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Wofür sind Bundestagsabgeordnete in den Augen ihrer Wähler eigentlich verantwortlich? Petra Pau (Die Linke), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, ist sicher: für alles! Denn: "In meinem Wahlkreis gibt es kein Thema, das nicht an mich herangetragen wird." Die Palette reiche vom "Weltfrieden" bis zum, ja tatsächlich, "ganz persönlichen Liebeskummer". "Donnerwetter", murmelt einer im Saal, "was die alles können", die Politiker.
Mit dieser zynischen Bemerkung trifft der Witzbold den Kern dessen, was seit Mittwoch, 7. November 2012, bei einer internationalen wissenschaftlichen Konferenz der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen unter Vorsitz von Brigitte Zypries (SPD) im Deutschen Bundestag sehr ernst verhandelt wird. Der Titel der zweitägigen Veranstaltung lautet: "Repräsentation im Wahlkreis – Bevölkerung und Abgeordnete in Deutschland und Frankreich". Dabei geht es eben genau darum: Was leisten Abgeordnete in diesen beiden Ländern aus Sicht der Wähler? Und vor allem: Was leisten sie nicht?
Grundlage der Konferenz ist eine Studie, die in Folge des deutsch-französischen Projektes "Citizens and Representatives in France and Germany" (Bürger und Abgeordnete in Frankreich und Deutschland) entstanden ist. Darin steht Bemerkenswertes, wie die federführenden Wissenschaftler Prof. Dr. Suzanne S. Schüttemeyer (Universität Halle-Wittenberg), Prof. Dr. Oscar W. Gabriel (Universität Stuttgart) und Dr. Eric Kerrouche (Sciences Po Bordeaux) ausführen.
Zum Beispiel: Die Untersuchung der Wahlkreisarbeit zahlreicher Parlamentarier hat ergeben, dass in Deutschland und noch stärker in Frankreich ein Großteil der Bürger mit dem Engagement ihrer Abgeordneten nicht zufrieden ist. Oder wissenschaftlich: "Die Repräsentationsbeziehungen in beiden Ländern sind in keinem guten Zustand", wie es Oscar W. Gabriel formuliert.
Wohl war: Immerhin glaubt fast jeder zweite Deutsche, dass Abgeordnete bei ihren Entscheidungen nicht ausreichend bedenken, was die Bürger bewegt. Auch wird Volkes Wahrnehmung bedenklich stimmen, die ebenfalls in Deutschland wie in Frankreich gleichermaßen auszumachen ist: Politiker präsentierten nicht ihren Wahlkreis, sondern in erster Linie ihre Partei.
Manch Politiker-Stirn auf dem grenzüberschreitend besetzten Podium kräuselt sich angesichts solcher Ansagen in Sorgenfalten. Was also ist zu tun? Den Anfang macht Marc Le Fur, Abgeordneter der konservativen UMP in der französischen Nationalversammlung. Er konstatiert eine negative Haltung der Bevölkerung gegenüber Eliten allgemein, also nicht nur gegenüber Politikern.
Der Bürger fühle sich "als Verbraucher" der Politik. Die klassischen Parteienbindungen nähmen zusehends ab; der Wähler "zappt sich durch das politische Angebot". Auch spiegelten die Berufsgruppen in den Parlamenten den Querschnitt der Bevölkerung nicht ausreichend wider. Also: mehr Sachpolitik, weniger Grundsatzprogramm und mehr Automechaniker, weniger Rechtsanwälte? Ob's hilft? Vielleicht.
Überhaupt, die Erwartungshaltung. "Viele konkrete Probleme der Bürger in den Wahlkreisen können von uns doch gar nicht gelöst werden", sagt Andrea Voßhoff (CDU/CSU), Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg.
Beispiel Arbeitslosigkeit: Zwar könne dem klagenden Besucher der Bürgersprechstunde das große Ganze erklärt werden. Aber einen Job, den habe der Politiker meist auch nicht in der Hinterhand. Freilich ist das laut Andrea Voßhoff ein hausgemachtes Dilemma: "Die hohe Erwartungshaltung in der Bevölkerung wird von der Politik erzeugt und leider auch geschürt."
Seiner früheren Rolle als französischer Parlamentspräsident gerecht werdend, beginnt Bernard Accoyer (UMP) seine Ausführungen mit einem Lob für die Studie, die besonders im Vorfeld des im Januar nächsten Jahres anstehenden 50. Jahrestages der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages zwischen Deutschland und Frankreich Hochachtung verdiene.
Ohne die für Abgeordnete wenig schmeichelhaften Ergebnisse herunterspielen zu wollen, sagt er: "Man darf aber auch nicht vergessen, dass Anti-Parlamentarismus in Frankreich ein Sport ist, der ausgeübt wird, seitdem es Parlamente gibt." Will heißen: Möglicherweise gibt der Ausdruck der Unzufriedenheit nicht den Grad der tatsächlichen Verzagtheit wieder, weil es als chic gilt, über Politik zu schimpfen.
Diesen Ball nimmt der SPD-Bundestagsabgeordnete Dieter Wiefelspütz auf. Er spricht von einem eigentümlichen Missverhältnis zwischen den zu Protokoll gegebenen Befindlichkeiten und der Lebenswirklichkeit: "Ich jedenfalls werde überall, wo ich hinkomme, ausgesprochen anständig behandelt, wenn die Leute mich erkennen." Und er rät zu Selbstbewusstsein: "Diese Demokratie, dieses Parlament sind viel besser als der Ruf."
Wie der zu verbessern ist, erklären der deutsche Grüne Stephan Kühn und der französische Sozialist Olivier Falorni in einem grenzübergreifenden "Joint venture". Der eine, Falorni, plädiert für den verstärkten Einsatz von Urwahlen in den Parteien. Der andere, Kühn, will mehr Einflussnahme von Bürgern auf politische Entscheidungen. Ist direkte Demokratie also der Schlüssel zum Erfolg, wenn Politik ihr Image aufmöbeln will? Darüber wird zu streiten sein – auf dieser spannenden Konferenz und darüber hinaus. (jbi/07.11.2012)