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Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 3. Dezember 2012)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Der Berliner Medienwissenschaftler Professor Norbert Bolz ist skeptisch, ob die von einigen deutschen Verlagshäusern angestrebten Bezahlsysteme ihrer Online-Ausgaben Erfolg haben. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ sagte er, die Zeitungsverlage seien „gut beraten, von der verfestigten Vorstellung bei jüngeren Menschen auszugehen, alles sei kostenlos im Netz. So ist man auch am besten gegen Enttäuschungen gewappnet“. Der Professor für Medienwissenschaft an der TU Berlin sagte, es seien allenfalls Flatrates für den Zugang zu irgendwelcher Art von Nachrichten denkbar. „Ob daraus ein Geschäftsmodell für den Journalismus entwickelt werden kann, kann ich nicht beurteilen“, sagte er.
Bolz kritisierte im Interview auch die von vielen Verlagshäusern betriebene Vermischung von Journalisten in Zentralredaktionen, die für verschiedene Objekte eines Hauses arbeiten und oft Print wie Online bedienen müssen. „Das richtet sich eindeutig gegen Qualität“, sagte Bolz. Klassischer Journalismus müsse in der modernen Medienlandschaft etwas leisten, was andere Medien und laienbetriebene Onlinemedien nicht bieten könnten. „Da kommt man immer wieder auf die Qualität zurück“. Das müsse sich aber erst einmal in den Köpfen der Verantwortlichen festsetzen.
Von der Politik erwartet der Medienexperte nur wenig im Zusammenhang mit der Zeitungskrise. Dazu seien viele Politiker „zu abgehoben vom modernen Informationsalltag, der die Probleme bereitet“. Politiker seien heute in einer extremen Weise vorselektierten Informationen ausgesetzt und hätten „keine Verarbeitungskapazität mehr, wenn man ihren Tagesrhythmus sieht“. Bolz wandte sich auch gegen Pläne, bedrohte Zeitungen durch staatliche Gelder oder Stiftungen zu stützen.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Bolz, Frankfurter Rundschau und Financial Times stehen vor der Einstellung, die Nachrichtenagentur dapd ist insolvent, diverse Magazine und Regionalzeitungen in Deutschland sind bedroht. Haben auf Papier gedruckte Zeitungen noch Zukunft?
Auf Papier gedruckte Zeitungen haben keine Zukunft, wenn sie Print als das Medium von Journalismus in den Vordergrund stellen. Gedruckte Zeitungen haben eine Zukunft als Teil eines sich neu verstehenden Journalismus, der sein Zentrum in der Online-Redaktion hat. Alle jetzt noch erfolgreichen Zeitungen sind schon länger so aufgebaut, dass auch die Online-Redaktion mindestens die Hälfte der Arbeit übernimmt und die Leistungsfähigkeit garantiert. Dabei ist Print ein Produkt neben anderen. Ich sehe in Zukunft eher Medienhäuser, die das kostbare Produkt einer gut sortierten und gut formulierten Information in unterschiedlichen Kanälen und unterschiedlichen Vertriebswegen dann auch in Profit verwandeln. Da wird immer auch ein Platz für eine gedruckte Zeitung sein.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang Qualität?
Angesichts der Digitalisierung aller Lebensverhältnisse muss sich jedes klassische Medium fragen, was kann ich, was die neuen Medien oder die computergestützten, auf sozialen Netzwerken basierten Einrichtungen nicht können. Professioneller Journalismus hat zwei Qualitäten, die man nicht durch Laien ersetzen kann. Das sind zum einen gut sortierte Archive. Viel wichtiger ist zum anderen die Qualität. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber die meisten übersehen das. Es gibt nur ganz wenige Leute, die gut denken und gut schreiben können. Das ist eine Qualität, die immer wichtiger wird, wenn einmal der ganz Hype mit Bürgerreporten etc. der Normalität gewichen ist. Es geht beim Qualitätsjournalismus darum, eine wohlgeordnete und wohlgeformte Information aufzunehmen, und dann macht es einfach auch Spaß, etwas gut Geschriebenes zu lesen. Das ist schon etwas ganz anderes als manch hingerotzter Kommentar in Onlinemedien. Insofern sehe ich Qualität als Rettungsanker.
