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Grisha Bruskin vor seinem Werk "Leben über alles", Öl auf Leinwand, 1999 © DBT/Liebchen
Eine Fotofolge von Jens Liebchen im Auftrag des Deutschen Bundestages
Der Kunstbeirat des Deutschen Bundestages hat ein Kunstkonzept beschlossen, das alle drei Parlamentsbauten im Spreebogenbereich in ein Gesamtkonzept einbindet. Im Rahmen dieses Gesamtkonzeptes wurde für jeden der drei Baukomplexe ein Kunstkonzept entwickelt, das von der parlamentarischen Nutzung des jeweiligen Baus, seiner Architektur und seiner historischen Bedeutung ausgeht.
Das von seiner parlamentarisch-historischen Wertigkeit her zentrale Gebäude der drei Baukomplexe ist das Reichstagsgebäude, in dem das Parlament als "Forum der Nation" tagt. Das Reichstagsgebäude hat seit der Schlußsteinlegung im Jahre 1894 die Geschichte der Deutschen in ihren Höhen und Tiefen begleitet und verfügt trotz aller Zerstörungen und vielfacher Renovierungen - im Unterschied zu den beiden anderen Parlamentsbauten, bei denen es sich um Neubauten handelt - über eine bedeutende historische Bausubstanz.
Für die Kunst-am-Bau-Projekte im Reichstagsgebäude wurden, diesem politisch und historisch herausgehobenen Rang des Gebäudes entsprechend, Künstlerpersönlichkeiten in die engere Auswahl gezogen, die das Bild der deutschen Nachkriegskunst international bestimmt haben. Als Reverenz an den ehemaligen Vier-Mächte-Status von Berlin wurden Künstler aus den USA, Frankreich und Rußland für das Reichstagsgebäude beauftragt, dessen Umbau von einem Architekten aus Großbritannien geplant wurde.
Es lag daher nahe, diese bedeutenden Künstler mit ihren Werken im Reichstagsgebäude in einer Fotofolge zu porträtieren. Einige der Fotos sind als Doppelporträts konzipiert: Die Schwarzweiß-Aufnahme läßt den Künstler als Individuum, die Farbaufnahme hingegen das Werk in den Vordergrund treten, so dass Werkaufnahme und Charakterstudie sich gegenseitig erhellen. Die bisher vorliegenden Porträts werden in dieser Ausstellung erstmals umfassend der Öffentlichkeit gezeigt. Die noch fehlenden Porträtstudien werden in naher Zukunft die Reihe ergänzen.
Den Auftakt bilden vier Schwarzweiß-Aufnahmen. Die erste zeigt die beiden Kunstsachverständigen für das Reichstagsgebäude, Dr. Karin Stempel und Prof. Dr. Götz Adriani, auf dem Weg ins Reichstagsgebäude.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, zugleich Vorsitzender des Kunstbeirates, ist in der Cafeteria des Reichstagsgebäudes vor dem Gemälde von Bernhard Heisig zu sehen. Der Maler Bernhard Heisig, einer der bedeutendsten Vertreter der sog. Leipziger Schule in der ehemaligen DDR, entwirft in seinem an die Tradition des deutschen Expressionismus anknüpfenden Gemälde "Zeit und Leben" ein aufwühlendes Panorama deutscher Geschichte. Eine kaum erfaßbare Fülle von Bildmotiven kreist u.a. um Themen aus der Geschichte Friedrichs des Großen, entlarvt das opportunistische Mitläufertum des "Pflichttäters" oder greift die für die Kunst in der DDR so bedeutende Ikarus-Metapher auf.
Norman Foster vertritt als Künstler-Architekt im Kunstkonzept für das Reichstagsgebäude Großbritannien. Im Hintergrund der Porträtaufnahme ist der beidseitig gestaltete Adler für den Plenarsaal zu sehen. Seine Vorderseite orientiert sich an dem Entwurf von Ludwig Gies für den ersten Plenarsaal in Bonn, die Rückseite wurde von Lord Foster gestaltet.
