Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > > Wahlperioden seit 1949 > Fünfzehnter Deutscher Bundestag (2002 - 2005)
Knapper Sieg für Rot-Grün: Trotz Verlusten für die SPD gewinnt das bisherige Regierungsbündnis die Bundestagswahl 2002 und Dr. Gerhard Schröder (SPD) bleibt Bundeskanzler. Aber die Koalition wird in der 15. Wahlperiode des Bundestages (2002 - 2005) nur drei Jahre im Amt bleiben. Die Sozialreformen der "Agenda 2010" lösen heftige Debatten in Politik und Öffentlichkeit aus. Der Bundestag entscheidet in dieser Wahlperiode auch über eine neue Gesundheitsreform, das Zuwanderungsgesetz und ratifiziert die Europäische Verfassung. Nach der verlorenen Landtagswahl von Nordrhein-Westfalen stellt Bundeskanzler Schröder schließlich im Bundestag die Vertrauensfrage mit dem erklärten Ziel, die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen herbeizuführen. Diese finden Ende September 2005 statt. .
Bei der Wahl vom 22. September 2002 können SPD und Bündnis 90/Die Grünen nur knapp ihre Bundestagsmehrheit behaupten. Die beiden großen Volksparteien erhalten jeweils 38,5 Prozent. Die SPD verfügt mit den Grünen (8,6 Prozent) zusammen über die Mehrheit der Sitze im Parlament. Die FDP erhält 7,4 Prozent der Stimmen. Die PDS scheitert mit ihren vier Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde, gewinnt aber zwei Direktmandate.
Die Mitgliederzahl für den 15.Bundestag war durch eine Änderung des Wahlgesetzes reduziert worden. Danach gehören dem Parlament regulär 598 Abgeordnete an. Aufgrund von fünf Überhangmandaten zählt der 15. Deutsche Bundestag 603 Volksvertreter.
Der Euro ist seit Anfang 2002 Zahlungsmittel, und die Europäische Union wächst. Am 1. Mai 2004 treten zehn Länder der EU bei, der nun 25 Staaten angehören. Auch aufgrund eines im Zuge der so genannten Hartz-Reformen geänderten Berechnungsverfahrens steigen die Arbeitslosenzahlen bis zum Ende der 15. Wahlperiode kontinuierlich an: mit 5,3 Millionen gemeldeten Arbeitslosen ist im Februar 2005 der Höchststand der Nachkriegszeit erreicht.
In Afghanistan übernehmen deutsche Soldaten gemeinsam mit ihren niederländischen Kameraden die Führung des internationalen UN-Einsatzes. Im März 2003 beginnt der dritte Golfkrieg, an dem sich Deutschland nicht beteiligt. Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft, die Herausforderungen des sich erweiternden Europas und die Rolle der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen stehen auch im Zentrum der parlamentarischen Auseinandersetzungen.
In der zweiten Amtszeit der Regierung Schröder steht die Fortsetzung der Bemühungen um eine Reform des Arbeitsmarktes im Zentrum des Regierungshandelns. Dabei geht es vor allem um die Umsetzung der Vorschläge der von der Regierung einberufenen "Hartz-Kommission".
Das erste und das zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", auch Hartz I und II genannt, treten am 1. Januar 2003 in Kraft. Bekannte Elemente dieser Gesetze sind die Einführung der "Mini-Jobs" bis 400 Euro und die Förderung von Existenzgründungen in Form der "Ich-AG". Die in der Agenda 2010 zusammengefassten Maßnahmen zur Reform des Sozialstaats, die der Kanzler dem Bundestag im März 2003 vorstellt, lösen eine Protestwelle aus. Bundesweit gehen Menschen gegen den befürchteten Sozialabbau auf die Straße.
Für die Abgeordneten im Bundestag sind die von der Regierung vorgeschlagenen Arbeitsmarkt- und Sozialreformen Thema zahlreicher kontroverser Debatten im Plenum und in den Ausschüssen. Kernpunkte sind die Verkürzung des Arbeitslosengeldes, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit zur Bundesagentur für Arbeit.
Die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds soll verkürzt, der Kündigungsschutz leicht gelockert werden. Der Bundestag verabschiedet schließlich das Paket, das auch ein Investitionsprogramm für die Kommunen und die Bauwirtschaft in Höhe von 15 Milliarden Euro und eine Reform der Gewerbesteuer umfasst. Am 1. Januar 2005 treten die Neuerungen in Kraft.
Eine europäische Verfassung soll Strukturen und Verfahrensabläufe der EU reformieren sowie Transparenz und Bürgernähe der europäischen Institutionen erhöhen. Der 2004 von den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten feierlich unterzeichnete Verfassungsvertrag kann aber erst in Kraft treten, wenn er zuvor von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert worden ist.
