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Mit der Übernahme der Präsidentschaft beim Europarat steht Albanien aus Sicht Christoph Strässers in der Pflicht, die Aufklärung eines der "schmutzigsten und undurchsichtigsten Skandale in Europa" endlich voranzutreiben: Während des Kosovo-Kriegs Ende der neunziger Jahre soll, so ein 2011 im Auftrag des Europaratsparlaments erstellter Bericht des Schweizers Dick Marty, eine Bande der Rebellenarmee UCK in der kosovarisch-albanischen Grenzregion Serben illegal Organe entnommen und verkauft haben. Bislang fehle der politische Wille zur Durchleuchtung der "schier unglaublichen" Vorwürfe, beklagt der SPD-Abgeordnete im Interview. Bei ihren Reden während der Sitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vom 25. bis 29. Juni 2012 in Straßburg müssten der albanische Premier Sali Berisha und Außenminister Edmond Haxhinasto mit kritischen Fragen zur Organhandel-Affäre rechnen, so der stellvertretende Vorsitzende der Delegation des Deutschen Bundestages. Das Interview im Wortlaut:
Seit kurzem hat Albanien die Präsidentschaft beim Europarat inne. Eröffnet sich nun die Chance, dass Tirana in dieser verantwortungsvollen Position endlich für die Aufklärung der Monsteraffäre um illegale Organentnahme sorgt?
Das ist eine schier unglaubliche Geschichte. Es geht um einen der schmutzigsten und undurchsichtigsten Skandale in Europa. Die Vorwürfe müssen dringend erhellt werden. Mit der Übernahme der Präsidentschaft beim Straßburger Staatenbund steht Tirana in der Pflicht, die Aufklärung voranzutreiben. Ich bin sehr gespannt auf die Reden des albanischen Premiers Sali Berisha und des Außenministers Edmond Haxhinasto während der Sitzungswoche. Zum Organhandel müssen sie mit kritischen Nachfragen aus den Reihen der Abgeordneten rechnen.
Auf Antrag des Europaratsparlaments, das selbst kein Mandat zu juristischen Ermittlungen hat, hat die EU schon 2011 eine Sonderkommission zur Durchleuchtung der Vorwürfe über die Entnahme und den Verkauf von Organen eingerichtet, die aber offenbar nicht so recht vorankommt. Woran hapert es?
Da kommt manches zusammen. Eine Rolle spielt sicher auch die politische und rechtliche Grauzone des Kosovos, der nicht von allen Regierungen als Staat anerkannt wird und nicht als Vollmitglied dem Europarat angehört. Diese komplizierte Situation erschwert Ermittlungen. Entscheidend aber dürfte sein, dass der politische Wille für eine energische Aufklärung dieses Skandals fehlt. Offenbar existieren hie und da Befürchtungen, es könnten unangenehme Dinge offengelegt werden. Ein Bericht des Europaratsparlaments hält etwa dem amtierenden kosovarischen Ministerpräsidenten Hashim Taci vor, seinerzeit zwar nicht persönlich in die Organaffäre verwickelt gewesen zu sein, doch von den dunklen Geschäften gewusst haben zu müssen. Immerhin hat kürzlich das albanische Parlament Untersuchungen auf dem Territorium des Landes erlaubt. Das weist in die richtige Richtung.
Die Europaratsabgeordneten wollen über die kritische Situation von Bürgerrechtlern in Osteuropa diskutieren, die dort von Schikanen, Kidnapping, Folter oder gar Mord betroffen sein sollen. Worum geht es konkret?
Wir haben eine Fülle solcher Informationen aus diversen Staaten. Im Mittelpunkt dieses Berichts stehen Russland und besonders der Nordkaukasus mit Tschetschenien, die Türkei, Aserbaidschan und Armenien. Da werden etwa im Nordkaukasus Häuser von Oppositionellen überfallen, politisch missliebige Personen entführt oder Bürgerrechtler unter Vorwänden mit rechtsstaatlich fragwürdigen Prozessen überzogen. Es ist oft nicht leicht, solche dubiosen Vorfälle zu durchschauen. Häufig sind es nicht staatliche Instanzen, die direkt gegen Opponenten vorgehen. Nicht selten agieren in einer schwer durchschaubaren Gemengelage bestimmte Gruppen, die mit Teilen der Polizei, der Geheimdienste oder des Militärs verbandelt sind, der Staat bleibt eher im Hintergrund. Das macht es kompliziert, Verantwortliche ausfindig zu machen.
Wie wollen die Europaratsabgeordneten diese Missstände beseitigen?
Wir stecken in einem Dilemma. Unser Parlament hat nicht die Macht, die Probleme in den betreffenden Ländern abzustellen, uns fehlen auch Sanktionsmöglichkeiten. Uns bleibt nur, Missstände offenzulegen und politisch-medialen Druck auf die jeweiligen Regierungen auszuüben. Wir setzen auch darauf, dass die Volksvertretungen in diesen Ländern die Straßburger Kritik aufgreifen und zu Hause thematisieren.
Ein zur Debatte stehender Bericht des Rechtsausschusses beklagt, dass manche Regierungen Einreisewillige aus politischen Gründen an der Grenze abweisen und sogar schwarze Listen führen. Was ist da los?
Ein konkretes Beispiel ist Estland, das Russen die Einreise verweigert hat, die einer nationalistischen Gruppe angehören, die gegen die Verlegung eines sowjetischen Ehrenmals in dem baltischen Land protestiert hatte. Insgesamt gesehen sind solche Vorkommnisse schwer zu durchleuchten. Das gilt etwa für das Schengen-System: Ein Staat meldet, wem die Einreise verwehrt wurde, und wer auf dieser schwarzen Liste steht, darf auch in kein anderes Schengen-Land mehr. Das ist schon eine heikle Angelegenheit. Und dann existiert noch die Asylproblematik innerhalb der EU: Lehnt ein Staat einen Asylantrag ab, gilt dies automatisch auch für andere EU-Länder.
Steht es einem Staat nicht frei, selbst zu entscheiden, wer aus welchen Gründen kommen darf und wer nicht?
In der Tat kann im Prinzip jedes Land souverän über eine Einreiseerlaubnis befinden. Allerdings proklamiert ein Zusatzvertrag zur Menschenrechtscharta des Europarats auch den Grundsatz der Reisefreiheit, mit der es nicht zu vereinbaren sei, jemandem die Einreise allein wegen seiner politischen Positionen zu verwehren.
(kos)