Carlfriedrich Claus, ein in der ehemaligen DDR in die innere Emigration gedrängter Künstler, ist mit seinem Hauptwerk, dem "Aurora-Experimentalraum", im Reichstagsgebäude vertreten. Der Künstler hatte noch kurz vor seinem Tod die Installation seiner Arbeiten bestimmen können. Er verstand sich selbst als überzeugten Kommunisten. Aber im Gegensatz zum dogmatischen Schulmarxismus beharrte er so entschieden auf einem mystisch verstandenen utopischen Charakter der Ideologie, dass er sich die Gegnerschaft des SED-Regimes zuzog. Mit dem Aurora-Raum will er das Morgendämmern der Utopie verkünden und seiner Sehnsucht "nach der Aufhebung des Entfremdetseins von sich selbst, von der Welt und von den anderen Menschen" Ausdruck verleihen. Bei seiner Arbeit handelt es sich um skripturale Notate - eigene Gedankengänge, Zitate aus der Kabbala und anderen mystischen Schriften - die er auf Vorder- und Rückseite von Pergament oder Glastafeln aufträgt und immer wieder überschreibt bis sie sich zu eigenen ästhetischen Gestaltungen formen. Für das Reichstagsgebäude ließ er sie als Fotofilm auf Acryl-Platten aufbringen.
Auf der gegenüberliegenden Wand beginnt die Reihe der Fotoporträts mit Jenny Holzer, die im Januar 2000 nach Berlin zur American Academy als Stipendiatin des Philip Morris Fellowship Programms kommt. Die amerikanische Künstlerin läßt in der Nordeingangshalle auf einer Stele digitale Leuchtschriftbänder mit Reden von Reichstags- und Bundestagsabgeordneten aus der Zeit von 1871 bis 1992 ablaufen. Die Reden wurden von der Künstlerin ausgewählt und zu Themenblöcken zusammengestellt und sollen bis zur Gegenwart fortgeführt werden. Die auf der Stele zur Deckenmitte hin aufsteigenden Parlamentsreden bilden symbolisch einen tragenden Pfeiler des Parlamentes als dem Haus der politischen Rede. Gleichzeitig spiegeln sie sich vielfach gebrochen in den Glaswänden der Eingangshalle. So reflektiert Jenny Holzer bildkräftig mit den ihr eigenen künstlerischen Ausdrucksmitteln die Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland.
In der Südeingangshalle greift Georg Baselitz in großformatigen Leinwandgemälden Motive des Malers der Romantik, Caspar David Friedrich, auf. Auch in diesen Bildern hat er, wie er es seit Ende der sechziger Jahre zu tun pflegt, seine Motive auf den Kopf gestellt, um die formale Gestaltung der Komposition in den Vordergrund zu stellen. Als Vorlage haben ihm Holzschnitte nach Caspar David Friedrichs Motiven Frau am "Abgrund" und "Schlafender Knabe" gedient, die er in einer leichten und transparenten Malweise seiner künstlerischen Ausdrucksweise anverwandelt hat. Baselitz schlägt mit diesen motivischen Anklängen im Medium der traditionellen Leinwandmalerei eine Brücke von der Gegenwart zu der für die Selbstfindung der Deutschen so bedeutenden Epoche der Romantik.
In der Westeingangshalle wird der Besucher des Reichstagsgebäudes von Arbeiten von Sigmar Polke und Gerhard Richter empfangen. Beide Künstler standen vor der schwierigen Aufgabe, sich mit ihren Werken gegen jeweils 30 Meter hohe Wände zu behaupten. Sigmar Polke installierte als formalen und inhaltlichen Kontrast zu Richters Arbeit Leuchtkästen mit heiter-ironischen Bildzitaten aus Politik und Geschichte. Sie zeigen u.a. (links), wie Adenauer Journalisten fröhlich mit seinem Stock droht, während über ihm die Germania des Niederwalddenkmals in bedrohlicher Schräglage in den Wolken schwebt. Andere Motive greifen den "Hammelsprung" auf oder verweisen mit einem der Streiche Till Eulenspiegels auf die Schwierigkeit des politischen Drahtseilaktes. Der Neigung Polkes zum Experimentieren mit ungewohnten Techniken entspricht die Verwendung eines im Leuchtkasten verborgenen Linsensystems. Es ruft beim Betrachter, wenn er an den Leuchtkästen vorübergeht, den optischen Eindruck hervor, dass sich die einzelnen Bildmotive bewegen und übereinander verschieben.