Deutschland gehört zu den Staaten, die den Verfassungsentwurf angenommen haben. Am 12. Mai 2005 stimmt der Bundestag mit einer überwältigenden Mehrheit von 95 Prozent dem Vertrag zu. Frankreich und die Niederlande sprechen sich in Volksabstimmungen gegen den Vertrag in der vorgelegten Form aus. Er wird überarbeitet und als "Vertrag von Lissabon" am 13. Dezember 2007 von den europäischen Staats- und Regierungschefs in Lissabon unterzeichnet. Auch dieser Vertrag kann erst nach längeren Debatten und weiteren Zugeständnissen der EU an einzelne Mitgliedstaaten am 1. Dezember 2009 in Kraft treten.
Per Gesetz verpflichtet das Parlament börsennotierte Aktiengesellschaften, Vorstandsvergütungen namentlich offenzulegen und löst damit die bisherige freiwillige Selbstverpflichtung ab.
Nach dem Aktiengesetz sollen die Bezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage des Unternehmens stehen. Die Aktionäre erhalten mit dem Gesetz ein stärkeres Kontrollrecht.
Das Zuwanderungsgesetz, das zum Jahresanfang 2005 in Kraft tritt und erst nach einem langwierigen Gesetzgebungsverfahren zustande kommt, reformiert das deutsche Ausländerrecht grundlegend. Ein Hauptziel des Gesetzes ist die bessere Integration der Zuwanderer, unter anderem durch Sprachkurse.
Bereits 2002 wird das Gesetz erstmals im Bundestag verabschiedet. Da das Bundesverfassungsgericht den zustimmenden Bundesratsbeschluss wegen des unklaren Abstimmungsverhaltens des Landes Brandenburg jedoch für ungültig erklärt, ist das Gesetzgebungsverfahren zunächst gescheitert. Im Januar 2003 bringt die Bundesregierung das Gesetz in unveränderter Form erneut im Bundestag ein, wo es erneut angenommen wird.
Der Bundesrat lehnt dagegen das Gesetz im Juni 2003 ab. Daraufhin erarbeitet eine Arbeitsgruppe des gemeinsamen Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat einen Kompromiss, der sowohl die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat findet.
Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung wird unter anderem die Praxisgebühr eingeführt, die Zuzahlungen bei Arznei- und Hilfsmitteln und bei Krankenhausaufenthalten werden erhöht. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel und Brillen müssen von den Patienten selbst bezahlt werden, Entbindungs- und Sterbegeld werden gestrichen.
Die Belastungsobergrenze für Zuzahlungen wird insgesamt auf zwei Prozent, für chronisch Kranke auf ein Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens festgelegt. Durch die Einsparungen soll der Durchschnittsbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung schrittweise verringert werden, um die Lohnnebenkosten zu senken.
Ein Untersuchungsausschuss, den die CDU/CSU-Fraktion beantragt, soll sich mit Wahlversprechen der SPD befassen und die Frage klären, ob die Bundesregierung im Bundestagswahlkampf falsche Angaben zur Haushaltslage in Deutschland gemacht hat. Auf Verlangen der Koalitionsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen befasst sich der Ausschuss auch mit früheren Wahlkampfaussagen der Regierung Kohl zum Bundeshaushalt sowie mit Stellungnahmen von Ministerpräsidenten unionsgeführter Länder im Bundestagswahlkampf.
Im Dezember 2002 beschließt der Bundestag die Einsetzung des Ausschusses mit diesem erweiterten Untersuchungsauftrag. Knapp ein Jahr später legt der Ausschuss seinen Bericht vor. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Vorwurf des Wahlbetrugs gegen Rot-Grün nicht zutrifft.
Die Bundesversammlung wählt am 23. Mai 2004 im Berliner Reichstagsgebäude Horst Köhler zum neuen Bundespräsidenten.
Der Kandidat von CDU/CSU und FDP war zuvor Direktor des Internationalen Währungsfonds gewesen. Köhler folgt im Amt des Bundespräsidenten Johannes Rau nach.
Nach der Niederlage der SPD bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 kündigt Bundeskanzler Schröder noch am Wahlabend an, vorgezogene Neuwahlen zum Bundestag anzustreben. Zu diesem Zweck stellt er im Bundestag am 1. Juli die Vertrauensfrage, für die er, wie zuvor verabredet, keine Mehrheit erhält.
Daraufhin löst Bundespräsident Köhler trotz verfassungsrechtlicher Bedenken das Parlament auf und ordnet Neuwahlen für den 18. September 2005 an. (sq)