Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > > Historische Debatten > Historische Debatten (16): Bankenrettungspaket
60 Jahre Bundestagsgeschichte - das sind 16 Legislaturperioden, acht Bundeskanzler und unzählige Reden, die im Plenum des Parlaments gehalten wurden. Einige Debatten in dieser Zeit waren besonders kontrovers, wie etwa die über die Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands 1952 oder die der Ostverträge 1972. Ein Streifzug durch die bedeutendsten Dispute und Entscheidungen der bisherigen 16 Wahlperioden. Eine der herausragenden Debatten der vergangenen, der 16. Wahlperiode des Bundestages, war die erste Lesung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes am 15. Oktober 2008.
Es war eine der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrisen der letzten Jahrzehnte: Begonnen als Immobilienkrise 2006 in den USA, weitete sie sich 2007/2008 zur Krise der Finanzbranche aus und erreichte später die Weltwirtschaft. Banken meldeten Insolvenz an, Aktienkurse gingen auf Talfahrt, Industrieländer rutschten in eine tiefe Rezession - die USA etwa erlebten den stärksten Wirtschaftsrückgang seit dem Zweiten Weltkrieg.
Auch Deutschlands Finanzbranche und exportorientierte Wirtschaft wurden hart getroffen. Am 13. Oktober 2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, entschloss sich die Bundesregierung deshalb zu einer beispiellosen Rettungsaktion, um die in Turbulenzen geratenen Banken zu stützen und die Märkte zu beruhigen.
Die Zeit drängte. Seit dem 15. September 2008, dem "Schwarzen Montag" an der Wall Street, befanden sich weltweit die Börsen im freien Fall. Lehman Brothers, eine der größten Investmentbanken an der US-Börse, hatte Insolvenz anmelden müssen. Alle Rettungsbemühungen waren zuvor an dem Nein der US-Regierung gescheitert, für die Bank weitreichende Garantien zu übernehmen.
Eine Entscheidung, die sich in Schockwellen rund um den Globus verbreitete: Die Aktienkurse stürzten ab, der US-Leitindex Dow Jones erlitt den stärksten Tagesverlust seit den Terrorattacken vom 11. September 2001.
Die bis dahin schwelende Finanzkrise nahm nun immer dramatischere Ausmaße an. Island stellte aus Angst vor einem Staatsbankrott das Bankenwesen unter staatliche Kontrolle. Großbritannien beschloss eine Teilverstaatlichung der größten Banken des Landes.
Und in Deutschland machten insbesondere die Landesbanken, darunter die Sachsen LB und die West LB, Milliardenverluste. Die Münchner Hypothekenbank Hypo Real Estate (HRE) konnte nur durch staatliche Kredite und Garantiezusagen in Milliardenhöhe vor dem Untergang bewahrt werden.
Um die Finanzmärkte zu beruhigen und die Krise einzudämmen, begannen nach und nach die Regierungen weltweit Milliardenbeträge - ein Großteil davon als Bürgschaften - zur Rettung der in Not geratenen Banken bereitzustellen. Allein das Hilfspaket der US-Regierung, das diese als erste bereits am 19. September 2008 in Aussicht stellte, umfasste 700 Milliarden US-Dollar.
Am 10. Oktober 2008 vereinbarten die Finanzminister der sieben führenden Wirtschaftsnationen (G7) - zu denen neben Deutschland, den USA, Japan und Großbritannien, auch Kanada, Frankreich und Italien zählen - schließlich einen gemeinsamen Aktionsplan zur Überwindung der globalen Krise. Das erklärte Ziel: Den Zusammenbruch weiterer Großbanken zu verhindern.
In der gemeinsamen Erklärung hieß es, "alle notwendigen Schritte" müssten unternommen werden, um "Geld- und Kreditmärkte wiederzubeleben sowie sicherzustellen, dass Banken und andere Finanzinstitutionen breiten Zugang zu Liquidität und Finanzierung" hätten. Die staatlichen Bürgschaften für die Bankeinlagen der Bürger müssten "robust" sein, um Vertrauen der Menschen in die Sicherheit ihrer Einlagen zu ermöglichen.
