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Berlin: (hib/AHE) Der Umgang mit sogenannten fragilen Staaten im Rahmen der Außen- und Entwicklungspolitik ist unter Experten umstritten. In einer gemeinsamen öffentlichen Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und des Unterausschusses Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit machten am Mittwoch vier geladene Sachverständige auf eine Vielzahl von Herausforderungen aufmerksam.
Professor Tobias Debiel von der Universität Duisburg-Essen sagte, dass bereits die Frage umstritten sei, was einen fragilen Staat ausmache. Je nach Sichtweise würden 20 bis 50 Staaten als fragil gelten – und aus wissenschaftlicher Sicht würde es fast ebenso viele Definitionen zu fragiler Staatlichkeit geben. Festzustellen sei, dass es fast immer ein Zusammenhang zu Gewaltkonflikten und zu Unterernährung gebe und zudem eine Korrelation zum Abschneiden beim Human Development Index. Als Parameter zur Beurteilung von Fragilität nannte Debiel die Frage der Autorität von Staatlichkeit, also etwa der Durchsetzbarkeit eines staatlichen Gewaltmonopols, Umfang und Qualität staatlicher Dienstleistungen sowie die Legitimation der Führung. Als gemeinsame Schnittmenge verschiedener Modelle zur fragilen Staatlichkeit nannte der Sachverständige die Indikatoren Gewalt, Flucht, soziale Zerrüttung und die Aufsplitterung der Machteliten. Debiel lenkte zudem das Augenmerk auf ein westlich geprägtes Verständnis von Staatlichkeit, das sich vor allem auf „formelle Strukturen“ fokussiere, informelle Strukturen - wie Clans und Stämme - jedoch häufig unberücksichtigt lasse. Im Zusammenhang mit der Forderung nach „Good Governance“ drohten etliche fragile Staaten zu „vergessenen Staaten“ zu werden. Debiel sprach in diesem Zusammenhang von einer „erheblichen Volatilität der Entwicklungsmittel“ für solche Staaten – räumte aber ein, dass die Zusammenarbeit hier vor einem Dilemma stehe: Fehlende staatliche Strukturen oder Parallelstrukturen bedeuteten immer auch die Gefahr einer Veruntreuung der Gelder.
Auch Gabi Hesselbein (London School of Economics) konstatierte in ihrer schriftlichen Stellungnahme „massiv widersprüchliche Zahlen und Einschätzungen über Fragilität“. Als Merkmale fragiler Staaten nannte sie unter anderem die Aufweichung und Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols, den Verlust des Monopols über die Steuererhebung und „eine Koexistenz von rivalisierenden Autoritäten und Institutionen“. Hesselbein sprach sich auch dafür aus, mit Machteliten zusammenzuarbeiten, sofern sie willens und in der Lage seien, die drängenden Probleme in ihrem Land anpacken zu wollen, auch wenn „Handlungsweisen und Entscheidungen dieser Akteure“ weit entfernt von dem seien, „was unter guter Regierungsführung, Transparenz und Demokratie erwartet wird.“ Zur Überwindung von Fragilität sei zudem eine gezielte Agrar- und Industriepolitik zur Hebung von Steuereinahmen und Wohlfahrt notwendig. Wichtig sei zudem, dass in Übergangsphasen Entwicklungsorganisationen keine Parallelstrukturen zu staatlichen Stellen - etwa im Gesundheitswesen - aufbauen, sondern „unbedingt mit den staatlichen Strukturen“ zusammenarbeiten.
Wolfgang Heinrich von der Hilfsaktion Brot für die Welt sprach sich für eine Zusammenarbeit auch mit fragilen Staaten aus: Fehlende oder nichtleistungsfähige staatliche Strukturen würden aus Gebersicht oft als Ursache für die Probleme wahrgenommen. Sie seien jedoch viel mehr Symptom dafür, dass grundsätzlich „die ethische Idee, einer nationalen Gemeinschaft anzugehören“, in fragilen Staaten gestört oder abhanden gekommen sei. Die Unterstützung für die Findung eines solchen gesellschaftlichen Grundkonsens müsse im Mittelpunkt der Zusammenarbeit und der Hilfe von außen stehen, sagte Heinrich und verwies auf die international nicht anerkannte Republik Somaliland: Hier sei es - durchaus mit Rückschlägen - seit den 1980er Jahren gelungen, eine Stabilisierung und Konsolidierung zu erreichen.
Almut Wieland-Karimi von Zentrum für Internationale Friedenseinsätze plädierte eindringlich für ein verstärktes präventives Handeln in fragilen Staaten, um weitere Eskalation und dann womöglich notwendig werdende Friedenseinsätze zu vermeiden. Auch wenn multidimensionale Friedenseinsätze als wirksame „Investitionen in Stabilität“ gelten dürften, sei mit ihnen eine Reihe von Problemen verbunden. So bestünde stets die Herausforderung, dass die Aufgaben solcher Mandate mit den finanziellen und personellen Ressourcen in Einklang gebracht werden müssen, die die internationale Staatengemeinschaft zu geben bereit sei. Friedenseinsätze bräuchten einen langen Atem und seien auf „fortgesetzte Unterstützung der Staatengemeinschaft“ angewiesen, wenn sie Frieden nicht nur schaffen, sondern halten sollen. Wieland-Karimi verwies zudem auf die sich häufenden Blockaden im UN-Sicherheitsrat: Es sei wichtig, dass Regionalorganisationen wie die Afrikanische Union und die Arabische Liga stärker Verantwortung für fragile Staaten unter ihren Mitgliedern übernehmen als bisher.
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