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Der Tod Osama Bin Ladens, der Nato-Einsatz in Libyen, Proteste in Syrien, politische Umwälzungen in Tunesien und Ägypten, die Erdbeben- und Atomkatastrophe in Japan und der blutige Machtkampf in der Elfenbeinküste - wer die Tagesordnungen des Auswärtigen Ausschusses der vergangenen Wochen und Monate durchsieht, merkt, wie stark die Arbeit der Außenpolitiker im Bundestag von solchen Ereignissen bestimmt wird. In einer globalisierten Welt haben noch so entfernt wirkende Konflikte Bedeutung und Konsequenzen für die deutsche Politik. Was heißt etwa der Tod Bin Ladens für die Terrorgefahr? Wie lässt sich die Demokratiebewegung in der arabischen Welt unterstützen? Oder: Sollen sich deutsche Soldaten am Militäreinsatz der Nato in Libyen beteiligen? Nur eine kleine Auswahl von wichtigen Fragen, die in der letzten Zeit nicht allein die Bundeskanzlerin und ihren Außenminister beschäftigen.
Zwar ist die Außenpolitik eine klassische Domäne der Regierung; Formulierung und Gestaltung der auswärtigen und internationalen Beziehungen obliegen ihr. Doch das Parlament - und damit der Auswärtige Ausschuss als sein wichtigstes mit außenpolitischen Fragen befasstes Gremium - ist daran auf vielfältige Weise beteiligt.
Insbesondere, wenn es um die außenpolitisch wohl wichtigste Entscheidung überhaupt geht, die Entsendung der Bundeswehr in bewaffnete Einsätze, ist der Ausschuss aus dem parlamentarischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess nicht wegzudenken. Es sind die Mitglieder dieses Gremiums, die federführend die Abstimmung über die Anträge der Bundesregierung vorbereiten und Empfehlungen für den Bundestag aussprechen. "Noch in keinem Fall ist das Plenum davon abgewichen", sagt Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Dies zeige auch die große Verantwortung, die auf den Mitgliedern des Ausschusses liege.
"Mandatsentscheidungen nehmen wir daher sehr ernst", betont der CDU-Abgeordnete, der bereits seit 1994 Mitglied im Auswärtigen Ausschuss ist ihm und seit 2005 vorsitzt. "Immer sind der Außenminister und hochrangige Vertreter des Verteidigungsministeriums bei den Diskussionen über die Bundeswehreinsätze dabei."
Zudem sei es mit der Entscheidung selbst nicht getan. Insbesondere durch die Reisen, in denen einzelne Ausschussmitglieder vor, während und auch nach dem Einsatz die Länder besuchten, in denen Soldaten der Bundeswehr entsendet würden, begleite der Ausschuss fortwährend das Engagement Deutschlands im Ausland, erklärt der 64-Jährige. "Das gehört zur Verantwortung der Abgeordneten für eine Parlamentsarmee, wie man die Bundeswehr ja auch nennt."
37 Mitglieder hat der Auswärtige Ausschuss in der laufenden 17. Legislaturperiode. 14 Abgeordnete stellt davon derzeit die Unionsfraktion, neun die SPD, sechs die FDP. Vier Parlamentarier gehören jeweils Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion an.
Damit ist der Ausschuss einer der größten im Bundestag - und ein besonders angesehener dazu. Manchmal auch als "Königsausschuss" bezeichnet, ist er einer der wenigen Ausschüsse, die mit Verfassungsrang ausgestattet sind. Nach Artikel 45a Absatz 1 des Grundgesetzes ist der Bundestag verpflichtet, einen Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten einzurichten.
Damit schreibt das Grundgesetz die Mitwirkung des Parlaments unter anderem auch bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen wie etwa die Europäische Union oder auch die Vereinten Nationen vor, aber auch für Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen.
In den vergangenen Jahren haben mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts die Bedeutung und den Handlungsspielraum des Bundestages und des Auswärtigen Ausschusses im Bereich Außenpolitik gestärkt und erweitert. So sprachen die Karlsruher Richter 1994 anlässlich ihrer Entscheidung über Bundeswehreinsätze außerhalb des Nato-Gebietes von einer "Parlamentarisierung der Außenpolitik". Sieben Jahre später, im Jahr 2001, bescheinigte das Gericht dem Bundestag zudem das Recht auf "Teilhabe an der auswärtigen Gewalt".
Um der Fülle der außenpolitischen Themen in der Alltagsarbeit Herr zu werden, hat der Auswärtige Ausschuss vier Unterausschüsse eingerichtet, die ihm in den Bereichen "Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung", "Vereinte Nationen, Internationale Organisationen und Globalisierung", "Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit" sowie "Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik" zuarbeiten.
Nur so schafft er es, das breite Spektrum an Themen neben den Schwerpunkten der Regierungspolitik zu begleiten: die Beziehungen zu den europäischen Nachbarn, das herausragende Verhältnis zu den USA, die besonderen Beziehungen zu Israel.
Diese Grundlagen der deutschen Außenpolitik sind oft Thema in den Berichten, die die Bundesregierung dem Ausschuss regelmäßig erstattet. Selbstverständlich würden auch bevorstehende Aktivitäten und Positionen, welche die Bundesregierung bei internationalen Treffen wie etwa dem bevorstehenden G8-Gipfel am 26. und 27. Mai im französischen Deauville vertreten will, vorab besprochen, sagt Polenz. "Es gibt einen intensiven Austausch von Argumenten, ob die Einschätzung, so wie sie die Bundesregierung vorträgt, von den einzelnen Fraktionen geteilt und getragen wird."
