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Parlamentsreformen des Deutschen Bundestages

Seit fast 65 Jahren ist der Plenarsaal des Bundestages der zentrale Ort der bundesdeutschen Demokratie. Hier verhandelt das Parlament öffentlich. Die Abgeordneten debattieren über aktuelle Themen, beraten über Gesetzentwürfe und verabschieden Gesetze. In Plenarprotokollen werden die Reden, Fragen, Zwischenrufe, und Abstimmungsergebnisse festgehalten. Zwar haben sich Personen und Räumlichkeiten und sogar der Parlamentssitz geändert, nur die Verfahren scheinen die alten zu sein. Das ist aber nicht der Fall.

Die Regelung des parlamentarischen Verfahrens

Die Einzelheiten des parlamentarischen Verfahrens regelt die Geschäftsordnung des Bundestages (GO). Dazu zählen die Wahl des Bundestagspräsidenten und des Bundeskanzlers, der Verlauf von Plenarsitzungen, die Behandlung von Vorlagen und Petitionen, Rechte und Pflichten der Abgeordneten und schließlich der Vollzug der Beschlüsse des Bundestages.

Sie enthält Vorschriften zu Präsidium, Ältestenrat, Fraktionen und Abgeordneten, befasst sich mit Ausschüssen, äußert sich zum Wehrbeauftragten des Bundestages, zu Sitzungsprotokollen und zu Abweichungen von der Geschäftsordnung und deren Auslegung. Ein Katalog listet präzise die Anzeigepflichten und Verbotstatbestände auf und enthält auch Sanktionen für den Fall der Nichtbeachtung. Derzeit besteht sie aus 128 Paragrafen.

Bestimmungen aus Weimarer Republik und Kaiserreich

Der Bundestag unterscheidet im Wesentlichen die Fassungen von 1951, 1970 und 1980, die aber selbst wieder mehreren Änderungen unterworfen waren. Das heute geltende Regelwerk hat eine lange Geschichte und große Vorbilder: Einige Bestimmungen stammen noch aus der Zeit der Weimarer Republik oder des Kaiserreichs. Andere sind sogar noch älter.

Jeweils zu Beginn einer neuen Legislaturperiode muss die Geschäftsordnung vom Parlament neu beschlossen werden. Im Laufe seiner Geschichte hat der Bundestag dabei auch immer wieder über seine eigene Arbeitsweise beraten, Änderungen diskutiert und auf gesellschaftliche Veränderungen und neue Anforderungen durch Reformen reagiert. Die Geschäftsordnung hat inzwischen eine Reihe von großen, mittleren und kleinen Änderungen hinter sich.

„Der Bundestag verhandelt öffentlich“

Der erste Deutsche Bundestag nahm seine Arbeit noch mit einer alten Geschäftsordnung auf. Bis auf wenige Änderungen übernahm er im Wesentlichen die Geschäftsordnung des Reichstages der Weimarer Republik von 1922. Formel beschlossen wurde sie in der fünften Sitzung am 20. September 1949. Sie hatte allerdings nur vorläufigen Charakter. Gut zwei Jahre später, am 6. Dezember 1951, gab sich der Bundestag dann eine eigene Geschäftsordnung - die immer noch viele Bestimmungen aus früheren Geschäftsordnungen enthielt. Sie trat am 1. Januar 1952 in Kraft.

Gegenüber der Geschäftsordnung des Reichstages enthielt sie nicht nur eine Reihe neuer Bestimmungen, sondern es wurden auch verfassungsrechtliche Regelungen in die Geschäftsordnung übernommen. Eine der Änderungen geht auf Artikel 42 des Grundgesetzes zurück, in dem es unter anderem heißt: „Der Bundestag verhandelt öffentlich.“ Diese Vorgabe findet sich in Paragraf 19 der aktuellen Geschäftsordnung wieder: „Die Sitzungen des Bundestages sind öffentlich.“

In der Folgezeit wurden wiederholt Details verändert. Die Einführung des Wehrrechts in den fünfziger Jahren führte beispielsweise zu Regelungen über die Stellung eines Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages und des Verteidigungsausschusses.

Die kleine Parlamentsreform

Im Rahmen der ersten großen Novelle der sogenannten „Kleinen Parlamentsreform“ von 1969 kam es zu zahlreichen Neuerungen: So wurde die Möglichkeit geschaffen, Enquetekommissionen zur Beratung langfristiger Fragen einzuberufen und öffentliche Ausschusssitzungen abzuhalten, der Ältestenrat als Lenkungsorgan des Bundestages eingerichtet und die Fraktionsstärke wurde zum maßgeblichen Quorum bei einer Reihe von Minderheitenrechten.

Eine Partei muss seit dem 27. März 1969 mindestens fünf Prozent der Abgeordneten stellen, um den Fraktionsstatus zu erreichen - bis dahin waren 15 Mandate erforderlich. Parteien, die nicht die erforderlichen fünf Prozent der Abgeordneten erhalten, können im Bundestag als Gruppe anerkannt werden, haben allerdings nicht so weitgehende Rechte wie eine Fraktion.

Mit der Änderung der Geschäftsordnung wurde auch die Fraktionsgemeinschaft aus CDU und CSU möglich. Künftig war nicht länger ein Beschluss nötig, wenn Parteien mit gleichgerichteten politischen Zielen, die auf Landesebene nicht konkurrieren, eine Fraktion bilden wollten.

Grundlegende Überarbeitung der GO

1980 ist die Geschäftsordnung des Bundestages grundlegend überarbeitet und neu gefasst worden. Dabei wurden auch einige Minderheitenrechte novelliert. Beispielsweise konnten Minderheitenrechte, die bisher im Plenum des Bundestages einer kleineren Zahl als fünf vom Hundert der Abgeordneten, zum Beispiel fünf oder zehn, eingeräumt waren, jetzt in der Regel nur noch von fünf vom Hundert der Abgeordneten oder von einer Fraktion geltend gemacht werden.

Seitdem ist die Geschäftsordnung mehrfach geändert worden. Um die Debatten lebendiger zu gestalten, wurde beispielsweise 1990 die sogenannte Kurzintervention zugelassen. 1995 wurden unter anderem „Erweiterte öffentliche Ausschusssitzungen“ sowie „Kernzeitdebatten“ im Plenum eingeführt.

2009 wurden Änderungen der Geschäftsordnung beschlossen, die Ordnungsmaßnahmen gegen Störenfriede umfassen. Wer die Ordnung „gröblich verletzt“, kann nun auch nachträglich von Plenarsitzungen ausgeschlossen werden. 2013 wurden unter anderem neue Regeln für die Veröffentlichung von Nebentätigkeiten der Abgeordneten verabschiedet.

Anpassung der Minderheitenrechte

Zuletzt beschlossen die Parlamentarier am 3. April 2014 neue Regeln für die Wahrnehmung parlamentarischer Minderheitenrechte. Bisher konnten verschiedene Minderheitsrechte nur wahrgenommen werden, wenn mindestens 25 Prozent der Abgeordneten entsprechende Anträge unterstützen, wie etwa das Recht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.

Da die Oppositionsfraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen in dieser Legislaturperiode zusammen lediglich über 127 der 631 Sitze im Parlament verfügen, was lediglich einem Anteil von etwa 20 Prozent entspricht, können, nach der vom Bundestag beschlossenen Änderung der Geschäftsordnung, diese Rechte für die Dauer der laufenden Legislaturperiode bereits auf Antrag von 120 Abgeordneten wahrgenommen werden. (klz/15.08.2014)