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Umwelt- und Klimaschutz, Menschenrechts- und Entwicklungspolitik, ein fairer Umgang mit den Rohstoffen und vor allem: die Umsetzung der Millenniumsziele der Vereinten Nationen — es sind Zukunftsthemen, die Ute Koczy umtreiben. Für die entwicklungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, die seit 2005 Mitglied des Bundestages ist, geht es dabei vor allem um Gerechtigkeit und den Erhalt der Schöpfung. Es ist die vorletzte Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause. Im Bundestag herrscht hektische Betriebsamkeit: Die Auseinandersetzung über den dauerhaften Euro-Rettungsschirm und den Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin halten die Abgeordneten in Atem, die Bundeskanzlerin reist von Gipfel zu Gipfel, um mit den anderen europäischen Regierungschefs zu verhandeln.
Nur bei einem Spitzentreffen ist Angela Merkel nicht dabei: der UN-Konferenz "Rio+20". Die deutsche Regierungschefin hat die Teilnahme, zwanzig Jahre nach dem allerersten Erdgipfel, bei dem sich die Staaten mit der "Agenda 21" auch zu mehr Klimaschutz verpflichteten, abgesagt. Eine Entscheidung, die Ute Koczy empört.
Die 51-Jährige sitzt in ihrem Abgeordnetenbüro, die Haare rot und raspelkurz, ihre Augen hinter den randlosen Brillengläsern blitzen: "Angesichts dessen, dass wir es nur noch mit größtem Einsatz schaffen können, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu beschränken, ist die Absage unsäglich, ein Verbrechen an den kommenden Generationen."
Die Bedrohung der Natur hat Koczy schon sehr früh verstanden: 1961 in Heidenheim auf der Schwäbischen Alb geboren, verbringt sie als Kind viel Zeit in der Natur, mit ihrem Hund oder den Pfadfindern. Als der Club of Rome 1972 seine viel beachtete Studie "Die Grenzen des Wachstums" veröffentlicht und die Diskussion um die fatalen Folgen des Wirtschaftswachstums beginnt, ist die Elfjährige alarmiert: "Im Unterricht habe ich dann darauf hingewiesen, dass die Erde untergehen wird, wenn die Menschen so weitermachen wie bisher."
Sie schmunzelt in Erinnerung daran: "Meine Mathematiklehrerin hat mich dann beim Wort genommen und gesagt: ‚Ute, dann musst du eben etwas dagegen tun.’"
Als Studentin der empirischen Kulturwissenschaft, Ethnologie und Geografie wird Koczy 1983 Mitglied der Grünen in Tübingen. "Das war die Partei, die sich mit all den Themen beschäftigt hat, die mir wichtig waren: Ökologie, internationale Gerechtigkeit und natürlich Frauenfragen." Trotzdem ist es die Menschenrechtsorganisation "Terre des Femmes", für die Koczy sich ab 1985 besonders engagiert. Zusammen mit einer Kommilitonin gründet sie die Tübinger "Terre des Femmes"- Gruppe und organisiert in den folgenden Jahren mit viel Elan und Idealismus Veranstaltungen gegen Sextourismus, Ehrenmorde und Genitalverstümmelung.
Auch reist sie nach Südkorea, um dort gegen die Ausbeutung von Textilarbeiterinnen im Auftrag deutscher Firmen zu demonstrieren. "Sich in Themen einarbeiten, Veranstaltungen planen, Referenten aussuchen, Pressearbeit organisieren — ich habe in der Frauengruppe das gelernt, was ich später beruflich brauchen konnte", sagt Koczy.
Nach dem Uni-Abschluss verschlägt es sie 1988 nach Nordrhein-Westfalen, wo sie unter anderem als Bildungsreferentin im "Welthaus Bielefeld" und im "Friedensbüro Lemgo" mit Flüchtlingsfrauen arbeitet. In Lemgo wird Koczy auch politisch entdeckt: Die Grünen werben sie, für das Stadtparlament zu kandidieren. Sechs Jahre, von 1989 bis 1995, gehört sie daraufhin dem Stadtrat der Hansestadt Lemgo an, befasst sich unter anderem mit verkehrspolitischen und sozialen Themen.
Hier erwirbt sie sich auch das notwendige politische Rüstzeug: "Politik ist nichts, was man im Vorbeigehen lernt. Nehmen wir mal den Haushaltsplan — den richtig zu lesen ist eine Kunst." Doch Koczy scheut Mühe nicht. Im Gegenteil, die Einarbeitung in komplexe Themen scheint die gertenschlanke Politikerin eher zu reizen als abzuschrecken.
