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Der Streit um den "Staatstrojaner", die Abstimmung über die Verlängerung der Antiterrorgesetze, eine Expertenanhörung zur geplanten Visa-Warndatei: Die Innenpolitik steht dieser Tage wieder im Zeichen der Terror- und Verbrechensbekämpfung – wie so oft in den vergangenen zehn Jahren: "Nach dem 11. September 2001 hat dieser Bereich eine überragende Bedeutung bekommen", stellt Wolfgang Bosbach (CDU/CSU), seit Herbst 2009 Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag, rückblickend fest. "Mit Ermittlungsbefugnissen eng verbunden waren natürlich auch immer Fragen der Persönlichkeitsrechte und des Datenschutzes. Nicht zuletzt durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind wir hier inzwischen viel sensibilisierter als noch vor zehn oder 20 Jahren", sagt der 59-jährige Jurist und profilierte Innenexperte der Union.
Sicherheit und individuelle Freiheitsrechte in Ausgleich zu bringen, diese Herausforderung dominiert oft die Arbeit der Innenpolitiker im Bundestag. Doch daraus zu schließen, das Themenspektrum des Innenausschusses sei damit schon hinreichend umrissen, wäre ein Irrtum.
Die Bandbreite der Aufgaben reicht von A wie Asylpolitik bis Z wie Zivilschutz. Als Querschnittsauschuss berät er federführend sämtliche Angelegenheiten der Innenpolitik und der Verwaltung des Bundes, die nicht ausdrücklich einem anderen Ministerium und damit einem anderen Fachausschuss zugewiesen sind.
Dazu gehören neben der inneren Sicherheit unter anderem auch politische Bildung, Religionsgemeinschaften, Vereins- und Versammlungsrecht, Verfassungsschutz aber auch das Dienstrecht des öffentlichen Dienstes. Für den Bereich Kommunales hat der Innenausschuss außerdem im vergangenen Jahr zum ersten Mal einen Unterausschuss eingesetzt.
Nicht vergessen dürfe man außerdem den ganzen Bereich der Bundesverwaltung, soweit das Innenministerium betroffen ist, erinnert Bosbach. "Wir hatten da eine Fülle von Reformvorhaben parlamentarisch zu erörtern – insbesondere im Zusammenhang mit der Neuorganisation der Bundespolizei, früher des Bundesgrenzschutzes, in Folge des Wegfalls der innerdeutschen Grenze."
Immer wieder bestimmen aber auch Fragen von Zuwanderung und Integration, Asyl und Flüchtlingsschutz die Arbeit des Innenausschusses: "Wenn wir so dramatische Ereignisse haben, wie in den letzten Monaten im Mittelmeerraum, dann steht das Thema Flüchtlingsschutz in jeder Sitzung auf der Tagesordnung ganz oben", betont der Politiker, der von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion war.
Erstmals wurde ein Innenausschuss in der zweiten Wahlperiode des Deutschen Bundestages eingerichtet, damals allerdings noch mit einem engeren Aufgabenspektrum und unter der Bezeichnung "Ausschuss für Angelegenheiten der inneren Verwaltung". 1957 erfolgte dann die Umbenennung in "Ausschuss für Inneres".
Seit 1965 firmiert er unter seiner heutigen Bezeichnung und ist inzwischen einer der größten Ausschüsse im Bundestag. 37 Mitglieder hat das Gremium in der laufenden 17. Wahlperiode. 14 gehören davon der Unionsfraktion an, neun der SPD, sechs der FDP. Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke sind jeweils mit vier Abgeordneten vertreten. Stellvertretender Vorsitzender ist der Sozialdemokrat Frank Hofmann.
Der Innenausschuss gehört zwar nicht zu den vier Ausschüssen, die im Grundgesetz verankert sind – das sind der Auswärtige Ausschuss, der Verteidigungsausschuss, der Petitionsausschuss und der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union –, doch fungiert er zusammen mit dem Rechtsausschuss als "Verfassungsausschuss". Änderungen des Grundgesetzes werden entweder federführend im Rechts- oder im Innenausschuss beraten.
Kernaufgabe des Innenausschusses ist die parlamentarische Kontrolle der Politik des Innenministeriums. Um diese effektiv zu erfüllen, müssen die Innenpolitiker des Bundestages stets auf dem neuesten Informationsstand sein. Den Wissensvorsprung der Regierung versucht der Ausschuss vor allem dadurch zu kompensieren, dass er sich möglichst früh von ihr über politische Vorhaben in Kenntnis setzen lässt.
"Die Einflussmöglichkeiten des Bundestages auf europapolitische Entscheidungen der Bundesregierung sind deutlich gewachsen", unterstreicht Bosbach. Das sei in der Vergangenheit anders gewesen: "Wenn wir der Regierung bestimmte Aufträge mit auf den Weg geben wollten, hieß es oft: ‚Zu früh, wir sind nicht so weit, ihr dürft auch unseren Verhandlungsspielraum nicht zu weit einengen'. Haben wir abgewartet, hat dieselbe Regierung gesagt: ‚Zu spät, jetzt haben wir uns schon geeinigt, jetzt könnt ihr keinen Sand mehr ins Getriebe streuen.'" Diese Situation habe sich in den letzten Jahren aber gebessert.
