Zitat Zitat von Backtoreality Beitrag anzeigen
Die Deutsche National-Bibiothek führt ebenfalls eins, ist aber darauf angewiesen, dass sie von den Urhebern mit Pflichtexemplaren ihrer Veröffentlichungen beliefert werden. Es hat aber den Vorteil, dass es für jedermann über das Internet einsehbar ist.
Ich bin Urheberin - nix Dolles und Berühmtes, mit dem man reich werden könnte, aber Dutzende von Buchübersetzungen usw. Aus leidvoller Erfahrung kann ich sagen: Im Normalfall melden nicht wir Urheber der Nationalbibliothek unsere Werke; das tun die Verleger. Und dabei passieren zahlreiche Pannen: Ein einziger Buchstabendreher im Impressum bzw. im Datensatz (z. B. Kamphius statt Kamphuis - das hat einer meiner Auftraggeber letztes Jahr geschafft), und ich bin später für Interessenten, die das mittlerweile vom Markt verschwundene Werk erneut verlegen wollen, unauffindbar.

So befremdlich das für Nichtbetroffene klingen mag: Was hier wie eine extreme Ausnahme klingt, ist fast schon der Normalfall. Die Urheber müssen ja, um ihre Interessen wahren und eine Genehmigung erteilen zu können, erst einmal überhaupt mitbekommen, dass jemand mit einem ihrer alten Werke etwas Sinnvolles anfangen und es der Öffentlichkeit in zeitgemäßer Form wieder verfügbar machen will. Und das ist gerade bei Werken mit zahlreichen Urhebern (Sammelbänden, Filmen, multimedialen Werken usw.) Jahre bis Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung ohne Zentralregister so aufwändig, dass die potenziellen Neuverleger lieber von ihrer Idee Abstand nehmen. Damit ist niemandem gedient; unglaublich viel wertvolles Material, Gedankengut usw. würde faktisch aus dem Menschheitsbewusstsein verschwinden.

Übrigens bin ich - anders als z. B. der Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Christian Sprang, oder auch der Vorredner von S. Leutheusser-Schnarrenberger bei der Berliner Rede zum Urheberrecht, Ulrich Wickert, entschieden dagegen, dass wir Urheber das Recht haben sollten, unsere einmal veröffentlichten Werke der Öffentlichkeit später wieder zu entziehen, also zu bewirken, dass die Werke komplett aus den Bibliotheken und digitalen Archiven verschwinden. Kultur und gesellschaftlicher Diskurs heißt, dass wir uns auf die Äußerungen anderer beziehen, auf ihnen aufbauen, uns an ihnen abarbeiten usw.

Wer wie Wickert fordert, er müsse sein "Geschwätz von gestern" quasi wieder in den Mund zurücksaugen und aus der Welt verschwinden lassen dürfen, behindert diese wichtigen Prozesse. Dass Autoren ihre Meinung ändern, dass ihre früheren Standpunkte irgendwann faktisch überholt oder ihnen peinlich sein oder ihnen auch beruflich schaden können, mag ja sein, aber dieses Problem muss m. E. anders gelöst werden: durch einen gesellschaftlichen Lernprozess, durch die Erfahrung, dass man digitale Dokumente nur dann richtig einschätzen kann, wenn man ihre Entstehungszeit und -bedingungen mitbedenkt.