Die Bundesregierung handelte umgehend. Bereits am 5. Oktober 2008 hatte sie eine staatliche Garantie für private Spareinlagen in Höhe von 568 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Am 13. Oktober legte sie nach: In einer nächtlichen Sitzung einigte sich die Große Koalition unter Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) auf ein Rettungspaket für die deutschen Banken in beispielloser Höhe. 500 Milliarden Euro sollten für die angeschlagenen Finanzinstitute bereitgestellt werden.
Im Einzelnen sah der Entwurf für ein "Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung der Finanzmärkte" (Finanzmarkstabilisierungsgesetz), der bereits in der Kabinettssitzung am nächsten Morgen beschlossen wurde, die Einrichtung eines bis zum 31. Dezember 2009 begrenzten Finanzmarkstabilisierungsfonds vor.
Dieser sollte es dem Finanzminister ermöglichen, Bürgschaften in Höhe von 400 Milliarden für so genannte Interbanken-Kredite zu übernehmen, um die Geschäfte von Bank zu Bank wieder anzukurbeln. Weitere Aufgabe des Fonds: Den Banken Eigenkapital gegen Anteile geben und notfalls auch Kreditausfälle abkaufen. Bis zu 100 Milliarden Euro sollte der Fonds an Krediten aufnehmen können, sodass das Maßnahmenpaket insgesamt 500 Milliarden Euro umfasste.
In der bundesdeutschen Geschichte war noch kein Gesetz derartig teuer gewesen. Und kein Gesetz zuvor war in einer solchen Eile auf den Weg gebracht worden. Innerhalb nur einer Woche sollte es Bundestag und Bundesrat passieren.
Bundeskanzlerin Merkel war sich dessen durchaus bewusst, als sie bereits zwei Tage später, am 15. Oktober 2008, zu Beginn der ersten Lesung im Bundestag, eine Regierungserklärung abgab. "Die Weltwirtschaft erlebt in diesen Wochen eine der schwersten Bewährungsproben seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts", sagte Merkel. Die Geldmärkte seien praktisch funktionsunfähig, immer weitere Märkte drohten infiziert zu werden.
In dieser Situation sei es eine "Pflicht", innerhalb kürzester Zeit ein Maßnahmenpaket in "nie dagewesener Größenordnung" vorzulegen und zu verabschieden, so die Kanzlerin. "Ich weiß: Noch nie wurde ein so umfangreiches Gesetzesvorhaben mit einem so ehrgeizigen gesetzgeberischen Zeitplan auf den Weg gebracht."
Das Finanzmarkstabilisierungsgesetz bezeichnete sie als einen ersten Baustein einer neuen Finanzverfassung. Über die Soforthilfe für die Banken hinaus müsse der internationale Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte neu gestaltet werden, "um derartige entfesselte Entwicklungen in der Zukunft zu vermeiden", so die CDU-Vorsitzende.
Die Opposition, die im Vorfeld überwiegend Zustimmung und Verständnis für das eilig geschnürte Maßnahmenpaket signalisiert hatte, nannte in der Debatte jedoch auch Bedingungen. Dr. Guido Westerwelle (FDP) stellte klar: "Weil schnelles Handeln nötig ist, haben wir einer schnellen parlamentarischen Beratung zugestimmt. Das heißt ausdrücklich nicht, dass wir jedes Detail, jedes Instrument, jede Maßnahme des Gesetzes, vor allem die Verordnungswege, am Schluss auch unterstützen."