Ist nicht ein Problem hierbei die von den Verlagshäusern betriebene Vermischung von Journalisten in Zentralredaktionen, die für verschiedene Objekte eines Hauses arbeiten und Print wie Online bedienen müssen?
Das richtet sich eindeutig gegen Qualität. Es geht darum, was kann klassischer Journalismus leisten in der modernen Medienlandschaft, was andere Medien und laienbetriebene Onlinemedien nicht bieten können? Da kommt man immer wieder auf die Qualität zurück. Das muss sich erst einmal in den Köpfen der Verantwortlichen festsetzen. Es wird auch eine Art Hierarchie im Journalismus geben. Ich sehe für den Journalismus eine ähnliche Entwicklung voraus wie für die Bildungsanstalten oder Universitäten: Sie teilen sich auf in Starakademiker, Pädagogen und in technische Tutoren, so dass man nicht sagen kann, jeder macht alles. Das wird es auch für den Journalismus geben. Es wird Starjournalisten geben, dann Leute, die alles an Problemen auffangen und vermitteln müssen und Zulieferer, vielfach außerhalb der Zeitungshäuser.
Jetzt reden wir über Inhalte. Wie ich die gut geschriebenen Texte vertreibe, ist ja dann eigentlich egal, ob online oder als Print...
Es gibt unterschiedliche Gesetzmäßigkeiten bei der Rezeption. Man liest online noch immer anders als in einer gedruckten Zeitung. Deshalb glaube ich auch, dass gedruckte Zeitungen überleben werden. Sie sind eine eigene Stilform, die praktisch mit dem Medium mit gesetzt ist. Es gehört praktisch zu einer Zeitung schon dazu, jedenfalls bei den seriösen Zeitungen, dass man sich auch ein bisschen Zeit nimmt für ihre Lektüre.
Auf der anderen Seite bietet Zeitung Orientierung. Sie sortiert für ihre Leser Nachrichten, sagt, was wichtig ist und was nicht. Ein Vorteil?
Ja. Das wird auch immer so bleiben und ist unverzichtbar. Es ist eine der größten Illusionen der Internetkultur, so zu tun, als gebe es jetzt gar keine Pushmedien mehr, sondern nur noch Pullmedien. Also die Vorstellung, alle saugen sich selbst etwas aus dem Netz heraus. Das ist schon deshalb unsinnig, weil man schon vorher wissen müsste, was man eigentlich aus dem Netz holen will. Dazu muss man sortieren, was wichtig und was unwichtig ist.
Alles muss letztlich auch bezahlt werden. Im Internet gibt es in Deutschland eine Umsonstkultur. Verlage wie der Springer-Konzern wollen dies ändern und Bezahlsysteme einführen. Kann das gelingen?
Ich kann mir Bezahlsysteme immer nur auf einer pauschalen Basis vorstellen. Also irgendwelche Flatrates für den Zugang zu irgendwelcher Art von Nachrichten. Die meisten Jugendlichen werden sich allenfalls auf den Kompromiss einlassen, einen geringen Betrag für Onlinemedien zu entrichten, eine Pauschale, um dann unbegrenzt Zugriff auf alles mögliche zu haben. Ob daraus ein Geschäftsmodell für den Journalismus entwickelt werden kann, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube, dass die Zeitungsverlage gut beraten sind, von der verfestigten Vorstellung bei jüngeren Menschen auszugehen, alles sei kostenlos im Netz. So ist man auch am besten gegen Enttäuschungen gewappnet.
Die Betroffenheit in der Politik über die Zeitungskrise ist groß. Schon wird von einigen Experten diskutiert, dass die öffentliche Hand privatwirtschaftliche Medien stützen soll …
Springer-Chef Mathias Döpfner hat sich kürzlich strikt gegen jedes Subventionsmodell für private Medien ausgesprochen. Seine Argumente muss man sehr ernst nehmen. Das Marktmodell sollte hier erhalten bleiben, gerade weil es um Pressefreiheit, Gedankenfreiheit oder Meinungsfreiheit geht. Sponsoring oder gar öffentliches Gelder wären in diesem Bereich hoch problematisch. Ich kann mir allenfalls vorstellen, dass ein großes Medienhaus sein Geld mit vielen Aktivitäten verdient und sich außerdem noch eine gute Zeitung leistet.
Etwa Springer und die „Welt“, die seit langem defizitär ist ...
