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"Die Soldatinnen und Soldaten können ihren Auftrag in Aghanistan nur erfüllen, wenn der Rückhalt in der Bevölkerung für sie sichtbar wird.“ Das sagte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) während ihrer Regierungserklärung am Donnerstag, 22. April 2010, vor dem Bundestag zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Im Mittelpunkt stand dabei der Tod von sieben deutschen Soldaten innerhalb von zwei Wochen.
Mit Blick auf die aktuelle Diskussion über die schwindende Zustimmung in der deutschen Öffentlichkeit für den Bundeswehreinsatz warb die Kanzlerin für eine breite Unterstützung der deutschen Bevölkerung und betonte, dass die Bundeswehrsoldaten ihr Leben am vergangenen Donnerstag und am Karfreitag nicht umsonst verloren hätten. "Sie sind gestorben, weil sie Afghanistan zu einem Land ohne Terror und Angst machen wollten“, sagte Merkel und betonte, die Soldaten seien tapfer ihrem geleisteten Eid gefolgt, Recht und Freiheit in Deutschland zu verteidigen.
"Gefährdungen dort begegnen, wo sie entstehen"
Dabei zitierte die Kanzlerin erneut den ehemaligen Verteidigungsminister Peter Struck, Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt. Die deutsche Sicherheit werde weit außerhalb deutscher Grenzen gefährdet, daher müsse Deutschland seinen Gefährdungen dort begegnen, wo sie entstehen, sagte die Kanzlerin und verteidigte das deutsche Afghanistan-Mandat: "Wir können nicht von unseren Soldaten Tapferkeit erwarten, wenn uns gleichzeitig der Mut fehlt, uns zu dem zu bekennen, was wir beschlossen haben.“
Dies beinhalte auch, sich Zweifeln zu stellen, ob dieser gefährliche Einsatz glaubhaft zu vertreten sei. Die Kanzlerin bekräftigte, der Einsatz sei notwendig, da es dort nicht nur um zivilen Aufbau gehe, sondern auch um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Dabei sei ein Bundeswehreinsatz jedoch lediglich"„ultima ratio“. Deutschland übe sich aufgrund seiner politischen und historischen Verantwortung stets in militärischer Zurückhaltung.
Merkel warnte auch vor den Folgen eines vorzeitigen Abzugs aus Afghanistan und betonte die wachsenden Nuklearrisisken. "Ein verfrühter Abzug der Bundeswehr könnte Folgen haben, verheerender als die New Yorker Anschläge 2001.“
"Mandat hat keine Veränderungen nötig"
Gegen einen vorzeitigen Abzug sprach sich auch die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger aus und wandte sich zudem gegen im Vorfeld geäußerte Forderung der SPD, über ein neues Afghanistan-Mandat abzustimmen.
"Dieses Mandat hat keine Veränderungen nötig“, sagte Homburger und begrüßte zudem die erhöhte Rechtssicherheit der Soldaten durch die Qualifizierung des Einsatzes als "bewaffneten Konflikt“. Man müsse die tägliche Realität der Soldaten ernst nehmen und ihnen zur Seite stehen.
"Wir dürfen uns nicht an die Toten gewöhnen"
Sigmar Gabriel (SPD) wies daraufhin, dass der Rückhalt in der Bevölkerung schwinde. "Wir dürfen uns nicht an die Toten unter den Soldaten und Zivilisten gewöhnen“, betonte Gabriel und forderte, neben Solidaritätsbekundungen im Parlament die Unterstützung in der Bevölkerung zurückzugewinnen.
Zwar sei die SPD überzeugt, dass der Einsatz gerechtfertigt und notwendig sei, jedoch wüchsen die Zweifel, ob dieser tatsächlich den Terrorismus eindämmen könne. "Daher brauchen wir eine Überprüfung des bisherigen Engagements hinsichtlich der erreichten Ziele und zweitens eine Debatte, wie wir den afghanischen Versöhnungsprozess vorantreiben können.“ Gleichzeitig kritisierte Gabriel, die Bundesregierung spreche nicht mit einer Stimme. Er warnte zudem vor Kriegsrhetorik. Falls die Regierungskoalition künftig den Schwerpunkt auf militärische Mittel setzen wolle, müsse das Mandat geändert werden.
"Nicht um den heißen Brei reden"
Auch Jürgen Trittin (Bündnis 90/ Die Grünen) kritisierte das Mandat als nicht eindeutig und warf der Regierungskoalition "fehlende Wahrhaftigkeit“ vor. Die Soldaten müssten klar wissen, "wofür sie in Afghanistan ihren Kopf hinhalten“. Trittin forderte zudem eine Evaluierung des gesamten Einsatzes seit 2001. Die Kanzlerin forderte er auf, Klartext zu reden und zu benennen, ob es sich um einen Stabiliserungseinsatz oder um die Bekämpfung Aufständischer handele. "Hören Sie endlich auf, um den heißen Brei zu reden“, forderte Trittin.
Scharfe Kritik an Merkel äußerte auch Dr. Gregor Gysi (Die Linke), dessen Redebeitrag von zahlreichen Zwischenrufen unterbrochen wurde, woraufhin Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert nachträglich Martin Lindner (FDP) eine Rüge erteilte.
"Sofort aus Afghanistan abziehen"
Gysi warf der Kanzlerin vor, ihre Begründung für den "Krieg ständig zu wechseln“. Zudem belegten offizielle Zahlen der UNO zu Afghanistan keinerlei Verbesserung der zivilen Lage, sondern eher eine Verschlechterung. "Ziviler Aufbau setzt einen Waffenstillstand voraus, daher fordern wir den sofortigen Abzug aus Afghanistan“, sagte Gysi.
Demgegenüber warnte Volker Kauder (CDU/CSU), ein Rückzug müsse mit der Fähigkeit der Afghanen verbunden sein, selbst für die eigene Sicherheit zu sorgen. Der Bundestag habe mit diesem klaren Ziel das Mandat verlängert. "Die afghanische Bevölkerung muss wissen: Wir lassen euch nicht im Stich!“ Afghanistan dürfe nie wieder Rückzugsgebiet für Terroristen werden, sagte Kauder.