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Wenn am Dienstagnachmittag in einer Sitzungswoche des Bundestages die vier Fraktionen in den vier Ecken unterhalb der Reichstagskuppel tagen und die Tagesordnung wieder einmal länger als bis 17 Uhr dauert, dann rutschen einige Abgeordnete unruhig auf ihren Sitzen hin und her. Sie sind verabredet, um gleich eine Allparteienfraktion zu bilden. Eine Fraktion, die immerhin schon als die „erfolgreichste Fraktion“ des Parlaments bezeichnet worden sein soll. „Nicht zu Unrecht“, schreibt Marcus Weinberg (CDU/CSU) auf seiner Internetseite. Er ist der Anführer dieser „Fraktion“. Weinberg ist der Kapitän des „FC Bundestag“, einer Fußballmannschaft, die nur aus Bundestagsabgeordneten besteht.
Um 18 Uhr am Dienstag in jeder Sitzungswoche ist Anpfiff. Zuvor haben sich 15 bis 20 Abgeordnete aus den Fraktionssälen in die Umkleidekabine verabschiedet und sind mit dem eigens bestellten Mannschaftsbus zum Spielort gefahren. Im Winter trainiert der FC Bundestag in der Halle, von März bis Oktober ist „Saison“. Dann finden Freundschaftsspiele im Stadion statt.
Fast jeder kann sich als „Gegner“ bewerben. In der Saison 2014 sind das zum Beispiel das Bischöfliche Ordinariat Würzburg, die Daimler AG oder die Bundessteuerberaterkammer. An die gegnerischen Spieler wird nur eine außergewöhnliche Anforderung gestellt, die übrigens auch für die Kandidatur zum Amt des Bundespräsidenten gilt: Sie sollen mindestens 40 Jahre alt sein.
„Die sind ja halb so alt wie wir“, ärgert sich ein Fußballer vom „FC Bundestag“. Sein Team hat gerade gegen eine Mannschaft des Reifenherstellers „Continental“ verloren. Es war das Eröffnungsspiel des jährlichen Benefiz-Turniers. An diesem Tag gelten die Altersgrenzen nicht. Der „FC Bundestag“ spielt für einen guten Zweck. 18 000 Euro haben die teilnehmenden Mannschaften gesammelt.
Kapitän Marcus Weinberg dankt den Spendern. Er kennt die Projekte, an die das Geld geht und es ist ihm anzumerken, dass er deshalb in diesem Turnier einen besonderen Sinn sieht. Das Kinder-Hospiz Sternenbrücke betreut sterbenskranke Kinder auf ihrem letzten Lebensweg und wird neue Betten anschaffen. Ein Verein für Jugendarbeit in Rahlstedt wird jungen Müttern, die noch nicht volljährig sind und aus problematischen sozialen Verhältnissen kommen, ein paar Tage Urlaub mit ihren Kindern ermöglichen.
Mit roten Köpfen kommen die Abgeordneten an diesem sommerlich-warmen Abend vom Platz. Unter blauem Himmel zeichnet sich hinter Bäumen die Silhouette des Berliner Olympiastadions ab. Im Hanns-Braun-Stadion herrscht farbenfrohes Gewusel. Das Sparkassenteam läuft in rot auf, Continental in gelb-schwarz, der Deutsche Beamtenbund in grün. Und der „FC Bundestag“? Der darf die offiziellen Trikots der deutschen Fußballnationalmannschaft tragen. Schließlich ist er ja auch so etwas wie eine Fußball-Bundesauswahl.
Einige Spieler haben Frau und Kinder mitgebracht. Der Moderator hat das Phrasen-Repertoire der Fußballreporter mustergültig verinnerlicht und serviert scherzhaft einige Kostproben. Er sieht den „Top-Favoriten UPS gegen eine sich tapfer wehrende Mannschaft des Bundestages“ triumphieren.
Mit ein paar Glanzparaden im Tor des „FC Bundestag“ sorgt der Grünen-Abgeordnete Stephan Kühn dafür, dass der Bundestag in der Punktebilanz nicht allzu weit abfällt. Der junge Dresdener Parlamentarier hat schon als Jugendlicher im Tor gestanden.
„Der Spaß am Spiel ist wichtiger als das konkrete Ergebnis“, sagt Kühn zum sportlichen Ehrgeiz. Im Bundestag würde er die meiste Zeit sitzen. Deshalb sei es für ihn wichtig, feste Termine in der Woche zu haben, bei denen der sportliche Ausgleich terminlich geblockt ist.
Kühn ist zwar schon in der zweiten Wahlperiode im Bundestag, spielt aber erst seit Kurzem beim „FC Bundestag“, weil dieser zu Beginn der jetzigen Wahlperiode ein „FC Regierung“ gewesen sei, also nur aus Abgeordneten der Regierungskoalition CDU/CSU und SPD bestanden habe.
„Am Anfang der Legislaturperiode gibt’s immer den Bruch. Ungefähr die Hälfte kommt aus der letzten Legislatur, die andere Hälfte ist neu“, erklärt Kapitän Marcus Weinberg. Er ist froh, dass inzwischen wieder Fußballer aus allen Fraktionen dabei sind und glaubt, dass sich ein gutes Team bis zum Ende der Wahlperiode geformt hat.
Am Spielfeldrand werden Mannschaftsfotos geschossen. Die meisten Kicker sitzen konzentriert auf den Holzbänken und beobachten die gerade spielenden Teams. So ganz abschalten von der Politik können die Abgeordneten in einer Sitzungswoche auch beim Fußball nicht. Morgen tagen die Fachausschüsse und die Plenarsitzungen beginnen. Einige telefonieren, andere rufen nebenher Mails mit dem Mobiltelefon ab.
„Kommst Du mit nach Wien?“ Diese Frage hörte man im Frühjahr öfter. In Wien fand vom 29. Mai bis 1. Juni das zweite große Turnier des Jahres statt, das 42. Interparlamentarische Fußballturnier. Der „FC Bundestag“ wurde zwar nicht Turniersieger, war aber mit einer Mannschaft vertreten und kam auf Platz vier. „Es ist schon so, dass man sich bemüht, andere Termine, auf die man verzichten kann, auch abzusagen“, sagt Marcus Weinberg zur schwierigen Abwägung bei Terminanfragen.
„Es ist jedem Abgeordneten selbst überlassen, zu bewerten, was wichtiger ist“, fügt der fußballbegeisterte Weinberg hinzu. Wenn er als familienpolitischer Sprecher seiner Fraktion gefordert sei, könne er natürlich auch nicht einfach aus der Sitzung verschwinden. Weinberg scheint mit der Prioritätensetzung seiner Teamkollegen ganz zufrieden zu sein.
Die Mannschaft sei gerade für die neuen Abgeordneten eine gute Möglichkeit, unter den mehr als 600 Mitgliedern des Bundestages erste Kontakte zu knüpfen. Ihm habe das anfangs auch geholfen, erzählt der Hamburger, der 2005 zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurde. Inzwischen bezeichnet er seinen Kapitänsjob beim „FC Bundestag“ als die „wahrscheinlich schönste Nebenaufgabe der Welt“. (tk/28.07.2014)