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Der SPD-Fraktionsvize Gernot Erler warnt seine Partei vor einem überzogenen Kurswechsel in der Opposition. In einem Gespräch mit der Wochenzeitung "Das Parlament" bezeichnete es der bisherige Staatsminister im Auswärtigen Amt als "wichtige Aufgabe für die SPD", ihr Profil wieder zu schärfen. Dies dürfe aber "nicht bedeuten, dass wir zu Wendehälsen werden, die sich plötzlich um 180 Grad drehen".
Herr Erler, Sie waren bei der Bundestagswahl der einzige Gewinner eines Direktmandats der SPD in Baden-Württemberg. Ist es da nicht besonders bitter, wenn Sie sich nun in der Opposition wiederfinden?
So richtig Freude konnte über diesen Erfolg nicht aufkommen, weil jetzt so viele vertraute Gesichter fehlen. Es scheiden viele Kolleginnen und Kollegen aus, sodass ich mich eher einsam fühle. Es bleibt mir aber nichts anderes übrig, als diese neue Rolle, die ich von früher schon kenne, anzunehmen.
Franz Müntefering hat 2004 gesagt: "Opposition ist Mist". Stimmt das? Wie wollen Sie in den kommenden vier Jahre in der Opposition Politik machen?
Opposition ist häufig eine Arbeit ohne sichtbare Folgen. Es ist eher der Versuch, wieder einen politischen Standort zu finden. Insofern kann Opposition natürlich auch frustrierend sein. Aber sie gehört zu unserem politischen System und ist unverzichtbar. Es ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, wenn man die Oppositionsrolle nicht nur als ständiges Geschimpfe über die Regierung versteht, sondern als konstruktiv-kritische Begleitung des Regierungshandelns.
Ist es auch eine Chance für die SPD, ihr Profil wieder zu schärfen?
Natürlich, das ist eine wichtige Aufgabe für die SPD. Aber das darf nicht bedeuten, dass wir zu Wendehälsen werden, die sich plötzlich um 180 Grad drehen. Es kann nicht sein, dass wir jetzt in einen Überbietungswettbewerb populistischer Parolen eintreten, zum Beispiel in der Konkurrenz zur Linkspartei. Diesen Wettbewerb können wir nicht gewinnen. Wir müssen bisherige Positionen korrigieren, dürfen aber nicht zulassen, dass plötzlich gering geschätzt wird, was wir in elf Jahren Regierungsverantwortung geleistet haben.
Wie werden Sie mit der Linken in der Opposition zusammenarbeiten?
Es gibt keine Koalitionen in der Opposition, sondern das ist eine Konkurrenz. Dabei handelt es sich um eine sehr selbstbewusste Konkurrenz - sowohl die Grünen wie Die Linke haben bei der Bundestagswahl zugelegt, während die SPD Federn gelassen hat. Wir werden alle drei als Opposition um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ringen müssen.
Die Rechte der Opposition wurden in der vergangenen Legislaturperiode von der Großen Koalition gestärkt. Halten Sie diese für ausreichend?
Ich glaube, wir müssen jetzt besonders aufpassen und die Rechte des Parlaments bewahren. Ich habe gehört, dass vielleicht am Parlamentsvorbehalt gekratzt werden soll. Bisher benötigt jeder einzelne Bundeswehreinsatz im Ausland einen Parlamentsbeschluss. Das hat sich bewährt, auch wenn es manchmal aufreibend ist. Wir müssen aufpassen, dass nicht aus Übermut über den großen Wahlerfolg an den Rechten des Parlaments gerüttelt wird. Dagegen würden wir uns mit aller Kraft wehren.
Die SPD hat ein Drittel ihrer Mandate verloren, darunter profilierte Außenpolitiker, aber auch Wirtschafts- und Finanzpolitiker. Bedeutet das nicht auch einen großen Kompetenzverlust?
Wir haben 76 Abgeordnete weniger und dadurch deutlich eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten. Wir werden viele kompetente Mitarbeiter nicht weiter beschäftigen können. Dadurch verringert sich auch die Expertise, die uns bisher zur Verfügung stand. Dabei sind wir sofort gefordert. Wir werden uns daher schon in der Endphase der Regierungsbildung möglichst kompetent äußern müssen.
Führt das nicht auch zu einem Generationswechsel in der SPD-Fraktion?
