Der rätselhafte Mord an der Polizistin Kiesewetter

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Die Erschießung der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn, die rätselhafteste Tat in der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie, steht am Donnerstag, 18. April 2013, im Mittelpunkt der Sitzung des Untersuchungsausschusses, der Pannen und Fehlgriffe der Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen zu den insgesamt zehn Hinrichtungen durchleuchten soll. Bei der erneuten Befassung mit der Tötung Kiesewetters geht es vor allem um die Frage, welche Kontakte Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zur rechtsextremen Szene in Baden-Württemberg hatten.

Das Treffen unter Vorsitz vom Sebastian Edathy (SPD) beginnt um 9 Uhr im Europasaal 4.900 des Paul-Löbe-Hausesin Berlin. Zum Komplex Kiesewetter werden zwei Vertreter des baden-württembergischen Verfassungsschutzes und ein Mitarbeiter des Landeskriminalamts als Zeugen vernommen.

Dienstpistolen beim NSU gefunden

Die Ermordung Kiesewetters und die ebenfalls durch einen Kopfschuss verursachte schwere Verletzung eines Kollegen, der sich nach dem Aufwachen aus dem Koma an nichts mehr erinnern konnte, im Streifenwagen während der Mittagspause auf einem Heilbronner Parkplatz im April 2007 zählen zu den seltsamsten Kriminalfällen in Deutschland.

Neben dem konkreten Tathergang ist auch das Motiv dieser Hinrichtung bislang rätselhaft geblieben. Dem NSU werden diese Schüsse erst seit dem Auffliegen der Zelle im Herbst 2011 zugerechnet, nachdem in Eisenach in einem Wohnwagen neben den Leichen von Böhnhardt und Mundlos die Dienstpistolen Kiesewetters und ihres Kollegen gefunden wurden.

Wieso traf es die zwei Polizisten?

Warum wurde der Anschlag ausgerechnet gegen diese beiden Polizisten verübt? Waren sie Zufallsopfer oder wurden sie gezielt ausgewählt, wurde ihr Tagesablauf zuvor ausgekundschaftet?  Wollten die Täter einen "Triumph" über den Staat erzielen und anonym ohne Bekennerschreiben "auskosten"? Warum endete die dem NSU angelastete Mordserie nach Kiesewetters abrupt? Waren weitere Polizistenmorde geplant, zu denen es aber nicht kam?

Bereits im September 2012 hat sich der Ausschuss mit den Ermittlungen nach diesem Attentat auseinandergesetzt. Vertreter von Polizei und Staatsanwaltschaft in Baden-Württemberg erläuterten damals, dass sich trotz eines enormen Rechercheaufwands etwa bei einer Ringfahndung, bei zahlreichen Zeugenaussagen oder bei der Erarbeitung von Phantombildern und Profilertheorien bis zum Herbst 2011 keine Hinweise auf einen rechtsterroristischen Hintergrund der Schüsse auf dem Parkplatz ergeben hätten. Abgeordnete kritisierten die Ermittlungen indes als nicht konsequent genug, etwa bei der Datenauswertung.

Die Namen auf der "Garagenliste"

Am 18. April wollen die Parlamentarier nun genauer die Kontakte des NSU nach Baden-Württemberg erhellen, die möglicherweise intensiver waren als lange Zeit vermutet. Auch der Stuttgarter Innenminister Reinhold Gall (SPD) hat eine Ermittlungsgruppe eingerichtet, die das südwestdeutsche Umfeld der Zelle unter die Lupe nimmt.

Den Ausschuss dürfte etwa interessieren, was es mit den drei Namen aus Ludwigsburg auf sich hat, die auf einer Liste mit vielen Kontaktadressen aus dem rechtsextremen Milieu stehen, die 1998 in Jena in einer von dem Trio offenkundig zum Bombenbau genutzten Garage entdeckt worden war. Diese "Garagenliste", die vielleicht schon 1998/99 eine Spur zu der untergetauchten Gruppe hätten weisen können, fand jedoch in Thüringen und Sachsen bei der Fahndung nach der Zelle keine Beachtung und geriet aus dem Blickfeld. Deshalb kümmerte man sich in Baden-Württemberg ebenfalls erst nach dem Auffliegen des NSU um die drei Ludwigsburger Namen.

Feten in Ludwigsburg

Eine dieser Kontaktpersonen, ein Skinhead-Musiker, war zwischenzeitlich verstorben. Eine Befragung der beiden anderen Personen, einer Frau und eines Mannes, brachte die Polizei offenbar nicht weiter. Nach Medienberichten soll die Frau indes angegeben haben, die drei Thüringer noch im Jahr 2000 getroffen zu haben – ohne zu wissen, dass sie seit 1998 untergetaucht waren. Vor 1998 waren Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe anscheinend mehrfach in Ludwigsburg, wobei sie auch an Feten teilnahmen, Mundlos soll die Schwaben als "Spätzles" tituliert haben. Aber war das Trio auch nach ihrem Abtauchen noch im Südwesten? In Medienberichten ist immer mal wieder von einem Foto die Rede, das Zschäpe vor dem Ludwigsburger Schloss zeigen soll.

In den schriftlichen Hinterlassenschaften des NSU steht der Name eines Mitglieds des zeitweise existierenden deutschen Ku-Klux-Klan-Ablegers. Was hat das zu bedeuten? Zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts gehörten auch zwei baden-württembergischer Polizisten dieser Gruppe kurzzeitig an. Die beiden Beamten waren 2007 in Heilbronn tätig, doch existiert nach polizeilichen Erkenntnissen kein Zusammenhang mit den Schüssen auf die beiden Polizisten.

Anschlagsziele in Stuttgart?

Nach diversen Medienberichten sollen die Ermittlungen ergeben haben, dass die Gruppe in Stuttgart möglicherweise Attentatsziele ausgekundschaftet hat – so seien beispielsweise in einem Stadtplan aus der NSU-Hinterlassenschaft verschiedene Polizeidienststellen vermerkt gewesen.

Zu den Merkwürdigkeiten des Geschehens im Südwesten gehört, dass Tino Brandt 2004 in der Heilbronner Gegend ein Haus erworben und 2008 wieder verkauft hat. Brandt war einst der führende Kopf des "Thüringer Heimatschutzes" (THS) und bis zu seiner "Abschaltung" Anfang des zurückliegenden Jahrzehnts Spitzel des thüringischen Verfassungsschutzes.  Im THS haben auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe bis zu ihrem Abtauchen 1998 mitgemischt. (kos/11.04.2013)

Zeit: Donnerstag, 18. April, 9 Uhr
Ort:  Berlin, Paul-Löbe-Haus, Europasaal 4.900

Interessierte Besucher können sich im Sekretariat des Untersuchungsausschusses unter Angabe des Vor- und Zunamens sowie des Geburtstags und des Datums der öffentlichen Sitzung anmelden (E-Mail: 2.untersuchungsausschuss@bundestag.de, Fax: 030/227-30084). Zur Sitzung muss ein Personaldokument mitgebracht werden.

Bild- und Tonberichterstatter können sich beim Pressereferat (Telefon: 030/227-32929 oder 32924) anmelden.

Liste der geladenen Zeugen