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Vor einem Jahr, am 20. Mai 2010, ist Hellmut Königshaus als Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages von Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert vereidigt worden. In das erste Jahr der Amtszeit des gelernten Juristen fielen unter anderem ein Ministerwechsel und die Aussetzung der Wehrpflicht. Die anstehende Bundeswehrreform sieht Einsparungen von 8,3 Milliarden Euro vor, was aus Sicht des Wehrbeauftragten dazu führen würde, dass die Bundeswehr "nicht mehr wiederzuerkennen sein wird", wie er im Interview betont. Zurzeit besucht Hellmut Königshaus deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan.
Herr Königshaus, Sie sind genau ein Jahr im Amt. Es war ein ereignisreiches Jahr. Welche Bilanz ziehen Sie nach 365 Tagen?
Ja, es war ein Jahr, in dem wirklich viel passiert ist. Mich hat positiv überrascht, wie viel man im Amt des Wehrbeauftragten bewirken kann. Ich habe im ersten Jahr viel von dem erreichen können, was ich mir vorgenommen hatte. Ein wichtiges Ziel war und ist eine Verbesserung der Ausrüstung der Truppe, denn wir tragen gegenüber den Soldatinnen und Soldaten eine große Verantwortung. Bereits zu Beginn meiner Amtszeit hatte ich ja die unzureichende Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz bemängelt und auch eine robustere Bewaffnung gefordert. Dafür bin ich von verschiedenen Seiten zum Teil massiv kritisiert worden, später wurden aber fast alle meine Forderungen akzeptiert und relativ zügig umgesetzt. Mittlerweile haben wir nun Panzerhaubitzen, Schützenpanzer und TOW-Raketen und auch moderne Aufklärungsmittel im Einsatz. Das sind wichtige Verbesserungen gewesen. Eine optimale Ausrüstung der Truppe ist aber nicht nur für die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten wichtig. Die Außenwirkung einer Armee ist ebenfalls existenziell. Eine schlecht ausgestattete Truppe ist nicht sonderlich attraktiv als Arbeitgeber.
Ist die militärische Ausrüstung inzwischen auf dem neuesten Stand?
Nein, das ist sie definitiv nicht. Aber gerade in Afghanistan, was uns ja im vergangenen Jahr besonders beschäftigt hat, ist eine deutlich Verbesserung der Situation zu verzeichnen. Es gibt nun deutlich mehr geschützte Fahrzeuge, es gibt Hubschrauber - wenn auch amerikanische, und die Bewaffnung ist - wie beschrieben - deutlich verbessert worden.
Hat sich die bessere Ausrüstung der Truppe in Afghanistan schon konkret auf die Sicherheitslage ausgewirkt?
Ja, es gibt deutliche Verbesserungen. Ich war Anfang des Jahres in Afghanistan auf einem vorgelagerten Außenposten in der Nähe von Kundus. Noch im Sommer vergangenen Jahres war dies eine der gefährlichsten Ecken. Mittlerweile ist es unseren Männern und Frauen gelungen, die feindlichen Kräfte nahezu vollständig aus diesem Gebiet zu verdrängen.
Wird sich der Tod von Osama bin Laden negativ auf die Situation der Truppe in Afghanistan auswirken?
Die Terroristen, die den Aufbau des Landes und der Demokratie und damit jeden Fortschritt verhindern wollen, sind besessen von ihrer Sache - darauf hat der Tod bin Ladens keinen großen Einfluss. Sie werden jetzt alle Anschläge, die sie ohnehin geplant hatten, als Rache bezeichnen. Davon dürfen wir uns aber nicht beeindrucken lassen.
Gibt es in der Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten Defizite?
Leider ja - und zwar erhebliche. Die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz verfügen jetzt zwar über eine bessere Ausrüstung, die Ausbildung in Deutschland erfolgt aber oft an völlig anderen Waffen, Geräten und Fahrzeugen. Was nützt das beste technische Gerät, wenn man nicht geübt ist, damit umzugehen. Viele Soldatinnen und Soldaten sehen Waffen und andere Ausrüstung häufig erstmals im Einsatz. Das darf nicht sein.
Sie haben in Ihrem ersten Jahr als Wehrbeauftragter bereits einen Ministerwechsel erlebt. Bringt ein solcher Wechsel Unruhe in das Amt des Wehrbeauftragten?
Nein. Ein neuer Verteidigungsminister bedeutet für uns zwar einige neue Ansprechpartner im Ministerium, und die Umsetzung der Bundeswehrreform ruhte zunächst, weil sich der neue Minister zuerst einen Überblick über sein neues Amt verschaffen musste. Aber das ist ein normaler Vorgang, der meine Arbeit nicht beeinflusst hat.
Stichwort Bundeswehrreform. Die Bundeswehr soll 8,3 Milliarden Euro bis 2015 einsparen. Ist das überhaupt zu schaffen?
Es ist unbestritten notwendig, die Struktur der Bundeswehr zu verändern. Davor muss aber klar definiert werden, welche Aufgaben die Bundeswehr künftig übernehmen soll. Minister de Maizière sieht das offenbar genauso. Wenn tatsächlich 8,3 Milliarden eingespart werden sollen, sind die Einschnitte so groß, dass die Bundeswehr nicht mehr wiederzuerkennen sein wird - aber diese Vorgaben sind ja mittlerweile zum Glück zumindest etwas gelockert worden. Als Wehrbeauftragter werde ich vor allem darauf achten, dass die Strukturen, die durch Einsparungen in dieser Größenordnung entstehen, nicht zulasten der Soldatinnen und Soldaten gehen. Denn wir dürfen bei der Reform die Menschen hinter den Zahlen nicht vergessen. Der Mensch muss auch bei der Bundeswehr im Mittelpunkt stehen.
In diesem Jahr wird nach 55 Jahren die Wehrpflicht ausgesetzt. Hätten Sie das bei Ihrem Amtsantritt für möglich gehalten?
Jedenfalls nicht so schnell, aber nun ist die Entscheidung unumkehrbar. Es ist einer der wichtigsten Punkte der Bundeswehrreform, die wir bewältigen müssen. Es stellt sich vor allem die Frage: Was machen wir, wenn sich nicht genügend Freiwillige bei der Bundeswehr bewerben? Nur eine attraktive, moderne Armee kann junge Menschen begeistern. Die Bewerber müssen das Gefühl haben, sie kommen in eine moderne Luftwaffe oder Marine und haben dort eine echte Perspektive. Wir müssen deshalb die Rahmenbedingungen für einen modernen Arbeitgeber Bundeswehr schaffen.
Ihre Amtszeit beträgt noch vier Jahre. Was würden Sie sich für diese Zeit wünschen?
Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, kraftvoll und effektiv die Bundeswehr an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts anpassen. Zum Ende meiner Amtszeit sollte der Großteil der Arbeit gemacht sein. Außerdem wünsche ich mir natürlich, dass wir in unseren Einsätzen den Auftrag erfolgreich umsetzen und dabei möglichst keine gefallenen und verwundeten Soldaten mehr zu beklagen haben. Sollte die Bundeswehr noch in Afghanistan sein, wenn ich das Amt des Wehrbeauftragten des Bundestages einmal an meinen Nachfolger übergebe, wäre mein Wunsch, dass es dort keine militärischen Kampfhandlungen mehr gibt, sondern dass der Schwerpunkt der Arbeit auf der Ausbildung von afghanischen Sicherheitskräften liegt, damit sich das Land stabilisiert und demokratisch entwickeln kann.
(bsl)