Der fällt nur eingeschränkt aus, weil unter den 146 SPD-Abgeordneten nur 28 neue Fraktions-Mitglieder sind. Viele junge Kandidatinnen und Kandidaten, die auf den Listen standen oder auf ein Direktmandat hofften, sind nicht in den Bundestag hinein gekommen. Insofern verzögert sich die personelle Erneuerung durch das schlechte Wahlergebnis. Aber auf dem kommenden Parteitag werden wir sicherlich entsprechende Veränderungen erleben.
Der nächste Außenminister wird vermutlich Guido Westerwelle heißen. Erwarten Sie Veränderungen oder wird sich die Kontinuität der deutschen Außenpolitik auch jetzt fortsetzen?
Es spricht viel für diese Kontinuität. Mir sind keine programmatischen Aussagen des mutmaßlichen nächsten Außenministers bekannt, wo er völlig neue Akzente setzen will. Aber in der internationalen Politik gibt es ständig neue Herausforderungen wie die Georgien-Krise im Sommer 2008. Insofern bleibt eine Ungewissheit über den Kurs der künftigen Außenpolitik, auch wenn in der Koalitionsvereinbarung vieles vertraut klingt.
Können Sie dafür konkrete Beispiele nennen?
Nehmen Sie die Frage der EU-Erweiterung und unsere Verpflichtungen gegenüber den Staaten des Westbalkan oder der Türkei, mit der seit 2005 Verhandlungen laufen. Diese stehen jetzt offenbar auf dem Prüfstand. Es wird spannend werden, wenn wir bald sämtliche Bundeswehreinsätze, auch in Afghanistan, im Parlament diskutieren. Da werden wir sicherlich einige Auseinandersetzungen und ein Ringen um gemeinsame Positionen erleben.
Der Wahlkampf wurde ja vor allem von der Innenpolitik dominiert. Das klingt so, als erwarteten Sie jetzt mehr außenpolitische Debatten im Bundestag?
Man kann schwer voraussagen, ob die Außenpolitik stärker in den Vordergrund treten wird. Die globale Krise wird auf jeden Fall eine große Rolle spielen. Außerdem steht zur Debatte, was von der Entwicklungszusammenarbeit übrig bleibt. Da sind sehr kontroverse Debatten denkbar, die auch innenpolitische Fragen miteinbeziehen.
Wie werden Sie als erfahrener Außenpolitiker mit einem Außenminister Guido Westerwelle zurechtkommen?
Ich weiß nicht, wie sich Westerwelle auf diese Position vorbereitet hat. Ich weiß nur, dass ihn viel Arbeit erwartet. Wenn man noch zusätzliche Aufgaben hat, etwa in der Innenpolitik als Vizekanzler oder die eigene Fraktion zusammenhalten muss, dann ist das eine große Herausforderung. Ich bin gespannt, wie Westerwelle das alles unter einen Hut bringen wird.
Die niedrige Wahlbeteiligung hat gezeigt, dass sich immer mehr Menschen von der Politik abwenden. Welche Möglichkeiten sehen Sie im Parlament, die Bürger wieder stärker für das, was im Bundestag geschieht, zu interessieren?
Das geht eigentlich nur, wenn man politische Projekte anbietet, die auch für junge Wähler interessant sind. Es ist nicht leicht, Bürger für Einzelentscheidungen und Details zu interessieren. Aber die Idee einer globalen Verantwortungspartnerschaft ist etwas, für das man auch junge Leute begeistern kann. Ich glaube nicht, dass die Jugend unpolitisch ist, ganz im Gegenteil. Im Wahlkampf war das Interesse gerade an Schulen sehr groß. Aber man hat nur eine Chance, wenn man von etwas begeistert ist.
Brauchen wir also mehr Politiker mit Visionen? Helmut Schmidt hat ja einmal gesagt: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen."
Ich fand diesen Scherz von Helmut Schmidt schon immer sehr amüsant. Aber die SPD war immer eine Partei, die Visionen entwickelt hat - schon 1925 die Vision eines geeinigten Europas, aber auch die Vision von sozialer Gerechtigkeit, auch im Weltmaßstab. Es gab immer diesen internationalistischen Ansatz bei der SPD. Ich glaube, in dieser Spur müssen wir bleiben.