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Mehr Engagement des Europarats bei seinem Kernauftrag der Durchsetzung freiheitlich-rechtsstaatlicher Demokratie fordert Christoph Strässer im Interview. Aus Sicht des SPD-Abgeordneten steht es etwa um die Medienfreiheit oder um die Garantie der Rechtsstaatlichkeit in manchen Mitgliedsländern des Staatenbunds nicht sonderlich gut. Straßburg dürfe sich nicht auf zu vielen Themenfeldern verzetteln. Strässer ist stellvertretender Leiter der Bundestagsdelegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, die vom 20. bis 24. Juni 2011 in Straßburg tagt. Das Interview im Wortlaut:
Die Parlamentarische Versammlung wird über eine Unterstützung für die arabischen Demokratiebewegungen diskutieren. Wieso eigentlich? Nordafrika liegt doch außerhalb unseres Kontinents.
Es ist durchaus sinnvoll, dass sich unser Staatenbund auch in Grenzregionen Europas engagiert. Im Übrigen haben wir angesichts der Flüchtlingsströme auch ein Eigeninteresse: Je besser es um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in diesen Ländern steht, desto weniger Leute werden sich zur Flucht entschließen. Die Erfahrungen bei der Transformation Osteuropas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs lehren, dass der Europarat gerade beim Aufbau einer funktionierenden Justiz wirksam helfen kann.
Das marokkanische Parlament hat eine Partnerschaft mit dem Abgeordnetenhaus des Europarats beantragt. Nun ist Marokko aber keine Demokratie und erfüllt nicht die politischen Standards des Staatenbunds.
Wir müssen sehr genau hinschauen, was sich in Marokko tut, dieses Land ist eine konstitutionelle Monarchie. Allerdings sind in Marokko schon seit Jahren gewisse Reformtendenzen zu beobachten, wenn auch noch zaghaft. Diese Entwicklung sollte man unterstützen. Die Partnerschaft mit den marokkanischen Volksvertretern könnte ein Testlauf für ähnliche Kooperationen mit anderen arabischen Staaten sein. Die Delegierten aus Rabat könnten etwa in unseren Ausschüssen mitarbeiten, wenn dort über Hilfsprogramme für Nordafrika beraten wird.
Ein Schwerpunkt der Sitzung ist die Debatte über den von einem "Rat der Weisen" unter Vorsitz Joschka Fischers erstellten Bericht, der zur Schaffung von offenen, pluralistischen Gesellschaften aufruft, um so nicht zuletzt Rechtsextremisten den Boden zu entziehen. Wird dieses Manifest konkrete Konsequenzen haben?
Es wäre vertane Arbeit, wenn es bei einem schönen Papier bleiben sollte. Die Konsequenz aus diesem Bericht liegt auf der Hand: Der Europarat muss auf seinem Kerngebiet, nämlich bei der Sicherung der Bürgerrechte, aktiver werden. Ich denke etwa an ein stärkeres Engagement für die Medienfreiheit, um die es in einigen Mitgliedsnationen nicht sonderlich gut steht. Defizite sind auch bei der Garantie der Rechtsstaatlichkeit zu registrieren, zu nennen sind beispielsweise Russland und die Ukraine. Der Europarat verspielt seine Glaubwürdigkeit, wenn er seinen zentralen Auftrag nicht ernster nimmt, für freiheitlich-rechtsstaatliche Demokratie einzutreten.
Die Abgeordneten wollen sich auch mit einer Reform ihrer Parlamentarischen Versammlung befassen. Woran hapert es denn?
Zum einen leiden wir unter bürokratischem Leerlauf, wir haben zu viele Kommissionen und Unterausschüsse, deren Arbeit bindet viele Kräfte. Auch über eine Reform des Rhythmus von Plenartagungen müsste diskutiert werden, die Präsenz der Abgeordneten ist oft sehr gering. Zum anderen ist ein politisch-inhaltliches Problem unübersehbar: Der Europarat und sein Parlament verzetteln sich auf vielen Themenfeldern, die nicht zu seinem Auftrag gehören. Übergewicht von Kindern oder ein Handy- und WLAN-Verbot an Schulen, um diese Beispiele zu nennen, zählen wahrlich nicht zu den Aufgabengebieten des Staatenbunds. Wir sollten uns auf unseren politischen Kern konzentrieren, nämlich den Einsatz für freiheitliche Rechtsstaatlichkeit.
An die nationalen Parlamente richtet sich der Appell, stärker für die Garantie der Grundrechte aktiv zu werden. Hat auch der Bundestag Nachholbedarf?
Für rechtsstaatliche Defizite sind gar nicht so sehr die Parlamente in den betreffenden Ländern verantwortlich. Wenn viele Bürger keinen Zugang zu einer funktionierenden Justiz haben und deshalb mit Klagen den Menschenrechtsgerichtshof überschwemmen, dann liegt das eher an der jeweiligen nationalen Justiz. Da sollten dann auch die Parlamente mehr Druck ausüben. Was die Umsetzung der Menschenrechtscharta des Europarats angeht, so steht der Bundestag eigentlich recht gut da. Beim Thema Sicherungsverwahrung, deren Reform wegen diverser Urteile des Straßburger Gerichtshofs nötig ist, versagen indes bislang sowohl der Bundestag wie die Justizminister.
Was erwarten Sie sich von der Rede der Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger?
In Straßburg ist man sehr gespannt auf diesen Auftritt. Während ihrer Zugehörigkeit zum Europarats-Parlament hat sich die Ministerin einen guten Ruf als energische Verfechterin von Grundrechten erworben. Wir würden zum Beispiel gern erfahren, wie es um die Verhandlungen zwischen Brüssel und Straßburg über einen Beitritt der EU zur Menschenrechtscharta des Europarats bestellt ist, womit sich die EU auch der Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs unterwerfen würde. Da sind noch viele Fragen offen. So ist etwa in Wien die EU-Grundrechteagentur ansässig, die viele Millionen Euro verschlingt und exakt die Arbeit macht, die bereits der Europarat leistet.
(kos)