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Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, spricht sich für dezentralere Strukturen bei der Beschaffung von Kleinteilen in der Bundeswehr aus. „Wir müssen weg vom zentralistischen Denken hin zu einer Struktur mit dezentraler Verantwortung“, sagt Arnold in einem am Montag, 13.Oktober 2013, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Nach Ansicht Arnolds muss nicht jeder „Toilettenartikel“ über das Beschaffungsamt der Bundeswehr in Koblenz bestellt werden. „Wir haben an allen Standorten Soldaten mit Universitätsabschluss, die sind sehr wohl in der Lage, ein eigenes kleines Budget zu verwalten“, argumentiert Arnold. Der Verteidigungsexperte erhebt zudem Vorwürfe gegen den früheren Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU). Die von ihm eingeleitete Bundeswehrreform habe viele Probleme in der Truppe vergrößert. „Deswegen muss an der Reform nachgebessert werden.“ Es wäre falsch, eine falsche Reform zu Ende zu führen. Das Interview im Wortlaut:
Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Wird dieser Auftrag des Grundgesetzes noch erfüllt?
Natürlich ist Deutschland verteidigungsfähig. Und die Bundeswehr beweist in aktuell 17 Auslandseinsätzen, dass sie über gute Fähigkeiten verfügt. Aber es gibt Bereiche, bei denen die Probleme nicht mehr länger schöngeredet werden dürfen. Das gilt insbesondere für den Lufttransport sowohl mit Hubschraubern als auch mit Flugzeugen. In diesem Bereich ist Deutschland derzeit nicht in der Lage, die Anforderungen der Nato zu erfüllen. Dies gilt auch für das Kampfflugzeug „Eurofighter“. Ein prinzipielles Problem aber ist, dass die Bundeswehrreform des ehemaligen Verteidigungsministers Thomas de Maizière (CDU) mit der Absenkung aller Fähigkeiten dazu geführt hat, dass in den Bereichen, in denen eh schon ein Mangel bestand, jetzt absolute Personalnot herrscht. In der Folge werden die Soldaten auf unverantwortliche Art und Weise belastet.
Die Probleme existierten aber schon vor der Reform. Der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus und sein Amtsvorgänger Reinhold Robbe haben seit Jahren gemahnt, dass die Truppe „die Grenze der Belastbarkeit erreicht“ habe. Wurden diese Warnungen ignoriert?
Wir Parlamentarier hören dem Wehrbeauftragten sehr wohl zu, schließlich ist er ja unsere eigene Kontrollinstanz. Die Bundeswehr hatte in Spitzenzeiten bis zu 10.000 Soldaten gleichzeitig in Auslandseinsätzen stehen, derzeit sind es noch rund 3.600. Und trotzdem sind die Probleme nicht kleiner, sondern größer geworden. Da ist die Frage berechtigt, was die Strukturreform von de Maizière und seinem Amtsvorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) positiv oder negativ verändert hat. Vieles läuft seitdem in die falsche Richtung und ist schlechter geworden. Deswegen muss an der Reform nachgebessert werden.
Die Bundeswehr ist seit dem Ende des Kalten Krieges von einer Reform in die nächste geschickt worden, beendet wurde aber eigentlich keine. Und jetzt soll schon wieder an der aktuellen Reform nachgebessert werden? Wäre es nicht wichtiger, der Truppe auch mal eine Reform-Pause zu gönnen?
Es wäre falsch, eine falsche Reform zu Ende zu führen. Wir sehen doch jetzt schon, dass die derzeitigen Probleme nicht behoben werden. Wir haben beispielsweise heute eine größere Zahl kleinerer Auslandseinsätze. Dafür braucht die Bundeswehr eine andere Struktur, als wenn sie einen großen Einsatz wie in Afghanistan und wenige mittelgroße zu bewältigen hat. Die Reformen nach der deutschen Einheit bis hin zur Reform unter Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) hatten alle das Ziel, aus einer Armee des Kalten Krieges eine Einsatzarmee zu machen. Dies ist auch gelungen. Die Reform der letzten Bundesregierung aber war ausschließlich einem Spardiktat geschuldet. Die Streitkräfte wurden nach Vorgaben der Haushaltsmittel konstruiert. Minister zu Guttenberg hatte gar versprochen, er könne acht Milliarden Euro einsparen. Das war damals schon eine Illusion. Es wurde überhaupt nicht überlegt, welche Einsätze in Zukunft wahrscheinlich sind. Für Minister de Maizière war es bequem, die Reform nach dem Prinzip „Breite vor Tiefe“ zu konzipieren. Die Truppe sollte in ihrer Grundstruktur erhalten bleiben – aber mit weniger Geld, weniger Personal und weniger Gerät.
Was muss geändert werden?