Man muss sich das leisten und sagen können, das gehört zu unserem Profil als Medienhaus. Ich glaube, dass im 21. Jahrhundert Profil häufig vor Profit gehen wird. Wenn man Profit machen will als Medienhaus, braucht man auch ein bestimmtes Profil. So können sich bestimmte Qualitätszeitungen auch halten. Das wäre mir sympathischer als die Vorstellung, dass da öffentliche Gelder locker gemacht werden. Es schadet der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nicht, dass sie eher konservativ ausgerichtet ist oder die Süddeutsche eher SPD-nah ist.
Und wie ist es mit der Frankfurter Rundschau?
Da ist die SPD zuletzt direkt beteiligt. Es tut niemandem gut, wenn man das Gefühl hat, das ist eine Staats- oder Parteipresse, auch wenn das gar nicht stimmt.
Ist das langsame Verschwinden von Printmedien eine Gefahr für die Demokratie?
Für mich bleibt bürgerliche Öffentlichkeit an die Printmedien angebunden. Allerdings gibt es praktisch alles, was es schriftlich gibt und gedruckt wird, auch online. Viele nutzen auch Onlinemedien, um so ganz normale Printmedien zu rezipieren. Wir haben wahrscheinlich mittlerweile auch eine andere Vorstellung von Objektivität bekommen. Wir nehmen Abschied von den Autoritäten, die letztlich mit den Printmedien verknüpft waren. Stattdessen bekommt man eine Kakofonie von Stimmen, die jedem die Möglichkeit gibt, sich vielfältig zu bedienen. Das sehe ich gleichwohl mit einem gewissen Optimismus. Man hat heute die Möglichkeit des Zugriffs auf viele Informationsquellen, so dass die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Bornierung des Denkens doch sehr gering ist.
Insofern sehe ich keine unmittelbare Gefahr für die Demokratie. Unsere Vorstellungen von einem parlamentarischem System werden aber sicher in eine tiefe Krise geraten. Es geht darum, wo findet Öffentlichkeit statt und wo wird eigentlich politisch entschieden. Da gab es früher immer klare Vorstellungen: Öffentlichkeit wird gerahmt durch die veröffentlichte Meinung in der Presse und auf der anderen Seite fallen die großen politischen Entscheidungen im Parlament. Das stimmt beides nicht mehr.
Erleben wir gerade eine Medienkrise und wenn es so ist, was muss die Politik tun?
Wir erleben eine Medienkrise und die Fähigkeiten wie Kompetenzen teilen sich neu auf. Die Medienlandschaft verändert sich und jedes Medium muss seine Nische finden, um zu überleben. Was Politik da tun kann, ist eine sehr schwere Frage, weil das ja eigentlich voraussetzen würde, dass die Politiker verstehen was da gerade passiert.
Das tun sie nicht?
Politiker haben hier zwei Probleme: Sie müssen festhalten an der Idee der parlamentarischen Demokratie, als Fassade gewissermaßen. Andererseits sind sie per definitionem abgehoben vom modernen Informationsalltag, der die Probleme bereitet. Politiker sind heute in einer extremen Weise vorselektierten Informationen ausgesetzt. Die heutige radikale oder anarchische Demokratisierung aller Kommunikationsverhältnisse erfahren sie als Person in der Regel nicht selbst. Sie stehen am Endpunkt einer traditionellen Informationskette und haben auch keine Verarbeitungskapazität mehr, wenn man ihren Tagesrhythmus sieht. So sind unsere Politiker mehr als alle anderen darauf angewiesen, dass die alten Informationskanäle funktionieren. Das sehe ich als ihr eigentliches Problem.
Jüngere Menschen lesen immer weniger, ob Zeitungen oder Bücher. Kanzlerin Merkel hat mit Blick auf die Zeitungskrise gesagt, man müsse Projekte entwickeln, um Jüngere zum Lesen von Printmedien zu begeistern. Ist das möglich?
Die Frage stelle ich mir jeden Tag, wenn ich an meine eigenen Studenten denke. Eine ganz bestimmte Form von intellektueller Bildung bleibt an die Lektüre von Büchern gebunden. Ich glaube, dass auch bestimmte Formen von Urteilskraft und Intelligenz an Buchlektüre gebunden sind. Zum Beispiel ist Besonnenheit etwas, was sich mit dem Internet als Medium prinzipiell nicht verträgt.
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