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Der Entwicklungsexperte der Bundestagsfraktion Die Linke, Niema Movassat, hat mit Blick auf den EU-Afrika-Gipfel Anfang April eine Neuausrichtung der europäischen Handelspolitik gefordert. Die von der EU angestrebten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) seien nicht förderlich für die Entwicklung, sagt Movassat in einem am Montag, 24. März 2014, veröffentlichten Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament". "Namibia erhebt Exportsteuern auf Rohstoffe, nicht aber auf Produkte, die aus diesen Rohstoffen produziert werden. Das ist ein Anreiz, Rohstoffe im eigenen Land zu verarbeiten", sagt Movassat. Die EPAs verbieten aber solche Ausfuhrsteuern. Das Interview im Wortlaut:
Herr Movassat, seit Wochen ist die Rede von einer gewachsenen außenpolitischen Verantwortung Deutschlands. Teilen Sie diese Annahme und welche Rolle käme der Entwicklungszusammenarbeit dabei zu?
Wenn damit mehr Bundeswehreinsätze gemeint sind, dann teile ich das nicht. Aber sich für soziale Menschenrechte wie das Recht auf Wasser und Nahrung in den Ländern des Südens stark zu machen – das wäre eine Verantwortung, die Deutschland viel stärker übernehmen könnte. Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung dafür ist, außenpolitisch mehr Verantwortung zu übernehmen – gleichzeitig spricht sich eine Mehrheit gegen die Ausweitung von Militäreinsätzen aus. Wenn man dem folgt, dann bleiben Entwicklungszusammenarbeit, Diplomatie und die humanitäre Hilfe als außenpolitischer Kern, und das ist auch das, was wir als Linke unter Verantwortung verstehen.
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) besuchte jüngst die Zentralafrikanische Republik. Er klang dort nicht so, als wolle sich die Bundesregierung mit breiter Brust militärisch einmischen…
Die CSU ist, was Militäreinsätze angeht, immer schon etwas zurückhaltender gewesen. Aber Fakt ist auch, dass die neue Bundesregierung das Mandat in Mali ausgeweitet hat und über eine Beteiligung in Zentralafrika nachdenkt. Am Ende bedeutet mehr Verantwortung offenbar vor allem eines: mehr Bundeswehrsoldaten im Ausland.
Es gibt aber Situationen, in denen man womöglich eingreifen muss, um einen Völkermord abzuwenden. Wie klug ist es, sich grundsätzlich aus einem Konflikt wie in Zentralafrika herauszuhalten?
Jede Eskalation hat eine Vorgeschichte. Die fängt zum Beispiel damit an, dass Konfliktparteien in den Besitz von Waffen kommen. Eine verantwortliche Außenpolitik wäre, keine Waffen zu exportieren, schon gar nicht in Krisenregionen. Die zivile Krisenprävention wird stiefmütterlich behandelt. Man tut zu wenig für die Friedenssicherung im Vorfeld, und wenn ein Konflikt eskaliert, tut man oft auch diplomatisch zu wenig. Ein anderer Aspekt ist die Frage: Wer unterstützt eigentlich wen? So hat es in der Zentralafrikanischen Republik eigentlich nie einen Regierungswechsel gegeben, der nicht mit Frankreich zu tun hatte. Egon Bahr hat jüngst treffend festgestellt, in der internationalen Politik gehe es nicht um Demokratie und Menschenrechte, sondern um die Interessen von Staaten. Die Gründe, die gebracht werden, um einen Militäreinsatz zu rechtfertigen, stimmen oft nicht. Die Wahrheit stirbt meist zuerst.
In dieser Woche hat der Bundestag auch über die Ausbildungsmission EUTM Somalia beraten. Sie soll das Land stabilisieren helfen und könnte den viel größeren Antipiraterie-Einsatz vor der Küste Somalias eines Tages überflüssig machen. Eine Ausbildungsmission statt eines "robusten" Mandats also – das müsste Ihnen doch entgegenkommen?
Die Frage ist, wer da jetzt ausgebildet wird. Wir haben in einigen Ländern schon Soldaten trainiert, die dann später mit ihren Waffen zu mordenden Banden oder Islamisten übergelaufen sind. Ein Land, das so geschunden ist und in dem die Nachbarstaaten eigene Interessen verfolgen, bräuchte ein ganz anderes Herangehen. Es ist durchaus möglich, dass man mit humanitären Hilfsmaßnahmen auch in die Gebiete geht, wo Islamisten herrschen. So verbrecherisch die Gruppen sind: Es ist anscheinend möglich, trotzdem Gespräche zu führen und der Zivilbevölkerung zu helfen. Auch muss man bereit sein, alle wesentlichen Gruppen an den Verhandlungstischen sitzen zu haben.
Minister Müller hat sich Anfang des Jahres zu einer "nachhaltigen Entwicklungspolitik" bekannt. Das können Sie doch sicherlich unterschreiben. Wo sind die Unterschiede?
