Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2011 > 60 Jahre EGKS Montanunion
Bundeskanzler Konrad Adenauer (Dritter von rechts) nach der Unterzeichnung der EGKS-Gründungsurkunde; weitere Unterzeichner von links Paul von Zeeland (Belgien), Joseph Beck (Luxemburg), Joseph Maurice (Belgien), Count Carlo Sforza (Italien), Robert Schuman (Frankreich), Dirk Stikke (Niederlande), Jan van den Brink (Niederlande). © Bundespresseamt
Vor 60 Jahren, am 12. Juli 1951, hat der Bundestag in erster Lesung einen Gesetzentwurf beraten, von dem Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) sagte, kein anderer Gesetzentwurf habe diesen in der knapp zweijährigen Geschichte des Parlaments an Bedeutung übertroffen. Der Gesetzentwurf diente dazu, den am 18. April 1951 von den Vertretern Belgiens, Deutschlands, Frankreichs, italiens, Luxemburgs und der Niederlande unterzeichneten Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, auch Montanunion) zu ratifizieren und damit den Grundstein für die europäische Integration zu legen. Die abschließende Beratung des Gesetzentwurfs auf Bundestagsdrucksache 2401 fand im Bundestag erst am 11. Januar 1952 statt. Am 23. Juli trat die Montanunion in Kraft.
Aufgrund eines Vorschlages des französischen Außenministers Robert Schuman vom 9. Mai 1950 zur Gründung einer europäischen Montanunion (so genannter Schuman-Plan) hatten sich die Gründungsstaaten der EGKS nicht nur auf eine Union für Kohle und Stahl geeinigt.
Mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl sollte auch der erste "Grundstein für eine weitere und vertiefte Gemeinschaft unter Völkern" gelegt werden.
Der EGKS-Vertrag sah eine gemeinsame überstaatliche Aufsicht der Mitgliedstaaten über die Montanindustrie vor. Diese übertrugen mit Inkrafttreten des Vertrages am 23. Juli 1952 einen Teil ihrer nationalen Hoheitsrechte auf eine supranationale Organisation.
Freiwillig und ohne Zwang würden so zum ersten Mal Länder auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten, erläuterte Adenauer die Besonderheiten des Vertrags im Parlament. Die Organe der Montanunion - die Hohe Behörde, der Besondere Ministerrat, die gemeinsame Versammlung, der Gerichtshof und der beratende Ausschuss - waren Vorbild für die institutionelle Struktur der späteren Europäischen Gemeinschaften.
In der parlamentarischen Debatte über die Zustimmung zum Vertrag zeigten sich die unüberbrückbaren gegensätzlichen Positionen von Opposition und Koalition. Während die SPD an ihrem grundsätzlichen Widerstand gegen die Montanunion festhielt und die Abgabe staatlicher Souveränität zugunsten nicht ausreichend demokratisch legitimierter Organe monierte, bedeutete der Beitritt zur Montanunion für die Regierungskoalition nicht weniger als gleichberechtigt an einem künftigen europäischen Einigungsprozess mitzuwirken, die künftige Gleichstellung Deutschlands, die Aufhebung alliierter Kontrolle und die deutsch-französische Aussöhnung.
Die Montanunion sei ein Anfang auf dem Weg und ein Mittel zum größeren Ziel Europa-bündnis, ein Schrittmacher für Europa formulierte es der FDP-Abgeordnete August-Martin Euler.
Einmütig sei man bereit, an der Überwindung der Aufspaltung Europas mitzuarbeiten, betonte etwa Günther Henle von der CDU den Standpunkt der Koalition. Der Schuman-Plan sei die Voraussetzung für den deutsch-französischen Friedensvertrag, so der CDU-Abgeordnete Johannes Albers.
Adenauer verband mit der Ratifizierung des Vertrages die Entscheidung für oder gegen Europa. "Meine Damen und Herren, wenn dieser Schritt, die Schaffung der Montanunion, nicht getan wird, besteht in absehbarer Zeit für Europa keine Hoffnung mehr, es besteht keine Hoffnung für wirtschaftliche und keine Hoffnung für politische Gesundung. […] Es ist die Entscheidung die Sie zu treffen haben, in Wahrheit eine Entscheidung für oder gegen Europa. […] Von Ihrem Ja hängt es ab, ob die europäische Einigung Wirklichkeit wird", appellierte Adenauer an die Abgeordneten.
