Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2011 > Interview Strässer
Die Forderung nach juristischen Ermittlungen zur Aufklärung spektakulärer Vorwürfe gegen den kosovarischen Ministerpräsidenten Hashim Thaci unterstützt Christoph Strässer. Der SPD-Abgeordnete weist im Interview darauf hin, dass sich diese Kritik in einem Bericht Dick Martys bislang nur auf Indizien stützt: Der Schweizer Parlamentarier hält Thaci vor, Ende der neunziger Jahre auf dem Balkan für den Handel mit Organen serbischer Gefangener verantwortlich gewesen zu sein. Die Debatte über Martys Bericht dürfte bei der Wintersession der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (24. bis 28. Januar 2011) für erhebliches Aufsehen sorgen. Strässer ist stellvertretender Leiter der 18-köpfigen Bundestagsdelegation im Straßburger Abgeordnetenhaus, Leiter ist der CDU-Abgeordnete Joachim Hörster. Das Interview im Wortlaut:
Höhepunkt der Sitzung dürfte die Debatte über den Bericht des Schweizer Abgeordneten Dick Marty sein, der gegen den kosovarischen Ministerpräsidenten Hashim Thaci ungeheuerliche Vorwürfe erhebt: Thaci soll Ende der neunziger Jahre als Führer der Rebellenarmee UCK und als Chef einer mafiaähnlichen Gruppe verantwortlich sein für den Handel mit Organen, die serbischen Gefangenen entnommen worden sein sollen. Aber ist es akzeptabel, solche Angriffe gegen einen amtierenden Regierungschef nur auf Indizien und nicht auf Beweise zu stützen?
Nun, so bedeutsam Martys Bericht sicher ist, so stehen doch auch noch andere interessante Themen auf der Tagesordnung. Ich bin vor allem auf die Diskussion über Martys Vorwürfe im Rechtsausschuss gespannt. Der Schweizer beruft sich in der Tat in erster Linie auf Indizien, da die Ermittlungsbefugnisse eines Berichterstatters des Europarats nun mal beschränkt sind. Eine Beweismittelerhebung, die nötig wäre, um die Belastbarkeit der Vorwürfe zu prüfen, ist bei Recherchen im Auftrag des Europarat-Parlaments nicht möglich. Gleichwohl bleibt abzuwarten, ob Martys Kritik an Thaci auch noch durch Beweise untermauert wird.
Der Rechtsausschuss des Parlaments und Europarat-Generalsekretär Thorbjörn Jagland verlangen jetzt juristische Ermittlungen, um Martys Vorwürfen auf den Grund zu gehen. Indes haben EU und Uno in diesem Fall bereits nachgeforscht, und zwar ohne Ergebnis.
Die Forderung nach Ermittlungen der Justiz ist nur folgerichtig, da es ja leider keine eigene Beweismittelerhebung des Europarats gibt. Wenn die Untersuchungen der EU und der Uno zu keinen Ergebnissen führten, die Thaci belasten, so ist dies zunächst einmal erfreulich. Allerdings kann mit solchen Recherchen dieser Fall nicht als abgeschlossen gelten. Immerhin bestätigt Carla del Ponte, ehedem Chefanklägerin beim Jugoslawientribunal in Den Haag, in einem Buch und jüngst wieder in Zeitungsinterviews Martys Vorwürfe.
International tobt ein böser Streit. Thaci vergleicht Marty mit Goebbels und hält dem Schweizer Abgeordneten vor, er stelle sich in den Dienst des großserbischen Nationalismus. Allerdings ist der Kosovo trotz seiner Anerkennung durch zahlreiche Länder kein Mitglied des Europarats, weswegen auch keine Abgeordneten aus Pristina im Parlament des Staatenbunds sitzen. Ist es nicht absurd, dass sich die Beschuldigten in Straßburg gar nicht verteidigen können?
Leider steht einer Mitgliedschaft des Kosovo im Europarat entgegen, dass der neue Staat von vielen Ländern immer noch nicht anerkannt wird, auch nicht von manchen Mitgliedsnationen des Europarats. Es wäre dennoch sinnvoll, eine Möglichkeit im Rahmen der Parlamentarischen Versammlung zu suchen, um den Betroffenen eine Stellungnahme zu Martys Vorwürfen zu ermöglichen.
Die Straßburger Volksvertretung diskutiert bei ihrer Wintersession auch über Versöhnung und politischen Dialog zwischen den jugoslawischen Nachfolgestaaten. Muss Martys Bericht aber nicht das Klima auf dem Balkan vergiften?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ein Versöhnungsprozess ist notwendig, und wir fordern Serbien auf, bilateral trotz aller Differenzen mit Pristina Schritte in diese Richtung zu tun. Das kann aber internationale Institutionen wie den Europarat nicht daran hindern, sich zu bestimmten Sachverhalten kritisch zu äußern und dazu Berichte zu veröffentlichen.
Derzeit hat die Türkei beim Europarat zentrale Machtpositionen inne: Ankara obliegt der Vorsitz im Ministerkomitee, und mit Mevlüt Cavusoglu ist ein Türke Präsident des Parlaments. Befördert diese starke Stellung beim Straßburger Staatenbund den Beitritt Ankaras zur EU?
Die doppelte türkische Spitze beim Europarat hat nichts mit den Beitrittsgesprächen zwischen Ankara und Brüssel zu tun, die ja nur langsam vorankommen. Die Türkei, eines der ältesten Mitglieder des Europarats, hat wie jedes andere Mitgliedsland das Recht, wichtige Funktionen beim Straßburger Staatenbund zu besetzen. Cavusoglu wurde im Übrigen nicht als Türke, sondern als Vertreter seiner konservativen Fraktion zum Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung gewählt.
Zum wiederholten Male werden die Abgeordneten an die USA und Japan appellieren, als Beobachterstaaten beim Europarat gemäss dessen politischer Linie die Todesstrafe abzuschaffen. Diese Vorstöße muten doch wie ein folgenloses Ritual an, da sich Washington und Tokio durch solche Forderungen nun mal nicht beeindrucken lassen.
In der Tat ist dieser Eindruck nicht ganz von der Hand zu weisen. Dennoch ist es der einzige Weg, diese beiden Staaten immer wieder aufzurufen, die Todesstrafe abzuschaffen. Auch andere internationale Organisationen einschließlich der Vereinten Nationen haben mit dem Problem zu kämpfen, dass ihre Forderungen nach Eliminierung der Kapitalstrafe nicht von allen Ländern befolgt werden.
(kos)