Das zeigt insbesondere ihre Arbeit als Abgeordnete im nordrhein-westfälischen Landtag. Zehn Jahre ist sie nicht nur Sprecherin ihrer Fraktion im Ausschuss für Europa- und-Eine-Welt-Politik, sondern zugleich im Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie. Eine Herausforderung, denn der Politikbereich ist für die Grüne ein neues Terrain. "Gerade die Debatten über das Kindergartengesetz waren das Härteste, das ich bis dahin erlebt hatte", erinnert sie sich. "Ich musste mich einfuchsen — doch dann hat es Spaß gemacht."
2001, Koczy ist bereits Vorsitzende des Eine-Welt-Politik-Ausschusses, bekommt sie Wind davon, dass die WestLB eine Öl-Pipeline in Ecuador quer durch einen der artenreichsten Regenwälder der Welt finanziert hat. Es ist das Gebiet des Yasuni-Nationalparks im Westen des Landes, seit 1989 sogar von der Unesco als Biosphärenreservat ausgewiesen. "Die Finanzierung wurde von vielen Nichtregierungsorganisationen heftig kritisiert, weil Ölförderung und Pipelinebau gewaltige Schäden für Mensch und Umwelt bedeuteten. Der Bankvorstand jedoch verkaufte die Pipeline in einer Anhörung im Landtag als "deal of the year", erinnert sich Koczy.
Solche Geschäfte der Landesbank will sie nicht hinnehmen und daraufhin selbst nach Ecuador — auf eigene Kosten, nur begleitet von einem weiteren Landtagsabgeordneten. Ihr Ziel: Sich selbst ein Bild von der Lage machen. Kilometer für Kilometer fahren sie die Pipeline ab. "Hier", sagt sie, steht auf und deutet auf eine Ecuador-Karte an der Wand. Mit dem Zeigefinger zeichnet sie mehrere rote Linien nach. Sie stehen für die Öl-Pipelines. Was sie auf dieser Reise sieht, macht sie noch immer wütend.
Man hört es, wenn Koczy von den riesigen Flächen gerodeten Regenwaldes berichtet, von ölverseuchten Seen und Kindern mit Hautgeschwüren. "Wenn man sieht, unter welchen Umständen Öl gefördert wird, welche unglaubliche Umweltsauerei das ist — es ist ein Elend." Sie schüttelt den Kopf. Vier Jahre prangert sie öffentlich die Pipeline-Finanzierung der WestLB an. Dass diese den entstandenen Image-Schaden schließlich mit der Einrichtung einer Abteilung für Nachhaltigkeit zu reparieren versucht, quittiert sie mit Genugtuung.
Es ist ein Schlüsselmoment in ihrer politischen Karriere, nicht nur weil sie erlebt, wie sich Beharrlichkeit auszahlt, sondern auch, weil sie ihr Thema gefunden hat: "Mir war klar, mit Rohstoffen und Entwicklungspolitik möchte ich mich auf Bundesebene intensiver beschäftigen." 2005 bekommt sie die Chance dazu: Koczy zieht in den Bundestag ein, wo sie entwicklungspolitische Sprecherin wird und vier Wahlkreise in Ostwestfalen-Lippe vertritt — Lippe, Minden-Lübbecke, Höxter und Paderborn.
Ecuador allerdings beschäftigt sie noch immer. Seit 2007 setzt sie sich dafür ein, dass Deutschland die "Yasuni-Initiative" des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa unterstützt. Dieser hatte vorgeschlagen, auf die Ölförderung im Yasuni-Nationalpark zu verzichten, wenn die internationale Gemeinschaft sein Land dafür finanziell entschädige: "Correas Initiative hat einen visionären Charakter."
In der ganzen Diskussion um den Umgang mit Rohstoffen ist das Yasuni-Projekt bislang einzigartig", sagt Koczy. Aber es ist auch ein Projekt, welches immer wieder knapp vor dem Aus steht. Doch die Abgeordnete gibt nicht auf: "Mein Motto ist: Du hast keine Chance — also nutze sie." Sie muss viel Überzeugungsarbeit leisten. Doch schließlich fordert der Bundestag in einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen die Regierung auf, die Yasuni-Initiative finanziell zu unterstützen.
Dass die Grüne nun am Rande der UN-Konferenz "Rio+20" Ecuador signalisieren kann, dass Deutschland insgesamt 34,5 Millionen Euro bilateral für den Schutz des Yasuni-Regenwaldes geben wird, ist ein Erfolg für die Initiative — und für Koczy. (sas)