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Berlin: (hib/KOS) Scharfe Kritik an den Sicherheitsinstanzen übten die beiden Vorsitzenden und die fünf Fraktionsobleute des Untersuchungsausschusses, der Fehlgriffe und Pannen bei den Ermittlungen zu der dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) angelasteten Mordserie an neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin durchleuchten sollte, am Donnerstag bei der Vorstellung ihres Abschlussberichts. Der Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD) monierte ein „multiples, systemisches Versagen“ von Polizei und Geheimdiensten, sein Stellvertreter Stephan Stracke (CSU) sprach von einer „beschämenden Niederlage“ der Behörden, Linken-Sprecherin Petra Pau von einem „Ermittlungs-GAU“. SPD-Obfrau-Eva Högl konstatierte „Fehler und Versäumnisse auf allen Ebenen“. In einem Geleitwort schreibt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), das Gremium vermittele die Botschaft, „dass Minderheiten eigene Rechtsansprüche haben, über die Mehrheiten nicht verfügen können“.
Die Vertreter des Ausschusses erklärten, bei ihren Aufklärungsbemühungen seien sie nicht auf ein einziges zentrales Versäumnis gestoßen, auf das die Erfolglosigkeit der Ermittlungen zurückzuführen sei. Es habe jedoch viele einzelne Fehler gegeben, deren Vermeiden die Wahrscheinlichkeit, die Täter dingfest zu machen, deutlich erhöht hätte. Als gravierendes Beispiel erwähnt der Bericht die im Januar 1998 bei einer Garagendurchsuchung in Jena entdeckten Adressen aus dem rechtsextremen Spektrum, die bei der Fahndung nicht genutzt wurden - wobei diese Kontaktdaten vielleicht frühzeitig auf die Spur der im Januar jenes Jahres untergetauchten Zelle hätten führen können. Ein anderes Beispiel: Hätte man 2004 nach einem Nagelbombenanschlag in Köln mit über 20 Verletzten gründlicher in polizeilichen Datenbeständen geforscht, so wäre man möglicherweise auf Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gestoßen. Edathy und Stracke betonten indes, der Ausschuss habe keine Anhaltspunkte entdeckt für eine „Kumpanei“ zwischen Behörden und dem NSU, auch sei nicht absichtlich weggeschaut worden. Zudem existierten keine Hinweise für eine Tätigkeit des Trios als V-Leute.
Im Detail übt der Ausschuss eine Fülle von Kritik. Edathy bemängelte, dass das Verhältnis der Sicherheitsinstanzen mehr von Konkurrenz als von Kooperation geprägt gewesen sei. Unions-Obmann Clemens Binninger monierte, dass die föderale Sicherheitsstruktur bei länderübergreifender Kriminalität „schnell an Grenzen stößt“. Man habe sich sehr schnell auf die Tätersuche im Bereich der organisierten Kriminalität konzentriert und nur vereinzelt einen rechtsterroristischen Hintergrund in Betracht gezogen - „obwohl es auf der Hand lag“, dass bei dieser Mordserie ein ausländerfeindliches Motiv vorliege. Högl bezeichnete es als „bittere Erkenntnis“, dass in viele Richtungen, aber nicht im Bereich Rechtextremismus ermittelt worden sei. Die „Analysefähigkeit“ beim Verfassungsschutz sei nur unzureichend ausgebildet.
FDP-Obmann Hartfrid Wolff beklagte, dass trotz der intensiven Arbeit des Ausschusses noch zahlreiche Fragen ungeklärt seien. Nicht in gebotenem Maße untersucht worden seien etwa der Einsatz von V-Leuten, die internationalen Verflechtungen des NSU besonders in die Schweiz als dem Herkunftsland der Tatwaffe, die Banküberfälle der Zelle oder deren Einbindung in die rechtsextreme Szene. Aus Sicht Paus trugen die Ermittlungen „rassistische Züge“. Im Mittelpunkt des Versagens hätten die Ämter des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern gestanden, sagte die Linken-Abgeordnete. Grünen-Sprecher Wolfgang Wieland kritisierte, „dass die Ermittlungen regional borniert geführt wurden“. Die Innenminister in Bund und Ländern seien „mehr Teil des Problems als der Lösung gewesen“. Für Wieland hat sich vor allem das Bundeskriminalamt (BKA) als „Ort des Versagens“ entpuppt, was sich etwa bei der Fahndung nach dem Untertauchen des NSU-Trios in Jena oder beim Verfolgen der Waffenspur in der Schweiz offenbart habe. Bis heute zeige die BKA-Spitze „keinen Hauch von Selbstkritik“.
Im einstimmig verabschiedeten Bericht finden sich fast 50 Reformvorschläge. Vor allem dürfe die Gefahr eines Rechtsterrorismus „nie mehr unterschätzt und verharmlost werden“, unterstrich Edathy. Mit mehr Präventionsarbeit müsse verhindert werden, dass junge Leute in ein rechtsextremistisches Weltbild rutschen. Binninger hob die Forderung hervor, bei Gewaltdelikten an Migranten stets auch ausländerfeindliche Motive zu prüfen, sofern keine Hinweise auf Täter vorlägen. Högl mahnte eine effizientere parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes an und rief dazu auf, die „interkulturelle Kompetenz“ bei den Sicherheitsbehörden zu stärken. Wolff plädierte für eine Reform der Geheimdienste „an Haupt und Gliedern“ und machte sich dafür stark, angesichts der ungeklärten Fragen in der nächsten Legislaturperiode erneut einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Anders als Union, SPD und FDP, die Änderungen beim Geheimdienst und beim Umgang mit Spitzeln verlangen, will Pau den Einsatz von V-Leuten „sofort beenden“ und den Verfassungsschutz auflösen, der „nicht reformierbar“ sei. Laut Wieland soll das Bundesamt für Verfassungsschutz aufgelöst und dann neu strukturiert werden.
Bei der Vorstellung des Berichts wie bei der zuvor erfolgten Übergabe der fast 1.400 Seiten an Bundestagspräsident Lammert betonten die Ausschussmitglieder die erfolgreiche fraktionsübergreifende Kooperation in dem Gremium. Angesichts der Herausforderung durch den Rechtsterrorismus sei es nicht zu einer „parteipolitischen Profilierung“ gekommen, sagte Edathy. Man habe „verloren gegangenes Vertrauen in den Rechtsstaat wiedergewinnen wollen“. Wolff zeigte sich „beeindruckt“ von der „einmaligen Zusammenarbeit“, und dies in einem Wahlkampfjahr. Lammert nannte die Arbeit des Ausschusses „stilbildend“.
Högl mahnte, dass die Erkenntnisse des Gremiums nun nicht „in Schubladen verschwinden dürfen“. Binninger gab sich überzeugt, dass von dem Bericht ein „hoher Veränderungsdruck“ ausgehen werde.
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