Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2010 > EU-Beitritt Island
Mit großer Mehrheit hat sich der Bundestag für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen über eine EU-Mitgliedschaft Islands ausgesprochen. Zwar lehnten die Abgeordneten am Donnerstag, 22. April 2010, nach rund einstündiger Debatte im Plenum alle Anträge sowie Entschließungsanträge der Opposition ab, in denen SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen beinahe unisono für einen zukünftigen EU-Beitritt der Atlantikinsel plädiert hatten (17/1059,17/1191, 17/1171,17/1172). Doch der gemeinsame Antrag von Union und FDP mit dem Ziel, ein Einvernehmen zwischen Bundestag und Bundesregierung über Beitrittsverhandlungen mit Island herzustellen, wurde in der Abstimmung mit den Stimmen der Koalition angenommen (17/1190, 17/1464). Ein Antrag der Grünen, die gefordert hatten, die Rechte des Bundestages nach den Begleitgesetzen zum Vertrag von Lissabon zu wahren, wurde einvernehmlich vom Parlament für erledigt erklärt (17/260).
In der Debatte, die der Abstimmung vorausging, hatten sich alle Redner für die baldige Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ausgesprochen. Michael Link, europapolitischer Sprecher der FDP, betonte, Deutschland und die Europäische Union hätten ein großes Interesse am Gelingen der Beitrittsverhandlungen. Mit Island würde eine stabile Demokratie der EU beitreten, in der Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte geachtet würden.
"Mehr als nur eine Flucht unter den Euro-Rettungsschirm"
Trotz der Finanzkrise, die die Republik hart getroffen habe, könne man noch immer von einer stabilen Marktwirtschaft auf der Atlantikinsel sprechen. Zudem könne die EU von Island "viel lernen“: So lege Island großen Wert auf eine nachhaltige Fischereiwirtschaft. "Wir müssen in den Beitrittsverhandlungen darauf achten, dass Island in Bereichen, in denen es Fortschritte gemacht hat, nichts von der EU übergestülpt wird“, mahnte der Liberale.
Im Gegenzug dürften jedoch keine "Abstriche und Kompromisse“ beim kommerziellen Walfang gemacht werden. Kritikern, die Bedenken geäußert hatten, Island ginge es mit dem Beitrittsgesuch nur um die "Flucht unter den Euro-Rettungsschirm“, entgegnete Link, dass sich die Sozialdemokraten in Island schon lange für eine EU-Mitgliedschaft ihres Landes einsetzten. "Es geht um mehr als nur um den Beitritt zur Eurozone.“
"Beitrittsverhandlungen sind keine Einbahnstraße"
Ähnlich sah dies auch Michael Roth, der stellvertretende europapolitische Sprecher der SPD. Seine Fraktion "freue“ sich auf Beitrittsverhandlungen. Wichtig sei dabei, die Chancen einer Mitgliedschaft auf beiden Seiten zu betonen. Dennoch müsse in den Verhandlungen klar gemacht werden, dass es in der EU nicht nur um"„Binnenmarkt, Euro und wirtschaftliche Kriterien“ gehe. "Wir sind auch eine Wertegemeinschaft“, betonte der Sozialdemokrat.
Aus diesem Grund sei es notwendig, auch die Zivilgesellschaft in den Prozess der Beitrittsverhandlungen einzubeziehen. Nicht nur in Island, sondern auch innerhalb der EU müsse dringend eine Debatte über die Zukunft der EU geführt werden, forderte er. Roth plädierte dafür, die Beitrittsverhandlungen mit Island zum Anlass zu nehmen, das nachzuholen, was auch in Deutschland sträflich vernachlässigt worden sei - "eine Debatte darüber, wohin wir wollen mit der Union und wie wir in Wirtschaft, Finanzpolitik und Umweltpolitik enger zusammenarbeiten können“. Die Verhandlungen seien "keine Einbahn- sondern eine Zweibahnstraße“, stellte Roth klar.
"Island muss Integrationsidee Europas mittragen"
Dr. Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der Union für den Bereich der Europapolitik, betonte, dass mit dieser nun stattfindenden Debatte über Island der Bundestag zum ersten Mal darüber entscheiden könne, ob mit einem Kandidaten EU-Beitrittsverhandlungen geführt werden. "Das ist ein starkes Recht, das der Lissabon-Vertrag uns einräumt“, gab der CDU-Politiker zu bedenken. Doch es sei auch eine "große Verantwortung“. Das Parlament müsse seine Erwartungen an den Verhandlungsprozess deutlich machen.
Für seine Fraktion betonte Schockenhoff, die CDU/CSU unterstütze das Ziel einer Mitgliedschaft Islands in der EU. Die Republik sei ein "Gewinn“ für Europa, gerade was seine Erfahrungen mit erneuerbaren Energien betreffe. Außerdem habe die EU auch ein strategisches Interesse: "Island ist das Tor zu Arktis, gerade mit Blick auf die dortigen Rohstoffe sollte die EU hier präsent sein“, so Schockenhoff.
Trotzdem müsse die Atlantikrepublik auch die politischen und wirtschaftlichen Kriterien für eine Aufnahme erfüllen. Island dürfe nicht nur aus finanziellen Gründen Mitglied werden. "Es muss auch die Grundidee einer immer tieferen Integration mittragen“, forderte der Politiker.
"Verhandlungen ohne Vorbedingungen"
Manuel Sarrazin, europapolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, betonte wie auch Schockenhoff die Bedeutung der Debatte im Parlament über das Beitrittsgesuch Islands: "Wir als Bundestag mischen uns nun ein - und das ist ein wichtiges Signal - auch an die Öffentlichkeit. In den Verhandlungen mit Island dürften alte Fehler, wie etwa die verfrühte Nennung von Beitrittsterminen, nicht wiederholt werden.
Aber auch bilaterale Konflikte dürften nicht den europäischen Prozess behindern, forderte der Politiker mit Blick auf das umstrittene isländische "Icesave“-Gesetz. Dieses sollte Hunderttausende ausländischer Kunden für die Pleite der Icesave-Bank entschädigen, war dann aber vom isländischen Präsidenten im Januar 2010 per Veto gestoppt worden. Dies hatte zu Streit mit den EU-Mitgliedstaaten Niederlanden und Großbritannien geführt.
Sarrazin sprach sich für den baldigen Beginn von Verhandlungen mit Island ohne Vorbedingungen aus. Die Bundesregierung solle darauf beim nächsten Treffen des Europäischen Rates im Juni hinwirken, verlangte der Abgeordnet: "Damit Island nicht länger warten muss.“
"Schuldentilgung darf keine Voraussetzung sein"
Auch Andrej Hunko (Die Linke) unterstützte ausdrücklich das Beitrittsgesuch Islands. Natürlich gebe es Bereiche, in denen sich das Land "verändern“ müsse, gab er zu und nannte in diesem Zusammenhang insbesondere das Verbot des kommerziellen Walfangs. Doch auch die EU müsse sich bewegen - etwa im Bereich der Kapitalverkehrskontrolle, forderte Hunke, der Mitglied des Europaausschusses im Bundestag ist.
So bezeichnete der Linkspolitiker - ähnlich wie zuvor Manuel Sarrazin - es als "inakzeptabel“, die Beitrittsperspektive Islands mit dem Streit um das isländische "Icesave“-Gesetz zu verknüpfen, wie es bislang in der Öffentlichkeit getan worden sei. Die Schuldentilgung dürfe keine Voraussetzung für einen Beitritt des Landes zur EU sein.