Navigationspfad: Startseite > Presse > Pressemitteilungen > 2012 > 06.10.2012
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 8. Oktober 2012)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung
Der Finanzminister unter dem demokratischen US-Präsidenten Jimmy Carter, Michael Blumenthal, geht von einem Sieg von Präsident Barack Obama bei der Präsidentschaftswahl im November aus. Der Berliner Wochenzeitung „Das Parlament“ sagte Blumenthal, der seit 1997 Direktor des Jüdischen Museums in Berlin ist: „Es ist ein Wunder, dass Obama angesichts der eher mäßigen wirtschaftlichen Lage überhaupt eine Chance auf Wiederwahl hat.“ Dies sei einem US-Präsidenten mit einer Arbeitslosenquote von über acht Prozent bisher noch nie gelungen. Blumenthal: „Obama hat das Glück, mit Romney gegen eine Partei anzutreten, die deutlich nach rechts gerückt ist. Romney musste einen harten Kampf gegen extrem rechte Mitbewerber führen und sich deshalb ebenso positionieren. Damit sitzt er nun in der Falle.“
Insgesamt zog Blumenthal, früher Ökonomie-Professor in Princeton und auch Berater der Präsidenten Kennedy und Johnson, eine gemischte Bilanz der vierjährigen Amtszeit Obamas. Immerhin habe Obama „das Image unseres Landes, das unter seinem Vorgänger George W. Bush jr. stark gelitten hatte, wiederhergestellt“. Er habe als Präsident „viel Mut gezeigt, unter Politikern heutzutage eher Mangelware“. Mit der Gesundheitsreform habe es Obama gewagt, ein „heißes Thema anzupacken und zu realisieren, was seit Trumans Präsidentschaft Ende der 40er Jahre bei uns kein Politiker durchsetzen konnte“.
Romney habe gleichwohl Siegchancen, „weil die wirtschaftliche Lage so schlecht ist und viele Amerikaner eine Alternative wollen“. In den letzten Tagen des Wahlkampfs könne noch viel passieren. Blumenthal bezeichnete es als Skandal, dass nach einem Urteil des Obersten Gerichts der USA erstmals unbegrenzt viele Gelder im Wahlkampf ausgegeben werden dürften. „Wir wissen nicht, welchen Einfluss die mit Hunderten Millionen Dollar betriebene Negativkampagne gegen Obama in den letzten Tagen bis zur Wahl haben kann. Obama ist nach Umfragen derzeit zwar im Vorteil, aber sicher ist sein Sieg nicht.“
Das Interview im Wortlaut:
Herr Blumenthal, 2008 wurde der neue Präsident Barack Obama als großer Hoffnungsträger gefeiert. Welche Bilanz ziehen Sie heute?
Eine gemischte Bilanz. Obama hat das Image unseres Landes, das unter seinem Vorgänger George W. Bush jr. stark gelitten hatte, wiederhergestellt. In Europa würde Obama die Wahl aber leichter gewinnen als in den USA, weil er hier populärer ist als in Amerika. Obama hat als Präsident viel Mut gezeigt, unter Politikern heutzutage eher Mangelware. Mit der Gesundheitsreform wagte er es, ein heißes Thema anzupacken und zu realisieren, was seit Trumans Präsidentschaft Ende der 40er Jahre bei uns kein Politiker durchsetzen konnte. Für mich war es immer ein Skandal, dass eines der reichsten Länder der Welt keine allgemeine Krankenversicherung für seine Bürger hatte.
Obama fand eine schlimme wirtschaftliche Situation vor. Als er ins Weiße Haus einzog, gingen infolge der Finanzkrise hunderttausende Arbeitsstellen verloren. Das konnte er mit einem riesigen Konjunkturprogramm abbremsen. Mehrere Millionen neue Jobs wurden in den vergangenen dreieinhalb Jahren unter seiner Präsidentschaft geschaffen – aber nicht genügend. Leider beträgt die Arbeitslosenquote immer noch rund acht Prozent und einige seiner Initiativen in der Einwanderungsgesetzgebung hat er nicht durchbekommen.
