Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2009 > Hans-Ulrich Klose (SPD)
Als am 9. November 1989 die DDR in Ost-Berlin die ersten Grenzübergänge nach Westen öffnete, tagte in Bonn gerade der Bundestag. So wie die meisten Menschen in Ost- und Westdeutschland traf der Mauerfall auch viele Parlamentarier unvorbereitet. Nicht so Hans-Ulrich Klose, damals wie heute für die SPD Mitglied im Bundestag: Als die Nachricht verkündet wurde, hatte er eine Wette gewonnen. Auch deshalb erinnert er sich noch gut an die besondere Sitzung im Parlament, als sich die Abgeordneten plötzlich von ihren Plätzen erhoben und spontan die Nationalhymne anstimmten.
"Ich kam ins Plenum und fragte: 'Was ist denn los?' Irgendeiner sagte dann zu mir: 'Die Mauer ist auf!' Ehrlich gesagt, so überrascht war ich gar nicht. Schon ein Jahr vorher hatte ich mit einem Journalisten um sechs Flaschen Champagner gewettet, dass 1990 die deutsche Wiedervereinigung kommen würde.
Irgendwie ahnte ich schon, dass etwas passieren könnte, als sich in Ungarn erstmals der Eiserne Vorhang öffnete und die Touristen aus der DDR über Österreich in die Bundesrepublik kamen. Ich wusste, wenn der Eiserne Vorhang irgendwo aufgeht, dann ist das der Anfang vom Ende. Die sechs Flaschen Veuve Clicquot hat der Journalist übrigens bezahlt.
Recht eigentlich war mir aber damals, am Abend des 9. November, noch gar nicht bewusst, was diese Nachricht vom Mauerfall wirklich bedeutete. Das wurde mir erst klar, als ich zwei Tage später in meinen Wahlkreis nach Hamburg zurückfuhr. Die Stadt war voller Trabis und Wartburgs - sie parkten überall, wo es ihnen gerade passte, aber niemand kümmerte sich darum.
Die Leute gingen durch die Kaufhäuser mit ganz großen Augen - und die Kinder erst! Sie sahen ja Sachen, die sie noch nie zuvor gesehen hatten. Man hatte unwillkürlich das Bedürfnis, ihnen etwas zu kaufen, irgendetwas. Es war fast beschämend. Wir im Westen hatten bis dahin gar nicht begriffen, was wir hatten und die Menschen im Osten nicht.
Dort war ich früher einige Male gewesen, als Jungsozialist und auch als Hamburger Bürgermeister. Nach dem Mauerfall bin ich dann aber in meiner Funktion als Schatzmeister der SPD sehr schnell und oft in den Osten gefahren. Dort hatte sich die SDP, die Sozialdemokratische Partei, gegründet, und die SPD wollte sie unterstützen.
Kreuz und quer bin ich so durch die damals noch existierende DDR gereist. Das war schon abenteuerlich: Diese Strecken, die Straßen, die Hotels - wenn es überhaupt welche gab... Es war ein ganz anderes Land, anders als die alte Bundesrepublik, die es - schwante mir - bald auch nicht mehr geben würde. Diese Besuche in der DDR waren aufregend - was würde kommen? Sie waren für mich aber auch deprimierend und machten mich wütend: Wie konnte man ein Land nur so herunterwirtschaften?
Der Mauerfall war ein Jahrhundertereignis, die Wiedervereinigung ein Glücksfall. Wenn man die Bilder vom 9. November gesehen hatte, dann wusste man, hier entwickelt sich etwas ganz Großes, eine große Chance, die wir ergreifen mussten, im Interesse vor allem der Ostdeutschen - die waren nach dem Krieg auf der unglücklichen Seite gelandet, wir auf der glücklicheren. Dieser Gedanke hat mich damals mehr beschäftigt als anderes.
Heute, 20 Jahre später, hat sich so viel verändert. Immer, wenn ich durch Berlin fahre oder ins Umland, dann denke ich: Ach, wie toll! Die Landschaft ist so schön, und mit den Menschen kann man gut ins Gespräch kommen. Direkt nach der Wende hatte ich dagegen manchmal den Eindruck, dass es eine Empfindlichkeit gegenüber uns "Wessis" gab.
Die Ostdeutschen dachten wahrscheinlich, wir kommen, um ihnen zu sagen, wie man es richtig macht. Vielleicht war es ja auch so. An dem Vorwurf gegenüber den 'Besserwessis' war sicher etwas dran. Der größte Fehler war vielleicht, dass wir Westdeutschen nicht begriffen haben, dass man auch in einem falschen System ein richtiges Leben haben kann.
Ich habe das anfangs auch nicht verstanden. Aber eines Tages saß ich am Ruppiner See auf einer Wiese, um mich herum viele Menschen. Die hatten Decken dabei, aßen Kartoffelsalat und Würstchen und sahen ihren Kindern beim Schwimmen zu. Ganz normal. Da begriff ich, dass sie das natürlich auch früher schon so gemacht hatten, dass man auch ein schönes Leben in der DDR haben konnte.
Aber wir Westdeutschen hatten das nicht in unseren Köpfen. Die DDR war für uns gleichbedeutend mit Unrecht und Zwang. Ich nehme an, das war auch der Grund, warum Westdeutsche und Ostdeutsche lange nicht richtig miteinander sprechen konnten. Wir haben aneinander vorbeigesprochen. Und immer war da dieser stille Vorwurf vom falschen Leben. Das war nicht gut und klug, nein, es war blöd."