Gerhard Richter hat an der gegenüberliegenden Wand der Westeingangshalle ein Farbkunstwerk von 21 Metern Höhe und 3 Metern Breite in den Farben Schwarz-Rot-Gold gestaltet. Die Farben wurden auf die Rückseite großer Glastafeln aufgetragen und erinnern - jedoch nicht ohne Hintersinn - an die Farben der deutschen Bundesflagge. Aber sowohl das hochrechteckige Format als auch die spiegelnden Glasflächen (in denen sich von einem bestimmten "point de vue" aus die reale Bundesflagge vor dem Reichstagsgebäude spiegelt) machen deutlich, dass es sich nicht um die Abbildung einer Flagge handelt, sondern um ein autonomes Farbkunstwerk. So ist es Gerhard Richter gelungen, mit sparsamen künstlerischen Mitteln eine zurückhaltende und gerade dadurch überzeugende künstlerische Gestaltung zu finden.
Der russische Künstler Grisha Bruskin ironisiert im Clubraum in einem Triptychon ideologische Mythen, insbesondere die "Skulptur-Manie" Sowjetrußlands. Wie auf einer Ikonenwand reihen sich 115 Einzelbilder aneinander, jeweils eine Person als weißlich-monochromer Schemen, der erst durch seine farbigen Attribute als Individuum identifizierbar wird, sei es als Kolchosbäuerin mit übergroßen Feldfrüchten, als russischer Soldat mit den Wappen von Bundesrepublik und DDR oder als Kosmonaut mit dem Porträt von Juri Gagarin.
Der französische Künstler Christian Boltanski hat die Frage nach der Wahrnehmung von Vergangenheit zum Hauptthema seines künstlerischen Schaffens gewählt. Für das Reichstagsgebäude hat er daher in ortsbezogener Fortführung dieses Gedankens im Untergeschoß des Osteingangs das "Archiv der Deutschen Abgeordneten" entworfen. Kästen aus Metall sind mit den Namen derjenigen Abgeordneten beschriftet, die von 1919 bis heute demokratisch gewählt wurden. Die Kästen sind so übereinandergestapelt, dass zwischen ihnen ein schmaler Gang entsteht, nur wenig durch Kohlefadenlampen erhellt. Innerhalb dieses "Kellerarchivs" entwickelt sich ein Gefühl von stiller Abgeschiedenheit bis hin zur Klaustrophobie, während sich nach außen hin die angerosteten Metallkästen zu einem pittoresken Muster zusammenfügen.
Die Düsseldorfer Künstlerin Katharina Sieverding hat die Gedenkstätte für die verfolgten Reichstagsabgeordenten der Weimarer Republik bereits im Jahre 1992 für das Reichstagsgebäude gestaltet. Das fünfteilige Fotogemälde erweckt mit dem Motiv der lodernden Sonnenkorona Assoziationen sowohl an den Reichstagsbrand und den von den Nationalsozialisten ausgelösten Weltenbrand als auch an die geläuterte Wiedergeburt des demokratischen Deutschland als "Phoenix aus der Asche". Auf den Tischen vor dem Gemälde liegen Gedenkbücher aus, die die Schicksale der einzelnen verfolgten Abgeordneten würdigen.
