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Berlin: (hib/KOS) „Es entzieht sich meiner Vorstellungskraft“, so der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD), warum die Polizei bei der Fahndung nach dem Anfang Januar 1998 untergetauchten Jenaer Trio nicht mit Adressenlisten gearbeitet habe, die entscheidende Hinweise auf Aufenthaltsorte der Verschwundenen hätten liefern können. Wie Edathy kritisierten auch die Obleute der Fraktionen zum Auftakt der Zeugenvernehmungen am Freitag im Untersuchungsausschuss, der Pannen und Fehlgriffe bei den Ermittlungen zu der dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zugerechneten Mordserie durchleuchten soll, den Umgang von Bundeskriminalamt (BKA) und Thüringer Landeskriminalamt (LKA) mit den bei einer Garagendurchsuchung in Jena aufgetauchten Unterlagen der Gruppe, die nach ihrem Abtauchen zum NSU mutierte.
Im Verlauf der Sitzung kristallisierte sich bei einer Gegenüberstellung der damals in die Prüfung der bei der Garagenrazzia gefundenen Asservate involvierten Ermittler Jürgen Dressler (LKA) und Michael Brümmendorf (LKA) heraus, dass die Listen mit rund 35 Telefonnummern und Adressen von Rechtsextremisten seinerzeit im Hin und Her bei der konkreten Asservatenauswertung aus dem Blick gerieten. Im Ausschuss herrscht die Überzeugung vor, dass im Fall einer Nutzung der „Garagenlisten“ große Chancen bestanden hätten, Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nach ihrem während der Garagendurchsuchung erfolgten Untertauchen zügig zu entdecken. Dann wäre es zu der Erschießung von neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin zwischen 2000 und 2007 möglicherweise nicht gekommen. So weit nach der Enttarnung des NSU im November 2011 bislang bekannt geworden ist, hielt sich die Zelle nach ihrem Verschwinden zunächst im Raum Chemnitz auf – und aus dieser Gegend stammten mehrere auf den Listen vermerkte Kontaktdaten.
Laut Edathy wurden in den Jenaer Garagen insgesamt drei Adressenlisten gefunden, zwei in einem Pappkarton und eine in einer Plastiktüte. Diese dritte Liste wurde, wie im Zuge der Zeugenbefragung am Freitag deutlich wurde, offenbar erst im Januar 2012 ausgewertet, der Ausschuss erfuhr von der Existenz dieses Asservats erst kürzlich. Dressler und Brümmendorf erklärten, diese Liste sei ihnen 1998 unbekannt gewesen.
Unter Verweis auf seine „feste Erinnerung“ sagte der BKA-Beamte, nach der Begutachtung der beiden Listen aus dem Karton habe er sich sofort mit Dressler in Verbindung gesetzt. Man sei übereingekommen, dass der Erfurter Ermittler die Abklärung der Adressen vornehmen werde, da der LKA-Politzist das rechtsextreme Geflecht um Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe besser kenne als er, der zur Unterstützung des LKA bei der Suche nach der Gruppe im Februar 1998 für zwei Wochen nach Erfurt abgeordnet war. Dressler hingegen erklärte, er könne sich an den von Brümmendorf geschilderten Sachverhalt „in dieser Form nicht erinnern“. Er wisse auch nicht, wie mit den Listen damals weiter verfahren worden sei. LKA-Fahnder Sven Wunderlich hatte jüngst vor dem Ausschuss bemängelt, er habe die Listen seinerzeit nie erhalten.
Die Adressenvermerke wären doch „erstklassige“ Hinweise für die Suche nach dem Trio gewesen, kritisierte Edathy. Dressler: „Da haben Sie recht.“ Brümmendorf wurde aus den Reihen des Ausschusses vorgehalten, er habe zwar zunächst besonders auf zwei in den Listen benannte Namen, die nahe an Aufenthaltsorte der Jenaer Gruppe hätten führen können, aufmerksam gemacht, dies dann aber in seinem Schlussvermerk zum Ende seiner Tätigkeit in Erfurt nicht niedergelegt – so dass dieser wichtige Hinweis bei den Ermittlungen nicht mehr beachtet worden sei. Auch wäre es seine Aufgabe als BKA-Vertreter gewesen, außerhalb von Thüringen bei Sicherheitsbehörden anderer Länder näher abzuklären, was es mit Kontaktdaten aus deren Zuständigkeitsbereich auf sich habe, die auf den Listen standen. Brümmendorf räumte ein, solche Abfragen nicht vorgenommen zu haben. Zur Begründung meinte er, neben der Erwähnung auf den Listen habe es keine anderen Hinweise gegeben, dass diese Adressen von Bedeutung sein könnten.
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