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"Zukunftspolitik statt Krisenbewältigung"


Europa muss noch sozialer werden und entschieden gegen die extrem hohe Arbeitslosigkeit in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ankämpfen. Dafür sprachen sich Abgeordnete aller Fraktionen am Freitag, 17. Januar 2014, in einer vereinbarten Debatte im Bundestag aus. Anlass war das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2014, das EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bereits am 22. Oktober 2013 in Brüssel vorgestellt hatte. Neben der Vollendung des Binnenmarktes, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Förderung digitaler Technologien nennt die EU-Kommission vor allem die rasche Vollendung der Bankenunion als oberstes Ziel ihrer Arbeit im Jahr 2014.

SPD: Chancen für die Jugend

In der eindreiviertelstündigen Debatte forderte Dagmar Schmidt (SPD) von der Europäischen Union kluge Investitionen in die soziale Sicherheit und Nachhaltigkeit sowie eine Wachstumsstrategie, die die sozialen Folgen der europäischen Krise bewältige. Derartige Investitionen seien unabdingbar für ein erfolgreiches Europa, dessen Bürger die Europäische Union positiv wahrnehmen.

Axel Schäfer (SPD) betonte ebenfalls, Europa müsse "ein soziales Europa der Beschäftigung und der Chancen für die Jugend werden". Er verwies auf die im Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU vereinbarte Selbstverpflichtung der Regierung, ein deutsch-griechisches Jugendwerk zu schaffen. Dies sei "eine wirkliche Innovation", die ein praktisches Zeichen von Solidarität setze.

CDU/CSU: Jugendarbeitslosigkeit zentrales Thema

Nach Ansicht des Vorsitzenden des Europaausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU/CSU), hat sich die EU-Kommission in ihrem Arbeitsprogramm angesichts der im Mai anstehenden Europawahlen "viel vorgenommen". Auffällig und richtig sei es aber, dass die Kommission weg möchte von der Krisenbewältigungspolitik hin zu einer stärkeren Zukunftspolitik.

Europa, sagte Krichbaum, sei vorangekommen in den vergangenen Jahren, die Bemühungen zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise hätten sich gelohnt. Nun stehe mit der Bankenunion eines von vielen wichtigen Zukunftsprojekten an.

"Große Gefahr für die Demokratie"

Detlef Seif (CDU/CSU) bezeichnete es angesichts des Aufwärtstrends in Europa als richtig, dass die Kommission nun einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit lege. 27 Millionen Arbeitslose in der Europäischen Union, darunter sechs Millionen unter 25 Jahren, seien eine "große Gefahr für die Demokratie".

Seif hält das Arbeitsprogramm allerdings in den zentralen Bereichen Wachstum und Beschäftigung für "nicht ambitioniert genug". Vor allem vermisste er konkrete Vorschläge, wie insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen als Hauptbeschaffer von Arbeitsplätzen künftig stärker gefördert werden sollen.

Grüne: Gefahr durch antieuropäische Populisten

Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Die Grünen) forderte, die EU müsse entschieden gegen die sozialen Verwerfungen und die hohe Arbeitslosigkeit in Europa angehen. "Das Projekt Europa steht unter Druck", warnte er, denn antieuropäische Populisten befänden sich wenige Monate vor der Europawahl im Aufwind. Es sei wichtig, sich dagegen zu positionieren und klug und vorausschauend zu handeln, so wie es die EU-Kommission in ihrem Arbeitsprogramm skizziere.

Kritik übte Sarrazin an der Verhandlungsstrategie der Bundesregierung in Sachen Bankenunion. Sie schaffe mit ihrem Kurs in Brüssel unklare Entscheidungsstrukturen statt starke europäische Strukturen, wie sie jetzt benötigt würden. Dies erinnere ihn an die Geschichte der "drei kleinen Schweinchen" von Walt Disney, in der jene Schweinchen gefressen werden, die ihr Haus aus Stroh und Holz bauen. Schweinchen Schlau indes habe sein Haus aus Stein gebaut, da es haltbar sein müsse, sagte Sarrazin warnend mit Blick auf die Bundesregierung.

Linke: 180-Grad-Wende ist notwendig

Kritik am Arbeitsprogramm der EU-Kommission und der Europapolitik der Bundesregierung übte die Fraktion Die Linke. Nach Auffassung von Alexander Ulrich bedeutet das Kommissionsprogramm ein "Weiter so" in der Europapolitik der vergangenen Jahre, obwohl eine "180-Grad-Wende" nötig sei. Die Krise sei nicht etwa beendet, sondern sei durch die Politik der Troika sogar noch verschärft worden, so Ulrich und forderte, die Steuerzahler nicht weiter für die Spekulationsverluste der Banken in Geiselhaft zu nehmen und die Banken unter demokratische Kontrolle zu stellen.

Außerdem seien die Schrumpfung und strikte Regulierung des Finanzsektors, die Einführung einer EU-weiten Vermögensabgabe sowie die Bekämpfung von Steuerflucht und -hinterziehung dringend notwendig. Die Vorwürfe anderer Fraktionen, seine Partei verfolge einen antieuropäischen Kurs, wies er zurück.

Fraktionen verteidigen Freizügigkeit

Deutliche Worte in Richtung CSU und der von ihr angestoßene Debatte über Armutszuwanderung kamen von den Fraktionen SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Statt mit Armutszuwanderung solle sich die Bundesregierung lieber mit dem Problem der "Reichtumsabwanderung" beschäftigen, sagte Alexander Ulrich.

Und Manuel Sarrazin stellte klar, die Idee der Freizügigkeit  gehöre zu Europa ebenso "wie die Lederhose nach Bayern". Der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), bezeichnete die Freizügigkeit als "eine der größten europäischen Errungenschaften", welche die Bundesregierung auch konsequent verteidigen werde.

"Kommunen nicht allein lassen"

Die SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt warnte, Vorurteile und Ängste zu schüren schade dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Sie forderte allerdings auch, dass die Kommunen bei der Bewältigung von Problemen nicht allein gelassen werden dürften.

Der CSU-Abgeordnete Dr. Peter Gauweiler entgegnete der Kritik, dass seine Partei sowohl gegen "populistisches Rumgeschrei" sei als auch gegen "gutmenschliche Heuchelei". Die CSU werde keine Ruhe geben bei dem Thema und sie erwarte, dass sowohl die Gelder zur Unterstützung der deutschen Kommunen endlich freigesetzt werden wie auch die bereits vereinbarte EU-Hilfen, die Bulgarien und Rumänien zum Beispiel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zugute kommen sollen. (joh/17.01.2014)