Gerd Müller setzt erfreulich andere Akzente als sein Vorgänger Dirk Niebel (FDP). Die Frage ist, ob den Worten auch Taten folgen. In seiner Zeit als Agrar-Staatssekretär haben ihn viele als Lobbyisten für deutsche Agrarexporte wahrgenommen. Solche Exporte sind aus entwicklungspolitischer Sicht ein Problem, weil sie die Märkte in den Ländern des Südens mit Dumpingpreisen zerstören. Da muss man schon fragen, ob er daran etwas ändern will.
Sie kritisieren mit Blick auf den Anfang April stattfindenden EU-Afrika-Gipfel vor allem die EU-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA). Was stört Sie daran?
Die EPAs sind nicht entwicklungsförderlich, ganz im Gegenteil. Namibia erhebt Exportsteuern auf Rohstoffe, nicht aber auf Produkte, die aus diesen Rohstoffen produziert werden. Das ist ein Anreiz, Rohstoffe im eigenen Land zu verarbeiten. Das fordern Entwicklungspolitiker seit Jahren und das meint Müller auch, wenn er von einer Wertschöpfung vor Ort spricht. Die EPAs verbieten aber Ausfuhrsteuern auf Rohstoffe. Viele afrikanische Partner beschweren sich außerdem über den Druck der EU bei EPA-Verhandlungen. Das ist für Länder wie Namibia eine Wahl zwischen Pest und Cholera: Unterzeichnen sie das Abkommen, gefährden sie die eigene Wirtschaft. Unterzeichnen sie nicht, verlieren sie Handelspräferenzen und den Zugang zum EU-Markt. Beim EU-Afrika-Gipfel sollen die EPAs auf Wunsch der Europäer übrigens kein Thema sein. Mit einer Partnerschaft auf Augenhöhe hat das nichts zu tun.
China gewinnt Einfluss in Afrika. Den Ländern dort kann es doch recht sein, wenn ihnen mehrere Partner die Tür einrennen?
Das hört man auch oft in Afrika. Für Afrika ist es sicherlich nicht schlecht, eine gewisse Auswahl bei den Partnern zu haben. Wobei man dazu sagen muss, dass auch China knallhart seine Interessen verfolgt: China ist – wie auch europäische Konzerne – am Landraub beteiligt, es schafft auch nicht unbedingt massenhaft Arbeitsplätze, sondern bringt oft eigene Arbeitskräfte mit.
China knüpft Investitionen kaum an Auflagen, und manchen afrikanischen Staatschef freut das – nach dem Motto: mehr Straßen und weniger Menschenrechtskonsultationen. Was würden Sie entgegen?
Konditionen sind dann problematisch, wenn mit ihnen politisch genehmes Verhalten durchgesetzt werden soll. Damit meine ich nicht Beispiele wie Uganda, das drakonische Strafen gegen Homosexuelle eingeführt hat. Das geht nicht. Aber es gibt eben auch Fälle, wo das schwieriger zu entscheiden ist. Dieser Begriff "Good Governance", der da oft mitschwingt, ist problematisch. Wenn eine Regierung sagt, wir wollen Preiskontrollen, wir wollen einen starken staatlichen Sektor, dann ist das aus Sicht der Geber vielleicht keine "gute Regierungsführung" – obwohl die Regierung demokratisch handelt und die Bevölkerung das will.
Der reiche Norden wirkt im Gespräch mit dem Süden manchmal wie ein Mann, der an seinem Schnitzel kaut und dabei über die Folgen von zu viel Fleischverzehr sinniert. Müssen wir verzichten, wenn die Teller der anderen voller werden sollen?
Die globalen Ressourcen sind begrenzt. Wenn alle sieben Milliarden Menschen so leben würden wie wir, wäre man schnell am Ende. Die Schlussfolgerung kann aber nun nicht sein, dass sich die Länder des Südens bitte nicht so stark entwickeln sollen. Das Stichwort ist Ressourcenschonung. Und da sind wir konkret gefragt, etwa bei der Umsetzung von Klimazielen. Da reicht es einfach nicht, nur an den Verbraucher zu appellieren, den Fleischkonsum bitte etwas herunterzufahren. Als Linke fordern wir etwa ein Verbot von Futtermittelimporten in Europa: Wir importieren Soja, damit Kühe schnell wachsen. Wir importieren Biomasse für Treibstoffe. Wir nehmen damit anderen Ländern Anbauflächen weg, die sie für die Versorgung der eigenen Bevölkerungen brauchen. Es geht um ganz konkrete politische Fragen: Wollen wir es uns leisten, in Brüssel strenge Abgasnormen im Sinne der deutschen Autoindustrie zu blockieren? Oder müsste sich nicht ein Entwicklungsminister genau hier zu Wort melden und sagen: Auch solche Dinge konterkarieren die Arbeit meines Ressorts?
(ahe/24.03.2014)