Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv > Sturmflut
In der Nacht vom 16. zum 17. Februar 1962 wurden Hamburg und weitere Teile Norddeutschlands von einer dramatischen Naturkatastrophe getroffen. Das Sturmtief "Vincinette" fegte mit Orkanböen bis zu 200 Stundenkilometern über das Land hinweg und drängte das Wasser der Nordsee als meterhohe Flutwelle in die Elbe. Bis heute gilt die Hamburger Sturmflut als die schlimmste Naturkatastrophe in der Geschichte der Bundesrepublik. Über 60 Deiche brachen - während die meisten Menschen schliefen und nichts von der sich anbahnenden Katastrophe ahnten.
Allein in der Hansestadt Hamburg starben 315 Menschen durch die Sturmflut. Insgesamt waren es 347, darunter auch Soldaten der Bundeswehr, die im Hilfseinsatz ums Leben kamen. Zehntausende Familien wurden obdachlos. Viele verloren ihr gesamtes Hab und Gut.
Wenige Tage, später am 22. Februar 1962, ist das tragische Ereignis auch Thema im Deutschen Bundestag. Zu Beginn der 16. Sitzung der vierten Wahlperiode erhebt sich das gesamte Haus zum Gedenken an die vielen Opfer. Bundestagsvizepräsident Prof. Dr. Carlo Schmid betont: "Diese Katastrophe hat nicht einzelne Ortschaften und Bundesländer für sich allein geschlagen, sie traf das ganze deutsche Volk. Darum steht das ganze Volk für alle einzelnen ein … Bundesrepublik, Länder, Gemeinden, Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands sind in unlösbarer Notgemeinschaft aufgerufen, zu handeln und vorzusorgen."
Der SPD-Abgeordnete weist in seiner Ansprache auch auf die vielen Zeichen der Solidarität aus dem In- und Ausland hin. "Dies beschert uns eine Hoffnung für die Zukunft. Was in diesen Tagen geschah, zeigt, dass das Herz den Menschen am stärksten zu bewegen mag; zeigt, dass wir imstande sind, einer des anderen Last zu tragen, in Nüchternheit, ohne weinerliches Klagen, mit herzhafter Tat. Mögen diese Kräfte weiter in uns wirken!"
Der Ansprache des Vizepräsidenten folgt eine Regierungserklärung des damaligen Bundeswirtschaftsministers Dr. Ludwig Erhard (CDU). Er weist daraufhin, dass es noch zu früh sei, konkrete Pläne vorzulegen, betont aber, dass im Ministerium ein "Aktionsausschuss Sturmflutkatastrophe" gebildet worden sei. Außerdem verspricht Erhard im Namen der Bundesregierung Hilfen für betroffene Personen, Landwirtschaft- und Wirtschaftsbetriebe.
Ganz praktisch betont der Politiker: "Zudem haben wir vorsorglich in Brüssel ein Kontingent von Fertighäusern zur zollfreien Einfuhr beantragt." Erhard pocht auf die große Solidarität im Lande und beendet seine Erklärung zuversichtlich: "Wenn wir alle zusammenstehen, weil dieses Unglück das ganze deutsche Volk angeht, bin ich überzeugt, dass wir das Unheil und die Not schnell überwinden können und dass die betroffenen Menschen zu einem geordneten Leben zurückfinden."
Vizepräsident Schmid beendet nach der Regierungserklärung den Tagesordnungspunkt mit einem Versprechen im Namen des Bundestages: "Ich weiß mich mit dem ganzen Hause einig, wenn ich von dieser Stelle aus sage: der Bundestag wird alles tun, um das Notwendige möglich zu machen. Das ganze Volk, in Ost und West, muss diese Last auf seine Schultern nehmen, und es wird diese Last auf seine Schultern nehmen." (ah)