Seine Fraktion, so der FDP-Chef, haben Fragen, etwa, warum der Bundesregierung so wenig an parlamentarischer Begleitung gelegen oder die Kontrolle des Bundesrechnungshofs in weiten Teilen ausgeschlossen sei. Diese Fragen müssten beantwortet werden, forderte Westerwelle. "Treuhänder der Steuergelder" seien schließlich die Abgeordneten. "Wir können hier keinen Blankoscheck ausstellen."
Diese Meinung vertrat auch Fritz Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen): "Der Gesetzentwurf ist ein Blankoscheck für die Regierung, mit der das Parlament sein Haushaltsrecht - immerhin das Königsrecht des Parlaments - aus der Hand gibt." Zwar sei das Rettungspaket grundsätzlich notwendig, doch die Art, wie es aufgelegt wurde, sei verkehrt, so der Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen.
Konkret kritisierte er, dass die "private Seite" nicht wirklich in Anspruch genommen werde. Auch könne der Staat zu wenig Einfluss auf die Banken ausüben. "Das ist ein Strukturfehler Ihres Gesetzentwurfes, den wir Ihnen nicht durchgehen lassen können", betonte Kuhn.
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) verteidigte die geplanten Maßnahmen: "Wenn es auf den Finanzmärkten brennt, dann muss gelöscht werden, auch wenn es sich um Brandstiftung handelt." Die Garantien des Rettungspakets seien aber an sehr strenge Bedingungen geknüpft, versicherte Steinbrück: "Leistung - Gegenleistung, wie die Kanzlerin gesagt hat, ist das Prinzip, nach dem wir handeln."
So erhalte der Staat im Gegenzug "Aktien, Vorzugsaktien, stille Einlagen oder Beteiligungen". Darüber hinaus werde er, kündigte der Finanzminister an, für seine Garantien Gebühren erheben: "Er wird auch das Recht bekommen, auf die Geschäftspolitik Einfluss zu nehmen, (...), dass die geförderten Banken nicht über eine Bilanzverkürzung ihre Kredittätigkeit gegenüber dem Mittelstand in Deutschland reduzieren."
Oskar Lafontaine (Die Linke) monierte, das Problem könne nicht mit dem Begriff Finanzmarktkrise beschrieben werden. Es handele es sich eher um eine Krise der Demokratie und der Wirtschafts- und Sozialordnung, so der Vorsitzende der Linksfraktion. Die Politik stehe zu sehr unter der Kontrolle der Finanzmärkte: "Wir werden noch immer von ihnen beherrscht."
Lafontaine forderte neue Regeln für die Weltfinanzmärkte, darunter etwa feste Wechselkurse, eine verbindliche Regelung der weltweiten Finanzströme und eine "Austrocknung der Steueroasen". Ohne diese Maßnahmen ließen sich künftige Krisen nicht verhindern.
Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU) widersprach dem Linkspolitiker: Von einer Krise der Demokratie und der Wirtschafts- und Sozialordnung könne nicht gesprochen werden. "Genau das Gegenteil ist der Fall." Allein die Tatsache, wie in der Krise "zielgerichtet, intensiv und energisch" agiert werde, zeige, wie handlungsfähig Wirtschafts- und Sozialordnung, das demokratische System und der Parlamentarismus seien, unterstrich der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag.
Diese Handlungsfähigkeit zeigte sich dann insbesondere auch im schnellen Zustandekommen des Gesetzes. Im Eilverfahren durchlief der Entwurf des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes den parlamentarischen Prozess. Nach der ersten Lesung im Plenum und der Beratung im Haushaltsausschuss, der den Entwurf federführend gemeinsam mit Rechts-, Finanz- und Wirtschaftsausschuss noch am selben Tag beriet, wurde das Gesetz am Freitag, 17. Oktober 2008, nach zweiter und dritter Lesung vom Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP verabschiedet. Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke votierten dagegen.
Der Bundesrat stimmte in einer Sondersitzung noch am selben Tag zu. Am 18. Oktober 2008 - und damit nur fünf Tage nach seiner Ankündigung - trat das Gesetz in Kraft. (sas)