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"Ich trete heute vom Amt des Bundespräsidenten zurück." Es waren diese acht Worte von Christian Wulff, gesprochen in seiner letzten Rede als Staatsoberhaupt am 17. Februar 2012, die in der Öffentlichkeit für Aufregung sorgten und die Gemüter vieler Menschen bewegten. In der Verwaltung des Bundestages sowie in den Fraktionsverwaltungen löste der Rücktritt vor allem eins aus: rege Betriebsamkeit. Mit Wulffs Abschiedsworten begann der Countdown zur 15. Bundesversammlung.
Laut Grundgesetz ruft der Bundestagspräsident die Bundesversammlung zusammen, die einen neuen Bundespräsidenten wählt. Damit ist der Bundestag nicht nur räumlicher Gastgeber der Bundesversammlung, sondern auch für deren reibungslosen Ablauf verantwortlich. Schon unter normalen Bedingungen, wenn die Wahl eines Bundespräsidenten alle fünf Jahre ansteht, ist die Organisation einer Bundesversammlung kein einfaches Unterfangen. Daher beginnt die Verwaltung meist bereits ein Jahr vorher mit den Vorbereitungen.
Doch nun steht die Bundestagsverwaltung erneut, wie schon 2010 nach dem Rücktritt Horst Köhlers, vor der Aufgabe, die Bundesversammlung innerhalb eines knappen Monats auf die Beine zu stellen. Denn dies sieht die Verfassung vor: Spätestens 30 Tage nach dem Rücktritt eines Bundespräsidenten muss ein neuer gewählt sein. Dieses Mal also am 18. März 2012.
Unmittelbar nach der Pressekonferenz, in der Wulff seinen Rücktritt bekannt gab, setzte sich das Räderwerk der Bundestagsverwaltung in Gang: "Drei Stunden danach hatten wir die Einladung für das erste Koordinierungstreffen rausgeschickt", sagt Kay Wahlen, Mitarbeiter im Referat ZT4 Zentrale Assistenzdienste. Vier Tage später saßen an einem Dienstagmorgen rund 90 Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung in der Koordinierungsrunde zusammen, um den Ablaufplan für die Vorbereitung der Bundesversammlung zu besprechen.
Exakt 75 Punkte umfasst er, von der Bekanntmachung von Ort und Zeit der Bundesversammlung im Bundesgesetzblatt bis zur Kindertagesstätte im Bundestag, die am Wahltag geöffnet sein soll, um bei Bedarf die Kinder der Delegierten ebenso zu betreuen wie die der Verwaltungs- oder Fraktionsmitarbeiter. Normalerweise werden die Aufgaben nacheinander Punkt für Punkt erledigt und abgehakt.
"Jetzt muss alles gleichzeitig passieren", sagt Thomas Pflüger, Leiter des Referats ZT4 Zentrale Assistenzdienste, der die Federführung für den organisatorischen Rahmen der Bundesversammlung übernommen hat. Knapp zwei Dutzend Referate der Verwaltung sind an der Umsetzung beteiligt.
Bevor es aber richtig losgehen kann, muss die Zusammensetzung der Bundesversammlung feststehen. Laut Grundgesetz besteht die größte parlamentarische Versammlung in der Bundesrepublik Deutschland zum einen aus den Mitgliedern des Bundestages – derzeit also den 620 Abgeordneten – und noch einmal der gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Landtagen gewählt werden. Insgesamt wird also die 15. Bundesversammlung 1240 Delegierte haben – das stand von Anfang an fest.
Unklar war allerdings bis etwa 10 Tage vor der Versammlung, wer genau von den Landtagen als Wahlleute gewählt werden würde. Erst mit der letzten Delegiertenwahl am 6. März standen wirklich alle Delegierten fest. Auch wenn manchem in der Bundestagsverwaltung das Abwarten bei diesem Zeitdruck schwerfiel: Wie sonst sollte man ohne die Namen der Delegierten aus den Landtagen zu kennen, die offiziellen Einladungsschreiben verschicken oder die personalisierten Wahlausweise drucken lassen?
Sobald aber die Namenslisten da sind, beginnt im Tagungsbüro der Bundestagsverwaltung die "heiße Phase" der Vorbereitung: Nun müssen die Mitglieder der Bundesversammlung offiziell eingeladen und mit Informationen versorgt werden. Mehrere tausend Blatt Papier werden im Tagungsbüro gefaltet, eingetütet und mit Informationsbroschüren zusammen abgeschickt.
Die Mitarbeiter um Christian Tillich kümmern sich unter anderem um den Druck der Wahlausweise und Stimmkarten, sorgen dafür, dass Räume für die einzelnen Fraktionen bereitgestellt werden und statten das Reichstagsgebäude mit Wegweisern aus.
Neben dem Tagungsbüro sind an der Vorbereitung natürlich noch andere Abteilungen der Verwaltung beteiligt: So buchen etwa die Mitarbeiter des Referats Dienst- und Mandatsreisen Kontingente in Hotels, das Protokoll des Bundestagspräsidenten kümmert sich unter anderem um die Einladung und Betreuung der Ehrengäste und des Diplomatischen Corps.
Die Bundestagspolizei plant die Verkehrslenkung und entwickelt ein Sicherheitskonzept, das den Einlass von mehreren tausend Personen, darunter Delegierte, Ehrengäste und Journalisten, in das Reichstagsgebäude ermöglicht.
Schließlich ist der Plenarsaal für die Bundesversammlung vorzubereiten. Vor allem die Sitzverteilung muss sorgfältig geplant werden: Normalerweise finden im Plenum des Bundestages 620 Abgeordnete Platz. Am Tag der Bundespräsidentenwahl müssen aber 1240 Delegierte einen Stuhl erhalten, außerdem noch 88 Ersatzdelegierte. Diese werden ebenfalls von den Landtagen gewählt und halten sich bereit, im Nachrückfall für ordentliche Mitglieder der Bundesversammlung einzuspringen, wenn sie erkranken oder aus anderen Gründen ihr Mandat zurückgeben müssen.