Nicht selten seien im Auswärtigen Ausschuss die Differenzen gar nicht so groß: "Da ist der Ausschuss vielleicht etwas Besonderes. Die Schnittmenge der Gemeinsamkeiten ist sicher mit am größten im Bundestag", so der Vorsitzende. Entscheidungen entlang der klassischen Regierungs-Oppositions-Linie kämen vor, seien aber eher die Ausnahme.
So kommt es auch, dass das Gremium letztlich nicht nur außenpolitischer Kontrolleur der Bundesregierung ist, sondern auch Initiator neuer Ideen und Impulsgeber. Seine Fürsprache sorgte zum Beispiel für eine Stärkung des Auslandsschulwesens in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. "Mein Eindruck ist, dass sich durch den Austausch mit uns auch für die Regierung wichtige Impulse ergeben, und sie den Ausschuss deshalb auch im eigenen Interesse gut informiert."
Einmal im Monat setzt so etwa die Politische Direktorin des Auswärtigen Amtes, Emily Haber, den Ausschuss darüber in Kenntnis, was auf der Agenda der europäischen Außenminister steht und welche Vorüberlegungen die Botschafter dazu bereits angestellt haben. "Auf diese Weise können wir uns zeitgleich ein eigenes Bild machen", sagt Polenz. Darüber hinaus verfügt das Gremium über eine Reihe von weiteren Möglichkeiten, sich mit Informationen zu versorgen: So kann es auch Vertreter der "Dienste", hauptsächlich des Bundesnachrichtendienstes, in den Ausschuss laden. Da bei solchen Sitzungen meist sensible Informationen ausgetauscht werden, tagt er unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Anhörungen von Sachverständigen finden dagegen auch öffentlich statt. Sie sind eine weitere wertvolle Informationsquelle für die Parlamentarier. Die Expertise der Fachleute nehmen sie deshalb gezielt in Anspruch: "Wir setzen Hearings an, wenn es um Themen geht, die von grundsätzlicher Bedeutung sind, oder von denen wir glauben, dass sie für längere Zeit wichtig sein werden", erklärt der Ausschussvorsitzende.
So empfing das Gremium Anfang April 2011 Wissenschaftler aus Ramallah, Paris und Beirut im Bundestag. Das Thema: "Die Gesamtsituation im Nahen Osten und in Nordafrika."
Nach Ägypten und Tunesien ist der Ausschussvorsitzende zusammen mit den Obleuten der Fraktionen gerade erst gereist. Dort traf die Delegation Vertreter von Regierung, Opposition, Wirtschaft und Zivilgesellschaft: "Wir wollten uns aus erster Hand über den Stand der Umbrüche in der arabischen Welt informieren", sagt Polenz.
Solche Reisen dienen den Abgeordneten darüber hinaus dazu, wertvolle Kontakte in den unterschiedlichen Ländern und Regionen aufzubauen. Vernetzung ist wichtig, um Einfluss für Deutschlands in der Welt zu optimieren. Aber auch die Ausschussarbeit profitiert von den Kontakten und Erfahrungen, weshalb häufig ehemalige Bundes- oder Staatsminister unter den Mitgliedern des Ausschusses anzutreffen sind.
Früher seien Parlamentsneulinge in dem Gremium die Ausnahme gewesen, erinnert sich Polenz: "Als ich 1994 in den Ausschuss kam, da sagte Karl Lamers, der damalige außenpolitische Sprecher unserer Fraktion, zwei Dinge seien in dieser Legislaturperiode erstmals passiert - die Union habe eine Grüne (Antje Vollmer, die Red.) mit zur Vizepräsidentin des Bundestages gewählt, und ein Neuling sei in den Auswärtigen Ausschuss aufgenommen worden. Damit meinte er mich."
Heute ist das Gremium längst nicht mehr nur den "alten Hasen" vorbehalten. Eine gute Entwicklung, findet der Vorsitzende. Es brauche Zeit, sich in die Materie einzuarbeiten. "Bis man sich in einem Thema wie Abrüstungspolitik auskennt und die nötigen Kontakte hat, ist die Legislatur fast vorbei." Wichtig seien außerdem weitere Fähigkeiten: "Man braucht Interesse für Geschichte und andere Kulturen", betont Polenz. "Wer das nicht hat oder sich nicht in unterschiedliche Mentalitäten einfühlen kann, dem werden die Analyse und der Umgang mit Gesprächspartnern Schwierigkeiten bereiten."
Der einstige "Neuling" Polenz hat sich jedenfalls als Außenpolitiker profiliert. Heute gilt er als Experte für den Nahen und Mittleren Osten. Dass er öffentlich meinungsstark auftritt und gelegentlich sogar eine andere Auffassung vertritt als die Mehrheit seiner Fraktion - wie etwa in der Frage eines möglichen EU-Beitritts der Türkei, den er befürwortet -, sieht er nicht als Widerspruch zu seiner Aufgabe als Ausschussvorsitzender.
"Das, was ich stellvertretend für den Ausschuss sage, wird mindestens von drei Fraktionen, manchmal auch von vier oder allen fünf geteilt. Oder es ist erkennbar meine persönliche Einschätzung aufgrund meiner Beschäftigung mit einem Thema."
Günstig wirke sich aus, dass der Ausschuss weniger von Konflikt als von Gemeinsamkeit geprägt sei. Mit einem "Brückenbauer", wie Polenz sich selbst beschreibt, scheint der Ausschuss zudem eine ausgleichende Persönlichkeit für den Vorsitz gefunden zu haben.
Danach gefragt, ob dieser für ihn ein Traumjob sei, zitiert der Politiker gern Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert: Dieser habe einmal Polenz’ Amt als den "zweitschönsten Job" bezeichnet, den der Bundestag zu vergeben habe. Nach dem des Bundestagspräsidenten, versteht sich. (sas)