Was wir brauchen, ist eine Spezialisierung auf bestimmte Fähigkeiten und ein arbeitsteiliges Vorgehen in der Nato und der Europäischen Union. Nicht jeder muss alles können. Die Bundeswehr wird schließlich nie alleine in einen Einsatz gehen.
Erhöht eine solche Spezialisierung nicht den Druck, an umstrittenen Einsätzen der Verbündeten teilzunehmen, weil diese dann auf die deutschen Fähigkeiten nicht verzichten können?
Die meisten Fähigkeiten in den Streitkräften werden ja redundant angelegt. Wir sind noch weit davon entfernt, dass die europäischen Verbündeten über eine gemeinsame Armee verfügen. Auf dem Weg dorthin kann man aber viele Bereiche verzahnen. Natürlich gehört dann auch außenpolitische Verlässlichkeit dazu. Dies muss jedem klar sein. Deutschland muss seiner Verantwortung auch gerecht werden. Das heißt nicht, dass wir jedem Einsatz zustimmen müssen. Aber wenn wir eine tiefe Integration der Streitkräfte haben wie beispielsweise bei den Awacs-Aufklärungsflugzeugen, dann müssen sich unsere Partner auch auf uns verlassen können.
Wenn Sie vom Spardiktat der Reform sprechen, heißt das umgekehrt, dass die Bundeswehr wieder mehr Geld benötigt?
Nein. Solche Forderungen kann augenblicklich niemand ernsthaft stellen. Solange noch nicht einmal das vorhandene Geld ausgegeben wird, weil bestellte Waffensysteme nicht rechtzeitig geliefert werden, macht es doch keinen Sinn, nach mehr Geld zu rufen. Aber mittelfristig muss der Finanzminister jene Gelder, die an ihn zurückgeflossen sind, bereitstellen, wenn die Ausrüstung geliefert wird. Zudem müssen die üblichen Preissteigerungen sowie die steigenden Betriebs- und Lohnkosten im Verteidigungshaushalt berücksichtigt werden. Und wir müssen bereits jetzt klären, wie wir die finanziellen Spielräume ab dem Jahr 2018, wenn die bestellten Großgeräte geliefert wurden, nutzen können.
Krankt die Beschaffung daran, weil die heimische Industrie mit Neuentwicklungen beauftragt wird, statt vorhandene Systeme im Ausland zu kaufen?
Es ist wichtig, dass ein souveränes Land auch über eigene Fähigkeiten verfügt. Ich möchte nicht, dass wir im Bereich der Hochtechnologie ausschließlich auf Lieferanten aus den USA angewiesen sind. Aber nachdem die Stückzahlen der bestellten Systeme drastisch gesenkt wurden, ist eine nationale Entwicklung und Beschaffung nicht mehr finanzierbar. Wir brauchen in Europa gemeinsame Rüstungsprojekte und müssen den Fehler der Vergangenheit vermeiden, dass die beteiligten Länder das Gerät in jeweils unterschiedlichen Versionen bestellen.
Stellt die Bundeswehr zu hohe Ansprüche an das bestellte Gerät?
Es ist sicherlich ein Problem, dass die Streitkräfte traditionell gerne die „Goldrandlösung“ anstreben. So wurden während laufender Beschaffungsprozesse oftmals neue Anforderungen an das Gerät nachgeschoben. Dadurch entstehen zusätzliche Kosten und Intransparenz, weil sich die Industrie dann gerne und leichter bedienen kann.
Der frühere Wehrbeauftragte Robbe monierte, die Kommunikation zwischen der Truppe und dem zivilen Beschaffungsamt funktioniere nicht.
Die zivile Wehrverwaltung hat Verfassungsrang. Das hat Vorteile, weil bei kleineren Streitkräften die Soldaten durch zivile Mitarbeiter entlastet werden. Es macht keinen Sinn, immer mehr Soldaten an den Schreibtisch zu setzen. Aber die Zusammenarbeit zwischen Zivilisten und Soldaten war nicht an allen Stellen gut. Das Hauptproblem ist aber, dass das Beschaffungsamt in Koblenz zu einem Moloch geworden ist, der auch zu einem Eigenleben neigt. Minister de Maizière hat das Amt nochmals vergrößert und weitere Aufgaben dort angesiedelt, zum Beispiel im IT-Bereich und die Beschaffung sämtlicher Kleinteile. Man muss aber nicht jeden Toilettenartikel in Koblenz bestellen. Wir müssen weg vom zentralistischen Denken hin zu einer Struktur mit dezentraler Verantwortung. Wir haben an allen Standorten Soldaten mit Universitätsabschluss, die sind sehr wohl in der Lage, ein eigenes kleines Budget zu verwalten.
(aw/13.10.2014)