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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) hat Russland am Donnerstag, 20. März 2014, im Bundestag mit weiteren, verschärften Sanktionen gedroht und sieht das Land auch nicht mehr im Kreis der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen (G8). Der Anschluss der Krim an Russland erfordere "die entschlossene wie geschlossene Antwort Europas und seiner Partner", sagte Merkel in ihrer Regierungserklärung unmittelbar vor Beginn des zweitägigen Treffens des Europäischen Rates am 20. und 21. März in Brüssel. Dort beraten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union über die Konsequenzen aus der Krim-Krise.
Die Bundeskanzlerin kündigte an, dass die EU noch heute Sanktionen der Stufe zwei beschließen werde. Diese umfassten eine Ausweitung der EU-Liste der bisher 21 Personen, gegen die die EU bereits am Montag Reisebeschränkungen und Kontensperrungen verhängt hatte. Sollte sich die Lage weiter verschärfen, werde es "ganz ohne Zweifel auch um wirtschaftliche Sanktionen gehen", kündigte Merkel an.
Die Kanzlerin sieht Russland "in allen internationalen Organisationen weitgehend isoliert". Sie betonte, dass die Vorbereitungen für das G8-Treffen im Juni im russischen Sotschi wegen der Entwicklung auf der Krim bereits ausgesetzt worden seien. Zur Zukunft Russlands in der Gruppe der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen sagte Merkel: "Solange das politische Umfeld für ein so wichtiges Format wie die G8 nicht gegeben ist, gibt es die G8 nicht mehr, weder den Gipfel noch die G8 als solches."
Auch die deutsch-russischen Regierungskonsultationen Ende April stehen Merkel zufolge infrage. Die Bundesregierung werde in den nächsten Tagen entscheiden, "ob und wenn ja in welcher Form Regierungskonsultationen stattfinden werden oder nicht", sagte sie.
Merkel kündigte an, dass der politische Teil des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine noch heute in Brüssel unterzeichnet werden solle. Dieses setze wichtige Impulse vor allem im Bereich der Rechtsstaatsentwicklung in der Ukraine.
Der Fraktionschef der Linken, Dr. Gregor Gysi, warf der Bundesregierung vor, bei Völkerrechtsbrüchen unterschiedliche Maßstäbe anzulegen. Die ukrainische Krim werde unter Bruch des Völkerrechts Bestandteil Russlands. Aber auch "die Abtrennung des Kosovos war ein Bruch des Völkerrechts", sagte Gysi. Zugleich bezeichnete er die Wahl der Übergangsregierung in der Ukraine als "nicht legitim". Die Regierung sei nicht aus demokratischen Wahlen hervorgegangen, außerdem gehörten ihr "Faschisten" an.
Sanktionen gegen Russland erteilte Gysi eine Absage. Diese seien "keine Politik, sondern Ersatz von Politik", sagte er. "Lassen Sie diesen Unsinn", forderte Gysi. Sanktionen führten nur zu einer weiteren Zuspitzung. Die EU forderte er auf, "keine Abkommen und Verträge mit dieser Übergangsregierung abzuschließen", sondern diese bei der Vorbereitung von demokratischen Wahlen zu unterstützen. Außerdem müsse eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ausgeschlossen werden.
Russland, das machte der Fraktionschef der Linken klar, müsse auf weitere militärische Drohungen und erst recht auf die Anwendung von Gewalt in der Ukraine und anderswo verzichten und die Ukraine als souveränen Staat anerkennen. Dies müsse verbunden werden mit einer klaren "positiven Perspektive der Beziehungen zu Russland seitens der EU und Deutschlands", forderte Gysi.
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, bezeichnete die Annexion der Krim durch Russland als "verfassungswidrig, völkerrechtswidrig und politisch brandgefährlich" und warnte vor einer weiteren Eskalation des Konflikts. Dieser zeige, dass die europäische Friedensordnung alles andere als selbstverständlich sei. In seiner Rede am 18. März vor der Duma habe Putin die Russen als "das größte geteilte Volk der Welt" bezeichnet. Dabei habe er sich offensichtlich auf die russischen Minderheiten in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion bezogen.
Wenn sich in diesen Worten eine "neue Putin-Doktrin" verbergen sollte, "nach dem Motto, überall wo Russen leben, ist auch Russland", dann verhieße dies "nichts Gutes", warnte Oppermann. Dies liefe auf ein automatisches Interventionsrecht hinaus, sobald Putin die Interessen im Ausland lebender Russen bedroht sehe. Ein solches Recht aber "gibt es nicht und kann es gar nicht geben", machte der SPD-Abgeordnete klar.
Staatliche Sanktionen, seien sie wirtschaftlicher oder politischer Natur, müssen nach Ansicht Oppermanns so ausgestaltet sein, dass sie diplomatische Lösungen nicht behindern. "Es darf keinen Automatismus einer Sanktionsspirale geben", warnte er. An Gregor Gysi gewandt betonte Oppermann, es sei "unerträglich", den durch Russland begangenen Völkerrechtsbruch durch Hinweis auf "tatsächliche oder angebliche Völkerrechtsverstöße durch andere" zu relativieren.
Dr. Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, sprach von einer "bitteren Entwicklung" und "brandgefährlichen Situation". Es sei nun besonders wichtig, dass es der Europäischen Union gelinge, mit einer Stimme zu sprechen und deeskalierend einzuwirken. "Schnellschüsse können am Ende Menschenleben kosten", warnte er.
Hofreiter machte klar, dass die Grünen-Fraktion den Drei-Stufen-Plan der EU unterstütze und das Inkraftsetzen der zweiten Sanktionsstufe für richtig halte. Er begrüßte auch den Schritt der Bundesregierung, die Lieferung eines Gefechtszentrums an Russland abzusagen. Doch dies reicht in den Augen des Grünen-Abgeordneten nicht, angesichts der Tatsache, dass Deutschland in den vergangenen Jahren viele Waffen nach Russland exportiert habe. Damit müsse Schluss sein, forderte Hofreiter, und verlangte ein "Waffenembargo in Richtung Russland".
Die Europäische Union muss nach Ansicht von Hofreiter zudem unabhängiger werden von Energieimporten. Es sei daher "schlichtweg falsch", dass die Bundesregierung die Energiewende "abwürge" und zulasse, dass die Klimaziele auf europäischer Ebene abgeschwächt werden. An die Bundesregierung appellierte er: "Sorgen Sie dafür, dass es wieder eine koordinierte Energiepolitik gibt."
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder, mahnte, die Europäische Union müsse nun zusammenhalten. "Nichts wäre schlimmer, als wenn Putin auch noch den Erfolg hätte, dass wir uns in Europa über die notwendigen Maßnahmen zerstreiten." Deshalb hänge von dem Gipfel sehr viel ab.
Der CDU-Abgeordnete sieht die Auseinandersetzung mit Russland auch als Bewährungsprobe für die Große Koalition. Bei der Bildung von Schwarz-Rot habe niemand gedacht, dass die Regierung so rasch wieder große internationale Aufgaben bekomme. "Bei der Lösung dieser Aufgaben, da bin ich hundertprozentig überzeugt, wird sich diese Koalition bewähren müssen. Und sie wird sich bewähren", betonte Kauder. (joh/20.03.2014)