Und was ist mit der „Versöhnung der Gegensätze“ in der US-Gesellschaft, die Obama 2008 propagierte?
Leider konnte Obama dieses Versprechen nicht richtig realisieren. Das liegt größtenteils an den Republikanern, die von Anfang an auf Blockade gesetzt haben. Aber auch Obama hat zunächst nicht richtig erkannt, wie schlecht die Lage im Land ist. Er musste erst lernen, im Kongress etwas durchzubekommen. Im Großen und Ganzen halte ich ihn aber für einen guten Präsidenten. Ich hoffe, dass er wiedergewählt wird.
Geben Sie dem Herausforderer Romney nach seinem letzten Fehltritt mit den verächtlichen Bemerkungen über Wähler, die keine Steuern zahlen, noch Siegeschancen?
Ja. Und es ist auch ein Wunder, dass Obama angesichts der eher mäßigen wirtschaftlichen Lage überhaupt eine Chance auf Wiederwahl hat. Dies ist einem Präsidenten mit einer Arbeitslosenquote von über acht Prozent bisher noch nie gelungen. Obama hat das Glück, mit Romney gegen eine Partei anzutreten, die deutlich nach rechts gerückt ist. Romney musste einen harten Kampf gegen extrem rechte Mitbewerber führen und sich deshalb ebenso positionieren. Damit sitzt er nun in der Falle. Viele Durchschnittswähler und Unentschlossene, die die Wahl entscheiden, werden abgestoßen sein von der extrem rechten Rhetorik Romneys. Gleichwohl hat er immer noch Chancen, weil eben die wirtschaftliche Lage so schlecht ist und viele Amerikaner eine Alternative wollen. In den letzten Tagen des Wahlkampfs kann noch viel passieren. Dafür gibt es genügend Beispiele in der US-Geschichte.
Auch, weil erstmals unbegrenzt viele Gelder im Wahlkampf ausgegeben werden dürfen?
Ja. Und das geht auf eine Entscheidung des Obersten Gerichts der USA zurück, für mich ein Skandal. Wir wissen nicht, welchen Einfluss die mit Hunderten Millionen Dollar betriebene Negativkampagne gegen Obama in den letzten Tagen bis zur Wahl haben kann. Obama ist nach Umfragen derzeit zwar im Vorteil, aber sicher ist sein Sieg nicht.
Ausländische Beobachter fragen sich, wo der liberale Geist des vorigen Wahlkampfs geblieben ist. Hat sich auch Obama stärker den Realitäten angenähert?
Obama hat im Amt gelernt, dass er die Mitte und auch das Spektrum etwas rechts davon hofieren muss. Bei den Demokraten gibt es Linksgerichtete, die ihm das übelnehmen. Er hat eine Politik der Mitte betrieben, auch wenn er als Mann der Linken gilt. Das erinnert mich ein bisschen an die Amtszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Neben der mäßigen wirtschaftlichen Situation sind auch die Schulden Wahlkampfthema. Die Gesamtschulden mit 16 Billionen Dollar liegen bei 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, der höchste Stand seit 1945. Es heißt, dass man das Problem damals durch Inflation löste. Würden Sie das diesmal auch empfehlen?
Mit der Inflationspolitik stimmt das so nicht. Wir hatten nach dem Zweiten Weltkrieg vier Jahre lang einen Boom, durch den die Verschuldung reduziert werden konnte. Als ich am 24. September 1947 aus China nach San Francisco in die USA eingewandert bin, hatte ich vier Tage später einen Job. Die Inflation wurde damals in Grenzen gehalten.
