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Die Rolle von drei Geheimdienst-Spitzeln im Umfeld des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) gehört zu den zentralen Themen des nächsten Treffens des Untersuchungsausschusses am Montag, 13. Mai 2013. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) über die V-Leute "Primus", "Strontium" und "Corelli" auf die Spur des 1998 abgetauchten Trios Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hätte kommen können. Das Bundestagsgremium soll Fehlgriffe und Pannen bei den Ermittlungen zu der dem NSU angelasteten Mordserie durchleuchten.
Die Zusammenkunft unter Vorsitz von Sebastian Edathy (SPD) beginnt um 14 Uhr im Raum E 400 des Paul-Löbe-Hauses in Berlin. Geladen sind vier Zeugen vom BfV: zwei V-Mann-Führer und zwei Auswerter, die Informationen analysierten, die von Spitzeln im rechtsextremen Milieu stammten.
Mit diesem Treffen beendet das Bundestagsgremium seine Zeugenvernehmungen. Als letzte öffentliche Sitzung findet am 16. Mai eine Anhörung mit Sachverständigen statt.
In das Aufgabengebiet der beiden V-Mann-Führer fiel die Zuständigkeit für Ralf M. alias "Primus" und für Mirko H., Deckname "Strontium". Vor allem die Rolle von "Primus" hat jüngst Stoff für Medienberichte und kritische Stellungnahmen von Fraktionsobleuten des Ausschusses geliefert.
Ralf M. war offenbar V-Mann des Geheimdiensts von 1992 bis zum Beginn des vergangenen Jahrzehnts. Nach dem, was bislang publik geworden ist, kannte er mehrere Leute, die mutmaßlich das NSU-Trio unterstützt haben. In Kontakt soll "Primus" etwa zu André E. gestanden haben, der im Münchner Prozess zu den Angeklagten gehört. Beziehungen soll es auch mit Jan W., einem führenden Kopf der rechtsextremen Musiknetzwerke in Sachsen, und mit Thomas S. gegeben haben, der von der Berliner Polizei als Spitzel geführt wurde.
Ralf M. betrieb in Zwickau, wo die NSU-Zelle zuletzt gewohnt hat, einen in der Szene beliebten Laden. Allein diese Umstände lassen unter den Abgeordneten die Vermutung keimen, Ralf M. könne an Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe näher dran gewesen sein als gedacht. Die naheliegende Frage: Hat der Verfassungsschutz seine Quelle bei der Suche nach der untergetauchten Jenaer Gruppe konsequent genutzt?
Zusätzliche Brisanz erhält dieser Fall durch den Verdacht, "Primus" könne vielleicht der NSU-Gruppe Fahrzeuge zur Verfügung gestellt haben, die er für eine von ihm betriebene Baufirma gemietet hatte. Zwei der dem Jenaer Trio zugerechneten zehn Morde geschahen 2001 in Nürnberg und München.
Diese beiden Erschießungen sind die einzigen der zehn Hinrichtungen, bei denen für die benutzten Fahrzeuge keine Belege existieren. Das Unternehmen von Ralf M. war auch in München und Nürnberg tätig. Auf seinen Namen getätigte Autoanmietungen im Juni und im August 2001 würden zu den Morden in den beiden Städten passen.
Bei Befragungen durch das Bundeskriminalamt (BKA) soll M. nach Medienberichten aber bestritten haben, er oder seine Mitarbeiter hätten dem NSU Fahrzeuge zur Verfügung gestellt – "meines Wissens nicht", habe er gesagt. M. verneint auch, die Jenaer Zelle gekannt zu haben. Beweise, "Primus" habe etwas über die Gruppe und deren Taten gewusst und ihr über die Bereitstellung von Fahrzeugen sogar geholfen, gibt es bislang nicht.
Sehr wenige Informationen sind bislang über Mirko H. alias "Strontium" in die Öffentlichkeit gedrungen. Bei Telefonüberwachungen, die gegen Jan W. liefen, tauchte auch der Name von H. aus Sebnitz auf, eines Partners von Jan W. und wie dieser in rechtsextremen Musiknetzwerken aktiv.
Überdies war H. ein führender Kopf der sächsischen Hammerskins. Und er war eben als V-Mann für den Geheimdienst tätig. Hätte der Verfassungsschutz von "Strontium" wegen dessen Beziehungen zu Jan W. etwas über den NSU erfahren können? Jan W. soll Kontakte zu dem Trio unterhalten haben, so hat es jedenfalls der Spitzel Thomas S. seinem Berliner V-Mann-Führer mitgeteilt.
Nicht zum ersten Mal befasst sich der Ausschuss mit "Corelli", der dem BfV Informationen offenbart hat. Dabei handelt es sich um Thomas R., der im rechtsextremen Milieu zu den führenden Köpfen gezählt hat. Sein Name steht auf einer Adressenliste, die 1998 in einer von der Jenaer Zelle zum Bombenbau genutzten Garage entdeckt worden war.
Seit Langem hegen Abgeordnete den Verdacht, "Corelli" könne nähere Kontakte zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe unterhalten haben, weshalb er im Prinzip als Spitzel dem Geheimdienst wichtige Hinweise zum NSU hätte geben können. Laut Medienmeldungen erklärte R. indes gegenüber dem BKA, die Gruppe nicht persönlich zu kennen. Er verstehe auch nicht, wie er auf die Adressenliste geraten sei.
Im Ausschuss geht man davon aus, dass "Corelli" zumindest einmal direkten Kontakt mit Mundlos hatte und dass dies auch in der Akte des Verfassungsschutzes vermerkt sein muss.
Von den BfV-Auswertern wollen die Parlamentarier jetzt wissen, ob ihnen dies aufgefallen ist und ob diese brisante Information bei der Suche nach dem abgetauchten NSU genutzt wurde. (kos/03.05.2013)
Zeit: Montag, 13. Mai 2013, 14 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 400
Interessierte Besucher können sich im Sekretariat des Untersuchungsausschusses unter Angabe des Vor- und Zunamens sowie des Geburtstags und des Datums der öffentlichen Sitzung anmelden (E-Mail: 2.untersuchungsausschuss@bundestag.de, Fax: 030/227-30084). Zum Einlass muss ein Personaldokument mitgebracht werden.
Bild- und Tonberichterstatter können sich beim Pressereferat (Telefon: 030/227-32929 oder 32924) anmelden.