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Sebastian Edathy (links) spricht in Köln mit Opfern der Kölner Bombenanschläge von 2001 und 2004. © dpa/Oliver Berg
Viele seien zweimal zu Opfern geworden: Erst durch eine schwere Straftat, danach durch falsche Verdächtigungen. Das ist das ernüchternde Fazit, das der Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD) und der stellvertretende Vorsitzende Stephan Stracke (CDU/CSU) des Untersuchungsausschusses "Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) des Bundestages im Kölner Polizeipräsidium am Freitag, 31. August 2012, ziehen.
Beide Abgeordneten waren nach Köln gekommen, um mit Opfern der beiden Bombenanschläge auf ein Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse vom 19. Januar 2001 und des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße vom 9. Juni 2004 zu sprechen. Neun Betroffene waren erschienen, die anderen Opfer hatten den Weg in die Öffentlichkeit gescheut. Drei Stunden dauerte der Austausch hinter verschlossenen Türen. Teilnehmer beschrieben die Atmosphäre später als "sachlich".
Abdulla Özkan, eines der Opfer, war nicht allein gekommen, hatte seinen Anwalt mitgebracht und einen prall gefüllten Aktenordner: "Da ist alles drin, was in den letzten acht Jahren zusammen gekommen ist", sagte der 38-Jährige. Am 9. Juni 2004 hatte Özkan in unmittelbarer Nähe der Nagelbombe gestanden, die um 15.58 Uhr explodiert war und 22 Menschen schwer verletzte. "Rücken, Kopf, Gesicht, Oberkörper, Tinnitus", zählte der massige Mann seine Verletzungen auf. Die Folgen: Zwei Wochen Krankenhaus, zweieinhalb Monate Kur, neun Monate krank geschrieben.
Doch viel schlimmer als die äußerlichen Wunden, die längst verheilt sind, wiegen noch immer die Verletzungen der Seele. "Wir wurden noch am Tag des Anschlags hier nach Kalk ins Präsidium gebracht", erzählte Atilla Özer. "Wir mussten uns ausziehen, eine DNA-Probe wurde genommen, man befragte uns stundenlang wie Beschuldigte", erinnerte sich der Mann. Narben auf seiner Stirn und im Nacken dokumentieren die verheerende Wucht der Nagelbombe.
Der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers bedauerte "ausdrücklich", wie damals von Seiten der Polizei mit den Opfern umgegangen worden war: "Auch die Ermittler von damals bedauern die falschen Verdächtigungen", so Albers. Welche Folgen die traumatischen Erlebnisse und das Misstrauen der Behörden am Ende hatten, schilderte Opferanwalt Reinhard Schön. Einer seiner fünf Mandanten, 34 Jahre alt und Vater einer dreijährigen Tochter, hat sich das Leben genommen. "Jahrelang hat sich niemand um diese Menschen gekümmert", ärgerte sich Schön.
Zwischen 7 000 und 12 000 Euro Entschädigung hat der Jurist für seine Mandanten erstritten, bezahlt vom Bundesamt für Justiz. Seiner Meinung nach zu wenig. Als eine Lehre aus den zahlreichen Ermittlungspannen fordert der Untersuchungsausschuss, dass künftig bei "schweren Straftaten gegen Menschen mit Migrationshintergrund immer auch rechtsextreme Motive in Betracht gezogen werden sollen", sagte Edathy.
Das war 2004 nicht der Fall. Ein Racheakt, Streit im Drogen- oder Rotlichtmilieu, Schutzgelderpressung — viele Theorien wurden aufgeworfen. Einen terroristischen Hintergrund schloss der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) schon einen Tag nach der Tat aus.
Ein verheerender Irrtum, wie sich später herausstellte. Nach heutigen Erkenntnissen wurde die Bombe von den NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gelegt. (Brian Schneider/eis)