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Franz Thönnes (Mitte) leitet die Bundestagsdelegation bei der Ostseeparlamentarierkonferenz in St. Petersburg. © DBT/Urban
Vor dem Hintergrund wachsender Konflikte zwischen Moskau und dem Westen ist Franz Thönnes (SPD) überzeugt, dass die Mitwirkung Russlands in der Ostseeparlamentarierkonferenz das gegenseitige Vertrauen fördert. Moskau sei ein "gleichberechtigter Partner auf Augenhöhe", betont der SPD-Abgeordnete. Die Einbeziehung Russlands habe auch zu konkreten Erfolgen geführt, so bei mehreren Kooperationsprojekten etwa zur Stärkung des südöstlichen Ostseeraums. Thönnes leitet die Bundestagsdelegation bei der Tagung vom 26. bis 28. August 2012 in St. Petersburg. Die Ostseeparlamentarierkonferenz ist das parlamentarische Pendant zum Ostseerat, dem Organ der Regierungen in dieser Region. Das Interview im Wortlaut:
Die Tagung findet im Nicht-EU-Staat Russland statt. Nun verstärken sich seit längerem die Konflikte zwischen Moskau und dem Westen, in der Außenpolitik, bei Militärstrategien oder beim Thema Demokratie. Wirken sich diese Dissonanzen auf den Ostseeverbund aus?
Ich will die Differenzen nicht kleinreden, sie gefährden allerdings die Kooperation in unserer Parlamentarierkonferenz und im Ostseerat als Institution der Regierungen nicht. Russland ist ein gleichberechtigter Partner auf Augenhöhe. Eine enge Zusammenarbeit fördert gar das gegenseitige Vertrauen. Beispiele sind die Diskussion über regionale Sicherheit im Ostseeraum und das Vorhaben Moskaus, im Frühjahr 2013 im Rahmen der russischen Ostseerats-Präsidentschaft eine Konferenz mit Nichtregierungsorganisationen unter deutschem Vorsitz zu veranstalten.
Was hat die Einbeziehung Russlands in die Kooperation der Parlamentarier aus den Anrainerstaaten der Ostsee konkret gebracht? Gibt es Fortschritte oder herrscht da Fehlanzeige?
Es existieren durchaus positive Beispiele. Zu nennen ist etwa der für die Ökologie der Ostsee wichtige Bau einer Kläranlage in St. Petersburg, der auch auf Initiativen unserer Konferenz zurückzuführen ist. Dann gibt es ein Modernisierungsprojekt, das den südöstlichen Ostseeraum und besonders Kaliningrad wirtschaftlich aufwerten und so das Gefälle gegenüber anderen Regionen ausgleichen soll. Hier soll zunächst der nachhaltige Tourismus in der Rominter Heide an der Grenze zu Russland und Polen gefördert werden. Zudem sind in Nordwestrussland Public-Private-Partnership-Projekte zwischen Unternehmen und staatlichen Instanzen geplant, über konkrete Vorhaben wird vor Ort entschieden, zu denken ist etwa an den Verkehr. Nicht zu vergessen ist das Baltic-Sea-Labour-Forum als Plattform für Arbeitgeber, Gewerkschaften und Regierungsvertreter, bei dem auch Arbeitgeber und Gewerkschaften aus St. Petersburg dabei sind.
Ein Thema in St. Petersburg ist die Jugendarbeitslosigkeit. Ist das tatsächlich ein massives Problem im Ostseeraum?
Die Lage ist noch dramatischer als andernorts in Europa, was kaum bekannt ist. In den Ostseeländern schwankt die Quote zwischen acht und 30 Prozent, in Litauen ist sogar jeder dritte junge Mensch ohne Job. Am gravierendsten ist die Situation in Polen, den baltischen Staaten und in Russland mit Quoten zwischen 20 und 30 Prozent. Aber selbst in Schweden rangiert die Jugenderwerbslosigkeit über 20 Prozent.
Können die Ostseeparlamentarier einen Beitrag zur Bekämpfung der Jugenderwerbslosigkeit leisten? Der Einfluss der Konferenz ist doch wohl begrenzt.
Wir können durchaus etwas tun, indem wir politischen Druck ausüben. Als Berichterstatter werde ich in St. Petersburg einen Report vorlegen. Wir werden über die Forderung an die Regierungen diskutieren, dafür zu sorgen, dass junge Leute nicht länger als vier Monate ohne Job, Lehrstelle oder Training bleiben. Wenn dies der Markt nicht richtet, muss der Staat mit entsprechenden Programmen intervenieren. Auch transnationale Initiativen können helfen. Ein erster Schritt sind Projekte in dänischen und deutschen sowie zwischen polnischen und deutschen Grenzregionen: Dort gibt es bereits Vorstöße von Handels- und Handwerkskammern, jungen Dänen beziehungsweise Polen in hiesigen Unternehmen die Absolvierung ihrer Ausbildung zu ermöglichen.
Wie schon 2011 in Helsinki spielt dieses Mal in St. Petersburg das Thema "Grünes Wachstum" wieder eine zentrale Rolle. Hoffnungen für den Ostseeraum ruhen dabei auch auf einem nachhaltigen Tourismus. Worum geht es dabei?
Wir wollen die Natur erhalten und regenerieren, Fremdenverkehr soll sie nicht zerstören. Bei einer Konferenz in Rostock wurden im Mai Strategien zur Stärkung eines nachhaltigen Tourismus in der Ostseeregion diskutiert. In St. Petersburg wollen wir etwa erörtern, wie man Naturschutzgebiete wirkungsvoller regulieren und bewahren kann. In solchen Gegenden, aber auch generell geht es zudem darum, den Autoverkehr einzudämmen, indem das Radfahren und der öffentliche Verkehr gefördert werden. Segeln ist im Übrigen eine Form von ökoverträglichem Freizeitspaß, weil dabei der Antrieb weitestgehend durch Wind erfolgt.
Ende Juni ging die deutsche Präsidentschaft beim Ostseerat zu Ende, die einen besonderen jugendpolitischen Akzent gesetzt hat. Was hat es damit auf sich?
2011 haben wir in der Parlamentarierkonferenz die Bundesregierung gebeten, eine Ostsee-Jugendkonferenz auszurichten. Wir wollten ein Zeichen für die politische Teilhabe junger Leute setzen. Erstmals hat dann im Rahmen der Ostsee-Tage in Berlin im April ein Jugendparlament mit Teilnehmern aus allen Ostsee-Anrainerstaaten getagt. Dessen Forderungen werden jetzt in St. Petersburg durch fünf Jugend-Delegierte eingebracht. So etwas gab es noch nie.
(kos)