Tatsächlich lassen sich die Innenpolitiker des Bundestages heute nicht mehr nur Nachberichte geben. Wenn erforderlich, wenden sie sich zuweilen auch direkt an den zuständigen EU-Kommissar. Weil für die Umsetzung europäischer Richtlinien in nationales Recht stets eine parlamentarische Mehrheit benötigt werde, sei die Regierung aber "gut beraten zuzuhören, wie das Parlament denkt", mahnt Bosbach.
In dieser Hinsicht sei es auch selbstverständlich, dass Regierungsvertreter an den Sitzungen des Innenausschusses teilnähmen. "Meistens sind sogar beide Staatssekretäre permanent vertreten", so der Unionspolitiker. Dass der Minister komme, sei allerdings eher die Ausnahme, gibt er zu: "Ein, zweimal im Jahr – oder aus besonderem Anlass."
Einer dieser besonderen Anlässe ergab sich gerade in der vergangenen Woche, als Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU) Stellung nahm zu den Vorwürfen des Chaos Computer Clubs, der kritisiert hatte, dass ein unter anderem vom Bundeskriminalamt (BKA) zum Abhören verschlüsselten Telefonate über das Internet verwendeter Trojaner mehr könne, als eigentlich zulässig. Im Innenausschuss musste sich dann nicht nur der Minister, sondern auch der Präsident des BKA, Jörg Zierke, Fragen der Abgeordneten gefallen lassen. Ziel der Sitzung, an der auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar teilgenommen habe, sei es gewesen, sich gemeinsam ein Bild von den tatsächlichen Begebenheiten zu machen. "Nach der Erörterung war klar, dass jedenfalls auf Bundesebene das geltende Recht strikt beachtet wurde", so Bosbach.
Da bei solchen Sitzungen meist sensible Informationen ausgetauscht werden, tagt der Innenausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit, in Sitzungswochen zumeist mittwochs um zehn Uhr im Paul-Löbe-Haus des Bundestages. Anhörungen von Sachverständigen finden dagegen öffentlich statt.
Solche Anhörungen sind eine weitere wertvolle Informationsquelle für die Innenpolitiker, von der sie oft Gebrauch machen: "Es vergeht keine Sitzungswoche, in der keine formelle Anhörung von Fachleuten stattfindet", berichtet Bosbach. Auch wenn diese leider oft in einem „Ritual erstarrten, "weil jede Fraktion zumeist die Experten benenne, von denen sie glaube, dass sie ihre eigene Meinung bestätigen", erhielten die Parlamentarier doch aus Wissenschaft und Praxis wertvolle Hinweise für das Gesetzgebungsverfahren.
In den vergangenen zwei Monaten holte der Ausschuss so etwa die Stellungnahmen von Sachverständigen zur Wahlrechtsänderung, zum geplanten Austausch von Informationen zwischen den Strafverfolgungsbehörden in Europa und zur Verlängerung der Antiterrorgesetze ein. Am vergangenen Montag befragte er zudem Experten zum Vorhaben der Bundesregierung, eine Visa-Warndatei einzurichten.
Nicht selten allerdings entscheidet sich der Ausschuss für eher informelle "Hearings". "Manchmal macht es einfach mehr Sinn, zu einem klassischen Berichterstattergespräch Experten hinzuzuziehen", erklärt der Ausschussvorsitzende. "Man spricht einfach anders, wenn man weiß, dass kein Wortprotokoll angefertigt wird und keine Kameras dabei sind – sonst achtet man eher auf seine Worte und redet nicht unbedingt über Vertrauliches." Doch auch gerade solche Hintergrundinformationen können den Parlamentariern im laufenden Gesetzgebungsprozess von großem Nutzen sein.
Fragt man nach den wichtigsten Entscheidungen der laufenden Legislaturperiode, so ist die Antwort aus Sicht des Ausschussvorsitzenden Bosbach klar: "Im Bereich der Terrorbekämpfung ist es natürlich die Verlängerung der Antiterrorgesetze. Was den Datenschutz angeht, das Gesetz zur Regelung des Beschäftigten-Datenschutzes, weil es Hunderttausende Arbeitgeber und Millionen Arbeitnehmer betrifft."
Im Bereich der Integration sei insbesondere die Förderung bundesweiter Sprach- und Integrationskurse bedeutend, fügt Bosbach hinzu: "Für die gibt der Bund pro Jahr rund 200 Millionen Euro aus."
Ob Terrorismusbekämpfung, Datenschutz oder Integration, innenpolitische Regelungen sind nicht selten Gegenstand kontroverser Diskussionen – auch im Ausschuss. Doch diese würden „weniger lautstark ausgetragen als in der Öffentlichkeit", so Bosbach. Selbst wenn es Streit gebe, bleibe der "in 95 Prozent der Fälle oberhalb der Gürtellinie."
Der aus Bergisch Gladbach stammende Abgeordnete ist selbst als einer bekannt, der meinungsstark auftritt und das offene Wort nicht scheut. Ein respektvoller Umgang ist für Bosbach aber das A und O: „Ich achte sehr darauf, dass ich nicht persönlich werde und alle gleich behandle, sonst verliere ich den Respekt als Ausschussvorsitzender." In gewisser Weise sei er wie ein Schiedsrichter, der auf die Regeln zu achten habe, sagt Bosbach: „Natürlich schimpfen die Spieler über den Schiri, aber sie wissen auch: Ohne ihn geht es nicht..." (sas)