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Gegen die heutige Atompolitik in der EU und besonders gegen den Euratom-Vertrag von 1957 sind in einer Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie unter Vorsitz von Ernst Hinsken (CDU/CSU) am Montag, 11. Juni 2012, erhebliche Bedenken laut geworden. Allerdings ist nach Angaben von Prof. Dr. Matthias Schmidt-Preuß (Universität Bonn) ein isolierter Austritt Deutschlands aus der Euratom-Gemeinschaft nicht möglich. Artikel 106 I des Euratom-Vertrages ermögliche den Austritt aus der Euratom-Gemeinschaft nur zusammen mit einem Austritt aus der Europäischen Union.
Schmidt-Preuß verwies auf das Nachbarland Österreich, das 1995 nur der EU habe beitreten wollen, nicht aber Euratom. Das sei nicht möglich gewesen. Wer nur in beide reingehen könne, könne auch nur aus beiden zusammen rausgehen, argumentierte Schmidt-Preuß.
Hans-Gerd Marian ("NaturFreunde Deutschlands" forderte, Euratom endlich aufzulösen. Die Organisation beklagte, dass die EU-Kommission ein europäisches Volksbegehren gegen die Atomkraft als unzulässig bezeichnet habe, weil der die Förderung der Atomenergie beinhaltende Vertrag eine Bürgerinitiative gegen Atomkraft verhindere. "Ein weiteres Mal erweist sich damit der Euratom-Vertrag als ein Vehikel der Atomlobby, die sich über demokratische Prinzipien stellen will", kritisierte die Organisation "NaturFreunde".
Der Sachverständige Wolfgang Renneberg (Büro für Atomsicherheit) bezeichnete die Europäische Union im Bereich der nuklearen Sicherheit aus eigener rechtlicher und technischer Kompetenz als nicht handlungsfähig. "Ganz im Gegensatz dazu steht der politisch medial vorgetragene Anspruch der Kommission, die nukleare Sicherheit in Europa garantieren zu wollen", kritisierte der Sachverständige, der als Beleg den europäischen Stresstest für Kernkraftwerke anführte: "Die ,Prüfung’ wurde von denjenigen durchgeführt, die die Kernkraftwerke seit Jahren betreiben und beaufsichtigen."
"Euratom und seine Instrumente sind nicht mehr tragbar", erklärte Patricia Lorenz (Antinuclear Campaigner). Sie warf den europäischen Institutionen vor, unter dem Vorwand von Sicherheitsverbesserungen Kredite zu gewähren, "die jedoch dem Neubau und zum Beispiel jetzt beim aktuellen Vorhaben der Lebensdauerverlängerung sowjetischer Reaktoren in der Ukraine dienen". Ein Austritt aus Euratom bei gleichzeitigem Verbleib in der EU hielt sie für möglich.
Für ein Festhalten am Euratom-Vertrag argumentierte Frank. J. Scheuten (Kanzlei Kümmerlein Rechtsanwälte und Notare Essen). Der Vertrag akzeptiere die souveräne Entscheidung jedes Mitgliedstaates über das Ausmaß der friedlichen Nutzung der Kernenergie in seinem Hoheitsgebiet. Über das Einstimmigkeitserfordernis habe jeder Mitgliedstaat bei wichtigen Entscheidungen wie Vergabe von Krediten oder Investitionshilfen eine sehr weitgehende Mitgestaltungsmöglichkeit.
"Auch die Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland mit dem kurzfristigen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie in der Europäischen Gemeinschaft einen Sonderweg geht, ist keine Rechtfertigung für die Überlegung, den Euratom-Vertrag grundlegend zu überarbeiten oder gar zu kündigen", erklärte Scheuten. Prof. Dr. Thomas Fanghänel (Institut für Transurane) verwies auf die große Bedeutung von Euratom für Standards und Sicherung der nuklearen Sicherheit.
Grundlage der Anhörung waren zwei Anträge von Oppositionsfraktionen. So fordert die SPD-Fraktion in einem Antrag (17/8927), den Euratom-Vertrag an die Herausforderungen der Zukunft anzupassen. Deshalb soll sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass "schnellstmöglich" eine Regierungskonferenz einberufen wird, die den Vertrag grundlegend überarbeitet.
Dabei soll die Sonderstellung der Atomenergie abgeschafft werden. Alle Passagen des Euratom-Vertrages, die Investitionen in die Atomenergie begünstigen, sollen gestrichen werden, fordern die Abgeordneten. Die frei werdenden Mittel sollen stattdessen außerhalb des Euratom-Rahmens für die Forschung und Entwicklung von erneuerbaren Energien eingesetzt werden.
Die Grünen stellen den Vertrag grundlegend infrage und wollen ihn mit einem Enddatum versehen (17/7670). Statt Euratom solle eine "Europäische Gemeinschaft für erneuerbare Energien" geschaffen werden. Die Bundesregierung solle sich dafür einsetzen, dass die Sonderstellung der Kernenergie im Vertrag beseitigt wird.
Exporte von Atommüll und abgebrannten Kernbrennstoffen sollten verboten werden, heißt es weiter. Falls die Neuausrichtung von Euratom nicht durchsetzbar sein sollte, empfiehlt die Fraktion, den Vertrag zu kündigen. (hle)