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Berlin: (hib/KOS) Alle Informationen des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) über das im Januar 1998 abgetauchte Jenaer Trio, aus dem später der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) wurde, sind an die Polizei geflossen: Dies betonte am Donnerstagnachmittag zum Auftakt seiner Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss, der Pannen und Fehlgriffe bei den Ermittlungen zu der dem NSU zugerechneten Mordserie durchleuchten soll, der zwischen 1994 und 2000 amtierende Geheimdienstchef Helmut Roewer.
Der 63-Jährige wies darauf hin, dass die vom LfV gesammelten Erkenntnisse im Januar 1998 zur Entdeckung der Bombenwerkstatt der Gruppe in einer Jenaer Garage durch das Landeskriminalamt (LKA) geführt hätten. Auch bei der nach dem Untertauchen der Zelle von seiner Behörde eingeleiteten Suche nach dem Aufenthaltsort des Trios sei die Polizei umfassend über das Wissen des LfV unterrichtet worden. Zu diesem Zweck sei eigens eine Polizeieinheit in seinem Amt installiert worden, sagte der Zeuge. Fast wöchentlich habe er sich wegen dieses Falls mit LKA-Präsident Egon Luthardt getroffen. Mehrfach habe die Suche des LfV nach den drei Abgetauchten in deren Nähe geführt, erklärte Roewer. Das Misslingen eines Zugriffs sei nach den Erkenntnissen seiner Behörde nicht auf „Absicht“ zurückzuführen, diese „frohe Botschaft“ könne er aber nur für die Dauer seiner Amtszeit aufrechterhalten. Der Zeuge erklärte, dass viele Informationen aus der Polizei nach außen gelangt seien - etwa an die Medien. Auf die kritische Frage des Ausschussvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD), ob im LfV der Rechtsextremismus mit Nachdruck bearbeitet worden sei, sagte Roewer, bei diesem Thema habe er „kein Jota Laxheit“ geduldet. Die Befragung des Zeugen dürfte sich bis in den frühen Abend hinziehen.
Scharfe Kritik an der Informationspraxis des Erfurter Geheimdiensts gegenüber dem LKA und generell an der mangelnden Zusammenarbeit zwischen den Thüringer Sicherheitsbehörden haben vor Roewers Anhörung die Sprecher der Fraktionen bei der Befragung des ehemaligen LfV-Vizechefs Peter Jörg Nocken geübt. Man habe nicht zusammengearbeitet, ja sogar „gemauert“, monierte Wolfgang Wieland, der ein „Trauerspiel“ ausmachte. Der Grünen-Obmann verwies darauf, das Luthardt mit der Begründung, er sei „nicht verkalkt“, bestritten habe, von Nocken entgegen dessen Darstellung mündlich erfahren zu haben, dass das LfV aufgrund einer Unterrichtung durch den Brandenburger Geheimdienst von den Plänen des untergetauchten Trios zur Waffen- und Geldbeschaffung wisse. Edathy (SPD) nannte es zwar nicht belegbar, aber „sehr plausibel“, dass Nocken „gelogen hat“: Warum, fragte der SPD-Politiker, hätte Luthardt diese wichtige Erkenntnis nicht an die mit der Suche nach der Zelle beauftragten Zielfahnder weiterleiten sollen, die über die Waffensuche der Gruppe nie informiert wurden? Der SPD-Abgeordnete Sönke Rix kritisierte das „Schwarze-Peter-Spiel“ zwischen den Sicherheitsbehörden, das dazu beigetragen habe, das Jenaer Trio nicht schon frühzeitig aufzuspüren.
Als „unerträglichen Zustand“ beklagte der FDP-Parlamentarier Patrick Kurth die laut Nocken gängige Geheimdienstpraxis, wonach der Schutz von Quellen Vorrang vor der Strafverfolgung genießt und im Falle einer drohenden Enttarnung von V-Leuten Erkenntnisse gegenüber der Polizei auch schon mal zurückgehalten werden. Jens Petermann (Linke) äußerte den Verdacht, der vom Thüringer Geheimdienst lange Zeit als Spitzel geführte Tino Brandt, eine Führungsfigur des rechtsextremen „Thüringer Heimatschutzes“, könne sogar vom LfV vor polizeilichen Durchsuchungen gewarnt worden sein. Aus Sicht von Unions-Obmann Clemens Binninger wird das System der V-Leute ad absurdum geführt, wenn deren Informationen wegen des Quellenschutzes vom Geheimdienst nicht an die Polizei übermittelt werden. Der Vorrang des Quellenschutzes dürfe nicht absolut gelten.
Laut Nocken war das LfV während der Suche nach der Jenaer Zelle gegenüber der Polizei in einem Maße offen, wie dies ein Verfassungsschutz noch nie getan habe. Der Ex-Vizepräsident wies die Kritik des LKA-Zielfahnders Sven Wunderlich entschieden zurück, das LfV habe seine schützende Hand über die drei Abgetauchten gehalten.
Der Zeuge wandte sich auch gegen den Vorwurf, seine Behörde habe den V-Mann Tino Brandt vor Durchsuchungen der Polizei gewarnt. Nocken betonte zudem, Brandt habe die rund 200.000 Mark, die er bis 2001 vom Geheimdienst erhielt, für sich selbst ausgegeben: Dessen Aussage, er habe das Geld vor allem in die rechtsextreme Szene gesteckt, sei nicht glaubwürdig. Kurth wies indes darauf hin, dass Brandt immer dann viele Demonstrationen und andere Aktionen organisiert habe, wenn er vom LfV als Informant bezahlt worden sei – nicht aber in einer Phase, als er vorübergehend als V-Mann abgeschaltet war. Nocken sagte, ihm sei nicht bekannt, dass seine Behörde Brandts Anwaltskosten finanziert habe. Edathy konfrontierte ihn indes mit der Rechnung eines Anwalts in LfV-Unterlagen. Das könne er sich nicht erklären, sagte der Zeuge.
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