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Die erste Lesung des von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurfs über das umstrittene Betreuungsgeld (17/9917) hat am Donnerstag, 28. Juni 2012, zum erwarteten hitzigen Schlagabtausch zwischen den Koalitions- und Oppositionsfraktionen geführt. In der rund 90-minütigen Debatte warfen sich beide Seiten gegenseitig vor, eine ideologisch geprägte Familienpolitik zu betreiben. Bei der Opposition stößt das Betreuungsgeld auf strikte Ablehnung. Aber auch in Teilen der CDU und in der FDP wird die geplante Leistung, die vor allem von der CSU vehement gefordert wird, kritisch beurteilt. Allerdings hatten sich Union und FDP in ihrem Koalitionsvertrag auf die Einführung geeinigt.
Nach dem Willen der Koalition soll das Betreuungsgeld ab Januar 2013 an alle Familien gezahlt werden, die für ihre Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr keine öffentlich geförderte Kindertagesbetreuung in Anspruch nehmen. Im kommenden Jahr soll es zunächst 100 Euro pro Monat betragen und ab dem Jahr 2014 dann auf 150 Euro erhöht werden.
Der Gesetzentwurf sieht allerdings vor, dass das Betreuungsgeld als vorrangige Leistung ausgezahlt und deshalb mit dem Arbeitslosengeld II, der Sozialhilfe und dem Kinderzuschlag verrechnet wird. Für den Bund sollen durch das Betreuungsgeld im Jahr 2013 Mehrausgaben von 300 Millionen Euro, im Jahr 2014 von 1,11 Milliarden und ab dem Jahr 2015 von jährlich 1,23 Milliarden Euro entstehen.
Die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär warb eindringlich für das Betreuungsgeld. Es gebe "keine Einheitsfamilie", und deshalb könne es auch "kein Einheitsmodell" für die Kinderbetreuung geben, argumentierte die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion.
Auch Eltern, die ihre Kinder nicht in einer Kindertagesstätte betreuen lassen wollen, hätten einen Anspruch auf staatliche Unterstützung. Es käme einer "Umerziehungsmaßnahme" gleich, wenn man ihnen diese vorenthielte, warf Bär der Opposition vor. Eine Mehrheit der Deutschen wünsche sich eine Alternative zur staatlichen Betreuung.
ies wurde von den Oppositionsvertretern in der Debatte allerding vehement bezweifelt. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung lehne das Betreuungsgeld ab, hielt die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dagmar Ziegler der Koalition entgegen. Das Betreuungsgeld solle lediglich auf Druck der CSU und ihres Parteivorsitzenden Horst Seehofer eingeführt werden. Die Parlamentarier aber seien ihrem "Gewissen verpflichtet und nicht einem bayerischen Ministerpräsidenten".
Auch Renate Künast, Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen, kritisierte, das Betreuungsgeld sei lediglich der "teure Versuch", die Koalition zu retten. Es gebe keine "ehrliche parlamentarische Mehrheit" für die Leistung.
Und Diana Golze, familienpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, bemängelte, den koalitionsinternen Kritikern habe man das Betreuungsgeld mit anderen Maßnahmen wie dem Pflege-Riester und der Besserstellung von Müttern bei der Rente schmackhaft machen wollen. Es sei zugegangen "wie auf einem Basar", schimpfte Golze.
SPD, Linke und Grüne erneuerten in der Debatte ihre Forderung, die für das Betreuungsgeld vorgesehenen Gelder in den Ausbau von Kindertagesstätten und Betreuungsangeboten für Kinder unter drei Jahren zu investieren, um den ab August 2013 geltenden Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz realisieren zu können. Es sei wichtig, wenn vor allem die Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern in den ersten Jahren in einer Kita betreut werden. Die drei Fraktionen hatten entsprechende Anträge (17/9572, 17/9582, 17/9165) vorgelegt.
Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder (CDU) verteidigte das Betreuungsgeld und warf der Opposition im Gegenzug vor, mit ihrer "Kampagne" Hunderttausende Eltern zu beleidigen: "Wir brauchen den Kita-Ausbau und das Betreuungsgeld". Eltern seien "nicht herzlos", wenn sie ihre Kinder in eine Kindertagesstätte geben, und sie seien "nicht hirnlos", wenn sie ihre Kinder selbst daheim betreuen. Die Opposition solle endlich das "ideologische Schlachtfeld des Kulturkampfes" verlassen. Schröder sagte zu, dass der Bedarf an Betreuungsplätzen bis zum kommenden Jahr gedeckt werde und der Bund seine finanziellen Zusagen einhalten werde. Die Ministerin stellte zugleich klar, dass die Kosten für das Betreuungsgeld durch eine globale Minderausgabe aus dem gesamten Bundeshaushalt zu erwirtschaften seien. Ihr Ressort allein könne dies nicht stemmen.
An der Finanzierungsfrage entzündete sich allerdings auch Kritik aus den Reihen der FDP-Fraktion. Deren familienpolitische Sprecherin Miriam Gruß bemängelte, das Betreuungsgeld sei eine "Sozialleistung auf Pump". "Auf Schuldenbergen können keine Kinder spielen und erst recht nicht lernen", sagte sie. Oberster Maßstab bei der Beurteilung sei allerdings "die Freiheit für jedes Familienmodell". Und der Gesetzentwurf werfe noch viele Fragen auf, die in den weiteren parlamentarischen Verhandlungen zu klären seien. (aw)