Günther Uecker hat mit dem Andachtsraum die umfassendste künstlerische Gestaltung im Reichstagsgebäude vorgenommen. Ihm ist es gelungen, auf der Grundlage theologischer Überlieferungen mit sparsamen bildnerischen und architektonischen Ausdrucksmitteln einen Raum zu gestalten, der zu Meditation und innerer Einkehr anregt. Durch den Einbau einer zur Seite hin offenen Zwischenwand vor den Fenstern führt Uecker das Licht indirekt in den Raum, der auf diese Weise die mystische Aura einer frühmittelalterlichen Krypta gewinnt. Eine Kante im Boden zeigt die Ostrichtung an. Der zurückhaltend ausgestaltete Raum erhält seine Akzentuierung durch kraftvolle skulpturale Elemente wie den Altar aus sandgestrahltem Granit, durch eigens entworfene Stühle und Bänke sowie durch sieben hohe Holzbildtafeln, die in leichter Schräge an die Wände gelehnt sind. Auf diesen Tafeln hat Günther Uecker mit Nägeln, Farbe, Sand, Asche und Steinen bildnerische Gestaltungen vorgenommen. Elementare menschliche Seinserfahrung wird thematisiert und zu eindrucksvollen suggestiven Bildern verdichtet.
Der Leipziger Künstler Lutz Dammbeck hat mit seinen "Herakles-Notizen" eine vielteilige Arbeit aus Collagen und Überzeichnungen geschaffen. Im Mittelpunkt seiner Arbeiten steht der immerwährende Konflikt zwischen der von der Gesellschaft geübten Konditionierung und Disziplinierung des Individuums auf der einen Seite und dessen notwendigem Mut zum Widerstand und zur Selbstbewahrung auf der anderen Seite.
Der Raumeindruck der Protokoll- und Sitzungsräume im zweiten Obergeschoß wird von den Holzpaneelen des Architekten und deren Farbkonzeption durch den dänischen Designer Per Arnoldi bestimmt. Für die Gestaltungen in diesen Räumen wurden daher Künstler ausgewählt, die sich mit der Farbe als eigenständigem Ausdrucksträger auseinandergesetzt haben. Gotthard Graubner spielt in seinem "Kissenbild" mit den unterschiedlichen Farbabstufungen, wie sie sich aus dem Zusammenwirken mit den weich verlaufenden Lichtgradationen auf der Wölbung des Farbraumkörpers ergeben.
Auch Emil Schumacher stand vor der Herausforderung, sich gegen die dominierenden Wandpaneele des Architekten durchsetzen zu müssen. Er bewältige diese Herausforderung, indem er seine Malweise auf den Aluminiumplatten zu furiosen, expressionistisch-gestischen Ausdruckslinien steigerte. In ihrer Transparenz und kühlen Eleganz scheinen sie jedoch mit virtuoser Beiläufigkeit gezügelt.
Den Sitzungssaal für eines der wichtigsten parlamentarischen Gremien, den Ältestenrat, hat der Stuttgarter Künstler Georg Karl Pfahler gestaltet. In Fortentwicklung seiner Serie der "Espan"-Bilder scheinen farbige Rechtecke, mit einer geschickten optischen Täuschung inszeniert, von den Wänden herabzufallen, ja geradezu über die Holzpaneele hinwegzutanzen. Souverän reagiert der Künstler auf die vorgegebenen starkfarbigen Holzpaneele und setzt ihnen ein durchdachtes eigenes Farbkonzept entgegen, das vom Gegen- und Miteinanderspielen der Farben, ihrer Überlagerung und Weiterentwicklung lebt und auf diese Weise eine eigene Farbräumlichkeit schafft. Durch Pfahlers spezifisch süddeutschen Akzent ist das Reichstagsgebäude um einen heiter-festlichen Raum reicher geworden.
Die Folge der Fotos endet mit den Aufnahmen von Markus Lüpertz. Der Maler hat sein Leinwandgemälde "1840" bündig in die Stirnwand des Abgeordnetenrestaurants eingelassen. Er greift Motive aus Turners Rheinreise sowie aus eigenen früheren Werken auf und schlägt spielerisch eine gedankliche Brücke von der Spree zum Rhein. Zugleich läßt er Hinweise auf die Phase deutscher Nationalstaatsgründung anklingen.
Text: Dr. Andreas Kaernbach, Projektbetreuer "Kunst am Bau" für die Parlamentsbauten in Berlin