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Das Parlament stellt seine Arbeitsweise infrage: Als im Deutschen Bundestag vor 30 Jahren, am 20. September 1984, 45 Redner in sechs Stunden erstmals über das Selbstverständnis des Bundestages debattierten, ging es im Plenum lebhafter zu als sonst. Einige Abgeordnete sprachen, anders als zuvor, von ihrem Platz aus und nicht vom Rednerpult. Auch stand dieses Mal nicht die politische Kontroverse im Wettstreit um Mehrheit und Minderheit im Vordergrund, sondern die Arbeit der Abgeordneten des Bundestages an sich.
Alle Redner beschäftigte die Frage, wie das Parlament seine Arbeitsweise und öffentliche Wirksamkeit als unmittelbar vom Volk gewähltes Verfassungsorgan verbessern kann und wie die vermeintlich wachsende Kluft zwischen Parlament und Bevölkerung verringert werden könnte.
Eine Entwicklung, die auch der Präsident des Deutschen Bundestages Dr. Rainer Barzel (CDU) mit Sorge betrachtete. Anwachsende oder verbreitete Ohnmachtsgefühle in der Bevölkerung seien Warnzeichen für die parlamentarische Demokratie, mahnte der Initiator dieser Debatte.
Es sei an der Zeit, dass der Deutsche Bundestag nicht nur über andere und anderes kritisch berät, sondern auch kritisch über sich selbst, sagte Barzel. Der Parlamentspräsident forderte vor allem die Stärkung des Verfassungsorgans Bundestag gegenüber der Regierung. „Der Deutsche Bundestag ist das Instrument des deutschen Volkes, durch das es einwirkt, regelt und bestimmt“, stellte er klar.
Eine Stärkung des Parlaments aber auch des einzelnen Abgeordneten war das Anliegen der interfraktionellen „Initiative Parlamentsreform“ um die FDP-Abgeordnete Dr. Hildegard Hamm-Brücher.
Es sei zum einen die Sorge um die Funktionsfähigkeit des Parlaments als gewählte Kontroll-, Initiativ- und Repräsentativinstanz unseres Volkes gegenüber Exekutive und Regierung und zum anderen die Sorge um das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der durch uns repräsentierten parlamentarischen Demokratie bei unseren Bürgern, die diese Initiative bewogen hätten Überlegungen und Vorschläge für eine überfällige Parlamentsreform zu veröffentlichen und eine offene Debatte zu dieser Thematik vorzuschlagen, erklärte die Sprecherin der Initiative.
35 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes seien eine offene, selbstkritische Debatte und ein vertieftes Nachdenken über die gewissenhafte Erfüllung unseres Verfassungsauftrags überfällig, betonte Hamm-Brücher.
In einem entsprechenden Entschließungsantrag (10/1983) forderten 91 Abgeordnete aller Fraktionen eine lebendigere und offenere Gestaltung von Plenardebatten, ein verstärktes und wirksameres Kontrollrecht des Parlaments und weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Wirkungsmöglichkeiten und zur Stärkung des Ansehens des Parlaments und seiner Abgeordneten.
Eine vom Präsidenten geleitete Ad-hoc-Kommission „Parlamentsreform" sollte bis zum Frühjahr 1985 die vorliegenden Initiativen und die in dieser Debatte gemachten Vorschläge prüfen und daraus konkrete Vorschläge zur Verbesserung der parlamentarischen Arbeit entwickeln.
Unzufrieden waren die Volksvertreter vor allem mit der Information durch die Bundesregierung. Nicht nur Angehörige der Opposition, wie der Fraktionsvorsitzende der SPD, Dr. Hans-Jochen Vogel, kritisierten: Die Unterrichtung der Abgeordneten über die Medien werde der Stellung des Bundestages in unserer Verfassungsordnung nicht gerecht. Man sei im Grunde nur eine Art kollektiver Notar, der in ritualisierten Verfahren Entscheidungen beglaubigen würde, die schon längst vorher getroffen worden seien.