Allerdings ist Inflation für mich, der zwischen Amerika und Deutschland hin- und herpendelt, ein spannendes Thema. In Deutschland gibt es ja eine fast panische Angst vor Inflation – vielleicht eine Nachwirkung der großen Inflation 1923. Ich halte allerdings die Ängste hierzulande für übertrieben. Wenn die Nachfrage zu gering ist, sollte durch Geldmittel nachgeholfen werden. Da stimmt die Lehre von Keynes. Das ist vor allem nötig wegen der Nachwirkung der Bankenkrise. Erst muss die Wirtschaft laufen, bevor gespart werden kann. Bei uns hat ja die Notenbank Fed die Aufgabe, neben der Dollar-Stabilität auch die Beschäftigung zu sichern.
Aber die Fed versucht seit Jahren, die US-Wirtschaft durch Nullzinspolitik und riesige Anleihekäufe zu stimulieren. Trotzdem kommt die Wirtschaft nicht richtig in Gang. Ist das Mittel der Geldpolitik ausgereizt?
Die Experten streiten über die Gründe, warum die Wirtschaft nicht richtig anspringt. Die Fed kann nur Geldpolitik betreiben. Steuer- und Budgetpolitik sind dagegen Sache des Kongresses. Der konnte wegen der Blockade der Republikaner zuletzt keine Entscheidungen treffen. Das muss sich ändern, egal wer die Wahl gewinnt. Nach der Wahl am 6. November und vor dem 31. Dezember 2012 müssen dann die schwierigsten und wichtigsten Entscheidungen getroffen werden, vor allem in der Steuerpolitik.
Springen wir über den Atlantik: Was macht Europa falsch in der Euro-Krise?
Die USA sind ein Bundesstaat und haben nicht das Problem der Euro-Staaten, alle auf einen gemeinsamen Nenner kommen zu müssen. Die Europäische Union mit 27 Staaten und die Euro-Zone mit 17 Ländern sind einfach zu schnell erweitert worden. Bei der Wiedervereinigung Deutschlands gab es auch Stimmen wie die von dem damaligen Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl, die sich gegen den 1:1-Umtausch der Ost-Mark wehrten, weil dieser die Wirtschaft im Osten zerstören würde. Die Politik setzte sich in beiden Fällen über die berechtigten Bedenken der Experten hinweg. Im Euroraum waren auch politische Erwägungen ausschlaggebend und zu viele Staaten mit sehr unterschiedlicher Wirtschaftskraft kamen zu schnell zusammen, ohne Möglichkeiten, dieses zu kompensieren. Diese Problematik ist sehr schwierig zu lösen. Man muss letztlich den großen Schritt wagen und sagen: Wir sind beim Geld eine Union. Deshalb stehen wir für alles gerade und lassen keinen hängen, auch Griechenland nicht. Das ist auch im Interesse Deutschlands, denn seine exportabhängige Wirtschaft würde schrecklich leiden, wenn der Euro zerbricht. Das müsste die Politik den Bürgern aber besser erklären.
Die Außenpolitik spielte im Wahlkampf in den USA bisher keine große Rolle. Wo sehen Sie die größten außenpolitischen Aufgaben für den nächsten Präsidenten?
Als ich in den demokratischen Regierungen unter John F. Kennedy in den 1960er Jahren oder unter Jimmy Carter in den 1970er Jahren arbeitete, war die Welt noch relativ einfach. Für die USA galt es, die transatlantische Partnerschaft zu fördern und das westliche Europa gegen das Sowjetimperium zu schützen. In der damaligen Welthandelsorganisation GATT waren China und Russland nicht vertreten, Länder wie Indien oder Brasilien spielten damals keine größere Rolle.
