Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2010 > Interview Joachim Hörster
Fortschritte bei der Reform des überlasteten Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs, die bei der am Montag, 26. April 2010, beginnenden Frühjahrssitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zur Debatte steht, erhofft sich Joachim Hörster. Die avisierten Änderungen, die zu einer Beschleunigung der oft Jahre dauernden Verfahren führen sollen, stuft der Leiter der Bundestagsdelegation in Straßburg als erfolgversprechend ein. Aus Sicht des CDU-Abgeordneten sind vor allem in Osteuropa nach wie vor zahlreiche Verstöße gegen die Menschenrechtscharta zu kritisieren, so werde etwa die Presse- und Versammlungsfreiheit oft nicht respektiert.
Das Europarats-Parlament diskutiert dieses Mal über den Jahresbericht 2009 von Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg. Welches sind denn die gravierendsten Verstöße auf dem Kontinent gegen die Straßburger Menschenrechtscharta?
Bedauerlicherweise enthält Hammarbergs Expertise nur eine reine Auflistung der Probleme und verzichtet auf eine politische Gewichtung. Der Kommissar hätte bewerten müssen, in welchen Staaten die Lage besonders prekär ist, in welchen Nationen die Situation als akzeptabel gelten kann und in welchen Ländern Fortschritte oder Rückschritte zu verzeichnen sind. Doch solche Urteile werden wohl aus politischer Rücksichtnahme unterlassen. Gravierend ist nach wie vor, dass vielerorts in osteuropäischen Ländern die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit nicht respektiert wird, missliebige Journalisten lässt man zuweilen sogar verschwinden. Auf Polizeistationen und in Gefängnissen kommt es dort nach wie vor zu Misshandlungen oder selbst zu dubiosen Todesfällen. Dann existiert noch der Sonderfall Tschetschenien mit vielen schweren Menschenrechtsverstößen, wo sich kaum etwas gebessert hat.
Das wichtigste Instrument des Europarats ist der Menschenrechtsgerichtshof, der jedoch durch chronische Überlastung gehandicapt ist. Nach der Zustimmung Russlands als letztem der 47 Mitgliedstaaten zu einer Reform dieser Instanz sollen unter der gegenwärtigen Schweizer Präsidentschaft diese Neuerungen nun praktisch auf den Weg gebracht werden, worüber die Versammlung debattieren wird. Ist mit einem Durchbruch zu rechnen?
Moskau hat mittlerweile die Ratifikationsurkunde, die das entsprechende Protokoll der Menschenrechtscharta zur Gerichtsreform endgültig besiegelt, tatsächlich hinterlegt, das war ein überaus mühsames Unterfangen. Und eine internationale Konferenz im schweizerischen Interlaken hat im Februar die Vorarbeiten für konkrete Verbesserungen erledigt. Ich bin optimistisch, dass nach jahrelangen Diskussionen jetzt tatsächlich der Weg freigemacht wird für einen Umbau des Gerichtshofs, um diese Instanz zu entlasten und dessen Effizienz zu steigern.
Welches sind denn die wichtigsten konkreten Änderungen, die eine Beschleunigung der oft Jahre dauernden Verfahren bewirken sollen?
Das, was ins Auge gefasst wird, erscheint mir recht erfolgversprechend. Künftig sollen Einzelrichter über offenkundig unbegründete Klagen entscheiden. Gleichgelagerte und einfach zu beurteilende Fälle werden fortan von drei Richtern und nicht mehr wie bisher von siebenköpfigen Kammern behandelt. Eine Beschwerde soll zügig abgewiesen werden können, wenn dem Kläger kein großer Schaden entstanden ist und es diesem nur ums Prinzip geht. Für mehr Kontinuität und Effizienz dürfte die Verlängerung der Amtszeit der 47 Richter von sechs auf neun Jahre ohne Möglichkeit einer Wiederwahl durch das Europarats-Parlament sorgen. Die Einführung einer Klagegebühr lehne ich ab, das käme einem Eintrittsgeld gleich, was eine abschreckende Wirkung hätte. Auch halte ich nichts von der Idee, Beschwerden nur noch in Englisch oder Französisch zuzulassen. Jeder soll sich in seiner Muttersprache an Straßburg wenden können. Positiv wäre hingegen die Pflicht, sich einen Anwalt nehmen zu müssen. Das würde die Verfahren professionalisieren und beschleunigen.
Zur Abstimmung steht im Plenum des Parlaments ein Resolutionsentwurf mit der Forderung an die Europaratsländer, Regelwerke für Lobbyisten zu schaffen, um die Einflussnahme von Interessenverbänden auf die Politik transparenter zu machen. Hat auch die Bundesrepublik Nachholbedarf?
Man kann die 47 Staaten nicht über einen Kamm scheren. In manchen Ländern mag es durchaus einen Reformbedarf geben, zu denken ist etwa an Rumänien oder an Russland. In Deutschland ist dieses Problem aus meiner Sicht hingegen gut gelöst. Weitere Maßnahmen würden nur in eine zusätzliche und überflüssige Gängelei münden. Lobbyisten, deren Tätigkeit sich im Übrigen meist öffentlich abspielt, müssen sich beim Bundestag anmelden. Die Abgeordneten ihrerseits unterliegen diversen Anzeige- und Veröffentlichungspflichten. Auch im Beamtenrecht ist beim Thema Lobbyismus im Grunde das Nötige geregelt. Ich sehe nicht, dass die Debatte im Europarats-Parlament für die deutsche Politik von Bedeutung ist.
Wie es scheint, ist das Straßburger Abgeordnetenhaus die einzige internationale Instanz, die sich kontinuierlich mit den Folgen des Krieges zwischen Russland und Georgien 2008 befasst und dieses Problem nicht als "eingefrorenen Konflikt" zu den Akten legt. Aber ist das nicht eine vergebliche Liebesmühe?
Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit. Und je länger eine Auseinandersetzung zurückliegt, desto unklarer wird das Bild und desto größer wird die Wirkung der Propagandamaschinerien der Konfliktparteien. So versucht Moskau durchaus mit einem gewissen Erfolg den Eindruck zu erwecken, als habe damals Georgien Russland angegriffen, wobei es ja umgekehrt war. Umso wichtiger ist es, dass die Parlamentarier des Europarats Moskau immer wieder kritische Fragen stellen und dieses für Russland unangenehme Thema nicht von der internationalen Tagesordnung verbannen. Steter Tropfen höhlt den Stein, und auf mittlere Sicht wird unsere Hartnäckigkeit Wirkung erzielen.