Auch Mitglieder der schwarz gelben Regierungskoalition, wie der CDU-Abgeordnete Dr. Manfred Langner teilten diese Ansicht: Die Regierung sollte ihre Informationspflicht gegenüber dem Parlament ernster nehmen als im Vergleich zu den Regierungen in den Jahren zuvor.
Kritisch diskutierten die Abgeordneten auch die mediale Berichterstattung und wünschten sich mehr öffentliche Aufmerksamkeit und eine bessere und ausführliche Berichterstattung über die parlamentarische Arbeit. Viele Redner forderten deshalb eine generelle Fernsehübertragung der Debatten.
Einig waren sich die Parlamentarier auch in ihrer Forderung nach einer Belebung der Plenardebatten. Die Reden sollten möglichst kurz sein und nicht abgelesen werden. Es würden zu viele Vorlesungen gehalten und zu wenig spontane Debatten geführt, stellten die Abgeordneten selbstkritisch fest. Auch die Anwesenheit im Plenarsaal ließe zu wünschen übrig, lautete ein häufiger Vorwurf.
In diesem Zusammenhang appellierte der CDU-Abgeordnete Dr. Norbert Lammert aber vor allem an die Selbstdisziplin der Abgeordneten. Nicht immer müsse gleich die Geschäftsordnung reformiert werden, gab der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu bedenken.
Gleichzeitig betonte er: „Die parlamentarische Arbeit vollzieht sich nun mal nicht nur im Plenum“, sondern auch und gerade in den Ausschüssen. Deshalb regte Lammert an, den Ausschüssen mehr Zeit für die Gesetzgebungsarbeit zur Verfügung zu stellen und darüber nachzudenken, wie sich das Verhältnis des Zeitaufwandes zueinander neu gestalten ließe.
Der SPD-Abgeordnete Peter Conradi schlug vor, Fachdebatten generell in öffentlichen Ausschusssitzungen abzuhalten, um so mehr Raum für politische Debatten im Plenum zu bekommen.
Nach Ansicht der zum ersten Mal im Bundestag vertretenen Grünen könne die Kluft zwischen Parlament und Bevölkerung nur durch mehr direkte Demokratie verringert werden. Das Parlament sei nicht mehr Instrument des ganzen Volkes, wie die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion Christa Nickels kritisierte.
Weil der Bürger sich Überlebensgrundlagen zum Teil gegen das Parlament erkämpfen müsse, sei die Verbindung zwischen Parlament und Wahlbürgern teilweise aufgehoben. Das „Raumschiff Bonn“ stehe dem Wähler auf entgegengesetzter Seite gegenüber, der nur alle vier Jahre seinen Stimmzettel abgeben darf. Der Bürger hätte so dass Gefühl, seine Interessen würden nicht mehr vertreten, erklärte Nickels.
Am Ende der Debatte stimmten alle Abgeordneten für den Entschließungsantrag aus ihrer Mitte. Am 2. Oktober 1984 nahm die Ad-hoc-Kommission „Parlamentsreform" ihre Arbeit auf. Am 1. Juli 1985 legte sie ihren Abschlussbericht vor (10/3600). Vier Jahre später, in der darauffolgenden 11. Legislaturperiode, beschloss der Ältestenrat zur Probe die Umsetzung einiger Maßnahmen zur Verbesserung der parlamentarischen Arbeit (11/5999), wie die Befragung der Bundesregierung, die Möglichkeit von Zwischenfragen und Kurzinterventionen oder die Begrenzung der Rededauer.
In seiner Sitzung vom 19. Juni 1991 sprach sich der Ältestenrat für den Ausbau des bundestagseigenen Fernsehens aus, wie es zuerst in Bonn und später aufgrund einer weiteren Entscheidung vom 30. November 1995 auch in Berlin verwirklicht wurde. Neben der Liveübertragung stehen heute alle Plenardebatten und viele öffentlichen Ausschusssitzungen und Anhörungen in der Mediathek auf www.bundestag.de ungeschnitten und unkommentiert zum Abruf kostenlos zur Verfügung. (klz/16.09.2014)