternehmen geändert werden. Ich setzte mich für eine Erbschaftsteuer ein, die die Unternehmensnachfolge im Interesse des Erhalts von Arbeitsplätzen nicht gefährdet. Insgesamt belastet das Vermittlungsergebnis die Bürgerinnen und Bürger sowie den Mittelstand mit rund einer halben Milliarde Euro zusätzlich. Ich werde mich auch weiterhin für eine steuerrecht-liche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften einsetzen und habe dieses in den letzten Jahren aktiv getan. Ich bin aber nicht bereit, dafür meine marktwirtschaftlichen Grundüberzeugungen aufzugeben und den von SPD und Grünen geforderten Steuererhöhungen zuzustimmen. Die Verknüpfung des für mich wichtigen gesellschaftspolitischen Ziels der Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit Steuererhöhungen für den Mittelstand und einer weiteren Benachteiligung des privaten Sektors empfinde ich in höchstem Maße als unseriös. Marina Schuster (FDP): Der im Ergebnis des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz 2013 enthaltenen Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht stimme ich zu. Die FDP hatte schon im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass gleichheitswidrige Benachteiligungen eingetragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht abzubauen sind. Dabei sind wir in der Koalition mit der Union ein gutes Stück vorangekommen. Im steuerlichen Bereich haben wir die volle Gleichstellung bei der Erbschaftsteuer und der Grunderwerbsteuer erreicht. Dem Gesamtvorschlag des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz kann ich aber nicht zustimmen: Die von der FDP seit langem geforderte Verkürzung der Aufbewahrungsfristen ist gestrichen. Die Verkürzung hätte einen wesentlichen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten können. Bei der Grunderwerbsteuer sollen Regelungen sicherstellen, dass zukünftig auch bei Konzernumstrukturierung immer Grunderwerbsteuer fällig wird. Gleichzeitig sollen aber Umstrukturierungen öffentlicher Gebietskörperschaften grunderwerbsteuerfrei möglich sein. Dies ist eine eklatante Benachteiligung der Privatwirtschaft gegenüber öffentlichen Körperschaften, Bei der Erbschaftsteuer sollen die Erleichterungen bei der Unternehmensnachfolge zum Nachteil von Familienunternehmen geändert werden. Ich setzte mich für eine Erbschaftsteuer ein, die die Unternehmensnachfolge im Interesse des Erhalts von Arbeitsplätzen nicht gefährdet. Insgesamt belastet das Vermittlungsergebnis die Bürgerinnen und Bürger sowie den Mittelstand mit rund einer halben Milliarde Euro zusätzlich. Ich werde mich auch weiterhin für eine steuerrechtliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften einsetzen. Ich bin aber nicht bereit, den von SPD und Grünen geforderten Steuererhöhungen zuzustimmen. Die Verknüpfung des für mich wichtigen gesellschaftspolitischen Ziels der Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit Steuererhöhungen für den Mittelstand und damit die Belastung von Arbeitsplätzen empfinde ich in höchstem Maße als unseriös. Manfred Todtenhausen (FDP): Der im Ergebnis des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz 2013 enthaltenen Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht stimme ich zu. Die FDP hatte schon im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass gleichheitswidrige Benachteiligungen eingetragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht abzubauen sind. Dabei sind wir in der Koalition mit der Union ein gutes Stück vorangekommen. Im steuerlichen Bereich haben wir die volle Gleichstellung bei der Erbschaftsteuer und Grunderwerbsteuer erreicht. Dem Gesamtvorschlag des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz kann ich aber nicht zustimmen: Die von der FDP seit langem geforderte Verkürzung der Aufbewahrungsfristen ist gestrichen. Die Verkürzung hätte einen wesentlichen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten können. Bei der Grunderwerbsteuer sollen Regelungen sicherstellen, dass zukünftig auch bei Konzernumstrukturierung immer Grunderwerbsteuer fällig wird. Gleichzeitig sollen aber Umstrukturierungen öffentlicher Gebietskörperschaften grunderwerbsteuerfrei möglich sein. Dies ist eine eklatante Benachteiligung der Privatwirtschaft gegenüber öffentlichen Körperschaften. Bei der Erbschaftsteuer sollen die Erleichterungen bei der Unternehmensnachfolge zum Nachteil von Familienunternehmen geändert werden. Ich setzte mich für eine Erbschaftsteuer ein, die die Unternehmensnachfolge im Interesse des Erhalts von Arbeitsplätzen nicht gefährdet. Insgesamt belastet das Vermittlungsergebnis die Bürgerinnen und Bürger sowie den Mittelstand mit rund einer halben Milliarde Euro zusätzlich. Ich werde mich auch weiterhin für eine steuerrecht-liche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften einsetzen. Ich bin aber nicht bereit, dafür den von SPD und Grünen geforderten Steuererhöhungen zuzustimmen. Die Verknüpfung des für mich wichtigen gesellschaftspolitischen Ziels der Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit Steuererhöhungen für den Mittelstand und der damit verbundenen Gefährdung von Arbeitsplätzen empfinde ich in höchstem Maße als unseriös. Markus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Zur Frage der steuerlichen Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften habe ich mich mehrfach in der Öffentlichkeit eindeutig positioniert. Daran halte auch ich uneingeschränkt fest; in keiner Weise kann das heutige Abstimmungsverhalten als eine Abkehr von meiner Überzeugung gewertet werden. Vielmehr ist dieses einzig und allein darauf zurückzuführen, dass ich das taktische Spiel der Opposition ablehne und mich davon nicht unter Druck setzen lasse. Mehrere Abstimmungen in den letzten Monaten haben gezeigt, dass es derzeit keine politische Mehrheit für die steuerliche Gleichstellung gibt, und es ist albern, das Thema immer wieder neu auf die Tagesordnung zu setzen. Ungeachtet dessen werde ich meine Meinung weiterhin eindeutig innerhalb der Fraktion, der Partei und der Gesellschaft vertreten. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Inge Höger und Ulla Jelpke (alle DIE LINKE) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Jahressteuergesetz 2013 (Zusatztagesordnungspunkt 4e) Wir haben uns bei der Abstimmung über die steuerliche Behandlung von Lebensgemeinschaften der Stimme enthalten. Wir sind grundsätzlich für die Abschaffung des Ehegattensplittings; deswegen wollen wir uns zu den vorliegenden Anträgen nicht auf dieses oder jenes festlegen. Ein Antrag zur grundsätzlichen Abschaffung des Ehegattensplittings steht heute nicht zur Abstimmung. Wir wollen mit unserem Stimmverhalten und dieser Erklärung noch einmal unsere Position deutlich machen. Da wir in unserem Abstimmungsverhalten zwei Anliegen in Deckungsgleichheit bringen wollen, nämlich die vollständige Gleichbehandlung aller geschlechtlich begründeten Lebensgemeinschaften und die Abschaffung des Ehegattensplittings, lag es für uns nahe, dies mit einer Stimmenthaltung in der heutigen Abstimmung zu unterstreichen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Frank Heinrich, Dr. Stefan Kaufmann, Jürgen Klimke, Dr. Rolf Koschorrek, Dr. Jan-Marco Luczak, Jens Spahn, Sabine Weiss (Wesel I), Elisabeth Winkelmeier-Becker, Dagmar G. Wöhrl und Dr. Matthias Zimmer (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Jahressteuergesetz 2013 (Zusatztagesordnungspunkt 4e) Zur Frage der steuerlichen Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften haben wir uns mehrfach in der Öffentlichkeit, insbesondere durch Redebeiträge auf dem vergangenen Bundesparteitag der CDU, eindeutig positioniert. Daran halten wir uneingeschränkt fest; in keiner Weise kann das heutige Abstimmungsverhalten als eine Abkehr von unserer Überzeugung gewertet werden. Vielmehr ist dieses einzig und allein darauf zurückzuführen, dass wir das taktische Spiel der Opposition ablehnen und uns davon nicht unter Druck setzen, lassen. Mehrere Abstimmungen in den letzten Monaten haben gezeigt, dass es derzeit keine politische Mehrheit für die steuerliche Gleichstellung gibt, und es ist albern, das Thema immer wieder neu auf die Tagesordnung zu setzen. Ungeachtet dessen werden wir unsere Meinung weiterhin eindeutig innerhalb der Fraktion, der Partei und der Gesellschaft vertreten. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Aschenberg-Dugnus, Florian Bernschneider, Sebastian Blumenthal, Claudia Bögel, Nicole Bracht-Bendt, Klaus Breil, Angelika Brunkhorst, Marco Buschmann, Reiner Deutschmann, Rainer Erdel, Jörg van Essen, Otto Fricke, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Manuel Höferlin, Heiner Kamp, Pascal Kober, Sebastian Körber, Harald Leibrecht, Dr. Erwin Lotter, Oliver Luksic, Horst Meierhofer, Gabriele Molitor, Petra Müller (Aachen), Dr. Martin Neumann (Lausitz), Gisela Piltz, Jörg von Polheim, Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Dr. Birgit Reinemund, Christoph Schnurr, Jimmy Schulz, Judith Skudelny, Joachim Spatz, Stephan Thomae, Serkan Tören, Johannes Vogel (Lüdenscheid) und Dr. Daniel Volk (alle FDP) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Jahressteuergesetz 2013 (Zusatztagesordnungspunkt 4e) Der im Ergebnis des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz 2013 enthaltenen Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht stimmen wir zu. Die FDP hatte schon im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass gleichheitswidrige Benachteiligungen eingetragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht abzubauen sind. Dabei sind wir in der Koalition mit der Union ein gutes Stück vorangekommen. Im steuerlichen Bereich haben wir die volle Gleichstellung bei der Erbschaftsteuer und Grunderwerbsteuer erreicht. Dem Gesamtvorschlag des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz können wir aber nicht zustimmen: Die von der FDP seit langem geforderte Verkürzung der Aufbewahrungsfristen ist gestrichen. Die Verkürzung hätte einen wesentlichen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten können. Bei der Grunderwerbsteuer sollen Regelungen sicherstellen, dass zukünftig auch bei Konzernumstrukturierungen immer Grunderwerbsteuer fällig wird. Gleichzeitig sollen aber Umstrukturierungen öffentlicher Gebietskörperschaften grunderwerbsteuerfrei möglich sein. Dies ist eine eklatante Benachteiligung der Privatwirtschaft gegenüber öffentlichen Körperschaften. Bei der Erbschaftsteuer sollen die Erleichterungen bei der Unternehmensnachfolge zum Nachteil von Familienunternehmen geändert werden. Wir setzen uns für eine Erbschaftsteuer ein, die die Unternehmensnachfolge im Interesse des Erhalts von Arbeitsplätzen nicht gefährdet. Insgesamt belastet das Vermittlungsergebnis die Bürgerinnen und Bürger sowie den Mittelstand mit rund einer halben Milliarde Euro zusätzlich. Wir werden uns auch weiterhin für eine steuerrechtliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften einsetzen. Wir sind aber nicht bereit, dafür den von SPD und Grünen geforderten Steuererhöhungen zuzustimmen. Die Verknüpfung des für uns wichtigen gesellschaftspolitischen Ziels der Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit Steuererhöhungen für den Mittelstand und damit die Belastung von Arbeitsplätzen empfinden wir in höchstem Maße als unseriös. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags (Tagesordnungspunkt 17) Roland Claus (DIE LINKE): Bei diesem Gesetzentwurf handelt es sich um den zweiten Versuch, mit den Bundesländern zu einer Übereinkunft bei der Umsetzung des sogenannten Fiskalvertrages zu kommen. Der -Fiskalvertrag ist ein europäisches Vertragswerk, das in Korrespondenz zum Europäischen Stabilitätsmechanismus die beteiligten Staaten zu einer restriktiven Aus-gabenpolitik verpflichtet. Da die Linke den ESM und den international vereinbarten Fiskalpakt aus guten Gründen abgelehnt hat, ist es nur folgerichtig, auch dieses innerstaatliche, also den Bund, die deutschen Bundesländer und die Kommunen, betreffende Gesetz abzulehnen. Wir tun dies vor allem deshalb, weil eine so streng verordnete Sparpolitik in aller Regel der Binnenwirtschaft des Landes schadet und Konjunktureffekte von Investitionen damit ausbleiben. Mit dem Fiskalpakt hat die Bundesrepublik Deutschland faktisch den Euro-Ländern die in Deutschland gescheiterte Politik der Agenda 2010 übergestülpt. Welche verheerenden Folgen das hat, sieht man derzeit in -Griechenland, wo nicht nur eine sozialpolitische Katastrophe angerichtet wurde, sondern auch ein wirtschaftliches Desaster die Folge ist. Eine der Wirkungen ist der Rückgang deutscher Exporte in die Länder Südeuropas. Während den sozial Benachteiligten die Folgen der Bankenkrise aufgebürdet werden, werden die Verursacher der Krise an den Finanzmärkten, in den Groß-banken und in den unregulierten Investmentfonds nicht zur Verantwortung gezogen. Das hier vorliegende Gesetz beschreibt nun die Zwangsvorgaben in der Haushaltspolitik von Bund, Ländern und Kommunen. Ausgangspunkt der gesetzlichen Regelung sei die Bewältigung der Staatsschuldenkrise. Schon das ist die falsche Diagnose, weil die enorm angewachsenen Staatsverschuldungen erst eine Folge der Krise von Banken und Finanzmärkten sind. Und wo die Diagnose falsch ist, kann die darauf eingehende -Therapie nicht richtig sein. Das haben auch die Vertreterinnen und Vertreter einer ganzen Reihe von Bundesländern erkannt und kritisiert. Schließlich werden mit diesen Gesetzespaketen nicht nur fiskal- und wirtschaftspolitische Fehler begangen, sondern auch sozialstaatliche Grundsätze beschädigt und letztlich demokratische Grundstrukturen der Gesellschaft untergraben. Dem europäischen Integrations-prozess ist all dies abträglich. Wäre eine andere Politik zur Euro-Stabilisierung möglich? Aber sicher doch, so wie es in der Politik immer Alternativen gibt. Die Linke hat sich stets für eine andere Politik im Sinne europäischer Gemeinsamkeit eingesetzt. Dazu gehören unter anderem folgende Vorschläge: wirksame Aufsicht und Kontrolle der internationalen Finanzmärkte; Schattenbanken gehören nicht reguliert, sondern abgeschafft; eine Finanztransaktionsteuer ist überfällig; Heranziehen der Verursacher der Krise mittels einer europaweiten Abgabe auf höchste Vermögen (also nicht von Mittelständlern); Überwindung der Dominanz der Finanzmärkte gegenüber der -Realwirtschaft; Entkopplung der Staatsfinanzierung von den privaten Kapitalmärkten; schrittweise Überwindung von Leistungsbilanzungleichgewichten, um eine Harmonisierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu erreichen; staatliche Förderung von Konjunkturprogrammen zur Belebung der Binnenkonjunktur; Überwindung der überbordenden Leih- und Zeitarbeit, bei der Menschen trotz Arbeit in der Armutsfalle bleiben. All diese Überlegungen wurden weder bei den zahlreichen europäischen Gipfeltreffen noch im Agieren der Bundesregierung überhaupt auch nur ansatzweise -erwogen. Die Linke sagt: Eine Stabilisierung der Euro-Zone ist nötig und wichtig. Aber mit diesem Gesetz kommt sie nicht. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Starke Forschung für die Energiewende Energieforschung konsequent am Atomausstiegsbeschluss des Deutschen Bundestages ausrichten (Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Auch diese Debatte zeigt wieder einmal deutlich, dass die Grünen noch immer nicht von ihrem Lieblingsthema Kernenergie lassen können. Krampfhaft wird versucht, uns zu unterstellen, dass wir es nicht ernst meinen mit dem Ausstieg. Dabei spricht nicht nur das von uns auf den Weg gebrachte 6. Energieforschungsprogramm eine deutliche Sprache, sondern auch unsere anderen energiepolitischen Maßnahmen: So beschließen wir fast im Monatstakt neue Gesetze und Programme für mehr Energieeffizienz, effizienteren Offshorewindenergieausbau, schnelleren -Netzausbau oder auch eine starke Energieforschung zum Gelingen der Energiewende. Dies alles zeigt: Wir meinen es ernst mit dem Ausstieg. Und im Gegensatz zu -Ihnen packen wir auch den Einstieg ins Zeitalter der Energieeffizienz und der Erneuerbaren engagiert an und haben dabei immer Bezahlbarkeit und Versorgungs-sicherheit im Blick. Die Energieforschung ist ein zentraler Baustein unserer Technologiestrategie und damit ein Garant für Wachstum und Wohlstand. Und eines muss allen klar sein: Die Energiewende kann nur mit neuen Ideen und Innovation gelingen. Dazu braucht es eine starke -Forschung. Nur wenn wir weltweit führend bei der Energieforschung sind, werden wir mit dem Umstieg Erfolg haben. Deshalb haben wir im Sommer 2011 das 6. Energieforschungsprogramm verabschiedet und die Mittel für die Energieforschung auf 3,5 Milliarden Euro auf-gestockt. Die Schwerpunkte liegen auf den Schlüssel-themen der Energiewende: erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Speicher und Netze und keineswegs auf der Kernenergie, wie es die Grünen versuchen glaubhaft zu machen. Nach gut anderthalb Jahren zeigt die Resonanz deutlich, dass unser Energieforschungsprogramm ein -Erfolgsprogramm ist. So wurden in den Bereichen der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz allein innerhalb des ersten Jahres mehr als 900 neue -Forschungsprojekte mit einem Gesamtfördervolumen von rund 550 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Hinzu kamen rund 215 Millionen Euro, die die Wirtschaft als Eigenmittel beigesteuert hat. Und auch die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts funktioniert, entgegen dem Antrag der SPD, sehr gut. So wurden mit dem 6. Energieforschungsprogramm erstmals ressortübergreifende Projekte vereinbart. Bundesumweltministerium, Bundeswirtschaftsministerium sowie das Bundesbildungsministerium haben erfolgreich Projekte, wie die Förderinitiativen „Speicher“ oder „Zukunftsfähige Stromnetze“, auf den Weg gebracht. Ein entscheidender Baustein zum Gelingen der Energiewende wird sein, ob es uns gelingt, Speichertechno-logien zur besseren Integration der erneuerbaren Energien zu entwickeln und in den Energiemarkt zu integrieren. Dafür müssen sowohl bestehende Speichertechnologien gefördert als auch deren Entwicklung durch Forschung in Deutschland beschleunigt werden. Deshalb haben wir sowohl eine Reihe von Maßnahmen zur Förderung betriebsbereiter Energiespeichertechnologien, wie die Befreiung von Netzentgelten und der EEG-Umlage für neue Speichertechnologien, als auch die Förderinitiative „Speicher“ auf den Weg gebracht 200 Millionen Euro werden von Bundesumweltministerium, Bundeswirtschaftsministerium und Bundes-bildungsministerium für diese Initiative in der Summe zur Verfügung gestellt, um die Entwicklung neuer Speichertechnologien und Speicherkonzepte sowie die -Verbesserung bestehender Techniken zu fördern. Mit einer fünffachen Überzeichnung ist dieses Programm ein voller Erfolg und zeigt, dass wir die richtigen Prioritäten gesetzt haben. Zur besseren Integration der erneuerbaren Energien sind nicht nur Speicher, sondern auch leistungsfähige Stromnetze entscheidend. Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze muss deshalb im Gleichklang erfolgen. Hinzu kommen neue Anforderungen wie zeitliche und geografische Schwankungen bei der Einspeisung aus erneuerbaren Energien oder ein immer größerer Abstand zwischen den Orten der Stromerzeugung und den Verbrauchsschwerpunkten. Dies erfordert neue Netztechnologien und Konzepte. Aus diesem Grund haben wir am 11. Januar 2013 die Förderinitiative „Zukunftsfähige Stromnetze“ auf den Weg gebracht, die beispielsweise neue Konzepte zur Netzplanung, intelligente Stromnetze sowie innovatives Lastmanagement fördert. Mit rund 150 Millionen Euro soll der Einstieg in das zukünftige Netz gefördert werden. Die Förderinitiativen „Speicher“ und „Netze“ sind nur ein Teil des umfassenden Energieforschungsprogramms. Aber sie zeigen deutlich: Zukunftstechnologien sind für uns ein wesentlicher Bestandteil der Energiewende. Gerade der Run auf diese Projekte macht -deutlich, dass es Rot-Grün versäumt hat, in diese Technologien zu investieren und Forschung dort anzureizen. Wir machen es richtig. Denn für uns gehört zum Gelingen der Energiewende nicht nur der Ausstieg, sondern auch der Einstieg, und der beginnt mit einer starken Energieforschung. Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Erstens. Wir haben viele wichtige Projekte für unser Land in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht: die Stabilisierung Europas, die Konsolidierung unseres Haushaltes, die Ausrichtung unseres Landes auf Bildung und Forschung als eine der wichtigsten Prioritäten und die Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit und unseres Wirtschaftsstandortes. Aber neben all diesen wichtigen Projekten ist eine der größten Herausforderungen in diesem Jahrhundert die Sicherstellung einer sicheren, bezahlbaren und umweltverträglichen Energieversorgung. Und dies gilt nicht nur für Deutschland, nein, dies gilt ebenso für Europa und sogar weltweit. Unsere Energiewende – und das auch im Gegensatz zu den bisherigen Träumereien einer Energiewende unter Rot-Grün – bedeutet einen unumkehrbaren und einen nachhaltigen Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Denn nicht nur ökologische und soziale Kriterien bedeuten Nachhaltigkeit. Nein, ein ebenso gewichtiges Kriterium ist die Wirtschaftlichkeit der Energiewende. Eine Energiewende, die nicht wirtschaftlich ist, wird auch nicht nachhaltig sein. Denn wir müssen den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht nur erhalten, nein, mit und durch die Energiewende müssen wir Deutschland noch wettbewerbsfähiger und innovativer machen und zwar nicht durch Subventionen – denn das wird ebenfalls nicht nachhaltig sein – , sondern durch Investitionen, durch marktwirtschaftliche Anreize und vor allem durch Innovationen und durch Forschung und Entwicklung. Zweitens. Unser langfristiges Ziel liegt im Jahr 2050. Innerhalb von nur vier Jahrzehnten bauen wir unsere Energieversorgung komplett um. Dazu gehören nicht nur erneuerbare Energien. Wir brauchen auch neue und verbesserte Stromnetze. Wir brauchen mehr Energieeffizienz, und wir brauchen auch Energiespeicher. Ja, auch manche schnelle und kurzfristige Lösung ist wichtig. Aber die Energiewende insgesamt ist eine Generationenaufgabe. Und hier brauchen wir langfristige Lösungsstrategien. Gerade deswegen setzen wir auf Grundlagenforschung. Grundlagenforschung – und das wissen auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition – ist eben kein 100-Meter-Lauf, sondern Grundlagenforschung ist ein Marathon. Drittens. Wichtig ist: Bei der Energieforschung brauchen wir einen ganzheitlichen Ansatz. Wir fördern Forschung in den Bereichen erneuerbare Energien. Wir fördern Forschung für Energieeffizienz, Forschung für intelligente Netze und Speicher. Aber zu einem ganzheitlichen Ansatz gehören eben nicht nur technologische und naturwissenschaftliche Forschungsansätze, sondern ebenso sozialwissenschaftliche und volkswirtschaftliche Aspekte. Und um diese verschiedenen Bereiche zusammenzubinden, hat die Bundesregierung einen neuen Dialog angeregt, der inzwischen alle wissenschaftliche Bereiche erfasst hat und der jetzt in einem übergreifenden Projekt zusammengefasst wird, das unter Mitwirkung aller wissenschaftlichen Akademien erfolgt. Der Titel dieses Projektes lautet: „Energiesystem der Zukunft“. Was Sie, liebe Kollegen von der Opposition, noch in langen schriftlichen Ekstasen fordern, wird hier bereits begonnen und umgesetzt. Ihre Anträge sind veraltet und überholt. Die christlich-liberale Koalition ist Ihnen weit voraus. Wir reden nicht nur, wir handeln. Viertens. Lassen Sie mich auf einen weiteren Bereich kommen, der aus unserer Sicht ebenso zu einem ganzheitlichen Forschungsansatz gehört und der national, aber auch international von größter Bedeutung ist: die nukleare Sicherheitsforschung. Nach den Ereignissen in Fukushima haben wir die Restrisiken der Kernenergie neu bewertet. Auf Basis der Empfehlungen der Ethikkommission haben wir gemeinsam entschieden, zügiger als noch im September 2010 geplant aus der Kernenergie auszusteigen. Ende 2022 soll das letzte Kernkraftwerk vom Netz gehen. Aber die Sicherheit der Kernkraftwerke in Deutschland hat für uns weiterhin höchste Priorität. Bis zum Abschalten des letzten Kernkraftwerks in knapp zehn Jahren werden wir die Sicherheit der Kern-reaktoren auf dem allerneuesten Stand von Wissenschaft und Technik halten. Diesen Schutzauftrag nimmt die Koalition ernst. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wollen den Ausstieg aus dieser Sicherheitsforschung. Das ist unverantwortlich. Und das ist mit uns nicht zu machen. Ich empfehle Ihnen stattdessen einen Blick zurück in die Vergangenheit. Unter der rot-grünen Bundesregierung hat eine Evaluierungskommission doch ganz klare Aussagen getroffen: „Die intensive Förderung der Reaktorsicherheitsforschung durch die Bundesregierung in den letzten Jahrzehnten hat entscheidend dazu beigetragen, dass deutsche Reaktoren zu den sichersten der Welt gehören.“ Ich sage es noch einmal: Die Sicherheit der Kernkraftwerke steht für uns an oberster Stelle. Da gibt es für uns keine Diskussionen. Deswegen stehen wir zur Sicherheitsforschung. Das ist kein Widerspruch zur Energiewende; das ist unsere staatspolitische Aufgabe gegenüber den Menschen in unserem Land. Ja, wir wollen den Atomausstieg. Ja, wir wollen auch andere Staaten von der Energiewende Made in Germany überzeugen. Aber ich möchte auch, dass andere Länder, die noch nicht aus der Atomkraft aussteigen können – ich möchte, dass deren Reaktoren zumindest sicher sind. Und deutsches Wissen aus der nuklearen Sicherheitsforschung kann dazu auch in den kommenden Jahren einen wichtigen Beitrag leisten. Fünftens. Und dann sind Sie, liebe Grüne, sich auch nicht zu schade, ein weiteres Lieblingsgespenst zu beschwören: die Fusionsforschung. Ihr grüner Versuch, die Fusionsforschung als Teil der Atomforschung zu denunzieren, ist ebenso falsch wie irreführend. Sie betreiben hier reine Ideologie, und – umso schlimmer – das wissen Sie auch. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, und die Mehrheit der Wissenschaftler sehen in der Fusionstechnologie eine wichtige Chance, eine Chance, dass wir sie eines Tages als sichere, saubere und bezahlbare Energiequelle nutzen können. Und wie hat es ein hochrangiger Wissenschaftler kürzlich formuliert: Wir sind es der nächsten Generation schuldig, zu prüfen, ob die Fusion eine machbare Option ist. Und wir dürfen diese Zukunftschance nicht leichtfertig zugunsten kurzfristiger Verlockungen verspielen. Allein schon die Beherrschung derart hoher Temperaturen kann uns ganz neue Möglichkeiten eröffnen, zum Beispiel bei der Spaltung von Wasser zu Wasserstoff. Übrigens, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis90/Die Grünen, fanden nicht während Ihrer Koalition die ersten Verhandlungen zu dem Fusionsprojekt ITER statt? Unter Rot-Grün ist 2005 der Startschuss für den Bau von ITER gefallen. Und nun wollen Sie sich heimlich aus der Verantwortung stehlen? Sechstens. Aber es geht ja noch weiter. Sie wollen nicht nur einen internationalen Vertrag kündigen. Sie wollen auch aus Euratom austreten. Aber diese Verträge haben eine tiefe Vertrauensbasis aller Partner. Partnerschaften bedeuten auch Verantwortung. Gerade vor dem Hintergrund unserer Energiewende in Deutschland bietet Euratom die einzigartige Möglichkeit, mit unseren internationalen Partnern über die Energieversorgung der Zukunft zu diskutieren. Und übrigens: Euratom bedeutet längst nicht nur Atomkraft. Das vorgesehene Budget für die Jahre 2012 und 2013 umfasst 2,5 Milliarden Euro. Etwas mehr als 2,2 Milliarden Euro davon fließen in die Kernfusionsforschung. Das sind 86 Prozent des Budgets. Zur Realität gehört auch, dass fünf der sechs Gründungsmitglieder von Euratom ihren Austritt aus der Atomenergie bereits erklärt haben. Trotzdem bleiben sie Mitglied. Siebtens. Lassen sie mich zum Schluss aber noch einmal zur Energieforschung zurückkommen. Wir haben kürzlich das 6. Energieforschungsprogramm auf den Weg gebracht. Für den Zeitraum von 2011 bis 2014 investieren wir 3,5 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Dafür ist die Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung konsequent auf die Ausgestaltung der Energiewende als gesamtgesellschaftliche Aufgabe ausgerichtet. Wir fördern Forschungsansätze aus den Gesellschafts- und Geisteswissenschaften mit über 28 Millionen Euro, die Initiative „Energiespeicher“ mit rund 200 Millionen Euro Fördermitteln, die Photovoltaik mit circa 100 Millionen Euro. Und erst Anfang dieser Woche hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung zusammen mit dem Wirtschafts- und dem Umweltministerium die Förderinitiative „Zukunftsfähige Stromnetze“ gestartet. Die Förderung -dieser Initiative umfasst die Themenfelder Übertragungs- und Verteilungstechniken, Offshoreanbindungen, Netzplanung und -betriebsführung sowie Querschnitts-themen in diesem Bereich. Zusammen werden wir 150 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung zukunftsfähiger Stromnetze investieren. Achtens. Und die Arbeiten an der „Landkarte der Energieforschung“ stehen in der finalen Phase. Wie bereits im 6. Energieforschungsprogramm angekündigt, hat unser Bundesministerium für Bildung und Forschung diese Landkarte erarbeitet, wofür ich Ihnen recht herzlich danken möchte. Die Forschungslandkarte wird Transparenz über unsere Energieforschungslandschaft herstellen. Sie wird aufweisen, wer wo mit welchen Mitteln an welchen Energiethemen in Deutschland arbeitet. Dieses Wissen wird uns helfen die Forschung in Deutschland noch effizienter zu gestalten und sie ex-plizit auf die Anforderungen der Energiewende auszurichten. Sie wird unsere Kräfte bündeln. Sie wird Unternehmen und Forschung zusammenführen. Sie wird uns bei unserem Marathonlauf helfen. Mit der Hightech-Strategie haben wir bereits die Weichen für die Erforschung einer sicheren und wirtschaftlichen Energieversorgung der Zukunft gestellt. Nun kommt es darauf an, die gesteckten Ziele mit vereinten Kräften zu erreichen. Wir haben uns auf den Weg gemacht. Kommen Sie mit. Gehen wir diesen Marathon gemeinsam an; für die Zukunft unserer Kinder und un-seres Landes. Michael Gerdes (SPD): Wir erleben in Deutschland derzeit eine energiepolitische Zäsur. Vor dem Hintergrund der risikoträchtigen Atomkraft, des Klimaschutzes und knapper Ressourcen strebt unsere Gesellschaft ein ambitioniertes Ziel an: eine auf erneuerbaren Energien fußende Energieversorgung. Wir alle wollen, dass die Energiewende Wirklichkeit wird. Dabei könnte die -Herausforderung kaum größer sein: Deutschland ist -Europas stärkstes Industrieland und gleichzeitig der größte Energieverbraucher in der EU. Kurzum: Wir haben uns den Umbau der kompletten Energieinfrastruktur vorgenommen. Dieses Ziel erfordert einerseits ein schlüssiges, gut koordiniertes Konzept. Andererseits brauchen wir eine starke, leistungsfähige und breit -aufgestellte Forschungslandschaft. Wir brauchen alle klugen Köpfe, um neue Technologien, neue Materialien und neue Energiedienstleistungen zu entwickeln. Die Bundesregierung hat im August 2011 das 6. Energieforschungsprogramm vorgelegt. Das ist im Grundsatz zu begrüßen. Der Tragweite und Bedeutung der Energiewende wird das Programm allerdings nicht gerecht. Insbesondere die hohen Ausgaben für die Atomforschung entsprechen nicht dem beschlossenen Ausstieg aus der Atomkraft. Das Programm teilt die Energieforschung auf mehrere Ressorts auf. Das führt dazu, dass für die Wissenschaft nur schwer zu erkennen ist, welches Ministerium den Hut auf hat und wer wann Forschungsgelder verteilt. Auch ist zu befürchten, dass die Ressortaufteilung -Synergien verhindert und der ganzheitliche Blick auf die Umgestaltung der Energieversorgung fehlt. Insbesondere vermissen wir ein klares Bekenntnis zur Verbraucherforschung. Die Erforschung der sozialen -Dimension der Energiewende muss intensiviert werden, zumal die Umsetzung der Energiewende maßgeblich von privaten Investitionsentscheidungen abhängt. Akzeptanz, Identifikation und thematische Sensibilisierung zur Änderung des Nutzerverhaltens, aber auch Aufklärung und Nachvollziehbarkeit technischer Neuerungen sind wesentliche Bedingungen für den dauerhaften Erfolg der Energiewende. Die steigenden Energiepreise sind für viele Familien zur Belastung geworden. Es ist Teil unserer sozialen Verantwortung, danach zu fragen, wie Energie bezahlbar bleibt. Die SPD-Fraktion fordert eine grundsätzliche -Ausweitung der Energieforschungsaktivitäten. Dabei muss die gesamte Bandbreite der erneuerbaren Energien, der Effizienztechnologien und der Speichertechnologien bedacht werden. Das größte Problem des 6. Energieforschungsprogramms ist seine finanzielle Ausstattung. Diesbezüglich vertraut Schwarz-Gelb auf das Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“. Diese Einnahmen sind aber nicht kalkulierbar. Im Januar 2012 war der Preis für die CO2-Zertifikate deutlich geringer als erwartet. Mindereinnahmen sind also nicht ausgeschlossen. Für die Forschung gibt es somit keine Planungssicherheit. Und auch im Haushalt 2013 hält die Bundesregierung am Energie- und Klimafonds fest. Das ist unverantwortlich und kurzsichtig. Wir müssen uns fragen, welche Erkenntnisse die Bundesregierung seit Inkrafttreten des Energieforschungsprogramms gewonnen hat. Viel zu erfahren ist nicht. Wann wird dem Bundestag ein Zwischenbericht zur Energieforschung vorgelegt? Wie weit sind die Arbeiten an der im Programm versprochenen „Landkarte der Energieforschung“? Wann kommt das „Energietechnologie-Radar“, welches über zukünftige Forschungsbedarfe Auskunft geben soll? Wenn die Energiewende mit all ihren Facetten gelingen soll, muss die Bundesregierung dringend nachlegen: Die Energieforschung braucht mehr Koordinierung und eine solide Finanzierung. Klaus Breil (FDP): In den vorliegenden Anträgen geht es um zwei gut bekannte Forderungen der Opposition. Es geht zum einen um den Vorwurf, die Energieforschung in Deutschland wäre falsch ausgerichtet. Und es geht zum Zweiten um die Kündigung der deutschen Mitgliedschaft bei der europäischen Atomgemeinschaft, kurz Euratom. Zum ersten Punkt. Mit dem 6. Energieforschungsprogramm hat die Bundesregierung im Juli 2011, also nicht einmal ein Jahr nach Anpassung des Energiekonzeptes an die Lehren der Katastrophe von Fukushima, die Schwerpunkte für die Forschungsförderung der kommenden Jahre festgelegt. Darin sind alle in den Anträgen angesprochenen Teilbereiche aufgelistet. Ich zitiere die Förderschwerpunkte des Programms: Energieeffizienz im Gebäudebereich und energieoptimiertes Bauen, Energie-effiziente Stadt und dezentrale Energiesysteme, Energieeffizienz in der Industrie, im Gewerbe, im Handel und bei Dienstleistungen, Energiespeicher für stationäre und mobile Anwendungen, Netze für die Stromversorgung der Zukunft, Kraftwerkstechnik und CCS-Technologien, Brennstoffzellen und Wasserstoff, Systemanalyse und Informationsverbreitung. In diesem Rahmen werden Maßnahmen auf den Weg gebracht, die entweder durch einzelne Ministerien oder mehrere Ministerien in Kooperation durchgeführt werden. Für die erste gemeinsame Forschungsinitiative Energie-speicher haben die Ressorts BMWi, BMU und BMBF im Sommer 2011 200 Millionen Euro bereitgestellt. -Ein Teil der Summe geht an ein Projekt, das am 10. Januar dieses Jahres auf den Weg gebracht wurde. Mit dem Verbundprojekt ADELE-ING schafft das BMWi die Voraussetzungen zur Errichtung einer Demonstrationsanlage -eines adiabaten Druckluftspeichers. Beteiligt daran sind neben privaten Unternehmen auch die Forschungseinrichtungen DLR, Otto-von-Guericke-Universität Magde-burg und das Fraunhofer-Anwendungszentrum für Systemtechnik Ilmenau, IOSB. Die Forschungsaktivitäten der Bundesregierung werden stetig erweitert, zuletzt noch in dieser Woche durch die Förderinitiative „Zukunftsfähige Stromnetze“. Die Initiative hat ein Volumen von 150 Millionen Euro. Das ist nach der Forschungsinitiative Energiespeicher schon die zweite ressortübergreifende Maßnahme im Rahmen des Energieforschungsprogramms, und das innerhalb von nicht einmal zwei Jahren. Hier wird Tempo gemacht. Den einzig positiven Punkt, den ich zwischen all den irrgeleiteten Forderungen im Antrag der Grünen finden konnte, war die Forderung nach einem Forschungsvorhaben zu Energiemärkten. In diesem Bereich nämlich haben Sie wirklich noch Nachholbedarf. Kommen wir zum zweiten Punkt, zudem Euratom-Vertrag. Der stammt aus dem Jahr 1957 und ist einer der Gründungsverträge der Europäischen Union. Er behandelt unter anderem einheitliche Sicherheitsanforderungen beim Strahlenschutz und Kontrollmaßnahmen. Damit dient er in weiten Teilen der Sicherheitsvorsorge der Bevölkerung und dem Schutz ihrer Gesundheit. Dass der Euratom-Vertrag in Teilen der Öffentlichkeit als einseitiges Instrument zur Förderung der Kernenergie in der Europäischen Union angesehen wird, verdanken wir dem endlosen Wiederholen durch Anti-Atom-Aktivisten. Dabei regelt der Kernbereich des Vertrags die Überwachung von Kernmaterial in der Europäischen Union durch die Kommission. Er regelt eine gleich-berechtigte Versorgung mit Kernmaterial unter anderem für Medizin und Forschung und dient der Vereinheit-lichung des Strahlenschutzes im Interesse der Bevöl-kerung. In der Tat aber geht auch ein Teil aus der Gemeinschaft in die Forschung der Kernfusion. Diese hocheffiziente und umweltfreundliche Technologie wäre aber kein Rückschritt in das von der Opposition verteufelte Atomzeitalter – vielmehr könnte diese Form der Energiegewinnung eines Tages auch ein Teil zur Lösung unseres Entsorgungsproblems werden. Daher sind beide Anträge der Opposition abzulehnen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Immer neue Schreckgespenster wurden an die Wand gemalt, um die Energiewende zu diskreditieren: massenhafte Stromausfälle bei der Abschaltung der Kernmeiler etwa. In jüngster Zeit wird vor allem mit vermeintlich steigenden Strompreisen gegen den Umstieg auf erneuerbare Energien Stimmung gemacht. Forschung und Wissen sind ein probates Mittel gegen Unkenntnis und Vorurteile – und zugleich entscheidende Hebel für eine sozialverträgliche Umsetzung der Energiewende. Der Forschungsverbund Erneuerbare Energien rechnete jüngst vor, dass die Umstellung auf Erneuerbare bis 2050 rund 570 Milliarden Euro Energiekosten einsparen würden, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Forschungsanstrengungen nicht auf atomare und fossile Energien, sondern auf nachhaltige Technologien und Energieeinsparung fokussiert werden. Die Energiewende muss also schneller und konsequenter vorangetrieben werden, dann vermindert sie gesellschaftliche Kosten. In diese Richtung sollte die Wissenschaftsförderung zielen. Das Energieforschungsprogramm der Bundesregierung bleibt jedoch weit hinter dem Erforderlichen zurück. Dies sprechen die Kolleginnen und Kollegen der SPD in ihrem Antrag auch an. Sie kritisieren den Flickenteppich der Zuständigkeiten und eine fehlende Fachkräftestrategie. Sie greifen, das freut uns, das Thema der sozialen Innovationen und der Dienstleistungen auf. Allerdings bleibt der Antrag hier unkonkret. Insbesondere zur Verteilung der Kosten der Energiewende bzw. zur Bevorzugung der Industrie gegenüber den privaten Verbrauchern und zu notwendigen Fragen des Eigentums an Netzen und zur Dezentralisierung bzw. Rekommunalisierung wäre mehr Forschung angebracht. Dies versäumt die SPD jedoch in aller Deutlichkeit zu benennen. Vollends windelweich werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, jedoch an entscheidenden Knackpunkten. So konnten Sie sich offenbar nicht auf eine konkrete Position zur Atomforschung einigen. Es fehlen präzise Vorschläge zum Umgang mit ITER und den angeschlossenen deutschen Projekten sowie mit -Euratom. Dabei macht die Fusionsforschung mit circa 130 Millionen Euro etwa ein Fünftel des gesamten Energieforschungsprogrammes aus. Die Grünen sind hier deutlich präziser und wollen wie unsere Fraktion einen Ausstieg aus dem Bau des Kern-fusionsreaktors ITER und damit das Ende von Euratom in seiner derzeitigen Form. 90 Prozent der Euratom-Förderung fließen in den Bau des Kernfusionsreaktors ITER. Deutschland soll insgesamt mehr als 3 Milliarden Euro in das Projekt investieren. Wir sagen: Mit diesem Geld muss die Energiewende im Hier und Heute entwickelt und erforscht werden, nicht ein Wolkenkuckucksheim, das vielleicht in 40 oder 50 Jahren Strom liefert – vielleicht aber auch nicht. Beim Thema Kernfusion hat die SPD-Fraktion Entscheidungsbedarf, wie ich finde. In dem Antrag fehlt zudem eine Position zur Erforschung und Entwicklung von fossilen Kraftwerkstechnologien und der CO2-Speicherung, CCS. Dabei wäre dazu angesichts der Kakofonie aus der Bundesregierung zu dem Thema eine Position wichtig. Allein die Projektförderung in dem Bereich machte im vergangenen Jahr über 30 Millionen Euro aus. Forschungsministerin Schavan erklärte zwar im Sommer, CCS vorerst nicht weiter fördern zu wollen. Allerdings gelte dies nur bis zur Schaffung entsprechender gesetzlicher Regelungen. Ohne neues Wissen über die soziale und die technische Umsetzung der Energiewende werden wir diese komplexe Herausforderung nicht meistern. Wir brauchen daher auch eine Energieforschungswende. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Reaktorkatastrophe von Fukushima jährt sich in Kürze zum zweiten Mal. Dieser GAU hatte in Deutschland zur Folge, dass am 30. Juni 2011, also nur drei -Monate später, fraktionsübergreifend im Deutschen Bundestag ein nun hoffentlich endgültiger Schlussstrich unter die Risikotechnologie Atomkraft gezogen wurde. Damit machte auch die derzeitige Bundesregierung endlich den Weg frei für eine Energiewende hin zu erneuerbaren Energien, Energieeinsparungen und mehr Energieeffizienz. Deutschland steht nun vor der historischen Chance und epochalen Herausforderung, als erste der großen Industrienationen die Transformation in eine postnukleare und CO2-neutrale Energiewirtschaft zu meistern. Dazu braucht es allerdings einen klar geäußerten und erkennbaren Willen der Bundesregierung, -eindeutige Entscheidungen, die das Ziel nicht konter-karieren, und kein Hin-und-Herschwanken, keine Zögerlichkeiten und Rückwärtsschritte. Gerade das erleben wir aber: Hin-und-Herschwanken beim EEG, Zögerlichkeit bei Effizienzmaßnahmen und Kapazitätsmechanismen, Rückwärtsschritte bei der Organisation des Netzausbaus. So werden Bürger und Investoren verunsichert und die Energiewende gefährdet. Die inkonsistente Haltung der Bundesregierung zeigt sich überdeutlich bereits bei der Energieforschung, deren Ausrichtung Gelingen oder Scheitern der Energiewende entscheidend beeinflusst. Steuergelder für die Energieforschung müssen dahin fließen, wo die offenen Fragen der Energiewende sind: in Speicher- und Effizienztechnologien, Lastmanagement und Nachfragesteuerung als wichtigste technologische Baustellen, aber auch in Fragen von Bürgerbeteiligung, Akzeptanz und gesellschaftlicher Energiekompetenz. Forschungspolitik ist in erster Linie Haushaltspolitik. Deshalb gibt der Weg des Geldes Auskunft über die Prioritätensetzung der Bundesregierung. Und siehe da: Auch nach dem parteiübergreifend beschlossenen Atomausstieg investiert die Bundesregierung unverändert rund ein Drittel ihres 2,7 Milliarden schweren Energieforschungsprogramms in atomare Forschung. Von diesen 900 Millionen geht nur ein Drittel in die weiterhin notwendige Sicherheits- und Endlagerforschung. Mindestens 600 Millionen fließen in atomare Forschung, deren Anwendung im Erfolgsfall den Wiedereinstieg in atomare Großtechnologie bedeuten würde. Weitere deutsche Steuergelder werden über das EU-Forschungsrahmenprogramm bzw. Euratom für die -europäische Atomforschung verwendet. Das unersättlichste Projekt ist der gemeinschaftliche Kernfusions-Versuchsreaktor ITER, der im französischen Cadarache gebaut werden soll und sich mittlerweile als Milliardengrab entpuppt. Des Weiteren finanzieren wir über die EU die Erforschung von Transmutation und Reaktoren der vierten Generation, alles Technologien, die uns zurück ins atomare Zeitalter führen, sollten sie eines Tages zum Einsatz kommen. Bis 2050 müssen es die Industrienationen geschafft haben, mit einem wesentlich geringeren Energiebedarf auszukommen, und ihre Energieproduktion möglichst vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt haben. Nur so können die Klimaschutzziele erreicht werden. Statt neuer nuklearer Großtechnologien bedarf es dazu effizienter, kostengünstiger und umweltverträglicher erneuerbarer Energien in einem System der effizienten Energiebereitstellung und -nutzung. Die zahlreichen Forschungseinrichtungen in Deutschland haben die Möglichkeit einer Energiewende erst -ermöglicht und sind für eine Neuausrichtung der deutschen Energielandschaft gut gerüstet. Jetzt müssen aber auch die politischen Rahmenbedingungen konsequent am deutschen Atomausstiegsbeschluss ausgerichtet werden, sodass die in vielen Bereichen noch fehlende Grundlagen- und Anwendungsforschung für die Energiewende vorankommt. Die Bundesregierung muss die Energieforschungspolitik in Deutschland endlich neu justieren. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, dass die noch nicht verausgabten öffentlichen Forschungsgelder aus dem 6. Energieforschungsprogramm, die derzeit noch in die Erforschung von Kernfusion, Transmutation und Reaktoren der vierten Generation fließen, umgewidmet werden in die Bereiche erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Infrastruktur und gesellschaftliche Begleitforschung. Künftige Energieforschungsprogramme müssen so ausgerichtet werden, dass öffentliche Mittel nicht mehr für Atomforschung vorgesehen werden, die bei Anwendung einen Wiedereinstieg in Atomtechnik bedeutet, sondern sollen stattdessen zum Gelingen der Energiewende eingesetzt werden. Auf EU-Ebene muss Deutschland seine finanzielle Beteiligung am ITER-Projekt aufkündigen. Der Kern-fusionsreaktor verschlingt Milliarden, und es steht in den Sternen, ob er jemals die versprochenen unendlichen Mengen an Energie produzieren wird. Und falls das doch eines Tages der Fall sein sollte, werden die erneuerbaren Energien bis dahin unschlagbar billig sein und wird kein Bedarf an teurer Fusionsenergie mehr be-stehen. Die europäische Atomgemeinschaft Euratom muss dergestalt reformiert werden, dass die darin festgeschriebene Sonderrolle Kernenergie – Kernspaltung und -Kernfusion – abgeschafft wird; insbesondere sollen alle Passagen des Euratom-Vertrages gestrichen werden, die Investitionen, Forschungsförderung und Genehmigungsprivilegien der Atomkraft begünstigen. Die frei werdenden Mittel sollen stattdessen außerhalb von Euratom für die Forschung und Entwicklung sowie für Kredit-vergünstigungen, unter anderem finanzielle Unterstützung von erneuerbaren Energien, eingesetzt werden. Wenn diese Revision nicht möglich ist, muss Deutschland den Euratom-Vertrag einseitig aufkündigen. Die Bundesregierung muss die Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung in den für die Energiewende wichtigen Bereichen Energieeffizienz und Einsparung, erneuerbare Energien, ressourcen- und energiesparende Mobilität, Nachhaltigkeit und Dezentralisierung der Energieerzeugung, Speichersysteme für Wärme und Strom und Energiekompetenz der Bürgerinnen und Bürger durch entsprechende Schwerpunkt-setzung ausbauen. Insgesamt muss nichttechnologischen Forschungsvorhaben eine stärkere Rolle als bisher zukommen. Wer es ernst meint mit der Energiewende und ihr Scheitern nicht billigend in Kauf nehmen will, muss sich für den Atomausstieg in der Energieforschung einsetzen. Deshalb stimmen Sie unserem Antrag zu. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms Kreatives Europa (Tagesordnungspunkt 19) Christoph Poland (CDU/CSU): Das Programm zum Kreativen Europa hat schon einen längeren Weg hinter sich: das Fachgespräch im Ausschuss mit der Anhörung von Experten, den Antrag der EU-Kommission, die zahlreichen Verhandlungen von Staatsminister Neumann in Brüssel und kurz vor Weihnachten letzten Jahres die Abstimmung im EU-Kulturausschuss. Nun kommt es mit unserem Antrag und der Entschließung des Ausschusses zur Verhandlung im Deutschen Bundestag. Uns war immer wichtig, dass bei den Verhandlungen zum Kreativen Europa berücksichtigt wird: Es soll keine einseitige Orientierung an den Wachstums- und Beschäftigungszielen der 2020-Strategie der EU geben und keine hauptsächlich ökonomische Betrachtung in der Programmausgestaltung. Die Betonung des Doppelcharakters von Kulturgütern als Wirtschaftsgut und Kulturgut liegt uns am Herzen. Gemeinsam mit vielen Akteuren, nicht zuletzt dem Deutschen Kulturrat und dem Bundesrat, haben wir hier einen Paradigmenwechsel ausgemacht, den wir sehr kritisch beurteilen. Mir ist wichtig, dass die drei Säulen „Kultur“, „Media“ und „Media Mundus“ ihr eigenes Profil behalten. Der finanzielle Rahmen soll bei 1,801 Milliarden Euro liegen. Und wir können alle gemeinsam nur hoffen, dass das bei den kommenden Beratungen von Rat, Kommission und Parlament so bleibt. Wir alle wissen um die Notwendigkeit, sparen zu müssen. Eine Stärkung der Kultur mit diesem Ansatz wäre ein wichtiges Signal. Die Kommission hat mit ihrem Schreiben an den Bundesrat vom November vergangenen Jahres festgehalten, dass der Aktionsbereich Kultur mit 30 Prozent der Mittel ausgestattet werden soll. Das begrüßen wir ausdrücklich. Umso negativer fallen Kürzungen unter Rot-Grün in NRW ins Gewicht, die wir gerade sehen. Das war unter der CDU-Regierung von Jürgen Rüttgers anders. Die Kommission hat ebenfalls festgehalten und betont, dass „der Kern des Vorschlages … der duale Charakter sämtlicher Kulturgüter“ ist, „das heißt der Eigenwert der Kultur einerseits und die wirtschaftliche Nutzung andererseits, die im Gleichgewicht stehen müssen“. Für mich ist es wichtig, dass ein Kulturprogramm nicht in erster Linie ein Konjunkturprogramm ist. Es ist ein großartiger Erfolg, dass die Kultur- und Kreativbranche zu einem relevanten Wirtschaftsfaktor geworden ist. Profiterwartungen dürfen aber nicht alleiniger Maßstab für eine Antragstellung sein. In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD zum Kreativen Europa wurden die Ziele für den Aktionsbereich Kultur definiert, und ich möchte sie hier betonen und hervorheben: Es geht um die „Förderung der Fähigkeit der europäischen Kultur- und Kreativsektoren, transnational zu arbeiten“, die „Stärkung der Finanzkraft der Kultur- und Kreativsektoren“, die „Unterstützung für transnationale politische Zusammenarbeit (insbesondere zur Erschließung neuer Publikumsschichten bzw. neuer Geschäftsmodelle)“ und die „Förderung der transnationalen Mobilität kultureller und kreativer Werke und Akteure“. Ich möchte mich ausdrücklich bei Kulturstaatsminister Bernd Neumann bedanken, der auf der Ebene der Regierungsvertreter immer wieder – mit Rückendeckung durch den Ausschuss – unsere deutschen Interessen in Brüssel vorgebracht hat und an vielen Stellen in unserem Sinne Einfluss nehmen konnte. Bei meinen Gesprächen in Brüssel habe ich viel Lob für ihn gehört. Ich muss an dieser Stelle aber auch einmal die engagierte Rolle der Kulturausschussvorsitzenden im Europaparlament, Doris Pack, hervorheben, die sich wortgewandt und deutlich an die Kommission gewandt hat, als es um die Durchsetzung auch unserer gemeinsamen deutschen Interessen bei der Änderung des Programm-entwurfes ging. Der Bericht der Europaabgeordneten Silvia Costa, die zum Kreativen Europa Berichterstatterin ist, liegt mittlerweile in seiner abgestimmten Version vor, und man kann sagen, dass die Kulturschaffenden in Europa auf einen erfolgreichen Abschluss des Programms hoffen können. Lassen Sie mich also zusammenfassen: Das Kreative Europa fördert Künstler, die Grenzen überschreiten. Die Künstler gehen über Grenzen zwischen Staaten, Kulturen und Sprachen. Das ist für mich der Sinn des Programms „Kreatives Europa“. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): „Wenn ich das Projekt der europäischen Einigung noch einmal anzugehen hätte, würde ich nicht bei der Wirtschaft anfangen, sondern bei der Kultur.“ Dieser Jean Monnet, einem der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaften, oft als Vater Europas bezeichnet, zugeschriebene Satz ist häufig zitiert. Das heutige Ergebnis des jahrzehntelangen Prozesses der europäischen Einigung ist aber nun mehr als nur die Herausbildung eines europäischen Wirtschaftsraumes. Die Einführung des Euro als gemeinsame Währung war auch ein Symbol von großer Aussagekraft. Das eigentliche Fundament der Einigung Europas besteht jedoch in seiner in mehr als 2 000 Jahren gewachsenen gemeinsamen Kultur. Auf diesem gründet sich unser gemeinsames Wertesystem. Mit der Förderung der kulturellen Vielfalt und des grenzüberschreitenden Dialogs setzen sich Deutschland und die Europäische Union aktiv dafür ein, dass der Kulturraum Europa auch weiterhin mit Leben erfüllt wird. Am 23. November 2011 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag zur künftigen Gestaltung der Kultur- und Filmförderung vorgelegt. Das Dachprogramm „Kreatives Europa“ soll künftig aus drei Säulen bestehen. Neben den bisherigen Bereichen „Kultur“ und „Media“ wird es ein neues zusätzliches Element eines Bürgschaftsfonds geben, der Kredite an die Kultur- und Kreativwirtschaft befördern soll. Passgenaue Maßnahmen sollen der Branche helfen, in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung ihr Potenzial für Wirtschaftswachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die soziale Inklusion zu optimieren. Sicher ist die Kulturförderung nicht Europas Hauptaufgabe. Die europäische Kultur- und vor allem Filmförderung aber ist eine wichtige Ergänzung unserer nationalen Finanzierung. Mit dem Förderprogramm „Kreatives Europa“ werden auch in Deutschland zusätzliche Mittel für den Kunst-, Kultur- und Medienbereich zur Verfügung stehen. Davon profitiert neben den Kultur- und Medienschaffenden nicht zuletzt auch die Kultur- und Kreativwirtschaft in Europa. Deren volkswirtschaftliche Relevanz beweisen zahlenmäßig die 131 Milliarden Euro Umsatz und 1 Million Beschäftigte. Sie liegt damit zwischen der chemischen Industrie und der Automobilwirtschaft. An dieser Stelle gebührt unserem Staatsminister Bernd Neumann für sein Wirken in den Verhandlungen in Straßburg großer Dank. Da für uns insbesondere im Bereich der Kulturförderung das Prinzip der Subsidiarität gilt, ist es ein großer Erfolg, dass uns auf nationaler Ebene mehr Mitsprache- und Entscheidungskompetenzen verbleiben als im ursprünglichen Entwurf vorgesehen. So werden die Mitwirkungsrechte für die Mitgliedstaaten im Programmausschuss verbessert sowie eine Flexibilität bei der Organisation der Beratungsstellen zugestanden. Unsere nationale Maxime der identitäts- und gemeinschaftstiftenden Kraft der Kultur gilt ebenso auf europäischer Ebene, in Zeiten der Euro-Krise mehr denn je. Insbesondere die kulturelle Bildung, die sich an die junge Generation wendet, ist ein, wenn nicht das wichtigste, Bindemittel im weiteren europäischen Einigungsprozess. Die Potenziale der Kultur und Medien richtig zu nutzen, ist folglich eine Investition in die Zukunft eines geeinten Europas. Daher hat der Staatsminister in seiner Stellungnahme zu dem Programm „Kreatives Europa“ die offensichtlichen Mängel an dem bisherigen Programmentwurf, nämlich die zu starke ökonomische Betrachtung der Kulturförderung durch die EU, angemahnt. Im Mittelpunkt muss eine stärkere Verankerung der Doppelnatur kultureller Werke als Wirtschafts- und Kulturgut stehen. Ich erinnere an die Worte des Staatsministers: Kultur ist mehr als Kulturwirtschaft und Kultur ist mehr als sprachliche Vielfalt. Entsprechend haben wir in unserem Entschließungsantrag die Förderung ausschließlich nichtgewinnorientierter, kleinerer Kulturprojekte betont und die Festlegung von finanziellen Mindestanteilen für die einzelnen Säulen des Programms ebenso gefordert wie die Berücksichtigung von quantitativen wie qualitativen Kriterien bei der Evaluierung des Programms. Eine starke Konzentration auf Großevents bzw. ein schleichender Prozess hin zu einer Kommerzialisierung der Kulturförderung darf nicht hingenommen werden. Der Ausschuss für Kultur und Medien hat seine Entschließung folglich auch bewusst vor den Beratungen des Europäischen Parlaments verabschiedet, um diese beeinflussen zu können. Mit Erfolg: Der Kulturausschuss des Europäischen Parlaments ist unserer Position in vielen Punkten gefolgt. Mit unserer Entschließung wissen wir denn auch die deutsche Kultur(verbände)landschaft hinter uns. Viele aus der Branche geäußerte Befürchtungen über das Programm „Kreatives Europa“ haben wir in der Entschließung aufgegriffen. Ein positives Signal an die Kreativwirtschaft ist sicher der im Programm vorgesehene Aufwuchs des Budgets auf insgesamt 1,801 Milliarden Euro, eine Steigerung um 37 Prozent gegenüber dem derzeitigen Ausgabenniveau. Damit soll insbesondere der neue EU-Bürgschaftsfonds finanziert werden und den kleinen und mittleren Unternehmen der Kreativwirtschaft, für die die Kapitalbeschaffung auf dem privaten Markt oftmals schwierig ist, der Zugang zu Krediten erleichtert werden. Allerdings bleiben die grundsätzlichen Haushaltsverhandlungen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel abzuwarten, die Auswirkungen auf die Ausstattung des Programms „Kreatives Europa“ haben. Wir haben uns dem 1-Prozent-Ziel verpflichtet, wonach die Mitgliedstaaten nicht mehr als 1 Prozent ihres Haushalts an Brüssel abgeben. Das ist eine richtige Entscheidung. Die Verabschiedung der Inhalte des Programms ist nach den Plänen der EU-Kommission für die erste Jahreshälfte 2013 vorgesehen. Wir bleiben optimistisch, dass die Kultur- und Medienförderung innerhalb des großen EU-Haushalts so ausgestattet wird, dass sie ihren Aufgaben jedenfalls in angemessener Art und Weise gerecht werden kann. Siegmund Ehrmann (SPD): Zu Beginn will ich darauf hinweisen, dass die jetzt zu beratende Vorlage eine Stellungnahme von CDU/CSU und FDP zum Vorschlag der EU-Kommission für das Programm „Kreatives -Europa“ ist. Daneben gibt es aber eine gemeinsame Stellungnahme von SPD, Grünen und Linken, die im Ausschuss keine Mehrheit fand. Zwar sind wir uns in Bewertung des Programms „Kreatives Europa“ einig. Die Koalition war bei wichtigen Punkten allerdings nicht bereit, auf unsere Forderungen einzugehen, sodass wir uns nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme einigen konnten. Ich bedauere das, zumal wir uns mit dem EU-Programmentwurf „Kreatives Europa“ im Ausschuss für Kultur und Medien intensiv befasst haben. Wir haben uns in einem öffentlichen Expertengespräch intensiv mit den Positionen der EU-Kommission, des Deutschen Städtetages, der Länder, der Beratungsstellen Cultural Contact Point, CCP, und Media Desk sowie des -Hauses der Kulturen der Welt in Berlin befasst. Das Haus der Kulturen der Welt war uns deshalb ein wichtiger Gesprächspartner, weil es über enorme Erfahrungen mit europäischen Kulturprogrammen verfügt. Um was geht es bei dem Programm „Kreatives -Europa“? Die EU-Kommission unterbreitet damit einen Vorschlag, wie die Förderung von Kultur, Medien sowie Kultur- und Kreativwirtschaft durch die EU in der kommenden Finanzperiode 2014 bis 2020 strukturell aussehen und finanziell ausgestattet sein soll. Sie schlägt unter anderem vor, die bisher existierenden Programme „Kultur“, „Media“ und „Media Mundus“ unter einem Dach zusammenzufassen und mit einem neuen Aktionsbereich zur Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft zu ergänzen. Unter anderem soll eine Finanzfazilität geschaffen werden, die kleinen und mittleren Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft den Zugang zu Finanzierung erleichtert. Verbunden sein soll dies mit einem Aufwuchs der Mittel. Auch wir begrüßen, dass die -Programme „Kultur“ und „Media“ fortgeführt und die Mittel aufgestockt werden. Zugleich befürchten wir aber, dass das Profil dieser mittlerweile etablierten und zu einem Begriff gewordenen Programme darunter leiden wird. Zudem fordern wir, dass die Mittel für die einzelnen Aktionsbereiche des Programms „Kreatives Europa“ festgeschrieben werden, damit nicht einseitig die Kultur- und Kreativwirtschaft gefördert, die Kulturförderung -jedoch ins Leere läuft. Wir fordern zudem, dass die bisherigen Betriebskostenzuschüsse für europäische Netzwerke von Kulturverbänden und -institutionen erhalten bleiben. Sie sind es, die mit ihrer Arbeit für ein europäisches Verständnis von Kultur werben und Europa als vielfältigen Kulturraum erlebbar machen. Wir wollen, dass im Aktionsbereich „Kultur“ eben nicht vorrangig gewinnorientierte Projekte gefördert werden. Wir fordern darüber hinaus, dass die bestehenden Beratungsstrukturen für die Programme „Kultur“, „Media“ und „Media Mundus“, die bereits erwähnten CCP und „Media Desk“ mit ihrem Know-how erhalten bleiben. Wir erwarten auch – und das ist uns der wichtigste Kritikpunkt –, dass die europäische Kulturförderung nicht primär ökonomischen Zielen untergeordnet werden darf. So wichtig es ist, die Kultur- und Kreativwirtschaft zu fördern, so wichtig war und bleibt es, in der Kultur -gerade das, was sich nicht rechnet, zu schützen und zu fördern. Damit stellen wir uns nicht gegen die Kultur- und Kreativwirtschaft, ganz im Gegenteil. In unserem Konzept des Kreativpaktes, mit dem die SPD die Potenziale der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland fördern will, beschreiben wir, wie Rahmenbedingungen für die Kultur- und Kreativwirtschaft verbessert werden können. Wir mahnen an, dass die öffentliche Kulturförderung nicht dem Primat des Ökonomischen unterworfen werden kann und darf. Sie gibt Kunst und Kultur den geschützten Raum, der notwendig ist, um unsere Gesellschaft mit künstlerischen und kreativen Impulsen zu -reflektieren, zu hinterfragen und zu bereichern. Das muss auch im europäischen Kontext sichergestellt bleiben, um die kulturelle Vielfalt erlebbar zu machen. Ganz sicher müssen Rahmenbedingungen für die Kultur- und Kreativwirtschaft auch in Europa verbessert werden, um die vorhandenen Potenziale zu stärken. Die Mitteilung der EU-Kommission „Die Kultur- und Kreativwirtschaft als Motor für Wachstum und Beschäftigung in der EU unterstützen“ vom Herbst 2012 macht dies sehr deutlich, deutlicher im Übrigen als dies aktuell in den Bemühungen der Bundesregierung zur Unterstützung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland erkennbar ist. Gleichwohl brauchen wir eine europäische Kulturförderung, die dem Anspruch eines gemeinsamen europäischen Kulturraumes verpflichtet bleibt. Mit dieser -Bewertung stimmen wir mit vielen anderen Akteuren in Deutschland überein, wie das Expertengespräch im -Ausschuss für Kultur und Medien gezeigt hat. Auch der Bundesrat hat sich in seiner Stellungnahme an die EU-Kommission in dem von mir vorgetragenen Sinne ge-äußert. Neben den bereits zuvor genannten Kritikpunkten hat der Bundesrat auch die Ausgestaltung des Programms in Form einer Verordnung kritisiert. Hierin wird die Gefahr gesehen, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Programms unzureichend beteiligt werden könnten, eine Einschätzung, die wir und der zuständige Ausschuss im Europäischen Parlament teilen. Die Koalition war nicht bereit, diese Kritik anzuerkennen. Das ist bedauerlich, zumal wir uns, wie gesagt, in vielen Punkten einig waren und damit als Deutscher Bundestag über alle Fraktionen hinweg eine ähnlich kritische Haltung wie der Bundesrat, das Europäische Parlament und viele andere Kulturakteure hätten einnehmen können. Im Ergebnis ergeht eine Stellungnahme an die Europäische Kommission, die zwar generelle Bedenken gegen den Programmvorschlag beinhaltet, wichtige Kritikpunkte jedoch vernachlässigt. Voraussichtlich wird die irische Präsidentschaft die Verhandlungen über diesen Programmvorschlag -abschließen. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass alle – auch die von der Opposition, dem Bundesrat und vielen Kulturakteuren eingebrachten Kritikpunkte – in diese abschließenden Beratungen einfließen. Allen, vor allem den Kultur- und Kreativschaffenden, ist damit geholfen, wenn ein möglichst breiter Konsens über die zukünftigen Förderinstrumente der EU besteht. Dass es diese Förderung für einen gemeinsamen Kulturraum Europa braucht, darüber sind sich alle einig. Europa ist zuallererst eine kulturelle Wertegemeinschaft. Europa darf sich nicht auf Fragen der Wirtschafts-, Währungs- und Finanzpolitik reduzieren. Das vom gegenseitigen Verständnis getragene Zusammenwachsen Europas kann nur gelingen, wenn wir es schaffen, uns die reichhaltige und vielfältige Kulturlandschaft Europa gemeinsam zu erschließen. Reiner Deutschmann (FDP): Europa, gemeint ist damit die Europäische Union, ist in diesen Tagen kein unbelastetes Wort mehr. Die Finanz- und Schuldenkrise dominiert die Berichterstattungen, und es wird dadurch kaum wahrgenommen, wenn andere europäische -Themen diskutiert werden. Dabei steht Europa heute für die Vielfalt unserer Kulturen, für die Verständigung der Menschen in Europa und für das friedliche Zusammen-leben von Nationen. Die europäische Einigung ist ein Geschenk, das gerade wir Deutschen nicht hoch genug schätzen können. Fakt ist: Europa ist für viele Bürgerinnen und Bürger leider sehr weit weg, die Berührungspunkte sind vermeintlich überschaubar. Dies ist aber ein Irrtum. Viele europäische Programme und Initiativen beeinflussen im Positiven wie im Negativen unser tägliches Leben, von EU-Verordnungen über Richtlinien bis zu zahlreichen EU-Förderprogrammen. Straßen und weitere Infrastrukturprojekte werden mit EU-Hilfe realisiert. Ein gemeinsamer Rechtsrahmen wird abgesteckt und damit gleiche Bedingungen für alle Bürgerinnen und Bürger in der ganzen EU geschaffen. Aber hier liegt auch eines der großen Probleme; die Überregulierung aus Brüssel. Aus diesem Grund ist es auch für die nationale deutsche -Politik wichtig, sich rechtzeitig und vor allem substanziell zu beteiligen und einzubringen. Was in Brüssel und Straßburg beschlossen wird, hat Auswirkungen auf unser aller Leben. Dass Europa mehr ist als die Summe seiner Schulden und seiner Ratings bei den großen Ratingagenturen, zeigen die derzeitigen EU-Haushaltsverhandlungen ganz eindrücklich. Hier sieht man die Vielfalt an Themen, die durch die Europäische Union und ihre Institutionen begleitet und gestaltet werden. Gegenüber dem Haushalt 2007 bis 2013 wird der Haushalt 2014 bis 2020 um 5 Prozent aufwachsen auf dann 1,025 Billionen Euro. Das ist viel Geld. Daher ist es das gute Recht und die Pflicht der Politik, über diesen Haushalt ausführlich und -sorgfältig zu beraten. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 werden auch die Kultur- und Medienprogramme der Europäischen Union neu aufgelegt. Wir Liberale begrüßen dabei ausdrücklich die Zusammenführung der Programme „Kultur“, „Media“ und „Media Mundus“ in einem einheitlichen Programm „Kreatives Europa“, führt dies doch zu einer Verschlankung des Verwaltungsapparates, zum Abbau von Bürokratie und zu besserer Übersichtlichkeit. Aber dieser Umbau darf nicht zur Schwächung der europäischen Kultur- und Medienförderung führen. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP das heute debattierte Programm „Kreatives Europa 2014–2020“ nicht nur zur Kenntnis genommen. Wir haben uns aktiv in die Debatte eingebracht und unsere Anmerkungen sowie Wünsche verbindlich als Handlungsauftrag an die Bundesregierung für die Verhandlungen auf EU-Ebene weitergegeben. Wir Liberale bedauern sehr, dass es im Kulturausschuss trotz sehr großer inhaltlicher Nähe zu keinem fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag gekommen ist. Dennoch denke ich, dass die Opposition große Teile unseres Antrages ebenso mittragen kann, wenn auch einzelne Stellschrauben nicht ganz so gesetzt -worden sind, wie es sich die Oppositionsfraktionen gewünscht hätten. Einig sind wir uns, so denke ich, dass der Stellenwert der Kultur innerhalb des Programms „Kreatives Europa“ nicht hinter die Wirkungen und das Gewicht der alten Kultur- und Medienprogramme zurückfallen darf. Inzwischen haben wir aus Brüssel positive Signale erhalten, dass man sehr darauf achte, dass die Kultur ihren Stellenwert neben dem Medienteil des Programms erhalten kann. Wünschenswert wäre auch aus unserer Sicht, wenn finanzielle Mindestanteile für die jeweiligen Sparten in dem Programm festgeschrieben werden könnten. Dies dient dem Schutz der einzelnen Programmteile und verhindert die Mittelverschiebung in den einen oder anderen Teil, was Schieflagen zur Folge hätte. Ganz konkret sollten bewährte Werkzeuge europäischer Kulturförderung wie die Europäische Kulturhauptstadt oder die Cultural Contact Points nicht nur erhalten bleiben, sondern ständig weiterentwickelt werden. Wichtig ist uns Liberalen, noch einmal festzustellen, dass die Kultur der Subsidiarität unterliegt. Ein Europa, das von der Vielfalt seiner Kulturen profitieren will, kann nicht zentralistischen Vorgaben unterworfen werden. Dies würde die gerade gewollten Unterschiede der einzelnen Kulturen und damit ihre Identität gefährden. Dies kann niemand in Europa wollen. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, die Subsidiarität der Kultur auf EU-Ebene gebührend zu beachten und zu verteidigen und sich weiter für die Wahrung der Freiheit und der Staatsferne der Kultur einzusetzen. Ganz wichtig ist uns auch, festzuhalten, dass der -Kultur in Europa eine identitätsstiftende Rolle innerhalb der europäischen Integration zukommt. In Zeiten der Krise wird deutlich, wie wichtig die Herausbildung einer eigenen europäischen Identität ist, die durch den interkulturellen Dialog, den leichteren Zugang zu Kultur und die Angebote der kulturellen Bildung unterstützt wird. Wir begrüßen ausdrücklich, dass diese Aspekte in dem Programm „Kreatives Europa“ enthalten sind. Der Kultur kommt eine doppelte Rolle als Wirtschafts- und Kulturgut zu. Mit unserem Antrag wenden wir uns aber gegen eine hauptsächlich ökonomische -Betrachtung der europäischen Kulturförderung. Wir fordern deshalb, dass nur nicht gewinnorientierte Projekte durch die europäische Kulturförderung unterstützt werden sollen. Sorge macht uns die geplante Streichung der Betriebskostenzuschüsse für europäische Netzwerke. Wir finden, dass die Kultur nicht durch die Neuausrichtung bzw. Verschlankung der europäischen Kulturförderung geschädigt werden darf. Die Netzwerke unterstützen maßgeblich das Zusammenwachsen Europas. Da die -Finanzdecke dieser Netzwerke oftmals sehr dünn ist, würde der Wegfall der Zuschüsse ein erfolgreiches -Instrument europäischer Integrationspolitik ernsthaft b-edrohen. Hierauf sollte bei der Programmumstellung ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Einen Hinweis möchte ich als ehemaliger Kommunalpolitiker zum Schluss noch loswerden. Kulturförderung findet natürlich nicht nur in Kulturprogrammen statt. Gerade die EU-Strukturförderung zum Beispiel durch EFRE-Mittel leistet einen großen Beitrag zum Erhalt und zum Ausbau der kulturellen Infrastruktur. Daher sollten die Programme für Strukturförderung mit den Kultur- und Kreativprogrammen enger abgestimmt werden, um den positiven Effekt der einzelnen Förderungen nochmals zu verstärken. Mit dem Programm „Kreatives Europa“ sind wir für die Jahre 2014 bis 2020 gut aufgestellt. Mit dem skizzierten Fine-Tuning kann es ein erfolgreiches Programm werden, zum Nutzen der Kultur und der Bürger in der Europäischen Union. Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Das vorliegende Programm „Kreatives Europa“ spricht nicht die Sprache der Kultur. Es vollzieht einen klaren Paradigmenwechsel in der Förderpolitik der EU. Denn die bisherige Zielsetzung hat sich dramatisch von der Kulturförderung hin zu einer Wirtschaftsförderung verschoben. Standen bisher im Bereich Kultur das künstlerische Schaffen, der Erhalt und Schutz des kulturellen Erbes und der nichtkommerzielle Kulturaustausch im Vordergrund, spricht die EU-Kommissarin für Bildung, Kultur, Mehrsprachigkeit und Jugend, Androulla Vassiliou, nun vom Beschäftigungspotenzial der Kultur- und Kreativbranche, die EU-Fördermittel sollen helfen, neue Publikumsschichten zu erreichen und neue Märkte zu erobern. „Kreatives Europa“ – das heißt jetzt: Wettbewerbsfähigkeit stärken, durch Investition den Beitrag der Kultur- und Kreativbranche zum Wirtschaftswachstum erhöhen. Innovation, Beschäftigung und gar der soziale Zusammenhalt sollen so vorangetrieben werden. Das Programm „Kreatives Europa“ vermischt auf diese Weise Ungleiches, nämlich ein Wirtschaftsförderungsprogramm für die Kultur- und Kreativindustrie einerseits und ein Instrument zur Förderung der kulturellen Zusammenarbeit in Europa andererseits. Das kann nicht funktionieren. Der Kultursektor funktioniert nach grundsätzlich anderen Regeln als der Wirtschaftssektor und wird auch nach anderen Kriterien beurteilt. Trotz der massiven Einwände gegen den Entwurf hat der Rat der Europäischen Union in den bisher vorgenommenen zwei „allgemeinen Ausrichtungen“ des Programms nur einigen Kritikpunkten Rechnung getragen. So zum Beispiel gibt es eine stärkere Betonung des ideellen Werts und der Doppelnatur von Kulturgütern, auch werden die Einflussnahmemöglichkeiten der Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Programms gestärkt. Aber das bleiben leere Worte, wenn nicht erstens Kulturförderung auf Non-Profit-Projekte beschränkt wird, zweitens qualitativ evaluiert und drittens die finanziellen Mindestanteile der Säulen „Kultur“ und „Media“ festgeschrieben werden. Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung und alle Fraktionen dieses Hauses, will diese drei Punkte im Programm durchgesetzt sehen. Das steht zu Recht auch in der vorliegenden Beschlussempfehlung. Die Linke hat aber auch wesentliche Bedenken gegenüber dieser Empfehlung. Wir halten es für vollkommen inakzeptabel, dass die zur Verfügung stehenden Mittel im mehrjährigen Finanzrahmen auf 1 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens beschränkt werden sollen, wie es in der vorliegenden Beschlussfassung steht. Diese Grenze muss aus unserer Sicht aufgehoben werden. Zum anderen lehnen wir den in der Vorlage gemachten Bezug zu der Europa-Strategie 2020 ab, denn diese misst allein mit ökonomischen Maßstäben. Darum lehnt die Linke diese Beschlussempfehlung ab. Die vielgepriesene vorgesehene Mittelausstattung von 1,8 Milliarden Euro kann aus unserer Sicht nur ein Minimum sein. Zudem ist sie bisher allein vorgesehen und mitnichten von einem Beschluss bestätigt. Die EU-Haushaltsverhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen 2014 bis 2020 dauern noch an, der endgültige Beschluss des Verordnungsentwurfes ist erst im Februar 2013 möglich. Insofern stellt sich hier die Frage, wie relevant unsere Vorschläge und Vorstellungen für das Programm „Kreatives Europa“ überhaupt sein können. Wir sollten nicht vergessen: Es ist gerade die deutsche Bundesregierung, die im EU-Haushalt massive Kürzungen durchsetzen will und auf die Schuldenbremse pocht. Diese von Deutschland forcierten Einschnitte würden aber neben der EU-Regionalförderung auch die euro-päischen Kultur- und Bildungsprogramme treffen. Denn obwohl auf höchster Ebene immer die gemeinsamen kulturellen Werte Europas beschworen werden, wird dann doch zuerst bei Kultur- und Bildungsförderung gespart. Wir fordern eine stärkere Beachtung der Kultur im Haushalt insgesamt. Was sind 1,8 Milliarden Euro, wenn es um mehr als 450 Millionen Menschen und 37 Länder geht? Darüber hinaus wird sich der Kreis der Teilnehmerländer in den nächsten Jahren um weitere Nachbarstaaten zum Beispiel aus der Balkanregion erweitern. Das heißt, das Geld wird für mehr als die bisherigen 37 Länder reichen müssen. Man kann hier auch so rechnen: Beträgt der finanzielle Anteil des Bereichs Kultur im Programm „Kreatives Europa“ laut Mitteilung der EU-Kommission für die siebenjährige Laufzeit bis 2020 etwa 497 Millionen Euro, dann bedeutet das heruntergerechnet auf ein Jahr und ein Land eine Summe von 2,6 Millionen Euro. Damit liegt man bei einem Bruchteil des Budgets eines großen Theaters. Und hier sind nur die 27 Kernländer der EU berechnet worden. Nimmt man die reale Teilnehmerzahl von 37 Ländern, dann ergibt diese Rechnung 1,91 Millionen Euro pro Jahr und Land. Das ist geradezu lächerlich. Das Programm „Kreatives Europa“ muss, um seinem Namen gerecht zu werden, sich klar gegen eine ökonomische Sichtweise von Kultur und Kulturförderung aussprechen und mehr Mittel für Kultur garantieren. Es kann nur funktionieren, wenn es nicht als für sich stehend betrachtet wird – im Blick müssen gleichzeitig die EU-Strukturfonds bleiben; denn diese bisher finanziell wesentlich besser ausgestattete EU-Strukturförderung ergänzt die Kulturförderung. Und eines sollte in dieser Debatte nicht in Vergessenheit geraten: Kulturpolitik darf nicht auf Kulturförderprogramme reduziert werden. Notwendig ist es in einem Europa, das gegenwärtig durch nationale Strömungen und eine immer stärker werdende soziale Schieflage geprägt ist, auf die integrative Kraft der Kultur zu setzen. Auch wenn es kein Problem der Bundesrepublik Deutschland direkt ist, ist doch zu fragen: Was bietet das EU-Programm „Kreatives Europa“ den Katalanen und den Schotten, die in dieser Zeit auf ganz andere, neue Weise auf ihre Kultur als Identitätsstiftung innerhalb -Europas setzen? Die Frage stellt sich, ob die Zeit über dieses EU-Programm nicht längst hinweggegangen ist. Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kultur hat einen Wert an sich und muss keinen wirtschaftlichen Zweck erfüllen. Es ist jedoch unbestritten, dass Kultur auch ein starker Wirtschaftsfaktor ist – in Deutschland liegt die Bruttowertschöpfung der Kultur- und Kreativwirtschaft in einer vergleichbaren Größenordnung mit den großen Industriesektoren Automobil und Maschinenbau. Nicht mit ökonomischen Parametern messbar ist, was Kultur für das Leben des Einzelnen, für den grenzüberschreitenden Zusammenhalt und die Völkerverständigung bedeutet: Kunst und Kultur können elementare Identifikationspotenziale entfalten, die Europa noch mehr zusammenwachsen lassen. Kultur ist ein emotio-nales und ideelles Fundament für ein starkes Europa. Wir begrüßen daher, dass sich die Koalition im Forderungsteil ihres Entschließungsantrags gegen eine hauptsächlich ökonomische Betrachtung der europäischen Kulturförderung ausspricht. In einigen zentralen Punkten hat sich die Koalition den Vorstellungen der Opposition angenähert: Dass Sie jetzt auch bei der Kulturförderung Non-Profit-Projekte mit aufgenommen haben, findet ebenso unsere Zustimmung wie die Forderung, dass nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Indikatoren bei der Evaluation berücksichtigt werden sollen. Jetzt komme ich allerdings zu den entscheidenden Punkten, die unsere Ablehnung Ihres Entschließungs-antrags begründen: 1,8 Milliarden Euro über einen Zeitraum von sieben Jahren soll die europäische Kultur- und Kreativbranche erhalten. Das entspricht einer Erhöhung von 37 Prozent im Vergleich zu den derzeitigen Ausgaben. Das ist ein verheißungsvolles Versprechen für die europäische Kulturförderung. Aber kann es auch eingehalten werden? Der Streit um den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU zeigt, dass momentan eher Budgetkürzungen angesagt sind. Um 10 Prozent soll der europäische Haushalt bis 2020 gekürzt werden. Gesunde Skepsis ist also dahin -gehend angebracht, ob die Erhöhungen für den Kulturbereich tatsächlich umgesetzt werden können. Anlass zum Zweifel gibt auch der Entschließungsantrag der Koalition: Darin unterstützen Sie das Anliegen der Bundesregierung, die Mittel für das Programm „Kreatives Europa“ auf 1 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens zu begrenzen. Das heißt, wenn das -Bruttonationaleinkommen sinkt, würde auch der Finanzrahmen kleiner. Direkt davon betroffen wäre jedoch nicht das Finanzierungsinstrument, also die mit der Verwaltung beauftragten Banken, sondern die Förderprogramme „Media“ und „Kultur“. Wir fordern von der Bundesregierung ein klares Bekenntnis, dass an den -Förderlinien „Kultur“ und „Media“ nicht gespart wird. Wenn der Finanzrahmen nicht eingehalten werden kann, dann muss das neue Finanzierungsinstrument Kürzungen in Kauf nehmen, nicht die Förderlinien! Im Unterschied zum Entschließungsantrag der Oppositionsfraktionen drückt sich Schwarz-Gelb vor einer Antwort, wie die im Programm geplante Streichung der Betriebskostenzuschüsse für europäische Netzwerke kompensiert werden kann. Wir dagegen setzen uns für adäquate Fördermaßnahmen ein; denn ohne kontinuier-liche Förderung der europäischen Netzwerke fehlt dem Programm ein wichtiges Verknüpfungs- und Kommunikationsinstrument. Gleichermaßen kritisch sehe ich, dass im Antrag der Koalition die Forderung fehlt, dass sich die Mitgliedstaaten bei der Gestaltung des Programms weiterhin einbringen können; ich halte das Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht der EU-Länder für eine notwendige Voraussetzung, damit Akzeptanz für und Identifikation mit dem Programm erhalten bleiben. Zusammengefasst lässt sich festhalten: Wir sind uns einig, dass das Programm „Kreatives Europa“ viel -Potenzial verspricht zur Stärkung der europäischen Kulturförderung, zur Bewahrung unserer kulturellen und sprachlichen Vielfalt. Die Zielsetzung des Programms finden wir richtig; es geht um die Förderung der Kultur- und Kreativbranche und um eine Intensivierung der -Potenziale des digitalen Zeitalters. Im Detail jedoch muss möglichen Fehlentwicklungen vorgebeugt werden: Die neuen Finanzierungsinstrumente müssen auch die Bedürfnisse von Kleinstunternehmen im Kulturbereich berücksichtigen. Außerdem darf sich die Zusammenführung der Programme „Kultur“ und „Media“ nicht nachteilig auf einen der beiden Bereiche auswirken. Und die Gefahr, dass sich das neue Programm zu einseitig auf Wirtschaftsförderung konzentriert, ist noch nicht gebannt. Auch weiterhin ist eine intensive Begleitung des Programms durch die Länderparlamente notwendig. Umso wichtiger wäre gewesen, dass sich die Koalition in ihrem Entschließungsantrag eindeutig positioniert für flankierende Maßnahmen zur Stabilisierung des -Finanzvolumens, für eine Kompensation der Betriebskostenzuschüsse für europäische Netzwerke und für ein weiteres Mitgestaltungsrecht der Mitgliedstaaten. Diese Chance haben Sie verpasst, wir werden Ihren Antrag -daher ablehnen. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes (Tagesordnungspunkt 21) Robert Hochbaum (CDU/CSU): Vertrauen, Hochachtung, Stolz und Dankbarkeit – diese vier Attribute verbinden unsere Bürgerinnen und Bürger hauptsächlich mit der Bundeswehr. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Bevölkerungsumfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts (der Bundeswehr). Demnach definieren drei von vier Bürgern ihre Haltung gegenüber den Streitkräften als „sehr positiv“ oder „eher positiv“. Eine weitere Umfrage durch Emnid stellte heraus, dass 86 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der Ansicht sind, dass die Bundeswehr relevant für Deutschland ist. Diese Werte stimmen zuversichtlich. Sie zeigen, dass die Bundeswehr weiterhin in der Mitte der Gesellschaft verankert ist. Das ist besonders vor dem Hintergrund -relevant, dass mit der Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 ein wichtiger gesetzlicher Anker weggefallen ist. Durch den jährlichen Einzug von zuletzt ungefähr 50 000 jungen Männern war ein steter Austausch zwischen Bundeswehr und der sie tragenden Gesellschaft gewährleistet. Auch die Führungsphilosophie „Innere Führung“ in Verbindung mit dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“, also die Verknüpfung zwischen Gesellschaft und Militär, waren eng mit der Wehrpflicht verbunden. Auch deshalb war ich bis zum Schluss ein Verfechter der allgemeinen Wehrpflicht. Allerdings offenbart die zuvor genannte Zahl auch eine der größten Schwächen der zuletzt geltenden Einberufungspraxis. So standen pro Jahr knapp doppelt so viele junge Männer zur Verfügung, wie letztendlich einberufen werden konnten. Durch Kriegsdienstverweigerung und Ausmusterung wurde die Zahl derjenigen, die letztendlich für den Dienst in den Streitkräften infrage kamen, weiter reduziert. Das Argument der Wehrungerechtigkeit kann damit als stichhaltig gelten. Auch die zuletzt gültige Dauer von nur noch sechs Monaten wirft die Frage auf, inwiefern in dieser Zeit positive Effekte für den Wehrpflichtigen selbst sowie die Streitkräfte als Ganzes erzielt werden konnten. Somit war die Aussetzung der Wehrpflicht eine folgerichtige Entscheidung, die den Entwicklungen Rechnung trug und auch von mir – wenn auch schweren Herzens – mitbeschlossen wurde. Oberstes Ziel muss auch in Zukunft sein, dass die Bundeswehr ein integraler Bestandteil unserer Gesellschaft bleibt. Natürlich sind auch die Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit und die Freiwilligen Wehrdienstleistenden sowie ihre Angehörigen integrale Bestandteile der Gesellschaft. Während sie jedoch bewusst eine Entscheidung für die Bundeswehr treffen, waren damals die -potenziellen Wehrpflichtigen dazu „gezwungen“, sich zumindest einmal intensiv mit dem Thema zu befassen, unabhängig davon, ob sie ausgemustert wurden oder den Dienst verweigerten. Damit die Umfragewerte, wie oben beschrieben, auch in Zukunft so positiv bleiben, ist es wichtig, dass sowohl wir als Parlament als auch die Bundeswehr selbst ihren Beitrag leisten, um in der Mitte der Gesellschaft vertreten zu bleiben. Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir folgerichtig einen letzten bzw. wesentlichen Schritt im Sinne des Freiwilligen Wehrdienstes. Wir regeln bzw. übernehmen diesen als besonderes staatsbürgerliches Engagement im bzw. in das Soldatengesetz. Damit schaffen wir eine einheitliche Grundlage für den Dienst aller Soldaten in den Streitkräften. Auch wenn der Freiwillige Wehrdienst weiterhin vom Dienst der Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit abgegrenzt wird, so existiert in Zukunft nur noch ein Dienstrecht, nämlich das Soldatengesetz. Dies trägt im Übrigen auch zur Entbürokratisierung bei. Der uns vom BMVg im Oktober vergangenen Jahres vorgelegte Erfahrungsbericht über ein Jahr Freiwilligen Wehrdienst zeigt uns, dass wir 2011 die richtige Entscheidung getroffen haben und uns seitdem auf einem guten Weg befinden. Die FWDLer sind hochmotiviert, weisen ein gutes Bildungsniveau auf und zeigen eine große Einsatzbereitschaft. Das vorhandene Bewusstsein, etwas für sein Land zu tun, ist dabei besonders wertvoll. Es bildet das Fundament für die Verankerung in der Gesellschaft. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmen mit dem im Bericht getroffenen Fazit, dass der „Freiwillige Wehrdienst in seiner jetzigen Form erhalten bleiben soll“, vollends überein. Aus diesem Grund sehen wir auch die Vereinheitlichung des Dienstrechtes als konsequent an und befürworten dies. Wir würden uns freuen, wenn der Großteil des Hauses dem folgen könnte. Lars Klingbeil (SPD): Heute geht es eigentlich nur um eine Formalität. Wir übertragen die im Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 beschlossenen Änderungen in das Soldatengesetz. Wir verankern den Freiwilligen Wehrdienst im Soldatengesetz. Jedoch: Auch wenn es so einfach ist, möchte ich doch noch einmal auf die aktuelle Situation eingehen. Vor über zwei Jahren wurde beschlossen, die Bundeswehr erneut zu reformieren. Die Schuldenbremse war laut dem damaligen Minister der entscheidende Parameter der Reform. Die Reform, die eigentlich gemeinsam mit den Betroffenen gemacht werden sollte, wurde zu einer Reform nach Kassenlage. Es wurden kaum Interessen der Soldatinnen, Soldaten und Zivilbeschäftigten berücksichtigt. Es wurde außer Acht gelassen, dass diese Reform nur gelingen kann, wenn alle mitmachen. Statt jedoch die Betroffenen mitzunehmen, wurden sie im Unklaren gelassen. Auch heute gibt es noch viele Fragezeichen, darüber, ob sie in der Bundeswehr bleiben und, wenn ja, an welchem Standort. Auch die Abschaffung der Wehrpflicht kam viel zu undurchdacht. Bevor Attraktivitätsmaßnahmen oder ein Nachwuchsgewinnungskonzept geschrieben waren, fehlten schon die nächsten Rekruten. Genau diese wichtigen Bestandteile der Reform kann ich auch heute noch nicht richtig erkennen. Sie haben die Werbung für die Bundeswehr vernachlässigt. Dass dies fehlt, zeigen auch die hohen Abbrecherquoten bei den Freiwillig Wehrdienstleistenden. Diese liegen derzeit bei 30,4 Prozent, Tendenz steigend. Im Vergleich zu den -Abbrechern bei sozialen Diensten ist dies eine erschreckende Bilanz. Die Frage, die wir uns bei einer solch hohen Zahl stellen müssen, ist doch: Welche Vorstellungen haben die jungen Leute vom Dienst bei der Bundeswehr, welche Erwartungen haben sie, und wie werden sie im Vorfeld informiert? Bei dieser hohen Quote müssen wir davon ausgehen, dass sie auf die Anforderungen nicht genügend vorbereitet werden. Und dies wiederum kann nur damit zusammenhängen, dass es kein ausreichendes Konzept zur Nachwuchsgewinnung gibt. Nach über zwei Jahren Reform und anderthalb Jahren Freiwilligen Wehrdienst ist dies nicht mehr zu rechtfertigen. Sie müssen hier dringend evaluieren und nachbessern. Und bei der Gewinnung von neuen Köpfen für die Bundeswehr geht es auch nicht nur – und das sage ich auch immer wieder – darum, den Dienst für neue Soldatinnen und Soldaten attraktiv zu machen, sondern darum, denjenigen, die schon so lange unserem Land dienen, zu zeigen, dass die Bundeswehr attraktiv ist. Denn sie sind es, die ihren Kindern, Verwandten und Bekannten sagen, dass es sich lohnt, in die Bundeswehr zu gehen. Wenn man sich allerdings die jüngste Studie des -BundeswehrVerbandes ansieht, stellt man fest, dass sogar zwei Drittel, also 63,6 Prozent der Aktiven bei der Bundeswehr, ihren Kindern, Verwandten und Bekannten davon abraten, sich für den Dienst bei der Bundeswehr zu entscheiden. Das ist ein erschreckendes Ergebnis. Wir müssen die Attraktivität erhöhen. Fehlende -Beförderungsmöglichkeiten machen die Bundeswehr als Arbeitgeber unattraktiv. Genau darum muss es aber gehen: Wir müssen die Attraktivität erhöhen. Deswegen haben wir als SPD auch gefordert, dass sich die Anhebung der Planstellenanteile für Unteroffiziere in der -Besoldungsgruppe A 9 an den Vorgaben für den mittleren Polizeidienst orientiert. Das wäre ein klares Signal der Attraktivität, da so die Unteroffiziere leistungsgerecht befördert werden können. Das Gleiche gilt für die Zeitsoldaten. SaZ 8 und SaZ 12+ werden durch die Veränderungen der Berufsförderung und der Dienstzeitversorgung benachteiligt. Die wegfallenden Freistellungsphasen müssen durch eine Erhöhung der Übergangsbeihilfen kompensiert -werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Bundeswehr die wird, die wir auch wirklich haben wollen, und nicht ein Konstrukt, das unter finanziellem Druck irgendwie zusammengeschustert wurde. Was heute in der Reform -zerstört wird, können wir später nur mühsam wieder -aufbauen. Die Reform wurde mal als tiefgreifendste der Geschichte betitelt. Mittlerweile scheint es aber, dass möglichst wenig verändert werden soll und dabei maximal gespart werden soll. Das kann nicht das Ziel sein. Wir brauchen eine Bundeswehr, die die Herausforderungen der Zukunft angehen kann. Dafür brauchen wir die besten Köpfe und Hände, und dafür muss die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber werden. Und es gibt wirklich viele Punkte, an denen Sie die Attraktivität, in der Truppe Dienst zu machen, steigern könnten. Ein großes Thema ist die Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Dafür haben Sie bisher viel zu wenig getan. Oft sind die Ehepartner auch berufstätig. Das sollen sie auch sein, das ist gut für unsere Gesellschaft. Aber anstatt diese Paare dabei zu unterstützen, die alltäglichen Herausforderungen zu bewältigen, ignorieren Sie – so habe ich manchmal das Gefühl – die Rufe nach modernen Möglichkeiten, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Teilzeitbeschäftigung darf auch in den Streitkräften kein Fremdwort mehr sein. Wir müssen uns an die Lebensverhältnisse der Menschen, die zur Bundeswehr kommen, anpassen. Des Weiteren müssen Sie die Telearbeit ermöglichen und endlich dafür sorgen, dass eine flächendeckende Kinderbetreuung eingeführt wird. Auf die Kinderbetreuung weisen wir seit Jahren hin, und nur wenn sich vor Ort die Bediensteten auf eigene Faust einsetzen, ändert sich etwas. Ein Arbeitgeber ist nur dann attraktiv, wenn er seinen Mitarbeitern die Chance gibt, sich zu entwickeln und aufzusteigen. Es ist daher zwingend notwendig, dass Sie das Personalmodell nachsteuern, sodass der Abbau des Förderungs- und Verwendungsstaus beseitigt wird und ein transparentes und nachvollziehbares Personal-management ermöglicht werden kann. Die Planungen, die Sie jetzt auf den Weg gebracht haben, haben doch keinen Bestand über 2014 hinaus. Dann müssen Sie sich endlich um die vielen Pendler in der Bundeswehr kümmern. Richten Sie Pendler-wohnungen ein, und behalten Sie die Wahlmöglichkeit zwischen Trennungsgeld und Umzugskostenvergütung bei. Dass wir in den letzten Jahren eine Zahl von 11 150 Freiwilligen erreicht haben, liegt vor allem daran, dass wir im letzten Jahr doppelte Abijahrgänge hatten. Man kann also davon ausgehen, dass die Bundeswehr erst mal noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen ist. Langfristig wird das jedoch nicht gut gehen. Spätestens ab 2016 werden wir große Probleme haben. Auf die Dauer werden diese Versäumnisse an die Substanz der Bundeswehr gehen. Der demografische Wandel ist da und wird sich in den nächsten Jahren verstetigen. Es ist jetzt an uns, auf diese Veränderungen zu reagieren und die Bundeswehr für die Zukunft aufzustellen. Die SPD hat hierzu mehrfach Vorschläge gemacht. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Bundeswehr auch in Zukunft ein attraktiver und interessanter Arbeitgeber bleibt. Christoph Schnurr (FDP): Mit der Aussetzung der Wehrpflicht wurde der Pflichtdienst junger Männer in Deutschland 2011 beendet. Die Wehrpflicht war sicherheitspolitisch nicht mehr begründbar, und auch unter Gerechtigkeitsaspekten war es immer schwieriger geworden, die immer geringer werdenden Zahlen an eingezogenen jungen Männern zu begründen. Mit der Unterschreitung der Zwölf-Monats-Grenze (im Jahre 1996) für den Wehrdienst war der Grundwehrdienst auch hinsichtlich seiner militärischen Sinnhaftigkeit schon zu hinterfragen gewesen. Seit 2004 wurden Grundwehrdienstleistende nicht mehr zu anschließenden Reserveübungen eingezogen. Und somit war die schnelle Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr realistisch höchstens nur noch sehr eingeschränkt gegeben. Der Abschied von der Wehrpflicht fiel schwer. Unter den Abgeordneten des Hohen Hauses gab es eine große Anzahl von ehemaligen Wehrdienstleistenden, für die eine Aussetzung schlicht unvorstellbar war. Ebenso gab es viele Stimmen, die ein Funktionieren der Umstellung auf ein freiwilliges Engagement unser Bürgerinnen und Bürger, gerade im mit der Wehrpflicht verbundenen Bereich des Zivildienstes, bezweifelten. Horrorszenarien wurden entworfen – und traten alle nicht ein. Die Umstellung ist nicht ohne Probleme und Herausforderungen verlaufen und auch noch nicht abgeschlossen, aber das große freiwillige Engagement der Bürgerinnen und Bürger hat all denen widersprochen, die nicht geglaubt haben, dass sich junge Männer und Frauen ohne staatliche Verpflichtung für die Gemeinschaft engagieren würden. – Trauen Sie den Bürgern doch bitte etwas mehr zu. Wir, die Liberalen, haben aber schon immer auf das Prinzip der Freiwilligkeit und der positiven Motivation über Anreize gesetzt. Auch das Vertrauen in die Be-reitschaft unserer Bürgerinnen und Bürger, sich für die Gemeinschaft ohne staatlichen Zwang zu engagieren, gehört zu den Grundüberzeugungen eines liberalen Denkansatzes. Und dieses Vertrauen wurde nicht enttäuscht, sondern hat sich als mehr als gerechtfertigt erwiesen. Deshalb ist es jetzt für den Dienst in den Streitkräften mehr als konsequent, den Freiwilligen Wehrdienst für Männer und Frauen in die Rechtsgrundlage zu überführen, die seit jeher die Grundlage für den Freiwilligen Dienst von Männern und Frauen in den Streitkräften war: das Soldatengesetz. Das Wehrpflichtgesetz ruht damit und wird zukünftig nur noch im Falle der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht Verwendung finden. Hoffen wir, dass ein solcher Fall nie eintreten wird. Umgeben von Freunden im Herzen Europas, bin ich da sehr zuversichtlich. Die inhaltsgleiche Übertragung und unveränderte Abgrenzung zum Status der Zeit- und Berufssoldaten begründen sich aus den Besonderheiten des Freiwilligen Wehrdienstes im Rahmen der Freiwilligendienste und des Engagements unserer Bürger, welches wir damit unverändert besonders honorieren und anerkennen wollen. Des Weiteren bringt die Überführung auf eine andere Rechtsgrundlage keine zusätzlichen Belastungen für die Truppe oder die Soldaten mit sich. Die Herausforderung für die Bundeswehr, sich aktiv um Freiwillige zu bemühen und so attraktiv und überzeugend zu sein, damit diese auch bleiben, ist ebenfalls unverändert. Daher müssen die Abbrecherquote und die Gründe dafür sorgsam überwacht und hinterfragt werden, um die angestrebte Zahl an FWDLern in den Reihen der Bundeswehr auch zukünftig zu erreichen. Allerdings ist dies beim Übergang von einer Wehrpflicht- zu einer Freiwilligenarmee nicht ungewöhnlich und braucht einfach auch etwas Zeit. Hier rate ich daher allen Kritikern zu ein wenig mehr Geduld. Insgesamt sehe ich die Bundeswehr dort auf dem richtigen Weg, und dieser Gesetzentwurf ist ein weiterer logischer Baustein und Schritt im Übergang der alten Wehrpflicht- in die moderne Freiwilligenarmee. Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Eigentlich müsste man zum vorliegenden Gesetzentwurf kein weiteres Wort verlieren. Damit wird nur das umgesetzt, was im Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 angekündigt worden ist. Der 2011 eingerichtete Freiwillige Wehrdienst wird jetzt auch im Soldatengesetz verankert. Das dient der Schaffung einer einheitlichen Rechtsgrundlage für den Dienst in den Streitkräften. – So weit, so nachvollziehbar. Aber der Gesetzentwurf bestätigt unsere grundlegenden Einwände. Es bleibt dabei: Die Einführung des Freiwilligen Wehrdienstes als dritte Dienstform ist missglückt und wird von uns abgelehnt. Die Bundesregierung muss mühsam mit Begrifflichkeiten jonglieren, um den Freiwilligen Wehrdienst vom Wehrdienst der Berufs- und Zeitsoldaten abzugrenzen. Diese leisten – so ist die Lesart – „Freiwilligen Wehrdienst aufgrund einer Berufswahlentscheidung“, die FWDler leisten „Freiwilligen Wehrdienst als besonderes staatsbürgerliches Engagement“. Und in der Praxis sind die Unterschiede zwischen Soldaten und Soldatinnen auf Zeit und den Freiwillig Wehrdienstleistenden ohnehin nur mit der Lupe zu entdecken; das geht auch aus den Antworten der Bundes-regierung auf meine Kleine Anfrage hervor. Beide erhalten fast die gleiche Ausbildung, bei den Kostenansätzen des Ministeriums liegen die SaZler lediglich mit etwas mehr als 100 Euro höher pro Jahr. Der einzige nennenswerte Unterschied ist die flexible Festlegung der Dienstdauer, wobei auch die SaZler in den ersten sechs Monaten den Dienst quittieren dürfen. Man sollte wirklich nicht so tun, als ob der Freiwillige Wehrdienst in irgendeiner Form mit den sonstigen Formen des staatsbürgerlichen Engagements und der Gemeinnützigkeit zu tun habe. Er ist kein Ehrenamt, sondern ein teurer Schnupperkurs beim Militär. Das macht schon die im Vergleich zu den wirklichen Freiwilligendiensten atypisch hohe Bezahlung deutlich. Diese Ungleichbehandlung ist eigentlich nicht zu rechtfertigen. Allerdings liegt der Grund dafür auch auf der Hand: Wer die Streitkräfte weit jenseits des Verteidigungsauftrags einsetzt und für globale Militärinterventionen benutzt, der hat es in der Tat nicht so leicht, junge Menschen zu gewinnen. Der kann sie nicht mit einem Taschengeld abspeisen, sondern muss eben berufsgruppenübliche Tarife zahlen. Das Ministerium sollte hier lieber Klartext reden: Es geht nicht um die Förderung „staatsbürgerlichen Engagements“, sondern um Nachwuchswerbung und die Rechtfertigung eines privilegierten Zugangs zu den Jugendlichen unseres Landes. So wird mit dem neuen § 58 c Soldatengesetz der Bundeswehr zum Beispiel weiterhin das Privileg eingeräumt, von den Meldebehörden automatisch personenbezogene Daten von Minderjährigen übermittelt zu bekommen, um diese dann für ihre Werbung zu nutzen. Das ist nicht im Sinne der Jugendlichen. Zieht man nach anderthalb Jahren Bilanz, müsste der Freiwillige Wehrdienst eigentlich als Fehlgriff bewertet und ad acta gelegt werden: Als Instrument der Nachwuchswerbung ist er untauglich. Bislang bricht ein Drittel der FWDler ab. Auch die Bereitschaft zur Weiterverpflichtung als Soldat oder Soldatin auf Zeit bleibt marginal: Von den insgesamt 8 000 im Juli und Oktober 2011 zum Wehrdienst Herangezogenen haben sich nur 2,5 Prozent als SaZ verpflichtet. Demgegenüber sind die Bewerberzahlen für den Soldatenberuf im üblichen Verfahren weiter gleichbleibend hoch. Selbst aus Perspektive der Bundeswehr liefert der Freiwillige Wehrdienst hier also keinen Mehrwert. Er bleibt ein erheblicher Personalkostenfaktor. Für nur noch maximal 12 500 FWDler werden weiterhin üppige 250 Millionen Euro pro Jahr eingeplant. Und welcher militärische Mehrwert dadurch entsteht, dass man nicht weiß, ob im nächsten Jahr 5 000 oder 12 500 FWDler ihren Dienst antreten oder wie lange diese Dienstleistenden überhaupt dabeibleiben, bleibt zumindest mir ein Rätsel. Eine Rechtsvereinfachung, die ja Ziel des Gesetzentwurfs sein soll, lässt sich im Übrigen auch anders herstellen. Der Verzicht auf den sogenannten Freiwilligen Wehrdienst würde die Notwendigkeit, ein eigenes Dienstrecht zu konstruieren, beseitigen. Der damit verbundene Bürokratieaufwand entfiele ebenso wie die erheblichen Kosten. Und noch wichtiger: Durch einen Verzicht auf den Freiwilligen Wehrdienst wäre auch der selbstgeschaffene Zwang, für diesen Dienst junge Menschen zu rekrutieren und vor allem Minderjährige mit skandalösen Botschaften von Abenteuer, Spaß und Spielen zum Dienst im Militär zu verführen, aufgehoben. Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der Abschied von der Wehrpflicht weiter vollzogen, und das ist richtig, und es wird höchste Zeit dafür. Im März 2011 haben wir im Parlament die Aussetzung der Wehrpflicht beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie haben weit mehr als ein Jahr gebraucht, um diesen Entwurf nun vorzulegen und den Freiwilligen Wehrdienst damit im richtigen Gesetz, im Soldatengesetz, zu verankern. Vielleicht lag das ja auch daran, dass Ihnen der Abschied von der Wehrpflicht so lange so sehr schwer gefallen ist. Über die gesetzlichen Regelungen hinaus müssen wir darüber diskutieren, ob der Freiwillige Wehrdienst heute tatsächlich richtig aufgestellt ist. Die jüngsten Zahlen zeigen: Es entscheiden sich zunächst genug junge Menschen für den Freiwilligen Wehrdienst, aber rund 30 Prozent von ihnen brechen dann innerhalb der ersten sechs Monate ab. Die Bundesregierung versucht grundsätzlich, die Bedeutung dieser Zahlen zu relativieren. Eine Abbrecherquote von 30 Prozent lässt sich aber weder ignorieren noch mit externen Ursachen wie der Zusage für Studienplätze erklären. Letztendlich ist es auch egal, ob 30, 25 oder 27 Prozent aus Gründen, die im Dienst selbst liegen, abbrechen. Fest steht: Es ist eine nicht unerhebliche Zahl junger Menschen, die bei der Bundeswehr Bedingungen vorfindet, die sie zum Abbrechen bewegen. Die Zahl dieser Menschen ist im Verlauf der letzten Monate angestiegen. Die jungen Männer und Frauen haben bestimmte Erwartungen an die Bundeswehr als Arbeitgeberin, und ganz offensichtlich werden zu viele dieser Erwartungen enttäuscht. Davor kann man doch nicht die Augen verschließen, sondern man muss nach den Gründen fragen. Wir Grüne haben bereits bei der Beratung des Wehrrechtsänderungsgesetzes 2011 gesagt: Für den Freiwilligen Wehrdienst brauchen wir auch eine Kultur der Freiwilligkeit bei der Bundeswehr und attraktive Rahmenbedingungen. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, sich mit diesen Fragen ehrlich und intensiv auseinanderzusetzen, und zwar nicht erst, wenn die Probleme so gravierend sind, dass die Abbrecherquote hochschnellt. Unverändert übernimmt der vorliegende Gesetzentwurf leider die Regelungen zur Weitergabe von personenbezogenen Daten Minderjähriger durch die Meldebehörden an das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr. Bei den Beratungen zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 haben wir dies bereits deutlich kritisiert. Diese Datenübermittlung stellt einen nicht unerheblichen Eingriff in die Grundrechte aller Jugendlichen dar. Jeder Eingriff in Grundrechte muss gegenüber seinem Zweck angemessen sein. Der Zweck dieser Datenübermittlung ist die Nachwuchswerbung für die Freiwilligenarmee. Wir halten die Nachwuchswerbung nicht für einen ausreichenden Grund, um diesen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen. Diese Datenübermittlung ist nicht legitim. Der Umbau der Bundeswehr zur Freiwilligenarmee mit der Einführung des Freiwilligen Wehrdienstes ist ein richtiger Schritt, der längst überfällig war. Wir dürfen aber nicht den Fehler begehen, den Umbauprozess heute für abgeschlossen zu erklären. Nicht nur die Zahlen mahnen uns, dass eine weitere Auseinandersetzung mit der Ausgestaltung des Freiwilligen Wehrdienstes und den Rahmenbedingungen des Dienstes bei der Bundeswehr weiter geboten ist. Schließlich muss es uns nicht nur interessieren, wie viele Menschen zur Parlamentsarmee gehen, sondern auch, wer sich aus welchen Gründen für einen Dienst bei der Bundeswehr entscheidet. Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das Aufgabenspektrum der Bundeswehr hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Deutsche Streitkräfte nehmen an friedenschaffenden Auslandseinsätzen teil. Weltweite Einsätze stellen komplexe Anforderungen an die Soldatinnen und Soldaten. Vor diesem Hintergrund hatte die Bundes-regierung am 15. Dezember 2010 beschlossen, die verpflichtende Einberufung zum Grundwehrdienst auszusetzen. Das Wehrpflichtgesetz wurde daher durch das Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 dahin gehend geändert, dass die gesetzliche Verpflichtung zur Ableistung des Grundwehrdienstes ausgesetzt wurde. An die Stelle des Grundwehrdienstes trat ein neuer Freiwilliger Wehrdienst von bis zu 23 Monaten für junge Frauen und -Männer. Dieser neue Freiwillige Wehrdienst stärkt den Austausch zwischen Gesellschaft und den Streitkräften und ermöglicht jungen Männern und Frauen, einen Dienst für die Gemeinschaft zu leisten. Neben Zeit- und Berufssoldaten sind Freiwillige ein wichtiger Grund-pfeiler der Bundeswehr, da auch länger dienender Nachwuchs rekrutiert wird . Mit dem Entwurf des Wehrrechtsänderungsgesetzes 2011 hat die Bundesregierung angekündigt, eine einheitliche Rechtsgrundlage für den Dienst in den Streitkräften im Frieden zu schaffen. Mit dem vorliegenden, heute in erster Lesung zu behandelnden Gesetzentwurf eines 15. Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes soll diese Ankündigung umgesetzt werden. Parallel zu dem am 12. Dezember 2012 durch das Bundeskabinett behandelten Regierungsentwurf hat eine Fraktionsinitiative der Regierungskoalition die Einbringung des Gesetzentwurfs in wortgleicher Übernahme -beschlossen, um ein früheres Inkrafttreten des Gesetzes, voraussichtlich bereits im April dieses Jahres, zu er-möglichen. Hierfür danke ich der CDU/CSU- und FDP-Fraktion. Der Gesetzentwurf sieht vor, die bisher im Wehrpflichtgesetz enthaltenen Regelungen zum Freiwilligen Wehrdienst als besonderes staatsbürgerliches Engagement in das Soldatengesetz zu integrieren. Der Freiwillige Wehrdienst wird abgegrenzt von dem Dienst der Berufssoldatinnen und Berufssoldaten sowie von den längerfristigen Wehrdienst-verhältnissen der Soldatinnen und Soldaten auf Zeit. Er bleibt damit auch erhalten als ein ganz wesentliches Element der Verknüpfung der Bundeswehr mit der Gesellschaft. Wir legen darauf Wert, dass die Bundeswehr als eine Armee in der Gesellschaft auch ohne aktive Wehrpflicht als „legitimes Kind der Demokratie“ im Geiste von Theodor Heuss verstanden wird. Die Schaffung einer einheitlichen Rechtsgrundlage für das Dienstrecht der Soldatinnen und -Soldaten im Frieden durch den vorliegenden Gesetz-entwurf führt zu einer Rechtsvereinfachung, weil dienstrechtliche Vorschriften über den Freiwilligen Wehrdienst mit lnkrafttreten dieses Gesetzes nur noch in einem -Gesetz enthalten sind. Neben den rechtlichen Grundlagen ist vor allem wichtig, dass die Bundeswehr auch künftig eine ausreichende Anzahl von jungen Frauen und Männern für den Freiwilligen Wehrdienst interessieren und auch gewinnen kann. Im letzten Jahr haben über 10 000 junge Frauen und Männer dieses Angebot angenommen und ihren Dienst angetreten. Dies ist doppelt so viel, wie ursprünglich für 2012 als Mindestgrenze festgelegt wurde. Für viele Soldatinnen und Soldaten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeswehr begann und beginnt ihr berufliches Wirken mit dem Kontakt zur Personalgewinnungsorganisation, die in den letzten Monaten grund-legend neu ausgestaltet wurde. Bei der Neuausrichtung der Personalgewinnungsorganisation der Bundeswehr wurde der Auftritt als Arbeitgeber für zivile wie auch militärische Laufbahnen ganz besonders priorisiert. Dieser Ansatz erforderte ein Zusammenführen der beiden bislang unabhängig voneinander agierenden Bereiche der zivilen und militärischen Personalgewinnung bei zeitgleicher Auflösung seither bekannter Strukturen. So wurden zum 30. November letzten Jahres unter anderem bereits alle 52 Kreiswehrersatzämter von ihren Aufgaben entbunden. Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Wehrersatzwesen zu danken für ihre Bereitschaft und Fähigkeit, kreativ den Übergang und die neuen Herausforderungen zu gestalten. Um die Bundeswehr wettbewerbsfähig auf dem -Arbeitsmarkt zu positionieren und das vorhandene Bewerberpotenzial umfassend ausschöpfen zu können, ist die neue Personalgewinnungsorganisation heute in der -Fläche präsent. Eine Beratung über den Arbeitgeber Bundeswehr wird durch einen Verbund von 110 Karriereberatungsbüros der Bundeswehr sichergestellt. Sie bieten wohnortnahe, umfassende Beratung für alle zivilen und militärischen Berufsbilder der Bundeswehr sowie die Begleitung und Betreuung während des gesamten Verfahrens. Neben diesen Karriereberatungsbüros wurden zum 1. Dezember 2012 16 Karrierecenter der Bundeswehr geschaffen. Diese bilden eine zentrale Ansprechstelle unter anderem auch für Politik, Behörden, Wirtschaft, Bundesagentur für Arbeit und Dienststellen der Bundeswehr mit einem umfassenden Beratungs- und Informationsangebot zum Arbeitgeber Bundeswehr. Damit gehen wir mit neuem Namen, aber auch mit neuen Ideen und frischen Farben in die Nachwuchsgewinnung. Wegen der gestiegenen Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt um qualifizierte Kräfte kommt es darauf an, die Bundeswehr im Bewusstsein der Zielgruppe zu halten und Interesse an Tätigkeiten in den Streitkräften oder in der Wehrverwaltung zu wecken. Durch Maßnahmen der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit konnten ein positives Image und ein generelles Interesse an der Bundeswehr erreicht werden, um so attraktive und damit -wettbewerbsfähige Karriereperspektiven bewerben zu können. Wie bereits erwähnt, konnten im letzten Jahr rund 10 000 freiwillig Wehrdienstleistende gewonnen werden. Ein ebenso positives Bild zeigt sich auch bei den rund 15 600 Einstellungs- und Erstverpflichtungsmöglichkeiten als Soldatin oder Soldat auf Zelt. Erste Ergebnisse zeigen zudem, dass auch in den kommenden -Monaten ein vergleichbar gutes Ergebnis durch die -Arbeit der Personalgewinnungsorganisation erreicht werden kann. Die Bundeswehr ist einer der größten Arbeitgeber in Deutschland. Hierbei bietet sie mit ihren unterschiedlichen Laufbahnen und Werdegängen für jede Zielgruppe und für jedes Bildungsniveau Karrierepotenziale. So -etwas ist in dieser Form einmalig in Deutschlands. Die positive wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, zweifelsfrei höchst erfreulich in der Gesamtbetrachtung, stellt die Bundeswehr jedoch vor weitere Herausforderungen. Dies erfordert neben der Notwendigkeit attraktiver Angebote von der Personalgewinnung ein Höchstmaß an Innovationsgeschick wie auch Mobilität, um die jungen Menschen in ihrem unmittelbaren Lebensraum zu erreichen und um sie möglichst authentisch und -modern über die beruflichen Möglichkeiten beim Arbeitgeber Bundeswehr zu informieren und somit – unter der Vielzahl alternativer Angebote – wahrnehmbar zu -bleiben. Die neue Personalgewinnungsorganisation wird hierbei ihren Beitrag zur verbesserten Potenzialausschöpfung leisten. Wir haben eine Organisation gestaltet, die den „einen Arbeitgeber Bundeswehr“ in all seinen Facetten – zivil als auch militärisch – an einem Ort präsentiert. Gerade dies ermöglicht, jeder geeigneten Bewerberin und jedem geeignetem Bewerber ein für beide Seiten bestmögliches Angebot zu unterbreiten. Ein breiterer fachlicher Ansatz – unter anderem durch eine stärkere Einbindung des Berufsförderungsdienstes – wird den Binnenarbeitsmarkt und den Kreislauf der Talente besser berücksichtigen können. In der neu geschaffenen Organisation gelingt es zum ersten Mal, den -gesamten Prozess der Personalgewinnung zusammenzuführen. Das ist wichtig. Damit liegt alles in einer Hand – von Werbung und Beratung über die -Einstellung in die Bundeswehr bis hin zum Dienstzeitende – inklusive des Berufsförderungsdienstes, und zwar – das möchte ich besonders herausstellen – militärisch und zivil gemeinsam. Dies bedeutet unter anderem, dass die Bundeswehr nunmehr einheitlich, als ein -Arbeitgeber auftritt und flexibel alle Angebote kommunizieren kann. Zum anderen ermöglicht diese Organisation eine -Optimierung der Zusammenarbeit mit einer Vielzahl an Multiplikatoren in Politik, Wirtschaft und Medien, wie sie bisher noch nicht stattfinden konnte, sowie – und vielleicht im stattfindenden Kampf um Talente entscheidend – eine erhebliche Verbesserung an Service und Erreichbarkeit für Menschen in der Phase einer beruflichen (Neu-)Orientierung. Aber auch der Binnenarbeitsmarkt war für die Bundeswehr schon immer von großer Bedeutung und wird auch in Zukunft unter den genannten Rahmenbedingungen – und hier vor allem dem anhaltenden Fachkräftemangel – eine wichtige Rolle einnehmen. Um auch künftig genügend Bewerberinnen und -Bewerber für einen zeitlich befristeten Dienst in den Streitkräften gewinnen zu können, muss die Bundeswehr neben anderen attraktiven Wettbewerbsfaktoren auch zukunftsorientierte zivilberufliche Aus- und Weiter-bildungsangebote sowie verlässliche Anschlussperspektiven in die Waagschale werfen können. Und diese Möglichkeiten der Berufsförderung sind ein gutes Pfund, mit dem man wuchern kann. Die neue Personalgewinnungsorganisation ist darauf ausgerichtet, die Regeneration der Stärke von bis zu 185 000 Soldatinnen und Soldaten und 55 000 zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu gewährleisten. Das ist bei zukünftigen Jahrgangsstärken von etwa 650 000 jungen Menschen ein ambitioniertes Ziel, das wir in schärfer werdender Konkurrenz zur übrigen Wirtschaft erreichen wollen. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Eigenständige Jugendpolitik – Selbstbestimmt durch Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Emanzipation – Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben (Tagesordnungspunkt 22 und Zusatztagesordnungspunkt 6) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Vor uns liegt ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der eine eigenständige Jugendpolitik fordert. Ergänzt wird er durch einen Antrag der SPD, der uns in dieser Woche zugegangen ist. Wir freuen uns, dass SPD und Grüne, mehrere Monate nachdem die Koalitionsfraktionen einen sehr ausführlichen Antrag eingebracht haben, nun nachziehen. Es freut uns, dass sich auch die Grünen zumindest in der Überschrift für eine eigenständige Jugendpolitik interessieren. Ich formuliere dies so, weil man – wenn man den Antrag weiter als zur Überschrift liest – nach Elementen der Jugendpolitik richtiggehend suchen muss. Ich hatte in Vorbereitung unseres Antrags gemeinsam mit dem Kollegen Florian Bernschneider von der FDP die Gelegenheit, eine ganze Reihe von Gesprächen über die Bedürfnisse von jungen Menschen in ihrer individuellen Situation zu führen. Als ehemaliger Vorsitzender eines politischen Jugendverbands kenne ich die Diskussionen um Jugendpolitik ganz gut. Im Kern geht es darum, wie es Politik schaffen kann, Jugendliche zu unterstützen, ihren Lebensentwurf entfalten zu können. Ein ganz zentraler Punkt ist dabei aus meiner Sicht die Beteiligung der jungen Menschen an der Gestaltung des für sie relevanten Umfelds. Eine empathische Jugendpolitik stellt sich die Frage: Was wollen Jugendliche in ihrem Alltag, und wie können wir sie dabei unterstützen? Unter diesem Aspekt geht der Antrag der Grünen nicht gerade als „Feuerwerk der Empathie“ in die parlamentarische Geschichte ein. Liest man die Forderungen der Grünen, so fragt man sich, ob die Partei, die sich gerne jugendlich gibt, tatsächlich noch auf der Höhe der Zeit ist. Da steht als oberste Forderung die Senkung des Wahlalters auf 16 – quasi als bahnbrechende politische Forderung. Richtig ist – und das hatte ich ja bereits in der zurückliegenden Debatte zur Jugendpolitik geäußert –, dass die Beteiligung junger Menschen an der Gestaltung des für sie relevanten Umfelds ein wichtiger Faktor ist. Die Beteiligung der Jugendlichen an Entscheidungen, die sie unmittelbar betreffen, sollte hier größer geschrieben werden als bislang. Dies bezieht sich also insbesondere auf die Partizipation vor Ort. Ihr Vorschlag zum Wahlalter der Jugendlichen mag zwar gut ins parteipolitische Kalkül der Grünen passen. Ob dies aber tatsächlich ein Thema ist, das den Jugendlichen unter den -Nägeln brennt, wie der Antrag dies suggeriert – ich wage es zu bezweifeln. Auch die Vorschläge zum Staatsbürgerschaftsrecht hätte ich nicht in einem Antrag zu einer eigenständigen Jugendpolitik erwartet. Generell fehlt dem Antrag eine erkennbare Struktur, die eine eigenständige Jugendpolitik beschreibt. Vielmehr liest sich der Text wie eine Sammlung klassischer Forderungen der Grünen. Deutlich empathischer liest sich da der Antrag der SPD. Aber auch hier finden sich viele Forderungen, die ich nicht zwingend dem Gedanken einer eigenständigen Jugendpolitik zuordnen würde. Ich finde es gut, dass die Kollegen in ihrem Antrag das oft verbreitete negative Bild von Jugendlichen kritisieren, das zur Grundlage von Politik herangezogen wird. Dies wird dem hohen Verantwortungsbewusstsein der Jugend nicht gerecht. Dies sehen wir genauso, und ich hatte ja bereits an einigen Stellen die Gelegenheit, diese Position so zu formulieren. Auch ihre Aussagen von einer zu stark defizitorientierten Jugendpolitik teilen wir. Aus diesem Grund haben die Koalitionsfraktionen ja bereits einen Antrag -gestellt, der sich genau mit dieser Frage beschäftigt. Es muss uns gelingen, sich von diesen Mustern zu lösen und viel stärker als bislang die Lebensrealität der großen Mehrheit der Jugendlichen in den Blick zu nehmen. Lange hat die Politik diese große Gruppe der jungen Menschen, die verantwortungsbewusst und zumeist frei von größeren Konflikten ihren Weg gehen, ein wenig außer Acht gelassen. Sich dieser jungen Menschen anzunehmen und über Unterstützung zu reden, ist richtig. Nach unserem Verständnis ist es speziell Aufgabe der Politik, diesen jungen Menschen zu helfen, selbstbestimmt ihren Weg zu gehen und Verantwortung zu übernehmen, etwas über sich und die Welt zu lernen. Darum haben wir beispielsweise die Jugendfreiwilligendienste als Lerndienste massiv ausgebaut. Es freut mich, dass die Kollegen der SPD dies offenbar ebenfalls so sehen. Auch der von Ihnen beschriebene Querschnittsgedanke findet sich ja bereits in unserem Antrag wieder. Gleiches gilt für die Frage, wie wir die Chancen des Internets für die Jugendlichen erkennen und entsprechend reagieren. Auch hier erkenne ich nichts Neues in Ihrem Antrag, freue mich aber, dass Sie sich dieser Forderung anschließen. Ein besonders wichtiges Anliegen ist mir in diesem Zusammenhang die Medienkompetenz der Jugendlichen. Ein Vorschlag, der mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig ist, ist die Forderung, zukünftig jeder Schülerin und jedem Schüler einen Laptop bereitzustellen, damit junge Menschen gleichberechtigt Erfahrungen mit der multimedialen Welt sammeln und Medienkompetenz in der Schule erlangen können. Mit den Jugendfreiwilligendiensten habe ich bereits einen Aspekt genannt, in dem die Bundesregierung einen wichtigen Beitrag zu einer modernen Jugendpolitik geleistet hat. Es ist eine ganze Reihe von Aspekten zu nennen, die deutlich machen, dass diese Bundesregierung die Interessen der Jugendlichen deutlich in den Blick nimmt. Ich bin froh, dass es der christlich-liberalen Koalition gelungen ist, trotz des Spardrucks durch die Schuldenbremse den Kinder- und Jugendplan als zentrales Förderinstrument der Jugendpolitik weiter auf hohem Niveau aufrechtzuerhalten. Wir haben mit dem Führerschein mit 17 Jahren die Mobilität von Jugendlichen verbessert. Wir haben dafür gesorgt, dass Kinderlärm kein Grund mehr für eine Klage sein kann. Wir haben mit dem Bildungs- und Teilhabepaket für mehr Chancengleichheit unter den Jugendlichen gesorgt, und wir haben mit dem Deutschlandstipendium die Bedingungen für Studenten verbessert, ganz gleich, welchen finanziellen Hintergrund sie haben. Dies sind nur einige Aspekte. Besonders wichtig ist es in diesem Zusammenhang, die niedrige Jugendarbeitslosigkeit zu erwähnen. So gelingt es, jungen Menschen in diesem Land Chancen zu bieten. Junge Heranwachsende haben bei uns eine Vielzahl von Chancen und Möglichkeiten. Dies ist sehr wichtig, und darauf können wir alle stolz sein. Abschließend möchte ich noch auf einen Aspekt hinweisen, der in der Jugendpolitik sehr wichtig ist. Wir müssen weg von dem Denken kommen, der Staat könne Jugendpolitik von oben umfassend regeln. Richtig ist: Erfolgreiche Jugendpolitik muss individuell gestaltet sein. Wer dem Glauben unterliegt, man könne mit standardisierten Strategien und Angeboten die Lebenswirklichkeit von jungen Menschen treffen, wird scheitern. Unterscheiden müssen wir zwischen dem Alter, aber auch zwischen den völlig heterogenen Interessenlagen junger Menschen. Ihre Anträge bilden diesen zentralen Aspekt nur sehr unzureichend ab. Im Vordergrund steht für uns der Aufbau einer eigenständigen Jugendpolitik, die jungen Menschen die Möglichkeiten an die Hand gibt, um ihren Lebensentwurf individuell zu verwirklichen. Insbesondere der Antrag der Grünen bleibt hinter diesem Anspruch zurück. Insofern können beide Anträge unsere Zustimmung nicht finden. Norbert Geis (CDU/CSU): Die Vereinten Nationen definieren Jugendliche als Menschen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren. Innerhalb dieser Kategorie wird nochmals zwischen Teenagern zwischen 13 und 19 Jahren und jungen Erwachsenen zwischen 20 und 24 Jahren unterschieden. Das sind natürlich nur grobe Unterscheidungen. Die Übergänge sind immer fließend und individuell bzw. vom jeweiligen Menschen abhängig. Ab 18 Jahren ist der Jugendliche erwachsen. Ab diesem Zeitpunkt kann er im Geschäftsleben selbstständig handeln. Bis dahin sind Rechtsgeschäfte, die er tätigt, unwirksam, wenn er nicht von seinem gesetzlichen Vertreter dazu ausdrücklich bevollmächtigt worden ist. Eine Ausnahme ist die Befugnis gemäß des Taschengeldparagrafen, § 110 BGB. Im Strafrecht allerdings wird bis zum 21. Lebensjahr Jugendstrafrecht angewandt, wenn im Einzelfall festgestellt wird, dass der Betroffene in seiner Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichzustellen ist. Sowohl das Bürgerliche Gesetzbuch als auch das Strafrecht betrachten den Jugendlichen noch nicht als vollverantwortlich. Das Jugendstrafrecht wird vor allem vom Erziehungsgedanken bestimmt, im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht, in dem der Sühnegedanke dominiert. Die Jugendpolitik, über die wir heute reden, richtet sich wohl vor allem an die sogenannten Teenager im Alter zwischen 13 und 19 Jahren. Die Jugend, in der sich der Mensch vom Kind zum Erwachsenen wandelt, ist ein besonders vielfältiger Lebensabschnitt. Diese Phase der Adoleszenz ist von tiefgreifenden persönlichen Veränderungen geprägt. Der Jugendliche ist noch kein Erwachsener, während der Adoleszenz wächst aber sein späteres Profil heran. Es entstehen in ihm die Sichtweisen und Urteile, die ihn als Erwachsener prägen. Dabei ist es wichtig, zu erkennen, dass Jugendliche weder Kinder noch Erwachsene sind. Wie die Kindheit und das Erwachsensein ist auch die Jugend eine eigenständige Lebensphase. Diese Eigenständigkeit der Jugend hat die Politik zu beachten. Sie darf den Jugendlichen nicht mehr als Kind behandeln. Sie muss aber auch beachten, dass der Jugendliche noch nicht die Reife und Urteilskraft eines Erwachsenen hat, aber auch nicht mehr die Einfalt eines Kindes besitzt. Daher stimme ich dem Grundanliegen der Grünen, eine eigenständige Jugendpolitik zu betreiben, ausdrücklich zu. Es ist richtig, dass dieser besonders vielschichtigen Lebensphase eines Menschen auch in der Politik ein besonderer Stellenwert eingeräumt wird. Auf die heranwachsenden Generationen kommen angesichts des demografischen Wandels große Herausforderungen zu. Zählen wir heute noch 16 Millionen J-ugendliche, wird es 2050 voraussichtlich nur noch 11,5 Millionen Jugendliche in Deutschland geben. Die Anforderungen an die kommenden Generationen werden aufgrund des globalen Wettbewerbs kontinuierlich steigen. Eine eigenständige Jugendpolitik ist daher ein wichtiger Baustein für die Zukunft unseres Landes. Die Grünen springen allerdings mit ihrem Antrag lediglich auf einen Zug auf, den die Bundesregierung bereits im letzten Jahr in Gang gesetzt hat. Denn die Koalition hat schon im September 2012 einen Antrag für eine eigenständige Jugendpolitik verabschiedet. Dieser Antrag geht in vielerlei Hinsicht über die Forderungen der Grünen und auch der SPD hinaus. Die Bundesregierung führt längst Fachgespräche mit den Jugendverbänden, um einerseits gemeinsam mit den Experten aus den Verbänden und Einrichtungen eine eigenständige Jugendpolitik zu entwickeln und andererseits Anknüpfungspunkte an die Jugendstrategie der EU – 2010 bis 2018 – zu finden. Die Forderungen der Grünen und der SPD wirken vor diesem Hintergrund eher opportunistisch und sind teilweise auch schlecht begründet. So fordern die Grünen in ihrem Antrag beispielsweise die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Ich halte diese Absenkung für realitätsfern und falsch. Die Gesellschaft traut Jugendlichen im Alter von 16 Jahren aus gutem Grund noch nicht zu, ihr Leben eigenverantwortlich zu regeln. Wie oben bereits erwähnt, ist man mit 16 noch nicht in vollem Umfang geschäftsfähig, darf nicht selbstständig ein Auto steuern oder Schnaps trinken. Trotz dieser berechtigten Vorbehalte sollen Jugendliche laut den Grünen das aktive und wohl auch das passive Wahlrecht auf Bundesebene erhalten. Das ist ein kaum nachvollziehbarer Wiederspruch. Mit der Absenkung würde man die Volljährigkeit vom Wahlrecht entkoppeln. Andere Altersgrenzen, wie zum Beispiel das Erreichen der Strafmündigkeit nach § 19 StGB im Alter von 14 Jahren oder das Verbot von hartem Alkohol bis zum Alter von 18 Jahren bzw. das Erreichen der Geschäftsfähigkeit, würden durch eine Absenkung des Wahlalters als völlig willkürlich erscheinen. Auch gibt es keine empirischen Beweise dafür, dass Jugendliche unter 18 Jahren ein besonderes politisches Interesse haben. Eine Studie der Universität Hohenheim von 2008 bestätigt vielmehr das Gegenteil. Die minderjährigen Studienteilnehmer wiesen ein deutlich geringeres politisches Interesse und Wissen auf als die volljährigen Studienteilnehmer. Die Minderjährigen waren sich ihrer Wissenslücken auch nicht bewusst und hatten zudem größere Schwierigkeiten, die Aussagen von Politikern zu verstehen und sie inhaltlich voneinander zu unterscheiden. Minderjährige sind besonders empfänglich für populistische oder extremistische Parolen. Das belegt auch die U-18-Jugendwahl in Baden-Württemberg. Im März 2011 erhielt die NPD bei dieser Probewahl von den ausschließlich minderjährigen Wahlteilnehmern viermal so viele Stimmen, als sie später in der echten Landtagswahl erzielen konnte. Anstatt die Teenager also frühzeitig mit politischer Verantwortung zu überfordern, sollte der Schwerpunkt zunächst auf einer guten politischen Bildung im Schulunterricht liegen. Hier sind die Länder gefordert. Mithilfe neuer Instrumente wie den erwähnten U-18-Jugendwahlen können Minderjährige ihr Interesse für Politik entdecken und sich zwanglos mit ihrem Wahlrecht auseinandersetzen. Ich danke daher der Bundesfamilienministerin, dass sie die Finanzierung des Projektes U-18-Wahl gemäß dem Antrag der Koalition für 2013 fest eingeplant hat und die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellt. Diese Bundesregierung fördert schon heute die Mitsprache von Kindern und Jugendlichen auf kommunaler Ebene. Denn vor Ort wirkt Politik viel realer als im fernen Berlin. Im Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland, NAP, wurden daher Qualitätsstandards für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen entwickelt, die auf kommunaler Ebene Stück für Stück umgesetzt werden müssen. Unter dem Titel „Lokale Allianzen für Jugend – Mitdenken, Mitlenken“ werden lokale Akteure, die mit Jugendlichen vor Ort arbeiten, zusammengebracht, um Synergieeffekte zu erzielen. Mit den Förderprogrammen „Jugend Stärken: Aktiv in der Region“ und „Schulverweigerung – 2. Chance“, die dank dieser Bundesregierung und mithilfe des Europäischen Sozialfonds, ESF, fortgesetzt werden können, helfen wir gezielt Jugendlichen, die Schwierigkeiten haben, die Phase des Heranwachsens zu bewältigen. Zweifellos gibt es hier viel zu tun. Diese relativ kleinen Problemgruppen dürfen aber nicht die gesamte Jugendpolitik bestimmen. Die Koalition hat daher in ihrem Antrag gefordert, dass die Jugendpolitik alle Jugendlichen im Blick haben muss und sich nicht nur auf bestimmte Problemgruppen beschränkt. Unsere Forderung ist, für die Jugendlichen gleiche Chancen zu schaffen, ohne dabei bestimmte Lebensentwürfe zu verordnen. Wir wollen unterstützen und befähigen, nicht aber bevormunden. Die Jugendpolitik muss deutlich machen, auf welchen Voraussetzungen unser Staatswesen ruht. Diese Voraussetzungen kommen in den Grundrechten zum Ausdruck. Es ist elementar, dass die Jugend für die Erhaltung dieser Werte, dieser Grundlagen unseres Staatswesens gewonnen wird. Daher unterstütze ich ausdrücklich die Forderung aus unserem Antrag nach einer Stärkung der kulturellen Jugendbildung. Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass diese Bundesregierung so viel Vertrauen in die deutsche Jugend bewiesen hat wie keine Regierung zuvor. Viele haben uns vor der Einführung des Bundesfreiwilligendienstes gewarnt und teilweise Horrorszenarien vom Pflegenotstand an die Wand gemalt. Das Gegenteil ist eingetreten. Unsere Jugend hat ein ausgeprägtes soziales Verantwortungsbewusstsein, dem diese Bundesregierung zu Recht vertraut hat. Der Bundesfreiwilligendienst ist eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte und Beleg für den richtigen jugendpolitischen Ansatz der christlich--liberalen Koalition gemäß den beiden Grundsätzen Fördern und Fordern. Sönke Rix (SPD): Jugendpolitik als eigenständiges Politikfeld ist das Thema der heutigen Debatte. Anträge dazu liegen von meiner Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen vor. Den, wie ich finde, absolut unzureichenden Antrag der Koalitionsfraktionen zu diesem Thema haben wir schon im April des letzten Jahres debattiert. Eine eigenständige Jugendpolitik darf nicht allein drei, vier Bereiche, die Jugendliche irgendwie betreffen könnten, herausgreifen, sondern muss umfassend und konsistent sein. Diesem Anspruch wurden wir mit unserem Antrag, der auf einen noch umfangreicheren Beschluss der SPD zurückgeht, gerecht. Denn Jugendpolitik ist eben nicht nur Medienkompetenz, internationale Jugendarbeit, kulturelle Bildung und Bundesfreiwilligendienst. Jugendpolitische Belange gibt es in allen -Politikfeldern: Gesundheitspolitik ist Jugendpolitik, Verteidigungspolitik ist Jugendpolitik, Haushaltspolitik ist Jugendpolitik, Bildungspolitik ist Jugendpolitik, Verbraucherschutz ist Jugendpolitik, Innenpolitik ist Jugendpolitik usw., usf. Was ich damit deutlich machen will: Jugendpolitik ist eine Querschnittsaufgabe und fiel und fällt gerade deshalb so häufig unter den Tisch. Das ist bei der jetzigen Bundesregierung nicht anders. Außer einer publikumswirksamen Veranstaltung hat das originär zuständige Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nichts zustande gebracht. Wir müssen die Phase der Jugend mehr in den Vordergrund rücken – nicht allein, weil diese immer länger wird, sondern weil die Jugendlichen selbst auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben viel mehr Entscheidungen treffen müssen als früher. Das ist zwar gut so, birgt aber wiederum auch mehr Risiken. Deshalb müssen wir den jungen Menschen gute Rahmenbedingungen bieten, die ihnen womöglich auch zwei oder mehr Chancen einräumen. Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Der Großteil der Jugendlichen braucht keine dritte oder vierte Chance – auch dagegen möchte ich angehen. Das öffentliche Bild von Jugendlichen ist noch zu sehr problembehaftet und defizitorientiert. Dabei haben wir es mit einer engagierten, verantwortungsbewussten und pragmatischen Generation zu tun. Doch natürlich gibt es auch Jugendliche, die eine längere Orientierungszeit benötigen, bevor sie in ein Erwachsenenleben starten, wie sie es sich vorgestellt haben. Wie erwähnt, zeichnet unser Antrag ein umfassendes Bild von Jugendpolitik. Im Rahmen dieser Plenumsdebatte kann ich nicht auf alle Bereiche eingehen. Erlauben Sie mir deshalb, dass ich im Folgenden auf das bürgerschaftliche Engagement von Jugendlichen und ihre Teilhabechancen eingehen werde. Das bürgerschaftliche Engagement ist sehr stark bildungs- und schichtabhängig. Jugendlichen aus benachteiligten Familien stehen oft formelle und informelle Hürden im Weg. Das wollen wir ändern. Kein Jugendlicher darf vom Engagement ausgeschlossen werden. Das Engagement von Jugendlichen soll durch einen freien Nachmittag auch an Ganztagsschulen ermöglicht werden. Deshalb wollen wir einen praktikablen Weg finden, der Jugendlichen sowohl Freiraum als auch eine gute Betreuung gewährt. Freiwilligendienste sind eine besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements. Die wollen wir stärken. Bei dem neu eingeführten Bundesfreiwilligendienst sehen wir erheblichen Nachbesserungsbedarf. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat die Chance vertan, den Wegfall des Zivildienstes für eine Stärkung der Zivilgesellschaft zu nutzen. Im Gegenteil: Die Übertragung von Pflichtdienststrukturen auf einen altersoffenen und durch den Bund verwalteten Freiwilligendienst bedeutet Doppelstruktur und Konkurrenz zu den etablierten Jugendfreiwilligendiensten FSJ und FÖJ. Gute Jugendpolitik sieht anders aus. Wir setzen auf den konsequenten Ausbau der Jugendfreiwilligendienste. Sie haben sich aus der Zivilgesellschaft heraus entwickelt und bewährt und bieten jungen Menschen eine Lern- und Orientierungsphase. Wir wollen diese Dienste weiterentwickeln und ausbauen, sodass jedem Jugendlichen, der einen Freiwilligendienst leisten will, ein Platz angeboten werden kann. Klar ist: Freiwilligendienste dürfen grundsätzlich nicht zum Ersatz für soziale Arbeit, für arbeitsmarktpolitische oder Wiedereingliederungsmaßnahmen werden. Das Prinzip der Freiwilligkeit, Gemeinwohlorientierung und Unentgeltlichkeit muss gewahrt sein. Um für Freiwillige, ihre Eltern, Einsatzstellen und Träger Rechtssicherheit und gute Rahmenbedingungen zu schaffen und um Mindeststandards und Transparenz zu stärken, wollen wir ein neues Freiwilligendienstestatusgesetz vorlegen. Darüber hinaus wollen wir die Anerkennung weiter stärken und für eine höhere Bekanntheit von Freiwilligendiensten in der Gesellschaft sorgen. Eine Ombudsstelle, an die sich Freiwilligendienstleistende wenden können, wenn es Probleme mit der Einsatzstelle, dem Träger oder den rechtlichen Rahmenbedingungen gibt, soll geschaffen werden. Unser Anliegen ist, die Gesellschaft weiter zu demokratisieren. Dabei gilt: Menschen müssen dort beteiligt werden, wo sie von Entscheidungen betroffen sind. Das gilt natürlich auch für Kinder und Jugendliche. Positive Erfahrungen mit der Demokratie zu machen, ist auch die beste Prävention gegen Rechtsextremismus. Deshalb wollen wir die demokratische Mitbestimmung in Kitas, Schulen, Hochschulen und Ausbildungsbetrieben stärken. Für uns ist klar: Auszubildende müssen im Rahmen der Mitbestimmung selbst die Rahmenbedingungen von Bildung und Ausbildung mitbestimmen können. Darüber hinaus wollen wir das Wahlalter bei Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen auf 16 Jahre absenken. Um Jugendliche für Politik zu sensibilisieren, damit sie mündig entscheiden können, muss auch die Demokratieerziehung und Gesellschaftskunde wieder zum selbstverständlichen Bestandteil des Schulunterrichts nicht nur an Gymnasien, sondern an allen Schulen werden. Auch die außerschulische Demokratieerziehung und politische Bildung wollen wir stärken. Jugendverbandsarbeit leistet einen wichtigen Beitrag nicht nur für den einzelnen Jugendlichen, sondern auch für ein gesundes und demokratisches gesellschaftliches Klima. Jugendliche erfahren hier, wie wichtig es ist, sich mit Positionen und Meinungen anderer auseinanderzusetzen. Sie lernen Demokratie und Akzeptanz und erfahren, dass Toleranz nicht Gleichgültigkeit bedeutet. Jugendpolitik ist allumfassend und gerade deswegen nicht einfach. Um zu gewährleisten, dass Jugendpolitik bei jeder gesetzlichen Initiative in den Blick genommen wird, wollen wir einen Staatssekretär bzw. eine Staats-sekretärin explizit für die Vertretung, Vernetzung und Koordinierung aller jugendspezifischen Belange einsetzen. Wir versprechen uns von diesem Vorhaben eine chanceneröffnende, partizipative und in sich schlüssige Jugendpolitik, die ab der nächsten Legislaturperiode auf die Agenda einer hoffentlich neuen Bundesregierung gesetzt wird. Stefan Schwartze (SPD): Der erste Parteikonvent der SPD im Juni 2012 hat ein wichtiges Zeichen gesetzt. Er hat einstimmig den Beschluss „Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben“ gefasst. Der hier vorgelegte Antrag stellt die parlamentarische Umsetzung des SPD-Beschlusses dar. Die SPD-Bundestagsfraktion will die Jugendpolitik wieder sichtbar machen. Jugendpolitik darf nicht länger als Problem- und Krisenbewältigungspolitik verstanden werden. Unsere Gesellschaft muss Jugendliche respektieren und anerkennen, ihnen für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen. Mensch sein bedeutet mehr, als zu funktionieren – Demokratie, Solidarität und Selbstentwicklung sind für uns alle notwendige Werte, die erlernt werden müssen. Das geht jedoch nur mit einer schlüssigen und stimmigen Jugendpolitik, die auf die Bedürfnisse der jungen Menschen abgestimmte Angebote für verschiedene Lebenslagen macht. Notwendig ist, Jugendpolitik als zentrales Politikfeld, als Zukunftspolitik zu begreifen und zu gestalten. Jugendpolitik ist thematisch breit aufgestellt. Entscheidend ist, dass Jugendpolitik sich als Interessenvertretungspolitik für junge Menschen versteht. Deutschland muss eine Gesamtstrategie für ein gutes Auf-wachsen junger Menschen unter Einbeziehung aller relevanten Politikfelder und föderalen Ebenen entwickeln. Der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben ohne Armut ist für uns die Bildung. Von der Kita bis zur Uni muss Bildung kostenlos sein. Bildung darf nicht abhängig vom Geldbeutel der Eltern sein. Wir brauchen längeres gemeinsames Lernen. Dafür wollen wir bis zum Jahr 2020 einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz für alle Schulformen verwirklichen. Für uns Sozialdemokraten ist das Hauptziel einer guten Jugendpolitik, keinen jungen Menschen zurückzulassen. Irren ist menschlich, deshalb muss jeder eine zweite, dritte oder auch vierte Chance erhalten. Wir fordern ein Recht auf Nachholen eines Schulabschlusses und ein Recht auf eine qualifizierte Ausbildung. Nach der Ausbildung oder dem Studium gelingt vielen jungen Menschen der direkte Einstieg in ein Normalarbeitsverhältnis nicht. Oft arbeiten sie in prekärer Beschäftigung. Wichtig ist daher die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro. Die Leiharbeit muss reguliert werden, und die sachgrundlose Befristung muss abgeschafft werden. Viele junge Menschen bekommen nach Ausbildung und Studium oft nur ein Praktikum angeboten. Die „Generation Praktikum“ braucht dringend unsere Unterstützung. Der Missbrauch von Praktika muss wirkungsvoll bekämpft werden. Wir brauchen Mindeststandards für Praktika. Dazu gehören der Anspruch auf einen Vertrag, eine zeitliche Begrenzung auf maximal drei Monate, eine Mindestvergütung und der Anspruch auf ein Zeugnis. Die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt muss ein Ende haben. Oft finden hochqualifizierte junge Menschen keinen Arbeitsplatz, weil sie einen anders klingenden Namen haben. Die Auswertung des Pilotprojektes des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat gezeigt, Migranten und Frauen haben bessere Chancen mit dem anonymen Bewerbungsverfahren. Deshalb wollen wir das Verfahren für dem öffentlichen Dienst und für die Privatwirtschaft einführen. Das sind nur einige von zahlreichen konkreten Maßnahmen, die wir hier mit unserem Antrag fordern. Gleichzeitig mit dem Antrag der SPD beraten wir heute ebenfalls einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zur eigenständigen Jugendpolitik. Die neun Maßnahmen, die die Grünen hier vorschlagen, begrüßen wir ebenfalls. Die Bundesregierung dagegen hat in den vergangenen drei Jahren viel geredet, aber wenig Konkretes getan. Ich fordere Sie auf. Lassen Sie uns endlich die zahlreichen drängenden Maßnahmen angehen. Die Gutachten und Expertisen liegen vor. Die Umsetzung ist jetzt gefragt. Florian Bernschneider (FDP): Es ist immer gut und schön, wenn wir hier im Hohen Haus über die Jugendpolitik diskutieren können. Nach meinem Dafürhalten tun wir dies viel zu selten angesichts der Bedeutung, die dieses Thema für die Zukunft unseres Landes eigentlich hat. Wenn ich mir dann aber den Antrag der Grünen anschaue, dann – so muss ich sagen – bin ich schon überrascht. Glauben Sie mir, ich würde gerne sagen: -positiv überrascht. Aber leider nutzen Sie einen Antrag wieder einmal nicht für ernsthafte Sacharbeit, sondern für Klamauk. Denn wenn Sie in einem Antrag Unwahrheiten verbreiten, ist das der Debatte über eine eigenständige Jugendpolitik wenig zuträglich. Sie reden in Ihrem Antrag von der Kürzung bei Jugendverbänden. Welche Kürzung meinen Sie konkret? Wo hat diese Regierung den Mittelansatz für die Jugendverbände abgesenkt? Ich kann mich nicht entsinnen, dass dies der Fall gewesen wäre. Sie kommen mit diesem Antrag, aufgrund Ihres Triebes nach unzulässiger Skandalisierung und Wahlkampfgetöse, über gute Ansätze leider nicht hinaus. Das ist schade. So fordern Sie völlig zu Recht, dass es eines guten Zusammenspiels von formaler und nonformaler Bildung bedürfe, um junge Menschen dazu zu befähigen, an politischen Entscheidungsprozessen, zum Beispiel in der Jugendarbeit oder in Jugendverbänden, teilzunehmen. Zugleich kritisieren Sie diese Regierung landauf, landab bei jeder sich bietenden Gelegenheit dafür, dass sie die Engagementmöglichkeiten junger Menschen wie keine andere Regierung in der Geschichte dieser Republik ausgebaut hat und sich im Rahmen der „Allianz für Jugend“ gerade um ein besseres Zusammenspiel von formaler und nonformaler Bildung in der Jugendarbeit intensiv bemüht. Frau Deligöz selbst hat sich in ihrer Rede vom 27. April 2012 zum Antrag der Koalition zur eigenständigen Jugendpolitik über diese Allianz lustig gemacht. Ich zitiere wörtlich: „Irgendwann soll wohl eine ‚Allianz für Jugend‘ initiiert werden. ‚Wenn’s nützt‘, möchte man sagen.“ Ja, den jungen Menschen nützt’s! Nur zu Ihrer Information: Die Fachkongresse für diese Allianz laufen seit über einem Jahr. Die drei zentralen Zielfelder der Allianz sind (I) Schule, außerschulisches Lernen und Bildungsorte, (II) die Übergangs-gestaltung von Schule in den Arbeitsmarkt und (III) Beteiligungschancen und -anlässe im politischen und öffentlichen Raum – Themen, die uns in der Jugendpolitik seit jeher beschäftigen. Und ich würde es wirklich sehr begrüßen, wenn Sie, liebe Grüne, sich wenigstens mal mit den Fakten auseinandersetzen und sich ein bisschen, nur ein bisschen, informieren würden, bevor Sie solche Anträge einbringen. Das trifft übrigens auch gleich auf den ersten Absatz Ihres Antrages zu. Wenn Sie behaupten, dass es immer mehr Jugendliche in Deutschland mit geringen Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe gäbe, dass sich immer mehr Jugendliche vernachlässigt und von der Gesellschaft zurückgelassen fühlen, dann entspricht das schlicht nicht den Tatsachen. Weder untermauern die einschlägigen großen Jugendstudien wie die Shell-Studie entsprechende Aussagen, noch lässt sich diese Behauptung anhand von anderen gesamtwirtschaftlichen Zahlen ableiten. Der Name Ihrer Partei trügt: Sie betreiben Schwarzmalerei. Ihr gesamter Antrag, liebe Kollegen von den Grünen, besteht aus einem einzigen Sammelsurium ohne Überbau – und dabei bieten Sie ziemlich wenig an. Sie wollen wie die SPD das Wahlalter absenken und vor allem, dass der Bund in etlichen Bereichen – sei es beim ÖPNV, der Einrichtung eines Jugend-TV-Kanals oder in der Kinder- und Jugendhilfe – auf die Länder einwirkt. Kurzum: Ihnen ist längst bewusst, dass vieles, was Sie in der Öffentlichkeit in Sachen Jugendpolitik vollmundig ankündigen, gar nicht vom Bund geregelt werden kann. Und noch vor wenigen Monaten haben Sie uns genau dafür kritisiert. Die gleiche Kritik muss ich leider auch beim Antrag der SPD anbringen. Zum einen fordern Sie wie die Grünen viele wünschenswerte Dinge, zum Beispiel im Bildungsbereich, wohl wissend, dass hier vor allem die Länder am Zug sind. Zum anderen stellen Sie wohlklingende Forderungen auf, ohne mit einem Wort zu erwähnen, wie diese konkret umgesetzt oder finanziert werden sollen. Wie genau soll denn der von Ihnen geforderte Jugendpolitik-TÜV aussehen? Welche Indikatoren für eine „gute Jugendpolitik“ wollen Sie denn heranziehen? Aus Ihrem Antrag ergeben sich vor allem viele Fragen, aber keine Antworten. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben sich, wenn es um die Jugendpolitik geht, vor allem darauf beschränkt, die Absenkung des Wahlalters zu fordern und ansonsten alte Anträge Ihrer Fraktion, vorrangig aus dem Bildungsbereich, abzuschreiben. Was Sie hier heute auftragen, ist nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen. Und der Wein schmeckt nicht mal gut. Beide Anträge von SPD und Grünen ergehen sich nach meinem Geschmack viel zu sehr in platter Kritik an dieser Bundesregierung und bieten dabei selbst viel zu wenig eigene Lösungsvorschläge an. Sie kritisieren beide, dass die Jugendarbeitslosigkeit weiterhin zu hoch sei; die SPD fordert, die Schulabbrecherquote von 8 auf 4 Prozent zu halbieren. Alles berechtigte Forderungen! Nur erwähnen Sie mit keinem Wort, dass wir auf diesen Feldern schon eine Menge erreicht haben. Wie sahen denn die Zahlen 2005 unter Rot-Grün aus? Die Jugendarbeitslosigkeit lag bei rekordverdächtigen 15 Prozent. Heute ist sie halb so hoch – und die niedrigste in ganz Europa. Die Schulabbrecherquote war unter Rot-Grün ebenfalls auf einem Allzeithoch, im Jahr 2000 bei knapp 9 Prozent. Wir haben sie auf gut 6,5 Prozent gesenkt – von den allgemeinen Arbeitslosenzahlen mal ganz zu schweigen. Wenn ich diese Zahlen so betrachte, dann stelle ich fest: Junge Menschen in Deutschland hatten zu Ihrer Regierungszeit tatsächlich weniger Chancen auf eine gute Ausbildung und einen sicheren Arbeitsplatz und geringere Aussicht auf gesellschaftliche Teilhabe, Familienleben und eine gesicherte Existenz. Das ist heute – Schwarz-Gelb sei Dank – anders. Aber auf diesen Erfolgen ruhen wir uns nicht aus. Natürlich wollen und können wir noch besser werden. Jedes Kind und jeder Jugendliche im Hartz-IV-Bezug ist für uns eines bzw. einer zu viel. Und jeder Jugendliche ohne eine Ausbildung, obwohl wir Tausende, ja Zehntausende unbesetzte Lehrstellen im letzten Jahr hatten, ist ebenfalls einer zu viel. Gerade wir Liberalen sind mit dem Erreichten nicht zufrieden. Wir wollen weiterkommen, wir wollen nicht nur verwalten. Da unterscheiden wir uns ganz klar von der linken Seite dieses Hauses. Vor diesem Hintergrund kann ich nur konstatieren: Ihre Anträge haben wenig Substanz; zentrale Bereiche wie die neuen Medien oder der Kinder- und Jugendplan des Bundes fehlen beispielsweise beim Antrag der Grünen völlig. Ihre Anträge bieten wenig bis gar nichts Konkretes, Ihre Anträge stellen Behauptungen auf, die bei genauerer Betrachtung nicht haltbar sind, und Ihre Anträge kommen reichlich spät – über drei Jahre nach Beginn der Legislatur eigentlich zu spät. Diana Golze (DIE LINKE): Kaum eine Bevölkerungsgruppe steht mit ihren Bedürfnissen so wenig im Fokus der politischen Debatten wie Jugendliche. Werden sie wahrgenommen, sind die Schlagzeilen meist negativ: desillusioniert, gewalttätig, politikmüde, uninteressiert an der Gestaltung unserer Gesellschaft. Ein solches Bild von einer ganzen Bevölkerungsgruppe lässt nicht verwundern, dass Rufe nach der Verschärfung von Jugendstrafen, nach einer Einführung von Warnschussarresten schnell hochkommen und nicht selten auch begrüßt werden. Die Kehrseite, die vielleicht Ursachen für viele der Negativbilder in sich birgt, findet aber in der Öffentlichkeit kaum Gehör, etwa wenn ein Programm zur Begleitung von Schulverweigerern beendet werden soll, ohne dass ein neues Angebot für diese Jugendlichen geschaffen wird, oder wenn es immer zuerst Angebote für -Jugendliche sind, die dem Rotstift zum Opfer fallen, wenn sich die Kassen der Kommunen leeren. Es gibt kaum eine andere Bevölkerungsgruppe, über die es so wenige Erhebungen zu ihrer sozialen Situation gibt, kaum eine, deren Bedürfnisse und Anforderungen an die Gesellschaft von der Politik so wenig wahrgenommen werden. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an die schwarz-gelbe Bundesregierung, als sie im Koalitionsvertrag die Entwicklung einer eigenständigen -Jugendpolitik versprach. Zweifel kamen auf durch das lange Warten auf eine Initiative, die dieses Versprechen einlöst. Enttäuscht wurden sie durch eine Ansammlung von Prüfaufträgen im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres, die wie ein Handlungsauftrag an die folgende Regierung wirkte, nicht aber wie das, was Jugendliche brauchen: Politikkonzepte, die Antworten auf ihre Fragen und Lösungen für ihre Probleme liefern. Nun sind es wieder Oppositionsfraktionen, die versuchen, der Untätigkeit der Regierung etwas Fundiertes entgegenzusetzen. Es wird die Kolleginnen und Kollegen der SPD- und Grünen-Fraktion nicht verwundern, dass mir einige wichtige Bestandteile fehlen. Die Forderung, endlich von der repressiven Sanktionspolitik insbesondere gegenüber jugendlichen Erwerbslosen abzukommen, begrüße ich sehr. Doch warum bleiben Sie bei der diskriminierenden Schlechterstellung der unter 25-Jährigen bei der Höhe des ALG-II-Regelsatzes? Auch die Praxis, dass diesen Erwerbslosen noch immer die Möglichkeit auf eine eigene Wohnung verwehrt wird, kann nicht im Sinne einer eigenständigen Jugendpolitik sein, die Jugendlichen hilft, selbstständig zu werden. Im Grünen-Antrag fehlen Armutsbekämpfung und die -damit verbundenen Auswirkungen auf die Entwicklung von Jugendlichen leider ganz in den aufgestellten Forderungen. Wir wissen doch aus den wenigen Studien, die es gibt, in welchem Umfang sich Armut auf Bildungskarrieren und die Entwicklung eigener Zukunftsperspektiven auswirkt. Mir fehlt ein klares und deutliches Bekenntnis dazu, dass es nicht der soziale Status der Eltern sein darf, der über Bildungschancen entscheidet. Rechtsansprüche auf Ganztagsschulplätze sind ein guter und richtiger Bestandteil von Bildungsgerechtigkeit. Wie aber will man Bildungsgerechtigkeit schaffen, wenn alle ausgrenzenden Momente der teilhabeverhindernden ALG-II-Regelsätze nicht benannt oder gar aufgehoben werden? Wenn es um ein Konzept für eine eigenständige -Jugendpolitik geht, ist es wichtig, die Arbeit von Jugendverbänden hervorzuheben. Denn das sind die Orte, wo Partizipation beginnt. Beiden Anträgen aber fehlen Ansätze, die Jugendliche bei der Gestaltung einer eigenständigen Jugendpolitik auch auf der Bundesebene einbinden und die sie nicht nur über ihre Rechte besser informieren. Es muss aus meiner Sicht doch darum gehen, dass sie ihre Rechte nicht nur kennen, sondern auch wahrnehmen können. Dies alles sind Fragen und Punkte, die es zu diskutieren gilt. Dennoch bin ich dankbar dafür, dass es eine Grundlage für eine fachliche Diskussion gibt, und ich freue mich auf diese Debatten. Ulrich Schneider (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jugendliche sind unsere Zukunft. Das sagen wir alle, und das sagen wir oft. Aber wenn wir diese Bundesregierung an diesem wichtigen Satz messen, dann wird deutlich, dass er viel zu oft für Sonntagsreden herhalten muss und dass er viel zu wenig ernst genommen wird. Wir Grüne wollen die jungen Menschen in unserer Gesellschaft ernst nehmen. Und wir wollen ihnen zu ihren Rechten verhelfen. Und deshalb bringen wir heute diesen Antrag für eine echte eigenständige Jugendpolitik ein. Denn auch wenn es um die eigenständige Jugendpolitik geht, wird gebetsmühlenartig wiederholt, dass die Jugend unsere Zukunft ist, dass die Jugend wichtig ist und dass die Jugend ernst genommen werden muss. Aber was hat das Familienministerium konkret getan? Nichts. Wir müssen endlich beginnen, Jugendliche ernst zu nehmen. Wir müssen ihnen Freiräume geben. Wir müssen sie an Entscheidungen beteiligen. Und dafür müssen wir endlich das Wahlalter auch bei Bundestags- und Europawahlen auf 16 Jahre absenken. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie rühmen sich ja gerne damit, dass sie den Führerschein mit 17 eingeführt haben. Das war Ihre größte jugendpolitische Tat in den letzten Jahren. Aber da frage ich Sie, warum Jugendliche mit 17 Jahren in der Lage sind, Auto zu fahren, aber nicht in der Lage sein sollen, an einer politischen Wahl teilzunehmen? Wenn Sie die Absenkung des Wahlalters als Feigenblattpolitik abtun, dann würde ich mir wünschen, dass Sie sich wenigstens mit diesem Feigenblatt schmückten. Im Gegensatz zu Ihnen beschränken wir uns in unserem Antrag nicht auf blumige Worte. Wir haben konkrete Forderungen formuliert, die unsere Idee einer eigenständigen Jugendpolitik wiederspiegeln: Demokratie, Freiheit, Emanzipation und Gerechtigkeit. Wir fordern mehr Demokratie für junge Menschen durch die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Wir fordern mehr Emanzipation durch eine Steigerung der Mittel für politische Bildung und durch eine bessere Förderung der Jugendverbandsarbeit. Weiter fordern wir mehr Gerechtigkeit auch durch die Abschaffung des Optionszwangs für migrantische Jugendliche. Und schließlich fordern wir mehr Freiheit, indem der öffentliche Nahverkehr flächendeckend jugendgerecht ausgebaut wird. Denn ein Führerschein mit 17 – so sinnvoll er sein mag – entspricht einfach nicht der Lebensrealität vieler junger Menschen, die sich keinen Führerschein leisten können, geschweige denn ein Auto. Wir fordern die Regierung auf, die Partizipation von Jugendlichen und damit endlich eine eigenständige Jugendpolitik zu ermöglichen. Lassen Sie die jungen Menschen nicht bis zum Herbst warten. Anlage 14 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 904. Sitzung am 14. Dezember 2012 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2013 (Haushaltsgesetz 2013) Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschließung gefasst: Zur Festlegung der Höhe der vom Bund zu leistenden Kompensation für die im Rahmen der Föderalismusreform vorgenommene deutliche Reduzierung von Mischfinanzierungen für die Zeit ab 2014 ist eine rasche Lösung unerlässlich. Die Länder und die mit betroffenen Kommunen benötigen dringend Planungssicherheit. Die Kompensationsleistungen sind im Lichte weiterhin bestehender und teilweise gestiegener Anforderungen sowie der Kostenentwicklung anzupassen. Der Bundesrat fordert den Bund auf, den berechtigten Interessen der Länder nachzukommen und schnellstmöglich eine Einigung mit ihnen zu suchen. – Haushaltsbegleitgesetz 2013 (HBeglG 2013) – Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) – Gesetz über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2012 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2012) – Drittes Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarkts (Drittes Finanzmarktstabilisierungsgesetz – 3. FMStG) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst. a) Der Bundesrat begrüßt die Zielsetzung des Gesetzes, den Bankensektor und damit die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems weiterhin zu stabilisieren. b) Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die nunmehr geplante Finanzierung möglicher Verluste des Stabilisierungsfonds durch die Kreditwirtschaft. Der Bundesrat weist allerdings darauf hin, dass die hierfür vorgesehene Bankenabgabe sowie die Möglichkeit zur Erhebung einer Sonderabgabe eine erneute Haftung auch der Länder für weitere Bankenstützungsmaßnahmen nicht gänzlich ausschließen können. Zudem ist die Haftung der Banken nicht vorgesehen für Fälle, in denen der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung eine Rekapitalisierungsmaßnahme oder Risikoübernahme gewährt, also Anteile am Kreditinstitut oder Wertpapiere erwirbt. Eine weitere Belastung durch neue Garantien und Rekapitalisierungen ist den Ländern angesichts der Spar- und Konsolidierungszwänge in den öffentlichen Haushalten, die sich insbesondere aus der Befolgung der Schuldenbremsen ergeben, nicht zuzumuten. c) Der Bundesrat weist erneut darauf hin, dass der Bund durch die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung die alleinige Verwaltungs- und Entscheidungskompetenz über Stabilisierungsmaßnahmen hat. Den Ländern steht – abgesehen von dem von ihnen benannten Mitglied des Lenkungsausschusses – kein signifikanter Einfluss zu. Auch aus diesem Grund muss sichergestellt sein, dass für die Risiken aus möglichen neuen Rettungsmaßnahmen ausschließlich der Bund einstehen wird. – Gesetz zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes (GwGErgG) Der Bundesrat hat ferner die nachstehenden Entschließungen gefasst: 1. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen der nächsten Änderung des Geldwäschegesetzes (GwG) die Zuständigkeit der Länder für die Aufsichtsbehörden im Nichtfinanzsektor für Verpflichtete nach § 2 Absatz 1 Nummer 3, 5, 9, 10 und 13 GwG aus Gründen eines bundeseinheitlichen Vollzugs und einer effektiven Aufsichtswahrnehmung in eine zentrale Aufgabenwahrnehmung durch den Bund zu überführen. Begründung: Der Prüfbitte des Bundesrates in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf (BR-Drucksache 459/12 (Beschluss)) ist die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung vom 26. September 2012 umgehend nachgekommen. Der Bundesrat bedauert die Ablehnung, ist aber auch der Auffassung, dass die Begründung der Bundesregierung hinsichtlich der Aspekte Effizienz und Zweckmäßigkeit nicht zielführend ist. In Anerkennung der Bedeutung des vorliegenden Gesetzentwurfes für Verbesserungen der Geldwäscheprävention im Glücksspielmarkt beabsichtigt der Bundesrat zur Vermeidung von Verzögerungen keine Anrufung des Vermittlungsausschusses. Unverändert hält der Bundesrat im Bereich der Geldwäscheaufsicht jedoch eine zentrale Aufgabenwahrnehmung durch den Bund sowohl aus Gründen der Effizienz als auch aus fachlichen Gründen für angezeigt. Der Vollzug des Geldwäschegesetzes erfordert angesichts europäischer und internationaler Vorgaben eine möglichst einheitliche und effektive Vorgehensweise. Da die Länder die zuständigen Aufsichtsbehörden zu bestimmen hatten, wurden die Zuständigkeiten unterschiedlich geregelt und teils auf ministerieller Ebene, teils bei Mittelinstanzen und teils bei örtlichen Ordnungsbehörden verortet. Nicht nur die Aufsicht über heutzutage oft länderübergreifend agierende Verpflichtete macht einen erheblichen Abstimmungs- und Koordinierungsaufwand erforderlich. Die vom Bund deshalb folgerichtig nachdrücklich eingeforderten regelmäßigen bundesweiten Abstimmungen aller Länder, die einen einheitlichen Vollzug gewährleisten sollen, bedeuten bürokratischen Mehraufwand, der wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen ist. Auch führt die föderale Zuständigkeitsverteilung zu einer unnötigen Vervielfachung des geldwäschespezifisch zu etablierenden Fachwissens und der vorzuhaltenden Personalressourcen in allen Ländern. Dagegen verfügt der Bund mit Zoll und BaFin über bereits -etablierte und länderübergreifend tätige Aufsichtsinfrastruktur. Die Bundesrepublik Deutschland muss umfassende Rechtssicherheit als elementaren Standortvorteil im globalen Wettbewerb gewähren. Aus fachlicher Sicht bietet die derzeitige Rechtslage keine klare branchenbezogene Zuständigkeitsverteilung. Vielmehr bestehen Zuständigkeitsüberschneidungen, Abgrenzungsprobleme und faktische Doppelbeaufsichtigungen. Als Beispiele für die derzeit kaum nachvollziehbare Zuständigkeitsverteilung sind die Finanzunternehmen und Versicherungsvermittler anzuführen: Während der größte Teil der Finanzbranche zentral von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beaufsichtigt wird, sind „Finanzunternehmen“ nach § 1 Absatz 3 des Kreditwesengesetzes von den Ländern zu beaufsichtigen. Die Unterscheidung zwischen Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen mag für die Zwecke des Kreditwesengesetzes sinnvoll sein. Im Hinblick auf die Geldwäscheaufsicht führt sie dagegen zu Abgrenzungsproblemen und teils kaum vermittelbaren Ergebnissen. So überwacht die BaFin zentral die Einhaltung der Geldwäschevorschriften in Leasingunternehmen. Für die zu den einzelnen Leasingunternehmen gehörenden Leasingobjektgesellschaften sind jedoch wiederum die Länder zuständig. Versicherungsunternehmen unterstehen auch der Geldwäscheaufsicht der BaFin, ungebundene Versicherungsvermittler wiederum der Geldwäscheaufsicht der Länder. Diese Aufteilung berücksichtigt nicht, dass alle Versicherungsvermittler – auch diejenigen, die als freie Versicherungsmakler tätig sind – eng an die Versicherungsunternehmen gebunden sind. Sie erhalten konkrete Vorgaben im Hinblick auf die Umsetzung des Geldwäschegesetzes. Versicherungsvermittler werden faktisch „doppelt“ beaufsichtigt, nämlich zum einen mittelbar durch die BaFin über die Versicherungsunternehmen und zum anderen unmittelbar durch die Länder. Für die betroffenen Wirtschaftsakteure sind die vom GwG vorgenommenen Unterscheidungen kaum nachvollziehbar und deshalb auch nicht geeignet, die Akzeptanz der Geldwäscheprävention im Nichtfinanzsektor zu fördern. Um die erforderliche Einheitlichkeit, Effektivität und Effizienz der Geldwäscheaufsicht über die Verpflichteten nach § 2 Absatz 1 Nummer 3, 5, 9, 10 und 13 GwG sicherzustellen und Vollzugsdefizite gar nicht erst entstehen zu lassen, drängt sich deshalb in letzter Konsequenz geradezu auf, dass der Bund auch die Geldwäscheaufsicht im Nichtfinanzsektor für diese Gruppen wieder übernimmt. 2. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die vorgesehene Zuständigkeit der Länder für die geldwäscherechtliche Aufsichtstätigkeit im Bereich des Online-Glücksspiels aus Gründen eines bundeseinheitlichen Vollzugs und einer effektiven Aufsichtswahrnehmung in eine zentrale Aufgabenwahrnehmung durch den Bund zu überführen. Begründung: Eine zentrale Aufgabenwahrnehmung der geldwäscherechtlichen Aufsichtstätigkeit im Bereich des Online-Glücksspiels ist die einzig wirklich sinnvolle Möglichkeit einer einheitlichen, konsequenten, kontinuierlichen und effektiven Aufsicht. Anders als im Bereich des Nichtfinanzsektors handelt es sich beim Online – Glücksspiel um Anbieter, die global agieren und deren Sitz sich nicht zwangsläufig in Deutschland befindet. Dies macht eine Wahrnehmung der Aufsichtstätigkeit vor Ort nicht mehr zwingend notwendig, sondern erfordert vielmehr eine einheitliche, kontinuierliche und konsequente Wahrnehmung dieser Aufgabe durch eine bundeseinheitliche Stelle, die insbesondere auch mit den Verpflichteten im Finanzsektor korrespondierend zusammen arbeiten. Anbieter als auch Nutzer von Online- Glücksspielen bringen völlig neue Voraussetzungen mit. Ein globales Angebot, das zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung steht, wird durch eine Geschäftsbeziehung begründet, die eine physische Anwesenheit der Vertragspartner nicht vorsieht. Sowohl das Geschäft selber als auch die Zahlungsabwicklung erfolgen ausschließlich über das Medium Internet. Auch wenn die vorgesehenen Vorschriften zur Identifizierung und Authentifizierung geeignet sind, die Anonymität des Nutzers von Online-Glücksspielen einzuschränken, sieht die Richtlinie 2005/60/EG jeden Fall, in dem der Kunde zur Feststellung der Identität nicht physisch präsent ist, als Fallkonstellation mit hohem Geldwäscherisiko an. Dies ist im Internetbereich der Fall. Schätzungen der OECD nach werden in Deutschland bis zu 57 Milliarden Euro kriminelle Gelder gewaschen. Durch die Begründung anonymisierter Geschäftsbeziehung im Internet kommt es insoweit zu Erleichterungen. Nachlässigkeit in Belangen der Geldwäscheprävention und Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung bedeuten unter anderem eine Verletzung von international eingegangenen Verpflichtungen und sind daher kaum zu rechtfertigen. Um die erforderliche Einheitlichkeit und Effektivität der Geldwäscheaufsicht im Bereich des Online-Glücksspiels sicherzustellen, ist eine Aufgabenübertragung auf den Bund vorzunehmen. Dies würde zudem den Stellenwert, den Deutschland dieser Aufgabe einräumt, positiv dokumentieren. – Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen – Gesetz zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 – Gesetz zur Änderung des AZR-Gesetzes – Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des Internationalen Privatrechts – … Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung gefasst: Der Bundesrat nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, dass der Deutsche Bundestag mit dem vorliegenden Gesetzesbeschluss der Forderung der Länder nach einer vollständigen Entfristung von § 52a des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) nicht gefolgt ist. Der Bundesrat hat am 12. Oktober 2012 mit den Stimmen aller Länder in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes gefordert, § 137k UrhG aufzuheben – vergleiche Ziffer 4 der BR-Drucksache 514/12 (Beschluss) – und damit dem § 52a UrhG dauerhaft Geltung zu verschaffen. Der Deutsche Bundestag hat stattdessen die bis zum 31. Dezember 2012 befristete Geltungsdauer des § 52a UrhG um weitere zwei Jahre verlängert. Der Bundesrat weist erneut darauf hin, dass die Entfristung des § 52a UrhG für den Bildungs- und -Wissenschaftsbereich grundsätzlich von großer -Bedeutung ist. Schulen und Hochschulen brauchen dauerhafte Sicherheit im digitalen Umgang mit urheberrechtlich geschützten Materialien. Die erneute Verlängerung der Befristung um zwei Jahre ist der weniger geeignete Weg, diese Sicherheit herzustellen, zumal keine Perspektive erkennbar ist, durch welche Norm § 52a UrhG nach Auslaufen ersetzt werden soll. Die nun vierte Befristung von § 52a UrhG ist einer Rechtssicherheit im Umgang mit urheberrechtlich geschützten Materialen im gesamten Bildungsbereich nicht zuträglich. Der Bundesrat bedauert, dass dieses Gesetz in Kenntnis der terminlichen Situation im Deutschen Bundestag so spät eingebracht wurde, dass eine rechtzeitige verfassungsgemäße Beteiligung des Bundesrates nur noch mit seiner Zustimmung zur Fristverkürzung möglich war und faktisch auf den Beschluss, einen Antrag nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen, reduziert wurde. Eine Bundesratsbeteiligung, die auch ein anderes Ergebnis ermöglicht hätte, war wegen der zwingenden ununterbrochenen Weitergeltung des § 52a UrhG in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit ausgeschlossen. Der Bundesrat betont mit Nachdruck die Notwendigkeit, im Interesse der Schulen und Hochschulen nun endlich – am 31. Dezember 2014 sind mehr als elf Jahre nach Einführung des § 52a UrhG vergangen – Rechtssicherheit im digitalen Umgang mit urheberrechtlich geschützten Materialien zu schaffen. Der Bundesrat geht davon aus, dass die Bundesregierung unverzüglich und in enger Abstimmung mit den Ländern die Arbeiten an einer breiter und allgemeiner gefassten Bildungs- und Wissenschaftsschranke aufnimmt, wie sie einvernehmlich von der Kultusministerkonferenz und der Wissenschaftsallianz gefordert wird. – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben (Kleinstkapitalgsellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz – MicroBilG) – Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes – Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Indus-trieemissionen Der Bundesrat hat ferner beschlossen, die folgende Entschließung zu fassen: Zu Artikel 2 Nummer 3 Buchstabe c (§ 57 Absatz 2, 4 und 5 WHG): Die in § 57 Absatz 4 und 5 des Wasserhaushaltsgesetzes geregelte Fiktionswirkung der in der Rechtsverordnung festgelegten Emissionsgrenzwerte soll auf die Fälle beschränkt werden, in denen die unmittelbare Geltung dieser Werte durch die Rechtsverordnung gemäß § 57 Absatz 2 i.V.m. § 23 Absatz 1 Nummer 3 des Wasserhaushaltsgesetzes vorgesehen wurde. Weiterhin wird die Bundesregierung gebeten, einen Vorschlag zur Ergänzung der Verordnungsermächtigung des § 57 Absatz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes und der Regelung der Fiktionswirkung von Emis-sionsgrenzwerten in § 57 Absatz 4 und 5 des Wasserhaushaltsgesetzes zu erarbeiten und in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. – Gesetz zur Änderung des Flaggenrechtsgesetzes und der Schiffsregisterordnung – Drittes Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschließung gefasst: 1. Der Bundesrat bekennt sich zu seiner Verantwortung für das Gelingen der Energiewende. Der zügige Ausbau von Offshorekapazitäten ist im -gesamtstaatlichen Interesse. Ebenso wie die Bereitstellung von Kraftwerksreserven, soweit diese notwendig sind, um fehlende Erzeugungskapazitäten und Netzschwankungen auszugleichen und so die Sicherheit der Energieversorgung zu gewährleisten. 2. Die Schwierigkeiten beim Netzanschluss und der mit der Novelle des EnWG vorgesehene erforderliche Systemwechsel können zu zeitlichen Verzögerungen bei der Errichtung der unter den heutigen Prämissen projektierten Windparks führen mit der Folge, dass das so genannte Stauchungsmodell im EEG nicht in vollem Umfang zur Anwendung gelangt. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, das Stauchungsmodell in der angekündigten Novelle des EEG in der Weise zu optimieren, dass die bislang projektierten Windparks trotz der entstandenen zeitlichen Verzögerungen noch von dieser Förderung profitieren können. 3. Der Bundesrat sieht die im Gesetzgebungsverfahren erwirkten Entlastungen für Betreiber von Speicheranlagen als Schritt in die richtige Richtung. Durch die Absenkung der Kriterien können mehr Speicherbetreiber, insbesondere Pumpspeicherwerke, von Netzentgelten entlastet werden. Damit haben sich die Rahmenbedingungen für Energiespeicher gegenüber der alten Regelung verbessert. Der Bundesrat hält die „praxisnähere Ausgestaltung für eine Netzentgeltbefreiung“, insbesondere für die derzeit 30 Pumpspeicherwerke, jedoch für nicht weitgehend genug. Es besteht die Gefahr, dass sich die Wirtschaftlichkeit bestehender Anlagen nur unzureichend verändert. Anreize zur Modernisierung sowie zum Bau neuer Anlagen sieht der Bundesrat nicht im erforderlichen Maße. Der Bundesrat hält es daher für fraglich, ob Speicherbetreiber auf dieser Grundlage ihren Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende leisten können. Dessen ungeachtet bittet der Bundesrat die Bundesregierung zu prüfen, ob die Netzentgeltpflicht von Speicherbetreibern nicht grundsätzlich anders bewertet werden müsste. Aus Sicht des Bundesrates sind Anlagen zur Speicherung von Strom energiewirtschaftlich und physikalisch betrachtet keine „Letztverbraucher“. Sie verbrauchen den Strom nicht endgültig, sondern entnehmen Strom aus dem Netz, um ihn später wieder einzuspeisen. Entscheidend ist die stabilisierende Wirkung vor allem von Pumpspeicherwerken für das Stromsystem insgesamt, die im gegenwärtigen gesetzlichen Rahmen nicht hinreichend berücksichtigt ist. Letztverbraucher sind die Speicheranlagen allenfalls für die Differenz aus entnommenem und wieder eingespeistem Strom, für den sich dann eine Netzentgeltpflicht ergeben würde. Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, eine weitere Überarbeitung der Netzentgeltpflicht für Pumpspeicheranlagen bis zum Frühjahr 2013 vorzulegen. Die Erhebung individueller Netzentgelte für Pumpspeicheranlagen sollte dabei auf die Differenzmenge zwischen bezogenem und geliefertem Strom begrenzt werden. 4. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei der nächsten Änderung des EnWG für die Erstellung des Offshore-Netzplans das Einvernehmen mit den Küstenländern zu regeln. Des Weiteren wird die Bundesregierung gebeten, bei der nächsten Änderung des NABEG die bisherige Zuständigkeit der Länder für die Anbindungsleitungen im Küstenmeer wieder herzustellen. Begründung zu Ziffer 4: Die verbindlichen Festlegungen im Bundesfachplan Offshore berühren ganz maßgeblich die Belange und Regelungskompetenzen der jeweiligen Küstenländer. Die Festlegung der Orte, an denen die Anbindungsleitungen die Grenze zwischen der ausschließlichen Wirtschaftszone und der 12-Seemeilen-Zone überschreiten, trifft eine Vorentscheidung für die Weiterführung über diese Orte hinaus durch die 12-Seemeilen-Zone. Die verbindliche Vorgabe von Übergangspunkten im Bundesfachplan Offshore darf nur erfolgen, wenn festgestellt ist, dass die Weiterführung der Anbindungsleitungen aus der ausschließlichen Wirtschaftszone über die festgelegten Punkte hinaus in der 12-Seemeilen-Zone zulässig und möglich ist. Die 12-Seemeilen-Zone gehört zum Hoheitsgebiet der Küstenländer. Sie ist gemeindefrei und unterliegt allein der Planungshoheit der jeweiligen Küstenländer. Die Feststellung der Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung in der 12-See-meilen-Zone und sonstigen Belangen, insbesondere denen des -Nationalparks Wattenmeer, liegt in der Planungskompetenz der betroffenen Küstenländer, nicht des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie. Insofern reicht die Abstimmung mit den Küstenländern bei der Erstellung des Bundesfachplanes Offshore nicht aus. Vielmehr ist eine Einvernehmensregelung erforderlich. Die Notwendigkeit des Einbezugs der Anbindungsleitungen von Offshore-Windpark-Umspannwerken zu den Netzverknüpfungspunkten an Land in das System des NABEG ist nicht hinreichend begründet und auch nicht begründbar. In dem von hoher Konfliktdichte gekennzeichneten Bereich der 12-Seemeilen-Zone mit den einzigartigen Anforderungen des Wattenmeeres verfügen die betroffenen Küstenländer über einen Erfahrungsschatz aus Planungsprozessen für Trassenkorridore, der über Jahrzehnte entstanden und gewachsen ist. Es ist nicht erkennbar, dass eine in der Zuständigkeit des Bundes durchzuführende Raumordnungsplanung für diesen von hoher Konfliktdichte gekennzeichneten Bereich, für den die Länder bereits vorausschauende Planungsergebnisse für die Nutzung der Windenergie und die Ableitung des auf See erzeugten Stroms erzielt haben, zu schnelleren oder besseren Planungsergebnissen kommt. – Gesetz zu dem Rahmenabkommen vom 10. Mai 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik -Korea andererseits – Gesetz zu dem Fakultativprotokoll vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend ein Mitteilungsverfahren – Gesetz zu dem Luftverkehrsabkommen vom 17. Dezember 2009 zwischen Kanada und der -Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten (Vertragsgesetz EU-Kanada-Luftverkehrsabkommen – EU-KANN-LuftverkAbkG) – Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen von 2004 zur Kontrolle und Behandlung von Ballastwasser und Sedimenten von Schiffen (Ballastwasser-Gesetz) – Gesetz zur Änderung des Übereinkommens vom 8. April 1959 zur Errichtung der Interamerikanischen Entwicklungsbank – Gesetz zur Änderung des Übereinkommens vom 18. Oktober 1969 zur Errichtung der Karibischen Entwicklungsbank – Gesetz zur Änderung des Übereinkommens vom 19. November 1984 zur Errichtung der Interamerikanischen Investitionsgesellschaft – Zweites Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch Weiterhin hat der Bundesrat hat in seiner 904. Sitzung am 14. Dezember 2012 den nachfolgenden Beschluss gefasst: A. Der Bundesrat beschließt, beim Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes i. V. m. § 13 Nummer 2, §§ 43 ff. BVerfGG folgende Entscheidung zu beantragen: 1. Die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ ist verfassungswidrig. 2. Die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ wird aufgelöst. 3. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen. 4. Das Vermögen der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ wird zugunsten der Bundesrepublik Deutschland für gemeinnützige Zwecke eingezogen. B. Der Präsident des Bundesrates beauftragt einen Verfahrensbevollmächtigten mit der Antragstellung, Begründung und Prozessführung. Dem Verfahrensbevollmächtigten ist die „Materialsammlung für ein mögliches Verbotsverfahren -VS-NfD- (Stand: 25.10.12)“ einschließlich ihrer von der Innenministerkonferenz am 5. Dezember 2012 beschlossenen kontinuierlichen Fortschreibungen zur Verfügung zu stellen. Der Verfahrensbevollmächtigte erarbeitet Antrag und Begründung in enger Abstimmung mit einer länderoffenen Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz. C. Die Begründung des Antrags soll sich an folgenden Tatsachen und Wertungen orientieren: Auf der Grundlage der im Auftrag der Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern erstellten über 1000 Seiten umfassenden „Mate-rialsammlung für ein mögliches Verbotsverfahren -VS-NfD-“ sowie des „Berichts zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines neuen NPD-Verbotsverfahrens -VS-NfD- (Stand: 9. November 2012)“ der Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat der Bundesrat die Überzeugung gewonnen, dass es sich bei der NPD um eine verfassungswidrige Partei handelt. Die Voraussetzungen für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD nach Artikel 21 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes liegen vor. Die NPD geht gemäß Artikel 21 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger darauf aus, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen und sogar zu beseitigen. Der politische Kurs der NPD ist bestimmt durch ihre aktivkämpferische, aggressive Grundhaltung, die grundsätzlich und dauernd tendenziell auf die Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet ist. Sie ist eine Partei, die eine antisemitische, rassistische und ausländerfeindliche Einstellung hat und mit dem Nationalsozialismus wesensverwandt ist. Ihre dauerhafte und zielgerichtete -Absicht, die obersten Werte unserer Verfassungsordnung insgesamt – namentlich die Menschenwürde, die Freiheits- und Gleichheitsrechte sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip – zu beeinträchtigen, lässt sich anhand der Materialsammlung belegen. Der Bundesrat sieht in dem vorgelegten quellenfreien Material eine geeignete Grundlage, das NPD-Verbotsverfahren erfolgreich abschließen zu können. Er hält daher ein Verbot der NPD für geboten. Der Bundesrat stellt fest, dass mit dem Verbot der NPD der Verlust des Parteienprivilegs einher geht und somit die NPD auch von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen ist. Ein Verbot der NPD, das auch ein Verbot von Nachfolgeorganisationen beinhaltet, stellt einen wichtigen Beitrag gegen den parteigebundenen Rechtsextremismus dar. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mitgeteilt, dass sie den Antrag Namen von Bundeswehrkasernen überprüfen auf Drucksache 17/6495 zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zu den Prüfbitten bezüglich bestimmter Wahlvorschriften bzw. Verfahrensweisen – Drucksachen 17/11088, 17/11428 Nr. 6 – Finanzausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Auswirkungen der Einführung des Luftverkehrsteuergesetzes auf den Luftverkehrssektor und die Entwicklung der Steuereinnahmen aus der Luftverkehrsteuer – Fortschreibung, Aktualisierung und Ergänzung – – Drucksachen 17/10985, 17/11428 Nr. 5 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2010 (Rüstungsexportbericht 2010) – Drucksache 17/8122 – Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Raumordnungsbericht 2011 – Drucksache 17/8360 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Maßnahmen auf dem Gebiet der Unfallverhütung im Straßenverkehr 2010 und 2011 (Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 2010/2011) – Drucksachen 17/10600, 17/11428 Nr. 1 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Umweltgutachten 2012 des Sachverständigenrates für Umweltfragen Verantwortung in einer begrenzten Welt – Drucksachen 17/10285, 17/11097 Nr. 1.2 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Haushaltsausschuss Drucksache 17/10710 Nr. A.33 EuB-BReg 43/2012 Drucksache 17/10710 Nr. A.34 EUFIN 65/2012 EN Drucksache 17/10710 Nr. A.35 EUFIN 66/2012 Drucksache 17/10710 Nr. A.36 Ratsdokument 11112/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.37 Ratsdokument 12201/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.38 Ratsdokument 13064/12 Drucksache 17/11108 Nr. A.12 Ratsdokument 13960/12 Drucksache 17/11108 Nr. A.13 Ratsdokument 13963/12 Drucksache 17/11617 Nr. A.3 Ratsdokument 15272/12 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/11439 Nr. A.7 Ratsdokument 14536/12 Drucksache 17/11617 Nr. A.5 EP P7_TA-PROV(2012)0388 Drucksache 17/11617 Nr. A.6 EP P7_TA-PROV(2012)0398 Drucksache 17/11617 Nr. A.7 Ratsdokument 15168/12 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 17/11919 Nr. A.14 Ratsdokument 16291/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.15 Ratsdokument 16518/12 Verteidigungsausschuss Drucksache 17/11617 Nr. A.10 Ratsdokument 15476/12 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 17/10710 Nr. A.54 Ratsdokument 12803/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.55 Ratsdokument 12809/12 Drucksache 17/11439 Nr. A.12 Ratsdokument 14656/12 Anlagen 1Anlage 2 2Anlage 3 3Anlagen 5 bis 8 4Anlage 4 5Ergebnis Seite 26800 D 6 Anlage 9 7 Anlage 10 8 Anlage 11 9Anlage 12 10Anlage 13 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 V Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 43 27024 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 27023