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19. März 2012

Öffentliche Anhörung zum Strukturwandel der politischen Kommunikation und Partizipation

Die Enquete-Kommission veranstaltete am 19. März 2012 ab 14 Uhr unter dem Vorsitz von Axel E. Fischer (CDU/CSU) eine öffentliche Anhörung zum Strukturwandel der politischen Kommunikation und Partizipation. Dieses Thema wird in der Projektgruppe Demokratie und Staat diskutiert. Dazu waren sechs externe Sachverständige eingeladen.

Außergewöhnliches Thema

Der Vorsitzende der Enquete-Kommission, Axel E. Fischer (CDU/CSU) betonte zu Anfang der Sitzung, das Thema der Anhörung sei außergewöhnlich, weil es das Parlament und die Arbeit der Kommissionsmitglieder selbst betreffe. Die Enquete habe zudem mit der Bürgerbeteiligungsplattform ein in der Parlamentsgeschichte einzigartiges Experiment gestartet. Man habe damit kein Massenpublikum angesprochen, aber die eingegangenen Beiträge seien hochwertig und für die Arbeit der Enquete wichtig gewesen. Man habe gelernt, dass Beteiligungsangebote ernsthaft und wirksam sein müssten: So seien etwa zwei von zwölf Handlungsempfehlungen im Bericht Medienkompetenz wortwörtlich von Bürgerinnen und Bürgern übernommen worden.

Am Anfang der Entwicklung

Christoph Kappes, Geschäftsführer der Fructus GmbH, hielt fest, dass man erst am Anfang einer Entwicklung stehe. Die Menschen müssten sich das Netz noch erobern. Die Technik für neue Möglichkeiten der Teilhabe sei da und sie werde in Zukunft auch genutzt werden, weil dies aus der Ziel-Logik der Akteure folge. Für die politische Kommunikation empfehle er daher eine stärkere Rollen- und Arbeitsverteilung unter Abgeordneten. Zugleich werde die Politisierung des Publikums zunehmen, weil Informationen verdichtet und das Ausblenden von Nachrichten schwieriger würden.

Hohe Voraussetzungen für Online-Beteiligung

Markus Linden von der Universität Trier konstatierte, dass an die neuen Beteiligungsmöglichkeiten erhebliche Erwartungen geknüpft würden, die vielfach nicht erfüllt werden könnten. Bisher seien es beispielsweise hauptsächlich netzpolitische Themen wie die ACTA-Proteste, die in den Vordergrund gerückt würden. Außerdem seien die Voraussetzungen für Onlinepartizipation hoch, was dazu führe, dass sich meist nur gut gebildete Menschen daran beteiligten. Auch Alter, Geschlecht und Einkommen seien maßgeblich, ob sich jemand online einbringe.

Journalisten als Mittler und Moderatoren

Christoph Neuberger von der Ludwig-Maximilians-Universität München führte aus, dass sich derzeit noch wenige Menschen politisch im Netz artikulierten. Die Barrieren für Beteiligung seien hoch. Es gebe zudem die Gefahr der Fragmentierung von Öffentlichkeit. Er sehe deshalb die Rolle der Journalisten keineswegs als gering an. Sie würden als Mittler und Moderatoren gebraucht und könnten im staatsfreien Raum öffentliche Meinungsbildungsprozesse anregen. Statt einer Konkurrenz, so Neuberger, gebe es eine Ergänzung zwischen Journalismus und Social Media. "Journalisten werden nicht überflüssig", sagte Neuberger.

Ein guter erster Schritt

Daniel Reichert, Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Liquid Democracy, berichtete unter anderem von einer Nutzerbefragung auf der Bürgerbeteiligungsplattform. 70 Prozent der Befragten glaubten, die Ergebnisse werden keinen Einfluss auf die Politik haben. In einer verbesserten Darstellung der Ergebnisse liege eine der großen Herausforderungen von Bürgerbeteiligungen, so Reichert. Kritisiert wurde durch die Nutzer die fehlende Rückmeldung der Kommissionsmitglieder auf der Plattform. Gleichwohl habe die Befragung gezeigt, dass sich 70 Prozent der Befragten weiterhin auf der Plattform einbringen möchten. Das Ziel von Partizipation, so Reichert, sollte sein, dass niemand außen vor bleibt, der sich politisch beteiligen möchte. Ein guter erster Schritt dahin sei durch die Enquete bereits gemacht.

Den Wandel moderieren

Der Medienwissenschaftler Gerhard Vowe von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf erläuterte, dass mit den vielen neuen Akteuren, die sich über das Netz Gehör verschafften, diejenigen unter Druck gesetzt werden, die bisher die politische Kommunikation organisiert haben – etwa Medien, Parteien, Regierungen und Parlamente. Die Politik müsse den Wandel moderieren und für Stabilität sorgen, denn die "schweigende Mehrheit" der Bevölkerung müsse eingebunden bleiben. Dazu brauche es eine funktionierende repräsentative Demokratie. Die Enquete-Kommission, so Vowe, sei ein gutes Beispiel, denn sie untersuche den Wandel, sei als Gremium des Bundestages aber ein Teil der institutionellen Ordnung – ein "Stabilitätsanker in der Liquid Democracy".

Transparenz als Voraussetzung für Beteiligung

Stefan Wehrmeyer von der Open Knowledge Foundation Deutschland und Leiter des Projekts fragdenstaat.de, betonte die Bedeutung von Transparenz als Voraussetzung für Beteiligung. Nur wenn alle Beteiligten umfassend und vollständig informiert seien, könne die politische Debatte gleichberechtigt und sachlich geführt werden. Wehrmeyer forderte einen Kulturwandel in der Verwaltung hin zum offenen Regierungshandeln, der von der Regierung vorgelebt werden müsse.

Fragen an die Experten auf enquetebeteiligung.de

Interessierte Bürgerinnen und Bürger waren im Vorfeld der Anhörung aufgerufen worden, Fragen an die Sachverständigen zu richten. Auf der Beteiligungsplattform konnten die Fragen vorab eingereicht werden. Neben den Fragen der Kommissionsmitglieder wurden auch diese Fragen in der Sitzung gestellt und durch die Experten beantwortet. Dabei ging es zum Beispiel um die Reichweite und Verbindlichkeit von Partizipation, Bürgerbeteiligung durch die Exekutive und die Bedeutung von so genannten Filter Bubbles für die politische Meinungsbildung.

Übersicht: Die Experten der Anhörung

Christoph Kappes, Geschäftsführer der Fructus GmbH

Dr. Markus Linden, FB III/ Politikwissenschaft (SFB 600), Universität Trier

Prof. Dr. Christoph Neuberger, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Ludwig-Maximilians-Universität München

Daniel Reichert, Liquid Democracy e. V.

Prof. Dr. Gerhard Vowe, Lehrstuhl für Kommunikations- und Medienwissenschaft I an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Stefan Wehrmeyer, Open Knowledge Foundation Deutschland e. V.

 




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Stand: 19.03.2012