"Der Schuman-Plan ist nicht Europa", konstatierte im Gegensatz dazu der SPD-Abgeordnete und Bundestagsvizepräsident Carlo Schmid. Die Ablehnung der Montanunion schließe ein Bekenntnis zu Europa nicht aus. "Mit dem Schuman-Plan lehnen wir nichts anderes ab als diese spezifische Form einer Zusammenarbeit. Das Entscheidende ist nicht, daß der erste Schritt getan wird; allein entscheidend ist, daß der erste Schritt in der richtigen Richtung getan wird", so der Abgeordnete Erich Ollenhauer (SPD).
Die Montanunion sei nichts anderes als ein Wirtschaftsraum, kritisierte Schmid weiter. Besonderes Gemeinschaftsbewusstsein könne man so nicht schaffen.
Notwendig sei vielmehr eine umfassendere, vollkommenere Lösung, eine echte europäische Wirtschaftsunion, forderte Erik Nölting von der SPD. Man schaffe eine Teilintegration, um sich um das Problem einer wirklichen europäischen Integration herumzudrücken.
Erhebliche Kritik äußerte Schmid auch an den institutionellen Einrichtungen: Um europäisch wirken zu können, brauchte man eine echte gesamteuropäische parlamentarische Kontrolle. Die parlamentarische Versammlung sähe mit ihren eingeschränkten Befugnissen aber nur aus wie ein Parlament.
Die Opposition formulierte neben ihrer grundsätzlichen Kritik an der Außenpolitik Adenauers am Beispiel der Montanunion weitergehende Ansprüche an die Qualität der Integration der europäischen Nationen und der demokratischen Legitimation der neu geschaffenen übernationalen Institutionen. Eine solche übernationale Autorität müsste demokratisch gewählt und kontrolliert werden, erklärte Hermann Veit (SPD) diese Ansprüche
Im Gegensatz zu Adenauer, der die deutsche Gleichberechtigung Stück für Stück im Einvernehmen mit den Alliierten anstrebte, war die SPD der Ansicht, dass die Zusammenarbeit mit den Westmächten nur als gleichberechtigte Partner möglich sei. Man war der Meinung der EGKS-Vertrag helfe der Bundesrepublik in ihrem Bemühen um Gleichberechtigung nicht weiter.
Die mit dem Inkrafttreten des EGKS-Vertrages verbundene Aufhebung der Ruhrbehörde sei nur eine Fortsetzung des Besatzungsrechts, so der Abgeordnete Fritz Henßler. Frankreichs Interessen könnten künftig noch besser berücksichtigt werden, bezweifelte er die deutsche Gleichstellung und die vermeintlichen Vorteile gegenüber dem Besatzungsstatut. Diesem Bündnis unvernünftiger Macht und unvernünftiger Ökonomie dürfe man sich nicht anschließen, forderte Joachim Schöne.
Die SPD befürchtete nicht nur wirtschaftliche Nachteile für Deutschland. Vor allem sah sie in der Montanunion ein weiteres Hindernis auf dem Weg zur deutschen Wiedervereinigung.
Die Hauptaufgabe, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden, die Befreiung der 18 Millionen in der sowjetischen Besatzungszone, würde durch den Schuman-Plan erschwert, mahnte Herbert Wehner.
Sie wolle das Positive nicht sehen und verbeiße sich in alle möglichen Gefahren, warf der Abgeordnete der Bayernpartei, Gebhard Seelos, der SPD vor. Die SPD lehne diesen Schritt zu Europa vor allem aufgrund anderer innenpolitischer Interessen und Kontroversen gegen die Regierung ab. Sie sei eine Partei der Neinsager, so der Vorwurf aus den Reihen der Regierungskoalition.
Die Politik der Verneinung errege in wachsendem Maße Misstrauen gegen die gesamte deutsche Politik, kritisierte der FDP-Abgeordnete August-Martin Euler die Haltung der SPD.
Ein halbes Jahr nach der ersten Lesung stimmten die Abgeordneten des Bundestages am 11. Januar 1952 nach einem dreitägigen Sitzungsmarathon mit 232 zu 143 Stimmen gegen die Argumente der SPD für die Montanunion.
"Ich glaube wir sind uns alle darüber einig, daß es eine so bedeutsame Woche in der Geschichte des Deutschen Bundestages kaum gegeben hat. Ich danke Ihnen für Ihre Mitarbeit", schloss Bundestagspräsident Hermann Ehlers die Sitzung.
50 Jahre nach ihrer Gründung endete mit dem Auslaufen des Vertrages am 23. Juli 2002 die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. (klz)