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Der Bundestag entscheidet am Donnerstag, 17. Juni 2010, nach 75-minütiger Debatte gegen 11.35 Uhr über die verfassungskonforme Neuordnung der Jobcenter. Diese soll sicherstellen, dass Langzeitarbeitslose weiterhin zusammen von Bundesagentur für Arbeit und Kommunen betreut werden können. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Dezember 2007 genau diese gemeinsame Betreuung für verfassungswidrig erklärt und bis Ende 2010 eine Neuregelung verlangt. Bundesregierung und die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP haben dazu zwei wortgleiche Gesetzentwürfe vorgelegt (17/1940, 17/1555), über die die Abgeordneten nun ebenso entscheiden werden wie über eine für die Reform notwendige Grundgesetzänderung (17/1939, 17/1554). Für deren Verabschiedung ist - nach namentlicher Abstimmung - eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages erforderlich.
Dem Plenum liegen zudem Berichtigungen der Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf und der Gegenäußerung der Bundesregierung dazu vor (17/2057).
Er ist das Ergebnis eines fast zweijährigen Ringens zwischen Union, SPD und FDP: Der Gesetzentwurf, der nun zur Abstimmung dem Bundestag vorliegt, ist ein Kompromiss mit dem Ziel, die bisherige Betreuung von Arbeitslosen von Bundesagentur für Arbeit (BA) und Kommunen in den so genannten Argen (Arbeitsgemeinschaften) auch zukünftig gemeinsam zu gewährleisten.
Gleichzeitig enthält der "Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitssuchende" eine Vielzahl von Regelungen, mit denen die Jobcenter besser aufgestellt werden sollen.
Im Grundsatz ist vorgesehen, die heutige Struktur der Zusammenarbeit von BA und Kommunen zu erhalten. Gleichzeitig sollen Geschäftsführer und Trägerversammlung mit umfangreichen Kompetenzen im Bereich Personal und Haushalt ausgestattet werden, um die dezentrale Aufgabenwahrnehmung zu stärken.
Neben einer höheren Anzahl von Arbeitsvermittlern soll auch ein bundesweit einheitliches System von Zielvereinbarungen und Kennzahlenvergleichen die Leistungsfähigkeit der Jobcenter erhöhen.
Für die 6,8 Millionen Bezieher von Arbeitslosengeld II wird sich aber trotz dieser Änderungen in der Praxis wenig ändern. Sie bekommen weiterhin Hilfe aus einer Hand: Die zugelassenen kommunalen Träger, die derzeit die Langzeitarbeitslosen in Eigenregie betreuen (Optionskommunen), sollen ihre Aufgaben unbefristet wahrnehmen können. Ihre Zulassung wäre ohne eine neue gesetzliche Regelung sonst zum 31. Dezember 2010 ausgelaufen.
Allerdings sollen die Optionskommunen "die Ausnahme bleiben", so wollen es Union, SPD und FDP. Künftig können aber bis zu 110 statt derzeit 69 Kommunen die Betreuung der Langzeitarbeitslosen in Alleinregie mit dem Geld vom Bund übernehmen. Das entspräche einem Viertel aller 438 Jobcenter bundesweit.
Um diese Neuregelungen vornehmen zu können, müssen aber Bundestag und Bundesrat das Grundgesetz mit Zwei-Drittel-Mehrheit ändern. Koalition und SPD haben sich deshalb darauf geeinigt, in die Verfassung den Artikel 91e neu aufzunehmen. In ihm wird geregelt, dass Bund und Kommunen zur Betreuung der Hartz-IV-Bezieher gemeinsame Einrichtungen bilden dürfen.
Genau diese "Mischverwaltung", die bislang bereits in der Praxis existierte, hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 20. Dezember 2007 als verfassungswidrig erklärt. Der Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung sei damit nicht mehr gewährleistet, hieß es damals in der Urteilsbegründung. Außerdem sei für die Bürger nicht mehr erkennbar, wer für die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben zuständig sei, so die Karlsruher Richter.
Deshalb ist geplant, mit der Reform eine klare Aufgabenteilung vorzunehmen. Zuständig für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen und ihrer Integration in den Arbeitsmarkt soll die Arbeitsagentur sein, die Kommunen kümmern sich hingegen um die Warmmiete und die soziale Betreuung von Hartz-IV-Empfängern.
In den Jobcentern sind diese Aufgaben eng miteinander verzahnt. Die Zahl der 69 so genannten Optionskommunen, die dafür optiert haben, Arbeitsuchende in Eigenregie zu betreuen, soll nun auf bis zu 110 erhöht werden.
Diese Änderungen sind allerdings im parlamentarischen Beratungsprozess bei Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke auf Kritik gestoßen: Während die Linksfraktion die Ausweitung der Zahl der Optionskommunen unter dem Hinweis ablehnte, Arbeitslosigkeit als "nationales Problem" dürfe nicht "kommunalisiert" werden, bezeichneten die Bündnisgrünen die Obergrenze von 110 als willkürlich.
Die Erfahrungen der letzten Jahre hätten schließlich gezeigt, dass Optionskommunen bei der Vermittlung von Arbeitslosen nicht schlechter abschnitten als andere Träger. Grundsätzlich befürchten die Grünen eine Zunahme von Bürokratie.
Umstritten ist die die Reform der Jobcenter auch unter Sachverständigen: Insbesondere die Regelungen, die die Zusammenarbeit von Bund und Kommunen in den Argen neu justieren sollen, wurden recht unterschiedlich beurteilt.
Während etwa der Deutsche Landkreistag die erweiterten Kompetenzen der Geschäftsführer der Argen für "akzeptabel" bezeichnete, gingen sie dem Deutschen Städtetag "etwas zu weit". Auch die Einzelsachverständige Marlies Bredehorst monierte in einer Expertenanhörung Anfang August im Arbeits- und Sozialausschuss des Bundestages, die Rechte der Trägerversammlung würden "ausgehebelt". Zudem könnten Kommunen und Bundesagentur künftig nicht mehr auf "gleicher Augenhöhe" agieren.
Der Bundesrat hingegen unterstützt grundsätzlich das Ziel des Gesetzentwurfs. In seiner Stellungnahme (17/2057) befürchtet er aber einen erhöhten Verwaltungsaufwand bei den Trägern. Die Länder bitten daher zu prüfen, ob die Ziele, die verfolgt werden, "nicht durch weniger bürokratische Vorgaben erreicht werden können".
Zudem sieht der Bundesrat die Kostenschätzung im Gesetzentwurf skeptisch und erwartet "Mehrkosten". Angesichts der zahlreichen Änderungsanträge insbesondere von unionsgeführten Ländern, die dem Bundesrat vorliegen, hat Bundesarbeitsministerin Dr. Ursula von der Leyen (CDU/CSU) jedoch vor einer Verzögerung der Jobcenter-Reform gewarnt: "Jetzt muss Schluss sein mit Vorschlägen, die alles wieder in Frage stellen."
Gleichzeitig sicherte sie zu, Änderungsvorschläge, die sich im Rahmen des mühsam zwischen Regierung, SPD und Ländervertretern ausgehandelten Kompromisses bewegten, zu berücksichtigen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen forderten die Ministerin auf, dafür zu sorgen, dass die unionsgeführten Länder die geplante Reform nicht "torpedierten", sonst "drohe Chaos".