Navigationspfad: Startseite > Presse > Aktuelle Meldungen (hib) > Oktober 2010 > Experten uneins über neues strategisches Konzept der Nato
Berlin: (hib/JP/KTK) Bei der öffentlichen Anhörung des Auswärtigen Ausschuss am Mittwochnachmittag erörterten die geladenen Sicherheitsexperten das neue strategische Konzept des Nato-Bündnisses. Sie nahmen Stellung zu Fragen der Bedrohungsanalyse, der Reform und Effizienzsteigerung der Nato, der Reduzierung der Nuklearwaffen, den Plänen zur Raketenabwehr und dem Verhältnis zu Russland.
Die Ausschussmitglieder zeigten sich zu Beginn der etwa vierstündigen Sitzung in höchstem Maße unzufrieden darüber, dass den Fraktionen Einsicht in den als geheim eingestuften Entwurf aus dem Nato-Hauptquartier und damit den Gegenstand der Anhörung, bislang nicht möglich war. Am Ende der Sitzung teilte der Ausschussvorsitzende mit, dass die Unterlagen zum Rasmussen-Entwurf nun zumindest für die Obleute der Fraktionen einzusehen seien. Der Entwurf von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen soll beim Treffen der Außen- und Verteidigungsminister am 14. Oktober 2010 in Brüssel und beim Gipfeltreffen der Regierungschefs aller NATO-Länder Mitte November 2010 in Lissabon beraten werden.
Nach Auffassung von Karl-Heinz Kamp, Leiter der Forschungsabteilung des NATO Defense College in Rom, wird das neue Konzept keine ”Bedrohungsszenarien“ im klassischen Sinne benennen. Der Entwurf spreche von ”drei wesentlichen Kernaufgaben“, nämlich der kollektiven Verteidigung, dem Krisenmanagement und der Förderung der internationalen Stabilität. Die Sachverständigen erwarten daher einen längeren Diskussionsprozess innerhalb des Bündnisses, der von ”Folgeaufträgen“, die konkretere Schritte und Maßnahmen, die sich aus dem eher allgemein gehaltenen strategischen Konzept ergeben, begleitet wird.
Einigkeit bestand darüber, dass sich nach einer gewissen Ernüchterung über die Entwicklung der bisherigen Out-of-Area Einsätze und trotz gesunkener Zustimmung in der Öffentlichkeit und finanzieller Engpässe Engagements im Rahmen der Vereinten Nationen auch in Zukunft zu erwarten sind.
Die Bedrohungsanalyse, soweit aus bisherigen Statements des Generalsekretärs und aus dem Albright-Report bekannt (Angriffe mit ballistischen Raketen, terroristische Angriffe, Cyber-Angriffe als wahrscheinlichste Bedrohungen), wurde sowohl von den Sachverständigen wie auch in den Fragen der Ausschussmitglieder zum Teil sehr kritisch, jedenfalls unterschiedlich bewertet. Nach Meinung von Michael Brzoska, Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, argumentiere die Bedrohungsanalyse, die im Albright-Bericht vorgelegt wird, erstaunlich traditionell.
Zum einen handele es sich, so Hans. J. Gießmann, Direktor des Berghof Conflict Research, Berlin nicht um spezifisch für die Nato und deren Mitglieder manifeste potenzielle Bedrohungen, sondern um globale Risiken, mit denen sich alle Staaten konfrontiert sehen. Es bestehe eine Differenz zwischen der Qualität der identifizierten Risiken und Bedrohungen und der Eignung von Streitkräften, diese Bedrohungen abzuwehren. Dies treffe neben der Terrorbekämpfung auch auf Cyber-War-Angriffe im Internet zu.
Mit Blick die Bedrohung durch Cyber-Angriffe warnte die FDP Fraktion im Ausschuss vor einer Verbindung mit Artikel 5 des Nato-Vertrages, das die gegenseitige Beistandspflicht im Falle eines Angriffes regelt. Überhaupt wurde der Sinn einer Rolle der Nato in diesem Punkt von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Die Linke in Frage gestellt. Dem gegenüber sah ein Vertreter der CDU/CSU bei einer Cyber-Attacke die fundamentalen Sicherheitsinteressen der Mitgliedsstaaten durchaus berührt, etwa bei Angriffen auf Atomkraftwerke. Die Frage, inwieweit die Sicherheitsgarantie auch für Fälle gilt, in denen derartige oder auch terroristische nukleare Angriffe von Staaten aus unternommen werden, deren Regierungen daran nicht beteiligt sind und die sich vertragskonform verhalten, sei allerdings bislang ungeklärt.
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