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Schützt das Völkerrecht vor Überwachung?

Europa- und völkerrechtliche Aspekte der massenhaften Überwachungsaktionen des US-Geheimdiensts NSA und anderer ausländischer Nachrichtendienste will der Untersuchungsausschuss, der diesen Spähskandal durchleuchten soll, am Donnerstag, 5. Juni 2014, mit fünf Sachverständigen erörtern. Zudem steht bei dieser Sitzung die ungeklärte Zeugenvernehmung des Whistleblowers Edward Snowden zur Debatte, der mit seinen Enthüllungen die Ausforschung der Telekommunikationsdaten von Bürgern, Unternehmen und Politikern bis hin zu Kanzlerin Angela Merkel publik gemacht hat.

Die Sitzung wird live im Internet und auf mobilen Endgeräten übertragen.

Internationale Experten zu Gast im Ausschuss

Das öffentliche Hearing des Gremiums unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) soll um 10 Uhr im Europasaal 4.900 des Paul-Löbe-Hauses beginnen. Geladen sind als Experten der Bonner Völkerrechtsprofessor Prof. Dr. Stefan Talmon, Dr. Helmut Philipp Aust, Rechtswissenschaftler an der Berliner Humboldt-Uni, sowie der Londoner Völkerrechtsprofessor und Datenschutzfachmann Prof. Dr. Douwe Korff.

Die Rechtslage in Großbritannien soll Prof. Dr. Ian Brown vom Oxforder Cyber Security Center beleuchten, die USA in den Blick nehmen soll Prof. Dr. Russel A. Miller, Professor für internationales Recht in Washington und ehedem Gastprofessor in Deutschland.

Das Europarecht und die Spionage

Diese Aussprache gehört zum Konzept des Ausschusses, zunächst mit Sachverständigen den rechtlichen und technischen Hintergrund der Spähaktionen ausländischer Geheimdienste in der Bundesrepublik aufzuarbeiten. Am 22. Mai stand die nationale Rechtslage auf der Tagesordnung.

Am 5. Juni geht es um die Frage, ob und in welchem Maße das europäische Recht auf der Ebene der EU und des Europarats, die Normen der UNO sowie das nationale Recht in den USA und in Großbritannien Geheimdiensten eine massenhafte Überwachung im Ausland gestatten oder untersagen. Ein zentraler Aspekt: Inwiefern kann die Bundesrepublik das europäische und internationale Recht nutzen, um die Bürger vor einer Ausspähung durch ausländische Nachrichtendienste zu schützen?

Europarat und EU garantieren Grundrechte

Im einzelnen stellen sich viele Fragen. Beispielsweise ist Großbritannien, dessen Geheimdienst ebenso wie die NSA in großem Stil die Telekommunikation im Ausland ausspionieren soll, an die Vorgaben der EU und des Europarats gebunden, die ihren Mitgliedsstaaten den Schutz der Grundrechte wie etwa einer freien Kommunikation und eines freien Privatlebens auferlegen.

Obliegt den nationalen Regierungen diese Verpflichtung nur gegenüber den eigenen Bürgern oder auch gegenüber den Bewohnern anderer Länder?

Hilft eine Staatenklage?

Eine wesentliche Rolle in diesem Zusammenhang spielt das im April verkündete Urteil des EU-Gerichtshofs in Luxemburg, der eine Brüsseler Richtlinie zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt hat. Ein anderes Thema: Kann und soll Deutschland vor dem Straßburger Menschenrechtsgerichtshof gegen Großbritannien eine Staatenklage einreichen, um London auf diesem Weg zur Wahrung der Menschenrechtscharta des Europarats mit ihrer Garantie von Freiheitsrechten und damit zum Verzicht auf die Ausspähung deutscher Bürger zu zwingen?

Grundfreiheiten sind auch in der UN-Menschenrechtscharta verankert. Allerdings dürften die Möglichkeiten begrenzt sein, über die Vereinten Nationen, etwa über deren Menschenrechtsrat, Bewohner eines Landes vor der Ausforschung ihrer Kommunikation durch fremde Nachrichtendienste zu bewahren.

Was gilt im Ausland?

Aus Sicht etwa des ehemaligen Verfassungsgerichts-Präsidenten Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier ist der Bundesnachrichtendienst eigentlich gehalten, bei Abhöraktionen im Ausland die Standards des Grundgesetzes zu beachten – und somit eine Vorratsdatenspeicherung zu unterlassen.

Der Ausschuss will nun erfahren, was das nationale Recht der USA und Großbritanniens zu diesem Problem sagt: Erlauben, verbieten oder beschränken Verfassung, Gesetzgebung und höchstrichterliche Urteile in den beiden Staaten die geheimdienstliche Spionage im Ausland?

Umstrittene Zeugenvernehmung Snowdens

Beschäftigten wird die Abgeordneten auch die umstrittene Zeugenvernehmung Snowdens, der von den USA per Haftbefehl gesucht wird. Das Gremium hat zwar beschlossen, den im Moskauer Exil lebenden Whistleblower anzuhören, die Modalitäten der Befragung sind jedoch nach wie vor ungeklärt.

Snowdens Berliner Anwalt Wolfgang Kaleck rät seinem Mandanten, sich nicht von Moskau aus etwa per Video vernehmen zu lassen, weil dies seinen unsicheren Aufenthaltsstatus in Russland gefährden könne. Linke und Grüne fordern deshalb erst recht eine Anhörung in Berlin. Die Union lehnt einen Auftritt Snowdens im Bundestag indes ab. Die SPD zieht alle Varianten in Betracht.

Regierung soll zu Snowden Klarheit schaffen

Der Ausschuss will jetzt von der Regierung wissen, ob Snowden hierzulande zur Fahndung ausgeschrieben ist, ob er bei einer Reise nach Berlin mit einer Festnahme rechnen muss, ob man ihn an die USA überstellen wird oder ob eine solche Auslieferung mit dem Argument verweigert wird, die NSA-Enthüllungen des Whistleblowers seien als politisch motiviertes Vorgehen zu werten.

Die Abgeordneten erwarten die Antwort der Regierung noch vor der Sitzung am 5. Juni. (kos/28.05.2014)

Zeit: Donnerstag, 5. Juni 2014, 10 Uhr
Ort:  Berlin, Paul-Löbe-Haus, Europasaal 4.900

Interessierte Besucher, die an der Sitzung teilnehmen möchten, können sich beim Sekretariat des Ausschusses (Telefon: 030/227-39217, Fax: 030/227-30084, E-Mail: 1.untersuchungsausschuss@bundestag.de) unter Angabe des Vor- und Zunamens sowie des Geburtsdatums anmelden. Zum Einlass muss ein Personaldokument mitgebracht werden.

Bild- und Tonberichterstatter können sich beim Pressereferat (Telefon: 030/227-32929 oder 32924) anmelden.

Eingeladene Sachverständige