Heute ist die Welt ganz anders, vielfältiger und komplizierter und Europa klagt jetzt über amerikanisches Desinteresse, weil die USA mehr nach China blicken als auf den alten Kontinent. Oder zu den Konfliktzonen in der islamischen Welt. Amerika weiß dennoch, dass das transatlantische Verhältnis von großer Wichtigkeit bleibt. Allerdings sind die Zeiten vorbei, als Washington fast monopolartig auf Europa schaute. Der Pazifik hat auch für die USA strategische Bedeutung. Obama hat aber immer versucht, die Balance zu wahren: Den Blick auf Asien richten, ohne Europa zu vergessen. Obama muss eine vielfältiger gewordene Welt managen.
Stichwort Mittlerer Osten: Israel drängt auf eine Militäraktion gegen Iran. Bisher bremsen die USA. Bleibt es dabei?
Ich habe nicht das Privileg, in die geheime wirkliche Situation Einblick nehmen zu können. Die USA haben das große Interesse, dass es in den nächsten Monaten nicht zu einem Krieg kommt und man versucht, durch politischen Druck einen Modus vivendi zu finden. Die Folgen von Gewalt in diesem Teil der Welt wären unübersehbar. Die USA meinen es aber ernst damit, dass ein nuklear bewaffneter Iran inakzeptabel ist. Wenn Präsident Obama muss, könnte er hier auch hart durchgreifen.
Noch etwas Persönliches: Sie sind 1939 als 13-jähriger Jude mit ihren Eltern aus Hitlers Deutschland emigriert, wurden später Amerikaner. Seit 1997 engagieren Sie sich für das Jüdische Museum und sind deshalb häufig in Berlin. Wie sehen Sie Deutschland heute?
Ich habe viele Deutschlands kennengelernt, das der Weimarer Republik, der Nationalsozialisten, das zerstörte Nachkriegs-Deutschland, das wiederauferstandene West-Deutschland, die DDR und nach dem Mauerfall das wiedervereinte Deutschland. Die heutige Bundesrepublik ist für mich ein beeindruckendes Land. Ich bin immer wieder gerne hier – fünf bis sechsmal im Jahr. Die Situation heute ist ganz unvergleichlich mit dem Dritten Reich, in dem ich aufgewachsen bin. Das kann man nur erfassen, wenn man dies selbst erlebt hat. Die Bundesrepublik hat viel geschafft, sie ist ein demokratisches und geachtetes Land, der Lebensstandard ist hoch. Ich fühle mich hier wohl und habe viele Freunde in Deutschland.
Vor elf Jahren wurde das Jüdische Museum in Berlin eröffnet. Welche Bilanz ziehen Sie und welche Erwartungen haben Sie?
Es ist erstaunlich, was sich hier ereignet hat. Dass die Bundesregierung dieses Museum übernommen hat und man stolz darauf ist, ist etwas ganz Besonderes. Wir sind mit 750.000 Besuchern im Jahr eins der meistbesuchten Museen in Deutschland. Mittlerweile sind wir das größte jüdische Museum in Europa. Unser Freundeskreis wird ständig größer. Diese Aufgabe, die ich hier schon 15 Jahre mache, bereitet mir sehr viel Freude. Für mich ist sie auch eine persönliche Genugtuung, weil ich aus einer alten brandenburgischen jüdischen Familie stamme, deren Vorfahren sich bis zum Großen Kurfürsten zurückverfolgen lassen. Die lange und in vielen Bereichen fruchtbare Geschichte der kleinen Gruppe der deutschsprachigen Juden darf nicht vergessen werden. Antisemitismus war immer schädlich – für Nichtjuden wie Juden.
Für das Museum beginnt mit der Akademie, die am 17. November feierlich eröffnet wird, eine neue Phase. Die Akademie will zu Fragen der Integration von Minderheiten forschen und mit pädagogischen Programmen und politischen Initiativen dazu beitragen, dass der Prozess der Integration gelingt. Das ist ein wichtiges Thema und hat Bezüge zur aktuellen Situation Deutschlands, das auf Einwanderer angewiesen sein wird.
Auch unterwegs aktuell informiert mit der kostenlosen App "Deutscher Bundestag" und unter m.bundestag.de.