Die Bestuhlung wird also nach der letzten Sitzung des Bundestages am 9. März von 620 auf über 1300 Plätze aufgestockt. Das heißt konkret: Die im Boden verankerten Plenarsaalsitze müssen bis auf die erste Reihe ausgebaut und durch andere Stühle ersetzt werden. Ein aufwändiges Unterfangen: "Vier Tage dauert es, die Stühle komplett auszubauen", sagt Pflüger. "Und noch mal vier, um es wieder rückgängig zu machen."
Darüber hinaus sind wichtige Fragen im Vorfeld zu klären: Wie drückt sich das Stärkeverhältnis der einzelnen Fraktionen auch optisch aus? Wie viele Plätze bekommen sie in der ersten Reihe? An welcher Stelle werden Gänge zwischen den Stuhlreihen angelegt?
Die Platzierung orientiert sich im Kern an der traditionelle Sitzordnung des Bundestages, die die Gliederung in Fraktionen sichtbar macht. Kopfzerbrechen bereitet derzeit auch die Frage, wo die Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten ihren Platz bekommen sollen. Wo Beate Klarsfeld sitzen soll, ist unstrittig: Bei der Linksfraktion, die sie sowohl als Delegierte also auch als Kandidatin aufgestellt hat.
Aber wo soll Joachim Gauck, den die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam nominieren werden, seinen Platz bekommen? Neben der Kanzlerin? Oder bei der FDP? Bei SPD oder den Grünen? Oder auf der Tribüne? Fragen, auf welche die Verwaltung in Abstimmung mit den Fraktionen, einzelnen Delegierten und den Kandidaten selbst Antworten zu finden versucht.
"Keine Bundesversammlung gleicht der anderen", das weiß auch Thomas Pflüger. Fanden Bundesversammlungen in der Vergangenheit meist im Frühjahr oder Sommer statt, so kommen die Wahlleute dieses Mal seit über 40 Jahren wieder im März zur Wahl eines Bundespräsidenten zusammen. Nun könnte man denken, dies spiele keine besondere Rolle – für die Mitarbeiter der Bundesversammlung aber sehr wohl: "Es ist kalt, die Delegierten kommen höchstwahrscheinlich mit dicken Mänteln und Jacken", erklärt Pflüger. "Wir brauchen also viel mehr Garderobenhaken als sonst!"
Doch zumindest ein Problem, das ihn und seine Mitarbeiter beschäftigt hat, ist inzwischen gelöst: Die elf Wahlkabinen, die nach der letzten Bundesversammlung zur Reparatur gegeben und die sechs die zusätzlich neu bestellt wurden, können rechtzeitig zum 18. März geliefert werden: "Als wir die Firma beauftragten, haben wir gesagt‚ lasst euch Zeit’", erzählt Pflüger. Dass die Kabinen so schnell wieder im Einsatz sein würden, habe keiner erwartet.
Auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, schafft die Bundestagsverwaltung durch die gut eingespielte Zusammenarbeit mit den Fraktionen sowie mit den Mitarbeitern der Landtagsverwaltungen. Essentiell ist aber die minutiöse Planung. An etliche Kleinigkeiten muss gedacht werden: Dass etwa die Wegweiser durch die Bundestagsgebäude rechtzeitig angebracht sind, dass die Informationsbroschüren korrekt zusammengestellt und rechtzeitig ausgeliefert sind.
Auch halten die Mitarbeiter vom Tagungsbüro für jeden Delegierten einen zweiten Satz Wahlausweise bereit. Aus guten Grund: "Im Hotel vergessen, auf dem Weg ins Reichstagsgebäude verloren – das haben wir alles schon erlebt", sagt Christian Tillich. Also ist das Tagungsbüro für alle Fälle gewappnet.
Manchmal ist auch flexibles Handeln gefragt: 2010 fand die Bundesversammlung an einem ungewöhnlich heißen Tag statt. Temperaturen über 30 Grad wurden in Berlin gemessen, und im Plenum zog sich die Wahl zwischen den Kandidaten Christian Wulff und Joachim Gauck bis in den dritten Wahlgang. "Es war so warm, dass der Bundestagspräsident entgegen der sonst geltenden Vorschriften darum gebeten hat, im Plenarsaal Wasser auszuschenken", erzählt Brigitte Rubbel, Leiterin des Plenar- und Ausschussdienstes. Als Saaldienerin ist sie nun bereits zum vierten Mal bei einer Bundesversammlung im Einsatz.
Für Thomas Pflüger ist es die dritte Bundesversammlung. Doch auch, wenn er und die anderen Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung inzwischen ein eingespieltes Team sind, zur Routine ist die Organisation einer solchen Veranstaltung für ihn nicht geworden. "Ich weiß doch nicht, welche Fehler passieren würden, wenn ich zu routiniert damit umgehen würde", sagt er. "Nein, Routine will ich mir nicht erlauben."
Und so wird die Anspannung von Pflüger und den anderen Mitarbeitern auch erst dann abfallen, wenn der Bundespräsident gewählt und die Bundesversammlung vorbei ist. Die Arbeit allerdings ist auch dann noch nicht für alle zu Ende. Noch am selben Tag müssen Mitarbeiter der Verwaltung beginnen, den Plenarsaal wieder umzubauen. Rund 1300 Stühle müssen raus, 600 Plenarsitze rein. Und die Zeit drängt. Am Mittwoch nach der Bundesversammlung beginnt die nächste Sitzungswoche. (sas)