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Ein Ende des "unsäglichen Einsatzes von V-Leuten", der nichts bringe, aber großen Schaden anrichte, fordert Petra Pau. Für die Obfrau der Linken im Untersuchungsausschuss, der die Hintergründe der dem sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie aufklären soll, ist dies eine der Konsequenzen aus den Pannen bei den Ermittlungen zu diesen zehn Morden. Aus Sicht der Bundestagsvizepräsidentin lautet eine zentrale Fragestellung für die nun anlaufenden Zeugenvernehmungen im Ausschuss so: Warum wurde angeblich in alle Richtungen ermittelt, aber nicht im Blick auf einen rechtsextremistischen Hintergrund? Das Interview im Wortlaut:
Es mutet erstaunlich an, dass es im Untersuchungsausschuss noch nicht zu parteipolitischem Streit kam. Woran liegt das? Wird das so bleiben oder wird es mit dieser Eintracht spätestens im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 vorbei sein?
Bislang herrscht der Wille vor, das größte Versagen in der Geschichte der bundesrepublikanischen Sicherheitsbehörden gemeinsam aufzuklären. Bei zehn Toten verbietet sich parteipolitisches Gezänk. Was die Zukunft angeht, so bin ich kein Prophet, aber ich bin optimistisch, dass es beim Konsens bleibt.
Angesichts des Tatendrangs der Abgeordneten kann man fast den Eindruck gewinnen, der Ausschuss wolle die fehlgeschlagenen polizeilichen Ermittlungen zur Mordserie nachholen. Wie lässt sich die Aufgabe des Bundestagsgremiums vom Auftrag des Generalbundesanwalts abgrenzen?
Nun, ich bin kein Ersatz-Ermittler. Generalbundesanwalt Harald Range hat konkrete polizeiliche Ermittlungen zu führen. Für unseren Ausschuss muss die zentrale Fragestellung hingegen so lauten: Warum wurde die rechtsextremistische Gefahr so lange so gründlich unterschätzt? Wir haben die Versäumnisse von Behörden und das Versagen der politischen Führungsebene zu untersuchen. Und wir müssen entsprechende Schlussfolgerungen ziehen, damit sich solche Fehler nicht wiederholen. Der Generalbundesanwalt und unser Gremium werden sich nicht gegenseitig auf den Füßen stehen.
Am Werk sind neben dem Generalbundesanwalt eine Bund-Länder-Kommission und drei Untersuchungsausschüsse, einer im Bund sowie je einer in Thüringen und Sachsen. Beschwört diese Vielfalt nicht die Gefahr von Kompetenzgerangel, Überschneidungen und Verzettelungen herauf? Ist das nicht ein verwirrendes Spiegelbild des Föderalismus, den Kritiker für Ermittlungspannen verantwortlich machen?
Einen Wirrwarr kann ich nicht erkennen. Das Bundestagsgremium hat seinen eigenen Auftrag, wozu die Suche nach Fehlern bei Bundesbehörden wie auch nach Defiziten bei länderübergreifenden Ermittlungen zur NSU-Zelle gehört. Wir prüfen überdies, warum der Generalbundesanwalt nicht frühzeitig in die Aufhellung der Mordserie eingeschaltet wurde. Schließlich: Es hat mit dem föderalen System nichts zu tun, dass jene fünf der zehn Morde, die in Bayern geschahen, dort nicht aufgeklärt wurden, obwohl jedes Mal die gleiche Waffe benutzt wurde.
Ende April beginnen die Zeugenvernehmungen. Welche Schwerpunkte will Die Linke bei der Recherchearbeit setzen?
Ein zentrales Anliegen für mich ist: Warum wurde angeblich in alle Richtungen ermittelt, aber nicht im Blick auf einen rechtsextremistischen Hintergrund? Das NSU-Trio konnte viele Jahre unentdeckt töten und untertauchen. Das drängt sich doch die Frage auf, ob dies von den Sicherheitsbehörden tatsächlich nicht bemerkt wurde. Und es ist zu prüfen, ob in diesen Zusammenhängen vielleicht bestimmte politische Vorgaben für die Ermittlungen existierten.
Der Ausschuss will auch Verantwortliche für Pannen benennen. Rechnen Sie damit, dass der eine oder andere in führender Funktion bei Polizei und Geheimdiensten oder in Ministerien seinen Hut wird nehmen müssen?
Den Ergebnissen unserer Recherchen will ich nicht vorgreifen. Aber wenn sich herausstellen sollte, dass gravierende Fehler begangen wurden, müssen auch Konsequenzen gezogen werden.
Verfolgt man die politisch-mediale Debatte, so könnte viel Schuld bei Helmut Roewer abgeladen werden, dem Ex-Chef des Thüringer Verfassungsschutzes.
Das wird man sehen. Was ich bislang über Roewers Tun und Lassen weiß, mutet jedenfalls recht bizarr an, etwa sein Umgang mit dem rechtsextremen Thüringer Heimatschutz. Aber ich warne davor, die Verantwortung für das Debakel der Sicherheitsbehörden bei einer einzigen Person suchen zu wollen.
Schon jetzt wird eifrig über Konsequenzen für die Struktur der Sicherheitsinstanzen und für deren praktische Tätigkeit debattiert. Welche Reformen zeichnen sich aus Ihrer Sicht bereits als unumgänglich ab?
Der unsägliche Einsatz von V-Leuten muss beendet werden, das bringt nichts, richtet aber großen Schaden an. Die NSU-Affäre offenbart vor allem ein großes Wahrnehmungsproblem, und das muss sich ändern. Man hat nicht genau auf die rechtsextremistische Gefahr geschaut, wollte vielleicht auch nicht so genau hinsehen. Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts, zeigt sich erstaunt, dass im Schnitt täglich zwei bis drei rechtsextrem motivierte Gewalttaten passieren. Das verwundert schon, da die Regierung auf meine Anfragen hin solche Zahlen seit langem nennt. (kos)